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Full text of "Zeitschrift fur Philosophie und Padagogik"

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Zeitschrift  für 
Pliilosophie 
und  Padagogilc 


LIBRARY 

OP  TBE 

University  of  California. 

Class 


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Zeitschrift 


fOr 


Philosophie  und  Pädagogik 


O.  nfigd    ^    W.  Rein 

bblUte^.  loM 


Zwölfter  Jahrgang 


UNiVi 


Langensalza 

Hermann  Beyer  und  Söhne 
(Beyer  &  Mann) 

Hmogl.  Sidis.  Hofbttchbiiidlcr 

1905 


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3  / 


A  < , 


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V 


Inhalt 


16.  124.  204. 

291 

LoBSicf,  Kind  und  Euost                                                177.  273.  369. 

PoKOBKT,  Die  Ausfol^erong  und  Ausdeutung  allgemeiner  örteile  mit  positiTem 
Subjekte  und  Prädikate  durch  Definition  und  Einteilung  dieser  Glieder 

194 
466 

388- 

97 
1 

28. 

490 

30. 

306 
13» 

Mltt^ilangen 

inj 

Die  Bestimmungen  über  Immatrikulation  und  Promotion  Imniaturer  an 

deu 

 t  s  

51 

Zur  Frage  der  ethischen  "Wertschätzung  und  religiösen  Anerkennung 

•  • 

59' 

UA 

154 

1'>R 

160 

Konferenz  der  Lehrer  des  mutterspracliUchen  Unterrichts  in  Bulgarien 

161 

222 

•  • 

229- 

232 

235 

Beiträge  zur  ^  eiterentwicklung  der  christlichen  Religion     .  . 

236 

238 

238 

239 

Der  moderne  Materialismus  als  Weltanschauung  und  üoschichts 

prinzip  . 

240 

Bericht  üb.  die  13.  Herbstversammluug  des  V.  f.  w.  P.  Bez.  Magdo 

borg  u.  Anhalt 

24a 

246 

•  • 

249 

257 

330 

333 

337. 

452 

De  oorspronklijke  >Ventjes«  der  Antwerpsche  schoolkinderen  . 

344 

347 

350- 

351 

Verein  der  Freunde  Herbartiächer  Pädagogik  in  lllÜriOKea  .  . 

351 

407 

5Ö0 

506 

Uber  das  Wachstum  der  Muskolkraft  bei  Schülern  während  eines  Schuljahres 

509 

IV 


Inhalt 


Sait« 


T)ie  schleswig-holsteinische  ländliche  Volkshochsc^      .    «   .    •   511 

Das  Prinzip  der  Freiwilligkeit  in  der  Arl:)Qit  der  höheroa  Bohnlen    ....  f>T5 

Der  englische  Unterricht  in  den  VoIksschuJen  Hainbur^^     .......  520 

Bericht  über  die  bulgarischen  I/ehrorseminare  fiir  das  Schuljahr  1903 '04    .  52^ 

Dritter  Kunstorziehvingstag  in  Hamburg   529 

Pädagogischor  Ferienkurs  in  Kirchheim-Tect   530 

Der  ovangelischo  Keligionsunterricht  in  den  Volksschulen   530 

Die  Wirkung  der  Fürsorge-Gesetzgebung  in  Preußen   531 

Demokratie  und  Kaisert^im   iüi'd 

Preisaufgabe  der  » KantgeselLschaftc   532 


Bejjprecliunyen 

Berliker,  Lehrbuch  der  Experimentalphysik  in  elementarer  Darstellung    .    .  168 

-CoyAVBNTZ,  Die  Heimatkunde  in  der  SoWe   361 

Die  neue  Erziehung    ■    ■    •   2Ü5 

Dritte  und  vierte  Schwind-Mappe  •    »    «   536 

EisLKrt,  Wundts  Philosophie  und  Psychologie  ...........  5"35 

Fa^lbrecht,  Uber  den  Unterricht  in  der  bildenden  Kunst  am  Gymnasium  .    .  "87 

FöRSTKK,  Jugendlehre  .   303 

•Gaüuio,  Didaktischo  Ketzereien     .    .    .    .    .    .    .    .    ■    •    •    •    •  .•    •  • 

GöiiRLNO,  Die  Anfänge  der  deutschen  Jugendliteratur  im  18.  Jahrhundort  .    .  91 


Ghussk.  Historische  Kechenbücher  des  10.  und  17.  Jahrhunderts  und  die  p]nt- 

Wicklung  ihrer  Grandgedanken  bia  zur  Neuzeit   171 

HgysKL,  Hauptprobleme  der  Ethik   76 

HÖFTniNo,  Philosophischo  Probleme                           .    .    .    •    • ,  ■    •    •    ■  Q5 

Kautzsch.  Versuche  in  der  Betrachtung  farbiger  Wandbilder  mit  Kindeni .    .  '206 

Lazarus,  Pädagogische  Briefe  •   

LANüsiiERo,  SciQtRiL  uud  Scioim,   »Natur  und  Schule»   ^ 

Lkmkk,  Universität  und  Volkssclmllehrer   88 

Tji's,  Leitfaden  der  Psychologie     .    .    .    .    .    .                               .    .    ■  86 

Matthias,  Die  soziale  u.  politische  Be<ioutung  der  Schulreform  vom  Jalire  1000  >'>3i) 

Mkyer- Markau  u.  Holoschmidt,  Eine  Heimatakunde  ala  Volks-  u.  Jugendschrift  462 

Mf'N'CH,  Zukunftspädagogik    .  T   ♦    .    .  535 

Münch,  Geist  des  Lehramts   538 

NAifLowsKY,  Allgemeine  Ethik   352 

Paktsch,  Mittelouropa   458 

Rausch,  Schülorvereine.  Erfahrungen  und  Grundsätze   35? 

Rkichel.  über  den  GniOenkontrast   82 

Rmslno,  25  Wandtafeln  und  21  Voriagen  fär  das  elementare  Freihandzeichnen  267 

KirK>:RT,  Der  Gegenstand  der  Erkenntnis    •    .    •   83 

Bkyffj^t,  Die  Unterrichtslektion  als  didaktische  Kunstform   3o6 

ScHNEiDKR,  Die  Zahl  im  grundle^^enden  Rochenunterricht  •    •    •    •    •    •    •    •  265 


■SiCKiNOKR.    Der  L^nterrichtsbetrieb  in   großen  Volksschull'örpern   sei  nicht 

schematisch-einheithch.  sondern  differenziert  einheitlich  360 


Siop»GF.R,  Mehr  Licht  und  Wärme  den  Sorgenkindern  unserer  Volksschnle!  .  538 

fipcoER,  Soziale  Fürsorge  der  Weg  zum  Wohltun    .   3?)8 

TEurFKL,  Latcinisclie  Stilübmigc!!  aus  dem  Nachla.sse  des  W.    ■  463 

Tombach,  Untersuchungen  über  dius  Wasen  des  Guten   533 

Trokltsch,  Poliüsche  Ethik  und  Christentum  .    .    .    .    .    .    .    •    •    •    ♦    •  54Ü 

Ukkh.  Die  Ergebnisse  und  Anregungen  dt\s  Kunsterziehungstaffl  in  ^^"('imar  .  3")9 
VolüT.  Die  Bedeutung  der  Horbartschen  Pädagogik  in  der  Volksscbulo  .    .  . 

yuNDT,  Völkerp.sychologie    ^^5 

ZiK.HE.N',  t'ber  Volkserziebung  im  nationalen  Sinn  


Znjje,  Welches  sind  die  pädagogischen  Anfordernngen  an  einen  Lehrply 

für  die  bayrischen  btädtibchen  Volksschulen?   87.  540 


Ein  Einblick  in  das  Gebiet  der  höheren  Geodäsie 

Von 

Julius  Redlich 

Wie  oft  benutzen  wir  doch  eine  topop^raphisehe  Karte,  einen 
Atlas  oder  Globus  und  wie  wenig  ist  der  Wissenszweig  bekannt,  auf 
dem  diese  Hilfsmittel  beruhen.  Und  doch  muß  in  dieser  Wissen- 
schaft der  Erd-  und  Ijändermessung  ein  erhebliches  Maß  von  Geistes- 
inhalt vorhanden  sein,  denn  es  haben  sich  mit  ihr  Männer  von  her- 
vorragender Geisteskraft  (ich  nenne  nur  Karl  Friedrich  Gauss  und 
Bessel)  eingehend  beschäftigt.  Zudem  verdankt  sie  deutscher  Arbeit 
ganz  besondere  Förderung  und  ihre  internationale  Fortbildung  ist 
angebahnt  durch  deutsche  Initiative  und  steht  unter  deutscher  Führung. 
Immer  sorgfältiger  werden  die  geistigen  Werkzeuge  der  Beobachtung, 
Fehlerausgleichung  und  Darstellung  geschärft;  die  Rechnungsmethoden 
haben  eine  Ausbildung  und  einen  Umfang  der  Anwendung  gefunden, 
daß  sie  mit  den  astronomischen  Rechnungen  rivalisieren.  Sollte  es 
nicht  für  Leser  dieser  Zeitschrift  von  Interesse  sein,  einen  kurzen 
Einblick  in  ein  so  gedanken-  und  arbeitsreiches  Gebiet,  auf  welchem 
ein  umfangreicher  Teil  unseres  Wissens  und  des  Unterrichts  ruht, 
zu  bekommen?  sind  doch  gerade  die  Bücher  über  höhere  Geodäsie 
so  schwer  zugänglich.  —  Ich  will  versuchen,  solchen  Einblick  in 
gemeinverständlicher  Form  zu  geben. 

1.  Das  BEssEi.sche  Erdellipsoid.  —  Was  wir  messen  liegt 
in  der  Ebene,  auf  Bergen,  im  Tal  und  alles  liegt  auf  der  gekrümmten 
Oberfläche  der  Erde;  aber  wir  messen  die  Lage  der  Punkte,  indem 
wir  sie  auf  eine  ideale  mathematisch  bestimmbare  Fläche  lotrecht 

Zeitflchrift  für  Philosophio  und  Pädafffiifik.    12,  Jahrg^anc;.  1 


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2 


Aufsätze 


projizieren.  Die  ^Eeeresfiüche  und  deren  j^^edachte  Fortsetzung  er- 
scheint für  diese  Projektion  zunächst  vollkommen  geeignet.  Die 
Schworclinien  stehen  allen thiilbon  auf  dieser  "Wasserfläche  senkreckt 
Aber  es  finden  Anzieliungen  des  Wassers  nach  den  schweren  blassen 
der  Kontinente  hin  statt,  abhängig  von  der  zufalligen  Höhe  und 
Schwere  dieser  Massen.  So  weiclit  schon  die  Meeresfläche  von  einer 
matliematiscli  bestiniml»aren  Idcalgestult  ab;  und  wenn  wir  uns  das 
Meer  unter  Kontinenten  und  Inseln  als  Projcktionsfläche  so  fortgesetzt 
denken,  daß  letztere  allenthalben  die  tatsächlichen  Schwererich tungen 
rechtwinklich  schneide,  so  haben  wir  eine  ganz  unregelmäßige,  von 
lokaler  Terraingcstaltung  und  Erdmassondiclito  abhängige  Projektions- 
fUiohe,  welche  man  Geoid  nennt 

F.  R.  TTwjfTOT  hat  diese  Frage  sehr  umfiesenden  Untersuchungen 
untersogen.  Hier  einige  Ergebnisse  desselben:  Den  ftufieren  Formen 
der  Eontinente  nach  müßte  sich  die  Bliche  des  Oeoids  unter 
Europa,  Asien  und  Afrika  um  600  bis  700  m,  unter  Amerika  um 
200  bis  300  m,  unter  Australien  um  50  m  über  das  ungestörte 
IfeeresniToau  eriieben.  Es  deuten  aber  gewisse  andere  Tatsachen 
darauf  hin,  daß  die  Eontinente  gewissermafien  aui^ockerte  Schollen 
von  geringerer  Dichte  sind.  So  nimmt  TTgr-ngMi  die  Höhen  der  konti- 
nentiden  Störungen  des  Geoids  durchschnittlich  nur  zu  200  m  an. 
FQr  die  Meeresfläche  selbst  schätzt  er  die^  von  den  Erdmassen  ab- 
hängigen Senkungen  gegen  ein  Umdrehun^ellipsoid  auf  5  bis  höch- 
stens 20,  die  Hebungen  auf  etwa  8  m.  Ein  750  km  langes,  25  km 
breites  und  2600  m  hohes  Gebirge  würde  das  Geoid  am  Fuß  des 
Gebirges  um  nahe  5  m,  unter  dem  Gebirgsrücken  um  et^va  GY,  m 
heben.  Auch  hier  deuten  geringere  Beobachtungs werte  auf  eine  Auf- 
lockerung der  Gebirgsmassen.  Für  den  Harz  beträgt  die  lokale 
Hebung  des  ßeoids  (also  exkL  der  kontinentalen)  noch  nicht  2  m. 
—  Diesen  Hebungen  entsprechen  Abweichungen  der  Schwerelinien. 
Das  oben  erdachte  2500  m  hoho  Oebirgsgebilde  würde  die  Scliwerc- 
linie  in  2500  m  Entfernung  vom  Rücken  um  Iii  Winkelsekunden, 
am  Fuße  des  Gebirges  um  27",  bei  12  7^  km  Entfeniung  außerhalb 
des  Fußes  um  10"  verändern.  Am  Kaukasus  fand  man  eine  Lot- 
abwoichung  von  54".  Die  Krünnuungsradien  des  (ieoids  wecliseln 
zwar  stark,  das  Qeoid  bleibt  aber  trotzdem  immer  nach  außen 
konvex. 

Nach  Bessei,  beträgt  die  Differenz  der  beiden  Hauptaxen  des 
Erd-Ellipsoids  42():56  m.  Dagegen  verschwinden,  wie  wir  el)en 
sahen,  die  durch  kontinentale  und  lokale  Massen  verursachten  Ver- 
schiebungen des  Geoids,  und  man  kann  also  unbedenklich  als  ideale 


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Bkdugb:  Ein  EinUick  in  das  Gebiet  der  höheren  Qeodftsie 


3 


Frojektionsfiäche  eine  noch  näher  zu  bestimmende  Rotationsfläche 
annehmen,  w  elche  die  £rdaxe  als  Drehaxo  hat.^) 

Aus  10  Öiadmessunj^on  zwischen  1<*31'  südlicher  und  66^20' 
nördlicher  geographischer  Breite  hat  Bessel  unter  Annahme,  daß  jene 
Rotationsfläche  ein  ümdrohunfjsellipsoid  sei,  die  Dimensionen  desselben 
wie  folgt  hergeleitet:  große  Halbaxe  —  6377397  m;  kleine  HaLbaxe 

6356079  m;  Abplattung        —  Es  gibt  eine  auf  ganz  anderer 

«rnindlaue  beruhende  Bcstimnuin;!  obitror  Rotationsfläche.  122  Mes- 
sun^'^eu  der  Länge  dos  Spkiiiuleiipendcls ,  ausiL^ofülirt  an  den  ver- 
schiedensten Orten  der  Erde  vmi  0  bis  KO"  i:f'o<^raj)liisclier  J^rcito, 
gaben  Helmert  die  Daten  zur  Bestimmung  eines  >Xiveausph;iroi(l> 
d.  h.  einer  Rutationsfläclie ,  welche  ilas  Meer  unter  "Wirkung  der 
Massenanzieliung  und  Zentrifugalkraft  (abgesehen  von  Ebbe  und  Flut) 
annehmen  wird.   Es  eigab  sich  hierbei  die  Abplattung  der  Erde 

zu  öpcf  ^yö^*        genaue  Übereinstimmung  der  Abplattung  nach 

beiden  Methoden,  von  denen  die  eine  also  auf  iJingeü-  und  Winkel- 
messungen, die  andere  auf  Schweremessimgen  beruht  ist  wohl  nur 
eine  zutällige;  sie  zeigt  jedoch,  daß  man  sieh  des  B>;sskl sehen  Erd- 
ellipsoids,  nach  welchem  arheitsreielie  Tafelwerke  berechnet  sind, 
noch  heute  mit  vollem  Rechte  allgemein  in  der  Geodäsie  bedient 

2.  Triangulationen  erster  Ordnung.  Als  Beispiel  einer 
Triangulation  erster  Ordnung  wollen  wir  die  der  Provinz  Hannover 
betrachten.  Diese  Triangulation  ei-streckt  sich  vom  Meißner,  süd- 
östlich Göttingen  bis  etwa  Neumünster  in  Holstein,  und  vom  Brocken 
bis  Bentheim  an  der  holländischen  Grenze.  Es  sind  nur  3  Längen 
(Basen)  wirklich  gemessen:  eine  5193  m  lang  bei  Göttingen,  eine 
5875  m  lang  bei  Braak,  nordostlich  nahe  Hamburg  und  eine  7039  m 
lang  bei  Meppen.  Göttiugen,  .Meppen,  Braak  bilden  ein  nahe  gleich- 
schenkliches  rechtwinkliches  Dreieck  tou  etwa  225  m  Länge  der 
Katheten*  Bie  Figur  aal  S.  4  gibt  den  südwestlichen  Teil  der  Trian- 
gulation zwischen  Meppen  und  Gdttingen.  —  Yen  der  kleinen  ge- 
messenen Base  1—2  bei  ^Iei)pen  ist  man,  wie  Ügur  zeigt,  durch 
Bestimmung  sweier  rhombenartiger  Tierecke  zu  der  Triangulations- 


')  Nachdem  Jacobi  gezeigt  hatte,  daß  eia  rotierender  fiüüäiger  Jvurpur  aucti 
in  0«Bialt  eines  dnisiigeii  lUipeoids  bestehen  kann,  glaaUea  OwKttteii  die  Lot- 
abweicimngen  dordi  em  Bolohee  Blipeoid  Teimindeni  sn  können.  Solch  dreiaxiges 
Ellipsoid  kann  aber  onr  existieret],  wenn  das  Verhältnis  der  Äqnatoxialazen  kleiner 
als  0,707  ist,  was  bei  der  Eide  sicher  nicht  der  Fall  ist 

1* 


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Aufsätze 


Seite  5—6  (Windberg-Haspe)  übergegangen,  und  fihnliohe  Übergänge 
von  der  gemeBsenen  kleinen  Base  17—18  za  der  Hauptdreieoksseite 
15 — 20  finden  bei  Odtdngen  und  gieichgeartet  bei  Braak  statt 

Ein  Schulmann,  Professor  ScHwintD  sah  die  mühselige  Meßarbeit 
der  15460  m  langen  Basis  einer  Triangulation  bei  Speyer,  und  ging 

1820  mit  seinen  Ly- 
ceumsschülem  hinaus, 
und  maß  die  dadurch 
berühmt  gewordene 
kleine  Speyersche  Basis 
von  nur  860  m  Tünge, 
und,  indem  er  die  Meß- 
arbeit sparsam  dem  Ge- 
wichte der  Dreiecks- 
stücke anpaßte ,  be- 
stiiiinitc  er  durch  ähn- 
liche rhoiubonaitige 
Übergänge  mit  unver- 
hältnismäßig geringen 
Mitteln  zutreffend  die 
Länge  der  großen  Basis. 
Dem  Laien  verdsinkt 
man  diese  Metliode. 

Kein  en  wir  zu  unserer 
Triangulaüun  zuriick. 
Die  von  den  Biusen  aus 
bestimmten  Dreieck- 
seiten 5—6  und  15—20 
sind  nun  doich  eine 
Kette  großer  Dieieoke 
miteinander  verknüpft 
und  fihnliohe  Dreiecks- 
ketten  erstrecken  sich 
von  Braak  nach  Meppen 
und  Ton  Braak  nach 
Güttingen.  Dieser 
Babmen,  welcher  das  in  schwichere  Linien  teilweise  angedeutete 
innere  130  mal  220  km  große  Gebiet  (das  Wesemetz)  umschließt,  ist 
in  Bezug  auf  unvermeidliche  Yermessungsfehier  in  sich  fest  aus- 
geglichen. Das  innere  Netz  (Wesemetz),  aus  annähernd  gleich  großen 
Dreiecken  bestehend,  ist  gleichfalls  in  Bezug  auf  Fehler  in  sich 


•    ia  10  50  s%  50  6011 


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Seduch:  ESn  Einblick  in  das  Gebiet  der  höheren  Oeodisie 


5 


und  ?0£ron  die  dasselbe  umgebenden  Winkelpunkte  des  Rahmens 
ausgeglichen.  So  ist  ein  tanUohst  fehlerloses  Netz  für  alle  weitere 
Messungen  pegobcn. 

Eingehende  theoretische  Untersuchungen  sind  über  die  aus  un- 
vermeidlichen Fehlern  der  AViiikelmossung  hervorgehenden  Fehler 
der  Dreiecksseiteu.  über  die  F(*rtpflanzung  dieser  Fehler  je  nach  An- 
ordnung der  Figuren  (ob  Dreiecke  oder  Mehrecko  mit  DiagoruUen, 
ob  große  oder  kleine  Dreiecke),  über  die  geringste  Messungsarbeit 
kurz  über  die  beste  Art  der  Triangulation  angestellt.  Sind  z.  B.  in 
einem  nahezu  gleichseitigen  Dreieck  die  Winkel  mit  einem  Fehler 
von  mehr  oder  weniger  1  Sekunde  gemessen,  sd  ist  eine  aus  fehler- 
los gedachter  Basis  imd  beiden  anliegenden  Winkeln  berechnete,  der 
Basis  anliegende  Seite  mit  einem  Fehler  von  +  3,9  mm  auf  den 
Kilometer  Länge  behaftet,  und  von  den  nun  fehlerhaften  Seiten  pflanzen 
sich  die  Fehler,  infolge  der  unvermeidlichen  Winkelfehler  weiter  fort. 

—  Eine  Basis  von  mäßigen  Dimensionen,  Übergang  von  derselben 
zu  den  Dreieckseiten  durch  rhombenähnliche  Anordnung  unter  sorg- 
samster Messung  der  spitzen  Rhombenwinkel,  große  möglichst  gloidi- 
seitige  Breiecke  ohne  DiagonalTerbindangen,  das  ist  nach  Torbezeich- 
neten  üntersachmigeii  die  beste  Anordnmig.  —  In  unserm  Beispiele 
einer  Triaagnlation  erster  Ordnung  sind  3  kleine  Basen  gemessen. 
Dadozcfa  wird  die  Zonahme  der  Fehlerfortpflaozung  eng  begrenzt 
Alle  andere  Hessong  ist  Winkelmessnng. 

Was  bedingt  nnn  die  Größe  der  Dreiecksseiten  erster  Ordnung? 

—  Der  mit  dem  Fernrohr  des  Winkelmeflinstraments  fTheodoliQiza 
slditende  Punkt  muß  durch  ein  Spiegelbildchen  der  Sonne^mittels 
des  Heliotrops  markiert  werden.  Dies  ist  nur  Ton  etwa  8  Ühr  Nach- 
mittags bis  Sonnenuntergang  ausfahrbar.  Wie  oft  stört  Trttbung  der 
Luft  die  Sichtung.  Im  Hügel-  und  mittleren  Bergland  läuft  die  Sicht- 
linie durch  klarere  Luft,  dort  können  die  Dreieckseiten  größer  sein. 
Zieht  man  in  der  Triangulation  Nord-  und  Südwestdeutschlands 
eine  Linie  von  Bremen  nach  Glogau  und  Öls,  so  sind  die  Dreiecks- 
seiten östlich  dieser  Linie  (im  Flachland)  meist  25  bis  35  km  lang, 
die  westlich  davon  (im  Hügel-  und  Berglaud)  50  bis  70  km.  In 
Deutschland  ist  wohl  das  größte  Dreieck  das  von  K.  F.  Gauss  be- 
stimmte: Hohenhagen — Inselberg — Brocken  mit  Seiten  bis  105973  m. 
Die  größte  Dreieckseite  überhaupt  ist  die  einer  Xriangalation  zwischen 
Spanien  und  dem  westlichen  Algier:  von  Mulhazen  bis  Filhavussen, 
269926  m  lang,  gesichtet  bei  Nacht  mit  elektrischem  Licht. 

Es  ist  zu  beachten,  daß  bei  der  Winkelmessung  die  Axo  des 
Theodolit  mittels  Idbeile,  also  in  der  Schwererichtung  eingestellt 


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6 


AufBätse 


wird  und  dafi  diese  Riciitimgen  in  je  zwei  Punkten  dee  Erdeilipsoids 
im  allgemeinen  nicht  in  derselben  Ebene  li^en,  woza  noch  die 
schon  oben  erwähnten  Lotabweichungen  treten. 

Zu  Anfang  dee  17.  Jahrhunderts  maß  SuELurs  die  Winkel  bis 
auf  1  Minute  genaa,  jetzt  eireioht  man  Genauigkeitea  von  %  Sek. 
und  wenif^er. 

Den  andorn  Teil  der  Meßoperationen  bildet  die  Messung  der 
wenigen,  zur  Größe  des  ganzen  Dreiecksnetzos  fast  verschwindenden 
Basen.    Zu   Anfang  des   19.  Jahrhunderts   wurde   eine   Basis  bei 
Mündelheim  mit  besonderer  Sorgfalt  und  zwar  mit  hülzemen  Meß- 
latten und  viermal  gemessen.    Der  mittlere  Fehler  einer  Messung 
betrug  +  8,2  mm  auf  den  Kilometer.    Dagegen  erreichte  man  187!) 
bei  der  Messung  der  schlesischen  Basis  bei  Strohion  eine  Genauig- 
keit von  +  0,70  mm  pro  Kilometer  für  eine  Messung.  Epoche- 
machend ist  hier  der  zuerst  bei  der  Triangulation  Ostpreußens  an- 
gewendete Bi>;sF.i,sche  Apparat.   Die  4  gleiciien  3.89S  m  langen  Maß- 
stäbe bestellen  aus  einem  Eisenstab,  dessen  WärmeausMchnung  durch 
die  Differenz  gegen  einen  daran  befestigten  Zinkstub  mittels  flach 
zulaufender    graduierter   (J laskeile   gemessen   wird.     Die  Maßstäbe 
werden  auf  horizontale  Bettung  mit  geringem  Zwischenraum  gelegt, 
nnd  die  Zwischenräume  werden  mit  denselben  Glaskcilen  gemessen. 
Mit  diesem  Apparat  sind  zwischen   IS.'M  und  1892  14  Basen  in 
Dentsohland,  Belgien  und  Dänemark  gemessen.  Inzwischen  sind  zahl- 
reiche neuere  Methoden  aufgekommen  und  die  Genauigkeit  wird 
wesentlioh  gefSidert  durch  die  internationale  Meterkonvention  von 
1872.  Nach  derselben  sollen  30  gleiche  Mafistäbe  Ton  zförmigem 
Qaencfanitt,  2  cm  Breite  und  Höbe  ans  einer  Legierung  von  90  Teile 
Platin  und  10  Teile  Iridium  beigestellt  werden,  welche  Legierung  nur 
eine  Ausdehnung  von  0,000009  fOr  V  C.  hat  Ein  solober  Mafistab 
(No.  18)  gilt  seit  1890  als  deutsches  Grundmafi. 

Aus  der  gemessenen  Basis  und  den  gemessenen  Winkeln  kann 
man  nun  ^on  Dreieck  zu  Dreieck  fortschreitend  die  Längen  der  Drei- 
eoksselten  berechnen.  Bei  den  hier  in  Betracht  kommenden  Dimen- 
sionen ist  es  znlSssig,  die  Dreiecke  als  auf  einer  Kugel  liegend  zu 
betraofaten.  Ein  solches  sphSiiscbes  Dreieck  bat  eine  Winkelsumme 
von  mehr  als  2  Rechten.  Dies  Mehr  (sphärischer  Exzeß  genannt) 
ist  proportional  der  Dreieoksfläohe  und  berechnet  sich  nach  der 
F  180^ 

Formel  t      ~  •  •  So  ist  z.  B.  die  Oberfläche  des  achten  Teils 

t*  n 

4r>ff 

einer  i^ugel  (geteilt  durch  3  aufeinander  senkrechte  Schnitte)  F  =-  — g— 


J 

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Biduck:  Ein  KmWiflk  in  das  Gebiet  der  höheren  Geodäsie 


7 


Der  sphSriflohe  Exsefi  solohen  Engeldroieoks  berechnet  dch  also  zu 
T*.n  180"* 

I       ♦/^  .         •  — —  BS  90**,  wie  ja  in  der  Tat  das  Dreieck  solcher 

AchtelkagelflAche  180<>  +  90^      3  Beerte  als  Winkelsamme  hat 

So  hat  ferner  z.  6.  das  große  oben  erwähnte  Dreieck  Hohenhagen — 
Inselberg— Brocken  einen  sphärischen  Exzeß  von  14,85". 

Man  berechnet  nun  nach  einem  merkwürdig  bequemen  Satz  (von 
Legendre),  dessen  Berechtigung  die  höhere  Geodäsie  nachweist,  die 
Lfinge  der  Seiten  des  sphärischen  Dreiecks,  nachdem  man  dessen  ge- 
iDeasene  Winkel  um  je  Vs  sphärischen  Exzesses  vermindert  hat, 
genau  so,  als  ob  es  ebene  Dreiecke  wären.  Endlich  sind  noch  die 
auf  der  Erdoberfläche  (und  zwar  horizontal)  gemessenen  Längen  auf 
die  Mecrosflächo  zu  beziehen;  sie  verkleinern  sich  dadurch  bei 
Höhen  von  101)  m  um  0,0157  m,  bei  Höhen  von  500  m  um  0,0815  m 
auf  je  1  km  Länge. 

Neben  der  Messung  der  Basis  und  der  Dreieckswinkel  ist  für 
f'ine  Triangulation  noch  die  Bestimmung  eines  Azimut  nötig,  d.  h. 

AVinkels,  den  an  einem  nach  geograpliisciier  Länge  und  Breite 
bestimmten  Funkte  eine  von  demselben  ausgoliende  Dreieckseite  mit 
dem  Meridian  jenes  Punktes  bildet.  Damit  ist  dann  die  Lage  des 
ganzen  Dreiecksnetzes  auf  dorn  Erdellipsoid  festgelegt,  d.  h.  es  lassen 
sich  nun  alle  Punkte  der  Triangulation  nach  Länge  und  Breite  be- 
stimmen. Hier  ist  beachtenswert,  daß  die  astrunoniisclie  Bestimmung 
der  I>änge  und  J^reite  eines  Ortes  weit  weniger  Oenauigkeit  besitzt, 
als  geodätische  Messungen.  Die  Schwankungen  der  Erdachse  um 
deren  Mittellage  in  der  Zeit  von  1890  bis  95  entsprechen  etwa  18  ni, 
gemessen  auf  der  Erdoberfläche  und  erst  1883  wurde  die  Beachtung 
soleher  Schwankungen,  welche  die  geographische  Breite  eines  Ortee 
am  den  ganzen  Betrag  fälschten,  angeregt  Bei  den  weit  schwierigeren 
Bestimmungen  der  geographischen  Länge  eines  Ortes  waren  natfirlich 
die  Fehler  weit  größer.  Bis  1859  ist  die  LBnge  der  Berliner  Stern- 
warte nm  12,95  Winkel-Seknnden  größer  angenommen  worden,  als 
sie  sich  nach  neuerer  telegraphischer  Bestimmung  ergeben  hat;  das 
ent^richt,  auf  der  Erdoberflfiche  gemessen,  einem  Fehler  Ton  247  m. 
Nimmt  man  mit  Hslmebt  jetzt  den  Fehler  astronomischer  Bestimmung 
in  Breite  zu  0,3",  in  Lftnge  zu  0,5",  so  entsprechen  diesen  Fehlem 
ffir  Deutschland  Abstände  von  nahe  10  m.  Nach  Albrscht  beträgt 
aber  der  Fehler  der  besten  astronomischen  Längenbestimmung  i/«", 
was  15  m  Abstandsf ebier  entspräche.  Messungsfehler  in  der  Aus- 
dehnung deutscher  Dreiecksnetze  erreichen  nicht  entfernt  derartige 
Oröfien. 


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8 


Aofsätse 


J 


Rg.  2. 


Nordpol  P 

3.  Die  Übertragung  der  Triangu- 
lation auf  das  Erdellipsoid.  Die 
geographische  Lange  und  Breite  (letztere 
mit  (/  bezeichnet)  eine^  Punktes  A  (z.  B. 
der  Sternwarte  Berlin)  nehmen  wir  als 
gegeben  an;  die  Länge  der  Dreieck- 
seito  AB  =  ff  ist  aus  der  Triangulation 
berechnet,  das  Azimut  a,  d.  h.  der  Winkel, 
den  AB  mit  dem  Meridian  AP  bildet,  ist 
gemessen.  Die  Aulgabe  der  helleren  Oeo- 
dlsie  ist  es  nun,  aus  dem  sphäroiden  Polaidreleck  ABP,  in 
-welchem  PB  gleichfalls  ein  Meridian  ist,  und  Ton  welchem  90^ — 9> 
und  tt  in  Graden,  c  in  Metern  gegeben  sind,  X,  90  — (f'  und  (leti^ 
teres  das  Azimut  von  AB  im  Punkte  B)  zu  bestimmen.  Damit  hat 
man  geographische  Lfinge  und  Breite  des  Punktes  B  und  das  Azimut 
jeder  andern  tou  diesem  Punkte  ausgehenden  Dreieckseite,  so  dafi 
man  nun,  in  gleicher  Weise  yon  B  weiter  schreitend,  nach  und 
nach  alle  Triangulationspunkte  nach  geographischer  LSnge  und  Breite 
bestimmen  kann. 

Die  L8nge  g  wird  einen  um  so  größeren  Abstand  geographischer 
Unge  und  Breite  überdecken,  je  stärkte  die  Krümmung  der  Ellipsoid- 
oberflftche  in  der  Bichtung  AB  ist,  d.  h.  je  kleiner  der  Krümmungs- 
halbmesser. Auch  bezüglich  der  beiden  Meridiane  wird  das  Krüm- 
mungsmaß ihrer  in  das  Polardreieck  fallenden  Seite  AP  und  BP  ffir 
das  Dreieck  bestimmend  sein.  Für  die  Meridiane  ist  der  Krümmungs- 
halbmesser (M)  in  einem  Punkte  Ton  der  geographischen  Breite  q 
nur  von  der  Ellipsoidabplattung  und  von  f  abhängig;  für  die  Seite  AB 
aber  kommt  auch  der  Krümmungshalbmesser  (N)  des  auf  dem  Meridian 
senkrecht  stehenden  Schnittes  des  KUipsoids^  und  außerdem  die  Größe 
des  Azimut  in  Betracht 


')  Beteidmet  a  die  gioBe  Halbtxe  der  EideUipee,  b  die  Ueme;  ffikit  man 


femer  folgende  Abkürzungen  ein; 


—  e";  -p  —  c;  1  -f-  e"  cos'* 


~    '  b 

80  werden  die  obou  erw'ühntcn  lüÜQimangshalbmeääer  in  eineiu  Punkte  von  der 
geogiaphiBohea  Breite  f ;  M  (für  dem  Meridian)  «        K(8enkreohtsam  Meridian) 


;  Iva  (für  eine  liithtung  vom  Azimut  a)  =*  —  . 


1 


•    1  4-  e**  coe     C08  a"* 

Für  die  ük  ^kx  sehen  Dimensionen  dee  BUtpsoid  ist  o  —  6398790  m  und  e'* 

-»  0,00072  m. 


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Beduch:  £in  Einbliok  ia  das  Oebiet  der  höheren  Geodisie 


9 


Für  die  Folardreieckseito  AB  ist  aber  noch  folgender  Umstand 
von  erheblichem  Gewicht.  Im  allgemeinen  liegen  die  in  A  und  B 
auf  der  EUipsoidoberflächo  errichteten  Lote,  in  deren  Richtung  die 
Yertikalaxe  des  Winkelinstruments  eingestellt  ist  aiu  h  abgesehen  von 
den  znföliigen  Lotabweichungen,  nicht  in  ein  und  derselben  Ebene. 
Visiert  man  von  A  aus.  so  geht  die  Sichtebene  durch  das  Lot  in  A 
und  durch  den  Punkt  B,  visiert  man  von  B  aus,  so  geht  diese  Ebene 
durch  das  Ix)t  in  B  und  den  Punkt  A.  In  der  Tat  visiert  man  un- 
vermeidlich zwei  verechiedeno  Linien  AB  ein.  Zwischen  l)eiden 
Hegt  die  sogenannte  geodätische  Linie,  die  man  am  einfaclisten  als 
tunlich  geradeste  und  kürzeste  Verbindung  beider  Endpunkte  defi- 
nieren kann.  Wir  denken  und  rechnen  nach  der  geodätischen  Linie 
und  messen  tatsächlich  nach  zwei  verschiedenen  Normalschnitten  AB 
und  BA.  —  AVie  groß  ist  die  hiermit  verknüpfte  Differenz?  Für 
zwei  Punkte,  Mannheim  und  Vogelsberg  z.  B.  (Entfernung  132  km) 
berechnet  sich  die  griȧte  Querabweichung  beider  Normalschnitte  zu 
9  mm,  die  Dingendifferenz  zwischen  geodätischer  Linie  und  Normal- 
schnitt zu  0.00 000 Ü04  nun  und  die  Korrektur  für  das  Azimut  zu 
0,037  Sekunden.  Es  wird  also  selbst  bei  recht  großen  Droieckseiten 
eine  Winkelkorrektion  kaum  nötig  sein.  Die  Längendifferenz  ist 
völlig  unwahrnehmbar. 

Die  Torbehandelte  Aufgabe  der  Berechnung  dea  Polardreiedm 
tritt  in  den  mannigfachsten  Formen  aot  Bald  handelt  es  sich  um- 
gekehrt am  Bestimmung  der  Länge  von  AB  aus  geographischen 
Längen  und  Breiten,  bald  um  ungemein  große,  mittlere,  Ueine  Drei- 
ecke. B€|i  letzteren  genügen  die  geschlossenen  Formeln  der  sphärischen 
Trigonometrie,  deren  Eigebnisse  man  durch  leichte  Korrektur  dem 
EUipsoid  anpaßt;  bei  ersteren  sind  genaueste  Formeln  mit  vielen 
komplizierten  Gliedern  nötig.  Immer  ist  es  Sache  der  hdhem  Geo- 
däsie, die  arbeitsparendste  bequemste  L5sung  zu  suchen.  Geistreiche 
Arbeiten  Ton  K.  F.  Gauss  sind  gerade  diesem  Zwecke  gewidmet 

Ffir  alle  hier  in  Betracht  kommenden  mathematischen  Unter- 
suchungen dient  als  Hauptwerkzeug  die  konvergierende  Beihe.  Die 
Zahlen,  weldie  uns  die  Logarithmentafel  fertig  zu  Gebote  stellt  (sie 
shid  ja  auch  durch  konvergierende  Reihen  berechnet)  reichen  direkt 
nur  für  Kreisberechnung  aus.  Die  Aufgaben  am  EUipsoid  erfordern 
neue  Reihenentwicklungen,  welche  nun  die  Zahlen  der  Logarithmen- 
tafeln als  gegebene  Größen  benutzen.  Die  Hauptaufgabe  des  Mathe- 
matikers ist  hier  die  Reihen  für  die  massenhaften  Berechnungen  sehr 
bequem  und  vor  allem  stark  konvergent  zu  machen.  Je  nachdem 
man  von  diesen  unendlichen  Reihen  die  ersten  zwei,  drei  oder  mehr 


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10 


AufsätM 


Glieder  anwendet,  folgt  man,  unnütze  Arbeit  meidend,  demjenigen 
Bedürfnis  an  Genauigkeit,  welches  die  besondere  Aufgabe  fordert  Ich 
gebe  als  Beispiel  die  Reihe  für  Berechnung  des  Logaritlinnis  der  in 
Anmerkung  1  mit  V  bezeichneten  vielbonutzten  Größe.    Sie  lautet: 

14590- 0082;J4  cos2  ^  —  49-0l87ll  cos*  (f  +  0-2lfl578  cos®  y  — 
0' 001 106  cos*  f/  -|- 0' OXxiTtri  cos^o  — .  Die  großen  Ziffern  vor  dem 
obern  Punkt  entsprechen  Einheiten  der  7.  Dezimalstollo.  Die  imgenioin 
starke  Konvergenz  der  abwechselnd  verniiiulcruden  und  vermehrenden 
Zahlen- Koeffizienten  wird  noch  erhülit  durch  die  Konvergenz  der 
Kosinus -Glieder,  welche  für  beispielsweise  öQ»  Breite  von  0,11  auf 
O.Ol  fallen.  Für  die  meisten  Fälle  genügen  schon  die  ersten  drei 
Glieder  der  Keihe. 

4.  Die  Darstellung  der  Triangulation  auf  der  Ebene 
des  Papiers.  In  einem  Lande  von  mäßigen  Dimensionen  und  wenn 
man  seinen  Blick  über  das  eigene  Landesgebiet  nicht  viel  hinaus- 
gehen lassen  wollte,  war  es  das  einfachste,  eine  gerade  Richtung  als 
Abscissenaxe  anzunehmen  und  reclitwinklich  zu  ihr  Ordinaten,  welche 
den  auf  der  Erdo  selbst  rechtwiuldieli  zur  Abscissenlinie  abixesteckten 
Linien  eut'^prechen  sollen,  und  so  die  Triangulationspuukto  auf  das 
Papier  zu  übertragen.  Bayern,  für  welches  Soldner  gegen  1809  dieses 
System  der  Vermessung  einführte,  hatte  damals  eine  südnördliche 
Ehstreoknng  von  530  km  und  eine  ost westliche  von  300  km.  München 
lag  in  der  Mitte  der  letztem  Dimension.  So  ergab  sich  von  selbst 
der  Meridii^  Ton  Münolien  als  Absoisse,  mit  Hflnöhen  als  Nullpunkt. 
Andere  Meridiane  waren  nicht  nötig,  ebensoweoig  geographische 
Breiten.  Man  konnte  andi  die  Dreiecke  als  auf  einer  Kugel  liegend 
ansehen.  An  Stelle  des  Azimut  tritt  in  diesem  System  der  »Richtungs- 
winkel«, die  Abweichung  einer  Dreieckseite  von  der  Abscisse.  —  Idi 
fibergehe  die  Aufgaben,  welche  dieses  System  an  den  Mathematiker 
stellt  ~  Für  Württembeiig^  fOr  Baden  war  nach  Lage  dieser  Lfinder 
dasselbe  System  mit  den  Meridianen  von  Tübingen  und  Mannheim 
als  Absoissen  angemessen;  Anhalt  nahm,  seiner  Gestalt  entsprechend 
auch  den  Meridian  aufgebend,  eine  westOstliohe  durch  Dessau 
gehende  Abscisse  an. 

Da  die  Urbilder  der  Ordinaten  auf  der  Kugel  selbst  konvergieren, 
wiihrend  die  Ordinaten  auf  dem  Plan  parallel  laufen,  so  tritt  eine 
A^rzerrung  des  Planes  ein.  Es  erscheinen  die  AbstSnde  zweier 
Punkte  in  der  Richtung  der  Abscisse  gemessen  auf  dem  Plane  bei 
Abständen  von  der  Hauptabscisse  von  50,  100,  150  km  um  bezw. 
3,  12,  28  cm  auf  1  km  länger,  als  sie  in  Wirklichkeit  sind,  und, 
was  das  schlimmste  ist,  die  Zenrung  ist  in  den  verschiedenen  von 


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Beduch:  Ein  Einblick  in  das  Gebiet  der  höheren  Geodäsie 


11 


einem  Punkte  aiugehenden  Bichtangen  versofaieden,  die  Bilder  sind 
(mathematisch  an^gedrückt)  dem  Original  nicht  ähnlich.  —  E.  F.  Gauss, 
dem  man  die  wiohtigeii  Unterandmngen  über  gekrfimmie  lUohen 
verdankt,  hat  diesen  llifistand  durch  die  »konforme  Abbildung«  er- 
heblich unschädlicher  gemacht  Danach  entsprechen  den  Figuren  des 
Originals  in  ihren  kleinsten  Teilen  Tollkommen  ähnliche  Figuren 
des  Bildes.  In  größerer  und  größerer  Entfornung  von  einem  be- 
trachteten Punkte  aber  yerscbiebcn  sich  (iic  konformen  Stttcke  kaum 
merklich  gegeneinander,  um  die  unaufhebbare  Differenz  zwischen 
krummer  Fläche  und  Plan  auszugleichen.  Der  Maßstab  des  Bildes 
wächst  etwas  mit  dem  Abstände  vom  Mittelmeridian,  aber  in  jedem 
Punkte  ist  diese  Vergrößerung;  nach  allen  Richtungen  gleich  groß; 
man  kann  daher  den  einzelnen  Kartenblättem  einen  ihren  mittleren 
Abstand  von  dem  ^littelmoridian  ontsprerheiid  vergrößerten  Maßstab 
aufdrucken,  der  dann  in  allen  Richtungen  brauchbar  ist.  Wie  bei 
dem  Soi.DNERschen  System  verschieben  sieh  auch  bei  konformer  Ab- 
bildung gerade  I-inien  des  Originals,  zunehmend  mit  dem  Abstand 
vom  Mittehneridian  zu  sehwacli  gekrümmten,  nach  dem  Meridian  zu 
konkaven  Linien  des  Bildes,  aber  die  damit  zugleieh  verknüpfte 
Richtungsänderung  der  Linien  ist  für  konforme  Abliildung  \\<>it  ge- 
geringer; so  beträgt  bei  100  km  Abstand  vom  MitteluKTidiaii  die 
Riohtungsünderung  einer  ö  km  langen,  unter  einem  Richtungswinkel 
von  4.')^  verlaufenden  (haden  bei  Soldner  14,0",  bei  konformer  Dar- 
stellung nur  1,3".  Endlich  ertragen  wir  ja  ohne  erheblichen  Übel- 
stand die  Verkleinerung  von  in  hohen  Gegenden  gemessenen  Flächen 
durch  Reduktion  auf  den  .Meereshorizont;  so  erscheint  die  mit  der 
konformen  Darstellung  verknüpfte  Maßstabvergrößerung  um  so  weniger 
nachteilig,  als  sich  beide  Verschiebungen  teilweise  ausgleicdien. 

Am  Tollkommensten  und  der  Landesform  besonders  ssweckmäßig 
angepaßt,  ist  die  konforme  Darstellung,  welche  der  Oeodät  PASCBEir, 
ein  Sohfiler  von  E.  F.  Gauss,  in  Mecklenburg  angewendet  hat  Die 
Triangulation  ist  direkt  und  zwar  konform  auf  eine  Kegelzone  (also 
auf  eine  abwickelbare  Ebene),  welche  Zone  das  Erddlipsoid  im 
Pazallelkreis  53^46'  berührt,  projiziert  Es  würde  sich  für  die  größten 
Abstünde  des  Landes  von  diesem  Parallelkreis  eine  MafistabTergrößerung 
bis  zu  85  mm  auf  1  km  ergeben.  Durch  Höherlegung  der  Projektions- 
ebene auf  +  262,4  m  hat  nun  Paschen  das  Maximum  der  Maßstab- 
indemng  fflv  ganz  Mecklenburg  auf  40  mm  auf  1  km  herabgesetzt 

K.  F.  Gauss  hat  eine  konforme  Abbildung  von  dem  Ellipsoid 
aaf  eine  Engel  erdacht  und  bearbeitet,  derart,  daß  dem  Parallelkreis 
52«42' 2,5325"  anf  dem  Ellipsoid  als  identisch  entsprechen  soll  der 


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12 


Aufsätze 


Parallelkrois  52*40'  auf  einer  Projektionskugelfläche  von  6  383040  m») 
Kadius.  Die  konforme  Darstellung  erfordert  dann  nur  eine  gleich- 
fürmiiTo  unerheblich  (1  :  1,00420)  vern^roßerte  Übertragung  der  geo- 
grapiiischen  Längen  vom  Ellipsuid  auf  die  Kugel;  und  der  Maßstab 
ist  hierbei  fast  unveränderlich  bis  auf  O"  Abbtuiul  vuin  Mittelparullel. 

Die  Projektion,  welche  die  preuliischen  Koordinatensysteme  zu- 
sammenhält und  auf  welche  die  Uesamttriangulation  des  Staates  über- 
tragen wird,  beruht  auf  konformer  Abbildung  vom  EUipsoid  auf  die 
Kugel  entsprechend  der  vorbezeichneten  Ideen  yoxl  Gauss,  und  weiter 
wird  nan  die  Triangulation  konform  abgebildet  von  der  Kugel  auf 
die  Ebenem  Als  Xaze  dient  hierbei  der  Meridian  31^  östlicher  Länge. 
Die  ganze  Triangulation  hängt  an  dem  einzig  astronomisch  bestimmten 
Punkt  Berlin.  Sie  stützt  sich  auf  acht  gemessene  Grundlinien:  Königs- 
berg, Berlin,  Bonn,  Strehlen,  Braak,  Oberbergh,  Göttingen  and 
Heppen.  Große  Dreiecksketten  nmziehen  die  Grenze;  im  Südwesten 
Pfalz  und  Elsaß-Lothringen  mit  umfassend.  Andere  Dreiecksketten 
bilden  Yerbindongen  zwischen  dem  äußeren  Bahmen  und  lassen  nur 
Baum  für  wenige  größere  und  kleinere  Füllnetze.  Die  Arbeit  begann 
1832  in  Ostpreußen  und  endete  1895  mit  dem  PfiUziBohen  Dreieoks- 
netz.  Für  die  Spezialvermeesung  sind  40  Koordinaten-Nullpunkte  für 
die  einzelnen  Bezirke  festgestellt  Diese  Spezialmessung  wird  ab- 
weichend yon  der  konformen  Darstellung  der  Gesamttriangulation  nach 
Soldnerschen  Koordinaten  berechnet  und  bezeichnei 

5.  Verknüpfung  der  Detailmessung  mit  der  Triangulation 
erster  Ordnung.  Wir  folgen  hier  den  preußischen  Bestimmungen.*} 
An  die  Dreiecke  erster  Ordnung  schließen  sich  solche  zweiter  Ord- 
nung Ton  10—20  km  Seitenl&nge,  hieran  solche  von  dritter  und 
vierter  Ordnung  von  10—3  km  Seitenliinge.  Die  Ordnungen  unter- 
'  scheiden  sich  durdi  abnehmende  Größe  der  Winkelinstrumente  und 
abnehmende  ^Multiplikation  der  Winkelmessungen.  Die  Punkte  joder 
Ordnung  sind  an  die  der  nächsthöheren  mittels  etwa  4-  oder  5 fachen 
Dreiecksschluß  geknüpft  und  die  Messungsfehler  in  jeder  Ordnung  in 
sich  ausgeliehen.  Unterhalb  der  zweiten  Ordnung  ist  auf  Erd- 
krümmnng  nicht  mehr  Rücksicht  zu  nehmen,  und  unterhalb  der 
vierten  Ordnung  tritt  Trennung  zwischen  Kataster  und  topographischer 


>)  llittlorar  Krfimniimgsradiiis  des  EUipsoid  im  FanM  62*42'  2^5". 

*)  BestimmaDgen  des  Vorsitzendeii  der  Zentnüdirektioa  der  Ywmeasongea 

vom  12.  7M;  ferner  IX.  Anweisung  des  Finanzministers  vom  2r)./10.  81;  end- 
lich: Vorschriften  der  topographisohea  Abteilung  der  LandeaTennessangen  vom 
22./3.  öa 


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Beouch:  Ein  ISaUick  in  das  Gebiet  der  hSheren  Ocod-isi» 


Messung  ein.  Letztere  wird  mit  Meßtisch  und  Eippiegel  aofigeftthrt, 
beruht  also  auf  Messung  und  direkter  Abbildung  der  Winkel  (nicht 
auf  Längonniossung)  und  erstreckt  sich  auch  auf  Bamtelinng  der 
Höhenverbältnisse.  Das  Meßtischblatt  umfaßt  je  6  Minuten  Breiten- 
und  10  Minuten  Lfingendifferenz  und  mißt  das  Tenain  im  Maßstab 
1:25  000. 

Bei  der  Katastervermessung  sind  l?r::ronzung,  Ertrag-  und  Besits- 
verhältnisse  das  Wesentliche.  Die  Mdistäbe  sind  dem  angepaßt  und 
1  : 4000  bis  1  :  500  bilden  etwa  die  Grenzen  derselben.  —  Die  von 
der  Landestrianguiation  nach  geographischer  Länge  und  Breite  ge- 
frebenen  Tunkte  werden  in  SoLDNEBSchen  Koordinaten  auf  dem  Null- 
punkt des  bezüglicbeu  Koordinatensystems  (Preußen  ist,  wie  wir  oben 
sahen,  in  40  solcher  SoLDxraschen  Spozialsysteme  eingeteilt)  uni- 
gereclinet.  Die  so  gegebenen  Dreieckspiinktt'  werden  durch  weitere 
Triangulation  (nur  Wiukelmessung)  so  vei  niehrt.  dal)  auf  je  10  Poly- 
gonpunkte (Punkte  der  nacherwälinten  Polygonzüge)  etwa  1  Dreiecks- 
punkt kommt.  Hieran  srhlit'lioii  sich  für  die  Detaihermessung  lang- 
gestreckte Pnlygonzüge,  dereu  Ijängen  nüt  Maßen,  deren  Winkel  mit 
Theodolit  gemessen  werden. 

H.  Die  Erdmessung.  Die  neuere  Erdmessuug  l)eginnt  zu  An- 
laug des  17.  Jahrhunderts  mit  der  Triangulation  von  Alkmar  bis 
Bergen  op  Zoom  durch  Sneixius.  Sie  beruhte  auf  linearen  Messungen, 
die  bich  tunlichst  der  Kichtung  des  Meridians  anscidielten.  Zwei 
solche  Messung»  !!  in  verschiodoncn  Breiton  unter  Feststellung  der 
Polhöhen  der  Endpunkte  genügen  nutdürftig  für  Bestimmung  der 
Hauptdimensionen  des  Erdellipsoids.  Natürlich  wird  die  Genauigkeit 
durch  größere  Ausdehnung  der  gemessenen  oder  trigonometrisch 
mittelten  Längen,  Yermdürung  der  Polböhebestimmungen  und  Aus- 
dehnung der  Operationen  auf  weit  abstehende  geographische  Breiten 
erheblich  erhöht  Man  hätte  auch  durch  Bestimmung  von  Parallel- 
kreisstücken  in  zwei  verschiedenen  Breiten  die  Dimensionen  des  Erd- 
ellipsoid  bestimmen  können,  wenn  damals,  wie  wir  oben  gesehen,  die 
astronomische  Bestimmung  geographischer  Längendifferenzen  nicht  völlig 
unzulänglich  gewesen  wäre.  Heute,  wo  man  solche  lüngendiffe- 
renzen  durch  telegrapliische  Zeitflbertragungen  weit  genauer  bestimmen 
kann,  würde  schon  die  genaue  FMegung  einer  einzigen  >geodätischen< 
lonie  für  die  Erdmessung  genügen.  Nimmt  man  beispielsweise  an, 
man  habe  für  das  Folardreieck  Berlin— Pol— Breslau  die  Breiten  für 
Berlin  und  Breslau  astronomisch  gemessen,  die  geographische  Längen- 
differenz durch  elektrische  Zeitübertragung  bestimmt,  man  habe  femer 
durch  eine  Dreieckskette  die  metrische  Länge  der  geodätischen  Linie 


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14 


Aufsätze 


Berlin—  Breslau  ermittelt  und  die  Azimute  dieser  Linie  Berlin  und 
Breslau  gemessen  und  korrigiert,  so  hat  man  G  gemessene  Stücke 
und  kann  daraus  das  Ellipsoid  mehr  als  ausreichend  bestimmen,  da 
diese  Bestimmung  nur  5  gemessene  Stücke  erfordert. 

Es  stellt  sich  aber  ein  Hindernis  entgegen:  die  Lotabweichungen. 
Der  Umstand,  daß  im  allgemeinen  die  Lote,  in  den  Endpunkten  einer 
Dreieckseite  auf  dem  Ellipsoid  errichtet,  wegen  der  Form  des  Ellip- 
soids  nicht  in  einer  Ebene  liegen,  wirkt  zwar,  wenn  man  von  dem 
niedrigem  nach  einem  höher  gelegenen  Punkt  sichtet,  analog  so,  als 
ob  man  nach  der  aus  einem  Wald  eben  hervorragenden  Spitze  einer 
schief  gestellten  Signalstange  sehe;  die  Höhe  verhüllt  den  untern 
Teil  des  schrägen  Lotes,  wie  der  Wald  die  schriige  Stange.  Aber  dieser 
Fehler  läßt  sich  berechnen  und,  wenn  er  merklich  ist,  korrigieren. 
Anders  die  lokalen  und  zufälligen  Lotabweichungen.  Es  gibt  kein 
Mittel,  das  absolute  Mafi  einer  Lotabweiohung  zu  bestimmen;  man  kann 
nur  die  lelative  Abweicbnng  der  Lote  zweier  Orte  durch  Yeigleiobnng 
geodätischer  and  astronomischer  Messungen  ermitteln  nnd  nach  Größe 
angeben.  So  bringen  diese  Lotabweichungen  auch  in  die  Winkel- 
messung im  einseinen  unkoirigierbare  Fehler  hinein,  aber  weit 
wichtiger  sind  die  Fehler,  welche  eine  Lotabweiohong  bei  astro- 
nomischer Bestimmnng  von  Länge  und  Breite  erzengt  Findet  die 
Lotabweichung  nur  in  der  Riofatnng  des  Meridians  statt,  so  fiUscht 
sie  die  Breite  des  Orts  um  den  Betrag  der  Lotabweichang,  und  weicht 
das  Lot  nur  in  der  Sichtung  nach  Ost  oder  West  ab,  so  wird  für 
NorddentBchland  die  UUige  des  Ortes  um  Vs  Lotabweichung  un- 
richtig. 

Keluen  wir  zur  Bestimmung  des  Erdellipsoids  aus  den  6  oben- 
bezeichneten Stücken  eines  großen  Polardreiecks  mit  der  geodätischen 
Linie  Berlin— Breslau  zurück.  Denken  wir  uns  aus  den  großen  Drei- 
ecksketten der  Triangulation  Nord-  nnd  Westdeutschlands  geodä- 
tische Linien  von  150  bis  300  km  nach  linearer  Länge  und  nach 
Azimuten  berechnet,  Linien  wie  Berlin— Breslau,  Kiel — Berlin  usw.  und 
daraus  gebildet  ein  großes  Netz,  umrahmt  von  Kiel,  Wilhelmshafen, 
Erkelenz,  Straßburg,  Mannheim,  Westerwald,  Göttingen,  Brocken, 
Leipzig,  Großenhajn,  Schneokoppo,  Breslau,  Goldap,  Memel,  und  ver- 
knüpft mit  Berlin,  ein  Riesennetz  von  ."H  Netzpunkten  und  42  großen 
geodätischen  Linien!  Die  Netzpunkte  seien  neben  vorgedachtem  geo- 
metrischen Zusammenhang  auch  durch  astronomische  Messungen  und 
elektrische  Zeitbestimmungen  nach  geographischer  Länge  und  Hreir»» 
sorgfältig  bestimmt.  Dann  werden  die  Fehler  der  Lotabweichuugen 
sich  aufheben  und  mindern  und  die  zahlreichen  Polardreiecke  werden 


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Heduch:  Ein  Einblick  ia  das  Gebiet  der  höheren  Geodäsie 


15 


die  größte  Sicherheit  für  Bestimmuag  der  Erdgestalt  für  das  unter- 
suchte Gebiet  ergebon. 

7.  Die  Fehierausgieichung.  Wir  haben  diese  Aufgabe  bis- 
her nur  mit  wenig  Worten  berührt  und  doch  durchdringt  die 
Forderung  nacli  ihr  das  ganze  Gebiet  der  Geodäsie:  die  Prüfung  der 
Instrumente,  die  Messungen  und  ihre  Darstellung,  die  Kechnungs- 
methoden,  die  Beurteihmg  des  Einflusses  selbst  unbedeutt  nder  Neben- 
omstände  (z.  B.  seitlicher  Refraktion)  usw.  Die  Fehkrausglciehung 
beruht  auf  einem  festen  Gesetz  für  Auswahl  des  wahrscheinlicljstea 
"Wertes  einer  mehrfach  bestimmten  Größe,  welches  Gesetz  das  sub- 
jektive Dafürhalten  und  bedrückende  Schwanken  ausschließt,  und  ein 
zahlenmäßiges  Urteil  über  die  fertige  Leistung  bietet. 

Die  Methode  der  kleinsten  Quadrate,  auf  welcher  die  Fehler- 
ausgleichung beruht,  wird  ja  auch  in  vielen  andern  Wissenszweigen 
angewendet;  aber  hier  hat  sie  eine  ganz  besonders  ausgedehnte 
spezielle  Anpassung  gefunden.  Zunächst  auf  große  Triangulationen 
angewendet  ist  sie  allmählich  bis  in  die  niedersten  Messungen  ein- 
gedrungen. 

Es  handelt  sich  hier  nicht  um  Nachlässigkeitsfehler,  sondern  um 
jene  Schier,  welche  aas  der  Beschfinkthelt  miserer  Sehkraft  ans,  nieht 
zu  beseitigenden  Fehlem  der  Instrumente,  Zustand  der  Luft  usw.  un- 
Tenneidlich  hervorgehen.  Bei  dieser  Ünvermeidbarkeit  ist  der  wirk- 
liche Wert  einer  direkt  gemessenen  oder  aus  Messongen  abgeleiteten 
Oröfie  eigentlich  stets  anbekannt,  aber  wir  erreichen  eine  größere 
Annfihenm;  an  diesen  wischen  Wert  dnrch  wiederholte  Messnngen. 
Bezeichnen  V|V, ..vn  die  den  n maligen  Messungen  entsprechenden 
unbekannten  Abweichongen  von  dem  wirklichen  Wert  der  Qi6fie,  so 
sagt  das,  dieses  ganze  Gebiet  regelnde  Gesetz  (die  Methode  der 
kleinsten  Quadrate),  daß  die  beste  Bestimmung  der  gesachten  GiOße 
dadurch  erreicht  wird,  daß  die  Summe  vi*-\-Vf*-\-,..vn*  ein  Mini- 
num  wird;  und  der  mittlere  Wert  dieser  Fehlerqnadrate,  oder  Tiehnehr 

die  Quadratwurzel  aus  diesem  mittleren  Wert  ^±|^^i^  +  ^'2-^4-.  ■»^o'^| 

gibt  zugleich  ein  genaues  Maß  der  Genauigkeit  der  Bestimmung. 

Wie  aber  die  unbekannten  Fehler  in  den  ungemein  vielgestaltigen 
Aufgaben  der  Geodäsie  in  Rechnung  zu  stellen  .sind,  wie  die  dem 
Minimum  der  Fehler<iuadratsumme  entsprechende  Größe  ermittelt 
wird,  ist  hier  auch  nicht  annähernd  darstellbar.  Auch  auf  diesem 
schwierigen  Gebiet  sind  geistreiche  Arbeiten  des  großea  Gauss  bahn- 
brechend. 


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16 


Anfsätse 


Zar  annäherndeD  Yergleiohmig  der  Genauigkeit  der  za  Ter- 
schiedenen  Zeiten  und  in  verschiedenen  Ländern  ausgeführten 
Tdangolationen  hat  man  eine  jintemationale  Formel  für  den  mittle- 
ren Winkelfehler  aufgestellt:  m  —  ±  ly^Summet^«  ^^orio  z—  Zahl 

r         3  •  Z 

der  Dreiecke).  Für  Bayern  (älteste  Triangulation)  ergibt  sich  m  ==  1,77"; 
für  Hannover  (Gauss)  m  =  0,72";  für  preußische  Landesaufnahme 
111=  0,554"  (in  neuerer  Zeit  besser);  für  Sachsen  mi-»0,35".  Sachsen 
verdankt  dies  günstige  Ergebnis  der  Freiheit  von  überkommenen 
Fehlern,  der  Einheit  der  Instrumente  und  Leitung,  den  prünstiizon 
Sichten  im  ßerg-  und  Hügelland  und  der  Nutzung  aller  Erfahrungen 
aus  vorhergehenden  Triangulationen. 


H.  St.  Chamberlains  Vorstellungen  über  die  Religion 
der  Semiten  spez.  der  Israeliten 

Von 

Professor  D.  Baentsch  •  Jena 
I 

H.  St  Chamberlain  hat  in  seinem  bekannten  Werke  »Die  Grund- 
lagen des  XIX  Jahrh.«  den  Nachweis  unternommen,  daß  die  gesamte 
Zivilisation  und  Eultnr  des  netmzehnten  Jahrhunderts  das  Werk 
einer  besonderen  Mensohenart»  niimliöh  der  G^ermanen  oder  genauer 
der  Kelto-Slavo-Germanen  ist  Aber  diese  Oermanen,  so  zeigt  er,  haben 
diese  Kultur  und  Zivilisation  nicht  rein  aus  sich  heraus  gesofaaffen. 
Sie  tragen  ein  bedeutsames  Erbe  aus  der  Vergangenheit,  das  teils 
von  bolobcndcra^  teils  aber  auch  hemmendem  Einfluß  auf  das  Werk 
der  Zivilisation  und  Kultur  gewesen  ist  Auf  die  Hellenen  geht 
unsere  künstlerische  und  wissenschaftliche  Kultur  in  vielen 
wesentlichen  Merkmalen  zurück.  Unsere  gesellschaftl i  e  Ii  o  Kultur 
beruht  im  letzten  Grunde  auf  Rom,  von  dem  wir  den  Staats- 
gedanken und  die  Kechtsidee  übernommen  haben.  Auf  rcli- 
^ir)som  (rebictG  sind  wy-  vom  Somitentum  und  speziell  vom  Juden- 
tum beeinflußt  und  zwar,  wie  Chamberlain  meint,  in  poradezu  ver- 
hängnisvoller Weise.  Vermittelt  ist  dieser  Einfluß  nach  ihm  durch 
die  cliristlielie  Kirche,  die  dem  Charakter  und  der  noistosrichtunf]: 
ihres  Stifters  zum  Trotz  viel  jüdiscli-semitisclie  P^leniente  in  sich  auf- 
genommen uud  in  die  Substanz  der  christlichen  Keiigion  selbst  ein- 
geführt hat  (S.  17). 


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Baxmsch:  fi.  8t  Chambeiiains  YorBteliuiigea  über  die  Religion  usw.  17 


Diesen  verhängnisvollen  Einfluß  aufzuweisen,  hat  Chamberlain 
sich  besondere  Mühe  gegeben.  Er  gibt  an  zahlreichen  Stellen  Aus- 
führungen über  die  Religion  der  Semiten,  die  alle  in  dem  auf  den 
ersten  Blick  höchst  paradoxen  Satze  gipfeln,  daß  alle  Semiten 
ohne  Ausnahme  ein  Miiiiniuni  von  Kelit^ion  besäßen;  und  was 
von  den  Semiten  im  allgemeinen  gelte,  das  gelte  von  den  Juden 
noch  im  besonderen,  und  zwar  in  weit  höherem  Grade  (S.  393). 

Der  Satz  klingt  paradox.  Haben  nicht  gerade  die  Semiten  der 
Welt  die  drei  großen  monotheistischen  Religionen  gegeben?  Sind 
nicht  aus  dem  Schöße  des  Semitentums  die  Religion  des  Judentums, 
der  Islam  und  das  Christentum  hervorgegangen?  Verdankt  also  die 
Welt  nicht  gerade  den  Semiten  die  stärksten  religiösen  Impulse? 
Muß  demnach  bei  den  Semiten  nicht  vielmehr  ein  Maximum  an 
Religion  vorhanden  gewesen  sein,  groß  genug,  um  einen  beträchtlichen 
Teil  der  Menschheit  damit  za  beglücken?  Ja,  fließt  dort  nicht  ge- 
ndesa  die  Quelle  der  Religion? 

Es  wird  gai  ton,  c^eioh  hier  an  der  Schwelle  die  Möglichkeit 
eines  Mifirerständnlsses  abzuwehien.  Man  mnfi  scharf  sdietden 
zwischen  Religion  und  Beligiosit&t  d.  h.  zwischen  dem  Komplex  der 
in  einem  Volke  oder  in  einer  Yölkergrappe  lebendigen  religiösen 
Torstellungen  nnd  Ideen,  und  der  Energie,  mit  der  man  diese  im 
Leben  geltend  macht,  resp.  sich  von  ihnen  bestimmen  l&fit  Eine 
grofie  religiöse  Energie  will  Chamberlain  den  Semiten  keineswegs 
absprechen,  ja  er  schreibt  ihnen  geradeza  ein  Mazimnm  Ton  reli- 
gidser  Energie  oder  von  Olanben  zn  (8.  400  i).  Aber  bettelarm  sei 
ihre  religiöse  YorsteUnngswelt  Auf  diesem  Gebiete  könne  nor  von 
einem  Minimum  von  Religion  bei  ihnen  die  Rede  sein  (S.  410). 

Um  Chamberlain  recht  zu  verstehen,  wird  man  sich  zunächst 
über  das,  was  Chamberlain  unter  Religion  versteht  d.  h.  welchen 
wesentlichen  Inhalt  die  religiöse  Vorstellungswelt  nach  ihm  haben 
mnfi,  eine  möglichst  klare  Anschauung  zu  bilden  haben.  Denn  nur 
so  gewinnen  ^vir  ja  den  Maßstab,  mit  dem  er  die  Religion  der 
Semiten  mißt.  Und  von  der  Beurteilung  des  Maßstabes  hinwiederum 
wird  es  im  letzten  Grunde  abhängen,  ob  wir  Chamberlain  in  der  Be- 
urteilung der  Religion  der  Semiten  —  vorausgesetzt,  daß  deren  Auf- 
fassung durch  Chamberlain  überhaupt  den  Tatsachen  entspricht  — 
beistimmen  können,  oder  ob  wir  seine  Beurteilung  ablehnen  resp. 
modifizieren  müssen. 

Hier  hat  es  Chamberlain  uns  nun  insofern  nicht  ganz  becjuem 
gemacht,  als  er  uns  nirgends  eine  knappe  erschöpfende  Definition 
dessen  bietet,  was  er  unter  Religion  versteht    Er  liaßt  überhaupt 

Zaitaehrift  für  Ptiiloioplu«  and  FldiffOgik.  12.  Jahiging.  2 


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18 


die  Definitionen,  dieses  Steckenpford  der  Schuiweiflbeit  Er  «iU  dafür 
lieber  TatBaofaen  vorflllireii,  aus  denen  der  Leeer  eotnehmeii  soll,  was 
denn  eigentlieh  die  Meinung  des  Yerfessers  seL  So  gibt  er  uns  denn 
anoh  bier  lieber  eine  Besehieibimg  des  religiösen  Menschen,  zu  der 
der  religiöse  Arier  Modell  gestanden  hat,  8. 220  1  (v  ergl.  damit  auch 
die  Beschreibong  des  arischen  Inden  anf  8.  411  f.).  Biese  Be- 
schreibang  ist  non  aber  so  begeistert,  so  überschwilnglicb,  so  dithy- 
rambisch gehalten,  dafi  der  Leser  wohl  sofort  im  stände  ist,  dem  Yer- 
fasser  nachzofOhlen,  was  nach  ihm  Beligion  sein  soU,  dafi  er  es  aber 
doch  nicht  ohne  weiteres  vermag,  des  Verfassers  Ergüsse  in  eine 
klare  Formel  an  fassen.  Es  wird  daher  angebracht  sein,  des  Yer- 
fassers  Beschreibang  hier  wenigstens  anssngsweise  kurz  wiederzugeben. 

Für  Chamberlain  ist  die  Beligion  rein  Sache  des  OemOtes;  ihr 
tiefeter  und  eigentlichster  Qaellpunkt  liegt  im  Herzen  des  Menschen. 
»Die  Wurzel  des  Seienden  fanden  die  Weisen  im  Herzen  c,  dieser 
Ausspruch  des  Rigveda  bedeutet  ihm  die  größte  allev  feststehenden 
religiösen  Erkenntnisse.  Dieselbe  Erkenntnis  hat  Goethe  ausgesprochen, 
wenn  er  sagt: 

Ist  nicht  der  Ken  d«r  Natur 
Menschen  im  Henau? 

Mit  dem  Forschen  im  eignen  Herzen  hebt  ihm  alle  rechte  Beli- 
gion an.  Das  große  Rätsei  des  Daseins  drängt  sich  dem  Menschen 
auf,  nimmt  ihn  ^anz  gefangen,  aber  nicht  als  ein  rationalistisches 
Problem,  das  er  verstandesmäßitr  nach  dem  Gesetz  von  Ursache  und 
Wirkung  zu  lösen  sucht  —  denn  Rationalismus  ist  ihm  der  Tod  aller 
Religion  —  sondern  in  der  Weise  eines  unmittelbar  zwingenden 
Lebensbedürfnisses.  Der  Schleier  des  Geheimnisses  —  das  fühlt  er 
in  seinem  Herzen  —  kann  sich  ihm  nur  lüften,  wenn  er  von  sich 
aus  zu  allem,  was  ihn  umtribt,  die  Brücken  hin  überschlägt,  wenn  er 
sich,  (las  einzige,  das  er  unmittelbar  weiß,  in  jedem  Phänomene 
wieiler  erkennt  und  jedes  Phänomen  in  sich  selbst  wiederfindet. 
Ist  es  ihm  aber  geluntren,  sich  und  die  ihn  umgebende  Welt  mit- 
einander in  Einklang  zu  setzen,  dann  darf  er  hoffen,  das  Weben  des 
ewigen  Werkes  mit  eignem  Ohre  zu  belauschen,  die  geheimnisvolle 
Musik  des  Daseins  im  eignen  Herzen  zu  vernehmen.  Die  ganze 
Natur  belebt  sich  ihm,  überall  regt  sich  in  ihr  das  Menschen  verwandte. 
Und  unter  dem  Lauschen  auf  ihre  Stimmen  geht  ihm  dann  ein  Ahnen 
einer  höheren  Bestimmung  auf,  er  entdeckt  in  sich  den  »Samen  der 
Unateibllcfakeitc.  Jetzt  weiß  er,  ans  welch  tiefem  Bronnen  die  Helden 
seinss  Stammes,  die  heiligen  Mianer,  die  als  Übermenschen  hoch 
über  der  Erde  schweben,  die  Kraft  schöpften,  groß  za  sein,  nnd  da 


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BucnaGH:  fi.  8t.  Cbamberiaiiis  YorateUniigen  über  die  Jieligion  usw.  19 


er  66  weiß,  darf  er  hoffen,  ihnen,  zu  denen  es  ihn  hinansiebt,  gleich 
za  werden.  Der  religioee  Mensch,  der  so  in  einem  inneren  unmittel- 
baren Kontakt  mit  einer  Welt  jenseits  der  Vernunft  steht,  ist  aber 
notwendig  auch  Dichter  und  Denker.  Was  ihm  aus  der  Unendlich- 
keit ins  Ohr  gedrungen,  das  sucht  er  in  heiligem  Symbol,  Mythos 
und  Kosmogonie  festzuhalten  und  zu  gestalten.  Aber  seine  Vor- 
stellungen bleiben  im  lebendigen  Fluß,  denn  er  liat  eine  zu  lebendige 
Empfindung  des  Unendlichen,  die  ihn  davor  behütet,  seine  Erkennt- 
nisse in  starre  Formen,  Dogmen  und  Lehrgesetze  einzuzwängen.  Das 
ungefähr  ist  das  Bild,  das  Chamberlain  von  dem  religiösen  Menschen 
entworfen  hat. 

An  uns  würde  es  sein,  dem  Bilde  eine  Etikette  zu  geben.  Ich 
glaube,  daß  wir  nicht  vorbeitreffen,  wenn  wir  seine  Anschauung  von 
Keligion  als  »pantheistischen  Mystizismus«  bezeichnen.  Wir 
begnügen  \ins  vorläufig,  dies  getan  zu  haben,  und  behalten  uns  eine 
Beurteilung  seiner  Anschauung  für  das  Ende  vor. 

Jedenfalls  liegt  für  Chamberlain  also  das  Wesen  der  Religion  in 
dem  Gefühl  für  das  Unendliche,  in  der  Empfindung  des  Geheimnis- 
vollen. Die  Religion  muß  nach  ihm  mit  Geheimnisvollem  durchwebt 
sein.  Ohne  Geheimnisse  und  Mysterien  gibt  es  keine  wahre  Religion. 
Und  nicbt  blofi,  daß  das  GeheimnisTolIe  geahnt,  eohanemd  empfanden 
wild,  die  Religion  soll  auch  die  Brücke  in  die  geheimnisroUe  Welt 
dea  Unendlichen  hindbeischlagen,  soll  die  Kloft  augfflllen  zwischen 
dem  Menachen  nnd  der  Gottheit  anf  dem  Wege  einer  tiefen  reli- 
giöeen  Spekolation,  einer  reichen,  phantasievollen  Mythologie,  piner 
tiefsinnigen  heiligen  Symbolik.  So  ist  also  Beligion  nach  Chamber- 
lains  Yoraaaaetznng  nicht  denkbar  ohne  eine  gewisse  metaphysische 
Begong  nnd  philoBophisohe  Anlage  and  nicht  ohne  den  Besitz  einer 
seichen  Phantasie,  die  das  Unfaßbare  faßbar,  das  Unausdenkbare  denk- 
bar, das  Unvorstellbare  vorstellbar  zu  machen  versteht  Er  gibt  daher 
ScHOFiüHAüER  nicht  nnreoht,  der  die  Beligion  geradezu  als  »Volks- 
metaphysikc  bezeichnet  habe  (S.  391).  Ist  dem  nun  aber  so,  so 
muß  nach  Chamberlain  folgerichtig  das  Volk  die  tiefste  Religiosität 
und  die  vollkommenste  Beligion  besitzen,  das  tiber  den  größten  Reich- 
tum metaphysischer  Begabung  und  über  die  reichste,  blühendste 
Phantasie  verfügt. 

Indem  Chamberlain  nun  die  Völker  der  Erde  auf  .diese  Merk- 
male hin  mustert,  findet  er,  daß  sie  fast  bei  allen  in  höherem  oder 
geringerem  Mafia  vorhanden  sind.  Am  reichsten  ist  der  arische 
Inder  damit  ausgestattet,  weshalb  bei  diesem  ein  Maximum  von 

Beligion  von  vornherein  zu  erwarten  sei.  Man  lese  die  begeisterte 

2* 

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20 


AnfBätse 


Schilderung,  die  er  S.  411  ff.  von  dessen  Religiosität  entwirft.  Aber 
auch  sonst  findet  sich  diese  Begabung  im  indo-europäischen  Völker- 
kreise.  Der  griechische  Philosoph  Pi.ato  rede  von  einem  allersoligsten 
Geheimnis  der  Seele,  das  ihr  im  Jenseits  offenbart  werde,  und  (der 
Arier?)  Christus  sage  von  seiner  Lehre,  die  seine  ganze  Religion 
einbegreift,  sie  sei  ein  Geheimnis.  Aber  auch  bei  den  tiefer- 
stehenden Völkern  seien  diese  Gaben  und  damit  ein  verhältnismäßig 
hoher  Grad  von  Religion  anzutreffen.  Selbst  der  naive  Wilde 
kenne  das  verwundernde  Staunen  und  vermute  überall  ein  Aulier- 
weltliches.  Der  Australneger ,  ja  der  arme  Neger  an  der 
Skia venküsto,  beide  ahnen  den  großen  überweltlichen  Geist.  Die 
Neger  der  Goldküste  besitzen  nach  Chamborlain  sogar  eine  schon 
recht  hoch  geartete  Volksmotaphysik.  Die  Samoaner  besitzen  eine 
unmittelbare  Empfindung  für  die  Allgegenwart  Gottes  und  haben  es 
ventanden,  diese  in  einer  auf  den  ersten  Blick  zwar  rohen,  aber 
tootBaHedom  tie&innigen  Weise  zu  Tersinnbüdiichen,  die  sich  prin- 
zipiell von  der  dirisilich  thedogiBohen  ToisteUung  von  der  Allgegen^ 
wart  Gottes,  ja  yon  dem  tranflsoeDdeiitaleii  Idealismas,  der  eineni 
Qankaia  zur  Toistellimg  desselbeii  GeheinmisseB  dieat,  nioht  unter- 
«sheidet  Nur  bei  einer  Yölkergruppe  rermifit  Chamberlain  die 
Merkmale,  die  auf  eine  liGher  geartete  Beligion  schließen  lassen,  und 
das  sind  eben  die  Semiten  (S.  392.  220). 

Dem  Semiten  geht  naoh  Chamberlain  durchaus  ab  die  meta- 
physische Anlage;  es  fehlt  ihm  darum  auch  fast  ganz  die  ge- 
staltende Kraft  der  Phantasie.  DafQr  ist  bei  ihm  aber  der  Ver- 
stand kriftig,  und  der  Wille  geradezu  enorm  ausgebildet  Der  Wille 
beherrscht  bei  ihm  den  Yerstand,  verkümmert  das  Qemflt^  ertötet 
ihm  die  Phantasie.  Man  kann  nach  Chamberlain  geradezu  von  einer 
Hypertrophie  des  Willens  bei  dem  Semiten  reden;  unter  dieser 
Hypertrophie  haben  außer  dem  nüchternen  Verstand  alle  Seelen- 
vermögen gelitten.  Das  muß  sich  natürlich  auf  dem  Gebiete  der 
Beligion  in  charakteristischer  Weise  geltend  machen. 

Chamberlain  sucht  diese  enonne  Ausbildung  der  Willenskraft 
und  die  Armut  der  Phantasie^  zu  einem  Teil  wenigstens,  aus  der 
Natur  des  Bodens  zu  erklären,  auf  dem  der  Semit  ursprünglich 
heimisch  war.  Er  ist  ein  Sohn  der  Wüste,  und  die  Wüste  hat  ihm 
für  immer  ihren  Stempel  aufgedrückt.  Das  Wüstenleben  ist  ein 
steter  Kampf.  Der  Beduine  muß  kämpfen  um  das  tägliche  Brot,  das 
ihm  nicht  zuwächst;  er  muß  sich  wehren  gegen  feindliche  Stämme, 
muß  auf  der  Hut  sein  vor  wilden  Tieren.  So  steht  er  Tag  und 
Nacht  auf  dem  Qui-vive,  wachenden  Auges,  mit  geschärften  Sinnen, 


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Bakntscu:  H.  St  Chamberlains  Yorsttiilungea  über  die  Kuliglou  usw.  21 


allezeit  znm  Kampfe  bereit.  Er  hat  es  niclit  su  gut  wie  sein  arischer 
Bruder,  der  in  Denken  und  Sinnen  über  das  Unendliche  versunken, 
seine  Hand  nur  nach  dem  Baurae  auszustrecken  braucht,  der  ihm 
seine  süßen  und  iiahiliafton  Früchte  freiwillig  spendet.  Der  Semit 
fand  keine  Zeit,  über  das  Unendliche  nachzuspüren,  wozu  er  wohl 
auch  an  sich  schon  so  gut  wie  uubefähigt  war.  Die  Armut  (icr  Um- 
gebung erkläit  zugleich  seine  Armut  an  Phautasio  und  an  mytho- 
logischen Vorstellungen.  Vor  allem  aber  versteht  man,  wie  sich 
unter  den  Kämpfen,  Nöten,  Gefahren  und  Entbehrungen  der  Wüste 
jener  ebenso  sfihe  wie  eg^Maohe  und  nioht  selten  bmtsle  Wille  heraus- 
hildefce,  der  fOr  die  ganze  Basse  so  oharakteristisoh  ist  und  der  eben 
auch  ihrer  Beligion  ein  eharakteristisohee  Gepräge  gegeben  hat  (S.  404). 

Ghamberlain  Teikennt  keineswegs  die  QröAe  dieser  zähen  Willens- 
kraft. Yermfige  ihrer  sind  ja  die  Semiten  so  stark  und  kilftig  und  aus- 
danemd  geworden,  durah  sie  haben  sie  so  Außerordentliches  geleistet 
(8.  241).  Aber  all  diese  Gröfie  wird,  wenigstens  auf  dem  Gebiete 
der  Beligion,  doch  wieder  aufgehoben  durch  die  veikfimmenide 
Wirkung,  die  dieser  WiUe  auf  Gemüt  und  Phantasie  ausgeObt  hat 

Biese  schidliche  Einwirkung  des  Willens  auf  die  spezifisch  für 
die  Bdigion  in  Betracht  kommenden  Vermögen  äußert  sich  nach 
Chamberiain  in  gewissen  charakteristischen  Erscheinungen,  die  er  mit 
Vorliebe  als  Bationalismns  und  Ifaterialismns,  meist  bloß  als 
Materialismus  bezeichnet  (S.  398).  Diese  These  kehrt  in  dem  Werke 
in  geradezu  nnerschöpflichen  Variationen  unter  immer  neuer  Hei^ 
▼orhebung  derselben  Momente  aber  in  immor  neuen  Kombinationen 
wieder.  Wir  wollen  veisnchen,  diejenigen  Momente,  die  uns  als  die 
wesentlichBten  erscheinen,  herauszuheben  und  dem  Leser  in  möglichst 
klarer  und  geordneter  Übersicht  vor  Augen  zu  führen. 

Nach  der  negativen  Seite  hin  macht  sich  der  schädliche  Ein- 
fluß der  Vorherrschaft  des  "Willens  in  dem  Fehlen  aller  und  jeglicher 
Mythologie  geltend.  Denn  der  Wille  hat  ja  die  Quelle  des  mytho- 
logischen Triebes,  das  Gomüt  verkümmert  und  damit  zu^'loich  die  für 
die  Mythenbiidung  unerläßliche  Phantasietati^^keit  lahm  gelegt.  Zwar 
finden  sich  Mythologieen  bei  den  Babyloniern  und  den  Phöniziern, 
und  unverkennbare  Spuren  solcher  finden  sich  deutlich  auch  im 
Alten  Testainont  (vergl.  Gen.  1.  2.  3).  Aber  diese  Mytliulo^neen  sind 
erborgtes  ihn  (S.  222).  Ihre  Schöpfer  sind  höchstwahrscheinlich  die 
alten  Sumerer,  die  vor  der  semitischen  Einwanderung  in  das  baby- 
lonische Tiefland  dort  seit  unvordenklichen  Zeiten  als  ein  hochbegabtes 
Kulturvolk  saßen.  Und  von  diesen  Sumerern  haben  die  Semiten  ihre 
Mythologieen  übernommen,  zuerst  die  in  Babyionien  eingewanderten 


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22 


AofBittM 


Semiten  oder  die  sogeuauuten  babylonischen  Semiten  oder  kurz 
Babylonier  genannt,  und  diese  liaben  sie  dann  an  ihre  Brflder  weiter- 
gegeben. Aber  die  Semiten  haben,  wie  ja  eigentlioli  aach  gar  nicht 
anders  m  erwarten  war,  sohleobt  damit  Hans  gehalten.  Die  sinnigen 
Mythologieen  haben  unter  ihren  robusten  Hfinden  Schaden  gelitten. 
Der  Semit  hat  sie  bei  seinem  mangelnden  Terständnis  fOr  solche 
zarten  Gebilde  in  masBive  Historie  umgesetzt  Kein  Wunder,  der 
starke,  lediglich  auf  das  Greifbare,  Faßbare  gerichtete  Wille  duldet 
kein  Geheimnis,  zerreißt  mit  plumper  Hand  den  zarten  Sohleier  und 
etabliert  dafür  die  gemeine  nackte  Wirklichkeit  (S.  393.  397).  Die 
Schöpfungsgeschichte  in  Gen.  1  sei,  an  ihrer  babylonisch- samerischen 
Vorlage  gemessen,  krasser  Materialismus  (S.  394.  398).  In  der  Sünden- 
fallgeschichte  Gen.  3  habe  der  semitische  Erzlhler  ans  dem  Sohlangen- 
dfimon  eine  wirkliche  Schlange  gemacht  und  diese  unter  die  übrigen 
Tiere  dee  Feldes  eingereiht  (S.  399).  Das  charakterisiert  nach  Chamber- 
lain  den  Tiefstand  dos  semitischen  speziell  israelitischen  Geistes  in 
geradezu  erschreckender  Weise.  Die  Uistorisierung  und  Materialisierung 
der  Mythen  ist  gleichbedeutend  mit  deren  Hebräisierung. 

Nach  der  positiven  Seite  hin  zeigt  sich  nach  Chamberlain  der 
aus  der  Vorherrschaft  des  Willens  stammende  Materialismus  zunächst 
im  allgemeinen  Charakter  der  Religion.  Denn  diese  Religion 
verfolge  nur  praktische  Zwecke,  durchaus  keine  idealen.  Sie 
solle  für  das  Wohlergehen  auf  dieser  Welt  sorgen  und  ziele  nament- 
lich auf  Herrschaft  und  Besitz.  Außerdem  solle  sie  das  AVolilero:ehen 
in  der  künftigen  Welt  verbürfron,  wenigstens  dort,  wo  der  Begriff 
der  Unsterblichkeit  vorhanden  sei ,  der  aber  in  die  israelitische 
Kelij^ion  erst  von  außen,  z.  B.  durch  persischen  Einfluß,  in  die 
arabische  erst  durch  das  Christentum  aufgenommen  sei.  Was  ist 
das  alles  aber  anders  als  nackter  Materialismus?  (S.  400). 

Spezioll  dokumentiere  sich  der  ^laterialismus  aber  auf  dem  Ge- 
biete der  religiösen  Vorstellun^^en.  Dem  Semiten  und  speziell 
dem  Israeliten  sei  es  unendlich  schwer  geworden,  sich  zu  einem 
hohen  Begriffe  des  Göttlichen  zu  erheben.  Seinem  Willen,  dem  nicht 
allein  jede  Phantasie,  sondern  auch  jede  Überlegung  gefehlt  habe,  sei 
nur  eins  natürlich  gewesen:  sich  auf  das  Gegenwärtige  zu  stürzen 
und  danach  zu  greifen.  Darum  habe  er  auch  seinen  Gott  fühlbar 
gegenwärtig  haben,  ihn  gleichsam  in  der  Hand  halten  und  bei  sich 
führen  wollen.  Daher  z.  B.  der  krasse  materialistische  Niederschlag 
aus  dem  semitischen  Götzenglauben  in  der  jüdischen  (sie)  Bundes- 
lade,  in  der  man  sich  seinen  Oott  eingeschlossen  gedacht  habe. 
Daher  auch  die  Fabrikation  und  Anbetung  der  goldenen  Eftiber  und 


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BABmoa:  H.  St  Chamberlains  YonteUimgeii  über  die  Religion  usw.  23 


ehernen  Schlangen  usw.  Und  was  das  Schlimmste  ist,  der  Jude  (sie) 
habe  diese  Dinge  wirUioh  als  seine  Odtter  angebetet  Er  habe  nicht 
unteFBoheiden  können  zwischen  seinem  Gott  und  dessen  Bild.  Das 
Bild,  das  seine  Hfinde  gemacht,  habe  ihm  wirklich  als  Gott  gegolten. 
Der  Gedanke^  daß  das  Gottesbild  etwa  zur  Kontemplation  und  znr 
Abwendung  von  der  Welt  anregen  solle  und  könne,  sei  von  ihm  nie 
gefaßt  worden.  In  dieser  Beziehung  stehe  er  tiefer  nicht  etwa  nur 
als  die  HeUenen,  Eranier,  die  Kelten,  die  Slaven,  die  niemals  Bilder 
angebet  hätten,  sondern  tiefer  sogar  als  die  Fetischanbeter.  Denn 
durch  die  Forschungen  der  Ethnographen  habe  es  sich  immer  mehr 
herausgestellt,  daß  diese  primitiven  Naturkinder  ihre  Fetische  als 
solche  gar  nicht  anbeten,  sondern  höchst  komplizierte  symbolische 
Vorstellungen  mit  ihnen  verbinden.  So  sei  denn  der  Israelit,  resp. 
der  Semit  überhaupt  der  einzige  wirkliche  Götzendiener  auf  der  Welt, 
der  Götzendiener  xar*  f'ioxrjy  gewesen.  Also  auch  hier  wieder  der 
krasseste  Materialismus.  Und  von  diesem  Materialismus  sei  etwas 
auch  auf  die  Männer  unter  ihnen,  die  vom  Standpunkte  einer 
geistloseren  Gottesvorstellimir  aus  den  Kampf  gegen  den  Bilderdienst 
unternommen  hätten,  überi^et^anizi  n.  Denn  dieser  Kampf  sei  immer  nur 
unter  der  Voraussetzung  ;j;efiihrt  worden,  daß  jedes  Bildnis,  ja  häufig, 
was  überhaupt  der  »Hände  Werke:  war.  für  die  Israeliten  die  Gefahr  in 
sich  geborgen  habe,  ein  angebetetes  Götzeubild  zu  werden.  Zu  dem 
Standpunkte,  daß  man  ein  Bildwerk  sieh  als  etwas  Schönes  vor  Augen 
stelle,  um  sich  daran  zu  erheben  und  zu  laben,  um  dem  Gemüt 
Nahrung  zuzuführen,  um  den  religiösen  Sinn  zu  Avecken,  hätten  sie 
sich  nicht  erheben  können,  Ks  sei  dem  Semitou  schlechtliiu  un- 
möglich gewesen,  ein  Bildwerk  unter  dem  (resichtspunkte  eines  Kunst- 
produktes  zu  betrachten.  Daher  der  fanatische  Kampf  gegen  die 
BUder,  die  auch  die  Propheten  nicht  anders  als  gefährliche  Qdtsen- 
bilder  hätten  betrachten  können.  Chamberlain  nennt  dieaen  Ifate- 
rialismus  im  Unterschied  von  dem  krassen  Materialismns  des  Götzen- 
anbeters den  abstrakten  Mateiialismas. 

Und  mm  die  Gottesvorstellung  selbst  Im  Gegensatz  zu  der 
der  indoeoropSisohen  Völker,  die  die  Gottheit  in  der  das  All  durch- 
waltenden  Gesetzmäßigkeit  erkennen,  trete  der  Jahve  der  Israeliten 
und  der  Jnden  als  menschlich  vorgestellte  Einzelpersönlichkeit  ans 
diesem  All  herans,  keinem  Gesetz  als  dem  seines  eigenen  Willens 
unterworfen.  Der  Willensstärke  Israelit  habe  sich  seinen  Gott  geradezu 
als  »Inkarnation  der  WillkOrc  Torgestellt  Was  Jahve  sei,  das  sei 
er,  weil  er  so  sein  wolle;  er  stehe  flber  aller  Natur,  über  jedem  Ge- 
setz als  der  absolute,  unbeschränkte  Autokrat  Ebenso  das  göttliche* 


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24 


AuMtze 


Gesetz.  Neben  moralischen  Geboten,  die  zam  Teil  hohe  Sittlichkeit 
und  Menschlichkeit  atmen,  ständen  direkt  unsittliche  und  unmensch- 
liche, andere  wiedorum  bestimmten  die  trivialsten  Dinge,  was  man 
essen  und  was  man  nicht  essen  darf,  wie  man  sich  waschen  soll  usw. 
Kurz  überall  die  unbeschränkte  Willkür.  Von  dem  indoeuropäischen 
Standpunkte  aus  sei  Jahve  eher  ein  idealisierter  Götze,  oder,  wenn 
man  lieber  wolle,  ein  Antigötze  zu  nennen  als  ein  Gott.  Dafür  ent- 
halte diese  Gottesauffassung  allerdings  den  an  sich  hohen  Gedanken 
einer  Yorsohunfi,  aber  auch  diese  sei  ebensowenig  wie  die  Willkür 
der  Beobachtung  der  Natur  zu  entnehmen  und  müsse  daher  vom 
indoeuropäischen  Empfinden  ausgeschieden  werden. 

Das  geringschätzige  Urteil  über  die  israelitische  Gottesvorstellung 
will  Chamberlaiu  auch  gegenüber  einer  solchen  Erscheinung,  wie  sie 
der  israelitische  Monotheismus  bietet,  nicht  uufgobon.  Gering- 
schätzig fragt  er  S.  224,  was  denn  die  Arithmetik  mit  Religion  zu 
tun  habe.  Der  Monotheismus  könne  ebensogut  eine  Verarmung  als 
eine  Veredelung  der  Religion  bedeuten,  sei  also  an  sich  selbst  noch 
nioht  etwas  absolut  Wertvolles.  Am  wenigsten  der  der  iBraettten  and 
Juden.  Denn  im  Teigleiöh  m  den  viel  großartigeren  religiösen  Tor- 
stellangen  Ton  einem  alleinigen  Oöttliohen,  zn  denen  die  Arier  auf 
rein  religiösem  Wege  (dem  der  Spekulation)  gelangt  seien,  sei  der 
ktimmerlich  Torsobrumpfte  Weltschöpfer  der  Juden  doch  nur  eine 
Earrikatur.  Dort  bei  den  Ariern  handle  es  sich  um  die  tief  religiöse 
Erkenntnis  der  Sinheiflichkeit  des  gOttlichen  Wesens,  einer  in  vielen 
Gattern  gleiehmfißig  lebendigen  Gottheit  oder  eines  allgemein  Gött- 
lichen, von  dem  die  einselnen  Götter  nur  TeUersoheinungen  seien. 
Der  Jahve  der  Israeliten  dagegen  sei  und  bleibe  auch  in  seiner  mono- 
theistiBohen  Yerkappung  doch  nur  ein  Nationalgotl^  der  die  andern  Götter 
mit  brutaler  Gewalt  unter  seine  Fflße  trete,  um  selbst  die  Herrschaft 
anzutreten.  In  Wahrheit  sei  er  immer  nur  der  Gott  der  Juden,  oder 
doch  nur  insofern  der  einzige  Gott,  als  auch  die  Juden  die  einzigen 
Menschen  im  wahren  Sinne  des  "Wortes  zu  sein  sich  eingebildet 
hätten.  Dem  Monotheismus  im  Sinne  des  jüdischen  Materialismus 
sei  demnach  in  jeder  Beziehung  der  religiöse  Wert  abzusprechen. 

Eine  weitere,  sehr  charakteristische  Äußerung  der  auf  der  ein- 
seitigen Vorherrschaft  des  Willens  beruhenden  materialistischen 
Betrachtungsweise  findet  Chamberijiin  in  der  geschichtlichen 
Auffassung  der  Religion,  wie  sie  unter  den  semitischen  Völkern 
speziell  den  Israeliten  und  Juden  eigentünilicli  geworden  ist.  Weil 
sie  ihren  Gott  nicht  in  Erfahrungen  des  Gemüts  hätten  finden  können, 
hätten  sie  ihn  in  den  Ereignissen  der  eigenen  Geschichte  zu  finden 


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Babrbcb:  H.  8t  Chamberiaiiis  Vontelhuigen  Uber  die  BeBgion  vsw.  25 


gesacht.  Ihr  Qotte^laabe  sei  so  daroh  und  doioh  historisch  funda- 
mentiert  Nicht  eine  innere  Tatsache  des  Gemüts,  auch  nicht  die 
Beobaohtung  der  Natur,  sondern  die  materielle  histoiisofae  Tatsache 
der  Befreiang  ans  Ägypten  gelte  als  der  fondamentalste  Beweis  fflr 
Jahvee  Wirken  fOr  sein  Volk  nnd  als  Fundament  fttr  die  israelitische 
Beligian  ttberhanpt  Aber  nicht  nur  in  diesem  fundamentalen  nnd 
anderen  euuselnen  Ereignissen  hätten  die  Israeliten  das  Walten  Jahves 
▼erspfirty  sondern  dieses  Walten  habe  sich  tot  allem  in  dem  Ganzen 
ihrer  Geschichte  ihnen  dargestellt  Gerade  daiin  nnn  aber,  wie  sie 
sich  ihre  Geediichte  als  eine  Art  Organismus  konstruiert  httttsn,  trete 
die  materialistfach  -  egoistische  Denkweise  in  greller  Belenchtong  zu 
Tage.  Von  der  ganz  richtigen  Erwägung  aus,  dafi,  wer  das  Heute 
besitzen  will,  auch  das  Gestern,  aus  dem  es  herauswuchs,  umspannen 
und  zugleich  die  Zukunft  in  den  Händen  halten  muß,  hätten  sie 
äe  sich  eine  Geschichte  konstruiert,  in  der  die  ganze  Weltentwick- 
long  auf  Israel  hin  tendiere.  Von  dem  Augenblicke  an,  wo  Jahve 
mit  Abraham  den  Bund  schließt,  bilde  das  Schicksal  Israels  die 
Weltgeschichte,  die  Geschichte  des  ganzen  Kosmos,  das  einzige,  um 
das  sich  der  Woltenschöpfer  kümmert  Charakteristisch  für  das 
egoistische  Selbstgefühl  sei  vor  allem  die  raffiniert  systematische 
Weise,  in  der  in  diesem  Geschichtsbilde  Vei^angenheit  und  Zukunft 
mit  der  Gegenwart  verknüpft  erscheine.  In  der  Vergangenheit  gött- 
liche Wunder  zu  Gunsten  der  Juden  und  in  der  Zukunft  der  zu 
erwartende  Messias  und  die  Weltherrschaft.  Der  ver^i^iinfrliehe  Augen- 
blick erhielt  seine  eigentümliche  Bedeutung  dadurch,  daß  man  ihn 
aus  der  Vergangenheit  herauswachsen  sah,  als  Lohn  oder  als  Be- 
strafung ,  und  ihn  in  Prophezeiungen  vorausgesagt  glaubte.  Hier- 
durch gewann  nun  auch  die  Zukunft  eine  unerhörte  Realität,  da 
man  gewiß  sein  durfte,  daß  das  vor  vielen  (?)  Jahrtausenden  dem 
Abraham  Verheißene  in  vollem  Umfange  noch  eintreffen  werde.  Die 
göttliche  Verheißung  sei  nun  aber  an  die  Bedingung  geknüpft  ge- 
wesen, das  göttliche  Gesetz  bis  ins  Kleinste  hinein  zu  halten.  So 
habe  der  Jude  Tag  und  Nacht  an  Gottes  Gesetz  gedacht.  Dadurch 
habe  das  religiöse  Leben  eine  ungewöhnliche  Lebendigkeit  ange- 
nommen. Konnte  man  Jahve  auch  nicht  sehen,  so  war  er  doch  eine 
gescliichtliche  Größe,  deren  tagliches  Eingreifen  in  die  Geschichte 
gewissermaßen  Sache  der  Erfahrung  war.  Die  ganze  Nation  lebte 
davon  nnd  sonnte  sich  sicher  und  selbstgewifi  im  Lichte  seines 
Gottes. 

Es  sind  vor  allem  noch  zwei  Pmskte  zu  erledigen,  an  denen 
Chamberlain  die  egoistisch  •  materialistische  Gedankenrichtang  der 


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26 


AnfBltze 


Israeliten  und  Juden  charakterisiert,  nfimlioh  das  Dogma  tod  der 
Freiheit  des  Willens  und  der  Glaube  der  Semiten.  Was  den 
letasteien  betrifft,  so  charakterisiert  er  ihn  einmal  als  blinden  Tat- 
sachen glauben  im  Gegensatz  zu  dem  Glauben  in  den  arischen 
Beligionen,  deo*  sich  nie  und  nirgends  auf  geschichtliche  Tatsachen 
beziehe  und  sich  zudem  mit  absoluter  Gedankenfreiheit  Tertrage 
(S.  404  ff.);  dagegen  auf  8.  246  charakterisiert  er  ihn  als  nner- 
schütterlichee  Vertrauen  zu  einon  persönUcheD,  unmittelbar  gegen- 
wärtigen, allmächtigen  Gott  und  leitet  ihn  aus  der  Macht  des  Willens 
zum  Leben  ab.  Natürlich  lehnt  er  von  seinem  arischen  Standpunkte 
ans  beide  Arten  des  Glaubens  ab.  Der  erste  ist  ihm  minderwertig, 
weil  er  materialistisch  ist,  den  zweiten  lehnt  er  ab,  weil  er  aus 
dem  egoistischen  Trieb  zum  Leben,  aus  der  ungebändigten  Kraft 
jenes  verhängnisvollen  Willens  entsprungen  ist,  der  durch  seine  Vor- 
herrschaft die  religiöse  Anlage  der  Semiten  im  Keime  erstickt  hat. 
Während  der  sinnende  Geist  des  Ariers  das  Göttliche  ahnend  in 
weiten  Fernen  suche,  zwin^re  der  willensstarke  Jude  seinen  Gott  vom 
Hiraniel  herab  und  lasse  ihn  ein  für  allemal  sein  Zelt  in  seiner  Mitte 
aufschlap'n  (S.  2Mi).  Mit  derselben  Entschiedenheit  wendet  er  sich 
vom  Standpuukt  des  Ariers  aus  gegen  das  Dogma  vom  freien  Willen, 
dem  uuhoilvollen  Kon-elat  zu  der  Vorstellung  von  Gott  als  der  »Inkar- 
nation der  Willkiir  .  Die  Freiheit  des  Willens  bedeute  nichts  woniger 
als  ewig  wiederholte  Schöpfungsakte.  Bedenke  man  das,  so  begreife 
man .  daß  diese  Annahme  nicht  allein  aller  psychischen  Wissen- 
schaft, sondern  auch  aller  Metaphysik  widerspricht  und  so  eine  Ver- 
leugnung einer  jeden  transscendenton  Religion  bedeutet.  Die  Vor- 
stellung von  der  Freiheit  des  Willens  vorrate  so  eine  im  Verhältnis 
zum  Wollen  sehr  beschränkte  Intelligenz.  Ks  zeige  sich  also  auch 
hier  wieder  die  für  den  Semiten  so  charakteristische  Vorherrschaft 
des  Willens,  die  den  Tod  oder  doch  die  Verkümmerung  alier  wahren 
Religion  bedeute. 

Sieht  so  Chambehlain  fast  überall  nur  Schattenseiten  und  Uinder- 
wertigkeiten  in  der  Beligicn  der  Semiten  und  speziell  dw  Israeliten 
und  Juden,  so  kann  er  doch  wenigstens  «Ines  kleinen  Lichtblickes 
sich  freuen,  den  ihm  die  Ersdieäinng  der  Prophetie  gewihrt 
(a  437).  FreiUch  will  et  auch  die  Propheten  nicht  fiberschfttst 
wissen;  auf  die  Bezeichnung  von  »religiösen  Genies«  dfirften  sie 
doch  keinen  Anspruch  erheben.  Er  lobt  sie  als  prfichtige  Miinner, 
weil  sie  mit  der  Moral  so  heiligen  Emst  machen  und  die  sozialen 
Schäden  des  Tolkes  mit  so  ernstem  Eifer  zu  heilen  suchen«  Aber 
Chamberlain  kann  doch  nicht  Tergessen,  dafi  sie  Juden  sind,  »jüdisch 


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BäMtrtaxm:  H.  St  GhambezUniis  TonteUangen  über  die  Religioii  vbw.  27 


TOD  den  Sohlen  bis  zum  Scheitel«,  und  so  l)etiaclitet  er  sie  als  Arier 
mit  gemischten  Getühlen.  Es  ist  geradezu  ergötzlich  zu  sehen,  wie 
er  jeden  Lobq[>nich,  den  er  ihnen  zu  teil  werden  läßt,  durch  einen 
Dimpfer  wieder  absnsohiriUihen  liebt  Gewiß,  sagt  or,  haben  sie  den 
»leligiOMn  Haterialismos,  den  de  von  seiner  abstraktesten  Seite 
eifsfitenc  [wir  wttiden  etwa  sagen:  die  im  religidB-BittUchea  Geiste 
erfsfite  Jah^e-Beligion],  in  moralischer  Hinsiebt  auf  eine  hohe  Stofe 
erhoben  (S.  247),  aber  andrerseitB  haben  sie  doch  die  Religion  auf 
die  Moral  reduziert,  und  es  ist  so  dnrch  sie  für  die  Religion  eigent- 
lieb  nicht  viel  berao^gekommen  (8.  440).  In  der  Erstrebung  einer 
progreasiTein  YereinfBofaung  des  Enltns  nnd  der  Terwerfong  un- 
sinniger Ritoalyerbote  —  darin  sind  sie  schon  soweit  wie  die 
Yoraba-Noger,  mit  denen  sosammenznsteUen  Ghamberlain  ihnen  die 
etwas  knrioee  Ehre  erweist  (S.  438)  —  nnd  in  der  Betonung  des 
reügiös-dttlicheii  Momentes  bitten  sie  einen  glücUioben  Anfang  ge- 
macht, der  darauf  hinausgelaufen  sei,  die  Frömmigkeit  ins  Heiz  zu 
legen,  aber  es  sind  andrerseits  doch  wieder  etwas  einfältige  Herren, 
da  sie  sich  allen  Ernstes  einbilden,  daß  os  in  der  Religion  ohne 
Kultus  abgehe  (S.  440).  Ghamberlain  lobt  an  ihnen  den  sozialisti- 
schen Zug,  besinnt  sich  aber  sofort,  daß  dieser  Zug  ja  gerade  mit 
der  historischen  Auffassung  der  Religion  zusammenhänge,  die  den 
Nachdruck  nicht  auf  das  Individuum,  sondern  auf  die  Gesamtheit 
lege  (S.  247),  und  so  kann  er  auch  dessen  nicht  wieder  recht  froh 
werden.  Am  höchsten  schätzt  er  von  ihnen  noch  den  Deutero- 
jesaia  ein,  den  »einzig  wirklichen  und  bewußten  Monotheisten«, 
aber  auch  er  habe  uns  doch  nur  bis  an  die  Schwello  joner  Ahnuiii: 
eines  transscendenton  (Tohoimnisses  geführt,  mit  der  diu  eigeuüiciio 
Religion  beginnt,  uud  den  Schleier  nicht  gelüftet  (S.  439).  So  darf 
man  nach  Ghamberlain  die  Prupheton  doch  nicht  allzu  hoch  ein- 
schätzen. Im  Grunde  sind  und  bleiben  sie  für  ihn  doch  nur  priicli- 
tige  Men.schen,  brave  Hiedenniinner,  vor  denen  man  gern  den  Hut 
zieht  und  denen  man  gern  einmal  die  Hand  drückt. 

So  also  etwa  nimmt  sich  vom  Standpunkt  des  bewußten  >Aner8« 
die  Religion  der  Semiten  und  speziell  die  der  Israeliten  und  Juden 
aus.  Dürftigkeit  der  religiösen  Vorstellungen,  kraß  mate- 
rialistische Gedanken  rieh  tu  ng,  die  sich  in  der  Form  eines 
abstrakten  Materialismus  oder  der  konkreten  Abstraktion 
selbst  auf  der  höchsten  Stufe  israelitischer  Religion  wirksam  zeigt, 
und  beides  wurzelnd  in  dem  Cbermächtigsein  eines  kräftigen, 
nicht  selten  ins  Brutale  hinübei-spielenden  Willens,  das  sind  nach 
Chambehlmn  die  wesentlichsten  Charakterzttge  dieser  Religion.  Ob 


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■ 

28 


Aufsätze 


diese  Beniteiliing  richtig  ist,  witd  steh  am  letzten  Ende  bei  der  Be- 
urteilung des  Sehwinkels  zeigen,  unter  dem  Ohamberlain  die  Beligion 
der  Semiten  gesehen  hat,  d.  h.  bei  der  fieorteilung  seinee'  arischen 
Religionsideals.    Ehe  wir  aber  dieeee  einer  FMlfiing  unterziehen, 

wird  /.u nächst  die  andere  Frage  zu  beantworten  sein,  ob  denn 
Chamberlains  Auffassung  von  der  semitischen  Religion  auf  einer 
richtigen  Beobachtung  des  latsäohiiohen  beruht,  oder  ob  er  nichts 
sei  es  unter  dem  Zwange  einer  gewissen  Voreingenommenheit,  aei 
es  aus  Mangel  an  Fachkenntnissen,  sei  es  aus  beiden  Ursachen  zu- 
gleich, ein  Zerrbild  entworfen  hat,  durch  dessen  Verurteilung  die 
wahre  Religion  der  Semiten  und  speziell  der  Israeliten  noch  lange 
nicht  getroffen  zu  werden  braucht  Diese  Untersuchung  wollen  wir 
uns  für  den  im  nächsten  Hefte  erscheinenden  Schluß  vorbehalten. 

(Soblufi  folgt) 


Stimmen  zur  Beform  des  Religions-XTnterriohteg 

(Fortsetzung) 

LilMttii  flr  tfM  IMIilsiMitMTisM 

Geh.  Hofnt  Lcatit  Semiaaidlrektor  a.  D.  ia  Kariimlie 

1.  Der  Beligionsnnterricht  hat  den  Zwedr,  die  vom  Kinde  bereits 
in  die  Schule  mitgebrachten  religiösen  Lebenskeime  weiter  zu  ent- 
falten, sie  tiefer  zu  gründen  und  zu  einer  Lebensmacht  zu  gestalten. 
Es  kann  dies  zonfichst  nicht  auf  dem  Wege  der  Erkennlnia  geschehen, 
sondern  durch  Eingrfindung  in  religiöse  Persdnlichkeiten,  durch  be- 
stimmte Vorbilder  und  Tatsachen,  welche  dem  Schfller  Üar  machen, 
daß  die  Beligion  nicht  auf  Lehren,  sondern  anf  Tatsachen  beruht 
Der  häusliche  Ereis  wird  erweitert  durch  den  Lehrer  und  erhlilt  seine 
hödiste  Entfaltung  durch  die  Vorführung  biblisdier  Personen  und 
seine  Vollendung  durch  die  Peison  Jesu. 

2.  Jeder  erziehliche  Unterricht  muß  also  PersönlichkeitBunterricfat 
sein.  Das  Kind  muß  sich  einleben  in  die  vorgeftthrten  Personen, 
deren  Denk-  und  Handlungsweise  es  sich  aneignen  soll  und  aus 
denen  sich  schließlich  die  fortschreitende  Entwicklung  des  göttlichen 
Heilsgedankens  sich  erkennen  läßt  Es  gehört  somit  auch  das  Alto 
Testament  mit  Notwendigkeit  in  den  religiösen  Unterricht 

3.  Aus  einer  solchen  Behandlung  siebt  der  Schiller,  daß  nicht 
die  Aufzählung  der  Ereignisse,  die  äußere  Entwicklung,  die  Ge- 


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Lkvtz:  Stimmen  zur  Kefonu  des  Eeligionsontaniolits  29 


schichte  eines  bestiramten  Volks  die  Hauptsache  ist,  sondern  die 
überall  sichtbare  Hand  Gottes  als  Leiterin  der  menschlichen  Ge- 
schicke. Die  Biblische  (Teschichto  muß  stets  den  Charakter  als  Heils^  . 
geschichte  erkennen  lassen. 

4.  Die  einzelnen  Fortschritte  in  diesem  Hoilsweg  werden  ver- 
anschaulicht durch  gewaltige  Giaiibensholden,  die  besonders  eingehend 
zu  behandeln  sind.  Sie  haben  ihre  Lebensgrundsätze,  die  Zeugnisse 
ihrer  göttlichen  Erleuchtung  in  Reden  und  Einzelaussprüchen  uns 
hinterlassen,  sie  bilden  besonders  den  Lehrstoff  und  die  kurzen 
Aussprüche  den  Memorierstoff  der  biblischen  Geschichte. 

d.  Die  ans  der  Geschichte  gewonnenen  Lehren  hat  dann  die  Schule 
zu  einem  kurzen,  einfachen  System  zasammenzustellen ;  dies  ist  der 
Katechismus,  der  also  kein  Bekonntnisbuch  im  eigentlichen  Sinne 
sein  kann,  sondern  nur  ein  Ausdruck  der  christlichen  Lehre  in  «ner 

bestimmten  Zeitperiode. 

6.  Daraus  folgt,  daß  die  Zusammenstellung  der  Sätze,  deren  Form 
in  Erage  und  Antwort  durchaus  nicht  für  alle  Zeiten  gleich  bleiben 
kann.  Der  Ausdruck  wird  und  darf  sich  ändern,  allein  das  Zentrum, 
die  Grundwahrheiten,  die  Erlösung  durch  Jesus  muß  ewig  bestehen 
bleiben.  Jesus,  Christus,  gestern  und  heute  usw.  Eine  Ändemng 
dieser  Grundwahrheiten  würde  zum  Christentum  hinaus  führen. 

7.  Diese  Darstellung  der  christlichen  Lehre  kann  aber  nur  mit 
der  Oberklasse  einer  Volksschule  versucht  werden  und  zwar  mit 
einem  viel  geringeren  Gedächtnismaterial  als  die  meisten  Katechismen 
enthalten. 

8.  Eigentlich  gehört  dieser  Teil  in  den  Konfirmandenunterricht 

des  Geistlichen,  allein  da  diesem  Unterricht  gewöhnlich  zu  wenig 
Zeit  zu^'eraessen  wird,  Vs  Jahr,  und  die  Lelirsützo  in  der  Schule 
nicht  zur  völligen  Klarheit  herausgebildet  werden  können,  ist  es  gut, 
wenn  die  Sätze  schon  dort  memoriert,  und  vom  Geistlichen  in  seinem 
Unterricht  wiederholt  werden. 

9.  Ein  religiöser  Persönlichkeitsunterricht  kann  aber  nur  da  statt- 
finden, wo  der  Lehrer  selbst  eine  solche  Persönlichkeit  an  sich  dar- 
bietet, wo  der  Schüler  in  seinem  Lohrer  ein  Beispiel  hat,  dessen  reli- 
giöser Charakter,  dessen  frommer  Sinn  und  Wandel  in  dem  ganzen 
Unterricht  zu  Tage  tritt,  dessen  Worte  dureh  die  Persönlichkeit  so 
veranschaulicht  werden,  daß  sie  den  Schüler  innerlich  crfrreifen.  In 
dieser  Beziehung  ist  allerdings  die  konfessionelle  Schule  der  Simultan- 
schule  weit  vorzuziehen. 

10.  Es  ist  zweifellos,  daß  für  einen  solchen  einheitlichen  Unter- 


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30 


Aufsätze 


rieht  ein  einheitliches  J^ehrbuch  wünschenswert  wäre;  ebenso  ein 
biblisches  Lesebuch  statt  der  Vollbibei. 

11.  Don  Keligionsuuterricht  ganz  aus  der  Schule  entfernen,  ihn 
der  Kirche  überlassen,  hieße  die  Krönung  aller  unsrer  Schularbeit 
vernichten,  sie  aller  ihrer  Weihe  und  ihres  Segens  berauben. 


Das  Sohalwesen  des  Kantons  Baselstadt 

Von 

Dr.  X.  Wctt«rwald-BMel 

Die  Ausgesteltong  des  Sohnlwesens  in  der  Schweiz  ist  eine  sehr 
mannigfaltige.  Wie  die  iandsohaftUchen  Bilder,  wie  Sitten  und  Ge- 
bräuche, Sprache  und  Eonfeesion,  LebensbedOrfnisse  und  Lebens- 
gewohnheiten  von  Eanton  zu  Eanton  wechsefai  nnd  immer  wieder 
ein  anderes  Gepräge  zeigen,  so  vielgestaltig  sind  die  Einrichtungen, 
die  für  die  AasbiJdung  der  Jugend  in  den  veischiedenen  Landes- 
teilen sorgen.  Die  Scholorganisationen  sind  geschichtlich  gewordene 
Einrichtungen,  die  ans  den  BedArbüssen  des  Volkes,  ans  den  Forde- 
mngen  der  Zeit  an  individanm  and  Gemeinwesen  hervorgewachsen 
sind.  Wie  die  Leistnngsfilhigkeit  yon  Bftrger-  und  Gemeinwesen  im 
einsamen  Hochtal  des  Gletscherbaches  sich  nach  anderer  Biohtnng 
äußern  muß  als  in  deir  volksreichen  Handels-  und  Fabrikstadt  am 
breiten  Heerstrom,  so  können  dort  einfache  Schuleinrichtungen  leicht 
den  kleinen  Verhältnissen  genügen,  während  sie  hier  den  gesteigerten 
Forderungen  gemii(5  rciclier  gegliedert  und  sorgfältiger  ausgebaut  sein 
müssen.  Es  ist  daher  leicht  einzusehen,  daß  das  Schulwesen  der 
Schweiz  kein  einheitliches  ist,  und  es  ist  leicht  zu  begreifen,  daß 
jeder  Kanton,  der  bis  zu  einem  gewissen  Grade  seine  besondere 
historische  Vergangenheit  hat  und  demgemäß  auch  ein  bestimmtes 
Gepräge  besitzt  mit  änglicher  Sorge  die  Oberhoheit  über  die  Schule 
stets  gewahrt  )iat.  Wie  jeder  einzelne  Kauton  oder  Halbkauton  seine 
besondere  Yertassung  besitzt,  so  aucii  seine  eigene  Schulgesetzgebung.  — 

Die  Bundesverfassung,  d.  h.  die  Verfassung  für  die  ganze  Schweiz, 
die  verschiedene  Gebiete  des  staatlichen  und  volkswirtschaftlichen 
Lebens  zentralisiert  hat,  gibt  in  Bezug  auf  das  Schulwesen  nur  einige 
allgemeine  Tiiohtlinien  und  Vorschriften.  Die  einzige  schweizerische 
Schuhuistult  ist  die  eidgenössische  polytechnische  Schule  in  Zürich; 
allerdings  gibt  die  Bundesverfassung  dem  Bunde  die  Befugnis,  auch 
eine  Universität  und  andere  höhere  Unterrichtsanstalton  zu  errichten 
und  solche  zu  unterstützen;  da  aber  schon  sechs  kantonale  Univer- 


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Wrcerwaid:  Das  SohnlweBen  dM  Kaatons  Baselsladt 


31 


sitäten  bestehen,  ist  keine  Aassicht  auf  Gründoxig  einer  eidgenössi- 
schen UniTersität  vorhanden.  Im  weitern  bestimmt  §  27  der  Bondes- 
verfassnng  "vom  29.  Mai  1871:  »Die  Kantone  sorgen  fttr  genügenden 
Pdmaronterricht  d.  h.  Volksschulunterricht,  welcher  ausschließlich 
miter  staatlicher  Leitung  stehen  soll.  Derselbe  ist  obligatorisch  und 
in  den  öffentlichen  Schulen  unentgeltlich.  Die  öffentlichen  Schulen 
sollen  von  den  Angehörigen  aller  Bekenntnisse  ohne  Beeinträchtigung 
ihrer  Glaubens-  und  Gewissensfreiheit  besucht  werden  können.  Gegen 
Kantone,  welche  diesen  Verpflichtungen  nicht  nachkommen,  wird  der 
Bund  die  nötii^en  Verfügungen  treffen. Durch  die  Volksabstimmung 
vom  23.  November  1902  hat  dieser  Paragraph  noch  einen  Zusatz  er- 
halten, der  bes^timmt.  daß  den  Kantonen  zur  Unterstützung  in  der 
Erfüllung  der  ihnen  auf  dem  Gebiete  des  Primaruntcrrichts  obliegenden 
Pflichten  Beitrage  geleistet  werden;  dabei  bleiben  aber  Organisation, 
Leitung  und  Beaufsichtigung  des  Primarschulwesens  den  Kantonen 
ausdrücklich  garantiert. 

Es  mag  nun  vielleicht  auch  für  deutsche  Lehrerkreise  von  Inter- 
esse sein ,  die  eine  oder  andere  der  25  Schulorganisationen  der 
Schweiz  kennen  zu  lernen.  Wir  wählen  das  Schulwesen  des  Kantons 
Baselstadt,  das  wohl  eines  der  am  besten  ausgebauten  ist.  Der 
Kanton  Baselstudt  ziihlto  Endo  1902  un<^of;ihr  117  500  f^inwohner 
und  ist  abgesehen  von  den  zwei  Landgemeinden  Uiehen  und  Bettingen 
mit  etwa  3000  Einwohnern  ein  rein  städtisches  Gemeinwesen.  Das 
Schulgesetz  des  Kantons  Baselstadt  vom  21.  Juni  1880  normiert  die 
obligatorische  Schulpflicht  für  jedes  bildungsfähige  Kind  auf  8  Jahre. 
8ie  beginnt  mit  dem  Anfang  des  Schuljahres  für  diejenigen  Eonder, 
die  vor  dem  1.  liai  das  sechste  Altersjahr  zurücklegten.  Knaben 
and  Mädchen  werden  in  den  Schnlen  der  Stadt  getrennt  nntenichtet; 
in  den  zwei  Landgemeinden  jedoch  gememsam.  In  allen  öffentlichen  ^ 
Scholen  des  Kantons  sind  die  Kinder  der  yerschiedenen  religiösen 
Bekenntnisse  Tereinigt  Was  den  Beligionsnnteiiicht  betiifft,  so  wird 
derselbe  in  den  sechs  ersten  Schuljahren,  also  in  den  Primaiklassen 
und  in  den  zwei  nntem  Klassen  der  Hittelschalen  durch  den  Lehrer 
gegeben.  In  den  obem  Klassen  der  Mittelschulen  wird  kein  Reli- 
gionsunterricht mehr  erteilt;  dagegen  TerstSndigt  sich  der  Erziehungs- 
nt  mit  den  Behörden  der  Landeskirche  darüber,  wie  bei  der  Em- 
liohtung  des  Stundenplanes  auf  den  kirchlichen  Beligionsunterricht 
and  den  Konfirmations-Unterridit  Rücksicht  zu  nehmen  ist.  Der 
Beligiansunterricht,  der  in  biblischer  Geschichte  besteht,  ist  nicht 
obh'gatoiisch;  jeder  Schüler  muß  auf  das  von  den  Eitern  oder  deren 
Yertretem  gerteilte  Ansuchen  davon  entbunden  werden.  — 


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32 


Aufrittsd 


Die  erste  Sohnlstofe  nmfafit  vier  Jahre  und  beifit  Primarsohnle; 
in  derselben  sind  die  Kinder  des  ganzen  Yolkes  yereinigt  Jede  der 
beiden  Soholanstalten  —  Saiabenprimarschulo  und  Mädchenprimar^ 
schule  —  steht  unter  der  Leitung  eines  Schulinspektors.  Im  Jahio 
ld02  zählte  die  Knabe n primarschule4179  Knaben,  die  in  91  Klassen 
von  69  Lehrern  und  einer  Lehrerin  unterrichtet  wurden.  Die 
Mädcbenprimarschule  zählte  in  103  Klassen  4556  Kinder  mit 
32  Lehrern,  57  Lehrerinnen  und  24  Arbeitslehrerinnen.  In  diesen 
Zahlen  sind  die  Kinder  der  Primarschule  Kleinhüningen,  die  dem 
Inspektorat  der  Mädchenprimarschule  unterstellt  ist,  mitgerechnet.  In 
den  acht  Spezialkl asseu  für  Schwachsinnige  befanden  sich 
79  Knaben  und  94  Mädchen;  sie  wurden  von  8  Klassen-  und 
4  Arbeitslohrerinnen  unterrichtet.  In  der  ersten  Klasse,  d.  h.  im 
ersten  Schuljahr  beträgt  die  wöchentliche  Stundenzahl  20;  im  4.  Schul- 
jahr 26;  die  Mädchen  erhalten  schon  vom  ersten  Schuljahr  an  Unter- 
richt in  den  weiblichen  Handarbeiten,  und  zwar  zunächst  im  Stricken, 
vom  3.  Schuljahr  an  auch  im  Nähen.  — 

Mit  Beginn  des  5.  Schuljahres  tritt  bei  den  Knabenschulen 
eine  Dreiteilung  ein:  Sekundärschule,  Realschule  und  Gymnasium. 
Die  Sekundärschule,  die  aus  vier  aufeinanderfolgenden  Klassen 
mit  einjährigem  Kursus  besteht,  soll  diejenigen  Schüler  aufnehmen, 
für  die  ein  einfacher,  nicht  über  das  schulpflichtige  Alter  hinaus- 
gehender Lehrgang  in  Aussicht  genommen  wird.  Seit  bald  20  Jahren 
besteht  an  derselben  noch  eine  Fortbildungsklasse  von  ein  oder  zwei 
Abteilungen  mit  einjährigem  Kursus.  Die  Sekundärschule,  die  die 
obere  Abteilung  der  Volksschule  darstellt,  ist  selbstverstfindlich  obli- 
gatorisch; in  derselben  ist  das  FranzOsisohe,  das  schon  von  der  eisten 
Klasse  an,  d  h.  im  5.  Schuljahr,  mit  einer  ziemlich  großen  Stunden- 
zahl auftritt,  obligatorisdiee  Hauptfiach;  die  Basler  Yolksschule  hat 
also  neben  der  Matteraprache  noch  eine  Fremdsprache,  eine  Ein- 
richtung, die  wohl  selten  zu  finden  ist  Sie  erklfirt  sich  daraus,  daß 
fOr  Basel  als  Handels-  und  frOhere  Grenzstadt  gegw  Krankreiöh  diese 
Sprache  eine  wichtige  Rolle  spielt  Die  Knabensekundarsohule 
steht  unter  der  Leitung  eines  Bektors,  der  bei  der  großen  Ausdehnung 
der  Anstalt  keinen  Unterricht  erteilen  kann.  Die  Sohfllerzabl  betrug 
im  Jahre  1902  in  53  Klassenabteüungen  2231;  der  Unterricht  wurde 
Ton  55  Lehrern  erteilt 

Die  Bealschule  soll  ihren  Schftlem  eine  allgemeine  realistisdhe 
Bildung  geben  und  sie  auf  den  Obertritt  zu  Handel,  Gewerbe  und 
Industrie  vorbereiten;  insbesondere  ist  sie  auch  Yorbereitungsanstalt 
fOr  höhere  technische,  mathematische  und  naturwissenschaftliche 


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WniKRWALD:  Dm  SolnilwMeii  des  Kantons  Baselstadt 


33 


Studien,  also  für  Polytechnikum  und  Universität.  Seit  Jahren  be- 
nutzen sie  namentlich  auch  Mediziner  und  Lehramtskandidaten  als 
Yorbereitungsschule  für  ihre  wissenschaftlichen  und  beruflichen 
Studien.  Die  Realschule  besteht  aus  einer  untern  und  einer  obera 
Abteilung;  die  untere  Abteilung  hat  vier  Klassen  mit  einjährigem 
Kurs.  Die  obere  Anstalt  zerfällt  in  eine  Real-  und  in  eine  Handels- 
ftbteüung:  die  Kedabteitog  umfaßt  seit  der  kürzlich  erfolgten  Re- 
organisation ftkat  KlMBcn,  wovon  'vier  xnlt  einjährigem  und  die  fOnfte 
mit  ludbjihiigem  Knzs.  Die  Handelsabieflnng  besitzt  drei  Klassen 
mit  einjährigem  Ems.  Jede  der  beiden  Anstalten  steht  unter  der 
Leitong  eines  besonderen  Bektors,  von  denen  jeder  noch  einige 
Untenichtsstanden  zu  geben  hat  Die  Anstalten  sind  «ach  rttumlich 
voneinander  getrennt;  die  untere  Abteünng  befindet  sich  mit  der 
Kehrsahl  ihrer  Klassen  in  dem  stattlichen,  Ende  der  80er  Jahre 
erbauten  Oebftade  an  der  Bittergasse  neben  dem  Münster,  wShiend 
die  obere  Abteilnng  seit  dem  lotsten  Frtthjahr  in  dem  prichtigen 
Nenban  in  der  Nähe  des  Bnndesbahnhofes  untergebracht  ist 

Die  Untenicbtsgegenstände  der  untern  Realschule  sind  deutsche 
und  französische  Sprache,  Englisch  in  der  vierten  Klasse,  l^fathematik, 
Geschichte,  Geographie,  Naturkunde,  Schreiben,  Zeichnen,  Gesang  und 
Tomen;  diejenigen  der  obem  Abteilung  deutsche,  französische  und 
englische  Sprache)  Mathematik,  Geschichte,  Geographie,  Naturwissen- 
schaften, Zeichnen  und  Turnen;  in  der  Handelsabteilung  noch  italie- 
nische Sprache  und  Handelsfächer.  Die  untere  Realschule  zählte  im 
abgelaufenen  Jahre  in  24  Abteilungen  1024  Schüler,  die  von  31  Lehrern 
untenichtet  wurden;  in  der  Realabteiluntr  «ler  obem  Schule  befanden 
sich  in  11  Klassenabteilungen  299,  in  der  Handeisabteilung  in  6  Klassen 
142  Schüler.  Mit  dem  Zeugnis  der  Reife  gingen  im  Herbst  1902 
58  Schüler  aus  der  Schule  ab,  und  zwar  zu  akademischen  Studien  18, 
zu  polytechnischen  Studien  16,  zu  den  Fachkursen  für  Primarlehrer 
(Lehrerseminar)  13,  zu  andern  Studien  4,  zu  technischen  Berufsleliren  5 
und  zu  Handel  und  Verkehr  2.  Die  Zalil  der  Tjehrkräfte  betrug  25, 
wovon  einige  auch  an  der  untern  Abteilung  der  liealschule  tätig  waren. 

Das  (iymnasiura,  dfis  ebenfalls  aus  einer  untern  und  einer 
obem  Abteilung  von  je  vier  aufeinanderfolgenden  Klassen  mit  ein- 
jährigem Kurse  besteht,  soll  seinen  Schülern  eine  aUgeraeine  huma- 
nistische Bildung  geben  und  sie  auf  das  akademische  Studiimi  vor- 
bereiten. Die  ünterrichtsgegenstiinde  des  untern  Gymnasiums  sind 
Itttoinische^  deutsche  und  französische  Sprache  —  letztere  von  der 
zweiten  Klasse  an  — ,  Griechisch  in  der  vierten  Klasse,  Geschichte, 
Geographie,  Mathemafi][,  Naturkunde,  Schreiben,  Gesang  und  Tomen; 

ZritMioltt  IBr  PUJotopU«  aad  FldagQgik.  12.  Jahisuf .  3 


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34 


das  Zdohnen  ist  fakultativ.  Solche  SchtUer  der  vierten  Hasse,  die 
nicht  in  das  obere  Oymnasiimi,  sondern  nach  Ahsolviening  der  vier 
eisten  OymnasialHassen  in  die  obere  Bealschule  übertreten  wollen, 
weiden  vom  TTntemcht  in  der  griechischen  Spiacfae  dispensiert  nnd 
erhalten  dafür  üntemcht  im  Englischen  und  in  der  Physik.  Die 
XTntemchtsfiUsher  des  obem  Gymnasiums  sind  grieohisofae,  lateinische, 
deutsche  und  finmzQeische  Sprache,  Geschichte,  Mathematik,  Natur- 
wissenschaften und  Tomen ;  aufierdem  fOr  künftige  Theologiestudieiende 
hebiiische  Sprache.  Das  ganze  Gymnasium,  am  Mttnsteiplatse  ge- 
legen, steht  unter  der  Leitung  eines  Rektors.  Bas  untere  Gymnasium 
besuchten  im  letzten  Jahre  376  Schüler,  die  in  11  Erlassen  unter- 
richtet wurden;  die  Schülerzahl  des  obem  Gymnasiums  betrug  in 
8  Abteilungen  142;  davon  gingen  im  Frühjahr  1902  38  zur  Univer- 
sität ab.    Am  Gymnasium  wirken  zusammen  26  Lehrkräfte. 

Für  die  Mädchenschulen  tritt  nach  dem  vierten  Schuljahr 
eine  Zweiteilung  ein:  Sekundai'schule  und  Töchterschule.  Die 
Mädchen  Sekundärschule  stellt  wie  die  Knabensekimdarschule  die 
obere  Abteilune;  der  Volksschule  dar:  sie  lehrt  schon  von  der  ersten 
Klasse  an  das  Französische  als  obligatorisches  Lohrfach  und  hat  eben- 
falls vier  aufeinanderfolgende  Klassen  mit  einjährigem  Kurse.  Seit 
vielen  Jahren  besteht  auch  da  eine  Fortbild uiigs-  oder  fünfte  Khisse 
mit  einjährigem  Kurse  in  zwei  oder  drei  Abteilungen.  Die  Anstalt, 
unter  der  Leitung  eines  Rektors,  zählte  im  verflossenen  Jahre 
2580  Schülerinnen  in  59  Klassenabteilungen;  der  lintorricht  wurde 
von  42  Lehrern  und  41  Lehrerinnen  erteilt.  Mit  der  Schule  sind 
Koclikurse  verbunden,  die  von  Lehrerinnen  geleitet  werden  und  einer 
stets  zunehmenden  Beliebtheit  sich  erfreuen.  Unter  deiselben  Leitung 
wie  die  Mädchensekundarschulo  der  Stadt  steht  auch  die  Sekundär- 
schule der  Ortschaft  Kleinhüningen,  die  nach  und  nach  mit  der  Stadt 
zusammenwftohst  und  bereits  in  den  städtischen  Organismus  auf* 
genommen  worden  ist  ffier  sind  die  beiden  €^esohleohter  in  den 
betreffenden  Elassen  Tereinigt;  die  Schule  zShlte  in  vier  Klassen- 
abteilungen  86  Knaben  und  73  Mädchen,  die  von  4  Lehrern  und 
einer  Arbeitslehrerin  unterrichtet  wurden.  Diese  Schule  wird  übrigens 
bald  mit  den  städtischen  Sekundärschulen  vereinigt  werden. 

Die  Töchterschule  hat  die  Bestimmung,  diejenigen  Mädchen 
au&unehmen,  für  die  ein  längerer  und  umfemnderer  Lehrgang  in 
Auasicht  genommen  wird.  TJntemchtsfSoher  sind:  deutsche,  franeö- 
asche  und  englische  Sprache,  Mathematilc,  Qeschichte,  Geographie, 
Naturkunde,  S<toiben,  Zeichnen,  Gesang,  Turnen  und  weibliche 
Qandaibeiten.  Sie  besteht  aus  einer  untern  und  einer  obem  Ab- 


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'Wsitebwald:  Das  Soholweeeii  des  KaDtons  Baselstadt 


35 


teilung;  die  untere  hat  vier,  die  obere  zwei  Klassen  mit  einjährigem 

Kurse;   die  erstere  zählte  im  verflossenen  Jahre  in  20  Klassen- 

abtc'ilungen  949,  die  obere  Abteilung  in  8  Klassen  248  Schülerinnen. 
An  die  sechs  Klassen  der  Anstalt  schließen  sich  noch  verschiedene 
Fortbildunprsklassen  an:  Für  {Ulgeraeine  Bildung  drei  Jahreskurse;  für 
Ausbildung  als  Lehrerinnen  drei  Jahreskurse;  füi-  das  kaufmännische 
Bildunfrswesen  zwei  Jahreskurse  und  für  Ausbildung  als  Lehrerinnen 
an  Kleinkinderanstalten  ein  Jahresknrs.  Tn  der  allgemeinen  Abteilung 
wird  auch  Unterricht  in  der  lateinischen  Sprache  erteilt,  und  es 
werden  die  Schülerinnen  so  vorbereitet,  daß  sie  das  Maturitätsexamen 
bestehen  können.  Die  sUnitliclien  Fortbildungsklassen  zählten  im 
letzten  Jahre  155  Schülerinnen;  16  bestanden  die  Diplomprüfung 
als  Lehrerinnen.  Die  gesarate  Anstalt  steht  unter  der  Leitung  eines 
Rektors;  der  Unterricht  wird  von  22  Lehrern  und  22  Lehrerinnen 
gegeben. 

Unter  einem  besonderen  Inspektoiat  stehen  die  Schulen  in  dem 
som  Kanton  Baselstadt  gehöiemdan  Landgemeinden  Bieh«n  und 
Bettingen.  Knaiben  nnd  IDidchen  sind  beim  ünteirieht  in  äea  ver- 
sdiiedenen  Klassen  Toieinigt  In  Biehen  afihlten  die  Tier  Frimai^ 
Uassen  lotsten  Jahres  113  Knaben  nnd  103  Mädchen;  den  Unterricht 
erteilen  4  Lehrer  nnd  eine  Aibeitslehrerin.  Die  Tier  Seknndarklassen 
nnter  4  Lehrem  nnd  einer  Arbeitslehrerin  sfihlten  74  Knaben  und 
74  M&dchen.  Die  8  Klassen  der  kleinen  Beiggemeinde  Dettingen,  in 
eme  Primär-  nnd  eine  Seknndaiabteilnng  zusanmiengefaßt,  wiesen 
26  Knaben  nnd  35  Mftddien  anf;  an  der  Sohnle  wirken  awei  Lehrer 
nnd  eine  Ariieitalehrerin. 

Den  unmittelbaren  Bedttifnissen  des  praktischen  Lebens  dienen 
die  Allgemeine  Gewerbeschule  und  die  Frauenarbeitsschnle.  Die 
Allgemeine  Gewerbeschule  hat  die  Aufgabe,  den  Gewerbe- 
treibenden diejenige  für  ihren  Beruf  notwendige  Ausbildung  zu  geben, 
die  in  der  Werkstatt  nicht  eriangt  werden  kann.  Die  Schule  be- 
zweckt einerseits  die  allgemeine  und  fachliche  Fortbildung  der  An- 
gehörigen aller  Gewerbe,  andrerseits  die  theoretische  und  künstlerische 
Heianbüdung  von  tüchtigen  Arbeitskräften  für  die  Bedürfnisse  der- 
jenigen Kunstgewerbe,  für  welche  die  Bedingungen  einer  gedeihlichen 
Entwicklung  in  Basel  vorhanden  oder  leicht  zu  gewinnen  sind. 
Daneben  soll  in  besonderen  Abteilungen  —  Kunstklassen  —  für 
nicht  Gewerbetreibende  beider  Geschlechter  Unterricht  im  Zeichnen, 
Malen  usw.  erteilt  und  hierdurch  der  Sinn  für  die  Kunst  bei  der 
Bevölkerung  gefördert  werden. 

Die  Schule  zerfällt  in  eine  untere  Abteilang  für  allgemeine  ge- 

3* 


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36 


werblidie  Yoibildung  und  eine  obere  Abteilung  ftir  Schliche  Aus- 
bildung; einen  Teil  der  lotztorn  bilden  die  Kunstklassen.  Der  ünter- 
richt  wird  in  halbjährlichen  Kursen  erteilt  und  findet  an  den  Werk- 
tagen in  Tages-  und  Abendstunden  statt;  die  Aufnahme  der  Schüler 
erfolgt  in  der  Regel  am  Anfange  jeden  Semesters.  Bei  der  Auf- 
nahme in  dio  untere  Abteilung:  wird  verlangt,  daß  der  Schüler  das 
14.  Altersjahr  zurückgelegt  und  eine  ordentliche  Volksschulbildung 
erlangt  habe.  Für  die  Aufnahme  in  die  obere  Abteilung  ist  das 
zurückgelegte  15.  Altorsjahr  imd  die  Erfüllung  des  Lehrzieles  der 
untern  Abteilung  nötig.  Angehörige  dos  Handwerkes  und  der  Ge- 
werbe, die  diesen  Anforderungen  nicht  entsprechen,  können  jedoch 
zur  Teilnahme  an  einzelnen  Fächern  der  obem  Abteilung  zugelassen 
werden,  wenn  sie  das  18,  Altersjahr  zurückgelegt  haben  und  zum  Be- 
suche der  betreffenden  Klasse  reif  sind. 

Der  Unterricht  an  der  Allgemeinen  Gewerbeschule  ist  iment- 
geltüch,  ausgenommen  für  diejenigen  Schüler  der  Kunstklassen,  die 
dieselben  nicht  zum  Zwecke  der  gewerblichen  Berufsbildung  be- 
suchen; diese  haben  je  nach  Fächern  und  Stundenzalil  per  Semester 
ein  Schulgeld  Yon  10  bis  50  Fr.  zu  bezahlen.  Alle  andern  Schüler 
entrichteii  zum  Zwecke  der  Sicherung  eines  regelmäßigen  BosnclieB 
«m  Anfüge  eines  jeden  Semestois  ein  Haftgeld,  das  ohne  Sttcksioht 
anf  die  Stnndenzahl  nnd  die  XVeher  fflr  die  untere  Abteilung  4  Fr., 
fflr  die  obere  8  Fr.  beträgt.  Dieses  Haftgeld  iriid  denjenigen  Schfllem, 
die  den  üntenicht  regelmäßig  besucht  haben,  am  Ende  des  Semesten 
jEurftokeiststtei 

Die  UntemchtsfiGher  der  untern  Abteilung  sind:  Sdixeiben  und 
Aufsate,  Arithmetik,  Geometrie^  Bundschiift,  Geometiisches  Zeiohnen, 
Blachomament  und  Gipsaeicbnen;  diejenigen  der  obem  Abteilung: 
Frojehüonaseiöhnen,  Schattenlehre,  Stereometrie,  Algebra,  ICechanilc, 
Ifaschinenlehze»  Technologie^  Fhyäk,  Chemie,  Buchführung,  gewerb- 
liches Beohnen,  praktische  Geometrie  und  Feldmessen,  Perspektive, 
Baumaterialienlehre,  fiaustatik,  Bauformen-  und  Stillehre,  Kunst- 
geschichte, Heisong  und  Tentilation,  Fnchaeichnen  fiLr  die  verschie- 
denen Bernfsarten;  Omamentseiohnen,  ornamentales  Gipszeichnen, 
Skissieren  nach  der  Natur,  omamentale  Formenlehre,  Holz-  und 
Kaimorimitation ,  Schriftzeichnen  und  Malen,  dekoratives  Malen, 
Aquarellmalen;  figürliches  Gip?zoichnen,  figürliches  Skizzieren,  Zeichnen 
und  Malen  nach  dem  lebenden  Modell,  Anatomie,  Aktzeichnen.  Model- 
lieren, Ilolzbildhauen  für  Schreiner,  Möbelpolstem  für  Tapezierer, 
Handverf^oldon  für  Buchbinder,  praktische  Übungen  für  Spengler; 
Porzeilan-  und  ölmalen  für  Damen. 


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WimswAi»:  Dm  SoInlweND  d«8  Xnlons  BveMadt 


37 


Der  Unterricht  wurde  im  letzten  Schuljahr  von  51  Lehrern  er- 
teilt, von  denen  einige  dem  l^ehrpersonal  anderer  Schiüanstalten,  die 
meisten  jedoch  dem  Gewerbestand  angehören.  Die  Schülerzahl  be- 
trug im  Sommersemester  1048,  im  WinteiBemester  1365;  sie  ist  in 
den  letiElen  Jahren  infolge  der  gedrückten  Geschliftslage  etwas  zurück- 
gegangen.  Bie  Sdinle  stellt  unter  der  Leitimg  eines  Dixektore. 

Schon  seit  lingeier  Zeit  wird  von  den  Behörden  eine  Beoigani- 
sation  der  Anstalt  geplant;  ee  soll  derselben  nimlioh  die  allgemeine 
büigerliche  Forfbildongsscfanle  eingegliedert  werden,  die  von  allen 
Schfllem  des  Esntons,  die  eine  bestimmte  Klasse  der  Volks-  oder 
Mittelschnle  nicht  erreicht  haben,  besucht  werden  mufi.  Jetzt  ist  die 
Forä>ildnng88chnle  nur  für  die  zwei  Landgemeinden  des  Kanton» 
Baselstadt  obligatoiiBch,  für  die  Stadt  bestehen  bloß  freiwillige  Fort- 
büdnngskurse,  die  nnr  mäßig  stark  besucht  werden. 

An  dieser  Stelle  sollen  anch  die  Handarbeitsschnlen  für 
Knaben  erwfihnt  werden.  Bieseiben  sind  nicht  eine  rein  staatliche 
Einrichtung^  sondern  werden  Ton  einem  Verein,  der  Ton  seinen  lOt-^ 
g^edem  Beiträge  bezieht  organisiert;  sie  stehen  aber  unter  staat> 
licher  Aufsicht,  und  die  Kosten  werden  auch  zum  größten  Teil  vom 
Staat,  der  letztes  Jahr  an  dieselben  20000  Fr.  bezahlte,  bestritten.. 
Die  Handarbeitsschule  will  die  Lemschule  ergänzen  und  den  Zog- 
lingen  Gelegenheit  zur  Erwerbung  und  Förderung  manueller  Fertig- 
keiten geben.  Außerdem  will  sie  auch  ein  Hort  für  viele  arme 
Knaben  sein,  die  an  den  icalten  und  dunkeln  Winterabenden,  bevor 
die  Eltern  nach  Hause  kommen,  sonst  kein  warmes  und  erhelltes 
Stübchen  finden  könnten.  Anmeldungen  gingen  letztes  Jahr  von 
1397  Schülf-m  ein,  von  <lonon  1223  Aufnahme  fanden;  diese  wurden 
in  38  Kart«innaire-.  2:5  Hobelbank-  und  2  Kerbschnittklassen  von 
47  Lehrern  untemchtot.  Der  Unterricht  wird  in  den  Monaten 
Oktober  bis  Miirz  in  den  Abendstundon  von  5 — 7  Uhr,  am  Mittwoch 
auch  in  den  Xachmittagstunden  erteilt 

Die  Frauenarbeitsschule  hat  nach  dem  Gesotz  die  Aufgabe, 
Frauen  und  Mädchen  durch  theoretischen  und  praktischen  Unterricht 
in  den  weiblichen  Handarbeiten  und  in  der  Führung  eines  Haus- 
wesens für  den  häuslichen  Benif  oder  für  den  Erwerb,  sowie  Arbeits- 
lehrerinnon  und  Lehrerinnen  für  Koch-  und  Haushaltungsschulen 
gründlich  auszubilden.  Der  Unterricht  wird  in  Kursen  von  sechs 
Monaten  erteilt  und  findet  an  Werktagen  in  Tages-  und  Abend- 
stunden statt  Zur  Aufiiahme  ist  das  15.  Altersjahr  und  der  Besitz 
derjenigen  Kenntnisse  eiforderlioh,  die  in  einer  guten  Yoltochule 
erworben  werden  können.   Nach  Beendigung  eines  Euzses  erh&li 


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38 


jede  SohOleim  eiii  eohiifdiohes  Zeugnis  Uber  Betragen,  Fleiß,  Fort» 
«cliritt  und  Leistung.  Die  Sdiflleiinnen,  die  beabsichtigen  das  Examen 
«]s  Aibeitslehrerinnen  zu  machen,  müssen  bei  ihrem  Eintritt  die 
5.  Klasse  der  Töchterschule  oder  die  4  Klasse  der  Sekundärschule 
nebst  Fortbildungsklasse  oder  eine  gleichwertige  Schule  mit  Erfolg 
besucht,  also  9  Schuljahre  durchgemacht  haben.  In  der  Fnuen- 
aibeitBschule  sind  fOr  sie  Weißnihen  und  Flicken,  Maschinfflinlfliftn, 
Kleidermachen,  Wollfach  und  Weißsticken,  Geeundheitslehre,  Methodik 
des  Arbeitsuntemchts  unft  Pädagogik  obligatorisdL  Die  Schülerinnen 
der  Kodi-  und  Hanshaltungsschule  erhalten  außer  im  Kochen,  üntei^ 
rieht  im  Waschen,  Flicken,  GlStten,  Rechnen  und  Buchfahrung,  Ge- 
eundheits-  und  Krankenpflege;  diese  Fächer  sind  für  sie  obligatorisch. 
Für  den  ^Mittagstisch  und  den  Nachmittagskaffee  bezahlen  sie  per 
Semester  ein  Kostgeld  von  80  "Et,  Im  übrigen  ist  der  Unterricht  in 
allen  Fächern  unentgeltlich;  dagegen  sind  die  Kosten  Ittr  Arbeits-^ 
■Schreib-  und  Zeichenmateiialien ,  Nähmaschinen  usw.  von  den 
-Schülerinnen  zu  tragen. 

Der  Unterricht  erstreckt  sich  auf  folgende  Fächer:  Weißnähen 
(Handnähen);  Maschinennähen;  Kleidermachen;  Weißsticken;  Bunt- 
stickon;  Filet-,  Häkel-,  Knüpf-,  tStrick-  und  REihmenarbeiten  (Woll- 
fach); Flicken,  Verstechen  und  Stopfen:  Glätten;  Putzmacheii:  Zeiohnen; 
Rechnen  und  Buchführung;  Pädagogik;  Methodik;  (xesundheitslehre  unii 
Krankenpflege;  Koch-  imd  Haushai t im gskunde :  djizu  Lingerie:  Flicken, 
Zuschneiden  und  Fertigen  von  Weißzeug,  sowie  Kleidersclmitt  in 
Abendkursen.  —  Die  Lehrei"schaft  zählt,  abgesehen  von  den  Ge- 
hilfinnen in  den  Abendkursen,  26  weibliche  und  4  männliche  Lehr- 
kräfte. Der  Zudrang  zu  dieser  Schule  wird  von  Jahr  zu  Jahr  größer; 
sie  zählte  im  Summersemester  1902  1072  Kursteilnehmeriunen  und 
"251  Schülerinnen  in  den  Abendkursen;  im  Wintersemester  1902/03 
1234  Kursteünehmerinnen  und  302  Schülerinnen  in  den  Abendkursen. 
Die  Anstalt  steht  unter  der  Leitung  eines  Vorstehers,  der  sie  vor 
ungefähr  25  Jahren  in  bescheidenen  Anfängen  mit  Hilfe  der  GeseU- 
echaft  des  Guten  und  Gemeinnützigen  ins  Leben  gerufen  hat 

Fttr  die  Überwachung  und  Bildung  der  Euider  im  Torschul- 
Pflichtigen  Alter  ^d  die  Kleinkinderanstalten  eingerichtet 
worden,  die  teils  staatlicher,  teils  privater  Katur  sind;  die  letstem 
•stehen  unter  der  Obsorge  der  gemernntttsigen  Gesellschaft  In  den 
-staatlichen  Anstalten  befanden  sich  Snde  Dezember  1902  in  39  Ab- 
teilungen 882  Knaben  und  884  Ifidchen  unter  21  Lehrerinnen  und 
18  Gehilfinnen;  die  Leitung  ist  einer  Inspektorin  übertragen.  Die 
privaten  Anstalten  mit  33  Abteilungen  sShlten  696  Knaben  und 


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Wextebwald:  Daa  Soholwesen  des  Kantons  Baselstadt 


39 


770  Mädchen;  sie  wurden  von  34  Lehrerinnen  geleitet;  sechs  diesw 
Schulen  erheben  ein  Schulgeld  von  5  bis  40  Rappen  per  Woche. 

Für  die  Erziehung  und  Beschäftigung  verwahrloster  Knaben  und 
sjugencllich  Bestrafter«  besteht  die  RettuiiETsanstalt  Klosterfiechten, 
ungefalir  eine  Stunde  von  der  Stadt  am  Abhang  des  Bruderhoiz  ge- 
legen.   Mit  der  Anstalt  ist  eine  ziemlich  ausgedehnte  Landwirtschaft 
verbunden.    Die  Leitung  ist  einem  Hausvater  übertragen,  der  auch 
der  Liindwirtsciiaft  voiNteht  und  mit  einem  Lehrer  den  Unterriclit 
und  die  Beaufsichtigung  der  Zöglinge  besorgt.    Die  Ansttdt  zählte 
am  Jahresschluß  22  Knaben.    Von  den  im  Laufe  des  Jahres  Auf- 
genommenen gehörten  7  zur  Kategorie  der  Verwahrlosten,  2  waren 
»jugendlich  Bestrafte«,  2  wurden  aufgenommen,  um  sie  der  Miß- 
handlung durch  ihre  Eltern  zu  enrzielien.    Von  den  Ausgetretenen 
wurden  7  in  Lehren  untergebracht,  3  kehrten  ins  Elternhaus  zurück, 
2  wurden  weiter  versorgt.  Die  Aufsicht  über  die  Ketlungsanstalt  ist 
einer  Kommission  übertragen,  die  auch  anden^^itigü  Versorgungen 
leitet  und  überwacht  In  einer  großen  Stadt  wie  Basel  gibt  es  leider 
immer  rerwilizlosfe  odor  sittlich  gefährdete  Kinder,  die  aus  den 
dffentlichen  Scholen  entfernt  werden  müssen;  Tiele  derselben  werden 
doieh  die  genannte  Kommission  in  Etonilien  des  Kantons  Baselland- 
schaft,  andere  in  auswärtigen  Anstalten  untergebracht  Von  den  am 
31.  Deeember  1902  aoßerhalb  der  kantonalen  Bettnngsanstalt  yer^ 
sollten  Kindern  gehörten  2  dem  Kanton  Baselstadt,  15  dem  Kanton 
BaswUandschaft,  25  andern  Kantonen  und  23  dem  Ausland  an.  Die 
staatlichen  Aufgaben  fOr  auslfindisohe  Yersorgongen  betrugen  3850  Fr. 

Neben  der  staatliohen  Kommission  besteht  noch  die  Yersorgungs- 
komnussion  der  Oesellsohaft  des  Guten  und  OemeinntLtzigen,  die  auf 
dem  Gebiet  des  V'ers<»gungswesens  gans  Bedeutendes  leistet 

Büne  staatliche  Yersoigungsanstalt  ffir  Terwahrloste  Mädchen, 
wofür  die  im  Jahre  1896  anläßlich  der  Pestalozzifeier  ins  Leben  ge- 
rofene  FestalozzigeseUschaft  die  InitiatiTe  eigrifien  und  finanzielle 
Mittel  gesammelt  hat,  ist  im  Entstehen  begriffen. 

(Sohliiß  folgt) 


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1.  Der  Begriff  der  Harmonie  bei  SoMller 

Von  Dr.  Sasanna  Bubinsteia 

Schiller  behielt  das  Wesen  der  Antithese,  des  Gegeontzes,  stets  im 
Blickpunkte  seines  Bewußtseins,  er  sah  es  alle  Erscheiniingeu  durchziehen 
und  drückte  diese  seine  Anschaimng  sowohl  in  seinen  poetischen  Schöpfungen 
als  in  seinen  kulturphilosophischen  Abliaudlnngon  aus.  Zwei  seiner  her- 
▼orragendsten  Gedichte,  das  Gedicht  »Das  Ideal  und  das  Leben<|  das  aeine 
phfloeophisoheD  Orundgedaakeii  enthSlt,  vnd  das  gcachlechtB-pqrcfaologiBobe 
Gedicht  »Würde  der  Fkauen« ,  sind  inhaltlioh  und  formal  ganz  in  der 
Antitbeae  beaohlosseo.   Er  aiogt  im  ersten: 

»Wenn  der  Menschheit  Leiden  eooh  vmCngai» 

Wenn  Laokoon  der  Schlangen 

Sich  erwehrt  mit  namenlosen  Schmerz, 

Da  empört  sich  der  Mensch  tc 


»Aber  in  den  heitern  Regionen, 
Wo  die  rfinen  Formen  wohnen, 

Rauscht  des  Jummer^  trüber  Sturm  nicht  mehr«  usw.  usw. 

und  im  zweiten: 

»In  der  Männer  Herrschgebiete 
Gilt  der  Stärke  trotzig  Recht.« 


»Aber  mit  sanft  überredender  Bitte 

Führen  die  Frauen  den  Zepter  der  Sitte«  usw.  usw. 

Schiller  spricht  direkt  die  Überzeugung  aus,  daß  in  der  Reibung::  dos 
Gegensatzes  die  Triebknift  der  Entwicklung  läge.  »Der  Antagonismus  ist 
das  Instrument  der  Kultur.«  Er  ist  das  Instrument  der  Kultur,  weil  er 
jeden  Partner  zur  Abstreifmig  des  Schroffen,  zur  Fortbewegung  ins  Al- 


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1.  Der  Begriff  der  Hanuoaie  bei  Schüler  41 


truistische  antreibt,  und  das  Endziel  davon  ist  die  konsolidierte  verstärkte 
Kraft  in  der  Harmonie.  Schiller  hegte  auch  die  Überzeugung,  daß  die 
ideelle  Potens  der  Haimooie  als  kosmogoiuBch-QfÜusohe  Knft  im  Weltbilde 
zersplittert  sei,  und  die  EinigiiDg  mit  diesem  Kitt  ist  die  Krönung  aller 
dualistischen  Uniuho.  Diese  Ansicht  vertritt  Schill»  in  seiner  Theosophie 
(philofi.  Briefwechsel  zwischen  Julius  und  Baphael). 

I.  Die  Ethik 

Die  zwei  küuträreu  Faktoren  deren  Auflösung  in  Harmonie  die  wich- 
tigstea  und  edelsten  0fiter  der  Menschheit,  ja  den  gansen  Bestand  der 
Kultur  bildet,  sind:  Sinnlichkeit  und  Temunft  Denn  aus  der  VeieiaigaDg' 

dieser  Faktoren  entstammt  die  Ethik  und  die  Ästhetik.  Diese  zwei  philo- 
sophischen Gebiete  sind  auch  diejenigen,  welche  Schillers  Geistf^swelt  1»^- 
herrschen.  Sie  sind  ihm  die  nächsten  und  wichtipston.  vreil  sie  tief  urnl 
bestimmend  im  Menschenwesen  eingreifen.  L'ud  Schiller  ist  ebenso  leblmft 
fflr  die  anthropologische  Welt  interessiert,  wie  Qoethe  für  die  koemische. 
Schiller  bat  seinen  Frasdierblidc  suvOrderst  nach  innen,  Goethe  nadi  auBen 
gerichtet.  Nicht  bloß  abstrakt  reflektierend,  sondern  mit  einer  Weihe  des 
(femütes  wie  bei  einem  Priesterdienst,  konstruiert  Schiller  seine  ethisch- 
ästhetischen  L<^hren.  In  den  Yerschiedenon  philosophisclien  Althandlungen, 
in  denen  er  diese  auseinander  setzt,  verfolgt  er,  als  das  Z^  ntnile.  den  Ge- 
danken, daß  Sinnlichkeit  und  Vernunft,  Neigung  und  Pflicht,  sich  im 
Wesen  der  Btbik  sur  Harmonie  auflösen.  Es  g&be  kein  GefOhl  der  Be- 
friediguug,  der  Lust  beim  sittliohen  Handeln,  wenn  sur  Maxime  der  Ver^ 
nnnft  nicht  die  Sinnlichkeit,  wenn  zum  Pfliditgebot  nicht  die  Neigung 
sich  beigesellte.  Mit  der  Anerkenming  des  sinnlichen  Elements  in  der 
Begriff l»est im mung  der  Moral,  tritt  Schiller  dem  Rigorismus  seines  Meisters, 
Kaut  entgegen.  Der  Königsberger  Weise  foi-dert  drakonisch,  daß  man  dio 
Pflicht  einzig  nur  ans  Pflichtgebot  flbe  und  entscheidet,  dafi  die  Neigung 
tat  Pflicht  der  Imperativischen  Macht  derselben  Eintmg  tue.  Die  Neigung 
zu  einer  Tat  hebt  ihren  sittlichen  Wert  auf.  Man  kOnnte  darin  einen 
Anklang  an  den  theologischen  Begriff  des  Opfers  finden,  an  der  Idee,  die 
in  allen  Religionsfornien  wiederkehrt,  daß  in  der  Selbstüberwindung  und 
KasteiuDg,  auch  in  der  grausamsten  und  unsinnigsten,  ein  Verdienst  läge. 
Doeh  hat  diese  strenge  Trennung  von  Neigung  und  Pflicht  bei  Kant  vicd- 
leieht  den  Qrund  in  dem  Mechanismus  seines  Systems,  da  er  scharf  die 
Sphäre  der  Sinnlichkeit,  also  dio  Sphäre  der  Zwecke  und  des  Bot:'  hrens, 
von  der  intelligiblen  Sphäre  der  Ideen  und  der  Freiheit  —  in  der  dio 
Moral  wurzelt  —  auseinander  hält,  so  zeigt  sieh  auch  keine  Bkmko  fiur 
einen  möglichen  Wechselverkehr.  Die  beiden  Sphilren  sind  abgeschnitten, 
und  der  bescluänkto  L  utertaneuverstand  sucht  mit  rechter  Verlegenheit 
die  Konkordans  su  einer  Persönlichkeit  zu  finden.  Schiller  schöpfte  aus 
zwei  RichtuDgeo  die  Überzeugung  —  mit  der  er  Kant  entgegentrat  — 
daß  den  Oeistesfimktionen  unentwegt  ein  sinnliches  Element  beigemischt 
sei:  er  schöpfte  sie  einmal  atis  seiner  künstlerischen  Tätigkeit,  und  ratio- 
neller aus  seinen  medizinischen  Studien.  Diesen  verdankt  man  dio  zwei 
Abhandlungen,  in  denen  er  das  Substanziale  des  reciproken  Verhältnisses 


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42 


Mitteilungen 


von  Ijcib  lind  Geist  erörtert:  I.  die  »Philosophie  der  Physiologie <  ,  und 
II.  ȟber  den  ZusammeDhang  der  tieriechea  Natur  des  Menschen  mit  seiner 
geistigen,«  Giog  ffir  Kant  die  Notwendigkeit  sa  seiner  impentiTeii  Fonn 
▼OD  seinem  Geisteswerk  ans,  so  efgab  sich  für  Soihiller,  dss  Axiom  der 
Vereinheitlichung  beider  Faktoren,  als  Frucht  seiner  Geistesarbeit  Wenn 
er  in  jenen  Dissertationen  SJätze  durchführt  wie  diese:  daß  »die  mensch- 
licho  Vdllkommenhoit  in  der  vollsten  ('bucg  der  Kräfte  und  ihrer  wechsel- 
seitigen Unterordnung  bestellen  müsse,«  und:  »die  tierische  Empfindung 
von  Lust  und  Schmerz  dient  nicht  aUein  der  Erhaltung  des  psychischen 
Lebens,  sondern  hilft  auoh  das  innere  Urwerk  des  Geistes  in  Gang  bringen« 
—  so  wurzelt  schon  in  diesen  Arbeiten  seiner  Jugendzeit  die  Ansicht  von 
der  Coordination,  die  später  als  gezeitigte  Frucht  der  Kttngehalt  seiner 
ethischen  und  ästhetischen  Prinzipion  wurde. 

Kants  kategorisches  Sollen  drückt  eigentlich  ein  Jocli  auf  das  Gemüt 
auf,  es  zwingt  ihm  die  Tugend  auf,  und  damit  hat  er  ja  ihre  Abstammung 
ans  der  BVeiheit  enohtttfeert  Zwischen  der  imperativen  Foim  nnd  der 
Idee  der  Freiheit  eigibt  sich  dne  unansweichlidie  Kollision.  Geht  aber 
die  Sittlidürait  nicht  frei  und  unmittelbar  aus  dem  Ganzen  hervor,  so  in- 
häriert  sie  auch  nicht  der  "Wasensbeschaffenheit,  so  ist  sie  Disziplin,  und 
so  gibt  es  auch  keine  Bürgschaft,  daß  man  ihr  nicht  bei  guter  Gelegenheit 
entschlüpft  »Der  bloü  niedergeworfene  Feind  kann  wieder  aufstehen, 
aber  der  veisOhnte  ist  wahrhaft  überwunden.«  Und  bloß  niedergeworfen 
ist  die  Sinnlichkeit  dnroh  den  kategorischen  Imperativ,  versöhnt  ist  sie 
durch  die  Neigung  zur  Pflicht  Das  Dokument,  in  dem  Schiller  am  ein- 
gehendsten das  Problem  der  hamionisehen  Auflösung  von  Sinnlichkeit  und 
Vernunft  in  der  etliischen  Gesinnung  behandelt,  und  in  dem  er  gegen 
Kants  Higidität  in  Aktion  tritt,  ist  die  Abhandlung  über  »Anmut  und 
Würde«.  >Der  Mensch  darf  nicht  nur,  sondern  er  soll  Lust  und  Pflicht 
verbinden;  er  soll  seiner  Vernunft  mit  Freaden  gehorchen.  Nicht  um  sie 
wir  eine  Last  wegzuwerfen,  oder  wie  eine  grobe  HüUe  absnstreifen,  nein, 
um  sie  aufs  innigste  mit  seinem  höhern  Selbst  zu  vereinbaren,  ist  seiner 
reinen  Geistesnatur  eine  sinnliche  beigemischt«  Die  Auflösnntr  dieser 
beiden  Extreme  in  üannonio  begreift  also  die  echte  und  wahre  Sittlichkeit 
in  sich.  Und  wo  diese  ÜbereinstimmuDg  —  die  Übereinstimmung  von 
Neigung  und  Pflicht  —  besteht,  da  bewAhit  sich  audi  ein  ethischer  Sinn 
durch  die  ganze  LebensfOhrnng.  Wfthrend,  wenn  man  immer  wieder  zur 
Vernunft  Rekurs  haben  muß,  wenn  man  von  Fall  zu  Fall  bei  dem  Morali» 
t&ts-Codex  anfragen  muß,  sich  nur  abgezwackte  Tugendhandlungen  orgeben 
können.  Wo  aber  j*Mie  beiden  Prinzipien  im  Einklang  verschmelzen,  da 
ist  die  »vollendete  Menschheit«:  erstanden ;  liarmouie  ist  die  krönende 
Vollendung  einer  Entwicklung.  Und  nur  auf  dieser  Stufs,  wo  sanft  und 
eben  die  beiden  Richtungen  zusammeofliefien,  kann  andauernde  Selbst» 
Verleugnung  und  aofoplerDde  Werktätigkeit  mit  heiterer  Ruhe  geübt  werden. 
Dieser  Zustand  der  unmittelbaren,  freien  Harmonie  bildet  das  Wesen  der 
»schönen  Seele«.  Die  ^ schöne  Seele«  ist  der  Adelsmensch,  in  der  Über- 
einstimmung von  Natur  und  Oesetz  gelangt  bei  ihr  die  Totalit&t  zur  Eot- 
wioklung. 


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1.  Der  Begriff  der  HarmoDie  bei  Schillor 


43 


Wie  kann  aber  die  Auflösung:,  der  doch  auch  andrerseits  petrenntea 
und  heterogeiiea  Elemente  bewirkt  werden?  Die  jS'oigung  entötammt  der 
SumBohkeit,  das  Sittengesets  —  das  Oeseti  durch  desaea  Befolgung  der 
Mensdi  in  ncfa  selbst  die  Menschheit  ehrt  —  gehflrt  der  fibersiiiolioheii 
Yenimftrej^fili  an,  was  bringt  nun  die  Annäherung  zu  stände?  Wodtirch 
werden  Neigung  und  Pflicht,  Siunlichkeit  und  Vernunft  vereinigt?  Durch 
Zucht  Aber  nicht  durch  eine  occasionalistische  Zucht,  wie  es  Kants  Pflicht- 
begriff  in  sich  schließt,  der  bei  jedem  Anlaß  herbeigezogen  werden  soll, 
Bondttn  durch  eioa  ratioiMlIe  Zucht,  unelehe  dem  Qamttts  fOr  immer  die 
Ptfge  gibt  ESb  boU  die  pidagogiadie  ISnwirkaiig  eines  MitHeren  sein. 
Dieses  Mittlere  soll  die  Sinnlichkeit  so  rektifizieren,  daft  sie  Kioh  als  gi^ 
fügiges  Korrelat  dem  übersinnlichen  anschließt.  Dieses  veredelnde  Mittlere 
ist  das  Schöne.  Das  Schöne  leitet  das  Gemüt  zum  Übersinnlichen,  und 
in  dieser  reinen  und  verklärten  Stimmung  verstummt  die  Lockung  des 
l^iedrigen,  weicht  die  Beechräokung,  und  die  gesetzmäßige  Kraft  der  Yer- 
nnoft  ivird  Uaier,  man  kommt  dem  Erkennen  nlher,  und  dabei  erlangt 
auch  das  Gefühl  die  Eignung  intuitiv  dem  Sittlichen  zuzustreben.  »Nur 
durch  das  Morgentor  des  SchOnen  drangst  du  in  der  Erkenntnis  Land.c 
Und  das  Schöne,  die  Kunst,  ist  »die  Gütige,  die  deine  Jugend  in  hohen 
Pflichten  spielend  uutenvips.  und  das  Geheimnis  der  erhabenen  Jugend  in 
leichten  Kätseln  dich  erraten  ließ«.  In  der  didaktisch -theoretischen  Ver- 
schmelzung des  Schfioen  mit  dem  Sittlichen  sind  offenbar  Stxahluogen  ans 
dem  Geist  der  Antike  eiDgegaogen.  SchiUen  ganae  Isthetisch  -  ethiche 
SanoOi  wie  er  ihn  eintrohender  in  den  Briefen  >über  ästhetische  Er- 
ziehung« entwickelt,  besteht  aus  einem  aus  den  Studien  der  Antike  assi- 
milierten UD<1  7Air  Bhite  ausiiTf^fifteii  Keim.  Das  Wesenliafte,  der  Grund- 
kern dieses  Kanons,  bildet  das  xuAoyxayadoy^  das  griechische  »Schöngute«. 
Der  Begriff  des  Sofaflngatoi  ist  anoh  in  SdiiUsrs  »achfiner  Seelec  anthrcqpo- 
morphisiert  Das  Wort  ist  in  ihr  Fleisdi  nnd  BInt  gewKMden.  Man  mag 
-vielleidit  auch  nicht  fehl  gehen,  wenn  man  in  Schillers  ganzer  und  be- 
herrschender Hinneigung,  die  widerstrebeiuleu  Verhältnisse  unter  dem  Ge- 
sichtspunkt eines  ?>olutioDiBmu8  zur  Harmonie  zu  fasseo,  auf  heilenisoher 
Eio Wirkung  zurückführt. 

Der  Widerschein  der  innem  Harmonie  in  der  äußern  Erscheinung 
bildet  das  Wesen  dw  Anmnt  Anmut  Ist  der  lebendige  Ausdmok  der 
Person,  des  innem  Menschen,  im  Gegensatz  zum  architektonischen  Bau, 
welcher  die  Naturseite  desselben  bedeutet.  Das  Durchbrechen  des  Frei- 
heitsbegriffs der  Vernunft,  auf  dem  Schiller  das  Schöne  wie  das  Sittliche 
V>egrnndet,  ist  auch  Bedingung  der  Anmut.  Wo  die  architektonische  Natur- 
seite  überwiegt,  da  entsteht  Masse.  Die  t schöne  Seele«  bringt  den  An- 
mntssanbar  sur  höchsten  EntEaltung;  wie  sie  frei  und  mit  Leichtigkeit 
die  peinlichsten  Pflichten  llbt,  so  frst  und  gefOgig  sind  auch  die  6e- 
wegongen,  mit  denen  sie  ihre  Antriebe  bekundet.  Eine  »schöne  Seele« 
gießt  selbst  über  eine  mangelhafte  architektonische  Bildung  einen  unwider- 
stehlichen Reiz  aus.  Ja,  socrar  über  Gebrechen  der  Natur  sieht  man  sie 
triumpiiieren.  Die  Person,  oder  das  freie  Prinzipium,  nimmt  es  dabei  auf 
sich,  das  Spiel  der  Erscheinungen  sa  bestittunen.  Der  ionete  Mensch  Ter- 


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44 


UitinhiBgsii 


Sufierfioht  sieh  io  der  LeibÜGlürait,  womit  weiter  die  Zusammen^BhOngkeit 

des  grcistigen  nod  leiblichen  ElementB  dokumentiert  ist.  Von  diesem  aus 
erklärt  sich  Schillers  Äußerung:  daB  >Schuiiheit  eine  Pflirlit  dor  Er- 
soheinunf^«  sei.  Mit  der  Aufliebung  des  Gleichmaßes,  der  Harmonie  der 
beiden  Natnren,  ist  für  Schiller  auch  die  Schönheit  aufgehoben.  Der  Be- 
griff der  Harmonie  hat  bei  ihm  eine  sehr  viel  vertieftere  Bedeutung  ge- 
wonnen als  bei  den  Grieehen,  da  er  nicht  die  naiv  ftoJem  Verhaltnisse, 
sondern  den  anthropologisdi  spekulativen  Ausgleich  der  beiden  Kräfte  be- 
greift. Die  Würde  ist  deshalb  des  Schönhoitszaubers  beraubt,  weil  in  ihr 
das  substanzielle  Gleichmaß  gestört  ist.  Sobald  die  Anmut  in  Würde  über- 
geht —  und  dies  ist  der  Fall,  wenn  sie  einen  Affekt  mit  der  Kraft  der 
Vernunft  bemeistert  —  verliert  sie,  trotz  höhei"er  Dignität,  das  Schöne. 
Bei  der  Wüide»  welche  eine  erhabene  Gesinnung  in  aioh  achliafit,  tiitt 
eine  Venchiebung  zu  Gunsten  der  Vernunft  ein.  Die  Qeeetigebung  der 
Vernunft  kann  mit  der  Gesetzgebung  der  Natnr  in  Widerstreit  geraten, 
wenn  der  Trieb  eine  Forderung  erhebt,  welche  die  Maxime  der  Vernunft 
von  sich  weisen  muß.  Daraus  folgt  das  strenge  Gemüt  der  Würde.  Das 
harmonische  Zusammenfließen  ist  Wohllaut,  ist  herzbezwingender  Zauber, 
die  strenge  Blajefitftt  einer  Juno  aber  entbehrt  des  Gflrtels  der  Anmut 

Wie  bei  der  Würde  so  besteht  such  bei  den  Phftnomeoen  des 
XUubenen  nnd  des  Pathetischen  ein  Vorwiegen  des  Vemunftprinzips. 
Wenn  sie  aber  trotz  verminderten  sinnlichen  Gehalts  dennoch  ästho- 
ti55che  Stimmungen  erzielen,  so  ist  es  hier  die  Gewalt  eines  ethiselion 
Eindrucks,  der  ästhetisch  ausklingt,  weil  er  in  Lust  und  nicht  in 
Pflicht  übergeht.  Beim  Erhabenen  stehen  zwei  Mächte  einander  gegen- 
über, —  das  Objekt  und  das  Gefühl  —  wobei  die  sweite,  neben 
dem  Bewußtsein,  dafi  sie  dar  ersten  unterliegen  müßte,  sich  doch  über 
dieselbe  erhebt.  Als  Giordano  Bruno  angesichts  des  Scheiterhaufens 
sagte:  »Ihr  fürchtet  euch  mehr,  daß  ihr  das  Urteil  über  mich  verhängt, 
als  ich  es  zu  erleiden«  —  so  hatte  er  eine  göttliche  Erliabenheit  gezeigt 
Das  Erhabene  liegt  nicht  im  objektiven  Gegenstand,  sondern  es  liegt  aus- 
schliefilich  im  Gefühl  Es  erweitert  die  Gefühlssphlre  über  die  Sinnen- 
welt hinaus  und  ist  dadurch  tou  stürkerer  Wirkung  als  das  SohOne. 
Dieses  macht  sich  um  den  Menschen  verdient,  >das  Erhabene  aber  um 
den  Dämon  in  ihm<.  Das  Schöne  übt  durch  die  Zusammenstimmung  von 
Sinnlichkeit  und  Vernunft  Reiz  auf  uns,  aber  durch  die  Schönheit  würden 
wir  nie  erfahren,  daß  wir  uns  auch  als  reine  Intelligenz  bewähren  können. 
Beim  Erhabenen  stimmen  Sinnlichkeit  und  Vernunft  nicht  zusammen,  und 
eben  darin  liegt  die  Macht,  womit  es  unser  Gemüt  ergreift  Denn  daft 
hier  gerade  der  physische  Mensdi  TOm  moraliBohen  Menschen  geschieden 
ist,  und  daß  trerade  durch  das,  was  den  erstem  niederwirft,  der  zweite 
seine  Kraft  betätigt,  das  ist  eben,  was  ihn  erhebt.  Der  Mensch  fühlt  sich 
auch  der  ganzen  grandiosen  Machtfülle  des  Kosmos  gegenüber  erhaben, 
sobald  er  zwischen  verheerenden  Elementen  in  resignierter  Freiheit  vor- 
harrt Nach  dem  allen  whrd  im  eriiabenen  Zustand  ein  h(ttieres  Mafi  von 
Freiheit  entbunden  als  im  fistfaetisohen.  Dooh  ist  die  IVeiheit  in  diesem 
letstem  heiterer  Art,  es  ist  ein  amgeglichenes,  boooligendee  Emporachw^ben, 


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1.  Der  Begriff  der  Harmonie  bei  Schiller 


45 


bei  dem  der  Erdendruck  sinkt  und  sinkt.  Das  Freiheitsgefflhl  in  der  er- 
habenen Stimmung  ist  von  einem  tiefernsten  Kolorit;  man  erkonot  das 
Yeniichtende  der  gegenfibentoheiidea  MMdit,  Ist  sich  klar  bewuBt,  ihr  nicht 
bokommea  za  können,  und  wichst  in  seiner  inneni  Mensohlieit  hoher  und 
hoher  über  Welt,  Verhältnisse  und  Leben  hinsot. 

Im  Pathetischen,  dem  dritten  Phänomen  mit  vorwiegender  Yernunft- 
herrschaft,  erweist  sich  die  moralische  Kraft  anders,  nämlich  nicht  durch 
passive  und  entsagende  Gesianungshöhe,  sondern  durch  Widerstand  gegen 
die  finsfeera  Gewalt  des  Leideoa.  Dm  Lddeo,  welches  in  Znstand  des 
Pathos  Teisetst,  ist  ansschliefilioh  seeliacfaer  Art  ünd  der  pathetische 
Znstand  ist  für  die  Kunst  von  sehr  viel  höherer  Wichtigkeit  als  die  beiden 
frühern,  denn  das  Pathos  des  Leidens  ist  der  eigentliche  Nerv  dor  tragi- 
sdien  Kunst  Er  ist  es  auch,  der  das  Mitleid,  das  sympathische  Mitfülilen, 
diesen  großen  dramatischen  Motsor  über  dessen  ethische  Bedeutung  soviel 
geschrieben  und  gedeutet  wurde  —  erweckt  üm  aber  der  Kunstanfmde- 
mng  an  genügen,  mnA  die  ans  dem  Übersinnlichen  gesdiOpfte  Eraft  des 
Widerstandes  gegen  das  Leiden  versinnlicht  werden.  Die  Darstellung  des 
Leidens,  ohne  Darstellung  des  fibersinnlichen  Widerstandes  ist  gemein. 
Das  Pathos  des  Leidens  veranschaulicht  daher  sowohl  die  Marter,  die  an 
jeder  Faser  nagt,  als  auch  die  Macht  des  Übersinnlichen,  dieses  ewigen 
Jungbrunnens,  der  die  Wunden  des  Lebens  heilt,  indem  er  die  Kraft  ver- 
leiht  es  sn  überwinden.  In  dem  im  Leidenspathos  mit  dem  Übersinn- 
Udien  Getränkten  wird  das  Wort  lebendig:  >lfein  Reich  ist  nicht  von 
dieser  Welte,  ünd  dieser  Glorienschein,  der  sich  auf  ihm  niedersenkt, 
bildet  seine  ethische  Schönheit,  Die  dramatische  Dichtung  ist  speziell  das 
Kunstgebiet,  bei  dem  die  ethische  Schönheit  —  also  die  Schönheit  die 
nicht  heitere  Harmonie,  sondern  didaktische  Läuterung  ist  —  Bedingung 
nnd  Zweck  ist,  da  dieses  Eonstgebiet  eine  Sesierung  des  inneni  Lebens  ist 

Bis  ethisiphe  Schönheit,  das  Ealli- Agathon,  bildet  bei  diesen  yw~ 
echiedenen  und  zugleich  homogenen  Kategorien  eine  aussteigende  Reihe: 
Die  Wünle  betont  die  ernste  Strenge  der  Persönlichkeit  gegenüber  den 
Angriffen  der  materiellen  Faktoren;  das  Erhabene  zeigt  die  Person  auf 
einer  noch  hohem  Stufe  der  Freiheit,  denn  sie  wäclist  im  erhabenen  Zu- 
stand Uber  die  Naturgewalten,  die  sie  nicht  einschränken  und  nicht  ab- 
wehren  kann,  hinaus  nnd  erweist  den  DamOn,  den  individnellen  Omndkem 
des  Menschheitlichen;  im  Pathetischen  eiitsiig^  die  Barson,  mit  schwer  ge- 
troffener Seele,  allem  Irdischen,  allen  Verheißungen  und  allen  Bedi-äng- 
nissen  der  Wirklichkeit,  und  gelangt  zur  transzendentalen  Heiligung.  Das 
Pathetische  ist  zumeist  von  tiefer  elegischer  Weise  durchzitiert.  In  den 
swei  Aufsätzen  über  tragische  Kunst  wendet  sich  Schiller,  mit  dem 
Kriterinm  der  Zweckmäßigkeit,  der  Anbahnung  seines  tdedlcgisch  eudlmo- 
nistischen  Scbicksalsbegriffs  au,  in  dem  wieder  alle  wirren  Geschehnisse 
sich  in  harmonischen  Einklang  auflösen.  Die  tragische  Kunst  aktualisiert 
in  einer  Reihe  von  Begebenheiten  den  Kampf  der  geistigen  Natur  mit  den 
sie  bedrängenden  sinnlichen  Hemmungen  un'l  pliysikaiisehen  Nutwcndig- 
keiten.  Zu  den  erstem  gehören  die  Triebe,  Aifokte  usw.  Dab  Mächtigste 
der  zweiten  ist  der  Tod.  Den  tiieoretisch  logischen  Kern  den  Schill« 


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46 


ICttoflnogm 


ans  diesem  Kampf  erweist,  ist  die  moralische  Zweckmäßigkeit.  Jede 
Hemmuug  tendiert  darauf,  die  ilir  gegenüberstehende  Vernuultkiuft  zu 
binden,  diese  waA  daher  ihie  Eneigie  sur  Gegenwehr  steigern.  Du  durch 
das  Zweckwidrige  Terankfite  Leiden  bewirkt  das  Eingrmfeo  des  moralisoh 
Zweckmäßigen,  welches  sich  als  Weltordnung  behauptet  Aus  diesem 
Prozeß  entsprin^l  die  Lust  am  Tmgischen.  Im  Sioc:  des  Zweckmäüipren 
muß  das  moralisch  Mindei wertige  dem  moralisch  Überlegenen  unterliegen. 
Das  Weltgericht  trifft  Zuchtwahl.  Die  Träger  aber  der  im  Kampf  be- 
giiffeuea  Prinzipien  gehen  unter,  weil  sich  jedes  Prinzip  als  xa  eng  ei^ 
weist,  um  das  ganse  Konvolut  dier  Lebensanlorderangen  m  decken.  Doch 
die  moralisohe  Zweokmäfii^eit  Ueibt  als  BegolatiT  des  Widtgesdhehens 
fortbestehen. 

Schiller  heg^e  eine  teleologisch  eudämouistische  Weltanschauung,  die 
^erseits  dann  lag,  daß  die  Idee  der  Innern  Freiheit  für  ihn  in  Blut  und 
Leben  überging;  die  Philosophie  war  für  ihn  nicht  eine  abstrakte  Theorie, 
sondern  sie  venohmok  mit  seinem  Sein.  AndrerseitB  wird  es  ihm  wahrschdnlich 
anoh  nicht  so  schwer  gewesen  sein  mit  seiner  wunderbar  reichen  Phantasie 
über  das  Leidensgewirr  der  Erde  in  blauen  Zenit  emporzuscbweben.  Seine 
Ansicht  vom  Weltgericht  ist  die  eines  die  Universalität  umfassenden  Harmonie- 
Akkords.  Je  mehr  man  sich  aus  der  Beengung  des  Weltterrains  heraus- 
hebt, je  höher  man  aufsteigt,  je  mehr  der  Gesichtskreis  sich  ausbreitet, 
nm  so  radikaler  verlflsdien  in  der  seit-  und  aferlosoB  Flut  die  Oegensltze 
Ton  Glfid[  und  Jmnmer,  von  Hüerfolg  te  Yerdieoslies  und  ErhU&ung 
Unwflidigeri  und  alle  diese  ünbill,  die  Hamlet  so  bitter  scharf  an&Shlt  — 
und  eine  harmonische  Einheitlichkeit  luht  über  das  Weltpanorama. 

Das  ist  wohl  die  Anschauung  eines  Dichters,  der  lM?i  Zeus  im  Olymp 
ätzt  und  dabei  die  tausendfachen  Geißel,  die  blutig  und  brennend  das 
Leben  lerfleiBoheQ,  «os  dem  Auge  verlor. 

Zwei  Stellen  bei  Schiller  bieten  eme  auareiobende  Erkttrong  über 
die  Prämissen,  aus  denen  sich  bei  ihm  diese  Anschauung  gestaltete;  in 
der  einen,  die  eine  Outheißung  des  Bösen  zum  Zwecke  der  Auslese  des 
Guten  ist,  sagt  er:  daß  der  Sündenfall,  >der  das  moralische  Übel  in  der 
Schöpfung  brachte,  aber  nur  um  das  moralische  Gute  darin  möglich  zu 
machen,«  sei  ohne  Widerstreit  »die  glücklichste  und  größte  Begebenheit 
in  der  Menscbengeschiditec.^)  Die  sweite  Stelle  befindet  sich  in  einem 
Brief  an  Karoline  v.  Beulwitz.  Schiller  schreibt  ihr,  dafi  er  eane 
äußere  und  innere  Wahrheit  der  historischen  Auffassung  anerkenne.  Bei 
der  äußern  Walirhcit,  die  sich  das  Gegebene  in  treuer  Empirie  aneignet, 
muß  naturgemäß  die  Erforschimg  des  Einzelnen  vorwiegen.  Die  innere 
Wahrheit  geht  bei  der  Erforschung  nach  dem  allgemeineu  und  dem  ideollen 
Prinzip  der  kansalen  GesetsmäUgkeit  und  humonisohen  Durohdringtmg 


*)  Etwas  ttber  die  eiste  UensoheDgeedböhaft  naxlk  dem  Leitfaden  der  mosai' 
sohen  Ürkunde.   In  ähnlicher  Weise  äußerte  sich  übrigen.s  auch  Shaftesbnry, 

mit  dem  sich  Schiller  in  seiner  vorkautischon  Zeit  viol  hoscliäfti^to:  er  sa^rtt»: 
»Dient  das  Übel  eines  besoudem  Systems  zum  Besten  eines  andern,  so  ist  es  kein 
absolutes  ÜbeLc 


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1.  Der  6^;riff  der  Harmonie  bei  Schiller 


47 


der  verscliie<lenen  Momente,  und  ist  das  Ideal,  dem  alle  wirkliche  Forsohuog 
sich  nur  aanähera  kann. 

In  der  ümeni  Wahilieit  also  und  in  der  Opemtioa  mit  der  Allgemein- 
heit, wandelten  Bioh  fOr  SohiUer  die  kreischenden  WetttOne  in  eine,  die 
Divecgenflen  »naammeneohmeibende  Harmonie  nm. 


me  die  antithetische  Schrift  »Aber  Anmnt  nnd  WOidec  den  Grund- 
stock von  SchiUers  ethischer  Theorie  enthilt,  von  dem  Ataeenker  in  seinen 

andern  Abhandlungen  verteilt  sind,  so  biigt  seine  fweite  antithetische 
Arbeit,  die  tüber  naive  und  scntimentalische  Dichtunf^',  den  Kerngehalt 
seiner  kulturasthetischoii  Botrriffo.  Die  beiden  Gebiete,  das  ethische  und 
ästhetische  Gebiet,  greifen  in  Schillers  Geisteswelt  so  stark  ineinander, 
daß  sie  eine  Gestalt  mit  zweiiachem  Jauuskopf  sind,  da  beide  einem  und 
demselben  autonomen  Prinrip^  dem  Prinzip  der  Freiheit  entstsrnmeo.  Die 
von  Kant  eingeeetste  ethische  Antonomie,  »das  bestimme  doch  ans  dir  selbet«, 
das  den  Menschen  zum  Machthaber  seiner  sittlidieo  Verantwortung  erhebt, 
hat  Schiller  nicht  nnr  adoptiert,  aber  auch  zum  Erklärungsgrund  des 
Schönen  erweitert.  Schönheit  ist  Freiheit  in  der  Erscheinunfir.  D.  h.  im 
sdiünen  Objekt  stimmen  die  Teile  so  harmonisch  zu  beiueiu  Typai»,  daß 
ihm  autonome  Bestimmung  suppooieit  werden  kann.  In  diesem  Er- 
USrungsgnrad  dimmert  etwas  vom  Maßverhiltnis  der  Griechen  —  sa 
!•  neu  Schiller  ja  eine  so  starke  Affinität  besaß  —  herein.  Schön  ist  der 
Gegenstand  in  dem  sich  die  Teile  zur  Darstelluns::  seiner  Idee  einen.  Und 
diese  Cbereinstimnmng  gibt  den  Ausdruck  der  Freiheit  in  der  Erscheinung. 
Im  Grunde  ist  Freiheit  in  der  Erscheinung  nichts  anderes  als  Harmonie 
der  manoigfechen  Teile  in  der  Darstellung  einer  Idee.  Kann  dies  aber  Kosk 
nur  als  &iterium  des  SchOnen  gelten?  EOnnen  die  Teüe  eines  Olijekts 
schlechterdings  nur  zum  Ausdruck  des  tetiietiseh  Edlen  zusammen  stimmen? 
Mit  nichten  I  Mit  derselben  Berechtigung,  mit  der  Schiller  auch  in  dem 
Gegensatz  des  Ethischen,  in  dem  absolut  Bösen,  Kraft  und  Freiheit  kon- 
statif^rt  ()>ni»er  das  Pathetische«  ),  mit  derselben  Berichtigung  läßt  sich  auch 
deiu  Extreme  des  Schönen,  dem  volikommeu  Hälilicheu,  Freiheit  der  Er- 
scheinimg zuerkennen.  Bei  diesem  waltet  such  dne  autonome  Auslasse 
der  EinaebzQge  sum  Artcharakter  des  Widerlichen.  Diese  Autonomie  hat 
Plato  schon  in  seiner  Ideenlehre  antizipiert,  und  es  liegt  eine  eindring- 
hche  Konsequenz  darin,  daß  er  dem  vollkommenen  Plxemplar  einer  häß- 
lichen Idee  auch  Schönheit  vindiziert.  In  diesem  Sinne  hat  das  voll- 
kommene Abbild  der  Idee,  Kröte,  auch  auf  das  Öchönseiu  Anspruch. 

Allein  —  nicht  in  der  Abhandlung  über  nsive  und  sentimentalisöbe 
Dichtung  Inetet  Schiller  seine  kunstphilosophisolien  Theorien;  ihnlich  wie 
j  !  "iVer  Anmut  und  Würde  kein  Kriterium  der  Moral,  keine  Bestimmung 
über  den  Inhalt  des  Sittentresetzes  selbst  gibt,  sondern  die  Art  und  Weise 
darlegt,  wie  sittliches  Handeln  zu  erreichen  sei:  entw'e<ler  durch  sieg- 
reiches Vorwalten  der  Vernunft  oder  durch  Harmonie  derselben  mit  der 
sinnlichen  ^Neigung  —  ähnlich  verfährt  er  in  der  erstem  Schrift  mit  dem 


XL  Die  Aatlietik 


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48 


ICttefliingen 


ästhetischen  Problem.  Nicht  die  Maximen  seiner  Begründung  der  philo« 
sophischen  Ästhetik  setzt  er  in  dieser  Schrift  auseinander  —  das  moht  — > 
soodero  er  sdiildort  in  ihr  den  pB3^ologi86hQn  und  kaltareUea  üntersohied 

der  naiven  und  sentimentaliachen  Kunstrichtung.  Und  der  analytische  Fein- 
sinn,  die  Tiefe  der  Betrachtung,  die  Kraft  der  spekulativen  Kombination, 
wie  der  Schwung  des  Gefühls  —  gestalten  diese  Arbeit  zu  einer  Be- 
geisterutigs-  und  Belehningsquelle  von  unvergänglichem  Werte. 

Die  Naivität  ist  eine  Kindlichkeit,  wo  man  sie  nicht  mehr  erwartet 
Die  oaiTen  Objekte  rind  mm  inr  wann  und  vae  irir  ivieder  weiden 
sollen.    »Wir  waren  Natur  wie  sie,  und  nnsere  Eultor  soll  uns  anf  dem 
Wege  der  Vernunft  and  der  Frciheit  zur  Natur  zurückführen«  —  eia 
brtierrschender  LdebUngsgedanke  in  Schillers  Geistes  weit.     Die  Dichter 
sind  überall  Bewahrer  der  Natur,  entweder  werden  sie  Natur  sein  oder 
ilie  verlorene  Natur  suchen;  im  erstem  Fall  sind  sie  »naive,  im  andern 
»sentimentalisohc.  Die  Vendiiedenheit  dieser  Dicfatongsart  ist  im  wesent- 
liöhen  mit  den  Entividklmigsstadien  der  Henscfaheit  verknflpft   Die  Auf- 
gabe der  Poesie  ist  die,  3>der  Menschheit  den  möglichst  voUst&ndigen  Aus- 
druck zu  gel)en.«   Im  Zustand  der  Natur,  wo  der  Mensch  mit  allen  seinen 
Kräften  als  harmonii^clie  Einheit  wirkt  und  das  Ganze  seiner  Wesenheit 
sich  in  der  Wirklichkeit  vollständig  auslebt,  ist  die  Nachahmung  der  Natur 
die  Aufgabe  seiner  Kunst  Im  Zustand  der  Kultur  aber,  wo  das  harmonisolie 
Zusammenwirken  des  Wesens  bloB  eine  Idee  ist,  da  liegt  die  AnJgabe  in 
der  Erhebung  der  Wirklichkeit  zum  Ideal,  oder  was  dasselbe  ist,  in  der 
Darstellung  der  Idee.   ^Die  Natur  macht  den  Menschen  mit  sich  eins,  die 
Kunst  trennt  und  entzweit  ihn.«   Durch  das  Ideal  aber  kehrt  er  zur  Ein- 
heit zurück  —  d.  h.  zum  inneren  Schauen  eines  Verhältnisses,  das  die  Wirk- 
lichkeit nicht  erreicht    Der  naive  Dichter  hat  vor  dem  sentimentalischen. 
die  sinnliche  BeaätBt  Toxans,  doch  ist  diese  als  WirUidikeit  besohritokt 
Der  sentimentalisohe  hingegen  hat  vor  jenem  dm  unendlichen  Oehalt  voraus. 
Der  wesentliche  Unterschied  zwischen  beiden  besteht  darin:  daß  die  lebendige 
Empfänglichkeit  beim  naiven,  doch  der  innere  Gehalt,  das  unbedingte  freie 
Ideenvermügen ,  beim  scntimetitalischen  Dichter  verwaltet.    Mit  der  ent- 
wickelteren sinnlichen  Empüinglichkeit  des  naiven  Dichters,  liängt  seine 
UShere  Meistenohaft  der  FonnschOnheit  zusammen.    Hinwieder  überragt 
ihn  die  geistige  Gvaftheit  und  innere  Vertiefung  des  seotimentalisohen.  Bei 
bdden  Autogonisten  vermindern  sich  jedoch  die  Artcharaktere,  je  mehr 
sie  sich  dem  künstlerisch  vollendeten,  dem  poetisch  Höchsten  nähern. 
Das  Ideal  der  Dichtung  aber  ist,  daß  jede  den  Vorzug  der  anderen  Art 
erreiche;  daü  sich  also  der  sentimentalisohe  Dichter  die  schönere  Form  iles 
naiven  aneigne,  und  dieser  den  tieferen  Gebalt  des  sentimentalischen.  Ein 
bedeutender  Gehalt  in  sohOner  Fenn  gegossen  ist  das  Ideal  aller  Diditoog. 
Cnd  dieses  dem  Begreifen  so  nahe  liegende  Ideal,  hat  bei  Schiller  noch 
eine  tiefere  und  umfassendere  Bedeutung,  denn  es  involviort  die  von  diesem 
Dichterphilosophen  für  alle  alle  ausgereiften  Verhillttiis.se,  für  alle  höhere 
Zustände  der  Menschheit  geforderte  Harmouie  vuu  Sinnlichkeit  und  Ver- 
nunft   Die  vollendete  Dichtimg,  die  der  Fordeiung  entspricht,  das  Ganze 
•der  Menschheit  zum  Ausdruck  zu  bringen,  wird  sohin  durch  den 


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1.  Der  Beghif  der  Harmonie  bei  Schiller 


49 


harmonischen  Ausgleich  der  sinnlichen  EmpfindnnsrsfShigkeit  mit  der 
geistigen  Selbsttätigkeit,  durch  die  luirmouische  Eioiguag  der  sinnlichen 
Gerichtsbarkeit  mit  der  übersinnhcheo  erreicht 

Das  hannonieohe  ZiuammeimtmuDeii  der  lUrtoreo  Itann  sowobl  io 
Ueinen  Umkraseii  darchgeffihrt  weideD  als  es  auch  das  evolutioDiBtiache 
Ziel  des  großen  generellen  Wettgewcges  ist  Es  kann  —  wenigstens  als 
flüchtiges  Intermezzo  —  kurze  Phasen  des  individuellen  Lebens  ver- 
schönem, und  die  Dissonanz  der  sich  durchkreuzcndeu  und  befehdenden 
Interessen  auflösen.  So  besteht  die  Erholung  vom  Frondienst  des  realen 
ISigeverks  darin,  daft  die  heraoBgetretenen  und  angespannten  Kiftfte  ent- 
lastet, die  latenten  in  Aktion  getnacbt  irerden.  Doch  soll  es  niclit  Bnhe 
und  nicht  Arbeit  sein,  sondern  alle  Kfäfte  sollen  in  sanftem  Flnfi  geleitet 
werden.  Das  Ideal  der  Eriiolung  ist  »Wiederherstellung  unseres  Natur- 
ganzen  nach  einseiticren  S|\innungen« ;  ilio  Vereinigung  unserer  Natur- 
kräfte nach  Vereinzelung  derselben.  Erholung  ist  iüso  ein  Zustand 
harmoniBcben  Gleichmaßes.  Schiller  fordert,  daß  die  Poesie  sowohl  Er- 
hoinng  als  yeredlung  fnete,  er  beklagte  es  aber,  daft  die  Qnnst  der  Ijese- 
weh  sich  zu  sehr  den  leeren  und  glatten  Produkten  zuwende.  Andrer- 
seits erfordert  der  Genuß  des  Schönen  eine  so  volle  Empfänglichkeit  der 
sinnliehen  und  vernunftgemäßen  Gerichtsbarkeit,  wie  sie  nach  einer  ein- 
seitigen Aiispannvmg  nicht  zw  erwarten  ist;  es  müßte  daher  innerhalb  des 
rein  Menschiicheu  für  jeden  einzelnen  fall  die  Erhohmg  augepaßt  werden. 

YoD  welch  nngkdch  höherer  und  weittragender  Bedeatong  ist  die 
hannoniaobe  Einigong  als  Endziel  der  uotvenellen  Bewegung,  als  Anslfinfer 
des  allgemeinen  Xultmgsngs  der  Menschheit  zu  erstreben!  Sie  ist  die  Er- 
füllung alloi  Bestrebungen  in  einem  jeden  Verhältnis,  und  vollends  für  die 
große  Aligemeinheit  ist  sie  das  Ideal  und  der  Traum  einer  sozialistischen 
Organisation.  Allein,  um  iu  Uannonie  einzumünden,  muß  die  fortschreitende 
Bcrwegung  der  Kultur  zugleich  eine  rOdmohreitende,  der  evolutionistisGhe 
Qang  sngleich  ein  retrospektiver  werdra;  denn  als  Ideal  dner  sozial- 
philoeophischen  OrganisKtiiMl  steht  mit  unerschütterlicher  Eonse^non/  iu 
Schillers  Bewußtsein  dip  Rflckkehr  zur  Natur.  Die  Ideen  der  Rückkehr 
zur  Natur,  nach  der  Wandenuig  durch  die  aufgeregten  und  treibenden 
Wogen  der  Kultur,  spncht  er  iu  verschiedenen  seiner  philosophischen  Ge- 
dichte aus,  Bo  schon  im  ersten  derselben,  im  Gedicht  »die  EQnsÜer«: 

»IGt  eudi  des  FrtUdinga  erster  Fflanze 

Beginn  die  seelenbildende  Natur; 

Mit  euch,  dem  froud'gen  Erntckranae 

Schließt  die  vollendete  Natur.« 

Das  Nähere,  wie  sich  Schiller  nach  dem  segensreichen  Vorbilde 
Hellas  die  Rückkehr  zur  Natur  und  damit  den  Ausgleich  zu  einer  generellen 
Haimonie  denkt,  setzt  er  in  einer  Reihe  seiner  Briefe  »Aber  ästhetische 
ErziehuDgc  (vom  6. — 15.)  »  diesem  hflchsten  nnd  tiefsinnigsten  Dokument 
seines  philosophischen  Denkens  —  auseinander.  In  der  griechischen  Zeit, 
in  der  einfache  Natur  mit  feinster  Bildung  vereinigt  war,  hatten  »die  Sinne 
und  der  Geist  noch  kein  strenp:  goscliiedenes  Eigentum«.  Erst  das  be- 
stimmtere Denken  durch  das  Fortächreiten  der  Wissenschaft  einerseits,  und 

Ztaischnit  (ur  Philosophie  tuid  Ptt4la^tigilf.   12.  Jahrgang.  4 


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ÖO 


Mitteilongea 


tdas  verwickelte  Urwerk  der  Staaten,  welches  eine  strengere  Absonderung 
von  Ständen  und  Geschäften  notwendig  macht,  zerreißt  auch  den  inneren 
Bund  der  Natur«.  Hiermit  erfährt  die  alte  Erfahrung  eine  Bestätigung, 
dafi  Differenziening  und  Antogonismus  die  Vehikel  der  Kiittor  sind.  Die 
Griechen  konnten  die  TotalitSt  ihiee  Wesens,  d.  h.  die  volle  Answirknng 
ihrer  sinnlichen  imd  geistigen  KrAfle  leicht  behaupten,  weil  das  Maadmnm 
ihrer  BiUlnng  ein  relativ  geringes  war.  Doch  überragende  Leistungen,  wie 
die  der  Kritik  der  reinen  Vernunft,  konnte  nur  durcii  Ycreinzelung  der 
Yernuiifikraft  erreicht  weixien.  Wohl  kann  die  Anspannung  einzelner 
Geisteskräfte  außerordentliche,  aber  nur  die  gleichmäßige  Temperatur  der- 
selben kann  glückliche  und  yoUkommeoe  Meneohen  eneogen.  Es  steht  hei 
uns  »die  TotalitU  unserer  Natorc  auf  einer  ausgereifteren  und  höheren  Analogie 
zam  Griechentum  wieder  herzustellen.  Und  die  Potenz  durch  welche  dies 
zu  erreichen  ist  (wie  bereits  in  Anmut  und  Würde  dargetan),  ist  das 
Schone.  Die  Kunst  bildet  und  erweckt  die  Natur.  Der  Kfinstler  soll  der 
"Welt  die  Richtung  zum  Guten  geben,  so  wird  der  lubige  lüiytliiuus  der 
Zeit  die  EntwicUvng  bringen.  Und  -welches  -wlre  das  psychologisch 
didaktische  Teriahien  zu  düeeem  BildungBiesnltat  ?  Das  wite  —  wie  es 
ans  den  leitenden  Gedanken  in  Schillers  üben^^ältigender  Qdsteswelt  vor- 
zusehen war  —  die  beiden  Naturen  des  Mensehen:  die  vernunftgemäße, 
oder  den  Formtrieb  und  die  sinnliche,  oder  den  Stofftrieb,  zu  gleich- 
berechtigten Teilen  in  ihm  auszubilden.  Jedem  dieser  Triebe  soll  die 
Oienze  gesichert  werden;  sie  sollte  vcr  Yemiming  gesdifltat  sein.  Nicht 
nur  Übetgteilen  der  Sinnliohkett  bringt  Nachteil,  aber  anch  das  Übergreifen 
der  Yemunftkraft  ist  zu  mißbilligen,  weil  es  das  Gefühl  unterdrückt. 
einer  richtigen  Wechselwirkung  wird  der  Mensch  dem  Bewußtsein  seiner 
Persönlichkeit  als  absolute  Existenz  und  seines  Zustandes  als  Existenz  in 
der  Zeit  gerecht  werden.  Solche  Fälle  müßten  zu  einem  dritten  ver- 
mittelnden Trieb  führen,  in  wachem  die  beiden  vorigen  au%ehoben  und 
eine  höhere  Einhat  der  Mensohennatur  ersielt  wflieu  Dieser  Trieb  ist  der 
Spieltrieb,  dem  ea  eignet  das  Oemflt  beim  Anschaoen  des  SchOnen  in  eine 
glückliche  Mitte  von  Otesetz  und  Bedürfnis  zu  versetzen.  Auf  dieser  Höhe 
wird  die  sozialphilosophische  Aufgabe  der  Kidtur  an  ihrem  Endziel  an- 
gelangt sein,  und  das  Menschentum  wird  zu  dieser  vollendeten  und  beseligen- 
den Harmonie  seinem  sinnlichen  und  übersinnlichen  Teils  entwickelt  sein, 
Aber  die  hinaas  die  irdischen  Kiftfta  nicht  weiter  reichen. 

Yon  der  knlturphilosophischen  Stellung  des  Hensdien  fOhrt  dar  Weg 
zum  korporativen  Institut  desselben,  zum  Staate.  Auch  vom  Ideal  eines 
Staates  verlangt  Schiller  Totalität  der  Kräfte  —  identisch  mit  üarmonie. 
Die  volle  Übereinstimmung  der  ganzen  Natur  mit  der  Vernunft  würde 
Fälle  von  Widcrsprucii  einzelner  gegen  das  Gesetz  nicht  aufkommen  lassen, 
lüt  Recht  bemerkt  himii  Tomasohek  in  sdner  Pkeisschrift,  daB  dann 
die  Institution  des  Staates  minOtig  wflre,  es  vftre  dann  der  Zweck  aller 
Regierung:  die  Regienmg  überflüssig  zu  machen,  erfüllt. 

So  treten  aus  Schillere  reicher  und  umfassender  Oeisteswelt  einige 
wenige  Begriffe  als  Grundlage  aller  Phänomene  hervor,  wodurcli  sich  eine 
Affinität,  eine  verwandtschaftliche  Zusammengehörigkeit  derselben  ergibt 


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2.  Die  fieetiiniiniDgen  öbei  Immatnknktkui  nnd  Pkomotkni  Tmimtafar  «nr.  51 


Der  Begriff  der  Freiheit  als  Bedingung  und  der  der  harmonischen  Y«^ 
eimgnng  von  Sinnlichkeit  und  Vernunft  als  Strebeziel  aller  Erscheinungen^ 
Bekundet  die  Ableitung  der  verschiedenen  Gebilde  aus  denselben  Prinzipien, 
die  Schärfe  und  KombinatioDski^t,  so  offenbaii;  die  Unterscheidung  und 
Belaoolitang  der  eii»eln«D  Orappen  in  jedem  Distrikt,  die  analytische  Tiefe- 
und  wnnderiMie  feinfOhligkeit  diflsee  Diehteiphilosophen. 


8.  Die  Beetünmnngen  über  Immatrlknlation  imd  Pro» 
motion  Immatnrer  an  den  deatsohen  Universitäten 

Aof  Grand  amthcher  Quellen  zosamraengestellt  von  Karl  Mnt h es iuü- Weimar 

Zur  Erlangung  des  vollen  akademischen    RürgoiTochts  ist  an  allen 
deutschen  Universitäten  die  durch  den  Besitz  des  Reifezeugnisses  einer 
neun  klassigen    höheren   Lehranstalt    nachzuweisende    Maturität  Voraus- 
setzung.  Daneben  enthalten  aber  die  Immatrikulations-Ordnungen  sämtlicher 
deotBcher  ünivefsititea  Bestimmnngen,  nach  denen  «odi  adldie,  die  niolit 
im  Besitz  eines  Reifezeugmsses  sind,  in  der  philosophischen  Fakultät 
immatrikuliert  werden  können.    Diese  Bestimmungen  sind   fQr  Volks- 
Schullehrer,  die  sich  an  der  Universität  wissenschaftlich  weiterbilden  wollen, 
von  Wichtigkeit,  da  sie  ihnen  unter  Umständen  die  Möglichkeit  gewährcn, 
als  ordentliche  Studierende  —  nicht  nur  als  Hörer  —  bei  der  philo- 
sophifloheo  Fakoltit  anfgenommen  zu  werden.  Bekannflioli  sind  das  KOnig^ 
reidi  Sachsen,  das  GmBhenogtom  Sachsen  nnd  das  Oroihsnogtnm  Heesen 
bis  jetzt  die  dnagen  Bundesstaaten,  die  Volksschallehrer  unter  gewissen 
Bedingungen  zu  einem  geregelten  akademischen  Studium  mit  abschließender 
Prüfunt^  zulassen.  In  den  übrigen  Staaten  erwächst  immatrikulierten  Volks- 
schullehrem  aus  der  Aufnahme  in  die  philosophische  Fakultät  keinerlei 
Anspruch  auf  kfinftige  Zolassong  zu  einer  afcndemisnhen  oder  höheren 
Amtsprllfnng.  Wer  aber  ohne  BflokBioiht  anf  SnBeren  Erfolg  seinem  Drange 
nadi  wissenschaftlicher  Fortbildung  Genüge  tun  will,  findet  dazn  auf  einer 
ganzen  Anzahl   deutscher   Universitäten   Oclcgenlinit.     Es   ist    auch  die 
Möglichkeit  nicht  ganz  ansf^oschlossen ,  daß  er  auf  Onmd  hervorragender 
wifiseoschaftlicher  Leistungen  die  Doktorpromotion  erlangen  kann. 

Vielfach  an  mich  gerichtete  Anfragen  lassen  darauf  schließen,  daß  inr 
weiteren  Kieiaeo  der  Lehrer  diese  Bestimmungen  unbekannt  sind.  Es- 
dQifte  darum  am  Flatie  sein,  sie  einmal  ttbersiobtlioh  luaammeosnsteUen*. 

I  PreoIlBen 

1.  Vorschriften  für  die  Studierenden  der  Landesuniversi- 
täten vom  1.  Oktober  1879.  (Zentralblatt  der  Unterrichtsverwaltung- 
1879,  S.  520  ff.)  Die  hier  in  Fiuge  kommenden  Bestimmungen  sind  durok 
MiD.-ErL  vom  7.  Febmar  1894  abgeändert  (Zentndblatt  1894,  &  345  1> 
und  Uralten  in  der  neuen  Fassung: 

>§  3.  Mit  besonderer  Erlaubnis  der  ImmatrikoIatioiiB-Koinmissioa  können  An— 
gdi&rige  des  deatsohen  BeidMS,  welche  ein  BeüMeagiiiB  aioht  erwoiben,  jedoolk. 

4* 

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52 


ICttflOnngMi 


wenigstens  dasjenige  Maß  der  Schulbildung  erreicht  haben,  welches  für  die  Er- 
langung der  Berechtigung  zum  einjährig -freiwilligen  Dienst  voigeschrieben  ist,  auf 
viflr  SeneBter  iniiDttiäiiliest  und  bei  der  philoao^iisolien  Fikalttt  eingetrageii  mieii. 
Die  Inmilrikdittim-EoiBaiiHioii  ist  ezndohtigt,  naoh  AUeof  ^Bmu  vier  Semeetar 
die  Yeriängenuig  des  Studiums  um  zwei  Semester  aüs  besonderen  Gründen  zu  ge> 
statten.  Eine  weitere  Terlingerong  ist  nur  mit  Oenehmiguag  dee  Kantors  (Kun- 
toriums)  zulässig.c 

Zu  berücksichtigen  ist  femer  $  5  Abs.  1  der  Yorschnften  vom 
1.  Oktober  1879: 

»Ale  Stedieieiide  dürfen  nioht  nligeiKniUDeii  werden:  Beiehs-,  Btsats-,  G«- 

mtinde-  oder  Eircbenbeamte.c  *) 

Nach  dem  Wortlaut  des  angegebenen  §  3  liegt  die  Entscheidung  über 
GesTicho  um  Immatrikulation  in  der  Hand  der  Immatrikiilations-Komraission. 
Die  Verwaltungs[iraxis  ist  an  den  einzelnen  Universitäten  verschieden.  Die 
Anfrage,  ob  das  Abgangszeugnis  von  einem  Yolksscbullelu-eräemiuar,  mit 
dem  die  Bereohtigung  zum  einjihrig-freiwilligen  Dienst  verbanden  ist,  im 
Sinne  des  §  3  der  Vorsohriften  für  die  Stndieienden  vom  1.  Oktober  1879 
als  Nachweis  »einer  für  die  Anhörung  von  Universitäts- Vorlesungen 
nügenden  Bildung«*)  erachtet  werde,  beantworten  die  Universitäten  Königs- 
berg, Kiel,  Bonn,  Qöttingen  mit  ja,  Breslau  und  Halle  mit  nein,  Berlin, 
Oreiibwald  und  Marburg  treffen  die  Entscheidung  von  Fall  zu  Fall 

3.  Was  die  Promotions-OidDUDgen  der  philosophischen  Faknltfttea 
in  den  pcenAischen  ümTeisi4lte&  betrifft,  so  sdiweben  gegemvMg  Ver- 
handlungen wegen  deren  Umarbeitung.  Bisher  waren  Reifezeugnis  einer 
neunstufigen  höheren  Lehranstalt  und  wenigstens  dreijähriges  ununter- 
brochenes Universitätsstudium  Bedingung  zur  Promotion.  Nach  einem  Min.- 
ErL  vom  30.  Juli  1902  kann  ausnahmsweise  das  Reifezeugnis  ersetzt 
werden 

»dnieh  die  ESmeiehnng  einer  als  hervorragende  Leistung  ansusehenden 

Dissertation;  die  Zulassung  darf  in  diesem  letzteren  Falle  nur  anf 
einstimmigen  Beschluß  der  Fakiüttt  und  unter  QutfaeiBung  des  Tor- 

geordneten  Ministeriums  erfolgen«. 

Die  Fälle,  in  denen  auf  Grund  dieser  Verordnung  die  ausnahmsweise 
Zulassung  zur  Promotion  bewilligt  worden  ist,  sind  überaus  selten  und 
werden  es  jedenfalls  such  in  Zukunft  bleiben. 

n  Bsyeni 

1.  Satzungen  fflr  die  Studierenden  an  den  EgL  bayerisohen 

üniTersitäten  vom  23.  Februar  1891: 

Ȥ  &  Afldeiea  Stqdieieiiden  ohne  Oyrnnsmalrflifetengnia    wird  nur  snimshms- 


1)  Demnach  sohlieAt  aooh  das  UriaabsTeihültnis  die  Möglichkeit  der  Xmmatzi- 
kulation  aas. 

^  Diese  Wendimg  enödsit  f  8  in  der  IVMang  vom  1.  Oktober  1870. 

Ö  In  §  7  ist  TOB  Bolohen  Stndterandea  ohne  Gymnasial  reifezeugnis  die  Bede* 
>\velcho  verordnungsmäßig  bestimmte  ümTenitilBStDdiai  behob  ZoIasBong  snr 
Schlofiprüfang  naohzaweisen  haben«. 


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2.  Die  Bestmunungen  über  Immatrikulation  und  Promotion  Immaturer  usw. 


mSa»  mit  mioistorielleT  Genehmignag  die  kleine  Matrikel  vexliehen  und  zwar  Deutschen 
nur  dann,  wenn  sie  sich  wenigstens  über  den  Besitz  der  an  einer  Lehranstalt  mit 
obligatorischem  Unterricht  im  lateinischen  erlanf^t<>u  wissenschaftlichen  Befähigung 
zum  einjährig -freiwilligen  Militärdienst  ausweisen. 

Stiidietende  mit  soldier  Mitilkfll  werden  iiiir  bei  der  philosopliisolien  lUniUit 
md  zwar  TefBbDiffig  irar  bei  der  mtamtansdiafüidien  SektUm  defselben  ein* 
geedirieben.« 

In  Fracke  kommt  ferner  §  10,  in  dem  unter   Persönlichkeiten,  welche 
nicht  in  der  Lage  sind,  sich  immatrikulieren  zu  hissen'-  aufgezählt  werden:. 
»Angestellte  im  Staats-,  Kirchen-  oder  Gemeindedieüste.» 

Die  Worte  »mit  obligatorischem  Uoterricbt  im  LateinischeDc  schließen 
die  YoUraediiülehrer  Bayerns  und  der  meisten  anderan  Bondeestaaten  von 
der  M Ogtichkeit  der  Imiiistrikiilation  ans.  Nur  sftohsisohe  VoiksschnUduer 

hfttten  nach  don  Wortiaut  der  Bestimmungen  Aussicht,  daA  ilir  Gesnoh 

um  Zulassung  zur  Immatrikulation  genehmigt  werden  könnte. 

2.  Die  Proraotions-Orclnung  der  philosophischen  Fakidtäten  ist 
durch  3Iin.-ErI.  vom  9.  Februar  1903  (mit  Wirkung  vom  1.  April  1903) 
▼erscbärft  worden.    Nach  §  1  hat  der  Bewerber  einzureichen: 

*oy  Bas  Beifeseognis  einer denteehen nemistafigen  höheren  Lehnn8talt...Aiis-^ 
oahmsweise  kaon  von  dieser  Forderung  durch  einstimmigen,  lfm  dem  TOigeeeisteik 
Ministerium  gut  zu  heißenden  Sektinnsbe.schluß  abgesehen  werden,  wenn  die  mit 
dem  Gesuche  eingereichte  Abhandlun>,'  eine  liervorr%'endo  Leistung  darstellt 

d)  Zeugnisse  über  ein  miudesteus  dreijuhrigos  Uuiversitatsstudium  . . .« 

Die  philosophische  Fakultät  zu  Würzburg  erläßt  zur  Ausführung 
dieser  Bestimmungen,  da  »viele  Studierende  mit  an  sich  nicht  ans- 
leidieiider  Yorbilduog  aogefavgt  haben,  unter  trelcheii  Bedingungen  sie 
Aimsicht  bitten,  zur  FromoCion  sugekssra  zu  werden«,  folgende  Bekannt 
maohuDg: 

»Ein  Thema  für  eine  Doktordissertation  kann  an  solche  Kandidaten,  die  eine 
in  ihrer  Art  abgeschlossene  Vorbildung,  aber  nicht  das  Reifezeugnis  einer  hüiieren 
neunklassigen  Lehranstalt  besitzen,  nur  erteilt  werden,  wenn  sie  vorher  eine  Prüfung 
im  Eanpttedi  mit  der  Note  eehr  gut  bestanden  haben.  Diese  Prttf  ong  wiid  rom 
Ordinarius  des  Hauptfaches  mit  oder  ohne  Zuziehung  von  andern  Dozenten  ab- 
gehalten. Eiu  darauf  bezügliches  Zeugnis  ist  dem  Gesuch  um  Zulassung  beizulegen. 

Hat  der  Kandidat  die  Dissertation  zur  Zufriedenheit  des  Keferenten  aus- 
geführt, so  kann  er  zum  Promotionsexamen  unter  den  in  der  neuen  Promotious- 
osdnong  «nflgestellten  Bedingnagm  mgelaesen  wezden.c 

T7T  Saoihseii 

1.  a)  Immatrikulationsordnung  fOr  die  Studierenden  der 
Universität  Leipzig  vom  8.  März  1903: 

»§  10.  P\ir  die  Immatrikulation  sächsischer  Volksschullehrer  als  Studierender 
der  Pädagogik  gelten  die  Bestimmungen  der  Verordnung  boti-offend  die  Zula.ssung 
von  Volksschullehrem  zum  Besuche  der  Universität  behufs  der  Erlangung  einer 
hSheran  BerubbUdnog  vom  30.  September  1808.t 

>§  12.  Studierende  zweiter  Ordnung.  Wer  bloA  ni  seiner  weiteren  wissen- 
sohafUidMii  Anshildung,  ohne  dis  Absiohi,  sieh  dem  Stsslsdieneta  oder  dem  höherent 


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Mitteaangen 


8chulfache  oder  sonst  einer  wissensdiaftlichen  Laufbahn  zu  widmen,  einzelne  Teile 
der  Kanieral-  oder  Naturwissenschaften  studieren  will,  kann  zur  Immatrilnilation 
zu^lassen  werden,  wenn  er  daa  zum  einjährig-freiwilligen  ililitärdieoät  berechtigende 
3tnpdB  besitst.« 

Ȥ  18.  Verheintete  werdeo  mM  imnuMaiieit  Der  Diipeui  tob  dieser  Be- 
stimmung steht  dem  Tfifay^fehen  UiiiiBteiiiiin  des  Kottus  und  Uleiitliohea  ünter- 

liohts  zu.« 

Die  Universität  Leipzig  steht  also  in  dem  in  §  12  bezeichneten  be- 
•adwftnkten  Umfange  nicht  nur  sächsischen,  sondern  auch  auüersächsischeii 
ydbBsdhilUelizeni  ofin. 

b)  Die  in  §  10  genannto  VenjcdmiDg  vom  30.  September  1898  bat 
folgenden  Wortloiit: 

>§  1.  Lfhrern,  welche  zu  ihrer  höheren  Ausbildung  für  den  Lehrerboruf  die 
üuivLTsität  Lel\m'j  )iesuch'jn  Wullen,  ohne  dazu  durch  das  Reifezeugnis  eines 
Gymnasiums  oder  i)U.'(Ugyxniiusiums  befähigt  zu  sein,  soll  dies  auf  drei  hintereinander 
folgende  Jahxe  unter  nedutehenden  Bedingungen  bis  auf  weiteree  gestattet  sein: 

a)  Dieselben  müssen  die  in  §  17  des  Volksschulgesetzes  vom  26.  April  1873 
"Torgeschriebene  Walilfähigkeits-  oder  Amtsprüfnug  bestanden  und  den  durch  §  9 
Aha.  2  der  Prüfungsordnung  für  Lehrer  und  Lehrorinueu  an  Volksschulen  vom 
1.  November  1877  in  der  Fassung  der  Bekanntmachung  vom  19.  Februar  1890  für 
•die  wiflsensehsfUiohe  Haaptssasar  bestimmten  eisten  Zensugrsd  (vorzüglish  I) 
•erlangt  haben. 

b)  Diejenigen,  welche  diesen  Zonsurgrad  nur  mit  der  Zwischenstufe  Ib  er- 
reicht haben,  bedürfen  noch  der  liesonderun  Genehmigung  dos  uatorzeichnoten 
Ministeriums,  die  jedoch  nur  ausnalimsweise  und  in  ganz  besonders  hierzu  geeigneten 
nOen  ertält  werden  wird.  Bebnfi  Bnlsebfielang  über  diese  Genehmigung  ist  von 
•der  ProfangakommiBSion  alsbald  nach  8chlu8  der  Prüfung  an  das  Ministerium  unter 
eingehender  Begründung  darüber  zu  beriohten,  ob  und  welche  der  mit  dem  Zensur« 
grade  Ib  bedachten  Kandidaten  nach  Begabung,  Fleiß  und  Kenntnissen  zu  der  Er- 
wartung eines  ersprießlichen  akademischen  Studiums  berechtigen.  Für  den  Fall 
ihrer  Zulassung  wiid  ihnen  ein  besonderer  Briaabnissohein  ausgefertigt,  welcher  der 
laimaftrikQlatioDskommiBsion  so^siah  mit  dem  Gesoofae  um  Inskription  vorzulegen  ist 

c)  Sie  müssen  ein  günstiges,  von  dem  Ortsschulinspektor,  beziehentlich  Direktor 
(zu  vergl.  §§  25  und  29  des  Volksschulgesetzes  vom  26.  April  1873)  ausgestelltes, 
von  dem  Bezirksschulinspektor  bestätigtes  Zeugnis  über  üir  gesamtes  Verhalten  bei- 
jmhringen  vermögen. 

§  2.  Die  som  Besnehe  der  ünivenittt  wgelaswsnen  Lehrer  hsbsn  sieh  am 
Schluß  ihres  akademischen  Studiums  zum  Zwecke  der  Erlangung  .der  Kandidatur  der 
Pädagogik  für  die  Anstellung  als  wissenschafthcher  T^ehrer  an  Realschulen,  Seminarien 
und  den  diesen  Anstalten  in  den  Unterrichtszielen  gleichstehenden  öffentlichen  oder 
privaten  Lehranstalten  der  pädagogischen  Prüfung  nach  Maßgabe  dmr  doroh  Bekannt- 
snadrang  vom  28.  Januar  1888  verSffsntUditen  Prüfungsordnung*)  zu  untandehen. 

Die  Bestimmung  in  §  4  Abs.  3  genannter  Prüfungsordnung,  nach  welcher  die 
zum  Studium  der  Pädagogik  an  der  Universität  Leipzig  ermächtigten  inUindischen 
VolkRschullehrer  schon  nach  einem  zweijährigen  akademischen  Studium  zur  päda- 
gogischen Prüfung  zugelassen  werden,  bleibt  in  Kraft 


0  Die  »Ordavig  der  pidi^qgisohen  PrSteag  an  der  UmveiBilit  Leipslgc  bat 
•dnroh  IfinistBrialbekaantmaohung  vom  8.  September  1889  eine  neue  Oeetalt  eibalten. 


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2.  Die  Bestimmaogen  über  Immatriliulalion  imd  Frotnotion  Immaturer  usw.  55 


§  3.  Der  übeigaog  zu  einem  Fakaltätsstudiam  für  Lehrer,  welche,  ohne 
Ttnber  an  emem  Gymnasinm  oder  BMlgymnaaiiin  die  BiOeprüfuog  bestanden  zu 
babt»,  dia  ünhanitit  baaadian,  iat  nnanlMsaig.« 

c)  In  llmlicher  Weise  wie  Lehrern  ist  in  Sachsen  auch  Lehrerinnen 
das  Studium  an  der  Universität  Leipzig  und  die  Ableguog  der  pftdagogisdieil 
PrtifuEg  gestattet.    Es  kommt  folgende  Verordnung: 

Die  höhere  wissenschaftliche  Ausbildung  der  Yolksschul- 
lehrerinneo  betreffend  vom  12.  Februar  1902  in  Fi-age. 

1.  Lehzerinuen,  welche  zu  ihrer  höheren  Ausbildung  für  den  Lehreriunen- 
lianif  die  ünivenitft  Leipsig  beeocheii  wollen  ohne  daa  B^feseagnia  einea  Oymnaaimna 

oder  Realgymnasiums  zu  beahaen,  aollen  auf  drei  hintcreinandw  fdgendo  Jahre 
unter  den  in  §  1  der  Verordnung  vom  30.  September  1898  unter  a— c  für  die  in- 
ländischen VolksschullelirtT  aufgestellten  Bedingungen  und  vorbehaltlich  der  Oe- 
nehmignng  der  Dozenten  bis  auf  weiteres  berechtigt  sein,  an  der  Universität  als 
flSrerinnen  Fidagogik  za  atudieren  nnd  ca  dieMm  Zweoke  aaob  Zutritt  sa  den 
Seminaren  zu  erlangen. 

§  2.  Die  zum  Studium  der  Pädagogik  an  der  Universität  Leipzig  berechtigten 
Lohrerinnen  werden  am  Sclilusso  ihres  akaiicmischen  Studiums  zum  Zwock'e  der 
Erlangung  der  Kandidatur  der  l'ädagogik  zur  pudagügischeu  i'rufuug  nach  Maßgabe 
der  dnroh  Bekanntmadrang  vom  8.  S^itember  1899  TerOCfeDtiiehten  PrQfiuigaoidnang 
angelassen. 

Die  Bestimmung  in  §  4  Abs.  3  genannter  Pi-üfungsorduung  wird  auf  die  in- 
ländischen Volts.schullobri  riiin'^'n  mit  der  Maßgabe  ausgtdf'hnt,  daß  dieselben  erst 
nach  einem  dreijährigen  akadeniischen  Studmm  zur  pädagogischen  l'j  üiung  zugelassen 
waideii.« 

2.  Den  dmoh  die  YerordiraDg  vom  30.  September  1898  mm  Studium 
sqgdasseDen  sächsischen  Lehrern  ist  durch  die  Promotionsordnuog 
der  philosophischen  Fakultät  auch  die  Möglichkeit  der  Promotioil 
gewährt.    In  der  Ausgabe  Tom  15.  Juli  1902  bestimmt  §  6  dieaer 

Ordnung: 

»Von  den  in  den  §  4  und  5  gegebenen  Vorschriften')  über  die  Vorbildung 
aun  akaderateohen  Stadinm  kann  nor  mit  Genehmigung  des  KönigUohen  Miniaterittma 
daa  Enltns  nnd  affentlichaii  üateniohta  in  Dieadao  diapenaiert  weiden.  Diapena 

iat  nur  zulässig,  wenn 

a)  der  Beworber  mindestens  die  Reife  für  die  Prima  finer  d<M-  in  $  4  ge- 
nannten höheren  Lehranstalten  besitzt  oder  auf  Grund  der  Ministerial  -  Verordnung 
Tom  30.  September  1898  com  Studiom  der  Fidagogik  an  der  UniTexsitftt  Leipzig 
tngelaaaiwi  winden  iat; 

b)  wenn  femer  ein  Vertreter  des  Faches,  welchem  die  Dissertation  angehört, 
und  der  Vertreter  eine.s  anderen  Faches  auf  Grund  ihrer  itfrsonlichen  Kenntnis 
von  den  Stadien  und  von  der  Tüchtigkeit  der  bisherigen  Leistungen  des  Bewerbers 
den  formalen  Mangel  dordi  eine  aoluifffiohe  Empfehlnng  deoiuo;  wenn  ftberdiea 

e)  die  eiagereiohte  Diaaertation  nach  dem  ürteU  der  beiden  Referenten  nnd 


§  4:  »Yen  den  Bewerbern  aoa  dem  Dentschen  Reiche  wird  die  Vorlegung 
des  Reifezeugnisses  einer  deutschen  nennstufigen  Mittelschule  (Gymna'sinm,  Real- 
gymnasium, Oberrealsohnle),  sowie  der  Nachweis  des  akademischen  Trienniums  auf 
UniTetät&ten  dentsoher  Zunge  verlangt«   §  5  redet  von  anslftndisohen  Bewerbern. 


r 

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56 


Ifittefliuigen 


dem  ( iDstimnugen  Yotum  dor  lUcoltttasaktioii  als  eine  hemnxagende  Leistung  an- 

zusehen  ist. 

Aoßerdem  muß  in  einem  solchen  Falle  die  mündliche  Prüfung  mindestens  die 
Doxdiadinittszfliisiir  II  (magna  oom  lande)  eingeben. 

Kandidaten  mit  einer  den  VoTSohriften  niolit  entspredienden  Vorblldnng,  die 

nicht  mindestpns  drei  Semester  iu  Leip/.ig  immatiilrolieit  geweaen  sind,  veiden 
überhaupt  nicht  zur  Bewerbung  zugelassen,  c 

rv  Württemberg 

1 .  Y o r 8 c h  r i  f t  e n  f  il r  d i e  S t  u d i e r e nd c  n  a n  d e r  K g I.  W ü r t- 
tcmbergischen  Universität  Tübingen  vom  2.  Januar  1899 
(mit  WirkoDg  vom  16.  April  1899): 

>$  4.  Als  aoBenndenäiohe  Stndieiende  weiden  anigmommen: 

2.  nach  dem  Emessen  des  Kektors  solche  nicht  im  Besitz  eines  Reifezeugnisses 
befindliche  Fersonon,  welche  die  Universität  nicht  zum  Zweck  der  späteren  Er- 
stehung einer  Staatsprüfung  zu  beziehen  wünschen.  Diese  haben  8ich  über  eine 
zum  Huren  von  Vorlesungen  genügende  Vorbildung,  suwiu  über  ihre  sittliche  fuhrung 
an8suwa86n.c 

DarQber,  welche  FrflfuogszeugnisBe  alB  genügende  VoiinlditQg  er- 
weisend anzusehen  sind,  bestehen  Iceine  Nonnen,  die  EntoöheiduDg  erfolgt 

vielmehr  nacli  Lage  des  Falles  dnrc  Ii  den  Rektor.  Nach  einer  Mittdünilg 
des  Kgl.  akademischen  Rektoramtes  pflegt  diese  in  liberalem  Sinne  zu  fflp- 
folgen ;  es  sind  bisher  mehrfach  solche,  die  das  Lehrerinnifungszcugnis  be- 
saßen, namentlich  in  der  staatswissenschaftlichen  l^akult^,  als  auBerordeot- 
licbe  Stadierende  immatrikuliert  worden. 

2.  a)  Bestimmungen  der  philosophischen  Fakultät  iu  Tübingen 
ffir  die  Erteilung  der  philosophischen  Doktorwürde  vom  Januar 
1902: 

^>§  1.   l)   . .  dabei  wird  bemerkt,  daß  von  dem  bezeichneten  Nadiweia  der 

Vorbildung  (Iv-ifezeugnis  eines  deutschen  Gymnasiums  oder  Realgymnasiums)  nur 
solche  Bewerber  entbunden  weiüen  können,  .  .  .  deren  Dissertation  von  der  Fakultät 
einstimmig  als  hervoriagende  Leistung  eiUArt  wixd.€ 

b)  Bestimmungen  fflr  die  Brteilung  der  Doktorwürde  in 
der  naturwissenschaftlichen  Faknität  der  üniversitAt  Tübingen: 
>§  1.  2.  Bewerber,  die  keinee  der  vorgenannten  Zengnisse  (Reifezeagnis  eines 

deutschen  Gymnasiums  oder  Realgjrnnx^iums)  vorlegen  können,  werden  nur  auf 
einstimmigen  Beschlul?  der  Fakultät  zur  Pronjotion  zugelas^sen.  Voraussetzung  ist, 
daß  sie  durch  ihr  btudium  in  Tübingen  der  Fakiütät  oder  einzelnen  MitgUedern  der- 
selben perBdnlioh  bekannt  önd  nnd  eine  beeondeis  gnte  Arbeit  ehirei<dien.« 

V  Baden 

1.  Nach  §  8  der  Vorschriften  für  die  Orofih.  badischen  hohen 
Schulen  sn  Heidelberg  nnd  Freibnrg  vom  81.  Mai  1889  ist  die 

Immatrikulation  Immaturer  zwar  solftseig,  <loch  soll  von  dieser  Bestimmung 
nach  den  bestehenden  Grundsätzen  nur  äulicrst  selten  Gebmuch  gemacht 
werden.   Auf  seminansch  gebildete  Lehrer  findet  die  Bestimmung  nach 


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2.  IXe  Bertimimnigem  filwr  LnmatriknliUoii  und  Fnunotion  ImiMtairsr  vsw.  57 


einer  Mittoilimg  des  Piorektorats  der  Umrersität  Freibarg  überhaupt  keioe 
Anwwdung. 

2.  Deshalb  ist  fOr  diese  aucb  der  letite  Absats  des  §  1  der  Promo- 
tionsordnuDg  der  philosophisohen  Fakuitftt  vom  1.  Oktober  1902 
ohne  Bedeatnng: 

*Eine  Ausnahme  von  der  das  Rflifewqgnis  betreffenden  Bestimmung  kann  nur 
unter  (jutheil5unp  deä  vorgesetzten  Ministeriums  gemacht  werden.  In  diosom  Falle 
ma£  der  Kandidat  eine  lüä  hervorragende  Leistung  anzuseilende  Dituiertation  ein- 
niohen,  nod  mnS  die  Zukuming  von  der  Abteilung  einstimmig  beffirworiat  wetden. 
Die  phflologndi-hlatoriBdie  Abteflniig  tritt  der  Fnge  eines  Dispenses  nor  dann  aiher, 
wenn  anerkannte  vissensohaftliohe  Leistungen  im  Druck  Torsosgegangen  sind.c 

Yl  Btasen 

1.  a)  Bestimmungen  Aber  den  Besuch  der  Landesnniversitftt 
Oiefien  vom  15.  Februar  1904 : 

'2.  ...  Nach  dem  Ermessen  des  Rektors  können  auch  Bewerber  (zur  Im- 
matrikulatiun';  zii^ola<^sen  werden,  die  sich  durch  andere  Zeugnisse  über  Unbescholten« 
heit  und  wi.sscusijhaftliche  Vorbildung  ausweisen.« 

Nach  dioson  Bestimmungen  ist  die  Immatrikulation  auf  Grund  eines 
SemiiiarabffanL'szt'Uu'-nisses  naoli  dem  pj-inosson  des  Rektors  mötrlich. 

b)  Für  liessische  Volksschullolu-er  gelteod  ist  die  landeslierr- 
liohe  Verordnung  vom  29.  August  1003: 

>§  1.  Yolkascäkiilldirer  and  SdinlsmtBaspirsnten,  die  in  der  KiHsssungsprüf ung 
sn  einem  hesnsohMi  SeholldirerBemiaar  die  eiste,  in  der  DefinitorisIpTfifang  die 
eiste  oder  die  zweite  Note  erhalten  und  sich  im  praktischen  Schuldienst  G  ewährt 
haben,  können,  sofern  sie  rnindt-steas  drei  Jahre  an  offentliclu-n  Schulen  des  Landes 
tätig  gewesen  sind,  von  un^Tem  Ministerium  des  Innern  für  die  Dauer  von  drei 
Jahren  zum  Besuch  der  Landesu^versitat  beurlaubt  und  in  diesem  lUle  sls 
studierende  der  FSdagogikc  zur  Immatrilnlfllion  in  der  phOoeophisohen  Fskoltlt 
mgelassen  werden. 

§  2.  Der  Abscldull  dor  ak.vli^mi^'  hen  Studien  erfok^t  hol  den  Studierenden 
der  Pädagogik  durch  eit)e  bv-sundere  rmfung,  die  frühestens  nach  Ablauf  von  fünf 
8tudieuhalbjahren  abgelegt  werden  kann.  Die  näheren  Beatimmongen  ftber  diese 
Piüfang  Verden  Ton  nnserem  Ifinisterinm  des  Innem  erlsseen. 

9  3.  TolksschuUehrtM  und  Srhulamtsaspiranten  die  zum  Besuch  der  Landes« 
Universität  beurlaubt  werden,  haben  während  des  Urlaubs  keinen  Anqtmoh  auf 
ihr  Dieiisteinkommen.« 

Vom  gleichen  Ta^^e  datiert  die  Prüf  ungsord  nung  für  die  Studieren- 
den der  Pädagogik  im  Großherzogtum  Hessen. 

Hessische  Yolksschullehrer    und  SdiuhimtsaspiranteD,   die  die 
dingungen  in  §  1  der  Verordnung  vom  29.  August  1903  nicht  erfüllt 
haben,  werden  nidit  zum  Studium  an  der  LandeeuniveisitSt  beurlaubt 

2.  Die  Promotionsordnung  für  die  philosophische  Fakultät 
SU  Oiefien  Tom  22.  Mai  1902  enthält  keine  Bestimmung  darOber,  daft 
aoBDabmsweifle  auch  Immaturi  die  Pronu>tion  erlangen  könnten. 


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58 


MitteUangea 


YH  OrofthfOgUuiA  M^MenlWMeg'Bflitwerin 

1.  Di«  Sfltningen  der  Univendttt  Boetock  QntsnolifiiddD  Immatri- 
koUtion  mit  grofler  und  mit  kleiner  Matrikel.  Znr  Briangang  der  letsteren 

muß  wenigstens  der  Beäts  des  Zeugnisses  fOr  den  einjährig- freiwilligen 
Dienst  nachgewiesen  werden.  Diese  BeetimmoDg  erBtreokt  Bich  aber  nicht 
auf  seminarisch  gebildete  Lehrer. 

2.  Nach  §  3  der  Bestimmungen  für  die  Promotion  bei  der 
philosophischen  Fakultät  der  Universität  Rostock  vom  15.  Juni 
1902  ist  aosnahmsweise  die  Promotion  Lnmaturer  znlABsig,  eeminarisch  ge- 
bildete Lehrer  and  aber  ansdriloklich  aasgesohloeeen. 

Vm  QffofldMnagtiu&  Saebeen  ^nw^  eAalieieolM  TTfBwgH******''* 

1.  a)  Statut  der  GesamtuniTereitftt  Jena  vom  80.  Augnet  1893: 

>§  5.  Ohne  Beibringung  des  Beifteeognisses  können  Angehörige  des  deutschen 
Reiches  für  vier  Semest(?r  aufgenommen  und  für  die  philosophisohe  Fakultät  mif 
getragen  worden,  wenn  sie 

c)  dasjenige  Maß  der  Schulbildung  nachweisen  >  welches  für  die  Eriangnng 
der  BereohtignDg  sam  einjahrig-firaiwilUgea  Dienst  Toigesohrieben  ist  Der  Pro- 
rektor ist  exmiohtigt,  nach  Ablauf  der  vier  Universitätshalbjahre  die  Veriängerong 
des  Studiums  um  weitere  zwei  Fniversitätshalbjahre  aus  besonderen  Gründen  zu 
gestatten.  Eine  uüchmalige  Verlängerung  ist  nur  mit  Oeuehmigung  des  üniveisitäts- 
kurators  zulassig.« 

Auf  Grund  dieser  Bestimmung  werden  in  Jena  Volksschuliehrer  im- 
matrikuliert 

b)  Nur  auf  Volksschullehrer  des  OroBhersogtumt  Sachsen 

bezieht  sich  die  Ministcnal Verordnung  vom  2.  März  1900,  in  der  sich 
das  Mimstenum  too  Sachsen- Weimar,  Departement  des  Kultus,  geneigt 
erklärt, 

»in  solchen  Fällen,  wo  ein  Lehrer  beide  Prüfungen  mit  der  Gesamtxensur  1 
in  den  wissenschaftliohen  HUdiem  abgelegt  hat  and  nach  dem  Urleil  des  betrettenp 
den  BesiikssoholinspektoxB  wegen  eeiner  wissensohaftUdien  und  sittlichen  TBohtig- 
keit  einer  solchen  Vergünstigung  würdig  ist,  ihm  lünfUghitt  auf  Ansuchen,  soweit 
es  mit  den  Interessen  des  Schuldienstes  vereinbar  ist,  zu  seiner  weiteren  Ausbildung 
für  den  Lehrerberuf  einen  Urlaub  bis  zu  drei  Jahren  zu  erteilen  und  ihn  zwecks 
Immatrikulation  in  der  philosophischen  Fakultät  der  üniversität  Jena  von  der  Bei- 
bringimg des  Beifesengniases  m  dispensieren.  Weitem  Erwlgnngeo  bl«bt  es  tot- 
bebalten,  ob  von  den  betretenden  Lehrern  die  Ablegnng  einer  Prüfung  am  Ende 
der  Studionzcit  7:11  verlangen  sdn  wird  und  welche  Bestinurangen  in  dieser  Hinsicht 

zu  treffen  .sein  werden.* 

Die  Ordnung  der  pädagogischen  Prüfung  für  das  Groß- 
herzogtum Sachsen  datiert  vom  11.  April  1902. 

Weimarisehe  YolkssdliuUehrer,  die  lüoht  die  in  der  Yerardnung  yoin 
2.  lOrs  1900  angegebenen  Bedingungen  erfOUt  haben,  werden  nicht  lum 

Zwecke  des  Studiums  beurlaubt 

2.  Nach  den  Promotionsbedingungen  der  philosophischen 
Fakultät  2tt  Jena  vom  15.  April  1902  ist  zur  Erlangung  der  fromotioa 


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3.  Zar  Vngß  der  dlusoliaD  WertMliitnmg  und  nligfliseii  liMikmmimg  59 


ansBahmaloe  das  Beifexengnis  eines  Gymnasiums,  Bealgymnasiums  oder  einer 
Obeneahehnte  notwendig. 

Schlufsbem  erkung 

Ans  der  vorsteheDden  Zusammenstellung  ist  zu  ersehen,  daß  das  mit 
der  Berechtigung  ziun  einjährig -freiwilligen  Dienst  verbundene  StMiiinar- 
abgangszeugnis  an  keiner  deutschen  Universität  das  Recht  zur  Immatri- 
kulatioa  Terleiht  Sie  ist  Tiehnehr  anch  an  den  üniTersittten,  an  denen 
sie  Yolksschullehrem  gewährt  wird,  Ytm  der  besonderen  Qoidunigong  der 
Universitätsbehörden  abhängig. 

Daß  einzelne  Universitäten,  anch  wenn  die  amtlichen  Bestimmungen 
die  Immatrikulation  auf  Grund  des  Zeugnisses  für  den  einjährig-freiwilligen 
JDieQst  gestatten,  Volksschullehrern  grundsätzlich  die  Aufnahme  versagen, 
ist  ein  Beweis  für  die  geringe  Einsdiltsnng  der  Seminariuldnng.  Wer  als 

ICjflhriger  das  Abgugsiengnis  einer  sedfasUassigen  Bealsehole  erlangt 
bat,  kann  immatrikuliert  werden,  Yolksschullehrer  aber,  die  mit  dem  Ab- 
gang vom  Seminar  in  den  Besitz  des  Zeugnisses  für  den  einjährig- frei- 
willigen Dienst  kommen,  werden  al)gewiesen.  Man  vergleiche  die  Seminar- 
lehrpläoe  irgend  eines  deutschen  Bundesstaates  mit  denen  der  sechsk lassigen 
Bealschnlen,  und  man  wird  einsehen,  welche  Härte  und  Ungerechtigkeit 
in  dieser  Flazis  liegt 


S.  Zur  Fxage  dAr  ethischen  Wertooh&trang  und  reli^ 

gififlen  Anerkenniuigi) 

JCt  Beiqg  anf :  Werturteile  und  Glaui«  nsurteile.  Eine  Uatersuohiuig  von  Frofeamr 

Dr.  Alax  Heischie 

(Schlaft) 

Ich  ssgte  oben,  daß  es  nnr  die  ästhetische  und  ethische  Wert- 
beurteilung gebe  und  alles,  was  noch  sonst  als  Wertschätzung  erachtet 
werde,  entweder  auf  die  eine  oder  andere  dieser  beiden  Klassen  der  Wert- 
beurteilung zurückgehe.  Das  gilt  insbesondere  auch  von  der  Wert- 
bearteilung  im  Gebiete  der  Erkenntnis.  Die  Ikkenntnia  selbst  das  be- 
grifOicbe  Wissen  Ton  der  Erfahrang,  liegt  ihrer  Natnr  nach  vOllig  anfier 
sittlichem  Lob  und  Tadel.  Die  Wahrheit  wird  nach  anderen  Gesichts- 
punkten ireprüft  als  das  Gute.  Für  die  Anerkennung  der  Wahrlieit  ist  die 
Logik  maßgebend,  nicht  das  Gewissen.  Echtes  Wissen  weist  allerdings 
zuriick  auf  geistige  Kraft.  Dieselbe  kanu  gegenüber  geistigem  Unvermögen 
gefallen.  Das  ist  aber  eine  Beurteilung  nach  dem  Maßstabe  der  GrGße 
nnd  folglich  isthetischen  Charakters.  Das  Wissensstreben  kann  aber  anch 
im  Dienst  edler  Zwecke  stehen,  meinetwegen  im  Dienst  der  Linderung 
leiblichen  Elendes,  etwa  der  Bekämpfong  der  Schwindsucht  Es  gefällt 
dann  als  Hilfe  für  die  Verwirklichung  der  Absiebten  der  Nächstenliebe. 
Hier  wird  es  ethisch  beurteilt,  indem  es  als  ein  sittliches  Gut  geachtet 

')  Vagi.  Heft  5  dfls  vor.  Jahig. 


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60 


IBttBÜllDg^ 


wird.  Das  Wissensstreben  kann  anch  als  lanteres  Wahrheitastreben  ge- 
schätzt Verden.  Solches  Wissensatreben  viid  s.  6.  Kepler  nachgerflhmt. 

Lauteres  Wahrheitsstreben  ist  aber  nur  ein  Fall  innerer  Freiheit.  Es  be- 
rührt pich  mit  der  Ehrlichkeit  und  Rechtschaffenlieit.  Es  ist  also  abh&ugig 
von  der  sittlichen  Richtung  der  ganzen  Persönlichkeit.  Hinter  dem  reinen 
Suchen  der  Wahrheit  um  iiirer  selbst  willen  steht  der  gute  Mensch.  Wo 
die  moialiacbe  Qflte,  die  ChaiaktervortiefflicblDait  abgeht,  sndian  m  ver- 
geblich das  lantere,  Tomehme  Wahrbeitaatreben.  üdi  weiA  lUle^  wo  siob 
mit  wissenschaftlichem  Bang  Habsacht  und  Geldgier  cder  nacktes  Erfolg- 
streben  verbunden  zeiql. 

Die  moilemen  Werttheorien  stehen  im  Banne  des  Glaubens,  daß  nur 
die  naturw'i&seuächaftliche  Metliode,  vielleicht  auch,  daü  nur  die  natur- 
'wiaaeneohaftliche  (entwioklungsgescfaiohtliohe)  AnflBasang  adiff  mache,  das 
iBt,  zum  Zide  auch  im  Bereidie  der  ethischen  üntnanchnng  fOhre.  Wie 
hätte  sonst  das  Unternehmen  hervortreten  kfonen,  die  Werttheorie  nach 
entwicklungsgeschichtUcher  Vorstellungsweise  aufzubauen?  Oerade  die- 
jenigen, welche  hierin  zur  Äußerung  vor  anderen  berufen  waren,  weil  sie 
wirklich  aus  der  persönlichen  Gemütserfahrung  vom  Guten  ihre  Aussagen 
Bchöpften,  haben  mit  vollster  Gewißheit  hervorgehoben,  daß  die  ethische 
Betiachtungaweiae  von  der  theoretisofaen  (psychologischen),  der  die  modernen 
Werttheorien  fdgen,  grundverschieden  seL  Was  die  Fkage  der  fOr  ethische 
üntersuchungen  angemessenen  Betrachtungsweise  angeht,  haben  M&nner 
von  dem  ethischen  Range  eines  Plato,  Kant,  Herbart  die  Geltung  wahr- 
haft if^cr  Autoritäten.  An  dem  Beispiele  solcher  Manner  könnte  man  sich 
zu  jeder  Zeit  orientieren  über  den  Weg,  den  die  Ethik  nach  ihrem  Wesen 
als  Wisaenscbaft  von  der  rechten  Weitschitsung  bei  üntersndiungen  anf 
ihrem  Gebiete  einsuhaltoi  gebietet  Freilich  sind  diese  »spekulativen 
Ethiker«  heute  mifiaditsi  Ton  welcher  Haoht  wissenschaftliche  Zeit- 
strömnnpen  sind,  kann  man  an  Felix  Krüger  ersehen.  Er  stimmt  in  die 
Mißachtung  der  spekulativen  Ethiker  nicht  mit  ein;  aber  dorn  herrschenden 
Zuge  der  modernen  ethischen  Wissenschaft  nach  Anwendung  der  theore- 
tischen Betrsditungsweise  vermochte  anofa  er  nicht  zu  widerst^sn. Auch 
unsere  Schrift  meint:  Mit  Bedit  hebt  von  Ehrenfels  hervor,  dafi  die 
Definition  (der  Begriffe:  Wert  und  Werturteil)  eine  wesentlich  peycho- 
loglBche  werden  müsse. 

Kants  Bedeutung  für  die  Ethik  beruht  nicht  allein  auf  seiner  edlen, 
ernsten  Denkungsart,  und  seine  Fülirung  ist  uns  nicht  bloß  dann  not- 
wendig, wenn  wir  die  Eigenart  der  sittlichen  Werturteile  erkennen  wollen. 
Er  hat  vielmehr  gerade  auch  dadurch  eine  solch  grofie  Bedeutung  fOr  die 
Ethik  gewonnen,  dafi  er  die  psychologische  Betrachtungsweise,  die  heute 
bei  ethischen  Untersuchungen  als  die  wissenschaftliche  gilt,  aus  der  Ethik 
selbst  fortgewiosen  nnd  die  Ethik  auf  ihre  rechtmäßige,  eigene  Grundlage, 
die  unbedingte  sittliche  Wertsch.ltzung,  gegründet  iiat.  Herbart  folgte  ihm 
hierin  nach  und  gewann  dadurcii  Anteil  an  Kants  Verdienst  um  die  Elhik. 


YeigL  Zeitsohr.  1  FhiL  u.  Fid.  7.  Jahig.  1.  Heft,  a  1  ft,  u.  2.  Heft» 
&  114  £L 


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3.  Zur  Tngb  dar  otliiBdiMi  WafMüUzung  und  reUgiÖseo  Anerkenniuig  61 


Die  ethittche  Beurteilung  legt  in  unserer  Schrift  ebenso  Zeugnis  für 
flioh  eelbtl  äb»  als  sie  In  F.  Krügers  Schrift:  »Dor  Begriff  des  absolut 
WsrtwoUfloc  fOr  äch  selbst  gesengt  hat  Auch  wo  wir  soost  m  modemeD 

Schriften  zur  Ethik,  trotz  ihres  theoretischen  StandpunkteSi  ethischen  Ge- 
halt antreffen,  Liegt  jedesmal  die  ethische  Beurteilnnc:  zu  Grunde.  Ich 
denlte  da  V»esonders  an  zwei  berühmte  neuere  Bearbeitungen  der  Ethik. 
Der  ethischen  Beurteilung  kann  sicli  eben  niemand  entziehen,  wenn  es  nur 
im  Augenblicke  innerer  Stille  zu  reiner  Vorstellung  des  Guten  kommt 

Im  gsosen  smd  die  moderaen  Werttfaeorien  nnfrachtbar  lllr  die  Ethik. 
Ehi  Eisieher  kann  aus  ihnen  für  seinen  Beruf  keine  ethische  Förderang 
gewinnen.  Was  durch  sie  aufgehellt  werden  könnte,  wftre  die  Psycho- 
logie Ton  Lust,  Unlust,  Begehren  und  Meiden,  Aber  selbst  nach  dieser 
rein  theoretischen  Seite  hin  versagen  sie.  da  sie  unter  sich  selber  hierin 
nneins  sind.  Die  Unfruchtbarkeit  der  modernen  Werttheorien  für  die  Ethik 
ist  eine  swar  mittelbsre,  aber  gleicdiwoli}  sehr  gewichtige  Bsstttigung  fOr 
die  ethische  Beorteiluog  als  einsige  Grandlsge  der  Ethik  nnd  für  diese 
selbst  als  die  Nachweismig  der  rechten  Wertschätzung  des  Onten;  sie  be- 
deotet  zugleich  eine  Aussage  jener  Theorien  wider  sich  selber. 

Die  T'nfruchtbarkeit  der  modernen  Werttheorien  für  die  Ethik  ist 
auch  ein  gültiger  Beleg  für  die  Ursprünglichkeit  der  ethischen  Beurteilung. 
Die  ganae  medscne  irissenschaftliche  Znrflstong  tut  es  nidit  Sie  Wert- 
urteile sind  im  Gemüte  erlebt,  oder  sie  sind  es  niebt  Und  wo  sie  es 
nicht  sind,  da  kann  eben  keine  Art  >Methodt'<  den  Mangel  ersetsen.  Da 
gleicht  der  Forscher  dem  Wanderer,  der  auf  allen  Wegen  sucht  und  doch 
nicht  zum  Ziele  gelangt,  weil  ihm  das  Ziel  selbst  verloren  ging.  Die 
ünfruchtbarkeil  der  modernen  Werttheorien  in  ethischer  Hinsicht  ist  der 
Kommentar  zu  dem  Wort  dee  Dichters:  Was  kein  Verstand  der  Ver^ 
sündigen  neht,  dss  übet  in  Einüdt  ein  kindlich  Gemüt 

Das  Evangelium  steht  mit  sohlrfBter  Betonung  snf  dem  Gedanken, 
daß  theoretische  Beeinflussnngen  gerade  die  Anerkennung  des  Guten  im 
Herzen  hindern.  Den  Weisen  und  Verständigen,  erachtet  das  firaDgelium, 
ist  es  verborgen,  den  Kleinen  dagegen  offenbart 

Mit  gleich  scharier  Betonung  steht  auch  Paulus  auf  diesem  Gedanken. 
CbristoB,  der  Gekreuzigte^  war  den  Heidsn  eine  Torheit,  denn  sie  suditen 

Das  Evangelium  wie  Paulus  heben  femer  hervor,  daß  die  Wahrheit, 
Gottes  Wille  und  Gottes  Herrlichkeit,  nur  erfaßt  wird  im  heiligen  Geist. 

Im  Bereich  des  Ethischen  gibt  es  keine  solche  Beweisführung  wie 
Im  Bereich  des  Theoretischen,  des  Psychologischen.  Die  ethische  Beur- 
teilung steht  in  sich  selber  fest  Von  der  ethischsn  Beoitethmg  gilt  die 
aaschdnend  sondetbare  Rsde  m  Fralns:  Der  Gdstige  beurteilt  alles, 
und  er  sslbst  wird  von  niemandem  beurteilt  Die  ethische  Beurteilung 
ergeht  über  jedes  Lebensverhältnis.  Sie  richtet  sich  sogar  auf  künst- 
lerisches, wissenschaftliches  Streben,  wieferne  solches  Streben  zugleich 
ausgehen  soll  von  edleren  Absichten.  Ja,  sie  zieht  auch  die  Arbeit,  welche 
auf  die  Befriedigung  der  alieruilchsten  Bedürfnisse  ausgeht,  in  ihren  Kreis, 
■wiefern  sie  darnach  fragt,  ob  hinter  der  Arbdt  nur  der  blanke  Selbst- 


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62 


IfitteUangen 


erikaltungssiim,  oder  doch  auch  ein  vielleicht  von  Wohlwollen,  oder  eiuem 
juodern  besseren  Motiv  geleiteter  Wille  stehe.  Und  die  ethische  Beur- 
teilung tritt  da  allenthalben  in  völliger  Unbedingtheit  auf.  Sie  ist  ihrer 
Auslage  gewiü.  Wie  bald  einmal  Wenn  oder  Aber  auftreten,  die  £nt- 
BtehuDg  dieeeB  oder  einM  andeni  Willeos  imterBiioht  wird,  die  anlijektiTeik 
Ergelmiflse  daraua  sor  Bereolunmg  gdaogeii  und  davon  die  Wertung  ab- 
hängig gemacht  wird,  ist  die  ethische  Beurteilung  verlassen.  Die  ethische 
Beurteilung  ist  gervl'^  darin  von  der  theoretischen  so  abweichend,  daß 
sich  dabei  das  Bedürfnis  nach  Erfassung  der  Kausalitätsbeziehung  gar 
nicht  r^.  Sie  ruht  in  der  Anerkennung,  oder  auch  in  der  Verwerfung 
dea  Willena,  über  den  sie  ergeht  Und  ihr  genügt  das  OemütBieugniSy 
um  mit  vollster  Sidieilieit  und  mit  innigster  Übersragong  von  der  Wahr- 
heit ihrer  Aussage  in  dem  einen  Falle  ihre  Billigong,  im  andern  ihre 
Mißbilligung  zu  äußern. 

Wie  die  ethische  Beurteilung  in  der  Tat  über  alles  ergeht,  was  irgend 
eine  Willensseite  einschließt,  Absichtlichkeit^  eigene  Entscheidung  erkennen 
läßt,  ein  Verhältnis  zur  sittlichen  Forderung  aufweist  oder  aufweisen  sollte, 
dies  wird  durah  unsere  Sohiift  wieder  sehr  sohOn  verdentlieht  Sie  unter- 
nimmt es  z.  B.,  wie  wir  gesehen  haben,  die  Ehmen  der  WertorteQe  nadi 
ihrem  Fortschritt  zur  AllgemeingOltigkeit  zu  ordnen.  Oder  sie  untersucht 
die  Frage  nach  der  Einordnung  der  Glaubenssätze  in  den  Begriff  W^ert- 
urteil.  Da  zeigt  sie  sich  der  ethischeu  Beurteilung  untergeben;  was  sie 
hier  Zutreffendes  ausführt,  kommt  von  der  etliischeu  Beurteilung,  die  sich 
ihr  Beoht  nicht  nehmen  laßt,  sooh  wenn  der  theocetisohe  Standpunkt 
wider  sie  ist 

Eb  nimmt  wohl  den  Anschein  an,  als  ob  die  religiöse  AufÜMsnmg' 
gegenüber  der  ethischen  die  höhere,  übergeordnete  sei.  Allein  es  zeigt 
sich  gerade,  daß  die  religiöse  Auffassung  nur  wahrhaft  wertvoll  wird 
durch  ihre  ethische  Bedeutung. 

Die  theontische  Erkenntnis  soll  dazu  mitwirken,  dafi  die  Wahrheit 
der  rdigi(iBen  AulfiMsung  erhirtet  werda  Über  die  Frage  naoh  dem 
Wahrheitsri  weis  von  Glaubenssätzen  gibt  namentlich  das  Johannesevangelium 
die  tiefsten  Aufschlüsse.  Auch  der  1.  £onnther>Brief  gew&hrt  darüber 
Tortreffliche  Belelunmg. 

Die  Einheitlichkeit  der  Weltanschauung  wird  nur  durch  die  ethische 
Beurteilung  gesichert  Die  ethische  Beurteilung  ibt  der  Pfeiler  aller  wahren 
Eonsentration  des  Oeistes.  Sie  gibt  dem  Ch^stesleben  einen  festen  Mittel- 
punkt, um  den  es  sich  bewegen  mag,  wie  die  6estime  um  ihre  Sonne. 
Wer  auf  die  theoretische  Betnehtongsweisc  vertraut,  der  baut  auf  unzu- 
verlässigem Gmnd.  Das  einzige,  was  da  vorhalten  kann,  ist  allein  das 
Fortschrittsstreljen.  Im  übrigen  gilt  gerade  für  dio  theoretische  Betnich- 
tungsweiäe:  Es  iixt  der  Mensch,  so  lang  er  strebt.  Es  ist  in  dieser  Be- 
aiehung  zur  Warnung  und  Ibhnnng  dienend,  dafi  die  modernen  Wert- 
theoretiker Ober  den  Ausgang  bei  ihrer  üntersnohung  versdhiedener  Meinung 
sind.  Die  Theorien  kommen  und  gehen,  fast  wie  die  Moden.  Was  ist 
Wahrheit?  Diese  Frage  ist  den  Theorien  gegontlbor  oft  nur  zu  berechtigt. 
Die  ethische  Beurteilung  ist  Wahrheit.    Und  der  Meilige,  der  sie  unter 


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3.  Zar  Frage  der  ethischen  Wertschätzung  und  religiösen  Anerkennung  63 


den  MeoschcD  in  einziger  Relohcit  und  Yollkommenhfiit  übte,  durfte  darum 
auch  von  sich  sagen:  Ich  bin  die  Wahrheit. 

Die  Wahrheit,  die  Jesus  verkündigte,  macht  frei.  Der  Geist  dieser 
Wahzbeit  macht  tottendig.  Die  Freiheit  ist  kein  YemiOgcn,  das  im  Menschen 
Ton  Natur  aus  adilommeit  Sie  ist  die  Krone  seines  sittliehen  Strebens, 
ein  Ziel,  dem  er  sich  auf  Erden,  auch  beim  höchsten  Y-wst  und  Eifer, 
doch  stets  nur  nähern  kann.  Dio  Fr^-ihoit,  wolche  Ethik  uud  Chrißtentum 
übereinstimmend  raeinen,  ist  kein  Begriff  einer  spekulierenden  Metaphysik; 
sie  hat  nichts  zu  tun  mit  der  Freiheit,  wie  sie  Hegel  lehrte.  Es  gibt 
nur  die  eine  Flreiheit,  eben  die  innere,  sittlicfae.  Was  sonst  sIs  IMheit 
mgeaekm  wird,  die  Unterwerfung  des  Zements  durch  den  Oedanken  im 
Schaffen  z.  6.  des  Bildhauers,  oder  die  M>MstpninLr  <lrs  einzelnen  in  der 
Erfahrung  durch  zusammenfassende  und  oixlnende  Begriffe  hat  doch  mit 
der  Freiheit  des  guten  Willens  nichts  gemein. 

Die  Glaubenssätze  sind  erweisbar,  d.  h.,  durch  einen  allgemein 
gültigen  Grund  zu  rechtfertigen,  sotom  sie  ethische  Wahrheit  einschließen. 
Auf  den  GlanbenssBtsen  mit  ethischem  Wahrheitsgehalte  beruht  die  Hfig- 
lidiksit  einer  allgemeinen  Menschheitsreligion.  Die  Religion  gibt  allen 
andern  Geistestätigkeiten  des  Menschen  den  krönenden  Abschluß,  wenn  sie 
Religion  im  Sinne  des  personlichen  Heiligungsstrebens  ist,  von  dem  Johannes 
in  seinem  1.  Briefe  sj  rif  ht. 

Also:  die  Frage  der  Wertschätzung  und  die  damit  verknüpf  baren 
fagesi  der  religiflsen  Gemütsgewißheit  werden  Ton  der  Psychologie  ans 
nicht  gdfist,  sondsni  nor  den  Gemlltserlebnissen  ans,  die  im  ethischen 
Urteil  ihren  Ansdmok  finden.  Die  Gültigkeit  des  efliischen  Urteils  hängt 
lediglich  von  der  inneren  Vortrefflichkeit  oder  Verwerflichkeit  des  Willens 
ab,  über  welchen  es  ergeht.  Die  Beschaffenheit  des  Gegenstandes  l>e- 
dingt  das  ethische  Urteil,  nicht  das  Dasein,  die  Wirklichkeit  desselben. 
Dss  ist  jener  füsdie  flieoretisolie  Qesiohtspnnkt,  der  aioh  z.  B.  auch 
gegenllber  den  Schöpfungen  des  Volkstums  in  Form  historischer  Kritik 
GelturiLT  verschafft  hat.  Hier  hat  bereits  Goethe  das  Richtige  gesagt: 
>Bi.^iu'r  glaubte  die  Welt  an  den  Heldensinn  einer  Lucretia,  eines  Mucins 
Scävola  und  ließ  sich  dadurch  erwärmen  und  begeistern.  Jetzt  aber  kommt 
die  historische  Kritik  und  sagt,  daß  jene  Personen  nie  gelebt  haben, 
sondern  als  Fiktionen  und  Fabeln  anzusehen  sind,  die  der  große  Sinn  der 
BOmer  erdichtete.  Was  sollen  wir  aber  mit  einer  so  Srmlichen  Wahrheit? 
Und  wenn  die  BCmer  groß  genug  waren,  so  etwas  zu  erdichten,  so  sollten 
wir  wenigstens  groß  genug  sein,  daran  su  glauben.«  (Eckermann,  Ge- 
Sprftche  mit  Goethe.    I.    S.  155.) 

Die  Annahme,  daß  die  Zulässigkeit  der  Gemütsverehrung  geknüpft 
asi  an  dio  Erweisbarkeit  des  Daseins,  der  Wirklichkeit  der  Gegenstände 
des  raligiflsen  Glaubens  hat  innerhalb  des  Gebietes  religiöser  Anerkennung 
schon  unberechenbare  Yeriieerungen  angerichtet  Was  hat  man  da  nicht 
sciion  in  Zweifel  gezogen!  Wenn  es  keinen  geschichtlidira  Moses  gab,  so 
war  auch  alles  Ethi.sche.  das  durch  diesen  Namen  getragen  wird,  hinfällig 
geworden.  Und  so  hoi  den  Berichten  der  Evangelien.  Wenn  diese  der 
historischen  Kritik  nicht  standhalten,  so  ist  auch  ihre  ethische  iiedeutimg 


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64 


MittefloBgen 


dabin!  Die  Annahme,  daB  theorotiBciie  Ürleile  sogleldli  die  Entadieidiing 

blichten  Qber  die  Angelegenheiten  des  Herzens,  hat  insbesondere  der 
Volksreli^ion  schwere  Schädigung  bereitet.  Auch  hierin  hat  Goethe  bereits 
das  zutreffende  Wort  geredet:  ȟbrigens  echt  oder  unecht  sind  bei  Dingen 
der  Bibel  gar  wunderliche  Fragen.  Was  ist  echt,  als  das  ganz  Vortreff- 
liche, das  mit  der  reinsten  Natur  und  Vernunft  in  Harmonie  steht  und 
sooh  heute  nnserar  hOchaten  EntwioUung  dientl  Und  uraa  ist  nneoht,  als 
das  Absurde,  Hohle  und  Dumme,  was  keine  Frucht  bringt,  wenigstens 
keine  gute!  .  .  .  (Ich  halte)  die  Evangelien  alle  vier  für  durchaus  echt, 
denn  es  ist  in  ihnen  der  Abglanz  einer  Hoheit  wirksam,  die  von  der 
Person  Christi  ausging  und  die  so  göttlicher  Art,  wie  nur  je  auf  Erden 
das  Göttliche  erschienen  ist  Fragt  man  mich:  ob  es  iu  meiner  Katur 
fld,  ihm  anbetende  Ehrfoioht  m  erweisen?  so  sage  loh:  Dnichaiisl  —  loh 
beuge  mich  vor  ihm,  als  der  göttlichen  OffenbaruDg  des  höchsten  Pkuudps 
der  Sittlichkeit  .  .  .  (Eckermann,  G.  m.  G.    III.    S.  256.) 

Man  redet  von  einem  Gegensalz  zwischen  Glauben  und  Wissen  und 
davon,  daß  dem  Menschen  nur  die  Wahl  bleibe,  entweder  ewig  unmündig 
zu  bleiben,  indem  er  beim  Glauben  verharre,  oder  mündig  zu  werden, 
indem  er  sich  zum  Wissen  erhebe.  Dieser  GegeoBsti  ist  so  recht  das 
Kind  der  ICdnung,  daft  theoretische  Urteile  auch  ein  Gewicht  besBfien  im 
Umkreise  der  Qemfttsüberzeugungen.  Es  ist  eine  Bekundung  eigener  üu- 
beratenhoit,  wenn  versucht  wurde,  die  religiösen  Güter  zu  schützen  durch 
Beschreiten  des  nämlichen  Weges  theoretischer  Auseinandersetzung.  Die 
theoretische  Beurteilung  muß  m  Gemütsfragen  einfach  als  durchaus  unzu- 
stftndig  zurückgewiesen  und  zur  Besinnung  auf  ihr  eigentliches  Gebiet, 
die  ErfassuDg  der  erscheinenden  Welt»  angefordert  werden.  Solange  die 
theoretische  Beurteilung  unbefugt  flbeigieift  in  das  Qlanbeosgebiet  und 
die  Verteidiger  der  religiösen  Interessen  selber  der  theoretischen  Beur- 
teilung verfallen,  ist  zwischen  Glaube  und  Wissen  kein  Friede.  Hier 
bringt  nur  die  strenge  Scheidung  den  Frieden!  Hie  die  theoretische  Be- 
urteilung! Uie  die  ethische  Beurteilung!  —  Hie  Wissen!  Hie  Glaube! 

Es  ist  schon  wiederholt  die  Tatsache  gestreift  worden,  daB  die  ün- 
zulAnglichkeit  der  theoretischen  Beortettong  in  ethisohen  Dingen  sehr  helle 
durch  das  Auseinaodeiigehcn  der  Werttheoretiker  in  ihrer  Meinung  vom 
psychischen  Ausgangspunkt  der  Untersuchung  beleuchtet  wird.  Diese  Tat- 
sache muß  der  Aufmerksamkeit  l>esonders  aneiniifohlen  worden.  Indem  die 
AVerttheoietiker  untereinander  selber  sich  widerstreiten  in  der  Auffassung 
des  VerfalUniflses  rm  Wertung  (-Werthalten)  und  WsttoiteO,  der  eine  be- 
hauptet, dafi  die  Wertungen  den  Wertorlstten  sn  (hnnde  liegen,  der  andere 
dagegen  an&tellt,  daß  die  Wertungen  selbst  nur  durch  ein  Werturteil  zu 
Stande  kommen,  offenbaren  sie,  daß  der  psychische  Tatbestand  der  Wert- 
scliätzung  ülx.'rhaupt  dabei  nicht  lebendig  gegenwärtig  war.  Sonst  wäre 
dieses  Auseinandergehen  in  der  Aussage  darüber  unmöglich  gewesen.  Wenn 
dieser  und  jener  zwei  Dinge  betrachten,  die  in  der  Ordung  a  b  der  Er- 
fahmng  dargeboten  nnd,  so  werden  die  Terschiedenen  Beobediter  wohl 
übereinstimmend  finden :  da  sind  zwei  Dinge  in  d«r  Ordnung  a  b  ge- 
geben.  Ein  Auseinanderweicben  der  Aussagen  ist  da  rein  ausgeschlossen, 


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3.  Znr  Frage  der  ethisohen  WertsoblUzang  und  roligiösea  Anerkennung  65 


solange  nur  der  Zustand  geistiger  Gesundheit  bei  jedem  Beobachter  voraus- 
gesetzt wird.  Ebensowenig  können  nun  die  Aussagen  von  mehreren,  die 
sich  Kecheuschaft  von  dem  inneren  Tatbestand  bei  der  Wertscliätzung 
geben  wollen,  einander  entg^;ra  treten,  wenn  dieser  Tatbestand  in  dem 
Bewußtsein  jedes  einzelnen  nur  wirklich  erlebt  ist 

Der  ethische  Wert  wird  bewuBt  in  der  ethisdien  Beurteilung.  Die 
ethische  Beurteihing  ist  im  Wesen  Oefuhlserlebnis  —  Wohlgefallen  oder 
Mißfallen.  Aber  der  ethische  Wert  liegt  nicht  in  der  siilijcktiven  Rück- 
wirkung, nicht  im  Gefühlserle  buis,  das  die  ethische  Beurteilung  setzt, 
sondern  in  jenem  Wiliensverhlltnis,  Aber  welches  die  ethische  Beuiteilnngf 
ergeht  Wo  immer  der  Wert  in  die  snbjektive  RQckwiiliing  verlegit 
wird,  da  gleitet  die  Wertschätzung  selber  zur  relativen  herab,  der  Grund 
dos  Wertes  liegt  dann  nicht  mehr  in  dor  Yortrefflichkeit,  der  'lüte  des 
Wiliensverhiiltnisses,  sondern  in  der  Lusterrogimg.  Der  Schluß  liegt  dann 
nahe:  Das,  was  Lust  hervorruft,  gewinnt  Wert  —  für  mich;  der  Wert 
ist  Oberhaupt  gar  nicht  da  aufier  dem  wertenden  Individuum. 

Bier  werden  wir  eindringlich  dannf  hingewiesen,  dafi  der  Anfangs- 
punkt in  der  ethischen  Beurtaiinng  die  Yorstollung  eines  einstimmigen 
Verhältnisses  zwischen  Willen  und  sittlicher  Forderung  ist.  Diese  Vor- 
stellung ist  das  Maß  bei  der  Wertschiltzung  des  Wollens  im  Leben  und 
in  der  Geschichte.  Niu*  wer  in  irgend  einem  Grade  der  Klarheit  sich  zu 
jener  Vorstellung  erhoben  hat,  kann  also  ethisch  urteilen.  In  der  ethischen 
Bemteilnng  gibt  ea  iwischen  den  Orenzpunkten  des  ersten  Anfdlmmems 
der  Einsidit  und  der  ToUendelen  Wdsheit  viele  Grade  im  EmporateigeQ 
zur  Vollkommenheit  Der  traarigste  menschliche  Zustand  ist  der  Zustand 
der  Gemütsverblendung,  bei  welchem  sich  der  Mensch  gleichwohl  für  sehend 
hält  und  gerade  deswegen  sich  der  AuerkennuDg  des  Guten,  z.  B.  in  der 
Person  Jesu,  liartnäckig  verschließt 

Weil  die  wahrhaft  ethische  BeorfeeUung  gebunden  ist  an  die  herror- 
gehoibene  Yorstellnng  der  Eünatimmnng  swisohen  Willen  und  sittlicher 
Forderung,  solche  Vorstellung  aber  nur  im  »reinent  Herzen  möglich  ist, 
sind  die  Aufschlüsse  über  die  Frage  der  Wertschätzung  so  spärlich  zu  finden 
in  den  philosophischen  Ivehren.  welche  sich  der  Reihe  nach  in  der  Ge- 
schichte folgten,  zieht  sich  durcth  die  Geschichte  der  Philosophie  nur  »ein 
sehr  schmaler  Streifen  der  ethischen  Wahrheit«. 

Die  Quelle  der  ethischen  Beorteilnng  fließt  dort  am  reichsten,  wo  der 
Mensch  weder  versinkt  in  der  Not  des  Daseins,  noch  sich  verstrickt  in 
den  Xetzon  der  Tiicorien,  sondern  sein  Leben  dem  guten  und  seiner  Zu- 
nahme unter  den  anderen  Menschen  weiht:  bei  den  hohen  Dichtern  von 
der  Art  eines  Soi>hokles,  Sciiiller;  bei  den  erhabenen  Propheten  von  der 
Art  eines  isaias;  bei  den  heiligen  Aposteln  von  der  Art  eines  Paulus. 
Am  herrlichsten,  übeiflieflendsten  strOmt  die  Quelle  der  ethischen  Be- 
nrteilnng  beim  »licht  der  Menschen«,  bei  Jesus: 

»Wir  sduien  nns  naeh  Offenbamog,  ^ 

Die  nirgends  würdger  und  sohSner  brennt, 

Als  in  dem  neuen  Testament«  — 

Ziitniiiift  tb  fhUoMflüo  iumI  IMtgopk.  12.  iabrgmg.  5 


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66 


Mitteifaingen 


In  der  Yerehiung  des  Guten,  irdche  in  der  Kunst,  beeonden  der 
Dichtang,  und  in  der  BeligloD,  beeonders  im  Christentnm,  begegnet,  liegt 

der  Gnind  für  das  Überge%vicht  dieser  Lebensgebiete  in  dcor  Bniehong  und 
Bildung  des  Menschen  über  die  Erkenntnis.  \) 

Wenn  die  Entscheidung  darüber  ^^efordort  \viril.  wclcbe  Wertschätzung 
die  wahrhaft  ethische  sei  und  darum  Ailgemeiugültigkeit  habe,  so  kann 
dieser  Forderung  nur  dnidi  —  die  etbisohe  Werlsehitxung  selber  genCIgt 
'werden.   Diesen  Sinn  hat  die  Bede:  Wer  ans  Oott  ist,  der  hOret  Gottes 

Wort         Wäre  Gott  euer  Vater,  so  würdet  ihr  mich  ja  lieben ....  Was 

Gottes  ist,  kennet  keiner,  als  der  Geist  Gottes.  Eben  danira  sind  theo- 
retische Urteile  in  den  Gemütssachen,  und  solche  sind  auch  die  Sachen 
eines  geläuterten  Glaubens,  unzuständig. 

Die  BemQhuDgeD,  auf  dem  Wege  theoretischer  Q)sychologiächer)  Be- 
trachtungsweise das  Fehlern  der  Wertsohfltsung  zu  Utaen,  bestltigen  durch 
ihre  ethische  Ergebnislosigkeit  die  schlichte  Sachlage,  dafi  Gemüts- 
anerkennung  kein  Gegenstand  des  Wissens,  solidem  des  unmittelbaien  Er- 
lebens ißt. 

Die  religiöse  Anerkennung  beruht  auf  ethischer  IJeurteiluug:  das  kann 
man  bcsondei-s  bcü  Taidus  sehen.  Die  Frage  ist:  Welches  ist  der  Grund 
der  religiösen  Übeneugung  ?  Wodurch  komme  ich  dahin,  das«  was  mir  die 
Autoriliten  lu  glauben  vorsteUen,  als  Wahrheit  gelten  an  lassen?  Worauf 
beruht  die  innere  Notwendigkeit  der  Giaubenswahifaeit  fOr  mich?  Die 
Merkmale  der  loligidsen  Überzeugung  kann  man  aus  einer  Erkenntnislehro 
nicht  erfahren.  Wenn  in  einer  solclien  das  Wissen  gegenüber  dem  Glauben 
wegen  seiner  objektiven  Gewißheit  gerühmt.,  der  Glaube  aber  wegen  seiner 
angeblidi  nur  sabjdEtiTea  Gewißheit  gegenüber  dem  Wissen  geringe  ge- 
«ditet  wird,  so  ist  damit  Aber  die  GlaubensgewiAheit,  wekdie  doch  eine 
andere  Grundlage  haben  kann  als  das  bloße  persönliche  »FQrwahrhaltenc, 
noch  nichts  entschicdou.  Solche  Vergleichungen  zwischen  Wissen  und 
Glauben  lassen  nur  erkennen,  daÜ  hier  auch  der  Glaube  als  so  etwas  wie 
das  Wissen,  nur  von  minderer  Sorte,  erachtet  wird.  Nieht  irgendwelche 
Erkenntnialehre  kann  hier  zureichend  belehren,  dies  vermögen  nur  die  Ur- 
kunden des  Glanbens,  die  religi(taen  Quellen.  Man  muß  darüber  bei  den 
religiösen  Yorbildem  sich  Bats  erholen,  nicht  bei  Theoretikern,  die  mOglicher- 
weise  etwas  als  Religion  ausgeben,  was  gar  nicht  Religion,  wenigstens 
keine  etliischo,  geh'iuterto  Religion,  ist.  Der  religiöse  Inhalt  des  Evan- 
geliums gewährt  da  doch  ganz  anderen  Aufschluß  als  gelehrte  B^iffs- 
Untersuchung. 

Die  religiöse  Erkenntnisweise  ist  in  dem  kleinen  Sats  beschlossen: 
Wer  nicht  liebt,  der  kennet  Gott  nicht;  denn  Gott  ist  die  Liebe.  Sie  ist 
eine  vOllig^  andere  wie  die  theoretische  Erkeontni.sweise  mit  Hilfe  der 
Sinne:  Selig  sind,  die  nicht  haben  gesehen,  und  glauben!  Die  JQnger 


')  Kunst  und  T\plicion  haben  auch  woit;pfi  der  (Jemütsvorodlung  durch  das 
Schöne  und  der  (jeuiutbätuikuug  durch  das  VertraueQ  auf  die  göttliche  Uuter- 
stfttzung  groBe  Bedenhuig  für  die  innere  Erhebung  des  Menschen  und  seine  Be- 
faBtigong  im  Goten. 


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3.  Zur  Frage  der  ethischen  "Wertschätzung  und  religiösen  Anerkennung  (\7 


machten  ihre  Anerkennuag  Jesu  zuerst  abhingig  vom  Infieren  Erfolg. 
Damm  nahmen  alle  in  der  Nacht^  da  er  gefangen  wurde,  an  ihm  Ärgernis. 
Die  iWelt«,  die  »Finsternis«,  wie  sie  uns  bei  der  Menge  begegnet,  die 
Jesus  zum  König  machen  wollte,  weil  er  sie  gesättigt  hatte,  sowie  bei  den 
Feinden  Jesu,  macht  die  Aüerkeuuung  Jesu  abhängig  von  der  Befriedigung 
fluer  Lust  und  SdbstBoobt.  Der  0]aabe  allem  anerkeniit  Jeeos  als 
Gottes  Sohn. 

Ein  sehr  würdiger  Mann,  der  sich  sein  Leben  hindurch  mit  dar  IVagfr 
der  religiösen  Anerkennung  beschäftigt  hat,  kommt  zu  dem  Schlüsse:  Die 
personliche  Erfassung  der  religiä«on  Wahrheiten  ist  die  Haupt.-^ache.  Aber 
eben  solcher  Erfassung  steht  nach  ihm  der  menschliche  Eigendünkel  ent- 
gegen. »An  der  eingebüdetsD  eagßom  Gerechtigkeit  der  Phariiler  solieitertea 
alle  BemflhmigeD  des  Herrn  Jesu,  ja  eben  diese  erzeugte  eine  solche  Feind- 
schaft gegen  ihn,  daß  sie  ihn  töteten,  c  Es  gibt  keinen  anderen  Weg  zur 
religiösen  Anerkennung  als  den  Weg  durch  das  eigene  Herz.  Derselbe 
treffliche  Mann  weist  auch  auf  das  höherc  Bildungswesen  als  eine  T^i-sache 
des  Zustandes  gerade  im  Gebiet  der  religiösen  Anerkennung  hin:  »Bei 
uns  ist  die  unbegrenzte  Freiheit,  die  in  ungemessene  Zireifdsiicht  aus- 
artet Die  Bibel  and  die  religifleen  Wahrheiten  sind  dam  da,  kiitiaieit 
zu  Axerden  und  soviel  davon  anzunehmen,  als  vor  dem  kritisehen 
Bichterstuhle  Gnade  findet.*  Er  sieht  die  Wendung  zum  Besseren  nur 
kommen  durch  die  innere  Bo'lüi-ftitrkeit  der  Gegenwart.  »Die  Not  der 
Zeit  zwiriL'-t  am  Ende  doch,  die  feste  (Lebens) -Grundkige  der  Lehre  Jesu 
•wieder  aufzusuchen,  freilich  wohl  erst  nach  einem  großen  und  jammer- 
vollen Krach.  80  ging  ea  in  üsiaeL  Yoiher  TedeohtsD  und  miBhandeiten 
sie  die  Propheten.  Nachher  vrar  das  Gesetz  Gottea  ihr  einziger  Halte 

Einmal  antwortete  Jesus  den  Juden,  die  sich  wunderten,  daß  er  die 
Schrift  verstehe,  da  er  nicht  gelernt  Imtte:  Meine  Lehre  ist  nicht  meine 
scmdem  dessen,  der  mich  gesandt  hat.  Wenn  jemand  den  Willen  des- 
selben tun  will,  der  wird  erkennen,  ob  diese  Lehre  von  Oott  sei,  oder  ob 
ich  ans  mir  selbst  rede.  Das  eigene  nnmitbelbaie  Bdeben  der  xeligiQeeo 
Wahrheit  im  Gemfite  ist  also  immer  ideder  die  Bedingung  der  religifieen 
Anerkennung.  Sollte  es  darüber  einen  Streit  geben?  Der  Mensch  kann 
d'  ch  nirgend  aus  seinem  Bewußtsein  hinaus.  Ebenso  wie  er  nach  unten- 
iun  sich  alles  nur  zurechtlegen  kanu  mit  Iliife  seines  Bewußtseins  und 
gemäß  demselben,  vermag  er  das  auch  nur  nach  oben  hin.  Der  Geist, 
Temehmcn  wir  im  1.  Xorintherbriefe,  ergründet  alles,  auch  die  Tiefen 
Gottes.  Der  Geist  ist  der  Geist  Gottes  selber.  Welches  aber  ist  dieser 
Geist  Gottes?  Daran  wird  er  nach  Johannes  erkannt:  Jeder  Geist,  welcher 
bekennet,  daß  Jesns  Christus  ist  gekommen  im  Fleisch,  der  ist  von  Gott. 
Und  jeder  Geist,  welcher  Jesum  auflöset,  ist  nicht  von  Gott.  Gottes  Geist 
ist  die  wahre  ethische  Wertschätzunfr,  dio  in  clor  Anerkennung  Jesu  als 
des  Sohnes  Gottes  hervortritt.  Wenn  wir  einander  lieben,  so  bleibet  Gott 
in  uns,  und  seine  Liebe  ist  in  uns  Tollkommen.  Daran  erkennen  wir,  daft 
wir  in  ihm  Ueiben  und  er  in  uns:  tou  seinem  Geist  hat  er  uns  gegeben. 
Also  noch  einmal:  ohne  das  persönliche  unmittelbare  Erleben  des  Guten 
gibt  es  keine  Anerkennung  des  religifleen  Ideals,  der  religiösen  Wahibeit. 

5* 


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es 


Die  Frage,  ob  die  Glaabenstirteile  Werturteile  seien,  ist  durch  den 
Charakter  der  christlichen  Glaul>ensurteile  allerdings  bejahend  entschieden. 
Innerhalb  der   ethischen  Religion   sind   die  Glaubensurteile  Werturteile, 
selbst  dann,  wenn  sie  dem  Anscheine  nach  sich  wie  Seiusurteüe  darstellen. 
Waa  bekannt  Pmüos  zum  Eingang  des  BSmenbriefee?  loh  bin  berufen  nnd 
ecboven  ffir  das  EnBigdiam  Gottes  von  seinem  Sohne,  dem  geboTenen  aas 
dem  Oeechlechte  Davids,  dem  Fleische  nach,  dem  als  Gottes  Sohn  er- 
wiesenen in  Tatkraft,  dem  Geiste  der  Heiligkeit  nach,  durch  Auf- 
erstehung von  den  Toten.    Und  was  versichert  der  Apostel  an  der  näm- 
lichen Stelle?  Daß  er  Gott  diene  in  seinem  Geiste.    Worauf  stützt  er 
tSxh  in  Betenemng  der  Wahrheit?  Auf  sein  Oeiwieeen:  loli  sage  die  Wahr- 
heit in  Cluiafa)  Jesa,  ich  Iflge  mcht,  mein  Qewiasen  benogt  ea  mir  im 
heiligeD  Geist.  Er  lehrt  nicht  aus  Irrtiun,  Unlauterkeit,  noch  mit  Täuschung, 
sondern  um  Gott  zu  gefallen,  der  sein  Herz  prüft,  nicht  mit  Schmeichel- 
worten, nicht  mit  Absicht  der  Habsucht,  nicht  um  Ehre  zu  gewinnen. 
Worauf  vertraut  er  dabei?  Auf  die  Gewissensaussage  in  den  Hörenden: 
In  Offenbarung  der  Wahrheit  empfiehlt  er  sich  bei  dem  Bewufitsein  aller 
UenBchen  tot  den  Angen  Qottes.  Er  ist  tief  davon  dorchdrongen :  Wir 
haben  nicht  Macht  wider  die  Wahrheit,  sondern  für  die  Wahrheit.  Der 
Ohrist  soll  sich  niemand  gefangen  geben,  nicht  auf  Menschen  schwören: 
Alles  ist  sein.  Der  Christ  soll  auch  nicht  dem  Buchstaben  vertrauen:  Der 
Buchstabe  tötet,  der  Geist  aber  belebet.    Der  Christ  hat  keine  Decke  auf 
seinem  Herzen.   Der  Herr  ist  Geist,  wo  aber  der  Geist  des  Herrn  ist,  da 
ist  IMieÜ    Jeder  —  in  dem  Oottee  Qeist  wohnet  —  spiegelt  die 
Harrüfihlrait  Gottes  -wider.  Der  Ohriet  soll  taohten  uMSh  der  aUes  ttber- 
treffendcn  Erkenntnis  Jesu.    Dieser  gegenüber  gelte  ihm  alles  Übrige  als 
Verlust.    Christus  ist  ja  Gottes  Weisheit.    In  ihm  sind  alle  Schätze  der 
Weisheit  und  Erkenntnis  verborgen.    Ihn  mit  den  Augen  des  Herzens  zu 
erkennen,  die  Herrlichkeit  seines  Willens  zu  erfassen,  das  ist  Gewinn. 
Hit  ihm  ist  der  Ghiist  den  Kindheitslehran  dieser  Wdt  gestoiten.  Das 
geisdiohe  YereHndnie  des  WiUenB  Christi  —  dieses  ist  das  Wissen,  darin 
der  Ouist  gekräftigt  werden  soll  zu  jedem  Reichtum  und  zur  Fülle.  Und 
zu  diesem  Verständnis  des  Willens  Christi  sind  alle  Menschen,  auch  die 
Heiden,  berufen.    Das  ist  den  Propheten  und  Aposteln  durch  den  Geist 
offenbart  worden.    Das  Beich  Gottes  ist  Gerechtigkeit  und  Friede  und 
Frande  im  heiligen  Qeist  Wenn  einer  in  Christo  ist,  eine  neue  SchOpfong 
ist  er.  Er  stsht  niobt  mehr  nnter  Avbeheni  nnd  Yerwaltem,  wie  das 
immUndige,  dem  Eneohte  gleich  gehaltene  Eind.    Er  ist  erlöst  von  dorn 
Gesetze,  dem  Joche  der  Knechtschaft.  Er  gehorchet  nur  der  Wahrheit,  ge- 
leitet vom  Geiste.    Ihn  bewegt  nicht  mehr  jeder  Wind  der  Lehre.  Er 
ist  nun  Sohn,  denn  er  liat  den  Geist  Christi  im  Herzen.     Er  anerkennt 
Gott  und  iüt  anerkannt  von  Gott    Zur  Freiheit,  zur  Herrlichkeit  Gottes 
berufen,  lom  Wandel  nach  dem  Geist,  prüft  er  sein  eigenes  Ton.  Er  stet 
im  Geist  und  erntet  daraus  das  Leben.  Die  Yerleognnng  der  Obeneqgong, 
des  Glaubens,  ist  ihm  Sünde.  Fest  und  unerschütterlich  steht  er  anf  dem 
Evangelium  Christi.  Wenn  ein  Engel  vom  Himmel  es  ihm  anders  predigt>n 
mflohte,  als  wie  es  ihm  in  Treue  und  Aufrichtigkeit  verkündigt  wiuxie,  er 


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3.  Zur  ¥nft9  der  eOiiaoheD  WtvMbXtwaDg  mid  idigiSmn  Aneikemmiig  69 


vanket  nktht  Eir  lebt  Gott,  denn  Chriatog  lebt  in  ihm.  Den  Lebenskamiil 

führt  er,  umgetan  mit  dem  Gürtel  der  Wahrheit  und  bewaffnet  mit  dem 
Schwort  dos  OeisteSy  Qottee  Wort    So  harrt  er  «u,  bis  er  den  Lnnf 

vollendet  hat. 

Der  ganze  Paulus  ist  eine  einzige  grulie  Botiitigung  dafür,  daß  die 
Glaubensarteile  —  auf  dem  Boden  der  Religion  Jesu  —  Worturteilo  sind. 

Die  Lehrweise  Christi)  wie  sie  besonders  im  Gesprftche  mit  dem 
samaritisehen  Weibe  und  in  der  Unterweisung  des  Qeeetzlehzecs  herrortrittf 
der  ihn  vei^uchte  (Luk.  10,  25  —  37),  geht  auf  die  Anerkennung  der  rcli- 
Eri"'»en  Wahrheit  durch  die  eigene  Geraütszustimmunp^  hinaus.  Um  solche 
üomQtszustimmung  bewegt  sich  alle  christliche  Mission;  denn  diese  will 
nicht  die  Seelen  überherrschen  des  Glaubens  wegen,  sondern  baut  darauf, 
dafi  Oott  die  Henen  erlenohte  cor  Erkenntnis  seiner  Henlichkeit  in  der 
Paraoo  Jesn.  Auf  soldier  OemOtssostimmmiff  beruht  die  wahihafts  ^nes- 
andemng,  die  Bekehrung,  welche  fortan  strebt  nach  der  Gemoinschaft  des 
Sohnes  Gottes.  Durch  solche  Gemütszustimmung  ist  dio  christliche  Reli- 
gion GesinnungsreligioD,  und  der,  der  kleiner  ist  im  Jk'ich  der  Himmel, 
doch  größer  als  Johannes.  Solche  Gemütszustimmuug  wirket  die  christ- 
fidie  BetiflbDiB  über  das  BBee,  wie  den  chrisüiofasn  Trost  in  der  Tersöh- 
mmg  mit  Gott  dnrch  Jesos.  Solehe  Qemfltssnstimmmig  ist  die  Eiaft  in 
den  Helden  der  christlichen  Kirche. 

Wie  macht  sieh  die  ethische  Beurteilung  bei  einem  Trauernden  — 
im  Sinne  des  Beruj  redigcrs  —  geltend  ?  Der  Mensch  unterliegt  dem  Be« 
gehren.  Da.s  ikgchren  ist  gerichtet  auf  das  Erleben  einer  Lust.  Diese 
Lust  wird  schon  mit  vorgestellt  in  der  Yersuchung.  Das  Begehren  drängt 
nir  Hsndlnng.  Die  Handlung  ist  das  Mittel  sur  Befriedigimg  des  Be- 
gehrens. WUhrend  der  Handlung  regen  sich  schon  Lustempfindungen. 
Dieselben  wachsen  im  Voranechreiten  der  Handlung.  Sie  nahem  sich 
ihrem  Höhepunkt,  je  näher  die  Handlung  ihrem  Ziele  ruckt:  der  vollen 
Befriedigung  des  Begeluens.  Der  Mensch  geht  im  Begehren  auf.  Die 
Unterscheidung  dessen,  was  sein  und  nicht  seiu  soll,  ist  wie  geschwuudeu. 
Wenn  das  Begehren  befriedigt  ist»  erlischt  es.  Die  innere  Geschichte  des 
Begehrens  hat  ein  giofier  Dichter  daigeetellt  Audi  ein  neuerer  gaühmter 
Ktlnatler  hat  sie  in  einer  Bilderreihe  den  Augen  gezeigt  Wenn  das  Bo- 
gehren gestillt  ist,  regt  sich  die  Beurteilung.  Das  Gewissen  redet.  Die 
sittliche  Forderung  wirtl  wieder  gegenwärtig  im  Bewußtsein.  In  der  sitt- 
hchen  Forderung  erkennt  man  sich  selber  so,  wie  man  beim  guten  Ge- 
danken, beim  Vozssts  sein  wollte.  Die  Verurteilung  durch  das  Gewissen 
ist  darum  Sdhetrerurteilung.  Das  macht  sie  so  bittor  sohmersend.  Es 
regt  sich  ein  neuer  Wille,  der  den  gestOrten  Einklang  unseres  Strebens 
mit  der  sittlichen  Forderung,  den  inneren  Frieden,  wieder  herzustellen 
trachtet:  Ich  will  mich  aufmachen  und  zu  meinem  Vater  gehen  und  zu 
ihm  sagen:  Vater,  ich  habe  gesündiget  gegen  den  Himmel,  und  wider  dich. 

Wie  ist  es  mit  dem  Qemüte  im  Beten?  Im  Gebete,  werden  die 
linder  gelehrt,  erheben  wir  das  Gemüt  zu  Gott  Diese  Audegung  des 
Gebetes  für  die  Kinder  trifft  den  l^n  des  Betens  aufe  beste.  Im  Gebete 
geht  der  Mensch  mit  Gott  lun.  Da  steht  Gott  in  seiner  Heiligkeit  vor 


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70 


MitteihuigeD 


uns.  Wir  beurteilen  ihn:  wir  verdiren  ihn;  wir  beten  ihn  an:  m  an- 
erkennen ihn  als  den  Heiligpen.  Aber  wir  lialten  uns  auch  liier  an  Gott. 
Wir  beurteilen  uns  selber  in  unserem  Abstand  von  ihm.  Wir  fühlen 
unsere  Blöße  imd  Bedürftigkeit  Wir  flehen  ihn  an  um  seine  Hilfe  in 
unserer  Herzensnot:  Und  der  ZOUner  stand  von  fem,  wollte  auch  seine 
Augen  nidit  aufheben  gen  Himmel,  aondem  aehlog  an  seine  Brost  und 
spiach:  Gott,  sei  mir  Sünder  gnidüg!  —  Oder  wir  finden  ons  dnroh  Gott 
gestärkt  in  der  Ausrichtung  unserer  Aufgabe.  Wir  haben  mit  seinem  Bei- 
stande die  Treue  gehalten  gegen  das  Gute  auch  in  schwerer  I^ge.  Dann 
loben  wir  ihn  und  danken  ihm.  Dann  denken  wir:  Wenn  Gott  für  uns 
ist,  wer  wider  uns?  Das  Vaterunser  ist  das  Beispiel  des  Gebetes.  Es 
liebt  an  mit  dem  Ansdmok  des  VertEsneoB  anl  den  lieOigen  Yater.  Dann 
bittet  es  um  die  rechte  Rrdheit  nnd  den  rechten  Gehorsam  des  Gemüts. 
In  seiner  Glitte  stellt  die  Aufnahme  des  göttlichen  Willens  im  Herzen. 
Dazu  soll  Gott  in  seiner  Freundlichkeit  und  Barmherzigkeit  helfen,  indem 
er  gütig  den  Druck  der  Not  und  die  Angst  der  Schuld  von  uns  nimmt. 
Am  Olberg,  in  der  Nacht  vor  seinem  Leiden,  betete  Jesus:  da  können  wir 
den  Qeist  des  'wahren  Gebetes  erfahren.  Wahres  Beten  ist  nicht  Bzanoh 
nnd  Übong,  es  ist  selten. 

Wir  sehen:  das  christlich-religiOse  Leben,  gehe  es  auf  Bufie  oder  auf 
innere  Kräftigung  und  Läuterung,  steht  auf  ethischer  Beurteilung. 

Wie  wird  denn  die  Kluft  überbrückt  zwischen  Natur  und  innerer 
Freiheit?  Schiller  wollte  sie  vermitteln  durch  die  Macht  des  Schönen  über 
•das  Gemüt.  AUein  er  selbst  wußte  es,  daß  es  Augenblicke  im  Leben 
geben  kann,  wo  dieser  Genius  Tersagt.  Wer  soll  dann  den  Hensdien  Uber 
die  Tiefe  tragen?  Der  moralische  EntscbluB?  Für  alle  Menschen  gilt  jenes 
Bekenntnis:  Was  ich  will,  das  Gute,  das  tue  ich  nicht;  sondern  was  ich 
mißbilL'ge,  das  Böse,  das  tue  ich.  .  .  Ich  habe  Wohlgefallen  an  dem  Ge- 
setze Gottes  ruich  dem  inneren  Menschen.  Ich  fühle  aber  ein  anderes 
Gesetz  in  meinen  Gliedern,  welches  entgegen  streitet  dem  Gesetz  meiued 
Geistes,  und  mich  unteijoclit  dem  Gesetie  der  Sflndlicfakeit,  das  in  meinen 
Gliedern  ist  Der  das  ehrliche  Bekenntnis  der  menschlichen  Armseligkeit 
abgelegt,  derselbe  hat  auch  angezeigt,  was  den  Menschen  frei  macht  von 
dem  Gesetz  der  Sünde:  das  Gesetz  des  Geistes  dos  Lebens  in  Jopu,  die 
Gnade  Gottes,  die  allen  Menschen  erschienen  ist.  Das  Begeliren  wider- 
streitet der  Vernunft.  £s  ist  stark  durch  die  Lust,  die  es  erwartet.  Wie 
irarde  ich  Herr  darfiber?  Ästhetische  Erziehung,  Oemfltsvendelnng,  ist 
gewiA  ein  Schntsmittd  gegen  die  Macht  des  Begdunns.  Allein  das  Be- 
gehren «ird  dadurch  nur  sbgelenk^  nicht  überwunden.  Wer  gibt  mir 
das  Zutrauen,  die  Hoffnung  auf  den  Sieg  trotz  aller  Gewalt  des  Begehrens? 
Christus,  der  Gekreuzigte.  Im  Glauben  an  ihn  gewinne  ich  die  Kraft 
zum  aussichtsreichen  Kampf  mit  dem  Begehren.  Aus  der  Religion  schöpft 
der  Mensch  sittlichen  Mut  und  sittliche  Stärke.  (Vergl  die  Fußbemerkung 
8.  66.)  Der  Glanbe  an  Jeans  kommt  ans  Wertsohltzung  Jesu.  So  be- 
ruht die  religiöse  Gesinnung,  auch  in  ihrer  Yollendung,  im  letzten 
Grunde  auf  der  ethischen  Benrteilang^  verbunden  mit  dem  Geftkhle  der 
J^UTecsicht 


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3.  Zur  Frage  der  ethischen  Wertschätzung  und  religiösen  Aucrkeauung  71 


Es  ist  mm  wohl  zulässig,  (Iber  das  Religiöse  selbst  eine  Besiunung 
anzuätelleD.  Man  vemimnit,  daß  das  Heligiösc  Sache  der  Überzeugung 
werden  solle.  Als  Übeneugong  wird  ausgegeben,  was  gewiA  ist  Als 
gewiß  giU,  -was  wirklioh  ist  Das  Wiridiobe  ist  jedoch  noch  nicht  das 
Gewisse.  Das  Gewisse  ist  noch  nicht  das  persr»nlich  Gülfitro,  die  Über- 
zeugung. Wirklich,  sinneubezeugt,  ist  z.  B.  auch  der  scheinbare  Lauf  der 
Sonne.  Aber  dieser  Lauf  ist  doch  nicht  gewiß,  nicht  wahr.  Viele  Dinge 
sind  gewiß,  ihre  Wahrheit  steht  fest;  aber  sie  steht  nicht  für  mich  fest, 
lob  habe  sie  noch  nicht  anerloumt,  mit  dem  Oaoseo  meine  Gedanken  noch 
nicht  vecsdimolsen.  Das  Gewisse  ist  in  solchem  Falle  fQr  mich  Iceine 
Überzeugimg.  Denn  das  Merkmal  der  Überzengong  ist  dieses:  der  Inhalt 
ist  nicht  bloß  gewiß,  sondern  in  das  Ganze  meiner  Auffassungen  auf- 
genommen und  dadurch  zu  meinem  geistigen  Eigentum  gemacht  wonlen. 
Das  Wirkliche  gehört  dem  Gebiet  der  äußeren  Erfalinuig  an,  es  ist  das 
Natur- Wirkliche.  Das  KeligiCse  ist  kein  Wirkliches  in  dem  gleichen 
Sinne  wie  das  Natur-Wirkliche.  Der  Heiland  antwortete  sdnem  Bichter: 
Mein  Reich  ist  nicht  von  dieser  Welt  Die  Qebftrden  machen  nicht  die 
Religion.  Sonst  wären  die  Phaiisäer  religiös  gewesen.  Also  muß  das 
"Wirkliche,  das  der  äußeren  P^rfahrung  dargeboten  ist,  uud  das  Religiöse, 
das  gar  kein  Wirkliches  im  Sinne  des  Natur- Wirklichen  ist,  mit  aller 
Strenge  auseinander  gehalten  werden.  Das  Religiöse  ist  nicht  Gegenstand 
der  sinnHcben  Erfabrong,  sondern  des  Erlebens  im  Qemüte.  Das  BeligiOse 
ist  ein  Willens- Wirkliches,  ein  Wirkliches  geistiger  Art  (Ich  denke  an 
das  ChrisUlob-Beligidse.)  Wann  ist  das  Religiöse  ein  Qewi>si  s  für  mich? 
Das  Erfahrungsgewisse  ist  ein  Seins- Gewisses,  das  diu-ch  die  Sinne  be- 
zeugt wird.  Ja,  ich  habe  das  gesehen!  Thomas  war  noch  auf  der  Stufe, 
daß  auch  das  Religiöse  durch  die  Sinne  bezeugt  werde  gleich  dem  Sinuen- 
WhUicheD.  Er  wurde  belehrt:  Das  Religiöse  hat  mob  andere  Erkenntnis- 
quelle als  das  NatOiliehe,  ErfsbrungsmäBige.  Auf  dem  anflnglichen  Stand- 
punkt Ton  Thomas  steht  die  platte  Aufklärung. 

Das  Religiöse  wird  für  mich  ein  Gewisses  im  Willen.  (Job.  7,  17.) 
Es  ist  schwer,  zur  religiösen  Gewißheit  zu  kommen.  Das  Bekenntnis 
allein  reicht  nicht  zu.  Derselbe,  der  bekannt  hatte:  Du  bist  Christus,  der 
Sohn  des  lebendigen  Gottes!  leugnete  es  vor  der  Magd  und  den  Knechten 
mit  einem  Eidschwur:  Ich  kcmne  den  Menschen  nicht.  Die  JQnger  haben 
vordem  nidit  gebeten  im  Namen  Jesu.  Wenn  der  Geist  der  Wahrheit, 
der  Tröster,  sie  lehrt,  da  werden  sie  bitten  im  Namen  Jesu.  Da.s  Reli- 
giöse ist  Willenssache,  die  herrührt  vom  Gei.ste.  Wie  gelangt  man  zu 
solchem  Willen,  der  vom  Geiste  kommt?  Jesus  sagt:  Alles  ist  mir  über- 
geben von  meinem  Vater;  niemand  kennet  den  Vater,  als  nur  der  Sohn, 
und  wem  es  der  Sohn  will  offenbaren.  Wenn  euch  der  Sohn  frei  madiet, 
da  werdet  ihr  wahrhaft  frei  sein.  Ohne  mich  kOnnet  ihr  nichts  tun. 
Jesas  bittet  auch  den  Vater  um  die  Gabe  des  Tn'^sters  an  die  Apostel 
Das  Religiöse  wird  einem  gewiß,  wenn  man  den  Geist  erlangt,  der  im 
Willen  wohnt,  wie  ihn  Jesus  uns  gibt 

Wie  kommt  der  Menseh,  der  von  Natur  aus  den  Weg  zum  Guten 
aioht  anliwiflhti  mid  der  vieileidil  imier  den  Btaden  der  ümgebung  noch 


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72  Mitteflimgen 


mehr  entartet,  doch  empor?  Durch  religiöse  Bildung  auf  der  OruDdlage 
eines  wertvollen  religiOeen  Büdnngsstoffes?  Das»  -was  ein  solofaer  Stoff  an 
Büdangskraft  einschließt,  wird  nicht  ohne  weiteres  wirksam  auf  das  Sind, 

wenigstens  nicht  so,  daß  der  tiefere  Gelialt  dieses  Stoffes  Gomütseigentura 
des  Kindes,  Gcwißlicit,  Überzeugung  würde.  Wie  wird  dann  der  Gehalt 
des  relif^oscn  Bildnnpsstoffes  wirksam  auf  das  lüiul/  Der  Mensch  muß, 
zum  mindesten  in  emcm  gewissen  Anfang,  den  Willen  haben,  in  dem  der 
Geist  Christi,  d.  i.  Gottes,  vohnt  Gehet  und  belehret,  taofet  und  haltet 
an!  Jaatete  der  Auftrag  an  die  Apostel  Und  die  Apostel  traten  wirklich 
vor  allem  als  Lehrer  auf.  (I.  Kor.  I,  17.  Ap.-G.  VI,  2.)  Es  gibt  auch 
eine  religiöse  Gedankenarbeit.  Hinter  ihr  steht  das  Gemüt.  Sie  ist 
ethisrlios  Urteilen.  Cl>er  religiö.se  Gedanken  vcrstiindigt  man  sich  schwer, 
weil  sie  auf  Gewissens- Aussagen  beruhen.  Die  A]x>stel  sollten  alle  Völker 
beliolireD:  damit  -war  niolit  im  entüBrnteaten  gemeint,  sie  soUteii  ebenso 
▼erfahren,  ine  man  verfiUirt  bei  Yeretandesbe^nffen,  welche  man  zwecks 
Erläuterung  auf  ihren  Erfahrungsinhalt  zurückfahrt  WIre  das  religiöse 
Erkennen  ein  gleiches  wie  das  Erfahnm^s- Erkennen,  so  wäre  auch  die 
Religion  selber  etwas  Äußeres.  Aber  zwischen  dem  Erkennen  im  Sinne 
von  VerstaudesbegiiÖen  und  dem  Erkennen  des  Herzens  ist  ein  himmel- 
weiter Unterschied.  Wer  Religionsunterricht  erteilt,  der  weiß  es  aus 
lebendiger  Erfahrung,  wie  sdiwer  doch  wieder  das  GemQtserkennen  fttr 
den  Menschen  ist,  wieviel  dazu  gehOrt,  bis  einer  aus  voller  persönlicher 
GewlBheit,  ganz  aus  sich  selber,  zu  einer  Aussage  kommt,  die  als  Äußerung 
einer  überzeus^nnp:  geachtet  werden  darf.  Die  religiöse  Erkenntnis  ist 
etwas  Hohes,  weil  persönlich  Bedingtes.  Der  Religionsunterricht  hat  schon 
ein  großes  Ergebui.s  erreicht,  wenn  er  den  Menschen  nur  in  die  geistige 
Bewegung  gebracht  hat,  daß  er  nach  Oberzeugung  strebt  Der  Beligions- 
unterricht  kuin  nicht  auf  Aufwallungen  der  Qefllhle  bauen.  Es  ist  eine 
grobe  Verwechselung  des  Gemütsgefallens  oder  -Mißfallens,  wie  es  in  der 
ethischen  Beurteilung  sich  offenbart,  mit  den  gewöhnlichen  Gemüts- 
erregungen,  wenn  behauptet  wird,  der  ethische  Religionsunterricht  arbeite 
mit  Affekten.  Die  ethische  Beurteilung,  aus  welcher  zuletzt  die  religiöse 
Erkaintnis  >-  im  Umkretoe  der  religiösen  Bildung  —  hervorgeht,  beruht 
ihrerseits  wieder  auf  einifissiger  Durcharbeitung  der  reUgiOsen  Bildungs- 
stoITe.  Solche  Durohsibeitung  fiflbet  erst  die  Augen  des  Henens  fOr  den 
Wert  dieser  Bildungsstoffe. 

Wie  ist  es  eigentlich  mit  dem  religiösen  Anerkennen?  Es  denke  da 
jeder  an  sich  selbst.  Wie  oftmal  im  Leben  hatte  denn  jeder  solche 
Augenblicke  im  ßemüte,  daß  er  von  der  Macht  der  Qlaubenswahrheit  so 
ergriffen  war,  dall  er  den  Zwang  der  Überzeugung  dabei  tief  empfand? 
Gewiß  sind  solche  AugenUicke  in  eines  jeden  Leben  nicht  allzuhäufi;. 
Man  denke  nur:  dazu  cphnrt,  daß  man  das  Naturwesen  gänzlich  wie  aus- 
gezogen habe,  daß  auch  der  Rest  von  Lustverhingen,  Eigenliebe,  Trachten 
nach  dorn  Vorteile  aus  dem  Herzen  entfernt  sei,  daß  man  heilig  fühle. 
Ja,  man  freut  sich  so  oftmal  über  Gutes,  lobt  es,  aber  die  Anerkennung 
durch  die  ganze  PetsOnlichkeit  ist  selten.  Die  Apostel  des  Herrn  voll- 
zogen sie  zu  Pfingsten.  Da  war  ein  Petrus  verwandelt;  jetzt  mußte  er 


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3.  Zur  Fnuro  der  öthischen  'Wertschätzung  und  feligiSeen  Anerkennung  73 


rar  Menge  sprechen:  Gfotk  hat  sum  Herrn  und  Gesalbten  diesen  Jeeum 
geouMllt,  welchen  ihr  gekreuzigt  habt!  Solche  Anerkennungsakte  edebt 
man  zu  ihrer  Zeit.  Saulus  hatte  einen,  da  ihn  auf  dem  Wege  Jesus  an- 
redete. In  dem  Anerkonnungsakt,  bei  dorn  die  Persönlichkeit  ins  Treffen 
rückt,  verdichten  sich  wohl  die  Oemütserfahrungen  eines  Lebens  zu  Einem 
ürteU.  Der  Mensoh  mnA  dabei  M  sein,  alles  abgetan  haben,  was  an  ihm 
Tergflng^oh,  irdisch  ist 

Die  religiöse  Bildung  aoU  religiös > sittlich  denken  lehren.  Dazu  ge* 
hört,  noch  einmal  sei  es  presagt,  geistige  tiefe  Durcharbeitung  der  reli- 
giösen BilduntrsstolTe.  Das  religiös- sittliche  Denken  ist  schwerer  als  das 
verstandesmäliige  im  Gebiete  der  Natur.  Im  Bereiche  der  Physik  bei- 
spielweise kann  man  zur  Erkenntnis  gelangen,  auch  wenn  man  persön- 
lich niedrig  steht  Dabei  tamn  aUea  Mensohliche  bleiben.  Aber  beim 
Tdigiöe-sittlichen  Denken  muß  ich  von  meinon  Selbst,  wie  ea  die  Natur 
und  die  Umstände  erzeugten,  absehen.  Da  kommt  mein  > innerere  Mensch 
in  Frage.  Dem  nattirlichen,  liOL'chrliohen  Selbst  klingt  die  religiöse  Wahr- 
heit hart,  es  mag  sie  nicht  hören,  es  ärgert  sich  darüber.  Wer  vom 
Brote  und  Wasser  des  Lebens  genießen  soll,  in  dem  muß  schon  etwas 
Tom  Hunger  und  Dnnt  nach  der  Qeraehtigkeit  sein! 

Das  Ganze  der  Frage  nach  der  Wertschätzung  überhaupt  und  dem 
Yerhaltuis  zwischen  Wert-  und  Glaubensurteiloi  soll  uns  am  Ende  noch 
ein  Fall  aus  dem  Leben  vorhalten.  Ein  junger  Mann  ist  in  großer  innerer 
Unruhe.  Das  Angeerbte  gerät  in  ihm  ins  Wanken.  Das  ganze  »moderne« 
Empfinden  und  Denken  stürmt  auf  ihn  ein  und  wirbt  um  ihn.  Besonders 
die  neneie  Bewegung  nach  einer  Lebensgestaltung  auf  dem  Dntertmi  der 
SobOnheitareligion  erfhSt  ihn  mit  aUer  Gewalt  Er  sooht  nach  LOsmig 
der  Fragen,  die  ihn  bedrängen,  in  Büchern,  Vorlesungen,  im  stillen  Sinnen. 
Er  geht  auch  zum  Freund  seiner  Kindheit  und  entdeckt  ihm  seinen  Zu- 
stand. Er  ist  soweit:  die  Kunst  stehe  über  dem  Oedanken.  Das  Ziel 
der  menschlichen  Entwicklung  sei  das  Weltbürgertum.  Der  einzelne  solle 
sich  selber  beherrschen.  Aber  die  Menschheit  gelange  nicht  zur  Selbst- 
beherrschung. Damm  bleibe  das  Weltbflrgertum  Traum.  Der  monarohische 
Oedanke  sei  dem  Eindheitsalter  der  Meosohen  gemäß.  Der  Ab&U  vom 
Christentum  sei  im  Wachsen.  Die  Kraft  setze  sich  in  Wärme  um.  Zu- 
letzt sei  alles  Wärme:  der  Untergang  dor  Welt.  Der  Mensch  entferne 
sieh  von  der  Natur.  Es  könne  Gott  nicht  im  hr  naiv,  im  Gefflhl  glauben, 
sondern  nur  durch  den  Verstand.  Aber  dahin  kämen  wenige,  Gott  mit 
dem  Yeratande  m  glauben.  Diesea  ist  uogeffthr  der  geistige  Zustand  dee 
jungen  Mannes. 

Der  Freund  gibt  dem  jungen  Manne  zu  bedenken:  das  Schöne  steht 
über  dem  Wissen,  aber  am  höchsten  steht  das  Gute.  Das  künstlorischo 
Schaffen  ist  an  die  Persönlichkeit  des  Kunstlers  gekiifipft.  Sittlieiier 
Verfall  bringt  auch  den  Verfall  der  Kunst.  (Aeschylos,  Sopliokles,  Euri- 
pides.  —  Wolfram  von  Eschenbach,  Qottfried  von  Straßburg.)  Schiller» 
GoeCbe  waidea  die  gioAea  Dichter,  weil  aie  sieh  menaohlich  empor 

Untertan.   Beim  Ysrfall  der  Eonat  flberwisgt  die  Form,  der  Gebalt  tritt 

sorOok. 


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74 


MitteüoDgeD 


Das  menschlicho  Wissen  ist  StOokwerk.  Was  wir  mit  unserer  Er- 
fahrung umfassen  und  unseren  Geisteskräften  durclicliingen ,  ist  ver- 
schwindend -wenig  gegenüber  dem,  was  unserer  Erfahrung  unzugänglich 
und  unserer  Auffassung  verschlossen  ist  (Bekenntnis  des  sterbenden 
Laplaoe.)  Dumm  mnfi  «D«  Erkenntnis  mit  dem  Vorbehalt  «nfgenommea 
werden :  sie  kOnne  möglicherweise  berichtigt  werden.  Newtons  Lehre  von, 
der  Gravitation  beg^ete  dem  Bedenken:  Wie  ist  Wirkung  in  die  Feme 
(ohne  Yermittelung)  möglich?  Die  Gravitation  scheint  undenkbar  ohne  Vor- 
anssetzung  des  Äthers.  Es  gibt  dagegen  eine  unwandelbare  Notwendigkeit: 
die  sittliche.  Dem  Urteil  über  gut-bdse  im  Gewissen  kann  kein  Mensch 
Bich  entziehen  oder  widerstreiten,  wiefern  er  gnt-bOse  einsieht.  Die  sitt- 
liche Beurteilung  bleibt  dieselbe  von  Sokiates  bis  heute  —  bei  allen,  die  sich, 
dazu  emporgeschwungen  haben.  Der  Abfall  der  vielen  vom  Glauben,  der 
religiöse  Bankerott,  hat  ohne  Zweifel  mehrere  Ursachen;  aber  dem  un- 
rechten Religionsunterricht  muß  doch  eine  Hauptschuld  daran  aufgebürdet 
werden.  Er  gibt  den  Kindern,  die  nach  Brot  verlangen,  den  Stein  un- 
verstandener ErUftnmgen.  Er  yergiBt  so  oft  der  Mahnung  des  Meisters: 
Lasset  die  Eindleini  und  wehret  ihnen  nicht  su  mir  zu  kommen,  denn 
solcher  ist  das  Reich  der  Himmel.  Der  Katechismus  ist  ein  Buch  voll 
tiefer,  bedeutungsvoller  Wahrheit.  Aber  die  wird  dem  Menschen  nicht 
immer  vermittelt.  Sie  bleibt  für  den  Mcns^L-hon  dann  nur  Wort.  Daraus 
und  aus  anderem,  was  das  Nötigen  zum  bloßen  Auswendiglernen  z\iweilen 
begleitet,  entsteht  ein  starker  psychischer  Druck,  wie  von  allem,  was  man 
lernen  soll,  obgleioli  man  es  nioht  versteht  Dieser  blofle  Gedlohtnisinhalt 
und  die  Religion  sind  den  Kindern  und  spftter  den  QioBen  Eins.  Mit 
Widerwillen  lernen  die  Kinder  das  Geforderte,  und  wenn  in  sp&teren 
Jahren  den  Erwachsenen  einmal  der  freche  Spott  und  kecke  Zweifel  sagt: 
das  ist  Torheit  oder  Trug!  so  werfen  sie  mit  Lust  weg,  was  nie  in  seinem 
'\^'erte  ihrem  Gemüte  nahe  gekommen  war.  Dazu  kommt:  das  Religiöse 
muß  TorgelebC  werden.  Daa  ist  die  wirksamste  religitee  Beeinflussung. 
Das  Christentum  ist  die  Liebe  in  jenem  wetten,  alles  bsgreifenden  Sinn 
des  13.  Kapitels  im  1.  Eorintherbriefe.  Die  Lehrpersonen,  die  den  Reli- 
gionsunterricht besorgen,  mflssen  religiöse  Vorbilder  sein.  Werden  sie  das 
ausnahmslos  sein? 

Die  Religion  ist  niemals  Verstandessache,  immer  Gemütssache.  Die 
gelinterte  Religion  ist  auch  keine  Religion  der  Furcht  Sie  geht  nioht 
henror  aus  dem  OefOhl  ftufierer  Abhingigkeit,  der  OlQckssorgei  Der  Ver> 
stand  kann  emp&nglich,  zugänglich  machen  für  religiöse  Überlegungen, 
indem  er  sich  aufrichtig  eingesteht,  daß  es  jenseits  alles  Wissens  dunkle 
Rätsel  gibt,  die  er  nicht  auflösen  kann,  von  welehon  er  vielmehr  bekennen 
muß:  Ignorabimusl  Aber  der  Verstand  selber  kommt  doch  niemals  zur 
wahrhaftigen  Religion.  Für  ihn  ist  die  Religion  nur  Lücken büüer.  Der 
popuUren  Naturwiasensohaft  gegenüber  ist  fibeidies  Vorsieht  geboten.  Sie 
hat  sohon  Unheil  genug  angeriohtet  Sonderbar,  die  Glaubenskraft,  die 
man  der  BeUgion  entsieht,  stellt  man  den  Sätzen  der  Naturwissenschaft 
gerne  zur  Verfügung.  Aber  man  täusche  sich  nicht:  diese  Sätze  sind 
nur  iOr  den,  der  sie,  er/ahrend-denkeDd,  auagemaoht  hat,  Erkenntnis  ^  für 


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8.  Zur  Frage  der  etfaiachen  'Wntsohftbnmg  und  religiösen  Aneikennimg  75 


jeden  andern,  der  sie  nur  an-  oder  aufnimmt,  silid  sie  auch  bloB  ge- 
lerntes Wortwisaen,  ohne  innei«  Bedentong  und  Anift.  Eb  bleibt  niohts 
anderes  ftbrig:  man  muß  die  Natorwiaaenadiaft  aioli  auf  dem  Woge  zu- 
eignen, auf  dem  sie  aUein  erworben  werden  kann:  durch  das  Studium 
der  lebendigen  Natur:  mit  Hilfe  von  Beobachtung  und  Versuch  und  ein- 
dringendem Denken.  So  sieht  man  ein,  daß  die  Naturwissenschaft  nur 
bei  wenigen  zu  linden  ist  und  nur  diesen  wenigen  hier  ein  Urteil  zusteht 
Denn  aelbat  Stodierende  eignen  aie  aioh  ^hl  ao  an,  wie  Sinder  beim 
▼erkehiten  BaUglonBonteiiioht  den  Kateohiamoa. 

Die  Menschen  leben  in  der  Familie,  unter  ihrem  Stamme,  in  ihrem 
Landesverbände,  bei  ihrem  Volke.  Da  haben  sie  ihre  Aufgaben.  Die 
müssen  sie  erfüllen.  Das  Weltbürgertum  bringt  die  Gefahr  mit  sich,  daß 
man  seine  nächsten,  wirklichen  sittlichen  VerpÜichtungen  überspringt 
Schiller  bat  aioh  daron  loagemaoht  Auch  Goethe  (in  Hermann  und  Doro- 
tiiea).  Da  bist  ein  edler  Anaiohiat;  dn  denlwt:  der  Henaoh  aei  aein 
eigener  Herr.  Es  bedarf  keiner  gesellschaftlichen  Organisation.  Der  Staat 
ist  nur  Notbehelf,  Polizeianstalt.  Du  bist  auch  Pessimist;  du  meinst:  die 
Well  —  die  Menschheit  —  die  westeuropäische  Kultur  geht  ihrem  Unter- 
gang entgegen.  Aber  das  Gute  bleibt.  Wenn  es  unter  einem  Volke 
keine  Heimstätte  mehr  hat,  ündet  es  eine  solche  bei  einem  anderen  Volke. 
Das  lehrt  die  Ctoaohiohte.  Die  Oeaohiohte  lehrt  mithin:  Die  TSlker  gingen 
zu  Onmde,  die  aioh  ¥om  attüiohen  Qelate  loeaagten.  Der  Burenkrieg  ist  die 
Offenbarung  der  modernen  Kultur,  wie  sie  der  Natiu'wissenschaft  entsprang. 
Die  moderne  Kultur  ohne  Christentum  führt  zur  Barbarei.  Wenn  man 
ihr  die  Hülle  abnimmt,  ist  sie  Habgier.  Unter  dem  Verwände,  den  Fort- 
Bchhtt  zu  bringen,  hat  man  jenen  Xri^  augebngen.  Die  einen  waren 
die  SOokatftndigen ,  die  gemftfi  der  modernen  Fortaohrittdehre  dem  Unter- 
gang TerlUlen  aollten.  Die  anderen,  die  im  Besitie  der  modernen  Macht- 
mittel, waren  die  EShoron.  Die  moderne  Kultur  ohne  Christentum  bringt 
den  Menschen  hinab  auf  die  Stufe  des  Raubtieres.  Die  Stärke  ist  die 
Vollkommenheit.  Die  Stärke  gibt  das  Recht.  Es  gibt  nicht  mehr  gut- 
böse,  sondern  nur  stark  -  schwach.  Die  Stärke  darf  sich  aller  Mittel 
bedienen.  Je  eher  sie  den  Q^er  niederzwingt,  vernichtet,  desto  lobend 
werter  ersdheint  sie.  Sie  aobfimt  sich  nioht  der  ünwahiheit  Sie  verletzt 
gefühllos  alle  Henechlichkeit  Sie  beeeelt  nur  der  Eine  Oedanke:  der  Oe- 
danke an  den  Erfolg.  Möchte  unser  Volk  für  alle  Zukunft  dem  getreu 
bloil-ten,  der  gemahnt  hat:  Was  hülfe  es  dem  Menschen,  wenn  er  die  ganze 
Welt  gewönne,  aber  Schaden  nähme  an  seiner  Seele?  — 

P.  Zillig 


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I  Philosophisches 

Heosel,  Paul,  Hauptprobleme  der  EthiL  Leipzig,  Teubners  Verlag, 
1903.    106  S.    1,60  M. 

Die  Schrift  besteht  aus  7  systematisch-zusammenhängenden  Vorträgen, 
die  in  Mannheim  auf  Veranlassung  des  dortigen  Vereins  für  Hochschul- 
kurse  gehalten  worden  sind.  Ihrer  Entstehungsart  nach  sind  die  Vorträge 
für  das  Verständnis  eines  weiteren,  fachwissenschaftlich  nicht  vorgebildeten 
Leserkreises  berechnet,  und  wir  glauben,  daß  bei  ihrer  klaren,  leicht 
faßlichen  Ausdrucksweise  —  einer  heilsamen  Wirkung,  die  solche  Hoch- 
schulkurse auf  den  Stil  so  manches  Gelehrten  ausüben  konnten!  —  die 
Schrift  diesen  Zweck  vollkommen  erreichen  wird,  und  wir  würden  es  mit 
Freuden  begrüßen,  wenn  sie  dazu  beiträgt,  weitere  Kreise  für  die  ethischen 
Probleme  zu  interessieren. 

Die  ersten  3  Vorträge  führen  mitten  in  das  feindliche  Lager  der  in 
der  Gegenwart  als  modei-n  geltenden  Richtungen  des  Utilitarismus  und 
Evolutionismus  hinein. 

Nachdem  der  Verfasser  eine  Darstellung  der  Lelire  Benthams,  des 
klassischen  Vertreters  des  Utilitarismus  in  seiner  unverfälschten  und  konse- 
quentesten Gestalt,  gegeben  hat  und  an  Beispielen  veranschaulicht,  wie  der 
Utilitarismus  alle  moralischen  Gefühle  auf  ihre  letzten  Gründe,  auf  Lust- 
und  Unlustgefühle,  zurückzuführen  sucht  und  sie  nach  ihrer  Intensität,  der 
Sicherheit  ihres  Eintretens,  der  Dauer,  der  Schnelligkeit,  Fruchtbarkeit  und 
Reinheit  abschätzt,  schreitet  er  zur  Kritik.  Den  Grundpfeiler  des  Systems 
bildet  die  Möglichkeit,  jegliche  Art  von  Lust-  und  Unlustempfindungen 
gegen  einander  einheitlich  abzuwägen.  Es  ist  aber  lediglich  Sache  der 
individuellen  Willkür,  wie  hoch  die  einzelnen  Lustposten  nach  ihren  ver- 
schiedenen eben  angeführten  Gesichtspunkton  der  Beurteilung  in  Anschlag 
gebracht  werden;  denn  je  nach  der  Bildung  eines  Menschen  werden  jene 
Gefühle  teils  höher  teils  niedriger  bewertet.  Ferner  stellt  jede  einzelne 
Handlung  auch  für  das  Individuum  einen  individuellen  Akt  dar,  der  indi- 
viduell beurteilt  sein  will.   Mag  also  auch  z.  B.  für  gewöhnlich  die  durch 


I  Fhüoiophiaohee 


77 


einen  Mord  erworbene  Lustsumme  durch  die  spätere  ünlustsummo  seiner 
Folgen  übertroflen  werden;  wenn  aber  im  einzelnen  Falle  eine  Entdeckung 
völlig  ausgeechlossen  ist,  —  und  solche  Fälle  gibt  es  doch,  —  was  hin- 
dert mich  nach  Benthams  Ethik,  den  Mord  zu  begeben?  Oder  was  kann 
mich  bewegen,  auf  eine  LaBtsamme  an  veniohteDf  also  ein  definitives 
Opfiv  IQ  bringen,  das  mir  später  nicht  wieder  mit  Zinsen  zu  gate  kommt? 

Aber  auch  die  Formel  Benthams:  eine  jede  Handlung  müsse,  um 
sittlich  zu  sein,  das  größte  Glück  der  grr)ßton  Anzahl  bezwecken,  ist  sitt- 
lich sehr  bedenklich,  zumal  da  auch  alle  die  Folgen  mit  in  Betracht  ge- 
zogen werden  müssen,  die  durch  eine  Handlung  im  Laute  der  Zeit  heriror- 
gebraoht  werden.  KnrfOist  FHediich  IL  tou  Heaaen-Kaseal  verkaufte 
einen  Teil  aeiner  Landeakinder,  wodoroh  gewiS  eine  grofie  Summe  von 
Unlust  erzeugt  wurde.  Aber  von  einem  Teile  des  Erlöses  schaffte  er  sich 
Kunstwerke  an,  die  noch  heute  Tausenden  von  Menschen  Entzücken  be- 
reiten. Von  Jalir  zu  Jahr  wird  also  jene  Unlustsumrae  der  Vergangenheit 
mehr  kompensiert,  bis  schließlich  die  Lust^umme  überwiegen  wird.  Die 
Handlung  muß  also  darnach  als  attülioli  geHan. 

SohlieMiek  liegt  der  Lusttheorie  Benthams  ein  starker  Optimismus 
zu  Qrunde,  nämlich  der  Glaube,  daß  aus  dorn  lieben  ein  Überschuß  von 
Lust  über  die  Cnlust  resultiere.  Ob  dies  der  Fall  ist,  oder  ob  der  IVssimis- 
mus  mit  seiner  gegenteiligen  Behauptung  recht  hat,  ist  einfach  Giaubens- 
saclie.  Damit  aber,  daB  der  Utilitarismus  sein  System  auf  diese  Basis 
stellt,  verleugnet  er  sein  eigenes  Prinzip,  das  jegliche  idealistische 
S|)eku]ation  (Hansel  gebranoht  den  Ausdruck:  Metaphysik)  verachtet 

Das  Hauptgewicht  legt  der  Utilitarismus  auf  den  ethischen  Kalkül, 
die  Berechnung  der  Lust-  und  Unlustfoltrcn  einer  Handlung.  Nun  wird 
eingf'worfen:  derartige  Berechnungen  widersprechen  der  Erfahrung.  Denn 
in  Wirklichkeit  fällt  es  niemand  ein,  derartige  Berechnungen  anzustellen, 
sondern  man  folgt  der  inneren  Stimme  des  Gewissens,  weiche  besser  als 
alle  Berechnungen  sag^  was  der  Msnaoli  sn  tun  habe. 

Dieae  eofaeinbar  unflberwindliohe  Kluft  sn  flberbrflcken  hilft  dem  ütili^ 
tarismns  der  Evolutionismus  mit  seiner  bekannten  Theorie  von  derfiu^ 
stehung  des  Gewissens.  (Vergl.  Flügel,  Ycrsucho,  den  Endäraonismus 
durch  den  Evnlutionismus  zu  er^'clnzen,  Einladungnschrift.)  Für  den  dabei 
in  Betracht  kommenden  Entwicklungsgang  vom  Egoismus  zum  Altruismus 
sucht  Spencer,  der  Hauptvertreter  dieser  von  Darwin  ausgehenden  An« 
sduutUDg,  historische  BesUttigung  und  teOt  darnach  die  Weltgeeofaiohte 
ein  in  das  unzivilisierte  Zeitalter,  wo  die  Mraschen  in  stetem  Kampf  mit- 
einander leben  unter  naturgemäßen  Vorwiegen  der  egoistischen  Motive, 
zweitens  in  unser  gegenwärtiges,  militärisches,  wo  sich  nur  noch  große 
Verbände  gegenüberstehen,  und  der  Egoismus  und  Altruismus  sich  die  Wage^ 
halten,  und  drittens  in  das  goldene,  kommerzielle  Zeitalter  der  Zukunft, 
wo  Altruismus  und  Egoismus  ihre  YersOhnnng  feiern. 

In  der  Kritik  diesss  Bvölutionismus  kommt  Honsel,  dessen  Aus- 
führungen sich  hier  vielfach  mit  denen  in  Flflgels  tldealismns  und  Mate- 
rialismus der  Geschiclito-  (Langensalza,  Hermann  Beyer  ^  Sohne  f Heyer 
&  MannJ,  1898)  decken,  wie  dieser  zu  dem  üesultate,  daß  der  i^sitz  einiger 


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78 


Tugenden  e&tBchieden  als  Yorteil  im  Kampf  vasa  Dasein  sn  betrachten  sei, 
bei  andern  sei  es  sweifeUuift,  wieder  hi  anderen  konnten  ihre  direkt 

nachteiligen  Folgen  nicht  abgeleugnet  werden;  femer,  daß  der  Evo- 
lutionismus (ebenso  wie  der  damit  zusammenhängende  Ökonomische  Material- 
ismus) von  prinzip wegen  keine  Ethik  begründen  könne,  weil  da  die 
Entwicklung  des  Weltgeschehens  doch  nach  unabänderlichen  Gesetzen 
vor  sich  gehe,  wobei  unser  Wollen  nicht  in  Betracht  komme,  ein  Grund 
eines  pfliohtgemftBen  Mitwirkens  miserarseits  snoh  gar  niöbt  erflndlidL 
sei  (»Ein  Astronom  wäre  tOriobt»  der  eine  Mondfinsternis  ,will!*«)  Anfier- 
dem  krankt  der  Evolutionisaras,  ebenso  wie  der  Utilitarismus,  an  dem 
Optimismus  des  Glaubens  an  einen  endlosen  Fortschritt  zum  Höheren 
in  kultureller  wie  moralischer  Beziehung,  was  noch  erst  nachzuweisen 
wäre  (Vergi.  Kanke,  Über  die  Epochen  der  neueren  Geschichte,  S.  15  Q.) 

Im  Tisrten  Vortage  stellt  Mensel  diesen  Erfolgsethiken  die  sbsolnte 
Qesinnungsetfaik  entgegen  und  swar  begründet  auf  dem  Eantisohen  kat»> 
gorischen  Imperativ.  Der  fünfte  Vortrag  zeigt  jedoch  all  ^chwftohen 
einer  Ethik,  welche  wie  die  Kantische  den  PflichtbegrifF  oder  die  an  sich 
leere  Ideo  der  inneren  Freiheit  oder  der  autonomen  Überzeugungstreue  des 
Individuums  als  einzige  Grundlage  anerkennt.  »Sollen  wir  den  Willen, 
welcher  die(se)  empörendsten  Handlangen  als  pflichtgemäß  bejaht  hat  mit 
den  hlkihsten  ESiren  eines  gaten  H^ens  bezeichnen?«  Itthrt  Hensel  als 
naheliegenden  Selbstein wurf  an,  und  er  beantwortet  ihn  konseqnent:  »Ich 
sehe  in  der  Tat  keine  Möglichkeit  uns  dieser  Eonsequenz  zu  entziehen.« 
Gewiß  gel)en  wir  flensol  zu,  daß  aus  derselben  Beachaffenheit  eines 
guten  Willens  die  verschiedensten  Handlungen  entspringen  tonnen,  wie 
ja  das  Flügel  in  seinem  »Ich  und  die  sittlichen  Ideen«  ethnologisch  auf- 
gezeigt hat,  aber  einen  ans  Überseugung  übelwollenden,  nnbilligen  and 
prinsiidell  nngersdhten  Willen  werden  wir  nnn  nnd  nimmer  als  gut  be- 
aeiohnen,  ganz  abgesehen  nnd  nnabhSngig  davon,  was  tfit  Handinngen 
aus  einem  solchen  Willen  hervorgehen.  Ganz  konsequent  warnt  infolge- 
dessen Honsel  beispielsweise  vor  dem  Irrtum,  die  Juden,  die  Jesus  zu 
Tode  gebracht  haben,  für  böse  und  verderbliche  Menschen  zu  halten,  denn 
als  Anhlnger  der  I^folgsethik  bitlBa  sie  eben  anok  naoh  ihrer  Obeiw 
seogong  gehandelt  (Darnach,  so  mflssen  wir  nooh  konseqoentarweise 
fortfiahren,  waren  sie  also  gute  Menschen  I)  Überzeugungstreue  wollen  wir 
ihnen,  allerdings  auch  mit  Einschränkung,  zubilligen,  aber  Wohlwollen, 
Gerechtigkeit,  Billigkeit?!  Etwas  ganz  anderes  hat  es  z.  B.  mit  dem  Falle 
auf  sich,  den  Flügel  a.  a.  0.  anführt,  daß  bei  gewissen  wilden  Völker- 
schaften der  Erstgeborene  den  altersschwachen  Vater  erschlägt,  also  nach 
nnsem  heutigen  Anschauungen  einen  Vatermord  begebt  Denn  er  tat  es 
ja  aus  reinem  Wohlwollen,  nm  dem  Vater  ein  vielleicht  schimpfliches  Ende 
durch  Feindeshand  zu  ersparen.  Er  begeht  auch  keine  Unbilligkeit  oder 
Undankbarkeit,  denn  el)en  jene  Tat  wird  ja  vom  Vater  selbst  als  billige 
Wohltat  empfunden.  Eine  Schonung  seines  Lebens  würde  dieser  selbst 
als  Nichtachtung  ansehen.  Er  verstößt  auch  nicht  gegen  das  bei  jenen 
VOlkem  sanktionierte  Beoht,  wihrend  im  Gegenteil  ein  Unterlasssn  dieser 
Ehrenpflicht  des  Sohnes  AnJaB  ni  Streit  bOte;  nnd  yon  der  innem  Über- 


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I  Philosophisches 


79 


zcngung,  eine  giite  Tat  zu  tnn,  ist  der  Täter  auch  getragen.  Wer  wollte 
aber  behaupten,  daß  die  Juden  Christus  aus  Liebe  gekreuzigt  hätten? 
Und  dafi  sie  billig  gehandelt  hfttten,  in  dieser  Weise  seine  Wohltaten  zu 
▼ergelten.  Und  jene  ProseßTerhtndlungen  aeben  anch  vatHit  gerade  nach 
Becht  und  Qerechtigkeit  aus!  Ihr  Verhalten  ist  und  bleibt  also  unsittli(di. 

Wir  sehen,  mit  den  Herbartschen  5  Ideen,  die  ebenso  wie  der  kate- 
gorische Imperativ  des  autonomen  Gewissens  rein  formaler  Natur  und  daher 
unabhänipig  von  jeder  äuiiereii  Handlung  sind,  werden  ebenfalls  die 
Klippen  der  Erfolgsethik  vermieden,  andrerseits  haben  sie  deu  Vorzug, 
daB  sie  dem  aittUohen  Erfitbrangsiuteiu  nicht  den  Zwang  anton,  wie  obigea 
Belaplel  Henaela  anfweiat,  führen  auoh  nicht  an  der  Konaeqaens,  daß 
rieh  Ober  das,  was  sittlich  ist,  im  GFmnde  gar  nicht  disputieren  läßt,  daß 
man  schließlich  jede  aus  Überzeugung^  ausgeübte  Handlung  als  sittlich 
gelten  lassen  muß.  Mit  obiger  Rektifizierung  kennen  wir  auch  den  Satz 
Honsels  ruhig  unterschreiben:  »Wenn  uns  hier  auffallende  Verstöße  gegen 
daa,  was  wir  fOr  aittUoh  an  halten  gewohnt  aind,  entgegentreten,  ahiä  wir 
alabald  mit  Verdiohtignngen  des  aittliohen  Gharakters  dea  Handdnden  hei 
der  Hand,  und  doch  haben  wir  auch  an  dieaer  SteUnngnahme  kein  un- 
bedingtes Recht.«    (S.  60.) 

Im  weiteren  stimmen  wir  auch  mit  Honsel  überein,  wenn  er  bei  der 
Besprechung  der  Sitte,  der  positiven  Rechtsordnung  und  Strafrechtes  aus- 
fahrt, wie  es  vorkommen  kOnne,  daß  ein  sittlicher  Charakter  mit  der  Sitte» 
der  Reohtaofdnnng  nnd  dem  Strafkecht  infiilge  seiner  hohem  aittiichen 
Anffassung  in  Konflikt  kommt»  wie  ein  solcher  aber  dann  die  Stnfe  ala 
von  Rechtswegen  verhängt  zu  ertragen  habe  in  der  Hoffnung,  später  viel- 
leicht sein  Volk  zu  seiner  höheren  Sittlichkeit  hinaufziehen  zu  können. 

Im  sechsten  Vortrag  ist  für  uns  die  Erörterung  über  den  ethischen 
Wert  des  Altruismus  von  besonderem  Interesse.  Da  He n sei  uur  die 
Idee  der  Obeneugungstreue  kennt,  muß  die  Idee  dea  Wohlwollena  wohl 
oder  ttbel  an  dem  an  eich  aittUoh  Indilfafenten  gerechnet  werden.  Ihr 
kommt  hOohatena  pädagogischen  Wert  zu,  indem  sie  zur  Selbst- 
öbervs'indung,  also  zur  Idee  der  innern  Freiheit  erziehe.  Welche  Ver- 
kennung der  eigentümlichen 8 ittlichen Schönheit  derldee  des  Wohl- 
wollens spricht  aus  den  Worten  (S.  74):  »Es  mag  pädagogisch  wünschens- 
wert sein,  Kinder  daran  zu  gewöhnen,  von  ihrem  Kuchen  an  andere  mitau- 
teOen,  aber  daa  ethiach  Wertvolle  iat  dabei  nicht  daa  Lastgefühl  der  andern 
Kinder,  ( —  selbstveratBndlich  nicht,  aber  das  behauptet  auch  niemand!  — ) 
sondern  die  Gewöhnung,  welche  dem  mitteilenden  Kind  daraus  erwächst, 
eine  andre  Norm  für  sein  Handeln  anzuerkennen,  als  das  eigne  Behagen.« 
Demgegenüber  vergegenwärtige  man  sich  doch,  welch'  eignen  Reiz  es  auf 
den  unparteiischen  Zuschauer  ausübt,  wenn  so  ein  kleiner  treuherziger  Locken- 
köpf  adnen  armen  Kameraden  von  seinem  StQdc  Kuchen  beißen  Ußt! 
Hier  wird  einem  so  recht  klar,  welch  feinen  Griff  Herbart  tat,  wenn  er 
das  ethische  Qeschmacksurteil  in  enge  Beziehung  zu  dem  ästhetischen 
brachte!  Nein,  mein  braver  Junge,  das  war  schon,  das  war  gut  von  dir! 

Gewiß  eine  rein  altnÜBtischo  Goineinschaft  ist  ein  Unding.  Aber  wer 
sagt  denn,  daß  das  Wohlwollen  das  alleinige  Prinzip  der  Moiui  sein  müsse? 


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80 


Besprechungen 


Don  meisten  christlich -theologischen  Ethikern  gegenüber  ist  ein  solcher 
Hinweis  allerdings  am  Platze.  —  Auch  der  Egoismus  sensu  medio,  also 
besser,  der  natürliche  Selbsterhaltungstrieb,  oder  Handlungsweisen  aus  Lust 
oder  ünlQBt  Bind  an  sioh  nicht  monlifloh  mindenreitig,  da  Btimmen  wir 
Hensel  bei,  sondern  sitüioh  indifferent 

Heu  sei  sagt  nun  (8.  75):  »Es  können  altraistische  Handlungen  höchst 
nnsittlich«  ( —  indessen  wohlgemerkt:  nicht,  weil  sie  altruistisch  sind!  —  ) 
»egoistische  in  demselbeu  Grade  sittlich  sein«.  ( —  indessen  nicht  deshalb, 
weil  sie  egoistisch  sind!  — )  »Wenn  ich  mich  krank  fühle,  und  es  als 
Pflicht  empfinde,  durch  eine  Badereise  meine  geschädigte  Gheeundbeit 
wieder  henustelton,  und  wenn  ich  alsdann  das  hierfür  bereit  gelegte 
Geld  ans  eofalsflinr  Gntmütigkeit  fttr  einen  andern  dahingehe  nnd  niin 
diese  Reise  unterlassen  muB,  so  habe  ich  ich  eine  selir  altroistiache  (?), 
aber  zu  gleicher  Zeit  hochgradig  unsittliche  Handlung  begangen,  c 

Indessen  ist  diese  Handlung  keineswegs  »sehr  altruistisch«,  denn 
Altruismus  oder  Wohlwollen  ist  nicht  identisch  mit  »schlaffer  Gutmütig- 
keit!« (vergL  A Iii hns  Ethik  u.a.).  Denn  ich  hätte  bedenken  müssen,  daß 
ich  meine  Geeondheit  fOr  weitere  soiiale  Arbeit  fOr  andere  erhalten  mnA. 
Andrerseits  hängt  damit  snsammen,  dafi  ich  midi  dmmh  meine  sohwaobe 
Handlungsweise  einer  Verletzung  der  andern  Ideen  &  B.  der  Vollkommen- 
heit, der  Billigkeit  habe  zu  schulden  kommen  lassen.  Denn  ich  bin  ver- 
pflichtet, für  meine  Familie  zu  sorgen  oder  dem  Vaterlande  zu  dienen, 
dem  ich  meine  Ausbildung  zu  verdanken  habe  u.  dgL  Altruismus  im 
Sinne  von  reinem  Wohlwollen  ist  und  bleibt  immer  gut.  Eine, 
wenn  anofa  wirkUoh  altraistisohe,  Handlung  aber  unterliegt  noch  der  Be- 
urteilung der  flbrigen  Ideen. 

Des  weiteren  wollen  wir  noch  Honsels  Ausführungen  über  das 
Herabsinken  früher  ethischer  Handlungen  auf  die  Stute  der  au IJerethi sehen 
betrachten,  ein  Problem,  das  natürlich  nur  für  eine  auf  dem  PÜicht- 
begiiffe  basierte  Ethik  in  Betracht  kommt  »Es  begegnet  uns  dauernd,  daß 
Handlungen  und  Unterlassungen,  die  wir  früher  nur  mit  ftoBerster  sitt- 
lioher  Anstrengung  von  uns  m  erhalten  in  der  Lege  waren,  die  also  im 
höchsten  Grade  sittlich  zu  bezeichnen  waren,  allmählich  ganz  ohne 
das  Bewußtsein  einer  sittlichen  Pflicht  sich  vollziehen.  Nach  dem,  was 
wir  über  den  Charakter  der  sittlichen  Handlung  ausgemacht  haben,  kann 
es  kein  Zweifel  sein,  daß  sie  damit  auf  die  Stufe  des  Außersittlichen 
hinai^esunken  sind,  daß  wir  einen  ethischen  Wert  für  diese  Handlungen 
uns  nioht  mehr  zuerkennen  können.€  Hensel  lOet  die  Sohwietigkeit 
damit,  dafi  er  sagt:  Oleiohsdtig  mit  der  suooeesiven  Umwandlosg  von 
sittliolien  in  anfienittliohe  Handlungen  treten  an  den  Menschen  neue  bis- 
her nnerschlossene  Aufgaben  heran,  neue  Pflichten,  so  daß  das  außersitt- 
liche »Ideal  der  schönen  Seele«  niemals  erreicht  wird.  Wir  brauchen 
also  nicht  zu  fürchten,  daß  die  Sittlichkeit  aufhört.  —  Es  ist  richtig, 
wir  rechnen  es  uns  nicht  nicht  zur  Sittlichkeit  an,  wenn  wir  einen  zu- 
fUlig  daliegenden  silbernen  IMk  nicht  stehlen,  während  ein  früherer 
Dieb  jedenfalls  sittlich  handelt,  wenn  er  dieser  Yersnohnng  widersteht, 
ebenso  wie  ein  Kind,  wenn  es  die  Versuchung  des  Naaohens  flberwindet 


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I  Philosophisches 


81 


Doch  sehen  wir  uns  einmal  nach  andern  Beisiüolen  um,  ob  in 
der  Tat  alle  jetzt  sittlichen  Handlungen  später  durch  Wegfall  der 
Bittliohen  Anstrengung,  also  des  PflicitbewiiAtseins,  aufhOren,  aolohe 
IQ  sein.  Denken  wir  an  den  barmbendgen  Samaritarl  Ist  es  fOr  die  Be- 
nrldhmg  seiner  Tat  als  einer  sittlichen  irgendwie  von  Belang,  ob  dieselbe 
seiner  ethisierten  Persönlichkeit  entsprungen,  gleichsam  aus  Neigung  er- 
folgte, oder  ob  ein  sittlicher  Kampf  mit  den  natürlichen  Trieben  voran- 
ging, in  dem  das  Pflichtbewußtsein  obsiegte?  Jesus  scheint  nicht  dieser 
Meinung  gewesen  zu  sein,  sonst  hätte  er  einen  angeblich  so  wichtigen 
Zng  nidit  aoAer  acht  gelassen.  Oder  denken  wir  an  die  Idee  des  BeobtsI 

Findel  Abrabam  weniger  unser  ethisches  Oebllen,  wenn  es  ihm  leiöht 
wurde,  friedfertig  zu  sein  nnd  den  Streit  mit  Lot  beizulegen?  Und  verliert 
nnaore  dankbare  Gesinnung  gegenüber  unsern  Wohltätern  tatsächlich  das 
sittliche  Moment,  wenn  uns  die  Dankbarkeit  als  etwas  Selbstverständ- 
liches vorkommt?  Ich  denke,  das  sittliolie  Erfabrungsurteil  widerle^'t  die 
Verallgemeinerung  Hensels.  Ich  glaube,  nur  wenn  es  sich  um  Unter- 
lassung gewisser  Handlungen  handelti  wenn  gegenüber  dem  kategorisdien: 
>Da  sollst  nichtl«  nnsre  Neigungen  opponieren  und  dadnrcb  das  Fflioht- 
bewnfitsein  erweckt  wird,  oder  die  Idee  der  Innern  Freiheit  ihr  Veto  er- 
hebt, ist  die  Beobachtung  Kants  und  Hensola  richtig;  also  bei  dem 
kategorisch  negativen:  »Du  sollst  nicht  stehlen,  lügen,  töten Ic  usw.,  aber 
nicht  bei  dem  kategorisch  positiven:  > Darum  sollt  ihr  barmherzig  sein, 
wie  euer  Vater  im  Himmel  auch  barmherzig  istU  usw.  Solche  Hand- 
hmgea  bewahren  immer  ihren  sittlichen  Charakter. 

Deshalb  gilt  uns  auch  das  tideal  der  sohOnen  Seele«  nicht  als  aufier- 
tittlidk,  sondern  als  das  höchste  Ideal  der  Sittliohkeit 

Ob  wir  es  allerdings  jemals  erreichen  werden,  —  auf  Erden  wohl 
nicht,  aber  im  vollkommenen  Reiche  Ctottes»  —  darüber  kann  man  ja 
trotzdem  versclüedner  Meinung  sein. 

Aber  wäre  dieser  nach  unsrer  Ansicht  höchstsittlicbe,  nach  Hansel 
anfielsittliche  Zustand  wünschenswert?  Hüren  wir  Hensell 

»Orientieren  wir  uns  nochmals  an  dem  vorher  verwendeten  Beispiel 
des  Tonkünstlers.  Werden  wir  wirklich  den  Künstler  für  den  vollkommen- 
sten halten,  der  gar  keinen  Willen  mehr  bei  der  Her  vorbringung  seiner 
Kunst  in  Tätigkeit  zu  setzen  braucht?  Ich  glaube  es  nicht.  Er  würde 
uns  wie  ein  vollendeter  Automat  erscheinen,  und  sein  Kunstwerk  würde 
uns  durchaus  kalt  lassen.  Schon  auf  dem  ästhetischen  Oebiet  verzichten 
wir  nicht  gern  auf  Schwierigkeiten,  die  sich  dem  Künstler  gegen- 
überstellen, und  die  er,  obwohl  siegreioh,  doch  mit  Anstrengung  überwindet 
Und  so  mag  uns  denn  auch  die  sohOne  Seele,  selbst  wenn  wir  sie  nur 
ästhetisch  betrachten,  nicht  als  jenes  schlechthin  Höchste  erscheinen^  als 
welches  sie  uns  häufig  genug  angepriesen  wird.«    (S.  82  f.) 

Dazu  bemerken  wir:  Wenn  ein  Künstler  mit  vollendeter  Kunstfertig- 
keit uns  sein  Stück,  das  gleichsam  sein  ganzes  Seelenleben  reproduziert, 
▼orlülir^  so  ist  durchaus  nicht  einzusehen,  warum  uns  das  Stück  kalt  lassen, 
und  uns  der  Künstler  als  vollendeter  Automat  erscheinen  sollte.  Sein 

ZritadttUt  fOr  fUloiqpU»  und  PUagogik.  12.  Jahiguf .  0 


82 


Besprechimgen 


Wille  ist  doch  bd  nooh  so  grate  kfinstterisclier  YoUkommenheit  nicht 

ausgeschaltet! 

Oder  stehe  ich  in  Andacht  versunken  da  beim  Betrachten  des  Klinger- 
schen  Beethoven,  was  kuninunt's  mich  in  diesem  Augenblicke  des  ästhe- 
tischeu  OenieBeoB,  ob  Kiingor  das  Kunstwerk  m  ein  paar  Wochen 
oder  in  vielen  Jahren  gesohaiTen  hat?  Wir  erinnern  an  das  Wort  Herbarta, 
eine  Blume  bleibe  sohOn,  auch  wenn  man  nicht  wisse,  auf  welchem 
Boden  sie  gewachsen  sei. 

Gründet  man  die  Etliik  wie  Herbart  auf  das  sittliche  Urteil,  dann 
bleibt  einem  der  immerhin  etwas  widerspruchsvolle  Oedanke  erspart,  daß 
auf  der  denkbar  höchsten  Stufe  der  Vollendung  die  Etliik  ein  überwundoner 
Standpunkt  und  dieses  Ziel  auch  ein  wenig  wünschenswerter  Zustand  sei. 

in  der  Eonaequenz  dieser  AuJhssuug  mflAte  man  sich  dann  also 
auch  Oott  entweder  als  anfieraittlichea  Wesen  ▼orstellenf  das  sich  in  einem 
jedenfsUa  von  uns  nit^t  erstrebenswertem  Zustand  befindet.  Oder  aber 
mfißte  man  annehmen,  daß  auch  für  das  liGclisto  Wesen  Widerstände  zu 
überwinden  seien,  damit  es  für  dasselbe  eine  Ptlicht  gebe,  und  es  im  Be- 
reiche des  Sittlichen  bleibe.  Beides  müßte  uns  veranlassen,  unsre  Auf- 
fassung von  dem  Yerhältuisse  der  Moral  zur  Keiigion  uud  unsere  Keli- 
gionsphilosophie  zu  leridieren.  — 

Vom  siebenten  Yortiage  fuhren  wir  noch  die  Übersohriflen  an:  Das  Ge- 
wissen historisch  entstanden;  Bedeutung  der  Kultur  für  die  Ethik;  Das 
Sittengesetz  als  Vernunftinstinkt;  Persönlichkeit  und  Sittlichkeil;  Welt- 
abgeschiedenheit und  lOtSiik;  Willensfreiheit  und  Kausalitüt;  Ein  Ding  mit 
mehreren  Merkmalen ;  Das  Problem  der  Beuej  Ethik  und  lieügions- 
phüusophie. 

Wir  sehen,  die  YortrSge  sind  bei  der  eng  konientrierten  FOlle  dee 
Stoffes  übenuis  geeignefti  aum  Nachdenken  Aber  sittliche  Probleme  anso- 
ngUL   MCgen  danim  die  Erwartungen  ihrea  Yerfifisers  erfüllt  werdenl 

JDr.  Q,  Burk 

fteiehel,  Dr.  Karl,  Ober  den  Größenkontrast.  Eine  experimental- 
psychulogische  Studie.  Öls  in  Schlesien,  A.  Ludwig.  4ü  S. 
Ea  ist  bekannt,  daß  ein  mittelgroßer  Mann  neben  mehreren  Zwergen 
gHJte,  neben  mehreren  Biesen  aber  kleiner  an  sein  scheint,  als  er  ist 
Über  solche  Wirkungm  des  sogenannten  Größen kontrastes  hat  der  Yer- 
fasser  mit  sechs  Personen  durch  Vorführung  eines  Kreises  inmitten  von 
vier  kleinern  und  dann  wieder  unter  vier  großem  eine  wold  vorbereitete, 
vorsichtig  durchgeführte  uud  auch  auf  iuigrenzonde  Erscheinungen  aus- 
gedehnte Reihe  von  Versuchen  angestellt,  deren  Einzelheiten  die  Schrift 
durch  Besobrnbungen ,  Tabellen  und  graphische  Darstellangen  mitteilt 
Nach  Ausscheidung  der  in  einielnen  Fällen  eingetretenen  stOtenden  Neben- 
umstftnde  gelangt  der  Yerfasser  zu  dem  Ergebnis,  daß  eine  Scheibe  in 
der  Umgebung  kleinerer  wirklich  vergrößert,  dacregen  unter  größern  ver- 
kleinert scheint  und  daß  diese  beiden  Kontrastwirkungen  mit  dem  Größen- 
unterschiedo  bis  zu  einem  —  individuell  verschiedenen  —  Maximum 
wachsen,  über  das  hinaus  sie  wieder  abnehmen. 


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I  PhfflowpbiBolMB 


8a 


Die  für  dieso  Erscheinungeu  von  H.  Helmholtz,  A.  Thierjy 
Tb.  Lipps  TL  a.  gegeboMii  Brkttrungen  irafden  amgdieiid  beeproohen 
und  zuletit  —  im  Anaohloft  an  Mfillers  und  Schumanns  Theorio- 

der  Sofaltzung  abwechselnd  gehobener  Gewichte  —  die  Ober-  und  ünter^ 
Schätzung  der  Große  der  Scheibe  aus  der  Änderung  der  motorischen  Ein- 
stellung erklärt,  wolnho  eintritt,  wenn  wir  von  der  Auffassung  der  grOtfiom 
Scheibe  zu  der  der  kleinern  oder  umgekehrt  übergehen. 

So  erweist  sich  die  Abhandlung  als  ein  ernst  zu  nehmender  Beitrag 
war  TOsensofaafUiohfln  Beihandlong  der  Veigleiohnngsiirlefle,  deaen  die 
heotige  FqyoholQgie  mit  Beoht  ihre  vone  Anfrawksamheit  sngswendst  hat. 

Ignaa  Pokorny 

Ricfcert,  Heiorieb,  Professor  an  der  üniv.  Freiburg  i.  B.,  Der  Gegenstand 
der  Erkenntnis.  Einführung  in  die  Transzendentalphilosophie. 
Der  Verfasser  geht  aus  vom  BegrÜf  der  Objektivität,  der  auf  dem 
G^genaate  von  Bewußtsein  und  Sein  beruht  und  weist  die  0nabhliigtgkeit 
des  Erkenntnisaktes  von  der  Frage  nach  einen  psychischen  Sein  nach» 
laicht  eine  vom  Bewußtsein  unabhängige  Welt  von  Dingen  kann  als  Gegen- 
stand der  Beweisführung  betrachtet  werden,  sondern  allein  eine  Unter- 
suchung über  das  Wesen  des  Erkennens.  Die  bisherige  Annahme,  der 
ErkenntnisbcgrifT  könne  nur  auf  dem  Gegensatz  des  Seins  und  Bewußt- 
sems^  das  durch  Vorstellungen  dieses  Sein  erkennt,  aufgebaut  werden,  ist 
unhaltbar.  Erkennen  als  VonteUen  entiiilt  nur  die  Besiehungen  sweier 
Objekte  aufeinander  und  schaltet  das  Snbgekt,  das  die  Obereinstinunun^ 
des  Abbildes  mit  der  Wirklichkeit  feststellen  mUßte,  vollständig  aus.  Bs 
folgt  nun  der  Schwerpunkt  der  Entwicklung,  daß  das  Urteil  nach  seinem 
erkenntnistheoretischen  Wesen  zur  Lösung  des  Problems  führt.  Seine  Ele- 
mente sind  freilich  auch  Vorstellungen,  die  hinsichtlich  ihrer  VerknOpfungs- 
lähigkeit  aufeinander  bezogen  werden.  Diese  kann  bejaht  oder  verneint 
^rerden.  Bin  logisch  ▼nllkwimwnes  Urteil  ist  ebne  diese  Biigahung  oder 
Yemeinung  undoikbar.  Ba  jede  Erkenntnis  einzig  auf  Urtäen  beruht^ 
80  muß  beim  Aiosei  des  Erkennens  lu  den  Vorstellungen  als  Grund- 
elementen eine  Bejahung  oder  Verneinung  hinzutreten.  Sie  entspringen 
einer  praktischen  Betätigung  der  Seele,  die  sich  gegen  die  auf  sie  ein- 
dringenden Vorstellungen  nicht  teilnahmslos  verhält,  sondern  ihre  Stellung- 
nahme im  Billigen  oder  Mißbilligen  bekundet.  Die  Veranlassung  dazu 
hOdet  ein  GefOhl,  das  sich  als  Lust  oder  Unlust  KuAert  Seüne  Bewertung 
ist  demnsoh  ausschlaggebend  fOr  den  Erkenntnisakt,  der  sich  so  als  An- 
erkennen oder  Verwerfen  darstellt.  Dieses  wertbestimmende  Gefühl  bat 
als  Richter  aller  inneren  und  äußeren  Erscheinungen  dauernden  Wert,  da 
das  im  Urteil  Anerkannte  nicht  bloß  im  Äugenblick  der  Herrschaft  des 
Gefühls,  sondern  zeitlos  gilt.  Seiner  Macht  muß  ich  mich  willig  unter- 
werfen. Es  bleibt  mir  nur  die  Wahl  zwischen  Bejahen  und  Verneinen. 
Diese  Notwendigkeit,  welche  die  Torbedingung  ffir  das  Znstandekommen 
des  Urteils  ist»  wird  sls  Urteilsnotwendigkeit  bezeichnet  So  leitet  uns 
beim  Urteilen  nicht  das  durch  Vorstellungen  abgebildete  Sein,  sondern 
das  durch  das  Gefühl  bedingte  Sollen.  Seine  Anerkennung  führt  zur 

6* 


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84 


Bespreohimgeii 


I 


Lösung  unseres  Problems.  Die  irrige  Annahme,  daß  sich  die  Urteile  nach 
dorn  Sejendea  liöhteii,  beruht  inf  Machet  Vonnawteung.  Das  Boirafll» 
werden  dee  WirkUohea  eetst  Mhoa  ein  Urteilen  Torans,  da  eich  ja  das 

Urteilen  als  Anerkennen  offianbart  Seine  Richtigkeit  kann  nur  durch  das 
Gefühl  des  Sollens  gemessen  werden.  Das  Urteil:  »Der  Baum  ist  grüne 
entspringt  nicht  dem  Umstand,  daß  ich  ihn  als  frrfm  seiend  vorstelle, 
sondern  der  inneren  Notwendigkeit,  die  vorgestellte  Beziehung  des  Baumes 
zur  Farbe  zu  bejahen.  So  beruht  also  die  Wahrheit  des  Urteils  nicht  auf 
dem  Sein,  sondern  auf  dem  Sollen.  IfOr  dieaee  SoUen  kOnnen  wir  die 
Boheinhar  paradox  klingende  Beieichnmig  einee  Qogenstandea  inaofem  bei- 
behalten, da  wir  unter  Gegenatand  das  beaeidmen,  waa  dem  erkennenden 
Subjekt  gegenübersteht. 

31it  diesem  Gedankengange  sind  wir  dem  Verfasser  bis  zum  4.  Kapitel 
seines  scharf  durchdachten  geistvollen  Werkes  gefolgt ,  dessen  ganzen 
Beichtum  man  nur  durch  ernstes  Studium  ausschöpfen  kann.  £s  wird 
im  weiteren  Yeriaaf  der  Ifaohweis  geführt,  daB  daa  SoUen  als  Gegenstand 
der  Erkanntnia  tranesendentBlen  Charakter  beaitsti  ohne  den  ee  der  Objek- 
tivität entbehren  würde.  Durch  Lösung  dieses  Hauptproblems  hat  dar 
Verfasser  seine  Aufgabe,  in  die  Tzanssendentalphiloaophie  einsufOliren,  voll- 
kommen gelöst. 

In  einem  umfangreichen  5.  Kapitel:  »Transzendentaler  Idealismus 
und  empirischer  Realismus«  wird  das  gefundene  erkenntnistheoretische 
Gmndptinaip  in  seiner  Bedentnng  fOr  daa  l^atem  der  Erkfiontnistiieorie 
und  der  goesmton  Philosophie  bdeoohtet  Letalere  Ausführungen  sind  b^ 
sonders  interessant  und  fesselnd.  Es  wird  due  Parallele  zwischen  dem 
sollenden  und  wollenden  Menschen  gezogen.  Wie  bei  diesem  die  Pflicht 
der  Leitstern  seines  Handelns  ist,  so  wird  joner  durch  das  Gewissen,  das 
im  Gefühl  der  Urteilsnotwendigkeit  zum  Ausdruck  kommt,  beeinflußt.  Die 
Begriffe  Gewissen  und  Pflicht  sind  so  gleichsam  die  beiden  Pole,  um  die 
sich  nnaer  gesamtes  Sootonleben  bewegt  —  Ihre  abaolnte  Geltung  wird 
Mlioh  bedingt  durch  mein  peraBnlidiea  Wollen,  wie  ja  die  gesamte 
Philosophie  die  Begriffe  des  absoluten  Wertes  oder  SoUena  und  dea  wert- 
anerkennenden  Willens  zur  Grundlage  hat. 

Die  erkenntnistheoretischen  Untersuchungen  besitzen  unermeßliche 
Tragweite  bei  der  Lösung  der  tiefsten  philosophischen  Probleme  und  haben 
ihre  Grenze  da,  wo  alles  Wissen  aufhört  und  nur  noch  geglaubt  werden 
kann.  Daa  Problem  der  transaendentalen  Bealittt  iat  aomit  der  Beligiona- 
philoaophie  zu  flberweiaen,  die  daa  VerUUtnia  dea  denkenden  sum 
^übenden  Menschen  klarlegt 

Mögen  diese  Darlegungen,  die  größtenteils  mit  des  Verfassers  eigenen 
Worten  wiedergegeben  sind,  um  einer  schiefen  Darstellung  seiner  Gedanken 
vorzubeugen,  zu  einer  Vertiefung  in  das  gediegene  Werk  anregen.  Die 
Frage  nach  dem  >  Gegenstand  der  Erkenntnisc  wird  jeden  nach  Wahrheit 
Strebenden  ematUoh  beschäftigen.  Der  Verüuser  hat  una  lu  ihrer  LOaung 
die  Wege  geebnet.  Klare  Beaeiohnang  der  Unterziele  durch  prftaiae  Frage- 
stellung, ^Iftuterung  der  philoso^dschen  Abstraktionen  durch  sinnliche 
APBohsuung,  gründliche  Widerlegung  erkenntniatheoretischer  Vorurteile  und 


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I  FhikMophisohas 


85 


zusammenfassende  Rück-  und  Überblicke  sind  Vorzüge,  durch  die  das 
Studium  jene  Erkenntnisfreude  in  uns  erweckt,  deren  anregende  Bedeutung:: 
nicht  hoch  genug  eingeschätzt  werden  kann.  T^nd  wenn  der  neu  er- 
'worbene  Vorstellungsinhalt  durch  ein  innerem  Sollen  anerkannt  wird,  so 
wild  jeiMB  WahrhdtqgefQhl  gestärkt,  das  in  eeinar  wertbeBtimmenden  Be- 
üwbaiag  einen  wichtigen  Mafietob  für  die  BenrIeUnng  aller  geistigen  Er- 
schemongen  bietet 

Wilmersdorf  W  egener 

liliillg)  Hm  Philosophische  Probleme. 

Durch  "Wort  und  Schrift  hat  der  bekannte  dänische  Professor  der 
Philosophie  an   der  Universität  Kopenhagen  einen  weiten  Hörer-  and 

Freundeskreis  erworben. 

Als  weiterer  AusÜuß  und  gewisser  Abschluß  seiner  weitverbreiteten,^ 
teilweise  in  mehreren  Sprachen  erschienen,  früheren  Schriften  auf  philo- 
sophischem OeMek  ist  in  jüngster  Zeit  Twliegendes  Werkchen  erschienen. 
Es  ist  diese  Abhandlung  als  Qnmdlage  mid  weitere  Fmoht  von  Vor- 
lesungen anzusehen,  die  der  Yer&sser  im  Jahre  1902  an  der  Universltlt 
Upeala  gehaltm  hat 

Hoff  ding  spricht  hier  zu  Jüngern  der  "Wissenschaft,  welche  sich 
bereits  in  philosophischen  Fragen  klare  Einsicht  und  entschiedene  Selb- 
ständigkeit verschafft  haben.  Sclion  in  seiner  »Geschichte  der  neueren 
Philosophie«  hat  der  Verfasser  historisch  nachzuweisen  versucht,  daß  es 
A  Hauptprobleme  der  Fhiloeophie  gibt:  L  Bas  Problem  von  der  Nator  des 
BewuAtseinslebens  (das  pqrohologisdhe  FtoUem),  IL  Das  Problem  von  der 
Gültigkeit  der  Erkenntnis  (das  logische  Problem),  III.  Das  Problem  von 
der  Natur  des  Daseins  (das  kosmologische  Problem),  IV.  Das  Wertungs- 
probiem  (das  ethisch-religiöse  Problem). 

Wie  Höffding  selbst  in  seiner  Einleitnne  zu  vorliegender  Ab- 
handlung sagt,  stellt  er  sich  darin  die  Aufgalx^,  den  Innern  Zusammen- 
hang zwischen  diesen  Problemen  nachzuweiseiu.  Schon  in  der  äußern 
Anordnung  wird  er  diesen  seinen  Prinzipien  gerecht;  wenn  er  als  kri- 
tischer Phikei^  im  AnschlnA  an  die  Analogie  swisch^i  PerslbiliohlEeit 
und  Wissenschaft,  welche  die  Aufgaben  stellt,  mit  dem  psychologisdion 
Problem,  -  der  Natur  des  persönlichen  Lebens«  beginnt,  darauf  zur  Losung 
des  KrkenntnisproVilems  forTsehreitot,  sowohl  aus  der  Porsonliclikoit,  >dio  als 
ein  einzelner  Teil  des  ganzen  Daseins  dasteht«,  als  auch  aus  der  Wissen- 
schaft, »deren  Aufgabe  es  ist,  zu  einer  Weltanschauung  zu  führen«,  den 
Übergang  nun  8.  Problem,  dem  Bsseinsproblem,  findet  und  mit  den 
Wertongsproblem,  welche»  »wegen  der  Beaehnng,  in  welcher  der  Mensch 
als  fühlendes  und  wollende  sWesen  zum  Dasein  steht«,  erscheint,  schließt. 
Die  Reihenfolge,  in  welcher  die  Probleme  auftreten,  ist  nicht  von 
schlaggebender  Bedeutung,  sie  richtet  sich  nach  den  Motiven,  welche  zum 
philosophischen  Forschen  führen.  Es  ist  je  nach  der  Voranstellung  eines 
der  Probleme  nur  darauf  zu  achten,  jedem  derselben  volle  Gerechtig- 
keit in  teil  wird.  Auch  hierin  ist  obige  Behandlung  mustergültig.  Und 


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66 


Be8prechan|{9& 


nun  kommt  Ilöffding  bei  Aufstellung  seiner  Probleme  zu  der  wichtigsten 
Frage  wohl  der  gesamten  Philosophie:  Lassen  sich  alle  genannten  Pro- 
bleme auf  ein  »durchgängiges«  Grundproblem  zurückführen?  Verfasser  findet 
die  Möglichkeit  hiena  in  der  Bedeatang,  welche  das  YerhAltideswieofaeii  Kon- 
timiittt  und  DiakontinmtSt  bei  jedem  der  einwlnen  FroUeme  hat  »Dieaea  Ver- 
hältnis drftckt  das  tiefste  Interesse  sowohl  der  Persönlichkeit  als  der  Wissen* 
Schaft  aus.  Keins  der  beiden  Elemente  erscheint  Ton  vornherein  als  das 
einzig  berechtigte.  Es  wird  von  unstreitbarem  Interesse  sein,  dieselben 
unter  den  vier  von  unsern  vier  Hauptproblemen  angegebenen  verschiedenen 
IJesichtspunkten  in  ihrem  Verhalten  zu  euiander  zu  verfolgen«.  Von 
dieaem  Standpunkte  ana  wiU  Verfaaoaar  die  vergleichende  Flroblenilehre  be- 
handelt wiesen.  Wenn  nna  HOffding  in  dieser  adhwierigen  Materie  mit 
konsequenter  Logik  teüweise  einem  »Excelsior«  entgegenfBhrt,  ao  hat  er 
erreicht,  was  kraft  menschlicher  Erkenntnis  zu  erreichen  war. 

Vor  Phantastereien  hütet  er  sich.  Er  kehrt  zurück  zu  der  Gedanken- 
strenge des  Mannes,  der  gezeigt  hat,  daß  es  für  metaphysische  Fragen 
keine  andere  Lösung  gibt  als  das  immer  schärfere  Verstehen  ihrer  Un- 
lösbarkeit  zu  Kant. 

Wilmersdorf-Berlin  Bach 

iips,  Theaiar,  Leitfaden  der  Psychologie^  Leipzig,  Wilh.  EDgelmann. 

Nach  dem  Vorworte  hat  der  Verftsaer  seinen  Leitfhden  der  P^cho- 
logie  sunlohat  fttr  HBrer  aeiner  Vorleaongen  bestimmt,  hoflt  aber,  andi 

andern  damit  zu  dienen.  Das  Buch  will  »Orondlinien«  geben  nnd  Ter> 
sichtet  auf  »historische  und  kritische  Exkurse«. 

Der  Inhalt  des  Werkes  (349  S.)  bietet  nacheinander  folgende  Ab- 
schnitte: I.  Grundlegung  (Das  Bewußtsein,  Bewußtseinsinhalte,  Aufmerk- 
samkeit und  Bewuiitsein,  Assoziation  und  Gedächtnis),  IL  Die  Apperzeption, 
in.  Die  Erkenntnis,  IV.  Der  Wille^  V.  Die  Gefühle^  VL  Besondere  psycho- 
logische Zustande  (Affakte,  Temperamente,  l^ypen,  Sohlai;  Fianen,  Ifypnoas^ 
pathologische  Zuatäade,  Metaphysisches). 

Der  Verfasser  geht  nicht  über  die  zu  erklärenden  Ersclieinnngen 
leicht  hinweg.  Es  liegt  ihm  daran,  sie  seinen  Lesern  verständlich  zu 
machen.  Daher  die  vielen  sprachlichen  Wendungen  für  ein  und  dieselbe 
Sache.  Die  Bilder,  durch  die  er  die  psychischen  Vorgänge  zu  verdeut- 
lichen ancht,  geben  dem  Werke  einen  gewissen  populären  Anstrich.  Trota- 
dem  redet  daa  Buch  doch  an  emseitig  die  Sprache  der  Abatraktion,  ent- 
wickelt die  pfljychischen  Gesetze  und  Regeln  zu  wenig  ans  Ansobauungs- 
stofifen,  als  daß  es  in  allen  Teilen  gleichmäßig  fesseln  und  anregrend  wirken 
könnte.  Kurz:  Das  Buch  ist  für  Ijoser,  die  nach  einem  populären  Werke 
der  Psychologie  mit  Beziic:nahme  auf  Pädagogik  suchen,  nicht  bestimmt. 
Es  trägt  mehr  rein  wissenschaftlichen  Bedürfnissen  Rechnung. 

Wilmersdorf-Berlin  Schals 


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II  PidogogiBohes 


87 


II  P&dagogisohes 

lUUg,  Peter,  Welches  sind  die  pädagogischen  Anforderungen  an 
einen  Lehrplan  fflr  die  bayritolien  stftdtisohen  Volksschulen? 
Nflrnbeig,  Korn,  1904.   60  Pf. 

Die  kleine  Schrift  von  P.  Zill  ig  ist  aus  YortrSgen  entstanden,  die 
der  Verfasser  im  Lehrerverein  zu  Augsburg  gehalten  hat.  Den  Anhängern 
der  Herbartischcn  Didaktik  sind  die  Gedanken,  die  P.  Zill  ig  vortiTip:!, 
geläufig,  aber  trotzdem  sollte  man  nicht  an  ihm  vorQbergehen,  da  sie  hier 
in  eigenartiger  Auflassung  und  anregender  Form  vorgetragen  werden. 
Immer  mehr  rflokt  die  Lehrplanfrage  in  den  Yordergnind  des  Interesses. 
Neben  der  kleinen  DSrpfeldsohen  Sobrift  über  diesen  Gegenstand  sind 
daher  die  Zilligschen  Ausführungen  hoch  willkommen  nnd  als  Aus- 
gangspunkt für  eingehende  Betmcbtongen  in  Lehrerkreisen  zu  empfehlen. 

Jena  W.  Rein 

Uehea,  Dr.  Jolias,  Über  Yolkserziehung  im  nationalen  Sinn.  Mün- 
chen, Lehmann,  1904. 

Dieeer  Vortrag,  der  auf  dem  Yerfaandstag  des  alldenteohen  Yerbandea 

m  Lübeck  am  28.  Mai  1904  gehaltm  wurde,  sei  der  Lektüre  warm 
empfohlen.  In  kurzer,  übersichtlicher  Weise  sind  die  Probleme  scharf 
herausgehoben,  die  sich  fHr  die  Volkserziehung  im  nationalen  Sinn  er- 
geben. Grundlegend  ist  dio  Familien-  und  Schulerziohung;  im  Anschluß 
hieran  muß  die  Yolkserziehung  größere  und  weitere  Aufgaben  in  bewußter 
Weise  Terfolgen,  wenn  wir  Deutaohe  Ansprach  erheben  wollen,  als  Enltor- 
▼olk  in  Torderer  Reihe  za  stehen.  Hit  Reofat  hebt  der  Verfasser  henror, 
daß  hier  fOr  die  wissenschaftliche  Betraohtang  mn  weitm  Feld  eindringender 
Forschung  vorliegt,  das  bis  jetzt  leider  nur  zu  wenig  erforscht  ist,  um 
sichere  Richtlinien  zu  geben,  nach  denen  die  Yolkserziehung  in  großem 
Stil  sich  zu  richten  hat  Wenn  man  z.  B.  die  Verwirrung  betrachtet,  die 
die  Frage  nach  dem  religiösen  Charakter  unserer  Schulen  immer  wieder 
hervorruft,  so  kann  man  nnr  anfe  lebhafteste  b(>daaeni,  daß  nicht  von 
mafigebenden,  wissensdhaftliohen  ZentrslsOtten  der  Versuch  zur  Losung 
der  Verwirrung  gemacht  wird. 

Jena  W.  Rein 

Filbrecht,  Dr.  Fr.,  Chor  den  Unterricht  in  der  bildenden,  Kunst 
am  Gymnasium.  Heft  1,  Übersicht  und  Vorlage  praktischer  Ver- 
suche. e.-Prgr.  Mstadt  (Oberteterreioh)  1903.  44  8.  Heft  2, 
in  OemeinBchaft  mit  Frana  Sommer,  Architektur,  0.-Prgr.  1904. 
36  S.  8«. 

Als  ich  im  Jahre  1877  das  Schriftchen  »Gymnasium  und  KnnBtf 
veröffentlichte,  in  dem  ich  dringend  aufTorderte,  die  Schüler  unserer  huhoron 
Schulen  mit  den  hervorragendsten  Kunstwerken  zunächst  der  antiken  Weit 
bekannt  zu  machen,  und  zeigte,  wie  man  so  zugleich  das  Verständnis  für 
die  alteo  Vülker  vertiefen  und  unaeie  Jugend  ästhetisch  fBcdem  kOnntib 


88 


Besprechungen 


fand  ich  zwar  recht  viele  Zustimmung,  aber  nur  wenig-  Nachahmung.  Das 
ist  im  Tjaufo  der  Jahre  anders  geworden.  Steht  doch  die  »Kunsterziehung« 
heute  mit  in  dem  Mittelpunkte  des  Interesses.  Aber  die  Frage,  wie  dieser 
üntemoht  am  beateo  erteilt  werde,  ist  trots  des  Tages  in  Draadeii  noek 
nicht  geltet 

Im  Freistadter  Programm  vom  Jahre  1903  war  Falb  recht  lobhaft 
dafür  eingetreten,  daß  der  akademisch  gebildete  Zeichenlehrer  diesen  Unter- 
richt an  jedem  Gymnasium  erteilen  solle.  Aber  dieser  Plan  wiixl  sich 
vorläufig  nur  in  recht  seltenen  Fällen  verwirklichen  lassen,  denn  die 
»duruii  und  durch  künstlerisch  gebildeten  Männer«  sind  eben  nicht  zahl- 
reich« Aber  Falbreoht  hatte  doch  auch  xngelaseeii,  »dafi  die  Niohi- 
kUnsÜtt  des  LehrerkoUegiams  alle  Mitarbeiter  aein  konnten« ;  nur  d«r  ab- 
SChlieBende  Unterricht,  der  in  Übereinstimmung  mit  meinen  Erörterungen, 
Lehrproben  Heft  38,  S.  90,  methodisch  erteilt  werden  soll,  müsse  dem 
Zeichenlehrer  zugewiesen  werden.  In  Freistadt  scheint  ja  nun  auch  wirk- 
lich ein  Zeichenlehrer  zu  sein,  Franz  Sommer,  der  dieser  Aufgabe  ge- 
wachsen ist.  Im  Programm  von  1903  war  kurz  angegeben,  wie  dieser 
in  zehn  Stunden  die  herrorragendsten  HeiBterwerke  der  griechischen  Plastik 
darcbgenoBunen  hat.  Das  diesjfthrige  Programm  enthAlt  in  grOBerer  Ans- 
fOhriiohkeit  eine  Anzahl  seiner  15  Vorträge  über  die  Architektur,  und 
zwar  von  den  Uranfängen  bis  auf  die  Gegenwart.  Fast  jeder  Vortrag 
umfaßt  soviel  StolT,  duß  die  Befürchtung  nahe  liegt,  die  Zuhörer  hab^ 
sich  ins  Einzelne  nicht  genügend  vertiefen  können,  es  sei  denn,  daß  sie 
aus  dem  vorbereitenden  Unterrichte  schon  sehr  viele  Anschauungen  mit- 
brachten. —  Aber  hier  mnfi  die  Erfahrung  entscheidea.  ledenfalls  ist  es  dankens- 
vert,  Venn  von  kundiger  Seite  solche  Proben  vorgelegt  werden.  Yoraus- 
geschickt  ist  diesen  Vorträgen  eine  kune  Abhandlung  von  Falb  reo  h^ 
aus  der  wir  erfahren,  daß  der  zusammenfassende  Unteriicht  am  dortigen 
Gymnasium  auf  drei  Jahre  verteilt  ist.  Anmutend  ist  der  vom  Verfasser 
gemachte  Vorschlag,  daß  mit  den  Lehrer  vortragen  solche  von  Sciiiilern  in 
Verbindung  gebracht  werden  sollen,  die  das  im  Laufe  des  vorbereiten  de  u 
Unterrichts  auf  jedem  Gebiete  Qekmte  ansammenstaUen  sollen.  Für  diesen 
Torbereitenden  Knnstnnterrioht  scheint  an  der  dortigen  Schule  seitens  aller 
Lehrer  vid  au  gesishehen.   Daa  -wird  sich  nicht  überall  erreichen  laaaan. 

Oldenburg  i.  Gr.  Bud.  Menge 

Lemke,  Lehrer  und  Organist,  Universität  und  Volksschullohrer. 
(Päd.  Abh.  V.  Bartholomäus  IX,  Heft  4.)  Bielefeld,  iieluuch.  17  S. 
40  Pf. 

Das  Schfiftchen  verficht  die  Forderang«  dafi  kfinftig  jeder  Yolka- 

Bchullehrer  seine  Ausbildung  auf  der  Universität  zum  Abschluß  bringoi 
solle.  Wie  radikal  es  zu  Werke  geht,  zeigt  u.  a.  folgender  Satz:  »Inner- 
halb der  philosophischen  Fakultät  müssen  die  Lehrerstudenten  keine  t)e- 
sondere  viruppe  bilden,  sondern  sie  müssen  die  volle  Lehrbefähigung  als 
vollberechtigte  und  -befähigte  Lehrer  für  alle  Arten  höherer  Schulen 
▼or  der  wissenschaftlichen  Prfifnngakommission  erwerben  dflrfen.«  Es 
scheint  dem  VerEuser  sonach  selbstverstAndlicb  au  sem,  dafi  trotz  des  von 


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II  PUagogisohM 


89 


ihm  anerkannten  Mankos  in  fremden  Sprachen  jeder  Seminarist  jede 
Wissenschaft  der  philosophischen  Fakultät  bozw.  alles,  worin  z.  Zt.  Ober- 
lehrerbe fähigunpen  erworben  werden,  zu  studieren  verm 'li^o.  Wenn  der  Ver- 
fasser jenen  Mangel  durch  die  vorhandene  Ausbildung  in  Pädagogik, 
Ffeiychologie  and  Logik  als  »reichlich  aufgewogen«  aneieht^  so  sind  darüber 
die  Herren  üniTersititprofessoreD  leider  anderer  Heinung.  Man  kOnnte 
aus  diesem  Anfsats  einen  ganzen  BlütenstranA  von  Unklarheiten  und 
Widersprüchen  zusammenbinden,  der  von  den  grundsätzlichen  Gegnern 
der  Sache  mit  dankbarer  Freude  entgegengenommen  würde.  Nicht  bloß 
über  die  von  ihm  selbst  erhobenen  Einwände,  daß  bei  künftiger  akade- 
mischer Ausbildung  der  Lehrer  ihre  künstlerische  Erziehung  die  Zeche 
beuUen  müsse  und  daß  der  Lehreretand  nur  ans  dem  Abfiül  der  besser 
sitoierten  Kreise  Zawaobs  erhalten  werden  sondern  insbesondere  auch  über 
die  finanxielle  Seite  der  Frage  schreitet  der  Verfasser  kühn  hinweg,  Kun^ 
die  vorliegende  Abhandlung  liefert  lediglieh  den  Beweis,  daß  der  Bsdikalis- 
mufi  das  m  Frage  stehende  Problem  nicht  zu  lösen  vermag. 

Braonsohweig  Qt.  Hecke 

Yeigt,  "Prot      Kfinigl.  Provinzial-Soholrat  in  Berlin,  Die  Bedeutung  der 
Herbartsohen  Pädagogik  in  der  Yolkssohnle.  H.  Aufl.  Leipzig, 

Vorlag  der  Dürr  sehen  Buchhandlung,  1901.    92  8.    1,20  M. 

Ihis  Neue  und  in  höchstem  Maße  Anerkennenswerte  und  Erfreuliche 
des  Schriftchens  liegt  darin,  daß  ein  Kflnigl.  Preuß.  Schulrat  einmal  mutig 
aus  der  Reserve  hervortritt  und  ohne  Rücksicht  auf  die  Staatsjnldagogik, 
die  er  amtlich  zu  vertri>ton  hat,  frei  über  die  Herbart-Ziller  sehe  Pädagogik 
urteilt  Im  Übrigen  bringt  Voigt  bekannte  Gedanken,  teils  zustimmender, 
teils  abweisender  Art  Er  beleuchtet  sie  aber  vielfach  von  neuen  Gesichts* 
punkten  aus  so  frisch,  klar  und  übersichtlich  zusammenfassend,  dafi  sein 
Schriftchen  durchweg  interessant  und  belehrend  wirkt. 

Voigt  nimmt  Stellung  zum  Ziel  und  zu  den  droi  Grundideen  der 
Herbart  -  Zillerschen  Pädagogik,  zur  Idee  der  Fornialstufen,  der  kultur- 
historischen Stufen  und  der  Konzentration.  Außerdem  spricht  er  vom  Be- 
griff des  Tielseitigen  Interesse  als  der  Brücke,  die  zum  Ziele,  führt  und 
auch  einen  kurzen  Exkurs  über  Herbartsche  Psychologie  bat  er  dem 
Scihriftchen  eingefügt. 

Der  Scliwerpunkt  dos  Schriftchens  liegt  in  den  Ausführungen  i\ber 
das  Erziehungsziel,  die  Formalstufentheorie  und  den  Begriff  des  Interesse. 
Hierbei  kommt  Voigt  zu  vollständig  übereinstimmenden  Resultaten  mit 
der  Herbart-Zilier  sehen  Pädagogik.  Folgende  Sätze,  die  in  dem  Schriftchen 
herausgearbeitet  werden,  mOgen  die  Übereinstimmung  beleuchten. 

L  Ziel  1.  £s  ist  einheitlich  und  gibt  den  letzten  Zweck  alles 
Unterrichts  und  aller  Erziehung  an.  Es  ist  damit  ein  Prinzip  gewonnen, 
das  ebenso  tief  und  umfassend  als  fruchtbar  ist.  Es  ist  damit  der  Schul- 
arbeit Weihe  und  Würde  gewahrt.  —  2.  Der  Vorwurf,  das  Ziel  sei 
nur  formal,  ist  nicht  stichhaltig;  denn  das  Sittliche  kann  seiner  Natur 
nach  nur  als  Bestimmtes  gedacht  werden.  —  3.  Desgleichen  ist  der  Vor- 
wurf nicht  berechtigt  das  Sittliohe  als  einzigen  Dntemchtssweok  su  be> 


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90 


BesprechaDgan 


trachten,  sei  einseitige  Oberspannung;  denn  stellte  man  noch  andere 
Zwecke  in  das  Ziel  ein,  so  könnte  das  nur  dann  geschehen,  wenn  es 
sich  darum  handelte,  relative  Werte  miteinander  zu  vergleichen.  Zu  diesen 
Werten  gehört  aber  das  Sittliche  nicht.  Mit  dem  Begriff  der  Sittlichkeit 
ist  €6  gegeben,  dafi  sie  kein  Ziel  neben  andern  sein  kann.  Entweder  ist 
sie  Oberhaupt  kein  Ziel,  oder  es  gibt  kein  anderes  neben  ihr.  —  4.  Grund- 
los ist  endlich  der  Vorwurf,  durch  das  Ziel  werde  das  religiöse  Moment 
mehr  oder  weniger  beeinträchtigt;  denn  a)  Horbart  fordert,  daß  der  Ge- 
danke Gottes  als  das  Älteste  und  Erste  den  Hintergrund  der  Erinnerung 
fülle,  b)  Es  steht  fest,  daß  die  Sittlichkeit,  zu  der  erzogen  werden  soll, 
bei  Herbart  als  leligiOs  begrOndet  gedacht  wird,  c)  Mau  kann  unter 
keinen  Umstftnden  nachweisen,  dafi  Herbarts  Ideenlehre  den  Versuch  be- 
seiofane,  eine  Sittliohkelt  zu  begründen,  die  nicht  vom  Geiste  des  Christen- 
tums getragen  wäre.  Herbart  gibt  die  durch  den  Eudämonismus  auf- 
gehobene Würde  des  Sittlichen  dem  Sittlichen  wieder  zurück.  In  seiner 
Sittenlehre  ist  die  absolute  Geltung  und  verpflichtende  Kraft  des  Sittlichen 
nachgewiesen,  und  damit  wird  die  Herbartsche  Ethik  dem  christlichen 
Oedankenkreiae  eingereiht 

n  Interesse:  Das  vielseitige,  gleidhsehwebende  Interesse  kann  mit 
Rücksicht  auf  die  freie  Entscheidung  für  das  Gute  a)  die  Voraussetzungen 
schaffen,  b)  die  Grenzen  festlegen,  c)  den  Boden  der  Betätigung  sichern. 
Die  Herbartsche  Pädagogik  ist  daher  berechtigt,  dem  Interesse  die  ent- 
selieidende  Stellung  zuzuerkennen  und  vom  Unterrichte  als  das  Erste  und 
Wichtigste  zu  fordern,  daß  gerade  dieses  Interesse  durch  ihn  begründet 
werde. 

m  Formalstnfen:  Znr  Wecknng  des  Interasse  bedarf  der  Ünter- 
tidit  1.  Wechsel  zwischen  Vertiefung  und  Besinnung.  3.  Kräftige  An- 
regung zur  apperzipierenden  Tätigkeit.  3.  Erzeugung  zusammenhängender 

milchtiger  Vorstcllunii^sgebilde.  Die  Herbartsche  Pädagogik  hat  aus  diesen 
drei  Elementen  die  Theorie  der  Formalstufen  geschaffen,  die  nichts  anderCB 
ist,  als  die  genaue  Einordnung  dieser  Elemente  in  das  Ganze  des  Unter- 
riobtsbetriebsB  und  die  deshalb  in  unanfenhtharer  Weise  den  Weg  be- 
schreibt, auf  dem  das  Interesse  gebildet  und  die  YerwiiUiehung  des 
letzten  ünterrichtszweckes  ermöglicht  wird. 

Neben  den  Übereinstimmungen  fehlt  es  auch  nicht  an  kleinem  Diffe- 
renzen. Solche  bestehen  z.  B.  hinsichtlich  der  Glioderiing  der  ünterrichts- 
stoffo  und  der  ümwendung  der  Lchrformen.  Voigt  gliedert  in  geschicht- 
liche, begriffliche  und  technische  Steife.  Das  ist  logisch  falsch 
und  steht  su  der  anerkanntsn  Stoffbehandlung  nach  den  Fennalstufen  io 
Widerspruch.  Begriffliches  Material  muß  jede  »methodische  Ebheitc  ent- 
halten, wenn  sie  als  solche  gelini  solL  Den  B^priff  der  methodischen 
Einheit  faßt  Voigt  nicht  scharf  genug,  sonst  könnte  er  nicht  so  gliedern. 
Vor  allem  könnte  er  dann  auch  nicht  die  Anschauung  haben,  daß  bei  den 
begnfiiichon  Stoffen  (Mathematik)  die  Selbsttätigkeit  der  Schüler  schon  auf 
der  Darbietungsätufe  in  Anspruch  zu  nehmen  sei,  während  bei  den  ge- 
sohichtlichen  StoiMi,  die  freie  Mitarbeit  der  Sohlllar  erst  bei  der  Yer- 
tifl&ug  hinnen  liBnnte.   Bine  merkwflcdige  und  entschieden  fdaofae 


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n  FldagogiaoliM 


91 


Ansicht,  um  so  merkwürdiger,  da  doch  Yoigt  das  Woeeii  des  darstellend- 
entwickelnden  Lehrverfahrens  kennt  und  schätzt.  Ganz  ablehnend 
verhalt  sich  Yoigt  zu  den  Ideen  der  Konzentration  und  der  kulturhisto- 
rischen Stufen.  Seine  Ausführungen  hierüber  sind  aber  nicht  wio  früher 
beweisführeud ,  sondern  nur  aphoristisch  gehalten.  Sie  umidi>^n  nur 
10  Seiten,  enfbaltan  aiehts  Poaitives,  und  was  sar  Kritik  der  beiden  Ideen 
gesagt  wird,  bernht  entweder  auf  falscher  Aafbasnng,  oder  kann  nur  auf 
alte  Ansichten  bezogen  werden,  die  längst  aufgegeben  oder  modifiziert 
worden  sind.  Ein  Moment  der  Wahrheit  «Ditb&lt  die  Konxentrationsidee 
nach  Voigt  auch.    Welches?  das  wird  nicht  gesagt. 

Eingewendet  wird,  daß  1.  nicht  aller  Unterricht  unmittelbar  den 
Willen  auf  das  Oute  richten  könne,  2.  daß  nicht  jede  Unterrichtseinheit 
die  Gesamtheit  der  Interessen  in  Bewegung  setzen  könne,  S.  dafi  nicht 
blofi  ein  Eonaentntionsmittelpunkt  angenommen  werden  dürfe.  Dazu  muß 
bemerkt  werden,  daß  die  Eerbart-Zillersche  Pädagogik  die  gerügten  Mängel 
nicht  oder  doch  nicht  mehr  aufzuweisen  hat;  denn  adl.  der  unmittel- 
baren  Beeinilussung  des  Willen.s  auf  das  Gute  dienen  hauptsächlich  die 
Üaßnahuicn  der  »Zucht«.  Vom  Unterricht  wird  vorwiegend  nur  mittelbare 
Wirkung  auf  die  Charakterbildung  erstrebt,  ad 2.  Wem  kann  es  einfallen, 
▼on  jeder  ünterrichtseinheit  Pflege  der  Qesamtheit  der  Interessen  au  er- 
warten? Diese  Erwartung  kntlpft  sicii  an  die  Gesamtheit  vom  Unterricht, 
da  allerdings  im  Sinne  der  gesunden  Innern  Konzentration,  ad  3.  Wir 
konzentrieren  schon  lange  nach  mehreren  Mittelpunkten. 

Zu  den  Einwänden  gegen  die  Idee  der  kulturhistorischen  Stufen  sei 
kurz  bemerkt:  1.  Der  Parallelismus  zwischen  Gesamt-  und  Einzelentwick- 
luDg  ist  nicht  eine  bloß  imbewiesene  Annahme,  Zu  den  drei  Eutwick- 
lungsstafen,  die  von  Voigt  in  den  ErUuterungen  zum  16.  Jahrbuch  des 
Vereins  fflr  wissensehafttiohe  Pädagogik  gegeben  worden  sind,  kommt  man 
auch  von  naturwissenschaftlicher  Seite  aus  immer  mehr.  (Vergl.  auch 
den  Vortrag  von  Dr.  Hart  auf  dem  W.  Kunsterziehungstage.  —  2.  Oar 
nicht  wird  beachtet,  daß  die  kulturhistorischen  Stufen  in  der  Hauptsache 
ein  Hilfsprinzip  zur  StolTauswahl  sind,  das  bisher  ungemein  wertvolle 
psychologische  Dienste  geleistet  hat  und  Toraussichtlich  noch  mehr  in 
dieser  Hinsicht  leisten  wird.  —  3.  Es  wird  flberaeheni  dafi  die  Idee  für 
die  Volksschule  auf  [den  nationalen  Rahmen  besogen  werden  mufi.  — 
4.  Das  Kind  wunelt  im  gegenwärtigen  Kulturleben  nicht  so  tief  und  festi 
um  es  von  hier  aiis  in  fremde  Verhältnisse  einer  entlegenen  Vergangen- 
heit einführen  zu  können.  Die  Erfahrung  lehrt  unwiderleglich  die  Biohtig- 
keit  des  umgekehrten  Weges. 

Mit  der  am  Eingang  hervorgehobenen  Empfehlung  sei  die  Besprechung 
geeohloesen. 

Jena  H.  Landmann 

Mrlig^  Udwig,  Die  Anf  Ange  der  deutschen  Jugendliteratur  im 

18.  Jahrhundert.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  deutschen  Jugmid- 
literatur.    Nürnberg,  Friedrich  Korn.    Preis  brosch.  1,50  M. 

Jeder  Zweien  am  Baum  dos  tleutpchen  fleisteslebons  ist  etwas  Ge- 
wordenes, jeder  hat  eine  Entwicklung  hinter  sich  und  iniolgedesson  seine 


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I 


92  Bespreohongen 


eigene  Geschichte.  Bei  den  verechiedonen  Disziplinen  unserer  pädago- 
gischen Wissenschaft  ist  es  naturgemäß  nicht  anders  und  der  Chronisten, 
die  sich  fOr  dieses  oder  jenes  Gebiet  gefanden  haben,  sind  gar  viele.  Die 
Geschichte  der  deutschen  Jagendlitemtnr  hat  jedoch  bis  znr  Stunde  noch 
keinw  geschrieben.  Wir  meinen  eine  wirUidie  »Ctoscfaiohte«,  nicht  nur 
einen  kurzen  Durchblick  oder  einen  Auszug,  sondern  eine  nmfusende  Dar- 
steliunt;  all  der  vergeh iedenartif^en  Erscheinungen,  die  sich  deutsche  Jugend- 
schriften nannten,  und  zugleich  der  mannigfachen  Momente,  welche  das 
Neue  bedingten.  Und  doch  w&re  uns  eine  Geschichte  gerade  diesee 
Wissenssweiges  zur  Zeit  dringend  nfltig.  Speziell  fttr  den  Pädagogen  ist 
eine  grOndlidie  Kenntnis  der  deutschen  Jugendliteratur,  wenn  wir  das 
Augenmerk  auf  die  praktische  Vorwertbarkeit  des  Materials  richten,  so 
wichtig,  wenn  nicht  wiclitiger,  als  die  Einführung  in  unsre  große  deutsche 
Literatur.  Die  Hauptursache,  warum  wir  noch  keine  eigentliche  Geschichte 
der  deutschen  Jugenüliterdtur  besitzen,  ist  in  der  großen  Schwierigkeit  zu 
erblicken,  welche  die  Verabfassung  einer  derartigen  Gesdiiohte  mit  sich 
bringt  Der  UmÜuig  des  Stoffes  ist  enorm;  die  alten  Quellen  sind  schwer 
lugflnglich.  Zudem  ist  erforderlich,  daß  der  event  Verfasser  eine  Art 
Doppclbildung  besitzt;  denn  unsere  deutsche  Jugendliteratur  ist  ein  Stück 
Literatur  und  ein  Stück  Pädagogik  zugloich;  wer  ihre  Geschichte  schreiben 
will,  muß  in  beiden  Fächern  gründlich  beschlagen  sein,  um  die  Beziehungen 
herauszuspüren,  welche  allein  eine  befriedigende  Erklärung  der  jeweiligen 
Entwicklung  abgeben  können. 

»Die  Anfinge  der  deutaofaen  Jugendliterstnr  im  18.  Jahrhunderte  ist 
ein  Werk,  das  all  diesen  Anforderungen  Genfige  leistet  und  das  wir  des- 
halb freudigst  begrüßen.  Freilich  sind  es  erst  »die  AnfSnge«,  also  gleich- 
sam der  erste  140  Seiten  starke  Band,  dem  die  andern  noch  zu  folgen 
haben.  Aber  schon  diese  »Anfange«  zeigen  uns,  mit  welchem  Püesenfloiß 
der  Verfasser  gesucht  und  geforscht,  mit  welchem  Geschick  er  gesichtet 
hat  GG bring  gibt  zudem  keine  trockenen  Aufzählungen;  er  bemüht  sich,  jede 
literaiisohe  Erscheinung  »aus  dem  gesamten  Geistesleben  ihrer  Zeit  herana 
an  wklfir^«.  Dss  liest  sich  wie  eine  Sammlung  geistreicher  Essays  fiber 
deutsche  Kultur,  als  deren  sprechender  Ausdruck  uns  die  pädagogisch- 
literarischon  Erzeugnisse  der  einzelnen  Epochen  erscheinen.  Die  zehn 
Kapitel  um  tasten  außer  den  »ersten  Anfängen«  auch  die  Fortentwicklung 
der  Jugendliteratur  unter  den  Philanthropen  und  die  Jugendliteratur  im 
Aufkl&iungszcitalter.  Als  Anbang  sind  ausgefQhrte  Skizzen  Ober  »Wilhelm 
Hey,  Hoffimann  yon  lUlersteben  und  Friedrich  Gflll«  beigegeben,  Bio- 
graphien, die  fOr  den,  der  zwischen  den  ZeÜoi  zu  lesen  versteht,  eine 
Art  Ȁsthetik  der  Einderlynk  enthalten.  Die  vielen  beigedruckten  Bei- 
spiele ermöglichen  auch  für  den  wmiiger  Bewanderten  ein  volles  Ver- 
St&ndnis. 

Wenn  wir  zum  Schlüsse  einen  Wunsch  hegen,  dann  ist  es  der, 
QOhring  möge  das  im  Vorwort  gegebene  Versprechen  halten  und  uns 
im  Laufe  der  Jahre  die  »Geschichte  der  deutschen  Jugendliteratur«  bringen, 
zu  der  die  vorliegenden  »Anfftngec  in  der  Tat  einen  Torzfiglichen  Anfang 
bedeuten.  Damit  dies  m({gUoh  werde,  wflnsohen  wir  dem  hilligen  Werkchea 


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II  Fädagogisches 


93 


eine  weite  Verbreitung  innerhalb  der  deutschen  Lehrerschaft;  denn  jeder 
Lehrer,  der  sich  ernsthaft  mit  deutscher  Jugcndlitei-atur  befaßt,  wird  in 
Zukunft  nicht  nur  seinen  Wolgast,  sondern  auch  seinen  Göhring  go- 
ieeen  haben  mflasem,  will  er  ernsthaft  mitreden  kSnnen.  Wir  verkennen 
nicht  die  GrGfie  der  Arbdt,  vir  wissen,  dafi  es  eine  Lebensau^be  be- 
deutet, ein  derartiges  Werk  fertig  zu  stellen;  aber  der  sie  erfüllt,  darf 
Bicher  sein,  dafi  er  damit  seiner  Zeit  etwas  Bleibendes  hinterläßt. 

lianchen  Ernst  Weber 

Landsherg,  Dr.,  SchaeU,  Dr.,  u.  MmAi,  Dr.,  »Natur  und  Schule,  Zeit- 
schrift fflr  den  gesamten  naturkundlichen  Unterricht  aller 
Schulen.€   Leipsig  n.  Berlin,  B.  G.  Tenbner. 

Vor  uns  liegt  der  vollendete  2.  Jahrgang  von  »Natur  und  Schule«, 
einer  Zeitschrift,  an  der  Schulmänner  und  Forscher  eifrig  mitarbeiten,  und 
an  deren  Verbreitung  beide  das  gleiche  Interesse  haben.  Sie  ist  eine 
Zentrale,  welche  die  neuesten  Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der  Didaktik, 
der  Geschichte  des  naturkundlichen  Unterrichtes  und  der  wichtigeren  Ent- 
deckungen und  Erfindungen  den  Lehrern  der  Naturwissenschaften  sller 
Schulen  rasch  und  auf  verstflodliche  Welse  snginglich  nraohen  solL  Die 
2ieit8chrift  kommt  allen  berechtigten  Ansprüchen  vortrefilich  entgegen. 
Die  größeren  Aufsätze  verbreiten  sich  über  die  Fortbildung  der  Methode, 
über  Lehrplan  fragen ,  die  Wechselbeziehungen  zwischen  Philosophie  und 
Naturwissenschaft,  Museen,  Exivursionen,  Schulgarten,  Entwicklungslehre 
im  Unterricht,  Berlloksichtigung  der  Geologie,  der  Meteorologie,  der 
Fflanfengeographie  usw.  Die  Abhandlungen  wissenschaftlichen  Inhaltes  sind 
den  Bedürfnissen  des  Sohulnnterrichtes  angepaßt.  Erwähnt  seien  hier  nur 
die  Artikel  Ober  wilde  und  z^une  Binder  der  Yorzeit,  über  den  Begriff 
der  Art ,  Reize  und  StofFleitungen  bei  Pflanzen ,  tiefe  Temperaturen, 
Becquerelstralüen ,  Fortschritte  der  Chemie.  Es  kommen  Freunde  und 
Gegner  der  Theorien  zu  Wort. 

Audi  die  kleineren  Beiträge  bringen  viel  des  Interesssnten  und  Bxauoh- 
bsien.  Wir  nennen  die  »Ueinen  Scäulversuche^  wdche  die  Experimente 
auf  ihre  einfachste  und  Idurreiohsto  Form  bringen  wollen ;  die  »Lehrmittel- 
sehan«,  welche  einerseits  geeignete  Anschauungsmittel  in  Vorschlag  bringt 
und  Bezugsquellen  nennt,  andrerseits  Anleitung  zur  Selbstanfertigung  der- 
selben gibt.  Die  Rubriken  »Selbstbeobachtetes«,  »Irrtümer  und  Stroit- 
fragen« und  der  »Sprechsaal«  regen  zu  Naturstudien  und  Meinungsaustausch 
an.  Dssn  kommen  Besprechungen,  Versammlungsbeiifihte,  eine  Progiamm- 
und  Bflchersohau,  die  aus  der  groflen  Fülle  des  Materials  das  fflr  die 
Schule  Bedeutsamste  herausheben. 

»Natur  und  Schule?  verdient,  den  Fachlehrern,  den  Lehrern 
der  Pädagogik  und  Methodik,  pädagogischen  Lesesirkein,  Vereinen  und 
Bibliotheken  bestens  empfohlen  zu  werden! 

Hiidburghausen  0.  Pfannstiel 


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Aus  der  philosoph 

Archiv  fOr  systematische  Philo- 
sophie. 1904. 
Jonas  Cohn,  Psychologische  oder  kriti- 
sche Begründung  der  Ästhetik?  —  Vin- 
cenzo  Allara,  Sulla  quistione  del  Genio. 

—  D.  Adolf  Müller,  Die  Eigenart  des 
religiösen  Lebens  und  seiner  Gewißheit 

—  Jahresbericht  über  sämtliche  Erschei- 
nungen auf  dem  Gebiete  der  systemati- 
schen Philosophie.  —  C.  Bos,  La  Philo- 
sophie franvaiae  1902.  —  0.  E.  Moore, 
Jahresbericht  über  »Philosphy  of  the 
United  Kingdom  for  1902«.  —  Die  neuesten 
Erscheinungen  auf  dem  Gebiete  der  systo- 
inatischen  Philosophie.  —  Zeitschriften. 

—  Eingegangene  Bücher. 

Beiträge  zur  Psychologie  der  Aus- 
sage (Mit  besonderer  Berücksichtigung 
von  Problemen  der  Rechtspflege,  Päda- 
gogik ,    Psychiatrie   und  Geschichts- 
forschung.   Herausgeg.  von  L.  William 
Stern.  4.  Heft.  Mit  2  Einschaltbildern 
und  vielen  Textfiguren.  1904. 
Abhandlungen:  Hans  Schneickert,  Die 
Zeugenvernehmung  im  Lichte  der  Straf- 
prozeßreform. —   L.  W.  Weber,  Ein 
experimenteller  Beitrag  zur  Psychologie 
der  Zeugenaussagen.  —  C.  Minnemann, 
Aussagevorsuche.    —    Eigenbericht:  H. 
Schneickert,  Zur  Psychologie  der  Zeugen- 
aussagen. —  Mitteilungen:  Bericht  des 


ischen  Fachpresse 

Herrn  Rechtsanwalt  X.  —  Das  Anssage- 

problem  auf  dem  Kongreß  für  experim. 

Psychologie.  —  Namenregister  zur  ersten 
Folge. 

Mind  A  Quarterly  Review  of  Psycho» 
logy  and  Philosophy.  Edited  by 
Dr.  G.  F.  Stout  New  Series.  No.  51. 
July  1904. 

F.  H.  Bradley,  On  Truth  and  Practice. 

—  B.  Russell,  Meinongs  Theory  of  Com- 
plexes  and  Assumptions  (II.).  —  Prof. 
J.  S.  Mackenzie,  The  Infinite  and  the  Perfect 

—  H.  G.  Wells,  Scepticism  of  the  In.stru- 
ment  —  T.  M.  Forsyth,  The  Conception 
of  Experience  in  its  Relation  ot  the  Deve- 
lopment of  English  Philosophy.  —  Critical 
Noticos.  —  New  Bocks.  —  Philosophical 
Periodicals.  —  Correspondence. 

Revue  de  M^taphysique  et  de  Mo- 
rale.  (,M.  X.  Leon.)  12e  annoe,  No.  4. 
Juillet  1904. 

G.  Lanson,  L'histoire  littcrcure  et  la 
sociologie.  —  Ch.  Rist,  ix:onomie  opti- 
miste  et  Economic  scientifique.  —  L. 
Couturat,  Les  principes  des  math^mati- 
ques.  —  ly.  Le  continu.  —  ^^des  criti- 
ques :  A.  Rey,  La  philosophie  scientifique 
de  M.  Duhem.  —  Enseignement:  L.  Weber, 
La  question  de  TEcolo  Polytechnique.  — 
Supplement:  Livres  nouveaux.  —  Revues 
et  Periodiques.  —  Varietds.  —  2e  Con- 


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Fachpresse 


95 


gfiß  international  do  phiJosophie.  — 
2e  list»  de  Boiuoription  n  moaiunent 
Benonvier. 

Bölcscleti  Folyöirat  Szerkeszti  es 
kiadjft  Dr.  Ei98  J<no6.  U.Fazet  1904. 
I.  l^brtekezesek :  Dr.  Rott  N&ndor, 
Darwinizmus  ez  kifejlödis.  —  Dr.  Gieß- 
wein Silnd'T,  Mit  tartsunk  a  spiritis- 
xtikas  jelensögek  objectiv  vaiödisjigarol. 
»  Xomärik  Istvän  S.  I.,  Az  idö  6z 
u  drtttkevBlMg.  —  Schflts  Antsl,  Az 
ertebni  ismeretek  eredet^nek  föbb  elm^- 
lateL  —  II.  B<3l(  se!et;i  niozpilmak,  Tegyo- 
nki  —  HL  Irodalmi  ^rtasito. 

Conaiers  Jahrbuch  fOr  Philosophie 
und  spekttlmtive  Theologie.  XVIIL 

4.  Heft 

Der  theologische  Glaube  und  seine 
nafcoiüchen  VonniBsetsaiigeiL  Ton  Fkklat 
Dr.  Michael  Glofiner  in  Mftndieii.  —  Zur 

Lehre  des  hl.  Thomas  von  "Wesenheit 
and  Sein,  f Bemerkungen  zu  S.  Thoin.: 
In  lib.  Boethii  De  Hcbd.  leet.  2.  [al.  1]). 
Ton  Dr.  Franz  2igon,  Professor  aiu  b. 
KlerikilBamiiiar  In  OSxs.  —  Das  Weiden 
im  Snne  der  Sdiolastik.  Ton  P.  Fr. 
Gundisalv  Feldaw»  Mag.  Theo!.,  Ord. 
Praed.  in  Wien.  —  Die  Stolle  Gen.  II. 
7  und  die  Deszendenztheorie.  Von  Dr. 
Engen  Bolfes,  Pfarrer  in  Dottendorf  bei 
Bonn.  —  De  Oonoordia  HoUnae.  (Seqnitnr.) 
Scripsit  Fr.  Norbertus  del  Prado  Ord. 
Pra»^l. .  Professor  üniversitatis  Litor., 
Friburgi  Il'^lvet.  —  Literarische  Be- 
sprechuuf^Lii. 

 XIX.  1. 

Dokumente.  Drei  Breven  Piu.s'  X.  — 
Aus  Theologie  und  i'hüo:>ophie.  (L.  Jans- 
aens.  Seite.  Iiqnieido.  Desaoir  o.  Menaer. 
Llohtaeokert.)  Von  PriUat  Dr.  Ifichael 
Gloßner  in  München.  —  Die  natürliche 
Erkenntnis  der  Seligen  nach  S.  Thomas 
von  Aquin.  Von  P.  Fr.  Gundisalv  Feidner, 
Magister  S.  Th.,  Ord.  Praed.  in  Wien.  — 


Zur  Lehre  des  hl.  Thomas  von  Wesen^ 
hflit  und  Bein.  (B«nerknngen  an  8. 
Ihom.:  In  lib.  Boethü  De  Uebd.  Ic  t  2 

[al.  1]).  Fortsetzung  von  Bd.  XVIll 
S.  3'M\.  Von  Dr.  Franz  Zigon,  Professor 
am  Klerikalseminar  in  Gorz.  —  De  Coq- 
cordia  Molinae.  (Sequitur,  vol.  XVH 
p.  301.  476.  XVm  p.  83.  284.  464.) 
Scripsit  Fr.  Norbertus  del  Prado  Ord. 
Praed.,  Professor  Üniversitatis  Täter.  Fri- 
burgi üelvet  —  Literansohe  Besprechun- 
gen. 

Die   Kinderfehler.     Zeitsckrift  für 
Einderforschung  mit  besonderer  Be» 
rftckaichtignng  der  pidagogischen  Patho- 
logie.   Herausgegeben  von  J.  Trüper, 
Direktor    des   Erziphnngsheimes  und 
Kindersanatoriums  auf  der  Sophienhöhe 
bd  Jena  md  Cbr.  Ufer,  Rektor  der 
lOdehenmittelschnleui  Elberfeld.  IX,  6. 
A.  Abhandlungen :    D.  Hieronymus, 
Vererbung   and   erbliche  Belastung  in 
ihrer  Bedeutung  für  Jugend-  und  Volks- 
erziehung. —  Medizinalrat  Dr.  Engelhom, 
Welohe  Bedentnng  fär  die  Sdiulhygien» 
hat  die  Psychologie  und  Psydiopathologie 
der  Entwicklungsjahrt"?  —  B.  Mitteilun- 
gen: Dr.  Paul  liiinsohburg,  Der  gegen- 
wärtige Stand  der  Heilpüdagogik  in  l'ngam. 

Dr.  med.  Hennann,  Srsiehung  und 
Kxankheit  —  Fiiedr.  Xenl.  Tom  Kinde 
in  der  Kunst  —  H.  Dörreich,  Ein  Fall 
von  motori-scher  Aphasie.  —  Frau  Ileuny 
Bock-Neumann,  Kinderlaunen.  —  Über 
BettnSaaen.  —  Das  nmische  Kind.  —  An 
die  Vereinigungen  ffir  Kinderpsyohologie 
und  Heil  Pädagogik  und  Freunde  dieser 
Wisseuschafton.  —  C.  Ijteratur:  »Schutz 
für  Geistossch wache«.  Von  J.  Trüper.  — 
Dr.  C.  Gutberiet,  Der  Kampf  um  die 
Sede.  Ton  Ufer.  —  Dr.  W.  Ament, 
FortBohiitte  der  Kinderaeelenkunde  1895 
bis  1903.  Von  Ufer.  —  Th.  Ribot,  Psy- 
chologie der  Gefühle.  Von  Ufer.  —  Karl 
Kroiß,  Zur  Methodik  des  Uörunterrichts. 
Von  0.  Danger. 


96 


Neu  eingegangene  Bücher  und  Zeitschrilten 


Neu  eingegangene  Bücher  und  Zeitsohiiften 


B.  Bnrokhardt,  Über  antike  Biologie. 
Vortrag.  Aann,  Smeriliuier,  1904. 

18  S. 

Ders.,  Biologie  der  Griechen.  Frani- 
fait  a/M.,  Knauer,  1904.   26  8. 

Ap«l,  loMinid  Kant,  ein  BUd  seines 
Lebens  und  Denkens.  Beilin,  Mr^pnft, 
1904.    102  8. 

Brauer,  Die  Beziehungen  zwischen  Kants 
Ethik  und  seiner  Pädagogik.  Leipzig, 
WnndorHoli,  1904.  35  & 

Goldschtnidt,  Kant  über  Freiheit  Un- 
sterblichkeit, Gott  Gotha,  ThieiMimann, 
19(.)4.   39  S. 

Bibot,  Psyohol(^e  der  Gefühle.  Deutsch 
m  üto.  Altsnburg,  Bonde,  1903. 
548  8. 

M.  Paul,  Für  Herz  und  Gemüt  der 
Kleinen.  56  biblische  Geschichten  für 
die  ersten  4  Schuljahre  in  erzählend 
dantellender  Form  an!  Grand  Wundt- 
seher  Fsyohologie.  Le^piig.  Wunder- 
lich. 1904.  206  S. 

"W.  Bittorf,  Methode  des  evangelischen 
KtdigioDsunterrichts  in  der  Volksschule. 
Ebenda  1904.    176  8. 

8.  Bang,  Zur  Belonn  des  Xateebismus- 
nntsxfiolits.  Ebenda  1904.  76  & 

A.  Eowalewski,  Stadien  snr  Fbycho- 
logio  des  Pessimismus.  Wiesbaden, 
Beigmann,  1904.    122  S. 

W.  Koppelmann,  Kritik  des  sittlichen 
BewuAtoeinB  vom  phSosoplusohen  und 
historischen  Standpunkt  Bedin,  BevCher 
&  Keichani,  1904.    385  S. 

J.  Baumann,  Denifles  Luther  u.  Luther- 
tum vom  allgemein -wissenschaftlichen 
Standpunkt  ans.  tangensalsa,  Hermann 
Beyer  k  Söhne  (Beyer  k  Mann),  1904. 
47  S. 

Rudo,  Methodik  des  gesamten  Volks- 
schulunterrichts. Unter  besonderer  Bo- 
rncksiohtigung  der  neuen  Bestrebungen. 
II.  Bd.  Osterwieok.  Zitdcfekl,  1904. 
498  & 


Th.  Fritssch,  Kants  Grundlegung  zur 
Metaphysik  der  Sitten.  Leipsift  Bedank 

106  S. 

Ph.  Witkoj),  Die  Organisation  der 
Arbeiterbüdung.   Berlin,  Siemenroth. 

A.  Gleiohmann,  Über  Herberti  Ijehx» 
▼enden Stolen deaUnterrichts.  4AafL 
Langensalza,  Hennann  Beyer  &  Söhne 
(Beyer  &  Mann). 

P.  Polack,  Aus  deutschen  Lesebüchern. 

6.  Aufl.    Leipzig,  Th.  liofmann. 
J.  Norrenberg,  Geschichte  des  natur- 

wisaensohafüichen   Unterrichts  nsw. 

Leipsi^  Teubner. 
H.  Quensel,  Geht  es  anfwflrts?  Köln. 

Schmitz. 

A.  Bausch,  8chülervereine,  Erfahnmgen 
nnd  Ofondsttse.  Halle,  Waisemhans. 

Hilfsbnoh  für  den  franiös.  Untoiiiclii 
Kaihaig,  Uwert 

TVilk,  Die  Formengemeinschaften  nsw. 

Dresden,  Scharabach. 
Ders.,  Pickels  Geometrie  usw.  25.  Aufl. 
Ebenda. 

Thr Andorf -Meitzer,  Beligions  -  ünt 
3.  Anfl.  Ebenda. 

Tögel ,  Der  konkrete  Hintergxnnd  an 

150  Kernsprüchen.  Ebenda. 
Regenor.   Skizzen  zur  Geschichte  der 

Pädagogik.    2.  Auflage.  Langensalza, 

Hermann  Beyer  k  Söhne  (Beyer  k 

Mann). 

Reukauf-Heyn,  Lesebuch  z.  Kirohen- 
geschichte.    Leipzig,  Wunderlich. 

Mcyer-Markau-Goldschmidt,  Duis- 
burg, Heimaftnade.  Bnisbuig,  Stein- 
kamp. 

Dr.  Monlin-Eckart,  Deatsohland  nnd 

Rom.    München,  Lehmann, 
n.  0  0  ni  p  e  r  z  ,  Die  Lebensanschauung 

der    gicchischen   Philosophie.  Jena, 

Diederiohs. 
Meyer-Rosin,  Pädagogisches  Jahrbuch 

1903.  Bexlin,  Gerdes  k  HödeL 


Bujm  k  SBfaM  (Boyor  k  HMu)  in 


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Die  Ansfolgernng  nnd  Ansdentnng  allgemeiner  Urteile 
mit  positivem  Subjekte  nnd  Prädikate  durch  Definition 
nnd  Einteilung  dieser  Glieder 

Von 

Ignaz  Pokorny 

THnlailning 

Es  ist  wohl  wahr,  daß  manche  Begriffe  sich  nicht  definieren 
und  manche  sich  nicht  einteilen  lassen,  doch  bleibt  die  Zahl  der 
definierbaren  und  einteilbaren  trotzdem  so  ^oß,  daß  die  Angabe  des 
Inhalts  und  die  des  Urafangs  eines  Begriffes  in  der  Darstellung  und 
Anwendung  der  Denklehre  und  der  Wissenschaft  überhaupt  eine  be- 
deutende Rolle  spielt 

Ebendarum  aber  dürfte  es  kaum  überflüssig  sein,  in  einer  be- 
sondern  Abhandlung  zu  erörtern,  wie  jedes  allgemeine  (d.  h.  nicht 
partikuläre)  Urteil  mit  positivem  Subjekte  und  Prädikate  durch  die 
Definition  und  Einteilung  dieser  Glieder  eine  eigentümliche  und  für 
gewisse  wissenschaftliche  Zwecke  förderliche  Umgestaltung  erfährt. 
So  ein  Urteil  (welches  wir  der  Kürze  halber  zunächst  nur  mit  U  be- 
zeichnen wollen)  wird  nämlich,  wenn  man  für  sein  Vorder-  oder 
Hinterglied  dessen  Inhalts-  oder  Urafangsangabe  einstellt,  verwandelt: 

entweder  1.  in  eine  Ausfolgerung  des  d.  h.  in  eine  mit  U 
gleichgeltonde  Vereinung  (Konjunktion)  von  Urteilen,  die  zu  U  unter- 
geordnet (notwendige  Folgen)  und  untereinander  bloß  verträglich  sind, 

oder  2.  in  eine  Ausdeutung  des  C7,  d.  h.  in  eine  mit  U  gleich- 
geltende Wahl  (Disjunktion)  von  untereinander  unverträglichen  Urteilen, 
von  denen  eines  dem  U  übergeordnet  ist 

ZeiUchrin  für  Fhilosophio  ani  PUdsKOgik.    12.  Jahigsng.  7 


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98 


Die  hier  eingeführten  Ausdrücke  Äusfolgenmg  and  Ausdeutung 
können  vielleicht  durch  andere  bessere  Benennungen  ersetzt  werden, 
die  Bildung  und  den  Gebrauch  dieser  oder  gleichbedeutender  Wörter 
hält  aber  der  Verfasser  für  unentbehrlich,  wenn  die  durch  eie  be- 
zeichneten Umwandlungen  gegebener  Urteile  erklärt  und  ihre  An- 
Wendungen  besprochen  werden  sollen. 

Dabei  wird  der  Folgerichtigkeit  halber  das  am  meisten  gebräuch- 
liche Verbindungswort  für  die  Glieder  einer  Veroinung  von  Urteilen, 
nämlich  imd^  und  dasjenig'o,  weldies  gewöhnlich  die  Glieder  einer 
Wahl  von  Urteilen  verbindet,  nämlich  oder^  auch  bei  Vereinungen, 
bezw.  Wahlen  von  Begriffen  angewendet  werden,  und  zwar  anch^ 
wenn  sie  im  Vordergliede  eines  Urteils  stehen,  dann  jedoch  nur  mit 
der  zur  Wahrung  des  Sinnes  notwendigen  Umschreibung:  Was  {iffer) 
A  und  B  ist^  bezw.:  Was  {ircr)  A  oder  B  istJ) 

Demgemäß  hat  auch,  wenn  eine  Definition  durch:  B  =  G  und  I) 
ausgedrückt  wird,  dieser  Satz  die  Bedeutung:  B  ist  G  und  I)^  und 
was  G  u}id  I)  ist,  ist  B.  Ebenso  ist,  wenn  eine  Einteilung;  durch: 
B  ==■  BDi  oder  BD^  ausgedrückt  wird,  damit  der  Gedanke  aus- 
gesprochen: B  ist  BDy  oder  BD^,  und  was  BDi  oder  BD^  ist,  ist  B. 

A.  Bildung  der  Ausfolgerungen. 

Zu  einem  gegebenen  allgemeinen  Urteil  mit  positivem  Subjekte 
und  Prädikate  {S  ist  P)  bildet  man  eine  Ausfolgerung: 

entweder  T.  nur  definierend,  indem  man  für  P  eine  gültige 
d.  Ii.  gewiß  richtige  Angabe  seines  Inhalts  (/^  utid  il,)  einstellt,  so 
daß  da.s  Ergebnis  lautet:  5  ist  JI^  und 

oder  II.  nur  einteilend,  indem  man  füs  5  eine  gültige  An- 
gabe seines  Umfangs  {SD^  oder  SD^)  einsetzt,  so  daß  sich  ergibt: 
Was  Sr\  oder  SD^  isi^  ist  P\  gewöhnlich  ausgedrückt:  SD^  und 
SD^  sind  P\ 

oder  III.  definierend  und  einteilend,  indem  man  für  P 
eine  gültige  Inhalts-  und  für  .S*  eine  gültige  Umfangsangabe  einstellt. 
Man  erhält  dann :  Was  SD^  oder  SD^  ist^  ist  11^  und  il^,  gewöhnlich 
ausgedrückt:  SD^  und  SD^  si7id  11^  und  Hj. 

Daß  das  so  gewonnene  Ergebnis  gewiß  eine  Ansfolgerung  des 
gegebenen  Urteils  ist,  erhellt  aus  folgender  Erwägung: 

t.  ist  es  eine  angezeigte  Verein ung  von  Urteilen,  da  es  mit 
einer  ausgefOhiten  UztailiTereinung  gleichgeltend  ist  und  swar: 

')  Ohne  diese  Umschreibunt;  ist  nämlich:  A  und  B  sind  C  der  gewöhnliche 
▲asdniok  fiii:  Ä  ist  C  und  B  tat  C  und  der  Satz:  A  oder  B  ist  C  der  gewöhnliche 
Audnok  miAiatO  odbr  B  «M  C. 


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PoKOBirr:  Die  Aosfolgenmg  und  AusUeutung  allgemeiner  Urteile  usw.  9ft 


bei    I  mit:  'S  ist 

wid  S  ist  TL,  : 
bei  II  mit:  SD^  ist' P 
und  SD^  ist  P; 
bei  in  mit:  SD^  ist  il, 
{und)  SDi  ist  11^ 
{und)  SIK  ist 
und  SJj't  ist  II,. 

2.  ist  jedes  Glied  dieser  ausgeführten  Urteilsveremong  dem 
gegebenen  Urteil  untergeordnet,  da  es  mit  diesem  immer  mift- 
gültig  ist)  w&hrend  das  umgekehrte  nicht  stattfindet 

3.  sind  die  Glieder  der  Urteilsvereinmng  untereinander  bloß 
▼erträglich,  weil  sie  entweder  demselben  Begriffe  Prädikate  bei- 
legen, die  als  Glieder  einer  gültigen  Inhaltsangabe  untereinander  bloß 
▼Qlträglich  sind  (so  bei:  S  ist  11^  und:  S  ist  II,,  bei:  SDi  ist  fl^  und: 
SD^  ist  n,,  bei:  SD^  üt  und:  SD^  ist  U^)  oder  mit  Begnifen, 
die  als  Glieder  einer  regelmäßigen  Einteilung  untereinander  unver- 
träglich sind,  ein  und  dasselbe  Prädikat  verbinden  (so  bei:  SD^  ist  P 
und:  Sn^  ist  P,  bei:  SDi  tat  Iii  bei:  8Di  ist  JI^ 
mid:  8J>^  ist  J%). 

4.  ist  die  ganze  Urteilsvereinniig  eine  ▼ollständige  (er- 
schöpfende) Angabe^)  der  Folgen  des  gegebenen  Urteils  oder,  was 
dasselbe  ist,  mit  dem  gegebenen  Urteil  gleicbgeltend,  demi 
sie  ist  der  Schlußsatz  eines  gültigen  Schlusses  aus  dem  gegebenen 
Urteil  und  einer  gültigen  Gleichong  und  hei  jedem  gültigen  Schlüsse 
ist  der  Schlußsatz  mit  einem  seiner  Vordersätse  (einer  Prämisse) 
gleichgeltend,  wenn  die  übrigen  gültige  Gleichongen  sind.  Der  Schluß 
lantet  nämlioh: 

bei    l  :  8i8t  P 

P  ^  und 

8  ist  Iii  und  1^; 
bei  II:  iS2>|  oder  8D^  -=  8 

8üt  P 

Was  SDi  oder  SD-^  i^t,  ist  P; 

bei  m:  SD^  oder  SD^  =  8 

8ist  P 
P  ^  und 
Hkae  8Di  oder  SD,  ist,  ist  und 


*)  Dies  soll  daB  am*  in  Amfoigenmjf  bewiohnen. 

7« 


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100 


Aufsätze 


Zasatz.  Die  Ausfolgenmg  ist  wohl  mit  dem  gegebenen  Urteil 
gleiofagdtend,  d.  h.  sie  ist  mit  diesem  und  dieses  auch  mit  ihr  immer 
milgflltig,  doch  wäre  es  ToreiÜg,  sie  selbst  (^a  wie  die  zu  ihrer 
Bildung  verwendete  Definition  oder  EinteQnng)  fär  eine  Gleichung 
zu  halten.  Dies  zu  veibQigen,  reichen  die  voiliegenden  Schlüsse, 
bei  denen  von  zwei  Vordersätzen  nur  einer  oder  Ton  dreien  nur 
zwei  gewiß  eine  Gleichung  sind,  nicht  aus,  dazu  wäre  yielmehr  er- 
forderlich, daß  jeder  der  Yordersätze,  also  auch  das  g^ebene  Urteil, 
eine  Gleichung  wäre,  während  es  nach  unserer  Voraussetzung  nur 
ein  allgemeines  Urteil  ist 

Beispiele  von  Ausfolgerungen: 

I.  durch  eine  Definition. 

So  verwandelt  sich  das  gegebene  Urteil:  Daa  Quadrat  ist  ein 
regelniäfsiges  Vieleck  in  die  Ausfolp^ernnp::  Das  Qtiadrat  ist  ein 
gleichseitiges  gteichwinkUges  Videek;  desgleichen  der  Satz:  Die  Be- 
griffe *einfach<t  wid  ^xvsammengesetxt*  sind  xtteinander  korUrü' 
düUorisch  in  das  Urteil:  Die  Begriffe  *  einfach*  und  ^xusammen- 
ge,setxt€  sind  miteinander  unvereinbar  und  scfUiefsen  ein  drittes  aus. 
Die  Behauptung:  Diese  Erscheinung  ist  eine  Farbenxerstreuung  lautet 
ausgefolgert:  Sie  ist  eine  gleich xciti je  ungleich  starke  Brechnng  der 
verschiedenfarbigen  Bestamltcüe  des  urifsen  Lichtes.  In  der  mittel- 
hochdeutschen Grammatik  bedeutet  der  Satz:  Das  Wort  »hoeren<  ist 
cm  nickumlantendes  Zeitwort  soviel  wie:  *Hoereti€  ist  ein  Zeitwort, 
hat  nne  lange  Stamvmlbe,  schwache  Biegung  und  im  Piiiteritnm 
irir  int  Mittelwort  der  Vergangenheit  einen  nicht  umgelautetcn.  da- 
gegen in  der  Orgcmcart  einen  ninrjclnfiteten  StammsclbsiUuit.  Wcun 
jemand  ein  Wort  z,  B.  Imlt  für  eine  Parenthoso  (einen  Sclialt^atz) 
erklärt,  so  meint  er  damit,  es  sei  ein  Hauptsatz,  der  in  einon  undem 
Satz  (Mn^H'schaltot  ist  und  diesen  dem  Sinne  nach  regiert,  jedoch  auf 
dessen  Form  keinen  Einfluß  übt. 

n.  durch  eine  Einteilunj;. 

Der  Satz:  Jede  relative  Ztihl  gihi  xum  Quadrat  erhohen  eine 
pusitii-e  Zahl  lautet  ausfrefolgert :  Sowohl  jede  positirr  n  ie  jede  nega- 
tive Zahl  (jihf  \ntn  (^umlrnl  erhoben  eine  poxitire  Zihl.  Ebenso  ent- 
steht aus  dem  Urteil :  Jedes  iconrexe  Viereck  hat  innere  Winkel^  deren 
Summe  vier  Heehte  hei  ragt  die  Ausf  olgerunp^ :  Das  J  Parallelogramm, 
das  Trape\  und  das  Trope \oid  hohen  innere  Winkel,  deren  Summe 
vier  Rechte  beträgt.  Aus:  Jedes  gleichseitige  Parallclogratfnn  hat 
Diagonalen,  die  aufeinander  senkreeltt  sfeheti  wird:  Soirohl  das 
Quadrat  als  aarh  iler  Rfiombus  haben  Di/n/oualen,  die  aufeinamh r 
senkrecht  steiien.  Zu  dem  Urteil:  Jedes  allgenieiue  kategorisdie  Urteil 


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PoKORKY:  Die  Aasfolgerung  und  Ausdeutung  aligemeiuer  L'rteiie  u.sw.  101 


ist  glcirhfjeUfttd  iiiii  srliin'  Kotilraposlllon  ist  eine  Ausfolgorung:: 
N'uhi  ufir  jrdes  jiosiiivv,  soitdvrn  auch  jt-dcs  //r(/ntir«'  alUjrnifinf  kai<- 
(jormhc  Urteil  ist  (ileichgeltcud  mit  seiner  Kofitrajjositiou.^)  Aus: 
Jedt  Ulfige  Silhr  ist  für  die  Urhung  de^  lateiniseheu  daktglisehen 
Ihmineieri;  geeignet  er^bt  sich:  Soirohl  jede  ron  Sntiir  lange  als 
Icdr  tinreh  sogenannte  Pnsifion  laiigr  Sillir  int  für  die  Hebuiig  des 
UUeinischen  daktglisehen  llesann  ters  geeignet. 

ni.  durch  eine  Definition  und  eine  Einteiluno:. 

Wenn  das  Urteil  g^egeben  ist:  Jeder  platonische  Körper  ist  ein 
konvexes  regelmäfsiges  Polgeder,  so  lautet  seine  Ausfi^lperung:  Das 
Tetraeder,  Oktaeder,  Ikosaeder,  Hexaeder  and  Dodekaeder  sind  Poly- 
eder, die  von  lauter  regelmäfsigen  und  kongruenten  Flächen  begrenzt 
sind  und  lauter  reget nu'ifsigc,  kongruente  Ecken  hohen.  Oder  es  sei 
der  Satz  gegeben:  Jede  periodisehe  Iknegung  bringt  ntuh  Ablauf 
einer  Periodr  das  lieuegte  in  die  Pheise,  in  der  es  sieh  unmittelbar 
vorher  befand.  Dann  gilt  die  Ausfolfrerun;::  Sou  ohl  jede  jxriodisehf 
Sehwinffung  als  auch  jede  periodi.^ehe  {vollständig( }  Drehung  gibt 
nach  Ablauf  einer  Periode  dem  Beuajten  dieselbe  ränndichc  Lage^ 
dieselbe  Betceffungsruhtung  und  dieselbe  Geschwindigkeit,  die  es  un- 
mitteUmr  vorher  hatte.  Ebenso  verwandelt  sich  das  Urteil:  Jedes 
grofse  Leiden.^  in  dem  der  Leidende  sittlichen  Adel  betätigt,  ist  tragiech 
in  den  Satz:  Sowohl  jedes  selbstverschuldete,  als  auch  jedes  niehi 
selitstverschtUdete  grofse  Leiden  eines  Menschen.,  in  dem  dieser  siU' 
Ikhen  Adel  betätigt.,  erregt  unser  Mitleid  und  wirkt  ofifime  xugleick 
erhebend, 

B.  Praktische  Bedeutung  der  AuBfolgerungcn. 

L  Jede  Aasfolgerang  ist,  mag  nun  das  gegebene  ürleil  (ü)  an 
sich  gültig  sein  oder  nicht,  jedenfalls  eine  verdeutlichende  Zer- 
legung des  in  U  ausgesprochenen  Gedankens  und  da  sie 
diese  Yerdendichung  durch  Angabe  einer  gleicfageltenden  Yereinnng 
Ton  dem  ü  untergeordneten  und  untereinander  bloB  Tertrfiglichen 
Urteilen  gewährt,  so  ist  sie  im  Reiche  der  Urteile  genau  dasselbe, 
wie  im  Reiche  der  Begriffe  die  bei  jeder  Definition  eines  Begriffes  (J3) 
▼orkommende  Inhaltsangabe  {O  imd  P),  die  ja  auch  eine  dem  B 
gleichgeltende  Yereinung  Ton  zu  B  abergeordneten  und  untereinander 
blofi  yertriglichen  Begriffen  ist  Daß  die  Definition  au  B  Über- 
geordnete Begriffe,  die  Ausfolgerung  aber  au  17  untergeordnete  Urteile 
angibt^  begründet  swisohen  diesen  beiden  Operationen  keinen  Unter- 


>)  Gemeint  ist:  Ä  ist  immer  B  mm  Wo»  nieht  B  ist^  iet  imtmr  Mi  A  «id: 
Ä  üf  immer  meht  B     B  %»t  immer  nidU  Ä, 


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102 


schied,  da  bei  beiden  tatsächlich  dasselbe  geschieht,  nämlich  Gedanken 
vorgeführt  werden,  die  mit  dem  gegebenen  immer  mitgültig  sind,  aber 
nicht  umgekehrt;  nur  daß  man  diese  zufolge  eines  (nicht  folge- 
richtigen, aber)  allgemein  herrschenden  Gebrauches,  wenn  es  sich 
um  Urteile  handelt,  unteigeordneti  wenn  es  aber  Begriffe  betrifft 
übergeordnet  nennt. 

II.  Überdies  ist,  wenn  das  gegebene  Urteil  gewiß  richtig 
ist,  auch  jede  regelrecht  gebildete  Ausfolgerung  desselben 
ein  gültiges  Urteil,  denn  sie  ist  dann  ein  streng  abgeleitetes, 
d.  h.  ein  durch  einen  gültigen  Scliluß  aus  lauter  gültigen  Vorder- 
sätzen gewonnenes  Urteil.  Als  Beispiele  hierfür  dienen  alle  unter  A 
angeführten  Ausfolgerungen. 

TIT.  Wenn  das  gegebene  Urteil  nicht  gewiß  richtig  ist 
so  ist  durch  den  zur  regelrechten  BUdung  der  Ausfolgening  führen- 
den Schluß,  weil  einer  der  Yonlersiitze  kein  gültiges  Urteil  ist,  die 
Gültigkeit  der  Ausfolgerung  nicht  verbürgt;  so  viel  aber  ist  auch 
dann  noch  gewiß,  daß  das  durch  diesen  Schluß  gewonnene 
Urteil  wirklich  eine  Ausfoigerung  des  gegebenen  Urteils  ist 
und  daher: 

1.  mit  dem  gegebenen  Urteil  immer  niitgilt,  zu  ihm  eine 
notwendige  Folge  bildet.  Und  dies  berechtigt,  da  mit  der  Folge  auch 
der  Grund  aufgehoben  wird,  zu  dem  häufig  angewendeten  Vorfahren, 
daß  man  ein  gegebenes  Urteil  widerlegt,  indem  man  zu  ihm 
eine  Ausfolgerung  bildet  und  dann  zeigt,  daß  diese  ungültig  ist.  Und 
zwar  genügt  zu  diesem  Zwecke,  weil  die  Ausfolgerung  eine  Ver- 
emung  von  Urteilen  ist,  und  weil  nicht  nur  die  ganze  Ausfolgerung, 
sondern  schon  jedes  einzelne  ihrer  Glieder  eine  notwendige  Folge 
des  gegebenen  Urteils  ist,  auch  schon  der  Nachweis  der  Ungültigkeit 
eines  solchen  Gliedes. 

Zu  dem  Urteil:  Diese  Tat  ist  ein  Diebstahl  lautet  eine  Ausfolge- 
rung: Diese  Tat  ist  Entxiehung  einer  fremden  beweglichen  Sache 
aus  eines  andern  jßesitx^  ohne  des  Besitzers  Einwilligung  und  in 
gewmnsüehüger  Absiekt  geschehen.  Wenn  sich  nun  auch  nur  ein 
Olied  dieser  tJrtoilsirereiiiung  als  ungültig  erweist,  ist  diese  und  mit 
üv  auch  das  gegebene  Urteil  ungültig.  Daß  dies  auch  toh  einteilend 
gebildeten  Ansfolgerungcn  gilt,  lehrt  die  ^btsaehe,  daß  der  Satz:  Äüe 
Plandm  bewegen  sich  innerhalb  der  Grenzen  des  Tierkreises  auf- 
gegeben weiden  maßte,  als  man  festgestellt  hatte,  daß  die  FkiUas 
diese  Grensen  übeiscfareitet  Aach  maßte  man  aafhöxen,  alle  Metalle 
für  schwerer  als  Wasser  m  halten,  als  dies  besilglich  des  Kaliams 
and  Natrinms  fttr  nnzichtig  erkannt  worden  war.  Ebenso  bildet  der 


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Pokobxy:  Die  Audfülgeruog  und  Ausdeutung  allgemeiner  Urteile  usw.  103 


Umlauf  des  Nephmmondes  ein  HiiKlernis  für  die  Aufstollnn?  des 
Satzes:  AUp  Umlaufs-  und  Rotationshr/rn/foigrfi  So/inensy.steme 
erfohjiN.  vom  Polarsterm  aus  gesehen^  yu^u  den  Sinn  df.f  Uhr- 
xeigcr.s.  Auch  darf  man  unter  die  allgemeinen  Eigenschsiften  der 
Körper  die  Porosität  nicht  zählen,  weil  diese  Eigenschaft  dem  Glase 
nicht  zukommt 

2.  Da  jede  regelrecht  gebildete  Ausfolgerung  mit  dem  gegebenen 
Urteil  gloichgelteiid  ist,  so  ist  niclit  bloß  sie  mit  diesem  immer  mit- 
gültig, sondern  auch  das  gegebene  Urteil  zu  ihr  eine  not- 
wendige Folge. 

In  diesem  Sinne  bereitet  man  den  direkten  Beweis  eines 
gegebenen  Urteils  oft  vor,  indem  man  aus  ihm  mit  Hilfe  einer 
Inhaltsangabe  oder  einer  Einteilung  oder  beider  eine  Ausfolgerung 
bildet,  um  sodann,  den  Gedankengang  dieses  {Schlusses  umkehrend, 
aus  der  Gültigkeit  der  Ausfolgerung  (oder  was  dasselbe  ist,  aller 
Glieder  dieser  Urteilsvereinung)  und  Jener  lülfspriimissen  (der  Inhalts- 
angabe, der  Einteilung  oder  beider)  die  Gültigkeit  des  gegebenen 
Urteils  zu  erschließen.  Dann  geht,  wenn  die  Richtigkeit  des  Urteils: 
S  ist  P  vergewissert  werden  soll, 

a)  aus  dessen  definierender  Ausfolgerung  der  sogenannte  kon- 
janktive  Schluß  und  Beweis  hervor,  bei  dem  die  Inhaltsangabe 
des  P  der  Mittelbegriff  ist  und  der  Grundgedanke  lautet:  <S  ist  P, 
weil  8  alle  Merkmale  des  P  hat. 

So  zählt  man  einen  Menschen  auf  Grund  der  Kennzeichen: 
kxwiseB  Haar,  Tontehoide  Eiefsr,  mÜBtige  lippen,  stampfe  Nase  usw. 
rar  ftthiopisohem  Basse  und  ftberiiaupt  jeden  Natoiközper  anf  Gnind 
einer  Gruppe  von  MerianaleU)  die  er  besitst,  sn  einem  gewissen 
Typus,  m  einer  gewissen  dasse,  Esmilie,  Gattung  und  Art  Ebenso 
wird  oft  vergewissert,  daß  eine  bestimmte  Krankheit,  daS  eine 
Schenkung,  ein  Kauf  oder  ein  Betrug,  eine  LOge  Toiüegt  In  der- 
selben Art  spricht  Gioero  in  der  Bede  pro  lege  Manilia  fttr  die  Wahl 
des  Pompeius,  weil  dieser  alle  Bigenschaften  besitse,  die  ein  F^dherr 
haben  mufi,  tun  den  Eri^g  der  Börner  gegen  Hitfaridates  glflckiioh  zu 
Ende  za  führen.  Hierher  gehört  auch  jeder  Nachweis,  dafi  zwei  Be- 
griffe oder  zwei  Urteile  in  einem  gc^vissen  eindeutig  bestimmten 
Yerhältnisse  stehen,  z.  B.  in  dem  des  Widerstreits,  weil  sie  mitein- 
ander unvertrSgiich  smd  und  ein  Drittes  nicht  ausschlieften.  Dafi 
endlich  das  an  bd  anerkmnm  in  Sätzen,  die  die  gewöhnliche  Wort- 
folge eines  Hauptsatzes  haben,  nach  den  Aussageformen  (von  erkennen) 
stehen  soll,  könnte  in  folgender  Weise  bewiesen  werden:  i^Jn€  ief 
Mer  die  nähere  Beetimmung  eines  ZeShoorles^  hat  einen  dieses 


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104 


Anftifae 


Überragenden  Hauptton^  tat  muh  ah  sMständiges  Wort  in  der  Sehrift- 
spraehe  gebHiudiUchy  üt  mit  dem  Zeiheorte  mekt  fest  xuMmmen- 
gesetzt  {wie  sich  an  der  Form  »anxtterkennen*  xeigi)  und  das  ganze 

Verb  ist  auch  mekt  von  einem  bereits  xuaanimijesetxUn  Nomen  {wie 
etwa  >Änerkmniimg^)  abgeleitet.  Jedes  BesHmmungsufort  aber,  bei 
dem  alle  diese  Merhnale  xidreffen,  soll  in  $ätxm,  die  die  gewöhnUdie 

Wortfolge  eines  Han^tsaixes  haben^  nach  den  Aussageformen  stehen. 

b)  Die  eintailende  Ausfolgerong  des  gegebenen  Urteils  (Sist  P) 
führt  zum  sogenannten  induktiven  Schiasse  und  Beweise,  bei 
dem  eine  Einteilung  des  S  den  Mittelbegriff  bildet  und  der  Orond- 
gedanke  ist:  8  ist  P,  tceil  alle  JBtÜle  des  S  {d,  h,  alle  seinem  Um- 
fang angehörigen  Einzelwesen  oder  Arten)  P  sind. 

So  wird  der  Satz:  Jeder  Peripheriewinkel  ist  gleich  der  Hälfte 
des  Zentriwinkds  über  demselben  Bogen  bewiesen,  indem  man  zeigt, 
dafi  das  Prftdikat  dieses  Satzes  jeder  von  den  drei  möglichen  Formen 
des  Peripheriewinkels  zukommt  Daß  das  Volumen  eines  geraden 
Prismas  gleich  ist  dem  Produkte^aus  der  GrundfUiche  und  der  Höhe, 
beweist  man  nacheinander  für  die  lüle,  daß  die  Grundfläche  ein 
rechtwinkliges,  ein  schiefwinkliges  Paiallelognunm,  ein  Dreieck  oder 
endlich  ein  beliebiges  Polygon  ist  Oft  wird  auch  dargetan,  daß  ein 
Satz  von  den  verschiedenen  Arten  der  Zahlen  gilt,  um  die  Übet^ 
Zeugung  zu  begründen,  daß  er  för  alle  Zahlen  Geltung  hat*  Sbpplees 
erstes  Gesetz  der  Planetenbewegung  wurde  von  seinem  Urheber  und 
dessen  Nachfolgern  für  den  Mars,  die  Erde  und  jeden  einzelnen  der 
übrigen  Planeten  erwiesen.  Daß  es  eine  allgemeine  Eigenschaft  der 
Korper  (z.  B.  die  Undurchdringiichkeit)  gebe,  weist  man  immer  an 
den  starren  Körper,  den  Flüssigkeiten  und  den  Gasen  nach.  In  der 
lateinischen  Grammatik  kann  man  mit  Vorteil  lehren :  Die  ^ur  driUen 
Konjugation  gehörigen  Zeitwörter  mit  J- Stämmen  sind  capiOf  eupio, 
fado,  fodio,  fugio,  iado^  pario,  qnatio,  raino^  mpio,  laeio^  speeiOy 
gmdior,  ynrnior^  pafior.  Alle  diese  haben  einen  kurzen  Stammvokal. 
Alna  iiaben  alle  der  dritten  Konjugation  angehörigen  Verba  mit 
J» Stammen  n'nen  kurzen  Stammvokal.  Ebenso  zeigte  Sox>*enfels,  daß 
die  früher  übliche  Anwendung  der  Folter  im  str»^richtUchen  Ver- 
fahren ungerechtfertigt  sei,  weil  dies  von  allen  einzelnen  Fonnen 
ihrer  Anwendung  (zur  Erzielung  eines  (Geständnisses,  zur  Bestrafong 
eines  wahrscheinliclien  Verbrechens  oder  zur  Absclireckung  anderer) 
sich  nachweisen  lasse.  Ein  Schachspieler  endlicli  erklärt  sich  auch 
erst  dann  für  matt,  wenn  er  sich  überzeugt  hat,  daß  dies  wirklich 
für  alle  einzelnen  ihm  noch  zu  Gebote  stehenden  Züge  gilt. 

c)  Die  definierende  und  einteilende  Ausfolgerung  eines  gegebenen 


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Pommr:  Die  Aiisfolgerung  und  Anadentang  allgemeiner  üiteOe  nsv.  105 


Urteils  {S  ist  P)  wird,  wenn  man  den  Gedankengang  umkehrt,  zu 
einem  einerseits  konjunktiven  und  andrerseits  induktiven 
S'cliluüse  und  Beweise,  bei  dem  einerseits  eine  Inhaltsangabe  des  P, 
andrerseits  eine  Einteilung  des  S  den  Mittelbegriff  bildet  und  der 
Grundgedanke  Lst:  S  ist  P,  iceil  allr  Fälle  des  S  alle  Merkmale  de^ 
P  liaben. 

In  dieser  Weise  wird  vorgegangen,  wenn  man  den  Satz:  Edle 
MäaUe  bilden  Oxyde,  die  erhitzt  in  Satterstoff  und  Metall  xerfaüen 
beweist,  indem  man  vom  Quecksilber  zeigt,  daß  es  ein  Oxyd  bildet 
und  daß  dieses  erhitzt  in  Sauerstoff  und  Quecksilber  zerfällt,  dann 
aber  dartut,  daß  diese  Sätze  nicht  nur  vom  Quecksilber,  sondern 
auch  Tom  Silber,  Gold,  Pktm  und  den  Platiiimetalleii  gelten.  Ton 
gMcher  Art  ist  der  Beweis  des  Satses:  Die  Meiaäe  sind  gute  Wärme- 
bUer,  wenn  man  nacheinander  yon  allen  einsselnen  Metallen  zeigt, 
daß  sie  Wftime  schnell  aufiiehmen,  schneli  in  allen  Teilen  desselben 
Oegenstandes  veibreiten  nnd  schneli  an  andere  Körper  niedrigerer 
Temperatur  abgeben.  Hierher  gehört  es  auch,  wenn  der  Satz:  Die 
orgumseken  Wesen  atmen  bewiesen  wird,  indem  man  einerseits  von 
den  Tieren,  andrerseits  aber  anch  von  den  Pflanzen  zeigt,  daß  sie 
aus  der  Luft  Saneistoff  aofnehmen,  durch  Oxydation  des  in  ihnen 
enthaltenen  Kohlenstoffes  Kohlensäure  bilden  und  diese  zeitweilig  aus- 
scheiden. Daß  die  harten  Tonarten  sich  von  den  gleichnamigen 
weichen  durch  den  dritten  nnd  den  sechsten  Ton  unterscheiden, 
«fbde  induktiv  und  Konjunktiv  bewiesen,  wenn  man  zeigte,  daß  in 
der  harten  0-Tonart  E  und  A,  in  der  weichen  aber  Es  und  As,  in 
0-Dnr  H  und  E,  in  0-Moll  6  und  Es,  in  D-Dur  Fis  und  H,  in 
D-HoU  aber  F  und  B  vorkommen  usw. 

Bemerkenswert  ist,  daß  alle  diese  Beweisarten,  welche  durch 
die  Auafolgemng  vorbereitet  werden,  eine  Eigenschaft  haben, 
auf  die  bei  der  Beweisführung  mit  Recht  besonders  Gewicht 
gelegt  wird.  Daß  man  sich  nSmlich  bei  jedem  Beweise  eines 
gültigen  Schlusses  bedienen  und  jeder  von  den  Vordersätzen  gültig 
Sern  muß,  sind  wohl  wesentlicfae  ^ordemisse  eines  regelrechten  Be- 
weises, es  sind  dies  aber  Forderungen,  die  auch  bei  andern  An- 
wendungen der  Schlüsse  vorkommen  und  regelmäßig  nicht  schwer  zu 
eiffUlen  sind.  Dem  Beweise  eigentümlich  aber  und  eine  Mahnung 
zu  großer  Vorsicht  ist  die  dritte  Forderung,  daß  kein  Beweisgrund 
(Argument)  verwendet  werde,  für  dessen  Gültigkeit  die  des  gegebenen 
Urteils  eine  notwendige  Bedingung  bildet,  widrigenfalls  man  in  den 
unter  dem  Namen  der  petitio  principii  berüchtigten  Beweisfehler  ver- 
fallt Und  gerade  in  dieser  wichtigsten  Beziehung  ist  bei  unsem  Be- 


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106  Aufsätze 


weisen  ihre  Regelrichtigkeit  immer  verbürgt,  denn  bei  ihnen  geht 
die  Überzeugung  von  der  Gültigkeit  des  gegebenen  Urteils  aus  der 
Gültigkeit  der  einzelnen  untergeordneten  Urteile  iiervor.  Zu  diesen 
ist  aber  das  gegebene  Urteil  keine  notwendige  Bedingung,  vielmehr 
sind  gerade  umgekehrt  die  zwei  oder  mehrern  untergeordneten  Urteile 
notwendige  Bedingungen  des  zu  beweisenden  tSatzes. 
C.  Bildung  der  Ausdeutungen. 

Zu  einem  gegebenen  allgemeinen  Urteil  mit  positivem  Subjekte 
und  Piiidikate  {S  ist  P)  bildet  man  auch  eine  Ausdeutung  entweder 
nur  definierend  oder  nur  einteilend  oder  definierend  und  einteilend. 

I.  Nur  definierend  geschieht  dies,  indem  man  für  S  eine 
gültige  Angabe  seines  Inhalts  {2^  nnd  ^)  einstellt,  so  daß  das  Er- 
gebnis lautet:  Was  2^  und      '^^>  ^• 

Daß  dieser  Satz  eine  Ausdeutung  des  gegebenea  UrteÜs  ist,  er- 
gibt sich  aus  folgender  BetraChtong: 

1.  ist  er  zwar  unzweideutig,  insofeni  mit  der  Yeroiiiung  von 
und  immer  P  mitgültig  ist,  aber  nicht  hinsiohtlieh  der  Frage, 
eb  dabei  ein  Glied  der  Tereinung  für  die  Mitgöltigkeit  des  P  ent> 
behrlich  sei  oder  nicht  Der  in  Bede  stehende  Sats  ist  daher  eine 
angezeigte  Wahl  von  Urteilen,  da  er  gleichgeltend  ist  mit  der 
ausfOhrliohen  ürteilswahl: 

P  (1.  Deutung) 
oder  2|  ist  immer  P  (2.  Deutung) 

oder  was  nidit  nur  Si  sondern  auch  i^,  ist  immer  P 
<3.  Deutung). 

Zur  Teranschaulichung,  wie  sich  die  Wahl  gestaltet,  wenn  die 
Angabe  des  Inhalts  von  S  mehr  als  swei  Glieder  hat,  sei  hervor- 
gehoben, daß  z.  B.  bei  drei  InhaltQgliedem  ^)  die  aus- 
gefOhrte  Ausdeutung  lautet: 

Entweder      ist  immer  P  (1.  Deutung) 

oder     ist  tmmer  P  (2.  Deutung) 

oder      ist  immer  P  (8.  Deutung) 

oder  was  nickt  nur  sondern  aiu/eh  ist,  ist  immer  P 
<4.  Deutung) 

oder  was  niiAt  fwr  sondern  awsh  ist^  ist  immer  P 
<6.  Deutung) 

oder  was  niekt  nur  sondern  auch  ist,  ist  immer  P 
<6.  Deutung) 

oder  was  nicht  nur  und  2^  sondern  auch  ^  ist,  ist  immer  P 
<7.  Deutung). 

Bei  n  Inhaltsgliedem  betrigt  die  Zahl  der  Deutungen  (Kombi- 


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Pokokny:  Die  Ausfolgeruog  und  Ausdeatong  allgemeiner  Urteile  uäw.  XOl 


nationen  ohne  Wiederholung)  n  Unionen,       Amben,  Temen, 

Quatemen,      Qiiinteraen  usw. 

2.  ist  jedes  Glied  dieser  Urteilswahl,  wenn  es  überhaupt  gültig 
ist,  ein  dem  gegebenen  übergeordnetes  Urteil,  da  dann  mit  ihm 
das  gegebene  immer  mitgüitig  ist,  aber  nicht  umgekehrt; 

3.  sind  die  Glieder  jeder  so  gebildeten  Urteilswahl  iinterein- 
aader  unvereinbar  (so  daß  nur  eines  dem  gegebenen  wirklich 

übergeoidnetseinkann),  weil  jedes  vonihnen  etwas  für  {uf^entbehiUcii} 

eridärt,  was  nach  den  andern  Urteüen  {^^Swhplil^^l 

4.  muß,  wenn  das  gegebene  Urteil  gUt,  eines  von  den  Gliedern 
der  Urteüswahl  gelten.  Diese  ist  nämlich  eine  Tollständige  (er- 
schöpfende) Anf zählang  der  möglichen  EKlle,^)  da  die  angeaeigte 
Ansdentong  mit  dem  gegebenen  Urteil  gl  eichgeltend  ist  und 
swar  als  Schloflsats  eines  gültigen  Schlusses  ans  dem  gegebenen 
Urteil  und  einer  gültigen  Gleichung.  Dieser  Schluß  lautet  nämlich, 
wenn  J|  und      die  Inhalteglieder  sind: 

Ji  und  S 
8  ist  immer  P 
Was      und      ist,  ist  immer  P, 
und  wenn  und  ^  die  Glieder  der  Inhaltsangabe  sind: 

S^^      und      ^  8 
8  ist  immer  P 


Was  2^,  und  ist,  ist  immer  P. 
Beispiele.  Wenn  der  Satz  gegeben  ist:  Jedes  Quadrat  ist  em 
Tangentenmereek  und  ffir  das  Yoideiglied  dieses  Urteils  seine  Inhalts- 
angabe eingestellt  wird,  lautet  das  Eigebnis :  Jedes  gUiekseitige  recht- 
winklige  Parallelogramm  ist  ein  Umgentenviereßk.  Dieser  Satz  ist 
allerdings  insoweit  unzweideutig,  als  er  behauptet,  daß  alles,  was  zu- 
gleich ParaUelognunm,  gleichseitig  und  rechtwinklig  ist,  auch  ein 
TangenteuTiereck  sein  muß.  Dagegen  ist  er  eine  (angezeigte)  Urteüs- 
wahl, inaolsm  er  es  unentschieden  läßt,  ob  nicht  jedes  Parallelogramm 
oder  jede  gleichseitige  oder  jede  rechtwinklige  Figur  ein  Tangenten- 
Tiereck  ist,  oder  diese  Aussage  erst  einem  Vieleck  zukommt,  das  nicht 
nur  ein  Paiallelognumn,  sondern  auch  gleichseitig  oder  nicht  nur 
etn  Fandlelognanm,  sondem  auch  rechtwinklig  ist,  oder  nicht  nur 
gleichseitig,  sondem  auch  rechtwinklig,  oder  endlich  nicht  nur  ein 
Paiall^ogzamm  und  ^eichseitig,  sondem  auch  iecht?rinkiig.  Von 

■)  IMes  1011  das  «MW  in  Autdeuiimg  besdfibiMD. 


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108  AniiBtM 


dieser  Urteilswahl  ist  aucli  wirklich  nur  ein  Glied  gültie;,  und  zwar 
derjenige  Satz,  der  (mit  Auslassung  eines  Tiliedes  der  Iniiultsungabe) 
erklärt:  Tfo«  nicht  nur  ein  Paralleloff  ramm,  .sondern  auch  ffleich- 
seitig  isty  ist  ein  Tangentenviereck.  Aus  dem  Satze:  Die  Schwefel- 
säure färbt  blaues  Lakmuspapier  rot  geht,  wenn  man  für  dessen 
Yorderglied  seine  Inhaltsangabe  einsetzt,  henror:  Diejenige  Säure.,  die 
am  Sulfai  efUsiehi^  färbt  blaues  Lakmuspapier  rot,  eine  Ausdeutung, 
Ton  welcher  nur  ein  Urteil  wirklich  gilt,  nämlich:  Alle  Säuren  färben 
hUmsB  Lakmuspapier  rat*  Daß  bisweilen  in  dem  einen  eich  scUieß- 
Hoh  als  gültig  erweisenden  Urteil  aach  mehr  als  ein  Inhalteiglied  ans- 
fiUlt,  zeigt  sich  s.  B.,  wenn  wir  das  Urteil  ansdeuten:  Jeder  Würfel 
hai  einander  halbierende  Diagonalen.  Da  eigibt  sich:  Jedes  gleitk" 
seiHge  und  rechiwinldige  Bmraüelepipcd  hat  einander  haUierende 
Diagonalen,  Yen  den  in  dieser  angezeigten  Urteilswahl  enthaltenen 
sieben  Urteilen  gilt  da^enige  wirklich,  welches  (mit  Anslassung  zweier 
Inhalt^lieder)  behauptet:  Jedes  Poaraüelepiped  hat  einander  halbierende 
Diagonalen,  Damit  wir  aber  andh  solche  Beispiele  anführen,  wo  in 
dem  schließlich  sich  als  gültig  erweisenden  Urteil  alle  Inhaltsglieder 
des  S  vorkommen,  sei  auf  den  Satz  aofmerksam  gemacht:  Jedes  regel- 
mäfsige  Vieleck  ist  ein  Sehnen-  und  Tnmgenienvideek.  Wenn  wir  hier 
den  Inhalt  des  -Yordeigliedes  zerlegen,  so  erhalten  wir:  Jedes  gleich- 
seiHge  und  gleichwinklige  Vieleck  ist  ein  Sehnen-  und  Tangenten- 
vielem  und  dieses  Urteil  ist  einer  Wahl  von  sieben  Urteilen  gleich- 
geltend, von  denen  nnr  dasjenige  wirklich  gilt,  welches  alle  Inhalts- 
glieder des  Begriffes  regelmä feiges  Vieleck  enthält  Ebenso  wird: 
Jedes  probtemaHsche  Urteil  ist  unvollendet  Terwandelt  in:  Jedes 
ürteH,  das  ni^  gewifs  riehtig  und  nicht  gewifs  unrichtig  ist,  ist 
unwdlendet,  welcher  Satz  nicht  gfiltig  bleibt,  wenn  man  einen  Be- 
standteil seines  Yordergliedes  wegläßt 

n.  Nur  durch  eine  Einteilung  bildet  man  zu:  SistP  eine 
Ausdeutung,  indem  man  fOr  P  eine  gültige  Angabe  seines  Umluigs 
(Pi)i  oder  PD,)  einstellt,  so  daß  das  Ergebnis  lautet:  S  ist  entweder 
PDi  oder  PD^, 

Daß  das  so  gewonnene  Urteil  wirklich  eine  Ausdeutung  des  ge- 
gebenen ist,  ergibt  sich  aus  folgender  Erwägung: 

1.  ist  es  eine  angezeigte  Wahl  von  Urteilen,  da  es  mit  einer 
ausgefOhrten  Urteilswahl  gleichgeltend  ist   Diese  lautet: 

a)  wenn  S  ein  Einzel  begriff  ist: 

Entweder  S  i.st  (jpdrnfalh)  Pr\  (1.  Deutung) 

oder  S  ist  {jedenfalls)  PD^  (2.  Deutung). 

Hat  die  Einteilung  des  F  außer  PD^  und  FD^  noch  ein  oder 


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PoKOonr:  Die  Ausfolgeroog  und  Aoadrataiig  allgemeiner  Urteile  asw.  109 


mehrere  andere  (Hieder,  so  wachsen  aach  in  der  ausgeffihrfcen  Aus- 
deutung ehensoviele  Deutungen  hinzu^  x.  6.  hei  drei  EÜnteilungs- 
gUedem:  8  üt  {jedenfaUa)  P2>,; 

h)  wenn  aher  8  ein  allgemeiner  Begriff  ist,  so  lautet  die 
auQgeföhrte  ürteüswahl: 

Eniweier  8  tat  immer  PDi  (1.  Deutung) 

oder  8  ist  immer  PD^  (2.  Deutung) 

oder  8  ist  bisweilen  PD^  und  bisweilen  PD^  (3.  Deutung). 

Zur  Yeruischaulichung,  wie  sich  die  Wahl  gestaltet,  wenn  die 
Einteilung  des  P  mehr  als  zwei  Glieder  hat,  sei  hier  noch  hervor- 
gehoben, dafi  sie  z.  B.  bei  drei  Eünteilung^edem  lautet: 

Entweder  8  ist  immer  PDg  (1.  Deutung) 

oder  8  ist  immer  PD%  (2.  Deutung) 

oder  8  ist  immer  PD^  (3.  Deutung) 

oder  8  ist  bisweilen  PDi  itnd  Insweäen  PD^  (4.  Deutung) 

oder  8  ist  bisweüen  PDi  und  bisweilen  PD^  (5.  Deutung) 

oder  8  ist  bisweikn  PD^  und  bisweilen  PD^  (6.  Deutung) 

oder  8  ist  bisweilen  PDi^  bisweilen  PD^  und  bisweüen  PD^ 
(7.  Deutung). 

Hier  bedeutet  das  Wort  bisweHenj  wo  es  zum  eisten  Haie  steht: 
XU  einer  gewissen  Zeit,  xu  gewissen  Zeiten  oder  unter  gewissen  Um- 
ständen,  wo  es  nicht  zum  ersten  Male  steht:  XU  einer  gewissen  ü/ndem 
Zeit,  XU  andern  Zeiten  oder  unter  andern  Umständeny  am  Schlüsse: 
XU  aUen  Übrigen  Zeiten,  unier  aUen  itinigen  Umständen,  in  allen 
übrigen  MUen, 

Bei  n  Einteiiungsgliedem  des  P  betrfigt  die  Zahl  der  Deutungen 

(Kombinationen  oline  Wiederholung)  auch  hier  /*  Unionen  ^'jj  Amben, 

^^j  Temen,      Quatemen,  ^'^^j  Quintemen  usw. 

Wenn  8  nicht  nur  ein  allgemeiner,  sondern  auch  ein 
Klassen  begriff  ist,  so  hat  die  Ausdeutung,  mag  sie  wie  immer 
sprachlich  ausgedruckt  sein, 

a)  bei  zwei  Einteilun^sf^liederu  den  Sinn: 
Entweder  Alle  S  sh/d  PL\  (1.  Deutung) 
oder  Alle  S  sind  PIK  (2.  Deutung) 

oder  Ein  oder  rini<ie  S  sind  PD^  und  ein  oder  einige  andere  8 
nitid  PD^  (3.  Deutung). 

Für  Sätze  wie  die  soeben  angeführte  3.  Deutung  tritt  oft  ohne 
Änderung  des  Sinnes  folgende  kürzere  Ausdrucksweise  ein:  Die  8 
sind  teils  PD^,  teils  PD^  , 


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110  Auftttie 


bei  di«i  BlnteüungsgHedeni  {PD^,  PD^  und  PD^): 
Entweder  Alk  S  sind  PD^  (I.  Deutung) 
oder  AUe  8  and  PD^  (2,  Deutimg) 
oder  AOe  8  wnd  PD^  (3.  Deatong) 
oder  Die  8  sind  teUa  P17„  teile  PD^  (4.  Deutung) 
oder  Die  8  sind  teils  P2>„  teüs  PD^  (6.  Deutung) 
oder  Die  8  sind  teils  PD^,  teils  PD^  (6.  Deutung) 
oder  Die  8  sind  teils  PjD„  teils  PD^,  teils  PD^  (7.  Deutung). 
Analog  bei  mehr  als  drei  Einteflungs^iedem. 

2.  ist  jedes  Glied  einer  so  gebildeten  ürteilswahl,  wenn  es 
Uberhaupt  gültig  ist^  ein  dem  gegebenen  übergeordnetes  Urteil, 
da  dann  mit  ihm  das  gegebene  immer  milgültig  ist,  aber  nicht  um- 
gekehrt 

3.  sind  die  Glieder  so  einer  Urteilswahl  untereinander  un- 
vertrfiglich  (so  daß  nur  eines  dem  gegebenen  wiiMich  ^beigeordnet 
sein  kannX  weü  jedes  Ftor  dieser  Urteile  entweder  allen  8  oder  doch 
genau  denselben  einigen  8  unverträgliohe  Prädikate  beilegt^  und  dies 
sind  8Di  und  8Dt.  bezw.  8Di,  8D^  und  iSD,  als  Glieder  einer 
göltigen  Einteilung. 

4.  mufi,  wenn  das  gegebene  Urteil  gilt,  eines  von  den  Gliedern 
der  in  vorstehender  Weise  gebildeten  UrteUswahl  gelten.  Diese  ist 
nfimlich  eine  vollstfindige  (erschöpfende)  Aufx&hlung  der  mög- 
lichen ItUle,')  da  die  angezeigte  Ausdeutung  mit  dem  gegebenen 
Urteil  gleichgeltend  ist  und  zwar  ab  Schlufisats  eines  gOltigen 
Sdhlusses  ans  dem  gegebenen  Urteil  und  einer  gültigen  Gleichung. 
Dieser  Schluß  lautet  nfimlich, 

wenn  PDi  und  P2>,  die  Einteilunggglieder  sind: 

Sist  P 

P  —  PDi  oder  PD, 
8  ist  PDt  oder  PD^, 
und  wenn  PD|,  PD,  und  PDt  Äe  Einteilungsglieder  sind: 

8ist  P 

P  —  PDi  oder  PD^  oder  PD^ 
8  ist  PDi  oder  PD^  oder  PD^. 
Beispiele:  a)  Fälle,  wo  das  Vorderglied  des  gegebenen 

Urteils  ein  Einzelbegriff  ist  Eine  Ausdeutung  des  Urteils: 
Diesels-  Fädchen  ist  eine  Nervenfaser  ist  der  Satz:  Es  üt  entweder 
{jedenfalls)  eine  sensible  oder  {jedenfalls)  eine  motorische  Nervenfaser. 
Eboiso  verhält  sich  zu:  Dieses  OdiUde  ist  ein  Nervenstrang  der  Sats: 

^)  Damm  «ißh  hier  das  Wort  am  in  Arndmim^. 


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Pokobkt:  Die  Ausfolgemog  und  Auadeatang  aUgemeiaer  Urtöle  usw.  HX 


Ef  ist  entweder  (Jedenfalls)  ein  rein  »msibler  oder  {jedenfalls)  eifi 
rein  ^notorischer  rxler  (jedeN falls)  ein  gemischter  Nervenstrang,  Zu: 
Diese  an  dar  Tafel  vcrxpiclnuiv  Figur  ist  ein  Dreieck  p:ohört  die 
Wahl:  Sie  ist  enticeder  (jedenfalls)  ein  ungleichseitiges  oder  (jedenfalls) 
ein  ghiclischenkliges  oder  {jedenfalls)  ein  gleichseitiges  Drrirrk  Da 
ferner  101  eine  von  1  verschiedene  Zahl  ist  und  jede  solche  Zahl 
entweder  eine  zusammengesetzte  oder  eine  Primzahl  ist.  so  ergibt 
sich:  101  ist  rftfiredtr  { jeden falis)  eine  xnsnmniengesetxte  oder  (jeden- 
falls) eine  Prinr.ahl,  zwei  Möglichkeiten,  von  denen  sich  die  zweite 
als  gültig  enveist.  Auch  können  wir  sagen:  Der  gan\r  Wnt\)itan}i, 
jrie  er  in  einem  l)estinnnf('//  Angenhliehe  ist,  ist  ein  (tehirgsstock,  der 
entweder  (jedenfalls)  nolkenfiii  oder  {jedenfalls)  )iich1  uolkenfrei  i^t. 
Zu  dem  Urteil:  Das  Wort  r  Uifl^  in  diesem  Sat\<  ri/f  deidsehes 
Haupt irort  lautet  eine  Ausdeutung:  Ks  ist  eutireder  (jedeufalla)  nutan^ 
Uch  oder  (jeden falls)  u-eihlleh  oder  {jedenfalls)  sürhlieh. 

b)  Fälle,  wo  das  Vorderglied  des  gegebenen  Urteils 
ein  allgemeiner  Begriff  ist. 

Handelt  es  sich  nicht  um  den  Watzmann.  wie  er  in  einem  be- 
stimmten Augenblicke  ist,  sondern  um  den  AVatzmann  überhaupt,  so 
müssen  wir  zu  den  Sätzen:  Er  ist  entweder  jedenfalls  nolken frei  oder 
jedenfalls  nieht  wolkenfrei  das  dritte  und  dann  wirklich  zutreffende 
Urteil  hinzufügen,  er  sei  bisweilen  wolkenfrei  und  bisweilen  nicht. 
Ähnlich  verhält  es  sich  mit  dem  Worte  Qift^  wenn  wir  es  nicht  bloß 
an  einer  bestimmten  einzelnen  Stelle  ins  Auge  fassen,  sondern  wie 
es  überhaupt  vorkommt.  Dann  hat  die  Ausdeutung:  »6^//7«  /,s7  ent- 
weder ein  männlielies  oder  ein  ireibliehes  oder  ein  sächliches  Ilanpt- 
wort  nicht  bloß  den  Sinn:  Es  ist  entweder  immer  mäntdieh  oder 
immer  tveiblich  oder  imtner  sächlich ,  wir  müssen  vielmehr  hinzu- 
fogen:  oder  bis  weilen  männlich  and  bisweilen  weiblich^  oder  bisiveilcn 
männlich  und  bisweilen  sächlich,  oder  bisweilen  weiblich  und  bis- 
weilen sächUcli,  oder  bisweilen  männlicJi,  bisweilen  weibUch  und  bis' 
weilen  eäehUch,  Urteile,  von  denen  nur  das  letzte  gilt,  da  *Oift* 
in  der  Bedeutung  »Ärger*  männlich,  in  der  Zusammensetsnng  *  Mitgift* 
weiblieh  und  im  Sinne  von  ^venenum*  sächlich  gebntneht  wLrd. 
Während  sich  im  ietztangefübrten  Beispiel  die  7.  Dentung  als  gültig 
erweist,  vetfaält  ee  sich  anders,  wenn  wir  an  Stelle  von  Qift  eines 
der  (nicht  als  Bigennamen  gebrauchten)  Wörter  ESnig^  Frauy  Land, 
JEufiife,  Schild  oder  Mofa  setaen.  Benn  von  den  so  für  jedes  dieser 
Wörter  snr  Wahl  stehenden  sieben  Dentnngen  gilt  bei  ESmg  die 
erste  (es  ist  immer  männlich^  bei  Ihm  das  zweite  (es  ist  immer 
weiblich),  bei  Land  das  dritte  (es  ist  immer  sächlich^  bei  Kunde  das 


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112 


vierte  (es  ist  teils  männlich,  teils  weiblich),  bei  Schild  da.s  fünfte  (es 
ist  teils  männlich,  teils  sächlich),  bei  Mafs  das  sechste  (es  ist  teils 
weiblich,  teils  sächlich).  Hierher  gehört  auch,  daß  man  aswar  einer 
und  derselben  Person  für  ein  und  dieselbe  Zeit,  für  einen  und  den- 
selben Entwickluno:szustand  nicht  Prädikate  beilegen  darf,  die  unter- 
einander unverträglich  sind,  wohl  aber  für  vorsoliiodone  Zeiten  und 
Entwicklungsstufen,  weil  in  lotzterm  Falle  der  Be^^riff  dieser  Person 
sicii  einteilen  läßt  und  also  nicht  mehr  ein  Einzelbegriff  ist.  Xicht 
nur  Leute  wie  Alkibiades,  wir  alle  ändern  uns,  wenn  auch  nicht 
geradeso  wie  dieser,  im  Verlaufe  unseres  Daseins  und  luibeu  zu  ver- 
schiedenen Zeiten  nicht  nui*  verschiedene,  sondern  oft  auch  entgegen- 
gesetzte Eigenschaften. 

Für  Fälle,  wo  das  Vordor^^lied  des  geirebenen  Urteils  ein  Klassen- 
begriff ist,  lassen  sich  folgende  Beispiele  anführen.    Aus  dem  i^atze: 

Erijcbvis  ciucr  Division  ist  ein  Bruch  und  einer  Einteilung  des 
Begriffes  Bruch  erhält  man  die  Ausdeutung:  Das  Ergebnis  der 
Division  ist  entweder  ei/t  echter  oder  ein  unechter  Bruch  und  von 
den  drei  in  diesem  Urteil  enthaltenen  Deutungen  gilt  wirklich :  Das 
Krfjehnis  der  Division  ist  fjisuei/en  ein  unechter  timi  l/isucihn  ein 
echter  Brurlt.  Ebenso  geht  aus:  Jeder  d/ssonieretule  Akkord  enthalt 
{/renigstcns)  ein  dissonieretules  Intervftll  iiervor:  Jeder  dissonierende 
Akkord  enthalt  cntu-eder  eine  Sekunde  oder  eine  Septime  oder  ein 
übermäfsiges  oder  ein  rerniinderles  anderes  Intervall,  eine  Ausdeutung, 
von  welcher  nur  jene  Deutung  gilt,  bei  der  kein  Glied  der  Einteilung 
ausfällt.  Wenn  ferner  gegeben  ist:  Alle  Fasern  des  menschlichen 
Trigeminus  sind  Nervenfasern,  so  lautet  eine  Ausdeutung:  Kntweder 
sind  sie  alle  sensible  oder  alle  nwtorische  Xerre/t fasern  oder  —  was 
wirklich  dei'  Fall  ist  —  teiLs  sensibel  teils  motorisch.  Während  die 
bisherigen  Beispiele  mit  einem  Klassenbegriffo  im  Yordergliede  des 
gegebenen  Urteils  von  der  Art  waren,  daß  dasjenige  Glied  der  Urteils- 
wahl wirklich  galt,  welches  alle  Glieder  der  Einteilung  des  Prädikates 
enthielt,  zeigen  auch  hier  viele  Falle,  daß  dies  nicht  immer  zutrifft 
So  ist  68  z.  B.  wohl  wahr,  dafi  jedes  rechtwinklige  Dreieck  ein  Dreieck 
und  daß  die  Brdeeke  teils  gleichseitig,  teils  gleichschenklig  teils  an- 
gleichseitig sind,  es  gilt  auch  die  nach  der  obigen  Fonnel  ge- 
bildete Wahl  von  sieben  Urteilen,  von  diesen  gilt  aber  nicht  das 
siebente  {Die  redUwinkUgm  Dreiecke  sind  teils  gkkhseUig^  tat» 
gleichschenklig,  ieHs  ungleiehseitig),  sondern  das  sechste  {Die  rscAI- 
winkUgen  Dreiecke  sind  teils  gleichschenklig,  teils  ungleiehsäUg). 
Oder  es  ist  g^ben:  Jeder  voUsiändige  deutsche  Nebensaix  ist  ein  8atx 
mU  einem  aussagenden  Zeitwort  nnd  es  kommt  hinzu:  Jeder  Satx 


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Pokorny:  Die  AuüfolgeruDg  uud  AuiideutuDg  allgemeiner  Urteile  usw.  113 


mit  einem  aK.ssayendett  Zcitirnrt  ist  entweder  ivdihutiiiscJi  oder 
koitjmikti risili  oder  ijiiperatiriscli .  Hieraus  folget:  Jeder  roll.sUindige 
deutsrhv  XfheiLsaii  ist  entwedir  indik/itivi.sch  oder  konjunktivisch  oder 
impe  rat  irisch,  von  weicher  Ausdeutung  aber  nur  da-s  Urteil  gilt, 
welches  wohl  indikatirisch  und  kof?Ji(nktirisch  festiiiilt,  jedoch  impera- 
tivi.seh  w(\irläßt.  Daß  sich  von  den  niehrern  nj(»glichen  Deutungen 
auch  eine  solche  als  gültig  erweisen  kann,  von  den  Einteilungs- 
gliedeni  des  Prädikates  nur  eines  festhält,  zeigt  folgendes  Beispiel. 
Aus:  Alle  Alijrn  sind  krt/]tlo(/ame  PfUin\e)i  und:  die  Kri/pt(Mj<n/ten  sind 
teils  lAattlose^  tiils  l/lattlntdende,  teils  Oefdfakrifpfof/nmcN  geht  wohl 
hervor:  Die  Alyen  sind  enttreder  blattlose  oder  blatthildeude  oder  Oe- 
fdfskrjijdojiajiten.  Aber  von  den  nach  unserer  Formel  in  diesem  Satze 
enthaltenen  sieben  Deutungen  gilt  nur  die  erste:  Alle  tilgen  sind 
blattlose  Kryptogamcn. 

Bemerkenswert  ist  endlich,  daß  zu  den  Ausdeutungen  eines  Urteils 
durch  eine  Einteilung  seines  Hintergliedes  auch  alle  Fülle  gehören,  wo 
Sätze  wie:  Irgendein  8  ist  P  scheinbar  durch  Einteilung  des 
Vordergliedes  ausgedeutet  werden  {Entweder^  SD^  oder  SD^ 
oder  SD^  ist  F).  Es  ist  dann  nämlich  P  das  wahre  Vorder-  und  S 
das  ffinterglied,  welches  sich  als  solches  auch  durch  seine  Betonung 
und  den  dem  Hintergliede  ToUkonunen  angemessenen  Znsatz  irgend 
ein  Terrftt  Von  dieser  Art  sind  die  Oedankenwege,  die  wir  ein- 
schlagen, wenn  wir  zu  der  Oherzeugung  gelangt  sind,  daß  ein  Hans-, 
ein  Wohnungsgencsse^  ein  I^cunilienglied,  eines  unserer  Kinder,  einer 
von  nnsem  drei  Söhnen  etwas  getan  hat,  aber  noch  nicht  wissen, 
▼on  welcher  Einzelperson  wir  dies  mit  Becht  behaupten  können. 
Dann  lautet  das  eigentliche  Yordeiig^ed:  der  das  getan  hat,  kurz:  der 
lüter  und  z.  B.  einer  wm  unsem  drei  Söhnen  das  Hinterglied,  dessen 
Umfang  nnn  behufs  der  Bildung  einer  Ausdeutung  zergliedert  wird 
(Der  JUter  ist  entweder  der  älteste  oder  der  mittlere  oder  der  jüngste 
Sohn).  Ähnlich  ist  auch  der  Satz  zu  Terstehen:  Enttoeder  JP.  Ser- 
viUus  Quea  oder  C.  Serviliue  Ctteea  führte  den  ersten  Stöfs  gegen 
Caesar.  Bekanntlich  veischmäht  es  auch  die  Mathematik  nicht,  bei 
der  Bestimmung  der  Wurzeln  einer  Gleichung  in  ähnlicher  Weise 
Torzugehen  z.  B.  wenn  es  gewifl  ist,  daß  den  in  der  Gleidiung  ent- 
haltenen Bedingungen  nur  eine  ganze  Zahl  entspricht,  die  größer 
als  5  und  kleiner  als  10  ist  und  dann  versucht  wird,  ob  diese  Zahl 
6  oder  7  oder  8  oder  9  ist 

HL  Durch  eine  Definition  und  eine  Einteilung  entsteht 
die  Ausfolgerung  des  Urteils:  S  ist  P,  wenn  man  für  S  eine  göltige 


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114 


AnfsStze 


Angabe  semes  Ihhalis  {Sg  und  S^)  und  fOr  P  eine  gliltige  Angabe 
seineB  Umfange  (PA  oder  PD,)  emsiellt  Es  wiid  dann  der  SohlnB 
gezogen 

Si  und        mm  8 

8ütP 

P  —  PDt  oder  PP, 
Was  2i  und  St  ist^      PA        i'A  - 
Der  eo  gewonnene  SchloAsaiz  ist  eine  angezeigte  ürteikwaH 
mit  welcher  gleichgeltend  ist  die  atisgeführte  ürteilswahl: 
Entweder      ist  immer  PDi  (1.  Bentong) 
oder  -2",  ist  immer  PD^  (2.  Deutung) 
oder       ist  bisweilen  PD^  und  bistoeüen  PD^  (3.  Deutong) 
oder  ^2  PI^i  Deutung) 

oder  -2  ist  immer  PD.,  (5.  Deutung) 

oder       ist  bisivcile)i  PD^  und  bieueilen  PD^  (6.  Deutung) 
oder  Was  nicht  nur  ^  sondern  auch  2^  ist,  ist  immer  PD^ 
(7.  Deutung) 

oder  Was  nicht  mtr  \  sondern  auch  ^  ist,  ist  immer  PDf 

(8.  Deutung) 

oder  Was  nicht  nur  3,  sondern  auch  ^  ist,  ist  bisweilen  PD^ 
und  bisweilen  PD^  (9.  Deutung). 

Die  Überzeugung,  daß  der  so  (und  ähnlich  auch  bei  mehr  als 
zwei  Inhalts-  oder  Umfangsgliedem)  gewonnene  Satz  wirklich  eine 
Ausdeutung  des  gegebenen  Urteils  ist,  ergibt  sich  aus  dem,  was  vorhin 
(unter  C,  I)  über  die  definierende  und  (unter  C,  II)  über  die  ein- 
teilende Ausfolgorung  gesagt  wurde.  Gemäß  den  an  den  eben  ge- 
nannten Stellen  gemachten  Angaben  gilt  auch  hier: 

1.  Die  :>.,  f).  und  die  9.  Deutung  entfällt,  wenn  das  Yoideigiied 
ein  Einzel  begriff  ist. 

2.  Wenn  iS  ein  Klassenbegriff  ist,  nehmen  die  Deutungen  mit 
immer  den  Sinn  an:  Alle  —  sind^  die  Deutungen  mit  imweilen  aber 
den  Sinn:  die  —  si)id  teils  —  teils. 

Was  endlich  die  Zahl  der  sich  so  ergebenden  Deutungen  betrifft, 
so  ist  sie  gleich  dem  Produkte  aus  der  Zahl  der  durch  die  Definition 
des  S  und  der  Zahl  der  durch  die  Einteilung  des  P  ermöglichten 
Deutungen. 

Beispiele.  So  ergibt  sich  zu  dem  Satze:  Die  ernstm  iSchauspir/c 
endigen  mit  einem  etiischcidrndcn  Abschlufs  die  Ausdeutung:  Die 
dichter/S/  h  dnrgestrlliett  Ilnn/Ihmgr?/,  die  dramatisch  mid  mitleiderregcyui 
sind^  eudige/f  mit  rinmt  Siege  oder  einer  Niederlage  der  Hauptperson, 
Bei  jeder  in  diesem  Urteil  enthaltenen  Deutung  steht  im  Yordergliede 


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PmcoHcrr:  Die  Auafolgarang  und  Aasdentung  aUgemeiner  Urteile  qbw.  115 


entweder  blofi  einer  Yon  den  Begriffen:  äiehtensiA  dargesUUU  Hand- 
lung^ dramaUaeh  und  wükiderregmd  oder  irgend  eine  Yereinnng 
▼on  zweien  derselben  oder  eine  solche  Ton  allen  drei  Begriffen,  im 
Hintergliede  aber  entweder:  endigm  immer  mit  einem  Siege  der 
Baupipereon  oder:  emOffen  immer  mit  einer  Niederlage  der  Baupt- 
pereon  oder:  endigen  teils  mit  einem  Siege  teile  mit  einer  Niederlage 
der  Hauptperson.  Wirklich  gültig  ist  aber  nur  die  eine  Deutung, 
welche  sagt:  die  dich  ferisch  dargeeteüten  Handlungen  überhaupt  (auch 
die  epischen  und  komischen)  endigen  teile  mit  einem  Sieije,  teils  mit 
einer  Niederlage  der  Hauptpereon,  Der  Satz:  Dir  am  Hopfen  vor- 
kommende NutaHon  (Jrr  Fflanxengipfcl  linrirkt  die  Uinschlingaiig 
einer  vorhandenen  eenkrerhlen  Stütxe  lautet  definierend  und  fintoilend 
ausgefülgert:  Die  am  Hopfen  vorkommende  durch  ungleickmäfsiges 
Wachtum  renjrsac/Ue  bogenfürmige  Br/regung  der  Pflanxengipfel  be- 
wirkt die  Urnsrhlingung  einer  vorfianäenr?/  scnkreehten  Stütxe  eni- 
n  eder  in  der  Richtung  mwh  rechts  oder  nach  links.  Von  den  in  dieser 
Ausdeutun£i:  enthaltenen  Urteilen  gilt  nur  das.  ^N-elches  sagt:  Die  durch 
ungleichfnäfbiges  Wachstum  vemrsachte  bogenförmige  Brn^egung  der 
Fflayixengipfel  Itcnirkt  die  Umschlingung  einer  vorhandenen  senk- 
rechten Stütxe  teils  in  der  Richtung  nach  rechts^  (wie  beim  Hopfen 
und  dem  Geisblatt)  feifs  fn  der  Richtung  nach  links^  (wie  bei  der 
Mehrzahl  der  Schlingpflanzen).  —  Oder  es  ist  der  Satz  gegeben:  Jede 
{t/?is  hrh  f  fff/tdc)  Srhindrhelei  qt  pilinlci  dir  Rieht if/keit  unserer  Urteile. 
Wenn  wir  in  diesem  rrtr-il  für  das  Vonlerglied  die  LEinNizsche 
Definition  des  Begriffs  der  Schmeichelei  einstellen  und  das  Ilinterglied 
einteilen,  so  ergibt  sich:  Jede  Anfserung^  dnrrh  die  ein  anderrr  mis 
lobt,  uns  gefallen  uill  und  ftns  xuglrirh  hclät/t,  gefährdet  dir  Rirtdig- 
krit  unserer  forteile  entueder  durch  gan\  /nurahrr  Aiigabrn  oder 
durch  solches  die  eine  Mischung  von  Wahrhrif  und  Unuahrhrii  sind. 
iJas  dem  gegebenen  Satze  wirklich  übergeordnete  Urteil  lautet  hier: 
Uie  Änfserungen,  durch  die  ein  anderer  uns  belügt^  gefährde n  die 
Hiehtigkeit  nitscrer  Urteile  teils  durch  f/f/fr,  unwahre  Angaben,  teils 
durch  solche,  die  eine  AMischung  von  Waftrhrii  und  Unwahrheit  sind. 

Zusatz.  Xaehdcm  wir  nunmehr  die  Bildung  der  Ausfolgerung 
allseitig  besprochen  haben,  wäre  nur  noch  zu  bemerken,  djiß  das, 
was  oben  (unter  A.  Zusatz)  von  jeder  Ausfolgerung  gesagt  wurde,  auch 
von  jeder  Ausdeutung  gilt.  Sie  ist  nämlich  wohl  dem  gegebenen 
Urteil  {U)  gleichgeltend  d.  h.  mit  ihm  immer  raitgültig  und  U  mit 
ihr,  doch  wäre  es  voreilig,  sie  selbst  (etwa  wie  die  zu  ihrer  Bildung 
verwendete  Definition  oder  Einteilung)  für  eine  Gleichung  zu  halten. 
Dies  zu  verbürgen,  reichen  die  vorliegenden  Schlüsse,  bei  denen  von 

8* 


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Aulsätze 


zwei  Vordersätzen  nur  einer  oder  von  dreien  nur  zwei  gewiß 
Gleichungen  sind,  nicht  aus,  dazu  wäre  vielmehr  erforderlieh,  daß 
jeder  Vordorsatz,  also  auch  das  gegebene  Urteil  eine  Gleichung  wäre, 
wäiirend  es  nach  unserer  Yoraussotzung  nur  ein  allgemeines  Urteil  ist 

D.  Traktisclie  Bedeutung  der  Ausdeutungen. 

I.  Jede  Ausdeutung  ist,  mag  nun  djus  gegebene  Urteil  ( IJ')  an 
sich  gültig  sein  oder  nicht,  eine  Verdeutlichung  derjenigen 
Gedanken,  die  in  Betracht  kommen,  wenn  wir  nach  einem 
Urteil  suchen,  in  dem  das  gegelH'ne  wie  eine  notwendige 
Folge  enthalten  ist.  Und  da  die  Ausdeutung  dies  tut,  indem  sie 
eine  dem  U  gleicligoltonde  Wahl  von  Urteilen  angibt,  die  zu  U  mög- 
licherwc'is»»  übergeordnet  und  unteroiiiander  unverträglich  sind,  sc»  ist  sie 
im  Keiche  iler  Urteile  dasselbe,  wie  im  Reiche  dt  r  Begriffe  das  liinter- 
glied  eines  allgemeinen  kategorisch-disjunktiven  Urteils,  z.  B.  des  Satzes: 
Diese  F/hufxf  ist  niiwetlpr  eine  Schniarotxcr  -  oder  ei  zw  füiilnis- 
hnrohi/i  oder  eine  P/lanxe,  die  ihre  ganze  Nahrung  in  Form  an- 
or(janis<  her  Verhiudnnge}i  ai(fni»nnt ;  denn  so  ein  Hinterglied  gibt 
zu  dem  im  Vordergliede  aufgestellten  Begriffe  /?  {diese  Pftanxe)  auch 
eine  gleicbgeltende  Wahl  von  ihm  möglicherweise  untergeordneten  und 
untereuiander  un vertraglichen  Begriffen  7?Z)i,  BD^  nnd  BD^  an  {eim 
Schimiroixcr-^  eine  fäulnishetroJtnende  und  eine  die  ganxe  Nahrung 
in  Form  anorganiseher  Verhind/f/tym  anfnehjnendr  l'fiair.e).  Daß  man 
einem  allgemeinen  Gebraucht'  zufolge  diese  Begriffe  dem  B  unter- 
geordnet, die  (ilieder  der  Ausfuigorung  des  Z7  aber  zu  übergeordnet 
nennt,  macht  wohl  sj)rachlich  einen  Unterschied,  nicht  aber  im  Wesen 
der  Sache,  da  in  beiden  Füllen  Gedanken  vorgeführt  werden,  zu  denen 
der  gegebene  iioiner  mitgiiltig  ist,  während  das  Umgekehrte  nicht 
stattfindet 

n.  Wenn  wir  der  Richtigkeit  des  gegebenen  Urteils 
gewiß  sind,  maß  auch  die  Ausdeutung  ein  gültiges  Urteil 
sein,  weil  sie  dann  durch  einen  gültigen  Schluß  aus  lauter  gültigen 
Toidersiiien  gewonnen  worden  ist 

Da  in  jedem  solchen  EUle  eine  gültige  Wahl  von  Urteilen,  eine 
Urleilswahl,  Ton  der  ein  Glied  gültig  sein  muß,  Toriiegt»  so  spielen 
die  gültigen  Ausfolgerangen  bei  der  Yeigewisserung  der  Richtigkeit 
von  Urteilen  eine  bedeutende  Bolle.  1£an  bedarf  ja  bei  jeder  von 
ihnen,  am  dasjenige  einzelne  Urteil  zu  bestimmen,  welchem 
die  Gültigkeit  sususprechen  ist,  nur  noch  eines  oder 
mehrerer  disjunktiven  Schlüsse.  Diese  sind: 

entweder  1.  durch  Setzung  aufhebende,  wenn  man  die  Ans- 
dentung^  d.  i.  die  Kenntnis  der  überhaupt  mög^chen  Ffille,  so  benutzt, 


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Pncosxt:  Die  AuüfoJgeruog  aud  Ausdeutung  allgemeiuer  Urteile  usw.  117 


daß  man  eines  von  den  zur  Wahl  stehenden  Urteilen  direkt  beweist, 
woraus  sich  die  Unp^tütif^keit  der  übrigen  Deutunp^en  von  selbst  er- 
gibt. In  dieser  Weise  wurde  vorgegangen,  als  man  aus:  Die  Bahn 
dieses  {fn'p  a/lrr)  Konietrii  ist  eine  Kegelsc/mittsliiiie  und  der  Ein- 
teilung^ des  k'tzt<renannten  Begriffes  schloß:  Die  Bahn  dieses  Kometen 
ist  (iitircder  ri/ir  Ellipse  oder  eine  Parahel  oder  eine  Hyperbel  und 
Hallkv  sofort  den  Beweis  antrat,  daß  die  Hahn  des  bestimmten  Kometen 
eine  Ellipse  sei.  Auch  Kki-flekn  scliwcliten  betreffs  der  Planeten- 
bahnen melirere  Moirlichkeiten  vor.  von  <ienen  sicii  durch  die  Be- 
rechnuiiiron  eine  als  gültig  erwies,  während  die  übrigen  eben  darum 
au^egL'bt'n  wurden. 

Weit  häufiger  wird  aber  die  Ausdeutung  benutzt,  um 

2.  mittels  eines  ndcr  mehrerer  durch  Aufhebung  setzen- 
den Schlüsse  eine  Deutung  (indirekt)  zu  beweisen,  indem  man  alle 
übrigen  widerlegt.  So  gelangt  man  hei  der  Hestimnuing  von  Natur- 
kürpern  sehr  oft  zuerst  (hircli  AusseliiielJung  mehrerer  anfangs  sich 
darbietenden  ^rogliclikeiten  zu  einer  festen  Uberzeugung,  in  welche 
Gruppe  der  tiegenstand  wirklich  einzureihen  ist  und  läßt  dann  den 
direkten  Beweis  für  die  Richtigkeit  der  Bestimmung  folgen.  Ferner 
ergaben  sich  aus  den  Sätzen:  Die  Alpen  sind  ein  Gchirf/e  und:  Die 
(iihiriji  sin/f  enfiitihr  diirrlt  rnlkamsiJn'  Krftehnmj  oder  durch  fiori- 
xontdli  Faltung  der  Erdohrrfldche  i'ittstondcn ,  für  die  Entstehung  der 
Alpen  zwei  mögliche  Erklärungen,  von  dcMien  nach  Abweisung  der 
ersten  die  zweite  festgehalten  wird.  Bezüglich  der  Me'teore  gibt  noch 
Cm.ADNYs  bezügliches  Werk  eine  Reihe  von  Deutungen  an  (Entflanunung 
von  Dünsten,  Projektile  aus  Erd-  oder  Mondvulkanen  usw.),  die  erst 
fiberwunden  werden  mußten,  ehe  man  zur  heutig<Mi  Auffassung  ge- 
langte, wonach  in  solchen  Fallen  Körper  (von  sehr  verschiedener 
Größe),  die  nicht  zum  System  Erde-Mond  gehören,  in  die  Atmosphäre 
der  Erde  eindringen.') 

Übrigens  sind  auch  die  im  nachfolgenden  zu  besprechenden  Fälle 
Itater  Beispiele  von  Schlüssen,  die  auf  Grund  einer  Ausdeutung  eine 
Deatang  durch  Widerlegung  der  übrigen  beweisen. 

Wir  haben  nämlich  noch  die  praktisch  wiehtige  TktBaehe  sn 

')  Derjenige  indirekte  Bewds  «nee  Stfacem  der  daroh  die  ÜDgülti^ceit  dee 
kMtndiktnrisohen  OegeoteUs  geffihrt  wiid,  ist  wohl  mdi  ein  durch  Aufhebung 

setzender  Schluß  auf  Grand  einer  gültigen  Wahl  von  Urteilen  (welche  lautet:  Bhit- 
vrdfr  giU  fh'r  xti  betceijtniflr  Safx  odf^r  srin  knntrnth'kfori.trhfs  Gegenteil),  unter- 
scheidet 8ich  aber  von  den  oben  behandelten  iadiiekten  Beweisen  dadurch,  daß  die 
gültige  Urteilswahl,  auf  der  er  beruht,  keine  Ausfolgerong  des  zu  beweieendea 
flatiee  ist 


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118  Anfdtie 


beleuchten,  daß  bei  solchen  Schlüssen  oft  zwei  oder  mehrere 
Glieder  der  IJrteilswahl  auf  einmal  widerlegt  werden 
können.    Und  zwar  f^eschieht  dies 

a)  bei  der  (oben  unter  C  l  besprochenen)  definierenden  Aus- 
deutun|.(  eines  Urteils  {S  ist  P): 

a)  wenn  man  von  einem  Merkmal  des  S  z.  B.  von  ^  nach- 
weist, daß  es  (weil  alles,  was  und  .2,,  aber  nicht  ist,  auch  das 
PrSdikat  P  hat)  für  die  Gültigkeit  des  Satzes  nicht  notwendig  ist 

Man  ist  daher  berechtigt,  in  jeder  definierenden  Ausdeutung 
eines  Urteils  {8  ist  F)  alle  Deutungen  auszascheiden,  in  deren  Tordier- 
g^ede  ein  Merkmal  Ton  S  vorkommt,  das  für  die  Gültigkeit  des  Urteils 
nicht  notwendige  ist  In  dem  angenonmienen  Falle,  daß  nicht  not- 
wendig ist,  können  in  der  siebengliodrigen  UrteUswahl  die  5^  6.  und  7., 
in  der  dreigliedrigen  Urteilswahl,  wenn  ^  nicht  notwendig  ^  die  ^ 
2.  und  3.  Deutung  ausgeschieden  werden; 

ß)  wenn  man  von  einem  Merkmale  des  8  z,  B,  nach- 
weist, dafi  es  (weil  alles  was  und  ^,  aber  nicht  ist,  das 
Mdikat  P  nicht  hat)  ffir  die  Gültigkeit  des  Satses  notwendig  ist 

Man  ist  daher  berechtigt,  in  jeder  definierenden  Ausdeutung 
eines  Urteils  {Sist  F)  alle  Deutungen  auaansdieiden,  in  deren  Vorder^ 
^iede  ein  Merkmal  von  8  nicht  yorkommt^  welches  für  die  Gültigkeit 
des  Urteils  notwendig  ist  In  dem  angenommenen  Falle,  dafi  2^  not- 
wendig ist,  kann  in  der  siebengliediigen  Urteilswahl  die  2.,  3.  und  6^ 
in  der  dreigliedrigen  aber  nur  die  2.  Deutung  ausgeschieden  werden. 

Bei  den  oben  beispielsweise  angeführten  definierenden  Aus- 
deutungen entfaUen  daher,  wenn  man  das  dem  gegebenen  wirklich 
übergeordnete  Urteil  suchte  einerseits  diejenigen  Deutungen,  in  deren 
Subjekte  Inhalteglieder  Torkommen,  die  nicht  notwendig  sind,  andrer- 
seits aber  auch  diejenigen,  in  deren  Subjekte  notwendige  Inhaltsglieder 
nicht  Torkommen.  Der  Eürse  halber  führen  wir,  um  dies  ersichtlich 
m  machen,  im  nachstehenden  nur  die  angezeigten  Ausdeutungen  an 
und  unterscheiden  dabei  die  notwendigen  und  die  nicht  notwendigen 
Inhalts^eder,  indem  wir  diese  einklammem,  jene  aber  nicht  Jene 
Ausdeutungen  lauten :  Jedes  gleiehaaHge  {rechiwiiMige)  Parallelogrufnm 
ist  ein  Tangentmviereek*  Jede  Säure  {die  ot»  Stdphat  enMeM) 
ßrbt  blaues  Lahnuspapier  roL  Jedes  {gldekseitige)  {jreektwmkU^) 
Parallelogramm  hat  einander  halbierende  Diagonalen.  Jedes  glei^ 
seiti/fe  rechtwinklige  Vieleck  ist  ein  Sehnen-  und  TangefUenvielede, 
Jedes  Urteil,  das  nicht  gewifs  riehiig  und  nicht  gewifs  unrichtig 
ist^  ist  unvollendet. 

b)  Auoh  bei  der  (oben  unter  CU  bebandelten)  einteilenden 


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FoBoinrr:  Die  Amfolgemog  und  AiiBdeataiig  allgemeiner  üiteile  vmr.  119 


Ausdeutang  eiiies  ürteils  (Sist  P)  können,  Ms  8  ein  allgemeiner 
BegiifiE  ist,  zwei  oder  mehrere  Beutungen  auf  einmal  widerlegt  werden: 

a)  wenn  man  von  einer  Determination  des  P  z.  B.  von 
P2>g  nachweist,  dafi  ihre  Tereinung  mit  8  (s.  B.  wegen  eines 
in  ihr  entiialtenen  Widerspruches)  ein  ungültiger  Begriff  ist,  weil 
es  kein  8PD^  gibt  Man  ist  daher  berechtigt,  in  jeder  einteilenden 
Ausdeutung  eines  ürteils  {8  ist  P)  alle  Deutongen  auszuscheiden, 
in  deren  Hinteiglied  eine  Determination  Ton  P  yoricommt,  die  nie  i$isi 

In  dem  angenommenen  Falle,  daß  8PDi  ungültig  ist,  können  in 
der  siebengliediigen  ürteilswahl  die  3^  6^  6.  und  7.,  in  der  drei- 
gliedrigen TJrteilswahl,  wenn  8PDt  ungültig  ist,  die  2.  und  3.  Deutung 
auggeschieden  werden. 

b)  wenn  man  yon  einer  Determination  des  P,  z.  B.  von 
PDi  nachweist,  daß  ihre  Yereinung  mit  8  ein  gültiger  Be- 
griff ist,  weil  es  ein  oder  einige  8PDi  gibt  Man  ist  daher  be- 
rechtigt^ in  jeder  einteilenden  Ausdeutung  eines  ürteils  {S  ist  P) 
diejenigen  Deutungen  auszuscheiden,  in  deren  Hintergliede  eine  Deter- 
mination von  P  nicht  vorkommt^  die  bisweilen  «9  ist. 

In  dem  angenommenen  Falle,  daß  SPDi  gültig  ist,  kann  in  der 
siobengliedrigen  ürteilswahl  die  2.,  3.  und  6.,  in  der  dreigliedrigen 
ürteilswahl  aber  nur  die  2.  Deutung  ausgeschieden  worden. 

Bei  den  oben  beispielsweise  angeführten  einteilenden  Ausdeutungen 
entfallen,  Avenn  man  das  dem  gegebenen  wirklich  übergeordnete  Urteil 
sacht,  sowohl  diejenigen  Deutungen,  in  deren  Hintergliede  ein  Begriff 
vorkommt,  dessen  Yereinung  mit  S  ungültig,  als  auch  diejenigen,  in 
deren  Hintergliede  ein  Begriff  nicht  vorkommt,  dessen  Yereinung  mit 
S  gültig  ist  In  nachstehender  Aufzählung  jener  Ausdeutungen  sind 
die  gültigen  und  die  nicht  gültigen  Prädikate  dadurch  unterschieden, 
daß  diese  eingeklammert  erscheinen,  jene  aber  nicht  Die  betreffenden 
Satze  lauten:  Der  Watxmarin  überhaupt  ist  etitureder  wolkenfrei  oder 
nicht  wolkenfrei.  Der  Oaitumjstiame  ^Gift^  überhaupt  ist  rnffrcdfr 
ein  mänjiliehes  oder  ein  weibliches  oder  ein  sächliches  Ilaitptirort, 
Der  Gattungsname  -iKönig*  ist  männlich  {oder  iceihlich  oder  sach- 
lich). Der  Gattungsname  »Frau*  ist  {männlich  oder)  /rrihlirh  {oder 
sächlich),  der  Gattungsname  :  Lnndi  ist  {männlieh,  neUA'u  li  oder) 
sächlich,  der  Gattungsname  :> Kunde  ist  männlich  oder  weiblich  (oder 
säehlich).  Der  Gattungsname  tSehihU  ist  inäufdich  (nrihlich)  oder 
säehiich.  Der  Gatfuugsuanie  ^M<ifs<L  ist  {mäuulieh)  uvihlicii  oder 
säehlich.  Das  Ergebnis  einer  Division  ist  eiiftreder  ein  rehter  oder 
ein  unechter  Bruch.  Jeder  disso)tierr/{de  ALLord  enthält  entweder 
eine  Sekunde  oder  eine  Septime  oder  ein  übcrmäfsiges  oder  ein  ver- 


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120 


Aufsätze 


minderten  anderes  hitervaU.  Alle  Faseni  des  meiiscJdichcn  Triget/i/ntis 
sind  sensibel  oder  vioiorisch.  Jedes  rechtwinidiye  Dreieck  ist  ent- 
weder fnff/Icichseitig  oder  (ileichsehoddig  {oder  glrirhsritii/).  Jeder 
ro/lständiye  drf/fschr  Nrbensatx  ist  cntucder  indikativiseh  oder  kon- 
jnnklirisch  (oder  itz/pcratirisch).  Alle  AUjru  sind  blatilose  KryptO' 
gatnen  {oder  blatthildrndc  oder  Gcfäfskrf/piogamen). 

c)  Bei  jeder  Ausdeutung,  die  durch  eine  Definition  und 
eine  Einteilung  gebildet  wurde,  kann  man,  eben  weil  itci  ihr 
beide  Bildungsweisen  zur  Anwendung  gelangten,  zum  Zwecke  der 
Ausscheidung  von  Deutungen  sowohl  wie  bei  der  bloß  defi- 
nierenden als  auch  wie  bei  der  bloß  einteilenden  Aus- 
deutung vorgehen.  Unsere  Beispiele  lauteren:  Die  dichterisch  dar- 
(/cstcllfcft  Thuidlungen  [die  dramatisch  und  mitleiderrrgc/td  sind]  rndigm 
mit  cinein  Siege  oder  )nif  einer  Xiederlage  der  Ihi/<jffpersoN.  Die 
{am  Hopfen  rorkoininvudt)  ditrili  ungleichnidfsigc^  Muchs  tum  rer- 
urmrhte  bogen  för)nige  Beirr  gutig  der  Fjhur.eugipfcl  beirirkl  die  Um- 
schiinguug  ciuer  rorhaudeucf/  smkn'cJifen  Stiitw  iu  der  Ririitung 
nach  rechts  oder  nach  links.  ,frd<  Aufserung,  durch  die  ein  anderer 
[utis  U)bt,  niLs  gefallen  will  und)  un^  belügt,  gefährdet  die  Richtigkeit 
u/iserer  Urteile  enfueder  durch  gnnx  u/nrahre  Angttben  oder  durch 
solche^  die  eine  Mischung  von  Wahrheit  find  Unwahrheit  sind. 

III.  Wenn  das  gegebene  Urteil  nicht  gewiß  richtig  ist, 
so  wird  ilurcli  den  zur  Bildung  einer  regelrechten  Ausdeutung  führen- 
den Schluß,  weil  einer  von  .meinen  Vordersätzen  kein  giiltigos  Urteil 
ist,  die  Gültigkeit  der  Ausdeutung  nicht  verbürgt;  wohl  aber  ist  auch 
dann  noch  gewiß,  daß  das  durch  diesen  Schluß  gewonnene 
Urteil  wirklich  eine  Ausdeutung  des  gegebenen  ist 

Da  diese  als  solche  mit  dem  gegebenen  Urteil  immer  mitgültig 
ist)  also  eine  Folge  desselben  bildet^  so  benutzt  man  sie  häufig 
zur  Widerlegung  eines  gegebenen  Urteils,  indem  man  zeigt, 
daß  dessen  Ausdeatimg  d.  h.  alle  Glieder  derselben  ungültig  sind. 
Man  nennt  solche  Widerlegungen  gewöhnlich  (di-,  tri-,  poly-)  lemma- 
tiflohe  a.  B.  Wärm  Oedäckimwene  Oeäiehte,  so  müfstm  sie  tnhpeder 
epische  oder  fyrisdie  oder  dramoHsehe  Qedkhte  sein.  Da  sie  mm 
aber  keiner  ifon  diesen  Jrtett  angehören,  so  sind  sie  itberhm^i  keim 
Oediehie.  Oder:  Wäre  der  Angeklagte  im  ÄugenbUnke  der  ihm  xur 
Last  gelegten  Tai  strafreckUu^  xurechnungsfähig  gewesen^  so  hätte 
er  entweder  bewufsihs  sein  müssen  oder  in  einem  Zustande  krank- 
hafter Störung  seiner  OeistestäHgkeit  Nun  war  er  eher  damaXs 
weder  bewufstlos  noch  geistesgestört,  also  war  er  strafreehtlieh  xU' 
reehnungsflüiig. 


FoKORinr:  Die  Aiufolgenuig  und  AaBdeutaiig  allgemeiner  VrteSle  usw.  121 

Anhang 

Wenn  der  Verfasser  in  der  vorliegenden  Abhandlung  nur  Urteile 
mit  positiTeiii  Subjekte  und  Prädikate  behanddt  hat,  so  ist  dies  in 
der  Absicht  geschehen,  die  bei  solchen  Sitzen  besonders  hfiufig  toiv 
kommenden  und  praktisch  wichtigen  Ansfolgerungen  nnd  Ausdeutungen 
möglichst  ein&ch,  klar  und  ohne  diejenigen  Komplikationen  dansnsteUen, 
die  unvermeidlidi  werden,  sobald  man  sich  dabei  auch  auf  negative 
Urteilsglieder  einlfifit  Wer  jedoch  diesen  Schritt  nicht  scheut 
und  ihn  zur  Herstellung  einer  gewissen  Vollständigkeit  der  Theorie 
sogar  für  nnerläfilich  erkennt,  findet  bei  genaueim  Eingehen  folgendes: 

L  Eine  Ausfolgerung  wird  gebildet: 

1.  SU  einem  allgemeinen  Urteile  mit  einem  Prädikate 
wie:  igt  (sind)  niehi  P,  indem  man  ohne  Veränderung  des  positiTen 

oder  negativen  Subjektes  für  P  eine  gültige  Umfangsangabe 
(PDj  oder  FD^)  einsetzt  Das  Ergebnis  lautet:  ^  tat  nicht  {FD^  oder 

^» 

xmd      ist  nicht  FD^\ 

2.  B.  Aus  dem  Satse:  VerträgHehes  ist  nieht  mtgeyetKjvsetxt  ent- 
steht duroh  Einteilung  des  im  Prädikate  vorkommenden  Begriffes: 
Verträgli^tes  ist  nicA^  kontradUdoriseh  oder  konträr  entgcgengesetxi 
oder,  was  dasselbe  ist,  nidU  lamtfadiktorisek  und  mtM  konträr  ent' 
gegengeaetzt. 

2.  zu  einem  allgemeinen  Urteil  mit  einem  Subjekte  wie: 
oder,  besser  ausgedrückt:  Was  niehi  8  ist  bildet  man 
eine  Ausfolgening,  wenn  man  ohne  Veränderung  des  positiven  oder 

negativen  Prädikates  für  S  seine  luliuitbangabe  (-\  utul  ein- 
stellt Das  Ergebnis  lautet:  Was  nidU  (^^  und  2,)  ist,  ist  ^  ^  Was 

p 

eniwedsr  nieht      oder  nieht  2^  ist,  ist  » 

P 

Was  nicht  Z  ist.  ist 

P 

p 

und  was  nicht  ^  ist.  ist 

z.  B.  Wenn  gegeben  ist:  Was  nicht  tragisch  ist^  ist  kein  Stoff 
für  ein  ernstes  Drama,  so  ergibt  sich  duroh  Definition  des  im  Sub- 
jekte vorkommenden  Begriffes:  Was  nicht  dem  Zuschauer  Mitleid  ein- 
fUffst  und  ihn  zugleich  erhebiy  ist  kein  Stoff  für  ein  ernstes  Drama'^ 


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122 


Was  dem  Zusduwer  kein  Mitleid  einflöfst  \  ist  ifcetn  Stoff  für 
ufMf  was  dm  Zuaehauer  nidU  erhebt,  f  ein  ernstes  Drama. 

3.  Es  können  surBUdnng  einer  Ansfolgening  auch  zugleich 
ausgeführt  werden: 

1.  wenn  beide  ürfceilsglieder  negativ  sind,  die  soeben  (Anhang.  1 1 
nnd  n2)  angegebenen  Einstellungen; 

2.  wenn  ein  Urteilsglied  positiT  ist,  eine  Einstellung  für  dieses 
nach  Abschnitt  A  zugleich  mit  einer  für  das  negatiTe  ürteilsglied 
nach  Anhang,  II  oder  12. 

IL  Eine  Ausdeutung  wird  gebildet: 

1.  SU  einem  allgemeinen  Urteil  mit  einem  Prftdikate 
wie:  ist  (sind)  nidU  P«  indem  man  ohne  Yeriinderung  des  positiTen 

oder  negativen  Subjektes  für  F  seine  Inhaltsangabe  (üj  und  il^) 
einstellt   Man  erhält  so:  f  ist  nicht  (il^  und  11^) 

q 

Entweder     ist  Hj,  aber  nicht      (1.  Deutung 

o 

oder     ist  i^,  aber  nicht      (2.  Deutung) 

S 

oder      ist  weder  i/,  noch  lU  (H.  Deutung); 

z.  B.  So  entsteht  aus:  Das  Deltoid  ist  kein  Quadrat  durch  Defi- 
nition des  im  Prüdikat  vorkommenden  Begriffes  der  Satz:  Das  DeUoid 

ist  kei/i  m/('lmäf.si(/es  Vieref:k 

ffi/frcflcr  es  ist  rcgelmäfsig,  nher  kein  l'lererk 

otltr  es  ist  ein  Viereck^  aber  nicht  re(jelinäfsig 

oder  es  ist  irtdrr  ein  Viereck  noch  regelmäßig.  Wirklich  gültig 
ist  hier  die  2.  Deutung. 

2.  zu  einem  allgemeinen  Urteil  mit  einem  Subjekte 
wie:  Nieht-S  oder,  hesser  ausgedrückt:  W/is  tnchf  S  ist  l)ildet 
man  eine  Ausdeutung,  wenn  man  ohne  Veränderung  des  positiven 

oder  negativen  Prfidikates        für      eine  gültige  Umfsngsangabe 

(SIJ]^  oder  6D^)  einstellt.  Man  erhält  dann:  Was  nicht  (SDi  oder 
SD,)  ist,  ist  ^      J^as  nicht  SDi  und  nicht  SD^  iai  ^  » 

p 

Entweder  Was  nicht  SD^^  ist,  ist      (1.  Deutung) 


oder  Was  «icÄf  52),  ist,  ist  ^  (2.  Deutung) 


oder  Was  nicht  blofs  niciii  SD^  sondern  zugleich  auch  nidU 
8Df  ist,  ist  ^  (3.  Deutung); 


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Pobobht:  Die  Amfolgenuig  and  AtiBdeatang  allgememar  Ufteite  usw.  123 


z.  B.  Es  sei  gegeben:  Was  nicht  v'ui  irarmhlütiycs  Wirbel (/W 
ist,  hat  )(i(lit  xirei  vollständig  yftrrnntc  Ilcr^hannneni.  Wenn  man 
nun  für  den  im  Prädikate  vorkommoiiden  Bui^riff  seine  beiden  Arten 
einstellt,  so  gewinnt  man  den  Satz:  Was  nuht  Siiugciicr  oder  Vogel 
ist.  hat  nicht  zwei  vollständig  gvircnnte  Ilrrxkaunncrn.  Von  den 
drei  hier  möglichen  Deutungen  gilt  nur  die  dritte.  Doch  liißt  sich 
letzteres  nicht  von  allen  hierher  gehörigen  Ausdeutungen  behaupten. 
Wenn  wir  z.  B.  zn  dem  Urteil:  Was  kein  Dreu-/-k  iai,  ist  kein  sym- 
metrisches Dreieck  die  Ausdeutung  bilden :  Was  kein  gleichschenkliges 
und  kein  nicht  gleichschenkliges  Dreieck  ist^  ist  kein  symmetrisches  Drei- 
ecL,  so  gilt  nicht  die  3.  (oder  die  2.)  sondern  nur  die  erste  Deutung:  Was 
kein  glMu^enkliges  Dreieek  ist^  ist  auch  kern  symmetrisches  Dreieek. 

3.  Es  können  zur  Ausdeutung  eines  allgemeinen  Urteils  auch 
xngleich  ausgeftlhrt  werden: 

1.  wenn  beide  UrteilsgUeder  negativ  sind,  die  soeben  (Anhang,  II  1 
und  112)  angegebenen  Einstellungen; 

2.  wenn  ein  UrteiisgUcd  pusitiT  ist,  eine  Einstellnng  für  dieses 
nach  Abschnitt  C,  zugleich  mit  einer  für  das  ncgatiTC  Urteil^glied 
nach  Anhang  III  oder  112. 

Schlieüich  sei  noch  beaüglich  der  besondern  Urteile  die 
Bemerkung  gestattet,  da£  man  wegen  ihres  bekanntlich  geringem 
wissenschafüichen  Wertes  kein  Bedürfois  empfindet,  sie  zum  Gegen- 
stände einer  Ausfolgemng  oder  Ausdeutung  zu  machen.  Auch  fehlt 
ihnen,  solange  sie  wirklich  partikulfir  sind,  zu  diesen  Operationen 
die  Eignung^  da  die  Umwandlungen,  die  bei  allgemeinen  Urteilen 
leidit  und  sidier  zum  Ziele  fflhren,  bei  ihrer  Anwendung  auf  be- 
sondere Urteile  infolge  der  diesen  Sätzen  eigentämlichen  Unbestinmit- 
heit  und  Vieldeutigkeit  unwirksam  werden. 

')  So  gelangt  man  z.  B.  auch  in  dem  günstigsten  Falle,  daß  das  Subjekt  und 
das  Prädikat  de»  besondern  Urteils  positiv  sind,  zu  keiner  Ausdeutung,  wenn  mau 
fir  P  dne  gültige  Angabe  aaines  Umfiogs  einstellt  und  erhilt:  Em  oder  einige  8 
gimd  entweder  oder  PD,.  Da  nämlich  partilniläre  Urteile  auch  bei  (fürmoU) 
gleichem  Suhjekic  und  unvereinbaren  Prädikaten  verträglich  sein  können,  so  kann 
man  auf  Grund  des  Satzes:  Ein  oder  einigp  S  .<t'ii</  J'J)^  ttflrr  PI\  nicht  zwei  (oder 
mehr  als  zwei)  untereinander  wirklich  uuverträgliche  Deutungen  angeben,  deren 
ITahi  mit  dem  gefgebeDeo  ürMl  gleiohbedeatend  wäre.  Auch  wenn  man  in  einem 
beeondeni  Urteil  mit  positiTem  Snbjelcte  oad  Plftdikate  fOr  P  eine  gfiltige  Angabe 
eeinea  Inhalts  einstellt,  erschließt  man  wobl  richtig:  Ein  oder  einige  S  sind  ^^ 
und  77.  und  kann  daraus  fol^'ern:  Fitt  of/rr  riintfi-  S  sind  Tl^  und:  Ein  f>dcr  rinigr  S 
xind  11^;  ab«r  da  in  den  beiden  zuletzt  angefuluteu  Urteilen  die  ^'  voneinander 
ganz  verschieden  sein  können,  so  ist  die  Vereinung  dieser  beiden  Sttse  darohina 
nicht  gleiohgeltend  mit:  Ein  oder  einige  S  eind  Iii  und  n;  nnd  daher  anch  gar 
keine  Ansfdgennig  des  g^benen  Urteila. 


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124 


H.  St.  Chamberlains  Vorstellungen  über  die  Religion 
der  Semiten  spez.  der  Israeliten 

Von 

Professor  D.  Baentscb-Jeiia 
(Fortsetzung) 

n 

Zweifellos  hat  sich  Cbamberlain  in  den  im  I.  Teil  unserer  Ab- 
handlung cfaarakterisieTtein  AusfOhrongen  über  die  Religion  der  Semiten 
and  spezieil  der  Israeliten  in  mehr  als  einer  Beziehung  als  ein  scharf- 
sichtiger  Beobachter  erwiesen.  Wem  wären  denn  nicht  schon  ähn- 
liche Empfindungen  und  Gefühle  gegenüber  gewissen  Erscheinungen 
gerade  der  alttestamentlichen  Religion  und  besonders  der  Religion 
des  Judentums  aufgestiegen,  wie  Cbamberlain  sie  in  seinem  Werke 
zum  Ausdruck  gebracht  hat,  und  zwar  in  einer  Weise  zum  Ausdruck 
gebracht  hat,  daß  man  mehr  als  oinnuil  sagen  möchte:  hier  ist  der 
Nagel  wirklich  einmal  aiif  den  Kopf  getroffen?  So  ist  Cbamberlain 
denn  für  viele  der  Dolimetsch  ihrer  eigenen  (bedanken  und  Emp- 
findungen und  für  manchen  bisher  L  ti]  laron  und  Unentschiedenen 
gewiß  der  Führer  in  das  antisemitische  Heerlager  geworden.  Aber 
auch  der,  welcher  sich  auf  den  extrem  ariselien  Standpunkt  Chamber- 
lains nicht  zu  stellen  vermag,  der  sich  mit  Händen  und  Füßen  gegen 
den  Antisemitismus  sträubt,  kommt  von  dem  Bann,  in  den  ihn  die 
Lektüre  seines  monumentalen  Werkes  versetzt  hat,  und  von  der  leb- 
haften Empfindung,  daß  in  all  seinen  Ausführungen  wenigstens  ein 
sehr  richtiger  und  gewichtiger  Kern  stecke,  nicht  so  leicht  los.  Nament- 
lich die  Art,  in  der  Chumberlain  die  Willensenergie  der  Semiten 
und  speziell  der  Juden  als  das  hervorstechendste  Merkmal  dieser 
Völkergruppe  zur  Geltuiiii;  bringt,  und  wie  er  z(Mgt.  daß  unter  der 
neiTscliaft  dieses  gewaltigen,  immer  nur  auf  das  Greifbare  gerichteten, 
egoistischen  Willens,  der  zugleich  die  r!rr>Bo  der  semitischen  Kasse 
ausmacht  die  übrigen  Seelenvermögen  manche  Beeinträchtigung  er- 
fahren haben,  hat  für  jeden,  der  die  Geschichte  der  semitischen 
Völker  und  der  Juden  einigermaßen  kennt,  etwas  so  Überzeugendes, 
daß  er  von  vornherein  geneigt  ist  alle  weiteren  Ausführungen  des 
Verfassers,  die  auf  jenen  Satz  von  der  semitischen  Willensenergie 
als  auf  ihre  feste  Grundlage  gestellt  sind,  als  durchaus  oder  doch  in 
hohem  Grade  richtig  anzuerkennen. 

Gleichwohl  wird  nun  aber  der  Leser,  der  etwas  tiefer  in  das 
Wesen  der  israelitischen  Keiigion  eingedrungen  ist  und  der  das  Alte 
Testament  etwas  genauer  kennt,  das  Gefühl  nicht  los,  daß  Chamberlaia 


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fiuRnoi:  H.  St  CbamberiaiDs  VorsteUangen  äber  die  Keligioii  usw.  125 


wonigstens  dem  Allen  Testamente  und  der  Belig^on  Israels,  die  darin 
ihren  liiederschlag  gefanden  hat,  nicht  ganz  gerecht  geworden  ist 
Denn  diese  Religion  —  so  sa^t  sicii  selbst  der  einigermaßen  kundige 
Laie  —  hat  neben  den  manclierlei  offenbaren  und  zura  Teil  auch 
abstoßenden  Mängeln  und  Schwächen  doch  auch  so  viel  helle  Licht- 
seiten, daß  eine  Beurteilung  derselben,  die  auch  diese  Seiten  ohne 
VoreingenoniaiMiheit  in  Ansatz  bringt,  sich  etwas  anders  ausnehmen 
wild  als  das  im  ganzen  höchst  absprechende  Urteil,  das  Chaniberlain 
über  sie  gefällt,  und  das  hei  seinen  Verehrern  und  oft  gedankeniofien 
Bewunderem  und  Nachbetern  ein  so  lautes  Eciio  gefunden  hat 

Schon  aus  diesen  Bemerkungen  wird  der  Leser  entnehmen 
können,  daß  eine  Auseinanderset;:un/]^  mit  Chamberlain  ihre  besondere 
Schwierigkeiten  hat.  Einer  total  falschen  Auffassung  der  Religion 
Israels  könnte  der  Kenner  mit  Leichtigkeit  eine  richtigere  Auffassung 
dieser  Religion  gegenüberstellen.  Damit  wäre  dann  der  ganze  Streit 
ia  der  einfachsten  Weise  von  der  Welt  erledigt.  Aber  Chambeilains 
Auffassung  ist  ebensowenig  total  falsch  als  sie  total  richtiic  ist.  Denn 
in  seinen  Ausfiihning'Mi  ist  meist  Falsches  und  Richtiges  so  innig 
miteinander  verniejigt,  daß  es  oft  schwierig  ist  beides  aiiseinander. 
zulösen.  Dazu  ist  der  Kritiker  Chamberlain  gegenüber  in^ufcrn  in 
einf'm  gewissen  Nachteil,  als  dieser  es  verstanden  hat,  sich  eine 
Hintertür  zu  schaffen,  durch  die  er  just  allemal  in  dem  Augenblick 
entschlüpft  in  dem  der  Kritiker  glaubt  ihn  gepackt  zu  haben.  So 
')ft  näinli<-li  der  Kritiker  ihm  mit  schlagenden  Beweisen  für  eine 
höher  geartete  Religiosität  innerhall)  Israeds  auf  den  Leib  rückt  ist 
jener  flugs  bereit  von  Entlehnungen,  sei  es  von  den  alten  Sumerern 
oder  sonst  wolier.  als  von  der  ausgemachtesten  Suche  der  Welt  zu 
reden,  oder  aber  sich  auf  seine  mit  grober  Virtuosität  ausgebildete 
Rassenmischungs  thoorie  zurückzuziehen.  Das  aber  gerade  — 
daß  das  Alte  Testament  so  reich  und  überreieli  an  fremdesten 
Kiementen  ist  —  macht,  daß  es  ist.  was  es  ist.  \\ Ubei  auch  die 
eigenartige  Zusammen  werf  ung  von  Rassen,  aus  denen  l.sraeliten 
und  .luden  hervorgingen,  nicht  ültersehen  werden  dart<  M  Damit  ist 
<ler  Kampfplatz  aber  auf  ein  völlig  unkontrollierhares  (iebiet  verlegt 
und  eine  erfolgreiche  Diskussion  infolgedessen  nicht  mehr  möglich. 
Denn  daß  die  Ausführungen  Chamherlains  über  diese  Ra.ssen- 
zusamraenwerfungen  auf  S.  357  ft  zum  guten  Teil  hypothetischer 
Natur  sind,  darf  nicht  Ubersehen  werden.  *') 

')  DÜcttantisnins.  Rasse,  Mfnotheismus,  Rom.    S.  58. 

')  Natürlich  wirJ  kein  vernünftiger  Mensch  (l.iran  dpnkfn,  eine  soU'ho  H.xssen- 
miacbuog  za  leugoeo.   Auch  gebe  ich  ohne  weiteres  zu,  daU  wir  an  bei  den  alten 


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126  Aufrittze 


Bevor  ich  nun  in  eine  Auseinandersetzung  mit  Cuamberlaix  ein- 
trete und  zunächst  das  von  ihm  entworfene  Bild  von  der  Religion 
der  Semiten  und  speziell  der  Religion  Israels  auf  seine  Richtigkeit 
prüfe,  muB  ich  den  Leser  noch  mit  einer  mehr  allgemeinen  Aus- 
einandersetzung Über  den  komplixierteo  Charakter  der  Religion  Israels 
(den  sie  fibrigens  mit  jeder  einigwinaßea  entwickelten  Beligion  ge- 
mein hat)  behelligen.  Wir  gewinnen  dadurch  für  die  Aoseinander- 
setzong  mit  Chambodain  einen  festen  Boden  und  erleichtern  ans  das 
Verstündnis  seines  Standpunktes  wie  seine  etwaige  Bekftmpfnng.  DaA 
ich  mich  auf  die  Beligion  Israels  besohrfinke,  hat  seinen  Onmd  dazin, 
dafi  wir  diese  Beligion  in  allen  ihren  Phasen  am  deutUcbsten  kennen 
und  daB  sich  unser  Interesse  begreiflicherweise  am  meisten  auf  sie 
konzentriert 

Man  muß,  wenn  man  über  die  Beligion  Israels  redet,  sich  immer 
Tor  Augen  halten,  daß  sich  im  Alten  Testament  der  Niederschlag 
einer  religiösen  Entwicklung  ron  mehr  als  einem  Jahrtausend  findet 
Bafi  eine  Beligion,  die  eine  solche  Entwicklung  durchlaufen  hat,  auf 
Terschiedenen  Stufen  einen  yerachiedenen  Charakter  trSgt,  ist  selbst- 
verstindlich  und  ist  natürlich  auch  von  Chamberiain  im  allgemeinen  nicht 
verkannt  worden.  Gewiß  werden  sich  ja  in  den  verschiedenen  Stufen 
oder  Entwicklungsperioden  gemeinsame  und  gleichartige  Grundzüge 
finden,  denn  auf  ihrem  Vorhandensein  beruht  ja  die  Einheit  einer  Beli- 
gion. Aber  diese  Grundzüge  treten  uns  in  den  verschiedenen  Perioden 
do6tk  immer  ui  eigenartiger  Ausprfigung  und  in  neuen  Gedanken- 
Verbindungen  entgegen,  die  oft  eine  eigentümliche  Umwertung  des 
Charakters  der  betreffenden  Beligion  zur  Folge  haben.  Uan  wird  dem- 
nach nicht  ohne  gründliche  Kenntnis  der  einzelnen  Entwicklungsstufen 
an  die  Beurteilung  der  isra^tisdien  Beligion  gehen  dürfen.  Vor  allem 
darf  man  seine  Belegstellen  nicht  aufs  Geradewohl  ans  dem  oder  jenem 
Buche  nehmen,  sie  nach  Gefallen  auswählen,  eine  wie  die  andere 
würdigen  und  damit  wohlfeile  Trumpfe  ausspielen.  Es  wird  vielmehr 
alles  darauf  ankommen,  die  Zeiten  auseinanderzuhalten  und  keiner 
Belegstelle  eine  über  ihre  Zeit  hinausgehende  Tragweite  beizulegen. 


Amontern  in  Noidkanaan  mit  dnero  Volk  enmiaohen  UnpningM  m  ton  haben. 

Dafür  sprechen  die  Abbildungen  von  Ämoritern  auf  ägyptischen  Denkmälern,  die 
sie  Maiiiintrii;  und  spitzbürtig  darstellen.  Die  Hethiter  aber,  die  bei  Chamberiain 
eine  so  groliu  liollo  spielen,  lassen  wir  lieber  aus  duiu  Spiele,  da  wir  vun  ihnen 
doch  noch  viel  zu  wenig  wissen.  Was  wir  über  sie  bei  Chamberiain  lesen,  ist  zum 
gaten  Teil  haltlose  Phantasie.  Wie  es  nno  aber  «noh  um  jene  Bmweniiüachimgen 
stehen  möge,  jedenfalls  ist  die  Ait,  in  der  Cauunberlain  mit  ihnen  operieit,  nkdit 
einwandsfrei  und  sum  mindesten  übertrieben. 


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BomBCH:  H.  St.  Chamberlaina  VontoUaDgen  über  die  Religion  vasw.  127 


Difi  Gbambeclnii  diraer  Fordemng  mdit  übeniU  gerodit  geworden 
ist,  werden  wir  später  sehen.  Abet  es  gilt  nicht  bloß  die  Zeiten 
«Qseinanderzahalten.  Innerhalb  der  einzelnen  Zeitperioden  sind  wieder 
Terschiedene  religiöse  Richtungen  oder  Stränge  zn  unter- 
scheiden und  streng  voneinanderzusondem.  Da  ist  zunächst  der 
Strang  der  Volksreligion.  Die  Volksreligion  schleppt  sich  von  Jahr- 
handert  za  Jahrhundert  mit  altheidnischem  Aberglauben  und  Dämonen* 
glaaben  und  polytheistischen  Vorstellungen  und  hält  unentwegt  an 
ihnen  fest,  anch  wenn  die  offizielle  Religion  längst  Uber  sie  znr 
ÜBgesordnnng  übergegan^'cn  ist  nnd  dasFestlialten  daran  unter  strenge 
Pön  gestellt  hat  Die  Äußerungen  der  Volksreligion  sind  also  auf 
keinen  Fall  als  klassische  Zeugnisse  für  das  Wesen  der  Religion 
Israels  anausehen.  Wer  sie  in  diesem  Sinne  verwerten  wollte,  würde 
genau  so  verkehrt  handehD^  als  wollte  er  das  Wesen  des  Christentums 
an  der  Religion  unserer  Bauern  studieren,  deren  Christentum  be- 
kumtUch  eine  reiche  Fülle  heidnischen  Aberglaubens  und  heidnischer 
Sitte  in  sich  aufgenommen  und  konserviert  hat  Da  ist  weiter  der 
Strang  der  Priesterreligion.  Hier  erstarren  die  lebendigen  reli- 
^(ison  Überzeugungen  und  Erfahrungsaussagen  leicht  zu  dogmatischen 
Fonneln;  hier  herrscht  überall  das  Bestreben,  kultischen  Brauch  und 
kultische  Sitte  zu  registrieren,  zu  rubrizieren,  kurz  die  Religion  zu 
legalisieren.  Die  Religion  verliert  ihren  subjektiven  Charakter  und 
bekommt  den  Charakter  des  Statutarischen,  das  sich  jedem  Fortschritt 
hemmend  in  den  Weg  stellt.  Speziell  in  den  I'riesterkreiseii  wird 
sich  auch  jene,  allem  wahren  religiösen  Empfinden  widersprechende, 
Auffassung  der  Religion  als  eines  zwischen  dem  Volke  und  seinem 
Gott  geschlossenen  Verti'ages  herausgebildet  hab(»ii.  dessen  Bestand 
an  die  Erfüllung  gewisser  Vertragsbedingungen  ,<j:ckniii)ft  ist  (vergl. 
d.  Deut).  Da  weiter  den  Priesterschaftcn  die  Pflegf  des  nationalen 
Kultus  obliegt  werden  sich  gerade  iniicrhall»  der  Priesterreligion  die 
Tendenzen  auf  nationale  Beschränkung  der  Religion  am  deutlichsten 
and  Zähesten  zeigen,  auch  dann,  wenn  in  den  Prirstersriiaften  selbst 
aufgeklärtere  Anschauungen  Platz  gegriffen  haben  sollten,  denn  diese 
werden  dann  als  esoterisehe  Weisheit  vor  dem  Volke  geheim  gehalten. 
Steht  nun  die  Priesterreligion  auch  hoch  über  der  halbheidnischen 
Volksreligion,  so  ist  sie  doch  noch  keineswegs  der  Ausdruck  der 
wahren  Religion,  wie  sie  in  einem  Volke  lebendig  ist  Sie  ist  not- 
wendig zu  deren  Erhaltung,  Bewahrung  und  IJberlieferung.  aber  nicht 
mit  dieser  identisch.  Wollte  man  die  Religion  Israels  lediglich  an 
den  priesterlichen  Dnkumeuten  des  Alten  Testamentes  studieren  (so 
z.  B.  aus  dem  sogenannten  Priesterkodex  des  Pentateuchs),  so  würde 


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Aufsätze 


das  g^enau  so  verkehrt  sein,  als  wollte  man  das  wahre  Wesen  des 
Christentums  aus  alten  Ap:enden,  Kirch  engesetzen  und  aus  Kirchen- 
und  .Synodahjrdnungen  ergründen.  Endlich  haben  wir  noch  den  Strang 
der  sogenannten  prophetischen  Religion,  der  in  Israel  seit  der 
Mitte  des  S.  vorchristlichen  Jahrhunderts  deutlich  hervortritt  (wenn 
auch  siclier  nicht  erst  seit  dieser  Zeit  existiert,  sondeni  bis  in  die 
Tage  ihrer  l^egründung  zurückreiclit).  und  in  dem  sich  uns  das  Wesen 
<ier  israelitischen  Religion  in  seiner  reinsten  Ausgestaltung  und  seiner 
höchsten  Vollondung  darstellt.  Hier  liegen  die  fruchtbaren  Keime 
der  Entwicklung,  von  hier  gehen  die  neuen  Antriebe  aus,  lüer  ist 
ein  Geist  lebendig,  der  alle  starren  Formen  durchbricht,  die  natio- 
nalen Schranken  lockert  und  in  dieser  und  jener  großen  Persönlich- 
keit sogar  ganz  überwindet.  Dieser  Strang  läßt  sich,  wie  gesagt,  seit 
der  Mitte  des  8.  Jahrhunderts  am  denflichsten  und  in  urkundlicher 
Belegung  verfolgen;  er  reißt  seit  der  Zeit  auch  nicht  wieder  ab, 
sondern  zieht  sich,  wenn  auch  oft  nur  anter  der  OberfLfiche,  doroh 
die  Jahrlranderfce  hindmx^,  bis  endUoh  Jesus  an  diesen  Strang  an- 
knifft  und  ihn  in  die  Religion,  die  seinen  Namen  trägt,  hinüber- 
leitet Man  wird,  um  der  Beligion  Israels  gerecht  zu  werden,  sich 
vor  allem  an  die  prophetisclien  Aussagen  zu  nalten  haben.  Denn 
nur  hier  merken  wir  die  Kräfte,  die  in  der  Religion  Israels  lebendig 
sind,  nur  hier  fahlen  wir  den  Pols  ihres  mächtigen  schdpferischen 
Lebens.  Daß  die  prophetische  Beligion  Israels  in  ihrer  geschicht- 
lichen Erscheinung  und  Entwicklung  durch  die  unverwUstliche  Volks- 
religion  einerseits  und  die  starre  Priesterreligion  andrerseits  vielfsoh 
beeinträchtigt,  ja  zu  Zeiten  sogar  verschüttet  gewesen  ist,  so  daß  sie 
sich  ihren  Lauf  unter  der  Oberfläche  hat  suchen  müssen,  ist  richtig. 
Aber  das  ist  eine  Erscheinung,  die  in  ähnlicher  Weise  alle  höher 
entwickelten  Religionen,  unter  diesen  vor  aUem  auch  das  Christentum, 
zeigen,  und  die  uns  auf  kernen  Fall  verleiten  darf,  von  der  prophe- 
tischen Religion  deshalb  niedriger  zu  denken.  Der  Leser  hat  aber 
ans  dieser  Auseinandersetzung  jedenfalls  gesehen,  wie  verschieden 
eine  Religion  sich  ausnehmen  kann,  je  nachdem  der  Beschauer  seinen 
Standort  nimmt,  und  er  wird  gebeten,  die  hier  gemachten  Be- 
merkungen für  den  weiteren  Verlauf  unserer  Dariegung  recht  fest 
im  Auge  zu  behalten,  da  sie  fflr  die  Auseuiandersetznng  mit  Chamber- 
lain  von  einiger  Wichtigkeit  sein  werden. 

Bei  dieser  Auseinandersetzung  handelt  es  sich  nun,  wie  schon 
früher  angedeutet,  zunächst  um  die  Frage,  ob  denn  das  Bild,  das 
Chamberhiin  von  den  semitischen  Religionen  im  allgemeinen  und  von 
der  Religion  Israels  im  besonderen  entworfen  hat,  überhaupt  auf 


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BilKtscu:  ü.  ät  Ghamberlains  Vorstellungeii  über  die  Keiigiou  usw.  129 


Richtigkeit  Anspruch  machen  darf,  oder  nicht  etwa  Einseitigkeiteii 
und  Verzcichniiniren  aufweist,  die  der  Korrektur  bedürfen.  Wir  er- 
innern uns,  daß  Chamberlain  diesen  Reli^onen  und  speziell  der 
Keligion  Israels,  auf  die  sich  unsere  Untersuchung  besonders  zu- 
spitzen soll,  einen  krassen  Materialismus  zum  Vorwurfe  machte. 
Diesen  Vorwurf  gründete  er  einmal  negativ  auf  die  Abwesenheit 
aller  und  jeglicher  Mythologie,  und  dann  positiv  auf  die  durch 
und  durch  praktische  Abzweckung  der  Religion,  auf  den  grob- 
sinnlichen Charakter  der  Gottesvorstellung,  der  selbst  im  israeliti- 
schen Monotheismus  nicht  überwunden  sei,  auf  die  geschichtliclie 
Auffassung  der  Religion  seitens  Israels,  auf  die  Herrschaft  des  Dogmas 
von  der  Freiiieit  dos  Willens  und  auf  die  materialistische  Auf- 
fassung Vom  (ilauben.  Es  waren  das  wenigstens  die  Punkte,  die 
wir  oben  (s.  S.  21  ff.)  als  die  uns  am  wesentlichsten  erscheinenden 
herausgehüben  haben.  Die  Auseinandersetzung  wird  uns  Gelegenheit 
geben,  aucii  noch  auf  den  oder  jenen  Punkt  (so  z.  B.  auf  die  Auf- 
fassung der  Sünde),  der  hier  nicht  mit  aufgeführt  ist,  einzugehen. 

Verhältnismäßig  weit  können  wir  Chamberlain  mit  Bezug  auf  den 
PTsten  Punkt  entgegenkommen,  wenn  uns  auch  manches  in  etwas 
aiidrit  r  Beleuchtung  entgegentreten  wird.  Die  Semiten  haben,  so 
weit  wir  bis  jetzt  sehen  können,  wolil  keine  Mythologie  aus  sich 
selbst  hervorgebracht.  Was  sich  wenigstens  an  mythologischen  Ele- 
menten in  den  semitischen  Religionen  findet,  trägt  die  Züge  alt- 
orientalischer  Spekulation  und  Denkweise,  die  schon  lange  vor  den 
im  unbestimmten  Dämmerlicht  der  Geschichte  liegenden  ersten  Ein- 
wanderungen von  Semiten  in  das  babylonische  Tiefland  zu  hoher 
Ausbildung  und  weiter  Yerbreitang  gelangt  war  und  deren  Ursprünge 
hauptsächlich  im  babylonisdien  TieÜand  zu  suchen  sind.  Als  Schdpfer 
der  altbabjlonisdiea  Ealtar,  Spekulation  und  Mythologie  sieht  man 
heute  mit  vollem  Bechte  die  in  ethnographischer  Beziehung  noch 
nicht  ganz  sicher  bestimmten  alten  Sumerer  an,  die  vor  den  Ih- 
yasionen  der  Semiten  die  dominierende  Eultormacht  in  Yordenisieu 
reprfisentierten.  Ihre  Sprache,  die  in  ihrem  Bau  an  die  Turksprachen 
erinnert,  und  das  von  ihnen  erfundene  Bilderschriftsystem  bekunden 
ihre  hohe  Begabung  gerade  für  das  Gebiet  der  abstrakten  Spekulation. 
Als  die  ersten  Semiten  von  Ostarabien  aus  erobernd  in  die  baby- 
lonische Tiefebene  eingedrtmgen  waren  —  wann?  Ifißt  sich  nicht 
mehr  bestimmen,  doch  mufi  es  lange  vor  3000  Chr.  gewesen  sein 
—  und  sich  su  Herren  des  Landes  gemacht  hatten,  wuchsen  sie  all- 
mfiUicfa  in  die  sumerische  Kultur  hinein  und  übernahmen  mit  der 


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130 


AnflMtM 


Zeit  die  sumerischen  Spekulationen  und  Mythen.  Das  wiederholte 
sich  in  ähnlicher  Weise,  so  oft  neue  Öemitenscharen  aus  Arabien  er- 
obernd in  das  Zweistromland  oder  überhaupt  in  ein  von  der  alt- 
babylonischen Geisteskultur  beherrschtes  Land  eindranj2;en  und  sich 
darin  festsetzten.  Sic  wurden  politisch  die  Herren  des  l^andes,  ge- 
rieten aber  in  Abhängi^^keit  von  der  dort  herrschenden  altorientali- 
schen Geisteskultur.  Nur  übernehmen  die  später  Gekommenen  diese 
Kultur  nicht  mehr  direkt  von  den  alten  Sumerern  —  denn  die  waren 
unterdessen  längst  verschollen  —  sondern  von  ihren  früher  ein- 
gewanderten semitischen  Brüdern,  unter  deren  Händen  sie  natürlich 
bereits  mehr  oder  weniger  semitisiert  war.  So  erklärt  es  sich  eben, 
daß,  wo  sich  im  Bereiche  semitischer  Religionen  mythologische  Ele- 
mente finden,  diese  überall  dieselben  charakteristischen  Züge  alt- 
oriontalisclier  Weisheit  und  Spekulation  tragen.  Der  phönicische 
Schöpf ungshericht  des  Sanchuniathon  und  die  babylonischen  Schöp- 
fungsmythen in  ihrer  alten  Gestalt  sowohl  wie  in  der  Überlieferung 
des  Berossus  sind  Zweige  von  demselhen  Stamme,  und  der  bibli.sche 
Schöpfuugsbericht  in  Gen.  1  läßt  die  Verwandtschaft  mit  dem  alt- 
babylonischen Marduk-Mythus  (nach  seinen  Anfangsworten  gewöhn- 
lich als  Mythus  inuma  ihl  bezeichnet)  und  ähnlichen  babylonischen 
Schöpf ungsmjthen  noch  deutlich  erkennen.  Auch  der  zweite  biblische 
Schöpfungsbäidit  m  Oen.  2  und  die  damit  jetzt  im  engsten  Zu- 
sammenhange stAhende  biUische  FmdieseB-  und  Sfinden&Ugeschiobte 
in  G«n.  3  sind  so  xei<di  an  babjlonlsoiien  Motiven,  dafi  es  nicht  sa 
gewagt  erscheint,  aaoh  fOr  sie  babylonische  Urbilder,  oder  doch 
wenigstens  starken  Binfloß  altbabylonischer  Denkweise  anzonehmeii. 

Wenn  wir  nadi  dem  allen  Cbambklair  auch  gern  sageben,  daft 
die  Semiten  eine  eigne  Mythologie  nicht  hervorgebracht  haben  und 
ihrer  gansen  Art  nach  auch  nicht  für  religiöse  Spekulation  angelegt 
waren  —  sie  stehen  in  dem  Pmücte  fraglos  weit  hinter  den  alten 
Sumerern  mrttck  —  so  scheint  uns  Ghambeilain  dodi  viel  su  weit 
SU  gehen,  wenn  er  den  Semiten  jedes  YerstSndnis  für  den  Mytiius 
Überhaupt  abspricht.  Der  Mangel  an  Produktionakraft  auf  einem  Ge- 
biet schließt  eine  gewisse  Beseptionsfittiigjkeit  auf  eben  diesem  Ge- 
biete keineswegs  ans.  Wenn  auch  nicht  schöpferisch  wirksam  auf 
dem  Gebiete  der  Mythenbildung  haben  doch  die  Semiten,  apedell  die 
in  Babybnien  eingewanderten,  die  sumerischen  Mythen  aufkommen, 
sich  angeeignet  und  mit  YerstSndnis  weitelgebildet  Es  ist,  wenigstens 
in  der  Allgemeinheit,  in  der  es  Chamberiain  in  engem  Ansclilui  an 
seinen  Gewihrsmann  Bxnan  (S.  399)  behauptet,  nicht  richtig,  dafi  der 
Mythus  unter  den  Händen  der  Semiten  (wohlverstanden,  nicht  nur 


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BiJS2«TSCH:  H.  St  Gbamberlaus  Voratellaiigeii  über  die  Eeligion  oaw.  131 


der  Israeliten,  für  die  die  Behauptung  eher  zutreffen  könnte)  zu 
>  historisch  er  Chronik«  werde.  Um  sich  von  dem  Unzutreffenden 
dieser  so  allgemein  gehaltenen  Behauptung  zu  tiberzeugen,  braucht 
der  Loser  nur  einen  Blick  in  den  I.  Teil  des  6.  Bandes  der  von 
Ebekuard  Schräder  herausgegebenen  Keili  nschriftliclien  Biblio- 
thek zu  werfen.  In  diesem  Teile  hat  der  Assyrioloe:  I^eter  Jensen 
die  wichtigsten  assyrisch-babylonischen  Mythen  und  Epen  in  Trans- 
scription und  Übersetzung  mitgeteilt  Und  zwar  handelt  es  sich  hier 
—  wohlgemerkt!  —  nicht  etwa  um  Mythen  und  Epen  in  ihrer 
sumerischen  Crgestalt,  die  wir  überhaupt  nicht  mehr  besitzen,  soiidom 
um  Mythen  und  Epen  in  semitischer  Bearbeitung  und  Ausgestaltung. 
Wie  ist  da  doch  aber  übenill  das  Wesen  des  Mythus  treulich  be- 
wahrt und  erhalten!  Von  einer  Umsetzung  in  »historische  Chronik« 
ist  so  gut  wie  nichts  zu  merken,  höchstens  hier  und  da  etwas  von 
Historisierung  eines  mythologischen  Zuges,  wie  sie  aber  bei  aDen 
Völkern  vorkommt  (s.  iU)er  diesen  Punkt  weiter  unten).  Man  lese 
nur  den  Schöpfungsmythus  inuma  iliä,  oder  die  Mythen  von  Zu  dem 
Sturmvogel,  von  Nerigal  und  Ereükigal,  von  Istars  Höllenfahrt  oder 
schließlich  den  sinnigen  Adapa-Mythus.  Ob  nun  freilich  die  Mythen 
in  ihrer  semitischen  Ausgestaltung  hinter  ihren  sumerischen  Urbildern 
zurückstehen,  kann  gefragt  werden  und  ich  möchte  die  Frage  sogar 
bejahen.  Wie  groß  der  Abstand  aber  ist,  läßt  sich  beim  besten 
"Willen  nicht  exakt  beantAvorten,  da  wir  eben  die  sumerischen  Ur- 
bilder nicht  mehr  besitzen  und  wir  somit  über  kein  Mittel  verfügen, 
um  auch  nur  annähernd  bestimmen  zu  können,  was  an  irgend  einem 
Mythus  sumerischen  oder  semitischen  Ursprunges  ist,  vergl.  dazu 
H.  Zdocbui  in  Ebebuard  Schräders  Eeilinschriften  und  das  Alte 
Dlestament  3.  A.  S.  349.  Aber  das  ist  schließlich  hier  aaöh  Neben- 
sache; wonnif  es  hier  ankommt,  ist  lediglich  sa  zeigen,  dafi  die  alten 
sumerischen  Mythen  auch  onter  den  Hlnden  von  Soniten  nicht  anf- 
hMan,  Mythen  za  sein,  daß  also  die  Semiten  nicht  jeglichen  Yer- 
ständniases  ffir  den  Mythus  bar  gewesen  sein  können. 

An  einem  besonders  interessanten  Punkte  l&ßt  sich  sogar  deut- 
lich naehweiBen,  wie  die  babylonischen  Semiten  es  auch  Terstanden 
haben,  einen  Mythus  in  chaxakteristiscfaer  Weise  weiterzubilden.  Der 
schon  oben  erwihnte  Inumsrilil-Mythus  ist  in  seiner  uns  bekannten 
Oestalt  das  Flrodukt  eines  längeren  mythenbildenden  Prozesses.  Denn 
wShrend  bestimmte  Anzeichen  dafür  sprechen,  dafi  dieser  Mythus  in 
einer  ilteren  Gestalt  bereits  im  4.  Jahrtausend  t.  Chr.  bekannt  ge- 
wesen ist  (vei^^  dazu  GmiDL  in  Schöpiong  und  Chaos  S.  27  f),  rOhrt 
die  Qestalt^  in  der  wir  ihn  kennen,  frühestens  aus  der  Zeit  des  zu 


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132  AjxmMO 


Ende  gehenden  dritten  vorchristlichen  Jahrtausends  her.  Damals  war 
nämlich  die  6tadt  Babel  durch  den  bekannten  König  Hammurabi  zur 
Hauptstadt  des  von  ihm  begründeten  babylonischen  Einheitsstaates 
geworden.  Das  hatte  zur  unmittelbaren  Folge,  daß  der  bisher  in 
Babel  verehrte  Gott  Marduk  iiunmelii  als  König  der  Götter  und  Herr 
der  Welt  an  die  Spitze  des  babylonischen  Tantheons  trat  Gerade 
diese  Tatsache  spiegelt  sich  nun  aber  in  dem  Weltschöpfungsepos 
inuma  iÜS  in  sehr  bezeichnender  Weise  wieder.  Es  wird  nämlich 
darin  sehr  ausführlich  erzählt,  wie,  nachdem  ältere  Götter  sich  teils 
geweigert  haben,  den  ICampf  mit  dem  Chaosungeheuer  Tiamat  aufsn- 
nehmen,  o^er  ohne  Erfolg  ans  diesem  Kampfe  zurückgekehrt  sind, 
der  jüngere  Gott  Haidok  sich  eibietet,  den  Kampf  gegen  die  lümat 
KU  wagen,  unter  der  Bedingimg,  daß  ihm  das  Beoht  der  obersten 
Schicksalsbesümmmig  gewfihrt  werde.  Die  Götter  treten  darauf  m 
einer  Versammlung  zusammon  und  bestimmen,  nachdem  sie  suvor  an 
einem  Uahle  sich  giUÜch  getan  und  sich  am  W^e  berauscht  haben, 
Marduk  zu  ihrem  YorkSmpf er  und  Bücher.  Zugleich  erkennen  sie  ihn 
als  obersten  ffimmelsgott  an  und  bringen  ihm  ihre  Huldigung  dar. 
Diene  ganse  Scene,  die  &st  homerisch  anmutet  —  wer  denkt  dabei 
nicht  an  die  olympischen  Götter,  die  sich  beim  Göttermahle  an 
Nektar  und  Ambrosia  laben?  —  stellt,  wie  gesagt,  eine  jüngere 
Zutat  SU  dem  filteren  Mytiius  dar,  und  zwar  eine  Zutat  ans 
semitischer  Hand.  Diese  Zutat  ist  nun  aber  so  fein  auf  das 
Ganze  abgestimmt  und  ist  so  im  Tone  des  alten  Göttermythus  ge- 
halten, daß  wir  dem  semitischen  Teifasser  ein  feines  Yerstfindnis  flSi 
das  Wesen  des  Mythus  und  tot  allem  au(di  die  gestaltende  Straft  der 
Phantasie  nicht  absprechen  können.  Wir  sehen  gerade  an  diesem 
Beispiele,  wie  wenig  Chamberlain  mit  seiner  so  allgemein  gehaltenen 
Behauptung,  dafi  jeder  Mythus  unter  semitischen  Binden  zur  histo- 
risdien  Chronik  werde,  Becht  hat  Wird  doch  hier  der  Mythus  nicht 
in  Historie,  sondern  vielmehr  die  Historie  in  Mythus  umgesetat  oder 
genauer  gesagt:  dem  historischen  Ereignis  wird  ein  mythischer  Hinter- 
grund gegeben. 

Wir  fürchten  nun  freilich,  daß  diese  ganze  Ausführung  auf 
Chamberlain  wenig  Eindruck  machon  würde.  Er  würde  sich  zur  Bp- 
klärung  des  Vorganges  einfach  auf  die  Rassenmischung,  die  zwischen 
Semiten  und  Sumerern  stattgefunden  und  den  Semiten  sumerisches 
Blut  zugeführt  hat,  berufen  und  uns  damit  durch  seine  bereits  oben 
gekennzeichnete  Hintertür  entschlüpfen.  Oder  noch  wahrscheinlicher^ 
er  würde  uns  vieUeioht  gar  nicht  zugestehen,  daß  hier  eine  wirkliche 
echte  Weiterbildung  eines  Mythus  vorliege,  sondern  lieber  von  Ent- 


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BABincB:  H.  St  Gtiamberlains  VontaUttn^  äber  die  Baügion  usw.  133 


Stellung  und  Zentönuig  des  Wesens  des  MyÜius  reden.  ^)  Denn  daß 
der  Mythus  ein  historisches  Element  in  sich  aufgenommen  hat, 
kann  ihm  nach  seinen  Yoraussetsnngen,  nach  denen  die  Religion 
überhaupt  mit  Geschichte  nidits  zu  tun  hat,  nur  als  eine  Ffilschung 
des  Mythus  gelten.  Damit  wäre  die  Frage  nun  freilich  ganz  und  gar 
auf  das  leligionsphilosophische  Oebiet  hinübergespiclt,  und  wir  sehen 
hier  zum  ersten  Male  deutlich,  wie  in  der  Auseinandeisetzung  mit 
Ghamberlain  schließlich  alles  davon  ahhän^  wie  man  sich  zu  sdner 
AufiRSSung  von  der  Religion  stellt.  Da  wir,  wie  wir  gleich  vorweg 
bemerken  wollen,  Chamberlains  Auffassung  von  der  Beligion  in 
keiner  TVeise  teilen,  und  jede  Beligion  für  minderwertig  halten,  in 
der  nicht  alles  irdische  (reschehen  und  somit  auch  die  Geschichte  in 
Beziehung  zu  dem  Göttlichen  gesetzt  wird,  so  würden  wir  uns  jeden- 
falls  nicht  entschließen  können,  in  dem  von  uns  angezogenen  Beispiel 
einen  Beweis  für  die  unter  semitischen  Händen  sich  vollziehende 
Degeneration  des  Mythus  zu  sehen,  und  müßten  aUen  etwaigen  Ein- 
'wendungen  gegenüber  an  nnseier  Auffassung,  nach  der  hier  eine 
echte  mythologische  Weiterbüdang  eines  filteren  Mythus  vorliegt,  fest- 
halten. 

Neben  solchen  "Weiterbildungen  des  Mythus  fehlt  es  nun  freilicli 
auch  nicht  an  Historisierungen  ursprünglicher  Mythen,  an  Ver- 
quickung mythologischer  Stoffe  mit  historischen  Elementen.  So 
spricht  z.  B.  vieles  dafür,  daß  es  sich  in  der  Sündflutgeschichte  ur- 
sprüüglicii  um  einen  Naturmythus  gehandelt  hat  der  den  Lauf  der 
Sonne  am  Himmel  zur  (irundlage  hatte  fvergl.  H.  Zimmern  in  Euerh. 
Schräders  Keilinschriften  u.  d,  A.  T.  S.  555).  Aber  schon  in  der 
uns  bekannten  babylonischen  Gestalt  der  Sage  ist  dieser  ursprüng- 
liche Himmelsmytlius  bereits  auf  die  Erde  verlegt,  ohne  daß  freilich 
die  mythologischen  Züge  schon  gänzlich  verwischt  wären.  Der  ur- 
sprüngliche Sonnengott,  der  in  seinem  Schiff  über  den  Himmelsozean 
dahinfiilir,  ist  zum  menschlichen  Heros  und  der  Himmelsozean  zur 
irdischen  Flut  die  ganz  in  der  Weise  einer  Sturmflut  geschildert 
wird,  gemacht  Oder  man  denke  an  das  G ilgamea-Epos,  in  dem 
es  sich  ursprünglich  um  einen  Sonnenmythus  handelte,  der  den 
Jahreslauf  der  Sonne  zum  Hintergrunde  hatte.  In  der  uns  vor- 
liegenden Gestalt  ist  nun  aber  mancherlei  Historisches  in  den  Mythus 


')  Vergl.  z.  B.  Dilettantismus.  T'asso,  Monotheismus,  Rom,  S.  64  Zeile  6  ff., 
wo  er  sich  dahin  äußert,  daß  ein  sohjluT  Um-  und  Au.sbau  alter  Volkstraditionen, 
wie  er  innerhalb  der  babylonischen  üiorarchie  gewili  stattgefunden  habe,  eine  Ver- 
uBätaitong  bis  zur  Unkenntlichkeit  bedeute. 


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134 


Aufsätze 


hinein  verflochten ;  ja  der  Mythus  ist,  wie  Zimmern  a.  a.  0.  S.  580 
sich  ausdrückt,  geradezu  auf  einzelne  historische  Tatsachen  und  Ge- 
stalten übertragen.  So  ist  die  Gestalt  des  Sonnenheros  Gilgameä  mit 
der  eines  alten  Königs  von  Erech  verknüpft  und  wahrscheinlich 
spiegeln  sich  auch  historische  Kämpfe  der  Babylonier  gegen  die 
Elamiter  in  dem  Epos  wider.  Aber  ich  frage:  sind  das  denn  Er- 
scheinungen, die  sich  nur  bei  den  Semiten  finden?  Erscheint  die 
Sündflut  in  den  betreffenden  Sagen  der  andern  Völker  nicht  ebenso 
wie  bei  den  Babyloiiiem  und  den  Israeliten  als  ein  auf  der  Erde 
sich  abspielendes  historisches  Ereignis?  Und  zeigt  nicht,  um  etwas, 
das  uns  besonders  naheliegt,  zu  nennen,  das  Nibelungenlied  eine 
besonders  charakteristische  Mischung  historischer  und  mythischer  Ele- 
mente? Welcher  ungelehrte  Leser  denkt  denn  jetzt  noch  daran,  daß 
es  sich  bei  Siegfried  ursprünglich  um  einen  Sonnengott  oder  der- 
gleichen geiiandelt  hat? 

Es  wäre  für  unsere  Untersuchung  sicherlich  von  nicht  geringer 
Bedeutung,  wenn  unsere  Kenntnisse  über  die  Religion  der  in  Bezug 
auf  Kasse  wohl  ziemlich  reinen  Südaraber  bereits  zu  einem  be- 
friedigenden Abschlüsse  gekommen  wären.  Immerhin  verdanken  wir 
den  Forschungen  Glasers,  Hommkls  u.  a.  die  gesicherte  Einsicht,  daß 
die  Semiten  Südarabiens  es  schon  im  zweiten  vorchristlichen  Jahr- 
tausend zu  einer  respektablen  Kultur  —  man  denke  nur  an  den 
Staat  der  Minäer  —  gebracht  hatten  und  sich  im  Besitz  einer  reich 
entwickelten  Religion  befanden,  deren  ganzer  Charakter  das  Yor- 
handenaein  einer  ausgebildeten  Mythologie  vermuten  Ifißt,  veigLdasa 
0.  Webbr,  Arabien  yor  dem  Islam  (a.  u.  d.  Der  Alte  Oiient, 
Jahrg.  m,  Nr.  1)  S.  18.  Oewifi  ist  «noh  hier  mit  altbabylonisdieii 
Binüflssen  rechnen,  aber  die  Ton  dort  kommenden  Anregungen 
sind  hier  augenscheinlich  In  so  selbstSndiger  nnd  eigenartiger  Weise 
yerarbeitet,  daA  wir  nns  jedenfsUs  htUsn  müssen,  den  Semiten  in 
Bansoh  nnd  Bogen  jede  Empfänglichkeit  und  jedes  Yerstfiadnis  für 
my&ologische  Gedanken  ahsnsprechen. 

Etwas  anders  scheint  es  ja  nun  freilich  bei  den  Israeliten  zu 
stehen.  Obwohl  die  sahireichen  mythologischen  Anklänge  im  Alten 
Testament  und  die  nicht  seltenen  Übertragungen  mythologischer  Züge 
auf  Jahye  (vergl.  zahlreiche  Beispiele  bei  GtjmatL,  Schöpfung  und 
Chaos,  S.  29  ft)  für  das  Eindringen  mythologischer  Gedanken  und 
für  die  sehr  weit  gehende  Geneigtheit,  die  altorientalischen  Mytho> 
logien  anzimehmen  nnd  sich  zu  assimfliercn,  ein  deutliches  Zeugnis 
ablegen,  zeigen  gerade  die  (Tigeschiöhten  der  Genesis,  die  zum  Teil 
direkt  auf  mythologische  Vorbilder  zurückgehen,  und  bei  denen  man 


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Babubcb:  U.  8t  GhanboslaiiiB  TantdlimKen  fib«r  die  BeUgion  usw.  185 


daher  die  meisten  mythologischen  Züge  erwarten  müßte,  einen  auf- 
fälligen ilangel  an  solchen.  Wohl  schimmern  sie  durch  die  Ober- 
fläche noch  hier  und  da  hindurch,  aber  sie  sind  so  vertuscht  und 
Tcrhüllt,  daß  sie  eigentlich  nur  dem  religioüsgeschichtlichen  Forscher 
erkennbar  sind.  So  machen  in  der  Tat  die  ursprünglich  mytho- 
logischen und  symbolischen  Gebilde  den  Eindruck  Ton  Historien,  die 
▼OD  Dingen  und  Ereignissen  melden,  die  genau  so  geschehen  sein 
sollen,  wie  dazin  berichtot  wird.  Der  für  alles  menschliche  Begreifeii 
nnfiiBbare  Yoigang  der  Wdtsohöpfung.  über  den  man  nur  in  Bildern 
und  aadentottder  Symbolik  reden  kann,  wird  hier  zu  einer  wirklichen 
Historie,  deren  einzelne  Akte  sich  in  greifbarer  Deutlichkeit  vor 
unsem  Augen  abspielen.  Der  mythische  Göttoigarten  oder  das  Paradies 
wird  anf  ein  bestimmtes  Stück  Erde  veraetot^  und  seine  Tier  Ströme 
werden  abenteueriich  genug  mit  vier  irdischen  Strömen  identifiziert 
Aus  dem  bösen  Schlangendimon,  der  die  Plfine  des  Schöpfergottes 
listig  durchkreuzt,  wird  eine  wiikliche  Schlange,  ein  Tier  des 
Feldes,  das  sich  von  den  fibrigen  nur  dadurch  unterscheidet,  daß 
es  UOger  ist  als  sie  und  reden  kann.  In  diesem  Sinne  —  in 
jedem  andern  wäre  es  unsinnig  —  redet  Chamberlain  nicht  ohne 
Becht  Ton  einem  massiTen  Materialismus  der  biblischen  Yorstellungen; 
wir  würden  es  lieber  nennen:  Haterialisierung  der  ursprüng- 
lichen Mythen. 

Stimmen  wir  nun  soweit  in  diesem  Punkte  mit  Chamberlain 
auch  ganz  überein,  so  möchten  wir  in  der  Beurteilung  dieser  Er- 
scheinungen uns  doch  auf  einen  etwas  anderen  Standpunkt  stellen. 
Chamberiain  suchte  wie  wir  gesehen  haben  (&  S.  22  dieser  Zeitschrift) 
diesen  Materialisierungsproaefi  ans  der  BeschrKnktheit,  ja  einer  ge- 
wissen Borniertheit  des  israelitischen  Geistee  heraus  zu  erklären. 
Denn  darauf  läuft  es  doch  am  Ende  hinaus,  wenn  er  S.  399  sagt: 
»Ton  all  den  tiefen  Ideen,  welche  sinnende  und  sinnige  Gemüter  in 
diese  Erzählungen  (gemeint  sind  die  Erzählungen  in  Oen.  1—3) 
hineingeheimnifit  hatten,  merkten  die  Semiten  gar  nichts,  so 
rein  gar  nichts,  dafi  die  Juden  z.  B.  die  Vorst«  llnng  eines  bösen 
Geistes,  dem  guten  entgegengesetzt,  erst  während  der  babylonischen 
Gefangenschaft  durch  Zoroaster  kennen  lernten,  bis  dahin  hatten  sie 
in  der  Schlange  ihrer  Bibel  eben  lediglich  eine  Schlange  erbhcktt 
Wir  sind  dagegen  der  Überzeugung,  daß  die  israelitischen  Pricstor, 
oder  wem  wir  sonst  die  gegenwärtige  Formulierung  der  Sündenfall- 
geschichte  ▼«rdanken,  um  den  ursprünglich  diimonischen  Charakter 
der  Schlange  recht  wohl  Bescheid  gewußt  haben.  Wenn  die  Schlange 
jetzt  als  Tier  des  Feldes  erscheint  —  was  ja  in  der  Tat  keine  Yer- 


136 


AnfBltie 


bessenmg  bedeutet^)  —  so  liegt  das  daran,  daß  man  der  Schlange 
des  MTthus  den  dSmonisohen  Charakter  mit  vollem  Bewußtsein  ab- 
gestreift oder  doch  abzostreilaii  gesucht  hat,  weil  nadi  der  isiaeliti- 
sehen  Überzeugung  für  eine  Scfalangengottlieit  oder  einen  Schlingen- 
dSmon  neben  Jahve  eben  kein  Baum  war.  Mag  nun  nach  Chamber- 
lain  diese  Übeneuguug  selbst  wieder  ein  Zeichen  bedauernswerter 
Beschrünkth^t  sein,  worauf  es  hier  znnfiohst  ankommt,  ist,  zu  be- 
tonen, daß  es  sich  in  diesem  Zuge  nicht  am  eine  ans  Borniertheit 
entsprungene  Veikennong  eines  mjthologischen  Elementes,  nicht  um 
ein  >Nichtm6rken€,  sondern  nm  euie  anf  genanestem  Yerstindnis 
desselben  bemhende^  bewußte  Pdemik  dawider  handelt  Genau  so 
yerhilt  es  sich  mit  dem  Sohöpfungsbericht  in  Gen.  1.  Es  ist  durch- 
aus einseitig  und  ungerecht,  darin  ledi^ch  eine  plumpe  Terball- 
homisierang  und  phantasielose  Mateiialisiemng  des  zarten  mythisch- 
symbolischen  sumerischen  Urbildes  zu  sehen,  wie  es  der  Phantasie 
Chamberlains  Torschwebt  (8.  399).  Ich  sage  mit  Tollem  Bewußtsein 
tder  Phantasie  Chamberlainsc,  denn  weder  er  noch  sonst  jemand  hat 
ein  irgendwie  sicheres  Wissen  um  den  zu  Grunde  Menden  sumeri- 
schen Kytlins.  Wir  kennen  diesen  Mythus  nur  in  seiner  semitischen 
Gestalt,  wie  sie  nns  in  dem  babylonischen  Schöpfongsmythus  inoma 
ilü  erhalten  ist  Inmierhin  werden  wir  aber  annehmen  dfiifen,  daß 
diese  semitische  Gestalt,  in  der  der  alte  sumerische  Mythus  gewiß 
auch  den  Israeliten  erst  bekannt  geworden  ist,*)  wenigstens  in  den 
Grundzflgen  (personifiziertes  Wasserchaos,  Theogonie,  Kampf  des 
Schöpfergottes  mit  dem  Wasserungeheuer  und  Spaltung  desselben  in 
zwei  Hälften,  Reihenfolge  der  Schdpfungswerke)  mit  dem  alten  sume- 
rischen Mythus  übereinstimmte,  so  daß  eine  Vergleichung  des  bib- 
lischen Berichtes  mit  dem  babylonischen  Mythus  uns  den  Abstand 
dieses  Berichtes  wie  von  dem  babylonischen  Mythus  so  auch  von 
seinem  sumerischen  Urbilde  zeigen  wird.  Eine  solche  Vergleichung 
zeigt  uns  aber  wieder  auf  das  deutlichste,  daß  der  biblische  Bericht 


')  Diese  Auffassung  hat  sich  darum  auch  nie  recht  durdusotzun  können.  In 
8ap.  iSal.  2  v.  24  wird  die  Schlange  mit  dem  Teufel  identificierl,  ebenso  im  N.  T. 
(E7.  Joh.  8  T.  44,  Boo.  16  20,  Apok.  13  t.  9  usw.),  im  spitonn  Jodentom  und 
in  der  ohiistUohMi  Kivohe.  Wir  amd  der  Übeneagnogi  daß  auch  aohon  das  alte 
Israel,  das  man  nicht  ohne  weiteres  nach  dem  Erzähler  yon  Gen.  3  beurteilen 
darf,  hinter  der  Schlange  immer  etwas  mehr  gewittert  hat  als  ein  Tier  dos  F'oldes. 

*)  In  Dilettantismus,  Rasse,  Monotheismus,  Rom  S.  ü4  nimmt  Chamberlain  an, 
daß  Om.  1  fast  Wort  für  Wort  auf  den  uralten  sumerischen  Bericht  surückgehe. 
Das  iat  andh  von  andam  aohon  ▼emniiat,  läßt  aioh  alwr  nidht  bawaiaeo«  und  iat  aa 
sich  nicht  sehr  wahrscheinlich,  da  die  in  Gen.  1  TOiÜegonde  Oaatalt  daa  SohöpfungB- 
behohtea  ztomlich  jung  iat  (ca.  500  Chr.). 


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Baettsch:  H.  St.  Chamberiatns  Yorstellunjcen  über  die  Keligion  usw.  137 


auf  dem  "Wofrc  bewußter  und  konsequenter  Ausstoßung  aller  poly- 
theistischen und  mythologischen  Elemente,  die  sich  nun  einmal  mit 
dem  monotheistisch  gearteten  Gottesbewußtsein  des  israelitischen  oder 
jüdischen  Erzählers  nicht  vertrugen,  zu  stände  gekommen  ist^  und 
zwar,  wie  ich  hier  gleich  hinzufügen  will,  nicht  etwa  von  heute  auf 
morgen,  sondern  sehr  allmählich,  auf  dem  Wego  eines  langen  reli- 
gionsgeschichtlichPH  Prozesses  zu  stände  gekommen  ist.  Wie  dem 
nun  auch  sein  möge,  wir  mü.ssen  jedenfalls  dabei  bleiben :  nicht  der 
Phantasielosigkeit,  der  eingefleischten  Vorliebe  für  das  Platte,  Greif- 
bare. Alttägliche  und  Massive  ist  das  mythische  Chaosungetüm  und 
die  bunte,  in  den  Weltlauf  verflochtene  Götterwelt  des  babylonischen 
Mythus  zum  Opfer  gefallen,  sondern  diese  Dinge  sind  wie  wesenlo.se 
Schemen  vor  dem  Lichte  der  höheren  und  reineren  (iotteserkenntnis, 
die  wir  trotz  Chamberlain  den  Israeliten  nun  einmal  zuschreiben 
müssen,  in  das  Nichts  vergangen,  in  das  sie  gehören,  Mjig  bei  der 
Umsetzung  ins  Monotheistische  mancher  schöne  poetische  Zug, 
mancher  tief  spekulative  Gedanke  des  alten  Mythus  verloren  ge- 
ganjjen  sein,  so  entschädigt  reichlich  dafür  die  viel  höher  und  reiner 
geartete  Religiosität,  die  den  biblischen  Bericht  vom  Anfange  bis  zum 
Ende  durchweht  und  die  ihn  weit  über  alle  Kosmogonien  erhebt, 
die  uns  bis  jetzt  bekannt  sind.  Oder  meint  Chamberlain  wirklich, 
daß  auch  nur  eine  dieser  Kosmogonien  dem  religiösen  Gemüt  Be- 
friedigung gewähren  und  das  Gefühl  der  Andacht  in  einem  Menschen- 
herzen  auslösen  werde?  Wir  werden  gewiß  viele  dieser  Kosmogonien, 
darunter  auch  die  sumerisch-babylonische,  höchst  interessant  finden 
ab  Denkmäler  einer  großen  Vergangenheit,  als  Zeagnisse  einer  von 
den  meisten  bisher  nicht  geahnten  EntwicUungshQbe,  die  der  den- 
kende Mensehengeist  schon  vor  Jahrtsosenden  t.  Chr.  erUonunen 
hat,  wir  werden  die  Oedankentiefe  und  den  wdtom&ssenden  Geist, 
der  sich  in  manchen  von  ihnen  offenbart,  rttckhaltslos  bewundern, 
tber  bei  aller  Bewnndenmg  wird  unser  Hers  ihnen  gegenCLber  kalt 
bleiben.  Sie  gehören  fttr  ans  alle  der  Geschichte  an.  Die  in  ihrer 
Einfachheit  majestfttische  biblische  Ensfthlung  in  Gen.  1  verfehlt  da- 
gegen noch  heute  ihre  Wirkung  auf  religiös  empfindende  Menschen 
nidit  und  wird  sie  behalten,  solange  es  solche  Menschen  auf  Erden 
gjbti)  Und  mag  man  femer  über  die  vom  ErsUüer  von  QetL  3  unter 

')  Natürlich  darf  man  Gen.  Ij  dann  aber  nicht  übersetzen  wollen,  wie  es 
Qiamborlain  in  Dilettantismus,  R^isse  usw.  S  02  f.  petan  hat,  njimlieh  folf^ender- 
Ba&ea:  Als  zu  Beginn  die  Dämonen  da»  £rdreich  und  das  LuftreicL  ausschieden 
OiinM  ans  dem  ünneerX  da  gesobah  folgendes  nsw.  In  dieser  Übenetsong  des 
iHliiiaohen  Textee  vom  Gen.  1,  boXL  sich  sn^eioh  des  eUsamensehe  Oiiginal  wider- 


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138  Anftttie 


die  Tiere  des  Feldes  gerechnete  redende  Schlange  seine  Glossen 
machen,  die  Sündenfallgeschichte  mit  ihren  von  bewunderungs- 
würdigem psychologischen  Tiefblick  zeugenden  Ausführungen  (vergL 
aamentUch  Gen.  3,  1 — 6),  die  wir  trotz  der  auch  von  uns  an- 
genommenen Abhängigkeit  von  Babylon  in  Einzelheiten  als  Ganzes 
doch  fOr  des  ianelitiflohen  Erzählers  ureigenstes  Eigentum  halten,  ge- 
hört nun  einmal  sa  den  Perlen  religiöser  BisihlDngskimBt  aller  Zeiten 
nnd  Völker.  TTnd  mögen,  um  andi  das  noeh  zu  erwähnen,  die  bib- 
lischen Berichte  nach  Abstreifiuig  des  mythisch- siymbolisdien  Ge- 
wandes inmieriiin  den  Eindrack  Ton  Historien  machen,  die  als  so  ge- 
schehen ^änbig  hingenommen  werden  wollen  —  IQr  den  Sohöpfongs- 
bericht  in  Gen.  1  hat  das  Alte  Testament  selbst  diesen  Schein  ser- 
stört;  denn  indem  es  in  Gea  2  dem  eisten  Schöpfungsbericht  einen 
sweiten  mit  euier  ganz  anderen  Reihenfolge  der  Werke  und  über- 
haupt mit  einem  ganz  anderen  Oharakter  beigeseUte,  hat  es  fOr  jeden 
der  sehen  kann  nnd  will,  den  dorohaas  subjektiTen  nnd  poetischen 
Ohankter  beider  ins  hellste  lacht  gestellt  und  uns  damit  zu  einer 
weitherzigen  Betrachtung  der  Einzelheiten  die  Anleitung  gegeben. 
Wenn  spätere  Eiferer  sich  auf  den  Buchstaben  von  Gen.  1  yersteift 
und  jede  Abweichung  daron  als  fluchwttrdige  Ketzerei  gebiandmarkt 
haben,  so  ist  das  des  Alten  Testamentes  Schuld  jedenfslls  nicht 

So  haben  wir  also  mit  Bezug  auf  den  eisten  Funkt  gesehen,  daft 
Ghamberiains  Ausfahrungen  mancher  Einschränkung  bedfiifen.  Gewift 
sind  die  Semiten  tou  Hause  aus  nicht  geiade  spekulatiT  beanlagt 
und  Begründer  einer  originalen  l^ythologie  gewesen.  Was  wir  an 
Mythologie  bei  ihnen  finden,  geht  schHeSlich  alles  auf  die  altorien- 
talische Weisheit  zurück,  die  ün  babylonischen  Tiefland  seit  unvor- 
denklichen Zeiten  ihren  Sitz  hatte  nnd  von  da  aus  schon  früh  sich 
nach  allen  Himmelsgegenden  hin  (sogar  bis  Indien,  und  wahrschein- 
lich auch  bis  nach  China  im  Osten  und  nach  Ägypten  und  Griechen- 
land im  Westen)  verbreitete.  Aber  es  ist  nicht  so,  dafi  der  über- 
kommene mythologische  Besitzstand  von  den  Semiten  aus  totalem 
Mangel  an  Verständnis  in  Grund  und  Boden  verderbt  und  die  Mythen 
in  historische  Chronik  umgesetzt  seien.  Wenigstens  die  babvlonischea 
Semiten  haben  das  mythologische  Erbe  der  Sumerer  behütet  und  in 
ihier  Weise  weitergebildet,  und  für  die  Südaraber  wird  das  Gleiche 
anzunehmen  sein.  Ein  ausgesprochen  antimythologischer  Zug  läfit 

spiegttfai !  Diese  Übezeetnuig  ist  natariioh  trots  dae  beigebrachten  gelehiten  Mato- 
riales  gelinde  gesagt  leine  'WlUkflr  und  Phantasie.  Der  ebiiige  Punkt,  in  dem  ioh 

Chaniborlain  hier  beistimmen  kann,  ist  der,  daß  in  Gen.  1,  f.  von  einer  Schöpfung 
der  Welt  aus  nichts  nicht  eigentlich  die  Bede  ist   Das  Chaos  wird  vonuugeeetzt 


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WnTKBWAU):  Das  Schoiweseo  des  Kantona  Baselstadt 


139 


sich  nur  bei  den  Israeliten  wahrnehmen,  aber  er  erklärt  sich  hier 
nicht  sowohl  aus  einem  völligen  Unvermögen,  die  Mythen  zu  ver- 
stehen, sondern  aus  dem  tiefinnersten  Wesen  ihrer  Religion,  die  bei 
ihrem  ausgesprochen  monotheistischen  Zuge  aUes  Mythologische  und 
Polytheistische  von  sich  abstoßen  mußte. 

Freilich  sieht  ja  nun  Chamberlain  g'erade  im  israelitischen  Mono- 
theismus ein  besonders  charakteristisches  Merkmal  des  Tiefstandos 
dieser  Religion  und  wird  demgemäß  auch  in  der  Polemik  dieser 
Religion  gegen  Fulytheismus  und  Mythus  nur  ein  Zeichen  von  Platt- 
heit und  Borniertheit  sehen  wollen.  Das  erinnert  uns  von  neuem 
daran,  daß  der  Entscheidimgskampf  auf  einem  andern  Felde  auszu- 
tragen sein  wird.  Ehe  wir  uns  dazu  anschicken,  haben  wir  zuvor 
zu  sehen,  ob  Chaniberlains  Charakteristik  der  Religion  Israels  hin- 
sichtlich der  nocfh  nicht  erledigten  Punkte  besser  Stich  hält,  als  mit 
Bezug  auf  den  ersten.  (Forts,  folgt) 


Das  Solmlwesen  des  Kantons  Baselstadt 

Von 

I>r.  X.  Wettcrwald-Baael 
(SoUnA) 

AuAer  den  besprochenen  staatlichen  Schulen,  die  auf  Ende 
Deiember  1902,  abgesehen  ron  den  EleinldndeianBtalten,  20641  Kinder 
unter  556  LehiMften  sihlten,  besltet  fiasel  noch  eine  Anzahl 
PriTatsehnlen  ffir  Kinder  der  TöUcBschule  sowohl  als  fOr  die  reifere 
Jugend,  ünter  den  ersteren  ist  die  bedeutendste  die  freie  eyan- 
gelische  Yolksschnle,  die  im  veiflossenen  Jahr  in  den  vier  Pximap 
Uassen  99  Knaben  und  99  Mädchen  nnteiriohtete;  in  der  daran  sich 
anachlieftenden  TSchtereohnle  befanden  sich  in  6  Klassen  168  SchfUe- 
nnnen.  Die  flbiigen  Ptivatschnlen,  von  Damen  geleitet,  nehmen  nur 
Iffidchen  anf  nnd  haben  zum  nur  eine  kleine  Zahl  von  Schüle- 
rinnen. Die  Schulen  in  den  Hissionskinderhäusem  werden  vozzug»- 
weise  von  auslSndischen  Kindern,  Knaben  und  Ißidchen,  besucht;  die 
Oeeamtsahl  betrug  auf  Ende  des  letzten  Schuljahres  in  acht  Jahr- 
gingen 50  Knaben  und  41  Mfidchen. 

Der  Heranbildung  tou  Predigern  und  Missionaren  dienen  die 
evangelische  Missionsanstalt  (90  Zöglinge  im  Alter  von  18—29  Jahren), 
die  evangelische  Predigerschule  (28  Schüler)  und  die  Pilgennission 
zu  St  Chriscbona  (58  Zöglinge  und  8  Hospitanten). 

Eine  besondere  Erwähnung  yerdienen  die  beiden  privaten  Taub- 


% 

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140  AufiriUxe 


stumme  11  an  stalten,  von  denen  jede  durch  eine  besondere  Kom- 
mission orlialten  und  beaufsichtigt  wird.  Die  altbewährte  Anstalt  in 
Riehen  zählte  auf  Eude  des  Jahres  1902  21  Knaben  und  22  Mädchen, 
die  iu  vier  Klassen,  jede  mit  zweijährigem  Kursus,  von  vier  Lehrern 
und  einer  Lehrerin  unterrichtet  werden ;  das  Alter  der  Kinder  Tarüert 
zwischen  8  und  17  Jahren.  Die  Anstalt  in  Bettingen  dieot  der  An»- 
bildung  schwachbegabtear  taabstnmmer  Kinder;  sie  sfihlte  8  Knaben 
nnd  6  Ifidchen,  die  im  Alter  Ton  6  bis  17  Jahren  standen.  —  Für 
die  Aasbildnng  solcher  Kinder,  die  so  sohwadi  sind,  daß  sie  in  den 
SpezialUassen  der  stidtischen  Sohulen  nicht  fort  kommen  können,  be- 
steht die  Anstalt  mr  EofiEnnng,  in  der  Stadt  gelegen,  in  der  sich 
anf  Ende  des  lotsten  Jahres  13  Knaben  nnd  8  Hfidchen  beiMiden.i) 

Der  weiteren  Fortbildung  in  den  fremden  Sprachen  —  Französisch, 
Bnglisch  und  Italienisch  —  dienen  die  Sprachkurse  ffir  Jfbiglinge 
und  Tochter,  die  Ton  der  Gesellschaft  des  Guten  und  Gemeinntttzigeii 
unterhalten  werden  und  die  sich  eines  sehr  guten  Besuches  erfreuen. 

Für  die  musikalische  und  kommerzielle  Aus-  und  Fortbildung 
sorgen  die  der  Gesellschaft  des  Guten  und  Gemeinnützigen  unterstellte 
Allgemeine  Musikschule,  die  unter  einem  besonderen  Bektorate 
stehende  Schule  des  kaufmännischen  Yereins  und  die  Wide- 
mannscfae  Handelsschule;  alle  drei  Anstalten  sind  privater  Natur, 
haben  eine  bedeutende  Ausdehnung  und  entbüten  eine  sehr  an* 
erkennenswerte  Tätigkeit 

Der  Besuch  sämtlicher  staatlicher  Anstalten,  also  auch  derjenigen, 
die  über  das  schulpflichtige  Alter  hinausgehen,  wie  obere  Realschule, 
oberes  Gjnmasium  und  obere  Töchterschule  samt  den  Fortbildungs- 
klassen, ist  unentgeltlich  und  zwar  auch  für  solche  Schüler,  die  in 
anderen  Kantonen  oder  gar  im  benachbarten  Elsaß  oder  Großherao^p- 
tum  Baden  wohnen.  Die  allgemeine  Gewerbeschule  erhebt  von  ihren 
Schülern  nur  eine  Einschreibgebühr,  die  bei  regelmäßigem  Schul- 
besuch am  Schluß  des  Semesters  wieder  zurückerstattet  wird;  nur 
solche  Scliüler  und  namentlich  Rchülorinnen,  die  den  Unterricht  nicht 
zum  Zwecke  ihrer  beruflichen  Ausbildung,  sondern  bloß  als  Diiettanteii 
besuchen,  haben  ein  bescheidenes  Schulgeld  zu  bezahlen. 

Zu  dieser  ünentgeltlichkeit  des  Schulbesuches  kommt  für 
sämtliche  Schulen  des  schulpflichtigen  Alters,  also  auch  für  die 
untere  Realschule,  das  untere  Gymnasium  und  die  untere  Töchter- 
schule die  unentgeltliche  Abgabe  sämtlicher  Schreib-  und 


*)  Diese  Anstalt  wird  nun  nach  Biehen  verlegt;  flia  NevlNni  ist  im  Eattleheii 
begriffen  und  kann  nAobstee  Jahr  beaogen  werden. 


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WsmawAU):  Das  Schulwesen  des  Kantons  Basektadt 


Ul 


Zeichenmaterialion,  sowie  der  Schulbücher.  Außerdem  können 
gut  empfohlene  Schüler  der  oberen  Klassen  Stipendien  erhalten,  die 
sowohl  vom  Staate  als  von  Zünften  verabfolgt  werden.  Die  privaten 
Schulanstalten  müssen  natüi'lich  ein  Schulgeld  erheben,  da  die  Be- 
soldung ihrer  Lehrkräfte  vorzugsweise  aus  diesen  Einnahmen  be- 
stritten wird. 

Man  wird  leicht  einsehen,  daß  diese  weitgehende  Fürsorge  des 
Staates  für  die  Ausbildung  der  Jugend  namentlich  für  die  unteren 
Tolksklassen  eine  große  Wohltat  bedeutet  und  es  jedem  braven, 
fleiüigen  und  begabten  Kinde  ermöglicht.,  sich  eine  gute  Schulbildung 
zu  erwerben  imd  sich  so  die  Grundhige  für  eine  rechte  Lebensstellung 
zu  siehern.  Wenn  man  außerdem  nocii  bedenkt,  wie  vom  Staat,  von 
verschiedenen  Stiftungen  und  Gesellscliuften  durch  P>inrichtung  von 
Ferien-  und  Abendhorten,  durch  Abgabe  von  Kleidern  und  Schuhen, 
von  Milch  und  Brot  während  der  Fcrioii,  von  Suppe  in  den  Winter- 
monaten, durch  Ferienkolonien  für  arme  Kinder  gesorgt  wird,  so  wird 
man  vielleicht  auch  darin  einen  (»rund  für  den  Zug  nach  der  Stadt 
und  besondei^s  nach  der  durch  ihre  private  Woldtatigkeit  bekanuteu 
Stadt  Basel  erkennen  können. 

Den  Schlußstein  in  den  Unterrichts-  und  BildungsansUüten  des 
baselstädtüschen  Gemeinwesens  bildet  die  Universität  Sie  erfreute 
t^ich  von  jeher  der  besonderen  Förderung  imd  Pflege  von  Behörden 
und  Bürgerschaft,  und  eine  lange  Reihe  von  Professoren,  die  aus 
alten  Basler  Geschlechtern  hervorgegangen  sind,  förderte  den  Buhm 
und  die  wissensduifüiche  Bedeutung  dieser  Bfldungsst&tte.  Im  Winter- 
«emeeter  1901/02  haben  in  den  vier  yeiBcfaiedenen  lUraltiten  91 
Dozenten  in  813  wöcbenfliohen  Stunden  zusammen  201  Kollegien 
gelesen;  im  Sommetsemester  1902  waren  es  87  Dozenten  mit  955 
wdehentlioben  Standen  und  211  Kollegien.  Das  Mazimnm  der  Zu- 
hdrer  in  einem  Kolleg  betrug  87  bezw.  73  nnd  fiel  auf  die  matfae- 
matisch-natnrwissenschaftliche  Abteilung  der  philosophischen  Fakultät 
Die  Zahl  der  Stadierenden  betrug  im  Wintersemester  1902/03  560, 
•daninter  10  Damen,  und  zwar  entfielen  anf  die  theologische  Büraltät 
40,  anf  die  juristische  00,  auf  die  medizinische  147  (5  Damen)  und 
auf  die  philosophische  313,  worunter  5  Damen.  Ton  diesen  560 
Studierenden  waren  Basler  189  (3),  weitere  Schweizer  223  (7)  und 
Ausländer  148,  wovon  96  auf  das  deutsche  Reich  fallen.  —  Außer 
den  Voiiesungen  dienen  der  praktischen  und  wissenschaftlichen  Aus- 
bUdung  die  Kliniken,  Seminarien  und  Laboratorien.  Im  Dienste  der 
Universität  stehen  femer  das  naturhistorische  Museum,  die  ethno- 
gn^htsehe  Sammlung,  das  historische  Museum,  die  Kunstsammlungen 


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142 


Aufsätze 


und  die  Bibliothek  mit  242219  Bänden  —  ohne  Manuskripte  und 
Dissertationen  — ,  die  in  einem  prachtvollen  Neubau  neben  dem 
Bemoullianura  (Institut  für  Physik  und  Chemie)  untergebracht  ist 

Zum  Schlüsse  erwähnen  wir  noch  das  Basler  Lehrerseminar 
oder  die  Fachkurse  zur  Ausbildung  von  Piiniarlehrem,  wie  der 
offizielle  Name  der  Anstalt  heißt.  Zum  Eintritt  in  diese  Bildungsstätte 
ist  der  Besitz  des  Maturitätszeujinisses  notig.  In  drei  halbjährigen 
Kursen  werden  die  Kaiuiiduton  auf  das  Primarlehrer- Examen  vor- 
bereitet. Auiier  den  speziellen  pädagogischen  Fächern  und  Übungen 
besuchen  sie  nach  freier  Wahl  Vorlesungen  an  der  Universität,  wo 
sie  als  ordentliche  Studenten  immatrikuliert  sind. 

Die  Aufsicht  über  alle  öffentlichen  und  privaten  Schulen  und 
die  Ausführung  des  Schulgesetzes  liegt  dem  Erziehungsdepartement 
ob.  Zur  Orientierung  für  niobtschweizerische  Leeer  sei  beigefügt^ 
daß  die  oberete  d.  h.  die  gesetzgebende  Bebttrde  des  Eanim  Bind 
stedt  der  Große  Bat  ist  Diejenige  Behörde,  die  mit  der  YoMehDiig 
der  Gesetie  betrsat  ist,  also  die  nach  Departementen  abgegrenstm 
Gesdiäfto  des  Gemeinwesens  besorgt,  ist  der  ans  7  Mitgliedern  be- 
stehende und  alle  drei  Jahre  vom  Volke  gewählte  Regierungsiat 
Siner  dieser  Begierungsräte  ist  Yorsteher  desEniehungswesens;  ihm 
ist  der  vom  Großen  Bat  aof  eine  Amtsdauer  von  drei  Jahren  ge- 
wählte Eiziehungsrat  beigegeben,  den  er  präsidiert  Der  Ersiehtmge- 
rat  wirkt  mit  beim  Entscheide  aller  aof  die  Oiganisation  des  ünter- 
riehtsweeens  beEflglidien  Fragen;  es  eriäßt  mit  Genehmigung  dee 
Begienmgsrates  die  zur  AnsfOhrung  des  Sohulgesetses  eifordeilichen 
Ordnungen  und  Be^emente;  er  trifft  die  ihm  durch  das  Gesets  «!• 
gewiesenen  Wahlen  und  macht  die  gesetzücben  WahlvorsehUige.  Eemer 
bestimmt  er  die  Besoldungen  nnd  bewilligt  die  Besoldungsechöhungen 
innerhalb  der  gesetslichen  Grenzen  und  stellt  die  geeigneten  Anträge 
an  den  Begierungsrat  beztiglioh  Erleichterung,  Pensioniening  nnd  Ent- 
lassung von  Lehrern;  er  bestimmt  auch  auf  Antrag  der  unteren  Be- 
hörden den  Gebnmdi  der  obligatoxischen  Lehrmittel. 

Fär  die  besondere  Beaufidohtignng  der  einzelnen  Schulanstalten 
wählt  der  Begierungsrat  für  jede  derselben  eine  Kommission  oder 
Inspektion  ron  mindestens  fünf  MitgUedem.  Nach  einem  kürzlich 
erfolgten  Beschluß  des  Großen  Bates  werden  in  Zukunft  für  die 
Mädchenschulen  auch  F^uen  in  diese  Behörden  gewählt  Außerdem 
wählt  der  Regierangsrat  auf  eine  Amtsdauer  von  sechs  Jahren  für 
jede  Schulanstalt  einen  Vorsteher;  für  die  Primarschulen  heißen  die- 
selben Inspektoren,  für  die  mittleren  und  oberen  Schulen  Bektoren. 
Die  ScholTorsteher  wohnen  den  Sitzungen  ihrer  Inspektionen  mit  be- 


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ÜNIVEKoiTY 

OF 


TSTinTiswAU):  Das  Sobnlwieaen  de»  Kantons  Baselstadt 


US 


ratender  Stimme  bei  und  besorgen  das  Sekretariat :  sie  ordnen  und 
beaufsichtigen  (ien  Schulbetrieb,  besorgen  das  Kechnungswesen,  machen 
Schulbesuche  bei  den  ihnen  unterstellten  Lehrkräften,  leiten  die 
Lehrerkonferenzen  und  besorgen  die  internen  Schulgeschäfte,  wie 
große  Schulanstalten  sie  mit  sich  bnngen.  —  Jode  lns})ektion  leitet 
in  Verbindung  mit  dem  Schulvorsteher  die  ihr  untei'stellte  Schule 
nach  Vorschrift  der  Gesetze,  der  Schulordnungen  und  der  Beschlüsse 
des  Erziehungsrates,  sie  berichtet  über  Anstellung.  p]rleichterung, 
Pensionierung,  Entlassung  der  Lehrer  an  den  Erziehungsrat;  sie  stellt 
nach  Anhörung  der  Lehrerschaft  Antrage  an  den  Erziehungsrat  über 
den  Gebrauch  der  obligatorischen  Lehrmittel.  Sie  überzeugt  sich  von 
der  Beobachtung  der  Schulordnung,  der  Einhaltung  des  Unterrichts- 
planes und  der  Erreichung  des  Lehrzieles;  sie  ist  befugt,  dem  Er- 
ziehungsrat Vorschläge  über  Veränderungen  im  Gang  ihrer  Anstalten 
zu  machen.  Alljährlich  hat  sie  dem  Erziehungsrat  über  den  Gang 
ihrer  Anstalt  sowie  über  die  Verhältnisse  der  ihrer  Aufsicht  unter- 
stellten Privatschulen  Bericht  zu  erstatten  und  die  Schulrechnimg 
zui'  Genehmigung  vorzulegen. 

Es  mag  auch  von  Interesse  sein,  etwas  über  die  Lehrer- 
verhaltuisse  zu  erfahren.  Lehrer  und  Lohrerinnen  werden  auf 
Grund  eines  Gutachtens  bezw.  Antrages  der  betreffenden  Inspektion 
oder  Schulkommission  durch  den  Erziehungsrat  ernannt  und  zwar 
auf  unbestimmte  Zeit,  d.  h.  tatsächlich  auf  Lebensdauer  angestellt- 
Die  zu  besetzenden  Stellen  werden  in  der  Regel  zur  freien  Bewerbung 
ausgeschrieben;  die  Besetzung  kann  auch  durch  unmittelbare  Be- 
lufang  erfolgen.  —  Kein  Lehrerkollegium  der  ganaen  Sefaweiz  hat 
amen  so  mterkantonalen  Chaiakter  wie  dasjenige  von  Baselstadt  Die 
Anssdueibiuig  der  LebxBtelleii  hat  gewöhnlich  die  Anmeldung  einer 
grofien  Zahl  ron  Bewerbern  aus  aUen  Teilen  der  Schweix  zur  Folge ; 
ans  den  meisten  Kantonen,  die  ein  gut  geleitetes  Seminar  oder  sonst 
gute  Bildungsanstslten  besitEen  nnd  daher  ihren  Lehrern  eine  rechte 
BildoDg  geben  können,  sind  Lehrkräfte  nach  Basel  gewühlt  worden 
nnd  swar  ohne  dafi  sie  noch  ein  besonderes  Examen  hätten  machen 
mftosen.  Da  das  Unterrichtswesen  von  jedem  Kanton  nach  seiner  be- 
sonderen Geseti^bnng  geordnet  wird,  schreibt  er  anch  die  Lehrer- 
prOfong  vor  nnd  macht  in  der  Begel  die  definitire  Anstellang  ab- 
hängig Ton  dem  Besita  des  betreffenden  kantonalen  Patentes.  Die 
Behörden  von  Baselstadt  aeigen  in  dieser  Beziehnng  eine  wellgehende 
liberalität,  indem  sie  fost  ausnahmslos  die  von  anderen  Kantonen 
anagestellten  Patente  für  die  betreffende  Schnlstnfe  ohne  weitere 
Prfiüang  anerkennen.  Bei  der  Anstdlang  wird  in  erster  linie  auf 


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144 


Aufsätze 


Tüchtigkeit  der  Bewerber  gesehen ;  die  Zugehörigkeit  zu  einer  politischen 
Partei,  zu  einer  bestimmten  Konfession  fällt  dabei  nicht  in  Betracht. 

Die  Lehrer  an  den  PrimarschuJen  —  die  4  ersten  Schuljahre  — 
haben  ihre  Bildung  meistens  in  einem  Seminar  erhalten,  einzelne 
auch  an  (lymnasien  oder  Realschulen  und  an  der  Univei'sität.  Die 
Lehrer  der  Sekundai*schulen  —  die  4  oberen  Klassen  der  Volksschule 
—  haben  ihre  Volksbildung  zum  größten  Teil  an  Seminaiien  er- 
worben und  dann  nach  kürzerer  oder  längerer  Schulpraxis  sich  an 
der  Universität  die  zum  Examen  erforderliche  wissenschaftliche  Bildung 
angeeignet;  die  Ausbildung  in  den  neueren  Sprachen  erwerben  sie 
sich  gewöhnlich  im  beh-offenden  Lande  selbst  Andere  Lehrer  der 
Sekundärschule  hal)en  nach  erworbener  Keal-  oder  Gymnasiiü-Maturität 
gleich  die  Universität  bezogen  und  sich  hier  die  für  das  Lehramt  er- 
forderliche wissenschaftliche  und  pädagogische  Bildung  geholt.  Seit 
dem  Bestehen  des  Primarlehrerseminars  wird  es  immer  mehr  Übung, 
daß  wenigstens  die  Real -Abiturienten,  die  Lehrer  werden  wollen, 
zuerst  diese  BÜdungsanstalt  besuchen  und  gleichzeitig,  sowie  nioh 
Absolvierung  des  Seminars  noch  an  der  üniYeraitSt  fflöh  wiBSeii^ 
sohaftliGlien  Stodien  widmen.  Alle  diese  Kandidaten  sohliefien  ihie 
wissensohafiliolie  Bildung  mit  dem  Mittel-  oder  Obedehrer-  oder 
auch  mit  dem  Doktor-Examen  ab.  Den  gleichen  Bildungsgang  — 
Bealschole  oder  Gymnaalnm  und  üniTersität  —  haben  andi  die 
Lehrer  am  Oynmasium  und  an  der  Realschule  durchlaufen,  doch 
finden  sidii  anoh  unter  den  Lehrern  der  letsteren  Anstalten  sdohe,  die 
zuerst  ein  Seminar  besucht  nnd  dann  an  der  üniversltfit  ihre  wisseur 
schaftliche  Bildung  sich  erworben  haben. 

Was  die  Besoldung  betrifft,  so  richtet  sich  dieselbe,  abgesehen 
Ton  der  Zahl  der  Dienstjahre,  auf  allen  Schulstufen  nach  der  Zahl 
der  von  der  betreffenden  Lehilaraft  wöchentlich  erteilten  Unterrichts- 
stunden. Für  die  Lehrer  der  Primarschule  betrügt  dieselbe  90  bis 
120  Fr,  fOr  Lehrerinnen  70—100  Fr,  fOr  Arbeitslehrerinnea  60 
bis  70  Fr  für  die  wöchentliche  Lehrstnnde  im  Jahre.  Dazu  kommen 
nach  10  Jahren  400  Fr,  nach  15  Jahren  500  Fr  jährliche  Alters- 
zulage. Die  meisten  Primailehrer  haben  32  wöchentliche  Untemchts- 
stunden,  so  dafi  sich  ihr  Beeddungs-Mazimnm  auf  4340  Fr  beliiift 
Yen  3  zu  3  Jahren  wird  die  Besoldung  um  5  Fck.  pro  wöchentliche 
Jahresstunde  erhöht,  so  dafi  das  Maximum  mit  ungefilhr  18  bis  20 
Dienstjahren  erreicht  wird  oder  —  da  den  ans  anderen  Kantonen 
nach  Basel  gewühlten  Lehrern  nur  die  Hülfte  der  dort  Terbrachten 
Dienstjahre  angerechnet  wird  und  da  bei  den  Abiturienten  des  Basler 
Seminars  die  Jahre  der  proTisorischen  Anstellung  bei  der  Besoldnngs- 


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WcCTswAU):  Das  Schulwesen  dee  Kantoos  Baseistadt 


145 


zamessung  nicht  mitzählen  —  in  einem  Alter  von  40 — 45  Jahren. 
Die  Lehrennnen  erteilen  in  der  Regel  wöchentlich  24  Unterrichts- 
stunden, woraus  sich  ihre  Besoldung  mit  fünschlofi  der  Alteiszolage 
leicht  berechnen  läßt 

Die  Besoldungen  an  den  Sekundärschulen,  dem  unteren  Gym- 
nanum.  der  unteren  Realschule  und  an  der  untoren  Töchterschule  — 
also  für  das  5.  bis  8.  Schuljahr  —  betragen  für  Lehrer  100 — 140  Fr, 
bei  besonderen  Leistungen  bis  160  Fr,  für  Lehrerinnen  80 — 120  Fr, 
für  Arbeitalehreiinnen  50 — 80  Fr  für  die  wöchentliche  l^ehrstunde 
pro  Jahr;  die  Alterszulagen  sind  die  gleichen,  wie  an  der  Primar- 
schule. Die  Zahl  der  wöchentlichen  Unterrichtsstunden  beträgt  durch- 
schnittlich 29 — 30,  in  einzelnen  Fällen  bis  32.  so  daß  das  Besoldungs- 
maximiun,  wenn  der  Ansatz  von  140  Fr  iil)t'rs(  liiiften  wird,  wie  eS 
tatsächlich  geschieht,  sich  auf  ungefähr  5ÜÜÜ  Fr  ht'läuft. 

Die  Besohl URf^  der  Lehrer  am  ol)oron  (lymnasiuni,  an  der  oberen 
Realschule  und  an  der  oberen  Tt  chrerscliule  beträft  1:^0—250  FV, 
die  der  Ijohrerinnen  100  — 140  ¥i\  der  Arbeitslehrerinnen  00  bis 
00  Fr  für  die  wöchentliche  Lehrstunde  im  Jahr.  Die  Zahl  der 
wöchentlichen  Unterrichtsstunden  variiert  zwischen  20  und  2S;  das 
Besoldungvniaxiniuni  kann  GOOO  F^r  und  aueli  darüber  hetragen. 
Die  Schulvorsteher  beziehen  eine  Jahresbesoldung  von  0000  F'r  — 
Vor  weni^'^en  Wochen  ist  \om  Ctroßen  Rat  ein  neues  Besoldungs- 
gesetz in  erster  Lesung  durchberaten  und  angenommen  worden ;  nach 
demselben  würden  vom  1.  Januar  1904  an  die  Besoldimgsansätze  für 
die  Primarschule  betragen:  für  Lehrer  100 — 130  Fr,  für  Lehre- 
rinnen SO — 110  Fr,  für  Arheitslehrerinnen  00—80  Fr:  für  die 
mittleren  Schulen:  für  Lehrer  120 — 160  Fr,  für  Lehrerinnen  100  bis 
130  Fr,  für  Arbeitslehrerinnen  60 — 90  Fr;  für  die  Schulvoistehor 
6000 — 7000  Fr;  für  die  oberen  Ixihranstalten  für  tlie  Lehrerinnen 
120 — 150  Fr,  für  die  Arbeitslehrerinnen  70 — 90  Fr;  für  die  Lehrer 
bleiben  die  Ansätze  die  bisherigen.  Die  zweite  Lesung  des  Gesetzes 
wird  im  Oktober  staltfinden,  und  nach  der  schulfreundlichen  Stimmung, 
die  sich  bei  der  ersten  Beratung  gezeigt  hat,  zu  schließen,  wird  das 
Gesetz  jedenfalls  angenommen  werden, 

Aus  diesen  Angaben  kann  man  ersehen,  daß  der  Kanton  Basel- 
stadt für  seine  Lehrkräfte  in  erfreulicher  Weise  sorgt.  Seine  Für- 
soi^e  erstreckt  sich  aber  auch  auf  ältere  Lehrer  und  Lehrerinnen;  es 


')  Da.s  (losptz  wunlo  vom  Großen  Rat  in  zweiter  Lesunp  angonommen  und 
vom  Volke  stillsi-hweifrond  satiktinuicrt.  Seit  1.  Januar  1904  werden  die  Besol- 
dungen nach  dem  neuen  Ge.setz  ausbezahlt. 

giitMhlM  llr  nOoMpkl*  oad  Fldagogik.   12.  Jahiguf .  10 


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146 


AoMtze 


kann  nämlich  der  Regierungsrat  auf  Antrag  des  Erziehungsrates  ältere 
Lehrer  um  einen  Teil  ihrer  Stunden  erleichtem  und  ihnen  den  Fort- 
genuß des  bisherigen  Gehaltes  einschließlich  der  Alterszulage  ganz 
oder  teilweise  bewilligen. 

Wenn  eine  Lehrkraft  nach  Vollendung  von  10  Dienstjahren 
wegen  Krankheit  aus  dem  Schuldienst  entlassen  werden  muß,  hat  sie 
Anspruch  auf  eine  jährliche  Pension  auf  Lebenszeit.  Dieselbe  beträgt 
2  %  der  bisherigen  Jahresbesoldung  einschließlich  der  Alterszulage 
für  jedes  vollendete  Dienstjahr  seit  der  Anstellung  durch  den  Er- 
ziehungrat; sie  soll  jedoch  den  Jahresbetrag  von  1.500  Fr  nicht  über- 
steigen. Zudem  ist  der  Regierungsrat  ermächtigt,  in  Fällen,  wo  die 
Festhaltung  der  gesetzlichen  Normen  für  die  Berechnung  der  Pension 
einen  offenbar  ungenügenden  Betiag  ergeben  sollte,  über  denselben 
innert  den  Grenzen  des  Gesetzes  hinaus  zu  gehen.  Es  zeichnet  sich 
BO  Baselstadt  in  der  Fürsorge  für  die  alten  Lehrer  vor  den  meisten 
Kantonen  vorteilhaft  aus,  indem  das  Gesetz  eine  aasreichende  Pension 
Toisieht  und  dem  Lehrer  von  Rechts  wegen  anch  in  den  alten  Tagen 
ein  Auskommen  ächert^  was  anderawo  —  von  wenigen  Kantonen  ab- 
gesehen —  meist  eist  durch  einen  Qrofirats-  oder  Gemeindebeschlnß 
als  ein  Akt  der  Gnade  in  keineswegs  hinlänglicher  Weise  oder  anch 
gar  nicht  gewShrt  wird.  In  Erkranknngsfifllen  wird  der  Stellvertreter 
ans  der  Yikariatskasse  bezahlt,  die  znr  Hülfte  durch  jihriiche  Bei- 
träge der  Lehrerschaft,  znr  HMlfte  durch  Zuschttsse  des  Staates  ge- 
spiesen  wird.  Bei  länger  andauernder  Ejankheit  übernimmt  der  Staat 
die  gesamten  Yertretnngskosten.  —  Für  die  Hinterlassenen  des  Lehrers, 
für  die  Witwen  und  Waisen  sorgt  auch  Baselstadt  nicht»  wie  man 
denn  in  der  Schweiz  das  Institut  der  staatlichen  Witwen-  und  Waisen- 
Pension  übeihaupt  nicht  kennt  Da  hat  sich  die  Lehrerschaft  durch 
GrOndnng  einer  freiwilligen  Lehrer -Witwen-  und  Waisenkasse  selbst 
geholfen.  Durch  Mit§^iederbeitr8ge  —  seit  einigen  Jahren  jfihiüch 
80  Erk.  —  und  durch  Schenkungen  ist  die  Kasse  im  Laufe  eines  halben 
Jahrhunderts  auf  eine  halbe  Million  Franken  angewachsen  und  ge- 
wahrt der  Witwe  oder  den  Kindern,  bis  das  jOngste  20  Jahre  alt  ist» 
eine  jährliche  Pension  .von  720  Fr. 

Eb  mag  wohl  auch  von  Interesse  sein,  etwas  über  die  Schnl- 
hansbauten  und  über  die  Auslagen  des  Kantons  Baselstadt  für  das 
Schulwesen  zn  erfahren.  In  den  letzten  dreißig  Jahren  sind  16 
gidfiere  Schulhftuser  erbaut  worden,  die  ohne  die  Bauplätze  ungefiQir 
9  Millionen  Franken  gekostet  haben;  inegesamt  sind  in  diesem  Zeit- 
raum für  größere  und  kleinere  Schul-Bauten  und  die  dazu  gehörenden 
Bauplätze  zirka  11  Vt  Millionen  Franken  Tcrau^gabt  worden.  Das 


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Wrrrwaii»:  Dm  Sdralweflaii  des  KaDtoos  Baaelstadt 


147 


neoeste  und  zugleich  eines  der  größten  Scholhäaser  ist  die  Obere 
Bealschule,  die  im  letzten  Frühjahr  ToUendet  und  bezogen  wurde. 
810  floliiSlt  31  Klassen  m  24,  32  und  33  Schüler,  saBaiiim«n  Flals 
ffir  948  Schfller;  aofierdem  finden  sich  in  dem  Gebäude  eine  Aula, 
swei  Zeichnongasfile,  Lehrsäle  für  Physik,  NatiiigeBchichte,  Chemie 
und  Geographie,  femer  noch  dreizehn  Lehier-  und  Sammlnngsonmier, 
sowie  fOnf  Klassen  fOr  den  Handarbeitsunteirichi  Die  Korridore 
haben  eine  Breite  von  4  m;  die  dreiarmige  Haupttreppe  besitit  swei 
SeiteDÜufe  von  2,4  m  and  einen  ICitteUanf  von  3,6  m  Breitew  Die 
m  mmiittelbarer  Yerbindung  mit  einem  Seitenflügel  des  HaiqitiMnies 
stehende  Tomhalle  ist  24,4  m  lang,  12,2  m  breit  und  8,8  m  hoch. 
Die  Baukosten  belaafen  sich  mit  Bänschluß  des  Mobiliars  auf 
1140000  Fiic. 

Für  die  Frimanchule  —  Knaben  und  ICftdchen  —  wurden  in 
den  Jahren  1899/02  drei  Neubauten  —  Bosentalschulhaus,  Schulhana 
am  Rhein  und  Sdhulbaus  am  Gotthel^latz  —  mit  je  23—24  Klassen 
SQ  52—64  Kukdem  —  erstellt;  aofierdem  besitEen  diese  Neubauten 
je  einen  Examen-  bezw.  Singsaal,  einige  Lehrersimmer,  eine  Schul- 
kfiche,  ein  Brausebad  und  eine  Anzahl  Handarbeitsklassen.  Heizung 
und  Ventilation  erfolgt  bei  allen  drei  Gebäuden  durdi  eine  Warm- 
wasseriuftfaeizung;  die  Klassen  sind  in  der  grofien  Mehrzahl  nach 
Osten  und  Süden  gerichtet  Die  Kosten  der  Gebäude  betragen  un- 
gefihr  27,  29  und  30  pro  Kubikmeter  oder  25  800,  24  700  und 
21800  Fr  pro  Klasse;  die  Gesamtbaukoflteii  beliefen  sich  auf 
595000  Fr,  740000  Fr  und  665000  Fr  ~  Bei  jedem  Schulhaus 
ist  eine  Turnhalle  und  eine  Abwartwohnung. 

Schon  wiederholt  haben  die  jeweüen  Yorhanden  gewesenen  Schul- 
gebäade  nicht  genügt,  um  alle  Schüler  unterzubringen;  daher  haben 
sich  die  Behörden  genötigt  gesehen,  ausnahmsweise  auch  sogenannte 
Schulbaracken  zu  ersteUen,  d.  h.  ebenerdige  Bauten  mit  je  drei  Elassra 
in  den  üblichen  Dimensionen.  Diese  Bauten  sind  in  Holzkonstrulction 
mit  Verwendung  von  Gipsdielen  aui^geftthrt  worden,  haben  pro  Klasse 
5 — 6000  Fr  gekostet  und  können  somit  als  rentabel  bezeichnet 
werden,  sofern  sie  etwa  fünf  Jahre  an  gleicher  Stelle  benützt  oder 
mit  relativ  geringen  Kosten  an  einen  andern  Ort  Terlegt  werden 
können. 

Zum  Schluß  mögen  hier  noch  einige  Angaben  über  die  finanzielle 


NShens  Abar  die  Bader  SdhidbaiiBbeateii  siehe  H.  Beese,  Die  aeoeien 
Bohalhaaser  der  Stadt  Bisel  mit  21  Trfdn  tuid  2  TebeUeiL  Zilzioh,  Zfiidier  tt 
Fäirer,  1902. 

10* 


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148 


Au&ätze 


Seite  des  Basler  Schulwesens  Platz  finden.  Im  Jalire  1902  be- 
trugen die  Ausgaben  des  Staates  für  Schreib-  und  Zeichenmaterial 
49  042  Fr,  für  die  Lehrnüttel  der  sohulpflichtigen  Schüler  45565  Fr. 
Dio  Gesamtauslagen  betrugen 

f  ii  die  Knaben-  und  Mädchenprimarschule        Fr    503  559.63  Rp; 
für  die  Knaben-  und  Mädchensekundarschule     Er    552  456.15  Rp; 
für  die  Schulen  von  Richen  und  Bettingen  .    Fr     52  421.20  Hp; 
für  die  Volksschule  also  zusammen  ....     Fr  1  108436.98  Rp 
Ferner  betrugen  die  Auslagen  für  das  Gymnasium  Fr  120  092.34  Kp, 
für  die  obere  Realschiüe   Fr  96318.29  Rp,  für  die   imtere  Real- 
schule Fr  119  435.85  Rp,   für  die  Töchterschulo  Fr  167  400.94  Rp, 
für  die  allgemeine  Oewerbeschulo  nach  Abzug  der  Rundessubvention 
Fr      952.14  Rp,  für  die  Fraueuarbeitsschule  ebenfalls  nach  Abzug 
der  Rundessubvention       46  586.34  Rp,  für  die  Universität  mit  all' 
ihren  Sammlungen  und  Anstalten  Fr  333  S49.65  Rp,  für  die  Klein- 
kinderanstalten Fr  99  772.50  Rp,  für  Reinigung,  Heizung,  Beleuchtung 
und  Abwartdienst  in  sämtlichen  Schulgebäuden  Fr  226  853.20  Rp. 
üie  gesaraten  Auslagen  für  das  Erziehuugswesen  beliefen  sich  im 
Rechnungsjahr  1902  auf  Fi'  2  635  414.92  Rp,  d;il.ei  sind  die  Kosten 
für  Schulhausbauten,  für  Unterhalt  der  Gebäude,  für  Schulmobiliar 
und  Reparaturen  nicht  mitgerechnet. 

Dieser  Überblick  über  das  Schulwesen  des  Kantons  Baselstadt 
zeigt  uns,  daß  Behörden  und  Bürgerschaft  dieses  Gemomwesens  der 
Jugend-  und  Volksbildung  eine  große  Bedeutung  beimessen,  alle 
Nüttel  zur  Förderung  derselben  gerne  und  in  reichlichem  Mal^e  be- 
willigen und  stets  den  redlichen  Willen  bekundet  haben,  die  heran- 
wachsende Generation  für  das  Leben  tüchtig  zu  machen  und  zur 
Mitarbeit  an  den  großen  Kulturaufgaben  zu  befähigen. 


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1.  Anschein  nnd  Wirklichkeit 

Ein  Scherflein  zur  Lehre  von  den  ürteilsformen,  geliefert  von  Dr.  Ernst  Friedrich 

zu  Stolp  in  Pommern 

Auf  eine  unbeachtete  ürteilsform,  welche  iu  einer  Bezugsriehtung  be- 
jaht und  damit  zugleich  in  einer  andern  Bezugsrichtung  verneint,  habe  ich 
öfters  aufmerksam  gemacht,  zuletzt  ausführlich  in  meiner  Abhandlung 
»Lehre  von  den  Ürteilsformen  in  Prima«,  welche  gleichzeitig  in  der 
Braunschweiger  Zeitschrift  »Pädagogisches  Archiv«  erscheint.  Die  gemeinte 
ürteilsform  heißt  dort  apotatisch,  ihr  Aussageband  araegepäisch  und  ihr 
Sperrspruch  regional.  Denn  die  Bezugsrichtung,  in  welcher  ein  Ding 
vom  andern  gilt,  dürfen  wir  Referenz-Region  oder  anaphorische  Apotasis 
nennen  imd  das  griechische  Nebenwort  araegepe  =  aliqua  quidem  ent- 
spricht unseren  Neben  Wörtern:  inirgend  wiefern,  einerseits,  eineswegs  = 
in  einer  Art,  im  Vergleich  mit,  im  Verhältnis  zu,  in  gewisser  Beziehung, 
in  einer  Richtung  verbunden  und  damit  zugleich  in  einer  andern  Richtung 
getrennt.  Beispiele:  Du  Imst  in  einer  Art  Recht.  Ein  Mann  von 
40  Jahren  ist  einerseits  alt.  Das  im  stillstehenden  EJimor  wallende  Wasser 
ruht  inirgendwiefem.  Der  Berg  Gaurisankar  bewegt  sich  in  gewisser  Be- 
ziehung. Dieses  Gemälde  befriedigt  uns  weder  inallewcge,  noch  keines- 
wegs, sondern  eineswegs,  nämlich  insofern,  als  seine  Farbengebung  schön 
ist.  Die  Angabe,  inwiefern  es  uns  befriedigt,  ist  eine  regionale  Klausel 
oder  ein  die  Bezugsrichtung  anzeigender  Sperrspnich,  zu  welchem  die 
am^epäische  Kopula  entfaltet  worden.  Obenhin  vermerkt,  lautet  dieses 
Aussageband  »ist  inirgendwiefem«,  eingehends  vermerkt  aber  »ist  insofern, 
als  .  .  .  derhalben.  daß  .  .  .  dafür,  daß  ...  in  Anbetracht  dessen,  daß«. 
Noch  weiter  entfaltet  erscheint  die  amegepäische  Kopula,  wenn  wir  urteilen: 
»Dieses  Gemälde  befriedigt  uns  insofern,  als  seine  Farbengebung  schön  ist, 
und  befriedigt  uns  insofern  nicht,  als  seine  Zeichnung  und  Gruppierung 
viel  zu  wünschen  übrig  lassen.«  Endlich  urteilen  wir  disjunktiv  oder 
bündig  sondernd:  »Dieses  Gemälde  befriedigt  uns  einerseits  und  be- 


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150 


Mitteilungen 


friedigt  HOB  andraradts  niclitc  Die  apatatisobe  ürleilBfonii  Ifttt  also  daa 
Brldikot  yom  Subjekt  einerseits  gelten  und  audierseits  nicht  gelten,  bejaht 

nnd  verneint  zugleich,  spricht  zu  und  spricht  ab,  stellt  mithin  einen  wohl- 
gereimtcn  Widerspruch  (contradictio  concinna)  dar,  wie  auch  einige  andere 
ürteilsformeu  tun,  welche  ebenfalls  das  zwiefach  beschaffene  Aussageband 
(oopula  anoeps)  haben.  Wir  versteheu  unter  »Bezugsiichtung«  die  ein- 
aeitige  Geltung  dee  Pkfidikals  vom  SnljekL 

Hier  wOl  ich  nun  eine  Abart  der  aftolatiadhea  ürteüaform  TorfQhren, 
wo  das  Aneaageband  immer  die  Bezugsrichtung  auf  einen  Anaohmin  bin 
verrat,  welcher  nicht  mit  der  Wirklichkeit  übereinstimmt,  sondern  von  ihr 
abweicht.  Diese  amegepäische  Kopula  offenbart  die  einseitige  Geltung 
allemal  als  Abweichung  eines  Anscheins  von  der  Wirklichkeit,  erklärt  ihn 
dem  eigentlichen  Stattfinden  gegenüber  für  ein  gleisendes  Stattfinden  und 
lautet  »ist  quantaireiae«  d.  b.  nur  zum  Schein,  gleiaend  (gleidiaend), 
UDaigentlicb,  bloB  zum  Yorwande,  angebliobt  einem  Gerede  nach,  nur 
scheinbar,  bloß  anscheinend,  griechisch:  pioapupoe,  lateinisch:  specioBa 
tantum  (pro  forma),  italienisch:  speziosamente,  quasiraente,  französisch:  par 
feinte,  qiusiment,  burschikos  bei  uns:  quasimativ.  Solche  ürteilsfällungen 
beanstanden  jedesmal  ein  gleisendes  Stattfinden,  indem  sie  mit  £h> 
irlhnung  desselben  seine  Nichtigkeit,  Hinfälligkeit,  Unwahrheit,  bezw. 
Haibwahrheit  mitvermerkeo.  Dieae  Beanataodimg  geaohieht  bald  durah  die 
einschrftokeDden  Eopelverben:  aohelnen,  dOnken,  vorkommen,  aoUen  z.  B. 
in  folgender  Anwendung:  »adieint  nur  ZU  sein,  dünkt  uns  nur  zu  sdn, 
kommt  uns  lediglich  so  vor,  als  ob  ,  .  .,  soll  bloß  einem  Gerede  nach 
seine  —  bald  durch  Boklcidung  der  nackten  Kopula  entweder  mit  einem 
einschränkenden  Nebenwort  (Adverb)  z.  B.  »angebliche  oder  mit  einem 
einschränkenden  Nebensatz«  welchen  wir  Sperrspruch  (Klausel)  nennen, 
s.  B.  »wie  der  Vorwand  läutete 

Nachstehende  ßeispiele  zur  gemeinten  Abart  der  apotatiacben  ürteils- 
form  sind  einem  Proben  -  Sortiment  entnommen  und  werden  vorstehende 
Angaben  bestätigen:  Der  Kaiser  von  China  ist,  wie  or  dort  genannt  wird, 
ein  Sohn  des  Himmels.  Die  Ordnung  ist,  wie  Schiller  sagt,  eine  Tochter 
des  Himmels.  Scheinbar  bewegt  sich  die  Sonne  um  die  Erde  —  in  Wirk- 
lichkeit aber  die  Erde  um  die  Sonne.  Die  Erde  aoheint  eine  kreiarande 
Scheibe  zu  adn  —  ist  aber  eine  KageL  Der  Vollmond  aieht  aus,  ala 
ob  er  ein  menschliches  Antlitz  habe  —  zeigt  aber  Bergen  welche  von  der 
Sonne  beleuchtet  sind,  und  Täler,  welche  zum  Teil  von  ihnen  beacbattet 
sind.  Der  Kibitz  umflattert  Menschen,  welche  seinem  Nest  nahe  kommen, 
scheinbar  flügellahm,  als  möchte  er  sich  greifen  lassen  —  sucht  aber 
eigentlich  ihre  Aufmerksamkeit  von  seiner  Brut  abzulenken.  Karl  soll 
einem  Gerede  nach  ins  Aualand  entflohen  aein  —  befindet  aich  aber  in 
Stialannd  und  gedenkt  binnen  8  Tagen  heimzukehren.  Dieser  junge  Mann 
besucht  quantsweise  den  Bruder  einer  jungen  Dame  —  will  aber  eigent- 
lich Gelegenheit  haben,  dessen  Schwester  wiederzusehen.  Mancher  Ein- 
brecher fragt  ([uantsweise  an  einer  Wölmungstflr,  ob  nicht  Herr  Dingsda 
im  Hause  wohnt  —  will  aber  eigentlich  Gelegenheit  haben ,  einen  Blick 
in  die  Wohnung  zu  werfen  und  sich  das  Türschloß  zu  besehen.  Zwei 


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1.  Anschein  und  Wiikliciikeit  Xöl 


Mänoer  schafften  morgens  Betten  aus  einer  Wohnung,  w  ie  ihr  Vor  wand 
lautete,  im  Auftrage  der  Hausfrau  zum  Sonnen  auf  dem  Bleicbplatz  — 
iD  Wahrheit  aber  war  diebiBchen  AoeigDUDg.  Dieser  Freiwillige  hat  sich 
qnaDtsweise  krank  gemeldet  —  hat  aber  eigentlich  Zeit  gewinnen  woUen, 
um  seine  schriftstellerische  Arbeit  fertig  zu  schaffen.  Jene  Fran  ist  an- 
geblich am  Herzschlag  gestorben  —  hat  sich  aber  vergiftet  Sie  betrieb 
unten  quant.sweise  ein  Ladengeschäft  —  oben  aber  ein  unzüchtiges  Ge- 
werbe. Dieser  Meister  tadelt  quantsweise  seinen  Lehrling  —  meint  aber 
seinen  Qeseiien,  welcher  zugegen  ist,  den  Tadel  verdient  und  ihn  sich 
annehmen  soll.  Jene  Xfinner  worden  qnantsweiae  ro  einem  Gastmahl  Un- 
geladen, audi  gnt  bewirtet  —  hinterher  aber  ermordet  Dieser  Feldherr 
fsriangte  quantsweise  das  ünm(S|^iche  von  seinen  Soldaten  —  woUte  aber 
nur  das  ihnen  Mögliche  erreichen.  Jener  Verkäufer  forderte  quantsweise 
einen  überaus  hohen  Preis  —  wollte  aber  bloß  einen  ziemlich  hohen  Preis 
erschwingen.  Kaufmann  Öchwindclineior,  Schwiegersohn  des  Herrn  Pleite- 
geier, hält  sich  quantsweise  eind  t^uipage  —  besitzt  aber  nur  eine  Kredit- 
Equipage,  welche  eben  nooh  nieht  von  ihm  beanhlt  ist  und  Yertnnien  tu 
ihm  erweoken  soU.  Die  mit  Beieig,  Basen  und  Kllder  flberdeckten  Fall- 
groben,  worin  Bftren,  LOwen,  Wolfe  und  andere  vierbeinige  Menschenfresser 
sollen  gefangen  werden,  sind  anscheinend  massiver  Erdboden  —  in  Wirk- 
lichkeit &heT  anscrehöhltor  Erdboden.  Der  Pantoffelheld  regiert  quantsweise 
—  wird  aber  von  seiner  Gattin  regiert,  ist  *e\n  willenloses  Werkzeug  in 
der  Hand  einer  Tyrauniu«.  Ein  weiüer  Hund,  dessen  Kopf  schwarz  is^ 
dflnkt  HOB  in  dunkler  Nacht  beim  eisten  Anblick  kein  ämpt  su  haben 
hat  aber  sein  Haupt,  wie  am  hdlen  Tage,  und  braixdit  nicht  IQr  ein 
Gespenst  angesehen  zu  wei-dcn.  Der  Fechteode  sieht  oft  eine  Finte  d.  h. 
macht  oft  einen  Scheinangriff,  indem  er  quantsweise  nach  einer  Stelle 
seines  Gegners  hin  schlägt,  bo/w.  st^^ßt  —  und  sofort  nach  einer  andern 
Stelle  dosseü^en  hin  ernstlich  zuhaut,  bezw.  zusfr»|Jt.  El)onBo  trügerisch 
ist  der  Sciieinangriff  im  Kriege  und  die  scheinbare  Flucht,  um  die  Ver- 
folger nach  einem  Hinterhalt  hinzulocfcen.  Scheintote  sind  quantsweise 
gestorben  —  leben  aber  noch,  haben  nur  Starrkrampf  und  müssen  qualvoll 
umkommen,  wenn  derselbe  verkannt  wird  und  sie  irrtümlich  dem  Lcichon- 
b«?tatter  nborgeben  werden.  Der  scheinbare  Ort  eines  Planeten  ist  nicht 
sein  wirklicher  Ort;  ein  solcher  Himmolskörpor  befindet  sich  qiiantswoise 
noch  hier  —  eigentlich  aber  schon  dort.  Die  scheinbare  Größe  eines  von 
unseren  Augen  weit  entfernten  Körpers  ist  nicht  seine  wirkliche  Grüüe, 
wie  denn  dnem  sohon  der  Fuß  am  eigenen  Leibe  kflrzer  vorkommt,  als 
der  ünterarm,  obwohl  beide  Gliednuifiea  gleich  lang  su  sein  pflegen.  Dem- 
zufolge urteilen  wir  wieder  mit  Auwendung  der  amegeplischen  Kopula: 
Meine  Füße  sind  quantsweise  kürzer,  als  meine  Unterarme.*  Hier  be- 
rührt sich  die  I/ehre  von  den  TIrteilsfoniien  (Diaii(>"tik)  mit  der  Ijchre  von 
den  In-tumsartcn  (Paralogismik),  "welche  zur  Enttäuschung  anleitet. 

Unserem  Nebenwort  >  quantsweise  <  entspiicht  unter  anderm  das 
grieohisefae  Adverb  prospupos  »  zu  wo  wie  d.  h.  in  gleiseuder  Weise 
zutieBend,  nur  scheinbar,  bloA  anscheinend,  quasimativ.  Adolf  ist  an* 
geUich  der  Dieb  —  kann  aber  unschuldig  sein,  wenn  es  ihm  unmöglich 


152 


IGtAeiliiDgen 


war,  den  Schein  zu  venneideD,  welchen  er  jetzt  gegen  sich  bat  Ldder 
Iftfit  sicli  der  falsche  Schein  nicht  immer  Termeideii.  Kjunn  denn  s.  E 
ein  Dira8tt>ote  etwas  dafür,  daß  in  seinem  Spinde  das  yennifite  goldene 
Armband  vorgefunden  wird,  welches  ein  anderer  lUenstbote  gestohlen  nnd 

dort  listig  hineingesteckt  hat?  Doppelgänger  wissen  vom  Qniproqno  in 
Verkennungsszonen  zu  crzühlen;  sie  sehen  ja  täuschend  ähnlich  aus 
und  werden  daher  ebenso  leicht  mit  einandei'  verwechselt,  wie  echte  und 
unechte  Diamanten,  richtige  und  falsche  Münzen,  eßbare  und  giftige  Pilze, 
Mllokenaohwinne  imd  Ranohaftiilen,  das  Geschrei  eines  Tiers  und  die  ge- 
lungene Naohahmnng  solcher  Laute,  das  von  einem  Menschen  und  das 
von  einen  Fsfiagdi  Oesprochene,  gebratenes  Kalbfleisch  und  gebratenes 
Fleisch  von  einem  jungen  Schwein  usw.  Wenn  dagegen  ein  Gast  in 
seiner  Zuvorkommenheit  eifrig  die  Scherl)en  von  einer  kostbaren  Yase  auf- 
liest, weiclie  ein  anderer  Gast  soeben  zerbrochen  hat,  so  gibt  er  sich  den 
falschen  Anschein,  als  habe  er  selber  diese  Yase  zerbroohen.  Sin  Booli- 
stapler  gab  sich  den  Anschein  eines  unveriieinteten  GoldonkelB  ans  Amerika 
—  war  abw  ein  Torbeirateter  armer  Schlucker  aus  der  Umgegend  fon 
Berlin.  Er  verantwortete  sich  mit  der  holdselig  lächelnden  Miene  engel- 
reiner Unschuld  —  Incr  aber  dabei  das  Blaue  vom  Himmel  herunter.  All- 
bekannt sind  fnlp  iKlo  Hotnrnngsversuche :  das  Gebahren  der  Scheinbeiligen, 
das  Getue  waifeulähiger  Männer,  welche  der  Militärarzt  Simulanten 
nennt,  Krankheit  vorschfltsen,  Wohlwollen  heucheln,  Demnt  heucheln  — 
Ohnmacht,  Ladien  nnd  Weinen  affektieren.  Armut  yorspiegeUi  nnd  Beidi- 
tum  vorgaukeln;  wer  so  etwas  tut,  verstellt  sich  in  unlauterer  Abdch^ 
zeigt  eine  zur  Betßrung  seiner  Mitmenschen  erkünstelte  Außenseite 
und  heißt  Gleisner.  Dngegen  mögen  wir  weder  berufsmäßige  Nachahmer, 
wie  die  Schauspieler  im  Theater,  noch  vermummte  Personen  auf  dem 
Maskenball  Gleisner  schelten;  denn  wir  wollen  uns  ja  zu  unserem  Ver- 
gnügen von  ihnen  täuschen  lassen.  Ebensowenig  mögen  wir  das  indirekte 
und  zwar  glimpftidi-nmBchweifige  Verfahren  jenes  Meisters  Gleisnetei 
schelten,  welcher  qnantsweiso  seinen  Lehrling  taddt^  aber  sdnen  an- 
wesenden Gesellen  meinte,  überhaupt  nicht  das  augenehme  Betragen  höf- 
licher lycnte.  ihr  gesohoitos  Benehmen,  ihr  gewandtes  Auftreten,  ihre  hübsch- 
zarte  Sprechweise  (Diskretion,  T(»urnüre.  Euphemismus);  denn  dieses  an- 
genehme Betragen  entspringt  ja  aus  der  Herzensgüte,  welche  aller  Felu- 
sitte  das  Basein  gegeben  hat  nnd  erhAlt  Die  speziOse  EootUDgeoz  nun 
oder  das  gleisende  Stattfinden  bat  meistens  einen  Anfing  vom  eigent- 
lichen Stattfinden,  ähnelt  ihm  und  stellt  sich  fälschlich  ihm  gleich,  weshalb 
ursprünglich  »gleichsend«  benannt  und  geschrieteu.  Täuschung  durch  An- 
schein hat  manchen  Justizmord,  manchen  Medizinmoni,  manchen  argen 
Mißgriff  in  der  Erziehung  zuwege  gebracht,  hat  manchen  Scliaden,  manches 
üuhoil,  Elend,  Übel  und  Wehe  augerichtet.  Die  amegej[)liiöche  Kopula  »ist 
qnantswdse  (prospupos,  specioee  tantum,  quadment)«,  läßt  also  immer  das 
Prtdikat  vom  Subjekt  einereeits  gelten,  nftoftlioh  in  der  Bezngsrichtung  auf 
einen  Anschein  hin,  und  andrerseits  nicht  gelten,  nämlich  in  der  Bezngs- 
richtung auf  die  Wirklichkeit  hin.  Sie  bezeichnet  allemal  einen  Zwie- 
spalt zwischen  Apparenz  und  Effektivität,  eine  Abweichung  des  Anscheins 


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1.  Anaoh^  und  WirUiehkeH 


153 


von  der  Wirklichkeit.  Sie  unterscheidet  stetä  die  spezit^  Kontingraz  uud 
die  antlieiitiacfae  KoutiDgenz  oder  das  gleieende  Stattfinden  und  das  eigent- 
licfae  Stattfinden.  Jedes  nmacbrlnkte  Zeitwort  (Terbnni  finitam)  drOckt 
ein  Stattfinden  anSf  ad  es  ein  Zustand  oder  ein  Geschehen;  die  allen 
ürteilsformen  gpmeinsame  Kopula  bezeichnet  daher  bald  ein  Sein,  bald  ein 
Werden  d.  h.  Cbergang  aus  einem  Soseiii  iu  ein  Anderssein  und  lautet 
nicht  bloß:  bin,  bist,  ist  usw.,  sondern  auch:  werde,  wirst,  winl  usw. 
Vergl.  Ich  werde  Arzt;  du  wirst  Soldat;  er  wini  Landwirt;  sie  wird 
Lehrerin;  nnser  Yaterhana  wird  banfllUg;  wir  werden  täglich  ftiter;  ihr 
weidet  eelbsttndig.  »Ana  Kindern  werden  Lente;  ans  lUddieD  werden 
Bräute,  f  Aus  einem  Dorf  wird  maochmal  eine  Stadt.  Solche  Sätze  be- 
kiiriflen  keine  Zustünfle,  sondern  mehrfoches  Geschehen,  Übergänge  aus 
einem  Zustand  in  den  andern.  Rulie  ist  ein  Sinnbild  des  Zustandes 
und  Bewegung  ein  Sinnbild  des  Geschehens. 

Termutiich  ist  unser  Nebeuwort  »quantsweise«  stammverwandt  mit 
dem  Banptwoit  »das  Quent,  das  Quentohenc,  welches  Mher  V4 
spiter  i/jQ  Lot  ^  1*/,  Oramm,  mithin  ein  sehr  kleines  Gewiäbt  be- 
deutete. Nachgerade  wäre  der  iUsohe  Anschein  verächHich  als  eine  Sache 
von  geringer  Wichtigkeif,  von  winzigem  Belang,  kurzum  als  Lappalie 
gedacht,  obschon  das  gleisende  Stattfinden  doch  manchmal  einen  Irrtum 
erregt,  zu  WalmbedOnkungen  verleitet  und  sogar  zum  Verderben  führt. 
Weigand  gesteht,  die  Herkunft  der  ersten  Silbe  unseres  Nebenwortes 
>quantswei8ec  nicfat  m  wissen;  er  veneichnet  es  swar  in  seineoi  Deutschen 
Würterbnch,  erkennt  es  aber  nuht  als  ein  hochdeutsches  Adverb  an.  Da- 
gegen halten  andere  Lexikc^raphoi  da88el)>e  fflr  bedeutsam  genug  zur 
Übersetzung  in  fremde  Sprachen,  so  z.  B,  Thieme  im  deutsch -englischen 
Teil  seines  Diktionärs,  wo  es  durch:  as  it  were.  for  fomi's  sako  wieder- 
gegelen  wird,  ebenso  Mozin  &  Peschier  im  deutsch  -  französischen  Teil 
ihres  Lexikons,  wo  es  durch:  par  feinte,  avec  dissimulation  gedolmetscht 
wird.  Cbrigens  kennt  Thieme  ein  deutsches  Beiwort  »quant«  »  gewandt» 
luttg  BS  deztorous,  cunning;  sndem  klonen  Hozin  &  Peschier  ein  deutschea 
Hauptwort  »der  Quantc  =  Mumpitz,  Flause,  Finte,  Schwindelei,  Ver- 
stellung, Gleisnerei,  auch  der  Schwindler,  der  sich  verstellende  Mensch, 
der  Gleisner  =  la  feinte,  le  finaud.  Damit  wird  nun  die  Herkunft  der 
ersten  Silbe  unseres  Nebenwortes  genügend  aufgehellt  und  ich  vermute, 
daß  die  beiden  Hauptwörter  »Quant  und  Quent«  einer  und  derselben  Sprach- 
wonel  entstammen,  welche  etwa  Tand,  wertloeee  Zeug,  nichtiges  Tun 
bedeuten  mag.  Schwerlich  hat  Verktlrsung  unseres  Beiwortes  »gewandte 
TO  »quant«  stattgeftmden.  Heutsutage  ist  unser  Neben  wort  »quantsweise« 
aeines  logischen  Wertes  wegen  in  di*»  allgemeine  hochdeutsche  Mundart 
übergegangen:  jetzt  wenden  es  horhureliildete  Volksgenossen  gerne  an. 

Zwischen  Apparenz  und  Effektivität  d,  h.  zwischen  Anschein  und 
Wirklichkeit  steht  also  oft  eine  Scheidewand,  wie  zwischen  dem  möglichen 
IUI  und  dem  venotwendigten  (nesessitierten)  oder  eingetretenen  Fall,  wie 
■wischen  Erstreben  und  Eirreichen,  wie  zwischen  Solkaohe  (Qebfihr)  und 
Tatsache.  Oft  jedoch  steht  keine  Scheidewand  da;  dann  stimmt  die  Wirk- 
hchkfrit  mit  dem  Anschein  flberein,  wie  der  yemotwendigte  Fall  mit  dem 


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164 


Mittaaangezi 


möglich  geweseoen  IUI,  wie  das  Eixeiohte  mit  dem  tetrebteo,  wie  die 
Tatsache  mit  der  SoUsache.    Der  AnsdMio  ist  In  vielen  EUlen  kein 

»Quant«,  kein  Gleisen ,  kein  falscher  Schein,  sondern  ein  zuverlässiger 
Schein,  ein  branchbaror  Anzeiger,  ein  Wegweiser  zur  Wahrheit.  I^ei- 
ßpiele:  Das  Wasser  im  Züricher  See  scheint  blau  zu  sein  und  ist  auch 
wirklich  blau.  Rudolf  scheint  reicli  zu  sein  und  ist  auch  wirklich  reich. 
Jeder  Rauch  ist  dn  auf  Feuer  hindeutender  Umstand.  Der  Sturm- 
wind namens  »Eilnng«  ist  ein  Yoibote  des  Blitses,  wie  der  Donner  asin 
Nachfolger.  Eoflspnien  im  Sand  und  im  Schnee,  Fufistapfen  im  Basen 
und  im  Moos  sind  sichere  Anseichen  dafQr,  daß  ein  Animal  darüber 
hinweg  gegangen  ist.  Dem  Titel  eines  Buches  entspricht  gewOiinlich 
dessen  Inhalt,  dem  Aashängeschild  eines  Handwerkers  dcs.sen  Arbeit,  dem 
Programm  eines  Festes  dessen  Verlauf.  Mutmaßungen  nach  dem  Anschein 
haben  oft  das  Richtige  getroffen.  Das  günstige  Vorurteil  fQr  ein  Unter- 
nehmen wird  oft  durch  dessen  Erfolg  gerechtfertigt  VorlAofige  Nach- 
richten vom  Eriegsaohauiilatz  werden  oh  spUer  endgOltig  bestitigt.  — 


2,  Ästhesiometer,  Ergograph  —  Ermüdung 

Von  Marx  Lobsien-Kiel 
I 

Bereits  im  Jahre  1808  hat  Dr.  R.  Tümpel  in  dieser  Zeitschrift  den 
mechanischen  Methoden  zur  Erforschung  dor  Enuüdung  —  also  der  Ästhesio- 
meter- imd  Ergographenmethfxle  —  gegenüber  eine  ablehnende  Stellung 
eingenommen.  Eine  größei-e  Anzahl  Forscher  sind  mit  ihm  gleicher 
Meinung.  Ihnen  gegenüber  stehen  viele  Anhänger  Griesbachs  und 
Hossos,  die  auf  Qrond  eigener  praktischer  Versuche  zwar  die  Yerbesse» 
rungsbedfirftigkdt  des  Apparats  in  manchen  Punkten  sagestehen,  gleich- 
wohl aber  der  Methode  als  solcher  durcliaus  wissensohaftlidien  Wert  su- 
erkonnen.  Dort  handelt  es  sich  g^r<")ütenteils  nm  akademische,  hier  um 
praktische  Erwägungen  und  es  kann  nicht  lanj^e  fraglich  bleiben,  auf 
welcher  Seite  das  größte  Maß  von  Wahrscheinlichkeil  liegt.  Folgender 
Satz  liegt  den  mechanischen  Maßmethodeu  zu  Gründe:  Nach  geistigen 
Arbeiten  zeigen  sich  gewisse  Änderungen  der  Hautsensibilitit 
und  der  Muskelenergie,  folglich  haben  wir  in  dem  Maße  dieser 
Veränderlichkeit  einen  Maßstab  für  die  Große  der  geleisteten 
geistigen  Arbeit.  Man  köiuite  nun  theoretisch  beweisen,  daß  dieser 
Schluß  falsch,  daß  die  Umkehrung  ohne  weiteres  nicht  statthaft  sei,  etwa 
durch  den  Nachweis,  daß  die  angenommene  Ursache  aus  vielen  einzelnen 
Komponenten  bestehe,  die  in  ihren  Sooderwirkungen  keineswegs  genOgend 
bekannt  sind,  daB  also  die  Wirkung  durchaus  nicht  eindeutig  bestimmt 
set  Man  kOonte  femer  darauf  hinweisen,  daß  nicht  wenig  Ergebnisse 
dem  Grundsatz  widersprechen,  daß  also  keineswegs  erlaubt  ist,  ein 
Parallelitätsverhältnis  anzunehmen  (so  Tümpel,  wenn  auch  mit  zu  ge- 
ringem Vertrauen  auf  den  Ausgleich  durch  Masseubeobachtuug).  Man 


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3.  iaOieaiometer,  Etigograph  —  Snnfidimg  155 


könnte  anf  Tersachstechoische  YerfehluDgea  aufmerksam  machen  oder  auch 
den  peychologisch  iatowloolintim,  doch  kioht  m  erbriDgendeo  Beweis  IQhzen, 
daS  —  nmal  bei  der  Äetheeiometermethode  eine  Yoreingenommeiihdt,  ein 
Vonirtell,  n&mlioh  daB  dieses  ParaUelitttSTerhältnis  in  Wiridicbkeit  be- 
stehe, durch  einige  wenige  Beobachtungen  scheinbar  gestützt,  autosiiggestiv 
-wirkte,  den  Blick  der  Forscher  trübte  für  die  Wertung  der  nachfolgenden, 
oft  wenig  umfangreichen  Untersuchungsresultate.  Man  könnte  diesen  noch 
«eitere  Erwägungen  hinzufügeu  —  sie  würden  vielleicht  im  einzeloen  Ab- 
itoohe  am  Wert  jener  Methoden  im  Gefolge  haben,  doch  niemals  ihre 
Stimme  lant  genug  den  uns  eben  tataftohlich  gegebenen  Resultaten  gegen- 
über ertönen  lassen  kOmien. 

Nun  ist  aber  neuerdings  eine  Arbeit  erschienen,  die  durchaus  den 
Boden  tadellos  sorgfältigen  wisvscnschaftlichen  Experiments  betritt,  die 
obendrein  begonnen  wurde  in  dem  festen  Glaubeu ,  die  Ei^gebnisse 
GrieabaohB  und  Hosso -Kellers  bestünden  zu  Recht,  die  sonlobst 
nur  eine  Nachprüfung  wollte  —  und  mit  einer  vollen  Absage 
endigte  Thaddens  L.  Bolton:  Ober  die  Beziehungen  zwischen  Er- 
müdung, Raumsinn  der  Haut  und  Muskelleistung.  ^)  Sie  bedeutet  für  die 
Methode  Griesbachs  in  ihrer  vorliegenden  Qestalt  den  Todesstoß  und 
für  die  Ergographenmethode  beinahe  dassollje. 

Ich  weiß  sehr  wohl,  daß  Untersuchungen  über  geistige  Leistungs- 
fthigkeit  und  Ermüdung  heute  nicht  entfemt  dem  Interesse  begegnen  wie 
Ter  einem  Jahrxehnt,  trotsdem  schemt  mir  die  genannte  Arbeit  wertroll 
genug,  an  diesem  Orte  einer  kmneii  Darstellnng  und  kritischen  Würdigung 
unterzogen  zu  werden. 

n 

Der  Verfasser  beabsichtigt,  mit  Hilfe  möglichst  genauer  psychologischer 
Vereoche  zunächst  einmal  Mzusetzen,  ob  und  in  wie  weit  sich  wirklich 
ein  gesetzmftBiger  Zusammeohaog  swischen  geistiger  und  kürperlicher  Er> 

iDüdung  einerseits,  der  IbnimschweUe ,  bezw.  der  Ergographenleistung 
andrerseits  nachweisen  lasse.  Zu  dem  Zwecke  führte  er  regelmäßig  je 
an  einer  R^ihe  aufeinander  folgender  Tage  vor  und  nach  oiiior  orraüdonden 
Ar}>eit  Bestimmungen  der  Kaumschwellen  mit  dem  Ästhesiometer  und  der 
Muskelieistung  mit  dem  Ergographeu  aus.  Als  Enuüdungsai-beit  wurde 
das  foilBohreileiide  Addieren  einstdliger  Zahlen  nadi  Oehrn  gewählt  *)  Die 
Daser  der  Arbeiten  wechselte  swischen  Y,,  1  und  2  StondMii  spftter  wurden 
immer  zwei  Stunden  gewühlt  Zum  Vergleiche  wuzden  Tage  eingeschoben, 
an  denen  zwei  Stunden  geruht  oder  spazieren  gegangen  wurde.  Die  Glabella 
war  die  für  die  Untersuchung  der  Raumschwelle  ausgewählte  Uaiitstelle. 
Das  bei  diesen  Versuchen  angewandte  Ästhesiometer  war  nach  den  An- 
gaben Griesbachs  in  Basel  angefertigt  worden.  Um  Druckunterschiede 
ba  dem  Auftotaen  zu  yermeiden,  wurden  an  Stelle  der  Spitzen  zw^  Udne 


FSyohologiaohe  Arbeiten,  herausgeg.  ?on  Kraepelin-H^detbeig.  Bd.  IV. 

a  17,-  ff. 

*)  Veigt  D.  VL,  Szperim.  Stadien  zur  IndiTidoalpeyohologie.  Diese  Ztsotax.  1903. 


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156 


lütteiloiigan 


senkrecht  abgebogene  Plätlchen  angeecliraubt,  die  je  eine  Dnrchbolinmg 
trugen.  In  diesen  Lfkrhern  spielten  frei  kleine,  5  mm  lange,  genau  passende 
Metallstäbchen,  die  an  ihrem  imteren  Ende  eine  feine  Elfenbeinspitze,  am 
oberen  Ende  dagegen  ein  kleines  Gewicht  trugen.  Mit  den  Spitzen  dieser 
Stftbe  wurden  die  Bwunstieekeii  auf  der  Haut  abgegrenzt  Bei  dem  Avf- 
aetsen  derselben  konnten  die  StKbohen  fm  in  ihren  LSoheni  gleiten  und 
drQcktffil  daher  immer  nur  mit  ihrem  Eigengewichte,  das  im  ganzen  5  g 
betnig,  auf  die  Haut.  Trotz  dios^'r  Yrrsiclitsmaßregeln  trat  dennoch 
öfters  das  Gefühl  verschieden  stirkon  Drucks  an  V»oiden  Spitzen  hervor. 
Bolton  bediente  sich  des  Verfahrens  der  Minimaländeruugen.  Der  An- 
fang wurde  mit  einem  Abstände  von  4  mm  gemacht;  dann  wimlen  die 
Spitzen  immer  om  je  1  mm  weiter  voneinander  entfernt,  bis  der  Ab- 
stand 8  mm  betrug.  Nunmehr  erfolgte  fortschreitende  Verideinemng  der 
Berührungsstrecke  um  je  1  mm  wieder  bis  zu  4  mm  herunter.  FQr  die 
Messung  der  Muskelkraft  benutzte  er  den  Ergographen  des  Heidelberger 
Laboratoriums.  Er  ist  nach  Angaben  Kracpelins  angefertigt  worden  und 
zeigt  gegen  den  Mossoschen  Api^aiat  besonders  die  Änderung,  daß  das 
Hauptgewicht  mit  jedem  Hube  höher  steigt,  so  daß  man  die  Gesamthöhe 
unmittelbar  an  einem  Hafistabe  ableseo  koonta  Das  Gessrntgewieht,  dsa 
bei  jeder  Bewegung  gehoben  werden  mufite»  betrug  5  kg.  Die  Hebungen 
wurden  alle  2  Sekunden  Torgenommeo,  bis  keine  Hebung  mehr  möglich 
war.  Nach  einer  Pause  von  1  Minute  wurde  eine  neue  Ermüdungskurre 
gezeichnet,  der  nach  einer  2.  Pause  von  1  Minute  eine  dritte  folgte. 

in 

Bei  genauester  und  ausgedehntester  Prüfung  der  Beziehungen  zwischen 
Baumschwelle  und  Ermfldungsgrsd  stellte  sieh  hemus  in  drei  Yersnchs- 
reihen,  daB  ein  solcher  ZusamsMnhaag  in  der  ersten  Reihe  andeutung»- 
weise,  in  der  zweiten  kaum,  in  der  letzten  durchaus  gar  nidit  erkennbar 
war,  obgleich  die  Ermfidungsgrade  sehr  beträchtlich  waren.  Jedenfalls 
läßt  sich  mit  Bestiinnithcit  sagen,  daß  die  Beeinflussung  der  Raumschwelle 
durch  die  geistige  Ermüdiuig,  wenn  es  Oberhaupt  eine  solche  gibt,  eine 
äußerst  geringfügige  und  unsichere  sein  muß.  Somit  ist  jede  Möglichkeit 
ausgeschlossen»  die  Baumsdiwdle  in  Hassenuntezsuchungen  als  Maft  der 
Ermfidung  zu  benutzen. 

Ganz  ahnUche  Erfahrung«],  wie  mit  der  Raumschwelle  hat  Bolton 
mit  der  Ei^graphen kurve  gemacht.  Zwar  ließ  sich  hier  durch  planmäßige 
Untersuchung  der  Nachweis  erbringen,  daß  wirklich  Beziehungen  zwischen 
der  Muskelleistung  und  der  geistigen  Tätigkeit  zu  bestehen  scheinen  — 
aber  sie  wai'cu  gerade  umgekehrter  Art,  wie  sie  schon  Kemsies  voraus- 
gesagt und  aufgefunden  hatte.  Nach  sweistflndigem  Rechnen  erwies  sich  die 
Muskelkraft  erhöht,  obgleich  eine  recht  erhebliche  geistige  Ennüdung  ans 
dem  Verlaufe  der  Rechenarbeit  hervortrat.  (Sic  läßt  sich  ja  unschwer  aus 
Quantum  und  Qualität  dor  gelösten  A^ifgaben  ersehen.)  Obwohl  Verfasser 
weit  davon  entfernt  ist,  diesen  Befund  als  allgemein  gfUticr  anzusehen,  be- 
weisen seine  Versuche  doch  mit  vollster  Bestimmtheit,  daß  es  nicht  angeht, 
aus  dem  Sinken  der  Muskelkraft  iigend  welche  Schlüsse  auf  den  Qiad 


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2.  Ästhesiometer,  £i|{ogni>h  —  Ennäduiig 


167 


der  £^eistic:en  ErmOdun^'  zu  ziehen.  Wahrscheinlich  sind  dio  ^gegenseitigen 
Rc'ziohungeu  sehr  verwickelt.  Bevor  also  Massen  versuche  angestellt 
werden,  ist  es  unumgänglich  notwendig,  mit  grfiliter  Sorgfalt  der  Wechsel- 
wirkung zwischen  geistiger  Tätigkeit  und  Muskelleistung  im  emzeinen 
naclmgeheo,  damit  wir  erat  ein  richtiges  VerstfiodiUB  dafOr  gewinMo, 
im  wir  eigentUcb  mooocn.  —  Bei  dem  überall  erkennbaren  Ineimukler- 
greifen  der  verschiedenartigsten  ISoflOflee  muß  es  vorläufig  als  zweifelliaft 
bezdchnet  werden,  nh  Ennudungsmessungen  (mechanischer  Art!)  jemals  in 
eine  Form  gebracht  werden  können,  die  sie  für  Massenuntereuchungen  ge- 
eignet macht,  wenn  man  sich  nicht  auf  die  allergröbsten  Tatsachen  be- 
schränken will.  Wenn  es  aber  doch  gelingen  sollte,  so  wird  das  sicherlich 
mir  dadoroh  eneioht  werden,  daB  wir  dnroh  aoigftltige  nnd  pmfiMaende 
Voiprühmgen  una  die  genaueste  Kenntnis  von  den  Wechaeibeaehnngen 
der  yerschiedenstea  Formen  geistiger  wie  körperlicher  Tttigkeit  und  Er« 
Bifidong  verachaffen. 

IV 

Summe  der  Ergebnisse.  1.  Das  Griesbachsche  Ästhesiometer 
ist  fOr  fernere  BaamschweiUeirantersnchungen  ungeeignet 

2.  Die  Bestimmnog  einer  eioigeimafien  snverUtesigen  Banmaohwelle 
eriocdert  eine  so  grofie  Zahl  planmäßig  angelegter  Einzel  versuche^  daß  sie 
in  einer  einzicren  Sitzung  wegen  der  bald  auftretenden  Ermüdangserschei- 
DOX^n  unmöglich  ist. 

3.  Irgendwelche  gesetzmäßige  Beziehungen  zwischen  Größe  der  Kaum- 
schwelle und  Grad  der  geistigen  ErmQdung  haben  sich  bisher  auch  in 
woohenlang  ausgedduten  sorgffiltig  ausgeführten  Yersncbsreiben  nioht  nach- 

4.  Die  Banmaohwelle  ist  in  keiner  Weise  als  das  Mafl  für  die  Er- 

mÜdnngswirkuog  einer  geistigen  Arbeit  verwertbar. 

5.  Die  Ergographenleistung  wird  duK:h  zweistündiges  Addieren  er- 
höht, durch  zweistündiges  Spaziereu  herabgesetzt. 

6.  £>ie  Ergographenkurre  liefert  durchaus  kein  Maß  für  die  Größe 
d«  geistigen  Ermüdung. 

V 

Das  sind  allerdings  vernichtende  Schläge  gegenüber  den  bisherigen 
Versuchen,  durch  ein  mechani.sch- physiologisches  Maß  geistige  ErmQdung 
zu  messen.  Es  drängt  sich  uuwillktlrlich  die  Frage  auf:  Haben  denn 
Griesbach,  Wagner,  Kemsies  u.  a.  so  oberflfichlioh,  so  leiohtglAiibig 
gssrbeitet?  Oder  hat  die  oben  erwfthnto  Voreingenommenheit  eine  solche 
Ibflfat»  daß  sie  auch  Männern  der  Wissenschaft  die  Augen  zu  binden  ver- 
mag? Wo  ist  denn  die  Wahrheit?  Meinen  und  Erraten  hilft  hier  nichts, 
entscheiden  kann  zunächst  nur  ein  sorgfältiger  Vergleich  der  näheren  Ver- 
suchsnmstände.  Zweifelsohne  sind  die  Untersuchungen  Boltons  mit  denk- 
barster Sorgfalt  anstellt  worden,  sie  konnten  auch  mancherlei  versuchs- 
twAmauhe  Mängel  ihrer  Yorgängerinnen  ana^eidien;  die  DarstelluDg  Gries- 
bachs aber  nnd  Hossos  usw.  läftt  nach  dieser  Seite  hin  manoherlei 


158 


Mitteilungen 


Unklarhoitpn  und  Lücken.  Bedenklicli  bleibt  bei  den  Cntereuchungen 
Boltoüs,  daß  sie  nur  au  einer  Person  ausgeführt  wurden  —  zwar  finde 
ich  das  nirgends  bestimmt  sasgedrOokt  — .  So  ist  von  TomlieraiD  ein 
Veigleich  leoht  schwierig;  min  ▼eiS  nidit  — -  hüben,  wie  weit  indiyi- 
dnelle  Unterschiede  ausgeglichen  wurden,  drüben,  wie  sehr  die  persCnlicha 
Eigenart  das  Ergebnis  beRtimmte.  Entscheiden  kann  darüber  letzten  Endes 
nur  sorgfältigste  und  umfassende  Nachprüfung.  Vorläufig  aber 
erseheinen  die  mechanischen  Methotlen  zur  Messung  geistiger  Ermüdung, 
weno  auch  nicht  unbedingt  im  Prinzip,  so  doch  in  ihrer  heutigen  Fassung, 
duToh  die  Untersnohmig^  Boltons  stark  eraohlttteit. 


8.  Die  BtUtiBche  Fortbildungsschule  in  DflBseldorf 

besteht  aus  einer  obligatorischen  und  einer  freiwilligen  Abteilung,  anfiel 
dem  sind  ihr  EnabenzeichenklasseD  angegliedert,  in  welchen  YoUaBchfller 
in  den  freien  Nachmittagen  einen  erweiterten  ZeicfaennnteniGfat  eihalten, 
so  daß  sie  bei  ihrem  Eintritt  in  die  obligatorische  AbteUnng  sogleich  mit 
den  Elementen  des  beruflichen  Zeichnens  beginnen  können.  Die  obli- 
gatorische Abteihmg  umfaßt  3 1  Klassen  jngendlicher  Arbeiter,  62  gewerb- 
lich o  und  11  kaufmännische  Klassen. 

Die  Schulpflicht  besteht  bei  wöchentlich  6  Stunden  zunächst  fflr 
2  Jahre,  \s  egeu  der  Einffihning  des  dritten  Jahres  schweben  Yerliandlnngen. 
Die  erste  Entlassung  fand  Ostern  1904  statt  Als  besonders  beacblans- 
wert  sei  aus  den  Erörterungen  des  jüngst  erschienenen  Berichtes  des 
Stadtschulinspektors  Dr.  Kuypers  ühä  die  Organisation  der  obligatori- 
schen Schule  hervorgehoben  : 

Bei  der  Gründung  wurde  nur  der  erste  Jahrgang  eingeschult;  die 
Erweiterung  erfolgte  nach  dem  halbjährigen  Zuwachs  aus  der  Volksschule. 
Die  Einsohulung  geschieht  nicht  dwjh  besondere  Anmeldnng.  Es  eiliilt 
vielmehr  jeder  Schiller  schon  bei  der  Entlassnng  ans  der  YoUnsdrale  seine 
Zuweisung  zu  einer  bestimmten  Sammelkiasse.  In  diesen  Klassen  werden 
die  Schüler  einige  Wochen  geprüft;  mittlerweile  sind  auch  ihre  Arbeits- 
verhältnisse soweit  geklärt,  daß  ohne  erhebliche  spätere  Umschulungen 
die  Zuweisung  zu  einer  Berufsklasse  und  Befähigungsstufe  erfolgen  kann. 

Die  Klussenbildung  ist  nach  Berufen  und  Berufsgruppen  und  inner- 
halb derselben  nach  Befthigungsstufeii  etfolgt,  aufierdem  sind  mit  BOoksioht 
auf  die  LehrplAne  die  Jahrgftnge  geschieden.  Die  aus  der  HilfBsdhule 
entlassenen  Schfiler  und  solche,  welche  in  der  Berufsldaase  nicht  folgen 
können,  werden  besonderen  Vorklassen  überwiesen,  welche  ohne  Scheidung 
der  Jahrgänge  und  der  Benife  in  4  Stufen  aufsteigend  gegliedert  sind. 
In  denselben  wurden  3.21  %  sämtlicher  Pflichtschfller  unterwiesen.  Die 
Lehrpläne  ächheiieu  sicli  dem  Benifslebcn  an.  Qelehrt  wird:  Deutsch, 
Gewerbe-  und  Bembkunde  (Handelskunde^  bei  den  ungelernten  Arbeitern 
BQrgerkunde),  Rechnen,  Kalkulation, '  Buchführung  und  bei  den  seich- 
nenden  Berufen:  2jeichnen  unter  Berücksichtigung  der  Zwecke  des  Berufes. 
Als  freiwillige  Kurse  für  Pflichtsohttler  sind  Stenogn^)hie  und  pmktiache 


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159 


Samariterkimde  angegliedert.  Sonntags  wird  keio  obUgatorischw  Uotei^ 
rieht  erteilt,  Werktags  nicht  nacli  ^  Vhr  al>on(l8. 

Die  Ausbildung  der  Lehrer  orfülj^to  außer  durch  Beschickung  aus- 
wärtiger Ausbildungskurse  und  durch  Konferenz- Vorträge  im  wesentlichen 
durch  Aifalialtuiig  yoa  allgemeioen  Zeiobenkiinai  und  betondeieo  lusb- 
kvnen  noter  Leitung  von  ÜBcUeaten.  Mit  den  Handwerksindsteni,  Sjtuf- 
leiiten,  WerksttiteD  und  Fabriken  wird  bestandig  Fühlung  gehalten.  Probe- 
lektionen, welche  die  Methode  des  Fortbildungsschul  -  Unterrichtes  veran- 
schauHchen  sollen,  sind  in  Aussicht  genommeD.  Für  die  Lehrer  und  für 
die  Schüler  sind  Bibliotheken  gegrümlot. 

Umfangreiches  statistisches  Material  ist  über  Arbeits-  mid  Lohn- 
veihlltinase  sasammengetragen.  Die  Fortbildiingaechule  se%t  «oh  dabei 
als  Gdegenhfflt  zur  Ausbildung  der  noch  wenig  eotwiolrelten  Lohostatistik 
Jugendlicher.  Der  Zweck  der  Umfrage^  deren  Bearbeitung  in  den  statisti- 
schen Tabellen  vorliegt,  war  aber  vor  allem,  den  Umfang  und  die  Gründe 
der  Arbeitslosigkeit  festzustellen,  sowie  ein  Bild  von  den  Lohiialtzüiirerj 
fQr  die  Zeit  des  Unterrichts  zu  erhaiteu,  um  auf  die  betreffenden  Arbeit- 
geber einzuwirken. 

Der  Schulbesodi  hat  sieh  nach  den  angeffibiteo  FkDsentsfltEen  der 
TenlniDiuBse  sn  einem  fast  gans  regelmiftigen  gestaltet  Am  meisten 
neigen  die  jugendlichen  Arbeiter  zu  unentschuldigter  Schulversäumnis. 
Pünktlichkeit  und  Saiib^rkfit  sind  nach  vielen  Anstrengungen  erzielt.  »Im 
ganzen  fällt  die  erfreuliche  Tatsache  offenkundig  in  die  Augen,  daß  dio 
juDgen  Leute  durch  die  unmittelbare  und  mittelbare  Einwirkung  der  Fort- 
bildungsschule in  hohem  Orade  zur  Achtsamkeit  auf  ihren  inneren  und 
Inlereo  Menschen  enogen  und  und  dafi  daher  die  Neigungen  der  ülegel- 
jriue  gana  ivesentlich  bei  ihnen  surQoktreten  hinter  einer  geieifteren  und 
gehaltvolleren  Lebensanschauung,  r 

Lehrreich  ist  die  Kontrolle  der  Fortbildungsschule  über  die  Volks- 
schule. Es  hat  sich  herausgestellt,  daß  viele  Einzelkenntnisse  der  Volks- 
Bchule  bald  verloren  gehen,  und  daß  das  Maß  der  Denk-  und  Sprach- 
fertigkeit im  ganzen  geringer  ist,  als  man  erwartet  hätte.  Desgleichen  ist 
die  groie  Yerschiedenartigkeit  dier  BeflUiigung  und  der  Leistungen  auf- 
gefallen, 80  daB  die  Scheidung  nach  BefiUiignngBstnfen  sich  als  gans  un- 
ecUUUioh  erweiet 

Ein  besonderes  Kapitel  ist  den  polizeilielu  n  Maßnahmen  und  der 
Fürsorge-Erz ieluing  gewidmet.  Falls  der  Sr-hülor  aus  eigener  Schuld  die 
Schule  wiederholt  versäumt,  werden  Geldstrafen  gegen  ihn  verfügt,  im  Un- 
TensOgens&üle  wird  ihm  Gelegenheit  zur  Ausfertigung  eines  Stundungs- 
gesnehes  gegeben,  und  erst  als  letstes  Mittel  bei  hartnftckigen  Bummlern 
den  Schulbesuch  zu  erzwingen,  wird  die  Haftstiafe  in  einer  besondereu 
Zelle  des  Polizei -Gefängnisses  vollzogen.  Es  hat  sich  geseigt,  daß  die 
wenigen,  welche  der  Haftstrafe  verfallen,  fast  immer  junge  Ijcute  sind, 
deren  Lebensführung  auch  sonst  nicht  einwandfrei,  und  deren  häusliche 
Erziehung  gänzlich  vernachlässigt  ist  Sie  werden  deshalb  seitens  der 
Sehnte  beeonders  sorgfältig  überwacht.  Wenn  nOtig,  wird  FÜrsorge-Er- 
liehnng  gegen  sie  beantragt,  was  in  10  lUlen  mit  Eifolg  geschehen  ist 


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160  IGtleaaDgeii 


In  der  letzten  yemmniliiDg  des  Fürsorge' VerainB  fOr  katholische  Ge- 
lADgene  wurde  bertohtet,  dafi  die  Krimioalitftt  Jogendlioher,  soweit  die 
StnufvollBtreokang  im  ZeUrageflDgniB  zu  Dflaaeldaif  in  Fmge  kommt,  auf 

eiD  Drittel  des  rrofanges  früherer  Jahre  zurück c:oi^angen  ist,  was  seitens 
des  Anstaltsgeistlichon  wesentlich  auch  der  Fort bUdunf^ssch nie  zugeschrieben 
wird,  und  zwar  abgesehen  von  ihrer  direkten  Einwirkung  der  eben  an- 
gedeuteten rechtzeitigen  Aussciieiduug  vuu  solchen  jungen  Leuten,  bei  denen 
eine  völlige  Verwahrlosung  zu  befürchten  ist. 

Frne  YenmataltoDgen  zur  Sammlung  der  adhulenflasaenen  Jugoid  in 
ihrer  froen  Zeit  sind  in  erfreulicher  Entwicklung:  Es  werden  Tum-  und 
Spielknrse,  Skioptikon -  Vorträge  und  Samariter- Übungen  abgehalten  und 
Schnlfoiern  veranstaltet,  bei  denen  die  Schüler  selbst  mitwirksD.  Mit 
Schülerausflügen  ist  der  Anfang  gemacht. 

Die  Schüler  erhalten  Ualbjahrszeugnisse  und  ein  Enüassungszeugnis. 
Die  EntlaaBong  erfolgt  auf  Qnmd  einer  Prüfung;  falls  das  Lehniel  nicht 
erreicht  ist,  wird  nach  einer  sehr  beachtenswerten  Beetioimung  des  Orta- 
statutes  die  Schulpflicht  um  ein  halbes  oder  ein  volles  Jahr  verttngert. 

Die  freiwillige  Abteilung  wird  von  Lehrlingen  und  Gesellen  beeuoht, 
welche  der  Fnrtbi1dnnG:^schulpflicht  entwachsen  sind.  Sie  besteht  ana  vor- 
bereitenden Zeichenklassen  und  Fachklassen. 

Von  besonderer  Bedeutung  sind  die  Knabenzeichenklasseo,  deren  Zahl 
in  den  leisten  beiden  Jahren  von  7  auf  26  geetiegen  ist  Sie  eigftnaen 
die  Volkseohulbildung  im  Zeichnen ,  sollen  mit  Huer  Anlehnung  an  die 
Zwecke  technischer  Berufe  eine  Brücke  schaffen  zwischen  dem  modernen 
Volksschulzeichnen  und  dem  bemflichen  Zeichnen  der  obligatorischen  Schule, 
und  regen  das  Interesse  der  Schüler  für  einen  »gelernten«  Beruf  an,  so 
dali  zu  hoffen  ist,  daß  sie  zur  Verminderung  der  Zahl  der  ungelernten« 
Arbeiter  beitragen,  welche  durchschnittlich  34  ^/^  aller  rflichtschüler  auiä- 
macht 

Dafi  das  Interesse  der  Gewerbetreibenden  für  die  Schule  geweckt  ist, 
bewdsen  die  gestifteten  Ooscbenke. 

Die  angeschlossene  Übersicht  für  das  Sommerhalbjahr  1904  zeigt 
einen  Bestand  von  1Ü4  obligatorischen  Klassen  mit  3074  Schülern,  35  frei- 
willigen Klassen  mit  792  Schülern  und  26  Knabenzeichenklassen  mit 
703  Schülern. 


4.  Universität  und  Volkssohiülehrer 

Von  W.  Kei  n-Joua 

Den  »Königsberger  Sätzen«  stelle  ich  folgende  gegenüber: 

1.  Die  Universitäten  sind  in  ihrer  gegenwärtigen  Verfassung  voll- 
ständig ungeeignet  für  die  Ausbildung  der  Volksschullehrer,  woiii  aber  er- 
BcheiDen  sie  als  Zentialatitten  wiseensdiaflttoher  Arbeit  dasn  berufen,  der 
Fortlnldung  der  Lehrer  au  dienen. 

2.  Jeder  Lehrer  soll  auf  Orund  seines  Seminarabgangszeugnisses  an 
je<ler  Universität  immatrikuliert  werden  kOnn^,  wie  dies  bereite  an 
mehreren  üniTersitftten  geschieht 


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5.  Konferenz  der  Lt;hrer  des  muttersprachlicbeo  Uoterhchts  in  Bulganen  löl 


Die  Bcj^ründung  habe  ich  in  Lohmeyers  Deutscher  Monats- 
schrift (Augustheft)  zu  geben  vei-sucht  E»  sei  iiier  in  Kürze  folgendes 
dazu  bemerkt: 

1.  Naoh  deo  KöDigsberger  Sitzen  soll  der  gleidie  BOdungsgaug  dotoh- 
lanfen  wsrdeo  wie  der  der  Oberlehrer.  Dos  ist  eio  Lüsches  ZieL  Der 
BUdnogogang  der  Volksschulldirer  b(A\  zwar  gleichwotig,  aber  nicht  glach- 

artig  sein.    So  verlangt  es  unsere  Volksschulerziehung. 

2.  Bei  den  Oberlehrern  kommt  das  Seminar  nacli  der  Universität, 
bei  den  Volksschuilehrern  vor  derselben.  So  soll  es  bleiben.  Dies  hat 
seinen  guten  Qrund  in  der  Eigenart  der  Yolksschulerziehuug. 

8.  Die  UniverdtfttoD  lehnen  die  Ausbildung  ab,  da  sie  io  ihrer 
jetzigen  Yerfossang  nur  der  Fortbildung  der  Volkssohaliehzer  gerecht 
werden  können. 

4.  Der  Prozentsatz  der  Lohrcr.  die  ihre  Fortbildung  auf  dor  l'ni- 
versität  suchen,  wird  von  Jahr  zu  Jahr  steigen.  Dieser  allmählichen  Ent- 
wicklung auf  gegebener  Grundlage  werden  die  Universitäten  gewiß  gern 
entgegenkommen,  wie  dies  schon  in  Leipzig,  Jena  und  Gießen  der  Fall  ist 

5.  Eine  Reform  der  Lehrerseminare,  wie  sie  bereits  in  Proofien  an- 
gebahnt worden  ist,  hat  damit  Hand  in  Hand  su  gehen,  vor  allem  auf 
Orand  eines  gut  durchgebildeten  Lehrerkollegiums,  das  wissenschaftUldl 
nnd  (>ädagogisch  auf  der  Höhe  stehen  mufi,  die  man  mit  fiecht  von 
Lehrerbüdnem  verlaogea  kann. 


5*  Konferenz  der  Lehrer  des  mutterspraolillclieii  Unter- 

riohts  in  Bulgarien^) 

Vom  14.  bis  17.  Juli  ds.  J.  tagte  in  Sofia  unter  dem  Vorsitze  des 
rnterrichtsminiHters  Dr.  Iw.  Schischmanoff  eine  Konferenz  der  bulgari- 
schen Sprachlehrer,  in  der  sehr  wiclitigo  Beschlüsse  in  B(>tioff  der  Er- 
teilung der  bulgariseiiea  Sprache  an  den  höheren  Schiüen  gefaßt  wuideu. 
Auf  Grund  der  beiden  Vorträge  von  Dr.  B.  Tzoueff,  Professor  au  der 
Hochschule  zu  Sofia,  Uber  »Dialektenverteilung  und  Notwendigkeit  einer 
Dialektenkaitec,  und  von  Dr.  N.  Bobtscheff,  Sektionschef  in  dem  Unter- 
richtsministerium,  Ober  »Notwendige  Maßregeln  au  einer  besseren  Er- 
teilung des  litei-atuzgeschichüichea  Unterrichtsc  wurden  folgende  Fragen 
eiDgeheud  erörtert: 

1.  Auf  die  Frage,  welche  Maßregeln  getroffen  wenlen  müssen,  um 
eine  einheitliche  Rechtschreibung  zu  stände  zu  bringen,  antwortete  die 
Konferenz:  Es  soll  in  nAohster  Zukunft  ein  vollständiges  Rechtsohreibungs- 
wQrterbuch  ausgearbeitet  werden  mit  Berücksichtigung  der  von  der  Konfe- 
renz au.sgesprochenen  Prinzipien,  die  auf  eine  Vereinfachung  der  jetzigen 
offiziellen  Rechtschreibung  hinzielen. 

2.  Als  Ursaciien  des  sehr  geringen  Erfulgs  bei  dem  multer.sprach- 
licheo  Unterriclite  wurden  gekennzeichnet:  a)  die  I^'atui*  des  Faches  und 

Bericht  nach  eiser  amtlichen  ICttdlong. 
SSrftHhim  lir  FUloMvUe  ODl  Flteiaglk.  t2.  Jüttg^.  11 


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162 


llttteOimgen 


seine  zosammeogesetste  und  vielBeitige  Aufgabe;  b)  das  Fehlen  einer  ent- 
sprechenden JngendUtentar ;  o)  die  nicht  genan  festgestellte  ReditF 
schreibuDg;  d)  die  fehlerhafte  Sprache  der  I^ehrbücher  und  der  Literator- 
werke;  e)  die  EinNvirkun?  clor  Dialekte  auf  die  Sprache  der  Kinder  und 
oftmals  auch  der  Lehrer;  f)  die  schwere  und  überhäufte  Arbeit  der  Sprach- 
lehrer; g)  die  sehr  geringe  Vorbereitung  violer  Sprachlehi-er;  h)  die  all- 
zuhAiifige  Versetzung  der  Lehrer  von  einer  Schule  in  die  andere;  i)  die 
unpassende  Auswahl  und  Anordnung  des  mutterspracUichen  Lsrastoifes  in 
dem  Lehrplan  für  die  YoUnachale;  j)  die  überfQllten  Sohulklaasen. 

Als  Mittel  zu  einer  möglichen  Bessening  wurden  vorgeschlagen: 
a)  der  muttersprachliche  Unterricht  in  der  Volksschule  und  in  den  niederen 
Klassen  der  höheren  Schulen  soll  einen  mehr  {iraktischen  als  theoretischen 
Charakter  tragen,  d.  h.  die  Grammatik  soll  nicht  Zweck,  sondern  Mittel 
bei  der  Erlernung  der  Muttenpndie  sein;  b)  die  LshibfidiBr  aoUeo  nicht 
allsuoft  gewechselt  werden  und  ihre  Sprache  muß  lein  und  fehleiM  sein; 
c)  es  muß  eine  allgemeingültige  Rechtschreibung  und  Terminologie  ein- 
geführt werden;  d)  es  müssen  für  alle  Klassen  Chrestomathien  mit  gut 
ausgewählten  Lesestficken  ausgearbeitet  werden ;  e)  der  Charakter  der 
schriftlichen  Übungen  muß  näher  bestimmt  werden;  f)  es  müs>tMi  günstige 
Grundlagen  für  die  Pflege  der  Uauslektüre  und  für  die  Entwicklung  der 
Jugendliteratur  gmfäußm  weiden ;  g)  der  muttersprachlioiie  ünteirioht  soll 
nur  von  Fadtmlnnem  erteilt  werden;  h)  die  Arlidt  der  Spraohlehrsr  muB 
durch  Mindenmg  der  obligatorischen  Schulstunden  (18 — 24  in  der  Woche) 
für  jeden  Lehrer  erleichtert  werden  i)  für  das  richtige  Sohroiben 
und  Sprechen  sollen  auch  die  andern  Lehrer  mit  größerer  Aufmerksam- 
keit sorgen. 

3.  In  Betreff  des  Lelirpians  für  die  Gymnasien  und  der  Ausarbeitung 
einer  Dialektenkarte  bat  die  Konferenz  eine  Reihe  toq  Beechltasen  von 
SrHicfaem  Interosae  geiaBt  und  aufierdem  ncoli  folgende  Wünsche  aus- 
gesprochen: a)  die  bulgarische  Sprache  soll  an  den  klassischen  (Humanitäts-) 
und  Realgymnasien  im  gleichen  Maß  erteilt  werden;  b)  die  Lehrer  der 
Muttersprache  an  den  höheren  Schulen  müssen  sich  mit  der  Dialekten- 
forscliuiig  befassen,  indem  das  Land  in  Diaiektenbezirke  eingeteilt  werde. 
Die  gesammelten  Rohmaterialien  müssen  von  einer  Kommision  bei  dem 
ünterrichtsministerium  geprüft,  geordnet  und  herausgegeben  weiden;  e)  die 
Spraehdenkmiler  müssen  soig&ltig  gesammelt,  yedttfentliofat  und  den 
Schülern  zugBnglidi  gemacht  werden. 

Sofia  Dr.  W.  Nikoltachoff 


')  Es  ist  schon  geschehen.  Nach  einer  MiaisterialverordDong  sollen  die  Sprach- 
lehrer an  den  höheren  Scholen  nur  15  Standen  wOohenthoh  haben. 


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I  Philosophisches 

Wudt,  WilhelH.  Völkerpsychologie.  Eine  ÜDtersuchung  der  Entwick- 
lungsgesetze von  Sprache,  Mythus  und  Sitte.  1.  Bd.  Die  Sprache.  1.  Tl. 
Zweite  Aufl.    X  u.  667  S.    Leipzig,  Engelmann,  1904. 

Diese  2.  Auflage  hat  eine  tiefer  greifende  Umarbeitung  nur  in  dem 
Kapitel  vom  Lautwandel  gebracht.  Da  ich  das  Werk  Wundts  bereits  im 
9.  Jahrgange  dieser  Zeitschrift  ausfflhrhch  besprochen  habe,  will  ich  hier 
kurz  nur  auf  dieses  Kapitel  eingehen. 

Das  Neue  liegt  darin,  daß  die  beiden  Umstände,  welche,  nach  Wundt, 
die  mannigfachen  Formen  des  Lautwandels  zur  Hauptsache  bedingen,  näm- 
lich die  mit  fortschreitender  Kultur  sich  steigernde  Geschwindigkeit 
des  Redeflusses  und  die  Betonung,  eine  erneute  sorgfältige  Erwägung 
und  eine  umfängliche  Begründung  erfahren  liaben.  —  Die  Bedeutung  der 
gesteigerten  Geschwindigkeit  im  Sprechen  und  Denken  für  den  Lautwandel 
hat  man  zwar  schon  vordem  ausgesprochen,  aber  nirgends  finde  ich  eine 
so  festgefügte  Begründung. 

Wundt  erörtert  zunächst  die  allgemeinen  Wirkungen  der  Artikulations- 
geschwindigkeit. Zwar  haben  wir  kein  unmittelbares  Zeugnis  dafür,  daß  das 
Tempo  der  Rede  in  früheren  Zeiten  wesentlich  langsamer  war  als  heute ;  doch 
können  wir  uns  berufen:  1.  auf  ein  Analogon  aus  der  Musik.  Bekannt- 
lich hören  wir  die  Beethoven  sehen  Symphonien  heute  in  einem  schnelleren 
Tempo  vortragen  als  in  dem  sie  ursprünglich  komponiert  worden  und  das 
gilt  noch  mehr  von  Haydn,  Mozart,  Bach  u.  a.  2.  Der  StU,  die  umständ- 
lichere Form  der  grammatischen  Konstruktion  —  der  schwerfällig -gravi- 
tätische oder  plumpe  Schritt  der  Rede  weist  auf  ein  gleiches  hin.  Aber 
abgesehen  von  diesem  immerhin  etwas  unbestimmten  Eindruck  von  Sprache 
and  Stil,  haben  wir  dafür  ein  wertvolles  Zeugnis  im  Gebiet  der  Laut- 
formen selbst,  nämlich  in  den  Kontaktwirkungen  der  Laute,  den  sogenannten 
regressiven  und  progressiven  Lautassimilationen,  die  alle  auf  eine  Be- 
schleunigung der  Rede  hinweisen. 

Die  Sprache  besitzt  eine  große  Zahl  von  Erscheinungen,  die  dafür 


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164 


BespreohttDgen 


eintreten.  Zu  erinnern  ist  an  die  Vokalkontraktion  (die  Verschmelzung 
von  Vokalen),  an  die  Lautscliwächung  ara  Ende  der  Wörter,  Änderung  dar 
konsonantischen  Endlaute.  —  Man  ist  ferner  in  der  Lage,  durch  ein  ein- 
faches Experiment  nachzuweisen,  daß  bei  boscbleuoigter  Rede  der  Laut- 
ohankter  vafindert  wird.  Man  veifolge  2.  &  die  Wuidliinge&  der  labialen 
ExplouTlante  p  und  b.  Es  empfiehlt  sich,  aie  mit  a  za  kombinieren.  Bs 
seien  bezeichnet  mit  p^,  die  stark,  mit  p',  b'  die  schwaoh  aspirierten 
Laute,  mit     b  die  AfCrikata,  mit  b  die  tonende  Media»  mit  p  und  b  die 

V 

tonkieen  Lippenlaute»  dann  ergeben  rioh  tagende  Wandlungen: 

p'^ä,  p%  äpa  }^ 
bft*  ba  abil  bft  Sb  Sb. 

V 

Denkt  man  sich  ähnliche  Wirkungen  der  Geschwindigkeit  und  Be- 
tonung über  eine  längere  Zeit  ausgedehnt  oder  gar  durch  hinzutretende 
Bedingungen  Tentftrkt,  so  erkttien  sich  mancherld  Veiändemngen  besonden 
der  harten  BxpIoaiTlaute:  80  sehen  wir  p'unt  in  pfunt  und  fund  über- 
gehen ;  so  war  die  unprflngliche  Form  für  Apfel  wahrscheinlich  *ap'ul. 
althochdeutsch  nebeneiniHider  apful  und  afful,  niederhochdeutsch  Apielf 
niederdeutsch  Appel. 

Tempo  der  Rede  und  Wortbetonung  sind  vor  allen  Dingen  wichtig 
für  die  Deutung  des  Gesetzes  über  die  Lautverschiebung.  Überblickt  man 
zunächst  die  allgemeine  Achtung  der  Lautänderungen  sowie  die  Ab- 
weiohungen,  die  sie  im  dnzelnen  bieten,  so  springt  in  die  Augen,  daß 
diese  Erscheinungen  in  beiden  Besiehungen  im  wesentlichen  den  Modi- 
fitarfionsn  entsprechen,  welche  die  drei  Klassen  der  Vfflrsdüufilaote  infolge 
der  experimentellen  Variation  der  Artikulationsbedingungen  erfahren.  In 
den  Veränderungen,  die  sich  in  den  oben  dargestellten  Reihen  an  den 
labialen  Verschlußlauten  hervorbringen  lassen,  wiederholen  sich,  wenn  wir 
noch  die  unter  bestimmten,  länger  einwirkenden  Ursachen  oder  bei  den 
Sprochversuchen  des  Kindes  in  beobaohtenden  Obergänge  in  die  Spirans 
hinzunehmen,  beinahe  Schritt  fOr  Schritt  gewisse  Erscheinungen  der  ImA- 
▼ecsdiiebung.  Sie  entsprechen  dieser  sowohl  in  ihrer  allgemeinen  lUchtung 
als  anch  in  vielen  Einzelzügen:  so  in  dor  größeren  Zahl  von  Stufon,  welche 
die  Media  gegenüber  der  Tenuis  durclüaufen  kann,  ferner  in  dem  Emfluß, 
den  die  Stellung  im  Au-,  In-  oder  Auslaut  ausübt,  eudlich  in  der  Wirkung 
der  Qualität,  Dauer  und  Betonung  der  umgebenden  Tokale.  So  haben  sich 
im  Anlaut,  bei  unmittelbar  folgendem  Yokal  noch  heute  die  aspirierlSD 
Tenues  erhalten,  während  sie  im  Inlaut  in  AfErikatä  oder  wmtwhin  in 
Spiranten  und  endlich  im  Auslaut  in  stumme  Explosivlaute  übergegangen 
sind.  Die  Media  aspirate  dagegen  ist  sehr  frühe  schon  im  Anlaut  zur 
tönenden  Media  geworden,  während  sie  im  Inlaut  Affrikata  blieb  oder 
durch  diese  in  eine  tönende  Spirans  überging,  im  Auslaut  aber  dem  stimm- 
losen EzplosiTlaut  mstrebte:  hnter  Verlndemngen,  die  im  weaentHohan 
mit  den  obigen  Reihen  flbereinstimmen.  Aua  diesem  Paiallelismus  darf 
man  wohl  den  Sohluft  neben,  dafi  die  im  Germanisebeo  in  beaonderB 


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n  Pidagogisches 


165 


weitem  Umfang,  in  den  andern  indogermanischen  Sprachen  in  engeren 
Oreozen,  aber  im  ganzen  in  übereinstimmendem  Sinne  eingetretenen  Laut- 
TerechiebuDgeo  der  Konsonanten  Prozesäo  eiod,  die,  ganz  wie  die  vielfach 
gleichseitig  mit  ihnen  erfolgten  Yokalkontraktionen,  BUaonen  mid  I^mt- 
schwSdniDgen,  sowie  in  Übereinstimmung  mit  den  EootaktSnderongen  der 
Lante,  zum  größten  Teil  ak  Wirkungen  der  beaohiennigten  Artikulation 
lu  deuten  sind. 

Auch  der  Wechsel  der  Betonung  w  irkt  anf  eine  Änderung  der  Sprech- 
weise hin.  Das  zeigt  sich  besonders  deutlich  bei  dem  Vernerschen  Gesetz, 
oadi  dem  die  eingetretenen  Lautverschiebungen  in  dem  Sinne  von  6i» 
Betnnuag  abUngig  sind,  dafi  die  endgültige  Yenchietning  eine  andere  ist, 
wenn  in  der  Zeit,  da  die  Differems  der  Laute  orfolgte,  die  dem  YerschluA- 
laut  vorangehende,  eine  andere,  wenn  die  ihm  nachfolgende  Silbe  betont 
war  (z.  B.  zlhan,  der  dem  betonten  Vokal  folgende  Konsonant  ist  tonlose 
Spirans:  zeigön,  der  dem  betouten  Vokal  vorausgehende  ist  tönende  Media. 
Beide  gehen  auf  ein  und  dasselbe  Wort  wahrscheinlich  ziu-Qck).  Hierfür 
finden  aioh  besondeis  vieile  Beispiele  im  Gotischen.  Durchweg  reduziert 
der  sinkende  Tod  eine  Lockerung  des  vorangehenden  Yeieoblussea,  also 
stimmlose  Spirans,  die  steigende  Betonimg  den  tOnenden  Yerschlußlaut, 
der  durch  den  festeren  Verschluß  die  folgende  stärkere  Exspiration  und 
gleichzeitig  durch  die  bereits  in  Schwinp:ung  versetzten  Stimmbftnder  die 
oacbfolgende  lautere  VokaUsation  vorbereitet 

Kiel  Marx  Lobsien 

II  Pädagogisches 

Laiam,  Professor  Dr.  M.,  Pädagogische  Briefe.  Mit  einem  Vorwort 
herausgegeben  von  Dr.  Alfred  JLsickt  Breslau,  Schlesiaohe  Verlags-Austalt 
von  S.  Schottlaender. 

Das  1G5  Seiten  starke  Büchlein  bringt  10  Briefe  des  kürzlich  ver- 
slotbenen  Pkvfessots  Lazarus  Aber  wichtige  Fragen  der  FSdagogik.  Wie 
es  in  des  Heransgebers  Yorwort  beiBt,  sind  nur  die  drei  lotsten  Briefe 
noch  nicht  veröffentlicht  worden.  Es  handelt  sich  also  mehr  um  eine 
Sammlung  von  bisher  Zerstreutem  als  um  eine  erste  Herausgabe.  >Päda- 
gogi.sche  Briefe«  nennt  Dr.  Leicht  die  kleine  Sammlung;  aber  wer  sich 
nur  eine  leichte  Unterhaltung  über  pädagogische  Themen  im  Briefstil 
erwarten  würde,  der  würde  fehliaten.  Es  sind  freilich  meist  nur  An- 
sltse,  oft  nur  Andeutungen ,  was  Fkof.  Lasar us  hier  gibt;  aber  es  sind 
Oedanken,  die  bis  su  den  Wuraeln  slles  pldagogischoi  Lebens  reichen. 

»Sie  —  die  Briefe  —  sollen  Neues  bringen  c,  fordert  der  Verfasser 
selbst  im  1.  Brief,  »und  doch  wird  aiif  keinem  Gebiete  und  auf  keinem 
wiedenim  weniger  als  auf  dem  der  PAdagogik  eine  Wahrheit  aus  der 
Pistole  geschossen«. 

Für  ihn  beeteht  nun  das  Neue  nicht  im  vOllig  ümvrllaenden ;  denn 
»alle  Yersnofae,  die  Welt  oder  irgend  einen  Teil  oder  eine  Richtung  der* 
selben  von  gestern  anf  heute  von  Qrund  aus  umsugestalten  oder 
uranflnglioh  neu  ins  Leben  su  rufen,  sind  entweder  schon  im  Gedanken 


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166 


Bespreohongen 


mlBgeborea  oder  lebensunfähig  vor  der  Sonne  der  Wirklichkeitc.  FQr  ihn 
besteht  da»  Nene  mehr  in  einer  Bevirion  der  Qnmdbegriffe^  in  dem  >Be- 
wafitaein  Aber  das  eigene  Ton«,  in  dem  bewnfiten  Zusammenhang  des 
Einzelnen  mit  dem  Qanzen:  »Die  Bfleksieht  auf  das  Ganse  in  allen  seinen 

Teilen  muß  maßgebend  gemacht  werden.« 

Von  diesem  weiteren  Gesichtspunkt  aus  sucht  er  nun  einzelne  hervor- 
springende Punkte  im  pädagogischen  Blickfeld  zu  markieFen  und  da»  be- 
schütz seiner  Kritik  richtig  einzustellen. 

Der  1.  Brief  bandelt  in  der  Hauptsache  von  der  »idealistisohen 
Stimmtinge,  die  darin  besteht,  daA  der  Endeher  ȟberall  unter  den  ge- 
gebenen Umstanden  das  YoUkommenste  in  erreichen  bestrebt  istc.  ~~ 
»Diese  Stimmung  zu  erfassen,  zu  heben  ond  zu  verbieitenc,  betrachtet 
Lazarus  als  «ein  innig  ersehntes  Ziele  seiner  Briefe. 

Der  2,,  3,,  4.,  5.  und  6.  Brief  befassen  sieh  mit  der  Staatserziehung 
und  mit  der  Sc  hui  Verwaltung.  Lazarus  ist  Anh&nger  der  Staats- 
Bchule.    Die  Schule  steht  über  den  Parteien. 

>Der  Dnterrichtsminister  sollte  kein  politischer  llinister,  sondern  ein 
pädagogisdher  sein.c 

Die  geistliche  Leitung  kOnne  weder  ans  pSdagqgisohen,  noch  ans 
religiösen,  sondern  nnr  ans  kirohenpolitiscbeii  Ortlnden  gefoidert  verdea. 
Lehrer  und  Leiter  des  Schulwesens  müssen  Pädagogen  sein,  die  »nur 
aus  pädagogischen  Gründen  entscheiden  und  nach  pädagogischen  Normen 
trachten  und  wirken«.  Der  Staat  ist  in  unserer  Zeit  rociitmäßiger  Herr 
der  Schule.  Die  alte  Beschwerde,  »die  deutschen  Fürsten  haben  die  Schule 
säkularisiert«,  ist  falsch.  »Der  Staat  hat  die  Volksschule  säkularisiert, 
indem  er  sie  geschaffen  hat«  Diese  Herrschaft  aber  darf  nicht  snr 
lyiannei  werden.  Die  Sehnte  soU  eine  Schule  der  Freiheit  sein.  »Was 
wir  im  ganzen  deutschen  Stamm,  in  und  außer  dem  Reich,  in  der  großen 
und  breiten  Masse  des  Volkes  an  geistiger  Freiheit  und  politischer  Mündig- 
keit finden,  ist  der  Volksschule  zu  verdanken,  die  der  Staat  geschaffea 
oder  bei  den  Kommunen  angeordnet  hat.«  Auch  der  Lehrer  muß  frei 
sein,  wenn  er  segensreich  wirken  soll  >£3  gibt  keinen  Cäsar  über  die 
Onmmatiker  und  auch  nicht  Uber  die  Schulmeister.«  »Direktoren,  Lehrer- 
kollegien, kommunale  oder  regionale  SdhulrUe  werden  dem  Staate  niemals 
besser  dienen,  als  wenn  sie  den  Oehorsam  vor  allem  ihrer  wissenschaft- 
lichen Überzeugung  und  ihrem  ethischen  Gewissen  leisten.« 

Die  Staatserziehung  ist  das  Ideal ;  aber  sie  darf  nicht  in  Uniformierung 
ausarten.    Dezentralisation  muß  eintreten. 

Im  7.,  8.  und  9.  Briefe,  die  an  ein  Mitglied  des  Abgeordnetenhauses 
gerichtet  sind,  befaßt  sich  Lazarus  mit  der  Dauer  der  Schulzeit, 
mit  dem  achten  Schuljahr  und  mit  der  Fortbildnngsschula 

Am  tiefsten  in  das  Wesen  des  Yolkssohulimterrichts  dringt  der 
7.  Brief  ein.  Lazarus  ist  ein  Feind  aller  zu  weitgehenden  Forderungea. 
Er  unterscheidet  erstens:  -^gewisse  Kenntnisse  und  Fertigkeiten,  deren 
Inlialt  und  Übiuig  niemals  wieder  vergessen  worden  darf,« 

zweitens;  »die  Art  von  Kenntnissen,  welche  nicht  wegen  ihres  sloff- 


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II  fttdagogisohes 


167 


lieben  Inhaltes,  sondern  wegen  der  Erleuchtung  und  I^Mfmg  dee  QeiflteB 
und  wegen  der  Errepuntr  des  Gemütes  überliefert  werden.« 

»Von  alledem  gehört  in  die  Volksschule  keine  vollständige  wissen- 
schaftliche Disziplin.«  »Überhaupt  keine  Wissenschaft  soll  in  der  Volks- 
sehnle  getriebon  werden.« 

Scharf  irandet  aiofa  Lasarns  gegen  jedes  bloia  Oedloh tniswissen. 
»Die  erlencbtende  imd  erweckende  Kraft,  der  BUdungswert  einer  Gedanken- 
nihe  ist  um  so  großer,  je  mehr  sie  als  eine  freie  Gabe  empfangen  wird.« 

»Was  nützt  denn  in  allen  ernsten  und  tiefen  Dins^en,  mit  denen  wir 
die  Srole  der  Kinder  befassen,  daß  sie  ein  Gedächtniskram  und  ein 
Li^jpenwerk  sind?€ 

Mit  besonderer  psychologischer  Feinheit  wendet  sich  Lazarus  in 
seinem  8.  Briefe  dem  Apperseptionsprosefi  sn,  der  Umbildang  früherer 
Wissensecdiitie  durch  neu  hinzutretende  und  dem  Zwiespalt  zwischen 
Scliulwissen  und  lebendigem  Leben,  zwischen  Schriftdeutsch  und  Volks- 
mund, zwischen  literarischem  und  natürlichem  Denken.  In  der  Yolks- 
sehnle  soll  man  überall  wissen  und  jeden  Tag  bedenken,  daß  die  abstrakte 
Welt  des  Buchstabens  den  Geist  zu  töten,  des  Gedankens  Blässe  das  Leben 
tniukränkeln  im  Begriff  steht,  imd  daß  man  deshalb  auf  der  Hut  sein 
muß,  den  Qeist  nnd  das  Lsben  in  seiner  natOrliohen  Frische  m  er^ 
liBltsn.« 

Lazarus  ist  Anhänger  der  obligatorischen  Fortbildungs- 
schule. Entgegen  neueren  Anschauungen  fordert  er,  »daß  die  Fach-  und 
Berufsbildung  in  die  zweite,  die  allgemein  menschliche  Bildung  in  die 
erste  Linie  zu  setzen  ist«^.  Einen  großen  Segen  verspricht  er  sich  von  der 
Vertnndong  von  BeratHurbeit  und  Soholbesach.  tloh  sage  nicht  «nviel, 
wenn  ioh  behaupte:  mir  sind  zwd  Jahre  Fortbildnngssohule  lieber  als  nooh 
twei  volle  Schuljahre  ohne  Berafsarbeit.« 

Der  letzte,  an  eine  Dame  gerichtete  Brief  befaßt  sich  mit  dem  Wesen 
der  Erziehung.  Nicht  die  spozifischon  Pädai^ot^'en,  »die  Dichter  sind 
die  Lehrer  der  Menschheit«,  i  Bei  keinem  Volke  finden  wir,  daß  die 
großen  und  berühmten  Dichter  unmittelbar  mit  der  Erziehung  im  eigent- 
lichen Sinne  besohftfligt  hltten.€  Die  Uassisohe  Epoche  der  deutschen 
Nation  macht  hier  die  große  Ansnahme.  Wir  verdienten  eher  das  »Volk 
der  Pädagogen«  genannt  zu  werden  als  das  der  »Dichter  nnd  Denker«. 
In  keiner  Literatur  spielt  der  Bildungsroman  eine  so  hervorragende  Rolle 
als  in  der  deutschen.  Durch  Lessing  hat  der  Begriff  Erziehung  eine  Weite 
und  Tiefe  erhalten  wie  nie  vorher.  »Erziehung  gibt  dem  Menschen  nichts, 
was  er  nicht  aus  sich  selbst  haben  konnte.«  Wir  müssen  die  Kräfte  des 
Zöglings  entwickeln,  indem  wir  ihm  den  Cnltnigehalt  flberliefem.  »Von 
der  tief  eindringenden  Unterschmdnng  dieser  beiden  Orundelemente  der 
errieherischen  Tätigkeit  und  der  darauf  gegründeten  Bssiehung  beider  «a- 
einander  hängt  das  Gelingen  derselben  ab.«  Und  nun  geht  Lazarus  in 
längerer  Ausführung  auf  unsere  pädagogischen  BeirrifTe  ein  und  zeigt,  daß 
wir  sie  gebrauchen,  ohne  an  ihre  tiefere  Beziehung  zu  denken.  Schon 
die  beiden  Ausdrücke  »bilden«  und  »entwickeln«  —  welche  Summe  von 
Vocetellangeo  von  Fsrallelen,  von  Bildern  n.  a.!    Wir  denken  in  sprsoh- 


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168 


Besprechungen 


liehen  Fornaen,  in  Illu.stratinnen .  um  das  Wesen  zu  erfassen  —  dieses 
selbst  bleibt  uns  ewig  ein  Rätsel. 

»Das   Ziel  aller  Ersiehmig    ist  die   Ausbildung  voUkommeoer 
*    Humanit&t;  der  Weg  m  ihr  ist  die  Erkenntnis  and  die  Anwendung  der 

Vernunft  Wahrheiten.«  — 

Es  ist  oin  Reichtum  von  pädagogi fachen  Anrefrnncen,  was  hier  ein 
weit  und  klar  schauender  Geist  verkündet.  Mau  merkt  aus  jeder  Zeile, 
wie  roiflieh  überda(!ht,  wie  wohl  erwogen  sie  ist.  Man  glaubt  dem  Ver- 
fasser, wenn  er  als  den  großen  Fehler  seines  Lebens  den  Umstand  be- 
seicbneteb  daA  er  cnviel  in  sieb  bineingedaoht  habe  im  Vergleioh  m  dem, 
was  er  geschrieben. 

Was  uns  hier  geboten  wird,  das  sind  Kristalle,  die  ein  langjähriger 
Prozeß  klar  werden  und  anschienen  ließ,  Kristalle,  in  denen  sich  das 
Licht  hundertfältig  bricht  und  sjjiegelt.  Mae^  auch  mancher  Stein  etwas 
anders  geraten  sein,  weil  ihm  dieses  oiier  jenes  Ingrediens  fehlte  —  ich 
denke  hier  vor  allem  au  des  Verfassers  Ausführungen  über  die  allgemeine 
VdksBofanle,  bei  denen  die  praktische  Erfahrung  wahiadheinlich  andrsr 
Anschanung  huldigt  im  großen  nnd  ganaen  sind  die  »Fidagogiaoheii 
Briefe«  ein  Werk,  das  in  keines  Lehrers  Hand  fehlen  sollte.  Wir  empfehlen 
das  kleine  Buch  aufe  wArmste. 

München  £rnst  Weber 

Bcrüser,  Dr.  A.f  Lehrbuch  der  Experimentalphysik  in  elementarer 
Darstellang.  10t  3  lithographischen  Tafeln  und  695  snm  Teil 
farbigen  Abbüdongen  im  Texte.  Jena,  0.  Fiacher,  1903.  gr.  8^ 
XVI  u.  857  S.    Geh.  14  M,  geb.  14,50  M. 

Fruchtbar  zu  untornchten,  ist  scliwer.  Man  muß  selbst  etwas  Rwhtos 
wissen,  und  man  muß  außerdem  fähig  sein,  methodische  Einsichten  zu 
verkörpern.  Doch  nicht  jedes  Wissen  frommt  dem  Lohrer.  An  Werken, 
die  von  Oelehrsamkeit  strotzen,  fehlt  es  uns  nicht;  aber  es  fehlt  uns  an 
Werken,  die  zu  denkender  Bearbeitung  einee  Qebietsa  anrsgen,  an  Werken, 
die  da  zeigen,  wie  weittragend  oft  ein  Bsgriff,  wie  sinnvoll  diese  oder 
jene  scheinbar  willkürliche  Festsetznng  ist,  durch  welches  Ganze  ein 
einzelnes  Bedeutung  erhält,  wie  man  gerungen  hat,  diesen  oder  jenen  Ge- 
danken zu  verkörpern  usw.  Das  ist  auch  der  Grund,  weshalb  ich 
Berliners  Werk  mit  Freuden  begrüße. 

Das  Buch  hat  ganz  wesentliche  Vorzüge. 

1.  Berliner  hat  Abbes  Gedanken  Ober  optische  Instrumente  ver- 
wertet.   Hit  Recht.    Abbes  Gedanken  beherrschen  asit  geranmer  Zeit  die 

optische  Praxis.  (Vor  Berliner  hat  bereits  Lummer  im  HOllersdhen 
Lehrbuch  der  Pliysik  eine  einschlägige  Darstellung  geboten.) 

2.  l?erliner  hat  die  geliäuohliche  Anordnung  des  Stoffes  in  mehr- 
facher Hinsicht  verbessert  »Es  ist  z.  B.  herkömmlich,  die  Polarisation  des 
Liditea  mit  der  Doppelbrechung  des  Lichtes  zusammen  zu  bdiandeln,  ein 
Fehler,  der  sich  oft  dadurch  riUsht,  daß  der  Lernende  keine  von  beiden 
begreift  und  die  Bemtlhongen  nm  ihre  Beherrschung  von  vornherein  als 
aussichtslos  aufgibt  Wenn  man  aber  die  Darstellung  der  beiden  Yoiging« 


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II  F&dagogüH^es 


169 


vollkommen  vonojnnndor  trennt  (wozu  man  berechtigt  ist,  da  die  I^oiarisation 
ganz  unabhängig  von  der  Doppelbrechung  existieren  kann),  und  wenn  man 
die  Doppelbrechung  unmittelbar  im  Anschluß  an  die  einfache  Brechung 
bdiandeltf  so  verschwindet  ein  großer  Teil  der  Schwierigkeiten  ganz  von 
selbst.  Erstens  sieht  man  dann  jeden  dnzelnen  der  an  sich  nicht  gans 
einfachen  Yorgftnge  ohne  Vermengang  mit  dem  andern,  nnd  zweitens  wird 
die  Polarisation  des  Lichtes  sehr  viel  flbersichtlidier,  weil  man  dann  schon 
mit  dem  bequemen  Hilfsmittel  zur  Polarisiening  des  Lirhtcs  vertraut  ist, 
das  uns  die  Doppelbrechung  in  die  Hände  gibt.«  (Vorrede  S.  IV.)  Am 
Ende  der  Darstellung  über  die  Wärmelehre  (S.  349)  heißt  es:  tüm  das 
Wesen  nnd  die  einzelnen  Erscheinungen  der  Wärmestrahlung  begreiflich 
so  machen,  mflßte  der  grOfite  Teil  dessen,  was  in  die  Lehre  von  dem 
Lieht  gebArt,  hier  besprochen  werden.  Dies  wtirde  den  Gang  der  Dar- 
stellung aber  wesentlich  unterbrechen.  Es  ist  daher  zweckmäßig,  die 
Fortpflanzung  der  Wärme  durch  Strahlung  und  davS,  was  damit  zusammen- 
hängt, nicht  hier,  sondern  erst  im  Zusammenhange  mit  der  Lehre  vom 
I^cht  zu  besprechen.«    (Vergl.  S.  831  u.  f.!) 

3.  Viele  pbysikalifiche  Erscheinungen  beziehen  sich  auf  R&umlidies. 
Wer  die  fflamlichen  VerhUtnisse  nicht  durdisohaot,  ringt  ganz  ▼ergeblioh, 
aidi  die  damit  verbundenen  Erscheinungen  vorzustellen.  Wie  eifrig  ist 
dämm  Berliner  bemfiht,  den  Lesern  zu  helfen!  Yor  allen  nimmt  er  oft 
Bezug  auf  geläufige  Bewegungen  und  Lagebeziehungen.  »Man  orhält  das 
Bild  der  erif stehenden  Weile  aus  dem  Bilde  der  Wasserwelleu  {F'ifj;.  232), 
wenn  man  das  Buch  vertikal  auf  die  schmale  Kante  aufrecht  stellt  und 
sich  dann  die  Kreise  der  Fig.  232  nm  ihre  vertikale  Achse  gedreht  denkt, 
80  daB  sie  also  wie  die  MUnsen  einer  horizontal  gehaltenen  Geldrolle 
soeinander  liegen  . .  .c  (8.  866).  »Man  muß  sich  das  ganze  den  Leiter 
timgebende  Feld  von  solchen  Fliehen  durohsogen  denken,  die  wie  die 
Schalen  einer  Zwiebel  einander  umschließen  ..."  (S.  459).  »Dreht  man 
die  Kalkspat  platte  um  das  Einfallplot  in  ihrer  Ebene  (wie  ein  Rad  um  seine 
Achse)  herum,  so  .  .  .«  (S.  686).  Vergl.  auch  S.  797,  Zeile  29  u.  f., 
S.  814,  Zeile  3  n.  f.l  Berliner  bietet  femer  einschlägige  Skisten;  und 
wo  diese  nidit  ansreiöhen,  wird  mit  Elappenflgiiren,  d.  i.  mit  aufrichtbaren 
K]i^pen  ans  steifem  Papier,  die  mit  Figuren  verbunden  sind,  hantiert. 

4.  Eine  gewisse  Anstrengung  kann  dem  Leser  sicherlich  nicht  erspart 
werden:  aber  man  muß  verhfiten,  daß  er  seine  Kraft  unnQtz  verbraucht. 
Aucli  in  dieser  Hinsicht  kennt  Berliner  die  Bedürfnisse  seiner  Leser. 
Cr  erinnert  immer  wieder  an  das,  was  erforderlich  ist,  das  Neue  zu  ver- 
sldien.  Br  steckt  da  Wamungszeichen  ans,  wo  er  die  Leser  strancheln 
sieht,  ünsiohere  sprachliche  Beziehungen  nnd  synonymische  Bedeweisen 
sucht  er  zu  ?ermeiden.  Besonders  behutsam  geht  er  dann  vor,  wenn  es 
Bich  um  sehr  verwickelte  Stoffe  handelt.  Hie  und  da  konstruiert  er  einfache 
Fälle,  um  sie  nach  und  nach  der  komplizierteren  Wirklichkeit  näher  zu 
fuhren.  Er  macht  darauf  aufmerksam ,  an  welcher  Stelle  eine  IJnter- 
ßuciiuiig  einsetzt,  und  faßt  die  Ergebnisse  immer  und  immer  wieder  zu- 
sammen. Zuweilen  bietet  er  Figuren  mit  Bandbemerkungen,  in  denen 
man  ganze  Oedankenmassen  überschant  o«  s.  f. 


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170 


fisqmdhttDgni 


5.  In  der  Pliysik  feUt  ee  nioht  an  Festsatrangen,  die  Bohflinbar 
recht  wiUklIrlioh  sind.  »Die  Sttrke  des  magnetiBchen  Feldes  in  tfgend 
einem  Punkte  wird  dargesteUt  duroh  die  Dichte  der  EiaMinien.  Von 

der  magnetischen  Menge  u  gehen  4  7r/u  Kraftlinien  aus  .  .  .«  So  heißt 
es  schlankweg  in  vielen  Lehrbüchern.  Berliner  dagegen  zeigt  zunächst, 
woran  man  die  Intensität  eines  maii^netischen  Feldes  erkennen  kann,  dann 
zeigt  er,  daß  die  Kraftlinien  da  am  dichtesten  sind,  wo  die  Feldstärke 
am  grOAton  ist,  nnd  endlich  zeigt  er,  wie  es  swar  nicht  notwendig,  aber 
doch  zweokmftBig  ist,  anzonehmen,  you  der  magnetieohen  Menge  /u  gingen 
4»/'  Kraftlinien  aus  u.  s.  f.  Das  nenneich  eine  Anleitung  zu  fruchtbarer 
Geistesarbeit.  (Vergl.  auch:  F.  Auerbach,  Die  Grundbegriffe  der  modernen 
Naturlehro.  Leipzig,  Teubner,  1902.  S.  90—92.)  Daß  Berliner  be- 
fähigt ist,  schwierige  Stoffe  darzustellen,  zeigt  sich  besonders  in  den  Ab- 
schDitten  über  das  Trägheitsmoment,  über  die  Wellenlehre,  über  die  Kraft- 
linien, über  das  Potential,  Ober  die  Doppelbrediang  nnd  Uber  die 
Polarisation. 

6.  Die  Darstellung  ist  elementar,  aber  dardidmngen  Yon  wissenschaft- 
lichem Geiste.  Hie  und  da  wird  eine  Überlegung  nur  für  besondere  Fälle 
oder  unter  vereinfachten  Bedingimgen  durchgeführt,  eine  komplizierte  Er- 
scheinung wird  nur  im  großen  und  ganzen  betrachtet,  es  werden  selbst 
mathematische  Beaidinngen  verwertet,  die  nioht  besonders  abgeleitet  sind. 
Alles  das  ist  nnbedenUioh,  weil  der  Leser  immer  nnd  immer  wieder  auf 
die  OnTollkommenheit  und  BesohrSnktheit  seines  Wissens  anftnerksam  ge- 
macht wird. 

7.  Hinsichtlich  der  Maße  sind  die  gesetzlichen  Definitionen  verwertet. 

Auch  einige  Mängel  mögen  angedeutet  sein: 

1.  In  der  Wärme-,  Licht-  und  Elektrizitätslehre  ist  manches  als 
TatMohe  dargestellt,  was  wohl  nur  hypothetischen  Wert  hat  Namentlich 
für  didaktische  Zwecke  scheint  es  geboten,  den  Standpunkt  einsunehmen, 

den  Professor  Dr.  K  Mach  vertritt  (VergL:  Die  Geschichte  und  die 
Mängel  des  Satzes  von  der  Erhaltung  der  Arbeit.  Prag,  Calvesche  üniv.- 
Buchhandlung,  1872.  Die  Mechanik  in  ihrer  Entwicklung  historisch  und 
kritisch  dargestellt.  Leipzig,  Brockhaus.  Die  ökonomische  Natur  der 
physikalischen  Forschung.  Almanach  der  Kaiserl.  Akademie  der  Wissen- 
Schäften.  Wien  1882.  S.  295—319.  Beitiflge  zur  Analyse  der  Emp- 
findungen. Jena,  Fischer.  Die  Prinsipien  der  Wärmelehre.  Leipzig,  BbtAl. 
Populärwisaenachaftliche  Vorlesungen.  Leipsig,  Barth.  Leitfaden  der  Physik 
für  Studierende.  Leipzig,  Freytag.  Bemerkungen  über  die  historischo 
Entwicklung  der  Optik  in  der  Zeitschrift  f.  physik.  u.  ehem.  Unterricht, 
herauBgcg.  v.  Poske.  XI,  S.  3 — ^8.  Vergl.  dazu  die  einschlägigen  Schriften 
von  Stallo,  Volkmann  und  Fetzoldtl)  Erklären  heißt  danach  nicht,  Er- 
scheinungen auf  hypothetische  ürsachen  surOokfUhren.  ErklAren  heifit 
yielmehr,  komplizierte  Erscheinungen  auf  einfhohe  snrOckfOhren.  Als  Br- 
klänmgsmittel  sind  die  Hypothesen  sicherlich  nachteilig,  als  Mittel  der 
Forschung,  der  Darstellung  u.  b.  f.  können  sie  gnte  Dienste  leisten. 

2.  In  der  Physik  haben  wir  matiche  Bezeichnung  (einarmiger  TTebel, 
Zerlegung  einer  liewegung  oder  einer  Kraft  u.  s.  f.),  die  zu  falschen  Oo- 


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II  Fidagogisohes 


171 


danken  verführt.  Diesen  Übelstand  sollte  oamenüioh  eine  etoneataie 
Darstellung  eingehend  berücksichtigen. 

3.  Wie  miiß  ein  Hebel  beBchalTea  sein,  wenn  man  Kraft  sparen  will? 
Wie,  wenn  man  niöht  an  Eiaft,  woiil  abor  an  Weg  spaien  -wiu?  n.  a  f. 
Über  Deraitigea  anaflttirlioh  Anakonft  an  geben,  aeheint  mir  nicht  flbarflflsaig. 

4.  Welch  eine  Fülle  von  wissenBchaftlioher  Arbeit  ist  oft  in  den 
Dingen  verkörpert!  Die  einschlägigen  Darstellungen  Berliners  reichen  in 
manchen  Fällen  (Thermometer,  Roibungselektrisiermaschine  u.  a.)  nicht  aus, 
den  licser  zu  der  so  nützlichen  Einsicht  zu  führen.  Vielleicht  wäre  es 
angebracht,  bei  einzelnen  physikalischen  Grundgedanken  die  Stufen  in  der 
YeridJrperung  etwaa  nSber  an  bdenditatt* 

5.  Mach  hat  geiaigt,  dafi  ea  nnmdglioh  ial^  die  Gmndeinaiohten  der 
Mechanik  losgelöst  von  jeglicher  Erfahrung  su  gewinnen.  Wäre  ea  dann 
nicht  unbedenklich,  die  abatiaktan  Beweiae  dar  Qmndeinaiiditen  etwaa 
geniiger  zu  werten  V  — 

6.  Die  neuem  Ar  leiten  über  Blitzschutz  (z.  B.  Koch,  Elektro- 
technische 2jeitschrift,  lö99,  Heft  16.  Zechnor,  Prometheus,  Nr.  560  u. 
561)  Bind  nicht  verweitet  Wer  heutzutage  einen  BUfaali]fliter  anlegen 
wilif  mnfi  die  Brfiüimng  verwerten,  daß  ein  von  einem  Leiter  umgebener 
Körper  Tor  dektrischen  Entladungen  geschützt  ist  (Faradays  Versuch  im 
Drahtkäfig;  man  denke  auch  an  Prof.  Artemieffs  Schutzanzug  für  Arbeiter 
in  Werken  mit  hochgespannten  \Vj?chsGl,strömen!),  und  ferner  die  Erfahrung, 
daß  bei  osziLLatonschen  Entladungen  der  Obmsche  Widerstand  nur  eine 
geringe  Bolle  spielt 

7.  Die  mathematiaohen  Ableitungen  auf  den  8.  605,  571  n.  572  aind 
nicht  aweckmifiig  und  nicht  fehlerfrei.  In  dem  KapUel  Aber  Doppel- 
breohnng  (S.  688  u.  689)  sind  einige  Versuche  mit  falschem  Ergebnia 
dargestellt,  mithin  sind  auch  die  Fipuren  auf  Tafel  II  verzeichnet.  (Ver- 
wertung der  Huygen sehen  Konstruktion.)  Die  Figur  G62  entspricht  nicht 
dem  einschlägigen  Texte.  Es  kommen  Gleichungen  mit  einseitiger  Be- 
nennung vor.  Druckfehler  treten  mohrfach  auf  ,;  einige  sinnstöreudo  mögen 
angegeben  aein:  &  689  Zeile  22:  1,668  atatt  1,486.  8.  785  Zdle  17: 
fiewegnngaeradheinnngen  atett  BengnngaerBcheinnngeB.  Auf  den  S.  771, 
811  nnd  813  sind  Hinwaiae  anf  Figuren  ungenau  oder  falsch.  Figur  658 
ist  verzeichnet.  Kann  man  Lichten bergscho  Figuren  mit  unelektriachei 
Mennige  und  unelektnschen  Schwefelblumen  erzielen?  — 

8.  Ist  es  wohlgetan,  beispielsweise  die  Lichtenbergschen  Figuren  und 
andere  Kleinigkeiten  der  Elektrostatik  zu  behandeln,  dagegen  die  gewöhn- 
Bohe  Telegraphie  an  ftbergehen?  — 

Weimar  M.  Faok 

fllieia,  In  Hiatoriaohe  Bechenbflcher  des  16.  u.  17.  Jahrhunderts 
nnd  die  Entwicklung  ihrer  Grundgedanken  bis  zur  Neuzeit 
Ein  Beitrag  zur  Öeischichte  der  Methodik  dos  Rechenunter- 
richts. Mit  5  Titelabbildungen.  Leipzig,  Dürr  sehe  Buchhandlung.  gr.8<^. 
183  S.    Preis  3,60  M. 

Was  der  Verfasser  besweckt,  hat  er  im  Vorworte  in  aller  Kürae  lum 
Aoadmok  gebrecht.  »Die  vorliegende,  aeit  Jahren  vorbereitete  Monographie 


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172 


will  als  ein  Beitrag  war  Geeohiohte  der  Methodik  des  Beohenunterridifs 
gewertot  sein,  als  eine  Erglnsung  der  Darstellangea  von  Wildermntii, 
TreotleiD,  Jftnioke,  Unger,  Hartmann,  Sterner,  Villicus,  Cantor,  Simon  u.  a. 
,  ,  ,  Nachdem  in  der  Einleitung  die  beiden  die  heutige  Rechenmethodik 
beherrschenden  Ideen  [a)  auch  das  Rechnen  steht  im  Dienste  der  sitt- 
lichen Bildung,  und  b)  ee  trSgt  vorwiegend  den  Charakter  des  Sach- 
reohnensj  gekennzeichnet  aind«  gibt  Teil  I  ein  Bild  Ton  dem  Stande  des 
Becbenuntemobts  im  16.  imd  17.  Jahrhnndert  imter  BerttckdchtigiiBg 
Sohulordnongen  und  Bechenbflohern.  Teil  II  führt  auf  dieser  Grandlage 
die  interessanten  historischen  Rechenbücher  des  16.  und  17.  Jahrhunderts, 
besonders  die  von  Suevus,  Meichsner  und  Hemeling  (bisher  von  den 
Hechcnhistnrikorn  über  Gebühr  vernachlässigt  und  weder  bibliographisch 
noch  pädagogisch  zur  Genüge  gewürdigt),  in  charakteristischen  Proben  vor 
und  sucht  dieselben  aus  den  jeweiligen  Zdtomstflndoi  ond  den  dieae 
Fsriode  bewegenden  idealen  und  aittlicben  MAohten  veistftndlioh  su  maoben. 
Es  bedarf  nidit  der  Versicherung,  daß  (der)  Ver&sser  sich  durchaus  auf 
OriginalqneUen  stützt;  es  ist  keine  Mühe  gescheut  und  kein  Mittel  un- 
versucht gelassen,  dieselben  auTzufinden  und  zu  erlangoi.  Die  Fundorte 
der  zum  Teil  seltenen  Werke  wurden  genau  angegeben. 

Die  Darstellung  läüt  zugleich  erkennen,  daß  die  Verfasser  jener  histi^ 
risohen  Beohenbaoher  bereits  —  ohne  darüber  zur  KMisit  sn  kommfla  — 
sowohl  das  reehenunterrichtliche  Saobprinsip  als  aoch  die  Idee  vom 
ethischen  Zweck  des  Bechenuuterrichs  in  ihrem  Aufgabenmaterial  berfick- 
sichtigt  haben.  .  .  .  Das  Sachprinzip  sowohl  wie  der  Gedanke  des  sitt- 
lichen Bildungswertes  des  Reclinens  zieht  sich  wie  ein  roter  Faden  durch 
die  ganze  Entwicklungsgesehiclite  des  Rechenunterrichts  hindurch.  Beide 
stehen  in  innigster  Verbindung;  jenes  methodologische  Prinzip  wird  in 
seiner  praktisohen  Gestaltung  m  einem  pädagogisch-teleologischeiL  FMblem. 
Eine  entwioklungsgeschiohtUdhe  Beleuofatnng  jener  recfaenimterriohtliidien 
Normen,  die  bis  jetzt  sohmenlich  vermißt  wird,  erscheint  für  den  weiteren 
Ausbau  unserer  Rechenmethodik  von  Bedeutung.  Teil  UI  unserer  Arbeit 
will  jene  Entwicklungsgeschichte,  rcichond  bis  in  unsere  Tage,  geben.  Es 
ist  eine  Tatsache,  daß  man  eine  geistige  Erscheinung  erst  dann  wesenhaft 
kennen  lernt,  wenn  man  ihre  Entstehung  und  Entwicklung  verfolgt  Die 
Kenntnis  der  Genesis  jener  Probleme  fOhrt  uns  diese  selbst  nlher;  denn 
sie  lOsfc  eine  FOlle  appersipierender  KrSfte  aus,  die  das  YerstSndnis  er- 
leichtern. Auch  praktische  Pädagogen  werden  daher  der  Studie,  die  mit 
der  reichen  Fachliteratur  der  neueren  und  neuesten  Zeit  bekannt  macht, 
ilir  Interesse  zuwenden  können.'     (Vorwort,  S.  3  u.  4.) 

"Welch  eine  Fülle  von  Angaben  bietet  uns  Grosse  in  seinem  Werke! 
Wieviel  Fleiß  mag  er  geopfert  haben,  um  all  die  Quellen  zu  erlangen! 
Wieviel  Zeit^  um  Texte  m  entsiffem,  Texte  su  prflfen  und  sn  kopieren, 
Aufgaben  su  vergleichen,  zu  sShlen  und  zu  gruppieren!  u.  s.  f.  loh  ver- 
mag nur  einen  kleinen  Teil  der  Angaben  zu  prflfen ;  trotzdem  bin  kh  mit 
Rücksicht  auf  die  literarischen  Hinweise  u.  a.  der  festen  Überzeugung, 
daß  Grosse  mit  großer  Sorgfalt  und  mit  umfassender  Sachkenntnis  ge- 
arbeitet hat.    Die  Rechenhistonker  werden  ihm  deshalb  zu  Dank  ver- 


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II  FIdagogisches 


173 


pflichtet  sf'in;  und  gar  mancher  dürfte  Gelegenheit  gehabt  haben,  die 
eigene  Darstellung  zu  erweitern  und  zu  verbessern.  In  dieser  Hinsicht 
hat  sich  Grosse  offenbar  ein  Verdienst  erworben. 

Grosse  hofft,  mit  seiner  Studio  aucii  den  Männern  der  Praxis  einen 
Diflost  geleistet  wa  haben.  Ist  diese  Hoflhung  berechtigt?  Wer  in  der 
FhooB  etwts  leisten  will,  moB  gewisse  Einsichten  (»SMchprinsip«  n.  a.) 
verwerten.  Einsiobten  vermag  aber  nor  fruchtbar  zu  verwerten,  wer  sie 
vollkommen  durchschaut  und  aus  ihren  ersten  Gründen  herleiten  kann. 
Grosse  berichtet  in  ausführlicher  Weise  über  die  Gründe,  die  den  und 
jenen  Autor  zu  senior  Einsicht  geführt  haben.  Aber  er  unterläßt  es,  zu 
zeigen,  wie  man  diese  Fülle  von  Anregungen  dazu  benutzen  kann,  um  zu 
einer  aUeeitigen  nnd  strengen  BQgrQndung  dieser  oder  jener  Binsicht  so 
gelangen.  Er  Ueibt  also  anf  halbem  Wege  stehen.  Üna  Lehrern  fehlt 
69  in  erster  Linie  an  der  philosophischen  (der  stolze  Ausdruck  mOge  er- 
laubt sein!)  Durchdrinq-unt^  der  Gedanken,  die  wir  verkörpern  sollen. 
Grosses  Schrift  bereichert  das  Wissen  des  Lohrois ;  abor  zur  VerwirJl- 
lichimg  jenes  höheren  Zweckes  tut  sie  woiil  mchi  genug. 

Wer  mathematischen  Formen  Leben  einhauchen  will,  miifi  »e  auf 
Suhen  beliehen.  Aber  soll  man  von  komplisierten  SaohverbAltnissen  aas- 
gehen, nm  die  Formen  su  gewinnen;  oder  soll  man  erst  an  komplizierten 
SachverhiUtnissen  sohreiten,  nachdem  man  die  Formen  bereits  an  verein- 
fachten  Sach Verhältnissen  gewonnen  hat?  Hier  ist  dor  Punkt,  an  dem 
einsetzen  muü,  wer  uns  Lehrern  hinsichtlich  des  »Sachpriuzips  einen 
Dienst  leisten  will.  Um  die  Ijeregte  Frage  zu  lösen,  wird  man  am  besten 
tun,  zu  zeigen,  wie  sich  gemäß  der  einen  oder  andern  Forderung  der 
Reofaenanterrioht  in  seiner  ganzen  Ansdehnnng  und  in  allen  Binselheiteii 
gestaltet. 

Philosophische  Durchdringung  der  Gedanken  und  Anleitung  zur  Toll- 
ständigen  V^erkorperung  der  ö<xlankon,  —  das  ist's,  was  uns  Lehrern  in 
erster  Linie  nottiit.  In  dieser  Hinaicht  findet  uian  nur  wenig  Uand- 
reichuDg  bei  Grosse. 

Weimar  M.  Faok 


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Aus  der  philosopli 

Archiv  für  systematische  Philo- 
sophie. X,  3.  1904. 

Dv.  'Vk/tot  Enft,  Das  Problem  der 
Anfienwelt  —  A.  Levy,  VorbedingUDgen 
einer  jeden  wahren  philosophischen  Er- 
kenntnis. —  Julius  Fischer,  Zum  Exiuni- 
und  Zei^)robIem.  —  Theodor  A.  Meyer, 
Dis  Fnminuirip  des  SdiOnen.  —  Jshres- 
behcht  über  sftmtUohe  Erscheiniiiigen  auf 
dem  Gebiete  d<>r  systematisohen  Philo- 
sophie. —  Rudolf  Goldscheid ,  Jahres- 
bericht über  Erscheinungen  der  Sozio- 
logie 1899—1004.  —  Die  neaestm  Er- 
sfliighwingwi  anf  dem  Oelneta  der  ^sto- 
matischeii  Philosophie.  —  ZeitsduÜton. 

—  Eingegangene  Bücher. 

Ontberlets  Philosophisches  Jahr- 
buch. 17.  Jahrg.  4.  Höft. 
1.  Abhandlungen:  C.  Gutberiet,  Der 
'Vnile  ala  Weltprinap.  —  Panl  Czaja, 
Welche  Bedeutung  hat  bei  Arestoteies 
die  yiniUfth«  Wahrnehmung  und  das 
innere  Ansohauungsbild  für  die  Bildung 
des  BogriffesV  —  Scheror,  Sittlichkeit 
und  Recht,  Naturrecht  uud  nc  htige-s  Recht 
(Forts.).  —  L.  Baary  Sabetansbegriff  und 
AktaaUliisphaoaopbie  (Schlag).  —  Beek, 
Die  Sittenlohre  des  Briefes  an  Diognet 

—  R.  Stölzle,  Zwei  IJriofe  E.  v.  Lasaulx' 
zur  (Charakteristik  des  i'hilüsophen  Baader. 


ischen  Fachpresse 

—  IL  Besensloneii  und  Beferate:  M. 
WsrtsDbeig,  Das  ideahstisohe  Aigument 
in  der  Kritik  des  Msterialismos,  von  GL 
Gutberiet.  —  K.  Fahrion,  Das  JE^blrai 
der  Willensfreiheit,  von  Deins.  —  0. 
Weininger,  Über  die  letzten  Dinge,  von 
L.  Baar.  —  C.  Friok  S.  J.,  Ontologia 
siTs  Mstephysios  gsasr.,  von  J.  Fkiss 
0.  M.  I.  —  J.  Kiog,  Ihe  psychology  of 
Child  Development,  von  J.  Wallenborn 
0.  M.  1.  —  III.  Zeitschriftenschau:  A. 
Phüosophisohe  Zeitschhiteu.  —  B.  Zeit- 
sohriftm  yennisohten  Inhalts.  —  IV.  Mis- 
sdien und  Nsehriditen:  Ehie  neue  Br> 
kUrong  der  Konsonanz  und  Diasonans. 

—  Ein  neuer  Versuch  zur  Erklärung  der 
Lebcnstätigkeit.  —  Zur  Neuroneolehre. 

—  Das  Yibrationsgefühl. 

Kaatetiidleii.  Henusg^ben  von  Dr. 
Hans  VuIuDger  und  Baooh.  Band  IX. 

Heft  3  tt.  4  1904. 
Bauch,  Luther  und  Kant  —  Riehl, 
Anfänge  des  Kritizismus.  —  Renner, 
Reden  zur  Feier  der  Wiederkehr  von 
Kante  100.  Todestag.  —  Aale.  Zwei  d&nisGh& 
Festgsben  som  Kantjolnttnm.  —  Sitsler, 
Zur  Blattversetzong  in  Kants  Prolego- 
mena.  —  Rezensionen.  —  ^olbstsnseigeiu 

—  Mitteilungen.  —  B^gister. 


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liudipresse 


Commersjahrbuch  fOr  Philosophie 
und  spekulative  Theologe.  XIX. 
2.  Heft  1904. 

Oloftnsr,  Ans  TheoJogie  mid  Phflo- 

Sophie.  —  Josephoa  s  Leonissa,  Diu  ge- 
schaffenen Geister  und  das  Übel. 
Franz  Zij^on,  Zur  Lfhro  des  hl.  Thomas 
von  Wesenheit  und  Sein.  —  literahsche 
Besprechungen. 

Olfuibeii  and  Winea.  VomDr.  Dennert 

IL   10.  Hea  1904. 

E.  Wölffei,  Gewohnheit.  —  Pf.  W. 
Römheld,  Blaise  Pascals  Gedanken t.  ~ 
Prof.  Lic.  R.  Grützniacher,  Alte  Wahr- 
heit in  neuem  Oewsnde.  —  Dr.  med. 
BelkMa,  Ist  der  Hase  ein  ItMeittaer  V 

—  Zeugen  Gottes.  —  Umsohsa  in  Zeit 
und  Welt.  —  Notizen.  —  Antworten  aaf 
Zweifelfragen  (Frage  30.  40/.  —  Apolo- 
getische Rnndschau. 

Neue  Metaphysische  Rundschau. 

Hersusgeg.  Ton  Psnl  ZiUmsmi.  1901. 
Bend  XL  Heft  4. 

Dr.  med.  F.  A.  Mesmer,  Die  27  Lehr- 
satze vom  animalischen  Magnetismus.  — 
Dr.  med.  A.  Marques ,  Die  Aura  der 
Magnete.  —  Albert  Kniepf,  Der  vierte 
Aggregstsostsnd  (die  Bsdio-Aktivitlt).  — 
Dr.  Höh.  von  Lessei,  Die  metaphysische 
Grundlage  von  Richard  Wagners  »Der 
Ring  des  Nibelungen«  (Kapitel  III:  Das 
flüssige  Hheingold  und  das  zum  King  ge- 
schmiedete Metall;  Kap.  IV:  Erda  und 
Wotsn,  dw  BsgNk  dw  Tragödie  der 
Menschheit).  —  Dr.  med.  J.  D.  Ruck, 
M3r8ti8che  Maurerei  (Kapitel  V :  Die  Ge- 
heimlehre, Wissenschaft  und  Religion"). 

—  Ivy  Hooper,  Zwei  Häuser  (Kap.  III). 

—  RnndsdisiL  —  Meherschaii.  —  Por- 
trait: Fiiediidi  Anton  Mesmer. 

Rcvae  de  MÜnphysique  «t  de  Mo- 
ral e.  (M.  X.  Leon.)  12e  sanee,  No.  5. 

Septembre  1904. 

L.  Bninschvicg.  La  rcvoletion  cart6- 
sienne  et  la  notion  spino/.iste  de  la  sub- 
stance.        G.  Vailati,  Sur  une  classe 


remarquable  de  raisonnements  par  rcVluc- 
tion  k  l'absurde.  —  L.  Couturat,  Les 
principes  des  msthkastiqiies.  —  YI.  La 
geomdtne.  —  Istodes  oritiqnss:  6.  Lsdia- 
las,  Une  nonvelle  tentative  de  refutatioa 
de  la  göoinötri»^  generale.  —  Questions 
pratifjues:  F.  Maiguet,  Surl'idöe  de  ratrio. 

—  Supplement:  La  philosophie  dans  les 
Univeintte  (1904-1905).  —  livies  noa- 
veanz.  ~  Rsvnes  et  PdriodiqQes.  — 
KantgeeeUaofaaft 

Die  Kinderfehler.    Zeitschrift  f&r 

Kinderforschong  mit  besonderer  Be- 
rücksichtigung der  pädagogischen  Patho- 
logie.   Herau.sgegeben  von  J.  Trüjjer, 
Direktor  des  Erziehungsheimes  und 
XinderBsnstoriums  auf  der  SophienliAhs 
bei  Jens  nnd  Chr.  Üfer,  Belrtor  der 
Mädchenmittelschnle  in  ElVai-fcId.  X,  1. 
A.  Abhandlungen :   Prof.  Dr.  F.  M. 
Wfmlt.  Zur  Psychologie  der  Eltern-  und 
Kindesliebe.  —  Dr.  phil.  Franz  Nietzold, 
Prnfung  der  sor  VoUnaohnle  angemeldeten 
Kinder,  besonders  im  Oessng».  —  B.  Mit- 
teilungen: G.  Fischer,  Der  XI.  Blinden- 
lehrerkongreB  in  Halle  a.  S.  vom  1.  bis 
.'».  August  1!K)1.  —  Die  Gründung  eines 
llilföscbulverbandes  in  England.  —  Neu- 
begründete  Heileniehungsheime.  — Pfttde- 
pädagogik.  —  Znr  Frage  «nes  Kongresses 
für  Kiiiiit  rpsychologie  und  Ueilerziehiing. 

—  VI.  Versaininluiig  dos  Vereins  für 
Kinderforschung  am  14.  Kl.  Oktober 
lii04  in  den  GeseilschafLssälen  des  iieuea 
Zentrsltfaesteis  am  Thomaaringsn  Leipzig. 

—  An  die  Frenode  nnd  Mitglieder  des 
Vereins  für  KindsifMBchnng.  —  Vor- 
läufige Tagesordnung  für  den  f).  Ver- 
bandstag der  Hilfs.scbulen  Dout.sohlands 
in  Bremen,  Usturn  1905.  —  C  Literatur: 
Dr.  A.  &&ckinfer,  Organisation  groBer 
Volkaachnlkörper  naeh  der  astfiriichen 
Leistungsfähigkeit  der  Kinder.  Von  Trüper. 

—  Dr.  med.  Julius  Moses,  Das  Sondcr- 
klassensystem  der  Mannheimer  Volks- 
schule.   Von  Trüper. 


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176 


Neu  wagugMigMift  Booher  und  Zeiteohrifleii 


Neu  eingegangene  Buolier  and  Zeitscliriften 


6.  Port  ig,  Das  Weltgesetz  dea  kleinsten 
Kraftaufwandos  in  den  Reihen  der  Natu?- 

1.  in  der  Mathematik,  PhysÜL  u.  Chemie. 
332  S.  II.  in  der  Astronomie  und 
Biologie.  552  &  Statigiui,  KielinaDii, 
1003  0.  1904. 

A.  Neumann,  Jesus  wer  er  geschicht- 
lich war,  Froiburg  i/B.  und  Leipzig, 
P.  Waotzel,  1904.    204  S. 

Jaquus  Steon,  Rechtsphilo»ophie  und 
Rechtswissenschaft  Berlin,  Oattentag, 
1904.  47  8. 

Kowalewski,  Kants  Stellang  mm  Pro- 
blem der  Außenweltexistenz.    39  S. 

Achelis.  Altriß  der  vergleichenden  Reli- 
gionswi  SSO  Ii  Schaft.  Leipzig ,  Göschen. 
1904.    1C3  S. 

Idelberger,  Die  Entwiddong  der  kind- 
lichen Spnohe.  Berlin,  H.  Weither, 
1904.  87  8. 

Doussen,  Vedänta  und  Patonismu.s  im 
Lichte  der  Kantischen  rhilosophie. 
Comem US- Gesellschaft  Berlin,  Weid- 
mann, 1904.   25  S. 

K.  Adler,  Tirnnaiwel  Kant  mm  Oe- 
dSchtnis.  Wien,  Dentioke,  1904.  46  8. 

Beck,  Die  NaohBhmong  und  ihre  Be- 
deutung für  Psychologie  und  Völker- 
kunde. Leipzig,  Haaeke,  1904.    173  S. 

Opitz,  ruundriß  einer  Seinswi.ssensfliaft. 

2.  Bd.  Wcsenslehre.  £benda  1904. 
233  8. 

A.  Bo  the  nbftoh  e  r ,  Oeaohiohte  der  Philo- 
sophie für  Gebildete  und  Stndierende. 
Berlin,  Walther,  1904.  330 

K.  Fahrion,  Da.s  Problem  der  Willens- 
freiheit. Heidelberg,  Winter,  1904. 
62  S. 

W.  Windelbnnd,  Immanuel  Kant  und 
aeine  Weltanaohaonng.  Bede.  Ebenda 

1004.    32  S. 
Beiliwänger,  Amos  Comenius  als  Pan- 
soph.     Stuttgart,   Kohlliardt,  1904. 
101  8. 


Ascher,   Ausflüge  in  das  Reich  des 

Geistes  und  der  Seele.    Berlin,  Its- 

kowski.    60  S. 
K.  August,  Die  Onindlagen  der  Natar- 

wiasenaohaft  Berlin,  Walther,  1904. 

61  8. 

L.  Busse,  Immanuel  Kant.  Ansprache. 
Leipzig,  Voigtländer,  1904.    11  S. 

Castle,  Wallenatein  (Schiller).  Leipzig, 

Toubner. 

Gaudig,  Didaktische  Ketzereien.  Ebenda. 
Klein,   Zeitgemäße  Umgestaltung  des 

math.  üni  Ebenda. 
Obst,  Kaiser  Wilhelm  IL  Breslao, 

Sehottländer, 
Thilly.   The   Univexsity  of  Missouri 

Studies  1904. 
Knortz,  Die  amerikanische  Volksschule. 

TttlHogen,  Laupp. 
Meitzer,  Lesestücke  aus  den  prophet 

Schriften.  Ausgabe  A  n.  B.  Dresden, 

Sehambaeh. 
V.  Sallwürk,  Die  didakt  Normalformen. 

2.  Aufl.  Frankfurt  a/M.,  Dieaterweg. 
Harbe,  Über  den  Rhytfamna  d«r  Proaa. 

Oiefiöi,  Bicker. 
Gutzmann,  Die  soziale  Bedeutung  der 

Sprachstörungen.    Jena,  Fischer. 
Kühn,  Die  Bedeutung  Montaignes  ffir 

unsere  Zeit  StraSbnig^  Heits. 

Zill  ig,  Pädagogisdie  Anforderungen  an 
den  Lehrplän  naw.  Nümbeig,  Koni. 

Kretzschmar,  Polit  FidagCgik.  LTeil. 

Leipzig,  Schimmelnitz. 
Fr.  Mann,  Pädagog.  Magazin.    lieft  0. 
33,  228.  Langum»alza,  Hermann  Beyer 
&  SShne  (Beyer  &  Mum). 

Staude,  Präparaticnen  IL  IV.   3L  Aufl. 
Ebenda. 

Sohlegel,  Präparat  f.  Kirohenlieder  a. 

Psalmen.  Ebenda. 
Groth,  Natur^tuiiiüu.    2.  Aufl.  Ebenda. 
Tews,   Schulk**mpromill  usw.  Berhn- 

8chöneberg,  Hille. 


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Kind  und  Kunst 

Einige  experimentelle  Untersuchungen  zu  einigen  Grundfragen  der  Kunst- 
erziehung 

Von 

Marx  Lobslen,  Kiol 
A.  Einleitung 

Die  gegenwärtige  Pädagogik  darf  sich  zweifelsohne  als  Verdienst 
anrechnen,  daß  sie  ein  absichtliches  Bemühen  forderte,  um  die 
Kunst  dem  Volke  nahe  zu  bringen.  Dabei  handelt  es  sich  in  erster 
Linie  um  die  Kunst  im  Bilde,  sei  es  das  plastische  oder  ebene,  in 
zweiter  Linie  um  die  Kunst  im  Worte.  Man  verglich  die  Gegen- 
wart mit  einer  kunstsinnigen  Periode  des  Mittelalters  und  mußte  mit 
Beschämung  eingestehen,  daß  die  Gegenwart  in  Kunstsinn  und  Kunst- 
fertigkeit ungleich  hinter  joner  zurückstehe.  Verglich  man  das 
moderne  bürgerliche  Zimmer  —  um  nur  auf  dieses  eine  hinzuweisen 
—  mit  dem  jener  Periode,  so  gewahrte  man  dort  feineren  Sinn  für 
Farbe  und  Form,  naives,  aber  doch  sicheres  Empfinden  für  das  Zu- 
sammenstimmen. Dieses  Zusammenstimmen  bezieht  sich  sowohl  auf 
das  einzelne  Zimmergerät,  wie  auf  die  Gesamtausstattung  des  Raumes. 
Wo  sich  Gelegenheit  bot,  unterließ  man  nie,  ein  passendes  Zierrat 
mit  geschickter  Hand,  d.  h.  niemals  in  aufdringlicher  Weise,  anzu- 
bringen. Die  Aus^schmückung  war  nicht  Selbstzweck,  wie  in  einer 
späteren  Periode  der  Übertreibungen  und  des  Schwulstes,  sondern 
ordnete  sich  bescheiden  dem  jeweiligen  Zwecke  des  Gebrauchsgegen- 
standes unter.  Ebenso  war  unmöglich,  es  sei  denn,  daß  ein  starkes 
Pietätsgefühl  das  so  forderte,  daß  ein  Gerät  im  Zimmer  geduldet 

Zdtschiift  für  Philosophie  and  Padagocrik.    12.  Jahnnuig.  12 

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178  Aufsätze 


würde,  das  geeignet  wfiie,  den  Oesamteindrack  za  stören.  —  Tritt 
man  dagegen  beute  in  das  Wohn-  oder  gar  Prunkzimmer  eines  relativ 
wohl  gestellten  Bfiigers:  welch  ein  tohnyabohn  in  Form  nnd  Farbe, 
welch  traniige  Geschmacklosigkeit  und  Oeschmackswiimis  redet  von 
diesen  Winden,  diesen  Bildern,  dieser  Auswahl  nnd  Anordnung 
Ton  Zicrgcgenstinden  mannigfachster  Art!  Welch  schreiende  Mißtöne 
in  Wahl  nnd  Anordnung  der  Farben!  Und  nun  gar  die  Futzstube 
des  Minderbegüterten,  des  kleinen  Handwerkers,  Beamten,  Kaufinannes, 
an  dessen  Ausschmückung  er  seine  Spargroschen  wendet,  jenes 
Zimmer,  das  der  Hausfrau  Stolz  ist,  das  während  des  ganzen  Jahres 
kaum  betreten  und  sorgsam  vor  Sonne  und  frischer  Luft  bewahrt 
wird:  es  ist  zunächst  nichts  weiter  als  ein  Aufspeicherungskabinett 
der  denkbar  mannigfachsten  Ramschware  des  nächsten  Warenhauses 

—  ein  Warenhaus  en  miniature!  —  Das  ist  nur  ein  Beispiel  für 
viele.  Ich  erinnere  aufierdem  an  das  dicht  besetzte  Yarietö,  das 
zweifelhafte  Yorstadttheater,  den  Gassenhauer,  die  Easemenlieder,  die 
elende  Schmutz-  und  Hintortreppenliteratur,  die  gemein  und  schauder- 
bar illustrierton  Witz-  und  Skandalblfttter,  die  alle  zahlreiche  Ab- 
nehmer finden  usw. 

Das  mufite  allerdings  sowohl  dem  Pädagogen  wie  dem  Künstler 
ans  Herz  greifen.  Man  fand  auch  Wege  und  Mittel,  ^des  Teufels 
Mißt«  —  mit  Luther  zu  reden,  auszukehren,  die  Yolksseele  zu  säubern, 
sie  zu  veredeln,  indem  man  ihr  die  besten  Kunstschätze  in  Wort 
und  Bild  zuführte,  sie  so,  wenn  möglich,  gegen  die  Ansteckung  durch 
die  Unkunst,  das  Unedle,  das  Unsaubere  zu  immunisieren.  Es  ward 
die  Parole  ausgegeben:  die  Kunst  dem  Yolke!  und  beide  Interessenten 
verbündeten  sich,  um  den  Kampf  auf  der  ganzen  Linie  au&unehmett. 

—  Der  Kampf  muß  offenbar  nach  zwei  Seiten  geführt  werden,  ab- 
wehrend und  angreifend;  abwehrend  gegenüber  der  herrschenden 
Unnatur  (wie  das  mit  bemerkenswertem  Erfolge  auf  dem  Gebiete 
der  Jugendschiifton  versucht  wird),  gegenüber  der  Wahl-  und  Stü- 
losigkeit  in  Kunst  und  Kunstgewerbe,  wie  sie  das  Publikum  be- 
liebt. Dann  aber  muß  man  vor  allen  Dingen  Besseres  als  Ersatz 
schaffen  —  zweifellos  die  größere  und  unvergleichlich  schwierigere 
Aufgabe. 

Dabei  kann  es  sich  selhstversändlich ,  will  man  Gesundes 
schaffen,  nicht  am  einen  Kampf  von  heute  auf  morgen  handeln, 
etwa  mit  gewaltsamen  Machtmitteln,  wie  mancher  Heißsporn  ver- 
meint Das  ist  bei  allen  denen  von  vornherein  sicher,  die  da  wissen, 
wie  hart  Meinungen,  Neigungen,  Wertschätzungen  gerade  solcher  Art, 
wie  sie  hier  in  Frage  stehen,  sich  einwurzeln.  Wir  haben  logische 


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Lobsikn:  Kind  und  Kunst 


179 


Tnliimpr,  ja  Walinideen  allen  gegenteiligen  Zeugnissen  zum  Trotz 
Jalirhunderte  überdauern  sehen,  l^nd  doch  kann  man  dort,  wo  es 
sich  um  derartige  Verfehlungen  und  Falsohdeutungen  handelt,  die 
Masse,  wie  man  sagt,  mit  der  Nase  auf  die  nbjektivc^n  Tatbestände 
stoßen.  Wie  ganz  anders,  wo  es  sich  um  den  (Jeschraack  handelt; 
hier  liegen  die  Verhältnisse  viel  schwieriger.  Man  kann  derartig 
handgreifliche  Beweise  nicht  geben,  weil  der  Treschmack  indis- 
kutabel ist.  Nun  soll  nicht  geleugnet  werden,  daß  die  erwähnten 
Irrungen  aus  logisch-sachlichen  Gebieten'  nicht  allein  gefestigt  werden 
durch  die  Trägheit  der  blassen,  sondern  auch  durch  die  diese  Eigen- 
schaft naiv  oder  raffiniert  ausbeutende  Herrschsucht  der  Oberen  starke 
Stützen  gewann  (Ptolemäus-Kopernikus).  Dieser  Herrschaft  begegnen 
wir  auf  dem  Gebiete  des  Geschmacks  wieder  in  der  mindestens  ebenso 
rigorosen  der  Mode  i.  w.  vS.  Der  Satz:  der  Geschmack  ist  indiskutabel, 
hat  praktische  Bedeutung  nicht  sowohl  dem  Individuum  gegenüber, 
das  sich  in  seinem  Geschmack  sein  noli  me  tangere  äußeren  Ein- 
wirkungen gegenüber  bewahrt  hat,  als  vielmehr  einer  größeren  oder 
geringeren  Gemeinsamkeit  gegenüber,  die  durch  die  Mode  gebunden 
wird.  Wir  haben  heute  noch  ihre  Macht  deutlich  vor  Augen,  am 
deutlichsten  in  dem,  was  sie  für  die  Kleidung  vorschreibt  Trotzdem 
ihre  Macht  durch  den  häufigen  Wechsel  stark  gelockert  ist,  sehen 
wir  das  widersinnigste  und  bäßUcbste  in  Form  und  Farbe  »modern« 
und  »unmodern«  werden  —  aber  wieviele  wagen,  sich  zu  emanzi- 
pieren. Denn  —  und  darin  liegt  snm  großen  Teile  das  Geheimnis 
beschlossen  —  der  Hauptbundesgenosse  der  Modo  ist  die  Furcht  vor 
dem  »sieb  lächerlich  macben«,  vor  dem  Spott.  Die  Waffe  hebtet 
sich  in  TWschärfter  Form  gegen  den  minder  Wohlhabenden,  der  zu- 
gleich seine  Dürftigkeit  getroffen  fühlt.  Welche  Macbt  aber  dem 
Spott  innewohnt,  bezeugt  die  Eultuiigescbiobte  zur  Gen  (ige:  was  emster 
Belehrung  unmöglich  war,  das  gelang  den  Volksfreunden,  die  die 
Geißel  des  Spottes  und  der  Satire  zu  bandhaben  wußten.  Wie  groß 
aber  ist  die  Macht  der  M.ode  in  jenen  Zeiten  gewesen,  da  sie  sieb 
in  viel  weitereu  Z^Mfiünmen  wandelte  und  sich  obendrein  mit  äußeren 
Machtmitteln  verbinden  konnte.  Sie  wirkt  stark  uniformierend  ein, 
nicht  nur  auf  die  Kleidung,  sondern  die  ganze  LebensfiUn  tmg,  die 
Lebenswertung  und  den  Geschmack.  Bedenkt  man  diese  Macht,  die 
auch  heute  wirksam  ist,  so  wird  man  schon  aus  dem  Grunde  der 
Meinung  entgi^;entreten  müssen,  daß  in  einigen  Jahren,  nd.  r  Jahr- 
zehnten, auch  ernstes  Bemühen  von  durcbgreifendein  Erfolge  sein 
werde.  Es  ist  richtig,  die  Jugend  »kann  man  leichter  biegen  und 
ziehen«  und  darum  durchauB  zu  billigen,  daß  man  »bei  ihr  anhebt«, 

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180  AvfBUxe 


aber  das  Haus,  auch  wo  es  keinen  aktiven  Widerstand  leistet,  hat 
durch  100  feine  Fäden  eine  viel  engere  Beziehung  zum  Kinde,  einen 
viel  inteusivercn  Einfluß. 

Dazu  kommen  weitere  hemmende  Umstände,  die  in  modernen 
volkswirtschaftlichen  Verluiltnisson  begründet  liegen;  ich  erwähne  nur 
einiges.  Die  modt  rue  Technik  gestattet  neben  Herstellung  vorzüg- 
licher Machbildungen  künstlei'ischer  Erzeugnisse,  auch  die  minder- 
wertige billige  Mas.senproduktion ,  die  dann  im  Dienste  der  öden 
modernen  Geschäftsdevise:  Großer  Umsatz,  kleiner  Verdienst  (d.  h.  zu- 
meist schlecht  aber  billig),  den  Markt  zu  ül)ersehwemmen  vermag 
Damals  lautete  sie:  wenig,  aher  gut  Das  paßte  vorzüglicn  zu  der 
bürglich-konservativen  Behaglichkeit  jener  Zeit  wie  jene  andere  zu 
der  nervösen  Hast  unserer  Tage.  Ein  minderwertiges  Vielerlei  lockt 
den  Käufer,  geschmackverwirrcnd.  Er  nimmt  sich  nicht  die  Mühe, 
das  Bild,  den  Ziergegen stand,  das  Hausgerät  auf  seine  Schönheit  hin 
zu  betrachten,  ja,  er  kann  es  nicht,  weil  ihm  der  Sinn  dafür  fehlt. 
Dieser  ist  auf  das  Nüchterne  und  Traktische  gerichtet  und  für  das 
Schöne  abgestumpft;  denn  die  Lebenshaltung  steht  großenteils  unter 
der  gleichen  Devise.  Weil  das  (Jeld  gegen  andere  materielle 
Lebenswerte  eine  starke  Kui-sherabminderung  gegenüber  früheren 
Zeiten  erfahren  hat,  so  gilt  es  ein  Auskaufen  der  Zeit  und  ein  An- 
spannen der  geistigen  und  leiblichen  Kräfte  bis  zu  ihrem  Maximum. 
Dazu  verführt  di<>se  Hast  schnell  erreichbare  oft  verwerfliche  Ge- 
nüsse zu  erhaschen.  Diese  Rastlosigkeit  in  Arbeit  und  Genuß  ge- 
stattet kein  ruhiges  Vorweilen,  die  Jagd  nach  dem  Gdlde  macht 
blind  und  stumpf  dem  kninstlerisclien  Schauen  und  Genießen  gegen- 
über. So  hängt  der  Sinn  für  Kunst  aufs  engste  zusammen  mit 
der  ganzen  Lebenshaltung.  Ungimstige  wirtschaftliche  Lage  macht 
von  vornherein  das  Bemühen:  Die  Kunst  dem  Volke,  künstlerische 
Erziehung  für  alle  diejenigen  illusorisch,  die  darunter  seufzen.  Der 
hat  nicht  Sinn  für  Kunst  den  jeden  Morgen  Fi'au  Surire  grüßt  Erst 
Brot,  dann  Kunst!  Möglich,  daß  man  in  weichen  Kinderherzen  manch 
Samenkorn  legen  kann,  aber  es  ist  unweigerlich  dem  Tode  gewiß. 
Schade  um  die  verlorne  Liebesmüh.  So  erfährt  der  Satz:  die  Kunst 
dem  Volke  schon  aus  äußeren  Gründen  eine  Einschränkung. 

Zu  diesem  Abstrich  in  der  Breitenrichtung  komtnt  dann  ein 
anderer  in  die  Tiefe.  Die  äußerlich  günstige  Lebenslage  gewährt 
noch  keineswegs  die  Verwirklichung  des  gesteckten  Zieles,  mindestens 
ohL'nso  wichtig  sind  bestimmte  psychische  Qualitäten,  worüber  her- 
nach genaueres  ausgeführt  werden  soll.  Doch  mischte  ich  in  diesem 
Zusammenhange  auf  einen  Feiud  der  modernen  Bestiebungen  auf- 


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Lobsien:  Kind  tmd  Kunst 


181 


meriraam  machen,  den  man  nicht  immer  genügend  gewürdigt  hat 
Man  kauft  das  Bnch,  das  Bild,  den  Schmnc^gegenstand  im  Waren- 
banse  billig  ond  damit  macht  man  von  7omherein  die  Eonsession: 
ffir  den  Preis  ist  es  doch  ganz  nett,  da  kann  man  nichts  besseres 
▼eriangen.  Daß  aber  ein  derartiges  Eonzessionenmachen  irgendwie 
geeignet  sein  sollte,  einen  etwa  noch  schlummeniden  Sinn  fOr  schöne 
Form  nnd  Earbe  zn  beleben,  wird  nur  der  Unkundige  einen  Augen- 
blick erwfigen.  ^ 

Die  Fordenmg:  die  Ennst  dem  Volke,  geht  von  der  Yoraus- 
setEODg  anS)  daß  das  Yolk  zum  Eunstsinn  nnd  Ennstgcnuß  erzogen 
werden  könne.  Diese  Toranssetznng  hat  aber,  meines  Erachtens,  yor> 
linfig  nur  den  Wert  einer  Hypothese.  Sie  kann  historisch  nicht 
eifairtet  werden  (etwa  durch  den  Hinweis  auf  jene  hochstehende 
mittelalterliche  Periode).  Die  Geschichte  des  fisthetischen  Geschmacks 
—  den  wir  in  den  cfanaktenstisdien  Ennsterzeugnissen  der  einzehien 
EntwicUungsstadien  verköipert  sehen  —  zeigt  ein  Auf  und  Ab  der 
Entfiiltung.  Auf  den  Wellenborg  folgt  das  Welleatal,  je  nachdem  das 
Geschick  hervorragende,  bahnweisende  Geister  bescherte  oder  Yorent- 
bielt  Diese  bestimmten  fiibalt  nnd  Richtong  des  Aufschwungs.  Das 
Chaikteristische  für  den  Psychologen  liegt  aber  in  den  Zeiten  des 
Kiedeigangs  darin,  daß  nur  von  wenigen  diese  als  solche  erkannt 
Qod  rerstanden  werden,  im  Gegenteil,  die  Zeitgenossen  sind  mit  dem, 
was  geleistet  wird,  nicht  nur  ganz  wohl  zufrieden,  sie  stellen  es  über 
die  Bizeugnisse  jener  Perioden,  die  hernach  vor  dem  Richterstuhle 
der  Eunstgeschichte  als  Höhen  sich  ausweisen.  Das  Selbstzeugnis 
der  einzelnen  Perioden  ist  das  denkbar  schlechteste  —  sonst  wäre 
das  wechselnde  Auf  und  Ab  der  Entwicklung  ja  unmöglich.  Die 
historische  Betrachtung  zeigt  dann  weiter,  daß  dieser  Wechsel  im  all- 
gemeinen zusammengeht  mit  äußeren  Schicksalen  und  innerkulturellen 
Umwandlungen.  Sie  kann  im  allgemeinen  auch  mancherlei  ürsach- 
Terhältnissc  zwischen  hüben  und  drüben  nachweisen  oder  wahrschein- 
lich machen.  Damit  aber  ist  ihre  Aufgabe  erschöpft  in  der  Beant- 
wortung dvT  gestellten  tYage:  Sie  kann  auf  Grund  jener  Registrie- 
roDgen  und  dieser  Ziisammenhango  im  allgemeinen  die  Möglichkeit 
einer  Erziehung  zur  Kunst  wahrsclipinlich  machen.  Das  unter  fol- 
gender Begründung:  Ein  ursachloscs  Geschehen  ist  ein  Widerspruch 
in  sich.  Für  die  Wellenbewegung  sind  Ursachen  verantwortlich  zu 
machen,  seien  es  peiNönlichc,  Uniweltseinflüsse  oder  beide  zusammen. 
Diese  «laii  man  in  ihrer  (resanithcit  als  erzieliliche  Kiiiwirkungen  mit 
Fug  Luid  Recht  bezeichnen  —  folglicli  ist  Erziehung  zum  Kunstvor- 


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182  AnfBBtse 


stfindnis  möglich.  Entspreehend  der  Natur  der  Eüiiflflsse  liegt  ihr 
Erfolg  in  auf-  oder  absteigender  Linie. 

Der  Sais,  daß  nrsaobloses  Geschehen  ein  Unding  sei,  ist  un- 
bedingt zuzugeben;  er  hat  genau  dieselbe  Gültigkeit  wie  das  aus 
ihm  resultierende,  dafi  ein  Geschehen,  eine  Zustuidsinderung  not- 
wendig und  notwendig  in  derselben  Form  statthaben  mufi,  wenn  die 
ganze  Summe  der  Bedingungen  gegeben  ist  Dem  Historiker  sind 
aber  nicht  alle  Bedingungen  bekannt,  er  kennt  nur  die  ftufieren,  so- 
weit sie  überliefert  sind.  Wo  seine  Au^be  endet,  da  hebt  die 
Arbeit  des  Psychologen  erst  an.  Er  erkundet  das  Verhalten  der 
Seele,  ihren  Gesetzen  entsprechend,  jenen  Einwirkungen  gegen- 
über. Würde  aber  der  Fsydidoge  lediglich  arbeiten  mit  den  Mitteln 
der  alten  Eonstruktionspsyohologie,  dann  müßte  er  sich  gleicher- 
weise begnügen,  die  Möglichkeit  im  allgemeinen  und  obendrein  mit 
viel  engeren,  weil  willkürlicheren  Mittehi  darzutun.  Der  Tollgflltige 
Beweis  kann  auf  kürzestem  Wege  nur  ei^erimentell  erbracht  werden, 
d.  h.  dadurch,  daß«  man  planmäßig  Ssthetisch  auf  eine  bestimmte 
Schüleigruppe  einzuwirken  trachtet,  um  dann  den  Erfolg  zu  beob- 
aditen.  Ich  sage  am  sichersten  und  kürzesten,  denn  des  eben  ist 
das  Wesen  des  Experiments,  daß  es  die  Bedingung  nach  Möglichkeit 
reinlich  sondert  und  sie  willkürlich  varüert,  trennt  und  yerbindet, 
um  so  dem  Zu&U  mit  allen  seinen  Terboigenen  Irrtümern  zu  ent- 
gehen. Dieselbe  Angabe  hat  auch  hier  das  Experiment,  nur  Tarüert 
dem  neuen  Anwendungsgebiete  entsprechend.  Er  setzt  Toiaus  eine 
stete,  der  jeweiligen  kindlichen  Entwicklungsstufe  angepaßte  üsthe- 
tiscbe  Einwirkung  im  weitesten  Sinne  und  prüft  dann  in  gewissen 
Zeiträumen  das  Maß  der  Immunisierung  gegenüber  der  ünkunst  — 
Das  alles  ist  aber  rorläulig  lediglich  Zukunftsmusik,  denn  ee  fehlt 
bis  heute  noch  an  jeglicher  Vorarbeit  dieser  Art 

Die  ErziehuDgsmöglichkeit  im  allgemeinen  ist  zwar  erwiesen, 
80  widersprechend  ihre  Theori^  sind,  die  Erziehungsmög^chkeit  zur 
Kunst  soll  erst  erwiesen  werden.  Es  soll  erwiesen  werden,  daß  für 
eine  solche  allgemeine  Vorbedingungen  Torhanden  sind,  denn  nur 
dann  ist  berechtigt  zu  fordern:  die  Kunst  dem  Volke.  Die  Geschichte 
der  Kunst  läßt  uns  hier  im  Stiche,  sie  zeigt  diese  Allgemeinheit  nicht, 
sondern  redet  nur  von  bestimmten,  mehr  oder  minder  abgeschlossenen 
Kreisen,  die  bald  größere,  bald  kleinere  Radien  gehabt  haben  mögen. 

Es  muß  also  vor  allen  Dingua  der  Nachweis  erbracht  werden, 
daß  ästhetische  Qualitäten  —  a  gr.  s.  —  im  Kinde  schlummern,  ob 
überhaupt  Bedingungen  bereits  dafür  Torhanden  sind,  die  ein  absicht- 
liches Bemühen  berechtigt  ersdieinen  lassen.  Dem  ist  hinzuzufügen. 


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LoBtoEN:  Kind  und  Kuust 


183 


dftß  hiervon  Qualitäten  natürlich  nicht  in  dem  Sinne  eines  VennÖgans 
geredet  wird,  eines  Keims,  der  nur  günstiger  äußerer  Bedingungen 
wartet,  um  sich  zu  entfalten,  sondern  als  von  Neigungen,  ästhetisch 
zu  werten,  vorzoziehen  und  zu  betrachten.  Während  im  allgemeinen 
Kunstsinn,  Kunstverständnis  erst  auf  einer  <:o\vi\sen,  oft  eigenartigen 
Oesamtbildungshöhe  inteliektuelier  und  moralischer  Art,  möglich  er- 
scheint, 80  ist  (loch  xonigoben,  daß  solche  Neigungen  oft  eigenartig 
früh  hervori)rn  hon,  andrerseits,  daß  es  nicht,  wie  etwa  auf  mechÄ- 
nischem  Gebiete  bei  dem  Parallelogramm  der  Kräfte,  lediglich  dieser 
intellektuellen  und  moralischen  Kräfte  bedarf  um  unter  günstiger 
Konstallation  als  Resultante  die  ästhetische  Genußfähigkeit  zu  er- 
zeugen, beileil>e  nicht  Jene  scheinen  zumeist  Voraussetzungen,  ja 
gar  die  conditio  sine  qtui  non  —  aber  das  ästhetische  Genießen  ent- 
hält doch  ein  mehreres,  das  in  jenen  nicht  vorhanden  ist  und  aus 
ihnen  allein  nicht  resultieren  kann.  Man  mag,  etwa  im  Sinne  Uerbarts, 
die  Ethik  möglichst  nahe  an  die  Ästhetik  heranrücken,  man  mag  von 
einer  Ästhetik  logischer  Konstruktionen  reden  u.  a.  —  man  trifft 
damit  immer  nur  Sondorf ornien,  Abarten  eines  Grundwesens,  das  in 
ihnen  nicht  beschlossen  liegt.  Kurzum,  die  ästhetische  Genußfähig- 
keit liat  ihr  Sonder  wo  sen.  Daraus  folgt  weiter  —  und  lediglich 
das  wollte  ich  durch  diesen  kurzen  Gedankengang  dartun  — ,  sie 
hat  ihre  Sonderentwicklung  von  niederen  zu  höheren  Stufen 
iun,  eine  Entwicklung,  die  in  ihrer  Höhenlage,  in  ihrem  Tempo 
nach  der  persönlichen  Eigenart  denkbar  verschieden  ist  Hier 
liegt,  wie  mir  scheinen  will,  eine  Ftmdamentalaufgabe  für  die  Be- 
strebungen auf  dem  Gebiete  der  Kunsterziehung,  die  noch  lange  nicht 
genugsam  gewürdigt  und  nur  ganz  sporadisch  in  Angriff  genommen 
worden  ist,  nämlich:  die  Entwicklungsstadien  des  ästhetischen  Sinnes 
genau  tsa  TCifolgen.  Die  Au^be  ist  um  so  schwieriger,  weil  die 
Entwicklung,  zunächst  innerhalb  der  großen  Gruppen:  Bild-  und 
Wortwhönes,  dann  auch  innerhalb  ihrer  Unterabteilungen  keineswegs 
parallel  verläuft,  weder  innerhalb  des  Individuums  noch  breiterer 
Massen.  (Genaueres  werden  die  experimentellen  Untersuchungen 
dieser  Arbeit  bringen.)  Wie  dem  auch  sei,  ich  bin  zufrieden,  wenn 
man  mir  jeet  schon  zugibt,  daß  wir  es  hier  mit  einer  Angelegenheit 
der  Entwicklung  zu  tun  haben.  Daraus  ergibt  sich  weiter,  daß, 
wenigstens  im  allgemeinen  ein  Unterschied  ist  zwischen  dem  Kinde 
und  dem  Erwachsenen  einerseits,  dem  Gebildeten  und  der  breiten 
Hasse  andrerseits;  femer,  daß  gewagt  erscheint,  die  Kunst  —  ohne 
daß  die  genannten  Bedingungen  erfüllt  seien,  der  Masse,  oder  gar 
dem  Kinde  \anzttbieten.  In  gewissem  Sinne  haben  wir  ein  Analogon 


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184  AnlBitse 


in  dem  Religionsuntemohte.  Ich  glaube,  es  gibt  keinen  Untemcbte- 
zweig,  der  auf  eine  so  lange  und  eingehende  Pflege  zorflcAbHeken 
kann  wie  dieser.  Wie  ungemein  reich  ist  seine  Literatur,  wie  groß 
die  Zahl  hervorragender  Geister,  die  sich  aufs  ernsteste  um  ihn  be- 
müht haben  —  aber  es  gibt  kein  Unterrichtsgebiet,  auf  dem  man 
sich  ärger  gegen  die  Psychologie  versündigte,  die  kindliche  Indi- 
vidualität so  gründlich  ausschaltete.  (Die  Ursachen  sind  zum  Teil 
äußerer  Art  und  interessieren  uns  hier  nicht.)  Man  sah  in  dem 
Kinde  den  Erwachsenen  nicht  nur,  sondern  den  mit  einer  reifen 
eigenartigen,  elep:iscli- philosophischen  Weltanschaung,  unbekümmert 
um  die  eigenartige  kindliclie  Entwicklung.  Man  täuschte  sich  beim 
Unterrichte  in  unglaublicher  Weise  seihst;  man  wunderte  sich  über 
da.s,  was  im  Kinde  schlummore,  was  der  Fragcküiisth?r  herauszuheben 
verniot'lite  —  wiiiinnid  dem  Psychologen  nicht  unkhir  bleiben  kann^ 
daß  der  »Mäeutiker«  sich  selbst  fragt,  sich  selbst  beantwortet  Was 
in  den  Kiipfen  der  Kinder  aphoristisch  sich  abspielt,  ist  weit  ver- 
scliicdpn  von  den  Vorgängen  im  Hirne  des  Katecheten.  Das  wollen 
wir  auf  dem  Gebiete  der  Kunsterziehung  doeli  vermeiden.  Die  Ge- 
talir  ist  liier  besonders  groß,  weil  sich  im  ei-sten  Eifer  überaus  viele 
und  sehr  viele  unberufene  Hände  der  neuen  Angelegenheit  heniach- 
tigten.  Die  Gefahr  eigenes  —  sei  es  tatsächliches  oder  imaginäres 
—  Erleben  in  andere  fälschlich  hineiuzuprojizieren  wäciist  unter 
solchen  üjnständen  ins  Ungemcssene. 

Hier  liegt  auch  die  Wurzel  zu  der  Verstimmung  zwischen 
Künstlern  und  Kunstenthusiasten,  die  schon  auf  dem  ersten  mit  so 
großem  Scenarium  ins  Leben  gerufenen  Kunsterziehungstago  (ein 
stolzes  Wort)  deutlich  hervortrat;  sie  hatte  schon  vorher  eingesetzt 
und  greift  weiter  um  sich.  Es  bewahrheitet  sich  hier  wieder,  daß 
so  subjektive  Dinge,  um  die  es  sich  für  die  Kun.sterziehung  handelt, 
nicht  durch  äußeren  Pomp  oder  gar  gewaltsame  Kraftanstrengung 
geförd(U't  w(Tden  können.  Dils  ist  nur  geeignet,  den  zarter  Emp- 
pfindenden  abzustoßen,  dem  Unbesonnenen  aber,  zumal  in  unsern 
stark  auf  äußeres  und  leider  oft  hohles  Schaugepränge  gerichteten 
Tagen,  den  Blick  für  das  Wahre  und  Echte  in  der  vorliegenden 
Sache  zu  trüben.  Dabei  sollte  man  schon  aus  (irunden  der  Klugheit 
die  alte  Erfahrung  nicht  aus  dem  Auge  lassen,  daß  man  sich  den 
anfangs  naiv  Vertrauenden  durch  Enttäuschung  zum  ärgsten  Feinde 
macht  —  (und  die  Enttäuschung  bleibt  hier  nicht  aus).  Die  Ver- 
stimmung ist  so  begründet:  Der  Künstler  ist  als  solcher  Aristokrat. 
Sein  Können  ist  ein  Geschenk  der  Götter,  nur  wenig  Auserwählte 
können  sich  ihm  zur  Seite  stellen.   Er  kann  zwar  das  Publikum 


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LoBBBir:  Kind  lud  Kunst 


185 


nicht  entbehren,  hat  diesem  gegMiüber  Tielmehr  eine  Hission  zu  er- 
ffiUen.  Aber  einerseits  ist  sein  Publikum  nur  die  immerhin  kleine 
Gemeinde  kongenialer  Geister  (passive  Künstler)^  die  durch  bestimmte 
YemnUigung,  LebensstellungyLebensführung,  Lebensanschauung,  befiUiigt 
ist,  ihn  und  sein  Schaffen  zu  wtlrdigen,  nicht  aber  die  breite  Masse, 
die  doch  das  schnell  laut  gewordene  Schlagwort:  Die  Kunst  dem 
Volke!  im  Sinne  hat  Man  tttusche  sich  doch  nicht,  die  Kunst  läBt 
äob  nicht  demokratisieren.  Die  Kunst  ist  ein  Agens,  ist  Rand- 
▼ezzierung  des  Lebens.  Man  mag  ihren  nie  zu  bezweifelnden  Wert 
~  man  reneibe  den  philiströsen  Ausdruck  —  noch  so  hoch  ein- 
sehfttzen;  das  wird  niemals  abzuleugnen  sein,  dafi  fflr  ihre  Wirkung 
zonSohst  ein  bestinmites  Maß  sozialen  Wohleigehens  nach  unten  wie 
nach  oben  unbedingtes  Erfordernis  ist  (Von  einzelnen  Ausnahmen 
rede  ich  nicht)  Die  Sorge  war  noch  niemals  die  Mutter  des  Schönen 
ond  des  weitverbreiteten  Kunstempfindens.  Erst  Brot,  dann  Kunst! 
Den  Backen  gebeugt  unter  der  Last  des  animalischen  Lebens,  Herz 
und  Sinne  erfCUlt  Ton  dem  Oedanken:  Woher  nehmen  wir  morgen 
unser  Brot?  —  da  kann  doch  nur  Ificherlicher  utopischer  Idealismus 
oder  TöDige  Unkenntnis  der  tatsächlichen  Yerhältnlsse  die  Hoffnung 
hegen,  hier  durch  die  Kunst  und  Kunsterziehung  helfen  zu  können. 
IKe  Kunst  dem  Volke  bleibt  für  diesen  Teil  der  Bevölkerung  ein 
leerer  Wahn.  Hier  gilt  es,  ganz  andere  Mittel  in  Bewegung  zu 
setEen,  um  dem  Bedrängten  aufzuhelfen. 

Dazu  ein  noch  viel  wichtigeres!  Man  vertauscht  Ursache 
und  Wirkung,  stellt  als  Prinzip  au^  was  an  dem  Ende  seinen  Platz 
erhalten  sollte.  Das  Oeschüft  der  Erziehung  wurde  schon  lange  als 
eine  Kunst  aufgefoßt,  die  in  ihrer  Fülle  auszuüben  nur  dem  Gott> 
begnadeten  möglich  ist  Auch  die  Ausbildung  der  geistigen  und 
leiblichen  Krifte  zu  dem  harmonischen  Kunstwerke:  Mensch,  ist  dem 
Kenner  der  Wandlungsgeschichte  der  Bildungsideale  nicht  fem.  Hier 
aber  hat  das  Eipitheton  Kunst  nur  den  Sinn  eines  Vergleichs  gehabt, 
wenigstens  ist  es  ans  einer  gewissen  Kunstauffassung  übernommen 
worden,  diner  Auffassung,  die  eben  in  der  Ausgestaltung  des  Har- 
monischen das  Orundwesen  der  künstlerischen  Darstellung  erblickte. 
Nun  aber  soll  die  Kunst  in  der  Erziehung  eine  eigene  aktuelle 
Bedeutung  gewinnen.  Die  Kunst  soll  das  Wesen  des  Endehungs- 
gescfaflftes  neugestalten,  neubeleben.  Aber  —  ein  Beispiel  heraus- 
gegriffen —  was  redet  denn  das  Bild  zu  mir?  Von  ihm  aus  gelangen 
Itherwellen  von  festbgrenzter  Länge  und  Gestalt  an  unser  Auge  nur 
als  Beiz  durch  den  nervösen  Apparat  zur  Seele  —  aber  von  dem 
Inhalte  des  ffildes,  dem  historisch-objektiven  des  Äußeren  Geschehens 


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186 


AvMtse 


und  vor  allem  dem  subjektiven,  der  Welt  der  Enipfincluniren  wird 
nichts  unmittelbar  in  die  Seele  des  Beschauoi's  hinüber/^etni^en.  Diese 
Irapouderabilien  vermag  keine  Ätlierwelle  zu  trairon.  Auch  das 
schiinste  Gedicht  bleibt  dem  eitel  Schall  und  Druckei-schwärze,  der 
keinen  Hauch  des  Lebens  in  sich  erfuhr,  das  jenseits  dieser  arm- 
seligen meehanisehen  Außerungsmittel  flutet.  Das  innere  Erleben 
des  Mitteilenden  muß  dem  der  Empfänger  (innerhalb  gewisser  Grenzen) 
kongenial  sein,  wenn  die  Zeichen  irgend  welchen  Wert  beanspruclien 
dürfen.  Denn  ich  selbst  bin  es,  der  aus  eigener  Innenwelt  lieraus 
auf  die  Athei-schwingungen  reagiert,  der  dem  Kunstwerke  seinen 
Inhalt  verleiht.  Meine  Empfinrlungen,  meine  Stimmungen,  meine 
subjektiven  und  objektiven  Erfahrungen  lege  ich  in  das  Bild  hinein. 
Das  Bild  bleibt  ohne  jede  Wirkung,  wenn  sein  Inhalt  nicht  einen 
Teil  meines  persönlichen  Erlebens  bildet.  Andernfalls  wäre  ja  auch 
u.  a.  gar  nieiit  veiNtändlich,  warum  kaum  zwei  Beobachter  einem 
Bilde  gegenüber  die  gleiche  Stellung  einnehmen;  auch  wo  sie  sich 
im  Vorziehen  oder  Verworfen  begegnen,  einigen  sie  sich  nur  auf 
ganz  bescheidenem  Gebiete  der  Gründe.  Über  den  Ge^>chmack  läßt 
sich  nicht  streiten.  Und  doch  handelt  es  sich  hier  keineswegs  um 
ein  völlig  Regelloses,  das  Verhalten  ist  deutlich  bestimmt  durch  die 
Yerschiedonheit  der  Erfahrungswelten.  Ein  lyrisches  Stimmongsbüd 
wird  der  niemals  verstehen,  dem  ein  adäquates  Empfinden  nicht 
durch  die  Seele  gegangen  ist.  Es  ist  unmöglich,  dem  Bewohner  des 
Hochlandes  die  intimen  Schönheiten  des  Meeresstraades,  dem  fröh- 
lichen Südländer  die  eigenartige,  den  Rücken  überschau emde,  traaiig* 
schöne  nordische  Heidestinmiung  vorzuzaubern.  Ich  erinnere  als 
Beispiel  an  die  altdeutschen  Liedstäbe,  die  man  hier  und  da  versucht 
hat,  auf  die  Nachwelt  zu  retten,  jene  Stäbe,  in  die  hunderte  rauher 
Kehlen  einschlugen,  deren  Gewalt  mit  dem  Heulen  des  Sturmwindes 
sich  maß,  deren  Schmiegsamkeit  andrerseits  sich  dem  Säuseln  des 
Abendwindes  vergleichen  ließ.  Sind  sie  nicht  zu  vergleichen  bald 
den  knonigen  Eichen,  bald  den  wettererprobten  Buchen  des  deut- 
schen Waldes.  Vernimmt  man  in  denselben  nicht  bald  den  Donner, 
wie  er  fem  widerhallend  rollt  von  den  Waldeswiesen,  das  Zischen 
des  Blitzstrahls,  das  Krachen  der  Stämme,  berstend  vorm  brausenden 
Sturmwind?  Man  hört  das  Klinken  und  Rasseln  der  Speere,  das 
Krachen  der  Schilde,  getroffen  vom  Schwertfaieb,  der  die  Loft  sausend 
durchbeißt  —  aber  auch  stilles  sanftes  Sausen,  man  spürt,  der  All* 
vater  geht  durch  den  Wald,  hört  flüstern  und  lispeln  wundersame 
Märchen,  trautes  Kosen  der  Liebe,  Keuchen  und  Klagen,  spürt,  in 
heiligem  Schauem  die  Brust  bewegt,  tiefes  Todesahnen,  die  letzten 


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Lomir:  ffind  und  Ennrt 


187 


Sen&er  eines  dahinsterbenden  Volkes:  das  war  der  Wald  im  deutschen 
Oemüte,  ans  dem  des  Sängers  lied  in  tansend&chem  Echo  wider^ 
ballte.  —  Aber  was  sagt  uns  die  Alliteration  in  dem  albernen  »Roland 
der  Riese  am  Rathans  zu  Bremen«  u.  ä.  heute  noch?  Nichts!  Es  sind 
hihaltsleere  Schallwellen|,  die  ihren  Weg  zum  Ohre,  nicht  aber  zur 
Innenwelt  der  Seele  finden.  Ich  wollte  dnrch  dieses  Beispiel  nur  be- 
logen, dafi  die  ganze,  breite,  dnrch  Naturanlage  und  Umwelt 
bedingte  Erfahrungswelt  allein  das  Apperzeptionsmaterial 
ist,  welches  die  Schöpfungen  der  Kunst  aufzunehmen,  oder 
besser,  sie  ihrem  inneren  Werte  nach  an  der  Hand  der 
iufteren  Zeichen  nachzuschaffen  vermag.  Diese  Yorbedin- 
gongen  müssen  erst  geschaffen  werden,  und  doch  reichen  sie  nicht 
allein  ans.  Wie  der  Arzt,  trotz  aller  Kunst,  niemals  ein  Tollwertiges 
neues  Glied  schaffen,  sondern  lediglich  der  Natur  zu  Hilfe  kommen, 
ihr  seine  Dienste  anbieten  kann,  so  kann  die  Erziehung  auch  nur 
Toihandene  KrSfte  fördern,  ordnen,  als  Ursachen  für  ein  bestimmtes 
Ergebnis  zusammenstimmen  lassen,  aber  nichts  völlig  Neues  schaffen 
jenseits  der  psychophysischen  Oesetzmäßigkeit  Nur  völlige  Ver- 
kennung  der  individuellen  Besonderheiten,  das  gleichbedeutend  ist 
mit  der  Despotie  der  aui^zwungenen  eigenen  Art  zu  denken,  zu  emp- 
finden, zu  wollen,  kann  zu  solchem  Dünkel  verf&hren.  Der  für  die 
Konst  begeisterte  Pädagoge  wiU  nun,  in  an  und  für  sich  gewiß 
lobenswertem  Eifer,  gleich  ganze  und  gründliche  Arbeit  verrichten. 
Er  versacht,  dem  Künstler  die  breiteste  Gemeinde  zu  schaffen  und 
hebt  bei  der  Jugend  an.  So  gewinnt  der  Künstler  einen  Interpreten, 
—  vor  dem  er  Angst  hat,  von  dem  er  im  stillen  denkt:  Heinrich, 
mir  graut  vor  dir.  Er  hat  den  durchaus  berechtigtoa  Wunsch,  selber 
zu  seiner  Gemeinde  zu  {reden  und  weiß  sehr  wohl,  daß  der  Weg 
durch  das  Medium  des  Räsonnements  gefiUirlich  ist,  gefittizlioh  schon 
deshalb,  weil  jegliche  eigene  beschauliche  Buhe  gestört  wird.  Diese 
Foicht  vor  dem  Yerschulmeistem  der  künstlerischen  Erzeugnisse 
wird,  so  fürchte  ich,  noch  luiigc  ein  starkes  Hemmnis  gemeinsamer 
Arbeit  sein  —  und  sie  hat  zweifelsohne  ihre  Berechtigung  die  aristo- 
kratische Auffassung  des  Künstlers  und  die  demokratische  des  Pädsr 
gegen  müssen  kollidieren.  Die  Mittellinie  greift  der  zu  Konzessionen 
Geneigte  drüben  vieUeicbt  zu  hoch,  hier  gewiß  zumeist  zu  tiet  Wo- 
hin aber  einmal  die  Geschichte  unserer  zeitgenössischen  Kultur  korri- 
gieren wird  —  das  theoretisch  zu  erwägen  ist  nicht  Aul|gabe  dieser 
einleitenden  Zeilen. 


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188 


AoMtze 


B.  Versuchstechnik 
I.  Ahrioht  und  Plan  vorJi«g«nder  Untaraoohiiiitai 

Die  stark  aphoristisch  gehaltene  Einleitcmg  sollte  zeigen,  daß  ich 
weder  mit  übeigrofien  Erwartungen  noch  mit  munotiTierter  Sk^sis, 
sondern  nach  Möglichkeit  objektiv  an  die  voriiegenden  üntersacfanngen 
herangetreten  bin.  Nicht  positiv  oder  negativ  gefiirbte  VororteilCf 
sondern  die,  wenn  auch  auf  beschränktem  Baume,  gewonnenen  Tat- 
sachen selbst  sollten  reden. 

Meine  Untersuchungen  setzten  sich  eine  doppelte  Angabe.  Sie 
wollten,  auf  experimentellem  Wege,  zunächst  erkunden,  ob  übeihaupt 
ästhetische  Qualitäten  schon  im  Kindesalter  auffindbar  seien  und 
dann,  ob  etwa  eine  Entwicklung,  vielleicht  im  Sinne  des  Aufsteigens 
nachweisbar  sei. 

Entsprechend  dieser  allgemeinen  Aufgabe  gebot  es  sich,  nicht 
ledi^^ch  eine  Seite,  etwa  nur  das  Bildschöne,  sondern  alle  Formen 
der  Kunst  zu  berücksichtigen,  wie  sie  dem  Kinde  entgegentreten» 
Man  wird  doch  wenigstens  die  Möglichkeit  zugeben  müssen,  dafi  das 
Interesse  hier  und  da  nicht  gleichzeitig  und  innerhalb  der  Perioden 
nicht  in  übereinstimmendem  Tempo  sich  entwickle.  Weil  aber  ein 
derartiges  Interesse,  gemäß  der  kindlichen  Natur,  notwendig  nicht 
nur  ein  passives  bleiben  kann,  sondern  sich  zu  betätigen  drängt  in 
mancherlei  Spiel  und  Beschäftigimg,  so  war  notwendig,  auch  diesen 
Spuren  nachzugehen.  Dabei  war  unumgänglich,  daß  manche  Dinge 
berührt  wurden,  deren  schon  in  mehier  Abhandlung  über  »Kinder- 
ideale«  Erwähnung  geschehen  war.  Eine  ein&che  Wiederholung 
ist  aber  schon  deshalb  nicht  zu  besorgen,  weil  die  Gesichtspunkte, 
von  denen  aus  die  Ergebnisse  gewürdigt  wcoiien,  durchaus  verschieden 
sind,  dort  allgemeiner,  hier  enger  und  bestimmter. 

Dabei  darf  eine  doppelte  Sehwieiigktit^  die  vorliegende  Yersuchs- 
teohnik  einschließt,  nicht  unerwähnt  bleiben;  scheint  sie  doch  einer 
oberflächlichen  Würdigmig  geeignet,  das  Ergebnis  nidit  unwesentlich 
zu  beeinflussen.  Der  Versuch  nahm  die  Schüler  wie  sie  sich  boten. 
Eine  stete  Einwirkung  im  Sinne  der  künstlerischen  Erziehung  durfte 
nicht  allseitig  vorausgesetzt  werden,  ja,  man  mußte  rechnen  mit  gegen- 
teiligen, nicht  immer  geringen  Wirkungen.  Manche  Bildungsanstalten, 
die  mch  in  den  Dienst  der  zu  behandelnden  Fragen  stellten,  haben  es 
an  direkten  Maßnahmen  nicht  fehlen  lassen,  andere  haben  die  An* 


')  Ztsdir.  f.  päd.  -  psychologische  Psychologie  und  Pathologie«  hennsgeg.  vob 
Ita».  Kmun.  Beilm  1908.  fleft  5  u.  0. 


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Lonnw:  Kind  and  Kunst 


189 


gelegenlieit  keiner  näheren  Würdigun^^  luiterzoo-en.  Trotzdem  kann 
aus  diesem  Umstände  nicht  wohl  ein  sehworerer  Einwurf  hergeleitet 
werdiMi.  Zunächst,  wenn  trotz  dieser  wenig  günstigen  Lagen,  Spuren 
von  Kunstverständnis  irgend  welchen  (irades  bei  der  Jugend  nach- 
weisbar sind,  so  hat  man  in  eigener  Sache  einen  Beweis  gebraclit, 
der  nahezu  gleichwertig  ist  dem,  den  die  Ricliterspraclie  die  prQbatio 
diabolica  nennt.  Sehliitnmern  Keime,  so  werden  sie  unter  günstigen 
Wachstumsbedingungen  sicii  entfalten,  ja  mehr  nocli,  die  Erziehung 
hat  die  Pflicht,  an  ihrem  Teile  mitzuhelfen  bei  dieser  Entwicklung. 
Ferner  muß  man  den  Aufschwung  der  modernen  Technik  bedenken, 
soweit  sie  im  Dienste  der  künstlerischen  Darbietung,  in  erster  Linie 
der  massenhaften  Vervielfältigung  von  Kunsterzeugnissen,  steht.  Sie 
ermöglicht  zwar,  daß  Unkunst  in  Wort  und  Bild  in  großer  Masse 
auf  den  Markt  geworfen  und  gegen  wenig  Heller  ihren  Weg  in  das 
Volk  nehmen  kann  —  aber  denselben  Dienst  erweist  sie  der  echten 
Kunst  und  sie  macht  davon  reichlich  Cn'brauch.  Das  Kind  von  lieute 
hat  vielmehr  Gelegenheit,  mit  der  Kunst  in  BerühmDg  zu  kommen, 
als  vor  einigen  Jahrzehnten  möglich  war.  Ich  erinnere,  um  nur 
eines  zu  erwähnen,  an  das,  was  die  Illustrationstechnik  auch  in 
billigeren  Zeitschriften  leistet  gegenüber  dem,  das  man  früher  vor- 
fand. Deutlich  erkennen  wir  das  an  den  Anschauungsbildern,  die  in 
unsem  Schulen  verwendet  werden,  sie  sind  zum  Teil  Kunstwerke  in 
ihrer  Art.  Kurz,  das  Kind  hat  reichlich  Gelegenheit,  zumal  in  dor 
größeren  Stadt,  mit  Kunstschöpfungen  in  Berührung  zu  kommen. 

Man  könnte  der  zweiten  Aufgabe,  die  es  mit  der  Entwicklung 
des  Kunstsinnes  im  jugendlichen  Alter  zu  tun  hat,  gegenüber  sagen, 
daß  hier  von  Entwicklung  nicht  wohl  geredet  werden  krume.  Es 
wird  nicht  die  aUmäblichr  Ijitwicklung  einer  und  derselben  Kinder» 
gmppe  über  mehrere  Jahre  hinaus  vei'folgt,  sondern  eine  größere 
Anz^ibl  verschiedener  Klassen  auf  verschiedenen  Altersstufen  unter- 
sucht und  verglichen.  Alierdings  muß  mit  der  Zeit  die  vorliegende 
Untersuchung  eine  Ergänzung  in  jenem  Sinne  erfahren,  daß  einzelne 
Persönlichkeiten  oder  kleinere  Gruppen  in  bestimmten  Perioden  dem 
VOTSUCh  unterworfen  werden,  um  daran  zu  erfoixchen,  welche  Wand- 
lungen im  einzelnen  zu  beobachten  sind.  Hier  aber  handelt  es  sich 
um  Ao^ben  ganz  allgemeiner  Art,  die  ein  möglichst  reiches  ßeob- 
achtungsmaterial  zur  Voraussetzung  haben.  Innerhalb  dieses  Kahmens, 
der  individuelle  Züge  geflissentlich  nicht  umsclüießt,  .sondern  nur 
das  AJlgemein-Charakteristi.sche,  wie  es  die  steigenden  Altersstufen 
aufweisen,  ist  man  allerdings  berechtigt,  von  einer  Entwicklung  zu 
reden. 


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190 


AvfBttse 


n.  Zahl  und  Art  dar  Frflflfaig« 

Es  wurden  insp  saint  1380  Kinder  dem  Versuch  imterwurfen 
und  zwar  99H  Knaben  und  384  Mädclien.  Da  notwendig  war,  die 
gestellten  Fraj^en  schriftlich  zu  beantworten,  mußten  die  jüngeren 
Jahr^^iinge  unberücksiclitigt  bleiben.  Die  Kinder  standen  im  durch- 
schnittlii'hen  Alter  von  9.  10,  11.  12,  13,  14  Jahren  und  besuchten 
die  9stufigen  hiesigen  Knahcnnütttel-,  b(»zw.  die  8 stufigen  Knaben- 
Vdlkssehulen,  die  8stufigen  iliidchenmittel-  und  die  7 stufigen  Mädchen- 
vvilkssehulen.  Xatürlich  mußten  für  die  Wertung  der  Ergebnisse  die 
betreffenden  Alteivstufi'n  korrespondiert  werden.  Ich  erwog  anfangs, 
ob  eine  Prüfung  auf  den  drei  Stufen,  die  die  Schule  gewohnt  ist  za 
unterscheiden,  der  Unter-,  Mittel-  und  Oberstufe  ausreichend  sei. 
Doch  zog  ich  den  längeren  Weg  vor,  weil  ich  die  Hoffnung  hegte, 
80  möchten  sich  die  Entwickluiigsstuleu  deutlicher  ausprägen. 

m.         der  VmoqIm 

riedes  Kind  mußte  22  Fragen  beantworten,  die  daran  ange- 
schlossenen Neberuiufgaben  eingerechnet  32.  Es  waren  also  —  und 
dabei  ist  die  Antwort  auf  die  Frage:  warum  nicht  eingerechnet  — 

22  X  1380  30360, 
bezw. 

32  X  1380  —  44160 
Antworten  zu  bearbeiten.  Eine  ungemein  mühevolle  und  zeitiaubende 
Arbeit.   Trotzdem  ist  notwendig,  daß  sie  allein  durch  die  Hand  des 
nc:ni>eiters  geleistet  wurde  —  abgesehen  von  einigen  mecbaiiischen 
Angelegenheiten  —  im  Interesse  der  Einheitlichkeit  des  Qanzen. 

IV.  Y«fnfihi«nordnoiig 

Ich  gebe  nachfolgend  die  Aufgabe  wieder,  die  den  Schülern  und 
Schülerinnen  zur  schriftlichen  Erledigung  gestellt  wurden. 

1.  Welches  Bild  ist  dir  das  liebste? 

2.  Nenne  das  schcinste  Gebäude  unserer  Stadt! 

3.  Welche  Farbe  gefällt  dir  am  besten? 

')  Ich  will  nicht  unterlassen,  dem  Kieler  Prüfungsauaschufi  für  Jugeod» 

Schriften,  speziell  suinem  jetzigen  Voi-sitzenden,  Herrn  .IrvacLArs  und  seinem  Vor- 
gänger üerrn  Nib.sk.n  für  schätzenswerteste  Uuterstützung  meinen  verbindUciistea 
Dank  ansziuqiredien.  D.  V. 


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191 


4.  Weiche  form  ssiehst  du  vor? 

(18       8       4  ^ 
o,  o,  □, 

(Bem.:  Sie  Vlgiiiett  weiden  vor  der  Beobaohtoog  alle  an  die  Wandtafel  ge- 
Mjchnet,  dann  der  Auswahl  daigeboten.  IMe  vvngecogeiie  Form  wird  dnrdi  die 
darübergesetzte  Ziffer  gekennzeichnet,  da  die  Namen  anf  den  ftttheren  ünterriohtB- 
etofen  nicht  bekannt  sein  werden.) 

5.  Wohin  möchtest  du  einen  Ansflng  machen? 

6.  Welches  Kleid  (Anzng)  wünscht  du  dir? 

7.  Nenne  dein  Lieblingsspiel! 

8.  Wie  heißt  dein  Lieblingstier? 

9.  Die  schönste  Blnme? 

10.  Der  schönste  Yogel? 

11.  Nenne  deine  liebste  Turnübung! 

12.  Welches  Denkmal  unserer  Stadt  ist  das  schönste? 

13.  Zeigen  Ton  Bildein.  Ans  der  Sammlung  von  Kehr- Pfeiffer 
werden  gezeigt  die  Bilder:  Wandersmann  und  Lerche  und  Knabe 
und  Vogehiest  Welches  Bild  findest  dn  schöner?  Warum? 

14.  Welches  Bach  hast  du  besonders  gern? 

15.  Wieviele  Bücher  hast  du  gelesen? 
Wie  heifien  sie? 

16.  Weiches  Gedicht  hast  du  gern? 

17.  Magst  da  gern  ein  Gedicht  hören? 

18.  Magst  du  gern  ein  Gedicht  lernen? 

19.  Welches  Lied  singst  du  am  liebsten? 

20.  Welche  biblische  Geschichte  hast  du  besonders  gern? 

21.  Yersnch  mit  Yort ragen  von  Gedichten.  1.  Abseits 
(Storm).  Wie  findest  du  das?  2.  Die  Bache  (Uhland).  Welches 
von  beiden  ist  das  schönere?  3.  Storch  und  Stier  (Schneider). 
Welches  von  den  dreien  ^[efSUt  dir  am  besten? 

22.  Rh y  t  Ii  Iii  u s.  l'^s  wird  mit  (iciii  uiigi 'spitzten  Bleistiftende 
auf  den  Pultdeckel  geklopft.  In  Imu^^'  kornnuMi:  —  — '  =  a,  -  — , 
e=  b,  —  w  w  =  n- Tempo:  Ein  Metronom  steht  srhwerlicli  zur 
Verfügung,  daher  bitte  ich  innezuhalten  für  a:  Nächtlich  am  Busento 
lispein.  b  und  c  sind  dem  anzugleichen  (natiirlich.  daC)  (h-r  Dreiertakt 
den  Zeitraum  ausfüllt).  Jeder  Takt  wird  dreimal  angeschlagen.  — 
Verglichen  werden:  a  und  b,  a  und  c,  b  und  c.  Jedesmal  wird  ge- 
fragt: was  gefällt  dir  am  besten,  das  ei-sto  oder  das  zweite  Klopfen? 


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192  AoMtse 


T.  Aoiwilil  und  AnordiiiiBg  dar  nagoii 

Die  Fni^jeii  wurden  mit  Fleili  so  ausircwühlt,  daß  sie  sich  auf 
Dinge  bezogen,  die  dureliaus  innerhalb  der  Grenzen  des  kindlichen 
Verstehens  liegen.  Von  den  Elementen  der  Gestalt  des  Rhythmus 
und  der  einzelnen  Farben  stiegen  sie  auf  zu  einfachen  Bildern  und 
Gedichten,  nicht  weiter.  Daneben  hoUni  dann  die  Fi'agen  nach  der 
Liebiingsblunie,  dem  IJeblingstier,  dem  Liebiingsgedicht  usw.,  uameut- 
lich  wo  sie  mit  der  ferneren  Frage:  warum?  verknüpft  wurden, 
weitere  und  oft  überraschende  Einblicke. 

Im  besonderen  ist  folgende  Anordnung  zu  Grunde  gelegt  worden: 
(Bem. :  Man  wolle  sich  durch  die  regellose  Anordnung  auf  dem  Frage- 
bogen nicht  täuschen  lassen.     Diese  Umstellung  geschah  aus  prak- 
tischen, d.  h.  versuchstechnischen  Gründen.)    Die  erste  Hauptgruppe 
bezieht  sich  auf  die  durch  da.s  Auge,  die  andere  auf  die  durch  das 
Uhr  zu  vermittelnde  Kunst,  natürlich  innerhalb  der  Grenzen,  die  für 
die  vorliegenden  Untersuchungen  gezogen  werden  mußten.   Die  erste 
Gruppe  zerfallt  wieder  in  das  BUd-  und  Naturschöne.   Auf  die  erste 
Angelegenheit  l)eziehen  sich  die  Fragen:  4.  3,  2,  12,  IH,  auf  die 
zweite:  5.  8,  fl.  10.    Die  zweite  Gruppe  zeiiidlt  wieder  in  drei  Unter- 
abteilungen, die  sich  sondern  lassen  nach  den  Stichworten:  I.  Buch, 
II.  Gedicht.  III.  Lied:  1.  umfaßt  die  Fragen:  Welches  Buch  hast  du 
besoudei's  gern?  Wieviele  hast  du  gelesen?  Wie  hoißen  sie?  Auf  2. 
bezieht  sich:  Welches  Gedicht  hast  ilu  besonders  gern?  .Magst  du  gern 
ein  Gedicht  hören?   Magst  du  gern  ein  Gedicht  lernen?   Allen  drei 
Fnigen  voraus  geht  Nr.  22.   die  ganz   unabhängig  von  jeglichem 
poetischen  Inlialt,  ledigluh  den  Khythmus  dem  Vorziehen  und  Ver- 
werfen darbieten  will.    Dann  wurden  drei  Gedichte  vorgetragen.  Ich 
wählto  nach  längerer  Erwägung  aus:  ein  Stinmiungsbild  (Ab>eits),  ein 
lebhaft-dramatisches,  in  dem   Handlung  sich   schnell  an  Handlung 
fügt  (Kache)  und  endlich  ein  zwar  banales  aber  gleich  —  ein  brauch- 
bares mit  stark  ausgeprägter  Situationskomik  wußte  ich  nicht  zu  finden 
—  ausgezeichnetes  Gedicht  in  der  schnellen,  wenngleich  gesuchten 
Komik,  in  treffender,  derl)er  Erwiderung.  —  Ich  bemerke,  daß  ich  mich 
auf  die  angedeuteten  Rhythmen  beschränkte,  weil  sie  die  populärsten 
zu  sein  scheinen,  wenigstens  diejenigen,  die  lediglich  als  solche,  ein 
stärkeres  Interesse  bei  jugendlidieii  Beobachtern  zu  wecken  Termögen. 

VI.  Die  Frage:  warum? 

Durch  ein  Mißvei*ständnis  veranlaßt  ward  die  Frage:  warum? 
nicht  an  jede  der  oben  angeführten  angefügt  Trotzdem  beklage  icli 


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T/)Bsn!N:  Kind  und  Kunst 


193 


das  nicht  ans  doppeltem  Onmde:  1.  Ein  stetes  AnhSngen  dieser 
Neben-  an  die  Hauptfrage  hätte  bald  ein  ödes  Gerede  im  Gefolge  ge- 
habt, eingestreute  Beispiele  bewiesen  das  reichlich  —  und 

2.  wie  würde  der  reife  Erwachsene  schwer  die  Antwort  finden, 
wenn  es  unmittelbar  nach  einer  Beobachtung  künstlerischer  Erzeug- 
nisse darauf  ankSme,  die  Frage:  warum?  emstlich  zu  beantworten. 

3.  Trotzdem  gaben  gerade  diese  Antworten  ein  so  interessantes 
uid  zuverlässiges  Eigebnis,  dafi^  wenn  man  eine  vorläufige  Erklärung 
dafür  suchen  wollte,  nur  die  unmittelbaren,  d.  h.  die  bei  Kindern 
durch  keinen  änfieren  Zwang  abgegebenen  Urteile,  als  Produkt  der 
Unbefangenheit  intuitiv  heraustreten.  Es  bleibt  selbstredend  nicht 
aos,  daß  banale  Redensarten  mit  unterlaufen,  doch  überwiegen  nicht 
anwesentlich  Urteile,  die  dem  Psychologen  von  Wert  sind.  —  Eigen- 
artig war,  daß  diese  Urteile  auch  dort  reichlich  waren,  wo,  soweit 
memo  Erkundigungen  reichten,  kein  absichtlicher  Einfluß  im  Sinne 
künstlerischer  Erziehung  stattfand,  wo  mithin  der  Kunstsinn  der 
Gasse  unverfiOscht  zu  Tage  lag. 

Wenn  ich  nun  dazu  übergehe,  die  Ergebnisse  meiner  Beob- 
achtungen zu  zeigen,  so  tue  ich  das  erneut  mit  der  Bitte,  einem 
Erstlingsversuch  dieser  Art  und  auf  diesem  Gebiete  nicht  mit  zu  • 
hochgespannten  Erwartungen  zu  begegnen.  Man  muß  immer  ein 
zweifaches  bedenken:  die  natürlichen  Grenzen  des  Experiments  und 
die  Eigenart  des  vorli^enden  Gegenstandes.  Es  könnte  die  Meinung 
anfkommen,  daß  die  gestellten  Fragen  überhaupt  nicht  auf  dem  Wege 
experimenteller  Beobachtung,  auch  in  der  voriiegenden  Form,  gelöst 
wCTden  können,  daß  also  von  vornherein  eine  Grenzüberschreitung 
stattfinde.  Man  könnte  mit  einem  Scheine  des  Rechts  darauf  hin- 
weisen, daß  das  Experiment  doch  lediglich  Elementarphänomene  zum 
Gegenstande  hat,  daß  es  nur  innerhalb  dieser  seinen  Charakter  zu 
wahren  vermag:  willkürlich  zu  variieren  und  zu  vergleichen.  Die 
experimentelie  Psychologie  ist  in  Bezug  auf  das  »Wertgebiet  indiffe- 
rent«. Für  sie  ist  Seelenleben  Objekt  der  Forschung,  dem  gegenüber 
sie  keine  andere  Stellungnahme  kennen  darf,  als  eben  die,  es  zu  zer- 
gliedem  und  seine  Phänomene  in  allgemeine  Zusammenhänge  hinein- 
znordnen,  so  wie  es  der  Chemiker  mit  den  Stoffen  in  seiner  Retorte 
macht«  >)  Die  Aufgaben,  die  die  vorliegende  Betrachtung  sich  ge- 
stellt haben,  gehen  aber  auf  Dinge,  die  unmittelbar  in  die  Lebens- 
näbe  hineingerückt  sind.  Hier  wird  ein  unmittelbares  Vorziehen 
und  Verwerfen  verlangt,  ein  unmittelbares  Werten,  eine  unmittelbare 


*)  SnoDT,  Beitrige  zur  Psychologie  der  Annage.  I.  8.  11. 
Zaitidufft  ür  FUIoMphl*  nii4  PlUagogik.  VL  Jahrgang. 


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194  AafBltae 


persönliche  Stellungnahme,  was  O^netand  experimenteller  Fonchangeii 
ihrem  Wesen  nach  nicht  sein  kann;  denn  das  lloment  der  mathe- 
matischen Exaktheit  kann  hier  nimmer  gewahrt  irerden.  Demgegen- 
über ist  zu  erinnern  an  die  eigenartige  Form  dbs  Experiments^  die 
sich  erst  neuerdings  von  der  exakten  losgelöst  hat  Sie  nennt  sich 
»angewandte  Bsjohologiec^)  Entgegen  dem  »Bxaktheitsfanatismns« 
und  der  Lebensferne  will  die  angewandte  Psychologie:  Lebensnähe. 
Sie  ist  sich  wohl  bewußt^  daß  die  Persönlichkeitftpsjchologie  Asymp- 
tote der  Wissenschaft  ist  und  bleiben  mufi,  sid  will  aber  in  dem 
Sinne  Lebensnähe^  daß  sie  Individnalpsychologie  ist,  d.  h.  sie  stellt 
auf  Orund  umfangreichen  BeobachtungsmateriaU  Typen  zusammen, 
die  das  Gemeinsame  kleiner  Gruppen  in  Bezug  kuf  GedSchtnis.  An- 
schauung usw.  enthalten.  Ton  diesem  Gesichtspunkte  aus  ist  aller- 
dings gestattet,  experimentell  an  die  Fragen,  die  hier  erörtert  werden 
sollen,  heranzutreten.  Das  Werten,  das  Vorziehen  und  Yerweifen, 
bezieht  sich  auf  Objekte  und  charakterisiert  sich  in  dieser  AuswahL 
Hier  handelt  es  sich  um  Kunstschönoe.  Soll  der  Kunstsinn  reinlich 
zu  Tage  treten,  so  muß  man  solche  Objekte  zur  Auswahl  bieten,  die 
ein  anderes  Literesse  nicht,  oder  doch  nur  in  geringstem  Maße  auf- 
kommen lassen:  Wunsch  nach  Besitz,  Genuß  usw.  Dann  aber  ist 
man  wohl  berechtigt,  die  ausgewählten  Objekte  nach  übereinstimmen- 
den Gesichtspunkten  zu  ordnen  und  von  da  aus  Schlüsse  zu  ziehen, 
die  in  der  Richtung  der  gestellten  Fragen  liegen.       (Pozte.  fdgt) 


Windelband  über  Herbart 

Li  WixDmAANDs  Lehifouch  der  Geschichte  der  Fhiloeophie  1903, 
heißt  es  S.  466:  »Bei  Herbabt  hat  der  Umstand,  daß  er  die  Dinge 
an  sidi  Reale  nannte,  in  Verbindung  mit  der  Tatsache,  daß  er  aus 
ganz  andern  Gründen  der  KoBiv-HBaB.8ofaen  Richtung  Opposition 
machte^  zu  der  durchaus  schiefen  und  irreführenden,  durch  alle  Lehr- 
bücher der  Geschichte  der  Philosophie  laufenden  Ausdruoksweise  ge- 
führt, seine  Lehre  als  Realismus  und  ihn  im  Gegensatz  zu  den  Idee- 
llsten als  Realisten  zu  bezeichnen.€  Unter  Idealismus  wird  »die  Auf- 
lösung der  Erfahrungswelt  in  Bewuttseinsprozesse  TerstMidenc  (S.  465). 


^)  Ihr  Weam  hab^  ioh  nkgaads  so  TortraffUch  daigeetellt  gefondflii.  wi«  in  der 
Ailwit  OUBHH« 


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ütfasL:  Wilkdelbftiid  über  HerUrt 


19& 


Hier  wird  zweierlei  behauptet  Erstens  Hkrbart  sei  nicht  Realist, 
sondern  Idealist  und  zweitens,  alle  Lehrbücher  der  Geschichte  der 
Philosophie  hätten  dies  übersehen. 

Haben  wirklich  alle  Lehrbücher  das  übersehen?  Ist  keines, 
welches  lehrt,  Herbart  sei  Idealist?  In  Zellers  Geschichte  der  deut- 
schen Philosophie  1873  heißt  es  S.  858:  Daß  Herbast  viel  tiefer  im 
Idealismus  befangen  war,  als  er  selbst  wußte.  Die  Gründe,  worauf 
sich  Zeller  beruft,  sollen  sogleich  besprochen  werden.  Hier  sei  zu- 
nächst festgestellt,  daß  WnnmAAKD  mit  seiner  Behauptung  nicht  allein 
steht  und  nicht  der  eiste  ist 

ZiLLBB  bringt  seine  Behauptung  in  Zusammenhang  mit  seiner 
Ansicht  vom  Verlauf  der  Philosophie  überhaupt  Bekanntlich  stammt 
Zbujbb  aus  Heoils  Schule.  Diese  letztere  konstruierte  sich  ein  Schema, 
naoh  welchem  die  Philosophie  sich  in  der  Geschichte  entwickebi 
sollte  und  entwickelt  habe.  Man  kennt  ja  die  Willkür,  mit  der  hier 
die  philosophischen  Systeme  auf  das  Ftobrustesbett  gelegt  und  passend 
for  das  im  voraus  festgestellte  Schema  gemacht  wurden.^) 

Zellsb  bat  sich  im  ganzen  frei  davon  gemacht  Allein  Fetzen 
dieses  leicht  zerrissenen  Spinnengewebes  der  apriorischen  Konstruktion 
sind  hier  und  da  an  den  Fingern  hängen  geblieben.  So  meint  er 
8.  915,  daß  der  Idealismus  den  Zustünden  des  deutschen  Volkes  zu 
HiBBABTs  Zeit  entsprach  und  so  sei  auch  HnBABi  selbst  unwillkür- 
lich in  den  Idealismus  zur&ckgefAllen  oder  darin  geblieben. 

Und  worauf  grOndet  ZbiiBB  diese  seine  Behauptung? 

Einmal  darauf  daß  Herbasts  reale  Wesen  jeder  Wechselwirkung 
anzngäng^ch  seien;  wenn  also  Hkrbabt  meine^  auf  solche  Wechsel- 
iriiknng  die  ErUlrung  der  Erscheinungen  zurfickführen  zu  können^ 
so  irre  er,  die  venneintliche  Wecfaselwirbmg,  wie  alles  Geschehen 
sei  bei  folgerechtem  Denken  unmO^ch,  es  sei  nur  m5§^di  im  Kopfe 
HiBBABn;  er  habe  sich  das  so  ausgedacht^  aber  das  sei  doch  eben 
nur  etwas  Gedachtes;  also  Eingebildetes,  also  Idealismus.  Die  ob- 
jektiTe  Welt  des  Seins  werde  daron  gar  nicht  betroffen. 

Dieser  Emwuif  ist  sehr  oft  gemacht  Auch  Windbaand  eriiebt 
ihn  S.  479.  Da  ich  mehrfach  darüber  gehandelt  habe,  so  weise  idi 
nur  auf  einiges  hin.*) 

Der  andere  Grund  wird  toh  WiHDiiaAim  darin  gefunden,  dal 
wenn  audi  die  Beelen  der  inneim  Zustibide^  oder  des  Geschehens 
fittDg  wiren,  so  könnte  doch  keine  Beziehmig  zwischen  den  Bealen 


Vei]^  0.  MuL,  IMiimiiB  und  MitozialiamiiB  der  GwdhiohtBw  &  51, 67» 
*>  Ver^  Ztsohr.  1  enUs  FhiL  ZTL  8.  230.  ZIV.  &  60. 

13» 


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196 


sfaittfinden.  Denn  diese  Beaehnng  setze  auch  nach  Hbrbabt  Toiaus, 
daß  die  Realen  zusammen  und  wieder  auseinander  treten.  Allein 
Baum  und  Zeit  seien  nach  Hebbabi  »nur  Produkte  der  Reibenbildung 
der  Toistellungen,  des  seelischen  Mechanismus  und  daher  für  HmBiirf 
in  fast  noch  stSikerem  Ghsde  phänomenal  als  bei  Xant«  (3.  480). 

Hierauf  gründet  WniUELBAND  seine  Behauptung  vom  Idealismus 
Hkbbabts.  Weicht  er  nun  hier  von  allen  Lehrbtlchem  der  Ge- 
schichte der  Philosophie  ab?  Garns  dasselbe  liest  man  weiter  an»- 
geführt  bei  Zblldl  Ich  habe  a.  a.  0.  ausfOhriich  darauf  erwidert 
ZbiLbr  yerwechselt  das,  was  tTibhiami  empirischen  Baum  und  was  er 
intelligiblen  nennt  Der  empirische  Baum,  unsere  räumliche  An- 
schauung ist  allerdings  ein  Produkt  ron  ToistellungsreUien,  ein 
p^cfaologisches  Gewebeu  Diese  Anschauung  ist  heute  unter  den 
Forschem  allgemein  geworden,  darin  sind  sie  alle  Nachfolger  Hibbasis, 
daS  sie  die  Yorstellung  des  EztensiTen  aus  intensiTen  Seelenzuständen 
erklären.  Der  Torgeetellte  (psychische)  Baum  ist  selbst  nichts  Aus- 
gedehntes, nichts  Extensives,  sondern  etwas  ganz  in  uns  Einge- 
schlossenes, Vorgestelltes.  Das  vorgestellte  Drneck  ist  selbst  kein  Drei- 
eck. Die  ausgedehnten  Bildchen  auf  der  Netshaut  sind  nicht  die  vor^ 
gestellten  räumlichen  Bilder.  Diese  sind  etwas  rein  Intensives  in  uns. 

Auch  die  Art;  wie  aus  der  Wechselwirknng  dieser  intensiven 
unräumlichen  Zustände  der  Seele  die  Yorstellung  des  BäumHchen 
entsteht  durch  Assoziation,  Hemmung,  Beproduktion  der  intensiven 
Gesichts-  und  Huskelempfindung  —  ist  den  Hauptgedanken  nach 
Yon  HiBBART  auf  alle  Psychologen  übergegangen. 

Etwas  ganz  anderes  ist  das,  was  Hbbbabt  den  intelligiblen  Baum 
nennt,  ein  unbequemes  Wort,  was  er  aus  seiner  2Seit  und  namenlüdi 
Ton  Kamt  aufgenommen  hat  Nadi  Kamt  war  die  inteUigible  Welt 
4er  Dinge  an  sich  durchaus  keine  eingebildete  Welt  Sie  war  ffir 
ihn  die  eigentliche  Welt  des  Beelen,  nicht  der  Erschemung.  Aus 
dieser  inteUigiblen  Welt  kommt  zu  uns  freilich  nur  der  eine  licht- 
strahl,  nämüdi  der  intelligiblen  Freiheit  und  vielleicht  noch  die  sinn- 
lichen Empfindungen  nach  ihrer  Ursache.  Das  war  aber  nach  Kamt 
nichts  Emgebildetes,  sondern  etwas  sehr  Beales. 

Wer  HsBBABfs  intelligiblen  Baum  oberflächlich  auffaßt;  der  meint, 
es  sei  damit  ein  eingebildeter  Baum,  ein  Baum  in  unserm  Intell^ 
bezeichnet  So  ist  es  nicht  Intelligibler  Raum  heißt:  der  Baum  in- 
telligibilium,  der  Baum,  in  welchem  sich  die  Beelen,  die  Intelligiblen 
bewogen.  InteUigible  heißen  die  realen  Wesen;  weil  sie,  wie  jeder 
von  den  letzten  Elementen,  Atomen  lehren  muß,  nicht  gegeben,  son- 
dern nur  erschlossen,  also  intelligibel  sind.  Aber  was  erschlossen  ist; 


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Flüoei<:  Windelband  über  Uerbart 


197 


das  ist  nicht  emgebiidet.  Die  intelli^iblen  oder  realen  Wesen  müssen 
aber  als  real  angenommen  werden,  weil  ohne  diese  Annahme  unsere 
Vorstellung  einer  Außenwelt  nicht  erklärbar  wäre.  Und  wiederum 
rduniliche  Verhältnisse  müssen  als  wirkliche  reale  Verhältnisse  des 
Naher  oder  Ferner,  der  Ruhe  und  Bewegung  unter  den  realen  Wesen 
selbst  angenommen  werden,  weil  ohne  diese  Annahme  also  etwa  bei 
völliger  Kuhe  der  Realen,  unsere  Vorstellung  des  Räumlichen  nicht 
möglich  wäre.  Wir  steilen  die  Welt  räumlich  vor,  weil  sie  selbst 
räumlich  geordnet  ist.  Unser  psychologischer  Raum  ist  der  Er- 
kenutnisgrund  des  intelligiblen,  d,  h.  aus  jenem  schließen  wir  auf 
diesen.  Der  intelligiblc  Baum  ist  der  Bealgnmd  des  psychologischen, 
d.  h.  er  bewirkt  diesen. 

Daß  dies  Herbarts  Lehre  ist,  habe  ich  ausfühi  lich  Zelleh  gegen- 
über^) dargetan.  Zeller  hat  sich  darin  stark  geirrt  und  andre  wie 
Pfleidkrer,  Ostermann,  Windelband  nehmen  das  gläubig  hin,  oder 
sind  auch  selbständig  in  die  vielfach  abgewiesenen  Irrtümer  vei-f allen. 
Andre  machen  aus  dem  intelligiblen  Baum  gar  einer  intellektuellen, 
idealen  Raum  (Schwbgler).  Windelband  mag  sehen,  daß  er  hier 
nicht  ohne  Vorgänger  ist  Zu  den  früher  angeführten  Stellen  aus 
Herbart  möge  hier  noch  eine  aus  einem  Briefe  (Hartenstein  XTII, 
S.  43)  hinzugefügt  werden:  »Sie  können  (betreffend  die  Bewegung) 
nicht  weit  fehlen,  wenn  Sie  meine  Elemente  als  LEUKffpische  Atome 
mit  ursprünglicher  Bewegung  betrachten.  Denn  in  der  Tat,  nicht 
etwa  bloß  in  unserer  Vorstellung!  würden  sich  die  Elemente  in  dem 
Baum,  den  ich  den  intelhgibh  n  Viloß  deshalb  nenne,  weil  er  nicht 
für  eine  KANrische  Form  der  Anschauung,  sondern  geradezu  für  den 
nämUchen  Kaum  gelten  soU,  den  andere  den  wirklichen  Raum 
nennen  —  nach  allen  Richtungen  bewegen,  wenn  nicht  zwei  Um- 
stände hinzukämen,  ein  begreiflicher  und  ein  unbegi'eiflicher.  Der 
begreifliche  Umstand  ist  die  Attraktion  und  Repulsion  der  Elemente, 
welche  ich  (als  Folge  der  Innern  Zustände)  nachgewiesen  habe,  und 
von  welchen  keine  Atomenlehre  etwas  weiß.  Diese  Attraktion  mußte 
die  im  Baome  vorhandenen  Elemente  dahin  bringen,  sich  in  Welt- 
körper zu  verdichten.  Aber  die  Weltkörper  würden  nach  aller  Wahr- 
scheinlichkeit noch  immer  kreuz  und  quer  durcheinander  fahren, 
wenn  nicht  ein  unbegreiflicher  Umstand  hinzukäme  —  die  Vorsehung 
—  die  wir  uns  durch  keine  transscendente  Theologie  verderben 
wollen  —  der  wir  aber  die  Ruhe  des  Fixsterahimmels  zuschreiben 
müssen.  Das  bedeutet  ungleich  mehr  als  alle  irdische  mit  irdischen 


*)  ZtMhr.  t  exakte  PhO.  XVL  a  242. 


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198 


Zelt-Begebenheiten  znsammenhfingendeund  saSa  Umveisam  ohne  Grund 
anqgedehnte  Theologie  mit  ihren  kosmologisohen  Ansprüchen.  Daft 
vorstehendes  durchaus  realistisch  nnd  nicht  im  alieigeringsten  ide»- 
listisch  lautet^  werden  Sie  einrftnmen.  Es  lantet  aber  nicht  blofi  so^ 
sondern  es  ist  so  meine  wahre  nnd  definitiTe  Meinung.  Bnden  Sie^ 
mem  yerehrter  Frennd!  nnn  irgend  etwas  in  meinen  Sdiriften,  das 
Ihnen  idealistiscb  klingt,  so  sden  Sie  fest  übeEsengt^  dieser  dang 
yeifOhrt  Sie.  Den  einmal  vorhandenen  realistischen  Boden  dfiifsn 
Sie,  sofern  Sie  mich  m.  verstehen  wünschen,  sddediteidings  gar 
nicht  mehr  veilassen.  Wohl  aber  dürfen  Sie  meinen  intelligibien 
Banm  als  die  Erikenntnis  des  wiridicfaen  Baomes  betrachten.  Es  wird 
Ihnoa  an  dem  gehörigen  Stellen  schon  wieder  emftJleni  dafi  ein  Banm 
—  bloBer  Banm  —  doch  eigentiich  nichts  Wiildidies  sein  könne; 
aber  diese  Bemerinmg  darf  Sie  schlechterdings  nicht  som  Sachen 
nach  Idealismus  bei  mir  verleiten.  Und  wenn  Sie  irgendwo  in  meinen 
Schriften  lesen:  Der  gesamte  Eealismns  werde  die  nnvermeidliöhe 
Beate  des  Idealismos,  so  darf  auch  dieses  Sie  dorchaos  nicht  im  ge- 
ringsten an  mir  irre  machen,  sondern  Sie  sind  gebeten.  Sieh  sogleieh 
an  erinnem,  daft  bei  mir  den  Idealismus  seine  innem  Widtt8{irüche 
plataen  machen.  Daraus  folgt  —  was  sich  von  selbst  versteht  — 
der  Idealismus  l&ßt  die  Beute,  die  er  verschluckte,  wieder  fahren; 
und  aus  seinem  Bachen  geht  der  Bealismus  völlig  unversehrt  und 
nnn  auf  immer  gesichert,  wieder  hervor. 

Soviel  ich  sehe,  ist  es  allein  der  idealistische  Eaden,  an  welchem 
gefaßt,  sich  mein  ganzes  Gewebe  unbegreiflich  kraus  und  bunt  ge- 
zogen hat  Schneiden  Sie  diesen  laden  dreist  ab.  Dann  wird  das 
Ganse  von  selbst  ^att  werden,  und  es  wird  Sie  bald  bedflnken,  Sie 
haben  in  der  ganzen  Geschichte  der  Philosophie  nichts  so  Glattes 
und  SSn&ohes  gesehen«  .... 

Nach  solchen  Eiidftrangen  ist  es  gewiß  gewagt,  zu  behaupten, 
HiuBABs  sei  Idealist,  der  intelligible  Baum  sei  nur  ein  Gebilde  in 
uns,  WmAM»  habe  gegen  den  Idealismus  Figbik  und  Hzens  »aus 
ganz  andern  Gründen  Opposition  gemacht«.  (Wdidiiaaiid  S.  468.) 
Aus  welchen  Gründen  denn?  Hbrbibt  hat  sie  oft  auseinander  ge- 
setzt: Der  Idealismus  muß  behaupten,  das  Ich  erzeuge  ans  sich  selbst 
vermöge  eines  absoluten  Werdens  die  Vorstellung  der  Vielheit  und 
Mannigfaltigkeit  der  Welt  Da  dies  ein  Widerspruch  ist,  muß  dar 
Idealismus  aufgegeben  und  angenommen  weiden,  daß  die  Seele  nur 
in  Wechselwidning  mit  andern  realen  Wesen,  mit  einem  Nicht-Ioh 
ihre  Voistellangen  erzeugt  Damit  ist  der  Idealismus  widerlegt  und 
der  Bealismus  begründet,  wie  es  HiBBABf  oben  so  drastisoh  schildert 


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ItQan:  Wind^Ilaiid  ttlwr  Heriiui 


T 


T 


199 


Warum  nach  andern  Gründen  suchen?  Wixdelband  spricht  hier  von 
»Xei^ng«.  Das  ist  für  einen  Denker,  wie  Herbaht  war,  eine  schwere 
Beschuldigung,  wenn  ea  heißen  soll:  grundlose  Willkür.  »Herbakts 
Neigung  zur  früheren  Philosophie  besteht  nun  gerade  darin,  daß 
er  die  schöpferische  Spontaneität  des  Bewußtseins  leugnet  und  das 
Denken  in  dem  Sinne  wie  die  Assoziationpsychologen  nach  Form 
und  Inhalt  von  außen  bestimmt  und  abhängig  findet«  (S.  478).  Hier 
hat  nicht  eine  Neigung  zur  frühem  Philosophie  statt,  sondern  die 
Einsicht  in  die  Widersprüche,  die  in  dem  Begriff  einer  schöpferischen 
Spontaneität  im  Sinne  eines  ursachlosen,  absoiuteu  Werdens  liegen 
und  also  verworfen  werden  müssen. 

Schon  dies  hätte  Windki.haxi)  bedenklich  machen  sollen,  dem 
intelligiblen  Raum  IIkrüakt  ideulistiscli  zu  deuten.  Ich  selber  habe 
versucht^  den  intelligiblen  Raum  anders  als  Herbart  zu  deuten,  näm- 
lich so,  daß  die  Verhältnisse  unter  den  Realen  nicht  selbst  räumlicher 
Alt  sind,  sondern  reine  intensive  Verhältnisse  nach  Art  unserer  Vor- 
stellungsreihen. Ich  habe  jedoch  auch  die  Schwierigkeiten  dabei 
her^'orgehoben  und  daß  man  dabei  nicht  weit  kommt  ^)  Allein  auch 
80  gedeutet  wird  der  Realismus  nicht  angetastet.  Es  muß  immer 
eine  Mehrheit  realer,  vom  Ich  völlig  unai)hängiger  Wesen  ange- 
nommen werden,  die  in  bestimmten  —  vielleicht  nicht  näher  be- 
stimmbaren —  Verhältnissen  stehen. 

Noch  ein  Wort  über  das,  was  Herbart  oben  über  den  unbegreif- 
lichen Umstand,  die  Voi"schung  sagt.  Wj.\delba>1)  meint:  da  der 
intelligible  Raum  nur  unser  (Jedankenbild  ist,  so  besteht  er  nicht 
für  die  Realen  selbst.  Nun  sollen  sie  aber  doch  nach  Hf.riku{t  in 
Beziehung  treten,  wie  können  sie  diis,  wenn  es  für  sie  keinen  Kaum, 
kein  nahe  noch  ferne,  keine  Bewegung  gibt?  Auf  die  —  falsch  ge- 
stellte —  l^Vage  lautet  nach  Windelband  die  Antwort  S.  480:  >ln 
diese  Lücke  der  Metaphysik  hat  Herrart  seine  Religionsphilusopliie 
geschoben:  denn  da  es  keine  P'rkenntnis  des  realen  (iruiules  der 
Beziehungen  zwischen  den  Realen  gibt,  aus  denen  die  Ei-scheinungs- 
wclt  hervorgeht,  so  erlaubt  der  Eindruck  der  Zweckmäßigkeit,  welchen 
der  letztere  macht,  in  theoretisch  unanfechtbarer  Weise  an  eine 
höchste  Intelligenz  als  den  Grund  dieser  JJeziehungen  zu  glauben  — 
eine  sehr  blasse  Erneuerung  des  alten  physiko-theologisclien  Be- 
weises.« Ohne  Seitenhieb  geht  es  auch  bei  dieser  ganz  falschen  Dar- 
stellung nicht  ab.  Schon  aus  den  oben  angeführten  W^orten  Herbarts 
geht  hervor,  daß  nicht  das  Geschebea  im  allgemeinen  die  Annahme 


FroUeme  der  Fhiloaopliie  nod  ihre  Lösangen.  Nr.  56. 


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200 


Aufsätse 


eines  Scluipfers  nötig  macht.  Da  reicht  die  Voraussetzung  ursprüng- 
lich sich  bewegender,  zufällig  ausammentroffender  Realen  hin.  Dabei 
können  Geschehen,  Anziehung  und  Abstoßung  und  innere  Zustände 
nicht  ausbleiben.  Aber  daraus  würde  eine  ganz  andere  Welt  folf^en, 
als  sie  uns  gegeben  ist,  nämlich  ohne  zweckmäßige,  also  auch  ohne 
Olganische  Formen.  Nicht  daß  etwas  geschieht,  erfordert  den  Glauben 
an  den  Schöpfer,  sondern  wie  es  geschieht,  daß  es  geradeso  ge- 
schieht, wie  es  uns  gegeben  ist  als  eine  geordnete,  zweckniäßi<^  ge- 
bildete Welt  Hat  man  diese  Überzeugung  gewonnen  an  der  Hand 
der  Organismen,  so  hindert  nichts  anzunehmen,  daß  auch  die  un- 
organische Welt  sich  unter  Gottes  Leitung  gebildet  hat,  aber  eine 
Notwendigkeit  dieser  Annalime,  den  Schöpfer  zu  einem  Lückenbüßer 
für  das  Geschehen  im  allgemeinen  in  ITkubarts  Metaphj-sik  zu 
machen,  liegt  nicht  vor.  Das  ist  nur  ein  Lückenbüßer  in  Windel- 
bands falscher  Ansicht,  als  seien  Beziehungen  zwischen  den  Bealen 
unmöglich. 

Es  wird  nun  noch  ein  Grund  für  Herbarts  Idealismus  angeführt: 
»Nimmt  man  hinzu,  daß  auch  das  ,Seiu^  der  Kealen  oder  absoluten 
Qualitäten  von  Herbast  als  ,ab8olute  Position*  d.  h.  als  eine  Setzung 
definiert  wird,  bei  der  es  sein  Bewenden  haben  und  die  nicht  zurück 
genommen  werden  soll,  so  eröffnet  sich  die  Perspektive  auf  einen 
absoluten  Idealismus«  (S.  480). 

Ob  Yerfasser  auch  hier  meint  von  »allen  Lehrbüchemc  abzu- 
weichen? Dieses  Mißverständnis  des  Wortes  Position  oder  Setzung  ist 
unter  den  G^em  Hbkbabis  sehr  gemein,  um  nicht  zu  sagen  all- 
gemein« Es  ist  auch  erklärlich  bei  jemand,  dem  der  philosophische 
Sprachgebrauch  namentlich  bei  Kam*  nicht  geläufig  ist,  denn  diesen 
Ausdruck  hat  Herbabt  von  Kaot  att%6nommen  und  beibehalten.  Aber 
verwunderlich  ist  es,  wenn  man  diese  falsche  Deutung  auch  bei  Ünnt- 
WKO,  Grundriß  1883,  S.  373  liest  Hier  heißt  es:  »Herbart  zieht 
das  Setzen  des  Seins  in  den  Begriff  des  Seins  hinein.  . . .  Das  Sein 
an  sich  hat  aber  in  der  Tat  mit  unsem  Positionen  nichts  zu  schaffen. 
Es  ist  gerade  das  von  unserem  Setzen  Unabhängige.  Nicht  das  Sein, 
sondern  unser  Denken  des  Seins  ist  Position  und  was  außerhalb  des 
Bereichs  unserer  Position  liegt,  liegt  darum  noch  keineswegs  außer- 
halb des  Bereichs  der  Wirklichkeit« 

Was  hier  als  beabsichtigte  Entgegnung  gegen  Hebbabt  gesagt  ist 
von  der  CTnabhängigkeit  des  Seins  vom  Denken,  ist  eben  genau 
Hssbabts  Meinung  selbst,  aber  dem  unabhängigen  Sein  tut  es  doch 
keinen  Eintrag,  wenn  es  gedacht  wird.  Das  Seiende  ist,  mag  es  ge- 
dacht werden  oder  nicht;  wenn  man  davon  redete  muß  man  den  Be- 


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Flügel:  Windelband  über  Herbart 


201 


griff  doch  denken,  allein  das  Gedacht-werdcn  ist  docli  nicht  das  Soin, 
noch  tut  es  dem  vSeiii  Abbruch.  Das  sollte  sich  von  selbst  verstellen. 
HiRBABT  fiiirt  zur  Erliiuterunp^  hinzu:  »Setzen,  ponere,  heißt  bejahend 
denken.  JJiese  Bemerkung  ist  durch  Klai,^en  über  die  vor^^el)liche 
FiCHTESche  Spmchverwirrung  nötipr  j:e\sunleii,  ()b<;leieh  man  von  jeher 
gewußt  hat,  was  das  heißt:  ich  .setze  den  Fall.i)  Setzen  lieißt  hier 
nicht  machen,  sondern  voraussetzen,  djts  .Seiende  als  Unabhangi/.^es 
anerkennen.  Übriirens  gebraucht  lh:Bi5.viiT  die  Worte  Positioa  imd 
absolute  Position  ganz  im  Sinne  Kants. 

Es  wäre  noch  zu  bemerken,  daß  Windei jjand  auch  die  falsche 
Ansicht  Zki  lers  über  PIuruahts  Lehre  von  den  zufüiiigeii  Ansichten 
anzunehmen  und  idealistisch  zu  deuten  scheint. 

Kann  man  nun  sagen,  daß  Windelband,  der  seine  ileinung  von 
Herb.vrts  Idealismus  auf  zwei  soviel  gel)rauchte  Lehrbücher  wie 
Zk!,i,kr  und  Überweg  (ich  könnte  nocli  Schweglers  Abriß  nennen, 
der  Herbarts  intelligiblen  Raum  zu  einem  intellektuellen,  idealen 
macht)  gründet,  oder  milder  ausgedrückt,  mit  ihnen  übereinstimmt: 
kann  man  sauren,  daß  er  in  dieser  Hinsicht  von  allen  Lehrbüchern 
abweicht  und  ihm  diese  ^[ißvei'ständnisse  allein  eigen  sind?^) 

Hinsichtlich  der  Psychologie  teilt  er  gieichtalls  mit  vielen  andern 
gewisse  Irrtümer.  So  wird  abermals  wiederholt,  djiß  die  St'ele  nach 
Herhart  »lediglich  den  inditferenten  I5*)den«  für  die  Voi*stel hingen 
abgebe  (S.  480),  als  sei  die  Seele  unbeteiligt  an  dem,  was  sie  tnt, 
die  (loch  ganz  wie  sie  ist,  sich  in  ihren  Zustünden  betätigt. ') 

Fenier  wird  bei  den  Vorstellungen  deren  Klarheir  mit  ihrer 
Intensität  verwechselt,  üie  Intensität  oder  wie  es  Vei-fasser  auch 
nennt,  die  Stärke  verliert  nichts  durch  die  Hemmung.  Es  ist  durch- 
aus nicht  so,  wie  S.  4S0  berichtet  wird.  Durch  die  Spannung  ver- 
hören die  Vorstellungen  an  Intensität,  und  am  Grade  der  Intensität 
hän^'^t  ihr  Bewußtsein.«  So  ist  es  nicht,  üie  (Qualität  und  Intensität 
>iiid  unveränderlich  und  eben  weil  diese  sich  erhält  gegen  andere  ent- 
gogengesetzte  Vorstellungen ,  aber  auch  die  entgegengesetzten  sich 
erhalten,  muß  sich  die  Klarheit  ändern.  Ein  Teil  der  aktuellen 
Energie  oder  Intensität  muß  potentiell  werden,  oder  latent,  so  jedoch, 


')  Bei  Kbhrbach  TU.    S.  208,  bei  Hartenstein  IV.    8.  581. 

*)  Ztschr.  für  exakte  Philos.  XVI.  S.  'J45.  Ein  Beispiel,  wie  Worte  ÜERD.vnTa 
laläch  angeführt  und  von  einem  Berichterstatter  uiibesekens  auf  andere  übergehen, 
«.  diese  Zeitschrift.    IV.    1897.  8.  142. 

*)  WcnmiBAifD  wiedofholt  hier  anoh  sein  alnpreehandes  Urteil  ftber  Hxbbasis 
Niterphilosophie.   Vei^gl.  daza  diese  Zeitschrift  1901.   8.  476. 

«)  VeigL  dieee  Zeitsohiift  1904.  &  359. 


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202 


AniBätie 


daß  bei  jeder  Vorstellung  die  Summe  ihrer  aktuellen  und  potentiellen 
Tätigkeit  eine  konstante  Größe  bildet,  also  die  Stärke,  die  Intensität 
unverändert  beharrt.  Es  gilt  hier  das  Gesetz  von  der  Erhaltung, 
der  Energie  in  vollem  Maße.  Nur  die  ungebundene,  aktuelle  freie 
Wirksamkeit  ist  Klarheit  oder  im  Bevs^ußtsein,  aber  was  unter  der 
Schwelle,  was  gebunden  ist,  ist  nicht  verschwunden,  ist  nicht  ver- 
loren, ist  auch  noch  Tätigkeit,  die  wider  andere  Vorsteilungen  an- 
strebt, ein  Streben  vorzustellen. 

Wer  dem  nachdenken  will,  wird  sich  sofort  überzeugen,  daß 
eine  Verwechslung  von  Intensität  und  Klarheit  jedes  Verständnis  der 
GrundbcLTiifft^  der  Psychologie  Herbarts  völlig  ausschließt.  In  dieser 
Lage  befindet  sich  der  Verfasser  und  in  diese  Lage  versetzt  er  seine 
Leser. 

Ferner  hat  er  einen  Satz  aufgenommen,  der  sich  auch  in  sehr 
vielen  Lehrbüchern  der  Geschichte  der  Philosophie  findet,  nämlich: 
»Vergleiche  über  die  willkürliche  axiomatischc  Annahme  und  die 
Verfehltheit  des  ganzen  psychologischen  Kalkids  A.  Lange,  Die  Grund- 
legung der  mathematischen  Psychologie  1S65«  (S.  481).  Höchst- 
wahrscheinlich nimmt  dies  ein  Lehrbuch  unbesehens  vom  andern 
auf;  ich  glaube  kaum,  daß  das  oft  angeführte  Schiiftchen  Langes 
von  vielen  gelesen  oder  gar  durchdacht  ist.  Jedenfalls  ist  ihnen  un- 
bekannt geblieben,  daß  alle  die  Einwände  Langes  der  Reihe  nach 
von  C.  S.  Cornelius  widerlegt  und  als  grobe  Mißverständnisse  aul- 
gedeckt sind.i) 

Überblickt  man  diese  Weiterüberiiefernng  der  so  oft  aufgehellten 
Mißverständnisse  der  theoretischen  Philosophie  Herbarts,  so  wird 
man  sagen,  daß  Winoklbam»  iranz  und  gar,  wenn  nicht  allen,  so 
doch  sehr  vielen  Lehrbüchern  der  Geschichte  der  Philosophie  gefolgt 
ist,  deren  Darstellung  er  selbst  als  eine  schiefe  und  irreführende  be- 
zeichnet 

Noch  viel  kürzer  als  die  theoretische  kommt  Herbarts  praktische 

Philosophie  zur  Darstellung.  , 

Auf  20  Zeilen  wird  ül)er  Herbarts  Ästhetik,  Ethik  und  Staats- 
lehre berichtet  und  geurtcMlt  Auffallend  dabei  ist  der  Ausdruck: 
Die  Geschmacksurteile  beziehen  sich  auf  die  Verhältnisse  des 
»Seienden«  (S.  495).  Was  ist  hier  als  das  Seiende  gemeint?  Herbakt 
versteht  unter  dem  Seienden  nicht  das  Wirkliche,  sondern  was  dem 
Wirklichen  zu  Grunde  liegt.  Das  Seiende  hat  nach  Herbart  keine 
ästhetischen  Verhältnisse.   Gleich  darauf  heißt  es:  Die  Geschmacks- 


*)  In  dei  Zeitsohiift  üu  exakte  Philoe.  VL  &  323. 


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FlOoh.:  ITindelbADd  ftber  Heiiwii 


203 


urteile  ergehen  über  Yerliiltiiisse  des  menschlichen  Willena  Das  ist 
richtig.  Aber  den  Willen  rechnet  ffwmitp*  nicht  so.  dem  Seienden, 
sondern  zu  dem  Geschehenden. 

Verfasser  yerspricht  im  Vorwort^  eine  Geschichte  der  Probleme 
und  Be^iffo  zu  geben  und  zwar  seine  Aufgabe  nicht  durch  eine 
begriffliche  Konstruktion^  sondern  nur  durch  eine  aUseitige,  Yorurteüs- 
loee  Durchforschung  der  Tatsachen  zu  lösen. 

Von  diesen  Yersprechungen  ist  hinsichtlich  der  Darstellung 
HiBBABis  nichts  gehalten.  Und  man  übersehe  nicht,  das  ganse  Bocii 
ist  in  erster  Linie  für  Ani&nger  geschrieben,  für  solche^  lÜe  nicht  in 
die  Geschichte  der  Philosophen  oder  des  Kultureinflnsses  der  Philo- 
sophie einsuftthren  sind,  sondern  »in  die  Geschichte  der  Probleme 
und  der  sa  ihrer  Lösung  emugten  Begriffe,«  denn  darin  stimmt  er 
mit  Herb  ART  überein,  man  dfiife  über  dem  Historischen  nicht  das 
Philosophische  oder  wie  Hboabt  sagt  über  der  Geschichte  nicht  yer^ 
geesen,  wessen  Geschichte  sie  ist 

Was  wird  nun  ein  Anfibiger  daraus  über  Hrrbabt  lernen! 

Jedenfalls  wird  niemand  durch  den  Yeifasser  in  HnmAim  Ge- 
danken und  Probl«ne  eingeftthrt  Wihdblband  rühmt  dnmal  Hbbbabtb 
historische  Fehafflhligkeit  für  das  metaphysisohe  Motiv  der  platonischen 
Ideenlehre  (S.  478).  Diese  Feinffihligkeit  für  Hibbasts  Motire  des 
Denkens  geht  dem  Terfasser  ab.  Er  yersteht  nichts  wenigstens  weifi 
er  die  treibende  Kraft  nicht  zu  würdigen,  durch  die  HimiBT  yon 
den  Widersprüchen  der  Erfahrung  zur  Ketaphysik  gediftngt  wurde. 
Was  zur  Zeit  Hbbbabis  und  heute  noch  mandiem  paradox  klingt, 
daß  nfimüch  die  Eifshrung  d.  h.  die  anftngUche  Aufiassung  der  Natur 
widenprechend  sei  und  cur  Lösung  derselben  eine  metaphysische 
Arbeit  au^be,  das  versteht  steh  heute  unter  Forschem  von  selbst 
>TJnser  ganzes  p^chisches  Leben,  sagt  z.  B.  Mach,  so  insbesondere 
das  wissenschaftliche  besteht  in  euier  fortwfthrenden  Korrektur  unserer 
Tontellungen.«  *)  Warum  bedürfen  sie  einer  Korrektur?  Weil  sie 
widersprechend  sind  teils  in  sich,  teils  mit  anerkannten  Wahrheiten. 
Wiren  sie  nicht  widersprechend,  so  brauchten  sie  nicht  korrigiert 
zu  werden.  Wie  lange  müssen  sie  korrigiert  werden?  Bis  sie  wider- 
spruchsfrei sind.  Hier  hat  man  den  Schlüssel  zu  Hibbabx8  Meta- 
idiysik.  Aber  davon  findet  man  bei  Wtkdeuujid  nichts. 


')  Sonst  nennt  Windelband  Hkbrabt  »wenig  histoiisch  veranlagte.  Yei^  data 
diese  Zeitechrift  1904.    S.  468. 

*)  Ihnlieh  Hhjoolb,  Hm  o.  a.  8.  0.  liflraL,  Die  Bedaataag  der  UMa- 
phlA  HeilNfftB  für  die  Gegenwart  8.  S. 


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204 


Im  übrioren  bin  uh  sthr  einv^  r-tainieu  mit  der  Aufirabc,  die 
sich  WiNDKi.BAM)  für  die  Abfassuu^:  diov-  -^'Mnes  L^i-lirbuchs  der  Ge- 
schichte der  Phil<i«»phi<'  p  stellt  hat,  nämlich  in  »die  Geschichte  der 
Probleme  und  der  zu  ihrer  L«)>unp^  erzeujrten  Beirriffe«  einzuführen. 
Das  ist  fast  wörtlich  die  Aufpibe.  die  ich  mir  vor  fast  30  Jahren 
gestellt  habe  in  der  Schrift:  Die  Probleme  der  Philosophie  und 
ihre  Lösuugea  hiätonsch- kritisch,  wovon  jetzt  die  4.  Auflage  er- 
scheint 


H.  St.  Cliamberlains  Vorstellungen  über  die  Religion 
der  Semiten  spez.  der  Israeliten 

Von 

Pxofessor  D.  Baentach  -  Jena 
(FortBetnog) 

in. 

In  der  Prüfung;  der  \vcit»'n'n  ^^l^\v^u•fc,  die  Chamberlain  ^i^egren 
die  Kcligi<»n  d<'r  Semiten  und  im  verstärkten  Maßstabe  gegen  die  der 
Israeliten  und  dt  r  -Juden  erhebt,  folp-n  wir  am  besten  der  Reihen- 
folgc,  in  der  wir  im  I.  Teil»"  dicker  Studie  diese  Vorwürfe  dem  Leser 
Vor  Aup  n  geführt  iial»("ii.  l)anach  liat  Chamberlain  dieser  Religion 
V(»r  allem  vorzuwerfen,  dal]  >ie  nur  praktische  d.  h.  aber  nach  ihm 
wesentlich  materielle  und  egoistische  /wecke  verfolge,  durch- 
aus keine  ideale.  Denselben  Vorwurf  kleidet  er  S.  -401  in  die 
Worte:  Die  Religion  ei-sciieint  gewissermaßen  nicht  als  um  ihrer 
selbst  willen  da,  sondern  als  ein  Mittel,  als  eine  Handhabe,  um 
das  Gebiet  des  durch  den  Willen  zu  Erreichenden  möglichst  er- 
weitern zu  kr»nnen.<c  Man  bedenke,  was  das  bedeutet!  Der  Semit, 
und  was  von  diesem  g^ilt^  gilt  ja  vom  Israeliten  und  Juden  in  noch 
vei-stärktem  Maße,  besäße  danach  also  nur  eine  durch  und  durch 
interessierte,  selbstsüchtige,  egoistische  Religiositiit.  Kr  wiire  nicht 
religi'is  aus  dem  iiineisteii  Redüi-fnisse  seines  Gemütes  heraus,  sondern 
imnur  nur  aus  JJerechnung,  aus  praktischem  Sinn.  Nicht  die  be- 
se'ligende  ( iemeinschaft  der  Seele  mit  Gott  wäre  e.s,  wa.s  er  am  letzten 
Ende  in  seiner  Religion  suchte,  sondern  immer  nur  materiellen  Vor- 
teil und  greifbaren  (iewinn,  sei  es  nun,  daß  seine  Religion  ihm  die 
Khifte  geben  soll,  dic  er  braucht,  um  seinen  Willen  überall  durch- 
zusetzen, sei  es.  daß  er,  auf  Belohnung  s(»in»'r  Frömmigkeit  speku- 
lierend, die  Religion  als  Mittel  zur  Siclieistellung  seines  Wohlergehens 
im  diu^ssuitigeu  und  (so  wenigstens  in  der  jüngsten  Zeit)  auch  in 


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Babitcoh:  H.  8t  Chamberlains  VoisteUaDgen  aber  die  fieligioii  naw.  205 


einem  jenseitigeii  Leben  benutet  W&re  das  alles  richtig,  gSbe  es 
wiridich  gar  nichts  darüber  hinaus,  so  würe  freilich  die  semitische 
mid  speziell  die  israelitische  und  jüdische  Religion  eine  der  minder- 
wertigsten Erscheinungen  auf  dem  weiten  Gebiete  des  religiösen 
Lebens  der  Menschheit,  und  man  begriffe  in  der  Tat  nicht,  wie  man 
jemals  von  dieser  Religion  soviel  Aufhebens  hat  machen  kömuean. 
Han  begriffe  vor  allem  nicht,  wie  die  antike  Welt  im  Zeitalter  des 
H^enismiis  dazu  gekommen  wäre,  einer  so  rohen  Religion,  wie 
es  namentlich  die  jüdische  sein  müflte,  einen  so  großen  Einfluß  auf 
ihr  eigenes  religisräs  Leben  zu  yerstatten. 

Aber  es  handelt  sich  bei  diesem  Yorwuife  doch  wohl  nur  um 
eine  der  bei  Chamberlain  so  hfiufig  begegnenden  allgemeinen  Be- 
hauptungen, mit  Bezug  auf  die  er  Tielleicht  selbst  voraussetzt,  daß 
der  Leser  die  nötige  Einschränkung  —  wie  er  selbst  einmal  bei 
anderer  Gelegenheit  sagt  —  gleichsam  automatisch  vollzieht  Denn 
jedenfidls  ist  der  Yorwuif  nur  zum  Teil  berechtigt,  und,  wie  ich 
{jleich  hervorheben  möchte,  hier  nicht  mehr  berechtigt,  als  er  schließ- 
Uch  auch  gegenüber  allen  anderen  Religionen  bis  zu  einem  gewissen 
Oiade  berechtigt  wftre.  Wirklich  getroffen  wird  von  ihm,  soweit  es 
die  alttestamenüiche  Religion  angeht,  im  Grunde  doch  nur  die  natio- 
nale Yolksreligion,  in  der  allerdings,  wie  man  es  bei  einer  Tolks^ 
retigion  anch  gar  nicht  anders  erwarten  kann,  die  materiellen  Inter- 
essen des  Yolkee  eine  sehr  bedeutende  Rolle  spielen.  Getroffen  wird 
weiter  die  aus  priesterlichem  Geiste  herausgeborene  Gesetzes- 
religion, zum  Teil  schon  die  des  Deuteronomiums,  vor  aUem  aber 
die  des  nachexilischen  Judentums  mit  ihrem  ausgeprägten  Werk- 
heUigkeits-Standpunkte  und  dem  für  sie  so  charakteristischen  Lohn- 
nnd  Yerdienstbcgiift  Getroffen  wird  endlich  jene  utilitaristische 
Frömmigkeit  und  Moral,  wie  sie  sich  vielfach  in  der  Spruchdichtung, 
in  den  Froverbien  und  Jesus  Sirach  geltend  macht  >)  Und  selbst  hier 
ist  der  Yorwuif,  daß  die  Religion  durchaus  keine  idealen  Zwecke 

')  Man  hüte  sich  ührigens,  uberall,  wo  von  Lohn  die  Rede  ist,  Sjjuren  einer 
mindenve rügen  Frönimif;keit  scljen  zu  wollen.  Hs  ist  immer  zu  uMtersi  heideo,  ob 
die  Aussicht  aui  Lohn  als  da»  eigentliche  Motiv  der  Frönunigkeit  gilt,  uder  ob  der 
l/dmiedaoke  nur  nebenherlioft  und  eigentlich  nur  dem  Olaaben  an  eioe  sittliohe 
Weltoidiraog  Aosdniok  gibt  Sb  wiie  z.  B.  verkehrt,  ans  dem  Wortlaute  des  4.  Ge- 
botes folgern  zu  wollen,  daß  der  Xsnelit  in  der  Hochachtung  der  eltorlichon  AutoritSt 
nur  ein  Mittel  gesehen  habe,  um  sich  ein  lanj-es  nti  l  glückliches  LebiMi  im  T>ande 
zu  sichern.  AVenn  irgend  ein  (icbüt,  ■^'>  la^  .i..  st.>  c,  Imt  der  pieta-s  dem  Israeliten 
sozusagen  im  Blute,  d.  h.  es  hatte  für  liiii  eiuu  absolute  Bedeutung.  Durch  die 
augefügte  YerheiBnng  soll  nnr  die  hohe  Bedeutung,  die  das  Gebot  für  ihn  hatte, 
gebährend  herroigehoben  werden,  et  Ephes.  6,  2, 


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206 


Aufsätze 


verfolge,  viel  zu  weitgehend.  Denn,  um  nur  dieseii  einen  Punkt  hier 
herauszuheben,  heißt  es  nicht  Verfolgung  eines  hochidealen  Zweckes, 
wenn  die  alte  Yolksreligion  8ioh>zar  Hüterin  der  Rechtsordnung  aof- 
wirft  und  den  Geist  nicht  nur  der  weltlichen  Gerechtigkeit,  sondern 
auch  der  Billigkeit,  der  freundlichen  Rücksichtnahme  oof  den  ^virt• 
schaftlich  Schwachen,  der  Milde  und  Barmherzigkeit  gegen  Unter- 
drückte, Witwen,  Waisen,  Fremdlinfi:e  imd  Notleidende  aller» Art  in 
die  Praxis  einzuführen  sndit?  Wo  aber  bleibt  für  Chamberiain  —  und 
mit  dieser  Frage  setet  unser  Hauptvorwurf  gegen  ihn  ein  —  die 
prophetische  Strömung  der  Religion  Israels,  wo  die  mancheiiei 
Äußerungen  einer  wahrhaft  hohen,  durch  und  durch  selbstlosen,  rein 
menschlich  anmutenden,  individuellen  Fiömmigkeit»  wie  wir  sie 
gerade  aus  den  Kreisen  der  nachexilischen  Frommen  vernehmen? 
Oder  stellen  etwa  die  großen  Propheten  des  achten  Jahrhunderts  die 
Religion  in  den  Dienst  praktisch-egoistischei-  Interessen,  wenn  sie  im 
Namen  dieser  Religion  dem  eigenen  Volke  den  Untergang  ankündigen, 
weil  es  sich  gegen  den  Geist  dieser  Religion  versündigt  hat?  Gilt 
ihnen  tlie  Religion  jemals  als  Mittel  zur  Erreichung  irdischer,  politi- 
scher Ziele,  oder  ist  sie  ihnen  nicht  vielmehr  Sache  ihres  innersten 
Herzens,  ihres  unbestechlichen  Gewissens,  eine  Sache,  um  derent^vlDcu 
sie  Gut  und  Veimögen,  Stellung,  Freiheit  und  Leben  mutig  in  die 
Schanze  sclilagen?  Sagen  sie  ihren  Zeitgenossen  auch  nur  einmal: 
»ihr  mtLßt  Jahves  Gebote  halten,  dieweil  das  Halten  dieser  Gebote 
eine  sehr  nützliche  Sache  ist«,  oder  haben  die  religiös-sittlichen  Forde- 
rungen ihres  Gottes  für  sie  nicht  eine  durchaus  absolute  Geltung? 
(Veigl.  z.  B.  Am.  5, 15,  Mich.  6, 8,)  Und  wenn  die  Propheten  aus  ihrer 
Religion  Kräfte  geschöpft  haben  auch  für  ihre  irdischen  Kampfe  und 
Nöte,  ist  ihnen  deshalb  ihre  Religion  etwa  nur  eine  Handhabe  ge- 
wesen, um  sich  in  der  Welt  zu  behaupten?  Hätte  sie  ihnen  diese 
Krfifte  überhaupt  spenden  können,  wenn  sie  nicht  zuvor  ihnen  warn 
ümeren  Erlebnis  geworden,  wenn  sie,  um  mit  Chamberiain  zu  leden, 
für  sie  nicht  um  ihrer  selbst  willen  dagewesen  wäre? 

Und  neben  den  Äußerungen  prophetischer  Frömmigkeit  eteUe 
man  sich  jLufierungen  individueller  Frömmigkeit  vor  Augen,  wie 
sie  z.  R  in  Fä.  73  enthalten  sind.  Der  Dichter  dieses  PSahns  freut 
sich  der  inneren  Gemeinschaft  mit  seinem  Gotte,  auch  wenn  ihm  Leib 
und  Seele  vezschmachten.  Er  fragt  nichts  nach  dem  Himmel  und 
fragt  nichts  nach  der  Erde,  wenn  er  nur  Gott  seinen  Teil  und  seinen 
Freund  nennen  dazl  Sind  das  nun  etwa  nur  fromme  Bedensarten? 
Oder  steht  der  Dichter  dieses  Fäalms  etwa  nur  gans  vereinaelt  da? 
Aber  er  ist  doch  nur  einer  ans  der  großen  Schar  von  Zeugen 


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Babhxboh:  H.  Sc  Ghamtwiiaios  YonteUuogon  über  die  BeUgkni  vsw.  207 


lebendigster  Erömiiugkeit,  deren  Seele  nach  dem  lebendigen  Gott  schreit 
und  dfizstet  (Fä.  42),  oder  deren  Hen  ganz  wunschlos  und  stille  ge- 
worden ist  in  ihrem  Oott,  wie  ein  entwöhntes  Kind,  das  die  Matter 
Ton  ihrer  Brust  abgesetzt  hat  (Fs.  131)?  Es  ist  wahr,  wir  besitzen 
solche  Eigässe  reinster,  im  tie&ten  Herzen  wurzehider  Frömmigkeit 
nur  ans  ezilischer  und  nachexilischer  Zeit  Sie  zeigen  uns  dann 
eben,  daß  gerade  auch  auf  dem  Boden  der  von  Ghamberiain  so  tief 
gewerteten  jüdischen  Frömmigkeit  echteste  Beligiositftt  hat  gedeihen 
kömien.  Wir  dtkifen  aber  getrost  annehmen,  daß  eine  soldie  innere 
liehe  Frömmigkeit  auch  schon  in  der  filtesten  Zeit  vorhanden  gewesen 
ist  Denn  das  Mensdienherz  —  und  auch  der  Semit  hat  ein  solches 
—  hat  zu  allen  Zeiten  dieselben  Bedürfnisse,  wenn  vielleicht  auch 
eine  verschiedene  Art,  sich  zu  äußern.  Man  denke  doch  ja  nicht 
etwa,  daß  der  Jahve  der  alten  Tolksreligion  bloß  ein  nationaler  Götze 
gewesen  ist  Für  die  religiösen  Gemüter  hat  sich  mit  diesem  Jahve 
schon  immer  die  Ahnung  von  einem  höchsten,  allmächtigen  göttlichen 
Wesen  verbunden,  und  dem  Herzen  eines  aufrichtigen  Gottsuchers 
hat  das  Göttliche  auch  in  der  Gestalt  des  alten  nationalen  Jahve,  wenn 
natariich  auch  unter  mancher  Verhüllung  und  Beschränkung,  nahe 
kommen  können.  Daß  wir  so  wenig  Zeugnisse  individueller  Frömmig- 
keit aus  alter  Zeit  besitzen,^)  erklärt  sich  daraus,  daß  wir  aus  der 
fiteren  Zeit  eben  nur  Urkunden  der  nationalen  Religion  besitzen,  in 
denen  sich  alles  um  das  Volk  und  seüie  Interessen  dreht,  und  Indi- 
viduen nur  insoweit  zur  Geltung  kommen,  als  ihr  Leben  mit  dem 
nationalen  Leben  verflochten  ist 

Nicht  übergehen  dürfen  wir  schließlich  in  diesem  Zusammen- 
hange das  Buch  Hieb,  das  sich  in  seinem  Prologe  spez.  mit  der 
Ihigs^  ob  es  euie  uninteressierte  Frömmigkeit  auf  Erden  gebe,  be- 
schäftigt Der  Dichter  bejaht  diese  Frage,  indem  er  uns  in  Hiob^ 
der  auch  unter  den  schlimmsten  Schickungen  und  herbsten  Verlusten, 
die  ihm  jeden  Glauben  an  irgend  welchen  materiellen  Nutzen  der 
Römmigkeit  ranben  müssen,  an  seinem  Gotte  festhält,  das  Beispiel 
emer  solchen  Frömmigkeit  vor  Augen  fOhrt  An  ihrer  Möglichkeit 
zu  zweifeln,  bleibt  nur  dem  Satan  vorbehalten.  Damit  ist  also  jener 
Standpunkt,  dem  die  Frömmigkeit  nicht  um  ihrer  selbst  willen  da 
ist,  scmdem  nur  als  Mittel  zur  Erreichung  praktisoher  Zwecke  be- 


*)  Mau  könnte  hier  allerdings  an  die  Patriarchengesch iohten  der  Genesis  er- 
iimera,  vor  ailem  an  die  Abrabam-Oesohiohten.  Bei  dem  iompliziertea  Charakter 
dimr  OssMtm  glanbea  wir  aber  von  einer  Yenrertniig  denelbai  an  dieser  Stelle 
tMen  so  mAMn. 


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208 


AufBütze 


greifiich  ist,  geradezu  als  satanisch  gekennzeichnet  Kann  es  denn 
eine  schärfere  yenuteüung  jenes  trivialen,  ntUitaristischen  Standpunktes 
geben?  Und  daif  es  denn  flbeisehen  werden,  daß  gerade  Ton 
israelitischein  Boden  aus  jener  von  Chamberlain  für  spezifisch 
semitisch  oder  israelitisch-jadiseh  ausgegebene  Standpunkt  die  denk- 
bar schfiifste  VerurteUung  erfitturt? 

Nun  ist  ja  zwar  —  das  geben  wir  bereitwilligst  zu  —  diese  höhere 
innerliche  FMänmigkeit  in  Israel  und  im  Judentum  nicht  zur  allge- 
meinen Herrschaft  gekommen;  sie  findet  sich  —  in  welcher  Religion 
würe  das  aber  anders?  —  immer  nur  bei  großen  Persönlichkeiten, 
die  über  den  Durchschnitt  weit  hinausragen.  Aber  gibt  uns  das 
denn  ein  Recht,  von  ihren  Äußerungen  bei  einer  Beurteilung  der 
israelitischen  und  jüdischen  Religion  ganz  abzusehen?  Sollen  wir 
diese  Religion  denn  immer  nur  nach  dem  Durchschnitt  und  nach 
ilam  minderwertigsten,  oft  genug  brutalen  Äußerungen  beurteilen 
und  ihre  schönsten,  reinsten  und  edelsten  BlCLten  ganz  außer  acht 
lassen?  Das  kann  Chamberlain  von  uns  um  so  weniger  verlangen, 
als  er  selbst  die  nichtsemitischen  Religionen,  die  er  zu  den  semi- 
tischen in  einen  Gegensatz  stellt,  immer  nur  nach  ihren  höchsten 
und  reinsten  Äußerungen  beurteilt  Oder  meint  Chamberlain  etwa 
gar,  daß  es  sich  bei  dieser  höheren  Religiosität  gar  nicht  um  Äuße- 
rungen des  israelitischen  Geistee,  sondern  um  arische  Infiltrationen 
handle?  Wir  filhlen  uns  nicht  im  stände,  seine  Rassenmischungs- 
theorie in  alle  ihre  Einzelheiten  hinein  nachzuprüfen  und  zu  be- 
urteilen, weshalb  wir  es  last  ängstiich  vermeiden,  zu  ihr  Stellung 
zu  nehmen.  Wir  müßten  aber  gestehen,  daß  sie  uns  in  dem  Augen- 
blick im  höchsten  Grade  gefiUurdet  erscheint,  in  dem  er  den  emst- 
lichen Tersuch  machen  sollte,  sie  als  Handhabe  zu  benutzen,  um 
alles  Edlere  und  Höhere  innerhalb  der  Religion  Israels  und  des  Juden- 
tums als.  etwas  dem  semitischen  Geiste  total  Fremdes  aus  ihr  aus- 
zuscheiden. 

Doch  ehe  wir  von  diesem  Punkte  scheiden,  noch  eine  Rige. 
Wird  denn  von  dem  Vorwurfe,  den  Chamberlain  speziell  gegen  die 
Religion  der  Semiten  und  hier  wieder  insbesondre  gegen  die  der 
Israeliten  und  Juden  erhebt,  nicht  jede  Religion  ohne  Ausnahme  mehr 
oder  weniger  getroffen?  Denn  wo  vrir  nur  immer  eine  Religion  auf 
Erden  antreffen,  da  sucht  der  Mensch  in  ihr  nicht  etwa  ausschließ- 
lich und  in  erster  Linie  BeMedigung  seines  spekulativen  Bedürf- 
nisses, das  seinen  ahnenden  Geist  in  weite  dänmiemde  Femen  zieht 
sondern  einen  festen  sichern  Halt  für  sein  irdisches  Leben,  da  will 
er  aus  ihr  Kraft  und  immer  wieder  Kraft  schöpfen  für  die  Kämpfe 


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Baextscu:  H.  St  Chainberlains  Voretellungen  über  die  Religion  usw.  209 


mit  den  Widcrwärtipkeifen  und  XiHen,  die  das  Leben  ihm  aufzwingt. 
Ja  ist  OS  im  dniiide  niclit  der  Trieb  des  ^lenseliPii  nacli  Sell)st- 
beliauptiing  pep  n über  den  ihn  umgebenden  und  sein  Leben  beendenden 
Mächten  gewesen,  die  die  Religion,  unbeschadet  ilirer  metaphysischen 
Omndlage,  zum  Ereignis  iiat  worden  lassen?  Warum  also  speziell 
der  ßclifrion  der  Semiten  zum  Vorwurfe  machen,  wa.s  sich  In  allen 
Religionen  findet?  Ich  fürchte  sehr,  daß.  wenn  Chamberlain  seinen 
Maßstab  für  das,  was  er  Religion  nenut^  mit  derselben  Konsequenz 
und  Unerbittlichkeit  an  die  übrigen  Religionen  anlegen  wollte,  wie 
er  ihn  an  die  Religion  der  Semiten  angelegt  hat,  er  sein  Urteil  über 
jene  bedeutend  heralistimmen  müßte.  Und  wenn  sich  innerhalb  der 
israelitischen  Religion  der  materiell-egoistische  Zug  vielfach  stark . 
geltend  macht,  steht  es  denn  in  jülen  übrigen  Religionen  damit  so 
sehr  viel  besser?  Die  breite  Masse  ist  überall  religiös  aus  Sitte  und 
Herkommen  und  zugleich  aus  Berechnung.  Selbst  die  homerischen 
Helden  rechnen  ihren  Göttern  die  Hekatomben  vor,  die  sie  ihnen 
dargebracht  haben,  und  han-en  des  wohlverdienten  Lohns.  Der  arische 
hider  envartet  so  gut  wie  der  Semit  für  sein  Opfer  die  Gegengabe 
des  Gottes,  dem  der  es  daigebracht,  und  daß  auch  hier  die  Erwartung 
mh  oft  genug  in  recht  drastische  Formen  kleiden  kann,  mag  man 
bei  Oldbmbiro,  die  Religion  des  Veda  S.  308  ff.  nachlesen.  Und  daß 
sich  der  von  Chamberlain  so  hoch  eingeschätzte  Fetischanbetcr  durch 
fidne  tiefsinnigen  Spekulationen,  die  er  mit  seinem  Fetisch  ver- 
knöpfen soll,  jedenfalls  nicht  abhalten  l&ßt,  seinen  Fetisch  zu  prügeln 
oder  ihn  wegzuwerfen,  wenn  er  ihm  nicht  recht  zu  willen  ist,  ist  zu 
bekannt,  als  daß  darüber  auch  nur  noch  ein  Woi't  zu  verlieren  wäre« 
Nicht  minder  bedürfen  Chamberlains  Anschauungen  über  die 
semitische  und  speziell  israelitische  Gotte  s  Vorstellung  (s.  ob.  S.  22. 
bis  24)  der  Einschränkung  und  Korrektur.  Zwar  in  dem,  wa.s  er 
fiber  die  Gottesbilder  sagt,  findet  sich  manche  gute  und  feine  Be- 
merkung. Es  ist  richtig,  daß  das  Volk  seinen  Gott  mit  dem  Bilde, 
das  es  sich  von  ihm  gemacht  hat,  oft  geradezu  identifiziert,  und  daß 
auch  die  Bestreitcr  des  Bilderdienstes  sich  im  Gninde  nicht  von  der 
Vorstellung  haben  loslösen  können ,  daß  ein  Gottesbild  unter  allen 
Umständen  ein  verabscheu ungswttrdiges  Götzenbild  sei,  dem  man  den 
Krieg  erklären  müsse.  Zu  der  geistigen  Höhe,  ein  Gottesbild  unter 
dem  Gesichtspunkte  eines  Kunstwerkes  zu  betrachten,  haben  sie  sich 
in  der  Tat  nicht  empoi-sehwingen  können.  Und  wenn  .Männer  wie 
Denterojesaias  und  (h'r  Verfasser  von  Deut  4,  15  wohl  auch  nicht 
gerade  eine  (vom  Boden  gemeinsemitischer  Vorstellungsweise  aas  an 

ZaitMblft  fOr  Fhfkwflii»  and  Pldi«ogik.  12.  Jabignff.  14 


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210 


dch  b^feÜiiclie)  abergläubische  Scheu  vor  Gottcsbildem  batton  — 
dagegen  spricht  bei  einem  Manne  wie  Beuterojesaias  die  überlcfrene 
Ironie,  mit  der  er  sich  gelegentlich  über  die  Götzenbilder  äußert, 
cf.  Jes.  44.  12—20  —  so  kommen  sie  doch  über  das  jede  ästliotische 
und  kimstlerischo  Denkungsweise  im  Keim  erstickende  theologische 
Bedenken  nicht  hinweg,  daß  die  Überweltlichkeit  des  unsichtbaren 
Gottes  sich  nicht  mit  einer  auch  nur  etwa  symbolisch  gemeinten 
Darstellung  dieses  Gottes  im  Bildwerk  vertrage.  Jeder  Versuch,  Gott 
darzustellen,  gilt  ihnen  als  Antastung  dos  übenveltlichen  Charakters 
der  Gottheit,  als  oiu  Herabziehen  dorsoll)on  in  die  niedere  materielle 
Welt,  von  der  die  Gottheit  für  semitisches  Denken  nun  einmal  durch 
eine  tiefe  Kluft  getrennt  ist  Mögen  wir  nun  auch  die  Energie,  mit 
der  solche  prophetischen  Männer  die  schlechthinnige  Geistigkeit  und 
Lnniaterialitat  ihres  Gottes  botonen,  bewundem  und  schätzen,  denn 
es  handelt  sich  hier  ja  in  der  Tat  um  eine  höchst  wichtige  theologische 
Einsicht  und  eine  kerngesunde  Äußerung  religiösen  Empfindens,  so 
müssen  wir  doch  Chamberlain  zugestehen,  daß  diese  ganze  Betrachtongs- 
weise  in  ihrer  Rigorosität  und  ihrer  ertötenden  Wirkung  auf  isthe- 
tisches  und  künstlerisches  Empfinden  eine  herbe  Einseitigkeit  dar- 
stellt Die  Chaiakterisiemng  dieser  Richtung  als  »abstrakter  Hate- 
r.ialismus«  gehört  zu  dem  Feinsten  and  Treffendsten,  was  Chamber- 
lain über  die  Religion  der  Semiten  geschrieben  hat 

Aber  so  weit  wir  Chamberlain  in  diesem  Pankte  entgegenkommen 
mußten,  so  energisch  haben  wir  Widerspruch  gegen  seine  Behanptang 
zu  erheben,  daß  die  Israeliten  die  einzigen  wirklichen  Götze n> 
anbeter  auf  der  Welt  gewesen  seien,  sofern  eben  nur  sie  die  Bilder 
mit  der  GotÜieit  selbst  identifiziert  hätten,  wihrend  alle  anderen 
Völker  und  Menschen,  wie  die  Hellenen,  Eranier,  die  Eelten,  die 
Slaven,  ja  selbst  die  Fetischanbeter  sehr  wohl  zwischen  der  Gottiieit 
und  ihrem  Bilde  unterschieden  hätten.  Namentlich  dalh  er  die  Eetisch- 
anbeter  in  diesem  Punkte  als  den  Israeliten  himmelweit  überlegen 
hinstellt,  macht  yon  yomherein  den  Eindruck  eines  gewissen  Übel- 
wollens gegen  alles,  was  von  den  Semiten  kommt,  daß  hier  auch 
der  Laie  stutzig  werden  muß.  Es  sei  uns  daher  eriaubt,  gerade  an 
diesem  Punkte  mit  unserem  Widerspruche  einzusetzen. 

Chambeilain  behauptet,  daß  es  sich  nach  den  neuesten  ethnogra- 
phischen Forschungen  immer  mehr  herausgestellt  habe,  daß  die  Fetisch- 
anbeter nicht  nur  ihre  Fetische  nicht  als  solche  anbeten,  sondern  so- 
gar höchst  komplizierte  symbolische  Torstellungen  mit  ihnen  tot- 
binden.  Wir  wollen  hier  nicht  weiter  fragen,  was  für  TorstoUiingen 
denn  das  eigentlich  seien,  denn  das  würde  uns  in  weitzdiweifige  Ans- 


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BmmaB:  H.  St  Gbamberlains  Vontellungan  über  du  BeUgion  vsir.  211 


eiiuuideKBetzaiigen  fiber  das,  was  eigentilich  unter  Fetischismiis  za  Ter> 
stehen  ist,  hineinfahren,  wosa  nns  hier  kein  Baum  m  Gebote  steht 
Aber  wir  erkennen  mit  Ghamberlain  die  Tatsache  an,  daß  der  Fetisoh- 
anbeter  prinzipiell  zwischen  dem  Fetischgeist  und  dem  Fetischobjekt 
d.  h.  dem  Gegenstände,  dee  dem  Geiste  als  Behausung  dient,  unter- 
scheidet An  dieser  Tatsache  würde  sich  auch  dann  nichts  ändern, 
wemi  sich  für  den  einzelnen  der  Unterschied  zeitweilig  yerwischt 
Hutten  die  Israeliten  also  in  der  Tat  nicht  zwischen  der  Gottheit  nnd 
dem  Bilde,  das  sie  sich  von  ihr  gemacht  hatten,  unterschieden  und 
sogar  nicht  einmal  unterscheiden  kdnnen,  so  wttrde  sich  allerdings 
der  Fetischanbeter  im  Punkte  dieser  Unterscheidung  dem  Israeliten 
und  dem  Semiten  tlberhaupt  geistig  überlegen  zeigen,  wohlgemerkt 
nur  in  diesem  einen  Punkte,  denn  daB  wir  im  ttbiigen  nicht  daran 
denken  dOrfen,  den  Jahye  Israels  mit  einem  FetischgeiBt  und  ein 
Ton  Menschenhand  kttnstlich  gebildetes  Gottesbild  mit  einem  be- 
liebigen Fetischobjekt  auf  eine  Stufe  zu  stellen,  bedarf  wohl  nicht 
erst  der  Versicherung. 

Aber  woher  weifi  denn  nun  Giambeilain  so  bestimmt,  daß  die 
Israeliten  so  gar  nicht  im  stände  gewesen  seien,  zwischen  Gottheit 
und  dem  sie  daistellenden  Bild  zu  unterscheiden?  Daraus,  daß  das 
Volk  oft  beide  identifizierte,  läßt  sich  das  ebensowenig  erschließen 
wie  ans  der  Polemik  der  Propheten  gegen  den  Bilderdienst^  die  sich 
bei  ihrem  meist  ironischen  Charakter  gern  in  grotesken  Übertreibungen 
gefiUlt  Vielmehr  sprechen  sehr  deutliche  Anzeichen  gegen  eine 
sdiledithinnige  Identifizierung.  Nach  gemeinsemitischer  Vorstellung, 
die  sich  genau  so  übrigens  auch  bei  fast  allen  Naturftlkem  findet 
und  sich  im  ßemitentum  nur  mit  besondrer  Ztthigkeit  bis  auf  unsere 
T^;e  erhalten  hat,  geht  in  das  Bild,  das  von  iigend  einem  Menschen 
gezeichnet  wird,  etwas  von  dessen  Persönlichkeit  oder  von  dessen 
Seele  über.^)  Daher  die  Scheu  bei  den  Ton  der  westlichen  Kultur 
noch  unberührten  semitischen  Beduinen,  sich  abkonterfeien  zu  lassen 
oder  ihre  Gestalt  der  photographischen  Platte  zu  exponieren.  Sie 
fürchten,  daß  wer  sie  abbildet,  dadurch  Macht  über  ihre  Seele  und 
fiber  ihr  Leben  gewinnt  Das  Bild  eines  Menschen  gilt  (ganz  fihnliöh 
wie  sein  Name)  eben  als  eine  Art  Doppelgänger  des  betreffenden 
Menschen,  der  zu  diesem  in  einer  mystisch-geheimnisToUen  Beziehimg 
steht  und  dessen  Erlebnisse  und  Grachicke  auf  das  lebendige  Original 


')  Vergl.  Ricu.  äsdree,  Bildnis  raubt  die  Seele,  in  der  Neuen  Folge  seiner 
ShiiographLichen  Parallelen  u.  Veigieiohe.  Leipzig  1888.  lylor,  FhmiÜye  Kuitui. 
Bd.  I,  kap.  Ü  u.  Bd.  11,  Kap.  14. 


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212 


mit  Notwendigkeit  zorückwirken.^)  Ganz  ebenso  steht  es  aber  mit 
den  Gottosbüdem.  Auf  ein  Gottesbild  ist  nach  semitischer  An- 
schauung etwas  von  dem  peisönlichen  Leben  der  Gottheit  ILbeige- 
gangen;  es  gilt  als  ein  mit  den  Kräften  der  Gottheit  ausgestatteter 
BepiSsentant  derselben  in  der  sinnenfttUigen  Ersdheinungswelt*)  Von 
der  Gottheit  selbst  aber  wird  es  prinzipiell  ebenso  genan  unter- 
schieden, wie  das  Bild  von  dem  Menschen,  den  es  darstellte,  nnteiv 
schieden  worden  ist 

Eine  solche  Untsrsdiddang  Ifißt  sich  nun  gerade  mit  Bezog  auf 
die  heilige  Lade  oder  die  sogenante  Bnndeslade,  die  ja  eine 
gewisse  Verwandtschaft  mit  einem  Gottesbilde  besitzt,  auf  das  deot- 
lidiste  nachweisen.  Es  ist  nämüoh  keineswegs  so,  wie  Chamberlain 
annimmt,  daß  sich  Israel  seinen  Gott  in  diese  Lade  ein&ch  ein- 
geschlossen gedacht  und  Gott  und  Lade  resp.  das  etwa  in  ihr  ent- 
haltene Jahvebüd  geradezu  mitdnander  identifiziert  habe,  wenn  sich 
vieUeicht  auch  einzebe  Stellen,  die  dann  aber  nur  fOr  die  Auffatssong 
der  naiyen  Volksreligon  beweisend  sind,  dafOr  ausfindig  machen  lassen 
(vergL  z.  R  L  Sam.  47).  Yielinehr  haben  sich  gerade  an  die  heilige 
Lade  schon  sehr  früh  höchst  merkwQrdige  Spekulationen  geknüpft^ 
die  vielleicht  Ghamberlains  Bewunderung  hervoirufen  wtteden,  wenn 
er  sie  bei  Eetischanbetem  entdecken  wOrda   Die  Grundstcdle  fflr 
diese  Spekulationen  findet  sidi  in  dem  der  jehovistischen  Pentateuch- 
sohidit  angehörigen  Kapitel  Exod.  33,  das  leider  durch  spitere  Be- 
arbeitung und  Diaskeuase  so  verunstaltet  und  TerSndert  worden  ist, 
daS  der  Laie,  der  dieses  Kapitel  in  deutscher  Übersetzung  liest,  die 
Pointe  nicht  ohne  weiteres  meikt*)   Danach  hat  sich  Jahve  ge- 
weigert^ das  von  ihm  abgefisdlene  Volk  auf  seinem  Zuge  nach  dem 
▼dheiAenen  Lande  zu  b^leiten.  Aber  auf  das  Dringen  des  ICoses 
Ufit  er  sich  endlich  dazu  bewegen,  dem  Volke  wenigstens  ein  Suxxogat 
seiner  Gegenwart  mit  auf  den  Weg  zu  geben.  Dieses  Surrogat  ist 
aber  eben  die  heilige  Lade.  Jahre  ist  nicht  etwa  selbst  in  diese 
heilige  Lade  eingegangen,  wohl  aber  hat  er  an  die  heilige  Lade  die 
PüUe  seiner  gewaltigen  KrSfte  gebunden,  die  bei  Gelegenheit  in  teils 


^)  Römische  and  griechische  Zauberinnen  machten  kleine  Bilder  von  Wachs, 
die  den  zu  Benabemdett  daisteUen  soUten;  diese  Bilder  qiiilte  man  anf  alle  Axt 
ond  gimMe  der  betreffende  wftide  den  Sdunen  ftthlen. 

Diese  VonteUnng  verknüpft  sich  auch  mit  den  Heiligenbildern  in  der 
nuniechen  Kirche.  Daher  segnet  der  Zar  die  auf  desk  Kriefflsohanplalii  abgehenden. 
Trappen  mit  einem  Ileiliircnbilde. 

*)  Yergl.  zu  diesem  Kapitel  meinen  Kommentar  zu  Exod^-Numeri.  Güttingen 

1903. 


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BACTsca:  H.  St.  Cluunberiams  VontelluDgen  über  die  Beligion  wir.  213 


furchtbarer,  teils  in  segenbringender  Gewalt  aus  ihr  herauswirken. 
So  stellt  das  Volk  durch  die  beilige  Lade  in  seiner  Mitte  mit  dem 
unnahbaren  Sinaigotte  in  einem  mystischen  Znaammenhang.  Wo  die 
Lade  ist,  da  ist  auch  Jahve  in  irgend  einer  Weise  gegenwärtig,  aber 
er  ist  keineswegs  als  in  die  Lade  eingeschlossen  oder  ausscbUeAlioh 
an  sie  gebunden  vorzustellen.  Er  w«nlt  zugleich  auf  dem  alten  Gottes- 
borge —  so  wenigstens  für  das  Be\mßtsein  der  älteien  Zelt  —  und 
manifestiert  sich  zugleich  hier  und  da  im  Lande  TTanftan,  Wir  sehen 
daraus  jedr  nfalls,  daß  wenn  sich  etwa  ein  Jahrebüd  in  der  heiUgen 
lAde  befunden  hat  —  was  ich  übrigens  keineswegs  für  erwiesen  an-> 
sehe  1)  —  das  Yolk  sicher  nicht  daran  gedacht  hat,  Jahve  mit  seinem 
Bilde  einfach  zu  identifizieren. 

Die  Ausführong  über  die  heilige  Lade  veranlaßt  mieh^  m  diesem 
Zusammenhange  zugleich  auch  einiger  verwandter,  ungleich  höherer 
Spekulationen  zn  gedenken,  die  Chambeilains  Behauptung,  daß  die 
Semiten  sich  nicht  zu  einer  höheren  Auffassung  von  der  Gottheit 
hätten  erheben  können,  auf  das  DeatÜchste  widerlegen.  Sb  handelt 
sich  um  die  eigentümliche  Yoistelhmg  von  dem  mal'akh  Jahve  nnd 
von  den  Paiiim  Jahves.  Beide  Yoistellungen  sollen  dazu  dienen,  sich 
die  Offenbarung  und  Erscheinung  des  fiberweltUchen,  transcendenten 
Gottes  in  der  Erscheinungswelt  begreiflich  und  vorsteilig  zn  machen. 
Danach  ist  es  nicht  die  Gottheit  an  sich,  sondern  immer  nur  eine 
Erscheinungsweise  der  Gottheit,  eine  Art  Projektion  der  Gottheit  in 
die  sinnliche  Erscheinongswelt  hinein,  welche  die  Menschen  wahr- 
nehmen können.  Biese  Erscheinungsweise  hat  sich  nach  der  einen 
Vorstellung  zu  der  mystisch-geheimnisvollen  Gestalt  des  mal'akh  Jahve 
d.  h.  des  Boten  oder  Engels  Jahves  verdichtet.  Dieser  mal'akh  ist 
keineswegs  als  ein  selbstiindiges  himmlisches  Wesen  neben  Jahve  vor- 
zastellen.  Er  tritt  viehnehr  aus  Jahve  selbst  heraus  und  zieht  sich, 
nachdem  er  die  Botschaft  an  die  Menschen  ausgerichtet  hat,  wieder 
m  Jahve  selbst  zurdck.  Nach  der  andern  Vorstellung  zeigt  Jahve» 
wenn  er  sich  offenbaren  will,  seme  Panim  d.  h.  wörtlich  die  den 
Menschen  zugekehrte  Seite  seines  Wesens  oder  sein  Antlitz.  Ein 
Ortsname  wie  Puiel  oder  Pnuel  will  besagen,  daß  die  Gottheit  an  dem 
betreifenden  Orte  ihr  Antlitz  hat  sichtbar  werden  lassen  d.  h.  den 


Die  spitere  Tiaditioii,  nach  der  zwei  steinerne  Tafeln  mit  dem  Ooaot«  m 

der  Lade  gewesen  seien,  läßt  eher  darauf  schheßeu,  daß  sich  Steine  vom  heiligen 
Kmiberge  darin  befanden.  Jahve  war  nach  aller  Auschaunng  so  sehr  mit  dem 
heiligen  Sinai  berge  verknüpft,  daß  jeder  Stein  dieses  Berges  als  Träger  seines 
Weeeae  imd  ab  Mittel  rar  Hentelliuig  einer  dsnemdeiL  Ben^mig  za  ihm  gelten 
konnte. 


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214 


Menschen  erschienen  ist.  Man  sieht  hieraus,  wie  man  im  alten  Israel 
beflissen  war,  zwischen  der  Gottheit  an  sich  und  ihrer  sinnen  fälligen 
Erscheinungsform  genau  zu  unterscheiden.  Wir  dürfen  daher  mit 
gutem  Rechte  voraussetzen,  daß  man  in  Israel  dieselbe  Unterscheidung 
hinsichtlich  der  Oottesbilder  gemacht  haben  wird.  Wenn  trotzdem 
das  Volk  hin  und  wieder  Gottheit  und  Bild  miteinander  identifizierte, 
60  ist  dafür  nicht  spezifisch  semitische  Denkweise,  sondern  eben  nnz 
der  Unverstand  der  breiten  Masse  verantwortlich  zu  machen. 

Genau  in  derselben  Weise  äußert  sich  aber  —  und  das  ist  ein 
Punkt,  den  Cbamberlain  mit  keinem  Worte  berührt  —  der  Unverstand 
der  großen  Masse  auch  in  allen  andern  Religionen  bis  in  den  heutigen 
rSmischen  und  griechisch-russischen  Katholizismus  hinein,  indem  für 
den  einfältigen  Verehrer  der  Heilige  und  das  Bild,  das  ihn  darstellt, 
in  ungezählten  Fällen  zusammenfließen.  Und  auch  innerhalb  des 
alten  Griechentums  läßt  sich  eine  volkstümliche  Würdigung  der 
Gottesbilder  nachweisen,  die  eine  Identifizierung  des  Bildes  mit  der 
Gottheit  entweder  geradezu  bedeutet  oder  doch  von  einer  solchen 
nicht  gar  weit  entfernt  ist.  Es  ist  keineswegs  so,  wie  es  nadh 
Chamberlain  scheint,  daß  die  Griechen  in  ihren  Gottcsbildorn  immer 
nur  Kunstwerke  gesehen  oder  sie  als  Mittel  seelischer  Erhebung  be- 
trachtet hätten.  Von  ihren  großen  Denkern  und  Philosophen  mag 
das  gelten.  Aber  die  große  Masso  war  in  dieser  Beziehung  genau 
ebenso  unreif  wie  bei  den  alten  Israeliten.  So. sagt  einmal  Heraklit: 
»Sie  beten  zu  diesen  Götterbildern,  als  wenn  jemand  mit  Gebäuden 
Zwiesprache  pflegen  wollte;  sie  kennen  eben  die  Götter  und  Heroen 
nioht  nach  ihrem  Wesen.c^)  Und  was  soll  man  dazu  sagen,  daß 
mau  in  Sparta  den  Kriegsgott  Ares  in  Kotten  angeschlossen  hielt^ 
damit  er  nicht  etwa  enteile  und  das  Kriegsglück  daTontrage,  oder 
gar  dazu,  daß  man  in  dem  an^Ufirten  Athen  der  Siegesgöttin  Nike 
die  Schwingen  gekappt  hatte  —  daher  Wxt;  anrf^oc  —  um  den  Sieg 
dauernd  an  das  große  Athen  za  ketten?  Sind  solche  rohen  Manipu- 
lationen erkUtrlieh  bei  einer  geläuterten  üsthetisohen  und  religiösem 
Betrachtungsweise,  die  in  den  Gottesbildem  immer  nur  hehre  Kunst* 
werke  und  Mittel  zur  Entzündung  der  Andacht  sieht?  Und  daß  anoh 
bei  den  sonst  so  abstrakt  denkenden  Römern  hinsichtiieh  der  Oottea- 
bilder  nicht  aUes  in  Ordnung  war,  Jftfit  die  Äußerung  des  M.  Teren- 
üus  Vano  TerrnnteD,  der  sich  einmal  dahin  ansspridit:  »Der  Mann, 


>)  DiMM  ZHat  TCidanke  iidi  dam  Anteile  von  Bna.  Nmilb  flbw  dM  afftU- 
giBta  FkoUam«  in  H.  8t  Ghambedabt  Onmdlagn  d«  19.  Muh.  Meslaiileiihbili 
1908.  Ko.  29.  8.  232. 


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Basntsch:  H.  8t  Cbamberlains  Vorstellangen  über  die  Beligiou  usw.  215 


der  zuerst  dem  Volke  Bilder  von  den  Göttern  machte,  hat  die  Gottes- 
furcht vernichtet  und  eine  Quelle  des  Irrtums  geschaffen.«  Wir 
sehen  aus  dem  allen,  daß  Chamberlain  bei  den  Semiten  und  Israeliten 
die  niederen  Formen  der  Frömmigkeit  in  demselben  Maße  ui^er^ 
als  er  bei  den  übrigen  Religionen  darüber  hinwegsieht  So  wird  es 
ihm  allerdings  leicht,  die  semitische  Beligion  als  die  minderwertigste 
Ton  allen  erscheinen  zu  lassen. 

Ebensowenig  wie  in  seiner  Auffassung  Ton  dem  Bilderdienst 
der  Israeliten  können  wir  Chamberlain  in  seiner  Auffassung  von  dem 
israelitiscfaeD  Jahve  in  jeder  Beziehung  folgen.  Zwar,  daß  dieser  Jahve 
im  Gegensatz  zu  den  arischen  Gottheiten,  die  als  im  AU  waltende 
Mächte  und  Kräfte  vorgestellt  werden,  sich  als  menschlich  vorgestellte 
Einzelpersönlichkeit  über  das  All  hinaushebt,  wird  von  ihm  ganz 
richtig  betont.  Ob  diese  Voi-steUung  als  minderwertig  anzusehen  ist, 
wird  sich  erst  herausstellen  können,  wenn  wir  an  Cbamberlains  Reli- 
gioDsideal  die  kritische  Sonde  legen.  Daß  ferner  der  willensstarke 
Israelit  in  seinem  Jahve  die  Verkcirperung  eines  überaus  mächtigen, 
kraftvollen,  nicht  selten  sogar  brutalen  Willens  gesehen  hat  ist  eben- 
falls nicht  zu  bestreiten.  Aber  eine  bedeutende  Einschränkung  bedarf 
Cbamberlains  Behauptung,  daß  der  willensstarke  Israelit  sich  seinen 
Oott  geradezu  als  »Inkarnation  der  Willkür«  vorgestellt  habe. 
Wenn  er  sich  dafür  namentlich  auf  das  Gesetz  beruft,  das  die  hetero- 
gensten und  einander  widersprechendsten  Forderungen  enthalte,  so  be- 
ichtet er  nicht,  daß  die  im  Gesetz  jetzt  nebeneinander  stehenden  Forde- 
rangen  aus  den  verschiedensten  Zeiten  stammen  und  daß  die  Tora  in  ihrer 
Gesamtheit  den  Niederschlag  eines  vielhundertjährigenrcligionsgeschich^ 
lieben  Prozesses  und  das  Produkt  der  verschiedensten  religiösen  Ström- 
ungen darstellt.  Nur  wer  die  Tora  als  eine  Einheit  auffaßt,  kann  sich  über 
die  Bontscheckigkeit  der  darin  enthaltenen  Forderunp:en  wundern  und 
daraus  auf  den  willkürlichen  Charakter  Jahves  8cbliel)en.  Das  hieße 
aber  den  Schein  mit  der  Wirklichkeit  verwechseln.  Daß  speziell  die 
kultischen  Gebote  auf  uns  vielfach  den  Eindruck  des  willkürlichen 
machen,  liegt  daran,  daß  wir  Modemen  den  Sinn  vieler  Verordnungen, 
der  in  den  religiösen  YorsteJlungen  einer  uralten  Zeit  wurzelt,  nicht 
mehr  ohne  weiteres  verstehen.  Viel  eher  als  auf  die  Tora  kann  sich 
Chamberlain  aber  auf  die  Tatsache  berufen,  daß  das  Israel  der  ältesten 
Zeit  sich  seinen  JahTu  wirklich  vielfach  als  willkürlich  und  launen- 
haft schaltend  und  wallend  votgeetellt  hat  Aber  neben  dieser  nie- 


^)  VeigL  Oaooft  Wibmwa,  OMtnunelte  Abhandtamgen  rar  lömischen  BeligioDS- 
ud  StadtReMOiicfata.  Mfindieii  1914.  B.  280  ff.  (BfimiMdie  OfitterbUder.) 


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216 


Aufsätze 


drigen  Vorstellung,  die  deutlich  in  dem  alten  Matterboden  der  Nator- 
religion,  der  Jahve  namentlich  als  Wettergott  galt,  wurzelt,  geht  doch 
schon  früh  (sicher  schon  seit  der  mosaischen  Zeit)  die  andere  einher, 
die  Jahvo  als  den  Vertreter  der  Recbtsidee  sehr  energisch  in  An* 
Spruch  nimmt,  ihn  also  ethisch  bestimmt  sein  läßt.  Damit  war  aber 
för  die  Willkür  Jahves  von  Tomherein  eine  sehr  bedeutsame  Schranke 
gezogen.  Gelegentlich  findet  sich  die  niedere  mit  der  höheren  Vor^ 
Stellung  in  sehr  merkwürdiger  Weise  kombiniert,  so  e.  B.  in  IL  Sam. 
Kap.  24.  Jahve  empfindet  hier  ein  scheinbar  ganz  unmotiviertes  Be- 
dürfnis, sich  einmal  an  David  gründlich  zn  reiben.  Da  haben  wir 
also  ganz  den  launenhaften,  willkürlichen  Jahve  der  Yolksreligioii. 
Da  er  aber  als  sittlicher  Gott,  der  er  sein  will,  das  nicht  ohne  einen 
Anlaß  seitens  Davids  tun  darf,  stiftet  er  den  David  zuvor  zu  einer 
Tat  (einer  Volkszählung)  an,  die  ein  gottliches  Eingreifen  nach  anti- 
kem EmpGnden  gerechtfertigt  erscheinen  Ififit.  Es  ist  ein  billiges 
Vergnügen,  sich  über  derartige  Stellen  lustig  zu  machen.  Aber  es 
wfire  verkehrt,  auf  Grand  einer  solchen  Stelle  ein  Verdikt  über  die 
Beligion  Israels  selbst  zu  föUen.  Es  hieße  das  den  komplizierten 
Charakter  dieser  Religion,  wie  wir  ihn  S.  126—128  dieser  Zeitschrift, 
geschildert  haben,  gröblich  veikennen.  Denn  derartige  Vorstellnngen 
wie  in  II.  Sam.  24  gehören  durchaus  der  volkstümlichen  Oberlieferung 
an  und  atmen  darum  den  Geist  der  alten  Volksreligion.  ^)  Wir 
müssen  aber,  um  die  eigentliche  Seele  der  Beligion  Israels  zu  spüren, 
vor  allem  den  prophetischen  Strang  dieser  Beligion  ins  Auge 
fassen.  Innerhalb  der  prophetischen  AnsprSgung  der  Beligion  Is- 
raels ist  aber  von  einer  Willkür  Jahves  nichts  mehr  zn  spüren. 
Jahve  ist  auch  hier  die  Verkörperung  eines  mSchtigen  Willens,  aber 
''dieser  Wille  hat  hier  den  sittlichen  Gedanken  ergriffen  und  in  sich 
aufgenommen  in  einer  Intensivität  und  mit  einer  Folgerichtigkeit, 
wie  es  bis  dahin  noch  nicht  der  Fall  gewesen  war.  Jahve  ist  hier 
die  verkörperte  Gerechtigkeit  und  Heiligkeit  im  höchsten  ethischen 
Sinne.  Er  trSgt  das  Sittengesetz  in  sich  und  könnte,  ohne  sein 
eigenes  Wesen  zu  verleugnen,  von  diesem  Gesetze  auch  nicht  einen 
Fingerbreit  abweichen.  Sieht  er  sich  doch  um  seines  ethischen  Cha- 
rakters willen  vor  die  harte  Notwendigkeit  gestellt,  sein  eigenes  Volk 
dem  Gerichte  der  Vernichtung  preiszugeben,  weil  es  das  göttliche 
Sittengesetz  hartnackig  unter  die  Füße  tritt  Auf  dieser  Stufe  der 
Gotteserkenntnis  —  es  ist  die  höchste,  die  nach  unserem  Urteil  die 


*)  Mau  beachte,  wiu  diese  Geüoliichtc  iu  I.  Cliroo.  21  vom  Scaudpuiii^te  einer 
apileren  Zeit  umgemodelt  ist 


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Baehtsch:  U.  St  Chamborlains  Vorstellungen  aber  die  Religion  usw.  217 


aatike  "Welt  überhaupt  aufzuweisen  hat  —  kann  von  Jahve  als  von 
einer  ^Inkarnation  der  Willküre  schlechterdings  nicht  melir  die  Rede 
sein.  Gewiß  würde  ja  nun  dieser  Jahve  als  Verkörperung^  des  sitt- 
lichen Gedankens  bei  Chamberlain  rocht  wenig  Gnade  finden,  denn 
was  hat  nach  ihm  Religion  mit  Sittlichkeit  zu  tun!  Aber  mag  er  ihn 
deshalb  von  seinem  Standpunkte  aus  immerliin  einen  idealisierten 
Götzen  schelten,  als  Inkarnation  der  Willkür  ihn  zu  charakterisieren, 
dazu  hat  er  schlechterdiiif^-s  kein  Recht.  Es  rächt  sich  hier  bei  ihm 
wieder,  daß  er  die  prophetische  Religion  Israels  für  die  Gesamtbe- 
urteilung der  israelitischen  Religion  nicht  zu  ihrem  gebührenden 
Becbte  kommen  und  in  dieser  Gesamtbeurteilung  sich  nur  die  Ein- 
drücke auswirken  liil5t.  die  ilim  von  der  hallilioidnischen  Volksreligion 
und  der  vielfach  engherzigeu  und  beschränkten  i^hesteireligion  her 
zugekommen  sind. 

Aus  diesem  Grunde  kann  er  auch  einer  solchen  Erscheinung, 
wie  sie  der  israelitische  Monotheismus  bietet,  unmöglich  gerecht 
^vorden.^)  Zwar  fehlt  es  auch  in  den  auf  diesen  Monotheismus  be- 
züglichen Partien  bei  ihm  nicht  an  sehr  richtigen  und  feinen  Be- 
obachtungen. So  zeigt  er  ein  feines  Verständnis  für  den  Unterschied 
zwischen  dem  israelitischen  Monotheismus  und  dem  monotheistischen 
Gedanken,  wie  er  sich  innerhalb  der  arischen  Keligioneu  heraus- 
gebildet hat  Während  in  den  arischen  Religionen  die  eine  Gottheit 
hinter  den  einzelnen  Göttern  als  ihren  Teilerscheinungen  stehe,  habe 
sich  in  Israel  Jahve  auf  Kosten  aller  tibrigen  Götter  aus  einem  Yolks- 
gotte  zum  alleinigen  Gott  emporgeschwungen.  Eine  gewisse  Be- 
rechtigung gegenüber  einer  gedankenlosen  Überschätzung  des  israe- 
litischen Monotheismus  als  solchen  im  Oegensatse  ztt  jeder  poly- 
theistischen Religionsform  enthält  auch  seine  Frage,  was  deiia  die 
Arithmetik  mit  Religion  zu  tun  habe.  Denn  höher  als  die  Frage 
nach  der  Zahl  der  Götter  steht  bei  der  Abschätzung  einer  Religion 
ohne  Zweifel  die  Frage  nach  der  Qualitüt  der  Gottheit.  Wäre  z.  B. 
der  Jahve  Israels  wirklich  die  kümmerliche  Gestalt^  für  die  Chamberlain 
ihn  ausgibt,  so  wäre  dieser  Jahve  in  seinem  monotheistischen  Auf- 
putz allerdings  eine  wahre  Karrikatur  von  einem  Gott,  die  denkbar 
Uksheriicbste  Ausgeburt  des  jüdischen  Größenwahns,  als  die  Chamber- 
liin  ihn  denn  auch  ganz  folgerichtig  in  Anspruch  nimmt. 

Aber  gerade  diese  kflmmerliohe,  lediglich  an  der  Yolksreligioii 


1)  Yeigl.  zu  diesem  Abschnitt  meine  eiogehende  AUiiiidluDg  fiber  »Eniatahang, 
iit  und  Otediiohte  dm  isnwlitisoheii  Monotheisimu«  im  FrotestantenUatt,  1904 
Hr.  46-51,  1905  Nr.  1  o.  folgende. 


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218 


Aufsätze 


und  der  PrieBterreliipoii  orientierte  Auftoniig  Ton  Jahve  ist  der 
Onmdfehlw  in  der  ChamberlainsoheiL  Argumentation,  der  ilim  die 
richtige  Einsieht  in  das  Wesen  des  israeJitiBohen  MonotheismiiB  eil 
für  aUemal  yersperrt  Wer  die  israeJitisohe  Beligionsgescdiicfate  in 
ihrem  innem  Zusammenhange  kennt,  der  weiß,  daß  dieser  Jahfe, 
der  fflr  das  Bewußtsein  der  Israeliten  nicht  nur  der  mächtigste  aller 
Götter  war,  sondern  der  auch  durch  seine  inneren,  ethischen  Quali- 
tftten  alle  andern  Götter  überragte,  von  Tomherein  darauf  angelegt 
war,  der  Gott  der  Götter  und  schließlich  der  alleinige  Gott  zu  werden. 
Es  verstand  sich  unter  solchen  Umständen  von  selbst,  daß  hier  der 
monotheistische  Gedanke  auf  einem  ganz  andern  Wege  zu  stände 
koDunen  mußte,  als  in  den  polytheistischen  arischen  Religionen, 
wo  er  nur  durch  Reduzierung  der  vielen  Götter  auf  ein  in  ihnen 
sich  offenbarendes  Göttliches  gewonnen  werden  konnte.  Auf  diesem 
letzten  Wege  sind  auch  die  monotheistisöhen  Ansätze  innerhalb  der 
babylonischen  und  ägyptisdien  Religion  zu  stände  gekommen,  was 
uns,  soweit  die  babylonische  Religion  in  Betracht  kommt,  beweist^ 
daß  dieser  Weg  eben  auch  für  semitisches  Denken,  sofern  ihm  in 
einer  polytheistischen  Religionsform  dafür  die  Voraussetzung  gegeben 
war,  gangbar  geiiiesen  ist,  und  daß  es  demnach  nicht  etwa  statthaft 
ist,  den  Gang,  den  die  monotheistische  Gedankenentwicklung  in  Israel 
genommen  hat,  aus  irgend  welcher  Armut  oder  gar  Bomiertiieit 
semitischen  Denkens  zu  erklären.  Ob  jener  andere  Weg  großartiger 
nnd  des  menschlichen  Geistes  würdiger  ist,  ist  eine  Frage,  die  hier, 
wo  es  sich  um  das  Yerständnls  historischer  Notwendigkeiten  handelt 
gar  nicht  mit  hineinspielen  darf.  Wir  haben  einfach  zu  konstatieren, 
daß  Israel  diesen  Weg  nicht  gehen  konnte,  weil  es  neben  Jahve  eben 
keine  gleichberechtigten  Qütter  in  Israel  gab,  die  mit  ihm  in  ein 
höheres  Göttliches  als  ihren  Generalnenner  hätten  aufgerechnet  werden 
können.  Und  Jahve  etwa  mit  den  Göttern  der  benachbarten  Völker^ 
an  deren  Existenz  ja  das  alte  Israel  durchaus  glaubte,  auf  eine  Stufe 
zu  stellen  und  diese  Gottheiten  dann  alle  als  Erscheinungsforraeii 
des  einen  GöttlichcMi  zu  betrachten,*)  ging  für  Israel  deshalb  nicht 
an,  weil  Jahve  als  ein  in  dem  Korne  seines  Wesens  ethischer  Gott 
nicht  mit  den  ethisch  indifferenten  Naturgottlieiten  auf  eine  Linie 
gestellt  werden  konnte.  Dieser  ethische  Jahve,  der  auf  Erden  nicht 
seinesgleichen  liatte,  war  eben  für  Israel  die  Verkörperung  des  Gött- 


')  Eioen  bemerkenswerten  Ansatz  dazu  macht  der  Prophet  Maleaohi  (1,  11). 
Nach  ihm  dienen  auch  die  Heidea  unbewußt  4om  oinea  Ootte,  den  er  allenUnf{B  in 
Jahve  verkörpert  sieht 


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Bjlkxsch:  H.  St  Cbamberlaius  VorstellaDgen  über  die  Beligion  osw.  219 


liehen  selbst.  Das  erkennen  heiJit  zugleich  die  Intoleranz  dieses  Oottes 

begreifen. 

Mit  dem  eigentümlichen  Wege,  auf  dem  die  monotheistische 
Gedankenbildung  in  Israel  zu  stände  kam,  hängen  nun  aber  weiter 
einige  eigentümliche  Erscheinungen  auf  das  engste  zusammen,  die 
den  Laien  oder  einen  voreingenommenen  Beobachter  wie  Chamberlain 
leicht  zu  den  ungünstigsten  aber  auch  ungerechtesten  Urteilen  über 
diesen  Monotheismus  veranlassen  können  und  Chamberlain  denn  auch 
in  der  Tat  veranlaßt  haben.  Während  nämlich  innerhalb  der  poly- 
theistischen Religionen  der  monotheistische  Gedanke,  sobald  er  nnr 
einmal  geahnt  ist,  auch  gleich  in  ziemlicher  Schärfe  erfaßt  und  in 
eine  deutliche  Formel  gefaßt  werden  kann,  vollzieht  sich  in  Israel  die 
monotheistische  Gedankenbildang  notwendig  auf  dem  Wege  eines 
sehr  langT\'ierigen,  oft  gehemmten  geschichtlichen  Prozesses.  Denn 
Jihve  hat  hier  nicht  nur  die  anderen  Götter,  sondern  gewissermaßen 
loch  sich  selb&t  zu  überwinden.  Die  alteingewurzelte  Yorstellung 
von  Jabve  als  dem  Nationalgotte  Israels  hängt  sich  wie  ein  schweres 
Bleigewicht  hemmend  an  den  emporstrebenden  monottioisti sehen  Ge- 
danken und  sucht  ihn  immer  wieder  in  die  nationale  Beschränkung 
zurückzuziehen.  Das  ist  selbst  bei  den  großen  Propheten  hin  und 
wieder  der  Fall.  Denn  auch  sie  haben  es  noch  nicht  recht  fertig 
gebracht,  die  Konsequenzen  des  monotheistischen  Gedankens  nach 
allen  Seiten  hin  zu  ziehen.  Zwar  fehlt  es  bei  ihnen  keineswegs  an 
deodsofaan  monotheistischen  Bekenntnissen,  aber  sie  setzen  Jahve  noch 
immer  in  eine  zn  ausschließliche,  wenn  freilich  anch  durchaus  sitt- 
lich bedingte,  also  nicht  unlösbare,  Beziehung  zn  Israel  und  sehen 
die  Heiden  nicht  als  gleichberechtigte  Kinder  des  einen  Gottes  an. 
Erst  als  im  Exil  die  nationalen  Schranken  durch  Aufhebung  des 
jodäischen  Staates  gefallen  waren,  kommt  bei  einem  Manne  wie 
Deaterojesaias,  dem  daher  auch  Chamberlain  alles  Becht  wider- 
fahren lifit,  der  monotheistische  Gedanke  mit  seinen  vollen  Kon- 
sequenzen zum  vollen  Durchbruch.  Deuterojesaias  erwartet  daß  auch 
die  Heidenvölker  sich  zu  dem  wahren  Gott  bekehren  und  mit  Israel 
eines  Heiles  teilhaftig  werden.  Erst  jetzt  ist  der  israelitische  Gottes- 
glanbe  von  seiner  nationalen  Basis  losgelöst  und  damit  die  Möglich- 
keit zn  einer  Entwicklung  der  Beligion  auf  eine  Stufe  hin  gegeben, 
anf  der  nicht  mehr  Israel  und  Jahve,  sondern  Gott  und  Mensch 
Gorrelata  and.  Dieser  Höhepunkt  ist  auf  alttestamentlichom  Boden 
in  nachexilischer  Zeit  annähernd  in  den  Proverbien  und  in  denkbar 
größter  Vollendung  im  Buche  Hieb  erreicht,  in  dem  nichts  mehr  an 
die  alte  nationale  Form  der  Beligion  erinnert   Das  zeigt  sioh  yor 


220 


AvlBlise 


allem  schon  darin,  daß  der  vorbildlich  fromme  Hiob  überhaupt  nicht 
als  Israelit,  sondern  als  ein  Ausländer  vorgestellt  wird.  Wertvolle 
Zeugnisse  dieses  universalen  Monotheismus  haben  wir  außer  in  einer 
ganzen  Anzahl  von  Psalmen  namentlich  noch  im  Buche  Buth  und 

Jona  zu  sehen. 

Freilich  darf  nicht  verschwiegen  werden,  daß  gerade  in  nach- 
exilischer  Zeit,  als  die  aus  dem  babylonischen  Exil  zurückgekehrten 
Juden  sich  zu  einer  ebenso  fest  in  sich  geschlossenen  wie  nach  aulicn 
hin  abgeschlossenen  theokratischen  Gemeinde  konstituiert  hatten,  der 
monotheistische  Gedanke  in  gewissen  Kreisen  —  aber,  wie  die  eben 
angeführten  Beispiele  zeigen,  durchaus  nicht  allgemein  —  wieder 
eine  räumliche  Beschränkung  auf  eben  diese  Gemeinde  erfuhr.  Üiis 
nachexilische  Priestergesetz,  die  Bücher  Esra-Nehemia  und  die 
Chronik  lassen  von  wahrhaft  monotheistischem  Geiste  im  universalen 
Sinne  recht  wenig  merken.  Darüber  darf  die  öfter  vorkommende 
Bezeichnung  Jahves  als  >Gott  des  Himmels,«  zumal  sie  sich  fast  nur 
in  den  Edikten  des  Perserkiiiiigs  findet  (!),  zuweilen  auch  im  ^lunde 
des  persischen  Beamten  Nehomia,  nicht  hinwegtauschen.  Die  Propheten 
Haggai  und  Sacharja  vertreten  zwar  einen  gewissen  universalen 
Monotheismus,  aber  er  zeigt  sich  durch  einen  reichlichen  Einschlag 
nationalen  Dünkels  und  materialistisch-egoistischer  Erwartungen  so 
entstellt,  daß  wir  nur  wenig  Freude  daran  haben.  Dasselbe  gilt  auch 
von  dem  berühmten  Kap.  Jes.  60,  das  die  Kirche  zur  Epistel-I^ktion 
für  das  Epiphaniasfest  bestimmt  hat.  Und  so  oft  sich  in  nachex iiischer 
Zeit  gar  politische  Selbständigkeitsbestrebungen  d.  h.  Bestrebungen 
auf  Wiederherstellung  des  alten  national(>n  Königtums  geltend  raachteu 
—  ich  erinnere  an  die  Zeit  Serubbabels  und  vor  allem  an  die 
Makkabaerzeit  —  da  wird  der  monotheistische  Jahve  geradezu  wieder 
zum  alten  Xationalgott,  der  die  Ileidenvölker  wie  Töpfergeschirr  zer- 
schmeißt und  dem  Könige  Israels  die  Königreiche  der  Welt  zu  seinen 
Füßen  legt  (Ps.  2.  und  110). 

Man  sieht:  der  israelitische  Monotheismus  ist  eine  überau«; 
komplizierte  Erscheinung,  innerhalb  deren  verschiedene  Richtungen 
wohl  zu  unterscheiden  und  für  sich  zu  würdigen  sind.  Dem,  der  diese 
Richtungen  kritiklos  ineinanderschaut,  ergibt  sieh  notwendig  ein  wahr- 
haft schaudererregendes  Zerrbild  von  einem  Monotheisnms,  der  diesen 
Namen  in  Wahrheit  gar  nicht  verdient.  Wer  aber  die  Richtungen 
auseinanderzuhalten  versteht,  der  sieht  in  ihrem  Widerstreit  das 
mächtige,  unserer  Bewunderung  niciit  unwerte,  Ringen  des  wahrhaft 
hohen  monotheistischen  Gedankens  mit  seinen  nationalen  und  parti- 
kularistischen  Entstellungen.  Der  monotheistische  Gedanke  ist  in  diesem 


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Babitrch:  H.  8t  Chamberlains  VoxsteUaDgen  über  die  Religion  nsw.  221 


Kampfe  nicht  untergegangen,  im  (Gegenteil,  dieser  Kampf  hat  nur  dasn 
beigetragen,  ihn  cur  VoUendnng  za  bringen.  Das  Christentam  hat 
in  seiner  Gottesvorstellung  an  ihn  angeknüpft  und  ihn  in  seiner 
christlichen  Vertiefung  ond  VeriDnerJiobang  für  alle  Zeiten  sicher- 
gestellt Für  das  innerlich  bankerott  gewordene  griechische  und 
rBmisohe  Heidentum  hat  er,  zumal  in  seinem  helienistisohen  Gewände, 
das  ihm  die  giiechisdie  Übersetzung  der  Septuaginta  verliehen,  und 
ia  dem  er  noch  viel  abgeklfirter  als  im  altteetamentlichen  Urtext  er- 
scheuil^  gewirkt  wie  ein  befruchtender  Begen  für  lechzendes  I^d. 
Aach  inneriialb  des  Judentums  hat  er  fortgewirkt,  wenn  dort  freilich 
aacb  die  einseitig  partikularistische  Ausprfigung  dieses  Gedankens, 
die  den  einen  Gott  in  zu  ausschliefiliohe  Beziehung  zu  den  Juden 
setzt,  die  Oberhand  behauptete,  wofür  zum  guten  Teil  freilich  der 
Dmc^  und  die  Yerfolgungen,  unter  denen  die  Judensofaaft  in  der 
Folge  zu  leiden  hatten,  die  Verantwortung  trägt  Wie  dem  aber 
auch  sein  möge,  jedenfalls  ist  Chamberlain  dem  israelitischen  Hono- 
thäsmus  nicht  gerecht  geworden,  weil  er  ihn  ans  Mangel  an  histo- 
lischem  Verstündnis  mit  einem  falschen  Mafistabe  gemessen  hat 

(SohlnA  folgt). 


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1.  Kongeniale  Geistesf&rsten 

(Schiller  u.  W.  v.  Humboldt) 
Yoti  Dr.  Susanaa  Kabinstein 

Die  Geisteswelt  des  18.  bis  ins  erste  Drittel  des  19.  Jahrhunderts 
hinein,  war  von  dem  äußerst  edlen  Zug,  nach  dem  Erkennen  an  sich, 
nach  dem  Erforschen  und  Enträtseln,  der  den  Weltprozeß  und  den  Kiiltar- 
prozeß  durchdringenden  Gesetze  —  rein  um  der  Selbsterhebung  willen  — 
beseelt  Es  war  ein  im  Ästhetischen  Sinne  interesseloser  und  idealer 
Eultofl.  Heate  ist  ee  anders,  heute  lenken  die  großen  ErruDgeoschata 
der  NatnrwisBenschaft,  den  Fonofaertrieb  auf  Nutsbannaohnng  der  im 
Kosmos  verborgenen  Kräfte.  Das  Losungswort  und  Schibolet  des  modttnen 
Zeitgeistes  ist:  praktische  Verwertung  der  physikaUechen  Kräfte;  sein 
Symbol  ist  das,  die  Sphären  durchsausende  geflügelte  Rad.  Dixs  Bildungs- 
ziel jener  stimmungsvoll  gesammelten  Zeit,  war  das  Eindringen  in  das 
anthropologische  Reich,  und  die  Mittel  und  Gesetze  zur  Erhebung  der 
Menschheit,  über  die  Not  und  Niedrigkeit  des  realen  Natura^ns,  zu  koo- 
stitoieren.  In  dieser  Bichtnng,  in  der  Bichtnng  der  auf  der  Mepachhmt 
interessierten  Forschung,  begegneten  sieh  swd  Geister,  auf  die  gegenseitig 
die  Reinheit  ihres  Wdlens  eine  besondere  Affinitit  übte;  diese  swei 
Geister,  die  kaum  oder  nur  von  Vereinzelten  zusammen  genannt  werden, 
waren  Schiller  und  der  um  8  Jahre  jüngere  Wilhelm  v.  llumboldt. 
Es  war  ein  gemeinsamer  erliabener  Zug  in  den  beiden  Freunden,  daß  sie 
über  das  meüschlich  Begrenzte  lünausdrangen,  und  in  ihrem  Denken  und 
Fühlen  den  Begriff  der  Menschheit,  in  der  TotaUtlt  seiner  Entwioklungs- 
Au^aben,  eifafiten.  Die  hohe  Stimmung  ihres  Yerkehis  yerwirküchte 
Humboldts  Wort:  »Das  hOchste  Ideal  des  Zusammenseins  menschlicher 
Wesen  'wäre  mir  dasjenige,  das  jeder  nur  aus  sich  selbst  und  um  seiner 
selbst  willen  sich  entwickelte.«  Der  erste  Teil  dieses  Ideals  —  das  sich 
aus  sich  selbst  entwickelte  —  traf  allerdings  vielmehr  auf  Schiller  —  dem 
weitaus  selbständigem  —  zu.    Diese  Überlegenheit,  die  Humboldt  unbe- 


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1.  JKongeiiiato  OaBtMfüisten 


223 


diogt  anerkannte,  trat  für  ihn  auch  cntschiedeii  in  dem  doppelten  Wissens- 
ffehiete  hervor,  der  beide  in  Verbindung  versetzte:  in  der  Ethik  und 
Ästhetik.  In  diesem  Ausschnitt  bestand  zwisclion  ihnen  eine  starke  CoTii- 
cidenz,  während  im  fil  ripen  die  Magnetnadel  dos  (Joistos  hei  jedem  nach 
anderer  Richtung  hinwies:  nach  Dichtung  und  Metai)iiy8ik  beim  einen, 
oadi  ÜD^stik  beim  andern.  Von  Schiliers  drei  Freunden,  die  er  sein 
»kritisehes  KleeUattc  nannte:  SQrner,  Ooethe  und  Humboldt,  stand  ihm 
der  letzte  am  nächsten.  Es  mr  nicht  Uofi  das  glelobartige  wissenschaft- 
liche Interesse,  es  war  auch  eine  lebhafte  persönliche  Sympathie,  was  sie 
aneinander  fesselte.  Das  Forsclien  nach  den  Grundgesetzen  des  Sittlichen 
und  den  Prinzipien  des  Schönen.  fCilirto  sie  in  ihrer  theoretischen  Bahn 
zusammen,  und  die  fein  ziselierte  Gefühlweise  beider,  wie  ilir  hoher 
idealer  Sinn,  nährte  die  persönliche  Zuneigung.  Der  positive  Gewinn  war 
auf  Hnmboldto  Seite,  er  sog  die  Frflchte  groß,  die  er  auf  Schillers  Boden 
pflügte.  SchilleTB  Gewinn  war  ein  theoretiscdi  rektiver;  Humboldt  yet- 
half  ihm  seine  eigenen  Ideen  sdineller  und  g^flcklicher  zu  entwickeln. 
Er  war  durch  seine  hervorstechende  Feinfühligkeit  und  durch  seinen 
kritischen  Takt  ungemein  befähigt  in  den  andern  einzugehen  und  seine 
Eisrenart  zu  assimilieren.  Schiller  rühmte  an  Humboldt,  daß  er  sciiarf 
unterscheide  und  vielseitig  verbinde.  Der  Verkehr  entfesselte  in  beiden 
die  innersten  Tiefen.  Schiller  äußerte,  daß  sie  sich  dort  verstanden,  wo 
flieh  niemand  Tenteht  also  in  den  snbjektiTsten  und  subtilsten  Regionen, 
fii  war  in  den  Jahren  von  Februar  1794  bis  Juli  1795,  wo  sie  sidi  in 
Jena  im  allabendlichen  Verirahr  durch  t  Geistesreibung  elektrisiertent. 
Dieses  hochgestimmte  Zusammensein  hatte  später  noch  eine  Fortsetzimg 
vrn  November  179(3  bis  April  1707.  Noch  im  Jahre  1803  bezeiclmcte 
Schiller  diese  Epochen  als  eine  ewig  unvergeßliche  Zeit;  und  noch  kurz 
vor  seinem  Tode  äußerte  er,  für  ihr  Einverständnis  seien  keine  Jahre  und 
keine  liäume  gewesen.  Humboldt  fand,  daß  Schillers  Persönlichkeit  sich 
am  mlchtigsten  und  glinseodsten  im  Gespiache  zeige  und  daB  er  in  der 
WiMsnschaftlichen  Diskussion  nicht  leicht  von  einem  andern  erreicht  werden 
künae,  ja  daß  er  darin  unvergleichlioh  sei.  Die  sehr  viel  reichere  und 
bewegtere  Triebkraft  besaß  natürlich  Schiller.  Humboldt  bewundert  und 
sdiAtzto  seine  unabhängige  Selbsttätigkeit  hocli  und  erkannte  mit  großer 
Verehrung  seine  dichterische  wie  metaphysische  außergewöhnliche  Be- 
gebung. Humboldt  mit  seinen  offenen,  empfänglichen  Sinn,  strebte  immer 
fnBck  das  Weltpanorama  nach  allen  seinen  Kichtungen  in  sich  aufzunehmen. 
ÖMz  besonders  war  aber  sein  Interesse  auf  das  Heosohentnm  gerichtet, 
sad  m  dieeem  Interaese  mag  auch  der  SprungqueU  seines  linguistischen 
Arbeitens  zu  suchen  sein.  Schiller  hingegen  gab  mch  der  angestrengtesten 
Prrxluktivität  hin,  der  in  ihm  wogende  Ideengang,  die  mannigfach  reich 
gestaltende  Phantasie,  drängten  ihn;  das  wogende  Leben  war  wie  ein  be- 
legter Strom  in  ihm,  den  er  nicht  stauen  konnte,  weil  er  sein  ganzes 
Sein  fortriß.  Die  energische  Kraft  und  der  Reichtum  von  Schillers 
ScfaOpfoDgsfähigkeit  gehört  zu  den  seltensten  Olanzerscheinungen  im 
Menschentum.  Das  erkannte  Humboldt  sehr  klar,  und  mit  seinem  welchen 
und  subtilen  Anempfinden,  drang  er  durch  Schillere  Pers5nlicfakeit  in  die 


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224 


MHtefluDgen 


innerlichste  AV(>rkstatt,  in  das  geistige  Laboratorium  seines  Ai  neilens.  In 
den  Vorerinueniugen  zu  Schillers  Briefen,  die  Humboldt  im  Jalire  1830 
herausgab,  stellte  er  fest,  daB  Schillen  »Diehtergenle  auf  das  engste  an 
das  Denken  in  allen  HOhen  und  Tiefen  geknflpft  gewesen«.   Ib*  sah  in 
ihm  den  Meister  des  Lehrgedichtes  und  des  idealen  philosophischen  Stils. 
Und  fand,  daß  er  die  Eänheit  der  Idee  von  Philosophie  und  Poesie  ver- 
körpern.   Scliiller  hingegen  sprach  seinem  Freunde  geniale  Begabung  ab; 
Humboldt  war  für  ihn,  wie  für  den  gemeinsamen  Freund  Kömcr,  eine 
>breite  Fläche«.    Diese  Fläche  war  jedoch  von  einer  außerordentlich  fein 
vibrierenden  Rezeptivität,  und  daher  konnte  sich  Humboldt  leicht  in  jeder 
fcemden  Innerlichkeit  orientiefen,  iros  der  Nerr  seiner  loitisohen  Begabung 
war.   Seine  Kritik  mhte  auf  intnitives  Erfassen  der  persflnlichen  Indivi- 
dualitAt   Es  war  etwas  wie  ein  Zug  weiblichen  HeUsehens,  übertragen 
auf  das  intolloktnollc  Orlaet.    Aber  auch  dos  zarte  Zaudern,  mit  dem 
Humboldt  seine  Kritik  abgab,   die  Rücksicht  auf  das  Selbstgefühl  des 
andern,  die  dem  Urteil  Schmelz  aber  auch  Mattigkeit  verlieh  —  hatte 
etwas  weibliches,  und  unterschied  sich  von  der  keruliaft  schneidigen  Kritik- 
weise Körners.    Humboldts  feministische  Verwandtschaft  ging  aus  seiner 
lebhaften  EmpfindungssphAre  hervor.   Das  Register  der  EmpfindungstOne 
war  bei  ihm  sehr  reich,  und  da  vibrierte  und  ritlerte  es  so  nnansspreck- 
lich  und  so  wcchselvolif  dafi  daraus  ein  eigenartiges  Yerbalten,  imd  oft 
verschwebende  Zustände  von  begrifflichw  Unklarheit  entstanden.  Diese 
sensitive  Richtung  in  Humboldts  Wesen  war  so  stark  entwickelt,  wie  sie 
sein  Freund  Schiller  bei  seiner  eigenen  großen  Besonnenheit  nicht  geahnt 
zu  haben  scheint    Da  aber  Scliiller  die  sensible  Konstruktion  seines 
Freundes  übersah,  konnte  er  in  ihm  um  so  bestimmter  den  B^iiff  der 
Totalität  verkörpcart  sehen.   Dieser  Begriff  in  dem  SohiUar  den  Ausgleich 
von  Denken  und  Ffihlen,  von  Vernunft  und  Sinnlidikeit  snsammenfafite, 
war  seiner  Vorliebe  für  die  beseligende  hellenische  Eintracht  entlehnt 
Allei'dings  kam  Humboldt  dieser  harmonischen  Friedlichkeit  viel  näher  als 
der   gilronde,    rastlos   treibende  Ijcbensgeist  Schillers.     Und  der  starke 
Timbr  seiner  sinnlichen  Empfindsamkeit  war  fast  kein  Hindernis  für  diesen 
Vergleich.  In  der  Harmonie  der  Griechen  war  auch  die  Sinnesempfindung 
betont,  nur  war  sie  auf  die  Anschauung  gerichtet,  bei  Humboldt  mdndete 
sie  in  das  OemQt   Die  innere  Eintracht  bedingt  aber  auch  die  inners 
»matte  Flache«;  die  Totalittt«  dieses  hAchste  Ziel  der  Kultur,  nimmt  sich 
fthnlich  aus,  wie  eine  fortgesetzte  Sabatfeier,  wie  das  pensionierte  Greisen- 
tum.    Es  ist  Schluß.     Aus  dieser   feindlichen  Windstille,   erklärt  sich 
Humboldts  Mangel  an  Schaffonsfähigkeit ,   doch   mochte  sie  sehr  seine 
kritische  Begabung  fördern:   denn  zum  sezieien.    j>rüfen  und  verbinden, 
mag  die  gelassene  Stimmung,  bei  hoher  Intelligeuz,  sehr  geeignet  sein. 
Nicht  minder  ergibt  sich  aus  dieser  ruhig  Adlden  Natur  die  Stfttigkeit 
und  die  Treue,  die  Humboldt  nachgerühmt  wird.   Dieses  lautere  Oleich- 
gewicht war  ihm  von  Jugraid  auf  eigen  nnd  blieb  unverändert  bis  suletzl, 
weshalb  das  Wort  der  Rahel:  »Humboldt  ist  von  keinem  Alters  als  so 
ti-effend  galt.   In  seinen  spRtern  Loben  steigen  trat  noch  ein  zweites  Momeut 
'AM  soinem  Qräcizismus  hinzu,  das  auf  den  Bestand  seines  heitern  Gleich* 


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1.  Kongeniale  GeistesförBten 


225 


jnaßo«?  einwirkte,  dieses  war,  der  sich  in  ihm  konsolidierende  feste  Ud- 
stcrblichkeitsglaube.    llumholdt  schHpfto  den  Glaubeu,  an  ein  fx^rsönliches 
Fortbestehen,  aus  der  großen  Macht  der  Liebe.    Daß  er  sicli  ans  einem 
gefühlsiouigen,  psychischen  Argument,  den  Schlüssel  zuui  metaphysischen 
Bitsalrcich  drehte,  tragt  ebeo&IlB  einen  weiblichen  Zug  an  sich.  Auch 
in  dieaer  grofieo  und  dnoklen  Wngd  mst  Schiller  nnabhlogiger  und  reeo- 
luter,  der  Tod  war  für  ihn  ein  undurchdringbares  Gesetz,  das  man  mit 
Fassung  hiuzunehtnea  habe.    »Das  Allgemeine  ist  kein  Übel«  —  sa^e  er 
sterbend.  Die  innere  Freiheit,  die  ihm  —  im  Sinne  Itants  —  das  Funda- 
ment der  Sittlichkeit  war,  d.  h.  das  Übergewicht  der  Vernunft  über  die 
subjektive  Empfindung,  bewies  er  auch  in  seiner  ganzen  Lebensführung. 
Leben  und  Lehre  war  für  diesen  hehren  Priester  eins.   Allerdings  lag  es 
iiidi  in  der  üubenetnhlenden  Fülle  seiner  Phantasie^  in  dem  wogenden 
quellenden  Beichtnm  seiner  Innenwelt,  daB  er  sich  mOhelcB  »in  den  heitern 
Kegionen,  wo  die  reinen  Formen  wohnen«  erhalten  Iconnte.  Cber  Humboldts 
Inneowesen  ist  ein  leichter  Hauch  des  Mystizismus,  wie  ein  ätherischer 
Silberschleier  gebreitet;  er  besitzt  eine  Affinität  zu  allem,  was  erhebt  und 
ins  Unendliche  führt,  und  möchte  von  den  Sternen,  den  Blumen,  insbe- 
sondere von  den  schaffenden  Geistern,  Empfindung  und  Genuß  einsaugen. 
Schiller  aber  steht,  wie  olympischer  Heros,  fest  auf  sich  selbst,  mit 
«DeEgiscfaer  Hand  greift  er  in  seinen  innero  Hord  nnd  teilt  ans  demselben 
den  Jahrhunderten  Besitztflmer  aa&  Der  Unterschied  in  ihren  Beschaffen- 
heiten, der  produktive  Begeistt'riir]f,^drang  Schiliers  und  die  rezeptive  g^ 
nießende    Empfänglichkeit   Humboldts    ist   durch   nachstehende  eigene 
lußenmgen  auf  das  prägnanteste  charakterisiert.     Bei   Gelegenheit  wo 
Schiller  über  den  Plan  einer  Idylle  redet,  gilit  or  seine  hoehgesi)annte 
Stimmung  in  den  Worten  kund:  »lauter  Licht,  lauter  Freiheit,  lauter  Ver- 
mögen, kein  Schatten  und  keine  Schranke«    —  wie  ein  von  seiner 
SohaABOskraft  getragener  Qott  dnrchkreist  er  das  Beich  der  ihm  su  Ge- 
bote stehenden  MCgMohkeit,  nnd  wie  hoch  diese  göttliche  SohOpferlust  ihn 
schwellt,  das  sagt  der  Zasatz,  daß  er  um  diese  Aufgaben  zu  lösen,  seine 
>ganze  Kraft  und  den  ganzen  ätherischen  Teil  seiner  Natur  noch  auf  ein- 
mal zusammennehmen  wolle«.  Doch  auch  Humboldts  unersättlicher  rezeptive 
Drang  drückt  seine  hohe  Natur  aus,  die  durch  ihren  heiligen  Dienst  im 
Tempel  der  Kultur  die  Schätze  derselben  der  Menschheit  näher  bringt 
Er  schreibt  an  Schiller:   »Der  Mensch  scheint  doch  einmal  dazu  da  an 
sein,  allee,  was  ihn  umgibt,  in  sein  BigeDtum,  in  das  Eigentum  seines 
Verstandes  su  Terwandeln  —  nnd  das  Leben  ist  Iran.  loh  möchte,  wenn 
ich  gehen  mnA,  so  wenig  als  möglich  hinterlassen,  das  ich  nicht  mit  mir 
in  fierübrong  gesetzt  hätte,  c 

In  einem  Punkte  trafen  aber  die  diverg-ierenden  Geistosachsen  innig  zu- 
sammen, das  war  im  Idealismus  und  im  hohen  Kultus  für  das  sittlich  und 
ästhetisch  Geläuterte,  in  welchem  auch  die  Aufgabe  und  das  Ziel  der 
menschlieitlichen  Vollendung  liegt.  Humboldt  war  nicht  minder  Idealist 
wie  sein  Rrennd.  Die  Ideen  waren  ihm  das  Höchste  in  der  Welt  Dafi 
er  diese  transzendentale  Urtypen  höher  stellte  als  jede  Verwirklicbnng, 
buin  sowohl  als  eine  Platonische  wie  als  eine  Eantische  Beeinflussung 

ZMiiift  ttr  FUIoMpU«  ttod  FUiVog^   la.  Jabigug.  15 


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226 


lütteiluiigea 


gelten.    Humboldt  war  tief  ins  Griechentum  eingedrungen  und  mit  Kants 
Oeisteswelt  wohl  vertraut.    War  ihm  in  letzter  Richtung  Schiller  sehr 
Btark  überlegen,  so  war  er  ihm  dafür  sehr  zurück  in  der  Kenntnis  dei> 
Uaadacliea  Hellas.   Schiller  schitste  sehr  Hnmboldis  KenntnisBe  des 
grieehiicheo  Gdstes  und  fimd  sieh  dansh  dieseLben  lebhaft  aageragt  Dm 
war  fOr  ihn  ein  positiver  theoretischer  Gewinn  aus  dem  Verkehr.  Aob 
BeUaa  schöpften  und  nährten  sie  den  Sinn  für  das  Element  des  Schöneo 
im  nllgomeinen,  für  den  ethisch -ilstheti sehen  Begriff  des  Einklangs,  der 
Harmonie  von  Denken  und  Fühlen,  in  seiner  Anwendung  auf  iraraaneDte 
Verhältnisse.    Doch  auf  der  Basis  von   Kants  Lehrgebäude  entwickelte 
Schiller  seine  objektive  Begründung  des  Sittlichen  und  des  Schönen.  Aus 
Eants  antoDomen  Maohteprooh:  »Bestimme  dich  aus  dir  selbsU  —  diesem 
Orundaxiom  des  Sittlichen  —  deduzierte  Schiller  auch  den  objektiTeD  onl 
tiieoretischen  Grand  des  Schönen.    Schönheit  ist  Freiheit  in  der  Encfafli- 
nuDg;  d.  h.  das  schöne  Objekt  muß  den  Schein  haben,  als  h&tte  es  aus 
sich  selbst  die  Teile  zu  seiner  Charakteristik  bestimmt.     Sohin  ist  «las 
Sittliche  mit  dem  Schönen  an  seiner  prinzipiellen  \Vuizelfai;er  identisch 
verbunden.    Die  Probleme  des  Ethischen  und  Ästhetischen  waren  Haupt- 
anregung in  den  Diskossionen  der  bdden  Freunde.    Und  der  Kompas  der 
damaligen  Forsdierwelt  wies  konstant  nsch  der  Richtung  Jan,  wo  Yer> 
einigung  des  Getrennten,  Anslogie  des  Entgegengesetzten,  zu  sudieii  ssL 
Es  schwirrte  ein  Streben  in  den  hoben  Denkerregionen,  die  natni'philo- 
sopliisclio  Gesetzeseinheit  des   empirisch  Getrennten   zu   ergründen.  In 
Schellings  Identitäts])hilnsnphie  tmt  dies  als  Bezogenheit  auf  das  ganze 
kosmische  All  hervor.    Erlolgrcicher  bewährte  sich  dieses  Streben  in  ein- 
zelnen Abteilungen  des  Denkerreichs.  Allen  voran  gab  Schillers  vereinigende 
Totalität  diesem  Problem  die  Wdhe  eines  scharfsinnigen  Ideals.  Auch 
Humboldts  Denken  war  von  diesem  Ftoblem  impifigniert,  und  tou  seinen 
zwei  berQhmteD,  in  Scfailleirs  floren  veEQffientlichten  Abhaiidlungen,  ist  us- 
besondere  die  erste:  ȟber  den  Qeschlechtsunterschied  und  deren  EinfloS 
auf  die  organische  Natur«  —  davon  getragen.    Die  beiden  Schillerschen 
Grundbegriffe:    Der  Antagonismus  und  die  Identität,  sind  die  Bausteine 
dieser  Schrift.    Erst  entwickelt  er  darin  den  Gegensatz  in  der  Charakte- 
ristik der  Geschlechter:  Selbsttätigkeit  ist  die  Signatur  des  männlicheo, 
und  Empfänglichkeit  die  des  weiblichen  Geschlechts  —  daianf  wird  pemllel 
diesem  Dualismus  ein  geistiger  statuiert   Auch  im  Intellskt  bestäie  ein 
sweifiusher  üntnsdiied.    Und  diese  kOrperlicdis  und  geistige  DupUzitit 
überbriUdtt  dieselbe  Gesetzlichkeit  zur  Totalität.  Aus  diesem  Fundamental- 
gedanken spricht  deutlich  die  Verwandtschaft  mit  Schillers  I>ehrsatz:  daß 
parallel  der  Zweckmäßigkeit  der  Naturordnung,   walte  das   Gesetz  der 
moralischen  Weltordnung.    Nachdem  Humboldt  mit  duftig  feinen  Nuancen 
und  mit  i-eiclieo  Empiindungstöneu  —  wenngleich  etwas  zu  weitschweifig 
und  etwas  zerEIosBen  —  den  Dualismus  der  GesoUediter  in  der  Katar 
durofagefOhrt  hat,  schildert  er  das  Widerspiel  desselben  im  Intellekt  In 
beiden  von  den  nftmlichen  Grundgesetzen  behsctschten  Gebieten  ist  die 
Doppelgeschleohtlichkeit  die  Triebkraft  des  Lebens.  Die  geistige  Schaffens- 
kraft, die  ^nen  Abglanz  der  Schöpfungsmacht  darstellt,  ist  das  Qeoi& 


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1.  KoDgeoiale  Qeiaieafüzsten 


227 


Das  Genie  ist  die  Potenz,  welche  geistige  Gebilde  in  die  Welt  setzt.  Das 
formende  Genie  ist  das  Pendant  zum  ßelbsttiitip-  männlichen  Charakter, 
das  stoffliche  Genie  ist  Repräsentant  des  empfindenden  weiblichen  Wesens. 
Das  Fornigenie  wirkt  freier  durch  Vorheri-schaft  der  Vernunft  Das  stoff- 
liche Genie  hingegen  ist  leioher  durah  die  FUle  der  anfnehmenden  sIdq- 
liehen  Eindrflcke  und  wkt.  durah  Übennacht  der  Phantasie.  Die  Beminis- 
lensen  an  Schiller  häufen  sich  hier  auf  Schritt  und  Tritt  So  mahnt  die 
Unterscheidung  der  dualistischen  Genies,  an  den  Menschen  als  »Person  c 
und  den  Menschen  als  »Zustand«  in  den  ästhetischen  Rriofen.  Noch 
markanter  ist  die  Verwandtschaft  von  diesen  zweifachen  Genies  mit  Schillers 
Entwicklung  des  naiven  und  sentinientaiischen  Genies,  in  der  unvergäng^- 
lich  gro&utigen  Schrift  über  diese  Dichtungsarten.  Im  Ausgangspunkt,  im 
Besnmö  der  Anaführaog,  widertOnt  der  Tersöhnlicfae  Gedanke  Tom  teleo- 
iQgisehen  Zusammenwirken  des  Entgegengesetsten.  »Indem  alles  Mlan- 
liche  angestrengte  Energie,  alles  Weibliche  beharrliches  Ausdauern  besitzt, 
bildet  die  unaufhörliche  Wechselwirkung  von  beiden  die  unbeschränkte 
Kraft  der  Natur.«  Ähnliches  offenbart  die  Produktionsgabe  des  Genies. 
Jedes  echte  Kunstwerk  ist  die  Frucht  einer  freien,  auf  sicii  selbst  ge- 
gründeten Kraft,  dennoch  kann  erst  die  Vereinigung  von  männlicher  Ver- 
nunft mit  weiblicher  Phantasie  zugleich  Tiefe  und  reizende  Anmut  ge- 

Humboldts  zweite  in  den  Hören  erschienene  Abhandlung  ist  die  »Uber 

die  männliche  und  weibliche  Form«;  somit  ein  analoges  Motiv,  Das 
Problem  der  Geschlechter  übte  offenbar  eine  lebhafte  Anziehung  auf 
Humboldts  weiche  und  emitfängliche  Natur  aus.  und  er  behandelte  es 
auch  hier  teilweise  stimmungsvoll  imd  teilweise  abstrakt  Es  war  in  ihm 
noch  ein  Überschuß,  ein  Plus  des  auf  die  Menschheit  gerichteten  Inter- 
esses, was  sich  diesem  Problem  zuwandte.  In  der  jetzigen  Schrift  ist 
SehiUem  ISnfluA  womöglich  noch  markanter,  doch  steht  de  auch  unter 
HdhM  Palladium.  Für  beide  Richtungen  kann  der  nachfolgende  Aus- 
spruch von  Schiller  als  verborgener  Text  der  Durchführung  gelten.  >Dem 
Griechen  ist  die  Natur  nie  bloß  Natur,  danim  darf  er  nicht  erröten,  sie 
zu  ehren;  ihm  ist  die  Vernunft  niemals  bloß  Vernunft:  darum  darf  er 
nicht  zittern,  unter  ihren  Maßstab  zu  treten.  Natur  und  Sittlichkeit, 
Materie  und  Geist,  Erde  und  Himmel  fließen  wunderbar  schön  in  seinen 
Dichtungen  zusammen.«  (Anmut  und  Wflrde.)  Die  YeipersOnlichung  der 
Ueen  im  Olymp  ist  Ausgangspunkt  der  EntwicUong;  und  ans  ,diesem 
AiMgang  blinkt  griediisofae  wto  Sdiillerisohe  Anregung,  denn  er  mahnt 
staik  an  den  sinnvoll  mythischen  Eingang  zu  »Anmut  und  Würde <,  wie 
an  die  glänzende  Schilderung  der  Inno  Ludovisi  (15.  Brief  über  ästhe- 
tische Erziehung«).  Dieses  Volk,  das  »den  verborgenen  Charakter  eines 
Wesens  in  seiner  noch  imentfalteten  Knospe  zu  pflücken  und  in  dieser 
Zartheit  mit  einer  Gestalt  zu  umgeben«  verstand,  hat  in  der  Venus  daa 
Ueal  der  Weibliohkeit  in  allen  seinen  Einzelheiten  aur  Dantallung  ge- 
biacht  »Was  unser  dunUee  GefQhl  von  der  weihUchen  Bildung  erwartet, 
finden  wir  in  ihr  am  leichtesten  wieder.«  Hingegen  ist  in  keiner  mythi- 
achen  Gestalt  ^in  dieser  Vollkommenheit  das  Ideal  reiner  MAnnüohkeit  aus- 


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228 


Mitteilongen 


geprägt.  Darin  liegt  schon  Humboldts  resTimierender  Gedanke  von  der 
größern  Eignung  des  Mannes  zur  pemislosen  Menschheit  vorgebaut.  Die 
b^te  YerkörperuDg  der  Idee  des  Mannes  ist  der  farnesische  Herkules. 
Bei  der  SehOnheit  de«  W^bes  »wird  mehr  QtfBhl  durah  die  freie  nUle 
des  SloffeB  und  doieh  liehUche  Annrat  der  ZUge  befriedigt«.  "WUirad 
»bei  der  SchOnhett  des  Mannee  mehr  der  Verstand  durch  die  Oberherr- 
schaft der  Form  und  durch  die  kiinstmäßige  Bestimmtheit  der  Züge«  in 
Betracht  kommt.  Die  Unterscheidung  der  beiden  Arten  von  Schönheit  ist 
"von  Blüten  der  hochgestimraten  Schillerschen  Schönheitslehre,  wie  man  sie 
aas  »Anmut  und  Würde«  und  noch  ausgereifter  aus  den  ästhetischen 
Briefen  kennt  —  durchwirkt  Insbesondere  ist  Schülers  analytische  Untere 
eoohoog  der  eoeigiBciheii  und  Hchmeleenden  SöhBuheit  (16. — 83.  Brief)  tiel 
beoetst  Die  üefBioiiige  tranuendentale  Foceohnng  wbd  aotfaxopokgisdi 
gewendet,  das  Abstrakte  wird  vermenschlicht  Und  angeregt  daven,  dal 
Schiller  das  Ziel  beider  Arten  des  Schönen  in  deren  Vereinigung  zum 
Idealschönen  erblickt,  findet  Humboldt,  daß  die  Konsnramation  beider  Ge- 
schlechter in  eiuem  geschlechtslosen  Menschen  der  Höhepunkt  des  schöpfe- 
rischen Hervorbringens  wäre.  Docli  wie  nach  Schillers  Elrraessen.  ein 
solches  Gleichgewicht  von  Vernunft  und  Sinnlichkeit,  eine  solche  harmo- 
niBohe  Weohaelwirkung  von  IVeiheit  mid  Notwendigkeit,  wie  eie  dee  Id«d- 
•difine  erfordert,  nieoudB  verwirklicht  werden  kann,  ao  kann  nach  Humboldt 
dieser  Ausgleich  von  Selbsttätigkeit  nnd  EmpfÜnglichkeit,  welcher  den 
über  alle  Eigentümlichkeit  der  Oattimg  stehenden  geschlechtslosen  Ideal- 
menschen begründen  würde,  nur  in  der  Einlnldnnjjskmft  vorgestellt  werden. 
Dem  Manne  aber  ist  es  durch  seine  innere  Freiheit  eher  gestattet,  sich 
dem  Ideal  eines  geschlechtslosen  Menschen  anzunähern,  als  dem  Weibe; 
dessen  Charakter  der  Art  nach  zwar  voUkommeuer  als  der  des  Mannes 
ist^  dooh  dem  Qrade  nach  stehe  er  gegen  diesen  sarOok. 

In  dem  feinsinnig  abgetOnton,  tiefdmpohdaohten,  doch  etwas  unebnen 
nnd  weilsaihweifig  auseinandergehenden  Vortrag  ist  Hangel  an  plssljsnhff 
PMgnanz,  an  organisch  festem  Bau,  fühlbar. 

Diese  zweite  Publikation  der  Hören  ist  noch  reicher  als  die  frflhere 
von  Schillers  Gheistesblüten  durchsetzt  Doch  aus  ihrem  Spiegelbild  übten 
einzelne  Züge  eine  rückwirkende  Belebung  auf  Schiller  aus,  und  Besultate 
dieser  sind  seine  Gedichte  »Würde  der  Frauen«  und  »Die  Oeechleofater«. 
An  venohiedeDSQ  Stellen  derselben  sind  Humboldts  BekinchtungSD  kUcper- 
haft  sohfln  ausmodeUktt  So  s.  R  »la  der  minnlidhen  Gestalt  ist  Ob«^ 
gewicht  der  Knft  ohankterisiert.  Mit  Schnelligkeit  sehen  wir  sie  daher 
die  Muskeln  anspannen.  Mit  Heftigkeit  sich  aller  hindernden  Masse  ent- 
ledigen.« Und  Schiller  singt:  »In  der  Männer  Herrschgebiete  gilt  der 
Stärke  trotzig  Recht«  Weiter  sagt  Humboldt:  »Die  weibliche  Form  be- 
2aubert  zuerst  die  Sinne  durch  ihre  Anmut«  Da  aber  »die  Fülle  sion- 
liofaflii  Beiles  nur  Ausdruck  zarter  und  feiner  OeisUgkeit  istc,  so  llisit 
die  sinnlidie  Empfindung«  in  unentweihter  Reinheit  in  die  geistige  fiber«. 
Und  dies  gibt  Schiller  in  der  dichterischen  ümbilduog.  »Und  in  der 
Grazie  züchtigen  Schleier,  nfthren  sie  wachsam  das  ewige  Feuer  sohOMr 
QefOhle  mit  heiliger  Hand.« 


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2.  Baltaaar  Oraoian  nnd  seine  Philosophie 


22^ 


Humboldt  äußerte:  es  sei  ihm  »ein  unbeschreibliches  Gefühl  gewesen, 
Dinpe,  über  die  er  so  oft  gedacht  und  die  mit  seinem  Wesen  verwebt 
seien,  in  einer  so  schönen  and  angemessenen  Diktion  ausgeprägt  zu  finden 


2.  Bftltagar  Graoian  und  seine  PliilOBophie^) 

Von  dem  Leben  Gracians  ist  nur  wenig  bekannt.  Im  Jahre  1C66 
schrieb  von  ihm  der  Reisende  Aarsens  von  Sommerdyck,  als  er  den  Qe- 
Imlsort  des  Philosophen,  Calata^md  in  AragonieD,  anf  Beiner  WandeniDg 
berflhite:  »Ei  ist  ein  SohrifisteUer  unserer  Zeit,  welcher  von  den  Spuiein 

hochgeachtet  wird.  .  .  .  Seneca  und  Tacitus  haben  in  der  Stilistik  im  Ter» 
gleich  Z11  ihm  nichts  verstanden,  und  wenn  man  von  ersterem  behaupten 
kann,  daß  sein  Stil  ,Sand  ohne  Kalk'  ist  und  von  der  geheimnisvollen 
Schreibart  des  andern,  daß  sie  mehr  enthält,  als  sie  ausdrückt,  so  kann 
man  vom  Stile  Gracians  sagen:  Seine  Perioden  sind  so  schlecht  gebaut, 
nod  in  seioen  Worten  liegt  soviel  Zurückhaltung,  daß  der  Gedanke  sich 
dahinter  verbirgt  wie  ein  schledht  gefoSter  Diamant,  dessen  Licht  und 
GlaDz  nnr  halb  zur  Geltung  kommt.« 

Etwas  mißtrauisch  muß  man  sich  gegen  die  unzulänglichen  Behanp- 
tongeu  verhalten,  welche  der  amerikanische  Geschichtsschreiber  Geor^ 
Tickuor  über  unseren  Seliriftsteller  aufstellt,  in  seiner  »Geschichte  der 
schönen  Literatur  in  Si>anien<'  -  ),  wf^lche  bis  jetzt  das  umfangreicliste,  leider 
mit  vielen  Mängeln  behaftete,  liilismittel  füi-  das  Studium  der  spanischen 
liteiatnr  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  ist  Obgleich  wir  schon  in  Kail 
Borinshys  9Baltha8ar  Gradftn  und  die  Hofliteratur  in  Deutschland«,  Halle  a/8. 
1894,  sowie  in  der  Besprechung  dieses  Buches  durch  Artnro  FarineUi  in 
der  Zeitschrift  für  vergl.  Literaturgeschiclite,  Neue  Folge  IX  S.  369  ff. 
und  in  der  Revista  cn'tica  de  historia  y  litoiatnra  esp.,  port.  e  hisp.  am., 
Ma<Jrid,  Enero  de  189G,  einen  wesentlichen  Fortschritt  in  der  Forschung 
der  Fraf^e  zu  verzeichnen  haben,  so  wäre  doch  zu  wfinFchen,  daß  ein 
Homauist  dem  Leben  und  den  Werken  des  araguuischeu  Jcäuiteu  eine 
gnmdlegende  Arbeit  widmen  mOobte.') 

Eine  Zusammenstellung  des  geringen  biographischen  Materials,  welches 
bis  jetzt  über  ihn  Torhanden  ist^  kOnnte  nur  wenig  dazu  beitcsgen,  die- 

')  Entwurf  zu  oinetn  Vortrag  iui  Neusprachlichen  Verein  Ilaniburg-Altona. 

*)  Deutsch  mit  Zusätzen  herausgegeben  von  Nik.  Ueinr.  Julias.  Leipzig,. 
Bpockhans,  1862.  2  Bde.;  mit  Supplementband,  bearb.  von  Ad.  Wolf.  Ebenda 
1867.  —  8.  femer,  als  anderes  Bebpiel  der  veisohiedenartigen  Wertsdilltniig  einer 
mid  desselben  Schriftstellers,  Mr.  Graut  Duff's  Miscollanies  (1S78) 

*)  8f'lbst  nach  dem  Erstheinou  des  Werkes:  D.  Narciso  Josö  de  Lifian  y 
fleredia,  Baltasar  Gracinn  (1601-1658).  —  Madrid,  Asilo  de  huerfanos,  1902. 
102  pags.  y  8^  —  bleibt  obiger  Wunsch  bestehen,  denn  dieses  Werk,  welches 
vcsan  der  mdiaiistvollen  Bosehreibong  des  Lebens  OraaÜns  und  der  Analyse  des 
Gritioöiu  nicht  uaerwihnt  bleiben  darf,  wUl  nur  ein  Schritt  anf  dem  Wege  lom. 
ZMsaem. 


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280 


Mitteilnogen 


wesentlichen  Zöge  seiner  Philosophie  zu  erklären.  Wir  wollen  hier  auch 
nicht  die  sämtlichen  Titel  seiner  einzelnen  Werke  aufzählen,  die  bei  Ticknor 
(wenn  auch  nicht  vollßtändig  und  chronologisch  richtig)  mitgeteilt  sind 
Wir  begnügen  uns  mit  der  Angabe^  daß  von  den  alten  Ausgaben  eine 
aoUechter  als  die  andere  ist  und  daß  die  einsige  oeae  aUgemeiii  m- 
gSngfidie  (Büilioteca  de  Autoiee  Espafloke  de  BivadeDeiyiB,  tomo  65)  im- 
voUständig  und  schlecht  geordnet  ist.  Yorübergehend  sei  erwähnt,  dat 
Schopenhauer  die  Agudeza  y  Arte  de  ingenio  unter  dem  Titel  »Baltasar 
(Jraciäns  Handorakel  und  Kunst  der  Weltkhigkoit«,  Leipzig  1862  (4.  Ausg. 
1891),  übersetzt  hat  und  daß  er  in  einem  Briefe  an  Keil  (1832)  die  Ab- 
sicht ausgesproclien  hat,  auch  »el  Criticön«  zu  übersetzen,  wenn  er  einen 
Verleger  dafflr  finden  kOonte,  was  leider  nicht  eintrat^) 

Der  Fall  Qraoi&na  ist  in  Spanien  nidit  sdten:  dn  Mitglied  der 
tatfadisehen  Kirche  und  in  dieser  Kirche  der  Yertreter  eukss  OrdeoBf  dor 
orthodox  par  exoeiUenoe  sein  soll,  gibt  \ms  das  Beispiel  einer  solchn 
Freiheit  der  Auslegung,  einer  solchen  Unabhängigkeit  des  Urteils,  daß  man 
es  eher  mit  einem  jener  Heterodoxen  zu  tun  zu  haben  glaubt,  welche  die 
Inquisition  auszuwandern  nötigte,  mit  einem  Luis  Vives  oder  einem  Juan 
de  Yaides,  als  mit  dem  Rektor  eines  Jesuitenkollegiums.  Unter  seiner 
MOnöhskatte  awdit  man  Tergebens  eine  kirchliche  Seele:  der  Asketismos 
hat  den  Skeptiiiamus  eneugt;  in  dem  Mafie  ine  der  Körper  sich  vom 
Stoffe  befreit,  bewegt  sich  der  Geist  freier  und  unabhängiger  in  dem 
Beicfae  der  Spekulationen.  Mit  mehr  Recht  als  La  Rochefoucauld  h&tte 
Graciiin  pagon  knnnen:  »Ich  habe  zwar  Geist,  aber  einen  Geist,  welchen 
die  Schwermut  verdirbt.«  Man  hat  in  Graciun  im  allgemeinen  nur  einen 
Literaten,  einen  Conceptista  sehen  wollen,  den  Gesetzgeber  einer  Schule, 
die  man  nicht  mit  der  gongoristischen  Schule  der  cultos  verwechseln  darf, 
•wie  es  ninr  in  hSnfig  gesHshieht  Mancheemal  bekimpfl  er  in  seinem 
Critiofo  die  Anhänfong  fader  Allegoiien,  unerhörte  Ifetapbem  nnd  Tcopen, 
gekOnstelte  Antithesen,  nene  und  nngewohnt  angewendete  WOrter  und 
Phrasen,  wie  sie  bei  der  Sohnle  der  onltos  vorkommeiL  In  dieaer  Polemik 
liat  er  deutlich  angegeben,  was  man  unter  KonzcptismtiP  zu  verstehen  hat. 
Der  Konzeptismus  besteht  nach  Graciun  in  der  intellektuellen  Vision  des 
harmonischen  Zusammenhangs  zwischen  zwei  oder  drei  Konzepten.  (Agu- 
deza, Diso.  11^.)  Während  also  das  Bestreben  der  cultos  dahin  ging,  die 
Wortkomplikaftion  des  Gedankena  sn  eneidien,  besteht  das  der  Koniep- 
tistsn  darin,  dafi  sie  eine  intellektuelle  Yersinfaohung  des  Gedankens  be- 
absiohtigen.  Sie  versuchen  immer,  in  möglichst  wenig  Worte  einen  mög- 
lichst grofien  Sinn  einzuschließen.  Man  darf  also  nicht  den  Namen 
GraciÄns  mit  demjenigen  der  Gesohmacksverderber  jener  Zeit  verwechseln 
und  nicht  die  Schule  der  Konzeptisten  mit  derjenigen  der  Pröcieuses  in 
Frankreich,  der  Marinisten  in  Italien,  der  Euphuisten  in  England,  noch 
mit  den  schlesischen  Schulen  in  Deutöchiand. 


Betr.  die  deatschen  Überaetzungen  des  17.  Jahih.  sisiie  Adam  Sohaeider, 
Spaniens  Anteil  an  der  dentiohen  Utentar  des  Id.  und  17.  JahihnndeitB.  StraS* 
bugi.B.  1808.  8.  163  ft 


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2.  Baltasar  Oracian  and  seine  Philosophie 


231 


Aber  Gracian  hat  überhaupt  die  Stilfrage  mehr  als  eine  Nebenfrage 
und  nicht  als  Endzweck  betrachtet  Sein  Endzweck  ist  die  Erklätung  des 
LelfCnsrätsoLs  und  die  Verwirklichung  des  Glücksprobloms  Was  ist  nun 
(las  LeU'U  nach  Gracian?  Es  würde  zu  weit  führen,  auch  nur  die 
typischsten  Gedanken  hn  Critic6n  hier  vollstfindig  wiederzugeben,  in  denen 
die  peseimistisobe  LebenaanffaBsang  des  Jemiteo  in  ihrer  bewtiAten  nnd 
gefaßten  Tnuirigkeit  encheint  Nnr  ein  paar  der  hervonteeliendaten  aden 
hier  fibersetzt: 

»Alles  in  diesem  T^ben  geschieht  im  Scheine,  noch  besser  gesagt: 
in  der  Einbildung;  selbst  das  Wissen  ist  nur  ein  Phantom.«  — 

»Alle  Sterblichen  sind  Seiltänzer,  welche  der  Sicherheit  df^s  dünnen 
Fadens  eines  zerbrechlichen  Lebens  auf  Gnade  und  Ungnade  anheimgegeben 
sind:  Die  einen  iUlen  heute,  die  andern  morgen.  Anf  dieeeoi  Seile  er^ 
riohten  aie  nm  die  Wette  hohe  Bauten  nnd  nngefaenre  Luftsdüfiaeer, 
welche  ein  Schlag  des  Schicksals  umwerfen  kann.  Sie  wundem  sich  Aber 
die  Kühnheit  ihrer  Nachbarn,  welche  sich  auf  ein  festes  Seil  wagen  und 
vergessen  dabei,  daß  sie  s»^lbst  in  ihrer  wahnsinnigen  Hoffnung  auf  einem 
seidenen  Faden  fußen  oder  sogar  nur  auf  einem  Haar,  was  noch  zu  viel 
gesagt  ist,  vielmehr  nur  auf  einem  Spinnenfaden,  aucii  das  ist  noch  zu  viel 
gesagt,  vielmehr  nur  auf  dem  Lebensfaden,  welcher  dünnei  als  alle  andern 
llden  istc  — 

>In  dieser  Welt  geht  alles  Terkehrt  Die  Wahrheit  wird  verfolgt, 
das  Laster  erhält  Beifall;  der  Aufrichtigkeit  wird  der  Hund  versperrt,  die 
Vedenmdiuig  hat  hundert  MAuler.c  — 

>Der  Mensch  stirbt,  wann  er  anfangen  sollte  zu  leben;  unser  Leben 
ist  nur  ein  langsames  tägliches  Dahinsterben.«  — 

tist  diese  Welt  selbst  etwas  anderes  als  Wind?  Nimm  dem  mensch- 
üdien  Körper  die  Luft,  und  du  wirst  sehen,  was  davon  übrig  bleibte  — 

»Das  Elend  des  Heneoben  macht  sich  aus  seinem  Elend  eine 
IVophle.«  .  .  . 

In  Wirklichkeit  ist  dieser  Pessimismus,  so  ausgeprägt  und  kategorisch 
er  anch  sein  mag,  kaum  etwas  anderes  als  der  alte  Pessimismus  der 
christlichen  Mystiker  und  kfmnte  nicht  als  oiiginoll  golttM),  wt  im  er 
nicht  mit  so  starker  Oberzeugimg  und  in  so  bündige  Au^drucksweise 
abgefaßt  wäre  und  zwar  woniger  als  streng  geordnetes  System,  als 
u  zentreuten  Sprachen.  Was  den  Werken  Graciins  ihr  eigentOmliches 
OeprSge  gibt,  ist  der  Umstand,  dafi  er  neben  jener  negativen  Theorie  sich 
.bemüht  hat,  ein  poeitivee  Lehigebftude  aufzurichten,  um  die  zweite  Haupt- 
trage  des  menschlichen  Daseins  zu  lösen:  Zugegeben,  daß  das  Leben 
schlecht  ist,  wie  soll  man  dann  das  Glück  erreichen,  die  Grundbedingung 
der  Existenz?  —  Gracian  hoixuügt  sich  nicht  mit  dem  »Entbehren  sollst 
da,  sollst  entbehren!«  der  Stoiker.  Er  hat  ein  positives  materielles  Glück 
nötig,  und  auf  die  Lösung  des  Glücksproblems  richtet  er  die  ganze  Stärke 
•emer  intelkiktoeOen  BemAhung.  Der  »malicia«  der  Welt  setzt  er  die 
»miliciac  seines  hfooe,  seines  poHtico,  entgegen.  Wir  verzichten  hier 
darauf,  auseinanderzusetzen,  was  in  dieeem  wahrhaft  positiven  Teile  seines 
Werine  der  VeiiMser  seinen  spanischen  Yorlftufeim  und  den  »trattatistic 


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232 


IGtteihingea 


verdankt,  jenen  moralischen  und  politischen  Schriftstellern  Italiens,  eines 
Landes,  das  während  des  ganzen  16.  Jahrhunderts  die  Lehrerin  und  Er- 
ziehenn  Europas  geweseo  ist  Wir  begnOgen  uns  vielinehr  damit,  in 
einigen  Worten  die  Sanptsflge  seiner  Lehren  snsammenimfaeson; 

Der  Weise,  el  poUtico,  wird  nie  vergessen,  daß  das  Leben  ein  Kampf 
ist.  Dalier  wappnet  er  sich  gegen  die  Angriffe  der  Welt.  Die  Klnfrheit 
und  die  Vorsicht  sind  seine  Lioblingswaffen.  Auch  ein  Gran  Kühnheit 
ist  manchmal  von  großer  Wirkung.  Zeit  und  Raum  beherrschen  zu 
können,  warten  zu  können,  ist  die  größte  Kunst  Die  Grundbedingung, 
um  in  djeser  Kunst  Heister  su  sdn,  ist  die  »ospaddadc  Wir  mflssen 
Kenntnisse  fiber  Kenntnisse  sammeln.  Mso  kann  nie  zuviel  wissen.  Wer 
am  besten  gerüstet  ist,  hat  am  mdsten  Aussioht  su  geiwinnen.  Daher 
hat  König  Ferdinand  (Ferd.  Y.,  der  Katholische,  1452—1516)  neue  König- 
reiche zu  erobern  verstanden.  Die  wahre  Kraft  liorrt  im  Individuum;  alle 
menschlichen  Erfolsro  sind  das  Ergebnis  individueller  Kräfte:  Der  einzelne 
Mensch,  nicht  die  i^voWo  Monge,  ist  Lenker  des  Schicksiils.  Aber  um  Herr 
über  andere  zu  sein,  muß  man  vorher  Herr  über  sich  selbst  sein  können. 
Man  mufi  sidi  verstellen  kOnnen:  Die  Sanftheit  der  Taube  mnfi  beim  h6a» 
gemildert  werden  durch  die  Klugheit  der  Schlange.  Etwas  wissen  und 
sein  Wissen  zu  seigen  verstehen,  heiAt  doppelt  gelehrt  sein.  Die  Ver- 
achtung ist  manchmal  eine  feine  Waffe  auf  dem  Wege  zum  Ziele.  Man 
soll  sieh  jnonschlielipr  Mittel  bedienen,  als  ob  es  göttliche  nicht  gäbe. 
Wenn  man  ater  einmal  zu  einem  göttlichen  Mittel  greift,  so  muß  man 
vergessen,  daß  es  auch  mensclilicho  gibt.  Zur  rechten  Zeit  zu  handeln, 
für  alles  den  geeigneten  Zeitpunkt  zu  ti-effen,  seine  Ware  an  den  Mann 
SU  bringen  —  auch  die  Wahrheit  ist  eine  Msrktware:  todo  es  meroanda 
en  el  mundo,  tambito  hi  verdad  —  bei  allen  Dingen  gersde  das  Passende 
SU  treffen,  alle  Dinge  im  richtigen  Augenblicke  zu  genießen:  darin  besteht 
nach  Gracian  der  Geschmack  (el  gusto).  Der  Geschmack  ist  demnach 
eine  Folge  der  Kultur  und  nicht  eine  angeVioreue  Gabe.  (El  gusto  y  la 
cultura  estan  en  reciproca  relaciön.)  Der  Gipfel  des  Geschmacks  ist  der 
despejo,  ein  unübersetzbares  Wort,  welches  dem  »je  ne  sais  quoi«  der 
Ästhetiker  eutspiicht,  über  dessen  Ergründung  man  schon  soviel  Sdiwin 
auf  Weiß  gesetzt  hat.  Sobald  el  despejo  existiert,  ist  die  Seele  schOn 
geworden,  hat  sie  ihre  volle  Entwicklung  erreicht  Der  hto»  ist  des 
Fußgestells  wfbrdig,  auf  den  ihn  die  Fama  stellen  will,  und  er  kann  dieses 
Leben  verachten;  denn  er  hat  allen  Saft  daraus  gesogen,  und  von  nun  an 
kann  ihn  nichts  Wtkrdigeres  mehr  hienieden  festhalten.  Er  ist  reif  ffir 
das  Eniinroum.  Camille  PitoUet, 

Hamburg,  1904  Agrege  de  l'üniversite  de  France 


8.  Zu  dem  Streit  KonfesBionsBoliiile  oder  SinraltMi- 

Boliiile 

Professor  Th.  Ziegler  in  Straßburg  schließt  das  Vorwort  zu  seiner 
Schrift  über  die  Simnltanschule  mit  dem  doppelten  Schlachtruf:  Los  von 
Bom;  los  von  Witteobeigl  Wohin  aber  der  W^  dann  gehen  soll,  daiaui 


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3.  Zo  dem  Streit  Eonleeaionaeohale  oder  Sunnltanachule 


233 


eriudten  wir  keine  Aotwoil  Hur  das  Mittel  wird  empfohlen:  Eiiiriditimp 
von  SimoltaDSchuleo.  Eine  wunderbare  Selbsttäuschung  aber  ist  es,  wenn 
man  glaubt,  durch  die  Simultan  schule  los  von  Rom  und  los  von  Witten- 
berg zu  kommen.  Äußerlich  ja.  Der  katholische  Priester  nimmt  den 
katholischen  ReligioDsunterricht,  der  evangelische  Geistliche  den  seinen. 
Die  Sohule  ist  beide  los;  aber  nur  adiaiiibar.  Denn  die  Lefaier  bkiben. 
Und  diese  Bind  teSlB  kstholieoh,  tesle  eTangeliaoh.  Oder  sollen  duofaweff 
Joden  Schule  halten?  Dann  wären  wir  Rom  und  Wittenberg  loa;  aber 
Moria  mit  dem  Tempel  Salomos  hätten  wir  dafOr  eingetauscht  Oder 
sollen  die  Lehrer  in  ilirer  reliLrinsen  Wellanschauung  durch  das  simultane 
Lehrerseminar  so  indifferent  gemacht  worden,  daü  auch  niclit  durch  die 
kleinste  Hitze  ihi-es  Unterrichts  der  leiseste  Luftzug  ein(»s  religiösen  Stand- 
punkUj  durci» wehen  dürfte?  Ja,  so  objektiv  sollen  sie  sein,  solche  Frosch- 
JMtoieD,  solche  Phonographen,  die  nur  herplapperu,  was  in  sie  hinein- 
gebracht worden  ist  den  Kindemi  die  in  solcher  ObjektiTitat  er- 
frieren —  und  wehe  den  Lehrern,  die  vor  lanter  RQckfiditnahme  kein 
kritftiges  Wort  sprechen  dürfen. 

Und  trotzdem.  Das  Wort  Siraiütanscfanle  hat  ffir  Tiele  etwaa  gerade- 
za  faszinierendes.    Wanun  wohl? 

Ihr  Oegensatz,  die  Konfessionsschule,  hat  dies  vci-schuldet,  Sie  hat 
es  gründlich  verstanden,  sich  unbeliebt  zu  machen  —  die  oiihodoxistischeD 
Kidse  ausgeDommen,  in  denen  sie  geliebt  wird.  Ihr  dogmatischer  BeligioDB- 
mtemdit,  das  beste  Mittel,  um  Kindern  die  Beligioo  anssntreiben,  ane 
geradezu  mephistophelische  Erfindung,  wirkt  so  abstoßend,  dafi  man  dieses 
fach  gern  preisgibt,  wenn  auch  auf  Kosten  des  Charakters  der  Schule. 
Dur  mittelalterlicher  Standpunkt,  der  die  jpeistliche  Schuiaufsicht  mit  l>e- 
▼undemswürdigcr  Stairheit  festhält  und  die  Entwicklung  der  Schule  im 
19.  Jahrhundert  vollständig  übersieht,  treibt  jetzt  auch  ixjsitiv  kirchlich 
gerichtete  Leute  von  ihr  weg.  Ihre  engherzige  Auf&usung  in  Bezug  auf  die 
Lehreriuldang,  ihr  Bestreben,  am  alten  Lehrplan  nicht  au  rfittsln,  und 
msnches  andere  hat  ihr  Fdnde  Aber  Heinde  angesogen.  Der  Name  »Kon- 
intionsschule«  genflgt  heute,  um  bei  nicht  wenigen  geradezu  Abscheu  her- 
vomnifen,  weil  man  mit  ihm  alles  Rückständige  und  Bescluftnkte,  alles 
Unpädagogische,  Widersinnic^e  und  ftottvcrlrv^sene  verbindet. 

Es  kommt  hinzu,  daü  starke  politisciie  Parteien  mit  aller  Leiden- 
schaft sich  für  die  Konfessionsschule  ins  Zeug  werfen,  das  Zentrum  und 
die  Hochkonservativen.  Grund  genug  für  die  liberale  Gegnerschaftf  da- 
gegen snfsutreten,  nm  ihnen  diese  Waffe,  diesen  Stützpunkt  ihrer  Welt- 
anscfaammg  und  ihrer  Herrschaft  ans  der  Hand  su  winden.  Deshalb  ihr 
lehbaftes  Eintreten  ffir  die  Simidtanschule.  Sie  soll  in  der  Hand  des 
Staates  das  wirksame  Mittel  werden  zur  Breciumg  der  finsteren  Milchte, 
zur  Hebung  der  Bildung,  zur  Verwirkliclniiif:  echter  Toleranz,  zur  Ein- 
leitung wahren  Fortschritts,  zur  Abschw&chung  der  konfessioneiiea  Gegen- 
Bätze  im  Volke. 

So  stehen  sich  zwei  Auffassungen  aufa  sohlrfete  gegenüber.  IKe  erste 
aeUiefit  so:  Keine  Erziehung  ohne  Religion;  keine  Religion  ohne  Konfession. 
Die  Pflege  der  letaleren  ist  Aniigabe  der  Kirche.  Darum  muB  dieaslbe  in 


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234 


liitWlQDgen 


organischer  Yerbindung  mit  der  Schule  stehen,  und  zwar  1.  iu  Bezug  auf 
die  Leitung  des  Religionsunterrichts  nach  Ziel  und  Umfang,  Methode  und 
Lehimittel;  2.  in  Bexng  auf^die  Inspektion  liber  den  ünterricht  und  das 
Leben  der  Schule.  Die  sweite  Auffassung  steht  der  eisten  diametnl  gegen- 
über: Die  Schule  gehört  dem  Staate  und  nicht  der  Eirche.  Sie  ist  des- 
halb nach  staatlichen  Bedürfnissen  einzurichten,  nicht  nach  kirchlichen. 
Ersterc  verlangen  eine  einzige  nationale  Schule.  Da  aber  das  Volk  kon- 
fessionell gespalten  ist,  muß  auch  die  Schule  da,  wo  es  sich  um  Religion 
handelt,  konfessionell  geteilt  sein.  Sie  ist  ein  Sjiiegelbild  unsres  nationaleo 
Lebens  und  leidet  deshalb  an  denselben  Mängeln  und  Fehlern. 

Es  gilt  SU  den  beiden  Auffassungen  Stellung  zu  nehoMD,  und  svar 
Tom  pidagogiaohen,  nicht  Tom  politischen  Standort  aus.  Lsliterer  verwint 
die  Angelegenheit  und  schiebt  sie  auf  falsche  Geleise.  Der  ersten  Auf* 
fassung  folgen  wir  nur  im  ersten  Satz:  Keine  Erziehung  ohne  Religion; 
keine  Religion  ohne  Konfession.  Die  woiteron  Folgerungen  lehnen  wir  ab. 
Dem  zweiten  Staudpiuikt  geben  wir  ebenfalls  recht  nur  in  Bezug  auf  den 
ersten  Satz:  Die  Schule  gehOrt  dem  Staat  und  nicht  der  Kirche.  Die 
weiteren  Folgerungen  weisen  vir  hier  eben&lls  znrQck. 

Wie  aber  haben  wir  uns  eine  Yerbindung  der  beiden  Fundamentsl- 
sflftae  zu  denken?  Dem  Staat  gehOrt  die  Schule.  Das  heißt  aber  nicht:  Der 
Staat  hat  als  Sehulherr  mit  alleiniger  Macht  den  Charakter  der  Schule  zu 
bestimmen.  Das  kann  er  nicht  und  darf  er  nicht,  ohne  den  wichtigsten 
Faktor  im  Erziehungsleben  zu  vergewaltigen.  Das  sind  die  Familien,  die 
im  Schidvorstand  der  Gemeinde  ihre  Vertretung  besitzen.  Wenn  auf  Ge- 
wissensfreiheit Wert  gelegt  wird  —  und  wer  wollte  heute  sie  gering  achten?  — 
muA  die  Entscheidung  über  den  Charakter  der  Schule  dem  Hanpttnteressenten 
der  Erziehung  flberiassen,  d.  h.  den  Eamilien  und  ihren  Vertretungen  in 
den  (Gemeinden.  Geschieht  das  nicht,  so  verfallen  wir  der  Vergewaltigung, 
entweder,  daß  wir  die  Konfessionsschule  oder  die  Simultanschule  swaag»- 
weise  einführen  wollen.  Beides  ist  eines  Kulturvolkes  unwünlig.  Einzig 
und  allein  der  Grundsatz:  Laßt  die  Familien  über  den  Charakter  ilirer 
Schulen  entscheiden,  gibt  Freiheit  und  Frieden.  Wenn  sie  in  gemischten 
Gegenden  sich  fQr  die  Simultan  schulen  entscheiden,  gut,  so  gebt  bie  ihnen. 
Wo  sie  fOr  die  religiflse  Ei^hdtsschule  eintreten,  soll  sie  ihnen  nidit  vor- 
enthalten werden.  Letztere  ist  und  bleibt  das  Sohulideal  —  das  ist  für 
jeden  tiefer  blickenden  Evangelischen  unbestreitbar.  Sie  braucht  nichts 
von  der  Engherzigkeit  eines  erstarrenden  Eonfessionalismus  zu  wissen, 
nichts  von  Intoleranz  gegen  Andersgläubige,  nichts  von  Überhebung;  sie 
soll  durchaus  Staatsschule  sein,  ohne  kirchliche  Aufsicht  und  Bevormun- 
dung —  aber  sie  muß  allerdings  fest  verankert  sein  in  dem  Geiste  echt 
evangelischer  Freiheit  und  Wahrheit.  —  Eine  solche  Schule,  die  wir 
nicht  als  Konfessionsschule  bezeichnen  mOchten,  sondern  als  pädagogische 
Einheitsschule,  steht  wdt  über  der  Simultanschule,  die  keine  Notwendig- 
keit ist,  sondern  nur  ein  Notbehelf,  die  die  kirchlichen  Qegeasitie  nioht 
aus  der  Welt  zu  sobaffsn,  sondern  in  unseren  Zeiten  eher  zu  versohlrfen 
vermag. 

Erst  dann  kann  sie  zum  Ideal  werden,  wenn  FMtestanten  und  Katho- 


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4.  Zar  BebaDdlnog  von  Oediohton  in  nnfleren  Scholen 


235 


liken  einen  gemeinsamen  Keligionsuntemcht  ertragen  gelernt  haben;  wenn 
die  konfessionellen  Gegensätze  unter  den  Erwachsenen  soweit  überwunden 
sind,  daß  hoide  Konfessionen  ihre  Jugend  einer  Schule  anvertrauen,  in  der 
ein  gemeinsamer  biblischer  Religionsunterricht  die  Grundlagen  für  die 
diuiBtliche  WeltaDschauang  legen  darf.  Aber  wann  werden  diese  Zeiten 
kommen?  Wenn  anoh  auf  evangeliaciier  Seite  die  Hand  bereit  ist  zum 
Bund  —  an!  der  katholiechen  regt  doli  mehr  als  je  Unduldsamkeit 
nnd  Feindschaft  gegen  das  lutherische  Ketzertum.  Man  denke  an  das  Auf- 
treten des  Metzer  Bischofs.  In  solchen  Zeiten  wird  die  paritätische  Schule 
nur  zu  leicht  eine  Städte  der  Verbitterung  und  des  Kamj>fcs  oder  der 
Unterdrückung  des  schwächeren  Teiles,  wie  man  es  in  den  Simultanschulen 
Österreichs  erlebt  hat.  Warum  lernen  die  begeisterten  Lobredner  der 
paritätischen  Schule  unter  den  Protestanten  nicht  von  solchem  Beispiel? 
Waram  treten  sie  nicht  lieber  fOr  die  Entwicklung  onseree  evangelisdien 
SdinlweeeuB  in  Mera,  eeht  protestantiBohen  Geiste  ein,  so  daS  es  immer 
mehr  Anziehungskraft  auf  die  katholischen  Familien  ansQbt?  Auf  dieser 
Linie  sehen  wir  den  Fortschritt  für  unser  Volk  —  von  dor  paritätischen 
Schule  können  wir  solche  Früchte  nicht  erwarten.  Aber  trotzdem  liegt  es 
uns  fem,  sie  zu  unterdrücken,  ihrer  Ausbreitung;  Hindernisse  in  den  Weg 
ZU  legen,  wo  die  Gemeinden  sie  aus  schultechnischen  oder  finanziellen 
Qrfinden  haben  wollen. 

JSfvat  dagegen  wenden  wir  nns,  daft  wir  die  Simnltansohnle  als  Schnl- 
idesl  ansehen  und  für  sie  eintreten  sollen.  Dagegen  strftnbt  sich  unser 
pädagogisches  Gewissen,  das  die  Einheitsschule,  einheitlich  im  Geist  luid  in 
der  Wahrlirit,  fordert;  das  sich  dagegen  auflehnt,  daß  man  die  Schule  mit 
simultaner  Einrichtung  als  ein  Kampfmittel  gegen  rückschrittlichen  Konser- 
vatismus im  katholischen  wie  im  evangelischen  Lager  benutzen  will. 
Lafit  der  Schule  ihren  Frieden  und  der  Jugend  üir  Paradies!  Besinnt 
euch,  ihr  pdilMien  Fsrleien,  auf  die  Foiderungen  echter  Freiheit  ond 
wahrer  Duldsamkeit.  Gebet  den  Eltern  was  ihnen  gebflhrt,  und  wollt 
nicht  Wohltaten  zwangsweise  anfdifogen,  die  ihnen  zuwider  sind! 


4.  Zur  Bebandltmg  von  Gadiohten  in  unBeren  Sohnlen 

Herr  J.  F.  Lichtenberger,  Lehrer  in  Neuderben  bei  Ftoey  an  der 
Elbe,  berichtete  im  »BtksheEfreondc  (1904,  Nr.  9)  Ober  eine  Rezitstion,  die 
ntnlein  Holgers-Berlin  gehalten  hatte.   In  diesem  Bericht  heiAt  es: 

»Völlige  Klarheit  in  dieser  Frage  (Kunst  und  Erziehung)  ist  mir  aber 
eist  durch  Maria  Holgers  geworden.  Sie  hat  mich  die  gewaltige  Wir- 
kung der  Kunst  auf  den  Menschen,  den  reinen  veredelnden  Einfhiß  onip- 
hnden  lassen.  Wie  auch  Kinder  dafür  cmi»f;inplich  sind,  das  Aveiß  jeder, 
der  es  schon  einmal  der  Mühe  für  wert  gehalten  hat,  Kinder  daraufhin 
ZQ  beobachten.  Und  es  ist  eine  der  grOßten  Sünden  der  Pftdagogik,  wenn 
sie  den  veredelnden,  eihebenden  SinflnA  der  Knnst  auf  die  Bonderseelen 
nfadit  ansnntzt  oder  ihn  doroh  versfeBodesmäfiiges  »Zerpflücken«  beein- 
tMohtigt  oder  gsr  zerstört. 


Jena 


W.  Rein 


236 


Mitteilaogen 


Zum  Schluß  miLß  ich  noch  eine  Klärung  erwähnen,  die  ich  Maria 
Holgers  verdanke  und  die  wohl,  nach  dem  Vorhergegangenen,  niemand 
erwarten  wird:  trotz  alledem  und  alledem  ist  doch  eine  » Besprechungc 
des  Stoffes  möglich,  die  dem  fiindruck  des  Kunstwerks  keinen  Ab- 
brooli  tat. 

lian  hOre:  als  das  Progninm  des  Abends  beendet  wtat,  tnt  die 
Kttostlerin  noch  einmal  vor.  Daß  nodi  etwas  Besonderes  kommen  mflsäe, 
seigte  ihre  ganze  Erscheinung:  es  war  unvergleichlich,  wie  Jondlitdie  Un- 

befan<Tciilieit.  wie  sie  nur  der  Kunstler  sich  bewahren  kann,  und  zarte, 
echt  weibliche  Bcfanpronheit  sich  vereinten.  Und  dann  bat  sie  mit  kurzen 
Woiten,  ül>er  den  frr.hlichen  Darbietungen,  die  den  Schluß  gebildet  hatten, 
doch  auch  das  Ernste  nicht  zu  vergessen.  Sie  wies  namentlich  auf  »die 
beiden  Taaben«  und  »Fremd  und  Feinde  von  Targen  jeff  hin  und  madite 
auf  die  ethischen  Qmndsilge  nnd  ihre  Bedeotang  ffir  nnaer  Leben  auf- 
merksam. Sie  gab  also,  wenn  man  will:  Zasaauneofttsong  und  Anwen- 
dung der  Herbartschen  Formalstufen. 

Man  mag  dies  Verhalten  künstlerisch  und  auch  mensclilich  für  bedenk- 
lich, ja  für  geschmacklos  erklären  —  aber  wer's  nicht  miterlebt  hat,  der 
kann  nicht  darüber  urteilen;  denn  es  kommt  dabei  weniger  auf  das  »Was« 
als  auf  das  »Wie«  an.  Wie  es  Maria  Holgers  tat,  war  es  groß  und 
gut,  nnfibertielßidL  Und  der  BeiM,  der  duaiif  folgte,  schien  mir  der 
herzlichste  und  tiefete.  FQr  die  KQnsUeiin  muA  er  der  WertvoDsle  ge- 
wesen sein;  denn  er  galt  nicht  nur  ihrer  Kunst,  sondern  auch  dem  grofiem 
und  gaten  Meeschen  in  ihr. 

In  jenen  Augenblicken  ist  mir  klar  gewoiden,  daß  auch  in  der  Schule 
eine  solche  »Behandlung«  ])oetiseher  Stoffe  möglich  ist,  ohne  den  künstle- 
rischen Eindruck  abzuschwächen.  Sie  ist  sogar  wünschenswert.  Aber 
nicht  jeder  kann  es.  Nur  der  Lehrer  mit  feinem  künstlerischem  Empfinden 
wird  es  vennOgen;  jeder  andere  lasse  die  Finger  davon.c 


5.  Beiträge  snr  Weiterentwicklimg  der  ohiisttioben 

Religion 

Llhalt:  1.  Wesen  und  Ursprung  der  Keligion,  ihre  Wurzeln  und  deren  Entfaltung 
von  Prof.  Dr.  L.  von  Schroeder,  "Wien.  2.  Das  Alte  Testament  im  Licht  der 
modernon  Forschung  von  Prof.  D.  H.  Gunkel,  Berlin.  3.  Evangeliuni  und  Ur- 
chribteotuni  (Das  Neue  Testament  im  IJcbt  der  historischen  Forschung  von  Prof. 
D.  JL  Deifimann,  Heidelbng.  4.  fleilsglaabe  und  Dogma  von  Frol  D.  Dr.  L.  Dnnar, 
KSnigsbeig.  5.  Religion  nnd  Sittliohkait  m  Prot  D.  Dr.  W.  Hemnann,  llarimiir. 
6.  Christentnm  nnd  Germanen  von  Sup.  D.  F.  Meyer,  Zwickau.  7.  "Wissenschaft 
und  Keligion  von  Prof.  D.  Dr.  R.  Eucken,  Jena.  8.  Religion  und  Schule  von  Prof. 
D.  Dr.  "\V.  Rein,  Jona.  9.  Die  pcmcinschaftsbildende  Kraft  der  Religion  von  Lic. 
ü.  Traub,  Doilrauud.  ]ü.  Das  W  esen  des  Christentums  von  Prof.  Lic.  Dr.  Ü. 
Wdbbermin,  Beilin.    35  Bogen  gr.  8^.  Pros  geheftet  6  K,  sohSn  geb.  6  IL 

Mfinohen,  J.  F.  Lehmanns  Tellig. 
Das  Ringen  nach  einer  dem  Denken  und  Empfiodea  gleicfaermaßen 
gerecht  werdenden  Weltanschauung  ist  ein  unverkeDsbans  und  hoobhedevt- 


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5.  Beitrige  sor  WaateveiitwMUiing  der  ehiiatlidiAii  BeUgton 


287 


sameB  Morfanal  der  Oegenwart  Auf  alles  GeMeteD  der  Kultur  haben  d» 
foraohmigeD  und  ErCnlinnigeD  derKeoseit  omgestalteDd  gewirkt;  sollte  da 
nicht  auch  anf  dem  Gebiete  der  BeügioD  das  Gesetz  der  »EDtwicUungc 
getten? 

Der  Weg  von  Abraham  zu  Jesaias,  von  Thomas  von  Aquin  zu  Kant 
beweist,  daß  die  religiöse  Weiterentwicklung  im  alten  Testament  wie  im 
Hittelalter  und  in  der  Neuzeit  stetig  bestanden  hat  und  weiter  besteht. 

Nicht  immer  freilich  hat  die  Menschheit  den  führendeD  Geistern  willig 
Oefdgaehalt  geleistet;  sie  ist  anch  su  manehen  Zeiten  auf  lange  und  breite 
Abwege  geraten.  —  Dal  also  die  chiistHcfae  Religion  etwa  mit  dem  Jahre 
1904  die  Höhe  ihrer  Vollendung  erreicht  uud  nunmehr  für  alle  Zeiten 
xmd  für  alle  Völker  in  einer  bestimmten  Form  als  ausschließlich  wahr  und 
unanfechtbar  zu  gelten  habe,  wird  im  Ernste  kein  denkender  Mensch  be- 
haupten wollen.  Ebenso  falsch  wäre  es  andrerseits,  den  Ewigkeitswert 
gewisser  Wahrheiten  des  Christentums  in  Abrede  zu  stellen.  —  In  dem 
immerwährenden  Yorwartatrebea,  in  dem  nnennfldliohen  Suchen  nach 
Wihriieit  und  Erkenntnis  mflssen  wir  unsere  Aufgabe  erUioken«  Das 
▼or  ürstairung« 

»Das  Werdende,  das  ewig  wiikt  und  lebt, 
ümfaft'  eaoh  mit  der  Liebe  holden  Schranken, 
Und  was  in  schwankender  Erscheinung  schwebt. 
Befestiget  mit  dauernden  Gedanken!« 

Diese  herrlichen  Ooothe  sehen  Worte  scheinen  das  Tjeitmotiv  für  alle 
zehn  Mitarbeiter  der  vorliegenden  Beiträge  zur  Weitt'rentwicklung  der 
christlichen  Religion«  gewesen  zu  sein.  Niclit  bloß  niederzureißen,  son- 
dern auch  aufzubauen,  hat  sich  jeder  einzelne  Bearbeiter  obiger  Ab- 
handlungen snr  Pflicht  gemacht  und  gerade  in  dieser  poeitiTen  Tendens 
liegt  der  hohe  Wert  des  vorliegeoden  Buches  gegenfiber  so  vielen  andern 
BAohem,  die  sich  auch  mit  diesen  brennenden  Fragen  der  Gegenwart  be- 
&Nen.  Wer  kein  Neuling  auf  diesem  Boden  ist,  »der  Suchende«,  wird 
mit  großer  Freude  wahrnehmen,  daß  sioli  hier  Namen  ron  bestem  Klang 
vereinigt  haben,  um  »zur  Weiterentwicklung  der  christlichen  Religion  bei- 
zutragen«. Leider  verbietet  es  der  Raum  auf  die  einzelnen  Abhandlungen 
besonders  einzugehen.  Die  Nennung  der  Mitarbeiter  imd  der  einzelnen 
▼on  ihnen  Terfkfiten  Abhandiuogen  wird  aber  genügen,  um  das  Interssse 
unserer  Loser  in  hohem  Ifafie  waohsurufeo.  Der  eine  wird  sich  mehr 
diuch  diese,  der  andere  durch  jene  Abhandlung  zu  dem  Work  liingozogen 
Millen,  soviel  aber  glauben  wir  voraussagen  zu  dürfen:  niemand  wird  das 
Buch  aus  der  Hand  legen  ohne  eine  Fülle  von  schätzenswerten  Anregungen 
in  sich  aufgenommen  zu  haben.  Die  Wirkung  dos  Buches  wird  also  dem 
Oeist  entsprechen,  in  dem  es  geschrieen  ist,  es  regt  dazu  an,  das  Er- 
fctschliche  zu  erforschen  und  das  Unerforschliche  ruhig  zu  verehren. 
MSge  das  ▼ortrefflichö  Buch  viele  Leser  finden  und  so  in  recht  weiten 
Krisen  dem  Geist  einer  erneuten  Reformation,  deren  Bauschen  immer 
vflvnehfflbarer  wird,  den  Weg  bereiten  helfen. 


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238 


UitteiliiiigSD. 


6.  Über  das  engUaolie  Sclmlweseii 

berichtet  Professor  Dr.  Wilh.  Dorn  in  der  Beilage  sum  Jahresbericht  der 
Oberrealschule  in  Heidelberg,  1903/04.  Da  dieser  Bericht  auf  mehr- 
jähriger Erfahrung  in  England  und  auf  verständigem  pädagogischem  Urteil 
beruht,  empfehlen  wir  ihn  aufmerksamer  Lektüre.  Dieser  Hinweis  wird 
um  so  willkommener  sein,  je  mehr  in  Deutseliland  das  Interesse  fQr  die 
Schulen  des  Auslandes  wächst  und  je  mehr  wir  uns  anschicken,  eio- 
dringende  Vergleiche  zwiBohen  imsereD  und  fremdeD  Schulen  anioBtellen, 
sowohl  nach  der  Seite  der  Organisation  wie  des  inneren  Betriebes  hin. 
Es  ist  eine  erfreuliche  Tatsache,  daß  die  Zahl  der  Deutschen  wächst, 
die  im  Auslcmd  zu  beobachten  und  zu  lernen  suchen,  um  die  Ergebnisse 
dem  heimischen  Bildungswesen  zugute  kommen  zu  lassen.  Yor  allem  sei 
auf  die  beherzigenswerte  Schlußbetiachtung  des  Henn  Prot  Dorn  mit 
allem  Nachdruck  hingewiesen.  W.  B. 


7.  Bio  >P&dagogi8Glie  Gesellsoliaft«» 

btt  Gelegenheit  der  Jenaer  Ferienkurse  im  August  1901  von  Prof.  D.  Dr. 
Zimmer- Zehlendorf  und  Prof.  Litt.  D.  Dr.  Hein -Jena  ins  Leben  gerofeiit 
hat  sich  als  Ziel  die  theoretische  und  praktische  Fortbildung  der  Erziehung 
gesteckt.  Sie  darf  nicht  in  den  Dienst  einer  einzelnen  pädagogischen, 
politischen,  sozialen,  religiösen  oder  sonstigen  Richtung  treten;  sie  bewahrt 
sich  den  freien,  weitblickenden  Standpunkt  Ihr  gehören  daher  auch  schon 
jetst  angesehene  Qelshrte  und  Sohidmlnner  vetsdiiedener  Bidttmigea  an. 
Im  ganten  ifthlt  die  Pid.  Gea.  Ins  jetit  gegen  1800  Mitglieder. 

Als  erste  Aufgabe  hat  sie  doh  vorgenommen,  aus  der  Anzahl  der 
erschienenen  Schriften  fQr  Schule  und  Erziehung  diejenigen  zusammen- 
zustellen und  knapp  zu  charakterisiereni  die  suTerlflssig,  branchbar  and 
wissenschaftlich  unanfechtbar  sind. 

Bisher  erschienen  zwei  Hefte:  Verzeichnis  von  empfehlenswerten  Schriften 
für  den  evangelischen  Religionsunterricht  von  Dr.  Meitzer- 
Zwidna  (3.  Anfl.  in  Yorberaitnng)  und  für  den  deutschen  Unterricht 
von  Dr.  Matthias*Zwlckaa.  In  Yorbersitang  befindet  sich:  Yeneiehms 
▼on  empfehlenswerten  Schriften  fQr  den  Geschichtsunterricht 

Es  ist  für  jedes  Jahr  ein  Heft  in  Aussicht  genommen;  von  Zeit  su 
Zeit  werden  Nachtrüge  herausgegeben. 

Der  Jahresbeitrag  beträgt  1  M.  DafQr  erhält  jedes  Mitglied  die 
Drucksachen  der  Gesellschaft  zugeschickt. 

Schließen  sich  Vereine  oder  größere  Kollegien  der  Fftd.  Oes.  an, 
80  ennilBigt  sich  der  Jahresbeitrag  je  nach  der  Zahl  der  hüuntieleiidea 
Penonen  für  die  Person  auf  etwa  40  bis  60  Pf.  Anmeldungen  nimmt 
der  SchriftfQhrer,  Rektor  Winzer  in  Jena,  sntg^gen.  Dieser  ist  niusii 
SU  jeder  weiteren  Auskunft  gern  bereit 


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8.  Lehrer-Seminar  uod  üuiveisit&t  —  9.  Coedukation 


239 


8.  Lehrer-Seminar  nnd  Universität 

Professor  Friedrich  Paulsen -  Berlin  schreibt  im  Augustheft  der 
»Deutschen  Schulec :  »Auf  der  einen  Seite  entwickelt  sich  die  Seminar- 
bildung in  der  Richtung,  daß  sie  für  ein  nachfolgendcR  üniversitätsstiidiiira 
immer  mehr  eine  ausreichende  Vorbildung  gibt.  Dpp  Kursus  der  nach 
dem  jüngsten  preußischen  Seminarplan  vom  Jalire  1901  eingerichteteu  Au- 
BteHen  zeigt  in  dieser  Abeiobt  dnen  grofien,  ja  erataiinlioheii  Fortsobritt . . .  ^ 
nun  darf  wohl  sagen,  der  Absolvent  des  neuen,  secbsjAhrigen  Seminar- 
knrsus  wird  im  ganzen  eine  gleichwertige,  wenn  auch  andersartige  Ans- 
bildiing  mitbringen  als  der  Absolvent  einer  neunklassigen  höheren  Schule^ 
dem  nnd  jenem  Minus  steht  auch  mehr  als  ein  Plus  gegenüber  .  .  .  Und 
von  der  andern  Seite  kommt  die  Universität  entgegen,  vor  allem  ist  sie 
im  Begriff,  den  exklusiven  Charakter,  den  ihr  früher  die  bei  der  Immatri- 
kulation geforderte  Kenntnis  dor  beiden  alten  Sprachen  gab,  abzulegen. 
Nimmt  sie  Obenealsohfiler  auf,  so  hat  sie  kaam  noch  dnen  Grand,  Absol- 
venten des  neuen  Seminars  ansmschliefien.c  Professor  Rein-Jeoa,  urteilt 
fthnlich  in  Lohmeyers  deutscher  Monatsschrift:  »Jedenfalls  seht  soviel 
las^  daß  die  Seminarbildung  auf  Grund  der  neuen  preußischen  Lehrpläne 
twar  nicht  von  gleicher  Art  wie  die  Oberrealschulbildung,  aber  ihr  voll- 
kommen gleichwertig  ist.  Deshalb  muß  das  größere  Publikum  mit  den 
herrsclienden  Kreisen  sich  nach  und  nacli  daian  gewöhnen,  die  Seminare 
in  der  Reihe  der  höheren  Lehranstalten  zu  sehen  und  die  in  ihnen  er» 
worbene  Bildung  Ar  gründlich  und  nmftssend  genug  sn  schStaeni  um  als 
Grundlage  für  das  Univeraititastudium  su  dienen.  0ie  Gegner  inneriialb 
der  ÜniversitAten  seien  aber  vor  allem  darauf  aufmerksam  gemachtt  daß 
die  Hoohacbulen  durch  den  Eintritt  der  Volksschullehrer  nur  gewinnen 
kennen.«  Dagegen  wendet  sich  ein  üniversitätsprofessor  in  den  »Grenz- 
boten« unter  der  Überschrift  »Kultusminister  bleibe  hart«  direkt  an  die 
oberste  ünterrichtsbehörde  und  an  die  maßgebenden  Kreise,  um  vor  dem 
Universitätsstudium  der  Lehrer  zu  warnen.  Ob  diese  Stimme  Eindruck 
JBsobeii  wild? 


9.  Coedukation 
>E8  gibt  auf  der  weiten  Gotteserde  nichts  so  Verlogenes  und  Un* 
wahihaftigee,  als  unsere  heutigen  Ofbntliohen  Sitten  in  Besug  auf  alles, 
was  mit  Liebe  susammenbingt,  also  mit  dem  höchsten  Glflok,  mit  dem 

die  Natur  ihre  Kinder  beschenkte.  Heißt  es  da  nicht  im  allerernstesten 
Sinne,  daß  aus  dem  Ootteshanse  eine  MArdergrube  gemacht  ist?  Fade,  süß- 
liche Koketterie  auf  der  einen  Seite,  in  der  keine  Kraft  nnd  kein  Saft 
ist,  und  eine  Prüderie,  wie  sie  Zimmermann  nach  ihren  Ursachen  und 
Wirkungen  so  wundervoll  in  der  Emerenzia  von  Münchhausen  schildert, 
die  arbeiten  sich  in  die  Hände  bei  der  Mädchenei  Ziehung,  um  das  gut  er- 
zogene, sittsam  unschuldige  PQppchen  su  kneten  nnd  suzuriohten,  wie 
die  Oeoolloohsft  es  braucht  für  die  Bedflcfiusse  einer  faulig  sdhiUerndflo, 
doppelten  Moral  und  ihrer  Minderwertigkeiten '  fOr  das  gesamte  Fnuien- 
leben.c  ^aiie  Martin  hi  der  Ilgl.  Bondsobaa,  Nr.  298.) 


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240 


IGttoilu  Ilgen 


Wir  wüßten  ein  gutes  Mittel,  um  dem  geschilderten  Cbel  kräftig 
entgegen  zu  wirken.  Das  Mittel  heifit:  Gemeinsame  Erziehung  und  üiitar> 
rieht  beider  Geeohlecbter  in  unseren  Offentlioben  Sohnlen  vom  Kindeiguten 
bis  in  die  ÜniversitSt  hinein.  (VergL  Beins  EncyUopidie,  Art  ton 
Palmgren,  Gemeinsame  Erziehung  usw.  und  Palmgren,  Erziehongs- 
fragen.  Altenburg,  Bonde,  1904.)  Aber  leider  gilt  es  einen  Berg  von 
Vorurteilen  za  überwinden,  ehe  man  zu  diesem  Mittel  greifen  wird. 

Kein 


10.  Der  moderne  XatexialismuB  als  Weltansohairaiig 

und  Gescliiohtsprlnxip 

Unter  diesem  Titel  verOlfentliobt  Dr.  Hermnnn  Sohwars,  Privit- 
dosent  der  Philosophie  in  Halle  a.  8.,  in  der  Dieterichsohen  Verlags* 

bnohhandlung  (Theodor  Weicher)  Leipzig  eine  Reihe  von  Vorträgen. 
(Preis  2  M),  die  er  vom  4. — 6.  Oktober  d.  J.  in  der  Berliner  Friedrich 
Wilhelm  -  Universität  vor  den  Teilnehmern  des  apologetischen  Inatnik- 
tionskursus,  veranstaltet  vom  Verein  für  innere  Mission,  gehalten  hat. 
Die  Vorträge  wenden  sich  in  klarer,  faßlicher  Darstellung  an  das  l^ach- 
denken  aller  Gebildeten.  In  diesen  Tagen,  wo  Häokels  neiiM 
Werk  »Die  Lebens  wandere  von  neuem  die  matmalistiscbs  Welt- 
und  Lebenaanflhssnng  für  die  Religion  aller  Gelnldeten  aosgibt,  Itthrt  die 
Sohrift  von  Schwarz  vornehm,  ernst  und  überzeugend  den  Kampf  um 
geistigen  Lebensinhalt.  Sie  ist  ein  philosophischer  Protest  gegen  eine 
bloße  Popularphilosophio,  die  unter  dem  Schein  der  Moderne  innerlich  vot- 
altot  und  unmodern  ist.  Sie  bringt  das  befreiende  und  werbende  Wort 
kiitischer  Wissenschaft  allen  denen  dar,  deren  Denken  sich  gegen  die 
unerträgliche  Tyrannei  jenes  naturwissenschaftlichen  Dogmatismus  sn 
wehren  wagt 


11.  Bericht  tlber  die  dreisehnte  Herbstvenammlnng 
des  Vereins  fdr  wissensehaftliohe  Pädagogik,  Beilrk 

Magdeburg  und  Anhalt 

Von  Fr.  Förster  in  Magdeburg: 

Unter  roger  Beteiligung  wurde  die  letzte  UerbstversammluQg  am 
22.  Oktober  1904  in  Magdeburg  abgehalten. 

Ans  der  Ansprache,  die  der  Bevollmächtigte  an  die  Teilnehmer  richtete, 
seien  folgende  Gedanken  herausgehoben:  Wenn  wir  die  widitigsten  Er- 
eignisse, die  sich  innerhalb  der  Herbartscben  Pidagogik  in  der  letrten 
Zeit  abgespielt  haben,  im  Geists  an  uns  ▼orOberaiehen  lassen,  so  mQesen 
uns  in  erster  Linie  die  AngriBe  auffallen,  die  sich  gegen  diese  pAdago- 
gischc  Richtung  wenden.  An  und  für  sich  ist  jede  Kritik  erwünscht, 
weil  durch  sie  Veranlassunc:  zur  Fortentwickhuig  gegeben  worden  kann. 
Leider  können  wir  von  den  geführton  Angriffen  nicht  behaupten,  daß  aia 


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IL  Bericht  über  die  dreizehnte  Herbetremmmliiiig  d.  Yenins  1  wias.  FSd.  241 


etwifi  wissenschaftlich  Beachtenswertes  zu  Tage  gslOrdert  hAtten,  so  daß 
vir  die  Kritiker  aaf  das  Dichterwort  aufmerkflam  machen  mflohteo: 

»Das  ist  die  beste  Kritik  von  der  Welt. 

"Wenn  neben  das,  was  ihm  mißfällt, 
Einer  was  Eig  nes,  Besseres  stellt.« 

Sind  dieee  Tatsachen  nicht  dazu  angetan,  uns  in  freudige  Stimmung 
zu  versetzen,  so  erwächst  mir  im  Gegensatz  hierzu  die  angenehme  Auf- 
gabe, ein  Ereignis  namhaft  zu  machen,  das  uns  aus  mehr  als  einem  Grunde 
mit  ganz  besonderer  Freude  erfüllen  muß:  es  ist  das  Erscheinen  der 
>Hauptpunkte  der  Pychologie«  von  Dr.  Felscb.  Nach  meinem  Dafürhalten 
mnfi  ein  Lehrbuch  der  Psychologie  drei  Bigenschaften  besitzen,  wenn  es 
aeiaem  Zwecke  gani  entsprechen  soU.  Es  muß  mnlohst  einen  festen 
philosophischen  Standpunkt  einnehmen,  von  dem  ans  die  psychologischen 
Lehren  beleuchtet  werden.  Es  muß  femer  den  verarbeiteten  Stoff  ein- 
wandfrei darstellen,  wozu  ein  nicht  geringes  Maß  philosophischer  Bildung 
des  Verfassers  erforderlich  ist,  und  endlich  darf  die  pädagogische  An- 
wendung an  den  geeigneten  Stollen  nicht  außer  acht  gelassen  werden, 
denn  erst  hierdurch  erlangt  die  Psychologie  für  den  Erzieher  eine  prak- 
tiaohe  Bedeutung.  Diesen  Anforderangsn  entspricht  das  erwfthnte  Werk  in 
herromigendem  Jfaße.  Wenn  ich  mir  gestatte,  an  dieser  Stelle  auf  das- 
selbe hinsuweisen,  so  geechieht  dies,  um  dem  Herrn  Yerfluser,  der  sein 
henronagendes  Wissen  und  Können  seit  Jahrzehnten  in  uneigennfltziger 
Weise  in  den  Dienst  der  Lehrerfortbildung  gestellt  hat.  fiir  seine  köstliche 
Gabe  von  Herzen  zu  danken  und  um  unserer  gomoinsamon  Kreude  darüber 
Ausdruck  zu  geben,  daß  der  Autor  eines  solchen  Werkes  ein  Mitglied 
Uüserer  Vereinigung  ist.  — 

Kadidem  die  eingegangenen  Zuschriften  bekannt  gegeben  waren  und 
«inige  geschAftticbe  Angelegenheiten  ihre  Brledigung  gefunden  hatten,  trat 
man  ein  in  die  Besprechung  der  Arbeit  des  Rektors  Sachse- Magdebuiig 
über  »Apperzeption  und  Phantasie  in  ihrem  gegenseitigen  YerhftltDis«. 
(Pädagogisches  Magazin,  Heft  243.  Sonderabdruck  aus  den  »Deutschen 
Blättern  für  erziehenden  Unterricht«,  Nr.  50 — 52.  Langensalza,  Hermann 
Beyer  &  Söhne  [Beyer  &  Mann],  1904.) 

1.  In  der  Einleitung  entwickelt  der.  Verfasser  folgende  Gedanken: 
Den  Standpunkte  des  metaphysischen  Bealismus  gemßß  sind  die  TrSger 
des  psychischen  und  physischen  Geschehens  einftudie,  aber  individuell  Ter- 
aefaiedene  Weeeo.  Eins  dieser  Wesen,  dessen  Zustande  uns  bewußt  werden, 
hf'int  Seele;  die  Zustände  aber,  die  durch  das  Zusammen  der  Seele  mit 
anderen  realen  Wesen  in  ihr  erzeugt  werden,  nennen  wir  allgemein  Vor- 
stellungen. Die  Seele  kann  mit  vielen  realen  Wesen  ein  Zusammen  ein- 
geben; daher  hat  sie  auch  die  mannigfachsten  Zustände  oder  Vorstellungen. 
IHe  Vorstellungen  zeigen  eine  eigentümliche  Bewegung  und  einen  be- 
stlndigen  Wechsel.  Die  Bewegung  der  YorsteUcngen  ist  ffir  das  gesamte 
geistige  Leben  von  großer  Wichtigkeit,  denn  sie  bedingt  einen  großen  Teil 
denen,  was  den  psychischen  Mechanismus  ausmacht,  wozu  auch  Apper- 
Mption  und  Phantasie  zu  zählen  sind. 

ZritMittttt  fSr  FhOcMpUe  und  PMugogik.  12.  Jahisai«.  16 


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242 


Mitteilungen 


In  der  Besprechung  wurde  von  einer  den  Herbart- Vereinen  fem- 
stehenden Seite  die  Psychologie  Herbarts  als  veraltet  bekämpft  und  dafür 
diejenige  Wundts  emplohlen.  Man  erwiderte  hierauf,  daß  es  den  Ajahängem 
der  Herbartsoben  P^ohologie  fernläge,  WondtB  Verdienste  iiigendwie  la 
unterscfaatsen,  da  seine  physidogisohen  Untersoohangen  dasa  beigetragsD 
hätten,  die  Kenntnis  d»r  physiologischen  Bedingungen  des  psychiadieii  Ge- 
schehens bedeutend  su  erweitern,  indes  sei  es  Wandt  nicht  gelungen,  die 
psychischen  Prozesse  so  rein  ao&ufassen  und  so  genau  m  bestimmen,  wie 
es  bei  Herbart  geschehen  ist. 

Zur  weiteren  Begründung  des  metaphysisolien  Kealismus  wurde  an- 
geführt: Diese  Lehre  ist  keine  absolute  Wahiheit,  sondern  eine  Hypothese. 
Eine  solche  hat  Anspruch  auf  Beachtung,  wenn  sie  dem  logischen  Denken 
entspricht  und  durch  die  Erfahrung  bestitigt  wird.  Der  metapbysisehe 
Realismus  erftUIt  die  erste  Bedingung,  da  nur  aus  zwei  Prämissen  eine 
Konklusio  gezc^n  werden  kann.  Er  entspricht  auch  der  Erfahrung,  wie 
folgendes  Beispiel  zeigt.  Aus  einem  Atom  Sauerstoff  läßt  sich  nichts 
Neues  herleiten,  aus  mehreren  Atomen  auch  noch  nicht;  kommt  aber  eine 
bestimmte  Anzahl  Atome  Wasserstoff  hinzu,  so  entsteht  aus  der  Verbindung 
des  individuell  Verschiedenen  ein  neuer  Körper,  das  Wasser.  Nach  dem 
Be^ff  des  Seins  sind  die  sich  in  «nem  Zusammmi  b^ndliohen  realen 
Wesen  ihrer  Qualitftt  nach  unveiflnderlich.  Das  aus  dem  Zusammen  hervor- 
gehende Geschehen  ist  nicht  als  Qualitätsveränderung  der  Wesen  anzu- 
sehen. Auf  die  Psychologie  übertragen  läßt  sich  daher  folgendes  be- 
haupten: Das  erste  psychische  Geschehen  ist  ein  Zustand  der  Seele,  der 
durch  das  Zusammen  derselben  mit  einem  oder  mehreren  anderen  Healen 
verursacht  wird  und  dessen  Qualität  bedingt  ist  durch  die  Qualität  alier 
sich  im  Zusammen  befindlichen  Realen. 

2.  Nach  der  Einleitung  bestimmt  der  Verfasser  zunächst  den  Be- 
griff der  Apperzeption.  Bei  diesem  psychischen  Vorgänge  bandeit  es  sieh 
im  allgemeinen  um  das  Verhältnis  des  wahrnehmend«!  Subjektes  snm 
wahrgenommenen  Ohjekte.  Das  Subjekt  der  Apperzeption  wird  repiäseo* 
ticrt  durcli  einzelne  Vorstellungen  und  Voretellungsverbindungeu,  die  durch 
eine  neue  Wahrnehmung  veranlaßt  werden,  in  das  Bewußtsein  zu  steigen, 
während  Objekte  der  Apperzeption  alle  Arten  von  geistigen  Zuständeu 
sein  können.  Es  findet  also  immer  die  Einwirkung  eines  psychischen 
Zustandes  oder  Vmgaoges  auf  einen  andern  statt  Der  Bsgriff  der  Apper- 
zeption schließt  ein:  a)  den  der  Veisohmelsung  nach  vimu^g^gMigener 
Hemmung  und  b)  den  der  Unterordnung  einer  Vocstdlung  unter  eine 
andere. 

In  der  Debatte  erklärte  man  sich  mit  diesen  Ausführungen  einver- 
standen und  führte  aus  der  Geschichto  des  großen  Kurfürsten  und  Friedrich 
"Wilhelms  I.  einige  Beispiele  an,  um  die  Tatsache  zu  bestätigen,  daü  der 
ApperzeptiuusproieB  im  ünteiriohte  erst  dann  vollzogen  sei,  wenn  die 
neue  Wahrnehmung  in  einer  psychologischen  Bdhe  ihre  entsprechende 
Stellnng  gefunden  habe. 

3.  Im  folgenden  Teile  spridit  der  Verfasser  von  der  Bedeutung 
der  Apperzeption  für  die  geistige  und  sittliche  Bildung.  Nicht  alles,  was 


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11.  Bericht  über  die  dreizehnte  Herbetversammloog  d.  Vereins  f.  wiss.  Päd.  24S 


durch  die  äußere  oder  innere  Wahrnehmung  ins  Bewußtsein  steigt,  wird 
spperzipiert.  Häufig  kommt  es  zu  keiner  Apperzeption,  weil  es  an  den 
tppenipierenden  Vorsteilongsmassen  fehlt  Dieser  Mangel  macht  sich  bei 
KiDdem  beaondera  in  Bemg  auf  OefaUmmtiade  geltend.  Wie  die  neuen 
ToESteUnngen  dnrob  iUere  eine  Veiflnderang  erleiden  kOnnen,  so  kann 
auch  dss  Umgekehrte  itattfinden.  Auf  der  Macht  der  yafinderten  Ein- 
wirkungen des  Neuen  auf  das  Alte  beruht  die  Hoffnung  des  erziehenden 
Lehrers.  Wenn  eine  Änderung  der  einmal  gebildeten  Vorstelhmgsmassen 
unmöglich  wäre,  so  besäße  der  Erzielior  kt  ni  Mittel,  falsche  theoretische 
und  ethische  Urteile  des  Zöglings  zu  beseitigen.  Die  Umwandlung  der 
iUaran  Yoretellangnn  dnroh  die  neuen  hat  jedoch  auch  ihre  Grenzen.  Alle 
Hiagel,  die  der  Vorgang  der  Apperzeption  nnt  aidi  Iwingt,  laaeen  tioh 
Bor  dann  entfenien,  wenn  die  YenteUnngen  klar  sind  und  in  ieste^  aber 
nullt  starre  Verbindnngen  gebracht  werden. 

Die  Besprechung,  welche  an  den  Satz  der  mangelhaften  apper- 
fipieronden  Vorstellungen  bei  Kindern  in  Rücksicht  auf  Gefühlszustäado 
aniinüpfte,  drehte  sich  vorzugsweise  um  Auswahl  und  Behandlung  der 
lyrischen  Oedichte.  In  Bezug  auf  die  Auswahl  wurde  die  Ansicht  ver- 
traten, daft  Oedidite  »Sdilfers  Sonntageliedc  oder  »0  lieb,  so  lang 
du  lieben  kannst!«  erst  anf  den  oberen  Stufen  sur  Behandlung  kommen 
dflrflen,  da  hinrsicbend  appendpierande  VontaUungen  in  den  mittleren 
Hassen  nicht  vorausgesetrt  wenden  kOnnen.  Fehlen  die  erforderlichen 
psychologischen  Vorbedingungen  vollständig,  so  ist  es  besser,  derartige 
Erzeugnisse  der  lyrischen  I^ocsie  vom  Lehrplan  auszuschließen.  Veranlaßt 
durch  die  Bestrebungen  der  Kunsterziehungstagc  ist  in  der  letzten  Zeit 
mehrfach  die  Ansicht  geäußert  worden,  die  lyrischen  Gedichte  nur  vor- 
tolssen  oder  ihnen  höchstens  eine  Vorbersitung  voiantknsehioketi,  auf  eine 
eigeatlicfae  Behandlung  Jedoch  su  veniohlen.  Diessm  Vorschlage  kann 
nicht  angestimmt  werden,  weil  man  dadurch  nicht  die  erforderliche  Klar- 
hsit  schafft.  Man  muß  vielmehr  zunflohst  die  nOtigen  Vorstellungen  als 
die  primären  psychischen  Erscheinungen  klarlegoiy  damit  dann  audk  die 
davon  abhängigen  Gefühle  entstehen  können. 

Damit  die  Vorstellungen  in  feste,  aber  nicht  zu  starre  Verbindungen 
gebracht  werden,  ist  nicht  nur  ein  beständiger  Wechsel  von  Vertiefung 
und  Bssiniiung  erfordeilioh,  sondern  es  erweist  sich  auch  nOtig,  die  Wieder- 
kohmgen  toh  Terschiedenen  Qesiohtspunkten  ans  eintreten  su  lassen. 

4.  Nach  den  Darlegungen  über  Wesen  und  Bedeutung  der  Apper- 
leiition  geht  der  Verfasser  näher  auf  den  Bci^ff  der  Phantasie  ein* 
Unter  Phantasie  versteht  er  die  Verbindungen  freisteigender  Vorstellungen, 
die  durch  die  Wirkungen  des  psychischen  Mechanismus  zu  stände  kommen. 
Es  liegt  im  Wesen  der  Phantasie  begründet,  daß  sie  nichts  Neues  zu 
schaffen  vermag^  neu  sind  nur  ihre  eigenartigen  Verbindungen.  Wenn 
msn  die  Tttigkeit  der  Phantasie  auf  das  Gebiet  der  Areisteigenden  Vor- 
Mellnngen  besohtSnkti  so  muA  die  alte  Einteilung  derselben  in  eine  ab> 
strahierende,  determinierende  und  kombinierende  aufgegeben  werden,  denn 
die  B^iffe  der  Abstraktion,  Determination  und  Kombination  haben  zu 
ihrer  Voraussetzung  eine  Willenshandlung.   Wenn  z.  B.  die  dichterische 

16* 


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244 


PbaDtado  bettimrata  Vertanale  der  WillkOr  anfwdst,  so  ist  sa  tiedeiikeii, 
daB  VM  ihre  PrcMlnkte  nicht  in  vrsprflnglieher  Fenn  ▼orliegen,  sondern 
den  Gesetzen  der  Logik  und  Ästhetik  gemAfi  gestaltet  wocden  sind,  ehe 

sie  der  Öffentlichkeit  übergeben  wurden. 

In  der  Debatte  wurden  einige  hier  nur  angedeutete  Punkte  noch 
weiter  ausgeführt.  Es  gibt  keine  allgemeine  Phantasie,  sondern  die  Phan- 
tasie ist  von  bestimmten  Yorstellungskreisen  abhängig.  Daher  ist  die 
Phintasie  des  MatheoBttiken  eine  anders  als  die  des  Hnsikers,  und  die- 
jenige des  Malen  ist  ▼eradiieden  von  der  des  Dichten.  Uan  konnte  so 
Tide  Arten  der  Phantasie  unterscheiden  als  es  verschiedenartige  Yor- 
stellungsmassen  gibt  Ba  die  Vontelliuigeii,  die  das  Kind  zu  Hause  er- 
wirbt, vielfach  ganz  andere  sind  als  diejenigen,  welche  in  der  Schule  in 
Frage  kommon,  so  erklärt  sich  auch  die  Tatsache,  daß  mancher  Zögling 
an  beiden  Orten  einen  durchaus  verschiedenen  Eindruck  macht  Während 
er  im  Hause  beim  Spiel  dem  Zuge  seiner  freisteigenden  Yorstellungen 
fidgt  und  daher  lebhaft  und  heitsr  enoheint,  ist  er  im  üntairiohte  lanp- 
sam,  saghaft  vnd  nnsicher. 

5.  Der  Verfaeser  geht  eodann  auf  das  Verhältnis  von  Apperzeption 
und  Phantasie  nfiher  ein,  indem  er  zunächst  zeigt,  daß  die  Phantasie  eine 
Begleiterscheinung  der  Apperzeption  ist.    Die  Phantasie  ist  auf  die  Ver- 
bindungen der  alten  Vorstellungen  angewiesen.    Diese  Verbindungen  sind 
zum  Teil  ein  Produkt  der  Apperzeption,  da  sie  bewirkt,  daß  das  Wider- 
sprechende sieh  hemmt  und  das  Gemeinsame  sich  vereinigt    Wenn  man 
anf  der  Stufe  des  Systems  eine  wohlgeordnete  Beihe  gebildet  hat,  dann 
kann  es  wohl  gesohehen,  dafi  sieh  bei  der  Beproduktion  neue  Glieder  nnd 
Terknftpfungen  leigen,  die  das,  was  mit  vieler  Mflhe  geschaffen  war,  wieder 
seretören.   Diese  Tatsache  erklärt  sich  daraus,  daß  während  des  Entstehens 
der  Reihe  die  freisteigenden  Vorstellungen  tätig  waren,  die  sich  bald  aus 
dieser,  bald  aus  jener  Gruppe  erhoben  und  sich  im  Bewußtöein  zu  Phan- 
tasiegebilden vereinigten,  die  immer  den  Vorgang  der  Apperzeption  begleiten. 
Wenn  die  Phantasie  vielfach  auch  Ungereimtes  schafft,  so  muß  man  ihre 
Gebilde  doch  mit  Beuden  begrOßen,  weil  dundi  sie  Leben  ond  Beweg- 
lichkeit in  die  Yorstellungsmsssen  hineinkommt  Bs  ist  an  bedanem,  dal 
die  SchlQer  dem  Unterrichte  im  allgemeinen  nur  wenig  freisteigende  Vor- 
stellungen entgegenbringen.    Dieser  Mangel  zeigt  sich  namentlich  auf  der 
Stufe  des  methodischen  Denkens  und  bei  den  Aufsatzübungen.    Daß  die 
schriftlichen  Übungen  vielfach  mangelhaft  ausfallen,  ist  darin  begründet, 
daß  man  oft  Stofife  verarbeiten  läßt,  für  die  das  Kind  keine  freisteigenden 
Vorstellungen  besitzt    Daher  muß  die  Vorbereitung  solange  ausgedehnt 
werden,  bis  Inhalt  und  Form  gelftuflg  genug  geworden  sind.  HierdwciL 
wild  der  Sdhfller  rar  Passivitit  verorteilt   üm  dies  m  vsrhftteOf  sollta 
man  die  schriftlichen  Arbeiten  solange  versohieben,  bis  die  fkeistsigendea 
Vorstellungen  beim  Zöglinge  sichtbar  werden. 

In  der  Besprochunp  Wirde  die  Richtigkeit  des  Satzes,  daß  die 
Phantasiegcbilde  immer  den  Vorgang  der  Äpi)erzeption  begleiten,  bestritten; 
denn  es  sind  Fälle  denkbar,  bei  denen  freisteigeude  VorsteUungen  über- 
haupt nicht  anftreteo,  und  selbst  wenn  sich  säche  aeigen,  so  bmndien 


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11.  Bencht  Uhu  die  droisahnte  Herbtfcvenammlang  d.  Vereins  t  wies.  PVd.  245 


sie  sich  oklit  unter  aUen  Umsttoden  sa  PlumtMiegelaldett  snaammenza- 

BchlieBen. 

Die  weiteren  Ausfühninpen  bezogen  sich  auf  die  Aufsatzflbungen.  Man 
stimmte  den  Ansichten  des  Verfassei-s  einerseits  zu,  andrerseits  widersprach 
man  ihnen.  Der  Lehrer  kann  nicht  immer  bewirken,  daü  sich  freisteigende 
VorstelluDgeQ  zeigen.  Es  ist  nicht  ratsam,  die  schriftlichen  Übimgen  so 
lange  lunauazuachiebeD,  bis  freistägeDde  Yontdlungen  veraiugeaetst  wer- 
den kCooen.  Man  mnfi  zufrieden  adn,  wenn  die  Sohfller  einen  durchge- 
arbeiteten Stoff  auf  ihre  Weise  "wieder7.ugeben  im  stände  sind.  Dies  wird 
nach  der  Meinung  anderer  Redner  vielfach  nicht  erreicht.  Der  Grund  da- 
für ist  teilweise  auch  darin  zu  s\iclieii,  daß  num  auf  die  formale  Seite  der 
Sprache,  die  Grammatik  \uid  Orthographie,  seiion  in  den  ersten  Schuljahren 
ein  zu  großes  Gewicht  legt.  Um  die  aus  diesen  Gebieten  vorgeschriebenen 
Pensen  za  erledigen,  ist  viel  Zeit  erforderlich,  und  deshalb  wird  die  Pflege 
des  mllndlichen  Auadrocka  venaiamt  Es  iat  den  Kindern  zu  geetatten, 
flieh  zonSchst  in  ihrer  ihnen  eigentflmlichen  Sprechweiae  auazudrOoken;  erat 
aUmihlich  kann  der  Gebrauch  der  hochdeutschen  Schriftapracfae  aogeatrebt 
werden. 

6.  Im  weiteren  Verlauf  seiner  Arbeit  (Mörtert  der  Verfasser  die  Tat- 
sache, daß  die  Phantasie  der  Apperzeption  wichtif;e  Dienste  leistet.  Soll 
es  zu  einem  genauen  Apperzipiei'cu  kommen,  so  muii  dem  in  Frage  kommen- 
den Objekte  eine  ungeteilte  Aufanerkaamkeit  zngevendet  werden,  die  un- 
irillktlrlioh  oder  willkOrUch  aein  kann.  Letztere  wird  ▼ielfaoh  durch  Er- 
mahnungen und  Drohungen,  durch  Lohn  und  Strafe  erzeugt  Diese  Mittel 
nnd  jedoch  bedenklich,  da  sie  leicht  Affekte  hervorrufen  kOnnen,  die  den 
Apperzeptionsprozeß  unterbrechen  oder  ganz  vereiteln.  Vorteilhafter  ist  die 
unwillkürliche  Aufmerksamkeit,  die  in  eine  primitive  und  eine  apperzipierende 
zerfällt.  Die  apperzipierende  Aufmerksamkeit  verweist  uns  auf  die  frei- 
Steigenden  A'orstellungen  und  damit  auf  das  Gebiet  der  riiautasie.  "Wollen 
wir  bei  den  Zöglingen  Aufmerksamkeit  erzeugen,  so  mtlaaen  wir  dafür 
BQEgen,  daft  una  die  VorBtellungen  freiateigend  entgegenkommen.  Daher 
ffloA  anch  die  jeweilige  Apperaeptionsatufe  der  Schaler  genau  berQcksichtigt 
werden.  Dies  geschieht,  wenn  man  es  sich  angelegm  aaua  Ittti  die  ver- 
wandten Vorstellungen  des  zur  Auffa.«Rung  Daigebotenen  in  der  erforder- 
Üchen  Zalil.  Stärke  und  Klarheit  zu  erwecken.  Die  praktische  Pädagogik 
sucht  (las  zu  erreichen  durch  die  Aufstellung  eines  Zieles  für  jede  unter- 
lichtliche  Einheit. 

Die  Debatte  über  dieeen  Teil  drehte  aiöh  ansaohlieilioh  um  die  ledtte 
Bsaofaaflenheit  dea  Zielee.   Es  iat  Terkehrt,  die  Lektion  mit  der  Analyae 

zu  beginnen  und  das  Ziel  nachfolgen  zu  lassen ;  letzteres  muß  vielmehr  am 
Anfange  stehen,  da  ihm  die  Au^be  zufällt,  das  Steigen  der  Vorstellungen 
zu  bewirken.  Die  Analyse  kann  imter  Umständen  auch  fehlen.  Es  ist 
schwer,  das  Ziel  richtig  zu  formulieren,  und  die  methodischen  Werke  zeigen, 
daß  die  in  ilmeu  aufgestellten  Ziele  den  psychologischen  Anforderungen 
htuiig  nicht  entsprechen. 

7.  Am  ScUnaae  apridit  der  Verfaaaer  Aber  die  OefOhle,  die  durch 
die  Qebilde  der  PhantMie  entatehen,  imd  ihre  Bedeotan;  fOr  die  Appei^ 


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246 


wefHiiOD.  DuictL  das  Vorherrschen  sehr  starker  Gefühle  wild  eine  genaue 
Apperzeption  verhindert,  wflhrend  eitie  niliige  Gemütslage  vorteilhaft  ist 
Die  Wirkung  der  durch  die  Phantasie  erzeugten  Gefülüe  ist  jedoch  nicht 
ausschließlich  von  nachteiligem  Einflüsse  auf  die  Lernarbeit.  Es  ist  viel- 
mehr allgemein  bekannt,  daß  jede  Tätigkeit  durch  Lustgefühle  gefördert 
irardoD  kami.  Daher  erwiohst  dtm  Lehrer  die  Aufgabe,  die  Aeode  den 
pidagogischeo  Zwecken  dienstbar  in  madien. 

Wegen  voigerfickter  Zeit  konnte  in  der  Beepreohnng  aof  diese  Ans- 
fflhrungen  nicht  mehr  genügend  eingegaogen  werden. 

Für  die  nächstjährige  Herbstversammhing  wiirde  eine  Arbeit  Ober 
folgendes  Thema  in  Aussicht  gestellt:  »Die  methodische  Gestaltung  des  enl- 
kundlichen  Unterrichts  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Wirtschafts- 
geographie.« 


12.  Verein  för  Kinderforschung 

Zum  ersten  Male  hielt  der  Yerein  für  Kinderforschung  seine  Ver- 
sammlung in  Sachsen  und  zwar  in  Leipzig  ab.  Die  Beratungen,  welche 
vom  14. — 16.  Oktober  v.  Js.  in  den  iFestsälen  des  Centraitheaters  statt- 
fonden,  erfreuten  sich  eines  regen  Besuches  aus  vielen  Berufskreis^ 
Leipzigs,  besondeis  ans  dem  Ijehierstande.  EKMbiet  wurden  dieoolben 
dnroh  Anstsltsdiiektor  Trüper-Jena,  der  in  einer  Ungeren  BegrOBanga- 
rede  auf  die  kinderpsyohologisdhe  Arbeit  Leipziger  Professoren  —  Ziller, 
Strümpell  und  Wundt  —  wie  auch  auf  das  rege  Interesse  der  Stadt 
Leipzig  für  Erziehung  und  Unterricht  hinwies.  Nachdem  noch  Stadtschul- 
inspektor Prof.  Dr.  D.  Müller-Leipzig  und  Anstaltsdirektor  Piper- Dall- 
dorf die  Versammlung  begrüßt  hatten,  hielt  der  Mitherausgeber  dieser  Zeit- 
schrift Pfarrer  Flügel- Wansleben  seinen  Vortrag:  lÜber  das  Verhältnis 
des  Öefühla  anm  Intellekt  in  der  Kindheit  des  Individauma 
wie  der  Volker.« 

Der  Vortragende  leitete  seine  interessanten  Ausführungen  damit  ein, 
indem  er  zunächst  darlegte,  daß  man  nach  Herbart  das  letzte  Einfache 
der  Seele  als  »Vorstellung«  bezeichne,  während  Wundt  es  »Empfindung« 
nenne.  Herbarts  Ausdruck,  welcher  mit  dem  Sinn  des  heute  so  häulig  ge- 
brauchten Wortes  »Vorstellung«  nicht  gleichl)edeutend  sei,  habe  nur  als  Not- 
behelf dienen  sollen.  Darauf  zum  Verhältnis  von  Vorstellung  nnd  GoflUd 
im  allgemeinen  Obecgehend,  vertiat  er  den  Heibartaohen  Standpunkt,  daB 
das  Gefnhl  ohne  eüi  vorher  OeflOhlteB  nicht  vorhanden  eein  kOnne^  oiOge 
letzteres  auch  oft  bis  zur  größten  Unkenntlichkeit  gegeben  sein.  Die  Grenze 
zwischen  beiden  lasse  sich  nicht  bestimmt  ansahen;  beide  seien  dah^r 
aufs  innigste  miteinander  verbunden.  Eins  von  ihnen  sei  jedoch  stets 
vorherrschend.  Das  gelte  im  Kindesalter  namentlich  vom  Gefühl.  Dies 
führte  Hedner  an  vielen  Beispielen  zuerst  weiter  aus,  um  danach  das 
Analoge  in  der  Kindheit  der  Volker  nachznweiaen.  —  In  der  Debatte 
•timmte  Dr.  Brahn-Leipzig  den  AnsfOhrangen  des  Vorrednen  darin  in, 
daS  daa  QefQhl  bei  den  Kindern  vorfaerrsehei  erklärte  sioh  aber  wie  nooli 


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12.  VereiB  fttr  nndeifonohang 


247 


Dr.  Spitzner-Leipzig  hinsichtlich  der  Ableitung  des  QefühU  ^agcn  dessen 
Ansicht  imd  «teilte  dieser  die  Vondtsebe  Auffiusung  gegenüber,  nsdi 
der  das  GefOhl  vor  der  Vorstellang  anftrete. 

Am  2.  Tag  der  Verhandlungen  sprach  znnaohst  Geh.  Hofrat  Prof. 

Dr.  Binswinger-Jena  Aber  das  Thema:  tÜber  den  Begriff  des 
moralischen  Sch wachsinns.c  In  einigen  einleitonden  Worten  hob 
Redner  hervor,  daß  Lohrer  und  Arzte  beim  Studium  des  Kindes  ztisiimraen 
arbeiten  müßten.  Das  habe  sowohl  nach  der  praktischen  wie  tiieoretischeii 
Seite  großen  Wert.  Im  ersten  Falle  idt  an  die  unge.^echte  ßeuiteilung 
des  Kindes  tot  Gericht  au  denken,  die  nur  aas  einer  mangelhaften  Kennt- 
nis der  Kindesseele  herrdhre,  nnd  im  lotsten  Falle  an  die  Besnltato  der 
Kindorforsohnng,  die  dadurch  moJir  an  Sicherheit  gewinnen.  Darauf  gab 
Prof.  Binswanger  die  historische  Entwicklung  des  Begriffs  »moralischer« 
Schwachsinn.  Die  ersten  Erklärungen  desselben  kamen  in  den  80er  Jahren 
des  vorigen  Jahrhunderts  aus  England.  Damals  sah  mau  diesen  geistigen 
Defekt  hauptsächlich  in  der  Störung  des  Gefühls.  Dadurch  sei  aber,  be- 
merkte Redner f  der  Begriff  zu  eng  gefaßt  worden;  man  habe  daher  in 
neoerer  Zeit  auch  die  inteUektueUe  Tfttigkeit  in  Betracht  gezogen  und  ge- 
fimden,  dafi  diese  bei  derartigen  Individuen  infolge  erblicher  Beeinflussung 
bedeutend  geschwächt  sei  Redner  schilderte  zum  Schluß  an  awd 
klinischen  Beispielen,  wie  moralisoher  Schwachsinn  in  der  Praxis  su  er- 
kennen und  behandeln  ist. 

Der  zweite  Kedner  des  Tages  Direktor  Polligkeit- Frankfurt  a/M. 
juristischer  Mitleiter  der  »Centrale  für  private  Fürsorge«  in  Frank- 
furt a/M.,  behandelte  das  Thema:  »Strafrechtsreform  und  JugendfQr- 
sorgcc    Er  forderte  1.  dafi  in  der  Erziehung  neben  der  intellektuellen 
Ausbildung  auch  der  Entwicklung  der  moralischen  Persönlichkeit  der  ihr 
gebührende  Baum  gewfthrt  wird,  besonders  in  Rflcksicht  auf  die  vielfach 
vorkommenden  Anomalien  in  sittlicher  Beziehung;   2.  daß  in  der  Schul- 
erziehung eine  starke  Individualisierung  nach  sittlichem  Empfinden  und 
nach  dem  Grade  der  Empfindlichkeit  für  sittliche  Beeintlussungcn  stattfinde, 
auf  Grund  sorgfältiger  Ermittelungen  von  psychologisch  und  psychiatrisch 
geschulten  Jir^en  und  Ijehrem;  3.  daB  die  BegrAndung  von  Sonderschulen 
uad  Ersidiungsanstalten  fflr  die  verschiedenen  Grade  sittlicher  Befilhignng 
gefordert  werde;  4.  daß  in  der  Einrichtting  einer  Berufs  Vormundschaft  ein 
Organ  geschaffen  werde,  das  als  centrale  Beratungs*  nnd  Auskunftsstolle 
der  Eitern  in  der  Erziehung  ihrer  f^ittlich  minder  veranlagten  oder  ent- 
arteten Kinder  ratend  zur  Seite  stehe  und  dem  Yormundscluilisgoricht  als 
Ermittelungs-  und  Aufsichtsorgan  diene.  —  Die  Debatte  über  diesen  und 
den  vorigen  Vortrag  verbreitete  sich  besonders  über  die  Altersgrenze  der 
StiafmQndijeen.   Diese  sei  mindestens  ins  14.~15.  Lebensjahr  hinauf  zu 
sohisben  nnd  wenn  sich  herausstelle,  dafi  ein  Kind  Aber  dieser  Altersgrenze 
äoh  geistig  nicht  norrosl  entwickelt  habe,  solle  man  es  ebenfalls  nicht 
W  den  Strafrichter  bringen,  sondern  einer  entsprechenden  Anstalt  über- 
weisen.   Nachdem  sich  noch  der  Vorsitzende  in  warmen  Worten  fflr  eine 
derartige  Behandlung  fehlerhafter  Kinder  ausgesprochen  hatte,  erhielt  Hektur 
flemprich-freyburg  a/U.  das  Wort  zu  seinem  Vortrage:  »Die  Ergeb- 


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248 


Mittoilungon 


nisse  der  Kinderforsohiing  in  ihrer  Bedentmicr  fflr  ünterticht 

und  Erziehung.« 

Redner  behandelte  vor  allem  das  Verhältnis  der  pädagogischen  znr 
physiologischen  Kinderpsychologie  sowie  ihre  Bedeutung  in  der  Erforschung 
auf  psychischem  Gebiete  und  der  pädagogischen  Nutzbarmachung  ihrer 
Kesultate.  Es  stellte  sich  heraus,  daß  die  physiologische  Richtung  uns 
noch  nicht  viel  Braaohbaree  für  die  Praxis  geliefert  hat  —  In  der  Be- 
epreohung  dieses  Eeferates  traten  die  Gegenafttie  swieohen  der  Herfaart* 
sehen  nnd  physiologiachen  F^chologie  abermals  hervor. 

Am  3.  Tage  der  Versammlung  stand  als  erstes  Thema  der  Vortrag 
von  Rektor  Schubert- Alten  bürg  auf  der  Tagesordnung.  Dieses  lautete: 
>Einige  Aufgaben  auf  dem  Gebiete  der  künstlerischen  Er- 
ziehung.« Aus  den  längeren  Ausführungen  dos  Hedners  möchte  ich  nur 
einige  Punkte  herausgreifen.  Der  Vortragende  stellte  dem  produktiven 
Schaffen  das  Knnstgenießen  gegenüber  und  betonte,  daß  letzteres  wichtiger 
sei  als  das  produktive  Schaffen,  da  nur  wenige  Ellnstler  wlfardea.  Dem- 
nach folgende  Mittel  zur  Pflege  des  ftsthetisohen  GefQhls:  Betrachten  von 
Bildern,  turnerischen  Spielen,  der  e^fnen  Körperform  (auch  aus  dem  Grunde, 
damit  die  Kinder  ihren  Körper  reinhalten),  der  Natur  sowie  die  Behand- 
lung von  Märchen,  die  auch  in  späteren  Schuljahren  dargeboten  werden 
können.  Eine  besondere  Aufgabe  fällt  der  Kinderforschung  dadurch  zu, 
daÜ  sie  nachforscht,  wann  der  Zeitpunkt  wirklichen  ästhetischeu  Genießens 
eintritt  Ob  die  physiologische  Einderpsychologie  diese  Aufgabe  lOsea 
werde,  sei  fraglich,  wenn  man  ihr  auch  schon  mancherlei  Anregungen  la 
verdanken  habe. 

Oberlehrer  Dr.  Pappenheim-Grofilichterfelde,  welcher  den  nun 
folgenden  Voitrag  liielt,  vertrat  in  seinem  Referate  über  »Die  Beeinflus- 
sung d  es  Kunstsin  ncs  in  der  Naturkunde«  gleichsam  den  entg»^c:en- 
gesetzten  Standpunkt  des  Vorredners,  indem  er  dem  produktiven  Schaffen 
recht  viel  Wert  beilegte,  in  der  Beziehung,  daß  das  Kind  dadurch  leichter 
an  der  Anflkssung  der  Formen  gelange,  ohne  die  doch  ein  wahres  Kmist* 
geniefien  iricht  mSglich  sei  Seine  AnsfOhrungen  wurden  dmroh  eine  grOflen 
Zahl  von  Lichtbildern  nnterstfitct,  welche  sehr  interessante  Kinderzeich- 
nnngen  Tom  dritten  Lebensjahre  ab  und  Modellierarbeiten  aus  dem  Kinder- 
garten und  anderen  Scliulon  vorführten.  —  In  der  Debatte  wurde  die 
Verwertung  der  Zeichenschule  für  Kleine  von  Dyk  als  ein  Rückschritt 
bezeichnet,  da  sie  zur  Stuhlmannscheu  Methode  hinführe.  Sehr  lebhaft 
wurde  die  Debatte  bei  dem  Funkte  betreifs  des  Betrachtens  des  nackten 
KGipers.  Bine  grOBere  Zahl  der  Teilaehmer  stimmte  jedoch  dem  Befiareoten 
SU,  der  in  dem  geheimen  Verstecken  des  Nackten  geradein  die  aller» 
emstesten  Gefahren  erblickt. 

Den  letzten  Vortrag  hielt  Rektor  Dr.  MänneUHaUe,  welcher  Aber: 
»Die  Gliederung  der  Schuljugend  nach  ihrer  seelischen  Ver- 
anlagung und  das  Mannheimer  System«  referierte.  Rektor  Männel 
stand  auf  dem  Standpunkte,  welcher  sich  fQr  die  neue  Schulorganisation 
ausspricht  und  deckte  denselben  durch  eine  längere  geschichtliche  Ein- 
kitong  dieser  Inge,  Hierzu  ist  noch  zu  bemerken,  dsA  der  Yortngende 


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13.  Bohule  und  Büoher 


249 


die  neue  Einrichtung  in  Mannheim  praktisch  studiert  hat.  —  In  der 
Debatte  wurden  hauptsächlich  die  Fehler  dieses  Systems  berührt.  Rektor 
Schubert- Altenburg  nahm  an,  daü  durch  dasselbe  die  Lemscbule  zu  sehr 
betont  weide.  Dun  ervthnte  er,  cUift  es  kaum  mOglioh  sei,  die  Sohfiler 
ras  den  IMerklaaeeii  mit  ihfem  beeooderen  Lehrplui  in  den  der  Klaesen 
mit  NormalbeflUiigten  hineinzufahren.  —  Der  Unterzeichnete  gedachte 
des  Verhältnisses  zwischen  Schule  uod  Elternhaus  und  fahrte  aus,  daß 
dieses  durch  die  neue  Einrichtung  noch  ungünstiger  gestaltet  werde.  Die 
Unzufriedenheit  der  Eltern  habe  man  durch  so  manches  geweckt,  so  durch 
den  heutigen  unpsychologischen  Lehrplan,  der  noch  in  fast  allen 
Scholen  eine  Plage  des  Lehrers  und  der  Schüler  sei,  und  durch  die  Ein- 
richtung der  HilfBSchnlen.  Non  wolle  man  die  Kinder  einer  Familie 
noch  weiter  Toneinander  trennen,  nicht  nnr  in  der  Schale,  aondem  anoh 
in  der  Familie  und  im  späteren  Leben!  Und  nach  welchem  Dlaßstabe 
teile  man  z.  B.  die  4 — 5  Kinder  einer  Familie  ein,  so  daß  jedes  eine  be- 
sondere Schule  nötig  habe?  Dazu  habe  man  den  Mannheimer  Lehrplan 
gebraucht,  den  man  doch  für  sehr  verixjsserungsbedürltig  gehalten  habe! 
Damit  werde  die  Zufriedenheit  der  Eltern  gewiß  nicht  erreicht.  Und  dann 
aieherlich  erat  recht  nicht,  wenn  die  Eltern  erfahren  wOrden,  d&fl  man  in 
der  Kinderforeohnog  selbst  noch  nicht  dahin  §;elaogt  ist,  nm  eine  gnte 
imd  snfriedenatellende  Einteilang  der  Kinder  nach  den  ▼eredhiedensten 
BeAhigungsgraden  vorzunehmen!  Darum  solle  man  noch  lange  warten, 
bis  man  die  Mannheimer  Schiilorganisation  als  etwas  Musterhaftes  einführe. 
Nötig  sei  vor  allem,  daß  man  die  Eltern  erst  mit  dem  Gocrenwärtigen  zu- 
frieden mache,  und  dazu  gehöre  zunächst,  daß  man  .sie  pädagogisch  auf- 
kläre.   Da  seien  die  Elternabende  eins  der  bestgeeignetsten  Mittel. 

Nachdem  noch  manoheriei  GeeohiftlicheB  eriedigt,  unter  anderem  auch 
der  Ort  Ittr  die  nAchate  Jahieereraammlung  —  nimlich  f  lankf ort  a/M.  — 
bestimmt  worden  war,  schlofi  der  Voraitiende  unter  dem  Danke  an  das 
Leipziger  Ortsoomitö  die  übci-aus  wichtii^n  YerhandluDgen,  die  Ton  dem 
größten  Interesse  aller  Teilnehmer  begleitet  waren. 

Nordhausen  C.  Geisel 


13.  Schule  und  Bücher 

Von  0.  Hamdorff-Maichin 

Im  Beibktte  zu  Nr.  10  des  Bildungsvereins  vom  16.  Oktober  1901 
macht  II.  Wolgast  Yorschläge,  wie  die  SchülerbOcherei  für  den  Unter- 
richt besser  ausgenutzt  werden  könne.  ^)  Die  Frage  ist  wichtig,  und  es 
ßcheint  mir  darum  nicht  überflüssig,  den  Gegenstand  noch  einmal  zu  be- 
handeln au  der  Uaud  eines  Aufsatzes  von  A.  Steenberg,  Oberlehrer  zu 
Honens  m  JütUDd,^)  der  dieeen  Anbats  venendet,  mit  der  Bitte  ihm  mit- 
tnteUen,  >waa  in  den  TersdiiedeDen  Schulen  nnd  iBchem  geechehen  ist 

')  über  Einrichtung  und  Ausnutzung  der  ßchülerbihliothek. 
*)  Skolen  og  Bögerae  in  »Vor  Ungdom«  and  »Yaidandi«  1902. 


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250 


IfitteilttD^en 


oder  geschehen  kann,  um  die  Schuler  zu  einem  verstilndigen  Gebrauche 
der  Bücher  zu  erziehen  und  das  Lesen  zu  einem  organischen  Gliede 
des  ünterriohts  zü  maoheihc  Letzteres  ist  ja  auch  der  Gedanto 
Wolgasts,  deesen  Aulsats  Steenberg  aoch  aofOhrt  Haaptsidilioh  aber 
besieht  sich  d«r  dlnische  Schulmann  auf  die  Venostaltnngen  in  den  Yflr> 
einigten  Staaten. 

Znn.-ichst  ein  paar  Worte  über  den  g^;eiiwftrtigen  Zustand«  Auch 
bei  uns  trifft  Georg  Brandes  Wort^)  zu: 

>eB  gibt  in  luisrer  Zeit  nur  äußerst  wenigo,  die  überhaupt  lesen 
können,  lesen  mögen  und  einen  Nutzen  vom  Lesen  liaben.  Von  100  Per- 
sonen, die  lesen  kSnnen  (in  Dlnemark  gibt  es  l&brigens  &Bt  gar  keinen 
des  Lesens  Unkundigen),  lesen  90  nichts  anderes  als  Zeitungen:  einen 
Lesestoff,  der  keine  Anatrengnng  kostet,  in  dem  alle  die  Anfsilae,  die 
Verstand  erfordern,  übersprungen  werden,  t 

Ferner  lelirt  die  Erfahrung  in  Volksbüchereien  auch  bei  uns,  daß  die 
meisten  Menschen  nur  sogenannte  schöne  Literatur  lesen  und  davon  wieder 
fast  nur  Erzälilungen  und  Romane,  selten  Schauspiele  oder  Gedichte.  Voll- 
ständig fem  aber  liegt  der  überwiegenden  Mehrzahl,  nach  einem  Buche 
zu  greifen,  nm  daraas  etwas  zu  leinen. 

Der  Ormid  hierfür  liegt  ja  zun  TeQ  darin,  daB  das  Leoen  nnc  lor 
Unterhaltung  dienen  soll.  Aber  warum  wissen  die  meisten  MffntftM" 
nicht,  ein  Buch  als  Onmdlage  für  Denkarbeit  zu  benutzen  oder  zu  dem 
Zwecke,  sich  Kenntnisse  zu  erwerben?  Antwort:  die  Schule  hat  ihre 
Zöglinge  nicht  gelehrt,  das  Buch  als  ein  Arbeitwerkzeug  za 
verwenden.  Nicht  für  die  Schule,  sondern  fürs  Leben!  Dieser  Grund- 
satz (dem,  nebenbei  gesagt,  unsere  Schulen  noch  lange  nicht  entsprechen) 
sollte  auch  fOrs  Lesen  gelten.  Denn  dnroh  das  Lesen  banptaiflhlich  soll 
der  Erwachsene  nadi  der  Schulzeit  in  seinen  freien  Stonden  nach  der 
r^Imäßigen  Berufsarbeit  sich  weiterbilden.  Aufgabe  der  Büchereien, 
sagt  der  Führer  der  amerikanischen  Bibliothekbewegimg  Melvil  Dewey, 
ist:  die  erforderlichen  Bücher  zu  sohaflen,  Sache  der  Schule 
ist  es,  Leser  zu  bilden. 

Steenberg  geht  dann  auf  die  l)eideu  Arten  von  Büchern,  welche 
die  Schule  benutzt,  niher  ein:  die  Lesebficher  und  die  Lehrbücher. 
In  Betreff  der  ersteien  führt  er  Ellen  Keys  Worte  an,  die  auch  hier 
wiedelgegeben  sein  mOgen:*) 

^Durch  die  landläufigen  Losebßchor  wird  das  Kind  von  einem  zum 
andern  geführt,  nippt  flüchtig  hier  und  da,  bekommt  bald  diesen,  bald 
jenen  Ausblick,  der  ihm  aber  rasch  wieder  entrückt  wird,  ohne  daß  es 
sich  an  etwas  heften  kann. 

Das  war  iu  alten  Tagen  anders.  Da  hatte  man  eigentlich  kein 
ander  Lssebuch  als  das  ABC-Bnch  mit  einem  kilhenden  Hahne.  Wson 
das  dnrcfagearbmtet  war,  ging  man  über  zu  VoUnmflrohen,  lor  Bibel, 


>)  Oessmmelte  fikduiften.  Bd.  12.  8.  29.  Kopenhagen  1902. 
*)  Bamets  Arfaundradet,  Das  Jahihnndert  des  Kmdas.    Stockhoba  1900L 
2.  AbsohDitt;  Bächer  statt  Lesebücher  1 


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13.  Sehlde  und  Bacher 


251 


znm  Rol)inson,  zu  -weltgeschichtlichen  DarstelluDgeo  tod  Platardi  und 
(ia  SchweKlen)  Fn^cell.  Diese  Bflcher  "wiirden  immer  imd  immer  ge- 
lesen. Man  bekam  dadurch  den  Einilniek  von  etwas  Großem,  Unver- 
geßlichem, was  Einbildungskraft  und  Verstand  zu  neuer  Arbeit,  neuer 
Freude  anregte,  wähi^end  heute  die  Kinder  nur  verlangen,  von  Stück  zu 
Stflok  weiter  m  kommen,  mn  zu  leben,  ob  niobt  en^UUoh  etwas  Ergütz- 
Hohes  kommt« 

Und  in  diesem  der  Wirklichkeit  entsprechend  geschilderten  Zustande 
findet  Steenberg  (wie  Wolgast)  den  Grund,  daß  die  meisten  Menschen 
im  Romanlesen  nichte  suchen  als  flüchtige  Zerstreuung:  sie  betrachten 
das  Buch  nicht  als  Ganzes,  verfolgen  nicht  die  Entwicklung  der 
eiuzelneu  Charaktere;  die  Schule  hat  sie  ja  nicht  gelehrt,  mehr  aus  einem 
Buche  m  sieben.  Und  die  Literaturgesohiobte  der  Schule?  Der 
Zweck  des  üntemohtes  in  diesem  Fache  ist  doch  hanptsloblidb,  den 
Schfilern  für  die  AbgangsprOfnng  eine  Art  Obeisioht  Uber  das  beimisobe 
Schriftentum  zu  geben,  statt  sie  dabin  su  bringen,  daS  sie  an  den  Sobriiten 
der  Dichter  Gefallen  finden. 

Zweitens  die  Lohnbücher.  Die  mündliche  Unterweisung  allein  ge- 
Dügt  nicht;  der  Scliüler  t)ekoramt  dadurch  keine  Übung,  das  geschriebene 
Wort  verstehen  zu  lernen,  um  daraus  Nutzen  zu  ziehen.  Andrerseits  ver- 
vnidit  das  Lehibodi,  dessen  lobslt  der  Schiller  seinem  Gedlebtnisse 
einprtgen  mnB,  ihm  Tiele  Qualen  und  unterdrückt  oft  seine  Selb- 
Btftndigkeit.  Der  mfihsam  eingelernte  Wissensetoff  wird  bald  wieder 
vprgessen,  mit  den  Schulbüchern  aber,  die  nur  dazu  gedient  haben,  das 
Gedächtnis  mit  solchem  Stoffe  zn  füllen,  der  fürs  T;oben  keinen  Wort  hat, 
werden  gar  leicht  auch  alle  andern  Bücher  als  unnüt/.or  Kram  verworfen. 
(Wem  fallen  nicht  die  zahlreichen  Aufforderungen  besonders  in  Studenten- 
hedem ein,  wie  jenes: 

»Weg  mit  Büchern  und  Papieren! 
Weg  mit  jedem  ZeitoDgswiaohl«) 

Folgerung:  die  Schule  darf  nicht  Iflnger  ihre  Aa|gabe  yeroaohlässigen, 

die  Bücher  zu  Freunden  der  Schnicr  zu  machen,  yreoD  auch  nicht  in 
dpm  Maße  —  und  das  möchte  auch  ich  besonders  betonen  —  daß  wir 
Ober  sie  das  Leben  vergessen,  doch  so,  daß  wir  bei  ihnen  Auskunft 
und  Hilfe  suchen,  das  Leben  reicher  und  glücklicher  zu  gestalten. 

Hierbei  weist  Steenberg  auch  auf  den  Wert  der  Bilder  als  ünter- 
riebtsmittel  hin:  Bilder  kdonen  selbstrersttaidlioh  nicht  die  Gegenstände 
ersetzen  (b.  B.  im  natnrknndlicben  ünterrichto).  Anob  müssen  die  Kinder 
erst  angeleitet  werden,  aus  Bildern  etwas  zu  lernen.  Wer  eine  Anzahl 
Kioder  gleichzeitig  ein  oder  mehrere  Bilderwerke  beschauen  läßt,  z.  B.  einen 
geschic-htlichen  Bilderatlas,  wird  deutlich  bemerken,  wie  verschieden  die 
Fähigiceit  ist,  aus  den  Bildern  etwas  horans/tisehen :  während  einige  von 
deo  Kindern  vor  dem  Bilde  sitzen,  es  studieren,  und  dabei  eine  Einzelheit 
DMh  der  andern  heraoBfinden,  wcUen  andeie  das  Bnch  in  der  kflnesten 
Zeit  dmehbUttem,  denn  sie  kfkmen  den  Bildern  nichts  absehen. 

Die  Frage  ist  nnn:  wie  soU  man  die  Sinder  an  den  Umgang  mit 
Büchern  gewöhnen,  wie  kann  man  ihnen  aeigen,  was  die  BOdher  Chiles 


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252 


Ifitteilaiigea 


enthalten,  wio  kann  man  sie  lehren,  zwischen  den  Buchern  zu  wählen 
und  den  größtmöglichen  Nutzen  aus  ihnen  zu  ziehen;  endlich:  wie  kann 
man  die  Kinder  dahin  bringen,  die  BQoher  aach  gut  sa  behandeln?  AUe 
diese  Fragen  sind  wohl  nirgends  ao  eifrig  erOrtert  wmden  wie  in  den 
Vereinigten  Staaten  von  Nord-Araerika. 

Im  Jahre  1898  setzte  die  National  Educational  Association  einen  Aus- 
schuß ein  zur  Behandlung^  der  Frage:  wie  die  öffentlichen  Büchereien 
und  die  öffentlichen  Schulen  zusammenarbeiten  können.  Daß 
nian  die  Frage  so  stellte,  erklärt  sich  aus  der  großen  Bedeutung,  welche 
die  öffentlichen  Büchereien  grade  in  den  Vereinigten  Staaten  besitzen.  Der 
AnsschuB  nnteisnchte  jedoch  aooh  daa  VerfaSltnis  der  Sohnlen  in  d» 
BQchem  im  allgemdnen.  Ein  Bericht  übw  diese  üntersnöhongen  findet 
dch  im  Report  of  the  Commissioners  of  Education  for  the  years  1899  bis 
1900  vol.  I,  Washington  1901.  Auch  in  den  amerikanischen  Schulzeit- 
ßchriften  und  Biblothekzeitschriften  wird  die  Frage  eifrig  erörtert.  Das 
große  »Library  Journal«  gibt  in  jedem  Frühjahre  eine  besondere  >Schul- 
nummer«  heraus.  Wenn  auch  selbstverständlich  bei  der  Vei'schiedenheit 
der  SchuleinrichtuDgen  und  besonders  der  Bibliothekyerh&ltnisse  die  Ycr- 
adhUge  der  amerikanischen  Schnlmftnner  wid  Bibliothekare  nicht  mimitteUiar 
anf  andere  Länder  llbertiagen  werden  kOonen.  so  sind  sie  doch  sncfa  fflr 
nns  lehrreich.    Stcenberg  gibt  daher  das  Widitigste  daraus  wieder: 

1.  Sobald  das  Kind  lesen  gelernt  hat,  kann  man  ihm  durch  Bilder- 
bücher Gefallen  (Interesse)  an  Büchern  beibringen.  Eün  Verzeichnis 
guter  Bilderbücher  ist  das  erste,  wofür  die  Büchereien  zu  sorgen 
haben;  auch  müssen  die  Büchereien  sich  reichlich  mit  diesen  Büchern 
Tenehoii  nm  sie  ins  Hans  au  ldhen.(?)  Eine  knrae  ünteiadirift  mter 
den  BUdem  dürfte  das  erste  sein,  was  das  Kind  anf  mgene  Hand  liest 
Hat  das  Kind  erst  die  Ennst  des  Leeens  erfaßt,  so  ist  es  erfiüunmgagemAft 
leicht,  daa  Kind  zum  selbstftndigeD  Lesen  zu  bringen.  Die  Gewohnheit 
SU  lesen  entsteht  meistens  im  Alter  von  11  bis  16  Jahren. 

2.  Wenn  die  Kinder  sich  ans  Lesen  gewöhnt  hal)en,  gilt  es  die 
besten  Bücher  für  sie  zu  beschaffen.  Es  müssen  also  Bücherver- 
zeichnisse hergestellt  werden,  die  nicht  nur  nach  Fächern,  soudeni 
auch  nach  dem  Alter  der  Kinder  und  der  Lehranfgabe  in  den  einselaeB 
Khwsen  geordnet  sind.  Hieriiei  ist  ein  inniges  Znsammenwirfceo  m 
Ldhrem  und  Bücberwarten  erfoi-derlich.  Auch  ist  zu  ennittdn  nnd  dann 
zu  berüoksiohügen,  wie  die  Kinder  selber  Uber  die  einielnen  Bdoher 
urteilen. 

(Bei  uns  wirken  in  dem  angegebenen  Sinne  die  aus  Yolksschnlehrem 
zusammengesetzten  »Prüfungsausschüsse  für  .Tugendschriften«, 
deren  Organ  die  »Jugendschriften -Warte«  ins  11.  Jahr  getreten  ist  DaA 
die  empfohlenen  Bücher  immer  gut,  die  anrOckgewieseneQ  Bfidier  immer 
ao  spottsehlecht  sind,  wie  einxelne  gemacht  weiden,  mMte  ich  besweüebL 
Unfafibar  bleibt  mir  z.  B.  das  Lob  des  »Fitzebutze« ,  das  eine  Zeitschrift 
meines  Erachtens  treffend  als  »dehmligen  Quatsch«  bezeichnet  hat;  auch 
die  »Arche  Noah«  ist  nicht  einwandfrei.  Andrerseits  wird  der  gewiß 
etwas  viel  schreibende  Bruno  Qarlepp  doch  gar  zu  sehr  herunteigemacht, 


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13.  Schule  und  Bücher 


253 


QDd  nicht  viel  besvser  —  aber  auch  oft  mit  Unrecht  —  erj^eht  es  dem 
waokern  Tanera.  Gern  muß  man  aber  anerkennen,  daß  die  vom  Hamburger 
Prüfungsausschüsse  selber  herausgegebenen  Bändchen  gut  ausgewählt  sind. 
Zu  groß  braucht  die  Mustenammlung  nicht  zu  sein;  denn  wir  woUeD  die 
Kinder  nicht  sa  YielleBern  enielieDf  aondem  sa  deokenden  Lesern, 
und  wollen  sie  auch  doich  das  Bflöherlesen  nicht  absieben  Ton  der  Natnr, 
die  stets  die  eindrin^iohste  Sprache  sprechen  soll.  Ich  finde  es  darum 
ni  weitgehend,  in  Amerika  einzelne  Büchoreien  auch  in  den  öffent- 

lichen Anlagen  Bücherhallen  einrichton,  um  die  in  den  Aolageo  sich  auf- 
haltenden Kinder  mit  Lesestoff  zu  versurgen.) 

3.  Wie  erzieht  man  nun  die  Kinder  zum  richtigen  Gebrauche 
der  Bflcher?  Steenberg  beginnt  mit: 

a)  Ersähinngen  nnd  Romane,   ffier  fieffen  die  V<ffBchUlge  der 
Amerikaner  ungefBhr  mit  den  Wolgastschen  sosammen.   Erste  Fordening 
ist:  man  beginne  mit  kürzeren,  aber  stets  mit  ganzen  EisBhlangen,  ganzen 
Romanen,  gebe  keine  Bruchstücke.   Um  einen  Üt>ergang  von  der  münd- 
lichen Erzählung  herzustellen,  die  beim  ersten  rnterriclitc  stot.s  eine  große 
Rolle   spielen   wird .    erzähle  man  erst  ein  Stiic-k    von  einer  Geschichte 
und  lese  dann  ein  Stück  daraus  vor.    (Eine  solche  Verbindung  von  Er- 
sttden  und  Yoileeen  hielte  eine  wichtige  Bolle  in  Kristian  Eolde  Yolks- 
bochaohnle,  wobei  namentlioh  Ingemanns  gesohicbtliöhe  Romane  benntst 
worden.    Und  auf  dieselbe  Weise  läßt  Humpbiey  Ward  in  dem  viel- 
gelesenen  Romane  »Robert  Elsmero«  den  jungen  Geistlichen  Shakespeare, 
Don  Qnixote,  Dumas  \ind  Walter  Scott  benutzen.)    Weiter  lasse  man  die 
Kinder  etwa  eine  halbe  Stunde  lang  für  sich  ein  Stück  aus  einem  Buche 
lesen  und  dann  wiedererzählen:  so  gewohnt  man  sie,  über  das  nachzu- 
denken, was  sie  lesen.    Haben  alle  Kinder  dasselbe  Buch  ausgelesen,  so 
macfae  man  es  som  Qegenstude  einer  Besprechmig,  lasse  die  Ghaiaktere 
dar  Persooen  nnd  deren  Handlnngsweise  erUiren,  die  Umgebnog  (Soenerie) 
sebildem.    Dabei  belehre  man  die  Kinder  über  die  Yerhftltnisse  mit  Hilfe 
aderer  Bücher,  Landkarten  oder  Bilder.    Endlich  mache  man  ihnen  Mit- 
teilungen über  den  Verfasser.   Diese  Unterstützung  setze  der  Lehrer  auch 
später  fort,  wenn  die  Schüler  Scliauspiele  oder  Gedichte  lesen.  Mittels 
dieser  Hilfe  und  des  Zusammenarbeitens  in  der  Klasse  werden  die  Schüler 
weit  schwierigere  Bücher  lesen  können,  als  wenn  sie  sich  yon  Anfang  an 
gus  ftberiaaaen  sind. 

b)  Btkdier,  weilebe  Geschichte,  Erdkunde,  Naturwissenschaft 
bdisndelo.  Diese  mflseen  sich  an  den  Lehrstoff  anschließen,  der  in  der 
yiiooo  durchgenommen  wird.  Die  Bücher  sollen  dem  Schült  r  weiter 
gebende  Belehrung  bieten  über  das,  was  das  Lehrbuch  bringt.  Aber  auch 
zu  ihrer  Benutzung  muß  der  Schüler  herangebildet,  bei  uns  sogar  heran- 
gezogen werden.  (Wir  haben  gerade  auf  diesem  Gebiete  in  den  letzten 
Jshnehnten  eine  große  Zahl  vorzüglicher  Bücher  erhalten,  aber  der  Nntaen 
ist  bb  jetst  sehr  gering,  weil  unsere  Jugend  nicht  mehr  selbständig  sein 
nag.  Die  Zahl  der  Schiller  einer  höheren  Lehranstalt,  die  m  der  obersten 
Klasse  Gustav  Freytags  Bilder  aus  dor  deut.-chen  Vergangenheit,  Riehls 
Land  und  Leute,  die  Familie,  die  bürgerliche  Gesellschaft,  Daanemanns  Ge- 


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254 


MitteUungea 


schichte  der  Naturwissenschaften  u.  a.  durchgelesen  haben,  möchte  sehr 
gering  sein.  Und  dabei  kann  man  tlem  Schüler  nicht  einmal  einen  so 
groüeu  VorwuH  daraus  machen.  Er  muü  ja  zur  Prüfung  t  büffeln  c,  wie 
ei  is  dneoL  alten  Stadentanliede  heifit: 

»wie  ein  Ochs  vor  seiner  Molda 
sitst  er  da  vor  seiooin  Pulte;« 

wo  bleibt  da  Zeit  zu  freier  Arbeit,  wie  sie  dem  trefflichen  Scheibert 
Tonehwelylid?  In  seinem  Bache  aber  das  »Wesen  te  höheren  Bfiiger- 
sohnlec,  das  s'war  schon  1848  erschienen  ist,  dessen  Gedanken  aber  noch 

der  Verwirklichung  harren,  in  diesem  anscheinend  vergessenen  Buche 
schlug  der  damalige  Direktor  der  Friedrich- Wilhelms-Schule  zu  Stettin  als 
Stätten  pnicher  freier  wissenschaftlicher  Arbeit  Schul  Vereinigungen 
vor,  deren  Mitglieder  sich  auf  den  verschiedenen  Gebieten  mit  Hilfe  voo 
Büchern  und  Vorträgen  selbsttätig  weiterbilden  sollten.  Aus  meiner  Ijehrer- 
t&tigkeit  an  einer  höheren  Schule  in  Schlesien,  wo  der  alte  Scheibert  als 
Sdiukat  waltete,  erinneie  ich  midi  eines  sohdien  Vereins,  »litennac 
nannte  er  sich  mid  bescbSfÜgte  sich  mit  schOner  literatorf  zog^eich  aber 
auch  und  bald  fast  auBScUießlioh  mit  dem,  was  jüngst  ein  mit  dem  Zeug- 
niese  der  Reife  enthissener  junger  Mann  als  das  »edelste  Lsster  des  0«^ 
manen«  bezeichnete,  mit  Enei|>en,  und 

»da  war  es  natürlich  vorbei,  t 

Es  ist  eben  bei  solchen  Veranstaltungen  durchaus  nötig,  daü  die  Schule 
die  Obeiaufsicht  führt.    Dann  können  sie  Großes  leisten  für  die  wisseo« 
scliaftliche  Ausbildung.)    Auf  eines  weisen  auch  die  Amerikaner  hin: 
Sohfller  mnfi  gewohnt  werden,  sich  ans  den  gotooonen  BUohem  Anf- 
seichnnngen  zu  machen, 

o)  Wörterbücher  und  Konvenatioiislezika.  Deren  richtige  Benutzung 
erfordert  besondere  Übung.  (Bei  nns  gibt  man  viel^Kih  anfangs  den 
Schülern  besondere  »Prüparationen«  in  die  Hände.  Richtiger  ist  wohl,  mit 
ihnen  in  der  Klasse  mit  Hilfe  eines  nicht  zu  umfangreichen  allgemeinen 
Handwörterbuchs  den  Schriftsteller  zu  losen,  und  sie  dabei  in  den  Ge- 
brauch des  Wörterbuches  einzuführen.) 

4.  Die  Forderung,  die  ich  vorhin  schon  in  Betreff  der  freien  Schüler- 
vereinigungen aufstellte,  maohen  die  Amerikaner  ebenfsUs  in  Bezug  auf 
das  Lesen  geltend:  die  Schule  mtifi  wissen,  was  der  Sohttler  liest  Der 
Klassenlehrer  fahrt  über  das  Lesen  seiner  Zöglinge  Buch. 
(Dann  wird  er  freilich  um  einige  Unterrichtsstonden  in  der  JUasse  snt' 
lastet  worden  müssen.) 

5.  Eine  weitere  Forderung  ist:  die  Schule  muß  auch  die  SchQler 
daran  gewöhnen,  die  Bücher  gut  zu  behandeln. 

in  einigen  amerikanischen  Städten  liabeu  die  öffentlichen  BQchereien 
Eindervereinigungeu  für  gute  Behandlung  der  Btlcher  gegründet  Die  IGt- 
glieder  verpflichten  sich,  schonend  mit  den  Bfichem  rnnzogehen,  nnd  aooh 
andere  EÜnder  dafür  sa  gewinnen.  Die  Mitglieder  haben  besondere  Ab- 
zeichen, versammeln  sich  zu  VortrSgen  über  Bücher  (vergl.  »Literaria«!), 
versenden  Buchzeichen,  aof  denen  Hegeln  über  die  Behandlung  der 


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13.  Schale  und  Bücher 


255 


Bücher,  gntc  Kntschhige  für  das  Lesen  and  kleine  fiflohei^ 
Terzeichnisse  gedruckt  sind. 

{Daß  bei  uns  die  Behandlung  der  Bücher  viel  zu  wünschen  läßt,  so- 
wohl bei  Schülern  wie  bei  Erwachsenen,  weiß  jeder  Lehrer  und  jeder 
Leiter  «ioer  VolkBbOcherei.  loh  war  daher  freudig  übemacht,  ala  ich  in 
der  ilfieotUchen  Bücherei  an  Zwickan  die  aanber  gehalteaeo  Bücher  eah, 
deren  Schutzumschläge  nach  amerikanischem  Vorbilde  attfgedmckle  Regeln 
enthielten.    Das  Verfahren  scheint  naciiahmenswert.) 

6.  Eine  wosentlicho  Vorbotlincrnncr  für  die  r«>ehtt->  Benutzung  der  liuchcr 
durch  die  Kinder  ist,  daii  der  lx)hrer  selbst  ein  guter  Kenner  von  Hücliorn 
und  Freund  des  Lesens  ist.  Dafür  muß  wieder  das  Seminar  sorgen. 
Bb  muß  mit  guten  Büchern  versehen  sein  und  seine  Zöglinge  unterweisen, 
wie  eine  Bücherei  einsoriehten  nnd  m  leiten  ist  Die  Seminarbücherei 
mat  danim  auch  Jngendacfariften  enthalten. - 

7.  Wie  sollen  die  nötigen  Bücher  für  die  Schulen  beschafft  werden? 
In  den  Vereinigten  Staaten  sorgen  im  allgemeinen  die  öffentlichen 

Büchereien  dafür.  In  seinem  trefflichen  Buche  üKer  Volksbüchereien  er- 
mähnt Stecnberg  das  Wort  des  Engländers  Green  wood:  »in  den  Ver- 
einigten Staaten  nehmen  diese  Einrichtungen  eine  so  hervoiTagcnde  Stelle 
iai  Leben  des  Volkes  ein,  daB  ihr  Fehlen  in  einem  Bezirke,  besonders  in 
den  alten  Staaten,  diesen  Bezirk  als  rückstSndig  erscheinen  IftBt«  ^)  Diese 
WenUiohen  Bücheroieo  lichten  besondere  Jugendbüchoeien,  oft  mit  Lsee- 
nrnmern  ein,  senden  kleine  Büchersammlungen  an  die  Schalen,  laden 
einzelne  Schulklassen  zum  Besuche  in  den  Büchereien  ein,  um  ihnen  Ge- 
legenheit zu  lieben,  einen  besonderen  Gegenstand  eingehend  zu  studieren. 
Sie  erleiehtern  den  Lehrern  den  Zutritt  zu  dei  Bücheij^minilung  luid  ge- 
statten ihnen,  die  geliehenen  Bücher  weiter  au  die  Schulkinder  zu  ver- 
leihsn,  irlhrend  sonst  das  Weiterverleih«!  strenge  verboten  ist 

ISn  groüer  Teil  der  amerikamsohen  Schulen  besitzt  aber  auch  selbst 
BAcbersammlnngen,  z.  B.  Klaasenbüchereien  von  etwa  50  Binden,  die  mit 
besonderer  Rücksicht  auf  das  Alter  der  Schüler  und  die  Lehraufgabe  der 
Klasse  ausgewählt  sind.  Ein  Teil  davon  sind  Handbücher  zum  Gebrauche 
an  Ort  und  Stelle,  andere  werden  nach  Hause  verliehen.  Der  iTciirer  be- 
nutzt jede  Gelegenheit,  auf  diese  Bücher  hinzuweisen,  verlangt  von  einem 
Schüler  eine  kurze  Inhaltsangabe  von  dem  Buche,  das  dieser  zuletzt  ge- 
Iseea  hat,  usw.  Si  wird  mcfat  erwartet,  daü  alle  Kinder  alle  Bücher 
lesen,  da  Geschmack  und  Neigong  verschieden  sind.  Die  Kinder  dürfen 
viebnehr  selbst  auswählen,  was  aie  lesen  wollen,  und  ihr  Urteil  über  ein 
neaes  Buch  wird  berücksichtigt  bei  der  Entscheidung,  ob  das  Buch  der 
KlSBaenbücherei  einverleibt  wenlen  soll. 

Aus  dem  Mitgeteilten  geht  hervor,  daß  planmäßig  geordnetes 
Lesen  eiu  wichtiges  Glied  im  Betriebe  der  amerikanischen  Sch>den  ist. 
Steenberg  vergleicht  damit  den  Zustand  in  den  nordischen  Ländern.  In 
Sehweden  hat  der  Lebrerverein  Bficherlisten  zuaammeogestellt,  auch 


0  Andr.  Soh.  Steenberg,  Folkebogsamlioger,  deres  Historie  og  lodretaing. 
8-  36  a.  37.  Kopenhagen  1900. 


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266 


ICttaaniigeB 


Mus  torsammlungen  eingerichtet  und  eine  Jugendbflcherei  >Saga< 
(Sage)  in  Heften  herausgegeben.  In  Norwegen  hat  ein  Verein  für  Einder- 
nnd  Ingeiidbflolieraieii  eben&Us  BQobenreneiohmflse  nnd  Jogendblldier  het- 
ansgiQgeben.   In  Dftnemark  ist  die  I^age  oft  von  Lehrerveranen  und  in 

Lchrerversammlungen  erörtert  worden ,  zuletzt  auf  dem  6.  allgemeiiMn 
Lehrertage  (Skoleraöde)  im  August  1899  von  Steenberg  und  Petersen. 
Aus  den  Erhebungen  zu  diesen  letzten  Verhandlungen  ging  nach  Steen- 
bergs  Worten  hervor,  »daß  es  mit  den  Jugend bQchereien  rocht  schlecht 
steht«  Und  es  ist  demnach  aller  Grund  vorhanden  zu  erwägen,  wie  man 
am  besten  eine  bessere  uod  umfassendere  Benutzung  der  BOoher  in  den 
ScfaideD  eireichjea  kann,  und  ob  diese  umfiuseode  Yerwendnog  siofa  mit 
dem  bestehenden  Lehrplane  Teieinigen  I&fit  oder  eine  Umgestsltong  des 
letsteren  nötig  macht,  damit  der  Schulplan  diesen  widitigen  Tal  der 
Kldungsarlteit  (durch  BQcbcr)  aufnehmen  kann. 

Da  wird  —  meint  Steenberg  —  sogleich  der  Einwand  gemacht 
werden,  daß  weder  die  Volksschule  noch  die  höhere  Schule  Zeit  zu  dieser 
Arbeit  hat    Und  doch  muß  jeder  zugeben:  gelingt  es  der  Volksscliule, 
die  Kinder  zum  filldhertossD  in  bringen  und  zur  liohtigen  Benutzung  der 
Blleher,  so  können  sie  sieh  durch  hinsliches  Lesen  eine  grofle  Menge  m 
nfitclichen  Kenntnissen  selbstt&tig  aneignen.  Was  aber  die  höheren  Sohoko 
anbetrifft,  so  wird  auch  in  Dänemark  viel  geklagt  Ober  die  bisherige  Art, 
das  Gedächtnis  der  Schüler  mit  Wissensstoff  zu  überladen,  der  nur  bei  der 
Prüfung  gebraucht  wird.    Eine  Umgestaltung  der  Prüfuut;,  meint  daiier 
Steenberg.  ist  durchaus  notwendig:  eine  Umgestaltung  der  Art,  daß  die 
Prüfung  mehi-  das  Auffassungsvermögeu,  die  Fertigkeit  und  Reife 
zu  zeigen  hat  als  das  Yorhandeasmn  einer  gewissen  Menge  von  Kennt- 
nissen, die  mühsam  dem  Qedlchtnisse  eingeprigt  sind  und  wovon  flis 
großer  Teil  schon  nach  wenigen  Monaten  vergessen  ist  Daß  Qbrigeas  dio 
bestehende  Prüfungsart  (dio  in  Dänemark  nicht  anders  ist  als  bei  uns) 
durchaus  keine  Gewähr  für  die  wirkliche  »Reife«   des  Prüflings  bietet, 
sagt  sch'tn  Scheibert  in  dem  genannten  Buche:  er  schreibt  (S,  391),  >daß 
bei  dem  vielen  positiven  Wissen,  das  die  Abiturienten -Instruktion  fordert, 
auch  der  Dummkopf  sich  für  ein  solches  E:>camen  reif  machen  kann,  wena 
derselbe  nur  'WiUeDskxBft  und  Auadauer  genug  besitstc    Und  der  weife- 
blickende  Schulmann  schlug  daher  schon  1847  tot:  »reif  ist  der,  welcher 
in  einer  Wissenschaft  und  einer  Kunst  Tfichtiges  leistet  und  dabei 
durch  Darlegung  seiner  freien  Tätigkeit  (dargetan  durch  die  selb- 
ständigen Arbeiten,  die  er  w.ihrend  der  letzten  beiden  Schuljahre  auf  den 
verschiedenen  Gebieten  geliefert)  gezeigt  hat,  daß  er  bis  zu  einer  ge- 
eigneten und  fruchtbringenden  Selbstbeschäftigung  in  einem  Gebiete 
mindestens  vorgedrungen  sei,  und  dabei  von  der  Schule  ein  gutes  Sitten- 
zeugnis erhalten  hat«  (8.  388).   FQrs  erste  ist  wohl  nicht  daran  so 
denl^n,  dafi  die  BeileprOfung  in  diesem  Sinne  umgestaltet  werden,  ob- 
gleich für  die  ISrteilung  des  viel  begehrten  Einjährigenscheioes  das  Zu- 
geständnis gemacht  worden  ist,  daß  als  Ersatz  für  die  »wissenschafthche 
(4huilifikation«  hervorragende  L(Mstungen  auf  dem  Gebiete  doj-  Kunst  oder 
lies  Kunstgewerbes  treten  könneu.  Das  ist  immerhin  i^chon  etwas,  und 


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14.  StaatUoh  oginisierte  VoLkssohnlbibliotheken  in  Uogani 


2S7 


die  lu^ische  Prüfungskommiseion  hat  eich  sogar  80  «i^genkommend  ge- 
zeigt, daß  sie  einem  Knastfiabrer  die  BeieohtigiiDg  zum  einjShngen  Dienste 

erteüt  hat.  (!) 

üm  jedoch  auf  die  Fragt?  des  Lesens  zurückzukommen,  so  sclicint 
mir  ein  Grund  für  die  unrichtige  Benutzung  der  Bücher  als  Bildungsmittei 
TOD  sehen  der  Schflier  der  su  frühe  Beginn  des  Lesens.  Mit  fiecbt 
klagt  PeetBloizi,  «daß  man  (durch  das  FeaeelD  der  Kinder  an  den  Scbrdb- 
tiMdi  und  das  Buch)  die  ganze  Natur  vor  ihren  Augen  yereohwinden 
madit«.  Und  ^ie  die  Volksechule  an  den  sechsjährigen  Kindern  sündigt, 
60  später  die  höhere  Schule  an  den  neunjährigen,  die  ohne  genugendo 
Kenntnis  ihrer  Muttersprache  eine  fremde  Sprache  lernen  sollen,  mag  es 
nun  Latein  oder  Franzosisch  sein.  Das  rächt  sich  durch  die  offenkundige 
Unfähigkeit,  die  Bücher  nützlich  zu  verwenden  oder  gar  durch  Oeriog- 
adiätgnng  dieser  BUdungamitteL 

Steenberg  BchlieBt  mit  einer  kleinen  Geechiohte.  Ein  Scbulinspektor» 
60  schreibt  er,  erzihlte  mir  einmal:  als  die  SdiulbAder  in  den  Qemeinde- 
scholen  eingeflUirt  worden  wasea,  da  frigtan  die  Kinder,  wie  sie  von  der 
Schule  abgingen:  »wo  werden  wir  denn  nun  unsere  Bäder  bekommen?c 
Und  Steenberg  fälirt  fort:  »Wäre  es  nicht  das  Naturgemäße  für  unsere 
Schulen,  die  jahrelang  die  Schuler  zwingen,  Bücher  zu  benutzen,  daß  die 
Schüler  nun  auch  beim  Abgange  kommen  und  fragen:  wo  werden  wir  iii 
Znkonft  etwaa  au  lesen  bekommen?« 


14.  Btaatlioh  organieierte  VolkMohiilbibliotliekeii  in 

Ungarn 

Wir  woUen  in  den  folgenden  Zeilen  Uber  die  Entwicklung  einer  In- 
ititatioa  Beriebt  erstatten,  die,  sovfU  wir  wissen,  keine  diiekte  Vorgingeria 

im  eoropäischen  Bildungsweeen  hat,  nämlich  über  die  staatliche  Organi- 
sation der  VolksschuUiihliotheken  in  Ungarn.  Das  Werk  dieser  Organisation 
ist  vor  einigen  Jahren  unter  dem  vorigen  Unterrichtsminister  Wlassics 
begonnen  worden  und  vor  kurzem  imter  dem  jetzigen  Unterrichtsminister 
Berzeviczy  zu  einem  vorläufigen  Abschluß  gekommen.  Die  Kontinuität 
der  DnrchfQhmng  yerbOrgte  die  Person  des  Ministerialrates  Haläsz,  der 
adion  asit  einem  Jahraehnt  die  Angelegenheiten  der  Volksschule  im 
vngarisohen  Unterriehtaministerium  mit  killtiger  und  sielbewufiter  Hsad 
leitet. 

Der  Oedanke,  die  Volksschulen  des  Landes  mit  Jugendbibliotheken 
auszustatten .  deren  Inhalt  von  den  Organen  des  Staates  geprQft  und 
approbiert  werden  sollte,  geht  schon  auf  das  Jahr  1899  zurück. 

Zuerst  dachte  das  Unterrichtsministerium  daran,  durch  den  Landes- 
anterrichtsrat  eine  Liste  jener  Schriften  zusammenstellen  lu  lassen,  die  in 
den  Jogendbibliotheken  Platz  finden  sollten.  Die  Ausfahrang  dieses  Ge- 
dankens erwies  sich  aber  nicht  als  zweckentsprechend  und  da  legte 

aSMritl  fOr  FUknphi»  vaA  Fldagogik.  12.  JahiKnag.  17 


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258 


Mitteiltm^n 


Minister  Wlassics,  der  seine  Pläne  vor  ihrer  Verwirklichung^  gerne  eiiMr 
öffentlichen  Besprechung  unterwarf,  die  auf  die  Angelegenheit  der  Tneend- 
bibliothoken  bezüglichen  Fragen  einer  aus  vorneiimen  Vertretern  des  Unter- 
richtswesens, der  Literatur  und  des  Buchhandels  bestehende  Enq^ucte  vor. 
Das  Bflmdtat  der  hier  gepflogenen  Beratung  war  dann  im  Jahre  1902  das 
Anfetellen  eines  Gomitte  xur  Leitung  des  Volkascbiilbibliotheksweeens 
(N4pi8kolai  i^üafigi  k5ogot&rabka  intOzö  bizottafig)  und  das  Herausgeben 
eines  Statutes,  das  den  Wirkungskreis  dieses  Comitös  n&her  wa  bestimmen 
berufen  war.  Dieses  Statut  dürfte  auf  das  Interesse  weiterer  Kreise 
rechnen  können,  und  wir  wollen  dessen  wichtigste  Punkte  hier  mitteilen. 
Aus  §  1.  Der  Minister  für  Kultus  und  T'ntorncht  organisiert  behufs  Be- 
gutachtung der  Jugendschni'ten  und  Kialiihruug  der  uui  diese  bezüglichen 
Angelegenheiten  ein  Comitö.  Dieaee  Comitö  hat  die  Aufgabe  die  Jugend- 
literatnr  au  beobachten,  an  kontrollieren  und  zu  lenken.  Das  Gomit6  be- 
steht aus  einem  Vorsitzenden,  einem  Referenten  (Schriftführer)  und  12  Mit- 
gliedern, die  vom  Minister  auf  5  Jahre  ernannt  werden.  §  2.  Für  die 
Jugendbibliothekeu  der  unter  der  Verfügung  und  Leitung  des  Ministers 
stehenden  Volksschulen  dürfen  nur  solche  Jugendsehriften  angeschafft 
werden,  die  der  Minister  auf  die  verantwortliche  Empfehlung  des  Comites 
hin  in  den  Katalog  der  Volksschulbibliotlieken  aufgenommen  hat.  Aus  §  3. 
Um  die  Aufoahme  einer  Jogendschrift  in  den  ministeriellen  Katalog  hat 
der  Verleger  in  einem  an  den  Minister  gerichteten  und  bei  dem  Comit6 
einzureichenden  Gesuche  einsnkommen.  §  5.  Die  eingereichte  Jogend- 
schrift wird  von  dem  Comite  einem  außenstehenden  Rezensenten  ausgefolgt, 
der  die  Jugendschrift  nach  folgenden  Gesichtspunkten  prüft:  1.  ist  sie 
nach  Inhalt  und  Form  wertvoll?  2.  Ist  in  ihr  nichts  von  patriotischem 
Gesichtspunkte  aus  zu  beanstanden?  3.  Ist  sie  frei  von  jeder  Aufreizung 
gegen  irgend  eine  Konfession?  4.  Enthält  sie  nicht  Ausdrücke,  die  dem 
Geiste  religiOSpaittlicber  Ersiehung  widersprechen:  0.  Entspricht  sie  in 
sprachlich -stilietischer  Hinsicht  den  Anfbiderangen?  6.  Taugt  sie  für 
Schüler  der  eigentlichen  Volksschule  (mit  täglichem  Unterrich)  oder  für 
die  der  Fortbildungsschule?  7.  Sind  Druck  und  Preis  entsprechend?  Zu 
bemerken  ist,  daß  wenn  die  Jugendschrift  in  Sprache  und  Stil  unzureichend 
ist,  sie  bei  allen  sonstigen  Vorzügen  in  den  Katalog  nicht  aufgenommen 
werden  kann.  Der  Rezensent  schickt  sein  Gutachten  an  den  Vorsitzenden 
des  Comitos.  §  7.  Auf  Grund  der  Entscheidung  des  Comitös  verzeichuet 
der  Minister  die  empfuhlenen  Jugendsehriften  und  Teröifentlioht  das  Ver- 
zeichnis in  dem  Amtsbktte  des  SCinisteriums.  Aus  §  11.  Das  mit  der 
Leitung  der  auf  die  Jugendsehriften  bezQglichen  Angelegenheiten  betiante 
Görnitz  unterbreitet  in  jedem  Jahre  dem  Minista  einen  zusammenfassenden 
Bericht,  in  welchem  es  die  im  vergangenen  Jahre  geprüften  Jugendschriften 
im  allgemeinen  charakterisiert,  auf  die  wahrgenommenen  Milngel  hinweist, 
die  zu  befolgenden  Riclitungen  bezeichnet,  und  spezielle  Voi-schloge  dar- 
über macht,  was  zu  tun  sei.  §  12.  An  den  unter  der  Leitung  des 
Ministeriums  stehenden  Volksschulen  haben  die  Lehrer,  bezw.  die  Lduer- 
kollQgien  aus  den  auf  die  oben  bezeichnete  Weise  katalogisierten  Werken 
mit  BerOcksichtigung  der  lokalen  Verhftltnisse  das  Verzeichnis  der  anzn- 


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14.  Staatlich  organisierte  Yolkäsohulbibliotheken  in  Ungarn 


25^ 


schaffenden  Jugendschriften  zusammenzustellen.  Diese  Yerzeichuisse  sind 
von  den  betreffenden  Schulen  alle  Jahre  bis  zum  1.  Juni  den  Schul- 
inspektoren  behufs  QntheiAuiig  SQ  anterMten. 

Auf  Gnmd  dieses  Statntei^  deesen  Hauptpunkte  wir  hiemiit  hervor* 
gehoben  haben,  wirkt  nun  aeit  swei  Jahren  das  beaeiohnete  Comit6,  das 
der  Minisler  ans  hervorragenden  Gelehrten,  Schulmännern  und  Schrift- 
stellern zusammengesetzt  hat,  und  das  Comit«'  weiß  durch  Herbciziehun£^ 
tüchtiger  Rezensenten  seine  Wirksamkeit  zu  einer  ersprießlichen  zu  machen. 

Der  erste  gröliore  zusammenfassende  Bericht  des  Comitt's  un  das 
MiBiaterium  wurde  samt  dem  ersten  grundlegenden  Verzeichnis  zu  liogiuu 
des  ktiten  Sommors  fertig  und  vor  hunem  TorilfliBniltQhto  das  Uinislsrium 
diese  Arbeiten.   Dieser  Bericht  ist  tot  allem  ein  auefOhrlicher  Bseai  flbsr 
den  Zustand  der  nngarisohen  Jugendliteratur  ond  auch  dieser  Essai  hätte 
trotz  seines  ged&mpfteren  Tones  den  Titel  fQhren  kOnnen,  den  der  Ham- 
burger Wolgast  seinem  trefflichen  Buche  vorangesetzt  hat:     Das  Elend 
unserer  Jugendliteratur.^    Dieser  Essai  dient  zugleich  als  Einleitimg  und 
Kommentar  zu  dorn  auf  Grund  der  Arbeit  dos  Komitees  zusammengestellten 
Katalogs.   Dieser  Katalog  gibt  vor  allem  ein  fortiaufcudee  Verzeichnis  aller 
vom  Gomitö  geprüften  und  fOr  gut  befondenen  Jugendsohtiften,  dann 
aber  noch  ein  zweites  Yeneicfanis  fOr  die  bei  Nengrflndungen  oder  Neu» 
anschaflfongen  in  erster  Reihe  zu  berfloksiohtigenden  BQcher.   Zeigt  also 
das  erste  Teradohnis,  was  die  SobOlerbibliotheken  der  Yolkssohulen  ent- 
halten dürfen,  zeigt  das  zweite,  was  sie  enthalten  sollen  oder  gar 
müssen.     Jedes  Verzeichnis  bt^stoht  aus   zwei  Teilen:    einem    für  die 
Elementarklassen  (6. — 12.  Lebensjahr)  und  einem  für  die  Fortbildungs- 
klassen  (13.— 15.  Lebensjahr)  und  die  sogenannten  Jugendvereino  (über 
die  letstere  junge  Schöpfung  des  nngarisohen  Bildungswesenst  die  jetst  in 
ihrer  ersten  Entwioklang  ist,  will  iob  mit  Erlaubnis  der  Sohriftleitnng 
bei  einer  nflohsten  Msgonheit  berichten,  hier  sei  zum  Verstftndnisse  des 
Aasdruckes  nur  soviel  wwähnt,  daß  die  aus  der  Fortbildungsschule  —  nach 
dem  15.  Lebensjahre  —  entlassene  Jugend  des  Volkes  sich  in  freien,  aber 
Vom  Staate  unterstützten  Vereinen  zusammenfindet,   in  denen  sie  ihrer 
weiteren  Solbstbildung  lebt).   Das  zweite  Verzeichnis,  welches,  wie  erwähnt 
wurde,  die  unbedingt  anzuschaffenden  Jugendschrifteu  aufzählt,  baut  sich 
in  drei,  der  Wiohtigheit  nach  abwirtsgebenden  Stufen  an^  die  Typen  ge- 
Bsont  werden.   Nnr  wenn  eine  Bibliothek  den  ersten^  das  ist  wichtigsten 
BiUioHiekstypus  schon  besitzt,  kann  sie  den  zweiten  anschaffen,  und  nur 
wenn  sie  im  Besitze  beider  ist,  den  dritten.    Der  erste  Typus  (der  72 
Bände  im  Gesamtwerte  von  ungefilhr  110  M  umfaßt)  soll  auch  von  den 
kleinen  Volk^^scliulen  —  mit  1  —  2  Lehrern  —  angeschafft  werden,  der 
erste  und  zweite  Typus  (zum  zweiten  Typus  gehören  81  Bände  im  Gesamt- 
werte vou  ungefähr  120  M.)  von  Schulen  mit  3  —  5  Lehrern  und  alle  drei 
Typen  (der  dritte  Typus  slhlt  101  B&nda  im  Gesamtwerte  von  175  H) 
von  den  grofien  Schulen  mit  6  oder  noch  mehr  Lehrern.   Die  Veneicih- 
nisse,  samt  den  auf  sie  bezüglichen  Weisungen  und  einer  Instruktion  für 
d;*?  Einrichtung  und  Verwaltung  der  Bibliotheken  wurden  im  Juli  v.  J. 
vom  Minister  Berzeviozy  in  einer  Verordnung  den  Volksschulinspektoren 

17* 


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260 


Mittflifauiigw 


behufs  weiterer  Verffigiing  mitgeteilt.  In  diMer  Verordiniiig  gab  der 
Minister  die  Erlaubnis,  daß  in  solchen  Schnlen,  in  welchen  die  nach  deft 
bestehenden  Vorschriften  zu  Bihliotheksz wecken  bestimmten  Einschreibe- 
gelder eine  ungenügende  Summe  ergeben,  die  Kosten  der  Jugendbibliotheken 
in  das  ordentliche  Jahresbudget  eingestellt  werden  dürfen,  ja  für  den  Fall, 
daß  selbst  dieaee  nicht  hinieichen  sollte,  verspricht  der  Minister,  daß  er 
bestrebt  sein  wird  fOr  die  entspieobende  Otganiaelioa  die  notwendige 
stMtlmhft  UntentÜtinng  herbeisnechalliBn.  Was  der  Minister  in  dieser  Te^ 
Ordnung  in  Aussicht  gestellt  hat,  wurde  von  ilun  vor  einigen  Wochen  er- 
füllt. Nachdem  der  Minister  in  den  vorhergegangenen  Monaten  aus  den 
Meldungen  der  Schulinspektoren  über  die  auf  die  Schülerbibliotheken  be- 
züglichen finanziellen  Verhältnisse  Daten  gesammelt  und  sich  auf  di^ 
Weise  über  die  notwendigen  Verfügungen  Klarheit  verschafft  hatte,  ver- 
ständigte er  in  einem  Erlasse  vom  2.  Dezember  1904  sämtUohe  Sdinl- 
inipektoien  des  Landes,  daß  er  fSr  die  stantliehen  und  staatUoh  subven- 
tionierten Yolkssohalen  die  betreffenden  Bibliothekstypen  snoh  sehen  be- 
stellt hat,  so  daß  kurz  vor  Weihnachten  die  für  die  Bildung  des  Volkes 
sich  interessierende  Presse  mit  lautem  Jubel  verkündigen  konnte,  daß  2196 
Volksschulen  als  Festgabe  mit  den  besten  Jugendschrifton  ausgestattete 
Schülerbibliotheken  erhalten  haben.  Ongefähr  die  Hälfte  der  Koston  wird 
aus  den  EiDschreibegeldern  bestritten,  das  übrige  durch  direkte  Staatshilie. 
So  ist  das  vor  Jahren  dmoh  den  Minister  Wlnssios  angebshnts  Weik 
von  seinem  Nachfolger  foilgoaotit  und  tn  einem  befriedigenden,  mit  all- 
gemeiner Freude  b^grOfiten  Abschloß  gebracht  worden. 

Wohl  dürfte  die  energische  staatliche  Bevormundung  selbst  der  litera- 
rischen Seite  der  Volks-  und  Jugendbildung  vielleicht  nicht  nach  jeder- 
manns Geschmack  sein  —  lebte  Hert^rt  Spencer  in  Ungarn,  er  würde 
gewiß  seine  Stimme  dagegen  erheben  —  aber  wer  da  bedenkt,  daß  es 
mit  der  Jugendliteratur  und  der  Lektüre  des  Volkes  selbst  in  Ländern 
nUer  und  einheililioher  Knitor  nioht  sn  gnt  bestellt  ist»  wird  es  gewü  nir 
mit  Anerheonung  sehen,  daß  ein  Staat,  in  desssn  Lsnd  die  Kidtnr  joag 
-nnd  nach  verschiedenen  Nationalitäten  und  Zungen  vielilltig  aericlflftet  ist, 
mit  fester,  aber  freigiebiger  Hand  die  Bildungsschätze  unter  dss  Volk 
streut,  die  von  an  Geist  und  Geschmack  hochstehenden  Mftnnsn  nnnittel- 
■bar  zu  diesem  Zwecke  gesichtet  und  geordnet  wurden. 

Budapest  J.  WaldapfeL 


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Pftdagogisohes 

CMrg  Schneider,  Die  Zahl  im  grundlegenden  ReclienuDterricht. 
Entstehunp,  Entwicklung  und  Veranschaiilichung  derselben  »inter  Bezug- 
nahme auf  die  physiologische  Psychologie.  bammluDg  von  Abhandlungen 
■DI  dem  Gebiete  der  pftdagogiachen  Psychologie  und  Physiologie,  heraua- 
gegeben  toq  H.  Schiller  und  Th.  Ziehen.  III.  Bd.  7.  Heft  fierlin» 
Eeuther  &  Reichard,  1900. 

Eine  oberflächliche  Betrachtung  dieser  Abhandlung  kOonte  zu  einem 
gflnstigen  Urteil  über  sie  führen.  » Schon  der  Platz,  an  dem  sie  erscheint, 
spricht  für  ihren  wissenschaftliclicn  und  praktischen  Wert.«  So  urteilt 
Fr.  Po  lack  in  den  »Pädagogischen  Brosamenc  (1901,  11).  Ferner 
scheint  den  Ergebnissen  der  darin  angedeuteten  didai^tischen  Experimente 
(8.  69 — 77)  wegen  ihrer  nhleiinäßigen  Qenanigkeit  groie  Überzeugungs- 
baft  insokooimen.   Prüfen  wir  die  Sefarüt  eingehender! 

Der  'Verfuaer  fordert  in  der  Einleitung  (S.  4),  das  Wesen  des  Zählens 
und  Reohnens  mOsse  auf  dem  Wege  der  empirischen  Forschung,  nicht  auf 
dem  der  Spekulation  bestimmt  werden.  Dieser  Forderung  muß  man  bei- 
ptlichten,  wenn  man  unter  Spekulation  ein  Phantasieren  versteht,  das 
sich  vom  vernünftigen  Denken  entfernt.  Wir  befinden  uns  also  auf 
dem  Gebiete  der  empirischen  Psychologie.  Als  empirische  Psychologie 
beMidinet  der  Verfamw  (S.  4)  aber  nur  die  physiologische  und  experl- 
MBtelle  Peyohdogie  und  als  die  TutSMfae^  die  für  die  empirische  Psycho- 
logie grundlegend  sei,  die,  dafi  »alle  geistigen  Vorgänge  mit  einem  gerade 
beim  Menschen  am  höchsten  entwickelten  Organ,  dem  Oehirn,  in  engem 
Zusammenhang  stehen«.  Der  Verfasser  übersieht  also,  daß  die  empirische 
Psychologie  auch  ohne  physiologische  Untersuchungen  und  ohne  Experi- 
mente  zn  ganz  ansehnlichen  und  relativ  sichern  Ergebnissen  gelangen 
ksan,  femer,  dafi  der  Zusammenhang  swiscben  geistigen  Erzeugnissen 
«ad  Vsrtnderangen  im  Oehim  bis  jetzt  dorchans  ifttsdhaft  und  fdr  die 
Besofardbong  von  asslisdien  Yorgingeii  gsr  nicht  so  wichtig  ist.  Denn 

wir,  wie  s.  a  auch  in  der 


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262 


Besprechoogen 


Physik,  die  der  Verfasser  zum  Vergleich  heranzieht,  auch  in  der  empi- 
rischen Psychologie  (physiologische  und  experimentelle  Psychologie  einge- 
schlossen) nur  Tatsachen  beschreiben,  nicht  eigentlich  erklären  können. 
Angabe  der  empiriaohen  Ftaiyishologie  ist  ee  demnach,  imBern  Bewnßtseäns^ 
iotaalt  SU  zergliedern  und  die  >geaet2m&Bigec  Anfisimuiderfolge  von  Bewuft- 
seinszustfinden  zu  beschreiben.  Und  diese  Zergliedemng  unseres  Bewufit- 
fleinsinhaltes  zeigt  uns  keinen  ursächlichen  Zusammenhang  zairischen  Gd- 
himverändornnp:pn  und  soelischen  Zustünden.  Unsere  Beschreibung  der 
Entstehung  von  Zahlvorstcilungon  kann  deshalb  ganz  genau  und  richtig 
sein,  auch  wenn  wir  diesen  Zusammenhang  nicht  berücksichtigen. 

Und  gründet  der  Verfasser  seine  Meinung  über  das  Wesen  der  Zahl 
wirUicta  auf  physiologische  Ergebnisse  und  auf  Experimente?  NeinI  Dens 
in  allen  seinen  grandlegendoi  ErOrtemngen  über  »die  Zahl  in  ihren  vec^ 
achiedenen  Erscheinungen«,  Ober  »die  Wahrnehmung  der  ZahleindrQcke«) 
über  »die  Abhängigkeit  der  Zahlvorstellungen  von  den  Empfindungseigeo- 
schaften«,  über  »die  Anschauung  als  Grundlage  des  Zählens*' ,  über  »den 
Zahlbegriff  und  das  Wesen  der  Zahl«  und  wie  die  Kapitel iU>erscliriften 
des  ersten  Teiles  seiner  Arbeit  alle  heißen,  in  all  diesen  Erörterungen 
geht  der  Verfasser  nicht  vom  Experiment  aus.  Erst  im  zweiten  Teil  seiner 
Arbeit,  nachdem  er  im  ersten  das  Wesen  der  Zahl  dnrdb  lein  gedanWidie 
üntersoohungen  festgestellt  au  haben  glaubt,  versocht  er,  dniäi  »didak- 
tische Ezperimmitec  etwas  über  die  »Veranschaulichung  der  Zahl  im  Unter* 
rieht«  zu  erfahren.  Der  Verfasser  darf  also  durchaus  nicht  den  Anspnich 
darauf  erheben,  bei  dem  wichtigsten  Teile  seiner  Arbeit  eine  besonders 
ausgezeichnete,  etwa  »naturwissenschaftliche«  üntersuchungsmethode  an- 
gewendet zu  haben.  Aber  der  Verfasser  scheint  tatsächlich  sich  in  diesem 
Irrtum  zu  befinden.  Leider  ist  seine  > Bezugnahme  auf  die  physiologische 
Psychologie«,  die  schon  auf  dem  Titel  angekündigt  wird,  nnr  eine  ober- 
faohliöhe,  und  deshalb  kommt  er  zu  oberfliofaliohen  BehanpCnngen.  Ober- 
flAdüioh  ist  s.  B.  seine  Darlegung,  wie  Empfindungen  an  Vorstellungen 
w^en.  Er  schreibt  S.  6:  »In  der  Vorstellung  sind  die  von  den  Objekten 
ausgegangenen  und  vom  Gehirn  festgehaltenen  Reize  unser  •Toistieas  Eigen- 
tum geworden.«  Wie  materielle  Reize  unser  geistiges  Eigentum  werden 
können,  ist  doch  recht  merkwürdig.  Wie  denkt  sich  der  Verfasser  diesen 
Vorgang?  S.  11:  »Jeder  Reiz  läßt  .  .  im  Gehirn  .  .  eine  Spur  zurück,  so 
dafi  er  auch  nach  seinem  Aufhören  noch  gegenwärtig  ist  und  so  sur  Vor- 
stellung wird.c  8.  Sl:  »Die  Vorstellung  ist  nur  der  Rest  der  Empfindung^ 
der  noch  vorhanden  ist,  wenn  die  Oligdcte  nicht  m^r  einwirken.  Daher 
kommt  auch  den  Erinnerungsbildern  ...  bei  weitem  nicht  die  Lebhaftig- 
keit der  Empfindungen  zu.  Sie  sind  quantitativ  geringer.«  Es  seien  nur 
wenige  Ergebnisse  der  physiologisch -psychologischen  Forschung  (Ziehen, 
Leitfaden  der  physiologischen  Psychologie,  4.  Aufl.,  8.  Vorlesimg)  angeführt, 
die  da  zeigen,  wie  oberflächlich  die  Darlegung  des  Verhssers  ist 
psychischer  FSiallelTorgang  für  das  sogenannte  Niederlegen  des  Brinnerongs- 
biidea  im  Gehirn  fehlt  vollkommen.  Erst  eine  neue  Ähnliche  Empfindnag 
oder  eine  Ideenverbindung  können  das  Residuum  der  materiellen  Erregung 
ao  ▼erändem,  daß  zu  demselben  wieder  ein  pq^cbischer  FtoaUelToigsiigi 


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rädogogisches 


263 


das  bewußte  Erinnerungsbild,  die  Vorstellung  hinzutritt.  Ferner:  Sinnliche 
Lebhaftigkeit  kommt  den  Vorstellungen  nicht  in  geringerer  Intensität  als 
der  Empfindung,  sondern  überhaupt  nicht  zu.  (Die  Vorstellung  des  leisesten 
Biuscfaens  und  die  des  lautesten  Donners  zeigen  gar  keinen  IntenaitSts- 
nntendüed.) 

In  seinen  Darlegungen  über  das  Wesen  der  Zahl  verwechselt  der 
Verfasser  ständig  Zählobjekt  und  Zahlbeziehung.  (Vgl.  auch  die  Be- 
fiprechung  einer  andern  Arbeit  des  Verfassers  von  Th.  Ooebol,  Päda- 
gogische Warte,  10U4,  Heft  22,  S.  1223  f.) 

S.  11  behauptet  er,  die  Zahlen  würden  »nicht  unmittelbar,  sondern 
mittelbar  in  Verbindung  mit  Dingen  empfunden«.  Aber  welches  ist  die 
Alt  dieser  Verbindung?  Doch  diese:  Dinge,  bestimoiter:  AuBenperzeptionen, 
kflnnen  ZOhlobjekte,  Zftblmittel  sein,  kOnnen  gesählt  werden.  Genaner: 
Dinge  oder  Bewegungszuständc,  die  in  einer  Reihe  auftreten,  werden  ge- 
setsmäfiig  den  Gliedern  einer  bekannten  Zählreihe,  zumeist  der  zeitlichen 
Reihe  der  Zahlwörter,  eindeutig  zugeordnet.  (Vgl.  die  Arbeit  Facks: 
»Zählen  und  Rechnen«,  Zeitschr.  f.  Philos.  u.  Pädag.,  2.  Jahrgang,  S.  19G 
bis  213,  262—275,  346—351.)  Daher  ist  der  SchluB  berechtigt:  Wo 
kdne  Dmge  sind,  kOnnen  keine  Dinge  gezählt  werden,  aber  nicht  der 
Sdüuß  des  Verfassers:  »Wo  keine  Dinge  sind,  gibt  es  auch  keine  Zahlen.« 
(8.  13.)  Welche  Ansidit  hat  der  Verfuser  vom  Wesen  der  Zahl?  Die 
Zahl  ist  nach  seiner  Meinung  ^das  Verhältnis  der  Dinge  in  Bezug  auf 
ihre  Menge«.  (S.  55.)  Daß  die  Zahlvorstellung  durch  irgend  eine  Be- 
ziehung zu  Stande  kommt,  gibt  der  Verfasser  hier  zu.  Aber  was  wird 
dabei  aufeinander  bezogen?  Aus  der  angeführten  Definition  läßt  sich  das 
nicht  klar  erkennen.  An  einigen  Stellen  nähert  sich  der  Verfasser  der 
vorhin  angedeuteten  Ansidit  vom  Wesen  der  Zahl.  Im  VII.  Abschnitt 
(»Dis  Zustandekommen  der  ersten  Zahlen«)  fOhrt  er  das  bekannte  Beispiel 
von  dem  kleinen  Knaben  an,  der  s.  B.  2  Kugeln  hat  Es  wird  ohne  sein 
Wissen  eine  Eugel  entfernt.  Der  Knabe  sieht  dann  zu  seinen  Kugeln 
zurück.  Er  ist  sich  dessen  bewußt,  daß  die  Anzahl  eine  andere  geworden 
ist.  Man  sollte  ineinon,  dieses  einfache  Beispiel  hätte  den  Verfasser  zu 
der  Ansicht  führen  müssen,  daß  die  Zahlvorstellung  (hirch  Vergleichen, 
Beziehen  entsteht,  hier  durch  ein  Vergleichen  der  Emptindung  des  neuen 
Bildes  mit  der  Vorstellung  des  alten  Bildes.  Aber  der  Verfasser  kommt 
SB  folgendem  Erigebnis:  »Zahlen  werden  im  allgemeinen  (I)  genau  so  er^ 
kumt  wie  die  Eigenschalten  der  Farbe,  ChrOie  und  Ausdehnung«  (S.  29), 
obwohl  sie  »nicht  eine  Qualität  der  Dinge  wie  die  Farbe«  bildm  (S.  56). 
Oerade  das  genannte  Beispiel  zeigt  deutlich,  daß  die  Beziehungsvorstellungen  ' 
aDdcTs  entstehen  als  die  Vorstellungen  der  Farbe  und  so  fort.  Auch  an 
andern  Stellen  üb^^sieht  der  Verfasser,  daß  die  Zahl  zu  den  Beziehungs- 
vorsteUungen  geiiürt,  daher  die  ständige  Verwechselung  zwischen  Zähl- 
ob[skt  und  Zahl  S.  9  lespn  wir:  Wir  kOnnen  die  gezählten  Dinge  sehen, 
hlhvn,  fühlen.  »Die  Zahl  kann,  z.  B.  beim  flinsufOgen  einielner  Einheiten, 
in  Sntrtslien  begriffen  sein  oder  auch  als  abgeschlossenes  Glanzes  auftreten. 
Diher  hat  sie  einen  zeitlichen  und  räumlichen  Charakter.«  Also:  weil 
die  gssählten  Dinge  in  räumlicher  oder  zeitlicher  Reihe  auftreten,  deshalb 


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264 


B6^P90hnng8D 


ist  nach  des  Verfassers  Ansicht  die  Zahl  räumlich  und  zeitlich.  Noch 
deutlicher  zeigt  sudi  dieselbe  Verwechselung  S.  15.  Der  Verlasser  spricht 
davon,  vie  die  Schläge  der  ühr  geiSblt  werden,  und  hier  identiflsiert  er 
OehOreeindracke  und  Zahlen  fast  Tollständig.   Was  soll  man  erst  mit 

einem  Satze  wie  diesem  anfangen:  »Die  räumliche  Darstellung  der  Zahl 
fibertrifft  ihre  zeitliche  ¥o\\;e  bei  weitem«  (S.  23).  Und  S.  3G  red^t 
der  Verfasser  sogar  von  der  zweiten  uiul  dritten  Dimension  der  Zahl  uuJ 
läßt  diese  seine  eigene  Erkenntnis,  daß  die  Zahl  drei  Dimensionen  habe, 
duich  gesperrten  Druck  deutlich  hervorheben. 

Welches  ist  die  Folge  dieser  Verweisthselung?  Der  VerCsaser  redet 
gar  viel  von  den  zu  lAhlenden  Dingen  und  verliert  sich  dabei  auf  Gebiete^ 
die  nur  in  losem  Zusammenhänge  mit  dem  Thema  stehen.  8o  redet  er 
B.  B.  von  musikalischen  KombinationstOneo,  von  der  Übertragung  kalorischer 
Reize  (!)  auf  das  Gebiet  der  Farben,  sogar  von  der  Färbung  der  Lerche 
und  des  Laubfrosches  —  aber  vom  Wesen  der  Zahl  zeichnet  er  leider 
kein  klare    1  Ild. 

Der  11.  Teil  der  Arbeit  ist  übersduieben:  »Die  Veranschaulichung 
der  Zahl  im  ünterriehtc  Wir  würden  ssgen:  Von  den  Zlhlmitteln  im 
ersten  Bechenunterricht  Aus  dieser  OegenOberstellung  geht  von  von- 
herein  klar  hervor,  daß  der  Veriksser  su  andern  Forderungen  komnea 
vrird  als  wir.  Da  er  meint,  man  könne  die  Zahl  veranschaulichen,  so 
geht  er  ans  von  den  »ForJerungen,  die  bezüglich  der  Veranschaulichtiiig 
der  Zahl  gestellt  werden  müssen  €.  Wer  dagegen  die  Zahl  Vorstellung  als 
Beziehungsvorstellung  betrachtet,  der  wird  wie  Fack  (a.  a.  0.  S.  270  f.j 
nach  geeigneten  Mitteln  suchen,  die  Kinder  auf  diese  Beziehung  von  vorn- 
herein hinzuweisen.  Die  Beurteilung  irgend  eines  Unterrichtsmittels  riohtft 
sich  gans  nach  dem  Miaflstab,  den  man  an  dieses  Mittel  anlegt  Deshelb 
wftre  es  unnütze  Arbeit,  auf  die  nun  folgenden  AusfQhrungen  des  Ver- 
fassers näher  einzugehen,  wenn  wir  seine  grundlegende  Ansicht  Ober  das 
Wesen  der  Zahl  nicht  als  richtig  anerkennen  können.  Nur  ein  paar  Worte 
zu  den  »didaktischen  Experimenten, c  deren  Ergebnisse  wogen  ihrer  zahlen- 
mäßigen üoniiuigkeit  überzeugen  könnten.  Der  Verfasser  stellt  durch  viele 
Versuche  z.  B.  fest,  daß  bei  momentaner  Betrachtang  eine  Anzahl  von 
Kugeln  richtiger  abgescbAtit  wird  als  eine  gleiche  Aniahl  von  Strichen 
und  so  fort.  Ist  dies  aber  das  Ziel  des  eisten  BeohennnterrichtSi  daS  die 
Schüler  momentan  —  der  Verfosser  verwendet  zu  jeder  Schätzung  eine 
halbe  Sekunde  —  Anzahlen  schitzen  lernen?  Nein,  wohl  auch  nicht  nach 
des  Verfassers  Ansicht.  Aber  er  meint,  solche  Experimente  könnten  ihm 
am  besten  zeigen,  "welches  Veranschaulichuugsmittel  die  Zahl  am  besten 
wiedergibt.  Ja,  wenn  die  Zahl  überhaupt  anschaubar  -wäre!  Die  Eiperi- 
mente  zeigen  bloß,  an  welchen  Zählmitteln  Kinder,  die  schon  tShlen 
können  (es  waren  Kinder  des  3. — 8.  Schuljahres)  gewisse  Mengen  tm 
schneCsten  absohfttzen.  Sollen  solche  Experimente  nutzbringend  sein,  se 
müssen  sie  mit  Kindern  des  ersten  Schuljahres  vorgenommen  werdea 
und  sich  folgende  Aufgabe  stellen:  Mit  welchem  Rechenmittel  lernen 
die  Kinder  am  leichtesten  und  sichersten  zählen  und  rechnen?  Daß  der 
Tillicbsche  Kechenkasten  bei  den  Ergebnissen  der  Versuche  sehr  schlecht 


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IldagogüiohM 


265 


▼egkommen  mußte,  war  von  vornherein  zu  vermuten.  Die  Anzahl  der 
Wfirfel,  die  eine  Sfiule  ausmachen,  ist  natürlich  viel  schwerer  abzuschätzen 
als  eine  Ansahl  von  sjnimetrisoh  angeordneten  Pnnkten,  sQmnl  wenn  die 
Sbüen  keine  denUidien  Teilstriche  hahen.  Nur  ist  solches  Afasohfttien  von 

gar  nicht  so  großer  Bedeutung  für  die  Bildung  der  ersten  Zahlvorstellungen. 
Der  Verfasser  Obersieht  femer  manche  Fehlerquelle  seiner  Versuche.  Die 
Versuchskinder  kannten  den  Tillichschen  Kasten  vorher  noch  nicht;  wenig- 
stens war  ihnen  die  aufrechte  Stellung  der  Säulen  unbekannt  (S.  70).  Sie 
wurde  ihnen  vorher  erst  »erklärt«.  £s  ist  deshalb  durchaus  nicht  zu  ver^ 
wnndern,  dsA  die  Kinder  im  Schätzen  der  ihnen  weniger  bekannten  oder 
doch  in  neoer  Weise  anfgeetellten  Slnlen  nierst  sehr  unsicher  waren  im 
Yeiiglaich  snm  Schitzen  der  »Punkte«  anf  dem  Rechenbrett,  das  sie  viel 
genaner  kannten.  Deshalb  geben  die  Zahlen,  die  sich  bei  den  Versuchen 
herausstellen,  doch  recht  unsichere  Auskunft,  auch  dem,  der  des  Yerfassers 
Ansicht  Ober  das  Wesen  der  Zaiil  teilt. 

Wenn  man  didaktische  Experimente  anstellen  will,  so  muß  man  vor- 
her genau  feststellen,  welche  l?'ragen  diese  Versuche  beantworten  sollen. 
Die  genaue  Fragestellung  wird  dabei  häufig  schwieriger  sein  als  die  Be- 
antwortung durch  den  Versnob.  Wenn  man  duroh  Experimente  i.  B.  ein 
Bedienmittel  priUlen  will,  so  muA  man  sich  vorher  eine  klare  AuflMSong 
vom  Wesen  der  Zahl  bilden.  Das  p^ychologiache  Experiment  ergänzt  dann 
die  Üherlegnng,  indem  es  eine  gestellte  Frage  beantwortet  oder  ein  rein 
gedanklich  gefundenes  Ergebnis  durch  die  sinnliche  Ei  fahrung  bestätigt. 
Psychologische  Experimente  sind  aber  dann  gefährlich,  wenn  die  Frage, 
die  sie  beantworten  sollen,  nicht  richtig  gestellt  ist.  Sie  werden  dann 
leicht  falsch  gedeutet.  »Das  erfahrungslose  Denken  nnd  die  gedanken- 
lose Erfahrung  sind  gleich  ohnmächtig«  (Wundt). 

Jenn  Paul  Henkler 

•le  MS  Bnisbmg 

(8elb9tanzeige) 

Die  neue  Erziehung.  Elssays  üler  die  Erziehung  zur  Kunst  und  zum 
Leben  von  Dr.  Heinrich  Pudor.  339  Seiten.  Leipzig,  Verlas  ^ 
Hermann  Seemann  Nachfolger.   Preis  5  M. 

Die  Eniehnng  ist  die  Grundlage  aller  Beformfragen.  Fast  alles  im 
Leben  des  Menschen  ist  Sache  der  Erziehung.  Fast  alle  MSngel  der 
Bildung  und  Sitte  sind  auf  Rechnung  fehlerhafter  Erziehung  zu  setzen, 
das  gilt  nicht  nur  vom  privaten,  sondern  teilweise  sogar  vom  öffentlichen 
Lehen.  Deutschland,  nicht  etwa  nur  Rußland  steht  vor  schweren  inneren 
£risen.  Es  hat  zu  wählen  zwischen  Reform  und  Revolution.  Soll  erstere 
in  Frage  kommen,  so  mnfi  sie  von  0rund  aus  erfolgen  nnd  die  Eniehnng 
hat  dabei  das  wichtigste  Wort  au  sprechen.  »Fangt  es  aber  mit  der 
Jugend  an,  und  es  wird  gelingende  sagt  Goethe.  Aber  man  wolle  nicht 
denken,  daB  die  Erziehung  nur  fQr  die  Jugend  in  Frage  kommt.  Das  ist 
gerade  der  Krebsschaden  unserer  Zeit,  daß  die  Erziehung  der  Regel  nach 
mit  dem  achtaehoten  oder  vieiundzwanugsten  Lebensjahr  ihr  Ende  nimmt» 


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266 


Bespredraiigen 


während  nur  das  Ijobenseade  ihr  ein  Ziel  setzen  sollte.  Dazu  kommt, 
dafi  die  Eniehung  heute,  wie  von  immer  mebr  Seiten  sageefeanden  wiid, 
eine  einseitig  formalistisohe  ist,  die  sn  viel  Unterricht  (Oediehtnis-Stiofl) 
und  zu  wenig  wirkliche  den  Menschen  bildende  Eniehung  gibt    Sie  ist 

vor  allem  aber  einseitig  geistig  verstandesmcißig,  zu  wenig  ethisch  und 
fast  gar  nicht  leiblich.  Diese  harmonische  Erziehung  des  Mensehen  ist 
das  Programm  des  vorliegenden  Buches  »Die  neue  Erziehung^.  Der  »Er- 
weiteruDg  der  Erziehung«  gc'ten  die  Kapitel  Jugendspiele,  Handarbeit,  Der 
Gartenbau  in  der  Schule,  Der  Sport  in  der  Erziehung  und  der  ganze 
VIL  Teil  des  Buches  »Die  Endehung  des  Leibes«.  Als  AutoritSten,  die 
eine  solche  Erziehung  in  frOheren  Jahrhunderten  ▼ertreten  haben,  weiden 
im  I.  Teil  Montaigne,  Pestaloszi,  Gomenius,  Bembrandt  als  ERieher, 
Lagarde  behandelt. 

Eine  fernoro,  wesentliche,  und  notwendige  Ergänzung  der  Erziehung 
ist  >Die  Erziehung  zur  Kunst«,  die  im  IV.  Teile  behandelt  wird.  Der 
Erziehung  zur  Musik  ist  der  ganze,  dann  folgende  Teil  gewidmet.  Daran 
sohliefit  sich  ein  Kapitel  über  Volkserziehung.  Als  Volkserziehung  ist 
zwar  die  ganze  nene  Erziehung  gedacht;  hier  ist  aber  im  engeren  Sinne 
▼on  Voliraerziehung,  wie  sie  die  nordischen  YoUnhodhschulen  schon  ia 
fast  idealem  Sinne  repräaentieieD,  die  Rede.  Endlicli  behandelt  noch  ein 
Teil  verschiedene  Lebensfragen  und  Erziehungsfarben,  so  die  Erziehung 
des  Weibes,  die  Selbsterziehung,  die  Erziehung  zur  Arbeit,  vor  allem  al>er 
den  Enthusiasmus  als  Erziehungsmittel,  gerade  an  dem  fehlt  es  in  iiiisoror 
modernen  großstädtischen  bureaukratischen  Erziehung,  obwohl  docii  alle 
Welt  wei£,  daß  ohne  Enthusiasmus  noch  niemals  etwas  QroBes  geleistet 
worden  ist 

Berlin-Wilmersdorf  Dr.  Heinrich  Pudor 

Aithe  Kaatzsch,  Versuche  in  der  Betrachtung  farbiger  Wand- 
bilder  mit  Kindern.  (Mit  einem  Beiheft,  enthaltend  21  Nach- 
bildungen von  Künstler- Steinzei&hnungeu).    Leipzig,  Teubner,  1903. 

52  S.  Preis? 

Es  ist  gut,  daß  die  Verfasserin  in  der  Vorrede  ausdrücklich  betont, 
dafi  ihre  Kiedersohrift  nur  für  den  Ijehrer,  nicht  für  die  Kinder  bestimnt 
ist,  es  konnte  sonst  doch  dieser  oder  jener  Lehrer  auf  den  Gedanken 

kommen,  die  21  Versuche  zur  Grundlage  seiner  Betrachtung  der  Bilder 
roit  Kindern  zu  madien,  und  das  wäre  weder  für  die  Bilder  noch  für  die 
Kinder  gut.  Denn  obwohl  die  Verfasserin  erklärt,  »Anschauungsstunden 
dürfen  nie  daraus  (aus  der  Betrachtung  der  Bilder)  gemacht  werden*,  so 
verfäiirt  sie  docii  im  Sinne  eines  Anschauungsunterrichtes  trockenster  Art 
Die  Betrachtung  der  zarten,  stimmungsvollen  Mondlandschaft  von  Kamp- 
mann wird  mit  folgenden  Fragen  angeleitet:  »Was  stellt  dies  für  Land 
dar?  Was  haben  wir  für  eine  Jahreszeit?  Woran  seht  ihr  das?  Was  für 
eine  Tageszeit?  Wieviel  Lichtquellen?  Welches  Licht  überwiegt  noch?«  usw. 
Und  im  Verhuif  der  weiteren  Betrachtung  werden  Fragen  gestellt,  wie: 
>Wie  sielit  der  Mond  aus?  Was  für  Licht  gibt  er?  Wie  nennt  man  diese 
Zeit  des  Kampfes  von  Sonnen-  und  Mundlicht?  .  .  .  Warum  sind  weiche 


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Pädagogisches 


267 


verschwommene  Linien  und  Farben  besonders  reizvoll?  .  ,  .  "Welche  Rolle 
spielt  der  Mond  bei  diesem  80  starken  Eindruck?  .  .  .  Wieviel  Erdwellen 
l^önnt  ihr  unterscheiden ?&  und  so  fort  Das  ist  nicht  mehr  das  »leitende 
Wort«,  das  die  VerfiMseriii  fflr  die  Betnushtiing  empfiehlt,  sondern  ein  Krage- 
ond  Antwortspiel  gewOhnlioher  Art  Dabei  fmgt  sie  ausdrOoklich  (8.  6), 
daß  sie  kein  Bild  su  terschOpfen«  gesucht  habe,  obwohl  der  genannte 
Versuch  fast  swei  Draokseiten  solcher  Fragen  umfaßt.  Zwar  betont  die 
Verfasserin,  der  Lehrer  möge  die  Kinder  nur  durch  gelegentlich  gestellte 
Fragen  dieser  Art  anregen,  von  den  »Versuchen«  selbst  aber  rühmt  der 
Katalog  der  Verlagsbuchhandlung  bei  Empfehlung  des  Schriftchens,  daü 
äe  >aus  praktischen  Versuchen  mit  Kindern«  entstanden,  also  doch  wohl 
ao  angestellt  worden  sind,  wie  sie  Yorliegen.  Dafi  sieh  die  Versuche  nioht 
anaialen  mnstergOltig  sn  sein,  wie  die  Yer&aserin  im  Yofwort  versusfaert, 
ist  wohl  selbstrerstlndUoli«  Wenn  gelingt  das  wohl  auf  den  ersten  Warf! 
Immerhin  wäre  es  gut  gewesen,  wenn  sie  dieselben  mit  Kindern  wieder- 
holt und  dann  erst  der  Öffentlichkeit  übergeben  hätte,  zugleich  mit  einer 
getreueren  Mitteilung  über  die  Erfolge  mit  den  angestellten  Versuchen, 
die  immer  wichtiger  sind,  als  letztere.  Der  Wert  des  Heftchens  liegt  eben 
nicht  in  der  Darstellung  dieser  »Versuche«,  sondern  in  der  Einfflhrangin 
die  Technik  des  httnstleriaohen  Sehens  und  in  die  EnnstspTbobe,  die  heate 
■ooh  sameist  anbekannt  sind.  Diesem  Zwecke  wird  die  Schrift  gewiB  gute 
Dienste  leisten,  und  kann  jedem  Lehrer  zur  kritischen  Benutzung  emp* 
fohlen  werden,  wenn  auch  wesentliche  Punkte,  wie  die  Auswahl  der  Bilder, 
die  Stellung  der  Bilderbetrachtung  zum  Lehrplan,  der  beste  Zeitpunkt  der 
Betrachtung  usw.  ganz  unberührt  geblieben  sind.  —  Interessant  wäre  es 
gewesen  zu  erfahren,  warum  die  Verfasserin  nur  die  Teubnerschen 
Künstler-Steinzeichnungen  für  ihren  Zweck  Terwendet  hat.  Darin  war 
liohtwark  in  seinen  bekannten  »Obungenc  weniger  inseitig. 

POfineok  E.  Scholz 

Keisiig,  D.,  Zeichenlehrer  in  Mainz,  25  Wandtafeln  und  21  Vorlagen  für 
das  elementare  Freihandzeichnen.    Mainz,  Selbstverlag.   Preis  12  M 

und  6,50  M. 

Seitdem  der  Zeichenunterricht  als  ein  wichtiger  Bestandteil  der  kunst- 
lenschen  Erziehung  angesehen  und  in  ihren  Dienst  gestellt  wird,  wendet 
sidi  ihm  fiae  erhöhte  Au&nerksamkeit  zu.  Das  Zeichnen  will  nicht  mehr 
wie  Msher  eine  Uoie  Fertigkeit  sein,  sondern  es  will  vor  allen  Dingen 

Herz  und  Sinn  des  SohQlers  zur  kflnstlerischtti  Genußfähigkeit  erheben, 
tber  den  Wec:  ^.u  diesem  weit  in  die  Ferne  gerückten  Ziele  gehen  die 
Ansichten  sehr  auseinander.  Große  Unsicherheit  herrscht  auch  in  Bezug 
auf  den  Gebrauch  von  Wandtatoln  und  Vorlap:on.  Im  allgomeinen  sieht 
man  jetzt  mit  Recht  von  einer  mißbräuchlichou  Benutzung  von  Vorlagen 
ab  oad  redet  Oberhaupt  nicht  mehr  von  Vorlagen  im  landlftnfigen  Sinne. 
ISn  Zeichenwerk  der  Neuzdt  darf  nicht  wie  seine  vieleo  Vorgänger  zum 
Abzeichnen  dienen  wollen,  sondern  muß,  nach  Grundsätzen  künstlerischer 
Srziehung  bearbeitet,  in  erster  Linie  für  die  Hand  des  Lehrers  berechnet 
sein.  Es  moA  sich  auszeichnen  durch  FQUe  des  Stofifes,  aus  der  der 


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268 


BospuBohmigai 


eiozeluü  uach  Belieben  das  für  seine  Zwecke  brauchbare  Material  scböpfea 
kuiD.  Oleiöhieitig  moA  es  Lehrer  und  SöbUkr  cuifllhiea  in  das  QebiH 
der  Farben  und  Teohniken.  Hier  gÜt  ee  durch  aohOne  Hubenhaimfloie, 
glaoUiohe  BanmTerteilang,  sinngeiu&ße  Betonong  irgend  eines  Pflanseo- 
.  Charakters  u.  a.  m.  den  Kunstsinn  des  Schülers  zu  pflegen  nnd  ihm  ducb 
einfache  Aneinanderreihungen,  Anordnungen  zu  verschiedenen  FflUungen uw. 
eine  stete  Anregung  zu  künstlerischem  Schaffen  zu  j^eben. 

Die  uns  vorgelegten  Wandtafeln  und  Vorlagen  von  Heising  bieten 
von  alledem  sehr  wenig  oder  gar  nichts.  Sie  mögen  wohl  wie  viele  ihres- 
gleichen infolge  des  methodischen  Aufbaues  einen  zeichnerisch  unerfahnneik 
Lehrer  erfoJgreioh  anweisen,  aber  den  ▼eitaus  grOAeren  T«l  der  Zeiohen- 
lebrer  Mnnen  sie  nioht  befriedigen,  weil  sie  ihm  zu  einem  knnstkrisobfln 
Zeichenbetriebe  so  gut  wie  keine  Anregung  geben.  Wir  Termis3en  die 
Vielseitigkeit  des  Unterrichtsstoffes,  die  dem  Lehrer  eine  ttr  seine  V^- 
hältnisse  entsprechende  Auswahl  ermöglicht.  Wir  vermissen  vor  allem 
auch  das  Zaubermittel  Farbe,  dem  der  neuzeitliche  Zeichenunterricht  mit 
Recht  eine  so  hervorragende  Stellung  anweist  u.  a.  mehr.  Wie  überflüssig 
erscheinen  uns  dag^en  die  auf  vielen  Tafeln  beigedruckten  VerauschaU' 
liofaungsmittel,  die  den  Kindern  doch  so  wie  so  in  natura  vorgeführt  wentos 
mikssen.  Unbedingt  zu  verwerfen  sind  aber  die  auf  den  Wandtafeln  an- 
gegebenen Hilfsflguren,  die  die  SohOler  der  Selbeltitigkeit  voUstladig  «il- 
heben.  Alles  in  allem:  Heisings  Zeichenwerk  ist  nicht  mehr  zeitgemift 
und  kann  mit  Neuerscheinungen  auf  dem  Gebiete  des  Zeichenunterriolits 
nicht  in  Wettbewerb  treten. 

Jena  £.  Menge 


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Aus  der  philosophischen  Fachpresse 


Archiv  ffir  systematische  Philo- 
sophie. X,  4.  1904. 
Chr.  D.  Pflaum,  Die  Aufgabe  wissen- 
schaftlicher Ästhetik.  —  Richard  Skala, 
Über  die  Verwechslung  des  sinnlich  An- 
^nehmen  mit  den  Kunsteindrücken  und 
einige  andere  Folgen  der  sogenannten 
empirischen  Ästhetik.  —  Bruno  Stern, 
Gerechtigkeit.  —  Dr.  phil.  Hermann  Staeps, 
Das  Problem  der  Willensfreiheit  vom 
Standpunkt  des  Sollens.  —  Jahresbericht 
über  sämtliche  Erscheinungen  auf  dem 
Gebiete  der  systematischen  Philosophie. 
—  Rudolf  Goldscheid,  Jahresbericht  über 
£rscheiaungen  der  Soziologie  in  den  Jahren 
1899—1904.  —  Die  neuesten  Erschei- 
nungen auf  dem  Gebiete  der  sy.stema- 
tischen  Philosophie.  —  Zeitschriften.  — 
Eingegangene  Bücher. 

Revue  philosophique.  Octobre. 

A..  Godfernaux,  Le  parallelisme  pay- 
chophysique  et  ses  consequences  (ler 
artide). 

Annalen    der  Naturphilosophie. 

3.  Bd.   4.  Heft 

Ludwig  Fraunhofer,  Über  die  Unbe- 
veisbarkeit  des  Parallelaxioms.  —  J. 
Valdapfel,  Grundbegriffe  der  Pädagogik 
in  energetischer  Beleuchtung.  —  Hans 
Kleinpeter,  Die  Relativität  aller  Bewegung 


und  das  Trägheitsgesetz.  —  B,  L.  Wieties, 
Der  Mystizismus  and  die  Klarheit  des 
Denkens. 

Neue  Metaphysische  Rundschau. 

Herausgeg.  von  Paul  Zillmann.  1904. 

Band  XL  Heft  5. 
Dr.  Rieh.  Wedel,  Moliah  Schah  und 
der  orientalische  Spiritualismus.  —  Hans 
Freiniark,  Die  bewußte  Absichtlichkeit  im 
Schicksale  des  Einzelnen.  —  Dr.  Heb. 
von  Lessei,  Die  metaphysische  Grundlage 
von  Richard  Wagners  »Der  Ring  des 
Nibelungen«  (Kapitel  V :  Über  die  Götter- 
welt). —  Helene  Zillniann,  Schad-Rossa, 
der  Interpret  der  Psyche.  —  Dr.  med. 
J.  D.  Buck,  Mystische  Maurerei  (Kap.  VI: 
Die  Geheimlehre :  die  siebenfache  Natur 
des  Menschen).  —  Rundschau.  —  Bücher- 
schau.  —  Porträt:  Goethe. 

Revue  de  M^taphysique  et  de  Mo- 
rale.  (M.  X.  Leon.)  12e  annee,  No.  6. 
Novembre  1904. 
H.  Bergson,  Le  paralogisme  psycho- 
physiologique.    —  P.  Boutroux,  Sur  la 
notion  de  correspondance  dans  l'analyse 
mathömatique.  —  H.  Delacroix,  Sur  la 
structure  logique  du  rove.  —  L.  Colonel 
Hartmann,  Definition  physique  de  la  force. 

—  Xavier  L^on,  Fichte  contre  Schelling. 

—  F.  Rauh,  Sur  la  position  du  probleme 


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270 


Faohpiease 


du  libre  arbitre.  —  Comptes  Rendas 
Critiquos:  E.  Chartier,  Philosophie  g6u6- 
rale  (Seaaces  de  section  et  S^ance  g6n6- 
rale).  —  L.  Contorat  et  F.  Rauh,  Logique 
et  philoMphie  des  Sotenoee  (Stooes  de 
section  et  Bianca  genersle).  —  F.  Raxih, 
Psychologie  (Sdances  de  section  et  Seance 
generale").  —  A.  Berthod  et  E.  Halevy, 
Morale  et  Sociologie  (Seances  do  section 
et  Seance  generale).  —  A.  Darlu,  Histoire 
de  ]ft  lUIoBophie  (SeaDoe  g6ii&rale). 

Mind  A  Quarterly  Review  of  Fsycho- 
logy  and  Philotophy.  Edited  by 
Prof  G.  F.  Stoai  New  Series.  No.  52. 

October  1904. 
"William  James,  Huraauism  and  Truth. 

—  A.  E.  Taylor,  Mind  aud  Body  in  Ke- 
cent  Psychology,  —  B.  Russell,  Meiuoog's 
Theory  of  Complexes  tnd  Aflsnmptions 
(HI).  —  F.  &  a  Sohiller*  la  Defenoe  of 
Humanism.  —  T.  K.  Abbott.  Fresh  Light 
on  3£olyneux'  Problem — Dr.  Ramsay's 
CSase.  —  Critical  Xotices.  —  New  Books. 

—  Philosüphical  i'eriodicals.  —  Notes 
and  CoRespondenoe  (Letten  by  Norman 
Smitb,  A.  Sidgwick  and  H.  Bashdall). 
BÖIcseleti  Folyöirat  Szeiieszti 

kiadja  Dr.  Kisa  Jänos.  m.Füzet.  1904. 
I.  Ertekezösek :  Dr.  Hanauer  A.  Istvsui, 
A  termeszettudoniiinyok  az  ukaratsza- 
badsag.  —  Dr.  Werdenich  Eadru,  A  let 
teljessege.  —  Dr.  Stackner  Jftnos,  As 
drs^kek  megbizhatösiga.  —  Flodozovios 
Zsigmond,  A  modern  kultura  es  a  sdiO- 
lastika.  —  II.  Bölcsoloti  mozgaluiak,  vegy- 
esek:  Bulcsoleti  eloailäsok  a  budapesti 
egyetemeu  az  19U4/5-ikiiskola^v  I.  feieben. 

BiUoselettndomAnyi  tanfolyam  Saiz- 
bnigban.  —  Beodelet  a  ssentmisdk  kece- 
lesöröl  es  a  szerkesztö  kerelme.  —  IV. 
Irodalmi  ('  rtcsiti):  BanghaBöla,  Dr.  Pauler 
Akos.  Az  ismeretelmck'ti  kategoriük  pro- 
blemäja.  —  Kozüry  üyula,  Dr.  Hajos 
Endre.  Altalänos  psyohopathologia.  — 
Hiidetesi  rovat  i»  elöfisetBk  uyugtatäsa 
a  boritekon.  •  1 


Meumanns  Archiv  fflr  die  gesante 
Psychologie.    H>03.    III  4. 

L.  Treitel,  Haben  kleine  Kinder  Be- 
griffe? —  Jung,  Das  hysterisobe  Ver> 
lesen.  —  Hahn,  Über  sinnvolles  Yoiieeeo. 

—  Peters,  Die  Farbenempfindung  der 
Notzhautperiphorie  bei  Dunkeladaptiott 
und  konstanter  subjektiver  Helligkeit. 

BarthsVierteljahrsschriftfQrwissen- 
schaftliche  Philosophie  und  So* 
ziologie.  27.  Heft  3. 
OieBler,  Der  Einfloß  der  Donkeflnit 
auf  das  Seelenleben  des  Menschen.  — 
Hartmann,  Die  Orondlage  des  Wahr* 
scheinlichkeitsurteils.  —  Barth,  Die  Ge- 
.  schichte  der  Erziehung  in  soziologischer 
Beleuchtung. 

Qfltberleti  PMIotopliiMlies  Jah^ 
buch.  1&  Jahig.  1.  Heft 

1.  Abhandlungen!  Ad.  Dyroff,  Das  Ich 
und  der  AVülo.  —  Scherer,  Sittlichkeit 
und  Recht,  Naturrecht  und  richtiges  Kecht 
(Schluß).  —  Paul  Czaja,  Welche  Be- 
deutung hat  bei  Aristoteles  die  siaalidn 
Wabnehnning  ond  dss  innere  Anadun- 
uogsbild  für  die  Bildung  des  Begriffes? 
(Schluß).  —  A.  Neher,  Patritius  Benedikt 
Zimmer.  —  C.  Gutborlot  Der  erste  Kon- 
greß für  e.xporimentello  Psyrhologie.  — 
II.  Rezensionen  und  Referate.  —  UL 
ZeitschrifteosduHL  ~  IV.  HisseUea  uaA 
Naohriohten. 

Eo«.  YiertaljabneohiiftfürdieBikaaiit- 

nis  nnd  Bffhandinwg  jugendlicher  Ab- 
normer. Wien,  Jannar  1905.  1.  Jshr* 
gang.    Heft  1. 
Zur  Einführung.  —  Wisseubdiaftliche 
Vertreter  und  Mitarbeiter.  —  Vonuudge. 

—  Abhandlungen:  Dir.  Dr.  M.  Bronner, 
Der  Geist  des  tanbstnnunen  Kindes.  — 
Selbstbeobachtungen  von  Luigi  ÄDsaUti 
Das  Seelenleben  eines  Erblindeten.  — 
Berichte:  Die  Füreorge  f.  abuurnia  lunder 
in  Ungarn.  1.  Von  Sektiousrat  Dr.  iJei» 
vonNiiay-Szabo.  II.  Von  Ludwig  Sdilon. 

—  Aqs  der  Praxis.  —  Bsspreohniigsn. 


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Nea  ebgogangene  Böoher  und  ZaitBohriften 


271 


Nen  eingegangene  Bücher  und  ZeitsohTiflen 


Fr.  Jodl,  Ludwig  Feuerbach  (Klassiker 
der  Philosophie).  Stuttgart,  Fromoiaii, 
1904.   133  8. 

K.  Gnenther,  Der  DarwinismiiB  and 
die  Probleme  des  Lebens.  Zagleich 
eine  Kinfülmincf  in  das  oinhoimi.sche 
Tierleben.  Freiburg  i.  £r.,  Fehüenfeld, 
1904.    460  S. 

B.  Biohter,  Der  Skeptuismiu  in  der 
FbOoeophie.  Leipsig;  Düir,  1904.  3648. 

Elsenhan»,  Die  Aufgabe  einer  Psycho- 
loge der  Deutung  als  Vorarbeit  fiir  die 
GeisteswissensohaEten.  Gießen,  Kicker, 
1904.    2G  S. 

J.  Trüpor,  Beitrüge  zur  Einderforschung, 
l^cbopafthisohe  M inderwerti^eiten  als 
Ursache  von  Gesetzcsverletzongen 
Jugendlicher.  Langensal2a ,  Hermann 
Beyer  &  Söhne  (Heyer  &  Mann).  57  8. 

M.  Offner,  Zurechnung  und  Verant- 
wortung. Leipzig,  A.  Baitb ,  1S>U4. 
50  8. 

Fkobefithiten.  EretüiogMrlwiteii  ai»  dem 
deatschen  Seminar  in  Leipii^.  Heraus- 
gegeben von  \.  Köster. 
L  Die  KudolstiklterFest.-^|tit  le  lOfJO-  tJ7. 
Von  C.  Höf  er.  Leipzig,  Voigtiäuder, 
1904.  215  a 
n.  Die  Oriffin  Dolorse.  Von  F.  Bchnl s e. 

1904.    101  S. 
in.  E.  Reclam,  J.  B.  Mir  haelis.  IGO  S. 

A.  Wernicke,  Die  Tlieorio  deti  Oegen- 
standes  und  die  Lehre  vom  Dinge-an- 
sich  bei  Kant.  Braunsohweig,  fi.  Meyer, 
1904.  32  8. 

Ortner,  Kant  in  Ostermjoh  nnd  V-incenz 
Ed.  Milde.  Klagenfart, Heyn,  1904.  24S. 

Sammlung  naturwissenschaftlich  -  pädago- 
gischer Abhandlungen.  Von  Schmeil 
U.  6ch  m  i  d  t. 

Fr.  Lud w  ig,  Die  Mflbenplage  der  UlToh- 
nmigen,  ihre  Entstehung  und  Bekämp- 
fung. Leipzig,  Tenlmer,  1904.  20  S. 

Dippe.  AtomismuR,  Dynamismns  und 
Energetik  als  Prinzipien  der  Naturphilo- 
sophie.  Soest,  Nasse,  1904.    IS  S. 


0.  Weise,  Unsere  Muttersprache,  ihr 

Werden  und  ihr  Wesen.    5.  Auflage. 

Leipzig  n.  BexUn,  Teaboer.  264  8. 
W,  Windelband,  Über  WOIenafteiheit 

12  Vorlesungen.   Tflbiogen  IL  Leipsig^ 

1904.    222  S. 
II.  IJt'lart,  Nietzsches  Metaphysik.  BeN 

liu,  F.  Wunder,  19U4.    420  8. 
Graue.  Selbstbewofitsdn  und  Willens- 

freiheii  Beilin,  Sohwetzsohke,  1904. 

189  S. 

E.  Ott,  Die  Ficligionsphilioeophie  Heijels. 
Ebenda  1ÜU4.    12.".  8. 

E.  Ilorueffer,  Piaton  gegen  Sukratefl. 
I^ipzig.  Teubner,  1904.   Ö2  S. 

F.  David,  Das  Problem  der  Willeiu- 
freiheit  bei  F.  E.  Boieke.  Bedin» 
Mittler,  1904.   116  S. 

Kurtz.  Zur  Psychologie  der  voroxilischen 
Praplieten  in  Israel.  I^ölineck|  Feigen- 
span.   102  S. 

P.  Natorp,  Logik.  MarboiK*  Elwert, 
1904.  57  8. 

A.  Schultze  -  Tigges,  Philosoplüsche 
Propädeutik  auf  naturwissenschaftlicher 
Grundlage.  2.  Aufl.  Berlin,  Beimer, 
1904.   221  S. 

A.  Seydel,  TJnterricht  in  der  ohiist- 
liehen  Religion  auf  heUegeeduohtliofaer 
Grundlage.  Leipiig  n.  Beilin,  Tenbuer» 
1904.    211  S. 

K.  Zwyniann,  Ästhetik  der  Lyrik.  L 
Diis  (ieürgesche  Gedicht.  Berlin,  K. 
Schnabel,  1904.    153  8. 

J.  Moses,  Hygiene  des  Unterrichts. 
Mannheim,  Bensheinier,  1904.    70  S. 

Sickinger,  Oiiganisation  großer  Volka- 
schulkörper  nach  der  natürlichen  Lei- 
stungsfähigkeit der  Kinder.  Ebenda 
1904.   35  S. 

M.  Terwom,  HatnrwiaBensohaft  und 
Weltanschauung.  Vortrag*  Leipsig,  JL 
Barth.  1904.   35  S. 

Koppelmann,  Kritik  des  sittlichen  Be- 
wuiit.->eius.  Berlin,  Beuther  &  Beichard, 
1904.   3Ö5  S. 


Digitizcd  b>  ^^^ki'^ 


272 


Ken  eingegangene  Böcber  und  ZeHsohrifteB 


Blum,  Der  genuriattiiie  Unterbau  der 

höh.  Schulen  in  seiner  gesoh.  Entwick- 
lung.   Mannheim,  Walther. 

Die  nassauische  SiinultaDschula.  Biele- 
feld, Hdmioh. 

Brewie,  Des  snk.  YoUBsohidgeeets  in 
Freofien.  Ebenda 

8ickinger,  Der  Unterrichtsbetlieb  osw. 
Mannheim,  Bensheimer. 

Fr.  Mann,  Pädagog.  Magazin  231,  235, 
236.  Langensalza,  Hermann  Beyer  & 
Sohne  (Beyer  ft  Xami). 

S.  Briebrecher,  Leitbden  f.  d.  ünt 
im  a,  Test.    Hermannstadt,  Michaelis. 

K.  Schewe,  Zum  Fachunt.  L  d.  Volks- 
schule.   Minden,  Masowsky. 

Tilger,  Der  grajumat  Unt  Langensalza, 
Henunn  Beyer  k  BShne  (Beyer  & 

MttlB). 

Junge  ,  Beiträge  zur  Method.  des  mtar- 
kundl.  Unt.    4.  Aufl.  Ebenda. 

Bauer,  Urgeschichten,  Mose  und  Josua- 
geschichte.    Leipzig,  Wunderlich. 

Heyn,  Gesoh.  Jesu.  2.  Avil.  Ebenda. 

Ddll,  LdflhtCalUiohe  Liteiponkluindehre. 
Ebenda. 

Seyfert,  I^hrplan  für  den  dentscheii 

Sprachunt.  Ebenda. 
Mehnert,  Über  Sprachstörungen.  Dres- 
den, Urban. 
Oomeniiis,   Das  einzig  Kotwendige. 

Jena,  Diederiohs. 
Katalog  von  Bibl.   für  Fortfaildmigs- 

schulen.    Wittenberg,  Herrose. 
Theorie  u.  Praxis  des  8ekund.  Unt 

XIV.   St.  GaUen. 
A.  Fnoha.  Beitr.  sw  F«d.  FirilieL  Y. 

Ofiterdoh,  BertelBmann. 
A.  Bonus.  Vom  Kulturwert  d.  dentooh. 

Schule.    Jena,  Diederichs. 
31.  E.  Sadler,  Report  on  second.  educ 

in  Liverpool.  London,  £yre  and  Spottis- 

woode. 

Bnbner,  Unsere  KahrongamitleL  Stutt- 
gart, Moritz. 

Ort,  Auf^-aben,  Zweck  und  Ziele  der  Ge- 
sundheitspflege. Ebenda. 


0.  Willmann,  Aus  Hörsaal  «Bd  Schal- 

Stube.    Freiburg,  Herder. 
Charles  McMurry,    Special  Method 
usw.    New  York,  Mamillau. 

Hoenig,  Moderne  Organisation  d. 

j^Mmliildiiiig.  Png;  Haase. 
Becker,  Port  Arthur  anf  dem  Schnl- 

gebiot.    Wetzlar,  Schnitzler. 
Bilharz.  Mit  Kant  —  über  Eant binaoa 

Wiesbaden.  Bergmann. 
Capesius,  Abriß  der  astron.  Erdkunde. 

Hermannstadt,  Klafft 
Zur  Erinnerung  an  E.  Kant  Hille, 

Tiraisenhans. 
"Wendt,  Studium  u.  Meth.  d.  franxöi,  a. 

engl.  Sprache.   Leipzig,  Dürr. 
Spieß.  Mosterlektionen  f.  d.  Iiaas.  Unt 

Ebenda. 

Jochen,  Theorie  und  Praxis  d.  H«mit- 
künde.  Leipzig,  Wondeifidi. 

Herrman,  Die  sittlioheD  VetsongBa 
Jesu.  G&ttingen,  Vandeohoeok  BÖp- 

recht 

Troelt.sch,  Polit  Ethik  u.  Christentom. 

Ebenda. 

Viereck,  Zwei  Jahrhonderte  deutschsa 
Untexiichti  in  den  Verein.  Slmtea. 
Bnmnaohweig,  Vleweg. 

Weit,  Rais,  Heininger,  Zlahao, 

Das  Sachrechnen.   Cannstatt,  flopL 
Herder,  Ideen.    Jena,  Diederichs. 
Schlegel,  Fragniente.  Ebenda. 
Singer,   Soziale   Försoige.  Müncfaeo. 

Oldenbuig. 
Weininger,  OeeoUwdit  und  Gihfnklsr. 

Wien,  Branmftller. 
Doli,  Gesch.  a.  d.  Leben  Jeao.  2.  Asfl> 

I..eipzig,  Wundeilich. 
Holl  er,  Andeisen  und  seine  Marcb^i^- 

Ebenda. 

Eiehler,  Stoffe  für  den  Anschaannp- 

Untarriöht  Ebenda. 
Ddll,  Ihterirnktiondehra.  Ebenda. 
Wagner,  Ziffemtalel  Ebenda. 
Traub,  Ethik  nnd  KapitaliSDins.  Hefl- 

bronn,  Saizer. 


Druck  TOD  ilornMuin  Beyer  L  Sütine  ^Uoyor  4  Mann)  in  Languu^aiza. 


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Kind  xmd  Ktuist 

Einige  experimentelle  Untersuchungen  zu  einigen  Grundfragen  der  Kunst- 
erziehung 

Von 

Marx  Lobsien,  Kiel 
(Fortsetzung) 

C.  Ergebnisse 
I.  ürgebnisse,  die  sich  auf  das  AkuBtiBoh-Sohöne  beoiehen 

1.  Der  Rhythmus 

Hierher  gehören  die  Antworten  auf  die  Fragen:  16,  17,  18,  19, 
21  und  22.  Ich  beginne  mit  Frage  22,  die  auf  den  Rhythmus  sich 
bezieht  Es  handelte  sich  darum,  zu  erkunden,  ob  die  Kinder  auch 
dem  von  jeglichem  Inhalte  losgelösten  Rhythmus  wertend  gegenüber 
stehen.  Allerdings  ist  zu  betonen,  daß  die  Kinder  zu  solchem  Werten 
veranlaßt  wurden. 

Ich  ordne  zunächst  die  Gesamtergebnisse  ohne  Rücksicht  auf 
Unterschiede  des  Geschlechts  und  des  Alters.  Da  ist  zunächst  auf- 
fällig, daß  die  Schüler  sehr  selten  versagten,  fast  immer  gaben  sie 
ein  Urteil  ab.  Die  Urteile  bezeugten,  daß  der  Daktylus  dem  Jambus 
und  Trochäus  gegenüber  stark  vorgezogen  wurde.  Das  Maß  dieses 
Vorziehens  und  Verwerfens  läßt  sich  bezeichnen  durch  die  Daten: 
Trochäus  9  :  Jambus  :  13,  zu  Daktylus  18.  Deutlich  zeigen  sich  da- 
neben Unterschiede,  die  durch  Geschlecht  und  Altersfortschritt  bedingt 
erscheinen.  Während  die  Gesamtwerte  bei  den  Knaben  bezeichnet 
werden  durch  die  Daten: 

8  :  8  :  23 
berechne  ich  für  die  Mädchen: 

10  :  17  :  13. 

Zoitachiift  für  Philosophie  und  PädAKOgik.   12.  JahrgAng.  18 


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274 


Aufs&tse 


Die  Daten  haben  keinen  absoluten,  sondern  nur  relaÜTen  Weit 
und  besagen,  daß  bei  der  Gesamtheit  der  Knaben,  die  Neigung,  den 
bewegteren  Daktylus  Torzuzieheii  ganz  wesentlich  st&cker  war  als  \m 
den  ICftdöhen,  während  Ton  den  letzteren  je  und  je  der  Jambus 
grSfieres  Gefollen  fand.  Die  Altersunterschiede  soll  die  nachstehende 
Tabelle  aufweisen.  Da  die  SdiOlersahl  auf  den  einzelnen  Altersstnfeii 
nicht  fibereinstimmtei  so  war  notwendig,  die  prozentualen  Werte  n 
berechnen,  mit  andern  Worten,  eine  Sunmie  von  100  für  jede  Stufe 
anzunehmen  und  innerhalb  dieser  Summe  anzugeben,  wie  sich  die 
Anzahl  auf  die  verschiedenen  Bhythmen  verteilt 


Tabelle  1 


Unter  100  Urteilen  eatscbieden  sich 

AltarsstufB 

bei  den  Knaben  fOr 

bei  den  Midohen  fttr 

—  ^ 

I 

24 

27 

49 

JI 

22 

22 

56 

18 

44 

38 

m 

29 

16 

55 

19 

19 

62 

17 

17 

25 

58 

24 

26 

50 

V 

8 

22 

70 

26 

55 

19 

VI 

38 

00 

2 

Ich  bitte  dio  Daten  der  aufsteigenden  Stufen  sich  als  Kur\'en 
dargestellt  zu  denken.  Man  gewahrt  dann  deutlich,  wie  bei  den 
Knaben  das  Interesse  füi*  —  >—  ^  relativ  stark  einsetzt  und  dann 
allmählich  abnimmt  Gerade  das  umgekehrte  ist  bei  den  Mädchen  der 
Fall.  Die  unterste  Stufe  zeigt  ein  verschwindend  geringes  Interesse 
für  den  Daktylus,  der  aber  stark  im  Zunehmen  begriffen  ist,  nur  die 
oberste  Stufe  offenbart  ein  Abnehmen.  Entsprechend  dieser  Zu-  und 
Abnahme  gestaltet  sich  dann  die  Kurve  für  die  beiden  andern 
Rhythmen.  Sowohl  für  den  Trochäus  wie  für  den  Jambus  beobachten 
wir  bei  den  Mädchen  ein  stetig  abnehmendes,  bei  den  Knaben  ein 
im  allgemeinen  schwach  wachsendes  Interesse. 

Dürfen  wir  liier  von  Typen  reden?  Lay  hat  nach  dem  Vorgange 
Sterns  neuerdings  versucht,  durch  die  Methode  des  Fingerklopfens 
nähere  Aufschlüsse  zu  gewinnen  über  die  Periodizität,  das  Tempo, 
dio  Geschwindigkeit  des  Arbeitens.  (Die  Methode  bestand  einfach 
darin,  daß  im  Optimum  mit  der  Zeigefingerkuppe  eine  Reihe  von  Takten 
geBcUagen  wurden,  deren  Anzahl  bemaob  bestimmt  wurde.)  Leider 

Experimentelle  Didaktik. 


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LoBBDDi:  KtoA  und  EmiBt 


27& 


erfahren  wir  nicht,  welche  Taktart  dabei  gewählt  wurde,  ich  vermute, 
ein  Zweiertakt  —  und  doch  hätte  sich  in  der  freiwilligen  Wahl  der 
Taktart  der  natürliche  Rhythmus  der  Bewegung,  der  Arbeit,  des 
Denkens  zweifelsohne  ebenso  deutlich  ausgeprägt,  als  in  dem  Optimum 
allein.  Es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  Stern  recht  hat, 
wenn  er  von  einem  natürlichen  Rhythmus  redet.  Nicht  nur  ist 
der  Nordländer  darin  von  dem  Südländer  gänzlich  verschieden,  der 
Romane  von  dem  Germanen,  auch  der  Städter  von  dem  Be- 
wohner des  Dorfes,  das  weibliche  (»eschlecht  von  dem  männlichen, 
sondern  die  Erscheinung  differenziert  sich  noch  weiter,  so  daß  für 
jede  Persönlichkeit,  mindestens  aber  für  kleinere  unter  ^ gleichem 
Charakteristikum  zusammenfaßbare  Gruppen,  das  Tempo  als  deutlich 
zum  Wesen  derselben  gehörig  angesprochen  werden  darf.  —  Ähnlich 
wie  bei  dem  s Fingertupfen«  tritt  auch  in  der  Wahl  des  Rhythmus 
dieses  Wesen  zu  Tage.  Allerdings  ist  das  Tempo  gewiesen,  doch  tritt 
der  ganz  verschiedene  Charakter  der  drei  Rhythmen  vom  ruhigen 
Trochäus  bis  zum  belebten  Daktylus  deutlich  hervor.  Die  Zuhörer 
werden  den  Rhythmus  iUs  den  ihnen  am  besten  gefallenden  aus- 
wählen, der  ihrem  natürlichen  Tempo  am  nächsten  kommt. 

Trüft  diese  Yoraussetziing  zu,  so  werden  wir  für  die  Knaben  im 
allgemeinen  als  typisch  ansehen,  daß  ihr  natürliches  Tempo  ein 
schnelleres  Ist  als  das  der  Mädchen,  daß  es  aber  mit  sonehmendom 
Alter  sich  vermindert^  wShiend  bei  den  Mädchen  das  umgekehrte  ro 
beobachten  ist 

Ob  diese  Begründung  zutrifft  oder  nicht,  auf  jeden  Fall  düifon 
wir  konstatieren,  daß  das  Kind  auch  dem  leeren  Rhythmus  gegen- 
über nicht  teilnahmslos  ist,  sondern  sehr  wohl  zn  werten  veistebt 
Ob  das  mit  dem  erwähnten  natürlichen  Tempo  zusammenhängt,  oder 
ob  man  ron  naiv-ästhetischem  £mpfinden  und  Wählen  reden  will^ 
indert  an  der  TatE»ehe  nichts. 

2.  Versuch  mit  dem  Vortrag  von  Gedichten 

Dieser  Yeisoeh  bietet  bereits  größere  Schwierigkeiten,  als  der 
eben  erwähnte,  trotsdem  durfte  er  nicht  unterbleiben.  Ich  hoffte 
taeh,  durch  die  Answihl  und  Besohrinkung  mancherlei  Fehlem  vor- 
gobeogt  2u  haben.  Zwar  liefi  eine  FeUecqueQe  sich  nicht  gänzlich 
Tentopfen:  die  Yortragsart  war,  da  mehrere  Tersuchsleiter  tätig* 
wen,  nicht  übeieinstimniend.  Wenn  auch  Schwankungen  in  d«r 
Au&sBung  bei  so  einfachen  Gedichten  nicht  gar  su  ^rofie  Bnite 
bsben  dürften  und  wenn  ich  auch  im  allgemeinen  die  Gewähr  hatte^ 


276 


Atifsätze 


daß  die  Yersaehaleiter  bei  dem  Tortrage  nidit  YOE  ihrer  snbjekUvMk 
StoUimg  dem  Gedicht  gegenüber  sich  leiten  liefien,  sondem  lediglich 
durch  deesen  Ghaxekter,  so  waiea  doch  Mängel  sa  befOrchteiL  Min 
hStte  dfeee  fielleioht  dadurch  umifiglich  gemacht,  daft  die  ganie  As- 
Gelegenheit  nur  einem  yerBochsLeiter  überlassen  wurde,  aber  nun 
hätte  80  den  Tenfel  mit  Beelzebub  ausgejagt,  denn  der  fremde  Mann 
▼or  der  fremden  SSasse  bedeutet  eine  Menge  imponderabler  Soggeslir* 
räkungen,  die  ehien  gleich  großen,  wenn  nicht  einen  sohwereiea 
Nachteil  bewirkt  haben  würden. 

Yer^eicht  man  die  Oedichte  auf  ünen  literarischen  Wert  hm,  so 
wird  man  Abseits  von  Storx  und  die  Rache  von  ühland  als  Meistor- 
werke ihrer  Art  bezeichnen:  da  die  meisterhafte  Heidestimmung,  hier 
das  anspruchslose  von  Handlung  zu  Handlung  schnell  forteilende  er- 
zählende Gedicht  Dort  dagegen  haben  wir  ein  Gedicht,  wenn  man  ihm 
die  Ehre  antun  will,  es  so  zu  nennen,  das  einfach  schauderbar  ist  Da- 
bei ist  aber  nicht  zu  leugnen,  daß  es  für  das  Kind  eine  gewisse  Wort- 
und  Situationskomik  hat,  für  die  namentlich  das  jüngere  gewöhnlich 
sehr  leicht  zu  haben  ist  Die  Wahl  war  aber  beabsichtigt  Denn  es 
sollte  erkundet  werden,  ob  das  Kind  trotz  dieser  Gefahr  für  das 
literarisch  Wertvolle  sich  entscheiden  werde,  sei  es  für  jenes  Stim- 
mungsbild, sei  es  für  jenes  mit  bewegter  Handlung,  ganz  entsprechend 
seinem  Wesen;  ob  es  naiv  oder  instinktiv  aus  sich  heraus  das  minder- 
wertige ablehnen  werde.  Selbstverständlich  wäre  das  unmöglich  zu 
erkunden,  wenn  durch  den  Ycrsuchsleiter  mittels  irgend  einer  Be- 
merkung, einer  Geberde,  durch  den  Ton  bei  dem  Vortrage  oder  ähn- 
lichem das  Kind  bei  seiner  Wahl  beeinflußt  wurde.  Das  mußte  pein- 
lich vermieden  werden. 

Auch  hier  sollte  auf  Grund  vieler  Hunderte  von  Beobachtungen 
lediglich  die  Tatsache  konstatiert  werden:  Sind  Spuren  ästhetischen 
Geschmacks  bei  dem  Kinde  nachweisbar,  auch  dort,  wo  es  nicht  be- 
sonders beeinflußt  wird?  In  welchem  Alter?  Wie  entwickeln  sie  sich? 
Jegliches  ßäsonnement  soUte  vermieden  werden. 

Bevor  ich  die  Ergebnisse,  wieder  auf  100  verrechnet,  hierher 
stelle,  bemerke  ich  bezüglich  der  Frage,  die  unmittelbar  nach  dem 
Vortrage  des  SruBMaohen  Gedichts  gestellt  wurde:  Wie  findest  du 
das?  Wamm?  daß  sie  mancherlei  Antworten  bekam,  die  wertlos,  kon- 
ventionell waren.  Stark  dominierte  die  Antwort:  schön.  Etwas  deut- 
ücber  Stellung  nimmt  dann  die  Begründung:  sehr  schön.  Daneben 
aber  ergeben  sich  eine  Reihe  treffender  Begründungen,  die  den  Stempel 
der  Unmittelbarkeit  so  deutlich  an  der  Stirn  trugen,  daß  ich  sie 
nicht  nnarwfthnt  laasen  louin.  Der  Zusammenhang  bringt  es  mit  mth. 


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Lobsien:  Kind  und  Kunst 


277 


daß  ich  die  Antworten  auf  die  beiden  andern  Warumfragen,  die  die 
folgenden  Gedichte  angingen,  gleich  mit  heranziehe. 

Bei  den  Mädchen  las  ich  folgende  Antworten.  Stufe  II:  Ich  sah 
den  Kätner  in  der  Heide.  Die  Antwort  findet  sich  nicht  oft;  sie  ist 
trotzdem  bedeutend,  weil  sie  ein  eigenes  Erleben  konstatiert,  das  erst 
das  Gedicht  mit  dem  wahren  Inhalte  füllte  und  für  die  Auswahl  be- 
stimmend ward.  2.  Weil  es  einsam  und  so  ruhig  ist.  3.  Alles  ist 
80  zufrieden.  4.  Die  Heide  ist  so  schön  gezeichnet  5.  Ein  Mädchen 
findet,  daß  es  zur  Fröhlichkeit  aufmuntere  —  Trauer  ist  nicht  Sache 
des  Kinderherzens.  6.  Eine  Kunstbanausin  hält  es  für  drollig.  Scharfe 
Ejitik  übt  eine  fernere  (7.),  die  alle  drei  Gedichte  für  gleich  schlecht 
erklärt  Andere  verfahren  nach  dem  Rezepte  Friedrich  Wilhelms  I., 
der  laut  bekannter  Anekdote  nach  der  Rede  des  Anklägers  erklärt: 
der  Kerl  hat  recht!  und  von  der  des  Verteidigers  so  überzeugt  ist^ 
daß  er  sagt:  der  Kerl  hat  auch  recht!  —  sie  schreiben:  schön,  schön, 
alle  drei  schön.  Sie  greifen  mithin  nicht  wertend  ein.  Die  ab- 
weichenden Antworten  sind  stark  in  der  Minderheit,  die  positiven 
bezeugen  jedoch  da  und  hier,  daß  die  Stimmung  erfaßt  wurde.  — 
Die  Begründung  durch  die  Knaben  lehren  ähnliches. 

Banausische  Urteile  finden  wir  nicht  selten  in  Angaben  wie:  Er- 
greifend, still  und  feierlich,  ruhig,  eintönig  aber  doch  schön,  die  Sonne 
scheint  da  so  warm,  die  Zeit  vergeht  mir  schnell  (bei  dem  Vortrag) 
—  die  Begründung  für  die  Wahl  der  andern  Gedichte  lehrt  nichts 
Neues.  Obendrein  sind  sie  stark  in  der  Minderzalü  vorhanden,  weil, 
wie  wir  gleich  sehen  werden.  Abseits  weitaus  die  meisten  Liebhaber 
fand.  Die  Begründung  bestand  zumeist  in  dem  nichtssagenden: 
hübsch,  fein  oder  ähnlich.  Nur  einmal  wurde  die  Rache  als:  ernst 
charakterisiert,  Storch  und  Stier  mit  der  Begründung  vorgezogen: 
weil  die  Tiere  so  fein  »schnacken«  können,  weil  die  Frösche  so  quaken. 

Welches  Gedicht  wird  bevorzugt? 


Tabelle  2. 


Knaben 

Mädchen 

Altersstufe 

Abseits 

Kache 

Storch 

Abseits 

Rache 

Storch 

und  Stier 

und  Stier 

I 

73 

25 

2 

U 

72 

22 

8 

90 

10 

m 

53 

33 

14 

80 

10 

4 

IV 

53 

15 

32 

79 

16 

5 

V 

38 

20 

42 

70 

6 

24 

VI 

39 

6 

55 

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278 


AniBlIae 


Insgesamt  wurden  mithin  durchschnittlich  vorgezogen  von  den 
Knaben: 

Absdfs  56  :  Bache  23  :  Storch  und  Stier  :  19, 
Ton  den  Hlddien: 

Abseits  72  :  Rache  11  :  Storch  und  Stier  :  ISmaL 

Faßt  man  die  Daten  für  die  beiden  ersten  Gedichte  zusammen,  sie 
dem  dritten  Gedichte  als  dem  literarisch  wertlosen  gegenüberstellend, 
so  darf  man  sagen,  daß  kein  wesentlicher  Unterschied  besteht  liüben 
und  drüben,  daß  naiver  Kunstsinn  bei  Knaben  und  Mädchen  sich  ün 
Vorziehen  wie  im  Verwerfen  annähernd  in  gleichem  Umfange  äußert, 
daß  aber  überwiegend,  nämlich  etwa  im  Verhältnis  4  :  1  das  literarisch 
AVertvoile  vorgezogen  wurde.  Tra  besonderen  zeigt©  sich  bei  den 
Iklädchen  eine  nicht  unwesentlich  stärkere  Neigung  für  das  Stimmungs- 
volle (Abseits)  als  bei  den  Knaben.  Auffällig  bleibt  das  relativ  go- 
riage  Vorziehen  der  » Rache  auch  bei  den  Knaben.  Auf  den  unteren 
Stufen  gewahrt  man,  bei  Knaben  wie  Mädchen,  deutlich  ein  Vor- 
ziehen des  zu  dritt  genannten  Gedichtes,  dann  aber  zeigt  sich  schnell 
ein  starkes  Frävalieren  nach  der  ästhetischen  Seite  hin. 

Der  Altersfortschritt  macht  sich  deutlich  in  günstigem  Sinne  be- 
merkbar. Ganz  besonders  stark  ist  die  Entwicklung  von  der  V.  zur 
rv.,  bezw.  VI.  zur  V.  Altersstufe.  Die  Mädchen  zeigen  sich  dea 
^leichalterigen  Knaben  gegenüber  nicht  unwesentlich  im  Vorteil. 

Wir  heben  för  die  Beantwortung  unserer  Fragen  als  unzweifel- 
haftes Ergebnis  heraus:  Auch  dieser  Versuch  hat  gezeigt,  daß  1.  schon 
um  das  9. — 10.  Lebensjahr  herum  sich  in  weiterem  Umfange  m 
Werten  in  ästhetischem  Sinne  nachweisen  läßt  und  2.  daß  mit  steigen* 
•dem  Alter  das  Interesse  in  demselben  Sinne  wächst  —  Ob  die  deut- 
liche Neigung  nach  der  Seite  der  elegischen  Stimmung  typisch  is^ 
etwa  für  unsere  nordische  Landschaft,  können  definitir  nur  Yersofilie 
entscheiden,  die  auch  in  südlicheren  Himmelsstrichen  Toigenommen 
werden.  Ein  gewisses  Beetitigen  oder  Verwerfen  werden  wir,  so 
hoffe  ich,  aus  den  Beantwortungen  der  Frage  nach  dem  Lieblings» 
jHedioht  herauslesen  können. 

3.  Magst  du  gern  ein  Gedieht  höien  mid  lernen? 

ISnen  weiteren  Prüfstein  —  und  das  möge  Torweg  eriedigt 
werden  —  dafür,  ob  das  Kind  in  gewissem  Grade  kunstsinnig  ist, 
haben  wir  in  den  Antworten  auf  die  Fragen  17  und  18:  Magst  da 
gerne  ein  Gedicht  hören?  Magst  du  gern  ein  Gedidit  lernen?  Bas 
Memorieren  ist  eine  Arbeit,  die  bekanntermaßen  im  großen  und 
Hauen  der  Jugend  nicht  sonderlich  gefiUlt  Allerdings  kommt  sehr 


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Lobsi£n:  Kind  und  Kunät  279 


hl  Pra^,  was  memoriert  wird  und  wie  sie  mit  Gedächtnis  bef^abt 
ist  Wenn  sie  aber  dieses  Unangenehme  in  den  Kauf  nimmt  oder 
bosser  noch,  wenn  die  Arbeit  unter  Einfluß  des  zu  memorierenden 
Inhaltes  als  unangenehm  gar  nicht  empfunden  wird,  dann  darf  man 
wenigstens  ein  besonderes  Interesse  für  das  Memorierobjekt  fest- 
stellen, und  ist  dieses  Objekt  ästhetisch  wertvoll,  so  ist  der  weitere 
Schluß  nur  zwingende  Notwendigkeit:  in  der  Jugend  ist  ästhetisch(»s 
Interesse  zu  wecken  möglich,  es  muß  in  deiselben  Kunstsinn  im 
Keime  vorhanden  sein. 

Ich  stelle  die  Srgebnisse  im  lOO-Ansschnitt  nebeneinander  nach 
den  Altersstofen. 


Tabelle  3. 


Knabea 

Mädchen 

Oodiobt  hfirsn? 

Gedicht  lernen? 

Gedieht  hdran? 

Oedidit  lernen? 

3» 

nein  j 

j» 

nein 

ja 

nein 

ja 

nein 

I 

97 

3 

88 

11 

n 

100 

100 

93 

7 

85 

15 

m 

100 

64 

36 

96 

4 

90 

10 

IV 

93 

n 
1 

95 

5 

100 

1 

93 

7 

T 

89 

11 

46 

'A 

100 

94 

4 

VI 

100 

1  100 

Ich  hebe  hier  wieder  die  Gesamtwerte  henna  und  berechne,  dafi 
96  o/o  der  Knaben  dn  Gedicht  gern  hörten,  4:%  nicht,  beew.  98% 
und  2^0  der  ICIdchen.  Das  Memorieren  eines  Gedichts  treiben 
79  7o  der  Knaben  nnd  92  %  MUdchen  gem.  Ich  gestehe^  dafi 
mieh  das  nicht  wenig  ubenaBchte. 

Bezüglich  des  Altersfortschritts  darf  man  ans  Tabelle  2  einen 
günstigen  Einfluß  herauslesen. 

Einige  Bedenken  gegen  den  Yersueh  will  ich  nicht  verschweigen. 
Zunächst  wird  hier  ja  lediglich  eine  Entscheidung  im  Sinne  von  Ja 
oder  Nein  verlangt.  Der  Kenner  der  Kindesnatur  weiß,  daß  es  auf 
neutralem  Gebiete,  wie  doch  liier,  dann  oft  leichtfertig  sich  entscheidet, 
es  ist  schnell  einer  augenblicklichen  Mühe  überhoben  und  zwar  gründ- 
hch,  weil  keine  näheren  Angaben  verlangt  werden;  so  bemächtigte 
sich  seiner  schnell  das  Gefühl  der  Erleichterung.  Ferner :  es  war 
iintwendig,  die  Fragen  ohne  Rücksicht  auf  ein  bestimmtes  Gedicht  zu 
stellen.  Nun  ist  aber  selbstverständlich,  daß  nicht  jedes  Geweht  gern 
gelernt  wird  —  trotzdem  geben  nur  wenig  Kinder  ihre  Entscheidung 


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280 


^ufsätze 


bedingt  ab:  wenn  es  liübsch  ist,  wenn  es  sehr  hübsch  ist,  wenn  es 
nicht  zu  lang  ist  oder  älinliches.  —  Gerade  bei  ernsterer  Beant- 
wortung der  Fragen  wird  wahrscheinlich  das  Lieblingsgedicht  oft  auf- 
treten und  im  Hinblick  auf  dieses,  das  obenein  memoriert  worden 
ist,  wird  die  Entscheidung  kurzerhand  gefällt.  Dieser  Umstand  fällt 
beschwert  dadurch  ins  Gewicht,  daß  ein  vorsuchstechnischer  Mangel 
ihn  begünstigte:  die  £*nige  nach  dem  Liebling^gedicht  ging  den  hier 
erörterten  Fragen  voraul  Dazu  kommen  dann  nodi  mancherlei 
Lnpondorabilien,  Tor  allen  Dingen  Suggestiv  Wirkungen  durch  den 
Versuchsleiter,  dem  zu  Liebe  man  je  und  je  die  Frage  bejahend  be- 
antwortet, dann  die  Art  der  Behandlung  im  Unterncht,  das  Maß  der 
Anforderungen  usw.  Die  KfingeL  sind  unbedingt  zuzugeben  und  sie 
werden  auf  den  unteren  ünteirichtsstnfen  schärfer  ihre  Macht  geltend 
machen.  Die  obigen  Tabellenwerte  mttssen  auch  als  Kelativwerte  eine 
Korrektur  eiAihren,  für  die  eine  brauchbare  Methode  fehlt  Dem 
gegenüber  gebe  ich  zu  bedenken:  1.  Die  Daten  sind  Prozentwerte  ans 
einer  großen  Zalü  von  einzehien  Beobachtungen;  es  kann  somit  nicht 
ausbleiben,  daB  manche  Fehler  ganz  eliminiert,  andere  auf  einen 
minimalen  Best  zurttckrerrechnet  werden.  2.  Die  Berechnungen 
dienen  ab  ünteilage  ffir  Eragen  so  alJgemeiner  Natur,  daß  ich  toU- 
stftndig  zufrieden  bin,  wenn  die  Tabelle  zu  einer  Bejahung  im  all- 
gemeinen Sinne  veranlaßt  —  und  das  Yertrauen  habe  ich. 

4*  Wdchea  Oedicht  hast  dn  besondere  gern? 

Hier  ist  freie  Auswahl  gestattet  unter  den  memorierten,  nur  ge- 
lesenen oder  gehörten  Gediditen.  Da  die  Schüler  zum  größten  Teüe 
wohl  durch  die  Yermittlung  der  Schule  mit  wertvolleren  Gediditen 
bekannt  gemacht  werden,  so  wird  für  die  Art  der  Antworten  dieser 
Einfluß  nicht  zum  kleinen  Teüe  stark  bestimmend  sein.  Trotzdem 
gestattet  das  Ergebnis  einen  Schluß  auf  vorhandenen  Eunstsuin,  denn 
einerseits  ist  das,  was  so  vermittelt  wird,  keineswegs  gleich  wertvoll, 
auch  nicht  für  das  Eind,  andrerseits  sind  die  Sachen,  die  man  auße^ 
halb  der  Sdiulwinde  kennen  lernte,  kdneswegs  von  der  Wahl  aus- 
geschlossen. Auf  mancherlei  Mängel  braudie  ich  nicht  niber  ein- 
zugehen, ich  verweise  auf  den  vorigen  Abschnitt  Obgleich  diese 
Fehlerquellen  sich  nicht  verstopfen  lassen,  halte  ich  doch  für  not- 
wendig, die  von  den  Kindern  notierten  Gedichte,  nach  Stufen  und 
Geschlechtem  geordnet,  aufzuzeichnen.  Da  eine  prozentuale  Verrech- 
nung sieh  aus  naheliegenden  Gründen  erübrigt,  so  bezeichne  ich  die- 
jenigen Gedichte,  die  oft,  öfter  und  sehr  oft  als  LiebÜngo  genannt 
wurden,  durch  die  Zeichen  *,  **, 


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LooBDoi:  Kiod  und  KoDst 


281 


Tabelle: 


Stade 

KnalwD 

HUohflB 

L 

ülodke,  nm  Sdiiller.*** 

Kraniche  des  H^yklis,  ▼on  Schiller.** 

Graf  von  Hal^buTg,  von  Bohüler. 

Abseits,  von  Storni. 

Der  Knab  vom  Berge,  von  Uhland. 

Die  Auawanderer,  von  Freiligrath. 

Die  Uetle,  Ton  Sdiiller. 

Der  Taaoher,  JWk  Sohiller. 

Frühlingsf^laube,  von  ühland. 

Di(?  Bür^ohaft.  von  Schiller. 

Gudruns  Klii^^e,  von  Goibel. 

Eberhard,  der  Kauächebart  v.  Uhland. 

Troja,  von  Sohülur. 

PoetfllioB,  Ton  Leium. 

Muttersprache^  Toa  Schenkendoil 

Johanna  Sebus,  von  Ooethe. 

Mein  Johann,  von  (Iroth. 

Der  Tormann,  von  üiesebrecht 

Jobn  Maynvd,  ymi  Foniaiie.* 

ArohÜMld  Dooglas,  rtm  FootMie, 

Gönn  Orimmef  ton  Fontane. 

Deutscher  Rat,  von  Roinick. 

Die  Trompete  von  Haraktoar,  Tom 

Freiligrath. 
Der  blinde  König,  von  Uhland. 
Wo  mtlmt  der  liebe  Oott,  wo  Hey. 
Umns  Reise  am  die  Welt,  v.  Geliert- 

L/U. 

Onf  von  Habebugf  von  Sohiller. 
Herr  Heiniidi  dtst,  von  TegeL 
Wandersmann  und  Lerdie»  ton  Hey. 

Vogelnest,  von  IToy. 

Die  Versuchung,  von  Heinick. 

Der  Bauer  und  sein  iSohn,  v.  Geliert? 

Ebeiliiild? 
Wandelndo  OlooikOf  von  Goethe. 
Die  TabakspMIe,  von  Goethe. 
Die  Glocke,  von  Schiller. 
Es  braust  ein  Ruf  wie  DonnerhaU,  v. 
Arndt. 

Der  Schatzgräber,  von  ? 
Der  Lotee,  von  Oieeehreoht 
Ebelhart,  der  Baotiohebnrt,  Uhland. 

Uhland. 

Die  Olooke,  von  Bohiller.* 

Wmb,  von  Weber. 

Gudruns  Klage,**  von  Oeibel. 

Sala  y  Gomez,  von  Chamisso.* 
Der  Mai  ist  gekommen,  von  Geibel. 
Des  büngers  Fluch,  von  Uhland. 
Das  Sohloi  am  Meer,  von  Uhland. 
Das  Eritonnen,  von  VogL 
Mutterhen,  von  Kaolisch. 
Mädchens  Klage,  von  Kauliaoh. 
Der  Taucher,  von  Schiller. 
Die  Kraniohe  des  Ibykus,  v.  Schiller. 

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282 


AuUtie 


I 


Stufe 

Knallen 

Mädchen 

Grab  im  Busento,  von  Platen. 
Der  getreue  Eckard t,  von  Goethe. 
Wie  KBoig  Ead  SoliiilviBiMion  UOt, 
Ton  ? 

Klein  Boland,  von  ühland. 

Lef^ende,  von  Rückert. 
JohaDD  der  muntre  Seifensieder,  von 
Hagedorn. 

iL/m. 

Die  alte  Waschfrau,  von  ChamiUHft. 
Der  Rabe,  von  IToy. 
Das  Erkennen,  von  Vogl. 
Muttersprache,  von  Schenkendort 
Der  alte  Bulieioesa.  von  üUaad. 
Oloolieqgiift  sa  BrasUn,  von  Schiller. 
Die  Bürgschaft,  von  Sdiiller. 
Es  zogen  drei  Burschen,  von  Kerner. 
Schwäbische  Kunde,  von  Uhlaod. 
Das  üewitter,  von  Schwab. 
Der  Lotse,  von  Qieeebxedit 
Preisend  init  viel  aohfinea  Bedeo,  von 

ühland. 
r  neanoisgedaniLen. 
Über  ein  Stündlein. 
Die  Katzen  und  der  Hausherr,  von 

lichtwer. 

Die  Bürgschaft,  von  Schiller.** 
Die  Glocke,  von  Schiller. 
Jobanna  Sobus,  von  Goethe. 
Gudruns  Klage,  von  Otib^*. 
Die  alt»  WaeoihfEaa,  von  CSbami»). 
Die  Auswanderer,  von  nieiligratlu 
Das  Grab  im  Busento,  von  Platen. 
Der  Graf  von  Habsbuiig,  von  SchiUtL 
Der  blinde  König,  von  Uhland. 
Horgenwanderung. 
FÜedho&besnfA« 
Parabel,  ven  fiftokert 
Der  sdÜalende  Apfel,  von  BeinioL 

fillliULIIg,    \UU  vJUcUlU. 

Der  Tauchor,  von  Schiller. 

Die  alte  Mühle,  von  Schüler.* 

MvttenpnKdie,  von  Bohewkflpdoif. 

Der  uä»  Daner. 

Der  lÜRg  von  Düppel,  von  Fontane. 

Des  Btegera  Flno^  von  Uhland. 

minr. 

Kioinii&'  stiller  Abend,  von 

Morgenrot,  von  Hauff.* 

Sedan,  von  Freiligrath 

Der  Hirtenknab,  von  Uhland. 

Das  Bieeenspielzeog,  von  Ghanüsso. 

Tenree  Yalniaod. 

Der  Lotse,  von  Oiesebrechi* 

"Wandersmann  und  Lerche,  von  Hey. 

Bs  braust  ein  Ruf,  von  Arndt* 

Von  den  grünen  Vögelein,  Rückert 

Der  Löwe  zu  Florenz,  von  Schiller. 

Lob  der  Treue,  m  DndL 

Die  Xreniöhe  dee  IbyhUi  BoUUer. 

Hoffnung,*  von  OeibeL 
Da.s  Gewitter,  von  Schwab.* 
Deutsc  her  Rat,  von  Reinick. 
Schwäbische  Kunde,  von  Uhland. 
Zu  Cauulottanbug  im  Qarlen. 
Rudolf  von  Habslraig,  von  Uhland.* 
Die  Glocke,  von  Schiller. 
Der  Knab  vom  Beive,  von  Uhland. 
Die  Tanne. 
Guter  Mond. 

Das  Bublem  auf  dem  £ise,  v.  Gau. 
Der  Tnioher,  von  Schiller. 
Üb'  immer  Treu«  von  Qandins. 

Die  alte  Waschfrau,  von  Chaaias. 

Der  Lotse,  von  Giesebrecht. 
Klein  Holend,  von  Uhland. 

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Lobsixn:  ikind  und  Kunst 


283 


Stufo 

Knaben 

Der  Traeher,  Ten  SohiOer. 
Lütt  Matten,  von  CL  Orotti. 

Erlkönig,  von  Goethe. 

Der  Storch  und  die  Kinder,  v.  Hey. 

Der  Bauer  und  sein  bohn,  bchellert 

Lütt  Matten,  von  GxQftti. 

Ich  sende  dich. 

Die  Rache,  von  Uhland. 

Die  Versuchung,  von  £einick. 

Des  fremden  JCindes  heiliger.  Camst, 

von  Rflfikert 
Wandersmann  nnd  Lerche,  von  Hey. 
Die  Rache,  von  ühland.** 
Siegfrieds  Schwert  von  Uhland. 
SommerUed.  von  P.  Gerhardt 
Yen  lehltfaHlen  Apfel,  von  Beiniek 
Wem  Oott  will  raohte  Onnat  enraiseD, 

TOD  Joseph  von  Eichendorff. 
Die  traurige  Geschiebte  vom  dummen 

Hänsohen,  von  Löwenstein. 

Deutscher  Rat,  von  Reinick. 
Hochzeitsgedicht  von  Reiniok.* 
Lütt  Matten,  von  Groth. 
Gudruns  Klage,  von  Geibel. 
Die  yeiBQQhnqg«  ym  Beinitft. 
Der  Lotse,  von  Gieeebiedhi 
Die  wandelnde  Glocke,  von  Goethe. 
Gänsegeschnatter,  von  FaUte.** 
Heiderose,  von  Goethe. 
Strangelchen,  von  Bläthgen. 
Das  Gewitter,  von  Schwab. 
Kletterhabohen,  von  OiilL 
Die  alte  Waschfrau,  von  Chamisso. 
Und  wenn  meine  Henne  legen  hano, 
von  Groth. 

V. 

Erdbocrlied,  von  Goethe. 
Scl)laf,  Weifchen,  von  LiÜencron. 
Gänsegeschnatter,  von  Falcke.** 
Sommeneit 

De  Mann  wtul  ligg^n,  von  Grotii. 

Wandorsmann  und  Lerche,  von  Hey. 
Der  Haupr  und  sein  Sohn,  v.  Rückert 
Hund  und  Katze,  von  Lichtwer. 
Ach ,  wer  das  doch  könnte ,  von 

Blntfagen. 
Bei  Ooldhihnobeui,  von  H.  SddeL 

£Sn  erster  Blick  bezeugt,  dafi  zwar  der  Einfluß  des  Unterrichts 
klar  zn  Tage  tritt,  daB  er  aber  nicht  in  dem  Sinne  zu  nivellieren 
vennochte,  dafi  ledigHch  das  zuletzt  memorierte  Gedicht  oder  gar, 
besondere  memoriertechnische  Schwierigkeiten  bestiDunend  waren;  es 
blieb  vielmehr  noch  starke  Bewegungsfreiheit,  wie  die  relativ  grofie 
Zahl  der  genannten  Lieblingsgedichte  beweist,  die  obendrein  unter- 
einander starke  Abweichungen  zeigen.  Allerdings  ist  fast  nur  die 
durch  die  Schule  vermittelte  Literatur  berücksichtigt  worden,  aber 
sif  ist  ja  keineswegs  von  gleichem  literarischem  Werte,  und  so  bleibt 
noch  Baum  genüge  Besonderheiten  eingehender  ius  Auge  zu  fassen. 


Digitizcd  b; 


284 


Ausätze 


Nun  ist  zwar  ein  nüfllich  Ding,  einen  literarischen  Staffeltarif 
an  die  gewählten  Lieblingsgedichte  innerhalb  einer  Altersstufe  ann- 
legen,  denn  der  Geschmack  ist  indiskutabel  auch  bei  ästhetisch  ge* 
sdmltcn  Leuten,  ich  bcscheide  mich  daher,  zwei  große  Gruppen  zu 
unterscheiden,  die  ich  bezeichne  als  wertvoll  und  minder  wertvoll 
und  dann  in  Ergänzung  der  oben  angedenteten  Angelegenheit,  nur 
zwei  inhaltlich  gesonderte  Gedichtarten  zu  unterscheiden,  innerhalb 
deren  die  genannte  Wertontersoheidang  Bedeutung  hat,  nämlich  solche 
Gedichte  mit  stärker  ausgeprägtem  lyrischen  und  stärker  aus- 
geprägtem epischen  Charakter.  Der  Ästhetiker  wird  vielleicht  schwere 
Bedenken  tragen,  das  hindert  aber  nicht,  daß  eine  derartig  grobe 
Bubriderung  gar  wohl  am  Platae  ist  in  der  voriiegenden  Ange- 
legenheit 

Einige  Bemerkungen  vorauf!  AuffiUlig  ist  zunächst  der  starke 
Einfluß  der  Schule:  fast  nur  aus  dem,  das  sie  vermittelte  —  2  bis 
3  Ausnahmen  ungerechnet  —  wurden  als  liebling^gedichte  beraichnet 
Ob  durch  die  Weise  des  Versuchs,  der  immerhin  in  seinem  Drum 
und  Dran  etwas  schulmäßiges  an  sich  hat,  ob  überhaupt  der  Einfluß 
des  elterlichen  Hauses  gering  ist,  und,  wenn  vorhanden,  ee  sich  den 
Bestrebungen  der  Schule  angleicht  —  das  ist  unzweifelhaft  schwer 
zu  entscheiden  aber  daß  ein  Einfluß  der  Schule  hier  nadiwelsbar 
ist  in  seinen  IVüchten,  ist  unzweifelhaft  Wie  stark  dieser  iSnfluß 
ist  (die  Ställe  wird  sidi  in  erster  JAxäe  äußern  in  der  Abkehr  gegen 
SohundliteraturX  läßt  sich  allerdings  aus  den  Daten  nicht  entnehmen. 
Der  Skeptiker  wird  geneigt  sein,  im  Hinblick  auf  die  Toriiebe  für 
mancherlei  Schunderzeugnisse,  wie  sie  besonders  während  einer  be- 
stimmten EntwicUungsporiode  auffällig  ist,  diesen  Wert  sehr  gering 
einzuschätzen.  Er  vergißt  hier  ein  Zweifaches:  1.  Daß  die  Immunir 
sierung  unmöglich  durch  die  Schule  allein  geschehen  kann,  daß  ge- 
waltigere Einflüsse  des  Hauses,  des  Umgangs  —  der  ganzen  Umwelt 
jenseits  der  Sehulstnbe,  sich  bemerkbar  machen,  und  endlich,  daß  die 
Schule  ans  iiiaiiclierlei  Gründen  versagt,  wo  es  sich  um  die  letzte 
Quelle  der  Lyrik,  die  Liebeslyrik  handelt  Sie  beschränkt  sich  auf 
einen  engeren  Kaum,  und  wenn  nicht  das  Haus  verständig  einzu- 
greifen weiß,  in  ei-ster  Linie  die  Mutter,  so  ist  das  Kind  auf  sich 
selbst  angewiesen,  steht  es  selbstratend  am  Scheidewege,  wo  die  Bahn 
des  Häßlichen,  Unästhetischen,  verdeckt  durch  den  trügerischen  Schein 
erfüllbarer  Wünsche,  die  in  dieser  Entwicklungspiiase  neu  und  stark 
auftreten,  ungleich  leichter  beschritten  wird  als  die  andere.  Und  das 
schlimme  ist,  daß  in  der  Fehlentscheidung  ein  gefährlich  Tröpfchen 
Oift  liegt,  gefährlich,  weil  es,  zumeist  für  immer,  Herz  und  Sinnen 


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Lombk:  Kiad  nid  Kimst 


▼ei^diibt  für  eineo  freimütigai  Genufi  der  KnnstBchöpfimgeiL  Kiigonds 
tritt  der  Ziuanuneiihang  zwischen  Bthik  und  Ästhetik  deutlicher  la 
Tage  als  wihrend  dieser  Satwiddiiiigspeiiode.  Hag  sdn,  dafi  Heitet 
die  Ethik  ra  weit  in  das  Beleh  dee  Asthetiselien  hineingezogen  hat, 
trotzdem  bleibt  ihm  das  weitaus  nidit  gewürdigte  Verdienst,  tLber- 
haupt  Ästhetik  und  Ethik  in  enge  Beziehung  gebracht  zu  haben. 
Seine  Erörterungen  sind  Torwiegend  theoretischer  Art,  aber  auch 
heute  sind  wir  nicht  weiter  gekommen,  es  fehlt  ims  durchaus  un  zu- 
verlässigem Beobachtungrsraaterial,  das  uns  ermöglichte  in  ein  ratio- 
nelles Studium  dieser  Angelegenheit  einzutreten  ^)  —  möglich,  daß  ich 
hernach  einiges  Material  beibringen  kann. 

Soviel  darf  aber  den  obigen  Tabellen  entnommen  werden,  daß 
die  Bestrebungen  derjenigen,  die  eine  Erziehung  auch  in  künstlerischer 
Hinsicht  wollen,  in  der  Voraussetzung  zutreffend  ist:  Es  ist  möglich, 
durch  absichtliches  Bemiilicn  das  Kind  für  edlere  Schätze  unserer 
lyrischen  Literatur  zu  gewinnen  und  wahi-scheiniich  auch  —  doch 
bedarf  das  der  Unterstützung  weiterer  Kreise  —  gegen  literarische 
Schädlinge  bis  zu  einem  gewissen  Grade  zu  immunisieren. 

Ich  will  noch  auf  einige  aufßülige  Erscheinungen  hinweisen:  es 
wurde  kaum  ein  Psalm,  ein  für  preußische  Schulen  obligatorischer 
geistlicher  oder  weltlicher  Liedertext  genannt  Bezüglich  der  Psalmen 
ist  das  leichter  verständlich.  Sie  sind  als  poetische  Erzeugnisse  einer 
ganz  andern  AVeit  entsprossen,  sind  in  Bau,  bildlichen  Mitteln  u.  a. 
dem  modernen  Empfinden,  insonderheit  dem  Kinde,  ganz  fremd. 
Leben  vermag  diese  Literatur  nur  zu  gewinnen  in  dem,  der  mit  der 
Zeit,  der  Kultur,  der  Landschaft,  der  Geschichte  des  Volkes,  dem  sie 
angehört,  innig  vertraut  ist  und  —  und  das  ist  zweifelsohne  das 
größere  —  der  mit  der  Fähigkeit  ausgerüstet  wurde,  kongenial  in 
seinen  Empfindungen  nachzu schaffen.  Im  Kinde  wird  man  beides 
nicht  wohl  voraussetzen  dürfen,  wenn  man  nicht  über  dasselbe  weit 
hmaus  projizieren  will,  es  fehlt  hier  der  reale  Hinteignmd.  loh  habe 
begeisterte  Freunde  der  alten  Psalmodie  vor  Kindern  stehen  sehen, 
sie  haben  in  Frage  nnd  Antwort  eine  vorzügliche  Unterrichtsstunde 
gehalten  —  trotzdem  konnte  dem  Psychologen  nicht  verborgen  bleiben, 
daA  hier  ein  Widerspiel  herrschte:  daß  die  Distanz  zwischen  dem, 
was  in  dem  Hirne  der  Katecheten  sich  abspielte  und  dem  in  den 
Köpfen  der  Kinder  unendlich  groß  war  nnd  im  stillen  notierte  er, 
wie  die  Selbsttftnschnng  des  begeisterten  Mfientikers  auf  so  gebrech- 


*)  Wie  weit  umfingHflhe  ünterswdrungen,  die  Siaiost  Hall  vorhat,  dieee  An- 
galegmheit  berfibzea,  bkibt  absowaiten. 


4 


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286 


AofBltse 


liehen  Kracken,  "wie  es  einzelne  herroigelookto  Einderantwoiten  nnd, 
80  weite  Reisen  za  machen  yeratehi  Die  Psychologie  des  HineinfOhlens 
ist  ein  Kapitel,  das  lOr  den  piaktiBdien  XJnteniohtsbetrieb  yon  eminenter 
Bedeutung  ist  —  nnd  es  liegt  nicht  einmal  in  den  Windeln  eingehender 
praktischer  Dentnng.  Man  verzeihe  mir  die  Abschweifong  —  mag  sein, 
daB  man  im  stände  ist,  fttr  einzelne  äoftere  Umstlnde  durch  Büd  imd 
Wort  bei  phantasiekiftftigeren  Schfllem  den  konkreten  Hintergnmd 
dieses  oder  jenes  Psalms  lebendig  zu  machen,  aber  das  ist  ungemein 
schwierig.  Selbst  der  beliebte  23.  Psalm  —  um  ein  Beispiel  zu  er- 
wShnen  —  stellt  hohe  Anforderungen:  Man  muA  die  Schauerschlncht, 
die  der  Dichter  im  Sinne  hai^  kennen;  man  muß  wissen,  wie  sie  bei 
dem  Yolke,  znmal  den  schwebenden  ffirten,  beleumundet  war,  nim- 
lich  als  die,  deren  Nennen  schon  TeranlaBte,  daß  eine  Gfinsehant 
ttbeiUel  Und  dieses  Wissen  ist  noch  das  Geringere,  dazu  kommt 
eine,  dem  Kenner  zwar  kunstroll  angeordnete,  dem  Laien  aber  plu- 
und  ziellos  angehäufte  Bilderreihe  und  zudem  mit  so  eigenartiger 
realer  Grundlage,  daß  —  und  vor  allem  bei  Kindern  —  weder  für 
die  formale  Anordnung  noch  fOr  die  Sonderbilder  poetisches  Te^ 
stSndnis  und  Empfinden  erwartet  werden  darl 

Aber  die  obligatorischen  Lieder  und  Choräle?  Warum  sind  hier 
die  Erfolge  so  stark  in  der  Minderzahl?  Handelt  es  sich  doch  um 
einen  Stamm  von  Gedichten,  den  die  Schule  nach  Kräften  bemüht  ist, 
zu  einem  Tresor  fürs  Leben  zu  gestalten.  Liegt  die  Ursache  viel- 
leicht gerade  in  diesem  liemühen?  Der  Kenner  weiß,  daß  große 
Mühe  und  Arbeit  erforderlich  ist,  um  der  berechtigten  oder  unberech- 
tigten Forderung:  1)  präsent!  gerecht  zu  werden.  Übertrügt  sich  diese 
ödkultur  mit  dem  inquisitorischen  Drum  und  Dran  auch  auf  die 
Wertschätzung  der  Texte?  Oder  ist  es  dieses:  Ist  endlich  das  Pauk- 
resultat vollkommen;  dann  ist  das  Hersagen  zu  einer  mechanischen 
Angelegenheit  geworden,  die  funktioniert,  ohne  je  tiefere  Ansprüche 
an  Fühlen  und  Wollen  und  Denken  zu  stellen.  Das  beweisen  zahl- 
reiche ^lißverständnisse,  wie  z.  B.:  Die  hohe  Wonnegans,  Laß  dich 
reichlich  auf  und  nieder,  Jesu  geh  voran  auf  der  Lebensbahn  u.  a.  m., 
Beispiele,  die  deutlicli  beweisen,  daß  man  sich  an  gewissen  Klang- 
assoziationen genügen  ließ,  ohne  je  über  den  Sachinhalt  scharfer 
nachzudenken. 

Oder  darf  man  zur  Erklärung  darauf  hinweisen,  daß  manche  der 
obligatorischen  Oodichto  das  Anlegen  eines  ernsten  poetischen  Maß- 
stabes nicht  vertragen? 

FienSnlioli  htlto  ioh  sie  nidit  anr  fflr  onbenohtigt,  «mdem  pMigoghoh  in 
hSohBtmn  HaBe  bedenUioh. 


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LoMDor;  Kud  und  Kuoak 


287 


Oder  endlich,  Ist  die  Melodie  daim  schuld?  Maa  spridit  das 
Gedieht  lediglich  als  lied  an  »  das  soll  hemaoh  einen  Moment  er- 
wogen weidnL 

Doch  snrück  zn  der  eingangs  dieses  Abschnitts  au^woifenen 
Frage.  Wie  bereits  erwähnt  ward,  Ist  ToUkommen  aasreichend,  die 
baden  genannten  großen  Gruppen  zu  unterscheiden,  im  einzelnen  be- 
darf es  dann  zwar  einer  Sonderung.  Diese  darf  nicht  geschehen  nach 
Kterar-ästhetischen,  sondern  nur  nacii  psychologischen  Gesichtspunkten. 
Dabei  empfiehlt  es  sich  (ich  bezeichne  der  Kürze  werfen  die  Gruppe 
mit  stärker  betontem  epischem  Charakter  durch  h,  die  audere  durch  e) 
die  Gruppe  c  zu  sondern,  je  uaLlulcni  das  lyrische  Moment  an  Per- 
sonen (j)  oder  an  besondere  Landschaften  (i.  w.  S.  geheftet  ist 
Historisch,  d.  h.  nach  der  Reihenfolge,  in  der  sie  dem  kiudlichen  Ver- 
stehen und  Würdigen  aufgehen,  wird  man  sie  ordnen:  Oj  und  Cp 
Die  Gnippe  h  läßt  sicli  am  zuverlässigsten  zerlegen  im  Hinblick  auf 
die  »kulturhistorischen  Stufen«.  Allerdings  muß  je  eine  starke  Zu- 
sammenziehung stattfinden.  Icli  bescheide  mich  mit  folgenden  auf- 
stei^a^nden  Gruppen:  Märchen,  Robinson,  Sage,  Biblische  Gescliichte, 
Profangeschichte.  Die  Stufen  sind  im  ganzen  charakterisiert  durch 
ein  immer  stärkeres  Hervortreten  des  Objektiven,  des  Tatsäcli liehen 
und  dementsprecliend  ein  gleiclischrittliches  Zurücktreten  subjektiver 
Momente,  phantiistisclier  Ausdeutungen.  Das  erste  Glied  kommt  hier 
nicht  in  Frage.  "Wohl  aber  ist  zu  bedenken,  daß  es  sich  um  lyrische 
Stoffe  handelt,  so  daß  das  subjektive  Moment  eine  stärkere  Betonung 
von  vornherein  erfährt.  In  der  Gruppe  h  unterscheide  ich  Stoffe 
mit  sagenhaftem,  mit  religiösem  und  profanhistorischem  Chantkter. 
Man  mag  bedenklich  finden,  daß  diese  Einteilung  nur  mit  Rücksicht 
auf  den  Stoff  getroffen  worden  ist  Demgegenüber  ist  zu  erwägen, 
daß  der  Stoff  in  erster  Linie  der  Dichtungsart  den  Charakter  auf- 
drückt, daß  er  in  starkem  Maße  die  fonnale  Gestaltung  vorschreibt, 
daß  es  nicht  wobl  angängig  ist,  hier  eine  speziellere  Einteilung  zu 
Gründe  zu  legen  and  endUch,  daß  trotzdem  die  Slögliohkelt  offen 
bleibt,  solche  Gedichte  innerhalb  der  einzelnen  Gruppen  zusammen- 
zufassen, die  einen  ausgeprägten  Charakter  (Ballade,  Romanze  oder 
ähnliches)  tragen  —  sofern  sich  die  Notwendigkeit  zu  solchem  Vor- 
haben ans  dem  Beobachtungsmatenal  ergibt  Yorab  nnteischeLde 
ich  nur:  e^  nnd  e^  h^,  h,  and  b,. 

Ich  werfe  zunächst  —  unbekümmert  um  den  Inhalt  der  Ge- 
dichte -~  einen  Blick  auf  die  Zahl  der  als  Lieblingsgedichte  bezeich, 
neten  weitvollen  lyrischen  Erzeugnisse.  (Ich  bemerke  zwischenein, 
daß  ich  die  oben  angeregte  Sonderang  in  wertrolle  nnd  minder  wert- 


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288 


AufsätM 


ToUe  aus  praktischen  Gründen  hier  fallen  lasse.)  Ich  berechnete  auf 
den  einielnen  Altenstufea  &>]gende  absolute  Daten: 


Zahl  der  lieblingsgedichte 

Stufe 

bei 

Gesamt 

Knaben 

liädcheu 

I 

26 

26 

n 

20 

12 

16 

m 

13 

20 

16 

IV 

13 

21 

17 

V 

12 

14 

13 

VI 

10 

10 

Gesamt 

B4 

77 

Es  offenbart  aiöb  mitiim  eine  Zonahme  ron  unten  bis  oben  hin, 
wie  besonders  deutlioh  herroxgeht  ans  den  Oesamtefgebnissen  in  dar 
leliten  BobriL  AnffiOüg  ist  das  geringe  Ergebnis  fOr  die  Obentnb 
der  ICIdohen.  ffier  dominiert  die  vierte  Stofe,  yon  da  ans  liftt  ach 
beiderseits  ein  Absteigen  der  Eure  konstatieren.  !bots  der  groiea 
Ansahl  von  FrQllingen  lasse  iob  doch  dahingestellt  sein,  ob  hier  ob 
allgemeingültiges  Yeriialteii  Toiliegt  oder  niöht^  ob  in  der  Tat  ein 
Kaddassen  des  Interesses  für  lyiisdhe  Bnengnisse  durch  eneuto 
Versnobe  wird  naehweisbsr  sein.  Insgesamt  kommt  eine  AuswaU 
▼on  84^  besw.  77  Gedichten  in  I^age  nnd  swar  bei  £aaben  79,  \m 
Midchen  72  Terschiedene.  Genanere  ünteradiiQde  sind  erst  naob- 
-wMmiy  wenn  die  genannten  Gedidite  in  die  erörterten  S(lnde^ 
gruppen  serlegt  werden.  Bemerken  will  ich  aber  noch  einmal,  diS 
der  durch  die  Schule  ausgeübte  Zwang  nicht  immer  dentliche  Greni^ 
linien  wird  bestimmen  lassen. 

Eine  genauere  Durchsicht  des  Materials  ließ  als  notwendig  e^ 
scheinen  —  unbeschadet  der  iül^araemen  Natur  der  Grenzlinien  — 
nach  drei  Seiten  hin  eine  Erg^änzung  des  Schemas  vorzunehmen.  Die 
Neigung  zu  Märclien  und  Fabel  in  gebundener  Form  erwies  sich 
keineswegs  als  abgeschlossen  vor  der  Altersstufe  V/VI.  Neben  der 
Neigung  zu  historischen  Stoffen  fand  sich  jeweils  eine  solche  zu 
patriotischen  Stoffen  (wenngleich  hierunter  keineswegs  die  obliga- 
torischen Lieder  verstanden  werden  dürfen).  Diese  bezogen  sich  auf 
die  Muttei-sprache,  die  deutsche  Redlichkeit  imd  so  fort.  Endlich 
mußte  eine  ganz  neue  Kolonne  eingerichtet  werden  für  die  so- 
genannten poetischen  Erzählungen,  die  ihren  Stoff  dem  tiiglichen 
Leben  mit  seinen  niaimigfachen  heiteren  und  tiaurigen  Wechselfälleii 
entnehmen.  Ich  bezeichne  die  Kolonne  durcli  bez.  h^a,  h^a  und  b«. 


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Lobrikn:  Kind  und  Kunst  289 


Xnr  eines  wollte  sich  dem  genannten  Schema  nicht  fOgen:  Das 
Lied  Ton  der  (Hocke.  Ich  will  daher  kurz  Torwegnebmen,  was  in 
diesem  Zasammenhiinge  darflber  zn  sagen  ist  Natürlich  ist  von  dem 
Laluphm  der  Schnle  abhängig,  wann,  und  von  der  Art  der  Behand- 
loDg,  wie  staik  das  Interesse  ffir  dieses  Gedicht  geweckt  wird.  Wenn 
aber  eine  grofie  Zahl  Yon  Selbstzengnissen,  von  Beobaohtongen  vor^ 
liegen,  die  eben  durch  diesen  ümfimg  den  letztraen  Eaktor  stark 
eliminieren,  so  mnfi  etwas  mehr  im  Spiele  sein  als  dieae  änfieren 
Teranlassungen.  Nun  zeigte  sich  bei  den  Mädchen  von  der  3.  Stole 
an  steigendes  Interesse  bis  zur  ersten  hin,  wo  ich,  entsprechend  dem 
verabredeten  Berechnungsmodus,  zwei  Kreuze  beifügen  konnte.  Bei 
den  Knaben  dominierte  auf  Stufe  V  das  Interesse  für  die  Glocke  so 
stark,  daß  alle  andern  Gedichte  dagegen  weit  in  den  Schatten 
traten. 

Ich  lege  die  gleiche  Schätzung  zu  Grunde  und  berechne:  die 
einzelnen  Gruppen  kommen  vor  in  dem  Verhältnis: 


Stufe 

Orappe  I 

Ofiippe  n 

K 

b.a 

K 

K 

.  Kn. 
*  M. 

1 

4 

6 

1 

4 

7 

11^ 

2 

1 
2 

4 
4 

6 
1 

1 

6 
3 

2 
1 

1 

5 
7 

1 
4 

1 

4 

5 

vr  ^ 

IL 

1 

3 

4 

2 

1 
4 

1 

4 

3 

1 

1 
6 

y  Kn. 
M. 

2 
1 

5 
4 

1 

1 

3 
7 

71  M. 

6 

1 

2 

Orappe  I  steht  der  II.  gegenüber  stark  im  Nachteil.  Faßt  man 
die  Gesamtwerte  zusammen,  so  offenbart  sich  —  ohne  Sonderwertung 
der  Häufigkeit  des  Vorkommens  im  einzelnen  —  als  Verhältnis  Ton 

18  1 3*^ 

I:  IIs=  —  =  1,8  :       =  13,2.   Das  Interesse  für  lyrische  Gedichte 

mit  epischer  Betonung  ist  der  Stimmungslyrik  gegenüber  um  mehr 
als  das  sechsfache  überlegen.  Der  UnterscÄiied  der  Geschlechter  ist 
auch  nachweisbar: 

UtKhrift  Nr  IVkwopUe  and  Fldi^oglk.  12.  iahiB»«.  19 


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290 


Aufsätze 


Knaben  e  =  4-  •  Mädchen  e  =  ^ 
o  0 

Knaben  h  =  ^  :  Mädchen  h  =  ^ 

O  0 

Die  Mädchen  aeigen  sieh  den  Knaben  in  der  Wertung  toh  e 
übeilegen  in  dem  Yeihältnia  :  6  :  4,  dag^n  halten  sie  sich  gegni- 
t&ber  h  nngefiihr  die  Stange.  Bei  beiden  Geschlechtem  ist  das  Int» 
esse  für  h  stark  vorhenschend  g^nfiber  e.  Das  Ergebnis  scheint 
in  stsikem  Widersprach  zu  stehen  mit  der  anffiUligen  Bevonngniig 
Yon  Storhs  Abseits  den  andern  beiden  Gedichten  g^genllber,  doch 
nur  der  Schein  ist  hier  wirksam,  worOber  hernach  ein  mehierBS. 

Bs  sei  korz  ein  Vergleich  der  Gesamteigebnisse  gestattet,  sofern 
sie  sich  besiehen  auf  die  einseinen  Dichtimgsgruppun: 

Diclituug  "Wert 

ei  7 

e,  10 

hl  35  \ 

hia  20 1 

h,  6 

hs  24 

bja  3 

 44 

Die  sagen-  und  miircbenluiften,  dann  die  histori^ichen  und  vor 
allen  Dingen  die  poetischen  Ei7:älüiiugen,  die  ihren  Stoff  dem  täg- 
lichen Leben  entnehmen,  stehen  stark  im  Vordergründe. 

Im  besonderen  ist  dann  noch  zu  bemerken  (Tabelle  umseitig),  daß  e 
unten  sporadisch  nur  bei  den  Mädchen  gewünscht  wird,  sonst  nicht 
Nach  den  oberen  Stufen  hin  steigt  die  "Wertschätzung  auch  bei  den 
Knaben  beträchtlich,  h^  und  haia  werden  auf  den  unteren  Stufen 
stark  bevorzugt,  dann  schwindet  schnell  das  Interesse  für  die  h,a- 
Stoffe,  auf  Stufe  I — III  werden  sie  nicht  erwähnt.  Hier  stehen  der 
Sage  und  Geschichte  angehörige  Stoffe  im  Vordergrunde.  Sehr  stark 
im  Kückstande  sind  Oediclite  religiösen  und  patriotischen  Inhalts. 

(Um  kein  Mißverständnis  aufkommen  zu  lassen,  bemerke  ich,  daß 
die  Daten  der  erwähnten  Tabelle  relative  kleinste  Werte  bedeuten; 
sie  sind  aus  den  absoluten  Gesamtdaten  derart  berechnet  worden,  daß 
die  geringste  Angabe  jeweils  nicht  =  der  gefundenen  Absoluten, 
sondern  =s  1  gesetst  wurde  im  Interesse  einer  bequemeren  Übersicht) 


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BiSHTBcai:  H.  St  Ghamberiaias  YmtktOmgtia  fOm  die  BeUgion  usw.  291 


H.  St.  Chambarlains  Vont«llii]ig«ii  über  die  Beligioa 
der  Semiten  spei,  der  laraeliten 

Prafenor  D.  BaentMh-Jena 

(Schluß) 

Ein  weiterer  Yarwni^  dem  Cbamberiaiii  spesieU  g^gen  die.  isne- 
JittBohe  Religion  eiliebt,  war  der,  daß  sie  einen  bo  ausgesproofaen  ge- 
scbichtlichen  Ghankter  trSgt  nnd  anstatt  auf  Brhhnwgen  des 
Gemfltes  auf  Ereignisse  der  Gesidüohte  ond  awar  spesieU  auf  die 
matedeUe  historische  Tatsache  der  Befreinng  ans  Igypten  gegründet 
sei  Wir  sind  hier  einmal  in  der  lüge,  Chamberlain  nicht'  bloß 
hinsicbtlioh  der  Eonstatiening  der  Tatsache,  sondern  bis  za  einem 
gewissen  Giade  auch  hinsichtlich  ihrer  Benrteilnng  beisnstimmen. 
TMsiohHch  ist  Israels  Beligion  im  prinzipiellen  Unterschiede  Ton  den 
Katar-  nnd  Astrakeligionen  des  alten  Orients  eine  im  eminenten  Sinne 
gesehichtiiclie  Beligion,  sofern  sie  ihren  Oott  nicht  nur  rar  Geschichte 
des  Yolkes  Israel  in  sehr  intensiye  Beraehung  setzt,  sondern  geradeau 
auf  ein  geschichtliches  Ereignis,  eine  geschichtliche  Großtat  des 
Gottes  Israels,  gegründet  ist  Denn  wie  man  auch  Uber  die  Exodus» 
Legende  (Ex.  14  1)  denken  mag,  es  darf  als  gesichert  gelten,  daß 
die  mosaische  Religionsstiftung  im  innem  Zusammenhang  mit  einer 
▼on  Erfolg  gokrönten  Erhebung  der  Israelstämme  gegen  die  ägyptische 
Herrschaft  stand.  Es  soll  nun  auch  keineswegs  geleugnet  werden, 
daß  die  emphatische  Begründung  der  Religion  auf  ein  einmaliges  ge- 
schichtliches Ereignis  eine  gewisse  Einseitigkeit  und  Unzulänglich- 
keit bedeutet,  die  nicht  geringe  Gefahren  für  die  Innerlichkeit  der 
Rehgion  in  sich  birgt  Denn  einem  geschichtlichen  Ereignisse  als 
solchem  haftet,  auch  wenn  es  sich  für  die  Betrachtung  der  folgenden 
Generationen  als  providentiell  erweist,  doch  zu  leicht  der  Charakter 
des  Zufälligen  an;  eine  Rehgion  aber  will  am  letzten  Ende  auf  einem 
ewigen,  unerschütterlichen  Grunde  ruhen,  der  durch  keine  geschicht- 
hchen  Ereignisse  irgend  welcher  Art  tangiert  oder  erschüttert  werden 
kann.  Von  diesem  Standpunkte  aus  können  wir  uns  auch  mit  jener 
auf  dem  Boden  rein  geschichtlicher  Betrachtung  der  Religion  er- 
wachsenen, von  Chamberlain  meisterhaft  charakterisierten,  jüdischen 
Geschichtskonstruktion,  die  das  jüdische  Volk  in  prätentiöser  Weise 
in  den  Mittelpunkt  der  Weltgeschichte  stellt,  nicht  recht  befreunden. 
Mag  mau  darin  auch  den  Ansatz  zu  einer  wirklich  großartigen  welt- 
geschichtlichen Betrachtung  be wundem ,  mag  man  selbst  zugeben^ 

19» 

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292 


daB  diese  Beteohtang  nidit  ohne  eine  gewisse  innere  Beiechtigmig 
sei,  so  erscheint  hier  doch  alles  so  sehr  auf  die  Oeschichte  und  swar 
in  nationaljüdischem  Interesse  angespitzt,  dafi  der  inneriiohe  Cha- 
rakter der  Religion  gefittndet  emeheint 

Aber  man  wird,  ehe  man  schilt,  auch  hier  sich  om  ein  ge- 
schicfatiiches  YerstfindiniB  der  Tatsache  an  bemühen  haben.  Da8  Inad 
seine  Religion  ttt)eihaapt  zu  seiner  Geschichte  in  Beziehnng  setzte, 
war  doch  schliefilioh  nnr  eine  notwendige  Folge  davon,  dafi  dieses 
Volk  tiberhanpt  eine  Geschichte  hatte.  Direkt  yerorteilen  kann  das 
nnr  derjenige,  der  es  überhaupt  für  nneriaubt  hilt,  die  Gottheit  m 
der  Menschheitsgeschichte  wirksam  zn  sehen.  Aber  gerade  dieser 
Standpunkt  widerstreitet  ichter  Rümmigkeit  Auch  eine  Universal- 
religion  wird  nicht  darauf  verzichten  können  den  Spuren  des  gött- 
lichen Waltens  in  der  Uenschheitsgeschichte  nachzugehen.  Wenn  sich 
bei  den  arischen  htäm.  nichts  dergleichen  findet,  so  liegt  das  zom 
guten  Teile  wohl  nur  daran,  wdl  sie  es  überhaupt  nicht  zn  einem 
nationalen  Leben  und  zu  einer  Geschichte  gebracht  haben.  Fär  eine 
Nation  sind  geschichtliche  Erfahrungen  dasselbe,  was  die  Erfahrungen 
des  Gemüts  für  das  Individuum  sind.  Aber  es  stände  freilich  schlimm 
um  eile  Religion  Israels,  wenn  sie  tatsächlich  nur  an  dem  einen 
dünnen  Faden  eines  einmaligen  historischen  Ereignisses  gehangen 
hätte.  Ein  wie  wankendes  Fundament  für  die  Religion  Israels  jene 
Befreiung  aus  Ägypten  zeitweise  gewesen  ist,  zeigt  zur  Genüge  der 
Umstand,  daß  die  Israeliten  in  Zeiten  der  Not,  in  denen  die  Rechnung 
nicht  recht  stimmen  wollte,  so  überaus  leicht  den  Glauben  an  Jahve 
verloren  und  sich  den  Göttern  der  gerade  über  sie  herrschenden 
Völker,  wie  der  Assyrer  und  der  Babylonier,  in  die  Arme  warfen 
oder  den  Kult  der  alten  über  Jahve  vergessenen  Landesgottheiten 
wieder  aufleben  ließen.  Und  das  war  nicht  nur  in  Israel,  sondern 
auch  in  Juda  der  Fall.  ^lan  denke  an  ^lanasse,  an  Jojakim.  Und 
wenn  nun  die  Religion  Israels  aus  all  diesen  Krisen  immer  von  neuem 
erstand,  wenn  sie  den  Zusammenbruch  des  nationalen  Staates,  der 
die  ägyptische  Großtat  Jahves  ja  geradezu  annullierte,  glücklich  über- 
stand, müssen  da  nicht  doch  noch  ganz  andre  Faktoren  in  ihr  lebendig 
gewesen  sein  als  jene  mit  einer  allen  Erfahrungen  trotzenden  Zähig- 
keit des  Willens  festgehaltenen  Erinnerungen  an  die  Großtaten  Jahves 
in  einer  schöneren  Vergangenheit?  Es  nicht  sich  hier  wieder,  daß 
Chamberlain  die  Tätigkeit  der  Propheten  für  die  Gesamtbeurteihmg 
der  israelitischen  Religion  so  gut  wie  gar  nicht  heranzieht.  Die 
Frömmigkeit  der  Propheten  lebte  wahrlich  nicht  allein  von  jon»'ni 
Ereignisse  einer  fernen  Vergangenheit,  wenn  sie  überhaupt  von  ihm 


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Baxnisch:  H.  St  Cbamberlaios  VoisteUangea  über  die  Religion  usw.  293^ 


in  ixgend  einer  Weise  gelebt  hat  Die  ältesten  von  ihnen  argu- 
mentieren überhaupt  nicht  viel  ans  dei  Geschichte.  Ihr  Gottes- 
glaube ankerte  in  einem  ganz  andern  Grunde,  in  dem  Gnindc  persön- 
lichster religiöser  Erfahrungen  des  innersten  Gemütes.  Die  Propheten 
haben  ihren  Gott  innerlich  erlebt  Sie  stehen  in  einem  fortwährenden 
Eontakte  mit  dem  überweltliohen  Gott  Sie  fühlen  die  Hand  ihres 
Gottes  t&ber  sich,  sie  spüren  das  Wehen  seines  Odems  in  ihrem 
Herzen.  Und  diese  Propheten  sind  es  eben  gewesen,  die  der  Religion 
ihres  Volkes  von  Zeit  zu  Zeit  neue  LebensstrSme  zuführten  und  sie 
dadurch  Tor  dem  Eingehen  bewahrten.  Und  sie  standen  nicht  allein. 
Sie  hatten  ihren  Kreis  Ton  Gesinnnngsgenossen  nnd  von  Nachfolgern 
bis  weit  in  die  nachexilische  Zeit  hinein.  Ich  erinnere  nur  an 
Männer  wie  den  Dichter  des  73.  oder  des  90.  Psalms,  oder  den 
Dichter  des  Hiobbnches*  Gerade  solche  llfinner  sind  aber  doch  die 
eigentlichen  TriSger  des  religidsen  Gedankens  in  Israel  gewesen  nnd 
haben  die  Beligion  Israels  dorch  alle  WechselfiQle  nnd  Krisen  hin- 
dnrchgerettet  Die  grofie  Hasse  ist  von  diesen  grollen  Peraönlich- 
keiten  immer  nnr  mitgezogen.  Wftren  sie  nicht  gewesen,  so  hätten 
alle  historischen  Erinnenmgen  der  Beligion  nicht  über  den  Bnin 
hinweghelfen  können.  So  trifit  Chamberiains  Yorwnrf  auch  hier  mehr 
die  Schale  als  den  Kern.  Er  trifft  die  nationale  Yolksreligion  in 
ihrem  Durchschnitt  nnd  znm  gnten  Teile  die  theokntische  Priester- 
religioii,  ans  deren  Weisen  ja  gerade  jene  prätentiösen,  an  roh  nationaler 
mid  mechanisch-ntUitaristischer  AnfCsssung  der  Religion  kanm  zu 
(Kbeibietenden  Gescfaichtskonstraktioneii  henrorgegangen  sind,  aber  er 
trifft  nicht  die  eigentliche  Seele  der  Jahveieligion,  wie  sie  in  der 
prophetischen  Frömmigkeit  lebendig  war. 

Mit  ähnlich  gemischten  Empfindungen  stehen  wir  dem,  was- 
Chamberlain  über  den  Glauben  Israels  ausführt,  gegenüber.  Er  hat 
über  den  Glauben,  wie  er  in  der  Religion  Israels  lebendig  ist,  viel 
Treffendes,  sogar  sehr  Treffliches  gesagt,  aber  ilin  doch  in  einer  Weise 
beurteilt,  die  gerade  vom  religiösen  Standpunkt  aus  beanstandet 
werden  muß.  Er  wirft  ihm  einmal  vor,  daß  er  Tatsachengl aubo 
sei.  In  der  Tat  spielen  ja  historische  Daten,  materielle  Tatsachen,  vor 
allem  die  grundlegende  Tatsache  der  Befreiung  aus  Ägypten  fiir  den 
Glauben  Israels,  wenn  auch  nicht  als  sein  Objekt,  so  doch  als  seine- 
Grundlage^)  eine  sehr  hervorragende  Rolle.    Wie  sehr  hier  die  Ge- 


Chamberlain  hält  bddflS  nicht  scharf  genug  auseinandar.  Der  Israelit  kennt 
lern  Credo,  das  ihn  zwänge,  an  bestimmte  Tatsachen  zu  glauben.  Er  glaubt  nicht 
>a  die  Aasfäbiuog  aus  Ägypten,  vie  der  Giuist  an  Gott  den  Yater  usw.  im. 


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294 


Aafaätze 


fahr  einer  YeräußiM-lichung  vorliefet  iiaben  wir  im  vorigen  Abschnitt 
ja  selbst  anerkannt.  Wenn  nun  Cliamberlain  an  einer  andern  Stelle 
diesen  Glanben  Israels  als  das  unerschütterliche  Vertrauen 
zu  einem  persönlichen,  unmittelbar  gegenwärtigen,  all- 
niächtif^en  Gott  charakterisiert,  und  ihn  aus  einem  mächtigen 
Willen  zum  Leben  und  zur  Selbstbehauptung  ableitet,  so  können  wir 
uns  kaum  eine  bessere  Charakterisienuig  dieses  Glaubens  rorstellen 
und  wüßten  überhaapt  nicht,  "wie  man  den  spezifisch  religiösen 
Glauben,  wie  wir  ihn  veisteben,  und  wie  ihn  vor  allem  auch  ein 
Luther,  diese  Verkörperung  germanischen  Geistes,  verstand on  hat, 
besser  definieren  könnte.  Gewiß  hat  dieser  Glaube  in  Israel  unter 
mancherlei  Entstellungen,  die  in  dem  nationalen  Charakter  seiner 
Reügion  und  dessen  Nachwirinmgon  ihren  Grund  haben,  vielfach  zu 
leiden  gehabt  Es  ist  z.  B.  eine  Entstellung,  wenn  dieser  Glaube 
Jahve  in  eine  zu  ausschließliche  Beziehung  zum  Zion  setzt,  ihn 
geradezu  auf  den  Zion  herabzwingt,  oder  wenn  er  Jahres  IQlfe  sn 
ausschliefilich  fOr  Israel  in  Beschlag  nimmt  und  darüber  die  aadem 
Yölker  und  Menschen  Tergifit  Yon  solchen  Bintstellungen,  die  übi^ens 
hin  und  wieder  eine  sehr  bemerkenswerte  Korrektor  im  Alten  Tesfci- 
mente  selbst  erfahren  (yeigL  z.  B.  Jer.  7,  4),  muß  man  natflilich  ab- 
sehen können  und  den  Glaubensakt  als  solchen  zu  wQrdigen  wissen. 
Aber  freilich  hfilt  ja  nun  Chamberlain  einen  Glauben,  der  sich  ab 
Yertrauen  zu  Gott  Snßert,  ttberhaupt  fOr  minderwertig.  Was  er  etwa 
»Glauben«  nennt,  das  ist  vielmehr  jenes  ahnende  Eifusen  tnnsoen- 
•denter  Geheimnisse,  unaussprechbarer  Wahrheiten  und  unausdenk- 
barer Mysterien,  in  dem  Chamberlain  ja  überhaupt  den  eigenilicheD 
Nerv  der  Religiosität  sieht  Je  mehr  der  Mensch  von  diesen  Dmgen 
eifaßt  und  sich  symbdisch  vorstellig  zu  machen  vermag,  desto  mehr 
bat  er  Religion.  Der  arische  Inder  glaubt  viel  mehr  als  der  Semit, 
•danun  ist  er  nach  Chamberlain  auch  viel  religiöser  als  dieser.  Er  htt 
eben  eine  viel  reichere  religiöse  Yorstellungswelt  Ihm  kommt  es 
also  außer  auf  die  Intensivitftt,  mit  der  der  Mensch  üi  eme  tnms- 

apoetdlischeD  Symboliim,  sondern  er  glaubt,  daß,  weil  Jahve  bnel  lat  Ägypten 

herausgeführt  hat,  er  seinem  Volke  auch  fürderhin  helfen  werde.  Darum  ist  es 
üborhaupt  schief,  von  einem  israelitischen  Credo  zu  reden  (S.  4()9)  und  dieses 
Credo  dann  zu  dem  apostolischen  Credo  in  einen  Gegensatz  zu  setzen.  Wenn 
übrigens  Chamberlain  8.  409  sagt  dafi  die  Hälfte  der  Sätze  des  Apostolikums  keine 
Tiitttdiaii,  soDdem  imvonleinitn  Hysterien  heseo^ 

hier  doch  darohsns  als  Tatsachen  aolgefafit  und  mit  den  von  der  andein  Hilfte 
seiner  Sätze  bezeugten  Tatsachen  auf  eine  Dnie  gestellt  werden.  Wenn  irgendwo, 
80  wird  gerade  vom  Apostolikum  ein  Tatsacheoglsabe  gefordert,  vie  ihn  die 
israelitische  Religion  überhaapt  nicht  kennt. 


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BiLKNTSGB:  H.  st  Chamberkins  Vorstellungen  über  die  Heügion  usw.  295 


oendente  Welt  einzudringen  vermag,  vor  allem  auch  auf  die  Menge 
der  vom  Geiste  geahnten  und  erfaßten  transcendenten  Wahrheiten, 
auf  den  Reichtum  des  Giaubensstoffes  (S.  406)  für  die  Beurteilung  des 
Glaubens  an.  Faßt  man  dagegen  den  Glauben  als  vertnnensvoUe 
Bezogenheit  auf  einen  Gott,  der  helfen  kann,  so  wird  man  viel- 
mehr in  der  EnfTirio,  mit  der  sich  diese  Bezogenheit  auf  Gott 
geltend  macht,  sich  auf  diesen  Gott  konzentriert,  einzig  und  allein 
den  Gradmesser  für  die  Höhe  und  den  Wert  des  Glaubens  zu  sehen 
haben.  Wir  sehen  auch  hier  wieder,  wie  es  Cbamberlains  eigentüm- 
hdie  Aof&ssang  Yon  der  Religion  ist,  die  uns  den  Schlüssel  zu 
seiner  Benrteilnng  des  israelitischen  Glaubensbegriifes  (der  übrigens 
■ach  ganz  der  christliche  ist)  liefert 

Wie  steht  es  nnn  endlich  mit  dem  »Dogma  von  der  Frei- 
heit des  Willens«,  in  dem  Ghamberlain  ein  besondeis  charak> 
teiiBtiBches  Meilanal  ffir  den  Tiefstand  der  israelitischen  nnd  jüdischen 
Frömmigkeit  sieht?  Es  wird  Ghamberlain  ohne  weiteres  zuzugeben 
sein,  daß  er  in  diesem  Funkte,  der  namentlich  tOr  die  Anffossnng  der 
Sünde  Ton  schwerwiegender  Bedeutung  ist,  eine  sehr  schwache 
Seite  der  israelitischen  Beligion  und  Sittlichkeit  berührt  hat  Der 
Israelit  und  Jude  ist  im  allgemeiuen  von  der  absoluten  Freiheit 
seines  Willens  zum  Guten  wie  zum  Bösen  fest  überzeugt  »Liehet 
das  Oute  und  hasset  das  Böse«  sagt  selbst  ein  Amos  (5,  15),  als  ob 
liebe  und  Haß  sich  so  einfach  befehlen  ließe.  Yon  der  Gebunden- 
heit des  menschlichen  Willens,  tou  der  Macht  des  Einflusses  der  Um- 
gebung und  äußeren  UmstSnde,  von  der  Macht  der  Gewohnheit,  der 
Macht  der  Yererbung  hat  er  im  allgemeinen  keine  lebhafte  Empfindung. 
Darin  liegt  auf  der  einen  Seite  eine  Wurzel  seiner  Größe.  Er  ver- 
liert nie  den  Glauben  an  sich  selbst  Mag  er  sich  noch  so  oft  ver^ 
fehlt  haben  und  gefallen  sein,  er  erhebt  immer  wieder  das  Haupt 
mit  dem  festen  Torsatz  nicht  nur,  sondern  such  in  der  Zuversicht^ 
kfinftig  nicht  wieder  zu  fallen.    Aus  diesem  Glauben  an  seine 
moralische  Kraft  erklärt  es  sich  ja  auch  zu  einem  guten  Teil  mit, 
dafi  das  israelitische  Volk  alle  Katastrophen,  die  über  es  hereinbrachen 
und  in  denen  es  Strafen  für  seine  Sünden  sah,  überdauerte  und  sich 
immer  wieder  daraus  erhob.  ^)  Aber  in  jenem  Glauben  liegt  auch  ein 
erheblicher  Maupel,  denn  er  verspen't  dem,  der  damit  ausgestattet  ist, 
die  so  nötige  Einsicht,  daß  die  Sünde  eine  furchtbare  Macht  be- 
deutet, vou  der  er  aus  sich  selbst  heraus  nicht  wieder  loskommt  Der 


')  Daft  das  HanptTerdieiist  hieiaa  den  Piopheten  gebfühxle,  haben  wir  oben 
g^ehen. 


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296 


Aufsätze 


Israelit  und  auch  der  Jude  kennt  eigentlich  bloß  einzelne  Sünden 
"Und  Übertretungen,  die  für  ihn  abgetan  sind,  wenn  er  die  Stra/e 
dafür  erlitten  oder  sie  durch  eine  kultische  Handlung  abgebüßt  hat, 
aber  er  kennt  nicht  die  Sünde.  ^)  Darum  hat  sich  die  jüdische  BeMgion 
auch  nicht  zur  ESrlösungsFeiigion  entwickein  können,  sondern  ist 
Gesetzesroligion  geblieben,  oder  yieLraehr  je  länger  je  mehr  geworden, 
eine  Oesetzesreligion  die  sich  mit  ihren  zahlreichen  VoiBchrifteii  und 
Oesetzen  an  den  Willen  des  Menschen  wendet  und  seiner  Schwach- 
heit  nur  insoweit  entgegenkommt,  als  sie  ihm  für  seine  unTeimeid- 
lichen  Einzelübertretungen  in  üuem  Kultus  einen  bequemen  Sfibn- 
iq»parat  zur  Verfügung  stellt,  dessen  korrekte  Handhabung  alles  wieder 
ins  richtige  Geleise  bringt  Und  wenn  die  Urkunden  der  israelitisebea 
und  jüdischen  Religion  auch  die  Onade  Jahyes  vielfach  in  den 
höchsten  Tönen  zu  preisen  wissen,  so  handelt  es  sich  dabei  doch 
immer  um  die  Qnade,  die  izgendwelche  Sünde  vecgibt  und  die  Schuld 
dafür  nicht  anrechnet,  aber  nicht  um  die  erlösende  Gnade,  die  ans 
dem  sündigen  Menschen  eine  neue  Kreatur  macht,  indem  sie  seinen 
Willen  aus  der  Sündenkneohtschaft  befreit  und  dem  also  befreiteii 
Willen  eine  krSftige  Richtung  auf  das  sittlich  Gute,  auf  die  sittücbe 
YoUkommenheit  hin  gibt 

Aber  die  Sache  hat  auch  hier  wieder  ihre  bedeutsame  Kehrseite, 
die  Ton  Chamberlain  gar  nicht  gewürdigt  ist  Es  dürfen  nimlich 
nicht  die  gewichtigen  Aussagen  im  Alten  Testamente  übersehen  werden, 
die  ein  sehr  deutliches  Bewußtsein  yon  der  Unfreiheit  des  mensch- 
lichen Willens  und  zwar  speziell  von  seiner  Gebundenheit  durch 
die  Macht  der  Sünde  verraten.  Schon  die  Sintflutgeschichte,  and 
zwar  in  ihrer  älteren  jahvistischen  Gestaltung,  betont  Gen.  6,  5  and 
8,  21  sehr  geflissentlich,  daß  das  Dichten  und  Trachten  des  mensch- 
lichen Herzens  böse  sei  von  Jugend  auf.  Indem  sie  freilich  die 
mit  der  menschlichen  Nutui  gesetzte  Siindhafiigkeit  als  eine  uiiab- 
finderliche  Tatsache  hinstellt,  der  gegenüber  selbst  Jahve  ohnmächtig 
sei,  verrät  sie  eine  pessimistische  Denkweise,  die  religiös  unfruchtbar 
bleibt.  Aber,  wie  dem  auch  sein  möge,  es  verrät  sicli  hier  doch  eine 
Auffassungsweise,  die  unendlich  viel  tiefer  geht  als  der  oberflächüche 
Glaube  an  eine  unbeschränkte  Willensfi'eiheit.  Nun  ist  ja  freilich  die 
Sintflutgeschichte  kein  Prudukt  des  spezifisch  israelitischen  Geistes, 
und  wir  müssen  daher  mit  der  hoheu  Walirscheiniichkeit  rechnen, 

*)  Dem  entspricht  es,  dat  die  DnndieohiiitlBreligion  eigeatlioh  anoh  nur 

einzelne  gute  Werke  und  verdienstliche  Handlungen,  aber  nicht  >das  Oute«  iMUii 
Anders  steht  es  jedoch  bei  den  Propheten ,  bei  denen  sich  Annittlft  sa  einer  ptil- 
zipiellen  Ethik  finden,  cf.  Am.  5,  15,  Mich.  6,  8,  Hoe.  6,  6. 


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Bakntsch:  H.  St.  Cbamberlains  Yorbteiiimgen  über  die  Religion  usw.  297 


daß  die  darin  Tertietene  Ansohaanng  von  der  Unireiheit  des  mensch- 
lichen Willens  nicht  auf  israelitischem  Boden  gewachsen  ist  Aher 
wir  besitzen  im  Alten  Testament  und  swar  speziell  in  seinen  pro- 
phetischen Schziften  noch  ganz  andre,  aus  tie&ter  Erfahrung  hervor- 
gegangene Äußerungen  über  das  Unvermögen  des  menschlichen  Willens 
zum  Guten.  So  hat  der  Prophet  Hosea  (7,  2  nach  der  Übersetzung 
bei  Kautzsch)  eine  lebhafte  Empfindung  daför,  daß  Israel  aus  dem 
Banne  seiner  Sünden  nicht  so  ohne  weiteres  wieder  herauskann.  Ein 
Jeremias,  der  ein  Leben  lang  veigeblich  an  der  reUgids-aittliohen 
Erneuerung  seines  Volkes  gearbeitet  hat,  spricht  unumwunden  aus 
»Kann  wohl  ein  Mohr  seine  Haut  verwandehi  oder  ein  Tstdei  seine 
Becken?  Dann  würdet  auch  ihr  gut  zu  handehi  Termögen,  die  ihr 
gewohnt  seid,  fi^toes  zu  tunc  (13,  23).  Und  wie  Jeremias  hier  die 
Macht  der  Gewohnheit  betont,  so  der  Terbsser  Ton  Hieb  14,  4 
die  Macht  der  Yererbung,  wenn  er  Hieb  sprechen  l&fit:  »Wie 
könnte  wohl  ein  Beiner  vom  Unreinen  kommen?  Nicht  einer!«  Auf 
denselben  Oedanken  kommt  Ftelm  51, 7  hinaus,  wo  es  heißt:  »Bin  ich 
doch  in  Verschuldung  geboien  und  in  Sünde  hat  mich  meine  Mutter 
smpfiuigen.«  Man  veigleiche  dazu  auch  Stelleif  wie  Hieb  15,  4,  25, 
5.  6.  Und  zwar  bleibt  ee  im  Kreise  dieser  Zeugen  meist  nicht  etwa 
bei  diesen  pessimistjschen  Bekenntnissen,  sondern  die  Überzeugung 
▼on  der  Ohnmacht  des  menschlichen  Willens  zum  Outen  drSngt  hier 
weiter  zu  der  Erwartung,  daß  Oott  selbst  hier  helfend  eingreifen 
und  ein  Neues  schaffen  müsse.  So  heißt  es^Jer.  31,  33:  »Ich  will 
mein  Oesetz  in  ihr  Inneres  legen  und  es  ihnen  ins  Herz  schreiben.« 
Und  noch  bezeichnender  spricht  der  Prophet  EzEomsL  (U,  19 1  36 
261):  »Und  ich  (Jahre)  werde  euch  ein  neues  Herz  verieihen  und 
einen  neuen  Oeist  in  euer  Inneres  legen  und  werde  das  steinerne 
Herz  atis  eurem  Leibe  entfernen  und  euch  ein  fleischernes  Herz  ver- 
leihen, daß  ihr  nach  meinen  Satzangen  wandelt  und  meine  Ver- 
ordnungen beobachtet  und  danach  tuetc  Und  der  Dichter  des  schon 
oben  zitierten  51,  Psalms  schwingt  sich  in  Y.  12  zu  der  innigen  Bitte 
auf:  »Schaffe  mir,  Gott,  ein  reines  Herz,  und  lege  in  mich  einen 
neuen,  gewissen  Geist.t  Kann  die  Sehnsucht  lu^cli  einer  Pirlösung 
noch  deutlicher  zum  Ausdruck  gebnicht  werden  als  in  diesen  Stellen? 
Haben  wir  hier  nicht  Ansätze,  die  über  das  allgemeine  Niveau  der 
israelitischen  und  jüdischen  Keligiun  weit  hinausweisen  und  mit  aller 
Macht  auf  eine  E rlös ungsreligion  hindrängen?  Daß  die  israelitische 
und  jüdische  Religion  diesem  Erlösunfrsbediii-fnisse  nicht  genügt  hat, 
ist  eine  Tatsache,  die  uns  zwar  ihre  Miuderwertigkeit  bezeugt,  die 
uuä  aber  nicht  Uber  das  üewicht  jener  Zeugnisse  einer  über  das 


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298 


Judentum    Ii  inausreichenden   Frömmigkeit   liin wegtäuschen   und  zu 
ihrer  Ignorierung  veranlassen  darf.    Und  es  handelt  sich  hier  nicht 
etwa  nur  um  ganz  vereinzelte  Stimmen,  sondern  um  Außenmgen 
jener  acht  prophetischen  Frömmigkeit,   die  sich  wie  ein  nie  ver- 
siechender Strom  seit  der  Mitte   des   8.  Jahrhunderts  —  das  ist 
wenigstens  ihr  für  uns  erkennbarer  Ausgangspunkt  —  bis  in  das 
Judentum  hineinzieht,  und  die  dann  endlich  in  der  Erlösungsrplii:i'>n 
dos  Christentums  ihre  volle  Befriedigung  findet.    Damit  }uii)en  wir 
zugleich  die  historische  Verbindung,  in  der  das  Christentum  mit  der 
Religion  Israels  und  des  Judentums  steht,  und  die  bei  Chamberlain 
so  gar  nicht  zu  ihrem  Rechte  kommt,  angedeutet.    Das  Christentum 
ist  ganz  gewiß  nicht  die  Vollendung  des  Judentums  als  solchen, 
sondern,  wie  Chamberlain  sehr  mit  Recht  sagt,  eher  dessen  Über- 
windung.  Aber  es  ist  Vollendung  jener  höheren  Ansätze,  die  sich 
innerhalb  der  israelitischen  und  älteren  jüdischen  Keligion  finden,  und 
Erfüllung  der  Sehnsucht,  die  in  ihnen  zum  Ausdruck  kommt  Also 
nicht  erst  das  Chiistentam  hat  gegen  das  Judentum  reagiert,  sondern 
die  Reaktion  gegen  das,  was  allmählich  als  Judentum  in  die  ge- 
schichtliche Erscheinung  getreten  ist,  hat  bereits  innerhalb  des  auf 
das  Judentum  hinauslaufenden  Entwicklungsprozesses  selbst  eingesetzt 
Unser  Urteil  über  das  Judentum  kann  sich  deshalb  nicht  ändern,  aber 
um  so  mehr  verdient  jene  höhere  Frömmigkeit,  die  eine  Überwindung 
des  Judentums  innerhalb  des  Judentums  selbst  bedeutet,  gebührende 
Hervorhebung  als  Beweis  dafür,  daß  auf  semitischem  Boden  nicht 
bloß  eine  minderwertige  Religiosität  gedeihen  konnte,  weil  etwa  das 
Gehirn  des  Semiten  bloß  für  eine  solche  oiganisiert  war. 

Wir  stehen  damit  am  Ende  unserer  Auseinanderaetsnng  mit 
Chamberlain,  soweit  es  sich  um  seme  Beurteilung  der  Betigion  der 
Semiten  und  speziell  der  Israeliten  handelt  Noch  lügen  uns  viele 
einzelne,  und  darunter  nicht  unwichtige  Punkte  am  Herzen,  über  die 
wir  uns  gern  mit  ihm  auseinandersetzen  möchten.  Aber  sollte  unsere 
Abhandlung  nicht  an  Umfang  den  Ausführungen,  die  Ghamberiain 
flpez.  den  Semiten  gewidmet  hat,  mindestens  g^chlrommen,  so  mußten 
wir  uns  schon  auf  die  wichtigsten  prinzipiellen  Punkte  beechrinken.') 
Aber  ich  hoffe,  unsere  Auseinandersetzung  mit  Ghamberiain  hat 
Immerhin  genügt,  um  uns  ein  einigennaBen  sieheres  Urteil  über 

Zur  Ei^?änzung  meiner  AoBfOhrimgen  sei  auf  den  inhaltreichen  Artikel  von 
Eberhard  Nestle:  Das  religiöse  Problem  in  II.  St.  Chamberlains  Grundlagen  des 
19.  Jahrhundei-ts,  i^rotestautenblatt  1903,  Nr.  26—29,  und  auf  die  Abhandlung  von 
Friedrich  Otto  Hertz,  Das  religiöse  Leben  bei  Ariern  und  Semiten  in  der 
politisch -anthropologischen  Bevue  1903,  Bd.  II,  Nr.  7  u.  folgende  hingewiesen. 


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Baihtsch:  U.  St  Chambeilams  Voistellaagen  aber  die  Eeligion  usw.  299 


seine  Stellung  za  der  Kelip:ion  der  Semiten  und  speziell  der  Israeiitea 
zu  emiöcrlichen.  Und  da  können  wir  mit  voller  Sicherheit  sagen,' 
daß  Chamberlain  dieser  Religion  nicht  gerecht  geworden  ist.  Er 
hat  ein  überaus  scharfes  Auge  mehr  für  die  mancherlei  Schwächen 
und  Unzulänglichkeiten  dieser  Religion  als  für  ihre  guten  Seiten. 
Und  was  das  Bedenklichste  ist,  er  sieht  diese  Schwächen  mit  einem 
durch  die  ausgesprochene  Empfindung  des  Kassen  gegen  satzes^) 
noch  ganz  besonders  geschfiiftem  Ange  an.  Während  er  allen  andern 
Beligionen  der  Welt,  selbst  den  am  tie&ten  stehenden,  mit  dem 
Ange  der  liebe  gegenübersteht  und  jede  auch  noch  so  leise  Begnng 
echtsr,  höherer  Beligiositttt,  ich  möchte  oft  sagen,  aus  ihnen  heraos- 
fOhlt  und  mit  einer  Art  fireudiger  Oenngtaung  begrOfit^  nimmt  er  die 
Religion  Israels  unter  eine  überaus  scharfe  Lupe,  die  ihre  Schwächen 
in  oft  geradeza  karikiertor  Weise  herrortreträi  läßt  Eben  dadurch 
bringt  er  die  semitische  und  speziell  die  israelitische  Religion  in  eine 
künstliche  Isolierung  gegenüber  den  übrigen  Beligionen,  die  doch 
alle  mehr  oder  weniger  dieselben  Schwächen,  wenn  vielleicht  auch  in 
etwas  andrer  Tonart,  zeigen,  hinein.  Unterschiede  wachsen  sich  ihm 
so  zu  unüberbrückbaren  Gegensätzen,  blofie  Nuancen  zu  wesentlichen 
Unterschieden  aus.  Der  Hauptfehler  aber  ist,  daß  er  seine  Beurteilung 
Tie!  zu  sehr  auf  die  Äußerungen  der  Volk»-  und  Friesterreligion  stützt 
und  den  prophetischen  Strang  der  Beligion  viel  zu  wenig  zu  seinem 
Rechte  kommen  läßt  Er  ignoriert  ihn  nicht  ganz,  er  kommt  Öfter, 
zuweilen  sogar  unter  dem  Ausdruck  einer  unverhohlenen  Bewunderung, 
anf  ihn  zu  sprechen,  aber  für  sein  Oesamturteil  läßt  er  ihn  doch  viel 
zu  wenig  ins  Gewicht  fallen.  Die  Flrophetie  erscheint  ihm  fast  nur 
wie  eine  flüchtige  Episode,  die  mit  dem  Ganzen  der  Beligion  in  keinem 
Olganischen  Zusammenhange  steht  Und  doch  handelt  es  sich  hier 
am  eine  Strömung,  die  zwar  eine  kräftige  Reaktion  gegen  die  Durch- 
schnittsreligion bedeutet,  die  aber  doch  mit  dem  innersten  Wesen 
des  mosaischen  Jahvisraus,  der  bei  aller  nationalen  Beschränktheit 
einen  energischen,  auf  die  Durchbrechung  der  nationalen  Schranken 
tendierenden  ethischen  Zug  in  sich  trug,  in  wesenüichem  Zusammen- 

Gbamberlain  ist  kein  Antisemit  in  dem  gewöhnlichen  Snne,  daB  er  etwa 
die  Juden  zum  Sündenbock  für  alle  Laster  unserer  Zeit  machte.  Er  nennt  eine 
derartige  Neigung  sogar  direkt  >Iächerlich  und  empörend«  (S.  17).  Alicr  es  finden 
«idi  bei  ihm  doch  Äußerungen,  die  auf  jeder  antiseniiti.schen  Radau- Versammlung 
Furore  machen  würden,  so  z.  B.,  wenn  er  sagt:  »und  wir  hinken  als  verkrüppelte 
Jndeokneokto  hinter  Jahves  Bnndeelade  her«  (8.  18)  oder:  »Die  FMtxe  des  Lesten 
stellt  ekran  «ob  ibraf  (der  braelitan)  Oeaohiohte  mit  anveihtUUer  Nackheit  an« 
8.  47  Q.  a.  m.  Wir  httten  in  Chamheilalns  eigenstem  Interane  derartige  Bnt> 
^etamgin  gen  vermiSt. 


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300 


Aufsätze 


hange  steht.  Denn  daran,  daß  es  sich  bei  allen  Äußerungen  einet 
höheren  Frömmigkeit  und  einer  tieferen  religiösen  Binsicht  etwi  um 
arische  Infiltrationen  handeln  solle,  ist  nach  unserer  Übeizeagong 
nicht  8U  denken.  Jeder  Versuch,  sie  etwa  als  solche  in  Ansprach 
zu  nehmen,  würde  nicht  für  Israels  Religion,  sondern  für  die  Rassen- 
mischnngstheorie,  deren  relatives  Recht  wir  nicht  bestreiten,  wohl 
aber  ihre  tendenddse  Terwertnng,  gefilhrlidi  werdeii.^) 

Aber  freilich,  wir  dürfen  uns  nicht  verhehlen,  daß  schliefilich 
auch  die  Religion  der  Propheten  als  Ganses  genommen,  vor  Chamber- 
lains  Augen  keine  rechte  Gnade  finden  würde.  Denn  auch  diese 
Religionsform  entspricht  ja  bei  weitem  nicht  dem  Ideale,  das 
Chambeilain  sich  von  der  Religion  nun  einmal  gebildet  hat 

IV. 

Das  führt  uns  nun  endlich  zum  letzten  Teile  unserer  Aufgabe, 
nämlich,  das  Chamborlainsche  Keligionsideal  selbst  d.  h.  den  Maßstab, 
mit  dem  er  die  Keligion  der  Semiten  und  speziell  der  Israeliten 
und  Juden  in  so  strenger  Weise  gemessen  hat,  vom  allgemnn  reli- 
gionswissenschaftlichen Standpunkte  aus  einer  kurzen  Beurteilung  la 
unterziehen. 

Ist  Chamberlains  pantheisüscher  Mystizismus,  wie  wir  ihn  im 
ersten  Teile  unserer  Abhandlung  zu  charakterisieren  versucht  haben, 
denn  überhaupt  Religion?  Dürfen  wir  es  wirklich  schon  oder  noch 
Religion  nennen,  dieses  bloße  Ahnen  eines  Unendlichen,  dieses 
Schwelgen  in  dem  Gedanken  daran,  dieses  unausprechliche  Sehnen, 
das  den  Geist  in  weite  dämmernde  Femen  zieht  und  ihn  zu  der 
Sisjphus-Arbeit  zwingt,  ünfaßbaree  fassen,  IJnausdenkbaree  denken 
zu  wollen,  Symbole  zu  schaffen,  in  denen  er  die  geahnte  Wahrhdt 
festzuhalten  sucht,  um  diese  Symbole  doch  immer  wieder  zu  zer- 
brechen, weil  sie  doch  nicht  ausdrücken  und  nicht  ausdrOcken 
können,  was  das  Gemüt  von  ferne  ahnt?  Ja,  ist  es  wirklich  Rdigion 
dieses  bloße  Abgestimmtsein  des  Oemütee  auf  die  Unendlichkeit? 

Gewiß  ist  ein  solches  Gefühl  für  das  Unendliche,  das  Bewußt- 
sein einer  TeUhaberschaft  an  ihm,  dem  Chamberlain  in  so  beredter 
Weise  Ausdruck  gegeben  hat,  die  Yonussetzung  für  eine  Religion, 


')  Die  Oenohtigkeit  veriangt,  anadrfidUioh  sv  aagen,  da8  ich  eine  deofUche 

dahingdieiide  Bemerkung  bei  Cbamberinin  nioht  gefunden  habe.  Er  bezeii^net  die 
Propheten  sogar  aiLsdrücklich  als  Jnden  vom  Scheitel  bis  zur  Sohle.    Um  so  mehr 

hätte  er  die  i>ropheti8che  Religion  dann  freilich  heranziehen  müssen.  Andrerseits 
lieguu  aber  Aotichaaungea,  wie  sie  oben  skizziert  sind,  bei  Chamberlain  in  der  Luft. 


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BABmoi:  H.  St  Ghambedainfl  YonMlnngeii  Aber  die  BeUgum  luw.  301 


der  Boden,  anf  dem  wirklich  religidses  Leben  erstehen  kann.  Aber 
MD.  sich  ist  es  noch  nicht  Religion,  denn  Beligion  entsteht  immer 
und  dbenli  erst  da,  wo  der  Mensch  —  nnd  der  liensch  ist  uns 
nicht  nur  der  Arier,  auch  nicht  etwa  der  Semi^  soudem  der  hinter 
den  Bassen  stehende  homo  sapiens,  dessen  Homogenitit  uns  nicht  nur 
emen  Thium  bedeutet  —  dem  Unendlichen  nicht  nur  nachjagt,  ob  er 
es  erfassen  und  begreifen  könne,  sondern  wo  er  das  TTnendliohe, 
Ton  dem  er  sich  abhingig  ffihlt^  2U  sieh  selbst,  bu  seinen  per- 
sönlichsten Bedürfnissen,  su  seines  Lebens  Nöten  und 
seines  Hersens  Fragen  in  eine  lebendige,  klare  und  deut- 
liche Besiehung  setzt  Erst,  wenn  er  das  tut,  tritt  aus  dem 
Unendlichen  ihm  der  Gott  entgegen,  nach  dem  seine  Seele  sich 
sehnt,  und  der,  im  Glauben  er&At,  seinem  Leben  Halt  und  Kraft 
▼erleiht  und  auf  die  Tieien  Fragen,  die  aus  seiner  Brust  emporsteigen, 
eme  befriedigende  Antwort  gibt 

Aber  Chambeilain  meidet  es  fast  ftngstlich,  semem  Unendlichen 
eine  sdehe  pnktisdie  Bedehnng  au  geben.  Br  setzt  es  nicht  in 
Beziehung  zu  dem  menschlichen  Eausalitfttsdrang,  der  den 
]f<aisdieit  nun  einmal  zwingt,  für  alles,  was  er  wahrnimmt,  nach 
einer  letzten  Ursache  zu  fragen,  und  Aber  die  Mannigfaltigkeit  der 
Ersdieinungen  zu  einem  letzten  Weltgrund  durchzudringen.  Denn 
allzulebhaftc  Frage  nach  der  Ursache,  so  belehrt  uns  Charaberlain 
unter  Berufung  auf  einen  Ausspruch  Goethes  (S.  407  Anm.  1)  nach- 
drücklich, ist  für  die  Religion  d.  Ii.  für  das,  was  er  Religion  nennt, 
sciiädiich.  Er  set^t  sein  Unendliches  auch  nicht  in  Beziehung  zu  den 
Tatsachen  des  sittlichen  Bewußtseins,  des  Gewissens,  die 
den  Menschen  überall  auf  Erden  mit  psychologischer  Notwendigkeit 
zwingen,  das  Gebiet  des  Sittlichen  in  Beziehung  zu  setzen  zu  einem 
höchsten  Wesen,  das  über  die  Erfüllung  der  sittlichen  Forderungen 
(wie  verschieden  sie  auch  auf  den  verschiedenen  Kulturstufen  sein 
mögen)  wacht,  und  dessen  mahnende,  warnende  und  strafende  Stimme 
er  in  seinem  Gewissen  vernimmt.  Denn  nach  Charaberlain  (S.  222) 
hat  Religion  d.  h.,  was  er  Religion  nennt,  zunächst  weder  mit  Aber- 
glauben noch  mit  Moral  etwas  zu  tun.  Vor  allem  aber  —  und  das 
ist  der  bei  weitem  wichtigste  Punk  -  setzt  Charaberlain  sein  Unend- 
liches nicht  in  Beziehung  zu  dem  tiefeingewurzelton,  aus  dem  kräf- 
tigen Bewußtsein  seines  Rechtes  aufs  Dasein  quellenden  Bedürfnis 
des  Menschen,  den  vielerlei  ihn  unigel)cnden  Machten  gegenüber, 
die  sein  AVohlerirehen  und  seine  Existenz  fortwährend  hedrohen,  in 
gläubigem  Vertrauen  bei  einer  liöchsten  Macht  Hilfe  zu 
üuchen,  die  über  diese  Machte  schlechthin  erhaben  ist  und  des 


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302 


Aufsätze 


Menschen  Wohl  und  Wehe  in  ihrer  Hand  hält  Denn  nach  Chaniber- 
lain  entspringt  dieses  Glaubensbediirfnis  ja  dem  brutalen  »Willen 
zum  Lebent  (ä.  246),  der  ihm  den  Tod  aller  wahren  Religion  d.  h. 
dessen,  was  er  darunter  versteht,  bedeutet 

Daß  nun  freilich  eine  Keligion,  die  das  Bedürfnis  des  mensch- 
lichen Hei*zens  nach  dieser  dieifachen  Beziehung  hin  befriedigt,  den 
Menschen  in  oft  schwere  Konflikte  mit  seinem  Natorerkennen  bringt, 
ist  sweifellos  richtig.  Über  diesen  Zwiespalt  kommen  wir  auch  mit 
allen  Künsten  nicht  hinaus.  Aber  das  bedeutet  nicht  den  Tod  dsr 
Beügion.  Der  religiöse  Mensch  wird  diesen  Zwiespalt  immer  in  dsn 
Bewußtsein,  daß  unser  Welterkennen  doch  nur  Stückwerk  ist  und 
bleibt»  innerlich  überwinden.  Doch  hiervon  ist  in  diesem  Zosammeii- 
hange  nicht  weiter  m  reden.  Worauf  es  hier  ankommt,  ist  ledigUoh, 
2u  betonen,  daß,  wo  wirkliche  Beligion  auf  Erden  voiiianden  ist, 
immer  der  menschliche  Eausalitätsdrang,  der  Trieb  nach  Settnt- 
behanptnng  gegentlber  dem  blinden  Ungefthr  oder  dem  toten  Natnr- 
mecbanismus  und  das  sittliche  Bewnfitseui  bei  ihrer  Geburt  betaüigt 
sind,  und  daß  damit  auch  die  dreifache  Beziehung  gegeben  is^  m 
der  der  Mensch  dauernd  in  der  Religion  seine  Befinedigung  sacht 
Man  schneide  der  Beligion  diese  dreifache  Bemehung  ab,  und  sie 
leistet  nidit  mehr,  was  sie  soll,  d.  h.  sie  hört  aui^  Beligion  zu  sein. 

Eben,  weil  Chamberlain,  um  die  Beligion  ttber  alle  Konflikt» 
mit  dem  Weiterkennen  hinaus  zu  heben,  es  untezlassen  zu  müSBen 
glaubt,  sein  Unendliches  zu  den  eben  gekennzeichneten  menschlichen 
Bedflifnissen  in  Beziehung  zu  setzen,  kommt  er  auch  nicht  zu  den 
Glauben  an  einen  Gott,  der  dem  Mensdien  etwas  seui  kann.  Br 
kennt  wohl  Götter,  aber  nur  als  Symbole  kosmischer  MIcfate,  die 
nach  ewig  unvetSnderliohen  Gesetzen  wirken  und  darum  jenseits  von 
gut  und  böse  stehen.  Er  kennt  wM  ein  Göttliches,  aber  dieees 
Göttlidie  ist  ihm  doch  immer  nur  die  abgrundtiefe  Unendlichkeit, 
jenes  unendliche  All  mit  seinen  nach  ewigen  Gesetzen  wiikend« 
kosmischen  Mächten  und  seinen  geheininisTollen  Stimmen,  jenes  alles 
gebärende  und  alles  wieder  verschlingende  All,  in  das  der  Mensch 
sich  mystisch  versenken  soll,  um  so  an  dem  Unendlichen  teil  zu 
haben,  sich  als  einen  Teil  des  G«jttlichen  fühlen  zu  lernen  und  sich 
dann  selbst  ui  allen  Dingen  wieder  zu  finden.  Mit  dieser  mystischen 
Versenkung  verwisclien  sich  dann  auch  noch  die  letzten  Schranken 
zwischen  dem  Goschupf  und  dem  Göttlichen,  mit  deren  Anerkennung 
alle  wirkliche  Religion  steht  und  fällt. 

Wir  können  demnach  Chamberlains  »pantheistischen  Mystizismus i 
überhaupt  nicht  als  iieiigion  gelten  lassen.    Er  stellt  vielmehr  eine 


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IV\^v'-r:r:  TT.        ChamV-orlain«;  Vorste]!iin£:'MT  ül»pr  dip  Kt>!ipinn  usw.  303 


poetisch- speknlatire  Weltansohauang  dar,  oder,  wie  er  siob 
lelbst  einmal  (ä  100)  ausdrückt,  »ein  der  Phantasie  vorschweben- 
des Gesamtbild  der  Weltordnungc.  Wir  wollen  dieser  Welt- 
anachaaimg  weder  eine  gewisse  Eiliabenheit  noch  jeden  moralischen 
Wert  abqnechen,  aber  »Beligionc  ist  sie  deshalb  noch  nicht  Höchstens 
ein  Surrogat  der  Beligion  fOr  solche,  die  an  jeder  wirklichen  Religion 
Schifftroch  gelitten  habeo.  Damit  yerbietet  es  sich  aber  Ton  sdbst, 
dieses  Chambeilainsche  Beligionsideal  als  Ifiafistab  aar  Betimmong 
des  Wertes  irgend  einer  wirklichen  Beligion  benutzen  zu  wollen. 

Als  blofies  Surrogat  der  Religion  aber  kann  diese  »Religion» 
auch  dem  Menschen  nicht  leisten,  was  er  überall  auf  Erden  von 
der  Religion  erwartet  Sie  kann  vielleicht  wie  eine  stille  Musik  sein 
Denken  und  Tun  begleiten,  aber  sie  wird  nie  und  nimmer  eine 
Macht  für  sein  Leben  bedeuten.  Den  besten  Beweis  dafür  liefert 
uns  der  arische  Inder  selbst.  Denn  imv^  seine  Religion  ihn  auch  zu 
den  tiefsten  Spekulationen  angereiht  mag  sie  für  seine  Poesie,  IMiilo- 
logie,  Mathematik  und  für,  wer  weiß,  was  für  Dinge  noch,  die  mit 
der  Religion  nicht  das  mindeste  zu  tun  haben,  den  fruchtbarsten 
Mutterboden  abgegeben  haben,  in  Wahrheit  hat  sie  ihm,  indem  sie 
ihn  vom  wirklichen  Leben  abzog  und  in  das  stille  Dämmerland  süßer 
und  lichter  Traume  führte,  das  Mark  aus  den  Knochen  gesogen,  seine 
"Willenskraft  gelähmt  und  ihn  so  fürs  Leben  unbrauchbar,  für  die 
Weltgeschichte  bedeutungslos  gemacht.  Dariun  mülite  jede  Religion 
in  dem  Maße,  als  sie  dem  Chamberlain sehen  Ideale  angenähert  wird, 
an  innerer  Kraft  einbüßen  und  für  den  Menschen  eher  zum  fluche 
statt  zum  Segen  werden. 

Wieviel  mehr  trägt  da  doch  die  Religion  der  Semiten  und  speziell 
die  der  Israeliten  die  Merkmale  wirklicher  Religion  an  sich!  Wir 
glauben  deutlich  genug  gezeiy-t  zu  haben,  daß  wir  keine  rückhaltlosen 
Bewunderer  dieser  Religion  sind.  Wir  erkennen  ihre  Schattenseiten^ 
ihre  Unvollkommen  hei  ten  offen  an,  gestehen  Chamberlain  auch  gern 
zu,  daß  sie  namentlich  in  ihrer  Ausprägung:  als  Volksreligion  und 
Priesteneligion  rohe,  brutale,  materialistisch-egoistische  Züge  trägt, 
die  wir  um  des  Himmels  willen  nicht  in  der  Religion,  die  unserem 
Leben  Kraft  geben  soll,  wiederfinden  möchten.  Auch  die  oft  über- 
triebene, im  Gefühl  der  Scheu  wurzelnde  Art,  wie  hier  (wie  im 
echten  Semitentume  überhaupt)  die  für  den  wirklich  religiösen 
Standpunkt  im  Gegensatz  zu  jeder  pantheistischen  Weltanschauung 
allerdings  als  Axiom  feststehende  Überweltlichkeit  Gottes  als  abso- 
lute Weltferne  vorgestellt  wird,  halten  wir  nicht  etwa  nur  mit 
jedem  Natnr-  nnd  WeLterkennen  onyertifiglich,  sondern  anoh  dem 


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304 


AnMtze 


relip:iösen  Bedürfnis  wenig  entsprechend.  Wir  bedürfen  eines  Gottes, 
i  n  dem  wir  leben,  weben  und  sind.    Wir  wollen  Gott  nicht  von 
außen  her  in  magischer  Weise  in  diese  Welt  und  in  unser  Leben 
hineinagieren  sehen,  sondern  sein  Walten  vor  allem  in  dem  gesetz- 
mäßigen Verlauf  der  Dinge  selbst,  in  dem  Gang  der  Geschichte,  in 
dem  Wirken  großer  Persönlichkeiten,  die  uns  geschenkt  sind,  sehen, 
in  der  Art  etwa,  wie  es  das  neutostamentliche  Wort  so  schön  z\ira 
Ausdruck  bringt:  »Gott  war  in  Christo  und  versöhnte  die  Welt  mit 
ihm  selberc  II.  Cor.  5,  19.    So  sind  wir  also  keineswegs  blmd  für 
die  Schwächen  und  Einseitigkeiten  der  israelitischen  und  jüdischen 
Religion.    Aber  die  Merkmale  einer  wirklichen  Religion,  das  müssen 
wir  trotz  alledem  betonen,  treffen  selbst  auf  die  altisraelitische  Volks- 
religion mehr  zu  als  auf  das  »der  Phantasie  vorschwebende  Bild  einer 
Weltordnung«,  das  Chamberlain  als  Religion  in  Anspruch  nimmt 
Und  wieviel  mehr  nun  gar  erst  auf  die  prophetische  Religion  des 
alten  Israel,  die  wir  für  die  höchste  Ausprägung  der  Religion  in 
der  antiken  Welt  überhaupt  halten,  und  der  ja  auch  Chamberlain, 
.  wenn  auch  nur  mit  einiger  Reserve,  einen  bleibenden  Wert  zu- 
gestehen will!    Daß  diese  prophetische  Religion  sich  nicht  auf  tief- 
sinnige Spekulationen  über  das  unerfoischiiche  Wesen  der  Gottheit 
eingelassen  hat,  halten  wir  gerade  vom  religiösen  Standpunkte  aus, 
wie  wir  ihn  verstehen,  nicht  fflr  einen  Mangel,  wie  das  ChamberiaiB 
tut^  sondern  für  einen  nicht  genug  zu  schätzenden  Yorsog.  Denn 
was  ist  in  Wahrheit  religiöser:  daß  der  Mensch  sich  in  veigelilichsr 
Mtthe  aufreibt,  in  das  ewige,  unerforBchliohe  Wesen  der  Gotflieit  ein- 
zudringen und  sich  mit  einem  wenn  auch  noch  so  reichen,  so  doch 
ewig  unnülnglichen  religiösen  Yorstellungsmaterial  ToUsoladen,  oder 
dafi  er  anbetend  ror  der  uneiforschliofaen  Gottheit  stehen  Ueib^  sicfa 
an  den  Schauem  ihrer  heiligen  Kihe,  die  er  in  seinem  Henen  emp- 
findet, gentigen  ULBt,  und,  wenn  er  doch  von  ihr  reden  muß,  weil  sein 
Inneres  ihn  dasu  treibt,  sich  mit  Jesaias  begnügt,  Ycm  dem  goldenen 
Saume  ihres  Eönigsmantels  sn  reden?  (of.  Je&  6).  Oder  was  ist  fOr 
den  religiösen  Mensdien  wichtiger:  daß  er  sich  Uber  die  Allgegenwait 
der  Gottheit  den  Eopf  zeibricht  und  sich  durch  phantastische  Sym- 
bole dieses  Mysterium  voisteUig  su  madien  sucht,  oder  daß  er  die 
Allgegenwart  seines  Gottes  alleaeit  in  seinem  Gewissen  empfindet, 
sich  auf  Schritt  und  Tritt,  im  Gehen,  Stehen  und  liegen  von  dem 
allgegenwärtigen,  Hers  und  Nieren  prOfenden,  Gotte  umgeben  weiß 
(wie  es  der  Dichter  von  Psalm  139  so  unveigleichlich  schön  und 
tief  zum  Ausdruck  bringt)  und  in  der  Enft  dieser  Gewißheit  ein 
Leben  vor  seinem  Gotte  führt?  Kann  da  für  einen  wirklich  gesund 


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Bakbtsgh:  H.  St  Ghamberhuns  YorsteUaDgen  über  die  Religion  usw.  305 


empfindenden  religiösen  Menschen  die  Antwort  auch  nar  noch  einen 
Augenblick  zweifelhaft  sein?  Kann  man  da  wirklich  noch  im  Ernste 
Ton  einer  Bettelannut  der  israelitischen  Beligion  reden?  Wenn  aber 
nicht)  Bittfi  da,  wenn  Chamberlain  von  seiner  Auffassung  der  Religion 
nun  einmal  notwendig  zu  diesem  Urteil  kommt,  der  Fehler  nicht 
Bow<^  in  der  Religion  Israels,  ü]9.  vielmehr  in  dieser  seiner  Auf- 
fassung der  Religion,  in  seinem  Religionsideal  liegen?  In  der  Tat 
haben  wir  damit  den  springenden  Punkt  getroffen,  der  recht  eigentp 
lieh  den  Gegensatz  maridert,  in  dem  wir  uns  zu  Chamberlain  wissen. 
Wir  gUmbea  unsere  g^nsätzliohe  Stellung  in  dieser  Beziehung  oben 
genUgend  begründet  zu  haben  und  halten  damit  unsere  Angabe  für 
eriedigt 

Zum  SeUufi  können  wir  es  uns  nicht  versagen,  noch  auf  ein 
Wort  des  tou  Chamberlain  so  oft  zitierten  und  als  GewShrsmann  in 
Anspruch  genommenen  Gokibb  hinzuweisen,  das  uns  Torzfig^ch  ge- 
eignet erscheint,  in  dieser  so  wichtigen  Frage  klärend  zu  wirken.^) 
Bb  findet  sich  in  einem  vom  6.  Januar  1813  datierten  Briefe  Goethes 
an  Jacob!  und  lautet:  »Ich  für  mich  kann  bei  den  mannigfachen 
Bicfatungen  meines  Wesens  nicht  an  einer  Denkweise  genug  haben. 
Als  Dichter  und  Eflnstler  bin  ich  Polytfaeist,  PanOidst  als  Natur- 
forscher und  emes  so  entsddeden  wie  das  andere.  Bedarf  es  eines 
Gottes  für  meine  Persdnlichkeit  als  sittlicher  Mensch«  so 
ist  dafür  schon  gesorgt*)  Die  himmlischen  und  irdischen  Dinge 
sind  ein  so  weites  Reich,  daß  nur  die  Organe  aller  Wesen  zusammen 
es  erfusen  m6gen.c  Nun  wohl,  wir  können  nicht  alle  Dichter,  Eflnstler, 
Naturforscher  und  Philosophen  sein,  aber  ntÜiche  Persönlichkeiten 
SU  sein  oder  zu  werden,  das  ist  unser  aller  höchstes  Lebensziel,  auch 
dann,  wenn  wir  etwa  daneben  noch  Dichter  und  Kflnstler,  Natnr- 
forsdier  und  Philosophen  sdn  sollten.  Zur  Eireidiung  dieses  Zides 
kann  uns  aber  weder  homerischer  Polytheismus  noch  Ghamberlains 
pantheiBtlscher  Mystizismus  etwas  sein.  Es  ist  in  dieser  Beziehung 
auch  für  uns  schon  gesorgt  Das  Christentum  leistet  uns  hierfür 
einen  Dienst  wie  ihn  keine  andere  Religion  der  Welt  uns  zu  leisten 
vermag.  Hüten  wir  uns  nur,  es  durch  eine  alJzureiche  Infiltration 
spezifisch  arischen  Geistes  im  Chambeilainschcn  Sinne  zu  schwächen 
und  es  dadui'ch  für  uns  unbrauchbar  zu  machen. 


Die  Bekaontsohaft  mit  diesem  Worte  verdanke  ioh  dem  ToitreffKohen  Auf- 
satie  Ton  LeopoM  von  Schröder  über  Wesen  und  ürspning  der  Religion  in  den 
»Beitragen  zur  Weiteientirickhing  der  ohiistUchen  Religion«.  Mflncfaen,  Lehmann, 
1905.  S.  27  f. 

^)  Von  uns  gesiu,'irt. 

20 


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306 


Aufsätze 


Dem  kritiklosen  und  eigensinnigen  Festhalten  an  ererbtem  Bnits 
soll  damit  nutürlich  nicht  das  Wort  geredet  sein.  Ais  eine  ge- 
schichtliehe Erscheinung  muß  auch  das  Christentum  mit  dem  Strom 
der  Zeiten  gehen.  Es  ist  unendlich  anpassungsfähig.  Eben  dsiin 
und  nicht  etwa  in  einem  absoluten  Stabilitätscharakter,  den  man  ihm 
so  gern  zusprechen  möchte,  liegt  sein  Ewigkeitswert  Seine  nnver- 
ginglichen  Grundgedanken  immer  deutlicher  heranszustellen,  sie  toh 
zeitgeschichtlichen  jüdischen  und  sjnkretistischan  Elementen  und  tou 
Entstellungen,  die  sie  im  Terlaufe  des  dogmatischen  Ftoiesses  er* 
fahren  haben,  su  reinigen,  sie  in  uns  Leben  werden  zu  lassen  und 
ihnen  immer  neue  Anwendung  auf  die  immer  neu  und  immer 
mannigfacher  sich  gestaltenden  Yerhfiltnisse  des  Lebens  su  geben, 
das  ist  die  Au%;abe,  die  heute  gerade  von  den  ernstesten  Oeistam 
auf  das  dringendste  empfunden  wird.  In  diesem  Sinne  redet  man 
heute  (in  freilich  etwas  mifiTerstftndlicher  und  für  manches  Ohr  unfinmun 
klingender  Weise)  von  einer  »Weiterbildung  der  christlichen 
Religio nc.  In  diesem,  aber  auch  nur  in  diesem  Sinne,  der  eme 
Yerieugnung  und  Yeiftlschung  der  Frindpien  der  Religion  Jesu  tqU- 
kommen  ausschließt,  wollen  wir  gern  das  von  Chamberiain  als  Motto 
gebrauchte  Wort  Zoroasters  (S.  543)  auch  uns  gesagt  sein  lassen:  »Be- 
greifet wohl  das  Yorwfirtsdiiiogen  der  Religion,  tut,  was  an  endi  ist, 
es  EU  fSrdem,  und  suchet  hierin  eure  Pflicht  au  eif(lllen.c 


Schulmonopol  und  ReligionBunternoht 

Von 

Dr.  Thrindoff-Anexbaoh  L  S. 

»Ißf^ch,  daß  die  Leluw  den  Vo- 
fasser  fär  einen  hassenswerten  Feind  er- 
klären, möglich,  daß  sie  etwas  sehr  an- 
deres im  Hintergrunde  dieser  Erwägungen 
erkennen ,  als  Feindschaft  gegen  Ihne 
fitaiML  loh  möchte  nu'«  4aB  aie,  ob  feind- 
lich oder  freondlidi«  sich  mügliohst  inten- 
mr  mit  der  Sache  besohlftigten«  die  hier 
vertreten  wird.«  A.  Bonns 

Staatsschiilc,  das  ist  jetzt  das  Zauberwort,  von  dem  man  in  ,£;e- 
wissea  Lelirerk reisen  alles  Heil  für  die  Schule  erwartet.  Der  Staat 
mit  seinen  großen  Geldmitteln  soll  über  die  Not  hinwcjj^lielfen.  dio 
vielerorts  die  Schuluntcrhaltuug  macht;  der  Staat  soll  die  Schule  dem 


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Ihbähdobt:  Sohnlmonopoi  und  Baligionsonterricbt 


307 


Kampfe  der  religiösen  Konfessionen  und  politischen  Parteien  entrücken 
und  ihr  eine  stetige,  dem  wissenschaftlichen  Fortschritte  der  Zeit  ent« 
q>recbende  Entwicklung  sichern ;  der  Staat  soll  in  das  bunte  Vielerlei 
der  Lehrpläae  und  Lehrmittel,  das  beim  Übergang  von  einer  Schule 
zur  andern  oft  so  störend  ist,  Einheit  und  Gleichförmigkeit  bringen, 
und  der  Staat  soll  endlich  auch  den  Lehrern  eine  der  Wichtigkeit 
ihres  Berufes  angemessene  soziale  und  gesellschaftliche  Stellung  ver- 
schaffen. Das  alles  kann  und  wird  er  aber  nnr  tun,  wenn  die  Schule 
▼ölüg  Staatsschule  wird,  was  sie  bis  jetzt  noch  nicht  ist  Damm 
nmA  die  Lehrerschaft  —  so  meint  man  —  mit  allen  Kriiften  dahin 
wirken,  daß  das  Schulschiff  möglichst  bald  in  den  ersehnten  Hafen 
des  staatlichen  Sohulmonopols  einläuft  Ein  Haupthindernis  für  die 
strikte  Durchführung  der  staatlichen  Einheitsschule  ist  der  Religions- 
unterricht So  oft  man  es  auch  seit  der  Zeit  der  Kirohenyisitationen 
Yorsucht  hat,  das  religiöse  Leben  durch  staatliche  Behörden  in  eine 
einheiüiche  Schablone  zu  zwingen,  es  ist  stets  mifilungen,  und  wir 
sind  jetzt  bereits  soweit  daß  man  es  au%ibt,  den  Laien  eine  be- 
stimmte Beligion  mit  staatlichen  Mitteln  aufzunötigen,  nur  bei  Geist- 
Mofaen  und  Lehrern  wird  noch  dann  und  wann  der  Versuch  gemacht, 
der  Beligion  des  »Kirohenregiments«  mit  Zwangsmitteln  Anerkennung 
zu  verschaffen.  Wenn  aber  von  Staatszwang  auf  religiösem  Gebiete 
im  allgemeinen  nicht  mehr  die  Bede  sein  kann,  so  paßt  entweder  der 
Belieionsunterricht  nicht  in  die  einheitliche  Staatsschule,  oder  der 
Stsatszwang  paßt  nicht  für  das  Schulwesen. 

Ein  Teil  der  Lehrer  und  zwar  besonders  der,  der  noch  unter  der 
sogenannten  >  geistlichen  Schulaufsicht«  seufzt,  ist  rasch  entschlossen 
und  will,  um  die  lastige  Pastorenherrschaft  los  zu  werden,  lieber  ganz 
auf  Beligionsunterricht  verachten  oder  ihn  wenigstens  zum  &kultar 
tifen  Siedle  machen.  Aber  daneben  gibt  es  doch  auch  noch  weite 
Kreise  in  der  Lehrerschaft,  die  sich  den  Beligionsunterricht  nicht 
wollen  rauben  lassen.  Es  ist  für  sie  Herzensbedürfnis,  der  Jugend, 
die  man  ihnen  zur  Kiterziehimg  anvertraut  hat,  bei  der  fürs  Leben 
wichtigsten,  folgenschwersten  Entscheidung  ein  väterlicher  Führer  und 
Berater  zu  sein.  Wer  solchen  Lehrern  den  Religionsunterricht  aus 
der  Schule  nimmt,  der  raubt  ihnen  die  Sonne,  die  bisher  leuchtend 
und  wärmend  über  dem  ganzen  Schulleben  strahlte.  Diese  Leute 
können  natürlich  nicht  für  staatliche  Schablonisienmg  des  Schul- 
wesens sein.  Ist  ilmen  aber  deshalb  der  Weg  zur  Hebung  der  finan- 
ziellen Schwierigkeiten  mid  zur  Besserung  des  Unterrichtsbetriebes 
versperrt?  Ich  glaube  nicht  Es  gilt  nur,  sich  klar  zu  machen,  daß 
die  Frage  nach  der  Schulunterhaltung  und  die  andere  Frage  nach 

20* 


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308 


AofsätM 


^em  Schulgeist  nicht  vermengt  und  in  ein  i&lsches  Ahhängigkeits- 
▼echältnis  gebracht  werden  dürfen. 

»Wer  die  Gelder  aufbringt  —  so  heißt  es  auf  der  einen  Seite  — , 
der  hat  auch  den  Geist  zu  bestimmen,  in  dem  erzogen  werden  muß. 
Der  Staat  erhält  die  Schulen,  also  hat  er  den  Geist  zu  bestimmen, 
der  in  ihnen  walten  muß.«  Nun  ist  aber  der  moderne  Staat  nicht 
mehr  konfessioiieU,  daher  darf  auch  die  Schule  nicht  konfesBumeil  sein. 
Bas  scheint  zwingeade  Logik  und  ist  doch  nichts  als  ein  ganz  fauler 
Trugschluß,  der  nur  den  überzeugen  kann,  der  sich  das  Wesen  des 
Staates  noch  nicht  klar  gemacht  hat  Der  Staat  ist  kein  selbständig 
existierendes  Wesen,  das  Geldmittel  aufbringen  und  besondere  Rechte 
ffir  sich  in  Ansprach  nehmen  kann,  vielmehr  ist  er  eine  zum  Wohls 
der  Untertanen  geschaffene  Sinriohtang,  die  durch  Steuern  er- 
halten wird.  Diese  Steuern  werden  aber  dorohans  nicht  nur  Ton 
denen  ausbracht,  die  sie  direkt  bezahlen  müssen,  sondern  das  Steue^ 
zahlen  wird  nur  möglich  dnroh  die  Gesamtarbeit  des  ganaen  Volkes. 
Der  yenunnte  Erfinder,  der  wegen  seines  minimalen  Einkommens  viel- 
leicht steneifrei  ist,  hat  zur  Anfhringong  der  Steuern  sicher  mehr 
beigetragen  als  der  reiche  Müfiigginger,  der  dnroh  seine  üntefgebenen 
die  Sifindongen  anderer  aosnntEen  lifit^  nm  dann  Ton  dem  Gewimi 
drei  bis  Tier  Bment  Stenern  m  aahlen.  Der  Staat  bnngt  also  kerne 
Gelder  anf,  daher  kOnnen  ihm  anofa  ans  den  Znsohfissen,  die  er  atmea 
Gemeinden  für  ihr  Schulwesen  gewährt,  keine  besondeien  Beohte  er- 
wachsen. Eine  snne  Yorortsgemeinde,  in  der  lanter  EsbrikaibeilBr 
wohnen,  kann  natürlich  nicht  soviel  Stenem  anftnngen  wie  die 
Stadt^  die  die  giöBten  Kapitalisten  an  ihren  Steoenahlem  rechnet^ 
soll  dadnrdi  etwa  ein  Bechtsunterschied  begründet  werden? 

Der  Staat  ist  aber  weiter  anch  seinem  ganaen  Wesen  nach  weder 
konfessionell  noch  konfessionslos.  Von  euier  Konfession  kann  der 
Natur  der  Sache  nach  nnr  bei  Peisonen  die  Bede  sein.  Ein  EOnig^ 
ein  Hinister,  ein  Bürger  oder  Baner  kann  also  eine  Kontalon  haben. 
Der  Staat  aber  ist  eine  Eimichtnng,  gleichsam  eine  Maschme,  die 
wohl  einer  Konfession  dienstbar  gemacht  weiden,  s^t  aber  ksine 
Konfession  haben  kann.  Wenn  man  früher  Ton  konfessioneUen 
Staaten  spiedhen  konnte,  so  war  das  nnr  so  wo.  verstehen,  dafi  das 
ganse  Volk  oder  wenigstens  seine  Leiter  desselben  Konfession  an- 
gehörten und  daß  infolgedessen  die  StaatBmasohine  in  den  Dienst 
dieser  Konfession  gestellt  werden  konnte.  S^tdem  aber  infolge  der 
MischuDg  der  Konfessionen  dieser  Fall  nidit  mehr  möglich  ist,  kann 
man  anch  in  diesem  vreiteren  Sinne  von  einem  konfessionellen  Staate 
nicht  mehr  reden.  Man  sollte  aber  auch  nicht  von  einem  konfessions- 


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Trba5doef:  Schnlmonopol  and  Beligionsonterrioht 


30» 


loeen  Stute  leden,  denn  die  Leate,  die  frOher  konteionell  waxen« 
smd  es  heute  noofa  ebenso;  also  htben  wir  auch  keinen  konfessions- 
losen  Stut,  sondern  Tidmebr  emen  Staat  mit  k<»iies8ioiie]l  gemischter 
BevOlkernng. 

Wie  soll  mm  dieser  moderne  Staat  mit  konfesstonell  gemischter 
BeTölkenmg  sich  der  Schule  gegenüber  yeriialtea?  Mit  der  alten 
Phrase:  »Der  Staat  unterhält  die  Schale,  also  hat  er  auch  den  Geist 
der  Sdiule  wbl  bestimmen,€  ist,  wie  wir  sehen,  nichts  sa  machen. 
Denn  nadidem  wir  den  Staat  als  Maschine,  als  Werkzeug  kennen  ge- 
lernt haben,  kann  auch  von  einem  Geiste  nicht  mehr  die  Bede  sein,, 
denn  WeAaeage  haben  keinen  Geist^  können  also  andi  keinen  Geist 
geben,  wohl  aber  können  sie  in  einem  bestimmten  Geiste  benntst 
werden.  In  alten  Zeiten  gehörten  in  der  Regel  Regierende  nnd 
Begierte  sämtlich  derselben  Eonfession  an,  dämm  war  es  nur  natür- 
lich, wenn  die  Staatsmaschine  ganz  im  Dienste  dieser  Eonfession  be- 
nutzt wurde.  Jetst  ist  das  nicht  mehr  möglich,  denn  wenn  man  die 
Staatsmittel  in  den  Dienst  der  einen  Konfession  stellen  wollte,  würden 
andere  sich  mit  vollem  Recht  über  Zurücksetzung  beschweren.  Was 
ist  da  zu  tun? 

Hören  wir  zunächst  den,  der  den  radikalsten  Vorschlag  macht, 
es  ist  Arthuh  Bonus.  In  seinem  sehr  beherzigenswerten  Schriftchen 
»Vom  Kulturwert  der  deutschen  Schule«  ^)  sagt  er  (S.  G):  Kach  unserer 
Auffassung:  ist  es  lächerlich,  Kunst,  d.  h.  Geschmacksunterricht  unter 
Staatszwanr^2^  zu  stellen,  aber  einfach  unsittlich,  den  Zwang  auf 
den  Gesinnungsunterricht  auszudehnen  . . .  Am  seltsamsten  dünkt 
uns  die  Lahinlioit  der  l^arteion,  wolchc  mr-iiicn,  mit  ein  bischen  Ab- 
schleifen und  Vt'i-simultanieron  sei  es  getan  ...  (S.  70).  Die  Schule 
als  Massen iint^'rrichtsanstalt  unter  Staatszwang  mit  unifor- 
mierten Lehrplänen,  deren  Inhalt  also  von  Individualität,  Begabung, 
Gesinnung  des  Lohrers  —  und  erst  recht  des  Schülers  —  losgelöst 
i^t,  kann  diesem  ihren  Wesen  nach  lediglich  technisches  Können  über- 
liefern. Sie  soll  sich  damit  begnügen.  In  erster  Linie  also  —  und 
das  könnte  für  die  Volksschule  überhaupt  genügen  —  Rechnen,  Tjosen, 
Schreiben.  Dazu  kfinnte  Turnen  und  Handfertigkeitsunterricht  kommen 
und,  wenn  es  durchaus  sein  muß,  Begriff-sbildung,  d.  h.  logisch  deut- 
liches Sprechen,  Auf  den  iKiheren  Schulen  fremde  Sprachen.  Diese 
technischen  Fälligkeiten  sollen  an  derben  Stoffen  geübt  werden,  welche 
die  onTermeidlich  etwas  herbe  Behandlung  im  Schulzinuner  gai  über- 


>)  Veriegt  bei  Engan  Diedaiklia.  Jena  und  Leipsig  1904. 
*)  AH«  Spammgan  itthian  tob  mir  her. 


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310 


Aufsätze 


stehen,  also  vor  allem  an  Aufgaben  des  geschäftlichen  Lebens  und 
allenfalls  technisch -wissenschaftiichen  Dingen,  nie  aber  und  unter 
keinen  Umständen  an  religiösen,  moralischen,  ästhetischen  Stoffen. 
Sätze  wie  des  ewig  weisen  PlOtz  »Meine  Mutter  hat  einen  FingeriuU, 
aber  dein  Bruder  hat  keinen  Begenschiim,«  sind  vorzugsweise  ge- 
eignet um  nach  Subjekten  und  Prädikaten  darin  zu  fischen,  nie  aber 
und  unter  keinen  Ümstindeii  Ifitoshen  oder  Stücke  mit  Gemüts- 
werten. ^)  ÜbergangsTorschUlge:  Sollen  oder  mUssen  Stoffe  dery|ftB^ 
landsknnde^  Beligion,  Kunst  geboten  werden,  so  soll  jeder  QesinnnngB- 
unterricht  dabei  vermieden  und  im  höchsten  Fall  ein  freier  Yoitnf 
zugebssen  werden.  Wird  er  nicht  yerstanden,  um  so  besser!  Bleibt 
eimsehieSi  das  die  Phantasie  besdiiftigt,  gut!  Wer  aber  das  Geeinnuiic^ 
bilden  und  Seelerieohen  nicht  lassen  kann,  der  sei  yerfiucfatc 

Yon  dem  in  unsem  Sdiulen  herrschenden  BeUgionsuntsriidit 
imd  semen  Früchten  entwirft  Bonus  folgendes  Bild:  Der  offiiielle 
Beligionsuntenicht  treibt  unauslöschlich  den  Abeij^uben  in  uns 
hinein,  daß  Beligion  Lehre  sei,  die  man  für  wahr  halten  mösse, 
wenn  möglich  auf  Grund  von  Beweisen  (K.  37*).  »Bewufitec  Ghnsten 
beifien  die^  welche  sich  der  theologischen  Denkweise  und  der  kirch- 
liehen  Sprechweise  bewußt  sind,  und  »lebendige«  die,  weldie  sich  mit 
Anstand  in  diesen  Dingen  au  bewegen  wissen  (R^)  7).  Es  gibt  filr 
uns  keuie  Beligion  als  eine,  welche  gelernt  wird,  bis  sie  »sitstc  (&  IVj. 
Das  Christentum  ist  für  uns  nicht  mehr,  was  es  in  seiner  Heimit 
war,  Erlösungsreligion,  aus  schweren  Entwicklungskämpfen  e^ 
wachsen,  von  schweren  Köten  beMend,  sondern  es  ist  für  unser 
Tolk  ein  Gesetz  (R  9).  Das  eigentliche  religiöse  Leben  besteht  in 
den  Bewegungen  eines  gewissen  Abhängigkeitsgefühls  von  im  Grunde 
etwas  willkürlichen  Mächten,  mit  denen  man  sich  um  so  besser  steht, 
je  bescheidener  man  durchs  Leben  schleicht,  sich  sozusagen  darunter 
durchdrückt,  und  je  mehr  man  sich  versagt.  Erlösung  besteht  in 
der  gehorsamen  Annahme  des  Erlüsungsmythos  (R  12).  Wenn 
aber  die  Religion  Lehre  ist  und  man  Erlösung  nur  erlangen  kann 
durch  Beugung  unter  das  Lehrgesetz,  so  muß  der  Schulunterricht 
seinem  Wesen  nach  Begriffsbildungsdrill  sein  (K.  41).  Denn 
wenn  er  für  das  Annehmen  des  Lehrgesetzes  vorbereiten  will,  muß 
er  die  Lehren,  die  angenommen  werden  sollen,  vor  allem  klar  machen. 

*)  Den  lebten  Oedanken  hat  Zilleb  schon  vor  vielen  Jahren  tusgesproohan. 
indem  er  forderte,  deft  gnunmatiBohe  und  etiUetiMhe  Übungen  atets  an  SobiUer- 
arbdteo»  nie  an  Dichtungen  angeschlossen  werden  sollten. 

»)  K.  =  Vom  Kulturwert  der  Schule  (Leipzig  19(M)b 

')  B.  B  Aeligion  als  Sohöpfong  (Leipzig  1902)l 


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IksSaDosr:  Soünilnioiiopol  und  Beligioiisiinteiriolit 


811 


Zwin^  er  aber  die  Menschen,  acht  bis  zwölf  empfäng^iiehe  Jugend- 
jahre lang  die  Begriffe  einzuprägen,  so  müssen  die  Gefühle,  die  man 
gern  erweckt  sähe,  kommen,  sie  mögen  wollen  oder  nicht  (K.  4()). 
Nun  liegt  aber  dem  Staat  viel  daran,  daß  seine  Bürger  zur  »Gut- 
p'>iuntheit«  erzogen  werden,  daher  ist  ihm  ein  Unterricht  der  die 
Erreichung  dieses  Zieles  zu  verbürgen  scheint,  sehr  willkommen,  und 
er  gibt  ihm  durch  die  Gewalt  der  Gesetze  die  Möglichkeit,  sich  aus- 
zuwirken (K.  51).  Der  Kreisschiüinspektor  kommt  dann  in  regel- 
mäßigen Absätzen,  um  das  Wachsen  der  guten  Gesinnung  abzulKuen. 
Die  Seele  des  Volkes  liegt  dann  da,  wie  das  Griff-  und  Pfiffwerk  der 
Lokomotive,  und  sobald  Königliches  Ministerium  Reskript  (M'läßt,  so 
werden  die  Schrauben  angezogen  oder  gelöst  und  wir  fahren  mit 
Dampf  in  die  sonnenhelle  Zukunft  reinster  »Gutgesinntheit«  (K.  55). 

Die  Rechnung  —  meint  Bonus  —  sei  hübsch,  fast  verschmitzt. 
Nur  schade,  daß  sie  falsch  ist  Alle  starken  Gefühle  polarisieren 
nänilich  in  Lust  und  Unlust  Derselbe  »Vorstellungskomplcx«,  der 
freiwillig  und  natürlich  aufgerufen,  die  Seele  in  die  lebhaftesten 
Schwingungen  der  Begeisterung  versetzt,  reagiert,  zwangsweise  herbei- 
gerufen, mit  ebenso  lebhaften  entsprechend  polarisierten  Gefühlen  des 
Abscbeos,  des  Widerwillens,  des  Gelangweiltseins  (K.  40  u.  47).  Und 
zwar  wirkt  die  Polarisation  desto  stärker,  je  feiner  der  Zwang  ver- 
stockt und  eingewickelt  ist  Gerade  dieses  unaufhörliche  innere 
Biegen,  das  in  der  neueren  Pädagogik  den  geradeaus  gehenden  Zwang 
ersetzt  macht  die  Seele  müde  imd  überdrüssig  (K.  5()).  Aus  dem 
fülen  folgt  der  Schluß:  Die  deutsche  Schule  ist  als  Staatsschulo 
ZwangBanstalt,  daher  muß  man  in  der  Auswahl  der  Gegenstände,  die 
man  ihr  zur  Anzüchtung  übergibt,  mit  diesem  ihrem  Charakter  rechnen 
und  dail  ihr  nicht  Dinge  anyertrauen,  die  wie  die  Religion  unter 
dem  Zwang  nur  verkOmmem  können.^) 

Es  hat  keinen  Zweck,  zu  untersuchen,  ob  das  Bild,  das  Bonds 
Tom  Beligionsnntenieht  entwirft^  heute  noch  den  tatsächlichen  Ter* 
hiltnissen  durchweg  entspricht  Bin  solober  Beligionsuntenicht  war 
—  das  ist  unbestreitbar  —  noch  Tor  nicht  gar  zu  langer  Zeit  der 
allgeniein  herrschende,  und  er  heiischt  noch  heute  überall  da,  wo 
Katechismus  und  Olaubens-  und  Sittenlehre  im  Lehrplan  die  Haupt- 
rolle spielen.  Darum  ist  es  besser,  die  Beligionslelüer  nehmen  das 

^)  Noch  härter  als  bei  Bonus  ist  das  Urteil  über  den  Religionsunterricht  bei 
Elle«  Key.  Sie  beginnt  in  ihrem  Buche  »Da«  .lalirhundort  des  Kindes«  (7.  Aufl. 
Berlin  1905)  den  Abschnitt  über  Religionsunterricht  mit  den  Worten:  »Das  im 
jetzigen  Augenblick  demoraiisierendste  Moment  der  Erziehung  ist  der  christliche 
lUi|^oo8imtsniöht< 


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312 


Aufsätze 


Laienzengius  über  den  Erfolg  ihres  UntoiTichts  emstlich  zu  Herzea 
und  prüfen  ihr  Yerfahren  gewissenhaft  auf  seine  Berechtigung  hin. 
Dabei  wird  es  gut  sein,  wenn  man  nicht  bei  Bonus  stehen  bleibt, 
denn  seine  Kritik  könnte  leicht  verbitternd  wirken  und  so  das  Urteil 
trüben.  Yiel  besser  ist  es,  man  wendet  sich  an  die  Geschichte  unsere« 
Unterrichtsfaches  und  sacht  aus  der  Entwicklung,  die  der  R<  li^nni«- 
unterricht  bisher  genommen  hat,  die  Richtung  herauszufinden,  in  der 
der  weitere  Fortschritt  voraussichtlich  erfolgen  muß.^)  In  einer 
solchen  geschichtlichen  Betrachtung  liegt  zugleich  das  beste  Gegen- 
gewicht gegen  den  BoNusschen  Radikalismus,  der  das  Kind  mit  dem 
Bade  ausschütten  möchte. 

Luäier  war  in  seiner  ersten  Feiiode  von  allem  Staatsswang  ia 
Beligionssachen  so  fem  wie  nur  irgend  mO^ch.  Das  »Wort«  aUein, 
die  Macht  der  im  Evangelium  liegenden  Wahrheit,  sollte  alles  aus- 
richten. »Denn  —  so  heifit  es  in  der  Schrift  ,Ton  weltlicher  Uber- 
keif  —  über  die  Seele  kann  und  will  Gott  niemand  lassen  regieren 
denn  sich  selbe  alleine.  Darumb,  wo  weltlich  Gewalt  sich  Tenniaset 
der  Seelen  Gesetz  au  geben,  do  greift  sie  Gott  in  sein  Regiment  and 
yerfOhret  und  verderbet  nur  die  Seelen.  Das  wollen  wir  so  Uar 
machen,  daß  mans  greifen  solle,  auf  daß  unser  Junker,  Fürsten  und 
Bischöfe  sehen,  was  sie  für  Narren  sind,  wenn  sie  die  Leate  mit 
ihren  Gesetzen  und  Geboten  zwingen  wollen,  sonst  oder  so  sn 
gruben.«  —  Trotzdem  hat  derselbe  Luther  in  der  zweiten  Periode 
seines  Wirkens  die  Yisitationsordnung  gebilligt  und  veriangt,  daß  der 
Katechismus  emg^leut  würde.  Er  war  eben,  wie  man  ans  der  Ein- 
leitung zum  Kleinen  Katechismus  errieht,  durch  trübe  Erfrimmgen 
zu  der  Einriebt  gekommen,  daß  ohne  aJle  religiöse  Erdehung  der 
Jugend  auch  von  religiöser  Freiheit  nicht  die  Rede  sein  kann,  und 
daß  religiös  ungebildete  Leute  die  äußerlich -rechtliche  Freiheit,  sich 
selbst  auszuleben,  wohl  mißbrauchen,  aber  nun  und  nimmermehr  sidi 
dadurch  zu  wahrer  Freiheit  entwickeln  koinitn.  Darum  hielt  er  es 
für  unverantwortlich,  diese  Bauerjungen  und  Bauermadciien  ganz  mit 
ihren  »eigenen  Gedanken  und  Phantasien,  mit  ihren  eigenen  Instinkten 
und  mit  ilirem  eigenen  Streben  und  Wollen  aufwachsen  und  sich 
selbst  eine  Gesinnung  erkämpfen«  zu  lassen.  Vielmehr  wollte  er  sie 
von  den  natürlichen  niedeni  Instinkten,  kraft  deren  sie  dahinlebten 
»wie  das  liebe  Vieh  und  die  unvernünftigen  Säue«,  frei  machen,  in- 
dem er  ihnen  Kenntnis  und  Verständnis  des  Evangeliums  vermittelte. 


*)  Vergl.  dazu  des  Verfassers  Allgoineine  Methodik  des  Religion suntenioht* 
(Langeiibalza,  flexmaDn  Beyer  &  Sohne  (Beyer  k  üann].  1903)  S.  9—31. 


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ItaBiMsow:  Sohnlmonopol  und  Baügiomsantamobt  313 


Wenn  er  dabei,  weil  ungebildete  Mtem  ilne  Pflicht  Toxatissiobtlich 
vers&amt  hfttten,  die  staatlicfae  HiUe  in  Ansprach  nahm,  wenn  er  8ich 
in  der  Methode  reigriff  nnd  vom  Binpaoken  fertiger  Beikenntnisse 
einen  Erfolg  erwartete,  so  darf  man  ihm  das  weiter  nicht  zum  Yor- 
wuif  machen.  Dafi  er  den  Staat  sn  Hilfe  rief,  war  eine  geschidit- 
liche  Notirendigkeit,  nnd  dafi  er  Ton  der  Eriöeangstheorie  des 
Panlns  alles  Heil  erwartete,  war  in  seiner  persönlichen  Heilsei&hrung 
begründet  An  eine  Hensohaffc  des  Staates  Aber  die  Gewissen  hat 
Luther  nicht  im  Traome  gedacht  För  ihn  ist  der  Staat  nnr  der 
unter  dem  Worte  Gottes  stehende  Diener,  der  dem  Tolke  die 
SegenskiSfte  des  E7angelimii8  Yennittelt^) 

Im  Laufe  der  Zeiten  stellte  sich  aber  herans,  dafi  das  eingebleute 
Bekenntnis  doch  die  MoÜTkxaft  nicht  besaß,  die  »den  alten  Adam 
tötet  nnd  machet  uns  ganz  andere  Menschen  Yon  Herzen,  Mut,  Sinn 
nnd  allen  Kräften«.  Darum  suchten  die  pietistischen  Methodiker  nach 
neuen  Wegen,  um  die  im  Worte  Gottes  schlummernden  KrSfte  aus- 
zulösen und  wirksam  werden  zu  lassen.  Wenn  sie  dabei  auf  die  G^e- 
schiclite  verfielen,  so  waren  sie  sicliei  auf  einem  ganz  richtigen  Wege, 
denn  nicht  in  ein  für  allemai  fertigen  Glaubensfonneln  offenbart  sich 
Gott,  sondern  durch  »privilegierte  Seelen«  erzieht  und  entwickelt  er 
die  Menschen  aufwärts.  Der  einzelne  aber  kann  zu  seiner  indivi- 
duellen Vollendung  und  zur  Ausgestaltung  des  Göttlichen,  das  in  ihm 
schlummert^  nur  kommen,  wenn  er  die  großen  Führer,  die  Gott  der 
Welt  gesciienkt  hat,  lebenweckend  auf  sich  wirken  läßt.-)  Freilich 
zur  vollen  Klarheit  ist  dieser  Gedanke  im  Pietismus  nocii  nicht  ge- 
k(»mmen,  den  Abei glauben,  der  in  aufgezwungenen  Bekenntnisfonneln 
und  allgemeinen  Lehrsätzen  das  Heil  gefunden  zu  haben  meinte,  hat 
er  nicht  unschädlich  machen  kennen.  Und  so  hat  denn  der  Katechis- 
musunterricht  seine  verhängnisvolle  Kolle  weitergespielt,  und  die  Ge- 
schichten sind  von  Aufklärern  und  Kunstkatecheten  zu  Illustrations- 
beispielen und  Induktionsquellen  verwandt  worden  und  haben  so  die 
Frische  des  Lebens  ebenso  verloren  wie  die  Pflanzen  im  Herbarium. 

Die  letzte  Entwicklungsstufe  des  Religionsunterrichtes,  auf  der 
wir  jetzt  noch  stehen,  beginnt  mit  Pestalozzi  und  Schleiermacher,  ihr 
jüngster  Bußprediger  ist  A.  Bonus.  —  Keligion  ist  überhaupt  nicht 
lehrbar!  —  Mit  diesem  Satze  scheint  Schleiermaclier  dem  Beligions- 

*)  Jahrb.  28  des  V.  f.  w.  P.  S,  62  ff. 

*)  »Jeder  Meoscb,  wenige  Aoserwäblte  ausgeDommen,  bedarf  eines  leitenden 
und  aofregepden  AnfBhren,  der  seinen  Sinn  ffir  BeUgion  ans  dem  Sdüunmer 
fPMke  nnd  ihm  seine  eiste  Kichtung  gebe.c  Schleiennaohsr  (Elroliengesohiohtiiohes 
liSMbiioh  von  übbahdobt  nnd  MB.mB  III,  57). 


r 

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314 


Aufsätze 


unterrichte  ein  für  allemiil  das  Todesurteil  ^^esprochen  zu  haben .  und 
alles,  was  Boxrs  in  seinen  Schriften  vorbringt,  ist  eigentlich  bloß  eine 
ernste  ^lahnung.  dieses  Wort  des  großen  Theologen  aus  dem  Anfang 
des  vorigen  Jahrhunderts  besser  zu  beheraigen,  als  es  bisher  in  <] -n 
Staatsschiilen  geschehen  ist.  Wie  notwendig  diese  Mahnung  ist,  zeigt 
ein  Blick  auf  die  Reügionslehrpläne  unserer  Gymnasien,  Realschulen 
und  Seminare.  Sie  nihen  sämtlich  auf  dem  verhängnisvollen  Aber- 
glauben, der  den  Begriffen  eine  gewisse  ZauberJa:!aft  zuschreibt  und 
nifMTit  man  könne  religiöses  Leben  eixeugen  oder  wenigstens  der  Ent- 
stehung des  religiösen  Lebens  einen  wesentlichen  Dienst  tun,  wenn 
man  den  Zöglingen  ein  System  der  Glaubens-  und  Sittenlehre  bei- 
bringt Aber  das  Wesen  der  Religion  besteht  nicht  in  der  Aneignung 
und  dem  Fürwahrhalten  staatlich  voigesohriebener  Glaubenssätze.  Daher 
sagt  Bonus  mit  Recht:  »Wer  das,  wms  er  in  Religion  lernt,  für 
Religion  hält,  wird  nie  erloben,  was  Beligion  ist«*) 

Religion  ist  nicht  eine  Theorie  sondern  das  fortgesetzte  schöpfe» 
Tische  Wirken  Gottes  in  der  Menschenseele  und  das  Bewußtsein  von 
diesem  Wirken  (B.  26,  Bl,  47,  61).  In  jedem  Hauptwendeponkt  der 
BeligionsgesQhichte  hat  Gott  die  Menschheit  gleidisam  auf  eine  höhere 
Stufe  der  Schdpfong  erhoben,  er  hat  ihrem  Geisteeleben  neae  Oigaiie 
und  neue  Erüfte  gegeben.  Darum  heißt  es  auch  im  «weiten  Korintfae^ 
biiele  (5,  17):  Ist  jemand  in  Christo,  so  ist  er  eme  neue  Kreator. 
Diese  Schöpfongsakte  Tolhdehen  sich  sunSohst  m  einaelnen  yon  Oott 
erwihJten  und  besonders  begnadigten  Persönlichkeiten,  und  von  da 
greifen  sie  tiber  in  alle,  die  steh  liebend  und  glaubend  von  den  neuen 
Lebenskiiften  ergreifen  lassen.  Der  Glaube  ist  eben  nach  dem  be- 
kannten Worte  Luthers  ein  göttliidi  Werk  an  uns,  das  uns  wanddt 
und  neu  gebiert  und  macht  ganz  andere  Menschen  aus  uns  nadi 
Herz,  Mut  und  Sinn  und  allen  Krüften. 

Was  folgt  nun  aus  dem  allen  fOr  die  Brziehung  zur  Beligion?  — 
Ganz  gewiß  das  Eine,  daß  Beligion  nur  da  entstehen  kann,  wo  die 
in  religiösen  Persönlichkeiten  wirkende  Schöpferkraft  Gtottes  lebeo^ 
weckend,  werbend  und  gewinnend  auf  andere  Indifidneii  ftbeigieift- 
Darum  sagt  Schleiermacher  mit  Becht:  »Nur  durdi  die  natOriiehen 
Begungen  des  dgenen  Lebens  will  der  Fromme  das  Ahnliche  anf- 
regen,  und  wo  ihm  das  nicht  gelingt,  Tsradmiiht  er  Tomehm  jeden 


>)  »Unzählige  geben  ridi  der  TKoschiing  hin,  daß  die  Ejnder  durch  den  Reli- 
gionBunterrlcht  erlebten,  was  sie  im  Katechismus  lernten.  Eigentlich  sollte  man 
eine  solche  Absurdität  nur  an  den  Pranger  stellen,  statt  sie  zu  widoilei^eii.«  (Job. 
Müller,  Blatter  zur  Pflege  persönlichen  Lebens.   V.   S.  153.) 


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ThhXmwrf:  Schnlmonopol  und  Religionsunterricht 


315 


fremden  Beiz,  jedes  gewalttfttige  Yei&hTen,  beruhigt  bei  der  Obeiv 
seogang,  die  Stande  sei  noch  nicht  da,  wo  sich  hier  etwas  ihm  Ver- 
schwistertes  regen  könnac^) 

Wenn  aber  schon  der  Rronune,  der  doch  Religion  besitzt,  es  yot- 
sdimiht^  diese  seine  Religion  andern  anfiBnzwingen,  wie  viel  mehr 
sollte  der  erst  anf  jeden  Zwang  vemchten,  der  Ton  eigenem  religiösem 
Leben  gar  nichts  weiß!  Hierans  scheint  sich  nun  ohne  weiteres  der 
ScblnB  zu  eigeben:  Die  Sdrale  als  Massenimtenichtsanstalt  mit  Staat  fr- 
zwang  mnß  am  dieses  ihres  Charakters  willen  anf  Beligionsnntmicht 
Tsrzlchten.  l^ehmen  wir  zunächst  einmal  an,  der  Schlafi  sei  richtig, 
nnd  Tergegenwärtigen  wir  ans,  welche  praktischen  Folgen  sich  ans 
einem  solchen  Verzicht  ergeben  würden. 

Ängstliche  (iemüter  werden  vielleicht  fürchten,  die  Kirche  könnte 
dadurch  Schaden  erleiden;  aber  das  Beispiel  Nordamerikas  lehrt  uns» 
(l;iß  gerade  das  Gegenteil  der  Fall  ist;  denn  nirgends  blüht  das  kirch- 
hche  Leben  mehr  als  in  diesem  Lande,  das  in  seinen  Staatsschulen 
auf  Zwangsreligionsunterricht  verzichtet  Ob  aber  auch  das  religiöse 
Leben  durch  die  Isolierung  des  Religionsunterrichtes  gewonnen  hat, 
durfte  fraglich  sein,  denn  kirchliche  Yielgeschiiftigkeit  ist  durchaus 
noch  kein  Zeichen  gesunden  religiösen  Lebens,  und  bekehrungseifrige 
8ektenleute  sind  nicht  immer  Persönlichkeiten,  in  denen  Gottes  Geist 
wirksam  ist  Auch  darf  man  nicht  wähnen,  der  Glaubenszwang  und 
die  Schablonenhaftigkeit  sei  in  Freikirclien  weniger  zu  Hause  als  in 
Staatskirchen.  Im  Geirenteil!  Die  Laienorthodoxie  ist  meistens  noch 
unduldsainer  als  die  der  Theologen,  und  in  den  Schulen  der  Sekten 
wird  den  Kindern  wenigstens  genau  soviel  unverstandene  alte  Theo- 
logie beigebracht  wie  in  den  Staatsschulen.  Also  gebessert  ist  da- 
mit nichts. 

Wollte  man  nun  —  und  auf  diesem  radikalen  Standpunkte 
scheint  Bonus  zu  stehen  —  allen  gemeinsamen  Religionsuntemcht 
abschaffen  und  dem  Elternhause  und  dem  Zufall  die  religi<jse  Er- 
ziehung überlassen,  so  würden  die  meisten  Kinder  ohne  alle  Be- 
rührung mit  Religion  bleiben,  denn  religiöse  Persönlichkeiten  von 
wahrhaft  werbender,  gewinnender  Kraft  sind  ziemlich  selten  und 
wirken,  wo  sie  sind,  meist  nur  auf  sehr  kleine  Kreise.  Es  fragt  sich 
also  nur,  ob  man  es  verantworten  kann,  die  große  Masse  der  Jugend 
unseres  Volkes  ohne  alle  Berührung  mit  Religion  aufwachsen  zu 
lassen  und  es  Gott  anheimzustellen,  ob  er  Yielieicht  einzelne  durch 
besondere  Führungen  für  sein  Reich  gewinnen  will  Luther  hat,  wie 


0  dolieogeBdiiohtl.  LMobooh.  2.  Aufl.,  &  68, 


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316 


Aofsätse 


wir  bereits  sahen,  die  Pflicht,  etwas  für  die  religiöse  fiiidimg  der 
heranwachsenden  Generation  zu  tun,  gefühlt  und  ihr  nach  bestea 
Kräften  zu  genügen  gesucht  Dafi  der  Staat,  dem  er  das  Erzieher- 
amt ülicrtriig,  den  rechten  Weg  zum  Herzen  der  Jugend  nicht  fand, 
war  weder  seine  noch  der  ausführenden  Organe  Schuld,  sondern 
hatte  seinen  Grund  in  dem  Mangel  an  pädagogischer  Einsicht  Aua 
demselben  Gnmde  wird  auch  in  den  vor  Laien  eingerichtetea  Sonn- 
tagsschttlen  Amerikas  und  den  »Kindelgottesdiensten«  unserer  »Er- 
weckten« die  Sache  nicht  wesentiich  besser  gemacht  Die  InstitatioiL 
ist  eben  nicht  das  Entscheidende,  sondern  der  Geist,  in  dem  sie  ge- 
handhabt wird.  Ob  man  also  den  BeUgionsnntemöht  in  den  Staate- 
sohnlen  beibehält  oder  ihn  besonderen  Yereinigimgeii  übedäBt^  das 
ist  für  den  Charakter  des  Unteirichtsbetriebes  Ton  untergeordneter 
Bedeutung.  Auch  im  Bahmen  der  Staateschule  kann  eüie  leligifise 
Persönlichkeit  lebenweckend  wirken,  sobald  man  ihr  nidit  mmdtige^ 
dem  Geiste  des  modernen  Staates  widersprechende  Fessebi  anlegt 

Im  Mittelalter  war  der  Staat  in  allen  religiGsen  Angelegenheiten 
der  Büttel  der  ffieraiohie,  und  da  die  einsige  religiöee  Tagend  im 
blinden  Gehorsam  gegen  die  Kirche  bestand,  so  hatte  er  die  Auf- 
gabe, wenn  Himmel  und  Hdlle  nicht  ausreichten,  mit  seinen  Gewalt- 
mitteln dieeen  Gehorsam  su  erzwingen.  Der  moderne,  aus  dem  Gaste 
der  Beformation  geborene  Staat  hat  in  der  Hieorie  auf  diese  Bflttel- 
rolle  yerzichtet,  in  der  Praxis  aber  spielt  er  sie  in  der  Schale  ruhig 
weiter,  indem  er  den  Schulzwang  dazu  benutzt,  die  Kinder  zum  Ge- 
horsam gegenfiber  den  Lehrgesetzen  der  Qlerarc^  abzuiicfateD.  3fit 
diesem  Beste  kalliolischen  Sauerteiges  muß  entschieden  aufgeräumt 
werden,  wenn  dem  Beligionsuntenichte  der  Öffentlichen  Schulen  die 
sittliche  Berechtigung  erhalten  bleiben  solL  Der  moderne  Staat  hat 
nidit  die  Pflicht,  das  Tolk  in  religiöser  Beziehung  auf  einer  früheren 
Stufe  der  Entwicklung  festzuhalten;  aber  ebensowenig  ist  es  seine 
Aufgabe,  neuen  Richtungen  zum  Siege  zu  verhelfen;  vielmehr  muÄ 
er  seinen  Untertanen  die  Freiheit  der  geistigen  Entwicklung  gewähr- 
leisten und  die  Jugend  in  stand  setzen,  sich  selbst  im  Leben  zu- 
rechtzuhelfen  (K.  68). 

Diese  Freiheit  der  Entwicklung  und  dieses  Instandsetzeii,  sich 


^)  Es  ist  zn  hoffen,  dafi  der  Staat  »die  Idee  des  modernen  Staates  verwiit- 
liofat,  der  nicht  mehr  die  FestBohinbiing  des  YoIfcM  in  ebe  beatÜBmte  wflnsohens- 
wert  eiioheinende  Kultur  betreibt,  wie  es  die  Eiioh«  für  ihn  Aviig*be  hieU; 

sondern  . . .  der  für  die  einzige  Todsünde,  in  die  er  verfallen  kann,  die  Sünde  wider 
das  keitnt  ndn  I^ben  Mit,  die  also,  die  er  jetst  systematieoh  doroli  seine  8ohale  be- 
treibt« (K.  ü3). 


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ImuNDOur:  SchnlmoDopol  und  Beligionsontemcht 


317 


Mlbst  zu  helfen,  iviid  aber  nicht  schon  dadurch  gewährleistet,  dafi 
man  aieh  aller  gewaltsamen  Eingriffe  enthält,  sondern  dazu  bedarf  es 
auch  positiver  Veranstaltungen.  Wenn  das  bloße  Nichteingreifen  an 
aich  schon  die  wahre  Freiheit  verbürgte,  dann  müßten  doch  die  Kinder, 
um  die  sich  niemand  kümmert  nnd  in  deren  Entwicklang  niemand 
»Phantasie  und  Gedankenbewegong  hemmend  und  umbiegende  ein- 
greift, die  freisten  Menseben  werden.  Das  ist  bekanntlich  nicht  der 
Fall;  darum  tritt  aach  Bonus  nicht  fOr  ein  gSnslich  unbeeinflußtes 
»Sudiaiisleben«  ein,  sendem  er  weiA  —  offenbar  sostimmend  —  toh  - 
Ettem  IQ  enShlen,  die  den  Wunsch  haben,  »das,  was  sie  in  schweren 
Jahren,  nachdem  sie  den  Schott  weggerftnmt  hatten,  sich  enangen, 
mit  aller  der  Zartheit  und  dem  Ernste,  von  denen  sie  beseelt 
sind  ihren  Kindern .  gegenflber,  in  deren  Geist  hinüber- 
saleitenc  (E.  64).  Wäre  es  nun  so  ganx  ungereimt,  anzunehmen, 
SS  gibe  Bltnn,  die  sich  dieser  Angabe  nicht  ganz  gewachsen  fflblten, 
und  die  daher  geneigt  wSren,  die  Hilfe  der  Schule  anzunehmen  und 
ihr  enien  Teil  der  Eräehung  ansuverfanmen?  Und  sdlte  es  nicht 
Lehrer  geben,  die  wiiUich  bereit  wiren,  ihren  Beruf  in  dieeem  Sume 
aofiofassen  lüs  eine  verstindnisvolle  Erginzong  der  hftuslichen  Er- 
Ziehung?  Und  wenn  das  beides  der  IUI  wSie.  könnte  dann  nicht 
der  Staat  dieser  Geneigtheit  auf  der  einen  und  dieser  BereitwQli^eit 
anf  der  andern  Seite  entgegenkommen?  Liegt  es  wirklich  im  Inter- 
ease  des  Staates,  die  Schule  zu  einer  Dressieranstalt  zu  machen,  in 
der  »die  uniforme  Lehrmaschine  ttber  jede  Generation  von  neuem 
hinwalzt  und  ihre  Abweichungen  zurechlpiftttet,  so  daß  nichts  Eigenes 
aufkommen  kann«?  Ich  glaube,  solche  Eltern,  solche  Lehrer  und  ein 
soldier  Staat  sind  recht  wohl  denkbar,  und  ich  hoffe,  dafi  ans  ihrem 
Zusammenwirken  die  Schule  der  Zukunft  hervoigeht,  die  keimendes 
Leben  nicht  sertritt,  sondern  pflegt  und  entwickelt 

Im  Dienste  dieser  Schule  der  Zukunft  steht  schon  heute  die 
»moderne  Pädagogik«.  Von  dieser  hat  Bonus  freilich  eine  sehr  schlechte 
Meimmg,  er  behauptet  (K.  51):  Sie  läßt  kein  Plätzchen,  kein  Häkchen 
für  eigene  bedanken  und  Gefühle  frei.  Ihr  ganzer  Unterricht  ver- 
läuft gerade  in  einem  fortwährenden  Zurückholen  und  Einstarapfen 
der  freien  Gedanken  und  Gefühle  . . .  Wo  sie  gewesen  ist,  da  singt 
kern  Vogel  mehr,  da  wächst  kein  Gras  mehr  ...  Alles  ist  bofxrifflich 
zerkaute  (K.  57).  Ob  diese  Beschreibung  der  modernen  Pildai^ogik 
zutrifft.  können  nur  die  entscheiden,  die  unter  ihren  Einwirk unireu 
aufgewachsen  sind,  denn  mit  Hecht  Bonus  (K.  7):   ^\Vai>  die 

Laienschaft  nicht  nur  beiuteilLii  kann,  sondern  sogar  allein  beurteilen 
kann,  das  ist,  wie  ihr  diu  zu  ihrem  Besten  angestellten  Bemühungen 


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318 


Au&atze 


bekommen  sind,«  und  (K.  18):  »Wenn  man  uns  zwölf  Jahro  lang 
malträtiert  iiat,  so  sind  wir  die  Sachvci"ständigon  in  der  Fraire.  '»H 
wir  uns  malträtiert  fühlen.«  Da  aber  Bonus  meines  Wissens  nicht 
zu  denen  gehört,  die  während  ihrer  Schulzeit  von  Vertretern  der 
modernen  Pädagogik  malträtiert  worden  sind,  so  dürfte  er  auch  nicht 
Sachverständiger  sem  in  der  frage,  ob  sioh  die  Zöglinge  moderner 
Pädagogen  malträtiert  fühlen. 

Bei  der  Kritik  der  modernen  Pädagogik  wird  (K.  45)  eine  Stelle 
meiner  Allgemeinen  Methodik  des  ReUgionsunteniGhtes^)  wörtlich 
zitiert  also  darf  ich  mich  wohl  zu  denen  rechnen,  über  die  Boxus 
(K.  71)  sein  Anathema  ausspricht,  weil  sie  das  Qesinnimgsbilden  nidit 
lassen  können.  Ks  wird  mir  also  nicht  reraiigt  werden  können,  wenn 
ich  vom  Rechte  der  Notwehr  Gebrauch  mache  und  neben  das  Zerr- 
bild, das  BoNTs  zu  stände  bringt,  indem  er  Jesuitenpädagogik,  Sokra- 
tik,  Kimstkatechese  und  ähnüoheB  mit  modemer  Pädagogik  in  einen 
Topf  wirft,  das  wahre  Bild  setse. 

Vor  allem  muß  man  Staatssohnle  und  StaatspSdagogik  wohl  ans- 
.  einander  halten.  StaatsBchnlen  sind  Schulen,  die  vom  Staate  entweder 
ganz  unterhalten  oder  wenigstens  unterstützt  und  überwacht  werden. 
Von  einer  Staatspädagogik  würde  man  aber  nur  da  reden  können,  wo 
den  Schalen  Geist  und  Methode  aufgezwungen  wird.  Daß  Staats- 
schule und  Staatspidagogik  nicht  untrennbar  zusammengehören,  wird 
ohne  weiteres  klar,  wenn  man  z.  R  das  Gebiet  der  öffentliohen  Ge- 
sundheitspflege zur  Yergleiohung  heranzi^t  Auch  hier  hat  es  der 
Staat  schon  längst  als  seine  Pflicht  eockannt,  fürsoigend  einzugreifen; 
aber  über  das  Wie?  dieses  Eingreifens  entscheidet  nicht  der  Stasts- 
mann  als  solcher,  sondern  hier  wendet  er  sich  an  den  Medizmer  ab 
den  Fachmann.  Eine  Staatsmedizui  gibt  es  nicht,  obwohl  die  Ana- 
bildung  der  Mediziner  nur  auf  den  vom  Staate  nntnbaltanen  Uni- 
versitäten erfolgen  kann.  Wie  mit  der  Medizin,  so  ist  es  anch  mü 
den  übrigen  Wissenschaften.  FOr  alle  sorgt  der  Staat,  aber  er  hfUet 
sich  wohl,  ihnen  den  Gang  ihrer  Untersuchungen  oder  die  Besoltite, 
za  denen  sie  kommen  müssen,  vorzuschreiben. 

Die  moderne  Pädagogik  nimmt  für  sich  dasselbe  Becht  in  An- 
spruch, was  der  Staat  den  übrigen  Wissenschaften  anstandslos  ge- 
währt; dafür  ist  sie  auch  bereit,  mit  dem  Maße  der  Einsicht,  das  ibr 
im  Laufe  der  Zeit  zu  teil  geworden  ist,  zu  dienen  und  sich  den 
ihrer  Hilfe  Bedürftigen  nützlich  zu  erweisen.    Wie  es  aber  dem 


*)  Allgemeino  Methodik  des  Keligionsuntemohtes  (Langensalza*  Qeimanxi  ß^ypr 
&  SQhne  [Beyer  &  Mann],  1903).   S.  Ö7. 


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Thrakdort:  Sohulmonopol  und  Beligionsunternoht 


819 


FMienten,  der  die  Hilfe  des  Antes  in  Anspruch  nimmt»  nicht  ein- 
fillt,  diesem  Vorschriften  sn  maioihflii,  welche  Medizin  er  verordnen 
oder  welches  HeÜTef&hren  er  einznsdilageQ  hat^  so  sollten  auch  die 
Anftnggeber  der  Pfidagogen  sich  begnügen,  die  An4;aben  und  Ziele 
in  beieiohneii  ond  die  Wahl  der  Wege  nnd  des  Yerfahrens  der 
Wissenschaft  nnd  den  Ikohleaten  ttberiassen. 

Wer  sind  aber  die  eigentlichen  Anftraggeber  der  Schule,  wer  hat 
das  moralische  Becht,  ihre  Ziele  leetsnaeteen?  Nnn  sicher  der  in 
SESter  Linie,  der  am  Gelingen  des  pidagogischen  Experiments  das 
grtAte  Interesse  hat  Das  ist  unstreitig  der  ZO^^iag.  Kann  er  auch 
ab  ünmfindiger  juristisch  sein  Becht  noch  nicht  selbst  geltend  machen, 
sondern  muß  das  seinen  Yormttndem  und  Yertretem  ttberiassen,  so 
legt  er  doch  moralisch  seinen  Endehem  die  schwerste  Verantwortung 
aof  (Matth.  18,  6).  Jeder  Lehrer,  der  nicht  gana  ohne  sittliches  Oe- 
fBU  ist,  weiß  es  aus  eigener  EifBhrang,  daß  er  für  sein  Einseifen 
in  den  geistigen  Werdeprozeß  des  Schttlers  diesem  moralisch  yerant- 
wortlich  ist  Darum  wird  er  jede  Verkümmerung  und  Verbildung, 
die  der  Zögling  nachweisbar  durch  die  Schule  und  den  üntendcht 
eifihrt,  als  sdne  Sdiuld  fohlen.  Diese  Schuld  kann  ebensowohl  in 
Untedassungen,  wie  in  Tei^ehrten  Maßregeln  bestehen.  Wenn  also 
auf  irgend  einem  Gebiete  dem  jugendlichen  Geist  die  Nahrung  nicht 
geboten  wird,  deren  er  zu  seinem  rechten,  gesunden  Gedeihen  bedarf, 
80  ist  das  ebenso  verwerflich,  wie  wenn  man  ihm  falsche  Nahrung 
rdcht  Das  bloß  Gehenlassen  befreit  keineswegs  von  der  Verantwort- 
lichkeit, vielmehr  kann  es  unter  Umständen  zu  einer  ganz  unver- 
aatwurtlichen  Versündigung  an  der  Seele  des  Zöglings  werden.  ^) 

Das  zweitgrößte  Interesse  am  Kesultat  der  Erzielmng  haben  selbst- 
verständlich die  Eltern.  Sie  dürfen  von  der  Schule  fordern,  daß  die- 
selbe als  Ergänzimg  der  häuslichen  Erziehung  dem  Zögling  das  bietet, 
was  für  sein  geistliches  Wohl  notwendig  ist  und  doch  der  Natur  der 
Sache  nach  von  den  Eltern  nicht  geboten  werden  kann.  Auf  dem 
Boden  des  Gesinnungsuntemchtes  würde  das  meines  Erachtens  be- 
sonders auf  höheren  Scliulen  eine  möglichst  gründliche  Einführung 
in  die  Geschichte  des  geistigen  ijebens  sein;  denn  nur  aus  der  Ge- 


')  »Die  Missions-  und  Erziehungsaufgabe  der  Kirche  wird  erschwert,  wo  .  .  . 
der  oblii^jitorische  Religionsunterricht  in  der  Sta;itsschulü  ah^^etaii  wird.  Es  wird 
(iann  wohl  noch  einzelne  Bekehraogen  ja  entschiedene  Erkluniugen  zu  Christus 
geben;  aber  wer  mag  veientworten,  des  Cadern  vnaerer  Froletaiier  nnd  OebOdelen 
10  nuht  mehr  aUmlhUehee  HineinmoliBen,  anr  noch  Bmoh  nnd  Bekahrang  von 
endemischem  Heidentum  offen  za  iMsen?«  (BAUMOARZSir,  Monatssohrift  für  die 
loxchliche  Fnuüe,  1905.  8.  48.) 


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820 


Aufsätze 


schichte  ist  die  Gegenwart  zu  verstehen;  darum  muß  jeder,  der  sich 
in  dieser  zurechtfinden  und  an  der  Lösung  ihrer  Au%abea  beteiligen 
wül,  mit  jener  vertraut  sein. 

Neben  dem  Zögling  und  dem  Eltemhause  haben  Staat  und  Kirche 
an  der  Schule  nur  ein  sehr  beschränktes,  einseitiges  Interesse.  Dem 
Staate  ist  es  um  einen  Zuwachs  an  guten  Bürgern,  der  Kirche  um 
lebendige  Glieder  zu  tun.  Wollte  man  daher  die  Interessen  des 
Staates  oder  der  Kirche  aUein  für  den  Geist  der  Schule  den 
Ausschlag  geben  lass^  so  müßte  notwendig  das  Geistesleben  des 
Zöglings  dabei  verkünunem.  Darum  ist  es  richtiger,  die  Schule  läfit 
sich  vom  Zögling  und  Tom  Eltemhause  die  umfassendere  Au%abe 
stellen  und  sieht  dann  zu,  wie  sie  dabei  auch  den  Anq^rüchen  des 
Staates  und  der  Kirche  gerecht  werden  kann.  Wenn  man  dabei  be- 
denkt, daß  Staat  und  Kirche  doch  nichts  neben  und  außer  den  f  amilien 
Bestehendes  sind,  sondern  sich  aus  Familien  zusammensetzen  and 
eigentlich  nur  Institutionen  sind,  die  zum  Wohle  der  Familie  ge- 
schaffen wurden,  so  kann  der  Ausgleich  nicht  allsuschwer  sein.  Staat 
und  Kirche  kdnnen  ja,  wenn  sie  ihrem  eigenüicfaeii  Zwecke  nicht 
entgegenarbeiten  wollen,  nichts  foidem,  was  mit  dem  wahren  Wohl 
der  Familie  und  des  einzelnen  imyereinbar  ist 

Wendet  man  das  eben  Baigelegte  auf  die  Stellung  des  Beligions- 
ontemohteB  in  der  Staatsschule  an,  so  eigibt  sich,  dafi  auch,  wenn 
der  Staat  aus  ZweckmftfiigkeitqgrOnden  die  Leitang  und  Yenraitang 
der  Schule  in  die  Hand  nimm^  er  doch  daraas  nidit  das  Bedit  ab- 
leiten daE^  aosscfaließUcfa  toq  seinen  Interessen  aus  Zweck  und  Auf- 
gabe der  Schule  zu  bestimmen.  Yielmehr  bat  er  sich  als  Beauftragter  der 
Eemilien  und  Yertreter  der  Beobte  des  Zöglings  anmaehenf  und  mnfl 
daher  seines  Amtes  so  walten,  daß  die  Interessen  dieser  beiden  niebt 
gesobidigt  weiden.  Nun  haben  aber  cbiisdicbe  Familien  sweilellos  eis 
hohes  Interesse  daran,  daß  das  religiöse  Leben  ihrer  heranwaobsendfln 
Glieder  durch  den  Schulunterricht  gefördert  wird,  und  noch  mehr 
liegt  es  im  Interesse  des  Zöglings,  daft  eme  der  wichtigsten  SeHsn 
seines  Geisteslebens  nicht  Tericfimmert  Damm  iU>eniimmt  der  Staat 
mit  der  Leitang  des  Schulwesens  auch  die  Pflicht,  fOr  rechte  Ffl^ 
der  religiösen  Entwicklung  der  ihm  anrertrauten  Jugend  au  sorgen. 

Dieser  Pflicht  des  Staates  kann  weder  durch  bureaukratiscbe^  noch 
durch  hierarqhische  Leitung  des  Beligionsuntemchtee  genügt  werden. 
In  beiden  Billen  würde  die  Bücksicht  auf  die  Haupti>eteiligten  dem 
Trachten  nach  sohablonenmäßiger  Gleichförmigkeit  zum  Opfur  gebracht 
und  der  eigentliche  Hauptzweck  des  Unterrichts  verfehlt  werden. 
Bo5us  hat  sicher  nicht  ganz  unrecht,  wenn  er  der  Staatsschule  in 


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321 


ihrer  jettigen  Gestalt  Torwiif^  sie  tOte  das  keimende  Leben,  and  eine 
Methode^  die  sich  Lebhaftigkeit  des  Fohlens,  Eneigie  des  Willens, 
Tlflfe  des  Empfindens  und  Sdifiife  des  Denkens  zum  Ziel  sets^  alle 
bestimmte  Tendenz  aber  vermeiden  wollte,  wfirde  in  ihr  einfach  ver- 
boten werden  (E.  51).  Der  gleiche  Vorwurf,  den  hier  Bo5üs  der 
finreankratie  macht,  könnte  ancfa  gegen  die  Hierarchie  ertioben  werden, 
die  nnter  Benutzung  der  Staatsgewalt  in  ihren  Zwangskonfessions- 
sohulen  allen  Zöglingen  dieselbe  Art,  religiös  zu  fahlen  und  zu  denken, 
au&wingen  möchte.  Insoweit  solche  Yorwftife  sich  auf  Tatsachen 
stfitsen,  kann  man  ihnen  nur  zostimmen.  Aber  das  Verfahren,  das 
nach  Bomis  jetzt  in  den  Staatsschulen  herrscht,  gehört  doch  nicht  so 
«un  Wesen  der  Staatssehule,  dafi  es  da  immer  herrschen  mtißte.  Die 
üniveisitftten  sind  doch  auch  Staatsanstalten;  aber  es  fiült  den  Staats- 
minnem  nicht  ein,  das  geistige  Leben,  das  dort  herrscht^  durch  Oe- 
vattmittel  zu  töten.  JLhnlidi  könnte  sich  der  Staat  doch  auch  den 
Schulen  gegenüber  verhalten.  Es  wäre  recht  wohl  denkbar,  dafi  den 
vom  Staate  beauftragten  Leitern  der  Schale  die  Einsicht  aufginge, 
dafi  der  Untenicht  nicht  zur  Unterdrückung,  sondern  zur  Weckung 
des  geistigen  Lebens  da  ist.    Wenn  diese  Zeit  gekommen  sein  wird 

—  und  sie  wird  sicher  kommen  — ,  dann  braucht  man  nicht  mehr, 
wie  es  Boxrs  jetzt  tun  zu  müssen  glaubt,  im  Interesse  der  Reli- 
gion Beseitigung  des  Religionsunterricii tes  aus  den  Schulen 
zu  fordern;  sondern  dann  werden  Elternhaus  und  Schule  sich  die 
Hand  reichen,  nm  gemeinsam  religiöses  Leben  zu  wecken  und  zu 
pflegen.  Dsm  Eltenihaus  wird  seine  Aufgabe  lösen,  indem  es  die 
Jugend  ohne  Zwang  unter  den  Einfluß  des  religiösen  Familienlebens 
stellt,  und  die  Sehlde  wird  unterstützend  mitwirken  durch  lebensvolle 
Vorführung  der  »Heroen«  der  Religionsgeschichte.  ^)  Diesen  Weg  hat 
die  moderne  Pädagogik  —  und  das  verkennt  leider  Bonus  vollständig 

—  bereits  beschritten.  Sie  will  nicht  Gesinnungen  aufzwingen,  son- 
dern sie  will  Interesse  —  und  das  heißt  docii  wohl  geistiges  Leben 

—  wecken.  2)  Wo  ihr  das  gelingt,  wo  sie  also  ihr  Ziel  erreicht,  da 
müssen  Vorwürfe,  wie  sie  Bomis  erhebt,  verstummen.   Wo  es  ihr 


')  »Der  Unterricht  muß  ein  strenf;  historifscher  sein,  d.  h.  sich  auf  das  be- 
schränken, was  flurch  die  Geschichtswissenschaft  jedem  Forscher  zupiinglich  ist. 
Vüu  AüttüiluDg  einer  Glaubenslehre  irgend  welcher  Richtung  anders  aU  m  historisch 
bmchtender  Weise  faum  ntoht  die  Rede  sein«  (Stimmen  rar  Beform  des  Beligioiis- 
nnteniditeB,  Lingenaalza,  Hermaim  Beyer  ft  Söhne  (Beyer  ft  Mann],  1904.  S.  34). 

*)  Veigl.  des  Verfa-ssers  Allg.  Methodik  des  ReIi|^nonsuntorriditiB8  (Langensalza» 
Heimann  Beyer  &  Söhne  [Beyer  &  Mann],  1903).  S.  41  ff. 

ZetocUft  nr  fhiloMilii«  und  FUigocik.  12.  Jahqwg.  21 


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322 


Aufsätze 


aber  nicht  gelingt,  da  liegt  es  nicht  am  gaten  Willen,  sondern  an 
der  mangelnden  Einsicht  in  die  Bedingungen  der  Entstehung  und 
Entwicklung  geistigen  Iiobens,  darum  sollte  man  die  moderne  Päda- 
gogik nicht  durch  ungerechte  Vorwürfe  in  ihrem  Streben  hindern 
ond  entmutigen,  sondern  durch  verständige  Mitarbeit  unteistOtieiL 
Die  staatlichen  Leiter  der  Schule  aber  sollten  bedenken,  dafi  der 
Staat  nur  dann  ein  moralisches  Recht  auf  Beibehaltung  des  Beligioiis- 
nnteriohtes  hat^  wenn  er  darauf  verzichtet»  fertige  Systeme  aa&n- 
zwingen,  und  wenn  er  statt  dessen  dem  Beiigionslehrer  den  Auftiag 
gibt,  für  das  religiöse  Leben,  wie  es  tatsächlich  in  den  Yerschiedenaa 
EreiBen  des  Yolkes  voriianden  ist,  bei  der  Jagend  Inttnofloo  n 
wecken. 


Leitsätze  für  den  biologischen  Unterricht 

Von 

O.  Pffannttiel,  HUdburghaosen 
1.  Büdogi«  md  Bdbnlblldiuig  im  aUg^mtiim 

Die  Einführune:  des  biologisclion  Uuterricht^s  in  die  Schulen  ist 
aus  Rücksichten  realer  Sahir  erfolgt.  Es  lag  im  Interesse  des  Staates, 
daß  einerseits  das  Volk  über  die  Gesetze  des  Lebeus  und  seiner  Er- 
haltung bis  zu  einem  prewissen  Grade  aufgeklärt,  und  daß  es  zu  einem 
erfolgreichen  Kampfe  um  das  Dasein  mit  nützlichen  Kenntnissen  besser 
ausgerüstet  werde. 

Andrerseits  hat  die  zunehmende  industrielle  Beschäftigung  und 
die  Konzentrierung  der  Menschen  in  Großstädten  eine  Entfremdimg 
von  der  Natur  zur  Folge  gehabt,  die  der  Lebenskraft  eines  Volkt.'S 
auf  die  Dauer  gefährlich  zu  werden  droht  Dem  gegenüber  galt  es, 
den  Sinn  für  die  Natur  als  einer  unerschöpflichen  Qaelie  für  die 
edlere  Seite  des  Gemütslebens  wieder  zu  wecken. 

Endlich  liefert  die  Natur  die  Vorbilder  für  die  veredelte  Be- 
tätigung des  schaffenden  Menschen.  Die  ei-folgreiche  Aaswertung 
ibrer  Kunstformen,  Yor  allem  die  freie  Verfügung  über  die- 
selben setzt  ein  gewisses  Interesse  an  den  Trägem  der  Formen 
imd  eine  Kenntnis  des  inneren  Baues  als  der  Ursache  derselben 
Tonns.  Die  großen  Plastikcr  und  Maler  des  Altertums  und  der 
Renaissance  haben  beispielsweiee  das  Staditun  der  mensohliohen  Aoft* 
tomie  eifiig  betiieben. 


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Pfannsukl:  Leitsätze  für  den  biologischen  UDterricht 


32S 


2.  Biologie  imd  £!r2lalllingHl«l 

Ziel  der  £i-ziehimg  ist  der  zum  sittlichen  Handeln  tüchtige 
Mensch.  Die  Sittlichkeit  wurzelt  in  der  Weltanschauung. 
Die  A»<*''^ft""""g  und  Befolgung  der  ethischen  Ideen  genügt  nur  be- 
dingungsweise. Denn  sie  sind  mehr  oder  weniger  formaler  Natur. 
Ihr  Inhalt  ist  nicht  absolut;  er  ist  yielmehr  durch  die  fortschreitende 
Vertiefung  der  Natoierkenntnis  nnd  der  Entwicklung  des  soiialea 
Lebens  der  Wandlung  unterworfen.  Wahrhaft  sittlich  kann  nar 
derjenige  handeln,  der  mit  seinen  gran^sätalichen  Ansichten 
nicht  hinter  der  Zeit  snrücksteht  Em  Wille,  Ton  rückstündigen 
Ideen  geleitet,  hat  schon  sehr  oft  großes  Unheil  angerichtet  Beweise 
difOr  liegen  ans  der  Geschichte  der  Staaten  und  der  religiösen  Ge- 
meinschaften genügend  aof  der  Hand. 

Die  sittlichen  Prinzipien  sind  die  obeisten  aas  dem  gegen- 
seitigen Yeihfiltnis  der  Lebewesen  abstrahierten  Bemehongsvoistel- 
limgen  (Begnffe).  Sie  sind  somit  der  Ausdruck  des  jeweiligen 
Standes  der  Erkenntnis  der  Weltordnung.  Fd^^ich  ist  die 
Lohre  von  den  organisierten  Lebewesen  als  den  Erscheinungsformen 
des  höchsten  Weltgeschehens  auf  der  Erde  eine  unentbehrlicfae  Grund- 
lage der  echten  Sittlichkeit  Das  »Erkenne  dich  selbst«  schließt  die 
Iiikenntnis  der  Besiehungen  zur  ganzen  Natur,  insbesondere  der 
lebendigen  »beseelten«  ein. 

Neben  dieser  idealen  Beziehung  zum  Erziehungszwedc  steht  noch 
eine  andere,  welche  mehr  realer  Art  ist  Die  erziehende  Arbeit 
am  Einzelwesen  ist  um  so  wertToUer,  je  mehr  der  Erfolg 
sich  bewähren  kann,  d.  h.  je  länger  die  Lebenszeit  dea 
Zöglings  dauert  und  je  besser  sein  Körper  sich  zu  tat- 
kräftigem Handeln  eignet.  Die  hierüber  möglichen  Belehrungen 
zu  geben,  ist  ebenfalls  eine  Aufgabe  des  biologischen  Unterrichts. 

9»  y^'^}^>§fi9  und  UiitoralohtMlal 

Au^be  des  üntenichts  ist  es,  die  zur  EiftUlung  des  Endehungs- 
zweckes  nötigen  psychischen  Grundlagen  zu  schaffen,  nämlich  Kennt- 
nisse derart  zu  übennitteln,  daß  ehi  lebendiges  Interesse  als  Dauer» 
anstand  der  Faycfae  aus  ihnen  henroigehe.  Nach  den  Lehren  der 
•Ugemeinfln  Didaktik  müssen  die  Yorstellungen  zu  diesem  Zwecke 
im  einzehien  möglichst  klar  und  in  ftm  Gesamtheit  nach  einem 
bestimmten  Plane  wohlasacziiert  sein.  Diesen  Bedingungea 
hat  der  Mologisohe  TTnteffricht  zu  entsprechen. 

21» 


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324 


AnfBÜse 


Die  daioh  den  biologiscfaen  üiiteni<dit  wo.  yemuttehidea  in- 
sofaaamigen  sollen  klar  sem,  d.  h.  der  Wahrheit  möglichst  ent- 
sprechen. Diese  Bedingong  wd  im  allgemeinen  nur  dann  exfüllt, 
wenn  der  Unterricht  die  Dinge  der  Natur  im  Sinne  der  wahren 
inneren  Ih^eiheit  ohne  je^ches  Yororteil  ansdumen  l&fit 

Im  besonderen  gehört  zum  Eildiren  die  Aufspaltung  des  2nr 
sammengesetaten  bis  zu  seinen  Elementen,  seinem  besonderen  Abc 
der  Anschauung.  Die  Elemente  stellen  das  relatiy  ein&chsie^  die 
AnfsDgsglieder  von  Reihen  dar.  Sie  sind  deshalb  einer  weiteren 
Erklärung  solange  nicht  fittug,  als  nicht  einfachere  Glieder  gelondeii 
werden,  auf  welche  sie  bezogen  werden  können.  Die  ein&chsten 
Lebewesen  aber  sind  die  freilebenden  Zellen.  Die  Lehre  von  den- 
selben ist  demnach  die  einfsche  Besdirdbung  der  beobachteten  Ttt- 
Sachen  und  die  Herausbildung  der  elementaren  Begriffe  durch  Vsf 
gleiche,  z,  B.  die  Begriffe  Tier,  Pflanze,  Leben,  Tod,  Wachstnm, 
Yennehrung,  Ernährung,  Verdauung,  Atmung,  Bewegung,  Ruhe,  Fan- 


Sohema  der  Sntwioklang  des  Wirbeltierauges. 

sitismus  usw.  Bei  den  liühLien  Organismen  sind  alle  diese  Begriffe 
verwickelter  Natur  und  der  Erklärung,  d.  h.  der  Beziehung  auf  das 
Einfache  bedürftig.  Ja  die  Beobachtung  zeigt,  daß  der  höhere  Orga- 
nismus in  allen  seinen  Teilen  und  Funktionen  das  Produkt  einer 
umbildenden  Entwicklung  ist,  die  in  jedem  einzelnen  Falle  von  dem 
lebendigen  Elementanvesen,  der  Zelle,  ihren  Ausgang  nimmt 

Zur  Erläuterung  und  zur  Übcrleitunfr  zum  folirendon  Punkte 
mögen  zwei  Beispiele  aus  rlcm  (lebiet*»  der  Sinnesujirane  ilieiien. 
Auge:  Nachdem  beim  Embryo  des  Wirbeltieres  am  vorderen  Ende 
des  Rückennuirkrohres  die  drei  Urgehirnblaschon  hintereinander  ent- 
standen sind,  wachsen  aus  dem  äuUersten  Bläschen  zwei  Paar  sekun- 


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F^AKNBim:  Leitsätze  föi  den  biologischen  Untenüdit 


325 


Üie  Ausstülpungen  beiror.  Das  eine  Paar  entwickelt  sich  am 
vorderen  Pole  und  wiid  zum  Großhirn.  Das  andere  Paar  dringt 
hinter  dem  ersten  hervor  und  wächst  schlauchförmig  g^n  die  Ober- 
haut Unter  dieser  erweitem  sich  diese  Ausstülpungen  kugelig.  Die 
Oberhaut  antwortet  ihrerseits  mit  je  einer  bläschenförmigen  Gegen- 
einstülpung. Diese  treibt  die  dem  Gehirn  entstammenden  Bläschen 
ifickwfirts  ein,  so  daß  doppelbecher-ähn liehe  Gebilde  entstehen.  Die 
zorückgestfUpte  Schicht  wird  zur  Netzhaut  des  Aoges,  der  zum  Ge- 
hirn fahrende  Schlauch  mm  Sehnerren,  das  Ton  der  Oberhaut  her 
eingedriingene  Bläschen  nun  linsenkdrper  und  die  sich  darüber 
wieder  schließende  Oberiiant  sor  dozchsichtigen  Hornhaut  Da  das 
Bfickenmaik  selbst  der  Oberhaut  entstammt,  so  ist  das  Auge  in 
allen  seinen  Hauptteüen  ein  Abkömmling  derselben.  Der  Oberhaut 
ist  aber  ron  Anbeginn  ihrer  Bntstehung  an  die  Rolle  des  reizemp- 
finglichen  Yermittlers  swiscfaen  der  Innenwelt  und  Aufienwelt  dea 
Tieiköipers  sugeMen. 

In  andern  Fällen  finden  sich  di^  in  der  Entwicklung  nur  vor- 
übergehend  auftretenden  Zustände  bei  gewissen  tiefer  stehenden  Oig»- 
nismen  als  dauernde  Ausbildungsformen.  Hierzu  ein  Beispiel  aus  dem 
Entwiddungsgange  des  Ohres:  Die  Gehörknöehelohen  Hammer  und 
Ambofi  der  Säugetiere  sind  bis  zu  einem  gewissen  EntwicUtmgs- 
Stadium  des  Embryos  Teile  des  noch  knorpeligen  Unterkiefers.  Dieser 
aber  war  vorher  bei  demselben  Embryo  ecSter  Kiemenbogen.  Dieser 
letztere  Zustand  ist  der  dauernde  bei  den  Bundmftulem  (z.  B.  Neun- 
auge), der  erstere  bei  den  Amphibien;  ein  Übergangszustand  besteht 
bei  den  Fischen. 

0.  Ontogvni«  und  Ptiylog«iüe 

Alle  Teile  des  tierischen  und  pflanzlichei!  Körpers  höherer  Ent- 
wicklung zeigen  im  Verlaufe  ihrer  Entstehung  von  einfachen  Zellen 
aus  ^eichsinnige  Metamorphosen  wie  Auge  und  Gehörknöchel  der 
Wirbeltiere  bezw.  Saugetiere.  Solche  Reihen  von  Umwandlungen 
möglichst  lückenlos  von  ihren  Anfangen  bis  zu  einem  liestirninten 
Endgliede  darstellen,  heißt,  den  kausalen  Zusammenhang  zeigen. 
Diese  ilethode  ist  die  vollkommenste  Form  des  Natur- 
erklärens. 

Beobachtung  und  Vergleich  ergeben  —  wie  das  Beispiel  vom 
Obre  deutlich  zeigt  —  zwei  Reihen  von  Metamorphosen: 

1.  die  ontogenetische,  d.  h.  die  Umwandlungen  eines  be- 
stimmten Lebewesens  von  der  Eizelle  bis  zu  seinem  Dauerzustand 
(Zoologie  u.  Botanik); 


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326 


AnfUttM 


2.  die  phylogenetische,  d.  h.  die  Entwicklung  des  gesamten 
Tier-  und  Pflanzenreiches,  die  zu  den  Klassen,  Ordniing^  und  Arten 
der  Gegenwart  geführt  hat  (Paläontologie). 

Beide  Reihen,  die  ontogenetische  und  die  phylogenetische,  sind 
^eich  bedeutungSToll  für  die  Erid&ning  eines  Lebewesens  oder  dnes 
Oiganes  desselben. 

Ans  alledem  ergibt  sich  aber,  dafi  das  gegenwärtige  Welt- 
bild nur  erklärt  und  yerstanden  werden  kann  auf  Grund 
seiner  Sntstehungsgeschichte. 

6.  Die  Biologie,  ein  Zweig  der  Kultargeschichte  der  Natur 

Die  physikalischen  und  chemischen  Verhältnisse  der  Erde  und 
deren  Beeinflussung  durch  die  Sonne  sind  die  allein  nachweisbaren 
Erzeuger  und  Gesetzgeber  des  Lebens  auf  der  Erde.  Beide  sind  in 
einem  langsamen  Erkaltungsprozeß  he^niffen.  der  einei'seits  die  ge- 
samte Lebensenergie  liefert,  aiuirerseits  die  Existenzbedinf^ungen  füi 
die  Organismen  beständig  langsam  verändert.  Während  iiifulge  davon 
die  Geschlechter  mit  mangelnder  Anpassungsfähigkeit  sowie  du:  der 
Entartung  verfallenen  ausstarben,  entstanden  aus  den  zur  Variation 
neigenden  Arten  durch  Veränderung  einzelner  Organe  immer  neue 
Formen.  Unter  diesen  hatten  nur  die  den  veränderten  Verhältnissen 
entsprechenden  Bestand.  Die  Arten  der  Lebewesen  erscheinen  somit 
als  das  Produkt  einer  gesetzmäßig  schaffenden  Natur,  und  man  kann 
in  diesem  Sinne  von  einer  Kulturarbeit  der  Natur  reden.  Der 
Verlauf  und  die  Gesetze  derselben  bilden  die  Kulturgeschichte 
der  Natur.  Die  Biologie  ist  ein  wesentlicher  Zweig  derselben. 

7.  Biologischer  Unterricht  und  kulturhistoriBche  Sttifen 

Aus  alledem  geht,  hervor,  daß  die  klarsten  und  am  meisten  ver- 
tieften Anschauungen  nur  ein  saldier  biologischer  Unterricht  geben 
kann,  der  dem  Schaffensgange  der  Natur  folgt  und  die  kausalen  Be- 
ziehungen in  historiscli -systematischer  Reüionfolge  darlegt  Der  Be- 
'  griff  t Systematisch«  bezieht  sich  hier  auf  das  methodologische  Prinzip, 
daß  immer  das  vorhergehende  Einfachere  die  apperzipierenden  Vor- 
stellungen für  das  naclifolgende  Verwickeitere  liefere.  Die  Befolgung 
dieses  Grundsatzes  fillirt  in  letzter  Linie  auf  die  wesentlichen  Züge 
dos  natürlichen  Systems  der  Lebewesen.  Dies,  ist  ein  Beweis  für 
seine  Richtigkeit;  denn  die  Natur  selbst  schafft  nach  diesem  Plane. 

Für  die  Ordnung  des  Lehrplanes  folgt  daraus,  daß  das 
didaktische  Grundgeset»  von  den  kulturhistorischen  Stufen 
auch  für  den  biologischen  Unterricht  das  einzige  natur- 
gemäße ist  und  somit  unumschränkte  Geltung  hat 


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Ptankbuxl:  Leitsätze  für  den  biologifichea  Unterricht 


327 


8.  KattarlitotoriMlM  Btaftn  und  Zögling 

Der  TTnterricht  hat  aber  nicht  nur  den  Lehrstoff  ziini  Gegen- 
stand, sondern  auch  den  Zögling.  Dieser  ist  selbst  der  Entwicklung 
unterworfen,  woraus  für  die  Ordnung  des  Lehrplanes  ein  zweites 
Prinzip  entspringt,  nämlich  das  psychogenetische  Grundgesetz: 
Der  einzelne  Mensch  wiederholt  im,  Verlaufe  seiner  Ent- 
wicklung kurz  die  Hauptzüge  der  psychischen  Bntwick- 
lang  der  Menschheit 

Das  psychische  Leben  des  Einzelwesens  hebt  an  mit  dem  Selb- 
ständigwerden der  nervösen  Zentralorgane,  d.  h«  mit  der 
leiblichen  Lostrennnng  von  der  Mutter.  £s  erhebt  sich  ans  einer 
gSnzlioh  ichiosen  Zeit  allmählich  bis  zum  klaren  Ichbewußtsein. 
Von  hier  aus  schreitet  es  durch  Kindheit  und  Jugendseit  der  y ollen 
Mündigkeit  entgegen. 

Dementsprechend  sind  die  psychischen  Yoigfinge  zu  Anfang  sehr 
einfacher  Art  Die  Beisempfib^chkeit  der  Sinnesorgane  und  die 
Beattionsflthigkeit  der  zentralen  Gan^enzellen  sind  ftußerst  gering, 
weil  diese  Gewebselemente  noch  unfertig  sind.  Nur  sehr  starke 
physikaUscbe  oder  chemische  Beize  TormOgen  die  Empfindungsschwelie 
Ba  überschreiten. 

Mit  der  zunehmenden  anatomischen  und  physiologischen  Aus- 
reifung beginnt  ein  der  Beobachtung  zugiingliches  Torstellungsleben. 
Bs  erscheinen  zunächst  zusammenhangslose  Erinnerungsbilder,  die 
Ton  starken  oder  oft  wiederiiolten  Sinneseindrücken  herrühren.  Als 
Ursache  der  Assoziationen  macht  sich  zuerst  die  Ähnlich- 
keit der  Beize  geltend. 

Alhnählicfa  Termag  die  Psyche  auch  auf  sinnliche  Eindrücke 
mitflerer  Stttrke  zu  antworten,  Üs  schliefilich  selbst  schwache  Beize 
die  Empfind ungsschweUe  überschreiten.  Je  mehr  dieser  Prozeß  fort- 
schreitet, um  so  mehr  ist  die  FSyche  im  stände,  auch  zusanmien- 
hängende  Beihen  aufEU&ssen  und  innerhalb  derselben  durch  die  er- 
kannten Einzelheiten  den  kausalen  Znsammenhang  herzustellen.  Die 
zeitliche  Assoziation,  d.  i  das  psychogenetische  Grundprinzip 
der  geschichtlidien  Darstellung,  ist  somit  die  spätere. 

Je  mehr  mit  zunehmender  körperlicher  Reife  das  gesetzmäßige 
Spiel  der  Reproduktionen  und  Assoziationen  ein  von  den  sinnlichen 
Eindrücken  unabhängiges  psychisches  Leben  mit  einer  zentralen  Ich- 
vorstellung entstehen  läßt,  um  so  mehr  Zusammenhang  kommt  unter 
die  psychischen  Elemente.  Komplexe  und  Reihen.  Die  geistige 
Beife  bedeutet  im  formalen  Sinne:  die  relativ  vollendete  asso- 


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328 


AnfB&tse 


ziatiye  Darohbildung  der  Psyche,  welche  nunmehr  ein 
sentralisiertee  einheitliches  Ganze  darstellt 

9»  FianJUtantwieklaiiff  d«r  bto]ogiBob«n  Wlseanaqiutt 

Parallel  zu  dieser  kurz  umrissenen  Psychogenese  des  Indin- 
dumns  ist  der  Entfaltong^gaog  der  Mologischen  Wissenschaft  tot- 
laufen. 

Der  ichlosen  Zeit  des  IndiTiduums  entspricht  die 
Periode  der  absieht-  und  systemlosen  Urbeobaohtang.  Sie 
hat  zwischen  organisierten  und  nichtorganisierfcen  Dingen  keinea 
Unterschied  gemacht,  wie  auch  das  kleine  Kind  seine  Spielgeiile  Hbr 
beseelt  hält 

Dem  erwachenden  Ichbewußtsein  des  Individuams  ent- 
spricht die  Periode  der  ersten  bewußten  Abgrenzung  des 
biologischen  Gebietes  gegen  die  »tote«  Natur.  Dies  hatte 
zur  Folge  eine  einseitige,  spezialisierte,  systematische  Beobachtong 
der  Lebewesen,  soweit  dieselben  sinnfällige  Merkmaie  an  sich  hatten. 
Das  Ergebnis  dieser  Arbeit  bestand  im  wesentlichen  in  der  Zusammen- 
stellong  dw  fihnlichen  Fonnen  zu  Gruppen,  und  der  Gruppen  nach 
ihrem  Ähnlichkeitsgrade  zu  einem  Systeme. 

Der  Periode  der  Vertiefung  der  rohen  Vorstellungs- 
reihen durch  die  Beobachtung  auch  der  feineren  Merkmale 
und  Vorgänge,  die  zur  Erkennung  kausaler  Beziehungen  und  der 
schließlichen  Zentralisation  derselben  führen,  entspricht  in  der 
Biologie  die  Entdeckung  der  nicht  aiigenf älli^^en,  ja  der 
Makroskopie  verborgenen  Dingo  und  Veränderungen.  Dieser 
Teil  der  Forschung  hat  endlich  zur  Aufliellung  der  inneren  Ver- 
wandtschaft der  Lebewesen  und  zur  Aufrichtung  des  historisch- 
kausalen Lehrgebäudes  geführt.  So  ist  der  zälileuden  und  niesseuden 
Einzelbeobachtung  eine  zusammenhängende  (beschichte  der  lebendigen 
Natur  entsprungen. 

10.  IMe  natflrliofaen  Stufen  des  Mologisohen  UnterriohteB 

Der  biologische  Unterricht,  auch  wenn  er  sich  nicht  auf  die 
ganze  Entwicklungszeit  des  jugendlichen  Menschen  ersti'eckoü  kann, 
muß  diese  parallelen  Entwicklungsstufen  der  Psyche  einerseits  und 
der  Wissenschaft  andrerseits  beachten.  Sie  bezeichnen  den  einzigen 
vorhandenen  naturgemäßen  Weg,  der  zum  Verständnis  der  Einzel-  ^ 
wesen  und  schließlich  des  Ganzen  führt. 

Die  Zeit  der  unwillkürlichen  und  systemlosen  Beobachtung  und 
Sammlung  der  sinniäiligsten  Eisckeinungen  ohne  Unteisdued  iaU^ 


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TfA/mmL:  Leitsätze  für  den  biologischen  Unterricht 


329 


größtenteils  in  das  vorschulpflichtige  Alter.  Sie  findet  ihren  Abschluß 
in  den  ersten  Schuljahren.  Ohne  den  £influß  des  Unteirichtes  würde 
a»  weit  länger  dauern. 

Alsdann  folgt  die  Periode  des  ersten  selbständigen  •  biologischen 
Unterrichtes,  die  Parallelstufe  des  jugendlichen,  noch  unmündigen 
Ichbewußtseins.  Die  Beobachtung  ist  noch  rein  makroskopisch,  aber 
sachlich  sich  vertiefend,  so  daß  aus  den  Ähnlicbkeits-  und  Zeitasso- 
oationen  die  Hauptzüge  des  natürlichen  Systems  und  die  Prinzipien 
der  örtlichen  Lebensgemeinschaften  gewonnen  werden. 

Die  Oberstufe  ist  berufen,  auch  die  jenseits  der  ein&chen  sinn- 
lichen Wahmehmbaikeit  liegenden  Dinge  und  Erscheinungen  mit  in 
den  Kreis  der  Beobachtung  £u  ziehen,  namentlich  mit  Hilfe  des 
Hikroskopes.  Auf  diese  Weise  werden  störende  Lücken  in  den. 
makroskopiscb  gewonnenen  Gruppen  und  Reihen  der  YorsteUungen 
ausgefüllt  Die  Hauptzüge  des  kausalen  Zusammenhanges  werden 
deutlich.  Der  große  Oedanke  von  der  Einheit  des  organischen  Lebens 
auf  der  Erde  leuchtet  hervor.  Nur  insofern  diese  Lehrstufe,  d.  L 
die  der  Einführung  in  das  Verständnis  des  Naturganzen  in 
Betracht  kommen  kann,  ist  der  Lehrgang  auf  genetischer  Grund- 
lage am  Platze.  Ja,  er  ist  alsdann,  wie  oben  (§g  4 — 7)  gezeigt, 
der  einzige  pädagogisch  mögliche,  indem  er,  dem  Wege  der 
Natur  folgend,  auf  die  kürzeste  und  sicherste  Weise  zum 
Ziele  führt  1)  Oofaloß  folgt) 


')  Yeigl  Basxuh  ScBMmr,  »Ein  Beitiag  mi  Bebandliiiig  der  wirbeUoBOD  Tiere,« 
in  ÜDterriohteUltter  fttr  Math.  u.  Natorw.  1901.  —  0.  Pfannstirl,  »Der  InoL  Lehr- 
plan auf  genet.  Grundlage,«  in  Natar  iL  Schule,  III,  253  ff.  —  J.  RrsKA,  »Die 
Wirbeltiere,«  Stattirart.  Vorl.  von  Nä^rMe.  —  A.  \.\sr,,  »Zum  Programm  des  zool. 
and  anthropol.  rntfriii  hts  an  den  oberen  Mittelschulen, Vortrag  auf  der  Züricher 
Schulsyaode  19ü3.  —  Tknkhoff,  »Zum  zool.  Unterricht,«  Ö5.  Jahresber.  d.  K.  0. 
Pieodorianmn  ni  Paderborn  1880. 


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1.  Sache  nnd  Angelegenheit 

Ein  Überblick  über  die  logikalischon  Probleme.    Von  Dr.  Ernst  Friedrick  za 

Stolp  in  Pommern. 

Schon  die  Vergleichung  sinnverwandter  Wörter  in  Büchern  der  Syno- 
symik  weist  manchmal  auf  den  Unterschied  zwischen  Sache  (chrema)  und 
Angelegenlieit  (metema)  hin.  Da  ^rerden  bisweOfln  reiDsaoMiche  imd  aoge- 
legentliohe  BeoenniiDgeii  aaseiiiaDder  gehalten.  Entere  deuten  auf  allee 
hin,  was  Dasein  hat,  besondere  ab  ein  Staok  imLaofeder  Welt  besteht 
oder  geschieht;  letztere  dagegen  deuten  auf  einen  Gegenstand  der  Sorge 
hin,  wolchor  obon  die  Seelen  lebendiger  Wesen,  auch  den  lieben  Gott  be- 
schäftigt. ;  Nötig  und  überflüssig«  z.  B.  sind  reinsaehliche  Benennungen 
(hajilüchrematibche  Vokabeln),  »erforderlich  und  entbelirlich*  aber  antre- 
legentliche  Bcneouuugen  (melematische  Vokabeln)  derselben  Gegeusati- 
glieder.  »HOglioh  und  notwendige  sind  reinsachliche  Beiwörter,  aber  >^enk- 
bar,  tunlicfa  nnd  unausweichlich,  unvenneidlichc  angelogentlicihe  Behrttrler. 
Ebenso  unteraoheiden  sich:  widitig  und  beMohtlich,  grofiartig  und  be- 
wundernswert, erklecklich  und  ansehnlich,  genOgend  und  befriedigend,  miß- 
raten und  erbärmlich,  Zweck  und  Absicht,  Betreff  und  Hinsicht,  geschehen 
und  sieh  ereignen,  Begegnis  und  Vorfall,  Eigenheit  und  Merkmal,  Tatsache 
und  Wahrheit,  Gesetz  und  Grundsatz,  machen  und  handeln,  dasein  und 
vorliandeu  sein,  allerlei  und  allerhand,  jeder  einzige  und  jeder  beliebige, 
ebendasselbe  nnd  das  nämliche,  verschieden  uud  unterscheidbar,  zufäUig 
und  von  ungefähr,  Unwesen  und  Leidwesen,  »Gelbflhiend«  unfOgUoh  und 
statthafte  sind  haplochrematisohe  VokabeUi,  aber  »befohlen,  wboten  und 
erlaubt«  melematische  Vokabeln.  tOedeihlich  und  verderbliche  sbd  rein- 
sachliche Benennuogen,  aber  »erquüdEsod  und  Ubel  tutichtendc  angelegent- 
liche Benennungen. 

Logiker  oder  Vernuuftlehrer  nun  tun  wohl  daran,  die  Vernunft  der 
Sache,  die  denkende  Vernunft  und  den  Gemeingeist  aller  Gelehrten  zu 
unterscheiden.     Denn  die  ontologische  Tendenz  der  realen  Logik,  die 


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1.  Sache  und  Angelegeuhttit 


3 


p^yoliologiBche  Tendenz  der  formalen  Logik  und  die  methodologische  Ten- 
denz der  induktiven  Logik  gehen  auseinander.  Offenbar  Bind  Sach- 
verminft.  Denken  und  Kundigkeit  Untersuchungs- Vorlagen,  welche 
zwar  ziisaramenhängeD,  jedoch  ihres  abweichenden  Irjlialtes  wegen  auch 
einer  abgesonderten  Fassung  und  Erforschung  Ixjchirfen.  So  stellen  sich 
denn  Sachvernunftwissenscbaft,  Donkungstheorie  und  Xundigkeitslehre  als 
3  diBpante  Beginnen  in  der  Geesmtwiaeensohaft  dar.  loh  habe  sie  so  be- 
feiohnet  in  meinem  Werk:  »Beitrige  zur  Forderung  der  Logik,  NoOtik  und 
Wisseaschaftslehre«,  Leipzig  1864.  Der  Doktrintitel  »Noötikc  fQr  die 
Theorie  des  Denkens  war  längst  bekannt;  ich  schlug  dort  noch  Utar  die 
Wissenschaft  von  der  Sachvernunft  den  Doktrintitel  »Taonomik«  vor, 
d.  h.  "Wissenschaft  vom  Gesetztuni  des  Laufes  der  Welt,  weil  chinesische 
Philosophen  den  Weltkuf  Tao  =  Großweg  nennen,  und  für  die  Lehre  von 
der  Knndigkeit  den  Doktrintitel  »Idmik«,  weil  das  griechische  Hauptwort 
idme  Kenntnis,  Kunde  bedeutet  Hier  will  ich,  kurz  gesagt,  taonomische, 
noetiBche  und  idmiscdie  Probleme  sondern,  jedooh  dabei  nur  die  Namen  der 
HanptBtfloke  angeben,  was  wohl  zum  Oberblick  Ober  die  Vorlagen  ge« 
ndg^on  wird. 

Die  ontologischen  Kategori*  en  Prädikamente  oder  Aussagepunkte  sind 
leineachliche  Benennungen  und  bedeuten  nicht  Eigenm?lchte ,  sondern 
Wesenheiten,  welche  weder  dem  Xaturgebiet,  noch  dem  Geistgebiet  ange- 
hören uud  doch  beiden  zugleich  innewohnen,  immanente  Entitäton.  Die 
allmählich  anschwellende  Reihe  solcher  Wesenheiten  von  der  einfachsten 
bis  lEur  mwickeltsten  zu  entdecken  und  darzustellen,  ist  Aufgabe  der 
Taonoroik  oder  Sachvemunftwissensobaft  (sdentia  de  ratione  guebus  remm). 
Die  KatBgorieen  der  realen  Logik  sind  riso  der  KOrperwelt  und  der  Per- 
sonen weit  gemdnaam  und  keinem  der  beiden  Oelnete  eigentümlich;  darum 
habe  ich  sie  kom mnn-neutrale  Prädikamcnte  genannt.  Ihre  sillmählich 
anschwellende  Reihe  beginnt  mit  der  Beschaffenheit  (Qualität)  \md  endet 
mit  dem  All  (Universum).  An  die  Beschaffenheit  reihen  sich  zunliclist 
Großheit  (Quantität)  und  Maß  (Moduius),  fernerhin  Wesensgrund,  Erschei- 
nung und  Wirklichkeit,  sodann  Behuf,  Werkzeug  und  Erzielung,  hierauf 
Ding,  YeriiUtnis  und  Vorgang,  auch  Btwas,  Stattfinden  und  Stelle,  end- 
lich Erzanfuig  (Bealprinzip),  Verfolg  (Konteztsequel)  und  AU.  Damit  habe 
ich  aber  Uofi  gleichsam  die  Spitzen  gestreift;  denn  eine  Menge  ontologischer 
Kategorieen,  zu  denen  auch  die  im  Eingang  erwähnten  gehören,  umgibt  die 
soeben  horvorgehobenen  Entitäten.  Näheres  findet  man  darüber  in  meinem 
oben  angeführten  Werk,  S.  280  bis  405.  Dem  chinesischen  Hauj>twort 
Tao  entspricht  der  deutsche  Ausdiuck:  Lauf  der  Welt,  der  lateinische: 
cursus  rerura,  der  französische:  le  cours  des  choses  oder  auch:  le  rapport 
entre  tous  les  objets  =  das  Einvernehmea  unter  allen  Qegenst&nden 
und  der  neben wMiche  Ausdruck  im  Englischen:  of  coursee=wie  es  der 
WeK  Lauf  mit  sieh  bringt,  oder  auch:  wie  es  das  Einvernehmen  im 
groBen  Weltgetüromel  mit  sich  bringt,  der  Rapport  im  megakosmiselien 
Homados.  Das  ist  die  Vernunft  der  Sache,  die  unpersOnliobe  Vernunft, 
la  raison  impersonnelle. 

Dagegen  sind  die  psychologischen  und  die  methodologischen  Kate- 


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332 


MitteiloDgen 


gorieen  angelegentliche  Benennungen,  weil  sie  in  der  Gemütskunde  (Aniini- 
prudeaz)  und  in  der  Kundigkeitslehre  (doctrina  gnahtatis)  ihre  Heimat 
haben,  mithin  'Wesenheiten  des  Geistgebietes  oder  der  Personenwelt  be- 
deuteD. 

VaB  nnn  die  Nofitik  oder  Theorie  dee  Deokeas  (theoria  oogitandi)  be- 
trifft, BO  ist  sie  unstreitig  ein  Teil  der  Psychologie  und  zwar  dci-jenige, 
welcher  den  betrachtenden  Geist  als  Verstand,  Bedacht  und  Zaaamt- 
bot  rächt  darzustellen  hat.  Intellekt,  Konsideranii  und  Spekulation  sind 
Funktionen  des  kontemplativen  Nous.  Was  diese  Verrichtungeu  zu  stanäe 
bringen,  das  sind:  Begriffe,  Urteile,  Schlußfolgerungen  u n d  Über- 
denkungen; soll  fehlerhaftes  Denken  vermieden  werden,  dann  müSv-eü 
alle  4  Gebilde  den  Gronds&tzen  des  richtigen  Denkens  Rechnung  trageo. 
Die  Eategorieen  der  formalen  Logik  lauten  daher:  Denkgesetz  (noma 
oogitandi),  Begriff  (notio),  ürteü  (jndidnniX  Schloßfolgening  (illatio  vd 
inferentia)  und  Oberdenken  (synkephalaeoeiasssccnicapitulatio).  Unter  einen 
»Überdenken«  verstehen  wir  eine  Zusammenfassung  der  Hauptpunkte  von 
Gedankengruppen.  Mithin  umfaßt  dio  Xor-tik  außer  Eif>rtening  der  Funk- 
tionen des  kontemplativen  Nous  5  Kapitel,  nämlich:  OithouoStik,  Eunoßtik, 
Dianoi'tik,  Syllogiötik  und  Synkephaläotik. 

Das  richtige  Denken  eines  sich  selbst  überlassenen  Gemütes  schQtit 
aber  nicht  vor  Irrtum,  Tänschung  und  Wahn;  die  denkende  Vernunft  eine* 
Menschen  (ratio  oogitana)  ist  nicht  unfehlbar.  Wenn  er  sich  dagegen  ym 
Gemeingeist  aller  Gelehrten,  wddien  ich  kurzweg  Kundigkeh  nenne^  teilen 
läßt,  dann  wird  er  die  Walirheit  nicht  so  leicht  verfehlen.  Denn  der 
wahrheitsheflisseno  Gemeingeist  versteht  sich  auf  die  Kunst  des  Wis- 
sens und  beaclitot  die  Geschichte  der  Wissenschaften.  Die  Kunditrkeit 
ist  eine  «"ffentliche  Angelegenheit  (melema  publicum),  wie  Sittlichkeit,  l^o- 
habigkeit,  Sinnigkeit  und  Frömmigkeit.  Hier  kommt  es  darauf  au,  die 
Idee  des  Wahren  zu  realisieren;  dort  kommt  es  darauf  an,  die  Ide^  des 
Guten,  der  Glflcksioherung,  des  SchOnen  und  der  Heiligung  zu  realisieren, 
ffier  haben  wir  es  nur  mit  einer  von  den  5  Humamtita-Ideen  zu  toi. 
Methodologie  nun  heißt  die  Lehre  von  den  Veiiahrungsweisen  zur  Selbst- 
überzengung  und  Nächsten Qberzeugimg,  in  weldien  IfethodMi  eben  die  Kirnst 
des  Wissens  Itosteht.  Um  die  Selbst uberzeugimg  zu  gewinnen,  ra(l.«seD 
wir  uns  vergewissern,  enttäuschen  und  foi-schen  ;  um  die  Näehstenüberzeugung 
fertig  zu  bekommen,  müssen  wir  beweisknlftige  Grundsätze  aufstellen^ 
unsere  Mitmenschen  tiberführen  und  Lehrgebäu  liefern.  Dies  sind  die 
methodologisdien  Eategorieen;  aber  die  induktive  Logik  d.  h.  die  sor 
Kundigkeit  anleitende  Yemunftlehre  geht  noch  wter,  mdem  sie  aoUieft» 
lieh  mit  allen  Wissenschaften  und  mit  deren  Qesdiichte  obenhin  Tettraot 
macht.  Denn  in  der  Idmik  oder  Kundigkeitslehre  (doctrina  gnaritatis) 
handelt  es  sich  überhaupt  um  Erwerbung  und  Mitteilung  der 
Kenntnisse,  folglich  nicht  bloß  um  Wißkunst,  sondern  auch  um  Wissen- 
schaften, welche  ja  doch  eben  Schätze  von  Kenntnissen  als  Gemeingnt  der 
Mensdiheit  enthalten.  Die  Idmik  umfaßt  daher  3  Disziplinen,  nämlich: 
1.  Aletliiologie  oder  Wahrheitslehre  mit  den  Kategorieen:  Gewißheit,  Irrtum 
und  Foraohung.  —  2.  Apodeiktik  oder  BeireiafUiningaiehie  mit  den  Eete- 


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2.  Ein  Kapitel  xur  Enieiiaiig  auf  den  höheien  Sotmlen 


333 


fwieen:  Gnindsatz,  Überführung  und  Lehrgebäu.  —  3.  Epistemik  oder 
"Wissenschaftskunde  d.  h.  Encyklopädie  und  Historiographie  der  Lehrfächer, 
beides  zur  allgemeineQ  wissenschaftlichen  Bildung.  Konversations-Lexika, 
was  sind  sie  anderes,  als  Lehrbücher  der  Epistemik  iu  alphabetischer 
Beihenfolge?  Wir  werden  der  Wahrheit  habhaft,  wenn  wir  aus  3  Erkenntni»- 
qaeDen  schöpfen;  sie  hdfien:  Erleben,  Erdenken  und  Erlernen;  ge- 
wOhnlieh  nennt  man  sie:  Empirie,  Spefailation  nnd  Tndiüon  d.  h.  EMah- 
nmg,  Hatterwits  und  Überlieferung.  Jeder  tüchtige  Forscher  erstrebt 
g^nseitige  Bewährung  zwischen  den  Ausflüssen  aller  3  Erkenntnisquellen; 
Tomehmlich  muß  das  Ergebnis  der  Schlußfolgerung  dusch  das  Ergebnis 
der  Beobachtung  bestätigt  werden  nach  der  Versregel: 

Erfahrung  und  Ziisamtbetracht. 
Wo  beide  eins,  da  Wissensmacht 
Das  richtige  Denlran  eines  sidi  selbst  Uberiassenen  Gemtttes  kann 
leidit  die  Wahrhdt  Terfshlen;  daher  mnfi  sich  jeder  Denker  Gewißheit 
darüber  TSischalfen,  ob  seine  Urteile  mit  der  Erfahrung  übereinstimmen. 
Ist  sein  Ansatz  falsch,  dann  wird  sooh  das  Eigebnis  seiner  scharfsinnigstsn 
Anareofanoog  ein  falsches  sein.  — 


2.  Ein  Kapitel  zur  Erziehnng  auf  den  höheren  Scholen 

Von  Oberlehrer  Dr.  Willibald  Kiatt,  StegUtz-Bedin 

Im  aUgemeinen  soll  die  Schule  kein  Kampfplatz  sein.  Den  Tages- 
fragen entrückt,  soll  sie  die  gesicherten  Elemente  der  Hauptwissenschaften 
der  Jupend  übermitteln,  und  oft  wird  sie  ihr  mit  Bewußtsein  manches 
▼orenthalten,  was  die  »neuesten  Forschungen«  bringen,  eben  weil  sie  auf 
der  Vergangenheit,  auf  dem  Historischen  im  weitesten  Sinne  des  Wortes 
fußt  Aber  die  erweiterte  Teilnahme  unseres  Volkes  au  deu  Welthäudeln, 
die  IndostriaHsierang  DeatsohlandSf  die  Forladiritte  der  Natorwissenachalten 
und  die  Notwendigkeit  ihrer  Kenntnis  fOr  nniSblige  Bemfsarten  haben 
BchoD  längst  daffir  gesorgt,  daB  die  hShere  Schule  immer  mehr  den  An- 
forderungen der  Gegenwart  gerecht  zu  werden  suchen  muA»  nnd  ihr  Lehr- 
plan ist  heute  übervollgepfropft  mit  allen  möglichen  Dingen,  die  die  alte 
Lateinschule  nicht  gekannt  hat.  Und  wenn  auch  der  Kampf  um  den  ^^'ert 
der  verschiedenen  Schulgattungen  durch  Einfühnmg  der  Gleichberechtigung 
an  Schärfe  verloren  und  die  Zahl  der  Mitkämj>fer  aus  der  Laienwelt 
wesentlich  abgenommen  hat,  so  ergibt  sich  doch  die  Notwendigkeit  neuer 
Kämpfe  soboo  ans  der  blofien  Tatsache,  dafi  das  Gebiet  des  Wissenswerten 
sich  liglieh  enreitert  nnd  msn  immer  wieder  yerlangsn  wird,  die  höhere 
Schale  solle  ihren  ZOglingen  einen  Grad  von  »allgemeiner«  Bildung  ins 
Leben  mitgeben,  die  ihnen  den  Eintritt  in  jedes  Fachstudium  ermöglicht, 
map  auch  fQr  die  Gelt>lirton  das  Ideal  der  allgemeinen  Bildung  längst  ein 
unem-eichltarcs  Phantom  gewoixlen  sein.  Trotzdem  also  der  Lehrplan  der 
höheren  Schule  schon  längst  einem  vollgepfropften  Sacke  ploiclit,  m  fordert 
nian  doch  mit  Kecht  von  verschiedenen  Seiten,  daß  in  ihm  noch  irgeud- 


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334 


Mittailungen 


wie  die  Forderung  einiger  Belehningen  üljor  Hygiene  eingefüg-t  -werden 
soll;  auch  ist  das  ein  Gebiet,  auf  dem  die  Sehlde  einmal  in  der  ange- 
nehmen Lage  wäre,  einen  Sameo  za  streuen,  der  unmittelbar  greifbare 
Frflohte  bei  alleD  tragen  konnte,  die  ihn  gutwillig  aofbihmeD,  ganz  gleich, 
ob  es  im  Hbrigen  begabte  oder  unbegabte  Sohfller  ivtien.  Frälieh  bliebe 
dabei  Tonauasittetzen,  daß  die  »verboi^enen  Miterzieherc ,  d.  h.  die  un- 
kcmtroUierbaren ,  aofierhalb  der  Schule  auf  die  Jugend  einwirkendem  Ein» 
flflsse  nicht  bereits  eine  unheilvolle  Macht  über  sie  gewonnen  haben. 

Aber  gerade  die  Wahrscheinlichkeit,  daß  bei  allen  Schülern  mehr  oder 
minder  stark  solche  verborgenen  Miterzieher  am  Werke  sind,  erschwert 
hier  die  Aufgabe  gewaltig,  macht  sie  allerdings  auch  besonders  reizvolL 
Wie  schwer  und  zugleich  wie  dankbar  sie  ist,  kann  man  sich  am  besten 
an  der  Alkoholfrage  Uannachen,  die  wistieitig  ein  hoehemstea  Stflck 
der  sonalen  IVage  ist,  an  deren  LOsnng  doch  gende  die  ans  der  bfiherai 
Schule  hervorgehenden  Männer  hoffeoüioh  einst  die  tflchtigaten,  fracht- 
barsten Kräfte  liefern  sollen. 

Wie  soll  sich  nun  aber  die  höhere  Schule  zur  Alkoholfrage  stellen? 
Was  kann  sie  tun,  um  Keime  zu  legen,  die  den  kommenden  Geschlechtem 
mehr  und  mehr  zur  Befreiung  von  der  furchtbaren  Sklaverei  des  Alkohols 
verhelfen  sollen? 

Hit  ein  paar  Standen  Hygiene  im  NatudnmdennteRioht  isf  s  aieher 
nioht  getan,  wenn  aaoh  die  Darstellnngen  der  gesunden  Organe  (Leber, 

Herz,  Niere)  neben  den  durch  AlkoholmiBbrauch  entarteten,  sowie  einige 
besonders  erschreckende  statistische  Angaben  gewiß  ihre  Torfibezgehende 
Wirkung  nicht  verfehlen  würden.  Auch  der  Religionsunterricht  wird  nicht 
immer  die  passende  Gelegenheit  bieten;  wollte  man  sie  an  den  Haaren 
herbeiziehen,  so  wäre  die  Gefahr  des  »Salbadems«  nicht  ganz  leicht  zu 
vermeiden,  und  mancher  Schiller  würde  nur  einen  neuen  Beweis  zu  haben 
g^ben,  daß  der  Religionslebrer  eben  »alles«  für  Sünde  erklärt,  auch  das, 
was  der  Vater  und  tausend  andere,  sonst  ganz  >gute€  Menschen  duoh 
ihr  Beispiel  als  baimloa  erweissiL  Lnrneihm  gibt  die  Beligionstande  snoh 
ungezwungen  manchen  Anlaß,  die  Älkohcdsfinde  nnd  ihre  mensdienDnwtlrdigeB 
Folgen  zu  betrachten. 

Fruchtbar  für  unseren  Zweck  könnte  auch  der  Geschichtslehrer  wirken, 
wenn  er,  selbstverständlich  ohne  in  tisum  delphini  die  Geschichte  zu 
fälschen,  an  einzelnen  Persönlichkeiten  und  ganzen  Ständen,  z.  B.  im 
kaiserlichen  Rom,  oder  an  den  durch  Alkoholismus  vernichteten  N^Uur* 
Tfllknn  die  mheerende  Macht  des  Alkohols  su  zeigen  wflßte.  Bei  weitem 
vielseitiger  denke  ich  mir  die  Möglichkeit,  das  dentaohe  Lesebnoli  anf  den 
verschiedenen  Ekssenstofen  diesem  Oedankeii  dienstbar  in  maohen.  Diesen 
verbreitetsten  I^esebücher  enthaltoi  so  viele  Dinge,  für  die  das  Interesse 
mühsam  erkämpft  wonlen  muß,  warum  sollte  nicht  auch  hier  und  da  ein 
packendes  Ivesestück  eingefügt  werden  können,  das  ohne  aufdringlichem 
Moralisieren  in  einer  der  Altersstufe  entsprechenden  Form,  d.  h.  unteu  in 
Gestalt  einer  einfachen  Erzählung  (etwa  in  Roseggers  Art),  weiter  oben  in 
mehr  wiBsenschaftlichem  Cbwande  die  Folgen  des  Alkoholmißbrauchei 
fOr  Leib  wid  Seele^  Vamilienglück,  Staatawohl  recht  eindringlich  darzusteUeo 


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2.  Eia  Kapitel  zur  Erziehung  auf  den  boheien  Sdnihni 


335 


vtUHie.  Ein  geBöhiokter  Leluer  bnmdite  Mi  gewlA  «och  nidit  sn  sdieiieD» 
im  YeilsBfe  der  BespreohoDg  etwa  too  Uhlands  »Glflck  tod  Edenhallc 
oder  von  Heines  »Belsazar«  ein  kraftig-ernstes  Wort  über  jenes  I^aster 
anzubringen,  ja,  er  würde  hier  auch  im  Sinne  der  Dichter  handeln,  da  doch 
in  beiden  Fällen  erst  die  Trunkenheit  den  Frevlem  die  Zunge  löst  und 
den  Mut  zur  I^sterung  gibt.  Selbstverständlich  —  das  kann  nicht  genug 
betont  -werden  —  müssen  die  Schüler  immer  den  Eindruck  liaben,  daß  es 
dem  Lehrer  Ernst  mit  seinen  Bemerkungen  ist;  wer  sich  also  nicht  zu- 
tnnt,  hier  den  richtigen  Ton  za  treffen,  der  sollte  es  lieber  ganz  lassen. 

Und  das  fOhrt  midi  auf  einen  zweiten  Punkt,  der  sehr  wiolitig  ffir 
die  ganze  Angelegenheit  ist,  —  die  Persönlichkeit  des  Lehrern.  ist 
gsviB  nicht  wünschenswert,  daß  man  die  Lehrer  offiziell  kontrolliert  wie 
sie  persönlich  in  Theorie  \md  Praxis  zur  Alkoholfrage  stehen.  Es  ist  auch 
gar  nicht  einmal  nötig,  daß  ein  Lehrer  sich  selbst  durch  Wort  und  Tat 
den  Schülern  als  ein  Muster  absoluter  Enthaltiiamkeit  hinstelle  und  sie  zur 
Nachahmung  auffordere.  Aber  das  ist  selbvstvei-ständhch  zu  verlangen,  daß 
Theorie  und  Praxis  sich  nicht  allzu  stark  widersprechen;  denn  wenn  am 
ibsnd  nadi  dem  Xsiserdiner  oder  gar  auf  SchidausflCIgiMi  hier  nnd  da 
Schfllsr  ihre  Lehrer  Tertranlieh-geringsohltzig  grOAen  oder  siöh  Ober  Enrs- 
Bchwankungen  derer,  die  ihnen  Führer  sein  WoUen,  begründete  Bemerkungen 
erlauben  dtürlen,  dann  ist  noch  nicht  alle.<^  ganz,  wie  es  sein  soll. 

"Wenn  nun  aber,  wie  gesagt,  den  Lehi-cm  zwar  nicht  völlige  Entlialt- 
Bamkeit  um  des  guten  Beispiels  willen,  aber  doch  Vorbildlichkeit  im  Maß- 
halten zugemutet  werden  darf,  so  wii-d  immer  noch  die  Frage  zu  lösen 
sein,  was  die  Schule  tun  soll,  wenn  ihr  bei  einzelneu  Schülern  eine  ge- 
wisse Freundschaft  zum  Alkohol  bekannt  ist  Ganz  machtlos  sind  wir 
Bstfirlieh,  wo  wir  sehen,  wie  Eltem  ihre  halbwfichsigen  Kinder  bis  in  die 
tiefe  Nadit  in  heifieD,  dami^igen  Kneipen  neben  sidi  sttnn  nnd  ein  Olas 
nach  dem  andern  trinken  lassen,  selbst  wenn  wir  die  Schlaffheit  und  Zer- 
streutheit am  nächsten  Tage  mit  aller  Bestimmtheit  auf  diese  Torheiten 
zurückführen  können;  und  wenn  Schüler  gewöhnt  sind,  auf  Spaziergängen 
und  zu  Hause  täglich  mit  ihren  Eltern  Bier  zu  trinken,  so  rauben  wir 
ihnen  einen  großen  Teil  des  Vergnügens,  wenn  wir  es  ihnen  auf  Schul- 
tosflügen  yerbieteo,  natürlich  weniger  durch  die  Eutziehung  des  (Genusses 
als  duoh  das  Yeibot  selbBt  Ter  bieten  wiid  hier  flberhaapt  daa  soUecfateste 
IGttsl  smn  Erfolge  sein,  wenn  AnfUBmng,  freondliofae  Wamnng  nnd  gutes 
Beispiel  keinen  Segen  stiften.  Bis  an  einem  gewissen  Grade  mflssen  wir 
also  den  Verhältnissen  Reohnnng  tragen,  um  so  mehr,  als  ja  bis  jetzt  nur 
ganz  vereinzelt  einmal  zu  einem  geringen  Preise  alkoholfreie  Getränke  zu 
haben  sind  und  wir  auf  Schulausflügen  immer  wieder  von  den  Schülern 
die  Klage  hören  müssen,  es  sei  keine  Milch  mehr  zu  haben,  und  die 
Fruchtwässer  seien  zu  teuer.  Cbrigens  braucht  ja  auch  gar  nicht  immer 
die  Keigung  zum  Alkohol  schuld  zu  sein,  wenn  ein  paar  Sohttler  sidL 
biim  Biere  rasammeofinden,  sondern  yieiieioht  —  nach  gemeinsamem 
Spaziergang  —  nur  Dunt  und  Hftdi^eit,  oder  ein&oh  das  Bedürfois  nach 
Oeseiligkeit.  Und  da  die  Schüler  unserer  Oberklassen  &st  alle  so  alt 
fiind  wie  riete  Ungst  der  Schule  entronnene  junge  Leute  ihrer  Bekannt^ 


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336  Mitteilungen 


Schaft,  so  mu£  es  ihDen  unendlich  hart  erscheinen,  daß  sie  sich  in  der 
Öffentlichkeit  noch  nicht  als  Erwachsene  bewegen  dürfen.  Freilich,  eine 
scharfe  Grenzlinie  wird  die  Schule  immer  ziehen  müssen,  denn  außer 
harmlosen  Wirtshäusern  gibt  es  noch  Orte,  die  sich  gerade  bei  den  jungea 
Hemn  der  »Lebeweltc  grote  Beliebtheit  etbenea  tmd  toq  denen  irir 
imaere  Schüler  unter  allen  Umstanden  fernzuhalten  wünachen  mtaeo. 
Ab&t  sie  ist  auch  sehr  leicht  zu  ziehen :  Geht  mir  an  Orte,  wo  es  an- 
stSndig  heigeht,  und  wo  ihr  euch  vor  den  Augen  euer  Mtam  und  Lehnr 
m<^t  SU  RohSmen  braucht! 

Ganz  anders  ist  es  jedoch  zu  beurteilen,  wenn  Schüler  sich  heimlich 
zu  Verbindungen  nach  studentischem  Muster  zusammentun,  denn  diese 
haben,  soweit  die  Erfahrung  reicht,  immer  nur  dem  Zwecke  gedient,  ödeste 
Kommeotreiterei  und  Wettrinkerei  ku  pflegen;  in  Berlin  und  anderen 
grofien  üniversiUttBalfldteD  kommt  gelegeafUofa  anch  noch  der  Tecsnch  hin- 
sn,  mit  Mütaen  mnd  BRndem  nicht  bloA  im  Sjieiplokal,  aoodern  nneh  anf 
der  StraBe  mid  sonstwo  vor  ünkondigen  za  paradieren.  Auch  Über 
studentisches  Verbindungswesen  denkt  man  heute  glücklicherweiae 
schon  viel  küUer  uud  ablehnender  als  früher,  und  zum  Idealbild  des 
deutschen  Studenten  des  20.  Jahrhunderts  gehört  zwar  hoffentlich  noch 
lange  frisches,  flottes  Wesen,  aber  die  ganze  Bierseligkeit  mit  ihrem 
Stumpfsinn  und  ihrem  merkwürdig  äußerlichen,  unter  der  Wirkung  des 
Alkohols  beeondeis  reizbaren  EhigefOhl  wird  sich  wohl  bald  flberiebt 
haben.  Und  non  sollten  wir  mit  ansehen,  wie  unsere  SdhfUer,  die  vir 
am  liebsten  auch  in  ihrer  künftigen  Studienzeit  vor  diesen  BierduseldeB 
bewahren  möchten,  1 — 2  mal  wöchentlich  nach  solchen  Kneipabenden  schon 
am  frühen  Morgen  apathisch  und  schlaftrunken  erscheinen,  sollten  die  Pflege 
dieses  törichtsten  aller  Ideale,  des  Bierstudentenideals,  nicht  nach  Kräften 
unterbinden,  sollten  die  Mitglieder  solcher  Verbindimgen  nicht  energisch 
zur  Ordnung  rufen  dürfen?  Wieviel  alberne  Äußerungen  gegen  die  rück- 
ständigen Freiheitstöter,  die  Schulphilister  usw.  hat  ein  solches  Vorkommna 
noch  jüngst  in  der  Presse  hervoigerofenl  Der  Humor  der  Qeaohichts  war 
freilich  der,  daß  die  Mehrzahl  der  EUem  ihre  Beetflrzung  und  EntiMug 
über  die  Teilnahme  ihrer  Söhne  an  der  Verbindtmg  und  ihren  warmoa 
Dank  für  die  humane  Beurteilung  dieser  Kinderei  ausgesprochen  haben. 
Wo  bliebe  auch  das  so  oft  erstrebte  Zusammengehen  von  Schule  und  Haus, 
wenn  das  Haus  es  hier  an  Verständnis  fehlen  ließe?  Dabei  also  sollte  es 
bloiben:  Vereinigungen,  die  nur  dem  Bacchus  dienen,  kann  die  Schule  nicht 
dulden.  Dagegen  mag  sie  gestatten,  daß  einzelne,  bestiiumi  namhaft  ge- 
nuusbts^  anständige  Lokale  von  Sohfllem  der  Oberldasssn  bis  zu  einer  gs- 
wissen  Stunde  besucht  werden.  Im  flbrigen  aber  weiden  wir  darauf  nuiea 
müssen,  die  künftigen  Studenten  auf  jede  mögliche  Weise  Aber  die  Schid- 
lichkeit  des  Alkohols  zu  belehren.  Dies  kann  gelegentlich  auch  praktifldi 
geschehen,  z.  B.  da,  wo  längere  Schülerfahrten  in  den  Ferien  unter  Leitung 
von  Lehrern  üblich  sind.  Schweizer  Studenten  haben  vor  einiger  Zeit 
einmal  auf  einer  Watiderfahrt  die  Wirkung  de.s  Alkohols  experimentell 
verfolgt:  ein  Teil  lebte  abstinent,  der  andere  trank,  und  am  nöoiisten  Tage 
wurde  abgewechselt,  während  die  MarschleiatungeD ,  Herztätigkeit  nsw. 


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3.  «Die  neue  Sohnle« 


337 


genau  registriert  wurden.  In  yereinfechter  Form  würde  diese  Methode  auch 
den  Sohulern  einleuchten,  wenn  man  sie  einmal  kneif)on  ließe,  ein  ander- 
mal ihnen  die  Gelegenheit  zum  Biertrinken  den  ganzen  Tag  über  durch 
Vermeidung  der  »Quellen*^  entzöge  und  dieses  Ex]>eriment  mehrfach 
ikiederholte.  Vielleicht  würden  sie  von  selbst  heraueünden,  was  ihnen  au 
einem  Tage  milde  Beine  gegeben  nnd  ikt  Inteiene  fOr  die  Lmdscliaft 
aligeetampft  hat,  irfthreod  sie  am  niofaaten  Tage  »moht  toCsoknegenc 
waren,  ünd  ymaa  auch  die  begleitBnden  Lehrer  mit  gutem  Beiapele  Voran- 
giogen  und  ihren  jungen  Wandergenosaen  aeigteo,  daS  ea  rar  Erzeugong 
von  Stimmung  und  Gemütlichkeit  durchaus  nicht  eines  größeren  Quantums 
Alkohol  bedarf  und  daß  nicht  Bruder  Straubinger,  ja  auch  nicht  einmal 
Viktor  V.  Scheffel  die  höchsten  Muster  des  deutschen  Wanderers  sind,  so 
dürfte  auch  hiervon  mehr  zu  erwarten  sein  als  von  einem  strengen  Para- 
graphen in  der  Schulordnung. 

lütt  alao  mit  dem  gedanhanloeen  Hinnehmen  der  beetehenden  Znatlnde 
imd  Inacbaonngmi,  fort  mit  der  TeriMrriidiang  der  deotaefaen  Trinkfeetig- 
kot!  Biehten  wir  Elternabende  mit  freier  Aussprache  ein,  und  erörtern 
wir  gemeinsam  diesen  und  andere  Punkte  der  Hygiene  des  Schülerlebens! 
Vermehren  wir  die  Zahl  der  Turnfahrten  und  der  Ausflüge  zu  natur- 
wissenschaftlichen, geographischen  oder  ästhetischen  Zwecken!  Begünstigen 
■»ir,  wo  die  Nei^run^  dazu  besteht,  die  Bildung  von  Zusammenkünften  der 
Schüler  (in  Schuii-äumeu),  damit  sie  sich  gegenseitig  kleine  wissenschaft- 
Me^  mmdkaliache  eder  deUamatoiiaohe  Vertilge  halten  oder  mit  TerteUteo 
Böllen  Sceoen  ana  guten  Lost-  nnd  Tranerquelen  einübenl  Dann  inrd 
vieUeioht  daa  heianwaehaeode  Qeaohleoht  mit  anderen,  geefinderen  Idealen 
in  die  Studentenzeit  hineintreten,  als  es  heute  notSi  vielfach  der  Fall  ia^ 
ohne  daß  dabei  Jogendlust  und  fiOhliohkeit  im  geringaten  Einbuße  ra 
leiden  hrsuchen. 


3.  »Die  neue  Schule < 

Bb  Beitrag  zur  Geschichte  der  neuesten  l'uturrichts-  und  Erziehungsmethoden  in 

Fi'atikreich 

Von  P.  Thiry-Vemeuil 

Die  Anagestaltung  des  Schulwesens  in  Frankreich,  im  Gegensatz  zu 
den  modernen  Fordenmgen:  »Fortschritt  und  Ausbildung  des  Individuums«, 
die  in  England  und  Amerika  bereits  so  glänzende  Erfolge  zu  verzeichnen 
haben,  ist  größtenteils  noch  heutzutage  eine  sehr  veraltete  und  rückständige. 
Was  bei  näherer  Betrachtung  unseres  Unterrichts-  und  ISnrf^iuigssystema 
am  meinten  anfBÜlt^  was  geradezu  befremdet,  ist  der  geringe,  dem  körper- 
lichen, geistigen  und  aittlichen  EntwieUnngegange  dea  Kindee  ragewieaene  ^ 
AntdL 

Sehen  vor  einigen  Jahren  gab  sich  in  Fraukrcicli  eine  Widorstands- 
b»e\vcgung  gegen  dieses  alte  Verfahren  kund,  und  in  fachmännischen  Kreisen 
war  iiiciit  seiteu  die  Äußenuig  zu  vernehmen:  *  Warum  könnten  wir  uns 
die  englischen  Erziehungs-,  Untenicht.s-  und  Fortbildungsmcthoden  nicht 

ZflitKhriit  (Or  FhUoaophio  aad  Pldi^(ogil[.  12.  Jahrgang. 


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338 


MitteiloDgen 


aneignen,  insofern  sie  xinserm  nationalen  Charakter,  nnsern  angeborenen 
Freiheits-  und  Selbständigkeitsgefühlen  nicht  widersprechen?  Wanim  wären 
wir  nicht  im  Staude,  uns  jene  wohleriin)bten  Systeme  anzueignen,  die. 
ohne  den  intellektuellen  Entwicklungsprozeß  des  Kindes,  des  Knabeu 
und  des  Jünglings  zu  beontiftchtigen,  demselben  eine  allgemeine  physische, 
intellektueUe  und  moraliaohe  Bildung  anzueignen  vermOgeo,  die  ihn,  eben* 
BQgut  wie  unter  andern  HimmelaBtrichen  geeolneht,  cum  allein  riohtigeB 
Endziel  der  jugendlichen  Tätigkeit,  d.  h.  zum  Kampf  uma  Daaein  vor- 
bereiten (qui  le  fasse  bien  armö  ponr  la  vie)?  — 

Geleitet  von  dieser  Gnmdidee,  die  heutzutage  in  Frankreich  zur  all- 
gemeinen Losung  geworden,  und  die  noch  folgendennaßen  formuliert  werden 
kann :  »laisser  une  i^art  plus  grande  a  l'initiativc  de  l  enfant  et  le  preparer 
k  la  vie«,  hat  ein  in  pädagogischeu  Ki'eisen  vielbekannter  und  um  die 
Sache  der  Einbflrgerung  der  modemsteo  engliaohen  Ernehungsmethoden  ia 
VnxiSmick  hocfavndienter  Denker  und  Söhriftateller,  Herr  Edmond  Demo- 
Ii  ds,  vor  etwa  sechs  Jahren  ein  Buch^)  verÜEJt,  daa  ykü  Aufsehen  e^ 
regte,  das  einem  früher  etachienenen  Werke*)  gezollte  Lob  noch  übertraf,  ja 
dem  Verfasser  einen  geradezu  riesigen  Erfolg  einbrachte.  Ungeachtet  des 
heftigen  Widerspruches,  den  er  bei  den  Anhängern  der  alten  Unterriclits- 
und  Erzieliungsmethodo,  der  sogenannten  »metlKxle  universitaire«,  faul, 
führte  Herr  Demolius  mit  unerschütterlichem  Eifer  und  ungemeiner  Be- 
hairiiofakeit  aeinen  Kampf  gegen  das  morsche,  schablonenhafte  Yocfdina 
weiter,  und  vor  einigen  Jahren  (im  Oktober  1899)  gelang  ea  ihm  endüdi, 
unteratfitst  yon  einer  gr&fieien  Anzahl  von  EunilienTilem,  die  Saofae  Toa 
der  theoretischen  Seite  in  eine  praktische  und  realiatiache  umzugestalten, 
durch  Gründung  einer  unweit  von  Paris,  dem  Brennpunkte  des  geistigen 
Lebens  in  Frankreich  gelegenen  Schule,  die  den  Namen  »Eoole  üouTdlec 
oder  >Ecolo  des  Koches«  erhielt 

Es  mag  nun  vielleicht  auch  für  deutsche  Leserkreise  von  einigon 
Literesse  sein,  diese  Schulorganisation  näher  kennen  zu  lernen;  darom 
mochten  wir  in  kunen  ümriaaen  jenea  hOohat  xntereaaante  SMahoagB- 
experiment^  duroh  Schilderung  «inea  dem  adhSiien  Sehulheime  »lea  Botkm 
abgeatatteten  Beauchee,  dem  gaoeigten  Leaer  genaner  Uadegen.^ 

• 

In  der  Nähe  von  Vemeuil,  einem  in  der  Normandie  gelegenen  Städt- 
chen, vnmle  die  Schule  errichtet  Die  Absicht  bei  der  Wahl  dieser 
Gegend  war  eine  zwiefache:  ea  aoilte  ein  Landerziehungsbeim  gegründet 


Rdmond  Demolins,  L'Ednoation  Nouveile.  L'Eoole  des  Bochm.  Pkrii» 

Firmin-Didot. 

')  Edmond  Demolins,  >A  quoi  tient  la  supöhohte  des  Anglo-SaxöOä?c 
Paria,  Hmün-Didot 

^  Im  Laub  des  Jahna  haft  Herr  Bt  Leroux,  in  einer  lllr  Kinder  be- 

stimmten  volkstümlichen  Zeitaohrift  »le  Jomnal  de  la  Jeonesse«,  eme  f^ibe  Skizzen 
über  die  »Ecole  des  Rochesc  erscheinen,  unter  dem  Titel:  »Une  visite  ä  TEcole  des 
Soohesc.  Diesen  Aofs&tzen  verdanken  wir  den  größten  Teil  dee  Stoffes  zu  onseier 
Arbeit 


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3.  «Die  neue  Sohulec 


339 


werden,  das  ziemlkdi  weit  von  Paris  (etwa  2^/^  Stunden)  gelegen  sei,  um 
den  Nachteilen  vorzubeugen,  welche  die  Nähe  einer  Großstadt  mit  sich 
bringt,  und  umgekehrt  eine  Stätte  gewählt  werden,  die  den  Eltern,  hin- 
sichtlich der  Besuche  ihrer  Kinder,  schoelle  und  leichte  Verkehrsmittel  er- 
möglichen könnte.  Die  Landschaft  ist  reizend  und  naturfrisch  und  bietet 
ia  ihrem  Charakter  ein  abwechselndes  Bild  beider  Regionen  »Beauce  und 
KormaDdie«:  Getreideföhler  mit  WleBeo,  swd  Fiafiohea,  kvn  und  Iton; 
hier  üppige  FiehtenwOlder,  dort  lange  Aplelbttiimereihen:  aUee  dies  verleiht 
der  Landschaft  ein  eigenartiges,  malerisches  Gepräge.  In  jener  weiten^ 
Tom  Seewind  gefegten,  und  dadurch  in  hygienischer  Hinsicht  höchst  ge- 
sunden Ebene,  3  km  weit  vom  StAdtoheo,  erstreckt  sich  das  ca.  50  ha> 
zählende  Gut  >les  Koches«. 

Was  dem  Reisenden  am  meisten  auffällt,  bei  flüchtiger  Besichtigimg 
dieses  Gutes,  ist  die  vollständige  Abwesenheit  jedweder  UmsAunung.  Die 
Hecken,  welche  die  lange  und  breite  Nationalstiaße  Ton  »Paris  nach  Gran- 
TÜle«  abgrensen,  bUden  keineBwegs  eine  fortwlhrende,  nnimtsrbioobene  Ein- 
friedigung: kein  Eintaittstor,  kein  Portal,  kein  Gehege  zeigt  dem  Ein- 
tretenden, daß  er  in  ein  den  ZOglingen  (den  sogenannten  »gar^ons«,  nach 
dem  Englischen  »boys«)  reserviertes  Eigentum  eindringt    Hier  nämlich^ 
ganz  wie  in  England,  herrscht  überall  das  Regiment  der  unumschränkten 
Freiheit,  ohne  jegliche  Schranke,  außer  derjenigen  der  Verantwortlichkeit, 
die  der  Schüler  gegenOer  dem  Lehrer  und  gegenüber  seinem  Gewissen 
f füllen  solL  An  Wochentagen  ist  die  Straße  leer;  keiner  der  150  Knaben^ 
die  odi  mitten  in  der  nahen  Ebene  hemmtammeln,  wagt  sich  auf  diesen. 
Weg;  an  Sonn-  und  Festtagen  hingegen,  bietet  das  muntere  Hin-  und  Her- 
fahren der  Jangen  im  Tomehmen,  praktischen  Radfahrerkostflm  (der  Schul- 
uniform)  ein  ganz  eigentümliches  Bild  dar;  einige  gehen  zu  Fuß,  die 
meisten  fahren  mit  dem  Rad  (kaum  eine  Schule  in  Frankreich  zählt  so 
viele  Faiuräder!),  um  in  dem  nalieliegenden  Yerneuil  ihre  Eltern  abzu- 
holen oder  irgendwelche  Einkäufe  zu  besorgen;  sämtliche  Knaben  haben 
ein  sehr  korrektes  Äußere,  grüßen  freundlich  im  Vorbeigehen  oder  -fahren^ 
und  alles  dies  gesddefat  ohne  iigendwslehe  merkenswerte  Au&ioht  eines 
Lehrers. 

Bsohts,  am  Beginne  eines  Weges,  der  zwischen  einer  Hedkenreihe' 

dahinführt,  tritt  man  in  das  eigentliche  Gut  »lee  Roches« ;  der  grOAte  Teil 
der  Schul baulichkeiten  läßt  sich  bald  mit  einem  Blicke  übersehen.  An 
einem  Abhänge  des  Plateaus  erhebt  sich  ein  räumiges  Gebäude  mit  zwei 
TOrmchen  in  orientalischem  Stil:  es  ist  das  sogenannte  »bätiment  des 
classes«  (the  coUege),  der  Mittelpunkt  des  geistigen  Lebens  der  Schule,, 
der  Ort  des  Zusammenlebens  der  Schüler,  die  sich  hier  alle  einfinden,  um 
gemeinsnhsfüicih  mit  ihren  Lehrern  m  arbeiten,  lu  singen  oder  sn  beiea 
(dem  im  Gebinde  ist  eine  kleine  KapeUe  angebracht  mäen).  Bingsfaerum, 
in  eii^  Entfernung  von  ungefähr  100  m  bezw.  1  km  befinden  sich 
die  verschiedenen  Häuser  (les  maisoDs):  links,  mitten  im  Park  des  alten 
Schlosses  »les  Roches«,  das  Haus  >le  Yallon«;  rechts  »le  Cotean«  und 
*les  Sablons« ;  hinter  letzteren  > les  Pins«,  ein  am  Rand  eines  Fichtenhaines 
liegender  eleganter  Pavillon;  weiter  nördlich,  längs  der  Bahnlinie  »Paris- 

22* 


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340 


lüttaifautgeii 


OianviUe«,  mitten  in  einem  Wäldchen  geborgOD,  »la  Guichadidre«,  ein  Lind- 
gat  des  Gründers  und  Oberleiters  der  Schule,  H.  E.  Demo  lins. 

Jede  dieser  l&ndlichen  Baulichkeiten  bildet  sozusagen  ein  selbständiges 
Ganzes,  einen  vollständigen  Organismus  mit  eigener  Einrichtung  und  Ver- 
waltung, Trotz  seiner  Abhängigkeit  vom  allgemeinen  »reglement  de 
l'öcole«,  besitzt  ein  jedes  von  diesen  Häusern  «eine  Eigentümlichkeiten,  seine 
Traditioueu,  seioen  Korpsgeist.  Der  Vergleich  mit  unsem  alten  Intemata- 
IwbMn,  die  ilixe  ZOgiinge  (alumni)  ins  I^yoeom  sohjohen,  wSre,  mdiwr 
^IVeii,  hier  wohl  nioht  nitreffend,  denn  hier  za  Hmue  ist  das  Peoaonit 
an  einem  angenehmen  Heime  geworden,  wo  die  Knaben  eelten  die  Zthl 
35  oder  30  überschreiten  (was  zur  Folge  hat,  daA  der  >m)gesunden<  Za* 
sammenpferchung  der  Kinder  und  Knaben,  wie  es  die  fiegel  ist,  mit  Er- 
lolg vorgebeugt  wird). 

In  jedem  dieser  »Häuser«  hat  der  Direktor  oder  Leiter  die  Rolle 
eines  selbständigen  Verwalters  inne,  mit  Hilfe  seiner  Gattin.  Seine  Pflicht 
besteht  nämlich  darin,  angesichts  der  ihm  von  den  Eltern  anvertraiitea 
Kinder  die  Stelle  eines  Seelsorgers  und  Pflegevaters  zu  versehen.  Zwar 
ist  diese  Aufgabe  eine  schwere,  verantwortungsvolle,  und  fordert,  seiteoB 
des  Ebepeaies,  eine  unanfhOiliohe  Anfopferong;  denn  sa  jeder  Stmide 
mflseen  »ohef  und  maitresse  de  maison«  den  »gar<7X)nsc  zur  VezfOgm^ 
stehen;  aber  auch  grofie  Befriedigung  kann  die  iBtigkeit  des  Leiters  und 
seuier  Frau  gewähren :  man  bedenke  dabei  nur  der  ausgeübten  wohltuenden 
Einflüsse,  der  erzielten  Fortscliritte  und  guten  Wirkungen  auf  Körper, 
Geist  und  Seele  des  Knaben!  Die  Aufgabe,  fürwahr,  ist  eine  anziehende, 
eine  für  jeden  der  sich  diesem  Beruf  gewachsen  fühlt,  fesselnde;  die 
Arbdt,  unter  solchen  Umständen,  ist  ein  ideales  Werk  förmlicher  Entaagnng, 
bei  weldier  der  Bireiklor  Öfters,  den  »boysc  za  Inebei  snf  sein  msterisDei 
Wohl,  md  die  ihm  nsheBegenden  Eunilienfisudeo  veniohten  soll  und  ver» 
nohten  mußl 

In  jedem  Haus,  wo  zwei  bis  diei  sogeosmite  »professeurs  assistantsc 
dem  Leiter  zur  Seite  und  Verfügung  stehen,  wohnen,  wie  bereits  angedeutet, 

25  bis  30  Schüler,  die  ohne  iVlters-,  Standes-  und  Bekenntnisunterschied 
ein  friedliches  Zusammenleben  fülircn.  Die  ältesten  und  besten,  seit 
mehreren  Jahren  geprüften  und  von  den  verschiedenen  iiausleitern  er- 
wählten Schüler  spielen  im  Hause  die  Rolle  und  bekleiden  die  Würde 
eines  »capitaine«  (Näheres  darüber  weiter  unten). 

In  geseiliger,  froher,  trauter  Gemeinschaft  mit  des  Hausleiters  Famihe, 
leben  8(Mler  ond  Lehrer  mmter,  efCeii  vsA  frei  dm  Momto  huog  xa- 
sammen.  Die  Mshlxeitsn  werden  an  swei  oder  drei  Tafeln  (den  sogenannten 

englischen,  deutschen  und  fraasOeisohen  Tafeln)  eingenommen.  Als  Schlaf- 
säle dienen  helle,  luftige  Bäume,  die  selten  mil  mehr  als  10  besw.  12 

Schülern  belegt  sind.  Die  Aufsicht  über  Schlaf-  sowie  Studierzimmer  liegt 
dem  »capitaine«  ob,  im  Gegensatz  zu  der  Einrichtung  in  den  »lyceos«  und 
»collt-gcs«,  wo  noch  immer  die  öfters  mit  Becht  verschrieenen  und  be- 
rüchtigten »pions«^  das  üegimeut  führen. 

Da  nmi  die  Einfflhmng  der  Capitains-Charge  eine  ganz  spezielle,  neoe, 


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3.  »Di«  neue  Sohule« 


341 


in  Frankraich  nooh  nie  clagewenoiio  ist,  bo  irlien  Tielleicilit  einige  nlhefe 

Bemerkungen  vonnOten. 

Die  Einrichtung  ist  eine  englische,  den  berühmten  »College  wie 
Eton.  Betlales  und  Abbotsholme  entnommene;  sie  beruht  auf  folgendem,  in 
Anwendung  gebrachten  Prinzip.  Einige  ausgewählte,  auf  ihren  physischen, 
inteUektuelleii  Eigenadurften  und  sittlichem  Wandel  l&ogst  streng  geprOfte 
SohlUer,  die  beraitB  mf  ihn  Söhnlkamenden  einen  gewiaeen  momliadieii 
BnflnA  amsQflben  Tennfigm,  kon  und  gut,  kemgeminde,  stzebaune  und 
diarakterfeete  Schüler  sind  ohne  jeden  Zweifel  im  stände,  vermOge  eines 
eigenartigen  »stillen«  Konti-akts,  eine  Art  Suggestion,  eine  Macht  auszuüben^ 
die  ihnen  ermöglicht,  im  Falle  der  Abwesenheit  oder  Krankheit  des  Leiters 
oder  Professors  dessen  Stelle  zu  vertreten.  Ihr  Wirkimgskreis  kann  ein 
vielseitiger  sein,  und  sich,  für  die  ältesten  (die  »capitaines  genßraux«)  nicht 
nur  auf  die  innere  Hausverwaltung,  sondern  auch  auf  die  ganze  Schul- 
oiguuaition  eratredken.  Sei  ee  wihrend  der^reettmea«,  der  Sportsübungeo, 
dei  Aasflüge,  sei  es  im  SpoBe-,  Stadier-  oder  Sehleftwel:  fiberall  kann  ein 
»tttflhtigei«  Capitame  mit  Erfolg  wirken. 

Zwar  stoßt  man,  bei  nur  fiachtigem  Etnblidi  in  diese  Eiorichtong, 
auf  etwas  Seltsames,  Befremdendes.  »Alles  das,  sagen  die  Gegner  der 
Methode,  widerspricht  gänzlich  der  alten,  herkömmlichen,  mütterlichen 
französischen  Erziehungsweise,  »anscheinlich«  auch  den  bereits  angedeuteten 
demokratischen,  freiheitlichen,  gleichheitsdurchdrungenen  Prinzipien,  die  bei 
1108  seit  so  langen  Jahien  die  aonalen  VerhSltnisee  behenschea«  —  Zwar 
bedingt  die  Idee,  imd  am  so  mehr  der  Titel  eines  »capitainsc  eine  Überiegen- 
hflit,  eine  YonugssteUe  Iflr  denjenigen,  irelcfaer  derkl  Amt  nnd  Wltode 
bekleidet:  Der  Titel  räumt  dem  Tßtularen  eine  gewisse  aristokratische- 
Stellung  ein,  die  derjenigen  eines  gewöhnlichen  Schulknabon  nicht  gleicht, 
nicht  entspricht  —  Die  Frage  ist  aber,  unserer  Ansicht  nach,  folgende: 
Soll  es  ein  Nachteil  sein,  daß  die  geistig-  und  sittlichül>orl«  g.  nt  ii  Knaben 
ihren  Schulfreunden  mit  liat  und  Tat  beistehen,  ihnen  behilflich  seien, 
falls  jene  den  guten  Weg  veilassen,  und  auf  Irrwege  gehen,  oder  den 
richtigen  Weg  einsasohlagen  lOgem?  —  Die  Antwort  wird  gewiß  eine 
Tsneinende  sein.  Übrigens,  »in  fMto«,  nach  fOnQBhrigen  El^ierimenteD- 
ist  man  in  der  Schule  »las  Roches«  zu  fdgendem  Resultat  gekommen  r 
Des  Capitains  Eingreifen  in  eines  Schfilers  Handeln  ist  von  allen 
Zöglingen  grundsätzlich  gebilligt  worden  (und  doch  sind  ungefähr  80 '^/q 
derselben  Franzosen!),  ja,  man  darf  sogar  behaupten,  daß  eine  vom 
Capitaine  getroffene  Maßregel  (guter  Rat,  Rüge,  selbst  Strafe  usw.) 
in  der  R^el  ohne  jede  Einwendung  (geschweige  denn  Dag^nsträuben) 
angenommen  wird;  aus  eigener  persOnficiier  dreijähriger  Erhhrong  darf 
Verbsaer  dieser  Zeilen  behaupten,  daB  der  gemaAiegelta  ZOgling  daa  Ein- 
greifen eines  Alteren  Kamemden  in  sein  Oebahren  besser  duldet,  eich 
weniger  sträubt,  wie  wenn  letzteres  von  selten  eines  Lehrers  käme.  AfK^ 
wurde  beol>achtet  daß  die  Knaben  don  Capitaine  sehr  gern  um  Rat  fragen, 
und  umgekehrt  daß  jene  sich  gerne  um  das  materielle,  geistige  imd  sitt- 
liche Wohl  des  Mitschülers  kümmern.  Auch  darf  die  dem  Capitaine  auf- 
erl^te  Rolle  nicht  mit  der  eines  gewöhnlichen  Aufsehers  (surveillant)  Ter- 


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342 


Ifitteilungea 


wechselt  werden;  die  Auffassung  ist  eine  davon  ganz  verschiedene,  viel 
idealere.  Der  Capitaiue  ist  vor  allem  ein  Ratgeber,  ein  Führer;  falls  er 
«inschreiten  muß,  so  geschieht  das  nicht  durch  großes  Schelten  und  Toben, 
soDdern  durch  ein  paar  rahige  Worte,  durch  eine  gesetste  und  zagleiG]i 
kameradüdie  AnftnuDterang  zur  Arbdt  oder  zur  Besaemiig:  dank  der 
Altersgleichheit,  der  Ebenbflrtigkeit,  der  Lebensgemeinscliaft  wird  ihm  dieee 
Aufgabe  leicht  gom.K  lit,  dank  auch  des  fortwährenden  Kontaktes  mit  Letler 
lind  Lehrer.  Falls  clor  Schüler  schlecht  goliandelt,  so  ist  es  dem  Capitaine 
nicht  schwer,  ihm  einen  Verweis  zu  gcl>cn,  der  nicht  soviel  Demütigende 
mit  sich  bringt,  als  seitens  eines  Direktors  oder  Professors.  Vielmelu-,  die 
O^^enwart  des  Capitaines  im  Hause  ist  für  beide  letztere  ein  sicherer 
Stutzpunkt,  denn,  falls  jener  bevorzugte  Schüler  eine  offene  Natur  beaitit, 
falls  er  MmUtiig^  spricht  und  handelt,  kaiz,  Irils  er  das  Herz  am  riohtlgen 
Fledk  hat,  so  ist  es  ihm  asAa  leicht,  ohne  sich  den  Anaohffl'n  eines  Auf- 
sehers au  geben,  den  Direktor  oder  Frofessor  zu  unterstfltaen,  vermitteb 
Andeutungen,  Bemerkimgen,  zuweilen  sogar  Vorschläge. 

Wns  wird  aber  geschehen,  wenn  der  Capitaine  selbst  sich  ir^sn'l 
eines  leichten  oder  schweren  Vergehens  schuldig  gemacht  (was  natürlicli 
bei  14 — 18  jährigen  Knaben  auch  manchmal  vorkommen  kann).  In  diesem 
Falle  stehen  dem  >chef  de  maison«  zwei  Maßregeln  zur  YerfOgung:  Kas- 
sierung, im  Falle  eines  sohwerea  Vergehens;  Suspensierang  anf  beliebige 
Daner,  im  Falle  eines  leichten  Vergehens.  Ofteis  beugt  der  Capitaine 
«elbst  der  Strafe  vor,  indem  er  die  Schuld  anerkennt  und  sein  Amt  in 
die  Hände  des  Direktors  niederlegt,  oder  sioh  bereitwillig  irgendwelche 
•Strafe  unterwirft.  — 

Vielleicht  hätte  diese  Abschweifung  das  Thema  zu  einem  eiger.oa 
Aufsatze  liefern  kennen,  so  wichtig  ist  die  Frage.  Für  diesmal  sei  nur 
angedeutet,  daß  >la  question  des  capitaines«  auf  das  weitere  Gedeihen  d^ 
Schule,  auf  die  noch  zu  erzielenden  Erfolge  dar  »6duoation  nourellec  m 
stark  bereits  wirkt  und  wdter  nooh  wirken  wird,  daft  die  »UmTersitt« 
dies  Verfahren  mit  regem  Interesse  verfolgt  (die  Schule  steht,  wie  alle 
»Ötablisst  monts  libres«  unter  staatlicher  Au&icht);  übrigens  sind  in  vier 
oder  fünf  Anstalten  dergleichen  Experimente  fortgeführt  worden  seitens 
ehemaliger  Leiter  oder  Professoren  der  Schule  und  weisen  selbe  gute  £r- 
lolge  auf.^) 

* 

Prtlfen  wir  nun  die  eigeuartige  (rcsamtschulorganisation  in  Hinsicht 
auf  ihre  materielle  Einrichtung,  nehmen  wir  z.  B.  eines  der  wichtigsten 
»Hftnserc  (mit  ca.  4  Lehrern  und  30  SchtUem)  als  Typus,  so  merken  wir 


*)  Die  Schale  des  Boches«  hat  den  äUersssten  AnatoB  zu  ihnliohea  AnaHllBa 
gegeben,  und  nohon  sind,  im  Laufe  der  f&nf  leisten  Jahre  4  solohe  Tjadewiehaag»' 

heimo  gegründet  worden:  ao  z.  B.  das  »College  de  Normandie«,  tmweit  Konen; 
»1  Ecxjle  de  rile-de-Franoe«,  im  Departement  Oise;  »l'Ecole  du  Sud-Este,  im  Departe- 
ment Rhone;  »rR^ole  de  l'Esterel«,  nahe  bei  Cannes;.  Alle  erfreuen  sich  eines 
blühenden  Gedeihens,  und  sind  meistens  von  ehemaligen  ächulkraftea  der  >£oo1a 
des  Boohaat  geleitet  oder  nntenüttst 


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3.  »Die  neue  Schule« 


343 


folgendes:  Gleich  beim  Eintritt  in  das  nach  dem  Englischen  »hall«  be- 
zeichnete Vorzimmer,  unrd  mau  durch  die  überall  herrschende  Bequem- 
lichkeit, durch  das  -comfortable«  angeiiohm  überrascht.  Das  Mittagessen 
ist  zu  Ende,  und  durch  die  großen  Glastüren  betrachten  wir  ein  Speise- 
zimmer» das  uns  mit  seinen  hoben,  hellen  Fenstern,  in  ein  »milieu«  ver- 
setzt, das  an  das  engUaohe  »home«  erinnert  Anf  allen  Tischen  stehen 
BlameoTasen;  die  Tischdecken  sind  sehneeweiA:  Geschirr,  Bestecke,  alles 
gibt  den  Eindruck  eines  tadellosen  Hauswesens.  Die  Schüler  strOmen  aus 
der  »Salle  a  manger«  (den  in  >lyc^s«  und  »ooU^s«  üblichen  Ausdruck 
»r^fectoire«  kennt  liier  niemand)  lärmend  heraus.  Zum  Stil]s(;hweip:en  im 
Sp>eisesaal  ist  niemand  gezwungen;  auch  ist  die  herkömmliche  klötiterliche 
Einrichtung  der  »lecture  au  n'feetoiref  entschieden  abgeschafft  worden. 
Die  Kinder  tummeln  sich  im  »hall«  herum  in  buntem  Durcheinander  mit 
lehiem,  Lehfarinnen  und  Haosleiterin;  eine  jede  der  letzteren  sfädt  die 
Bolle  einer  Matter  nnd  sorgt  unter  dem  Regiment  der  »maitreese  de  maison« 
fOr  das  materielle  Wohl  der  ZOgünge  (sie  besorgt  die  WAsche,  fdhrt  Anfaioht 
Uber  Schlaf-,  Speise-,  Ankleide-  und  Badozimmer  u.  d.  m.).  Es  sei  bei 
dieser  Gelegenheit  noch  bemerkt,  daß  in  allen  »Hausem«  englisch-  und 
deiitschsprochondo  Ivchrknlfte  vorhanden  sind,  und  daß  die  meisten  Unter- 
haltungen englisch  o^ier  deutsch  geführt  weiden. 

Aus  dem  Speisezimmer  treten  wir  in  das  Empfangszimmer  des  »chef 
de  maison«,  wo  alles  praktisch  und  einfach  möbliert  ist,  dann  in  den 
»Salles  d*6t]ide«,  wo  etwa  25  Schiller  (die  Capitaines  wohnen  in  nahe- 
liegenden, eleganten,  von  ihnen  selbst  mOUierten  nnd  tapezierten  Zimmern) 
an  hölzernen  Palten  sitzen;  es  wird  unter  der  ausschließlichen  Aufsicht 
des  Capitaines  gearbeitet;  nur  selten  mischt  sich  der  Lehrer  in  die  Arbeit 
des  Schülers  ein;  falls  letzterer  einer  näheren  Erklärung  über  einen  wich- 
tif^en  Tunkt  seiner  Arbeit  bedarf,  so  steht  ihm  der  lychrer  in  .«leinem 
Ziramer  zur  Verfüguntr;  tjowuhnlich  werden  die  Lelirer  in  die  vorschie- 
deaea  Häuser  derart  einlogiert,  daß  jeder  Schüler  in  allen  i'öchern  prompt© 
und  meliefe  Auskunft  eihaäen  kann;  ein  sehr  gutes  Uttel,  das  Zeitersparnis 
snr  Folge  hat  —  Im  erstsn  Stockwerk  befinden  sich  2  oder  S  Schlaf- 
ihnmer,  geiftumig,  hell  und  luftig,  mit  Warmwasserheizung;  neben  jedem 
Schlafraum  ein  Lehrerzimmer.  Falls  sich  während  der  Nacht  ein  Schüler 
"onwohl  fühlt,  so  wendet  er  sich  an  den  Lehrer;  auch  hat  jode  Hausleitorin 
eine  kleine  Hilfsapotheke;  bei  schwereren  Krankheitsfällen  nimmt  ein  un- 
weit des  »Haus  Valien«,  in  einem  eleganten  cottage»  wohnender  ^infir- 
mier«  (Krankenwärter)  mit  seiner  Frau  die  Pflege;  jeden  Tag,  um  halb 
zwei,  kommt  der  Arzt  des  naheliegenden  Verneuil  mit  dem  Automobil  ge- 
fahren, nnd  behandelt  die  im  Eiankenhanse  befindlichen  Knaben.  —  Im 
Sohlafadmmer  besitzt  jeder  SchtOer  einen  Wssohtisch  mit  mehreren  Sdinb- 
laden  und  I1k;hem;  das  Bettgestell  ist  aus  Eisen,  das  Bett  selbst  einfadl 
und  ohne  Federdecke;  unten  ein  kleiner  Fußteppich;  über  dem  Bett  hängen 
die  Lichtbilder  der  Eltern  und  Angehörigen;  jedem  Schüler  stoht  die  Wahl 
der  Bilder  frei;  einige,  die  eine  besondere  Vorliebe  für  Iiadfalu*en  und 
Automobilsport  besitzen,  klcl)cn  große  Plakate  an  die  Wand;  andere,  die 
für  Kunstsachen  Interesse  liabeu,  errichten  sich  eine  Ansichtspostkarten- 


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344 


MitteiluDgen 


galerie;  alles  das  gibt  der  sonst  so  nfichtern  aussehenden  ScklafsUtte  ein 
frisches,  originelles  Gepräge.  Über  dem  Schlafziinnior  liegt  gewöhnlieh 
das  Badezimmer  mit  den  Wäscheräumen,  wo  jeder  Junge  seinen  sftezielleü 
Wandadnink  mit  Kleidern  und  Schuhen  besitzt  (Forts,  folgt.) 


4*  De  oonpionklijke  »Ventjes«^)  der  AntwwpMbe 

Bohoolkinderen 

Unter  diesem  Titel  TerBffentlioht  der  Leiter  des  » padologisoliMi 
Labmatoriume  der  Stadt  Antwerpen  in  dem  eben  emohieaen  6.  iBhibadh 
aufierordentlioh  soTgwme  nnd  omfueeDde  experimentelle  üntennchiiiiign 
Ober  das  kindliche  Zeichnen.   Er  kommt  zu  bedeotsamen  BesuItateOt  die 

zweifelsohne  das  Interesse  weiterer  Kreise  verdienen.  —  Ich  mfidits  io 
aller  Kürze  seine  Methode  und  seine  Ergebnisse  hier  darstellen. 

1.  Methode.  Ende  Februar  und  Anfang  März  1901  besuchte  Schuvteo 
eine  Anzahl  Schulen  und  Klassen,  um  insgesamt  40  Serien  von  jö 
100  ZeichiiuDgen  meuschlicher  Figuren  nach  freier  Erfindung  verfertigen  za 
lassen.  Es  handelte  sich  nm  Kinder  (Knaben  und  lüdohen)  im  Aller  tob 
8— IS  Jahren.  Jedes  Kind  bekam  ein  rechteckiges  StOck  Zeiobenpspier, 
^laßstab  16  X  10,6  und  nun  muBten  sie  vGllig  nach  freier  Wahl  eia» 
Zeichnung  entwerfen.  Die  Untersuchungen  fanden  meist  YormittagSi  n* 
weilen  auch  Nachmittags  statt  im  Lauf  von  2  Wochen. 

Die  gewonnenen  Zeichnungen  wurden  zunächst  einer  qualitativen 
Analyse  unterworfen.  Aufgal»o  (iorselhen  ist  ein  dopjM3ltes:  1.  zu  unter- 
suchen, üb  alle  Glieder  des  meosclilichen  Leibes  tatsächlich  daigeöiellt 
waren  und  2.  ob  anch  die  richtigen  Lageverbfiltnisse  uid  Anfaeftungs- 
punkte  beachtet  worden  waren.  Der  qualitstiTen  Analyse  iolgts  die 
quantitative:  die  Zeichnungen  wurden  bis  in  ihre  kleinsten  Beeonde^ 
heiten  gemessen.  Das  geschah  mittels  einer  besonderen  MeB Vorrichtung. 
Bei  allen  diesen  Messungen  bestand  die  Hanptabsicht  darin,  Größe  und 
Breite  der  dargestellten  Figuren  zu  bestimmen  im  Verhältnis  zu  ihren 
Unterabteilungen,  dann  ferner  den  millinietrische  Proportionen  zwischen  den 
eiuzeineu  Körperteilen  unter  sich  nachzugeheu. 

Der  dritte  Teil  erörtert  auf  Grund  dioöei'  Messungen  die  EntwioklimK 
des  Schönheitssinnes.  Er  behandelt:  1.  Das  YerhSUma  too  Kopf  n 
Gestalt  Terglicben  mit  dem  idealen  Yerhftltnis,  das  die  meisten  Sohfla» 
heitskanoos  annehmen  (1 : 8).  2.  Das  Verhältnis  der  versdiiedencD  Kopf* 
teile  untereinander  (Kinn  :  Nasenbasis,  Nasenbasis  :  Nasenwurzel ,  Nasen- 
wurzel: Beginu  des  Haarwuchses)  und  vergleicht  sie  mit  der  Typenziffer 
0,333  (1:3).  3.  Das  Verhältnis  zwischen  der  Länge  der  Arme  und  der 
ganzen  Gestalt;  Vergleichsziffer  0,375  (3:8).  4.  Das  VerhiUtnis  zwischen 
Fuß  und  Gestalt  :  0,lüG  (1  : 1).  5.  Verhältnis  zwischeu  Hand  und  FuÄ: 
Vergleiohazifier  0,666  (2 : 3).  6.  Yerhiltnis  swisöhai  HNid  und  Angesicht: 


*)  lieblingsfigur. 


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4.  De  oonpionkUike  »VenQee«  dar  Antverpeche  sohooUdndexea  945 


Veigleichsziffer  1  (1  :  1).  Die  übrigen  Koqierteile  sa  nifloseii  erwies  sich 
als  unmOgliolL  Die  Wertung  der  Ergebnisse  geschah  nun  so,  daß  die- 
jenigen Zeichnungen  als  die  wertvolleren  und  zugleich  als  Zeugnisse  ent- 
wickelteren Schönheitssinnes  angesehen  •wurden,  die  den  von  den  Künstlern 
angenommenen  Proportionen  am  nächsten  kommen.  —  Der  4.  Teil  zeichnet 
verschiedene  Typen,  der  5.  vergleicht  mit  Untersuchungen  an  den  SchOleni 
der  Antweipeiier  Anstalt  fOr  BcbwaohbeOlugte  Kinder,  der  6.  Teil  zieht 
•Ugemeine  ErgeboiBBe  und  ScUflsBe. 

VerenchsergebniBBe:  Sie  finden  sich  in  einer  großen  Zahl  na* 
gemein  mühsame  Arbeit  verratenden  Tabellen.  loh  beschade  mich,  die 
Hauptcrtrohnis-e  kurz  herzustellen. 

I.  Anfantrs  wurden  Vorderansichten  des  Konfes  gezeichnet,  dann  kamen 
»gemengde  koppen-^  an  die  Reihe,  d.  h.  solche  in  Profil  und  Vorderan- 
sicht zu  gleicher  Zeit,  endlich  Profiltypen  allein.  Diese  di-ei  Formen,  die 
auf  den  folgenden  Altersstufen  sich  mehifKh  kveuieii,  sind  trotadem  ganz 
deutlich  voneunnder  zu  sondera  nnd  es  ist  keineswegs  gewagt,  zn  be- 
iHrapteD,  daS  sie  drei  EntwieUnngspsiioden  bedeuten:  eine  erste,  da  die 
betreffenden  Kinder  alles  zeichnerisch  darstellen,  was  ihnen  geffillt  und 
doch  ihre  Eigenart  in  der  Darstellung  insofern  bekunden,  daß  sie  nicht 
alles  darstellen,  was  die  Wirklichkeit  bietet,  mit  ihr  sorglich  über- 
einstimmt, sondern  was  »ihnen  besonders  zusagt'-.  Eine  zweite  Gruppe 
ist  die,  in  der  die  Kinder  Nase  und  Mund  in  Profil  zwar  haben  kennen 
lernen,  die  aber  doch  bei  dem  Zeichnen  die  gewohnte  Sonderansicht  schwer 
terlassen  kann  —  und  die  beiden  DsrsteUongsweisen  oft  auf  sehr  ge- 
wandte Weise  zu  vereinigen  trachtet.  ISne  dritte  und  letzte  Gruppe  ist 
dadurch  charakterisiert,  daß  sie  nahezu  ausschließlich  von  dem  Profil 
Gebrauch  macht.  Die  Ifftdcfaen  bleiben  durchweg  länger  in  der  1.  und 
2.  PericKle  stecken  und  errsichsn  sooh  in  der  dritten  niefat  die  Ent- 
wicklungshöhe der  Knaben. 

n.  Die  quantitativen  Messuntren  lehrtn  zunächst,  daß  die  Maße 
des  Leibes  und  seiner  Glieder  mit  sioigeuUeui  Alter  auch  in  den  Kiuder- 
seidmuDgeo  wachsen.  AufbUend  ist  eine  bedeutsame  Abweichung  von 
dieser  Begel:  zwischen  dem  6.  und  7.  Lebensjahr  finden  wir  einen  starken 
KurTenrflckschritt,  dem  dann  eme  weitere  Steigerung  folgt  Dieser 
BOokschritt  ftilt  zusammen  mit  dem  Aufenthalt  iu  der  Schule  während 
der  ersten  ftlnf  Monate.  Schuyten  hält  dieses  Ergebnis  ernsten  Nachdenk^'ns 
wert  gegenüber  der  durch  seine  Untersuchungen  bekannten  Veränderlichkeit 
der  physischen  Entwicklung  —  allem  Anscheine  nach  eine  Wirkung  der 
Schule. 

Die  Zeichnungen  der  Knaben  waren  im  allgemeinen  länger,  die- 
jenigen der  Madchen  breiter. 

Wnr  dtfarüBn  annehmen,  dafi  die  Kinder  denjenigen  Leibesgliedem  die 
größere  Bedeutung  beilegen,  die  sie  im  Bilde  entsprechend  am  grr^ßten 
gezeichnet  haben,  und  kOnnen  dann  feigende  Ordnung  in  absteigender  Linie 
herstellen : 

L&nge:  Knaben:  Beine,  Rumpf,  Arme,  Kopf,  Füße,  Hände. 

M&dchen:  Beine,  Arme,  liiunpf,  Kopf,  Füße,  U&ade. 


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346 


llitteflnngen 


Breite:  Knaben:  Kopf,  Rumpf,  Hände,  Beine,  Füße,  Arme. 

Mädchen:  Kopf,  Eumpf,  Hände,  FOße,  Beine,  Arme. 
In  aoatomiacher  Wertung  sieht  die  Folge  so  ans: 
Lange:  Beine,  Arme,  Romp^  FQfie,  Eopf,  HBnde» 

Breite:  Rumpf,  Kopf,  Beine,  Hände,  Arme,  Füße. 

Man  sieht  also»  daß  unsere  KJeinen  im  allgemeinen  öne  aflmliok 
richtige  Darstellung  von  dem  Bau  unsere«  Leibes  haben. 

ni.  Die  Künstler  haben  sich  von  jeher  eine  Idealgestalt  des  mensch- 
lichen Leibes  geformt  und  in  bestimmten  Proportionalzalüen  das  Verhältnis 
der  einzelnen  Teile  desselben  angegeben.  Diese  Verhältniszahlen  habe  ich 
eben  sdion  angegeben.  Die  ffindeneiefammgen  offenbarten  nun,  daß  das 
Verbaltnis  von  Kopf :  Oestalt  ss  l :  8  von  den  Knaben  mehr  annibemd 
eneidht  wnrde  als  von  den  Mädohen;  die  letzteren  zeichneten  durchweg 
größere  Kopfe  und  kleinere  Gestalt.  Ebenso  näherten  sich  die  Knaben  bei 
der  Darstellung  der  Nase  dem  Verhältnis  0,333  mehr  als  die  Mädchen, 
Das  Verhältnis  :  Gestalt  =  3:8  ward  übereinstimmend  bei  beiden  Ge- 
schlechtern nahezu  erreicht,  wenngleich  die  Mädchen  oft  kleinere  Arme 
zeichnen  als  die  Knaben.  Bezüglich  Fuß:  Gestalt  ist  zu  bemerken,  dafi 
die  Knaben  näher  an  das  Verhältnis  0,166  herankamen  als  die  Ifidohen, 
"«tttaend  aie  bei  dem  Verhiltnia  Hand :  Fofi  beinahe  um  ZehnüM^  mehr 
▼on  der  Zahl  0,666  abweichen  als  die  Knaben.  Die  Midohen  zeiflhoen 
größere  Hände  und  Gesichter,  aber  das  Verh&ltnia  Hand :  Angesicht  =  1 
zeigt  Übereinstimmende  Beachtung.  —  Veifolgt  man  diese  Angelegenheit  auf 
den  verschiedenen  Altersstufen,  dann  gewahrt  man,  daß  im  6.  Lebensjahre 
die  Abweichung  von  dem  theoretischen  Quotienten  am  größten  war,  woraus 
Schnyten  schließt^  daß  auch  die  Entwicklung  des  Schonheitsgefühls  einem 
störenden  Einfluß  unterworfen  ist  von  dem  Augenblick  an,  da  das  Kiud 
seinen  eisten  Gang  in  die  Schule  macht  —  Im  allgemelneii  lelgen  die 
aufeinander  folgenden  Alterastnfen  eine  allmählich  steigende  Annähenmg  la 
die  ideale  Fh>portioo. 

IV.  Schuyten  hebt  jetzt  einige  typische  Momente  heraus,  die  ein 
sorgsamer  Vergleich  der  Zeichnungen  an  die  Hand  gab:  der  Kopf  ist  im 
allgemeinen  oval  gezeichnet,  kann  aber  alle  möglichen  Formen  haben.  Die 
Augen  präsentieren  sich  als  »krabbeis«.  Striche  oder  Punkte,  die  entweder 
allein  stehen  oder  umgeben  sind  von  halben  oder  ganzen  Kreisen,  schwane 
Bälle,  mit  oder  ohne  Brauen.  Die  Nasen  sind  bei  den  Yorderaoeichtea 
senkrechte  oder  wageieehte  Striche,  Kraozeb  Dreiecke,  Bechteoke,  Kreise  Q.ai 
Bei  den  piofil  geieichnelen  KOpfen  sind  sie  kreisfOnnige  Anhängsel  m 
verschiedener  Größe,  horizontal  ausgestreckt  oder  herabhängend,  nicht  selten 
in  eine  scharfe  Spitze  auslaufend.  Der  Mund  ist  bei  Vorderansicht  dar- 
gestellt in  2  oder  mehreren  horizontalen  Strichen,  als  rund  oder  Rechleck, 
in  dem  senkrechte  Striche  die  Zähne  andeuten ;  die  wunderlichsten  Formen 
beobachtet  man  bei  den  Profilköpfen  und  den  Mischformen.  Die  Ohren 
sind  liakeülörmig,  mitimter  auch  rund  und  mit  einem  Funkt  in  der  Mitte 
daigeetellt,  ihre  Fonn  variierte  nnr  iranig.  Der  Rumpf  wurde  daigesleUt 
sls  fiediteck,  bsllfOnnig,  dreieokig,  oval,  Brost  nnd  Baooh  iratden  wM 
getrennt,  oft  beobachtet  man  sonderbare  Yersohmelzongen  von  Leib  nnd 


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5.  Fädagogischer  Koogrefi  in  Athen 


347 


Beinen.  Die  Qliedmaßen  bestehen  zuerst  aus  einfachen,  später  aus  doppelten 
Linien  und  sind  anfanglich  nicht,  doch  später  gegliedert;  eigentümlich  sind 
oft  Kniee  und  Elienbop^en  angebracht  worden.  Die  FQße  sind  dargestellt 
in  einzelnen  Linien  als  Verlängeriuig  des  Beins,  mitunter  auch  i-echtwinklich 
umgebogen,  Dreiecke,  Vierecke,  Bälle,  unregelmäßige  Figuren.  Wohlge- 
fonnte  Fttfie  finden  eioli  in  spMeren  Jahien  an  den  doppelUnigen  Beben. 
Die  Zellen  Bitzen  in  Terschiedensten  Richtungen.  Bei  den  Händen  befindet 
sich  das  Sind  in  der  größten  Verlegenheit  Sie  werden  Tielfdoh  ganz  fort- 
gelassen. Die  jQngsten  wie  die  ältesten  Kinder  fühlen  am  wenigsten  sioh 
verpfhchtet,  die  ILlude  mit  der  richtigen  Anzahl  Finger  zu  versehen,  die 
enteren  zeichnen  zumeist  z\i  wenicr,  die  letzteren  zu  viele. 

V.  Von  vornherein  beal»sichtigte  Schuyten  Zeichnungen  schwach- 
befähigter Schüler  mit  denen  der  normalen  zu  vergleichen.  Das  Ergebnis 
ist  folgendes:  Vom  qualitativen  Gesichtspunkte  aus  waren  hQben  und 
drtlben  bei  dem  Zeichnen  der  lieblingsfigur  wenig  Unteraohiede  zu  spüren. 
Quantitativ  zeichneten  die  normalen  Knaben  ftberali  grOfier  und  breiter 
als  die  k  orrespondierten  schwachen.  Merkwürdigerweise  näherten  sie  sidl 
aber  den  Kimstproportionen  mehr  als  die  normalen  Schüler,  schienen  also 
bezüglich  der  Kunstentwicklung  höher  zu  stehen  als  diese. 

Kiel  Marx  Lobsien 


5.  Pädagogischer  Kongress  in  Athen 

1.  TIqiöxw  tKkrivutov  lunatötvxixc»  ^i  n\)Qioy  .  .  .  IgyMUtu  SitV^ 
dvi^nr^g  ^ EjiiTQonrjg-IlQaxTtxu  xüiy  ^vi'td()iunK0f-2/nXixr}  ^'Ex&tatg.  Athen 
(Verlag  des  dirigierenden  Komitees)  1904,  S.  300.  Frcs  (Drachmen)  6. 

2.  0*.M.  /.  Mt/uloTto ih)v  /If^i  Ti]g  iiQVT^QUQ  dtudoaKog  rtjg  dr^uo- 
Ttx^g  ixTiatSnoftitg  xai  jjtoi  /uudttnuog  rdif  vTitQßt^riy.oT(oy  Ti]y  a/ohx^y 
^Xuuay  dyQuiijiiaKoy.    Athen  (Druck  von  Hestia)  1904,  S.  58.    Fr.  1. 

3.  K(jt,uxii  RoXiTila:  '^ymfya  JiU^yaig  xrfi  IlmStia^  xal  t% 
JotoMo^ytig:  *H  iv  Kg/,rri  ixTttäSitfOts,  Canea  (Druck  der  kretensisohea  Ba- 
gienmg)  1904.  8.  32. 

Ein  sehr  erfreuliches  Ereignis  fand  voriges  Jahr  in  Athen  statt 
Zum  erstenmal  kamen  Vertreter  des  gesamten  Griechenturas  vereinigt,  um 
über  das  griorhischo  T'nterrichtswcsen  zu  verhandeln.  Das  erste  'Ekki]yix6y 
hnaiön  Ti/Mv  ^vyti)oi(n'  (Griechischer  Kongreß  für  Unterrichtswesen)  tagte 
in  Athen  vom  31.  März  bis  4.  April  (a.  S.)  und  jetzt  liegen  vor  uns  die  Proto- 
kolle der  Sitzungen  mit  einer  kurzen  Beschreibung  der  Schulausstellung. 
Letztere  bezweckte  den  Griechen  die  Fortschritte  des  Abendlandes  in  Lehr- 
mitteln nsw.  zu  vetansohanliohen;  deshalb  wurden  auch  Fremde  zur  TeQ- 
nahme  zugelassen. 

Der  Gedanke  ist  ausgegangen  von  dem  »Verein  für  Verbreitung  nütz- 
Hcher  Bücher«,  der  in  Verbindung  mit  zwei  älteren  Vereinen  (des  »Ver- 
eins ftlr  Verbreitung  der  griechischen  Bildung-  und  des  »Pliilologischen 
Vereins  ,Parnassos'«)  die  Einladungen  erlioü.  Das  Ministerium  des  König- 
reichSf  wie  dasjenige  der  autonomen  Kreta,  schenkteu  dem  Werke  ihre 


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348 


Mitteilungen 


Gunst.  Der  König  der  Helleneu  eröffnete,  in  Anwesenheit  der  Könid. 
Familie,  die  Sitzungen  des  Kongresses;  der  Kultusminister,  als  Ehren- 
vorsitzender, begrüßte  die  Erschienenen  durch  eine  lange  und  tschüne  Rede; 
der  loefensifldie  DepartementBohef  dm  Kultus  und  te  Rechtspflege 
(SififtovXos)  wurde  ate  ordentiiciier  Mndeiit  erwihlt  Die  andeieii  Mit- 
glieder des  Yorstaades  waren  die  Yertraler  von  KooBtantiiiopd,  Qypem, 
XooaBtir  (Macedonion),  Chios,  Smyma  USW. 

Der  Kongreß  wurde  in  4  Abteiloogeo  eingeteilt:  1.  Das  elementare 
Schulwesen,  2.  das  mittlere  Unterrichtswesen,  3.  die  weibliche  Erziehung 
und  4.  die  Benifsbiklung.  Sie  sollten  über  folgende  Themata  diskutieren: 
1.  Größere  Verbreitung  der  elementaren  Bildung  und  Verminderung  der 
Zahl  der  erwachsenen  Ungebildeten.  2.  Pädagogische  Bildung  der  Gymnasial« 
lehier.  8.  Befarm  des  Lehiplaaes  der  Hldoheoadiuleii,  duiit  sie  eine  Er* 
nehung  verbreitflii  gem&B  dar  griedaadien  TraditioD  und  dec  Beatimmvig 
der  Flau  in  der  Familie  und  in  der  GeseUflobaft  i.  Tedmleohe  Yo^ 
bilduDg  und  Fortbildung. 

Als  5.  Thema,  bestimmt  zur  allgemeinen  Beratung  des  Kongresses, 
wurde  die  Verbesserung  der  Schulbücher,  sowohl  was  den  Inhalt  wie  was 
die  äußere  Form  betrifft,  in  Aussicht  genommen. 

Beferent  der  ersten  Sektion  war  Dr.  Themibtocles  Mi chalopuloB, 
der  in  DeatBcliland  —  beeonders  in  Jena  —  seine  pldagogische  Ajb- 
bildung  erhielt,  wie  flbrigens  auob  die  swei  folgenden  Beferenten.  Yen 
seinem  ausfOhrlichen  Referat  liegt  uns  auch  ein  besonderer  Abdruck  lot. 
Dr.  Hichalopulos  bestreitet  vor  aUem,  daß  das  einfache  Lernen  von 
Lesen  und  Schreiben  von  irgend  einer  erzieherischen  Bedeutung  sei  und 
infolgedessen  will  er  durchaus  nicht  zugeben,  daß  andere  als  in  Lehrer- 
seminaren vorgebildete  Pei-sonen  Erwachsenen  irgend  einen  Unterricht  er- 
teilen dürfen.  —  Es  wurde  nämlich  den  Mitgliedern  des  Kongresses  vor- 
geschlagen, da£  für  die  vollständig  ungebildeten  Erwachsenen  (Analpbf 
beten)  in  Dörfern,  wo  es  keinen  Lehrer  aber  einen  Fsstor  gibt,  von  den 
letsteren  wenigstens  das  Lesen  und  Schreiben  erteilt  wird,  und  in  der 
Armee  von  Unteroffizieren.  Das  will  Michalopulos  durchaos  nicht  nh 
geben;  er  vergißt  aber  dabei,  daß  das  Lesen  und  Schreiben  eine  zu  groSe 
praktische  Bedeutung  hat,  die  man  nicht  unterschätzen  kam.  Die  ok'^>no- 
mischen  Verhältnisse  in  Griechenland  aiuliorseits,  die  eine  äußere  Sparsim- 
keit  gebieten  und  der  Mangel  an  I  berscluili  von  Lehrern  sollten  ihn  zu 
der  Überzeugung  bringen,  daß  jedentails  eine  Abhilfe  goscliaffeu  werdeo 
muA.  Wie  wire  es  übrigens  mit  den  GiiedMD,  wenn  sie,  vor  hundert 
Jahren  noch  Tondeben  sollten,  ihren  Kindern  keinen  Unterricht  erteilen  n 
lassen,  weil  es  damals  keine  Lehrerseminare  geben  konnte?  Gysis«  der 
berühmte  griechische  Maler,  der  als  Professor  der  Kunstakademie  in  Mös- 
chen gestorben  ist,  hat  die  -geheime  Schule«  verewigt,  in  der  Nachts  in 
der  Kirche  der  Geistliche  den  jungen  Griechen  Unterricht  erteilte.  Und 
doch  konnte  dieser  Lelu*er  nicht  einmal  orthographisch  schreiben!  Wenn  er 
aber  das  nicht  tun  durfte,  mußte  Lesen  und  Schreiben  aus  Ghechenlaud 
veriMunt  seini 

Die  Sektion  hat  sich  indessen  im  Sinne  seines  Yomdüi^  geäuleit 


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b,  FUMfogmku  KongreA  in  Athen 


349 


Sie  empfahl  außerdem  u.  a.  1.  die  von  Seite  von  Vereine  BegrOndimg 
Ton  Fortbildungsschulen,  deren  Beench  aber,  womfiglich,  verplichtend  sein 
soll.  2.  Die  Koestitiiiening  von  Schiilgemeinden.  3.  Verbesserung  der 
Lehrerseminare,  indem  u.  a  auch  eine  fremde  Sprache  obligatorisch  ein- 
geführt wird  und  Begründung  von  ^h^odiduaxuXuu  (F'ostor- Lehrerseminare) 
im  türkischen  Griechenland  für  die  ärmeren  Gemeinden,  damit  es  iimen 
gelingen  wird,  gebildete  Flwtoien,  die  g^doliieitig  Lehier  lind,  la  bekommeii. 
4.  ZntaaBOD^  der  AtdtuiienteD  denelben  mm  UnhcnHtlaBtiidhiiii.  6.  Er» 
weiterang  der  Sohnlpflicht  6.  Begrttndimg  von  Schulen  für  TMibetiimmen, 
BMndeo,  Idioten  und  schwach  Begabten.  7.  Obersetzung  der  besten  päda- 
gogischen Werke  des  Abendlandes.  8.  Besondere  Berücksichtigung  der 
praktischen  Aufgabe  der  Schule,  durch  Erweitenmg  des  naturkundlichen 
Unterrichts  usw.  und  schließlich  9.  Beauisichtigung  der  fremden  (von  der 
Propaganda  unterhalteneu)  Schulen. 

Die  zweite  Sektion,  deren  Referent  Dr.  Eapetanakis  war,  iofierte 
dfo  Vnnflch,  da8  die  GjmiMfliaUefaier  auch  eine  basondefe  pSdagogischa 
YMSämig  gemefien  mOofaten,  indem  dem  LehntaU  der  Fidagogik  ein 
Normalgymnasiam  angegliedert  werde,  in  welchem  die  schon  ihre  wissen- 
schaftliche Prüfung  bestandenen  ein  Jahr  hindurch  praktisch  sich  üben 
sollen.  Für  die  auf  Grund  des  jetzigen  Gesetzes  Angestellten  aber  soll 
ein  hervorragendes  pädagogisches  Werk  übersetzt,  ein  möglichst  ausführ- 
liches Programm  vei-faßt  und  eine  pädagogische  Zeitschrift  vom  Ministerium 
herausgegeben  werden.  Auch  die  Einbenifiiug  von  Konferenzen  wurde 
«DipfoUen,  wihrend  der  Yorschlag  des  Referenten,  daß  w&hrend  der  Ferien 
praktische  pftdagogisohe  Übungen  in  Athen  so  veraiMtelten  seien,  abgelehnt 
wordel  Vor  allem  aber  mai  der  Wimaoh  Iftr  die  Stlndig^nit  der  Lehrer 
betont  werden  gegenüber  dem  überaus  schädUehen  allzn  hiafigen  Wediaell 
Aoch  die  Anstellung  von  G^mnasialinspektoren  wurde  empfohlen. 

Aus  den  Wünschen  der  Sektion  für  das  Mädchen  Schulwesen  ist  zu 
erwähnen,  daß  die  Begründung  von  Kindergärten  unterstützt  wunle,  daß  die 
Mädchenschulen  einen  praktischeren  Charakter  annehmen  und  daß  besondere 
Schulinspektorinnen  angestellt  werden  sollen,  die  unter  der  Oberleitung 
einer  Obersdralinspektorin  eteben.  Befeieot  war  Br.  Ariatotelea  Kur- 
tidea.  Ea  sei  erwibnt,  daB  aeift  Jakren  adum  dne  periodieohe  Sohiil- 
iaspektion  von  Damen  stattfindet 

Die  IV.  Abteilung  wiederholte  und  ferallgemeinerte  den  Wunsch,  daß 
den  Schulen  eine  praktischere  Richtung  zu  geben  ist  und  daß  der  Hand- 
fertigkeitsunterriciit  eingeführt  werden  solL  Qkiohzeitig  empfahl  sie  die 
Begründung  von  technischen  Schulen. 

Zu  der  Frage  der  Lehrbücher  —  deren  Za\A  in  Griechenland  sehr 
groß  iat  —  winde  toq  der  Qeneraldtzung  dea  Kongreaaee  angeooiameii, 
dal  wahrend  der  errtan  drei  Jahra  keiB  Lehrbuch  in  den  Volkaechalen 
zu  gebcanohen  iat,  mit  Auaoahme  dea  Leaebiiohea.  Die  Lehrbücher  sollen 
für  3  Jahre  voo  dmr  Regierung  geneluniirt  werden  und  für  jedes  Fach  sollen  3 
aein;  die  Bevorzugung  eines  von  den  3  soll  den  Lehrern  ül)crlassen  bleiben. 

Schließlich  wurde  die  Konstituierung  eines  Bundes  beschioBsen.  Seine 
Aufgabe  ist  das  Werk  des  Kongresses  weiter  zu  verfolgen. 


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350 


MitteiloDgan 


Der  Kongreß  wurde  mit  einem  Gastmahl  beendigt,  was  die  Regierang 
den  eifrigsten  Mitgliedern  des  Kongresses  angeboten  hatte.  Es  fand  dieses 
in  Phaleron  statt;  der  Kronprinz,  der  an  ihm  teilnahm,  begeisterte  die 
Anwesenden  durch  einen  schönen  Trinkspruch.  Darauf  folgte  die  Bekräa- 
zong  des  vor  dem  üniTenit&tsgebtede  stehendea  DenkmilB  AdammtiM 
Eoiais,  doB  grofiea  FMaoten  und  OelehiteD. 

Dem  Boreau  d«8  Kongrogooc  waten  aofier  Denkschriften  anoh  Be- 
richte von  dem  numerischen  und  sadilichen  Zustand  der  Sdinlen  ver- 
schiedener griechischer  Länder  zugegangen.  Es  ist  zu  bedauern,  daß  sie 
im  vorliegenden  Buche  nicht  mit  aufgenommen  sind.  Einige  von  den 
erstereu  wuixien  in  der  *E&yi>crj  uyioyri  (Nationalerziehung)  ver(3ffentlicht  und 
andere  in  der  Jr^^oxixi]  'Exnaidtvatg  (Volksbildung).  Von  den  Berichten 
aber  wurde  der  Cypem  betreffende  in  der  Zeitung  To  K^dxo^  (Der  Staat) 
▼erClIentlioht,  und  der  Aber  lonien  naw.  in  der  Zeitsobriit  'J9üIi;kio/i/^ 
Dagegen  lieft  die  kratiaobe  Bagiemng  ihren  Bericht  besondeta  draden. 
Er  wurde  mit  den  Protokollen  zosammen  verteilt  Mit  Freude  liest  maa 
die  kleine  BroschQre,  die  ein  so  deutliches  Bild  der  großen  kulturellen 
Fortschritte  bietet,  die  Kreta  seit  der  Befreiung  gemacht  hat.  Mit  voll 
berechtigtem  Stolz  wird  der  Prozentsatz  der  die  Schulen  besuchenden  Be- 
völkerung schon  im  ersten  Jahr  der  Befreiung  mit  demjenigt^i  au^l-'rer 
zivilisierter  Länder  verglichen:  35077  also  ungefähr  11%  gesamten 
BeviSkerung  besochten  die  ünterriditaBnatalten ;  ein  Prosentaats»  der  lllNr 
dem  Ton  Italien  und  Foftagal  steht  nnd  derselbe  wie  in  Bdgiea  ist  Ei 
ist  schade,  daft  die  wiitschaftlichen  Verhältnisse  es  nicht  gestatten,  dai 
Erfolge  noch  weiter  geschritten  sind.  Aber  Kreta  erfreut  sich  oner 
väterlichen  Regierung  und  allmählich  wird  sie  w^ohl  auch  diese  Schwierig- 
keiten überwinden!  »Die  Kretenser  haben  das  Ehrgefühl,  so  schließt  der 
Bericht,  kulturell  nicht  hinter  ihren  Brüdern  im  griechischen  Königreiche 
zu  stehen,  bis  die  göttliche  Vorsehung  ihre  politische  Einigkeit  mit  diesen 
gewähren  wird,  indem  sie  den  heißesten  Wunsch  jedes  Kretensers  erfOlltc 

Jena  S.  P.  Stamulia 


6.  Znr  KanBtpflege 

in  unseren  Schulen  veröffentlicht  Herr  Ernst  Samter,  Oberlehrer  am 
Sophien-Gymnasium  in  Berlin,  eine  lesenswerte  Studie  in  der  Zeitschrift 
für  das  Gymnasialwesen  (LIX.  Jahrg.  1.  Berlin,  Weidmann,  1905),  die 
in  praktischen  Vorsdüflgen  gipfelt  anf  Onmd  Ton  Yenoohen,  welche  der 
Veifssser  in  Berlin  aagesteUt  hat  Bs  ist  interessant  ra  hOren,  daft  er, 
wie  aeineneit  H.  Qrimm,  hierbei  nicht  den  streng  dnondcgischen  Oaag 
eingehalten  hat,  sondern  von  Ilöhepunkten  ausgegangen  ist,  ein  Gedanke) 
der  innerhalb  der  Herbartischen  Pädagogik  bekanntlich  in  numnigfadier  Weise 
schon  lange  benutzt  worden  ist.  Auch  sonst  ist  der  Aufsatz  reich  an  guteo 
Bemerkungen,  wenn  auch  einzelne  Aussprüche  den  Widerspruch  heraas- 
fordern,  wie  z.  B.  der  Satz:  »Daß  in  der  Schule  die  intellektuelle  Bildung 
stets  die  Hauptsache  sein  und  bleiben  wird,  iat  meine  feste  Überzeugoo^.« 


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7.  Verein  für  wissenschaftliche  Pädagogik 


351 


Bb  entsprioht  dies  zwar  dem  gegenwirtigen  Steod  imseier  Sohiileii,  aber 

als  Ideal  muß  doch  die  PersSnlichkeits-Bildung  angesehen  werden.  Des- 
halb EuDstpfiege,  deshalb  Zeichnen,  Modellieren,  Spiel  und  Sport  und  all 
das,  was  einer  einseitigen  Verstandespflege  entgegenarljeiten  kann.  Weniger 
Unterrichtsdrill,  weniger  intellektuelle  formale  Schulung,  dagegen  mehr 
Ausbildung  eines  frischen  und  fiöhlicheD  Schullobeos;  das  ist's,  was  unsere 
deutschen  Schulen  brauciieu. 

Jena  W.  Bein 


7«  Verein  für  wissenschaftliche  P&dagogik 

Inhalt  dM  37.  Jahrlniohs  (1905) 

1.  Schmidt,  Wae  iat'e  ma  Herberte  Zucht? 

2.  Jetter,  Zur  Volksschulmethodik  (Schluß). 

3.  Hemprich,  Zur  modernen  Kinderforschung  (Schluß). 

4.  Bitthaler,  Die  schulmfU^ige  Entwicklung  der  Qruiidzahleabegnffe» 

5.  Fack,  Lays  Exjwrimeutclle  Didaktik. 

6.  Fritsch,  Briefe  Heibarts  an  Drobisch  (Schluß). 

7.  Wiik,  Das  Werden  der  Zahlen  und  des  Rechnens  im  Menschen 
imd  in  der  Meesohheit  auf  Qrand  von  Psychologie  und  Geechicfate. 

8.  Jnet,  IfiATenOodoieBe  und  &Ieoher  Gebiwich  der  Formaletafen 
des  UntBiriohtB. 

9.  Hemprich,  Rüdes  Yolksschulmethodik. 
10.  Vogt,  Die  Konzentration  des  Unterrichts. 

Die  Haupt-Yereammlung  dee  YeieiDe  findet  zu  Pfingsten  in 
Weimar  statt  Th.  Vogt 


8«  Verein  der  Freunde  Herbartisoher  Pädagogik  in 

Thüringen 

Die  diesjährige  Hauptversammlung  wird  am  24.  und  25.  April  im 
Preußischen  Hof  zu  Erfurt  abgehalten  werden.  Zm  Besprechung  gelangen 
folgende  Themen:  Der  gemeinsame  UnteiTicht  von  Knaben  und  Mädchen; 
das  Mannheimer  Schulsystem.^)  Eeferenten  sind;  Direktor  Trüper-Sophien- 
hBhe  bei  Jena  und  Dirdrtor  Soholi-FQtBneok. 


*)  &  No.  250  dflB  »ndim^  M^SMiiie«.  LugeoMda,  Hemnmi  Bejer  SQhne 
(Beyer  *  Mann). 


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I  PhilosophischeB 

Nablowsky,  Joseph  W.,  weiland  o.  Prof.  a.  d.  Universität  Graz,  Aligemeine 
Ethik.  Mit  Bezugnahrae  auf  die  realen  Lebensverhältnisse  prag- 
matisch bearbeitet.  3.  Auflage  besorgt  von  0.  Flügel,  Veit  &  Co.,  Leipzig 
1903.    281  S.    3  M,  geb.  3,60  M. 

An  Bearbeitern  der  Herbartschen  Ethik  ist  kein  Mangel  Die  Namen 
Hartenstein,  Allihn,  Strümpell,  Steinthal,  Ziller,  Rein,  Felsch,  Flügel  sind 
bekannt.  Neuerdings  hat  Flügel  auch  die  dritte  Auflage  der  Allgemeinen 
Ethik  Nahlowskys  besorgt  Worin  besteht  nun  das  Charakteristische 
dieser  Ethik,  das  eine  neue  Herausgabe  wünschenswert  erscheinen  ließ? 

Während  die  ältere  idealistische  Schule  sich  lediglich  auf  das  Ethos 
des  Individuums  beschränkte,  zog  Herbart  in  seiner  »Allgemeinen  prak- 
tischen Philosophie«  vom  Jahre  1808  das  Ethos  der  Gesellschaft  mit 
herein  in  den  Kreis  seiner  Untersuchungen.  So  steht  Herbart  in  einer 
Zeit,  in  der  sich  der  ethische  Individualismus,  die  Ethik  der  autonomen 
Menschenwürde,  zum  Siege  durchrang,  schon  gleichsam  da  als  Prophet 
unserer  Zeit,  in  deren  Mittelpunkt  die  soziale  Frage  steht,  und  in  der  in 
allen  Disziplinen  das  soziale  Element  betont  wird.  So  wird  auch  mit  Recht 
an  eine  moderne  Ethik  vor  allem  der  Maßstab  angelegt,  ob  sie  im  stände 
ist,  den  sozialen  Problemen  der  Gegenwart  gerecht  zu  werden.  Da  wir 
den  ethischen  Ideen  allgemeine  Gültigkeit  zuschreiben,  so  müssen  sich 
dieselben  auch  an  allen  Fragen  des  modernen  wirtschaftlichen  Lebens  aus- 
weisen. Eine  Ethik,  die  hier  versagt,  ist  eben  veraltet  und  kann  nur  noch 
liistorischen  Wert  für  sich  beanspruchen.  Ja,  sie  beweist,  daß  ihre  Fun- 
dierung  von  vornherein  zu  kurz  geraten  ist.  Hier  ist  z.  B.  der 
schwache  Punkt  der  biblisch-theologisch  basierten  Ethik:  daß  sie  uns  in 
so  vielen  Fragen  des  modernen  Wirtschaftslebens  einfach  im  Stiche  läßt 
Zu  welch'  bedenklichen  Konsequenzen  aber  eine  solche  ungenögend  be- 
gründete ethische  Anschauung  führen  kann,  zeigen  die  Essays  eines  be- 
kannten Theologen  uüd  Politikers.  Naumann  kommt  in  seinen  »Briefen 
über  Religion  < ,  die  allerdings  auf  philosophische  Begriffsschärfe  keinen 


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I  FhikMopliiaoheft 


B53 


Ansprach  machen,  zu  dem  Schlüsse,  dat  die  Ethik  Jesu  (die  er  zudem 
noch  sehr  einseitig  auffaßt),  im  modernen  Betriebaleben  fiberliaapt  leeiiie 
Stätte  mehr  habe;  m.  a.  W. ,  daß  es  unvereinbar  miteinander  sei,  ein 
moderner  Mensch  und  ein  rechter  Christ  zu  sein.  So  proklamiert 
er  geradezu  eine  doppelte  Ethik,  eine  fürs  Gescliäft  und  die  Politik, 
die  andere  fürs  Privatleben.  Die  erstcre  ziert  er  mit  dem  modernen 
Namen:  »SüÜidikeit  (I)  des  EampfeB  ums  DaMÜK  (warom  nicht  lieber 
noch  etwBB  daatiaolier:  »die  Ethik  der  gepanzerten  FanstPc)  oder  ügois- 
mos  und  IntereesenpoUtik.  Hier  haben  -wir  wieder  einmal  ein  graases 
Beispiel,  auf  welche  Abwege  die  unselige  Begründung  der  Moxml  anf 
Religion  und  Offenbarungsbuch  führen  kann.  Denn  Naumanns  Ausführungen 
kommen  doch  auf  nichts  anderes  hinaus,  als  auf  eine  Bankerott-Erklärung 
i]er  Ethik  Oberhaupt  und  damit  auch  der  christlichen  Religion!  Es  ist 
wirklich  betrübend:  Ein  evangelischer  Theologe,  weiß  sich,  weil  er  zugleich 
(und  mit  Recht)  nicht  darauf  verzichten  will,  ein  moderner  Mensch  zu 
eel&y  nicht  enden  sa  helfen  als  daduoh,  dafi  er  die  Ethik  teilweiae  Aber 
Bofrd  -wirft  nnd  ihr  nur  ein  flbenuiB  dfliftigee  Vegetieren  nnd  dne  Winkel- 
enstenz innerhalb  der  vierPfiUiIe  anweist  und  an  ihre  Stelle  die  nackte, 
brutalste  Selbstsucht  als  »ethisches«  Prinzip  auf  den  Weltenthron 
setzt!  In  Wirklichkeit  ist  natürlich  durchaus  nicht  die  Unzulänglichkeit  des 
Christentums  für  die  moderne  Zeit  schuld,  sondern  die  mangelhafte  Funda- 
mentierung  der  Ethik  auf  biblisch-theologischem  Fundament,  das  sich  eben 
als  zu  schmal  für  die  sozialen  Verhältnisse  der  Gegenwart  erwies. 
Wiederam  hat  der  »alte«  DOrfilBld  recdit  bekommen,  der  solche  imzul&ng- 
liche  Fbrschnngamethode  anf  dem  monüiaohen  Gebiete  als  schweree  Obel 
beklagte.  1) 

1)  En  seien  hier  einige  der  pilguantesten  Aasspi-iiche  Naumanns  angeführt: 
Eb  gibt  aüeigTSfite  xaA  aUeraohwerBto  mensddiQhe  Probleme,  die  dorob  das 
Neae  Testament  nicht  wesentlieh  berfikit  werden.  —  Nicht  unsere  «anxe  SittUobkeit 
wurzelt  im  Evaogeliam,  sondern  nur  ein  Teil  derselben,  allerdings  ein  äußerst  wich- 

i'igQT  und  leicht  mißachteter  Bestandteil.    Neben  dorn  Evangelium  gibt  es  Forde- 
run<:;en  der  Macht  und  des  Kechts,  ohne  die  die  mensohlidie  <iesellsr-haft  nicht 
existieren  kann.  —  Die  Nachfolge  des  Weltgottes  ergibt  die  Sittlichkeit  des 
Kampfes  ams  Dasein,  und  der  Dienst  des  Ysten  Jesu  Ohristi  ergibt  die  Sitt- 
liehkeit  der  BsnnhendglEeii  —  DaB  der  Ansdroek:  »Esmpf  uns  Dssein«  ohne  Ab- 
schwSchung  verstanden  werden  soll,  ergibt  sieh  aus  folgenden  Worten:  Im  Wort 
Kampf  nms  Dasein  liegt  eine  Weltanschauung.    Der  Kampf  wird  als  Prinzip  des 
Fortschritts  gefaßt  und  zwar  der  ganz  brutale  egoistische  Kampf.  —  Das 
L.eben  braucht  beides,  die  gepanzerte  Faust  und  die  Hand  Jesu, 
beides  je  nach  Zeit  und  Ort    Und  sn  wtaSB  mid  so  fühlen,  wann  das  eine 
und  wann  dss  andere  nötig  ist,  das  ist  die  KnnsU  aa  der  wir  slle  lernen.  Theors- 
üadL  bsbsn  wir  sile  immer  unrecht,  denn  theofetiseh  müßten  wir  alle  entweder 
ganz  dem  Cäsar  oder  gans  dem  Nazarener  folgen.  —  Ein  theoretisch  reiner 
Christ  ist  innerhalb  der  Welt  nicht  möglich.    (Naumann,  Briefe  über 
Keligion,  »Hilfe«,  Berlin-J>cb6ueborg  1904,  S.  31 — 55.)    Man  vergleiche  demgegen- 
über 0.  Flügel,  Sittenlehre  Jesu,  4.  Aufl.,  Langensaka,  Uerinann  Beyer  &  Söhne 
(Beyer  k  JCsan),  1807  uid  Dörpfeld,  Zar  Sthik,  Gatefdoh  1885,  8.  SOff.»  95  fL, 
250  iL 

ZAwhrUl  fb  FUloMvIue  wid  Fidacogik.  12.  Jabisng.  23 


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354 


BaspreobuDgea 


Wieviel  besser  besteht  demc:of^enübcr  Herl>arts  Ethik  die  Probe  aiife 
Ebcempel!  Nahlowskj  also  greift  die  soziale  Grundtendenz  Herbarts  aiif 
und  läßt  äicb,  ^vie  sclion  der  Titel  besagt,  uäher  auf  das  Detail  der  sozial- 
ethischen Fragen  ein,  sucht  die  sittliche  Bedeutung  des  Kultur^  und  Wirt- 
schaftslebens allentbalbeD  herronoheben,  prOft  die  Tefsehiedenea  fieckts- 
oidnüDgen  und  StiafkategorieDf  widmet  eadlich  auch  der  Aibeiter-  imi 
Frauenfrage  die  gebührende  Aufmerksamkeit. 

Nahlowsk  ys  Ethik  zerfällt  in  drei  Teile:  der  erste  Teil  befaßt  sich 
mit  der  Gnmdlegung  der  praktischen  Philosophie  durch  die  Vorbegriffe 
der  allgemeinen  Ästhetik,  der  zweite  mit  der  Lehre  und  Ableitung  der 
ursprünglichen  Ideen,  der  dritte  mit  der  Lehre  von  den  abgeleiteten 
oder  gesellschaftlichen  Ideen.  Ihnen  voraugesetzt  ist  eine  Einleitung 
(8.  1 — 34)  Ober  Philosophie  überhaupt,  ihre  Angabe  und  ihre  Einteiluiig: 
in  Logik,  die  es  mit  der  bloBen  Form  der  Begriffe  zu  tun  hat,  in  Meto- 
physik  (theoretische  PhilosophieK  die  sich  mit  der  spekulatitreD  Beaibeitaiig 
der  Be^iffe  vom  Seienden  (dem  Realen)  beEafit  und  untersucht,  wie  die- 
selben widerspruchslos  gedacht  werden  müssen,  und  in  Ästhetik  (jjraktische, 
Philoso]>hie),  der  die  .sjvekulativt.'  Bearbeitung  des  Seinsollenden  (des 
Idealen)  zufällt.  Die  Etliik  ist  letzterer  unterzuordnen.  Diese  beiden  \Viss*:'n- 
schaften  gehen  unabhängig  voneinander  ihre  eigenen  Wege.  Die  Meta- 
physik fragt  wenig  darnach,  ob  das,  was  ist,  gefällt  oder  nicht  gefillt, 
die  Ästhetik,  und  damit  auch  die  Ethik,  hat  nichts  su  schaffen  mit  der 
Frage  nach  dem  Sein  imd  Niditsein  dessen,  was  sie  als  sohleohthin  bei- 
fiiiUenswert  anerkannt  hat  Die  £thik  hat  nun  zuenfc  die  Aufgal)e,  alle 
jene  Verhältnisse,  venn6ge  deren  das  Wollen  gefällt  oder  mi  15 fallt,  voll- 
ständig zu  konstruieren  und  daraus  die  ethischen  MusterbogrifVe  oder  die 
ethischeu  Ideen  abzuleiten.  Dieser  allgemeine  Teil  heißt  Ideeulehre.  Der 
speziellen  Ethik  kommt  es  dann  wieder  zu,  die  allgemeiuen  Muster- 
begriffe auf  die  besondereu  Lebeusverhältnisse  anzuwenden.  Wälu^end  nuQ 
zuerst  gegenfiber  falschem  ISuheitssti^ben  die  fnndamentale  ünabhlngigkeit 
der  allgemeinen  Ethik  g^n&ber  jeglicher  Art  von  theoratiacher  Phito- 
Bophie  erwiesen  wird,  sei  es  der  allgemeinen  Metaphysik  oder  der  besoa- 
sonderen  mit  ihren  ünteiabteilungen :  Psychologie,  Naturpliilosophie  und 
Bebgionsphilosophie  (Theologie),  weist  darnach  Nahlowsky  die  engen  Be- 
ziehungspunkte und  die  Wechselwirkung  der  speziellen  oder  angewandten 
Ethik  mit  diesen  Disziplinen  auf.  liier  kommt  auch  die  große  Bedeutunsr 
der  Religion  als  einer  von  anderer  Seite  schlechthin  nicht  zu  ersetzeodeii 
Ergänzung  der  Moral  zur  Sprache,  während  vorher  die. Begründung 
der  Ethik  auf  dem  Ootteeglauben  ebenso  scharf  abgewiesen  wird.  Im 
letiton  Einkitungakapitel  wird  auf  den  danligieilanden  BUiflnS  der 
Ethik  als  FOhnrin  im  wirklichen,  konkreten  Einzel-  oder  Staatdebeo  hin- 
gewiesen, ferner  auf  alle  die  Wissenschaften,  die  mit  dem  praktischen 
Leben  in  engster  Beziehimg  stehen,  wie  Pädagogik,  Rechtsphilosophie,  Oe» 
schichtswisponscliaft,  Theologie,  auch  auf  die  wahre  Kunst,  welche  der  sitt- 
lichen Weltanschauung,  des  Idealen,  nicht  entbehren  kann. 

Wie  die  Philosophie  überiiaupt,  so  muß  auch  die  Ethik  von  dem  in 
der  Erfahrung  G^benen  ausgehen.   Sofadie  Ikfahrangstatsachcn  sind  dia 


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I  PliiloflophisohaB 


355 


WertnrteUa.  Diese  werden  nun  des  näheren  untersucht  und  miteinander 
verglichen.  Als  Grundlage  der  Ästhetik  und  Ethik  bleiben  die  Urteile 
des  unparteiischen,  absohiten  Vorzieheus  und  Verwerfens  bestehen,  welche 
nun  auf  ihre  Grundtypen  oder  Grundformen  zurückzuführen  sind.  Denn 
nur  diesen  Stammurteiieu  kommt  absolute  Gewißheit  oder  Evidenz  und 
AllgcmelDgQltigkeit  zo.  Aiutett  nirn  noch  -weiter  anf  diese  Grondfragen 
und  epiterfain  an!  die  Koostniktion  der  Ideen  einzugeheD, .  wodaroh  nur 
bekannte  Gedankengänge  wiederholt  werden  müßten,  will  ich  mich  danuil 
beaduftnlten,  kurz  die  Darstellungsweise  Nahlowskys  zu  charakterisieren. 

Vor  allem  hat  Nahlowsky  die  Gabe,  mit  unübertrefflicher  logischer 
Schärte  sein  System  aufzubauen.  Alle  Möp^liclikeiten  werden  erwogen,  die  Un- 
möglichkeiten ausgeschieden,  alle  sich  einstellenden  P^inwände  berücksichtigt 
und  erledigt  und  die  Ergebnisse  gegen  falsche  oder  einseitige  Auffassuugeu 
sicher  gestellt.  Eine  scharfe  Disposition  kennzeichnet  das  Buch.  Wertvoll 
mnä  auch  besonders  die  kurzen  Solilnfibetrachtangen,  welche  den  oozelnen, 
entwickelten  Ideen  angefOgt  *  werden.  Hier  weist  Nahlowsky  das  Vov^ 
handraBein  letzterer  in  bekannteo  Moralsystemen  nach,  in  denen  die  be- 
treffende Idee  gerade  ^ne  besondere  Rolle  quelt  oder  bringt  Beispiele  aus 
der  Poesie  und  dem  praktischen  Leben ,  wo  sie  besonders  anschaulich 
hervortritt.  Aurh  die  Bemerkungen  sämtliche  fünf  Ideen  betreffend,  in 
denen  er  einmal  die  Selbständigkeit  jeder  einzelnen  Idee  betont,  andier- 
seits  auf  die  Wechselwirkimg  hinweist,  in  welche  sie  miteinander  treten, 
sobald  es  sich  um  ihre  Anwendung  auf  konkrete  Lebensverhältnisse  handelt, 
sind  sehr  beachtenswert  An  dieser  Stelle  mag  auch  auf  die  Udne,  Uber- 
ans  lehrreiche  Schrift  Nahlowskys  aufmerksam  gemacht  werden,  in  wel- 
cher er  gleichsam  die  Stichprobe  anf  die  piaktisohe  Brauchbai-keit  der 
Ideen  zur  sittlichen  Beurteilung  gewisser  Spezialfragen  und  Einzelfälle  der 
angewandten  Ethik  macht.  Sie  ist  betitelt:  »Die  ethischen  Ideen  als  die 
walt4?nden  Mächte  im  Einzel-  wie  im  Staatslebcn,  nach  ihren  verschiedenen 
Beziehungen  beleuchtet.«  (Langensalza,  Hermann  Beyer  &  Sühne  [Beyer  & 
MannJ,  1904.    2.  Aufl.). 

Von  Teil  m,  der  die  Lehre  von  den  geseltachaftlichen  Ideen  ent- 
halt, mochte  ich  besonders  noch  auf  den  Anhang  des  Verwaltungssysiems 
aufmerksam  machen,  welcher  Andeutungen  enthftlt  über  die  Bedehungen, 
die  zwischen  dem  Yerwaltoogssystem  einerseits  und  der  Rechtsgesellschaft 
und.  dem  Lohusystem  andrerseits  stattfinden.  Hier  nimmt  als  Zusatz  die 
Erörterung  Ober  die  soziale  Frage  einigen  Raum  ein.  Selbstverständlich 
mußte  sich  Nahlowsky  damit  begütigen,  auf  dieselbe  einige  Streiflichter  zu 
werfen  und  die  wesentlichsten  Gesichtspunkte,  aus  welchen  sie  aufzufassen 
ist,  hervorzuheben.  Er  betrschtet  sie  vorwiegend  von  drei  Gesichtspunkten 
aus:  von  dem  des  Arbeiters,  der  seine  Kraft  so  günstig  als  mO^ich  zu 
ver  werten  suchte  von  dem  des  Arbeitgebers  ans,  der  seinen  üntenehmer- 
gewinn  im  Auge  hat  und  von  dem  der  Regierung  aus,  welche  auf  die  Gesamt- 
heit zu  blicken  hat  und  deshalb  keine  Vergewaltigung  des  einen  gesell- 
schaftlichen Faktors  durch  den  andern  dulden  darf.  Die  hier  entwickelten 
Grundsätze  sind  bei  dem  gehässigen  Partei-  und  Interessentreiben  der 
Gegenwart  wohl  der  Beherzigung  wert    Von  selten  der  Ethik  kann  in 

28* 


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356 


jDMpfBflkmiigBii 


der  Tat  nioht  entschieden  genng  betont  iracden,  was  Nahlowsky  als 
Leitsatz  yoranstellt:  9  Man  hflte  sieh  nur  vor  jeder  Einseitigkeit,  nehme 
nicht  ausschließlich  in  dem  oder  jenen  Heerlager  Stellung,  halte  nicht  aus- 
schließlich bloß  an  der  Forderung  der  einen  oder  der  andern  von  den  ge- 
nannten Ideen  fest,  sondern  trachte,  den  berechtigten  Interessen  aller  jener 
gesellschaftlichen  Faktoren  möglichst  Kechnung  zu  tragen  und  die  Forde- 
ningen  aller  eingcWftgigen  gesellscfaaftliohen  Ideen  miteinMider  in  Buüdaiig 
m  bEiogen«  (8.  246).  Auch  die  Kapitel:  »Zur  Befoim  dm  irdUicheo 
ünteniohftB-  und  Brziehnngawaaensc  nnd  »WaobadbesiehiiogeD  swisoImd 
dem  Kultursystem  imd  den  übrigen  gesellschaftlichen  Syatenifln«  enthalten 
•wertvolle  Winke  für  die  Sozialreform.  Bei  der  Darlegnnp  dos  Kultm^ 
Systems  selbst,  welches  das  ganze  Innenleben  des  Volkes  auf  den  Gebieten 
der  Wissenschaft,  der  Kunst,  der  sozialen  Sitte  und  der  Religion  umfaßt, 
wird  das  Augenmerk  auf  vier  Hauptpunkte  gerichtet:  1.  auf  die  intellek- 
tuelle, 2.  auf  die  ftsthetisehe)  3.  auf  die  moralische,  4.  auf  die  religiöse 
Auabildmig  dea  YolkeB  in  alian  aainaD  Scahidtten. 

Dem  Yeriage  ist  es  nodh  sa  danken,  daft  er  durch  bedeutende  Henb- 
aetznng  des  nnprBngliohen  Fkeiaee  eine  weitece  Yertneitung  dea  BndieB 
ennfiglicht  hat. 

Auerbach  i.  V.  Dr.  G.  Burk 

n  P&dagogisolLes 

Seifert,  Dr.  Bkhari,  Die  Unterrioktalektion  als  didaktische  Knnst- 
form.  Fkaktiacfae  Batoobllge  und  Fkoben  für  die  AUtagaaibeit  und  fBr 
Lehrpfoben.  Leipsig  1904.   341  a  VreiB  2^0  M. 

Das  Buch  zerfSUt,  ine  achon  der  Titel  erkennen  ULfit,  in  einen 

theoretischen  (»Allgemeines«  —  S.  1 — 97)  und  einen  praktischen  Teil 
(»Praktische  Versuchec  —  S.  98 — 241).  Unsere  Besprechung  soll  sich 
auf  den  ersten,  den  gnmdlegenden  Teil  beschränken.  Derselbe  bietet  in 
seiner  ersten  Hälfte  eine  allgemeine  und  spezielle  Didaktik,  und  diesen 
prinzipiellen  Darlegungen  sind  in  den  folgenden  Kapiteln  einige  unter- 
geordnete, ja  mm  läl  recht  nebenaMofaHche  Punkte  Salerlich  ganz  gleioh- 
wertig  angereiht  Die  AuafOhrungen  adbat  i^eiehen  Aphoriamea.  Aas 
dieaem  Grunde  mofi  ein  näheres  Eingehen  auf  manche  grundlegenden  £^ 
Qrterungen  hier  unterbleiben,  da  letztere  daiu  nicht  ansfOhrlich  und  tief 
genug  sind.  Andrerseits  sind  die  darin  zu  Grunde  gelegten  Toraas- 
setzungen  zu  wenig  bekannt  und  anerkannt,  um  so  kurz  und  fragmentarisch 
behandelt  zu  werden.  Das  gilt  u.  a.  von  den  » psychogenetischen  Gesetzen« 
(S.  5)  und  von  der  B^ündung  der  4  Lernstufen  (S.  17  ff.),  die  im  aÜ- 
gemeinen  den  Fennaiaiufea  Herbarts  entsprechen.  Der  Herr  Verliuser  lia> 
nennt  die  Stufen  ala  Binatininiung,  Erarbeitung  (dea  Kenen),  Binaibettaag 
(ina  BewufitBeuugann)  und  (formale)  Verarbeitung.  Wcsn  dieee  asae 
Terminologie,  die  keineswegs  zu  grOfierer  Klarheit  beitragen  dürfte;  ist 
doch  z.  B.  die  Zielangabe,  die  in  den  nachfolgenden  Lehrproben  vorhanden 
ist,  unter  Einstimmung  einbegrißfen?  Auf  S.  4  wird  das  Erziehungsziel 
bestimmt  als  Bildung  einer  »durchgeistigten  Persönlichkeit«.    Mag  nuui 


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n  PidagogiHohea 


357 


auch  den  Auadruok  »PeraOnh'chkriU  gelten  Umb,  das  Attiflmt  khiroii- 
geiitigtc  ist  doob  auf  den  ersten  Anblick  zu  unbestimmt  und  lelgt  bei 

weiterer  Überlegung  eine  stark  intellektualistische  Richtung.  Eine  über- 
m&ßigc  Betonung  der  Verstandeebildung  ist  auch  an  anderen  Stellen  nicht 
zu  verkennen;  so  wird  S.  14  gefordert,  »auf  der  Unterstuto  gewisse  mecha- 
nische Fertigkeiten  zum  Abschluß  zu  bringen:  das  mechanische  Lesen, 
das  Schünscbreibeo,  das  Rechtsc hroiben,  die  gebundeneu  Aufsatzformen, 
die  QnmdreohniiqgBarten  mit  ganien  ZaUen  iL  m.c  Und  von  der 
UDtantnfe  hdAt  ea  anaditloUioh:  »Aeilich  muA  anoh  hier  die  Zeit  vor 
allem  den  Formfächern  zur  Verfllgung  atefaeii.«  Bei  einem  solchen  Lehr- 
betrieb kommt  die  Schule  doch  in  Gefahr,  zur  bloßen  Unterrichts-,  ja  zur 
Dressuranstalt  zu  werden.  Wenn  S.  15  gar  verlangt  wird,  daß  »der 
Sachunterricht  der  Unterstufe  geradezu  gelegentliche  Erzähl-  und 
Plauderstunden  (a.  a.  0.  gesperrt  gedruckt)  enthalten  müsse,  in  denen 
die  Kinder  in  ihrer  Weise  über  Seibsterlebtes  berichten,  oder  in  denen 
der  Lehrer  enählt«,  80  möchte  man  darin  eine  bewußte  oder  onbewoAte 
Beaktion  gegen  den  Intellektualiamiia  mid  den  DiiU  nnaerer  Schalen  er- 
Uieken.  Wollen  irlr  nicht  lieber  inneihalb  dea  iJanmüBigen  Ünteiriohts 
die  Kinder  in  ihrer  Weise  über  Selbsterlebtes  berichten  lassen?  Über  ö» 
Einteilung  der  Lehrf&cher  in  Religion,  Realien  und  Formalien  (S.  12)  ge- 
nüge es  zu  bemerken,  daß  dieselbe  weder  tief  genug  gefaßt,  noch  in 
streng  logischer  Weise  begründet  ist.  Die  Bemerkungen  zur  speziellen 
Didaktik  (S.  26  ff.)  enthalten  im  großen  und  ganzen  bekannte  Forderungen. 

Fragt  man  nun,  was  der  eigentliche  Zweck  des  Buches  ist,  so  läßt 
lioh  ana  dem  Vorwort  vnd  den  AnafOhrongeD  der  eraten  Blitter  ent- 
nehmen, daB  die  Schrift  auf  Herrorhebong  dea  kflnatleriachen  Homenta  der 
Lehrtfttigkeit  hinzielt :  »Die  Unterrichtslektion  ist  das  Erzeugnis  einer  fM- 
schafTenden  und  freigestaltenden  Tätigkeit,  ein  kleines  Eunstwerk.c  Auf 
S.  7  heißt  es  sehr  richtig:  »Das  Künstlerische  ist  das  Subjektive,  das  jeder 
Individualität  Eigentümliche.  Da  der  Unterricht  ein  lebensvoller  geistiger 
Verkehr  von  Person  zu  Person  ist,  ist  dem  Künstlerischen  ein  breiter 
Kaum  gelassen«  —  wenn,  so  möchten  wir  hinzufügen,  das  freie  Schaffen 
nicht  in  Fesseln  gelegt  wird.  Aber  S.  11  leaen  wir  zu  unserer  Ver- 
wuiderung:  »Wenn  aelbat  der  Stoff  Ina  aufis  Tfipfdcfaen  ▼orgeaohrieben 
wäre,  auch  dann  bliebe  noch  ein  weiter  Raum  für  freiee  persBnliofaee,  alao 
künstleiiaohes  Lehrverfahron«,  und  kurz  vorher:  »Wenn  jeder  sich  darauf 
beschränkte,  hierin  seine  Künstleraohaft  zu  betätigen,  dann  würden  die 
Klagen  über  das  übermäßige  Normieren  und  Reglementieren  bald  ver- 
Btummen.«  Also  mit  andern  Worten:  Wenn  jeder  mit  der  ihm  gelassenen 
Freiheit  sich  begnügte,  dann  würden  die  Klagen  über  bürokratische  Ein- 
zwängung aufhören!  Alierdings  würde  schließlich  alle  Unzufriedenheit  aus 
der  Weh  venohwunden  sein,  wenn  jeder  mit  aeiner  Lige  sich  zufrieden 
gibel  Nein,  wer  daa  kflnatleriaehe  Moment  der  Lehrtitigkeit  pflegen  will^ 
muß  in  erster  Linie  fQr  Freiheit  dea  Lehren  eintreten,  gegen  daa  fiber- 
mäßige Normieren  und  Beglemeotieren  Front  machen.  Denn  zweifeUo» 
leidet  unser  Schulwesen  sehr  unter  dem  immer  üppiger  wuchernden 
BürokratiMnus,  der  nicht  lum  wenigsten  genährt  wird  durch  kleinliche^ 


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358 


Btiepreohaogen 


kurzsichtige,  engherzige  Schulbeamte,  die  alles  in  ihre  Schablone  zwangen 
wollen;  aber  »sie  spinnen  Luftgespinste  und  suchen  viele  Könste  —  und 
kommen  weiter  von  dem  Ziel«.  Mit  diesem  bürokratischen  Zuge  hängt 
es  auch  zusammen,  wenn  manche  Schulen  zu  bloßen  Lern-  und  DriU- 
anstalteu  werden.  Dem  Lehrer  muß  das  freie  Schaffen  im  Großen  uad 
im  Qaasen  gewahrt  Udbeii,  natflrlioli  innerlialb  eines  grofizOgigen  Lehiphnei 
tmd  gemftft  dem  feetbeetimmten  Lehniele.  Bb  geoUgt  nicht,  wenn  nur  die 
Gestaltung  dee  Kleinen,  der  blofien  einselnen  Lektion  oder  Lehcetonde  te 
Lehrer  noch  belaseen  ist;  dann  hat  er  wohl  die  Teile  in  seiner  Hand,  es 
fehlet  aber  das  geistige  Band.  Ein  Haftenbleiben  im  Kleinen  führt  nicht 
zu  wirklich  kOnstlerischom  Schaffen,  nur  zu  Künstelei.  Kann  z.  B.  der 
Maler  ein  echtes  Kunstwerk  schaffen,  wenn  ihm  alle  Gegenstftnde  saint 
ihrer  Anordnung  vorgeschrieoen  werden? 

Über  die  im  2.  Teile  des  Buobes  gebotenen  Lektionen  sei  nur  ge- 
sagt, dafi  der  denkende  Lehrer  msnebiBS  daraus  sich  cunntn  meohes 
kann,  aber  anderes  für  seine  Person  abweisen  wird,  ohne  es  sa  vemrieiks, 
wenn  ein  anderer  sich  dafür  entschddet.  Denn  nur,  was  der  Lehrer  siok 
selbst  erarbeitet,  selbst  durchdacht  hat,  weckt  Leben  und  macht  das  Lehren 
zum  künstlerischen  Tun,  nicht  aber  das,  was  kritiklos  übernommen  oder 
gar  reglementmäßig  aufgezwungen  wurde. 

Jena  Zahrenhusen 


Shlger,  Dr.  Karl,  München,  Soziale  Fürsorge  der  Weg  zum  Wohltun. 
München  und  Berlin,  R  Oldenbourg,  1904. 
Es  ist  ein  Terdienstliohes  Unternehmen  bei  der  grofien  Zersplitteniqg 
der  WoUlitigkeitsbeBtTebmagen  eine  ZnssmmensteUong  aUer  der  Eb- 

richtungen  mit  den  betreffooden  Literatur -Nachweisen  zu  geben,  die  in 
das  Gebiet  der  sozialen  Fflrsoiige  gehören.  Dabei  wird  aooh  auf  wichtige 
Organisationen  des  Auslandes,  von  denen  wir  lernen  können,  hincr--''vrio<:en. 
Der  Stoff  ist  so  grujipiort,  daß  in  den  ersten  Abschnitten  die  allgenieinec 
Fragen,  dann  die  Schaffung  der  zentralen  Organisiitionon  erörtert  werlen, 
während  die  weiteren  Kapitel  sich  au  die  Hauptalterästufeu  und  die  sozialen 
BedOrfnisse  anschließen. 

Wir  kennen  kein  Werk,  das  eine  Shnüohe,  umfassende  Überseht 
bOle.  Diese  ist  aber  deshalb  wichtig,  um  die  Zusammenhinge  und  Auf- 
gaben in  ihrer  inneren  und  änSereo  Yersohlingong  zu  überschauen  and 
auf  eine  systematieohe  Omppienmg  su  gegeoseitiger  Unterstatsong  hinm- 
arbeiten. 

Daß  die  einzelnen  Abschnitte  in  ihrer  Kürze  nur  summarische  Be- 
trachtungen darbieten  können,  liegt  in  der  Anlage  des  Buches  begründet. 
Immerhin  dürfte  bei  einer  neuen  Auflage  eine  Erweiterung  desselben  be- 
hnfs  gründlicher  Mitteilungen  angestrebt  weiden.  Hierbei  kOonen  die 
EoqjrUopftdien  von  W.  Bein  (Langensaka»  Hermann  Beyer  SOhne  [09er 
A  Hann])  und  das  Staatslexikon  von  Conrad  u.  a.  (Jeoj^  fisdher)  in  dnai 
neoeD  Auflagen  gute  Dienste  leisten. 

Jena  W.  Reis 


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n  PMugoginehee 


S59 


liisch,  Dr.  A.,  Rektor  der  liatina  in  Halle,  Schfilervereine,  ESrfiUiruiigeD 
und  Grundsätze.   Halie,  Waisenhaus,  1904.    112  S.    1,50  M. 

Wenn  man  immer  ^neder  hier  und  da  von  Auflösung  lieiiulicher 
Schulerverbindungen  mit  den  obligaten  Bcstrahnigen  hört,  fragt  man  sich 
verwundert,  ob  denn  die  Direktoren  und  Ijolirerkollegien  nicht  <lie  Schrift 
des  Herrn  Dr.  Rausch  studiert  halben.  Nicht  als  ob  hier  ein  Allheil- 
mittel gegeben  seif  um  derartige  Dinge  ein  für  aDemal  «i  verhüten,  aber 
vortreffliche  AoBfOhrongen  rar  Qefltaltnng  eioeB  frisoheii,  ofifonen,  gesnodea 
SchnUebens  kann  man  in  der  Tat  hier  finden.  Wo  geheime  Verbindungen 
ßich  einnisten  können,  ist  sicher  etwas  nicht  in  Ordnung.  Eine  Erziehungs- 
schule, in  der  Lehrer  und  Schüler  kameradschaftlich  verkehren  und  im 
Spiel,  auf  Spaziergängen,  Schulreisen  usw.  einander  näher  kommen,  kennt 
solche  Verimingcn  nicht  Aber  leider  sind  unsor»:^  liöheren  Schulen  oft  von 
dem  Ideal  einer  Erziehungsschule  sehr  weit  entfernt.  Sie  brüsten  sich  nicht 
selten  mit  dem  Wissen  ihrer  Schaler  und  wie  weit  sie  daiin  z.  B.  über 
englische  Schulen  erhaben  seien  —  sehr  mit  Unrechti  da  sie  der  Bildung  der 
irerdenden  Schfller-PersOnliohkeit  gleichsam  nur  von  weitem  zusehen  und 
sidi  honlidh  wenig  darum  bemflhen.  Ei-zieher  brauchen  wir  in  unseren 
höheren  Schulen  heute  mehr  als  ja  Solange  wir  nur  Stundenhalter  haben, 
werden  die  heimlichen  Verbindungen  mit  all'  ihren  schweren  Ifacliteilen 
nicht  aufhören,  die  beste  Kraft  unserer  Jugend  zu  verzehren. 

Jena  W.  Bein 

01^,  Chr.,  Die  Ergebnisse  und  Anregungen  des  Kunsterziehungs- 
tags  in  Weimar.   Altenbug;  Bonde,  1905. 

Der  Yer&sser  unterwirft  die  Verhandlungen  des  zweiten  »Ennst- 

erriehungstages«  einer  eingehenden,  sachlichen,  scharfen  Kiitik.  Man  liest 
sie  mit  Gewinn;  der  »Kunsterziehungstag"  aber  kann  sich  l)eglflckwflnschen, 
daß  er  mit  solcher  Aufmerksamkeit  von  einem  Fachmann,  der  in  diesen 
Dingen  zu  ILiuse  ist  und  sich  auf  Orund  seiner  Erfahrung  mancherlei  Ge- 
danken darüber  gemacht  hat,  auf  seinen  inneren  Gehalt  hin  geprüft 
wird.  Kritisch  betrachtet  erscheint  er  dem  Fachmann  sehr  gering.  Er 
mag  recht  haben.  Aber  iriac  sehen  die  Bedeutung  der  »Kunsterziäiungs- 
tsge«  nach  einer  ganz  anderen  Sate  hin.  Wir  betrachten  sie  unter  dem 
Lichte  der  DOrpfaldschen  '»Schulsynoden«:  Erziehungs-  und  Unterrichts- 
fragen  sollen  auch  vom  lAienelement  aufgenommen  und  beraten  werd^ 
Denn  sie  sind  eine  gemeinsame  Angelegenhr»it.  nicht  dio  [)o!tijlne  eines 
fachmännischen  Kreises  allein.  Bei  solchen  Veriiandlungen  tritt  natürlicli  viel 
Verkehrhcit,  Halbheit  und  Oberflächlichkeit  zu  Tage,  wie  es  aucli  bei  den 
Beratungen  der  Schulvorstände  —  und  der  Parlamente  unvermeidlich  zu 
Sehl  scheint  Was  z.  B.  gegen  die  »Formalstufen-Theorie«  gelegentlich  in 
Weimar  vorgebracht  wurde»  konnte  dem  Kenner  der  Sache  nur  ein  mit- 
leidiges Uk^ehi  entlocken.  Aber  das  mufi  man  mit  in  den  Kauf  nehmen, 
wenn  man  pädagogische  Dinge  einem  weiteren  Kreis  vorzulegen  und  sie 
dafür  zu  interessieren,  prinzipiell  für  eine  notwendige  Aufgal^e  h&lt.  Einige 
Vorzüge  mögen  besonders  noch  hervorgehoben  wenlen  z.  B. :  Auf  welcher 
Versammlung  sind  denn  so  eneiigische  imd  gute  AVorte  gegen  das  büro- 


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360 


Bespreohongen 


kratische  Schulsystem,  das  jaDorpfekl  auch  so  verhalk  war,  gesprochen  worden? 
Wo  hat  man  GtTentlich  die  Reform  des  Lelirplans  für  das  erste  Schuljahr 
kräftiger  betont?  Wo  sonst  finden  sich  Männer  und  Frauen  der  verschiedenälea 
LebeDsaoBoluMiuDgeQ  und  Berufe  nuammeD,  um  Aber  Bnieliiiiig  und  Ullte^ 
ridit  Gedankeu  auaiutBaBolieD?  Die  Arbeit  der  »Eunsteniehuogstag»«  ist 
weniger  eine  adiOpferische,  als  eine  aufkllnode  fOr  Kreise,  die  anfierhalb 
der  Wissenden  liegen.  Dafi  von  letzteren  eine  scharfe  Kontrolle  geübt  wird, 
ist  notwendig  und  ersprießlich.  Damm  muA  die  Arbeit  des  Herrn  Rektor 
XJtei  dankbar  begiüfit  werden.  W.  Bein 

Stektager,  Dr.  A.,  Der  ünterrichtsbetriob  in  großen  Volksschul- 
kOrpern  sei  nicht  schematisch-einheitlich,  sondern  diffe- 
rensiert-einheitlich.  ZuaammenfiMseade  Darstellung  der  MannhaBier 
TolksBchubefonn.  —  Mannheim,  J.  Bensheimer,  1904.  8^.  Tm  und 
172  Seiten.  —  Preis  3,20  M. 

Der  recht  umstftndich  klingende  Titel  der  neuesten  Schrift  des  durch 
seine  Organ isationsvorschl.^e  in  den  letzten  Jahren  rasch  bekannt  gewordeoea 
Mannheimer  Stadts^chulrates  Dr.  Sickinger  hat  insofern  sein  Gutes,  als 
er  Ober  das  Wesen  des  hier  zu  besprechenden  Buclies  keinen  Zweifel  läßt 
Der  Haupttitel  kennzeichnet  kurz  den  Grundgedanken  des  Inhaltes,  der 
Nebentitel  die  Form  des  Buches.  Der  erstere  ist  insofern  nicht  gans  la- 
treffeDd,  als  der  Untenichts-Be trieb  wmt  mehr  um&fit  als  die  bloße 
Organisation  großer  VolksschulkOrper,  auf  die  es  dem  Yeiftsser  m 
allem  ankommt.  Doch  ist  das  ohne  Belang  gegenüber  der  großen  Be- 
deutting  des  durch  den  Titel  angedeuteten  Inhalts  des  Buches.  Auf  diesen 
hier  kritisch  einzugehen,  verbietet  der  Zweck  einer  Buchbesprechung. 
Will  man  den  zwar  nicht  neuen,  aber  vom  Verfasser  mit  viel  Geschick 
neu  begründeten  und  mit  großer  Energie  vertretenen  und  in  die  Wirklicb- 
keit  umgesetzten  organisatorischen  Ansichten  gerecht  werden,  so  erforderte 
daa  ane  neue  Abhandlung.^)  Diese  nach  der  Ansidit  des  YerfMsom  is 
pidagogischer,  hygienischer  und  socialer  Hinsieht  tief  emsdmeideodea 
Pläne  sind  zudem  den  Leeern  dieser  Blätter  seit  der  DnicklegUDg  des 
Vortrages  »Organisation  großer  VolksschulkOfp»  nach  der  natürlichen 
Leistungsfähigkeit  der  Kinder, <  den  Dr.  Sickinger  auf  dem  I.  intemation. 
Kongreß  für  Sciiulhygiene  in  Nürnberg  gehalten  hat,  bekannt.  Das  Wert- 
volle des  Buches  ist  in  seiner  Form  zu  suchen.  Es  Vinngt  nämlich  außer 
dem  eben  zitierten  Vortrag  alle  bisherigen  Arbeiten  des  Verfassers,  aoA 
dto  noch  nicht  im  Druck  erschienenen,  in  chronologischer  Beihoiiolgi^ 
seigt  zum  enrfenmal  saUeomäßig  die  Erfolge  seiner  bisherigen  BemfUnmgeBi 
die  man  sonst  aus  den  einzelnen  Jshresberiohtsn  der  Mannheimer  Tolks* 
schulen  zusammenzutragen  gezwungen  ist,  und  bringt  auf  nicht  weniger 
als  11  Druckseiten  ein  Verzeichnis  der  über  die  hier  vertretene  Or^- 
nisationsfrage  bereits  erschienenen  literatur.  So  wird  man  in  stand  geseut, 


')  Diese  ist  niittlerweilo  unter  dem  Titel:  E.  Scholz,  Darstellung  und  Be- 
urteilung doH  Mannheimer  Schalsystems  ab  Nr.  256  des  Pädag.  Magw"»«!  heraus* 
gegeben  tob  Fr.  Mann^Iaageamlaa,  ersohienen. 


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II  Pidagoguiches 


361 


die  Bewegung  von  ihren  Anfängen  an  im  Zusammenhange  zu  verfolgen. 
Besonders  wertvoll  ist  die  erste  Arbeit  des  I.  Teils,  die  Denkschrift  »Zur 
Frage  der  Organisation  der  Volksschule  in  Mannheim«  vom  1.  Jan.  1899, 
welche  Stadtscimlrat  Dr.  S.  den  städtischen  Behörden  überreichte.  Sie 
bat  die  wichtige  Angelegenheit  in  FluB  gebracht.  Besonders  interessant 
Bind  dum  die  AuseiiiMideEMfkzangen  des  YerCMsen  mit  aeinen  Oegnern  n.  a. 
in  dem  Anfeats  »Ein  pidagogiBohes  GntachteD  HerbartB  mid  der  tfann- 
heimer  Schulorganisationsplan «  und  endlich  die  MitteiluQgra  über  die 
»StellungnahiDe  des  Mannheimer  LehrerkoUegiumB«  usw.,  welche  die 
»Modifizierten  Reformvorschläge  des  Schulleiters«  zur  Folfro  hatten.  Diese 
sind  so  verschieden  von  den  ersten  Absichten  des  Yerfassers,  daß  durch 
sie  selbst  heftige  Gegner  der  Sache  für  dieselbe  ^ewonueu  wonlen  sind. 
Diese  Wandlungen  zu  verfolgen  gewährt  großes  Interesse,  wie  es  nicht 
minder  interoosant  ist,  acli  in  die  ersten  Veisaohe,  beaoiidece  Stonden- 
nnd  LehipÜLne  fOr  die  Sonderi[]a88en  abmfassen,  zn  vertiefen.  Die  bel- 
gegebenen  Lasten,  Erhebangsbogen,  tabeHaiisohe  Übersichten  usw.  werden 
besoDders  denen  gute  Dienste  leisten,  die  einen  Verroch  mit  der  neuen 
Organisation  machen  wollen.  Aus  den  kurz  hier  zusammengestellten  Gründen 
ist  die  Arbeit  des  Verfassers  eine  verdienstvolle,  das  Buch  für  jeden,  der 
sieh  über  die  einschlägigen  Fragen  ein  sachliches  Urteil  bilden  will,  un- 
entbehrlich. Es  behält  auch  dann  noch  seinen  Wert,  wenn  der  Verfasser 
seine  im  Yorwott  kurz  angedeutete  Absicht  —  vielleicht  nach  Jaliren  der 
Erfahrung  *  znr  AnafOhroog  bringt,  eine  »snsammen&BBende  Beaibeitung 
aller  snf  die  innere  nnd  ftnfiere  Orgamsation  grofier  Ydlnaohnlkfirper  be- 
iQgliclien  Fragenc  m  pnbliaeren. 

POAneck  i.  Th.  E.  Scholz 

GiBweatz,  Prof.  Dr.,  Die  Hei  m;it  künde  in  der  Schule.  Grundlagen  und 
Vorschläge  zur  Forderung  der  naturgeschichtlithen  und  geographisclien 
HeioQatkunde  in  der  Schule.    Berlin,  Gebr.  Bornträger,  1904.    X  und 
139  S.    8<».    Oeb.  2,40  M. 
Der  YerfiBBer  geh<irt  nicht  dem  Sohnlfaohe  an.   Er  ist  Direktor  des 
westpreoAiBofaen  Pnmnrialmnseams  in  Dansig.    Seine  Yorstodien  hat  er 
aus  freiem  Antriebe  in  Lehrerkonferenzen,  heÄ  Sdralbesuchen  im  In-  nnd 
Auslande,  in  der  Literatur  gemacht.  Die  Ansichten  von  Nichtfachmännern 
zu  hören,  ist  interessant;  sie  enthalten  Vorzüge  und  Fehler,  aus  denen 
man  manches  lernen  kann.    Zu  den  Vorzügen  des  Buches  gehört  die 
Frische,  mit  der  es  geschrieben  ist.    Ohne  langes  Theoretisieren  bespricht 
der  Verfasser  auf  Grund  eigenei  Anschauung  das,  was  er  in  Schulen  ver« 
sohiedenstar  Art:  YdkaBchnlen,  PrAparanden»  Senünaron  nnd  höheren 
Sohnlen  in  Besag  anf  die  Behandloitg  der  naturkundlichen  nnd  geogra- 
phischen Seite  der  Heimat  Torgehmden  hat   Leeebflcher  nnd  Lehrmittel- 
sammlungen, Bilder  und  Karten,  Schulgarten  nnd  Sohulmuaeen,  Schulans- 
flOge  und  Schulreisen  unterzieht  der  Verfasser  einer  sachlichen,  aber  ziem- 
lich scharfen  Kritik,  die  sic  h  besonders  die  Verfasser  weitverbreiteter  Lese- 
bOcber  und  Herausgeber   von  geographischen  Bildwerken  genau  ansehen 
sollten.    Den  Maßstab  hierfOr  gibt  ihm  seine  hohe  Meinung  von  der 


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362 


Bespreohongen 


Ueimatkenntnis,  die  zur  Heimatliebe  führt  und  die  Forderung:  »Eb 
mofi  bei  uns  darohaus  angestrebt  werden,  da£  der  gesamte  Dntenielit 
«in  heimtlicbee  Gepräge  erhftltc  (S.  3).  Du  ist  meiaeB  'Vtoeos  das  Neoe 
an  dem  Booh,  dafi  es  eine  kritisdie  DaistsUmu:  dm  gmmim  ÜBtemolilS' 

betliebes  von  den  Anfingen  der  Volksschule  bis  an  die  Schwelle  der 
Universität  —  Rowoit  es  sich  um  die  Heimatkunde  handelt  —  gibt 
Weil  nach  dem  Urteile  des  Verfassers  bei  uns  die  Heimatkunde  nicht 
überall  in  dem  Maße  gepflegt  wird,  wie  es  wünschenswert  und  notwendig 
ist  (Vorwort),  macht  er  praktische  Vorschläge,  die  z.  T.  sehr  zu  beachten 
sind:  den  SohtUern  sind  ansgewflhlte  heimatliöbe  Bilder  etwa  in  Oktav- 
giQle  und  Heimatkarten,  womOglidi  Absflge  der  Oeneralstabskarta  in  di» 
Hand  zu  geben;  Aufsätze  aus  der  engeren  nnd  weiteren  Hdmat  sollen 
den  Grundstock  der  I^sobücher  bilden;  letztere  sollen  also  landschaftliches 
Gepräge  erhalten,  so  daß  besondere  heimatkundliche  »Anhänge«  nicht  er- 
forderlich sind ;  die  Naturaliensammlungen  sollen  in  erster  Linie  heimat- 
liche Naturkürper  enthalten;  für  LehrausflOge  und  Schulreisen  sind,  wo 
nötig,  Kosten  beidt  so  stdleo;  die  Sdralwanderongen  sind  in  den  Lahr- 
plan  anftnnehmen  und  sollen  vor  allem  die  Heimat  snm  Ziel  haben;  die 
Ortsohronik  soll  anoh  eine  Sehildemng  der  »nisprflngliöhen  Natur«  des 
Ortes  enthalten;  Lefarerkonferenzen  konnten,  mit  entsprechenden  Vorträgen 
verbunden,  auch  im  Freien  gehalten  werden;  die  Fortbildungskurse  für 
Lehrer  müßten  auch  Vorträge  über  dio  Heimat  in  ihr  Programm  auf- 
nehmen, wie  für  Neuphilologen  sollten  auch  für  die  Lehrer  der  Geographie 
Beisestipendien,  und  zwar  zur  BrforBchung  der  Heimat,  bereit  gestellt  «eidea; 
bei  Neubanten  ist  für  bOhere  Schulen  ein  besonderes  Lehnimmer  Ar 
Naturgeschichte  und  Erdkunde  einzurichten  und  dn  »Aussiohtsturm«  ania- 
bringen,  fQr  Naturgeschichte  und  Erdkunde  wäre  ein  besonderer  Oberauf- 
sichtsbeamter anzustellen  und  so  fort.  Und  diese  Vorschläge  sind  sehr  oft 
mit  charakteristischen  Wendungen,  wie  ;^es  ist  darauf  hinzuweisen;«  »es 
ist  in  keiner  Weise  zu  billigen«;  »es  müßte  allgemein  angeordnet  werden« 
eingeleitet  In  der  Tat  hat  auch  bereits  das  Danziger  Provinzialsobul- 
koUegium,  und  seinem  Beispiele  folgend  der  preuBisohe  Unterriofatsminiiter 
eine  Verfügung  fiber  Sohulreisen  im  Sinne  des  vom  Verliussr  snf  dea 
S.  90 — 92  gemachten  Vorschlages  erlassen.  VorsofaUge  von  Faohmlaaen 
pflegen  in  der  Regel  nicht  so  rasch  zu  wirken. 

Schon  aus  den  genannten  Vorzügen  ergeben  sich  für  den  Kenner 
aber  eine  Reihe  von  Mängeln,  die  das  Buch  an  sich  trägt  Die  Theorie 
wird  soweit  außer  acht  gelassen,  daü  jede  Erklärung  dafür  fehlt,  was 
llberbanpt  unter  »Htimatkonde«  zu  verstellen  ist  UmfiiJt  sie  die  beimst- 
liehe  Flur,  den  Besirk,  die  Provinz,  dss  Vaterland?  Auf  Ghrnnd  der  wth 
atrsüten  Andeutungen  kann  man  den  Umfang  des  Begriffee  ganz  beliebig 
fap55en.  —  Der  Verfasser  scheint  —  wieder  mnß  man  das  aus  Andeutungen 
schließen  —  der  Auffassung  zuzuneigen,  daß  die  Heimatkunde  Prinzip, 
nicht  Fach  sein  soll.  Warum  wird  dann  aber  der  historischen,  wirtschaft- 
liohen,  ästhetischen  Seite  der  Heimat  so  gut  wie  gar  nicht  gedacht?  Was 
soll  in  jeder  Klasse  In  der  »bestimmten  Anzahl  von  Stunden  fOr  da» 
Heimatknndec  behandelt  werden?  —  Die  oben  an^oHttirten  praHisebes 


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n  Päda^ogiscbefi 


363 


Torschläge  des  Verfassers  sind  bis  auf  wenige  alt  Warum  sind  ihre 
geistigen  Urheber  oder  doch  wenigstens  die  Arbeiten  nicht  genannt,  in 
denen  sie  ausführlich  begründet  zu  finden  sind?  Neu  sind  meines  Wissens 
die  Vorschläge,  daß  die  Direktoren  und  Lehrer  höherer  Anstalten  ihre 
Pttne  fOr  FerienrnseD  erat  dem  FkovinsuüaoluilkoUegiiim  tnr  Frflfüng  vor- 
sulegen  haben  nnd  daS  fOr  geogpnphisfdie  und  natnrknndliohe  Heimatkunde 
ein  besonderer  Inspektor  anzustellen  sei!  Sind  unsere  Direktoren,  unsere 
Schnlinspektoren  zu  den  Arbeiten  nicht  fllhig,  die  da  kontrolliert  %vorden 
sollen?  Hier  ist  das  Neuo  nicht  zugleich  das  Bessere.  Reizt  so  das  Buch 
stellenweise  zum  Widerspruch,  so  regt  es  doch  auch  wieder  an  und  scheint 
an  »mafigebender  Stelle«  beachtet  zu  werden.  Bedeutet  es  also  für  die 
Didaktik  auch  keinen  Fortachritt,  so  iriid  ee  innerhalb  der  Flut  dar 
heunatkundliohea  Literatur  immerhin  eine  besondere  Stellung  behanptea 
und  öfter  genannt  werden.  (Die  Auaatattuig  des  Buohea  iat  einftoh,  aber 
voniehm). 

Pösneck  i  Th.  B.  Sohola 

rirster,  Dr.  Fr.  W.,  Jugend  lehre.  Berlin,  Verlag  von  Georg  Reimer,  1904. 

Dr.  Förster  ist  uns  als  ein  hervonagender  Vertreter  »der  Gesell- 
sohaft  für  ethisohe  Kultur«  bekannt;  er  hat  aioh  als  soloher  in  dem  vor^ 
liegenden  Werk  in  umfassender  Weise  um  die  Lösung  sozial-ethischer 
Probleme  verdient  gemacht.  Es  ist  als  eine  besonders  verdienstliche  Auf- 
gabe anzusehen,  die  allein  wirksamen  Hobel  an  die  sittliche  Erziehung 
der  Kindheit  und  Jugend  anzusetzen.  Vorerst  ist  natürlich  die  richtige 
Art  der  Ziele  sittlicher  Erziehung  festzustellen,  dazu  bietet  sich  den  Einen 
der  auf  religiöser  Orumüage  gewonnene  Sittenkodez,  den  Anderen  die  auf 
anthropologischen  Studien  und  p^chologieohen  ßr&hrungen  beruhende 
Mensdienkenntnis.  Irren  wir  nicht,  so  haben  wir  bereits  unter  anderem 
von  Döring  eine  umfassende  Arbeit  über  die  Notwendigkeit,  statt  des 
herrschenden  religiösen  Prinzips  als  der  alleinigen  Quelle  sittlicher  Wert- 
urteile ein  in  sich  ruhendes  anthroiX)logisches  zu  fordern  und  davon  aus- 
zugehen. Weil  entweder  unvollkommene  religiöse  Vorstellungen  auch 
falsche  moralische  Begriffe  und  Ideen  mit  sidi  Idingen,  oder  weil  es  in 
weiten  Kreiaen  des  Volkes  an  jedem  religiösen  Bekenntnis,  an  jeder  be- 
wußten Stellnng  sur  Religion  mangelt  und  somit  die  OeAüir  vorliegt,  daB 
es  SU  gar  k»  iiier  Normierung  sittlichen  Lebens  kommen  werde,  hat  man 
eine  lediglich  psychologisch  begründete  Ethik  aufgestellt.  Der  Verfasser 
der  Jugend  lehre  verwahrt  sich  zwar  gegen  den  Vorwurf  persönlicher 
Ablehnung  jeglicher  Religion:  nur  will  er  innerhalb  der  Jugend  weit  sitt- 
liche Wertuiteile  und  Forderungen  zur  Geltung  bringen  helfen,  die  su- 
Dicfast  noch  ganz  unabh&ngig  von  einem  religiösen  Bekenntnis  dastehen 
s^leo.  Der  Verfasser  will  grandsltslicfa  eine  Moral  ffQr  die  Jugend  bieten, 
die  auch  wirklich  das  qiezifisch  von  den  Unmündigen  zu  Fordemde  dar- 
legt und  zwar  den  mannigfachen  Lebenslagen  und  Verhältnissen  gemUß, 
in  welche  Jugendliche  gestellt  sein  können.  Er  hat  es  sich  zu  einer  be- 
sonderen Aufgabe  gemacht,  Jugendmoral  nicht  etwa  in  der  üblichen  kirch- 
lich-katecheüschen  Weise  zu  lehren.  Wir  begrüben  die  ins  Einzelne  kind* 


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364 


Besprechongea 


lich-jugendlicher  Pflichtgebote  eindringenden  und  zumeist  überzeugenden 
Ausführungen.  Was  der  Verfasser  dieser  Anzeige  seit  Jahren  von  der 
moralischen  Erziehung  forderte:  an  die  Stelle  ganz  allgemein  gehaltener 
etfaiacher  Yorscfariften  eine  den  titBttohlichen  LebeoBlagen  der  Jogwd  ao- 
gepafite,  mOglidiBl  sadiliolie  Belehnuig  to  Ineteii,  du  ist,  nur  ausführliohert 
in  Försters  Budi  som  Ausdruck  gebracht  Besonders  sympAthisch  berühren 
seine  Ausführungen  auf  S.  642,  wo  unter  anderem  die  sexueUe  Pädagogik 
vom  Standpunkt  einer  im  besten  Sinne  vornehmen  Gesinnung  aus  b> 
handelt  wird.  Försters  Untersuchungen  über  die  psychologische  Behand- 
lung ethischer  Aufgaben  erinnert  nicht  wenig  an  Spiuozistische  Dar- 
legungen psychologisch -pädagogisdiflr  Probleme,  indem  er  imter  aadeMi 
Xnft  gogen  Kraft,  Neignng  gegen  Neigung,  Leidensohaft  gegen  LeidM- 
aobaft  aufruft.  —  Lebenskunde  sollte  der  eigentliche  Namo  für  M(»«l  sein, 
da  es  ja  gilt,  dio  heranwachsende  Generation  in  die  sdlseitige  rechte 
Lebenshaltung  und  Führung  einzuweihen.  Wohl  zn  beachten  sind  die  Auft- 
führuDgen  über  das  vermeintliche  Lernen  durchs  Leben  und  Beispiel  (S.  6G9). 

Ob  zwar  der  konfessionelle  Standpunkt  im  Moralunterricht  abzulehnen 
ist,  so  will  doch  der  Ymtnm  die  ettisoiie  Belehnrng  dnich  eine  tiefe 
xeUgiOee  Bildung  ergSast  wiesen  (8.  666). 

Nächst  der  hfiobst  beachtenswerten  Begrandung  der  moralischen  flda- 
gogik  ist  das  ungemein  reichhaltige  (vielleicht  nur  hier  und  da  etwas  zu 
breite  und  an  das  Triviale  streifende)  Material  an  Beispielen  lOr  die  Ib- 
dividualisierung  der  Jugendlehre  rOhmlichst  hervorzuheben. 

Kelerstein 

OMlig,  Ftof.  Dr.,  Didaktische  Ketsereien.  Leipzig  u.  Berlin,  Yeriag  fw 

Teabner,  1904. 

Gaudigs  »didaktische  Eetzereienc  haben  wir  schon  wegen  dr 
Frische  und  Eigenartigkeit  ihrer  Konzeption  mit  lebhaftem  Interesse  ge- 
lesen. In  kurzen  bündigen  Sätzen  bewegt  sich  die  Darstellung;  nichts 
von  ermüdender  steifleinener  Paragraphenweisheit.  In  oft  überraschende, 
meist  treffende  Beleuchtung  werden  die  aufgeworfenen  methodisch-didtk* 
tischen  Probleme  gestallt;  flbenll  olfenbart  sich  der  scharfe  siohsre  Bliok, 
die  Selbständigkeit  des  Urteils,  sowie  das  auf  vieliachen  Erfhhrungea  be- 
mhende  Verlangen  nach  neuen  wichtigeren  Wegen  hinsichtlich  alles  des- 
jenigen, worauf  es  gerade  im  Madchenunterricht  ankommt.  Als  vorzüglich 
beachtenswert  begrüßen  wir  die  in  großen  Zügen  dargelegten  Anschauungen 
des  Verfassers  über  die  Hauptziele  des  Mädchenuntorrichts,  sowie  über 
die  noch  viel  zu  wenig  erkannten  und  beobachteten  Hauptaufgaben  der 
Frauen  und  Jungfrauen  auf  sittlichem  Oebiet,  siehe  besonders  die  Ksptal: 
der  praktische  Zweck  B.  188.  Der  WOIe  aur  Arbeit  8.  126.  Der  ittt- 
liohe  und  teligiDse  Zweck;  die  Bildung  dss  Gemfits  8.  127. 

ILeferstein 


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Aus  der  philosoph 

Neue  Metaphysische  Rundschau. 

Heraosgeg.  von  Paul  ZUlmann.  1905- 

Band  XII.  Heft  1. 
P.  Z.,  Der  Mistelzweig  als  Symbol  der 
"Weihnacht  und  seine  Legende.  —  Baronin 
Helene  von  Schewitsch,  Das  Seelchen, 
eine  Geschichte  von  der  Refnkamation. 
W.  Andreas,  Die  Fremde,  Gedicht  — 
H.  H.  Phelps,  Der  Meister  von  Akka.  — 
Bundschau:  Geleitwort.  —  Die  Radio- 
aktivität und  die  Alchemisten.  —  Homco- 
path.  Krankenhaus.  —  Der  magnetische 
Mensch.  —  Beilagen.  —  Literatur:  Die 
neue  Paracelsusausgabe.  —  Rosenthal- 
Katalog.  —  Diederichs  Katalog.  —  Ro- 
segger,  J.  N.  R.  J.  —  Die  Schriften  des 
Neuen  Testaments.  —  Textbibel  des  Alten 
und  Neuen  Testaments,  Kautzsch  -  Weiz- 
säckar.  —  Bleibtreu,  H.  P.  Blavatsky  und 
die  Geheimlehre.  —  Kerst,  Beethoven  im 
eigenen  Wort  —  Pfungst,  neue  Gedichte. 
PortrÄt:  Paraoelsus. 

Com  mers  Jahrbuch  fflr  Philosophie 
und  spekulative  Theologie.  XIX. 
3.  Heft  1904. 
Dr.  Michael  Gloßner,  Zum  Kantjubi- 
läum. —  P.  Josephus  a  Leonissa,  Seoti- 
stische  Theologie.  —  Dr.  Franz  ^igon, 
Zur  Lehre  des  hl.  Thomas  von  Wesenheit 
und  Sein.   —  Dr.  Geoi^  Demku,  Die 


ischen  Fachpresse 

menschliche  Freiheit  und  die  Freiheit  der 
Wissenschaft  Aus  dem  Ungarischen  über- 
setzt von  Fr.  Paul  Paluscsäk.  —  Litera- 
rische Besprechungen. 

Glauben  und  Wissen.  VonDr.Dennert 
UI.  2.  Heft  1905. 
Prof.  Dr.  0.  Bertling,  Das  Wesen  der 
Religion  (Schluß).  —  Sem. -Dir.  Lic.  G. 
Steude,  Glauben  und  Wissen  nach  Hebt. 
11,  1.  —  E.  Bruhn,  Zum  zweihuudert- 
jährigen  Todestage  Philipp  Jakob  Speners. 

—  Umschau  in  Zeit  u.  Welt  —  Notizen. 

—  Apologetische  Rundschau. 
 m.   3.  Heft  1905. 

A.  W.  Fürer,  Brot  —  Dr.  med.  J. 
Fröhlich  ,  Zweckmäßigkeit ,  Selbstzweck 
und  Endzweck  im  Lichte  der  Entwicklungs- 
lehre. ~  Dr.  E.  Donnert,  Die  Stellung 
des  Menschen  *im  Weltall.  —  G.  Petroff, 
Gedanken  vor  Leonardos  »Abendmahl«. 

—  Zeugen  Gottes  aus  Wissenschaft  und 
Kunst  —  Umschau  in  Zeit  und  Welt. 

—  Antworten  auf  Zweifelsfragen.  —  Apolo- 
getische Rund.schau. 

Mind  A  Quarterly  Review  of  Psycho- 
logy  and  Philosophy.    Edited  by 
Prof.  0.  F.  Stout  New  Series.  No.  53. 
January  190'». 
n.  n.  Joachim,  Absolute  and  Relative 

Truth.  —  J.  H.  Leuba,  On  the  Psycho- 


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366 


Fachpresse 


logy  of  a  Group  of  Christian  Mystics.  —  [ 
H.  W.  h.  JosepU,  Prof.  Jaines  on  Huma- 
oiam  uul  Iknth.  —  Alfred  Sidgwickf 
AppBad  Axioms.  ~  B.  A.  P.  B&gon, 

Ihe  Mcaning  of  the  Time  -  Direction.  — 
H.  MacColl,  Symbolic  KeasoninE^.  —  Dis- 
cu&«?ions:  .T.  Rolomon.  The  Paradox  of 
Psyuhologj'.  —  Criticai  Notioes.  —  New 
Books.  Fbiioaophioal  Ffiriodkuda.  — 
Notes. 

Revue  de  AUtephysique  et  de  Mo- 
nle.  (M.  X.  lAaa.)  13e  snnde,  No.  1. 

Janvier  1905. 
Leibniz .  Trois  dialogues  mystiques 
inetlits.  Fragments  publies  avec  une  in- 
troductioa  par  Jeau  Baruzi.  —  G.  Belot, 
Ea  qnete  d'nne  moiale  positiTe.  —  F. 
l^Uin,  La  raisou  etlesantinomies  (Saite). 

—  Stüdes  Critiqups:  J.  Weber,  Les 
theories  biologicjiies  de  M.  Ben6  Quinton. 

—  (^uestioüs  Pratiques:  P.  Lacombe,  La 
leprteMitation  proportionnelle  ä  propos  du 
livie  de  M.  P.  Lachesosis.  —  ^pple- 
ment:  Ndcrologie.  —  livres  noaveanx. 

—  Revues  et  Periodiqoes.  —  ongres  de 
Psychologie. 

Die  Kinderfehler.    Zeitschrift  für 

Kinderforschung   mit  besonderer  Be- 
rücksichtigung der  püdagogischeu  l'atlio- 
logie.   Herausgegeben  von  J.  Trüper, 
IHiektor  des  ünnslnmgihiiimes  und 
Emdenanatorinms  auf  der  SophieahBhe 
bei  Jena  und  Chr.  Ufer,  Rektor  der 
Madchonmittelschule  in  Elberfeld.  X,  2. 
A.  Abhandlungen:   Schubert,  Einige 
Aufgaben  der  Kinderforschung  auf  dem 
Gebiete  der  Enieluiiif  .  ^  B.  Mitteflongen : 
W.  Strohmayer  und  W.  Stnkenbei^,  Be- 
richt über  die  VL  Versammlung  des  Ver- 
eins für  Kinderforschung  am  14. — 16,  Ok- 
tober in  Leipzig.  —  0.  Fischer,  Der 
XL  BUndenlefazer-XongreS  in  Halle  t.  8. 
Tom  1.— 6.  August  1904  (SehloB).  —  Die 
Oründung  eines  Hilf sschul  verband  es  in 
Eoglaiid  (SohioA).  —  Frans  Frensel,  £e- 


[  rieht  über  die  Verhandlungen  der  XL 
Konferenz  für  das  £rziehungs-  und  BU- 
dangswesen  GeiateeachwaoliBr  am  6.  Us 
9.  September  1904  in  Stettin.  —  Yer- 
einigong  für  Kinderfcrschung  in  Mann- 
heim. —  Weiteras  sor  Xongreifn^se.  — 
C.  Literatur. 

Kantstudien.  Philosophische  Zeitschrift. 
Herausgegoben  von  Dr.  Han.«?  Vaihinger 
und  Dr.  Bruno  i^uch.  Band  X.  Heft 
1  n.  8.  1905. 

O.  Oerisnd,  Lnrnsnesl  Esnt.  ssine 

geographieolien  und  anthropologischen 
Arlieiten.  —  Franz  Staudiuger ,  Der 
Gegenstand  der  AVahrnehmung.  —  Ha^jo 
Kenner,  Der  Begriff  der  sittlichen  Er- 
fahruDg.  Dr.  Tim  Klein,  Eamlet  and 
der  Melancholiker  in  Kants  »Beobeähtungea 
über  das  Gefühl  des  Schönen  und  Er- 
habeneut.  —  Bruno  Baurh .  Euckens 
philosophische  Aufsätze.  —  M.  Ascher, 
Benouvier  and  der  inrnsSsieohe  Knti- 
lismas.  —  Emst  von  Aster,  Der  IV.  Bind 
der  Berliner  Kant-Anagabe.  —  H.  Vai- 
hinger.  Das  Kantjubiläum  im  Jahre  19')4. 
—  Dr.  Franz  Jünemaun.  Kants  Tod.  seine 
letzten  Worte  uud  boin  Begräbnis.  — 
Besensionen.  —  Sdbstanzeigen.  —  Kt- 
teHungen. 

Mitteilungen  der  Oesellschnft  fflr 
dentodie  Eniehungs-  imd  Schid- 
geMhichte.  Jahiiang  190SL  1. 

Alfred  Heubaom,  Die  mittelalteriichen 
Handschriften  in  ihrer  Bedeutung  für  die 
Geschichte  des  Untorrichtsbetriebs.  — 
Ludwig  Weniger,  Ein  Schulbild  aus  der 
Zeit  nadh  dem  Dreit^gilirigen  Kriege^  — 
Friediioli  Wagner  (f),  Die  lateiniiohe 
Grammatik  von  Johann  Greußer  aus 
Rothenburg  ob  d.  Tauber,  mitgeteilt  von 
Oeoig  Schuster.  —  Außerdem  Jahies- 
berioiitB  «ler  die  IdsloiiBoh-pädagogisdMo 
Bnolieinangen  ans  der  Zeit  des  Mittel- 
alters (Rieh.  Galle),  des  Gbmanismus  (Rad. 
WoUtan)  and  der  Beformstion  (0.  Mertt). 


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Neu  ftingBesMigeae  Baober  und  Zeitaolirifiea 


36r 


Hea  6(liig6gaiig6!ti0  Bflüher  und  ZeitMhrifleii 


RdeBaaf,  Herbarts  Metafysica,  Psy- 
(diotogia  en  Bifaiek.    GvoniagMif  P. 

Noordhoff,  1906.  400  S.   f.  2^9. 
H.  Schoen,  Tlorniann  Sudennann  poete 

dramatique  et  romaocier  Libraiiie.  Paris, 

H.  Didier,  1904.   327  S. 
X.  GeiBler,  Die  Kegelsohnitte  und  ihr 

ZnMunmeiihaiig  dnxoh  die  Konliiiailit 

der  Weiterbehaftungon.   Jena,  H.  W. 

Schmidt,  19()5.  201  S.  u.  50  Figuren. 
Lüben  und  Nack  es  Lesebuch:  fibol 

Tm  F.  Hollkamm.  27.  Aufl  Leipzig 

Bnmdstettar,  1903. 
K.  Fnrrer,  Das  Leben  Jesu.  2.  AaiL 

Leipzig?,  Tlinrirh,  H»«».-.    261  S. 
W 0 II D  y ,  Moderne  Kultur.  Beriio. Simion, 

1905.   37  8. 
&  W.  Mayer,  Cäkmtoiitafli  und  Kultur. 

Bedin,  Ttowitsscb,  1905.  63  S. 
0.  Hertwig.  Sigebnisse  and  Probleme 

der    Zeugnngs-   und  Vererbungslehre. 

Vortrag.  Jena,  Fischer,  190.'.  30  S. 
J.  IL  Ziügler,  Die  wahre  Ursache  der 

hell«n  lichtstrahlong  des  Badiuma. 

Zürich,  0.  Füßli,  1904.  2.  Aufl.  54  a 
B.  Hönigswald,  Über  die  Lehre  Humes 

von  der  Realität  der  Außenwelt  Ber- 
lin, Schwötbchie.  19U4.   88  S. 
A.  Btökl,  Lehrbuch  der  Philosophie. 

L  Logik.  &  Aofl.  Neabeuteitat  von 

Wohlmatli.  Mains,  Kiiolüwim,  1905. 

477  S. 

H.  Swoboda,  Studien  zur  Grundlegung 
der  Psychologie.  I.  Psychologie  und 
Leben.  II.  Aaeouation  und  Perioden, 
m.  Leib  und  Beel«.  Leipsig  n.  Wien, 
Denticke,  1905.    117  8. 

G.  Simmel,  Die  Probleme  der  Ge- 
achichtsphilosophie.  2.  Aufl.  Leipzig, 
Boncke  u.  Humblot,  1905.   169  S. 

&  Lnoka,  Otto  Weinioger,  aab  Wok 
und  seine  Persönlichkeit  Wlaik  und 
Leipzig,  Braumüller,  1905.    158  8. 

H.  Quensel,  Geht  es  aufwärts?  Eine 
ideal-philosophische  Hypothese.  Köln, 
Bohinits,  1904.  188  8. 


0.  8chrader,  Mayn-Lebre  und  Kantia- 
niamiiB.  Beilin.  Baafti.  90  8. 

Von  einem  Christen,  Rdigion  und 
WeltUebe.  Bxeaden,  Pienon,  19(^ 

47  S. 

Malert,  Gottes  Welt,  Erlösung,  Gottes 
Wort,  Oott  iat  all-einig.  Bbenda  1903. 
28  8. 

Ol  atz,  Ssrmbolik,  eine  Betraohtong.  Wien, 

Eisenstein,  1903.    32  S. 
A.  Kociok,  Grundziigo  der  Erkenntnis- 
theorie Herbarts.  Jena,  iüuupfe,  1904. 
68  8. 

V.  Rohden,  Das  Wesen  der  Strafe  im 
ethischen  und  strafrechäiohen  Sinne. 
Tübingen,  Mohr,  UMi.'). 

Köhler,  Der  Philosoph  K.  Chr.  P. 
Krause  als  Geograph.  Leipzig,  Diete- 
zioh,  1906.  92  8. 

A.  Oille,  Philosophisches  Lesebuch  in 
systemat.  Anordnung.  Halle,  Waisai- 
haus.  1904.    14»i  S. 

Gramzow,  Geschichte  der  Philosophie 
aeit  Kant  8.  Heft:  Sohelling.  Ghar- 
lottonbug,  Boikner,  1904.  93  a 

Abhandlungen  der  Frieaschen  Schule  von 
Hesseuborg,  Kaiser,  Nelson.  I.  Heft 
Göttingen.  Vandenhoeck  A  Ruprecht, 
1904.    190  S. 

Baenaoh,  Bamoh  de  Bpinoaa.  Ethik. 
ÜbeneClt  und  mit  Einleitung  und  Re- 
gister venefaen.  Leipzig,  Dorr,  190&. 
311  S. 

K.  Vossler,  Positivismus  und  Idealismus 
in  dar  Spraoliwiaaenaohaft  Heklalbeig» 
Winter,  1904.  96  a 

Dia  heim,  Goethes  Balladen  in  Loewea 

Komposition.  Langensalza,  Hermann 
Beyer  A  Söhne  (Beyer  A  Mann),  1905. 
39  S. 

J.  Banmnnn,  Dlohteriaehe  nnd  wiaaen- 
aohaftliche  WeltanaiGhi  Mit  beaonderer 

Beziehung  aal  Don  Juan,  Faust  u.  die 
Moderne.  Gotha,  Perthes.  1904.  247  S. 
The  university  of  Missouri  studies  by 
Frank  Thilly,  1904.  40  S. 


Digitiz) 


368 


Neu  eingegangene  Bücher  and  Zeitsohriften 


A.  Bilharz,  Mit  Kant  über  Kant  hinaus. 
Wiesbaden,  Bergmann,  1904.   61  S. 

Zur  Erinneraiiig  in  Inniainid  Kant,  her- 
wugtfjiitm.  TOn  der  Vwavm&IMt  KSiugi- 
berg.  Halle,  Wai^enhaas,  1904.  374  S. 

A.  Lohmen,  S.  J.,  Lehrbuch  der  Philo- 
sophie auf  aiistotelisch- scholastischer 
Grundlage.  L  Logik,  Kritik  und  Onto- 
logia  2.  Aufl.  Freibiug  L  Br.,  Herder, 
1904.   446  S. 

H.  Dimmler,  Aristotelische  Metaphysik. 
Kempten  o.  Mönohen,  Kösel,  1904. 
103  8. 

Fhiloeophisohe  Bibliothek  60.  Sohaar- 
sohmidt,  Nene  Abhandinngm  Uber 
den  menschlichen  Vorstand  vooLeibniz. 
rbersetzt  und  mit  Einleitung  und  An- 
merkungen versehen.  2.  AoiL  Leij^ 
zig,  Dürr,  1904.   590  S. 

Fhiloeophisohe  Bibliothek 43.  W.  Eink el, 
J.  Kants  Logik  raerst  heTuimigebe& 
TOD  Jäsche.  3.  Aufl.  Neu  herao^geg. 
und  mit  Einleitung  und  Register  ver- 
sehen.  Ebenda  1904.    171  S. 

H.  Offner,  WlOensfreiheit,  Zurechnung 
und  YerHitwortang.  Lripf^  A.  Barth, 
1904.   103  S. 

V.  Stern,  Beitrüge  zur  Psychologio  der 
Aussage.  2.  Folge.  L  Heft  Ebenda 
1904.   8.  130. 

WiDdelbftnd,  Die  IhOoeophie  im  Be- 
pnn  des  awaasigsteii  Jahihunderts. 
Festeohrift  für  Kuno  Fischer.  I. 
Heidelberg,  Winter,  1904.    186  S. 

r,  Jahn,  Das  Problem  des  Koniischen 
io  seiner  gesohichtlichen  Entwicklung. 
Potsdam,  Stein,  1904.  180  8. 

H.  Schneider,  Die  Stellung  OtHeodb 
zu  Deaoartea.  Leipsig,  IHlnr,  1904. 
ü7  S. 

Weinel,  Lebensfragen.  Schriften  und 
Beden. 

Ot  to,  Katandistisehe  und  xeUgiBae  Welt- 
ansicht Tübingen,  Mohr,  1904.  296  8. 

0.  Oramzow,  Geschichte  d.  Philosophie 
seit  Kant  LHoft:  Kant.  69  S.  II.  Heft: 
Fichte.  69  8.  Charlottenb.,Bür]aier,1904. 


Ohorn,  Auslagen.  Mönchen, Lehmanns 
Verlag. 

Lienhird,  Banb  BtnäbatgL  Ebenda. 
Sehnlk,  Heldenssgsn.  Ebenda. 

Hahn,  Charakterköpfe.  EKendiL 
Thoma,  Gutenberg.  Ebenda. 

E.  Contou,  Ecoles  Nouvelles  et  Land- 
Erziehungsheime.  Paris,  Vuibert  et 
Nony. 

A.  Sohmieder,  Der  AnlsaUiuiierricht 

Leipzig,  Teabner. 
Chr.  Ufer,   Dio  Erf^obnisse  und  An- 
regungen dos  Kun.<iterziehungstagas  in 
"Weimar.   Altenburg,  0.  Bonde. 

0.  Steinbrück,    Deutsche  AuMtce. 

Laugensalza,  Hermann  Beyer  &  89hns 

O^yer  k  Haan). 
Fr.  Linde,  Über  Phonetik.  Ebenda. 
8.  Thurmann»  Die  ZahlTorstannogoBW. 

Ebenda. 

M.  Schmidt,  Das  Prinzip  des  organ. 
Zusammenhangs  und  die  allg.  Fort* 
UUnngsacAule.  Ebenda. 

G.  Heine,  üiifeRiöht  in  der  Bilde^ 
spräche.  Ebendn. 

J.  Köhler,  Die  Yeranschaalichaog  im 

Kirehenliedunt  Ebenda. 
K.  Sachse,  Apperzeption  und  Pbantarfs 

nsw.  Ebendn. 
V.  Sallwürk.  Die  zeitgemäfle  GestaKaig 

des  deutschen  ünt  Ebenda. 
E.  Zeißig,  Forraenkunde.  Ebenda. 

Ch.  A.  Thilo,  Kants BeUgionsphiloaophi«. 
Ebenda. 

H.  Kielhorn,  Der  KonliimandeB-üat 
in  der  HSfmohnle.  Ebenda. 

Michel  and  Stephan,  Lehrphu  flr 

Sprachübungen.   Leipzig,  Teubner. 
Hichel,  Sprachübungen.  Ebenda. 

Kräpelin,  Naturstodieu  in  Wakl  ood 

Feld.  Ebenda. 
Pnlmgren,  Eniehongsfragen.  AUmh 

buig,  Bonde. 

Schmeil -Schmidt,  Sammlung  natur- 
wissenschaftlich-padiu^ogischer  AhhaDd« 
lungen.   Leipzig,  Teubuer. 


Draok  TW  Hflnona  Bqror  *  SOhoe  {fiagm  k  Mna)  la  hmtmtOm. 


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Kind  und  Kunst 

Einige  experimentelle  Untersuchungen  zu  einigen  Grundfragen  der  Kunst> 

erziehung 

Von 

Marx  Lobsien,  Kiel 
(Fortsetzung) 

5.  Melodie  und  obligatorische  Texte 

Man  muß  von  vornheroin  zu^^cbon,  daß  die  Schüler,  auch  in 
unserm  engeren  Vaterlande,  von  dem  zu  Unrecht  das  Wort  kur- 
siert: Holsatia  non  cantat,  in  viel  weiterem  Uinfango  mit  der  sing- 
baron  Lyrik  in  Berührung  kommen  als  mit  der  nicht  singbaren.  In 
manchen  Landstrichen,  besonders  hei  den  Nordfriesen,  ist  der  Ein- 
fluß des  Hauses  groß.  Daneben  ist  der  Leierkastenmann,  der  die  ent- 
legensten Dörfer  und  (iohöfte  aufsucht,  der  gegebene  Triiger  und 
Vermittler  neuer  Lieder.  Ob  freilich  der  Einfluß  hüben  wie  drüben 
immer  ein  wünschenswerter  ist,  bleibt  abzuwarten.  Ich  denke  dabei 
natürlich  nicht  an  obskure  zweideutige  Gassenhauer,  sondern  an  jene 
Erzeugnisse  breiter  .Sentimentalität,  aufdringlicher  Geschwätzigkeit, 
oder  wie  man  sie  sonst  charakterisieren  will,  die  in  gewissen  Stim- 
mungen und  Neigungen  der  breiten  Äfasse  einen  günstigen  Käsonanz- 
bodcn  finden.  Auf  jeden  Fall:  kommt  das  Kind  mit  dem  Liedc  in 
reichere  Bei-ührung,  so  bietet  sich  ihm  für  die  Bestimmung  seines 
Lieblingsliedes  eine  reichere  Auswahl.  Wenn  es  sicli  für  die  Lieder 
mit  obligatorischem  Texte  entscheidet,  so  wissen  wir  zwar  auf  Grund 
der  Ergebnisse  der  vorigen  Untersuchung,  daß  solches  geschieht  zumeist 
nicht  um  des  Textes,  sonduni  um  der  Melodie  willen,  aber  zugleich 

Zeitschrift  flLr  Philosophie  und  PBdAfi^oi^'iU.    IJ.  Jiüir(r&ni;.  24 


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370 


AufBStse 


dürfen  ^vir  darin  einen  Beweis  dafür  erblicken,  daß  trotz  reioherait 
Einflusses  in  ungünstigem  Sinne,  danemde  Übung  gar  wohl  g^gea 

Schädlingo  zu  immuni>ioren  vermag. 

Natürlicii  fehlt  uicbt  hier  und  da  die  Vorliebe  für  den  berühmt' 
berüchtigten  »kleinen Eohnc  und:  Bort  auf  dem  Baume,  da  hing  ne 
Pflaume  und  was  derartige  Sachen  mehr  sind,  im  allgemeinen  aber 
finden  sich  die  eben  ausgesprochenen  Vermutungen  bestätigt.  Das 
möge  die  nachfolgende  Tabelle  zeigen.  Sie  gibt  in  Prozentualwerten 
an,  wieviele  minderwertige  Lieder  auf  100  insgesamt  ausgewählte 
kommen,  wieviele  obligatorisch  vorgeschriebene  und  wieviele  religiösen 
und  patriotischen  Charakters.  Die  prozentuale  Verrechnung  ist  not- 
wendig, weil  naturgemäß  auf  den  niederen  Altersstufen  die  Aiusahi 
der  bekannten  Lieder  geringer  ist  als  bei  älteren  Schülern. 


1 

2 

3 

4 

5 

stufe 

gesamt 

minder- 
wertig 

oUigar 
toriecli 

religiös 

patriotisch 

l 

Ku. 

W) 

9 

22 

8 

9 

n 

Kn. 
M. 

100 
100 

2 
9 

7 
5 

5 
5 

2 

m 

Kn. 
M. 

100 
100 

10 

7 

29 
3 

6 

6 

6 

IV 

£n. 
M. 

100 
100 

8 

31 
12 

11 

5 

8 

V 

Kq. 
M. 

100 
100 

4 

11 
24 

24 

VI 

M. 

100 

6 

19 

Vergleicht  man  zunfiehst  das  Veriiältnis  der  Anzahl  mind0^ 
wertiger  Gedichte  zu  der  Gesamtanzahl,  so  jBndet  man  das  erfreuliche 
Ergebnis: 

100  :  ^  o.  100  :  8. 

Durclnve^'  ist  da.<^  Verliältuis  für  Mädchen  günstiger  als  für 
Knaben;  ich  bereciuic  Kiuibin:  100  :  6,6,  Mädchen:  100  :  vS,2.  Aus 
naheliegenden  Gründen  sind  die  niederen  Altersstufen  den  älteren 
gegenüber  stark  begünstigt.  Der  Einfluß  der  Schule  tritt  besonders 
deutJicli  zu  Tage,  wenn  man  folfrendos  erwägt:  Ks  ist  selbstverständhch, 
daß  die  Schule  für  die  in  Kolonne  2  aufgeführten  Daten  für  mmder- 
wertige  Lieder  nicht  verantwortlich  gemacht  werden  darf,  hier  wiri^en 


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Lobsien:  Kind  und  Knnst 


371 


andere  Einflüsse,  aber  von  den  wertvollen  Liodern  fallen  nicht  1% 
auf  die  Einwirkung  des  Hauses;  so  stark  ist  die  Macht  der  Schule. 
Das  lehrt  auch  ein  Blick  auf  die  Kolonne  3;  nur  ist  hier  zu  be- 
denken; daß  die  Auswahl  ungleich  geringer  ist  Unter  100  Liedern 
fanden  sich  insgesamt  157o  obligatorische  Lieder,  im  einzelnen  be- 
rechnete ich  für  Knaben  20^  oi  ^ür  Mädchen  10%.  Das  günstio:ere 
Ergebnis  für  Knaben  mag  wohl  damit  zusammenhängen,  daß  die 
obUgatorischon  Texte  fast  ziu"  Hälfte  patriotischen  Inhalts  sind  und 
eine  dementsprechende  seh wuug\ oll-kräftige  ]\Ielodie  tragen;  wie  aber 
Kolonne  5  belehrt,  ist  der  Knabe  dafür  —  die  Stufe  V  ftUlt  aus  — 
bedeutend  empfän^^cher.   Ich  berechne  die  Werte: 

25 

Knabto:      »  6,2 :  Mftdchen  —  0. 

Die  Mädchen  haben  nicht  ein  einzig  mal  ein  patriotisches  Lied 
als  lieblingslied  bezeichnet.  Anders  ist  das  mit  den  feierlicheren 
getragneren  religiösen  Lietlern.  Hier  stehen  die  Knaben  den  Mädchen 
gegenüber   in  dem  Verhältnis  6:14;    währond  der  von  den 

Knaben  genannten  Lieblingslieder  religiösen  Inhalts  waren,  fanden 
sich  bei  den  Mädchen  14%. 

So  belehrt  aueh  diese  Betrachtuni:  darüber,  daß  auch  mit  den 
heutif4:»'n  ^[itteln  niancht'rlei  in  der  Kielitiinü:  des  Outen  und  Schönen 
eiTcicht  wird,  daß  nicht  unbedeutsame  Immunisierungskriifte  darinnen 
enthalten  sind  —  d.  h.  solanp'  die  Einflüsse  wirksam  sind.  Hernach 
allerdings,  wenn  die  steten  Einflüsse  aufhören,  bemerkt  man  leider 
oft  ein  ersclircckendes  Überwuchein  widerwärtiger  Literatur.  Mau 
muß  aber  bedenken,  daß  hier  Momente  eingreifen,  die  einer  Unkultur 
entstammen,  für  die  solche  Lieder  nur  sympti  iniatisch  sind.  Nur  wo 
(las  ganze  Sinnen  und  Denken  des  .Menschen  unter  stetem  p]influß 
veredelnder  Erziehung  steht,  kann  solcher  Abfall  verinieden  werden. 
Wir  haben  hier  erneut  einen  Beleg  für  den  engen  wohl\ eistaiid-'uen 
Za>sanimenhang  zwischen  Kunst  und  Ethik.  Der  eciite  Kunsisinn, 
diLS  %\ahre  Kunstgenießen  ist  nur  in  einer  ethischen  Persönlichkeit 
reinlich  möglich. 

6.  Das  Lieblingsbuch 

Die  Frage  habe  ich  sciion  vordem  gestellt  in  der  eingangs  er- 
wähnten Abhandlung:  Kinderideale.*)  Dort  geschah  die  Fragestellung 
unter  einem  allgemeineren  (resichtspunkte.  Weil  sich  mir  bei  dem 
vorliegenden  Versuch  willkommene  Gelegenheit  bot,  eine  dort  in 


0  S.  465  ff. 

24» 


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372 


Allbitze 


Aussicht  gestellte  notwendige  und  umfängliche  Ergänzung  vom* 
nebmen,  80  will  ich  zunächst  in  aller  Kttize  die  dort  gefundenen 

Resultate  resummieren. 

Diese  Untersuchung  mußte,  sofern  sie  sich  auf  Volksschüler 
bezog,  mit  dem  Umstände  rechnen,  daß  numche  Kinder  für  Bücher 
nichts  oder  doch  nur  wenig  »ansulegenc  yermögen.  Die  Schäle^ 
bibliothek  enthält  keineswegs  immer,  was  die  Jugend  besonders  m- 
zieht  1)  und  die  Leihbibliotheken,  die  manche  jngendliche  Finanzgenies 
aufzutun  wissen,  sind  schwerlich  geeignet,  das  In  toresse  für  einzehie 
> Werke«  zu  fesseln.  Man  muß  das  Kind  fragen,  will  man  zu- 
verlässige Antwort  erfahren  auf  die  Frage :  Wie  heißt  dein  Lieblings- 
buch, nicht  den  Theoretiker  allein,  der,  ich  gebe  das  gern  zu,  mit 
psychologischem  und  starkem  Uteraiisch- kritischen  Verständnis  am 
grünen  "Ksche  auswälüt 

Ich  verlang-to  dort  zunächst  eine  schätzungsweise  Angabe  über 
die  Zahl  der  Bücher,  die  die  Prüflinge  gelosen  liatten.  AVeil  ver- 
säumt wurde,  unerwartet  hornacli  die  Titel  aufschreiheu  zu  lassen, 
so  hatten  die  Angaben  Weit  weniger  innerhalb  der  durch  das  Thema 
gewieseneu  Aufgabe,  als  insofern  sie  zeigten,  wie  poß  oder  klein  di'^ 
Schüler  zu  sciuitzen  wußten.  Während  mancher  Bube  eine  so  gr^ße 
Anzahl  gelesen  hatte,  daß  keine  Zahl  ihm  groß  geuuir  seinen,  sie  an- 
geben zu  k(»uneu,  waren  die  Mädchen  groß  im  Untei-scliätzen:  ihn.' 
Anpibtni  waren  nach  unten  ungenau,  wenngleich  nicht  in  dem  Maß« 
wie  die  ins  (Iroße  hiueinprojizierteu  Anjjaben  der  Knaben. 

Bei  der  vorliegenden  Untei"suehunjj:  bot  sich  mir  Gelegenheit, 
die  oV)eu  erwähnten  Fehler  zu  vermeiden. 

Zum  fenieren  Vergleich  wiederhole  ich  hier  folgende  Tabellen. 
Sie  ludx'u  je  ein  Beobachtimgsmaterial  von  250,  insgesamt  von 
500  iSchülern  zur  (h*uiidlage. 

(Siehe  f.)l,-en(le  Tabellen  auf  S.  373.) 

Blickt  man  auf  die  ( iesamtAverte  der  letzten  Kolonne  (es  handelt 
sich  hier  um  absolute  Werte)  so  erkennt  man,  daß  MärclieulnichiT 
allen  andern  wesentlich  vorgezoiren  wi'rden.  Bezeichnend  aber  ist. 
was  sich  aus  dem  Vergleich  d^r  Sonderkolonnen  eriribt  daß  di-^ 
Literesse  für  .Märchen  stetig:  abnimmt.  Bei  den  Mädeiien  wuil  das 
angedeutet  durch  die  Zalileu:  2S,  28,  33,  17,  12,  bei  Knaben  durch 
die  Werte:  22,  25,  18,  13.  3.  Die  eigentlichen  Märchenjahre  lieiron 
also  in  der  Zeit  vom  9.  bis  zum  12.  Lebensjahre.  Dann  erwacht 
deutlich  das  Bedürfnis  zu  kritisieren.  Die  eingehendere  Beschäftigung 


^)  Selbstredend  denke  ich  nicht  au  SchundUterator! 


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LoMDor:  £iiid  und  Kmisl 


373 


Knaben: 


Stnfe 

Name  des  Baches 

Sornme 

I 

II 

ni 

IV 

V 

2 

10 

3 

4 

1 

20 

IndianeTgeschkihtB  .  . 

16 

11 

7 

3 

2 

39 

Beclienlmch  von  Eahn- 

meyer  u.  Schulze  . 

2 

5 

3 

5 

15 

Naturkuodlichea  Buch. 

2 

„  1 

2 

Bibel   

1 

3 

2! 

1! 

4 

Jiuruheubuch  .... 

3 

13 

lö 

25 

22 

81 

Nansen:  Im  ewigen  Eise 

1 

1 

3 

1 

4 

Burenkrieg  .... 

1 

2 

— 

— 

3 

fiopa KpnfonAr 

9 
O 

A 

"Weltgescbichtsbuch.  . 

1 

'i 

— 

2 

Schullese  buch     .    .  . 

4 

7 

1 

— 

1 

2 

1 

X 

Bnlenapiegel  .... 

1 

1 

Xfindhlunsen.  .  .  . 

1 

1 

Emhliingeii  y.  Sohmid 

— 

1 

— 

1 

1 

Mädchen: 

Stofe 

U  ame  des  Boches 

Somme 

►  im. 

I 

lU 

IV 

V 

Robinson  

6 

7 

b 

28 

Bibel  

12 

12 

l)RlMi^a(p|iiiok  •  .  .  . 

12 

17 

33 

28 

28 

118 

w  etigeMiiionniioD 

2 

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Pciiullcsobooll*)  .    .  . 

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Bi!it'rbuch  .... 

2 

1 

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3 

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1 

1 

mit  der  objektiven  Welt  diszipliniert  die  kindliche  schweifende 
Phantasietätigkeit  und  macht  dem  Marchenglauben  ein  Ende,  in- 
bonderheit  bei  den  Knaben.    Die  Distauü  zwischen  Bild  und  Wirk- 


'j  Eb  kauieu  hier  iu  i^ragu:   1.  Dor  Kindorü'eund  von  K.  F.  Tu.  Scukudkr 
lad  2.  Das  Vatoritodisehe  Lesebaeh  von  Kacx  und  JcBAunna. 


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374 


Aufsitze 


iichkeit  wird  geringer;  der  Drang  zum  Finden  und  Foracdien  greift 
ein.  Dabei  bleibt  aber  das  alte  Kraftbewußtsein.  So  erwacht  der 
Drang  in  die  Ferne,  wo  die  Phantasie  noch  walten  kann:  das  ist 
die  Periode  des  Robinson  und  seiner  Kehrseite,  der  erbäimlichea 
Indianergeschichte.  Der  Burenkrieg  interessier^  Nansens  Fahrt  ins 
nördliche  Eismeer  und  mancherlei  Seeabenteuer.  Die  eigentliche 
Robinsonperiode  ist  die  Zeit  vom  12.  bis  zum  13.  Lebensjahre.  Da- 
neben erwacht  dann  naturwüchsig  das  Bedürfnis  einer  objektiven 
Weitbeobachtimg:  naturkundliche,  weUgeschichtliche  u.  ä.  Bücher  er- 
regen ernsteres  Interesse. 

Noch  will  ich  kurz  erwähnen,  daß  das  eingefühlte  Schiillesebuch 

—  man  vergleiche  die  letzte  Fußnote  —  und  die  durch  die  Anstalten 
ernstlich  unterstützten  Bestrebungen  der  Jugendschriftenbeurteiler  aal 
wenig  günstige  Beurteilung  rechnen  mußten.  Ich  nahm  Gelegenheit 
eine  Reihe  von  lieblingsbüchem  einzusehen:  elende  Warenhausliteratur 

—  und  nur  8  von  den  Prüfungsausschüssen  empfohlene  Bücher 
wurden  als  Lieblingsbücher  bezeichnet,  8  von  359!  das  soll  meiner- 
seits kein  Vorwurf  sein  gegenüber  jenen  Bestrebungen;  man  sieht 
aber  wieder,  wie  schwer  beste  Absichten  den  Kampf  mit  1  bis  2  FL, 
die  man  ersparen  könnte,  aufzunehmen  vermögen. 

Und  nun  die  neuen  Yoi*sucho  und  Beobachtungen!  Ich  gebe 
zum  Vergleich  zunächst  die  Ergebnisse,  die  sich  beziehen  auf  die 
Frage  nach  der  Anzahl  der  gelesenen  Bücher,  ohne  Nennung  d« 
Titels. 

Das  oben  erwähnte  Ergebnis  bezüglich  der  Schiitzungsungenauig- 
keit  konnte  ich  im  allfrenieiiipn  nur  bestiitigen.  Die  Bestätigung  i>t 
zuverlässiger,  weil  sie  geschah  im  Hinblick  auf  die  der  ei*sten  folgende 
genauere  Angabe  des  Titels  der  gelesenen  Werke.  Allerdinirs  hat 
auch  diese  ihre  Mängel,  weil  gewiß  nicht  alle  Bücher  genannt  ^\o^len 
sind,  das  (iedächtnis  im  Stiche  ließ  (das  beweisen  die  nicht  selten 
angefügten  Bemerkungen:  usw.,  und  viele  andere,  o.  ä.,  und  man 
weiß  nicht,  ob  diese  einen  tatsächlichen  Gedächtnisniangel  kon- 
statieren sollte,  oder  sich  mit  der  eben  vorher  genannten  Anzahl 
auszusöhnen  bemüht  war;  sicher  ist  soviel,  daß  oft  eine  rückläufige 
Korrektur  vorgenommen  wurde  und  zwar  in  viel  weiterem  Umfange 
durch  die  Knaben  als  durcli  die  Mädchen).  In  einem  Punkte  war 
aber  der  Vergleich  mit  d(m  vorigen  Versuchsergebnissen  stark  er- 
schwert. Die  Zahlenangaben  waren  bei  den  Knaben  stark  \erall- 
gemeinert;  auf  den  oberen  Stufen  waren  7, — ^4  ik'samtaiigaben 
charakterisiert:  viele,  sehr  viele,  o.  ä.  Bei  dem  Vergleich  der 
Schätzungsdaten  mit  den  betitelten  gelesenen  Schriften  blieb  mir 


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Lobsibn:  Kind  und  Kunst  375 


daher  nur  übri^,  durcligehcnds,  den  Durchschnittswert  der  be- 
stimmteren Schätzungen  als  Vergleiclisniaßstal)  zu  Mrunde  zu  legen. 
Ich  fand:i)  die  Distanz  zwischen  Schätzungs-  und  WirkJiehkeit'^daten 
(c.  gT.  s.)  bei  Knaben  weitaus  gritßer  als  bei  den  Mädchon.  Die 
Distanz  war  bei  den  Knaben  um  dtus  12.  bis  13.  Lebensjalir  herum 
sehr  groß;  das  späten'  Alter  machte  vorsichtiger,  auch  kamen  reich- 
hcher  nachträgliehe  Korrekturen  vnr. 

Wesentliciier  sind  die  Antu  orten  auf  Frage  14  nach  dem  Lieb- 
lingsbuch und  eine  Zusammenstellung  aller  Hücher,  die  für  die  ein- 
zelnen Geschlechter  auf  den  besonderen  AlteiNstufen  als  solche  be- 
zeichnet wurden,  die  gelesen  worden  waren.  Die  letzte  Zusammen- 
stellung erfolgte  auf  Grundlage  der  Antworten  auf  Frage  14c.  Die 
erste  Angelegenheit  gestattet  wieder  einen  Vergleich  mit  den  Resul- 
taten der  früheren  Untersuchung.  Ich  stelle  die  Ergebnisse  zunäciist 
ohne  Rücksicht  auf  die  früheren  Beobachtungen  hier  zusammen. 

Ich  glaube  am  kürzesten  verfahren  zu  können,  indem  ich  zu- 
nächst die  Titel  der  genannten  Bücher  verzeichne;  im  allgemeinen 
darf  man  sie  mit  einem  Pluszeichen  versehen,  weil  das  Gedächtnis 
sie  wertbetonte.  (Zwischenein  möchte  ich  nur  noch  bemerken,  daß 
in  sehr  vielen  Fällen  unmöglich  war,  den  Verfasser  des  Buches  fest- 
zustellen, doch  charakterisiert  der  Titel  desselben  den  Inhalt  mit  hin- 
länglicher Deutlichkeit.) 

Knaben 

Stufe  I 

Schillers  Werke,  (foethes  Werke,  Im  wild*Mi  Westen,  Die  (ieier- 
Wally,  Die  Rose  von  Tannenberg.  Sigismund  Rüstig,  Chaf  Moltke, 
Waldferien,  Ut  Ilenhek,  Reise  um  die  Welt.  Kapitän  Jack.  Hauffs 
Märchen,  In  der  Wildnis,  Odyssee,  Lessings  Werke,  Märclien  von 
Anderson,  Grimm  und  Bechstein,  Heidi  (Bd.  I  u.  II).  Aus  dem 
Leben  eines  Taugenichts.  Marschall  Vorwärts.  Reuters  Werke.  Am 
Kongo,  (refiederte  Baukünstler.  Tausend  und  i.'ine  Nacht.  Kriegs- 
novellen. Die  Ahnen.  Siegfiiedsage.  Jägers  Weltgeschichte.  Der 
trojanische  Krieg,  i^lutterliebe  der  Tiere.  Aus  großer  Zeit.  Nil)e- 
lungen.  üt  Ilenbek.  Schleswig-holst.  Sagen.  Fischeln  Jugendgrüße. 
Ein  deutscher  Ritter.  Die  Kapelle  bei  Wolfsbühl.  Das  beste  Erl)teil. 
Willielni  Teil.  George  Wa.shingt(jn.  Gudrun.  Pole  Poppenspiüer. 
Entdeckungen  in  Haus  und  Hof.  Till  Eulenspiegel.  Wilhelm  der 
Große.    Brehms  Tierlebeu.    Onkel  Toms  Hütte.  Münchhausen.  Her- 

loh  gebe  keine  speziellen  Daten. 


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376 


AviBltEe 


mann  und  Dorothea.  Als  ich  noch  der  Waldbauerabub  war.  Der 
Sohneider  von  Gastein.  Das  Knabenbuch.  Die  Fröschweiler  Chronik. 
Babinson.  Heimgarten.  Erzählungen  eines  alten  Hannes.  Ledei^ 
strumpf.  Eriminalroman.  Vom  Matrosen  nun  KflnsÜer.  Enzt  Jansens 
Abenteuer.  Der  Wildtötor.  Lustige  Oescbiohten.  Der  alte  Dessauer. 
Bozen&milie.  Nettelbeclc  Auf  der  Pniiie.  Wifimanns  Beisen. 
Kapitän  Hotteras  (?).  Quo  yadis.  Otoli,  das  Folenmidchen.  Der 
kleine  Oraf.  Sine  gefangene  Nachtigall.  Die  Sohloßmutter.  Im 
Dschungel.  Eiautschau.  Die  Ditmaischer.  Brave  Leute.  DasScheosai 
von  la  Orange.  Entdeckungsreisen  in  Feld  und  Flur.  Das  Oeheimms 
*  des  Schreibtisches.  Der  Pfadfinder.  Die  Einder  des  Auswanderen^ 
Der  Drache  am  gelben  Heer.  Emin  Pascha.  Hans  Stazck.  Der 
ietate  Hohenstaufe.  Die  Bärenjagd.  Der  Ural.  Die  starke  Hand. 
Eckehard.  Verwehte  Spuren.  Das  Yermächtnis  des  Inka.  Auf  dem 
Eriegsp&de.  Die  Diamanten  des  Peruaners.  Ereua  und  quer  durch 
Indien.  Indianergeschichten.  Das  Giücksschift  Wallenstein.  Jugend- 
streiche. Die  Waise  7on  Lowood.  Strandl&ufer.  Yogelbuch.  Ost- 
seesagen. Heinrich  von  Flauen.  Im  Feuer.  Orkan  auf  Euba.  Savo- 
jaidenbalL  Das  Erdbeben  von  Lissabon.  Ein  Flug  ins  Zauberreich. 
Der  Skalpjäger.  Der  Rattenfänger.  Der  dentsch-finuuösische  Erieg. 
Im  Ooldlande.  Tierschutzkalender.  Die  letKten  Tage  von  Pompeji 
Gründung  von  Buffado.  Die  FrithjofB-Sage.  Es  war  einmaL  Heut» 
mir,  morgen  dir.  Was  Gott  tut,  das  ist  wohlgetan.  Schwarze  Galeeren 
(Babe).  Die  Ostindien&hrer.  Die  Belagerung  von  Eolbeig.  Die 
Bache  des  Indianers.  Vaterländisches  Ehrenbuch.  Eii^gsdironik 
1870/71.  Utmine  Stromtid.  Der  Spion.  Der  Waldläufer.  DerHensoh 
und  seine  Basse.  Im  Osten  Asiens.  Die  Harine  am  Eongo.  Der 
letzte  Hohikaner.  Heinz  Treuaug.  Onkel  Titn&  Im  dunkeln  AMa, 
Der  Geizhals.  Schloß  Wildenstein.  Friedrich  der  Qrofie  und  sein 
Bekrut  Frösohweiler  Chronik.  Der  Leuchtturm.  Erzählungen  eines 
alten  Seemannes.  Der  kleine  Lord.  Gefunden.  Marks  Biff:  Der 
Mulatte.  Am  Wegesrand.  Geschichte  eines  Bekruten  anno  13/14. 
Wilhelm  Teil  Götz  von  Berlichingen.  Das  edle  Blut  Träumeruea 
an  fisnzösischen  Eaminen.  Amerikas  (?)  Befreiungskrieg.  Die  fnui- 
zdeische  Bevolution.  Schweizer  Geschiditen.  Geschichte  der  Erde 
Der  Eampf  in  China  (?).  Prinz  Heinrichs  Heise  um  die  Welt  Das 
Volk  steht  auf.  Die  Entdeckung  Amerikas.  Das  Volk  steht  aa£ 
Der  gestiefelte  Eater.  Ein  nordischer  Held.  Gefunden.  18  Jahre 
in  Südafrika.  Der  weiße  Häuptling.  Deutsche  Charakterköpfe. 
Allerlei  Märlein  und  Schwänke.  Tiermäichen.  Die  Hosen  des  Herrn 
V.  Bredow.   Lohn  einer  guten  Tat   Glückskindle.  Deutsche  Lands^ 


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Lobsien:  Riad  uad  Kuost 


377 


knechte.    Der  kleine  W  alüsciiiunger.  Der  Elefautenjäger.  Der  ßatten- 
fiinger  von  Hameln. 

Stufe  II 

Jack.  Die  Bärenklaiie.  Der  Goldsh-iimpf.  Kurt  Jansens  Aben- 
teuer. Onkel  Toms  Hütte.  Ein  Seesturm.  Der  weiße  Häuptling. 
Robinson.  ImliaiuTbuch.  Der  Trapper.  Inlichter.  Der  flie^rende 
Koffer.  Waldnioisters  Brautfalirt.  Der  Untergang  der  l^iraton.  Der 
weiße  Biber.  Zt  liu  Jahre  auf  dem  Eise.  Eine  Reise  um  die  Welt. 
Indianergeschichten  (viele!).  Heinrich  von  Plauen.  Robinson.  Der 
Reiter  ohne  Kopf.  Der  Pfadfinder.  Der  Waldläufer.  In  der  Wildnis.  ' 
Unter  deutscher  Flagge.  Der  Wildtöter.  Treu  bis  in  den  Tod.  Kloin 
und  groß.  Aus  dem  deutsch -französischen  Kriege.  Die  Woche. 
Deutsche  Helden.  »Ein  ]ilärchenbuch c  —  (sehr  oft).  Ziethen. 
J.  Wullen  Wewer.  Atolle,  die  kühne  —  (?).  Der  Sohn  des  Paschas. 
Rübezahls  Streiche.  Bechsteins  Märchen.  Der  Wildtöter.  Gauner- 
leben. Gespenstergeschichten.  Hänsel  und  Grethel.  Bobinson.  Die 
Wilden  Afrikas.  Märchenbücher. 

Stufe  in 

Faust  ISÜi  Eulenspiegel.  Fiesko  von  Genua.  Die  Bäuber. 
Erichs  Eerien.  Heidi  Ehre  und  Pflicht  Mein  ist  die  Rache* 
Bobinson.  Ledeistmmpf.  Der  Skalpjäger.  Sigismund  Blistig.  Unsere 
Karine.  Max  und  Moritz.  Ben  Hör.  Bheinlands  Wunderiiom.  Der 
Krieg  in  Transvaal  Hauffo  Mfirchen.  Der  Skalpjäger.  Der  Eährten- 
raeher.  £arl  Maj.  GenoTeva.  Heldenmut  Die  Goldgräber  in  Kali- 
fornien. Bismarck.  Der  rote  IVeibeuter.  Unschuldig  zum  Tode  ver- 
urteilt 

Stufe  IV 

Der  rote  Freibeuter.  Kiibezahl.  Tausend  und  eine  Nacht.  Schillers 
Werke  (!)  Das  Flottonbuch.  Münehhaiison.  Till  Eulenspie^el.  Der 
Schneider  von  Jiiterbo^^  Gartenlaube.  Rcinecke  Fuclis.  Die 
Zeitung  (?).  (nülivei-s  Reisen.  Rübezahl.  Die  Ody.ssee.  Prinzeß 
Elisabeth.  Das  Knabenbuch.  Der  Waldläufer.  Der  weiße  Falcke. 
Ka.spar  Ohm  und  ick.  Der  kleine  (iraf.  l'iratenschiffe.  ]\lüneli- 
hausen.  Kämpfe  mit  den  Rebellen.  Ostindienfahrer.  Miinchhausen. 
Volldampf  voraus! 

Stufe  V 

Kriegsbuoh  1870/71.  Die  Woche.  Märchenbücher.  Chinafeld- 
zug. Dentsch-Sadwestafrika. 


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378 


Mädchen 
Stufe  I 

Tküteköpfchen.  Töchtenlbum.  Atis  Pension  und  Leben.  lichten- 
stein.  Susanne.  Elthe.  KmdSimationsjahr.  Böse  v.  Higenow.  WÜd- 
fang.  Stiefanütteidien.  Weite,  weite  Welt  Goldelse.  Backfischcheos 
Leid  und  Ireud. 

Stufe  ü 

Kleeblatt  Heidi.  Irotaköpfohen.  Was  das  Leben  bringt  Töchte^ 
Album.  Pole  Poppenspttler.  Käthe.  Märchen.  Rosen  und  Domen. 
Maibliimon.  Trostblümchen.  In  der  Pension.  Silberblicke.  Die 
Jugend.  Trotzköpf chen.  Goethes  Werke.  Kriegshelden.  Andersens 
Märchen.  Bechsteins  Märchon.  Grimms  Märchen.  Kinderlust 
Robinson.  Märchen.  Bibel.  Wat  Giotmatter  verteilt  Geisha. 
Kinderwelt  Die  Rose  von  Tannenberg.  Ans  eigner  Kraft.  Kulen- 
spiegeL  Schillers  Werke.  Irmgaid  von  Treuenstein.  Bealienbach 
(Kahnmejer  u.  Schulae).  Quickbom. 

Rtufo  III 

Elisabeth.  Im  Mai  des  Lebens.  Küthe.  Prinzeß  ürethe.  Priiiz.'ß 
Ilse.  Dalli.  Lottchens  Ponsionsbriefe.  Ruth  und  ihre  FreuDde. 
Provinzniädül.  50  Sonntage.  Rose  von  Taunenberg.  Robinson.  Aus 
Nah  und  Fern.  Der  Arme  und  der  Reiche.  Klaus  der  Traunior. 
Hansel  und  Grethel.  Als  ich  noch  der  Waldbauernbub  war.  Fritz 
und  Franz.  Kulenspie;j:el.  Ta^^ebueh  dreier  Kiuder.  Kathcliens  Schick- 
sale. Seimas  Unfall.  Aus  sonnigen  Taften.  Max  und  Moritz.  LilÜ 
und  Erna.  Der  .jugendheinigarten.  Die  zelin  Gebote.  Ein  DraniÄ 
auf  dem  Meere.  Mädcheugescliichten.  Theresens  Tagebuch.  Henriette 
Köhler.  Trostblümchen.  Die  schwarze  und  die  weißo  Braut  Die 
Ostereier.  Aus  eigener  Kraft  Indianergescliichten.  Das  Häuschen 
am  See.  Wilhelm  der  iSiegreiche.  Heldensagen.  Tausend  und  eine 
Nacht    Klein  Maitlia.    Das  Erdbeben  von  Lissabon. 

Stufe  IV 

Selige  Zeit.  Die  kleine  Wilde.  Fräulein  Dr.  Die  Heideiwe. 
In  der  Pension.  Eva  v.  Rosenberg.  Rose  von  Tannenbeig.  Oiiaeldis. 
M  ä  r c  h  e  n  q  u  e  1 1.  G  ri  nuns  Mäichen.  Bechsteins  Märchen.  BobinWi» 
Heinzelmännchen.  Sagen. 

Stufe  7 

Einderreime.  Bobinson.  Struwelpeter.  BoseuhÜtte. 


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Loobiem:  Kind  uud  Kunst 


379 


Die  Stufen  T  und  11  der  Mädchen  enthalten  lodifj^licli  die  ver- 
zeichneten Lieblin^biicher,  das  ausführliche  Verzeiclmis  hat  ein  un- 
glückliclier  Zufall  vernichtet.  Hintenacli  erwies  sich  als  unpraktisch, 
die  verzeichneten  Liehliiit;shücher  in  der  ohij^en  Anj^ahe  zu  unter- 
streichen; zunäclist  wegen  der  ^rrößeren  Anzahl  der  «renannten  Büclier 
und  danu  weil  —  wohl  veranlaßt  durch  die  gewiesene  Reihe  der 
Fragen  —  nicht  immer  die  Lieblingsbücher  in  der  allgemeinen  Auf- 
zählung erwähnt  wunlen.  Ich  sehe  mich  daher  genötigt,  bevor  ich 
allgemeinere  Schlüsse  ziehe,  die  Bücher,  die  besonders  bevorzugt 
wurden,  hier  anzumerken.  Natürlich  fallen  Stufe  I  und  II  der  Mäd- 
chen aus.  Die  Wertbezeichnung  geschieht  in  derselben  Weise  duich 
Unterstreichen. 

Lieblingsbücher 

1.  der  Knaben 

Stufe  1.  Kampf  um  Rom.  liliade.  £ckehard.  Zriny.  Schillers 
Werke.  Deutsches  Knabenbuch.  Seeromane,  Im  höchsten  N(«iden. 
Himmelsknnde.  Der  Jugend  üeimgarten.  Sagen.  Brehms  Tierleben. 
Odyssee.  Flottenbuch.  Koblnson.  Heiz.  Der  alte  Fritz.  Welt- 
geediichte.  Waldbauernbub.  Nibelungen.  Burggraf  und  sein  Schild- 
knappe. Fiiedrich  II.  und  sein  Rekrut.  Der  alte  Derfflinger.  Die 
deutsche  Ruhmeshalle.  Reuters  Gedichte.  Prinz  Heinrichs  Reise  um 
die  Welt.  Grimms  Märchen.  Wat  Grotmutter  verteilt.  Jöre  ÜhL 
Teil.  Die  schwarze  Galeere  (Rabe).  Schleswig-holsteinische  Sagen. 
Lederstnimpf.  Tausend  und  eine  Nacht  Der  Seekadett  Ein  Kapitän 
von  15  Jahren. 

Stufe  II.  Märehen.  Indianergeschichten.  Kaiser  Wil- 
helm I.  Leben.  Höllenfcuer  (Rosegger).  Tausend  und  eine  Nacht. 
Sigismund  Rüstig.  Gullivers  Reisen.  Heinz  der  Lateiner.  Der  Buren- 
krieg. Robinson.  Das  edle  Blut.  Kriegserlebtiisse  eines  Freiwilligen. 
Bibel   SchuUesebuch  (IX).   Chinafeldzog.  Teil 

Stufe  in.  Urelieii.  Indianergesohichten.,  Skalpjiger. 
Sigismund  Rüstig.  Max  und  Moritss.  Entdeckungsreisen.  Bobinson. 
Prinz  Heiniichs  Beise.  Hanff.  Witzbuch.  EnlenspiogeL  Jugend. 
Slottenbooh. 

Stafe  IV.  Heinzehnlinnchen.  Flottenbuoh  zu  3,50  M.  Nutzen 
der  Geflügebsuchi  Bobinson.  Jugend-Gartenlaube.  Kaspar  Ohm  und 
ick.  Ledentarumpf.  Ureheii.  BttbezabL  Der  kleine  Gral  Tanzend 
und  eine  Nacht  Httnsel  nnd  GreteL  Gullivers  Beizen.  MOncfa- 
hanseii. 


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380  AuMtze 


Stufe  Y.  Märchen.  Abenteuer.  Onkel  Toms  Hütte.  Der  ge- 
stiefelte Kater.  Der  tapfere  Schneider.  Tausend  und  eine  Xacht 
Emin  Faschab.   Die  eiserne  Hand. 

2.  Miidchon 

Stufe  in.  MSrehen.  Herzblättchens  Zeitvertreib.  Heimatlos. 
Töchteralbum.  Heidi.  Jugend- Gartenlaube.  Wat  Orotmatter  ver- 
telit    Erdbeben  von  Lissabon. 

Stufe  IV.  Märchen.  Max  und  Moiits.  Märchenquell  (Blütfa^). 

Schwanke  und  Schnurren. 

Stufe  V.  Märchen.  Robinson.  Goethes  Werke  (!). 
Rein  äußerlich  betrachtet,  zeigen  sich  schon  charakterisri>che 
Unterschiede  der  boidon  (leschlechter  sowohl  bezüglich  der  Auzakl 
der  ausgewählton  Licbluigsbücher  wie  der  Anzahl  der  genannten 
Bücher  überhaupt.  Unliorechnet  die  Häufigkeit  einzelner  Titelanpiben 
konnte  ich  folgende  Anzahl  verschiedener  Titel  der  Lieblingslektüre 
auf  den  einzelnen  Altersstufen  verzeichnen: 

Stufe  JKnab«!  Mttdobea 

T  36  — 

II  16  13 

m  13  35 

IV  14  8 

V   8  4 

VI  —  3 

Insgesamt:   ^  —  17,4  ~  «  12,6. 

n  5 

Die  Gesanittitel  berechnete  ich  für  die  einzelnen  Stufen: 

Stufe  Knabea  Mftdohen 

I  179  — 

XI    •    •   •   •    •  • 

m  28  - 

IV  26  9 

T   5  4 

VI  —  3 

Insgesamt:    ^  —  66,6         ^  —  5,0. 

Im  allgemeinen  sind  die  Knaben  den  Häddien  nicht  nnireeent- 
lieh  überlegen  m  der  Mannigfiedtigkeit  der  Gesamt-  sowohl  als  der 
gewählten  lieblingslektOre.  Leider  fehlen  die  Daten  fflr  Stöfs  I  and  II 


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Lobsuk:  Kind  und  Kunst 


381 


der  Miidchen  über  die  Zahl  der  insc^csamt  f^elesenen  Bücher.  Für 
Knaben  läßt  sich  jedenfalls  ein  starkes  Wachsen  der  Literatur- 
kenntnis von  Stufe  Y  —  I  knusratiiMeii  in  dem  VerhiütnLs  l  :  16. 
Ganz  besoudei^  stark  beteiligt  an  dem  Aufscliwung  ist  die  Alters- 
stufe I. 

Das  p]ri;ebnis  über  die  Auswahl  der  Lieblinirsbücher  wird  noch 
stärker  beeinflußt  durch  die  Wertbeton unir  einztlner  Schriften  durch 
eine  eri'ößere  Schüleranzahl;  darum  mochte  ich  bei  dor  qualitativen 
Sonderwertune:  arst  näher  darauf  eingehen.  Sie  deuten  an,  welche 
Art  Lektüre  der  Mehrzahl  der  ScliiUer  besonders  zusasrt.  Im  all- 
gemeinen zei'splittert  sich  das  Interesse  der  Mädchen  nicht  über  eine 
ei'iWjere  Anzahl  einzelner  Schriften,  man  beobachtet  bei  ihnen  viel- 
mehr weit  größere  l.'ljeremstimmung  in  der  Wahl  besonderer  Lek- 
türe, zahlreiche  Interessen  vereinii;(»n  sich  auf  ein  Buch,  eine  Art 
Literaturerzeugnis.  Das  Interesse  der  Knaben  geht  auf  das  Viele, 
ganz  besonders  auf  der  Altei'sstufe  vom  13.-15.  Lebensjahre.  Ich 
schließe  daraus,  daß  die  ^Krankheit«,  fiie  man  selii'  bezeichnend  Lese- 
wut genannt  hat,  bei  den  Knaben  natürlich  auf  den  hier  in  Frage 
kommenden  Altei"sstufen  wesentlich  häufiger  vorhanden  ist,  als  bei 
den  Mädchen,  ein  Ergebnis,  das  auch  durch  meine  sonstigen  Beob- 
achtungen im  großen  und  ganzen  bestätigt  wird. 

Wie  hat  man  sich  diese  Ei'scheinung  zu  erklären?  Zunächst 
dai-f  man  darauf  hinweisen,  daß  der  Drang  des  Knaben  ül)erhaupt 
ins  Große  und  Viele  hinausgeht,  während  das  Mädchen  mehr  sinnend 
bei  dem  Einzelnen  zurückbleibt.  Ich  erinnere  an  die  Sammi^lwut  des 
Jungen,  die  zumeist  charakterisiert  ist  durch  dio  au.--gesj)i-ocheno  Ab- 
sicht, es  dem  andeni  zuvor  zu  tun ;  ich  erinnere  zum  Beleg  ferner 
an  zahlreiche  Ergebnisse  tius  meiner  ersten  Untersuchung  über  Kinder- 
ideale. Dann  muß  erinnert  werden  an  die  ungleich  grt>ßere  Be- 
deutung .schweifender  Phantasie  in  gewissen  Knabeiijalireu,  die  in 
mancherlei  Lektüre  N\il!kommene  Unterstützung  erfährt.  Vor  allen 
Dingen  darf  man  niiht  vergessen,  daß  Mädchen  ungleich  stärker 
suggerierbar  sind  als  Buben.  In  dieser  größeren  Suggestibilität  liegt 
begiündet,  daß  sie  vielmehr  der  Mode,  dem  ürteile  der  Umgebung^ 
auch  seiner  Genossinnen  unterworfen  sind.  Der  Knabe  hingegen  fühlt 
in  sich  den  Drang  jeweils  diesen  Umweltszwang  zu  durchbrechen,  er 
ist  auch  im  ganzen  freier  in  seinen  Entschließungen,  findet  keineB- 
wegs  dies  oder  jenes  Buch  »schön«,  weil  sein  Nachbar  so  darftber 
urteilt  Der  Knabe  ist  urteilsweiter,  urteilsfähiger  als  das  Mädchen 
in  der  Wahl  seiner  Lektüre  —  das  geht  mit  genügender  Deutlichkeit 
aus  den  obigen  Zahlangaben  herror. 


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882 


AnlBitse 


Freilich  wurde  nur  die  quantitative  Seite  des  Ergebnisses  m 
Auge  gefafit  Was  man  von  diesem  Gesichtspunkte  aus  bereohtigt 
ist  als  größere  Urteilsfiihigkeit  anzusprechen,  ist  keineswegs  immer 
asuzugeben,  wenn  man  qualitativ  wertend  herantritt  Die  ürteUs- 
filhigkeit  ist  nicht  sowohl  abh&ngig  von  der  Urteilsweite  als  von  der 
ürteüsqnalitfit  Es  ist  also  notwendig,  die  au4gewihlte  LektOie  auf 
ihren  Wert  hin  au  pröfen.  Das  ist  deshalb  nicht  gerade  einfsch, 
weil  das  Urteil  ttber  den  Wert  eines  Buches  stark  variabel  ist  je 
nach  dem  literazästhetischen  Standpunkte  des  Urteilenden  und  swar 
derart,  daß  die  Anaahl  der  Bücher,  die  einstimmig  als  wertvoll  be- 
zeichnet werden,  verschwindend  klein  ist  Es  empfiehlt  sich  daher, 
nur  eine  Grenzlinie  zu  ziehen  zwischen  dem  Wertlosen  and  WerU 
vollen  und  diese  linie  nicht  gar  zu  hoch  zu  veriegen.  In  der  Tit 
ist  die  linie,  die  das  schlechterdings  als  ungeeignet  zu  Bezeichnende 
abgrenzt,  ungleich  leichter  zu  ziehen  als  jene.  Wir  ziehen  diese  Linie 
also  so,  daß  oberhalb  derselbcSn  die  mannigfachsten  Werturteile  mdgUch 
sind,  die  vielleicht  oft  nahe  an  die  GrenzHnie  herankommen  in  ihrer 
negativen  Fassung,  aber  doch  in  der  Gesamtfossung  sie  nicht  nach 
unten  zu  überschreiten  vermögen.  Das  auf  die  Gefahr  hin,  diß 
manchem  der  Maßstab  zu  niedrig  bemessen  scheint 

In  erster  Linie  konmien  die  bezeichneten  Lieblingsbücher  ia 
Frage,  denn  es  kann  keinem  Zweifel  unterliegen,  daß  unter  den  nU- 
reichen  vordem  genannten  Büchern,  von  denen  nicht  wenige  dea 
Eindem  zufillig  in  die  Hftnde  kamen,  manch  minderwertiges  enthaltea 
sein  muß.  Wenn  trotzdem,  wie  bereits  erwähnt  wurde,  schon  in 
dem  Umstände,  daß  der  Titel  des  Buches  vom  QedSofatnis  aufbewahrt 
wurde,  eine  gewisse  Wertbetonung  zu  konstatieren  ist,  so  sei  ge- 
stattet, aus  der  Angabe  dieser  Bücher  ein  doppeltes  zu  konstatieron: 
1.  sie  sind  durch  den  Schüler  erst  in  zweiter  und  dritter  linie  weit- 
betont; 2.  wir  lesen  aus  ihnen  heraus,  wenigstens  zum  Teil  den  be- 
stimmenden Einfluß  interessierter  Kreise,  nicht  zuletzt  der  Schule 
und  des  Hauses.  Allerdings  dürfte  gewagt  erscheinen,  einen  ge- 
naueron  Maßstab  anzulegen,  ich  bescheide  miiJh  daher,  den  Einfloß 
allgeniein  zu  behaupten  oder  zu  verneinen. 

Vorab  jedoch  noch  eine  Bemerkung.  Nur  in  den  seltensten 
F8Uen  nannten  die  Schüler  den  Ver&sser  des  Buches  und  diese 
seltenen  Fälle  fanden  sich  nur  bei  der  Angabe  des  Lieblingsbuches. 
Man  wird  offenbar  daran  erinnert,  daß  ein  solches  Verhalten  volks- 
tümlich scheint  £s  gibt  mancherlei  volkstümliche  literatnr  in  Poesie 
und  Prosa,  deren  Verfasser  bis  auf  den  heutigen  Tag  unbekannt  ge^ 
blieben  ist   Das  Volk  interessiert  das  Werk  und  nicht  der  VeifMser. 


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Lmm:  Kind  und  KoDst 


38a 


Aber  für  sehr  bedenklich  halte  ich,  wenn  die  Schule  aus  dieser  Tat-^ 
Sache  für  sich  das  Recht  lierloiten  wollte,  in  gleicher  Weise  za  ver- 
fahren.  Sie  hat  die  ernste  Pflicht,  hier  ein  übriges  sa  ton;  sie  muA 
Ton  Tomheiein,  wie  zum  Respekt  vor  dem  Werk,  so  auch  zum 
Bespekt  Tor  seinem  Schöpfer  erziehen.  Das  ist  ein  gutes  Recht  der 
Verfasser.  Ich  lese  aus  den  obigen  Angaben  heraus,  daß  Haus  und 
Schule  ihre  Pflicht  in  dieser  Angelegenheit  nicht  in  wtUischenswertem 
Maße  erfüllen. 

Blickt  man  die  Reihe  der  verzeichneten  Lieblingsbücher  durch,. 
80  kann  man  konstatieren,  daB  die  erwähnte  Grenzlinie  nach  oben 
stark  überschritten  ist  —  besonders  bei  den  Knaben.  Jo  weiter  nach 
oben,  desto  günstiger  ist  das  Besoltat  Auf  Stufe  I  der  Knaben 
findet  sich  keine  Angabe,  die  der  Schondliteratar  entnommen  ist 
Auf  Stufe  n  und  HI  beobachten  wir  zwar  ein  weit  verbreitetes 
Interesse  für  die  berüchtigten  Indianerbücher.  Daneben  aber  auf 
Stufe  II — V  ein  bedeutend  stärkeres  Interesse  für  Märchen.  Auf 
Stufe  I  wird  Robinson  am  häufigsten  bevoizogt,  ein  neuer  Beweis 
dafür,  daß  man  auch  auf  .  diesem  Wege  eine  Märchen-  und  eine 
Robinsonstufe  feststeilen  kann;  sie  erstreckt  sich  aber  weit  über  den 
Umfang  eines  Jahres  hinaus.  Die  von  den  Mädchen  genannten 
Lieblingsbücher  tragen  einen  wrirbpren  > mädchenhaften c  Charakter, 
stehen  auch  an  Wert  den  durch  die  Knaben  gewählten  oft  nicht  un- 
bedeutend nach.  Da  führt  der  Weg  über  »Seimas  Unfall«  zu  »Back- 
fischchcns  Leid  und  Freud«,  da  hören  wir  vom  »Trotzköpfchen«,  von 
Lottchens  Pensionsbriefen,  von  Herzblüttcliens  Zeitvertreib,  auch  die 
»Geisha«  und  das  »Provinzmädel«  darf  niclit  fehlen.  Schon  der  Titol 
verrät  hier,  Mache,  Absieht,  wollte  Kindlichkeit,  die  voranlassen, 
daß  die  Wahl  sich  sehr  viel  niihcr  der  (irenzzone  bewc^;t  und  öfter 
über  dieselbe  himinterr.i^t.  Dem  Kimbon  (liiifto  man  mit  dieser  süß- 
lichen Absichtliclikeit  nicht  kofnmen,  sie  widerstrebt  ihm,  während 
das  Mädchen  dadurch  su<:^oriort  wird. 

In  Snnima  dürfen  wir  behaupten,  daß  das  Gesamtergebnis  der 
Erhebung  durchaus  als  günstig  l)ezeichiiet  werden  muß,  daß  diejenigen, 
die  von  großem  Verderb  und  irroller  Barbarei  reden,  keineswegs  recht 
haben,  soweit  es  sich  um  die  vorliegenden  Altersstufen  handelt  — 
allerdings  —  wie  es  dann  femer  ausschaut,  wie  weit  die  Kiiitiüsse 
der  Schule  und  des  Hauses  dauernd  wirken,  ob  und  welchen  Ein- 
fluß die  kritische  Zeit  ausübt  —  das  liegt  jenseits  vorheizender  Be- 
trachtung. Die  traurigen  Verirrungen  mancherlei  Art,  die  (Joschmacks- 
verderhnis  aber  —  das  geht  aus  obiger  Betrachtung!:  auch  für  jene 
Zeit  hervor  —  hängt  eng  zusammen  mit  den  veräuderteu  ümwelts- 


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384 


Aufsätze 


einflüssen.  Berecliti^te  erziehliche  Maßnahmen  kunstpädagogischer 
Art  würden  zweifelsohne  eine  starke  Prophylaxis  bedeuten. 

Schiller  ist  Lieblingsdichter  der  älteren  Knaben,  die  Miidchen 
neip:en  zumeist  zu  r;o('tlu\  den  sie  vorwiegend  aus  seinen  Gedichtet 
und  den  ersten  Ürami'n  kennen. 

Die  vcin  den  deutschen  Prüfungsausschüssen  für  die  Jugend 
insbesondere  empfohlenen  Bücher  sind  auch  hier  nicht  zahlreich  zu 
finden. 

Das  Schiülesebuch  wird  ganz  vereinzelt  als  Lieblingsbuch  be- 
zeichnet; etwa  5 mal  unter  den  vielen  tausend  Angaben.  Das  Er- 
gebnis meiner  ei'sten  Uiitersuchung  ist  also  erneut  bestätigt  worden. 
Ich  kann  erneut  meine  Verwunderung  darüber  aussprechen,  daß  das 
Lesebuch,  diis  Schulbuch,  an  dessen  Verbesserung  100  tüchtige  Köpfe 
arbeiten  und  gearbeitet  haben,  so  geringer  AVertschiitzung  begegnet; 
das  Krstaunen  ist  um  so  berechtigter  als  zu  den  dort  in  Frage 
kommenden  Büchern:  Schneiders  Kinderfreund  und  Vaterländisches 
Lesebuch  von  Keck  und  Joha.nnsen  hier  die  FECHNEKschen  Bücher 
hinzukommen.  Liegt  die  Ursache  dieser  Erscheinung  in  dem  Lese- 
buch oder  an  der  Behandlung?  —  betrübend  ist  sie  jedenfalls. 

Auch  das  Verzeichnis  der  Bücher,  die  angeblicli  insgesamt  ge- 
lesen worden  waren,  zeigt  deutlich  eine  Neigung  zum  Märchen  in 
den  Alti'i-sstufen  II — V.  Weit  stärker  als  bei  den  Märchen  —  der 
Vorgang  ist  an  der  Hand  des  Verzeichni.sses  sehr  interessant  zu  ver- 
folgen —  setzt  die  Neigung  ein.  in  die  Ferne  hiiu\uszuschweifen: 
das  Kol)insoninteresse  —  es  sei  gestattet  —  erwacht  und  wächst  be- 
ständig. Die  sehweifende  Phantasie  erfreut  sich  an  den  Indianer- 
geschichten, am  Lederstrumpf,  Sigismund  Küstig.  Doch  sehen  wir 
die  Phantasie  auch  diszipliniert  und  ein  nicht  geringes  Interesse  an 
historischen  Dingen  greift  ein.  Daß  den  Kieler  Kindern  das  Meer 
und  die  Kriegsflotte  es  angetan  hat,  ist  ja  nur  sell>stvorständlich. 

Naturwissenschaftliche,  geographische  u.  ä.  Bücher  finden  kaam 
Erwähnung:  die  Handlung  packt  den  Schüler,  nicht  die  Beschreibung 
und  sei  sie  noch  so  lebendig.  Krieg  und  Kampf  fesselt  den  Knaben: 
die  kriegerischen  Ereignisse  zur  Zeit  Friedrichs  des  Großen,  1870/71? 
im  Osten,  in  Afrika,  einzelne  kriegerische  Helden  begeistern  ihn. 
Dieser  kindlichen  Eigentümlichkeit  muß  der  Unterricht  Rechnung 
tragen.  Das  Vorhaben  jeuer  Neuerer,  die  Weltgeschichte  ganz  oder 
nahezu  ganz  in  Kulturgeschichte  aufgellen  lassen  wollen,  ist  Tom 
Standpunkte  der  Eindeeseele  als  unpsjchologisch  zu  verwerfen.  ISn 
solches  Verfahren  teüt  mit  so  vielen  andern  den  schweren  Naohieil, 
4laß  es  das  Kind  als  solches  nicht  wertet,  daß  es  in  demselben  den 


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LoBBODi:  Eiiid  and  Kunst 


385 


kleinen  Erwachsenen  sieht.  Solange  die  Psychologie  des  Kindes  nicht 
auf  einwandfreiere  Beobaclitiing,  d.  h.  solche,  die  durch  subjektives 
Meinen  ungetrübt  ist,  gegründet  wird,  solange  wird  die  gefährlichste 
Eigenschaft  des  Routiners,  sich  selbst,  wenn  auch  hier  und  da  mit 
etlichen  Subtraktionen  in  den  vor  ihm  sitzenden  Zögling  liineinzu- 
projizieren  und  dementsprechend  Unterricht,  Regierung  und  Zucht 
zu  gestalten  nicht  als  solche  erkannt  und  verurteilt  werden.  Hier 
ruhen  der  experimentellen  pädagogischen  Psychologie  meines  Er- 
achtens die  wichtigsten  Aufgaben  —  und  der  Kundige  weiß,  wieviel 
ernste  Arbeit  heute  schon  in  dieser  Richtung  geleistet  worden  ist, 
allerdings  auch,  wieviel  Mühe  es  auch  offensichtlichen  Walirheiten 
kostet,  (las  Trägheitsmoment  gewohnter  und  bequemer  Anschauungen 
zu  überwinden. 

Im  Gegensatze  zu  den  Knal)en,  weist  bei  den  Miidchon  die  Titel- 
anerabe —  mit  Ausnahme  der  unteren  Stufen  —  nahezu  immer  ins 
Haus  hinein  oder  in  dessen  nächste  Umgehung,  sie  weist  auf  eine 
Neigung  zu  stilien,  geordneten,  dem  Zufall  entrückten  Verhältnissen. 

7.  Welche  biblische  Geschichte  ist  dir  die  liebste? 

Die  Frage  steht  m.  dem  Thema  ansoheinend  in  lockerem  Yer- 
bande,  doch  hoffe  ich,  zu  der  kurz  voiher  erörterten  Angelegenheit 
mancheilei  Ergänzung  za  finden.  Ich  ordnete  die  Antworten  nach 
folgenden  Gesichtspunkten:  Jede  Antwort  erhielt  eine  Kennziffer,  die 
die  lelative  Häufigkeit  des  Vorkommens  andeuten  sollte;  Antworten 
die  sporadisch  auftraten,  habe  ich  ander  Rechnung  gelassen. 

Knaben 
Stufe  I 

Geburt  Christi  (6).  Einzug  in  Jerusalem  (1).  Jüngling  zu  Nain  (1). 
Gleichnis  vom  verlornen  Sohn  (1).  Die  Kreuzigung  (2).  SamueL 
Sturm  auf  dem  Meere  (1).  Bergpredigt  (1).  Simsen  (1).  Geth- 
semane (1).  Der  Fischzug.  Pauli  Reisen  (1).  Daniel  in  der  Löwen- 
grube.   Die  Schöpfimg.   Die  Himmelfahrt 

Stufe  n 

Geburt  Christi  (5).  David  und  Goliath  (1).  Kreuzigung  (4). 
Bergpredigt  (2).  Jesus  der  Einderfrennd.  Daniel  in  der  Löwengrube. 
Joseph  bei  Jericho.  Durchzug  durchs  rote  Meer.  Schöpfung.  Sturm 
auf  dem  Meere.  Joseph  wird  yerkauft 

ZlitNlvUt  f&r  Fbik)«)phie  and  Ftdacogik.  12.  Jahrgang.  26 


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386 


Anfaätse 


Stufe  m 

Kreuzigung  (9).  Geburt  Christi  (6).  Joseph  wird  verkauft  (5). 
Jesus  in  Gethsemane  (3).  Der  zwölfjährige  Jesus  im.  Tempel 

Stufe  IV 

Die  Kreuzigung  (5).  Geburt  Christi  (4).  Bergpredigt  (6).  Jesus 
segnet  die  Kinder  (2).  Petri  Fischzug  (7).  Himmelfahrt,  Hochz^-'it 
zu  Kunu.  Der  Hauptmann  zu  Kapemaum.  Jakob  und  £sau.  Abrams 
Verheißung. 

Stufe  V 

Geburt  Christi  (2).  Kreuzigung  (7).  Mose  Berufung.  Naboth. 
Sauls  Salbung.  Schöpfung  (2).  Jakob  und  Esau  (2).  Die  Sündflut  (2). 
David  und  Goliath  (3).  Kain  und  Abel.  Das  Paradies.  Adam  und 
Eva.  (Bern.:  Die  biblische  Geschichte  war  hier  nur  bis  Joseph  be- 
handelt worden.) 

Madchen 

Stufe  I 

Christi  Geburt  (4).  leiden  Christi  (10).  Joseph  im  Gefängnis  (5l 
Kuth  (3).  Hochzeit  zu  Kana.  Der  zwölfährige  Jesus  im  Tempel 
Paradies.  Jesus  segnet  die  Kinder.   Der  Jüngling  zu  Nain. 

Stufe  II 

Christi  Geburt  (2).  Christi  Leiden  (6).  Auferstehung  (1).  Hoch- 
zeit zu  Kana.  Jüngling  zu  Nain.  Schöpfung.  Der  barmherzige 
Samariter.  Die  Waisen  aus  dem  Morgenlande.  Abram  und  Lot 
Speisung  der  Fünftausend.    Die  Jünger  in  Emmuus. 

Stufe  in 

Geburt  Chiuti  (10).  Beigpiedigt  (1).  Kain  und  Abel  Tom 
▼edomen  Sohn.  Hoohselt  zu  Kana.  Speigiuig  der  6000  Hann.  Bio 
Sohdpfang.  Die  Kieuzigung.  Der  Sturm  auf  dem  Heeie.  Elias  anf 
Horeb. 

Stufe  IV 

Geburt  Christi  (7).  Kreuzigung  (3).  Joseph  wird  TeEfanift  (9). 
Hauptmann  au  Eapemanm.  Die  drei  lünner  im  feurigen  Ofen. 

Stufe  V 

.  Speisnng  der  6000  Mum.  Hoehaeit  zu  Eana.  Jakob  und  Bnn. 
Johannes  der  Tftuler.  Die  Ezeoaigong.  Die  Schöpfung.  Der  Stom 
auf  dem  Meere.  Der  Jtbig^ing  zu  Nein.  Eain  und  Abel 


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LomiN:  Kind  and  Kunst 


387 


Man  könnte  tlie  Erwartung  hegen,  daß  das  jeweiLß  gewiesene 
Pensum  für  die  Wahl  der  bevorzugten  biblischen  Geschichten  maß- 
gebend gewesen  sei.  Der  Eimvand  darf  nicht  ganz  von  der  Hand 
gewiesen  werden.  Aber  doch  belelirte  eine  Durchsicht  der  Pensen, 
daß  dieser  Einfluß  nur  gering  eingeschätzt  werden  darf. 

Ich  vemachliLssige  vor  der  Hand  die  Angaben,  die  keine  Nummer 
erhalten  haben  und  berechne  aus  den  übrigen  folgende  Gesamtwerte: 

Sonderwertbetont  sind  folgende  Geschichten: 

1.  Christi  Geburt, 

2.  Christi  Leiden, 
[').  Bergpredigt 

4.  Joseph  wird  verkauft, 

5.  Petri  Pischzug, 

6.  Joseph  im  Gefängnis, 

7.  Ruth, 

und  z^ar  durch  folgende  Gesamtdaten:  1  =  5,  2  =  6,  3  =  1,  4  2, 
5  »  1,  6  —  Y,,  7  —  0,3.  Christi  Leiden  begegnet  dem  stärksten 
Interesse,  wohl  wegen  der  lebendigen  dramatischen  Vorgänge,  in 
denen  es  sich  abspielt. 

Achten  wir  auf  den  Unterschied  der  Geschlechter: 


Knaben 

Clmsti  Geburt  .... 

5 

5 

Chzisti  Leiden  .... 

7 

5 

2 

0,2 

Joseph  inid  Terkunft 

2 

2 

Petri  lüsohzug .... 

M 

0 

Joseph  in  Gefangenschaft 

0 

1,5 

Rath  

0 

0,8 

Eb  offenbaren  sich  keine  bedeutsameren  Unterschiede. 

Ein  Blick  über  die  Gesamtheit  der  genannten  biblischen  Ge- 
schichten bezeugt,  daß  sie  überwiegend  dem  neuen  Testamente  und 
nur  in  wenigen  Fällen  dem  alten  angehören.  Wir  dtirfen  daraus 
entnehmen,  daß  das  neue  Testament  dem  kindlichen  Geiste  nfiher 
liegt,  als  die  Kulturwelt  des  alten  Bundes  und  femer  —  daß  die- 
jenigen recht  haben,  die  da  yerlangeu,  daß  das  nene  Testament  nnd 
das  Leben  des  Heilandes  weit  mehr  in  den  Yordergmnd  des  Beli- 
gionsuntenjehtes  gestellt  werden  müßte  als  das  bisher  m  geschehen 
pflegt 

Für  nnsere  yorUegende  Anlgabe  aber  entnehmen  wir  der  Auf- 
zühliiDg:  das  Belebte^  das  dramatisch  Bewegte  zieht  die  Kinder  an 

25» 


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388 


AofrttM 


und  öffnot  ihnen  Herz  und  Sinn  auck  für  schwierigere  Gedanken- 
gänge. 

Nicht  unerwähnt  will  ich  hier  zum  Schluß  lassen,  daß  auf  die 
Frage  nach  dem  liebsten  Unterrichtsfache  von  500  Schülern  nur  7 
den  Religionsunterricht  nannten  und  zwar  von  den  Knaben  2,  von 
den  empfänglicheren  Mädchen  5  —  offenbar  ein  zähienraäßiger  Nach- 
weis, daß  trotz  der  ungeheuren  Arbeit,  die  gerade  diesem  Unterrichts- 
zweige seit  Jahrhunderten  gewidmet  worden  ist,  man  immer  noch 
nicht  die  verläßlichsten  »neuen  Bahnen«  f^efunden  hat.  Denn  —  dem 
Einwände  gleich  zu  begegnen  —  nicht  etwa  maugelhaftem  Eifer  der 
Lehrenden  ist  das  in  die  Schuhe  zu  schieben:  es  hatten  10  Lelir- 
personen  sich  mir  dankenswert  zur  Verfügung  gestellt  für  die  Samm- 
lung des  Materials  und  ich  weiß,  daß  die  meisten  von  ihnen  den 
Religionsunterricht  mit  Eifer  und  Wärme  erteilten. 

(SohhA  fol^.) 


Leitsätze  für  den  biologisohen  Unterricht 

Von 

O.  Pfannstiel,  Uüdburghauä6n 
(Sohlaft) 

H,  iPnitnffiiiitffrigfti^  HtiiftiB  uBil  BöobMiitmgvttlQStDlMtt 

Der  biologische  Unterricht  ist  in  erster  Linie  ein  ünte^ 
rieht  der  Anschauung.  Nur  auf  ihrer  Grundlage  darf  das 
Lehrgebäude  aufgerichtet  werden.  Die  Technik  des  Qafal^ 
histoiisohen  ünterrichtee  ist  aber  nicht  im  stände,  jede  Oelegenheit 
zur  Beobacfatong  willkürlich  in  der  Natur  oder  in  Form  Ton  Ve^ 
suchen  oder  FMiparaten  zu  schaffen.  In  allen  diesen  EUlen  mSam 
die  Anschauungen  in  der  freien  Natur  gelegentlich  gewonnen 
werden.  Die  Objekte  sind  zeitlich  und  räumlich  sehr  sevstrent^  und 
die  Gelegenheit  ist  oft  sehr  vom  Zufidl  abhängig.  Bin  mit  Yoisiolit 
geleiteter  Unterricht  wird  deshalb  eine  auf  der  Mittelstufe  duroh  d«i 
günstigen  Zufiül  gebotene  Beobaditungsgclegenheit  anch  dann  woU 
ausnutzen,  wenn  der  Gegenstand  derselben  eist  auf  der  ObentofB 
Terwertet  werden  kann.  So  wird  umgekehrt  der  höhere  Untsniolit 
das  Material  und  die  Eigebnisse  der  Mittelstufe  bei  jeder  giknstigw 
Gelegenheit  ergänzen.  Die  Natnr  ist  nirgends  pedantisch;  deshilb 
kann  es  auch  die  Naturbeobachtung  nicht  sein. 

Für  alle  lUle  gilt  bezfiglich  der  Unterrichtstoohnik  als  oberster 
Grundsatz,  daß  Tor  jedem  andern  Schritte  ftli  ein  brauob- 


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TwAxaiBnEL:  Leitsätze  tax  dea  biologüchen  Untomoht 


389 


bares  und  hinlängliches  Anschauungsmaterial  zn  sorgen  ist. 
Mit  ihm  steht  und  fällt  der  Erfolg,  ja  zum  Teil  sogar  die  Möglich- 
keit des  naturgeschichtlichen  Unterrichts.  Eine  besondere  Sorgfalt 
ist  den  technischen  Hüfemitteln  auf  der  Oberstufe  zuzuwenden,  weil 
ihre  Objekte  wegen  ihrer  Kleinheit  vielfach  der  Wahmehnibarkeit 
durch  die  freie  Beobachtung  entzogen  sind,  oder  weil  das  für  den 
Unterricht  Wertvolle  erst  von  einer  Last  von  Beiwerk  befreit  werden 
maß.  Mikroskopisches  Pr&parat,  plastische  Nachbildung,  schematische 
und  naturgetreue  Zeichnung  und  Experiment  sind  Dinge,  ohne  welche 
sich  der  Unterricht  in  einem  beständigen  YerhungernngsEnstande 
befindet. 

12.  BidogiMhar  Untanloht  and  Koai— ntratioin*) 

In  den  Abschnitten  4  bis  10  ist  dargelegt  worden,  weiches 
Prinzip  dem  biologisohen  Lehrgänge  zu  Grunde  liegen  muA,  wenn 
klare  Begriffe  erzeugt  werden  sollen.  Aber  die  sichere  Fundamen- 
tierang des  sittlichen  Charakters  yerlangt  mehr:  es  kommt  auch  dar- 
aaf  an,  daß  diese  Begriffe  untereinander  planmäßig  verbunden  und 
fest  auf  die  Ideengruppe  Ton  der  sittliohen  Tüchtigkeit  des  Menschen 
bezogen  sind.  Der  Gedankenkreis  einer  Person  muß  ein  durch  und 
durch  einheitlicher  sein. 

Daraus  entspringt  für  die  Lehiplantheorie  em  merkwürdiger  Zwie- 
spalt Die  Erzeugung  klarer  Anschauungen  und  sauberer  Begriffe 
macht  ihrerseits  eine  Spaltang  des  bunigearteten  Lehrstoffes  nach 
den  inneren  Verwandtschaften  notwendig.  Ja  der  Grad  dieser  Arbeits- 
teilung gilt  als  ein  äußerlicher  Maßstab  für  die  Eulturhöhe  eines 
Schulsystems.  Somit  wirkt  die  Terfeinerung  der  Unterrichtsarbeit 
an  sich  der  Yereinheitiichung  des  Gedankenkreises  gerade  entgegen: 
denn  sie  birgt  die  Gefahr  in  sich,  daß  in  dem  Zöglinge  ebenso  viele 
Sondergewissen  geschaffen  werden,  als  Unterrichtsfiicher  vorhanden  sind. 

Andrerseits  fordert  die  Idee  von  der  sittlichen  Persönlichkeit,  daß 
aller  Unterricht  auf  ein  Zentrum  gerichtet  sei,  und  daß  alle  Lehre 
nur  eine  Lehre  seL  Dem  wäre  am  sichersten  zu  entsprechen,  wenn 
es  nur  ein  einziges,  kosmologisches  Unterrichtsfech  gäbe.  Dies  kann 
in  der  Tat  im  ersten  elementaren  Unterricht  bis  zu  einem  hohen 
Grad  erfüllt  werden.  Die  Begriffebildung  ist  auf  dieser  Stafe  noch 


')  YeigL  BoniiiL,  Über  Beformbestr.  anf  dem  Oeb.  des  natOri.  Unteir.,  Statt- 
gart, Nägele,  S.  76  fl  —  Koblmeter,  Dae  Mol.  Frinap,  Dresden,  Bleyi  Kämmerer, 
6.  37  ff  —  PARTHm  a.  Frobsz,  Die  neuen  Babneii  dee  natürl.  Unterr.,  Deaam, 
Kahles  Verl.,  Ö.  32  ff. 


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390 


Aufsätze 


80  einlach,  daß  umfangreichere  Vorstoll ungsgnippen  nicht  nötig  sind. 
Auf  dieser  Idee  von  dem  einen  Fache  benilien  die  Lösnngs versuche 
Zillers  und  Relns.  Sie  gestehen  prinzipiell  uui-  einer  einzigen  Materie 
Selbständigkeit  zu,  und  diese  ist  mit  Rücksicht  auf  den  Erziehungs- 
zweck der  Stoff  des  »Gesinnungsuntorrichtos«,  d.  h.  rehgiöser  und 
geschichtiiclier  Lehi-stoff.  Die  Notwendigkeit  des  naturkundlichen 
Unterrichts  ist  dadurch  bedingt,  daß  er  die  Mittel  und  Wege  zei^rt, 
von  deren  Kenntnis  die  Realisierung  des  sif fliehen  Wollens  abhäugL 
Dieser  enger  umgrenzten  Aufgabe  entsprechend,  hat  die  Naturkunde 
den  religiös-historischen  Unterricht  auf  iSchritt  und  Tritt  zu  begloiieu. 
Der  Lehrgang  aller  realistischen  Fächer  ist  durch  den  Stoff  des 
Gesinnungsunterrichts  in  nuce  gegeben.  Sie  dienen  der  Er- 
ziehung zum  sittlichen  Wollen  nur  unmittelbar,  als  Hilfsstoffe  des 
Oesinnungsunterrichts.  Diese  Stellung  im  Lehrplane  ist  aber  nur 
dann  gerechtfertigt,  wenn  in  dem  Stoffe  des  Realfaehcs  Werte,  die 
in  unmittelbarer  Beziehimg  zu  den  Grundsätzen  der  sittlichen  Tüchtig- 
keit stehen,  nicht  vorhanden  sind.  In  Betreff  der  Naturkunde 
spricht  gegen  diese  Annahme  schon  die  einfache  Tatsache,  daß  pow  .lil 
die  Naturereignisse  in  ihrer  stillen  oder  erschütternden  Erhabenheit 
als  auch  jede  ernstlich  forschende  Beschäftigimg  mit  der  Natur  von 
jeher  den  nachhaltigsten  Einfluß  auf  das  menschliche  Gemüt  hervor- 
gebracht haben.  Diese  Ereignisse  sind  es  sogar,  die  den  alles  unter- 
jochenden Menschengeist  seine  schließliche  Ohnmacht  nachdrücküchst 
haben  erkennen  lassen  und  in  seiner  bangenden  oder  zu  Dankes- 
äußening  drängenden  Seele  das  Bedürfnis  nach  einem  Gottesglauben 
entfacht  haben.  Sind  aber  derart  in  die  Augen  springende, 
unmittelbar  auf  den  Erziehungszweck  abzielende  Werte 
in  einem  Lehrstoffe  vorhanden,  so  müssen  dieselben  er- 
schlossen und  ausgebeutet  werden.  Das  »Realfachc  bekommt 
dadurch  seine  eigene  gesinnungbildondo  Aufgabe  und  muß. 
wie  oben  dargelegt  worden  ist,  denjenigen  Weg  gehen,  der 
in  der  eigenartigen  Natur  seines  Stoffes  begründet  ist  Es 
muß  freie  Bahn  haben,  so  gut  wie  der  ßeiigions-  und  Ge- 
schichtsunterricht.^) 


M  VergL  E.  ScHKLLKR,  »Naturk.  Exkursioneoc,  in  Deutsche  Bl.  f.  erz.  U.  1879, 
neu  herausgeg.  im  l'ädag.  Magazin  (Langensalza,  Hermann  Beyer  k  Söhne  [Beyer 
&  Mann],  1905),  Heft  205  (S.  12—16).  —  Benelbe,  »Über  die  Onodtendens  d« 
nitQiigeeoli.  V.«,  Fttd.  Stodhim     Bein,  1883,  HL  —  Dereelbe,  IV.  fklniliilir,  3.  n> 

4.  Aufl.  —  Dr.  H.  ScHan),  »Der  Hildiiugswort  dpr  Xaturw.  i.  d.  Realschule«,  in  Z«it- 
schrift  f.  lat-  inli>.e  höhere  Schulen,  XÜ.  161—160.  -  Derselbe,  »Wert  n.  Zifii  das 
natorwissenschafü.  U.  in  der  Sexta«,  daselbst,  7.  Heft,  201—204. 


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Pfannstikl:  Leitsätze  für  den  biologiädien  Untenioht 


391 


So  ist  der  Lehiplan  in  der  Tat  auf  swei  sich  widerstreitende 
Ftinzipien  angewiesen,  die,  wenn  sie  einander  unter  allen  Umständen 
ansschüeßen,  jede  gedeihliche  Unterrichtsarbeit  im  Sinne  des  einen 
oder  des  andern  unmöglich  machen.  Soll  daher  der  Unterricht  seine 
gewichtige  Mission  im  Erziehungsplane  erfüllen,  so  müssen  Maßnahmen 
getroffen  werden,  welche  die  Gefahren  der  Arbeitsteilung  beseitigen, 
ohne  dieselbe  im  Prinzip  illusorisch  zu  machen.  Diese  Vorkehrungen 
werden  von  der  Didaktik  unter  dem  Namen  der  Konzentration 
des  Unterrichts  zusammengefaßt  Je  weiter  die  Arbeitsteilung 
geht  um  so  notwendiger  ist  sie.  Spezialisierung  und  kon- 
zentrierende ^laßnahmen  müssen  zueinander  in  geradem 
Verhältnis  stehen. 

Den  Versuch,  den  beiden  zweischneidifreu  Schwertern  die  gegen- 
einander gekehrten  Schärfen  zu  nehmen,  ist  von  der  Herbart-Ziller- 
schen  Didaktik  ernstlich  und  zum  großen  Teile  mit  Erfolg  unter- 
nommen worden.  Der  enge  Anschluß  des  Fomienunterrichtes  an  den 
Sachunterricht  dürfte  keinen  emsthaften  Widersacher  mehr  finden. 
Das  Ideal  der  Konzentration,  nämlich  das  gänzliclio  Aufgehen  des 
einen  in  dem  andern,  muß  aber  im  Interesse  der  Sauberkeit  der  Arbeit 
dem  Teilungsprinzipe  weichen,  aber  nur  äußerlich !  Ebenso  ist  das 
Verhältnis  dos  religiös-etliischen  zum  natioiuil-historischon  Untemchte 
im  Sinne  beider  Lehrplanfi'agen  sichergestellt:  beide  Fächer  liaiion 
äußerlieh  getrennte  Marschrouton,  um  innerlich  vereint  zu  schlagen. 
Den  realistischen  Fächern  dagegen  ist  nur  eine  Trabantenrolle  ein- 
geräumt. Es  ist  aber  schon  dargelegt  worden,  daß  diese  Stellung 
eine  unzulängliche  ist;  daß  sie  das  Prinzip  der  kulturhistorischen 
Stufen  nicht  zur  Geltung  kommen  läßt  und  somit  die  Vorteile  der 
Arbeitsteilung  wesentlich  herabsetzt.  Es  ist  deshalb  zu  erörtern,  auf 
welcher  (irundlago  die  Konzentration  des  biologischen  Unterrichtes 
(und  weiterhin  aller  Realfächer)  mit  dem  >Gesinnungsunterrichte€ 
durchgeführt  werden  kann. 

Zuvörderst  ist  klar,  daß  die  Konzentration  der  bezeichneten 
Fächer  aus  psychologischen  Gründen  nur  mit  Hilfe  ihrer  gleich- 
artigen Bestandteile  erfolgen  kann.  Der  gesamte  Stoff  ist  der  ein- 
heitlichen Erdenwelt  entnommen.  Er  ist  nur  zum  Zwecke  der  sauberen 
Begriffsbildung  nach  der  inneren  Verwandtschaft  der  Dinge  rubriziert, 
indem  dieselben  aus  ihrem  natürlichen  Zusammenhange  herausgehoben 
worden  sind.  Mag  daher  auch  die  Differenzierung  des  Stoffes 
noch  so  weit  gehen,  es  sind  immer  natürliche  Berührungs- 
punkte zwischen  den  Fächern  vorhanden. 

Dieselben  köimen   von  einzelnen  Gegenständen,  die  in  vef- 


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392 


Aufsätze 


schiedenü  Sachgebiete  hineinreichen,  gebildet  werden.  80  tritt  z.  B. 
das  Krokodil  in  der  jüdischea,  der  ägyptischen  und  der  Natur- 
geschichte Ulli. 

Die  Verwandtschaft  kann  aber  auch  durch  den  wesentlichen  In- 
halt höherer  und  höchster  Begriffe  hergestellt  werden,  die  aus  den 
verschiedenen  Lehi-stoffen  frei  zu  machen  sind.  >>o  kann  der  Segen 
eines  geordneten  Staatswesens  und  der  imponierende  Erfolg  gemein- 
samer Arbeit  sowohl  aus  der  ägyptischen  Geschichte,  als  auch 
aus  der  Biologie  der  Ameisen  und  Bienen  gewonnen  werden. 

Diese  beiden  typischen  Beispiele  sind  auf  ihre  Konzentratiüns- 
fahigkeit  zu  untei'suchen. 

DiLS  Krokodil  tiitt  bei  der  Entwicklung  der  ägyptischen  Kultur- 
geschichte als  ein  Punkt  in  dem  großen  Bilde  auf.  Nicht  dieses  Tier, 
sondern  der  altägyptische  Genius  soll  zum  Verständnis  gebracht 
werden.  Das  Reptil  ist  gefährlich  und  deshalb  vermuteten  die  Ägypter, 
daß  unter  seiner  Maske  feindliche  Mächte  ihr  T\  esen  trieben.  Von 
dem,  was  heutzutage  die  wesentliche  Aufgabe  des  naturgeschichtüchen 
Unterrichts  ist,  war  dem  Altertum  so  gut  wie  nichts  bekannt.  Die  histo- 
rische Rolle  des  Krokodils  ist  daher  ohne  die  moderne  naturwissen- 
schaftliche Aufklänmg  vollständig  zu  verstehen.  Es  bedarf  dazu  nur 
einer  einfachen  sachlichen  Erläuterung,  etwa  unter  Benutzung  eines 
Bildes,  wie  eine  solche  jeder  andere  im  Geschichtsunterrichte  auf- 
tretende unbekannte  Gegensümd  auch  erfährt.  Ein  besonderer  Unter- 
richtszweig  ist  dazu  so  wenig  nötig,  wie  die  Technologie  zur  Erkläninir 
der  Werkzeuge,  die  von  den  Ägyptern  bei  ihren  Bauarbeiten  gebrauclit 
worden  sind. 

Die  Aufgabe,  welche  im  Gegensaü^  zum  liistorischon  der  biologische 
Unterricht  mit  Hilfe  des  Krokodils  zu  erfüllen  hat,  ist  ganz  anderer 
Art.  Das  Tier  erscheint  hier  als  ein  hoch  kompliziertes  Gebilde  der 
Natur,  das  in  morphologischer,  physiologischer  und  entwicklungs- 
geschichtlicher Hinsicht  zu  analysieren  ist.  Daraus  soll  der  Genius 
der  schaffenden  Xatur  erkannt  werden,  der  sich  in  Fonn  dieses 
Geschöpfes  eine  für  die  gegenwärtige  Welt  charakteristische  Variante 
seines  einheitlichen  Bauplanes  erlaubt  hat  Der  altägyptische  Aber- 
glaube, der  die  Denkweise  des  großen  Nilvolkes  so  vortrefflich  UlH- 
striert,  liefert  seinerseits  zur  Lösung  dieser  biologischen  Aufgabe 
keinerlei  belangreiches  Material.  Das  Krokodil  im  ägyptischen  Kultof- 
hilde  und  als  Gegenstand  naturwissenschaftlicher  Analyse  bedeatea 
nicht  denselben  Stof^  sondern  zwei  relativ  verschiedene  Dinge.  Ans 
alledem  folgt,  daß  weder  das  Auftreten  des  Krokodils  in  der  Ge- 
schichte dem  biologischen  Unterrichte,  noch  die  biologische  Betowli- 


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FFAirasoEL:  Leitsätze  für  den  biologischen  Unteiiicht 


393 


tung  dem  historischen  Unterrichte  Veranlassung  geben  kann,  daß 
jeder  sich  in  seiner  Weise  mit  dem  Gegenstand  des  andern  befasse. 

Aber  es  ist  auch  gar  nicht  die  Aufgabe  der  Konzen- 
tration, die  Wege  für  die  Erweiterung  des  Anschauungs- 
materials zu  zeigen.  Diese  Absicht  befolgt  vielmehr  das  anta- 
gonistische Prinzip,  nämlich  die  Arbeitsteilung.  Sie  will  dahin  führen, 
daß  der  Genius  der  lebendigen  Natur  erkannt  werde,  und  erst  in 
Verfolgung  dieses  Sonderzieles  muß  das  Tier  eine  erweiterte  Betrach- 
tung erfahren.  Aufgabe  der  Konzentration  ist  es  dann,  dafür 
zu  sorgen,  daß  bei  dieser  notwendigen  Spezialisierung  des 
Aus^rangsmaterials  die  innere  P^inheitlichkeit  der  gesamten 
Unterrichtsarbeit  voll  gewahrt  bleibe.  Dazu  reichen  aber 
unwesentliche  Berührungspunkte,  die  durch  einzelne  Gegenstände  der 
Darbietung  gegeben  sind,  nicht  aus,  Sie  geben  wohl  Gelegenheit  zu 
Assoziationen  innerhalb  der  Ausgangsmaterialien,  die  der  Unterricht 
selbstverständlich  nicht  übersehen  darf;  für  die  Herstellung  der 
höheren  und  höclisteu  Einheit  müssen  aber  umfadseudere  Gesichts- 
punkte die  Führung  übernehmen. 

Nach  dem  zweiten  Beispiele  können  aus  der  ägyptisclien  Ge- 
schichte der  Segen  eines  wohlgeordneten  Staatswesens  und  die  alle 
Schwierigkeiten  überwindende  Kraft  gemeinsamer  Arbeit  erkannt 
werden.  Das  sind  wesentliche  Faktoren:  nicht  einzelne  Tunkte  des 
Bildes,  sondern  sein  tiefster  Gehalt,  die  Ideen,  die  es  am  sinnlicher 
Erschoinuno:  bringt. 

Dieselben  Uberbeiz:riffe  ergeben  sich  aus  gewissen  biologischen 
Betrachtungen,  z.  B.  des  Ameisen-  und  Bienenstaates,  Es  liegt  somit 
hier  und  zwar  in  den  wertvollsten,  unmittelbar  auf  das  Erziehungs- 
ziel gerichteten  Bestandteilen  zweier  Fächer  eine  wesentliche 
Deckung,  eine  Kongruenz  vor.  Durch  dieso  drei  Eigenschaften: 
ihren  hohen  uineren  Wert,  ihre  gerade  Kiehtung  auf  die  sittUcho 
Charakterbildung  und  die  durch  ihre  Kongruenz  bewirkte  Ver- 
schmelzung des  Mehreren  zu  Einem,  zeigen  die  Ideen,  daß 
sie  die  wahren,  natürlichen  Träger  der  Konzentration  sind. 

Dies  führt  auf  einen  allgemeinen  (Gesichtspunkt:  die  Unterrichts- 
fächer sind  am  meisten  voneinander  unterschieden  in  ihrem  Aus- 
gangsmateriale.  Dies  eben  hat  zur  Trennung  der  Kosmologie  in  die 
verschiedenen  Fächer  geführt.  Auch  dasselbe  Objekt,  wenn  es  in 
mehreren  Disziplinen  auftaucht,  zeigt  sich  von  ganz  verschiedenen 
Seiten,  als  ob  es  nicht  derselbe  Gegenstand  wäre,  ^tithin  ist  das 
Anschauungsmaterial  am  wenigsten  geeignet^  konzentrierende 
Gesichtspunkte  abzugeben.   Die  Associatiuneu,  zu  denen  es  reichlich 


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394 


AvfBttn 


Material  liefert,  sind  rein  psychomechasische  Vorgänge.  Die  £00- 
zentration  hingegen  ist  eine  der  pädagogischen  Theorie  entsprongene 
Maßnahme  zur  Sicherung  der  einheitlichen  Persönlichkeit.  Sie  hat 
ihren  Angelpunkt  in  der  Begriffewelt  Je  weiter  sich  daher  der 
ünterrichtsgang  von  der  Stufe  der  Darbietung  entfernt  und 
zu  allgemeineren  Gesichtspunkten  gelangt,  um  so  mehr 
stimmt  das  Material  des  einen  Faches  zu  dem  des  andern, 
bis  auf  ihren  Höhepunkten  alle  ineinander  fließen.  So 
haben  selbst  der  Religions-  und  der  Geschichtsunterricht  in  ihran 
Anschauungsmateriale  kaum  einen  unmittelbaren  Berülirungspimkt  — 
etwa  den  Kaiser  Au;]fustus;  Zeit,  örtlichkeit,  Personen  und  Taten 
decken  sicli  in  beiden  Reihen  fast  nirgends.  Aber  der  Geist,  der 
aus  beiden  atmet,  ist  derselbe,  nämlich  die  Entwicklung  der 
Menschheit  von  der  Brutalität  zur  Humanität.  Auf  der 
Grundlage  dieses  Gleichsinnes  ist  die  Konzentration  beider 
Stoffe  gelungen  und  in  den  »Scli  uljahren «  von  Kein  auch 
durchgeführt.  Es  ^rilt  jetzt  nur,  die  ganze  Tragweite  die.ses 
Prinzipes  auszunutzen,  um  die  noch  beiseite  stehenden 
Fäclier  des  erziehenden  Unterrichts  in  den  iireis  der  Kon- 
zentration einzuschließen. 

In  Betreff  de.-^  biologischen  Unterriclits  wäre  demnach  zu- 
nächst die  tYafi^e  zu  beantworten,  ob  er  im  stände  ist.  Ideen  von 
universeller  Bedeutung  und  insbesondere  die  Fundameufal- 
gesetzo  von  der  sittlichen  Tüchtigkeit  des  Menschen  in 
zwingender  Form  zu  entwickeln. 

Die  Biologie  ist  dazu  nicht  im  stände  gewesen,  solange  sie  nur 
eine  äußerlich  beschreibende  und  systematisierende  Wissenschaft  w;ir; 
solange  die  Tier-  und  Pflanzenwelt  nur  als  ein  Museum  von  in- 
variablen IVpen  galt,  die  durch  ihre  Mannigfaltigkeit  oder  Absonder- 
lichkeit unterhielten  und  deshalb  gesammelt  wurden.  Ei'st  als  die 
äußere  Beschreibung  der  schier  zahllosen  Formen  sich  zu  erschöpfen 
begami  und  die  WLssenschaft  vergleichend  anatomisch,  physiolnirisoli 
und  genetisch  wurde,  zeigte  sich,  daß  in  der  Mannigfaltigkeit  Methode 
steckt,  und  daß  auch  das  Leben,  das  innere  wie  das  äußere,  sich 
nach  »ewigen,  ehernen,  großen  Gesetzen«  bewegt  Solche  Lebons- 
gesetze  sind  z.  B.: 

1.  Jedes  Lebewesen  wird  und  vergeht  wieder. 

2.  Kein  Lebewesen  wird  fertig  in  die  Welt  gestellt;  jedes  ent- 
wickelt sich. 

3.  Die  Natur  baut  jedes  Lebewesen  von  vom  an  auf:  sie  be- 
ginnt mit  dem  einfachsten  Organismus,  der  Zelle. 


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TräJxmraBL:  Leitsätze  lür  den  biologisohen  Unterricht 


395 


4.  Das  bedeutet  für  alles  Leben  eine  beständige  Verjüngung. 

5.  Auch  das  gesamte  oi^nische  Leben  auf  der  Erde  hat  sich 
vom  Einfachen  zum  Vollkommenen  entwickelt.  Die  gegenwärtigen 
Lebensformen  sind  allmählich  geworden  und  weiterhin  der  Verände- 
rung unterworfen. 

6.  Weder  innerlich,  noch  äußerlich  sind  zwei  Wesen  einander 
vollkommen  gleich  (Variation). 

7.  Weder  innerlich,  noch  äußerlich  .sind  zwei  Wesen  vollkommen 
verschieden  (Vererbung). 

8.  Jedes  Lebewesen  kann  sich  durch  die  Fortpflanzung  verjüngen. 

9.  Die  Nachkommen  steilen  innerlich  und  äußwUch  eine  Mischung 
der  stärksten  elterlichen  Charaktere  dar. 

10.  Der  natürliche  Charakter  der  Völker,  Geschlechter,  Familien 
und  Individuen  kann  durch  Auslese  {gezüchtet  werden. 

11.  In  der  Variation  liegt  der  Keim  zur  Entstehung  neuer  Arten 
und  neuer  Charaktere. 

12.  In  der  \^ersclüedenheit  der  Individuen  liegt  die  Mögächkeit 
sozialer  Gemeinschaften. 

13.  Alle  Vervollkonimnuntr  beruht  auf  den  Prinzipien  der  An- 
passung und  der  Arbeitsteilung. 

14.  Jedes  Lebewesen  durchläuft  die  Beihe  seiner  Ahnen  in  ab- 
gekürzter Weise. 

15.  Die  Natur  unterläßt  nidits,  was  zur  p]rreichung  ihres  Zweckes 
nötig  ist,  schaltet  aber  alles  lJhi'rfiiissi<!:o  aus. 

16.  Die  Natur  geht  immer  auf  ^^eradciii  \V<\i;e  zum  Ziele. 

17.  Jedes  Wesen  muß  sich  den  unabänderlichen  Verhältnissen 
fleiner  Existenz  anpassen;  sonst  geht  es  zu  Grunde. 

IS.  Die  dauernde  Abweichung  von  der  j^aturgemäUheit  führt 
zur  Entartung  und  zum  ünter^rang. 

19.  Die  höchste  Gesetzlichkeit  ist  die  höchste  Freiheit. 

20.  Jedes  Lebewesen  liat  seine  Konkurrenten  und  i'einde. 

21.  ^ht  diesen  muß  es  um  das  Dasein  kämpfen. 

22.  Jedes  Wesen  braucht  Verteidiirungsmittel. 

23.  Je  besser  dieselben  im  stände  sind,  um  so  größer  die 
Sicherheit. 

24.  Geistii^o  Tüchti«;keit  liefert  die  besten  Waffen:  Voraussicht, 
Umsicht  und  Wachsamkeit. 

25.  Diese  Eigenschaften  haben  ursprünglich  die  Form  von 
Instinkten. 

26.  Der  geistig  und  zugleich  körperlich  Tüchtigste  hat  die  meiste 
Aussicht  auf  Erlolg. 


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396 


AuMtze 


27.  Die  Sorge  füi*  eine  kr>rperlich  und  geistig  tüchtige  Kach- 
kommenschaft  ist  der  höcliste  Zweck  aller  Lebewesen. 

28.  Mit  der  Arbeitsteilung  und  V^ermebrung  der  Oigane  geht 
die  Zentralisation  durch  das  Xervensystem  Hand  in  liand. 

29.  Das  Interesse  des  Ganzen  stellt  die  Natur  immer  über  das 
des  einzelnen. 

30.  Der  Wert  einer  Gesamtheit  beruht  iu  der  Anzahl  und  Tüch- 
tigkeit der  Individuen. 

31.  Die  Natur  fordert  vom  Individuum  Aufopferung  um  der 
Erhaltung  des  (Janzen  willen. 

32.  In  allen  Wesen  lebt  als  stärkster  Instinkt  der  Selbst» 
erhaltungstrieb  oder  Egoismus. 

33.  Er  äußert  sich  am  reinsten  als  Hunger,  Liebe  und  Ver- 
abscheuung des  Schmerzgefühls. 

34.  Aus  der  Liebe  und  der  Verabscheuung  des  Schmerzgefühls 
entspringt  der  Altruismus. 

35.  Der  ^Lensch  ist  mit  den  übrigen  Lebewesen,  insbesondere 
mit  der  höheren  Tierwelt  durch  drei  Bande  verknüpft:  den  Körper- 
bau, die  psychischen  Funktionen  und  die  ethischen  Instinkte. 

36.  Die  psychischen  Funktionen  stehen  in  Parallelabhängigkeit 
vom  anatomischen  Bau  und  den  physiologischen  Prozessen  des  zen- 
tralen Nervensystems. 

37.  Die  ethischen  Instinkte  beruhen  in  den  individuellen  Be- 
ziehungen der  vegetativen  zu  den  animaien  Nervenzentren.  Sie  werden 
in  ihrer  (Jesamtheit  als  das  (iemüt  bezeichnet. 

38.  Die  wichtigsten  ethischen  Instinkte  sind:  Liebe,  Haß,  Eifer- 
sucht, Familionsinn.  GeseUigkeitstrieb.  Dankbarkeit,  Mtgefühl,  Edel- 
mut, Reclitssinn,  Rachsucht,  Kampf begier,  Furcht,  Stolz,  Schönheits- 
sinn, Aufopferung. 

39.  Da.s  zentrale  Nervensystem  ist  ein  Bild  des  Kosmos. 

40.  AUes  Glück  und  alles  Unglück  sind  relativ. 

•4L  Je  größer  die  Gabe  der  Vernunft,  um  so  größer  die  Fähig- 
keit zum  Guten  wie  zum  Bosen. 

42.  Die  Natur  erforschen,  heißt:  das  Wahre,  das  Gute  und  das 
Schöne  ergründen. 

43.  Die  ganze  Natur  zeigt  den  Segen  gemeinsamer  Arbeit 

44.  Alle  Lebewesen  sind  blutsverwandt.  Das  Leben  stamm: 
immer  vom  Leben  ab,  und  es  ist  nur  ein  einziges  Leben  auf  der 
Erde. 

45.  Alle  irdische  Lebensenergie  strahlt  von  der  Sonne  aus;  jeder 
Pulssclüag,  jeder  Atemzug,  jede  iservenfunktion  stammt  von  dort 


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PrAKNSiXEL:  Leitsätze  für  den  biologisohen  Unterricht 


397 


46.  Wenn  auch  alle  Lebewesen  entstehen  und  yeigehen,  so  geht 
doch  nichts  weder  vom  t Stoff«,  noch  von  der  »Energie«  veiloren. 

47.  Alles  Organische  ist  aus  Anorganischem  aufgebaut. 

48.  Es  ist  nur  ein  Gesetz,  ein  Plan,  ein  Oeist,  der  im  Welt- 
ganzen  lebt 

49.  Die  Natur  in  ihrer  Gesamtheit  wie  in  ihren  Einzelheiten 
ist  der  menschlichen  Erkenntnis  nur  als  Vor  stellang  Tatsache, 
und  aaBer  den  Vorstcllnngeu  ist  nichts  gewiß. 

.50.  Der  Werdegaiifj:  des  Lebens  in  der  Erdgeschichte  zeigt,  daß 
der  Genius  der  Natur  und  der  des  Menschen  insbesondere  ein  und 
derselbe  ist.  Seine  Wirkung  ist:  Entwicklung  Ton  der  lirutalitSt 
zur  Humanität.  Denn  wir  sehen  die  Erde,  indem  sie  in  unahsehhar 
langer,  wechselvoller  Arbeit  sich  selbst  und  ihre  Lebewesen  umge- 
staltet, einem  großen  Ziele  zustreben ;  Aus  der  niederen  Tierwelt, 
deren  üaseiu  ausschließlich  den  vegetativen  Pol  umkreist,  geht  eine 
höhere,  durch  psychische  rrozesso  beeinflußte  hervor,  und  dieser  ent- 
springt endlich  infolge  der  Mutation  ein  Geschlecht,  dessen  Leben 
sich  gleichmäßig  um  den  vegetativen  und  aninialen  Schweri)unkt 
bewegt:  Der  Mensch.  Er  hat  sich  in  der  Folge  von  der  ererbten, 
instinktiven  Moral ität  des  Tieres  aus  eigener  Kraft  emporgearbeitet 
zur  pflichtbewußten,  den  Egoismus  und  Altruismus  ausgleichenden 
sittlichen  Persönlichkeit. 

Die  Abstraktion  der  angeführten  Gesetze  und  Ideen  aus  dem 
Materiale  der  Biologie  bedeutet  nichts  anderes,  als  daß  auch  in  der 
Wissenschaft  die  Arheitstcihing  schließlich  zur  Konzentration  führt 
Auf  die  Isolierung  des  Stoffes  aus  seinem  empirischen  Zusammen- 
hang und  die  spezialisiorte  rntei"suchun,ir  folgt  der  Wiederanschluß 
an  das  Allehen  im  höheren  .Sinne.  Dieselbe  Entwicklung  sehen  wir 
im  ünteiTichte  vor  sich  crehen.  Solange  die  Naturgeschichte  nur 
artbestimmend  und  artbeschroibend  war,  hat  sie  sich  nicht  zu  univer- 
sellen Gesichtspunkten  erheben  können.  Sie  hat  sich  nur  eine  unter- 
geordnete, dienende  Stellung  zu  erringen  vermocht  Denn  der  er- 
ziehende Wert  eines  Unterrichtsfaches  beruht  in  der  G^ewichtig- 
Iteit  der  leitenden  Ideen,  die  aus  seinem  Stoffe  frei  zu  machen 
sind.  Durch  die  oben  gegebene  Auslese  von  Gesetzen  ist  dar-jetau, 
daß  die  in  zeitgemäßen  Bahnen  sich  bewegende  Biologie  reich  an 
bedeutungsvollen  erzieherischen  Momenten  ist.  Ja  sie  schließt  sich 
durch  ihren  idealen  Gehalt  aufs  engste  an  den  historischen  Unter- 
richt an,  dessen  Ideen  sie  zu  Weltgesetzeu  erweitert.  Indem  so  der 
Weg,  der  den  naturgeschichtlichen  Unterricht  zur  Loslösung  vom 
Ganzen  geführt  hat,  auf  domiuiereuder  Hohe  wieder  zu  ihm  zurück- 


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398 


AoMtM 


lührt,  wild  den  Anbrachen  der  Eonzentralion  Genüge  geleistet 
ffierndt  ist  miuSk  für  die  andern  »Beolfidier«  das  Prinzip  ge- 
geben, von  dessen  Erfflllong  ihre  Kongentrationafthigkeit  abhSngen 
wird. 

Kaoh  alledem  haben  die  bisherigen  EonMntrationsTersadie  in 
Besag  anf  den  Saohnnteirioht  scheitem  müssen,  insofern  sie  an 
Stelle  der  nnmittelbazen  Biohtimg  des  UntemchtB  anf  das  Bisiehnngs- 
ael  eine  konzentrische  Anordnung  des  Stoffes  nm  die  historische 
Gruppe  gesetzt  haben.  Zweifellos  hat  dieser  Gedanke  viel  Bestechendes. 
Aber  die  Harmonie,  welche  er  heimstellen  im  stände  ist,  fßadA 
derjenigen  des  Helotenstaates:  die  »BealjBtoher«  mflasen  auf  das  selb- 
stSndige  Denken  nnd  somit  aaf  das  Beste  Tersichten,  was  sie  an  er- 
jBtehHöhen  SU^ren  hervorbringen  können;  sie  müssen  ihre  lebendige 
Einheit  zeneiBen  lassen,,  ohne  doch,  wie  gezeigt  worden  ist,  dem  zur 
yormnndschaft  emgesetzten  Vaobß  wirklich  zn  nttteen. 

Es  ergibt  sich  aber  anch  aus  diesen  ErwSgongen,  dafi  die  bis- 
herige Besohrinkung  des  B^griiKes  »Gesiunungsuntemöht«  nicht  anf- 
recht  eriuüten  werden  kann.  In  der  Erziehungsschule  mufi  jedes 
Sachgebiet  das  zwanglos  in  denBahmen  derselben  passen  soll,  sich 
unmittelbar  auf  das  Er^hungs^el  richten  und  kann  es  auch.  Bi 
darf  nur  nicht  auf  dem  abseits  fahrenden  Wegb  der  Aibeitsteilang 
•  Halt  machen,  darf  nicht  bei  dem  sogenannten  objeiktiTen  Tatbestuid 
stehen  bleiben;  Tiehnehr  muß  der  Unterricht  bis  zum  wieder  eneichten 
Anscfalufi  an  das  Ganze,  d.  h.  bis  zu  den  Ideen  fortschreiten.  Als- 
dann wird  der  Unteiridit  beiden  Eordemngen  der  Didaktik  gerecht: 
er  beseitigt  die  Ge&hren  der  Aifoeitsteilnng  ohne  ihre  Yorteile  auf- 
zuheben oder  auch  nur  einzusohiSnken.  Aller  Unterricht  ist  nun- 
mehr wieder  ein  Unterricht,  eine  einzige  Eosmologie,  und  alle  Lehre 
ist  in  letzter  Linie  nur  eine  Lehre:  die  von  der  sitdidien  Tftcihtig^t 
des  Menschen.  Erst  dann  ist  es  möglich,  Ton  allen  Punkten 
des  Gedankenkreises  aus  in  gerader  Elchtung  zum  domir 
nierenden  Zentrum  zu  gelangen.  Es  ist  nicht  nötige  Tom  natnr- 
wissenschafüichen  Yorstellungskreise  erst  den  Umweg  Uber  den 
historischen  zu  suchen.  So  aber  wird  die  erziehende  Wirkung 
des  Unterrichts  erst  auf  ihren  Höhepunkt  gebracht  Der 
Gegensatz  zwischen  Arbeitsteilung  und  Eonzentration  be- 
steht nicht  mehr.  Bs  ist  der  kulturhistorische  Gang  selbst, 
der  tLber  die  Spezialisierung  zum  Ganzen  zurückfahrt,  d.h. 
konzentriert 


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Ffannütikl:  Leits&tze  für  den  biologischen  Unterricht 


399 


18.  Fmia  d«r  KooMatratiim 

Es  könnte  nun  versucht  werden,  ein  System  von  Ideen  in 
den  Mittelpunkt  des  Unterrichts  zu  stellen  und  den  gesamten 
Lehrstoff  um  diese  zu  gruppieren.  Diis  wäre  Katechismus- 
unterricht, Dogmatismus,  Systematik.  Ein  solches  Verfaliren  würde 
ge^ren  Psychologie,  Logik  und  Ethik  verstoßen;  denn  es  achtet  nicht 
der  Entwicklung  dos  Kindes,  zerreißt  allen  natürlichen  Zusammenhang 
des  Stoffes  und  erzieht  nicht  zur  Unbefaugeuheit  gegenüber  der 
Wahrheit,  sondern  zum  Vorurteil. 

Auch  der  religiöse  und  der  historische  Unterricht  bieten  nicht 
alle  gleichsinnigen  Beispiele  auf  einmal  dar  (z.  B.  von  der  Treue, 
von  der  Elternliebe),  sondern  wie  der  historische  Verlauf  dieselben 
bringt.  Infolgedessen  kann  auch  an  den  biologischen  Unterricht  nicht 
die  Anforderung  gestellt  werden,  daß  er  zu  jeglicher  Zeit  immer  die 
qualitativ  gleichen  Ideen  entwickle,  wie  die  historischen  Fächer.  Die 
Konzentration  ist  schon  genügend  gesichert  durch  die  Überein- 
stimmung in  der  Grundrichtung:  den  Weg  von  der  Tier- 
heit  zur  modernen  Menschlichkeit  zu  zeigen. 

Da  die  Konzentrationsidee  einen  bestimmenden  Einfluß  auf  die 
Stoffanordnung  des  einzelnen  Faches  nicht  beansprucht  so  muß  sie 
Sache  eines  besonderen  Unterrichtsaktes,  und  bei  weitergehender 
Arbeitsteilung  eines  besonderen  Faches  sein:  der  elementaren 
Philosophie.  Diese  Disziplin  kann  in  jeglicher  Schule  ein- 
geführt werden,  die  auf  sittlich  untadeliger  Grundlage 
steht,  d.h.  in  der  vorurteilsloses,  vernünftiges,  wahrhaftiges 
Denken  eine  Stätte  der  Wertschätzung  und  der  Pflege  ge- 
funden hat.  Alsdann  dürfen  die  einzehien  Fächer  auf  ihrem  engeren 
Felde  stehen  bleiben.  Die  Fortführung  der  Begriffe  des  religiösen, 
historischen  und  realistischen  Unterrichtes  bis  zur  harmonischen  Ein- 
heit, d.  h.  die  Konzentration,  übernimmt  der  philosophische  Unterricht 
Wo  dieser  fehlt,  da  muß  dieselbe  von  Fall  zu  Fall  durch  einen  be- 
sonderen Unterrichtsakt  gesichert  werden.  Die  Theorie  der  for- 
malen Stufen  hat  alle  nötigen  Vorkeii  niugen  dazu  getroffen. 
Denn  für  jede  methodische  Einheit  ist  die  Herausbildung  von  Ge- 
setzen und  Ideen,  sowie  die  organische  Verflechtung  derselben  mit 
allen  venvandten  Teilen  des  Gedankenkreises  zur  Pflicht  gemacht. 
Diese  reduzierende  und  assoziierende  Arbeit  fiült  den  Stufen  der  Ver- 
knüpfung, des  Systems  und  der  Anwendung  zu.  Somit  trägt  die 
Theorie  von  den  formalen  Stufen  die  Lösung  des  Konzen- 
trationsproblems  schon  in  sich.  Denn  auch  der  philosophische 


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400 


Aufsätze 


Unterricht  würde  nur  eine  umfassende  Asso^iatioas-, 
System-  und  Methodenstuie  sein. 

lAk  B8KlliBkfllflilitisiiiiK  dMP  MlfBriffthiwi  BoluuniiiSHi 

Aus  der  einheitlichen  Wurzel  der  Dinge  erwächst  die  Möglich- 
keit der  Kunzentration  unbeschadet  der  Arbeitsteilung.  Aus  der 
schier  unendlichen  Verzweigung  des  Stammes  infolge  der  Tariationen 
erwachsen  die  Schar ungen  der  Dinge  und  Kräfte  zu  Gruppen, 
innerhalb  deren  bestimmte  feste  Beziehungen  bestehen. 
So  heri-scht  zwischen  der  Pflanzen-,  Tier-  und  Menschen  weit  und 
den  orograpliisehen,  klimatischen  und  geologischen  Verhältnissmi 
eines  Landstriches  eine  streng  gesetzmäßige  Abhängigkeit; 
oder  zwischen  dem  physikalisch -chemischen  Wert  der  Kohlehydrate 
und  der  Lebensenergie  der  Pflanzen  und  Tiere. 

Die  Bearbeitung  dieser  Scharungen  fällt  je  nach  der  Arbeits- 
teilung entweder  ebenfalls  besonderen  Unterrichtsfachern  zu  oder 
bestimmten  Abteilungen  von  solchen.  Sie  liefern  den  Lehrstoff 
fiir  die  Heimatkunde,  die  Geographie,  die  Geologie  und  die 
Physiologie. 

Die  biologischen  Scharungeii  werden  als  Lebensgemein- 
schaften bezeichnet.  Der  unmittelbaren  Beobachtung  zueuiiirhch 
sind  nur  diejenigen  der  Heimat  Deshalb  bildet  der  Anfangs- 
unterricht über  die  Scharungen  der  lebendigen  Dinge  einen 
Teil  der  Heimatkunde.  Weiterhin  aber  werden  sie  zu  verbinden- 
den Gliedern  zwischen  Biologie  und  Geographie  bezüglich  Geo- 
logie.  Die  liierher  gehörigen  Momente  sind  die  charakteristischeil 
Besiedelungen  der  Meere  und  Länder  mit  Lobewesen,  sowie  die  merk- 
würdigen Floren  und  Faunen  der  Vergangenheit  einerseits,  und  dar 
variierende  Einfluß  der  geographischen  Lokalitaten  sowie  der  allmih- 
lichen  Oberflächen  Veränderungen  auf  die  Lebewesen  andreiseitK.  INe 
Physiologie  verknüpft  die  morphologische,  systematisohe  und  wt' 
wioUungsgeschichtlicbe  Biologie  mit  Physik  und  Chemie. 

In  den  Volks-  und  Mittolschnlen  können  Pflanxen-  and  Tie^ 
geographie,  Geologie  (mit  Palftonto logie)  und  Physiologie 
gegenwärtig  nur  Unterabteiiangen  der  Geographie  und  Biologie  bilden. 
Al>er  schon  auf  den  Ifittelsohnlen  soJiten  ihnen  beeondeie  Mi- 
stnnden  in  gewissem  XFmfuige  zugeteilt  werden.  Diese  die  SchanmgeB 
analysierenden  Disziplinen  werden  anoh  mit  dem  Namen  der  9aa80- 
ziierenden  Eteher«  beselclmei 


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Pfjlnnsxbl:  Leitsätze  für  den  biologischea  ÜDterhcht 


401 


16.  Zur  Praxis  des  biologischen  Lehrplans 

Der  Lehrplan  der  Erziehungssehiilo  hat  nach  dea  voisteheuden 
Erörterungen  dreierlei  erkennen  zu  lassen: 

1.  die  Stoffverteilung, 

2.  die  konzentrierenden  Gesichtspunkte, 

3.  die  Beziehungen  z^vischen  den  spezialisierenden  fächern  einer- 
seits und  den  assoziierenden  andrerseits. 

Für  die  Stoffanordnung  des  biologischen  Unterrichtes  sind 
die  kulturhistorischen  Stufen  maßgebend.  Sie  bezeichnen  den 
Weg  der  Erkenntnis,  den  die  Forschung  genommen  hat,  und  der 
zugleich  der  Entwicklung  des  Kindes  kongenial  ist. 

Die  Geschichte  der  biologischea  Wissenschaften  läßt  schon  äußer- 
lich drei  Perioden  unterscheiden: 

1.  die  Periode  der  noch  nicht  gesonderten  Beobachtung, 

2.  die  Periode  der  zu  einem  Fache  gewordenen  makroskopischen 
Beobachtung  uufl  Forschung, 

3.  die  Periode  der  Beobachtung  und  Forschung  mit  Hille  des 
Mikroskopes. 

Der  ersten  Periode  entspricht  der  Anfangsunterricht 
Er  enthält  die  Biologie  noch  nicht  als  gesondertes  Fach.  Sie  be- 
schränkt sich  vielmehr  auf  die  notwendigen  sachlichen  Erläute- 
rungen des  biologischen  Materials,  das  in  den  Märchen, 
Sagen  und  dem  sogenannten  Anschauungsunterricht  vor- 
kommt.   (S.  »Schuijalire«  von  Kein  usw.) 

Die  zweite  Periode  beginnt  mit  der  systemativSchen  Durch- 
forschung der  Heimat  in  der  Heimatkunde,  von  der  sich  die 
Biologie  bald  als  selbständiges  Fach  lostrennt  Die  Heimat 
bildet  immer  den  Schauplatz  für  mind^'stons  eine  wohl  charakterisierte 
Lebensgemeinschaft,  Je  nachdem  der  Beobachtungskreis  ein  Flußtal, 
ein  Plateau,  eine  Gebirgslandschaft,  der  Strand,  das  Flachland,  der 
Wald,  das  bebaute  Land,  die  Stadt,  das  Dorf,  eine  Saudscholle,  eine 
Kalkzone  usw.  i.st  und  je  nachdem  die  orographischen,  klimatischen 
und  auch  die  politischen  Verhältnisse  mehr  oder  weniger  günstige  sind. 

Die  noch  überwiegende  frische  Sinnlichkeit  der  Zöglinge  ist 
leicht  auf  die  bunte  Mannigfaltigkeit  der  lebendigen  Objekte  zu  lenken 
und  findet  in  ihr  volle  Befriedigung.  Das  psychologisch  Nächste 
sind  solche  Pflanzen  und  Tiere,   mit  denen  das  Kind  in 

einen  gewissen  persönlichen  Verkehr  treten  kann.^)  Hierher 

 . — 

Eine  sehr  empfehlenswert«  Anlfitung  findet  der  LolirtT  in  >M<)rsk,  Anfangs- 
gründe der  allgemeinen  Zuolügie«.  Berlin,  A.  Ötubenxauch.  Die  Methode 
ist  leicht  auf  die  Botanik  zu  übertragen. 

irilHidtt  Or  fUtaMfUt  wd  fldagogik.  12.  Jahig»«.  26 


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402 


AofBMse 


gehören  neben  den  Haustieren  soldie  Fflanaen  und  Here,  wekshe  daB 
Kind  in  Haue-  oder  Zimmerglrtea  und  in  Aquarien  und  Temrien 
selbst  züchten  und  beobachten  kann  (Insekten,  Schnecken,  Hoscheb, 
Krebee.  kleine  Fische,  Amphibien)  Eidechsen,  die  Maus).  Weiteihin 
gehören  zum  p^chologisch  nahen  Ifateriale  dieser  Stufe  solche 
Naturobjekie,  mit  denen  das  Kind  infolge  gewisser  herYor- 
ragenden  Eigenschaften  sympathisiert,  also  die  staiken,  mutigen, 
fubenpiftohtigen  oder  gigantischen  Tiere  bezw.  Pflanzen.  Bs  sind 
also  das  empirische  und  das  sympathetische  Interesse,  mit 
deren  Pflege  der  Anfang  gemacht  wird.  Ihnen  gesellen 
sich  infolge  der  zusammenhingenden  Beobachtungen  an  den  ge- 
züchteten Lidividuen  und  den  natfirlichen  Scharungm  das  speko- 
latiTC  und  das  soziale  Interesse  zu.  Bas  istfaeäsche  und  religiös- 
ethische  Interesse  erscheinen  in  den  gröbsten  Zügen. 

Was  die  Erweiterung  des  Wissens  auf  dieser  Stufe  betrifft,  so 
gewührt  sie  eine  elementare  Orientierung  in  der  lebendigen  Nator 
der  Gegenwart  sowohl  bezOgUch  des  Systems  als  auch  der  aus  dea 
Lebensgemeinschaften  sich  ergebenden  Gesetze. 

Bie  zweite  Periode  schlieft  damit  ab,  dafi  der  Zögling 
mit  noch  unbewaffnetem  Auge  die  freilebenden  Zellen  ent- 
deckt Dieses  Ereignis  ist  in  der  Geechiohte  der  Wissenschaft  un- 
gefiUiT  mit  der  Erfindung  des  Mikroskopes  zusammengefadlen. 
Basselbe  bildet  von  nun  an  em  unentbehrliches  Hilfsmittel  für 
den  weiteren  biologischen  Unterricht  Gleichwie  mit  dem  Mikroskope 
die  an  Erfolgen  so  reiche  Epoche  der  neueren,  zellularen  Biologie 
anhebt,  so  beginnt  auch  mit  seiner  Einführung  in  den  Unterricht 
der  dritte  Kursus.  Er  soll  die  Einheitlichkeit  des  Lebens  auf  der 
Erde  begreiflich  machen;  infolgedessen  muß  seine  Stoffanordnung 
die  genetische,  sein  erklärendes  Prinzip  der  Gang  der  Snt> 
Wicklung  sein.  Die  durch  denselben  gegebenen  Deutungsmomente 
lassen  eimesk  so  tiefen  und  eindrucksvollen  Blick  in  das  geheinmi^ 
▼olle  Schaffen  der  Natur  tun,  daß  ihr  Bildungswert  in  jeder  Be- 
ziehung hervonagend  ist  Auch  die  Volksschule  darf  an  diesen 
durch  die  neuere  Forschung  gehobenen  Schätzen  nicht 
vorübergehen!  Die  allgemeinen  Begriffe,  mit  denen  die  neneie 
Biologie  ständig  arbeitet,  wie  Pflanze,  Tier,  Leben.  Tod,  Em&hnui^ 
Verdauung,  Ausscheidung,  Vermehrung,  Teilung,  Konjugation  osv^ 
sind  Yon  den  einzellebenden  Zellen  unschwer  zu  beobachten^)  und 

')  Weil  diese  Begriffe  aa  den  niederen  Tieren  am  leiehteaten  m  «r- 
arbeitco  sind,  wollen  Vbxbkm  und  Liiowas»  merkwfiiiiiicef weise  die  Behaadtug  dtf* 
seihen  in  die  Oberklassen  veriegt  wissen.  Veij^  »Natur  nnd  8ohnle«,  nt 


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Ptannsukl:  Leitsätze  für  den  biologischeu  Unterricht 


403 


bilden  den  Grundstock  für  die  Erklärangsweise  des  <?anzen  dritten 
Kurses.  Rhizopoden,  Paraniäcien,  Vorticellen,  Euglenen,  Chroococcaeeen, 
Yolvocineen  sind  durch  Schöpfen  aus  einem  schlammigen  Teiche 
leicht  zu  beschaffen.  1)  Ferner  eignen  sich  gut  zur  dauernden  Be- 
obachtung die  Metamorphosen  der  Fadenaigeu,  der  Moose,  der  Gefäß- 
krj'ptogamen,  der  Insekten,  Krebse,  Schnecken  und  einiger  Wirbel- 
tiere (Forelle,  Salamander,  Frosch,  Hühnchen).  Z\V()lfjähnge  Zöglinge 
können  im  Yeriaiife  des  Jahres  sehr  wohl  feststellen,  daß  z.  B.  die 
Haarnioospflanze  aus  ihrer  Sporenkapsel  nicht  etwa  junge  Moos- 
pflänzchen,  sondern  einfache  Zellen  streut;  daß  aus  diesen  Organismen 
hervorgehen,  die  den  Fadenalgen  gleichen;  daß  dieselben  schließlich 
Moosstäramchon  entwickeln,  deren  Gipfelblätter  Eizellen  und  geißel- 
tragende Teilungszellen  hervorbringen;  daß  aus  der  Vereinigiing  beider 
ein  neues,  auf  der  Mutterpflanze  schmarotzendes  Stämmchen  hervor- 
geht, welches  wieder  eine  Sporenkapsel  entwickelt;  oder  daß  beim 
sehr  jungen  Vogelembryo  am  Vordereade  des  Flügels  ein  wohlerkenn- 
bares  Handskelett  vorhanden  ist,  usw. 

Das  Material  muß  für  die  dritte  Stufe  des  biologischen  Unter- 
richts so  ausgewählt  werden,  daß  sich  die  »Hauptgedanken  des 
Schöpfungsplanes«  aus  ihm  entwickeln  lassen.  Insbesondere  ist  immer 
dasjenige  zu  bevorzugen,  das  der  sinnlichen  Anschauung  zugänglich 
gemacht  werden  kann  und  sich  dem  einfachen  Schema  am  meisten 
annähert. 

Eine  Stoffauswahl  für  mittlere  Verhältnisse  ist  folgende  (für 
Volksschulen  nur  das  gesperrt  Gedruckte): 

I»  Zdlen  und  Monlen: 

A.  Pflansen: 

eine  einzellige  Alge  (im  Ansohlnfi:  KieeeUdgenX 

Spiralalge, 

Yauoheria, 

ein  Schimmelpilz  1  ^.chiießend:  System  der  Pilze, 
ein  Hautpilz  | 

B.  Tiere: 

eine  Amöbe  (anschließend:  BhizopodenX 
Bnglena  viridis  (Oeifielzellen,  Protisten^ 
eine  Pantoffelzelle  (Paramaeeinm) 
eine  Olockenzelle  (Yortioeile) 


^)  Es  muß  Schlamm  raitfjeschöpft  werden,  und  es  müäüen  einige  grüDe  Wasser- 
pflanzen im  Glase  sein. 

26* 


Wimperzellen. 


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404 


Auäätze 


IL  Niedere  Zelienstaaton: 

A.  Pflanzen: 
Chan  oder  Nitella, 

Haarmoos,  Folvtrichum  (Moose). 

B.  Die  zweikeimblättrigen  Tiore: 
Süßwasserpoljp,  Hydra  (QuaUenpolTpenX 
Korallenpoljpen,  Schwämme. 

HL  E9km  ZeUenstMiteB: 

A.  Pflansen: 

1.  ohne  Samenhildnng: 

ein  Lanbfarn  (BlaiienX  % 
ein  Schachtelhalm  (Schachtelhalme), 
ein  Wasserfiun,  SalTinia  nataas, 
eine  Selaginelle  (Blilappe); 

2.  mit  Samenhildnng: 

eine  gymnosperme  Blütenpflanze  (Gymnospermen), 
eine  einfache  angiosperme  Blütenpflaaze,  (s.  E 

nngef üUte  Pf ingstroae),  Hanptzüge  derTariation 

der  Angiospermen  nnd  System. 

R  Die  (drei-  nnd)  yierkeimblättrigen  Tiere: 

1.  ohne  reale  Eörperachse: 

ein  Bingelwurm  (im  Binnenlande  der  Begenwnrm; 
bei  demselben  sind  aber  infolge  des  Landlebens  die 
Fortpflanzongs-  nnd  EntwicUnngsrerhÜlausse  so  sivk 
indiTidualisiert,  daß  sie  sich  nicht  znr  Behandlnng 
eignen.  Weitaus  instrakÜTer  sind  diese  YoigiDge  bei 
Polygordins  oder  Sagitta  zn  beschreiben), 

schmarotzende  Faden-  nnd  Plattwürmer, 

eine  Muschel  (Metamoiphooe  nach  der  AnsterX 

eine  Schnecke, 

ein  EopffOßler, 

ein  Erebs  mit  Naupliusstadinm,  z.  B.  Daphnia, 
ein  Insekt  mit  vollkommener  Yerwandlang  (System 

der  tracheaten  Arthropoden,  Spinnen), 
Stachelhäuter:  Seestem,  Seeigel,  System; 

2.  mit  realer  Edrperachse: 

ein  Haifisch  (Ganoiden,  Enochenfisohe,  System)^ 
Frosch  (Salamander,  Amphibien), 
Eidechse  (Eeptilien,  Saurier  der  Jurazei^ 
Huhn  (Ydgel), 


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PrAKNBZiKL:  Leitatttsa  für  den  biologisohen  Untenioht 


405 


J?*""^  .  ]  (Säugetiere). 
Mensch  | 

Das  gesamte  Material  der  zweiten  Stufe  wird  auf  der  dritten  in 
immanenter  Weise  wiederholt  In  den  Yolksechalen  sind  ihr  die 
beiden  letzten  Schuljahre  sn  widmen. 

Die  relativ  größere  geistige  Reife,  welche  die  Zöglinge  dieses 
dritten  Kurses  haben,  gestattet  auch  entsprechende  Erörterungen 
über  Form-  und  Farbenverhältnisse,  sowie  die  Entwicklung 
ethischer  Universalgesetze  (v?  12).  Es  ist  also  eine  nachdrück- 
liche Pflege  des  ästhetischen  und  des  ethisch-religösen  Intei^ 
esses  gesichert. 

Die  konzentrierenden  Gesichtspunkte  läßt  der  Lehrpkn 
erkennen,  indem  er  dieselben  in  besonderer  Reilie  neben  der 
Stoff anordnung  enthält  Sie  müssen  mit  Hinweisen  auf  die 
verwandten  Stellen  des  iilirigon  Unterrichtes  versehen  sein, 
z.  B.  bei  Insekten:  Lockwirkung  der  Farben  und  des  Duftes,  Schön- 
heitssinn, Wirkung  der  Massen,  Förderung  der  Intelligenz  durch 
Arbeit.  Verminderung  derselben  durch  Schmarotzerleben,  Erhaltung 
der  Art  als  höchstes  Lebensprinzip,  Kulturwert  der  Arbeitsteilung  usw., 
wobei  hinter  jedem  Begriffe  Verweisungen  in  form  von  Buchstaben 
und  Zahlen  zu  denken  sind. 

Dasselbe  gilt  bezüglich  der  spezialisierenden  Fächer  einerseits 
und  den  assoziierenden  andrerseits,  z.  B.  bei  Farren:  heiße  Zone 
(Geographie),  Steinkohlenformation  (Geologie),  Wurmfarn  und  Ein- 
geweidewürmer (Zoologie),  gefiederte  Blätter  und  Bosetten  (Zeichnen). 

16l  Bor  Staxls  dM  hiologifihm  nnftanriolitM 

ISne  mOgliohst  nmfangreiohe  and  grftndliche  sinnliche  An- 
Bchaanng  ist  die  nnerläBliche  Toraussetsang  des  Gelingens 
der  biologisehen  Unterrichtsarbeit  Dafi  die  Schulen  in  der 
Begel  nur  nngentlgend  mit  YeEBnsohaiüichnngsmittehi  ausgestattet 
sind,  hat  schien  Haoplgnind  im  Gymnasialontemcht:  er  hat  die  Ge> 
set^geber  nnd  Regenten  des  Schnlwesens  vcrbereitet  und  dieselben 
systematisch  daaa  ezzogen,  alle  Kenntnisse  nnr  ans  Bflchem  an  hden. 

Das  biologische  Experiment  ist  in  den  Ersiehnngsscfanlen 
anf  die  Züchtung  gewisser  Lebewesen  und  die  Herstellung 
einfacher  Präparate  beschrSnkt  Diese  Arbeit  ist  möglichst  Ton 
den  Zflglmgen  au  leisten.   tMan  lernt  selbst  beim  einfachsten  Ex- 


Za  vergleiclien:  V>:rworx,  »Beiträge  ZHT  Frage  des  natarwissen- 
8chaitlichen  Cnteriiohtsc.  8.  6. 


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406 


AufBäts» 


penment  erst  omsichtig,  logisch  und  kritisch  beobachten  and  bandeüi, 
wenn  man  es  selbst  ausführen  muß.«*) 

Die  Schulen,  in  denen  der  gesamte  Unterricht  einer 
Klasse  in  einer  Hand  liegt,  haben  den  nicht  zu  unter- 
schätzenden Yortoil,  daß  die  Beobachtungen  täglich,  ja 
teilweise  stündlich  oder  in  uocli  kleinereu  Pausen  an- 
gestellt und  registriert  werden  können. 

»Die  Notwendif!;keit,  daß  die  Schüler  die  Figuren  (wenn  auch 
noch  so  unvollkommen)  auf  Schiefertafel  oder  Papier  nachzeichneUf 
kann  nicht  dringend  genug  hervorgehoben  werden.«  2) 

Auf  der  dritten  Lehrplanstiife  hat  sich  die  Darbietung  zu  er- 
strecken auf  äußere  Gestalt,  Anatomie,  Physiologie,  Ent- 
wicklungsgeschichte des  Individuums  und  des  Stammes, 
geographische  und  geologische  Beziehungen  und  Kunst- 
formen. 

Der  neue  Abschnitt  beginnt  immer  mit  der  Monographie  eines 
geeigneten  Individuums  (vorgl.  »Höhepunkte«  in  der  Geschichte). 
Aus  diesem  Materiale  wird  das  Schema  abstrahiert,  und  durch 
Variation  desselben  werden  die  Hauptfonnen  der  ganzen  Gruppe  ent- 
wickelt. 

Was  die  Naturbeobachtung  dem  Lehrer  als  solchen  sein  kann 
und  muß,  hat  der  große  Comenius  in  seiner  Didactica  magna 
gezeigt  Dort  hat  er  den  Versuch  unternommen  (Kap.  13 — 18),  die 
Gesetze  des  erziehenden  Unterrichtes  der  Natur  abzulauschen.  Die 
Forschung  in  derselben  gewöhnt  daran,  alles  Geschehene  als  Ausfluß 
einer  gleichwertigen  Ursache  aufzufassen,  und  alle  Gebilde  als  nach 
bestimmten  Gesetzen  entstanden  zu  betrachten.  Etwaige  Mißerfolge 
werden  den  so  Unterrichteten  nicht  verwirren  oder  erzürnen  oder 
mutlos  machen,  sondern  zum  Nachdenken  über  die  Quellen  derselben 
veranlassen.  Die  beste  Methode,  die  Natur  eines  Dinges  zu 
erklären,  besteht  darin,  daß  der  Arbeitsgang  der  Natur  er- 
forscht und  dieser  durch  den  Unterricht  rekonstruiert  wird 
Damit  ist  das  kulturhistorische  Prinzip  auch  den  methodisichen  Ein- 
heiten zu  Grunde  gelegt. 

Durch  Absti'aktionen  alsdann  immer  umfassendere  Ideen  ableiten, 
bis  die  Einheit  der  Natur  im  Mikrokosmus  der  Psyche  zur  Wirküch- 
keit  geworden  ist,  heißt:  die  Konzentration  zum  beherrschenden  Ge- 
setze des  Gesamtunterrichtes  erheben. 

*)  Ebendttelbek  S.  11  und  Him,  »Zoologie  an  Seminarioa«,  in  An 

Encyklopädie. 

*)  MoBsi,  Aufangsgründe  uäw.   S.  1:  Vorwort 


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1.  Ferienkurse  in  Jena  Angnst  1905 

(Sekretariat- Oartenstraße  2) 

I.  Naturwi88en8Chafliche  Kuree 

1.  thtr  Bas  aid  Leben  der  Pflaizei 

mit  besonderer  Berücksichtigaog  der  für  den  botanischen  Schulunterricht  wichtigen 
Zweckmäßigkeitseinrichtungen  in  der  Organisation  der  Gewächse 

Professor  Dr.  Detmcr 
Einleitiuig 

Der  botanische  Schulunterricht  früher  und  jetzt.  Aufgabe  der  Bio- 
logie. Typische,  rudimentäre,  reduzierte  und  metamorphisierte  Pflaozen- 
organe.    Goethes  Metamorphosenlehre. 

I.  Ott  BIttt 

1.  Funktionen  des  Laubblattes:  Wasserkultur.  Bau  des  Blattes. 
Neuere  Forschungen  auf  dem  Gebiete  der  Zellenlehre.  Nachweis  der  Assi- 
milate.  Wesen  der  Assimilation.  Biologie  der  Assimilationsorgane.  Be- 
deutung der  Assimilation  für  den  Haushalt  der  Natur. 

2.  Wesen  der  Transpiration  des  Blattes.  Methodisches.  Bedeutung 
der  Verdunstung.  Äußere  Einflüsse.  Biologisches.  Xerophyten,  Hygro- 
phyten, Tropophyten,  Erfahningen  des  Vortragenden  über  diese  Pflanzen- 
formen auf  seinen  Reisen  im  tropischen  Brasilien,  in  Lappland,  Turkestan 
und  der  Sahara. 

3.  Eiweißbildung  im  Blatt.  Synthese  der  Proteinstoffe.  Theorie  des 
Prozesses. 

4.  Metamorphisierte  Blätter.  Blätter  der  insektenfressenden  Pflanren, 
der  Succulenten  usw. 

II.  Die  Wurzel 

Bau  der  Wurzel.  Wasseraufnahme  derselben.  Thorie  des  Turgors. 
Wurzeldruck.    Metamorphisierte  Wurzeln.    (Luftwurzeln,  Säulenwurzeln, 


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408 


Mitteilungen 


Atemwiirzeln,  die  Knöllchen  der  Papilionacoenwnrzoln  und  die  pticketoK- 
sammeiudeBBaktehea  derselbeo,  neuere  forschungea  über  dieMycorrhizausw.) 

^  III.  Die  StaiiMBebllde 

Bau  des  Stammes.  Mechanisches  Gewebe.  Neuere  Theorien  über 
Wasserleitung  im  Stamm.  Metamorphoeierte  Stammgebüde.  (Cacteeo, 
AmeisenpflaDzea,  RaakeD  iisw.) 

DanoB,  Das  Ueiiie  pfUmsenphyriologieolM  MMiknni.  2.  Aofl.  Jana  1906. 
H*anLAin»t,  Fhysiolö|^che  Pflanzenanatomie.  3.  Aufl.  Leipitg  1004. 

Kernkr,  Pflanzenleben.    2.  Aufl.  Leipzig. 

SciiiMi'Kn.  l'flanzengeographio  auf  physiologischer  Grundlage.   Jena  1898. 
&TUAhBüKO£it,  Lehrbuch  der  Butanik.    G.  Aufl.   Jena  1904. 

1  Ailcttug  n  ttttriMh  ■nrrtifctiiiilii  AiMtM  nl  HMMVfe|iMHlMh« 

faptilMitei 

Prof.  Dr.  Dctner 

Tersadie  über  AsrimilatioD,  PflanzenatmuDg  und  TtirgorerscheLnungen, 
Filzkultiireo,  Experimeote  mit  dem  Klinostaten,  üntamoGhungeo  überBeia- 
TorgftDge  und  Wachstam  usw. 

3.  Popol&re  Astroioale 

Prof.  Dr.  Knopf 

Einleitang:  Praktischer  und  ethischer  Wert  der  Astronomie.  FrOh- 
sdtiges  BedQifiiiB  der  MeDsohhöt  nach  Beaotwortiiiig  astioiioiniadher  Fhigen. 

Das  Sonnen^tem:  Die  SoDoe,  ihre  GiQBe,  Miusa  und  mittlero  Didite; 
ihre  chemische  und  physikalische  Konstitutioa.  Die  Erscheinungen  auf 
ihrer  OberflJlche;  die  Reiskonistruktnr  der  Photosphäre,  die  Fleckon,  Fackeln, 
Protuberanzen.  Die  Korona  und  diis  Zodiakallicht.  Die  verschiedeneu 
Hypothesen  zur  Erklärung  der  Erscheinungen  auf  der  Sonne.  Die  An- 
sichten von  W.  Herechel,  Kirclihoff,  Zöllner,  Schmidt  u.  a. 

Die  Planeten,  ihre  BeTdution  und  BMation.  Titius-Bodeeches  Oooote. 
Ebteihing  in  grofie  und  kleine  Planeten.  Wahle  und  scheinbare  Bdmen. 
Lücken  im  System  bei  rationalem  YorUtttnis  der  mittleren  Bew^ungen. 
Die  Penlung  der  auf  den  Oberflächen  von  Morkur,  Venus,  Mars.  Jupiter 
und  Saturu  sichtbaren  Gobilde.  Der  Streit  über  die  Kotatiouszeit  von 
Merkur  und  Venus.  Sehiaparelli,  Brenner,  Belopolski.  Die  Bewohnbarkeit 
der  Planeten.  Die  Frage  nach  dem  Leben  auf  anderen  UimmelskOrpenL 
—  Der  Erdmood  mit  seinen  Ringgehirgen,  TieEsbeDeii,  Kistem,  Streifn 
und  Billett.  Stellung  des  Mondes  hei^SonnsD-  und  Mondfinstemissen.  — 
Die  Monde  der  andern  Planeten.  Die  Bestimmung  der  Lichtgeschwindig- 
keit aus  den  Verfinsterungen  des  ersten  Jupiterraondcs.  Der  Satiimring 
aus  lauter  Monden  bestehend;  Teilungen  des  Ringes.  Die  starke  Neigung 
der  Bahnen  der  Uranusmonde  und  die  Hückläufigkeit  des  Neptonmondes 
schwer  mit  der  Kaut-Laplacescheu  Kosmogonie  vereinbar. 

Die  Kometen:  ihre  Balinen;  ihre  chemische  Beschaffenheit;  ihr  Ur- 
sprungs ob  kosmisch  oder  nicht;  die  Entstehung  ihrer  Schwelle»  entweder 


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t 


1.  Ferienkurse  in  Jena  August  1905  409 


durch  elektrische  Kräfte  (Olbers)  oder  durch  Lichtdruck  (Lebedew) ;  Richtung 
der  Schweife,  mehrfache  Schweife,  ob  von  stofflicher  Natur  oder  bloße 
optische  Erscheinungeu ,  drei  Schweiitypeo  nach  Bredichiu.  Kometco- 
Kystome;  die  gtofleo  Kometeo  ^  1680»  1843,  1880  und  1882  früher 
jedenfidb  einen  eindgen  Kometen  bfldend.  Zer&U  der  Kometen,  besonder  ' 
im  Peiihel;  ihre  AufUJeung  in  Sternschnupponschwrirme.  Bidiaiiten  der 
letiteren.    Die  Meteore.    Ihr  zweifellos  kosmischer  Ursprung. 

Das  Newtonsche  Oravitationsp^csetz.  Zweifel  an  seiner  Richtigkeit 
und  universelleQ  Gültigkeit.  Über  Naturgesetze  überluiupt;  sie  dienen  zur 
Beächreibiuig  der  Vorgänge  in  der  Natur.  Die  Fulger uogen  aus  dem  New> 
toDsoiien  Chwvitaiioii^geaets  bilden  den  OegeoalMid  der  Himmelumenhftnik. 
Die  Keplereohen  Ooootee.  Die  Librationsgeeetse  bei  den  Jupiter-  nnd 
Sntarnmonden. 

Der  Fixstemhimmel :  Stemsysteme,  Milchstraße,  Nebelflecken,  Stern- 
haufen. Doppelsteme,  veränderliche  Sterne,  neue  Sterne,  Eigenbewegung 
und  Entfernung  der  Sterne.  Die  Stellung  unseres  Sonnensystems  in  der 
fixstemwelt  und  seine  Bewegungsrichtung.  Besseische  und  Airysche 
Mettiode  rar  Bestimmimg  dieser  Richtung.  —  Kosmogonie. 

Besuch  der  Stemwaxte  rar  BetraohtoDg  der  Sonne,  des  Mondes,  der 
zur  Zeit  gerade  sichtbaren  Planeten,  ferner  von  Doppelatenien,  Stemhanfea 
and  Nebellleoken. 

Llteratar 

Ijttbow,  Die  Wunder  des  Himmels,  bearbeitet  von  E.  Wnss.   Berlin,  Dümmler. 
NswtxniB,  Popul&re  Astronomie,  bearbeitet  von  H.  C  Vooel.   Leipzig,  Engelmann. 
W.  Msm,  Das  WeMgebiods.  Lslpsig,  BibliogiapUsohes  Institut. 

Blochmavn,  Die  Stornkurult'.    Stuttgart,  Strecker  &  Moser. 

MöBTüs.  Die  Hauptsätze  der  Astronomie,  bearbeitet  von  CSbaux.   11.  B&ndchan  der 

Sammlung.    Stuttgart,  Göscheu.  * 
J.  ScHKiNKR,  Der  Bau  des  Weltaiiü.    («Aus  Natur  ond  Geistes  weit«.  24.  Bändcheu.) 

Leipzig,  Teabner,  1901. 
K.  KosnBsiiz,  Die  Spektralanaljas  der  ffimmslakSiper.  Salbstveilag  des  Yereina 

rar  Yerbrciluqg  natorwissenBdiaftlioher  Kenntnisse.   (^«  Jshig.,  Heft  10.) 

Wien  1902. 

4.  Zeit-  aad  OrtsbestiBsmag  aiit  praktlsehea  Ohiagen 

Prof  Dr.  Knopf 

Die  scheinbare  Drehunf^  dos  HiramelspewOlbes.  Die  Himmelspole, 
der  Himmclääquator.  Zirkumpuiaisterne.  Htiktaszension  und  Deklination. 
StondenwinkeL  Asimnt  nnd  l^e.  Db  Sonnenbahn  oder  Ekliptik.  Yer- 
aduedeoe  Bedentang  der  Worte  »LSnge«  nnd  »Brsitec  in  der  Astronomie 
nnd  Geographie.  Die  Beziehungen  zwischen  wahrer  Sonnenzeit,  mittlerer 
Bonnenzeit,  mitteletux)p&i8cher  Zeit,  Stenizeit,  Zeitgleichung.  Datumwechsel 
in  180^  Länge  von  Greenwich.  —  Unterweisung  im  Gebrauch  des  Spiegel- 
sextanten, des  Spiegelprismonkrei.ses  und  des  Theodoliten.  Bestimmung 
der  Zeit  aus  Sonnen-  oder  Stemhöhen  bei  bekannter  geographischer  Breit^ 
oder  aus  korrespondierenden  Sonnenhöhen  (sogenannte  Mittaga-  nnd  Mittel^ 
naditsverbeaaernng),  wenn  die  geographiacbe  Rreite  nicht  bekannt  ist.  Be> 


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410 


MitteiloDgeD 


Stimmung  des  Azimutes  der  Sonne  und  somit  auch  von  irdischen  Ob- 
jekten bei  gegebener  Zeit  Bestimmung  der  geographischen  Breite  aus 
ZirkommeiidianhöheD  der  Sonne  und  aus  der  Hohe  des  Polarstems.  Be- 
«timmung  der  Zeit  und  der  geographiacheD  Breite  ans  swei  BObea  dea- 
flelbeo  Qestimes  iD  verschiedeDem  StaDdenwinkel.  BestiminiiDg  der  geo- 
graphischen Lange  durch  Monddiatangen  oder  dmdi  Moodhöhen.  Bednktioa 
der  Beobachtungen.  Besprechung  weiterer,  im  Kursus  nicht  zur  prak- 
tischen Ausführuog  gelangeoder  Methoden  der  Zeit-  und  Ortsbestünmuiig. 

Literatar 

W.  JoKDAN,  Gnindzüge  der  astronomischen  Zeit-  und  Ortsbestimmung.  Berlin.  Springer. 
W.  WiäucRNus ,  Handbuch  der  gec^raphischen  Ortsbestimoiungea  auf  Reisen. 

Leipzig,  Engehnann. 
fioiBaüB-OaLoicB,  Naatiaoha  Aatrononiie.  Wiaa,  Cl  OeroMs  Bohii. 

^»  Zaelfglai  mit  ProjektionsbUdern  lebender  und  konservierter  Tiere  auttela 

des  Epidiaskops  und  des  Projektionsmikroekops 

Prof.  Dr.  H.  E.  Ziegler 

Betrachtung  der  vnchtigsten  Abteilungen  der  wirbellosen  Tiere  und 
einiger  Wirbeltiere,  unter  Vorweisung  von  lebenden  und  konservierten 
Tieron  mittels  der  Zeiß  sehen  Projektionsapparate.  Die  Beihenfolge  geht 
im  zoologischen  System  von  unten  nach  oben; 

I.  IL  2.  Protozoen  (Kanuneriinge,  Strabltieroheo  und  Bodere  Wund- 
fflfior;  An^oAtieroheo). 

3.  Sflßwasse  r  polyp  und  andere  Ey  droidpolypeOt  Quallen,  KönUentien. 

4.  Strudelwtirmer,  BaadwOrmer,  BondwOmier,  Begonwurm  ond 
■andere  Ringelwürmer. 

5.  Flußkrebs  und  andere  Krebstiere. 

6.  u.  7.  Tausendfüßer,  Spinnen  und  Insekten. 

8.  Q.  9.  Knaoheln,  Sohneoken  und  aaden  WeidiliBre. 
10.  Stachelhäuter  (Seeigel,  Seeatenie  uadr.). 

II.  Amphioxua  und  Flache. 
12.  Amphibien. 

Literatar 

R.  Ukrtwio,  Lehrbuch  der  Zoologie.    7.  Aufl.    Jena  1905. 
O.  ScHMXU.,  Leturbach  der  Zoologie.  Stuttgart  o.  Leipzig  1904. 

C  Ihyiialagle  Im  MIns 

mt  Oemonatiationeii  FkinMoieot  Di.  Noll 

1.  Ausbildung  des  Qehnna  in  der  Tieneih&  Ikitwiddnng  dea  nanaohp 

liehen  Hirns. 

2.  Das  entwickelte  menschliche  Oehim.  Bedeutung  aeiner  etiueinen 
Teile.    Zusammensetzung  der  Gehimsubstanz. 

3.  B^rÜf  des  Neuion.s.  Verknüpfung  des  Gehirns  mit  den  Be- 
▼egungs-  und  Empfindungsorgauen. 

4.  Physiologie  der  Nervenielle  und  NervenfiBer. 
6.  Die  Befleze. 


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411 


6.  Das  Zustandekominen  willküriidier  Bew^:aiigeD. 

7.  BenehoDgeD  iwiachen  Beiz  und  fimpfiadoDg.    Dm  WebeiBGh« 

Gesetz. 

8.  Die  Haut-  uod  OigaDempfindungen.  Geruchs-  und  (ieschmacks- 
empfiodiugeD. 

9.  OehiOi»-  und  Gesiohtsenipfittdungen. 

10.  LokalisatioDeD  io  der  Oioihlnrindeu 

11.  Sprache  und  Sprachstönn^feD. 

12.  Der  seiflkdie  Yerlaaf  der  psychischen  Promsae. 

Utaratar 

Die  Abschnitte  über  Gehirn  und  Sinnesorgane  in: 
Johannes  Rajocb,  Der  Mensch  (I.  Band).    2.  Aufl.    Leipzig  u.  Wien  1893/94. 
SiEiNEBf  Grundriß  der  Physiologie  des  Meni^üheu.   8.  Aufl.  ii^8. 
TtaannM,  LahilnHli  der  Physiologie  des  Meosoiien.  8.  Aufl.  1006. 

Fbmsr: 

Hklmholtz,  Vorträge  und  Reden.    Braunschweig  1884. 

Flechsig,  Gehirn  uiid  Socio.    I^ipzig  1896. 

ZoEHXN,  Leitfaden  der  physiologischen  Fsycholc^e.   6.  Aufl.   Jena  1902.   5  M. 
Dnaelbe,  Über  die  aUgem.  Beitehimgen  swisohen  Oehim-  a.  Seelenleben.  2.  Aufl. 
IMS.  l^M. 

Kacb,  Die  Analyse  der  Empfindongen  and  das  TexfailbiiB  des  Physisohen  warn  Bqr- 

chiflchen.   4.  Aufl.    1903.    5  M. 
Flügel.  Die  Seeleafrage  mit  Rücksicht  auf  die  neueren  Wandlungen  gewisser  nator» 
wissensch.  Begriffe.   3.  Aufl.  1902. 

7.  SMiigto  !■  Mde 
Prot  Dr.  JobMiiict  WaHher 

Nadini.  6—6  abweohsehid  (je  nach  der  Witterung)  mit  kleinen  KxkoisioneQ 

Ton  5—7.   Ek)nntag,  den  6.  und  13.  August  tagesexknrsionen 

An  (lor  Hand  von  Beobachttiiißt}n  im  Gelände  und  einfachen  Schul- 
versucheu  solltm  die  wichtigsten  g;eologischen  Erscheinungen,  die  sich  fast 
fiberall  beobachten  lassen,  erläuteii:  werden.  Zur  Besprechung  kommen 
folgende  Tatsacheogruppen  (die  Reihenfolge  wird  durch  den  Verlauf  der 
Ausflüge  bestimmt):  Aufaohlflaae,  Oeete^Dsnntenohiede,  FoesOien,  lüge- 
rangsformea,  Scfaichtong,  Elflfte,  Tenrecfnngen,  FalleOf  Streicfaeii. 

Verwitterung,  BodenbUdung,  Absinken  des  Oehftngeschuttes,  Abhlng^ 
keit  der  Landschaftsform on  vom  geologischen  Bau  der  Erdrinde. 

Schichtenfolge,  Profil.  Lfitfossilien,  topographische  und  geologische 
Karten  (praktische  Übung  im  Kartieren),  Signaturen. 

Queileo,  Wasserhaushalt,  Quollabsätzeu,  Sinterbild ung,  Tätigkeit  des 
flieBenden  WasBen,  Taibildung,  nnfitemasen,  Auaiiiimung  dee  Lmdee, 
alte  Ilnfilaafo. 

Abtragende  Tätigkeit  des  Windes,  Deflation,  Sandgebläse,  Steppen  und 
Wüstengebiete  (an  der  Hand  von  Lichtbildern),  Dflnen,  Löß,  Klimawechsel. 

Discordante  Lagerungi  Schieferungf  Abrasion  des  Zechsteinmeeresi  Biff- 
bildung. 

Schichtenbau,  Profile,  Verwei-fungen,  Faltung. 


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412 


Mitteilongeii 


Vei-^sandhing  der  Schichteofoige  in  eine  Zeitfolge,  Oeologische  Epochal, 
FormatioDsoameD,  Zeitbegriff. 

Uteratur 

J.  Walibxr,  Vorschule  der  Geologie.   Eine  gemeinverständlichü  iuufuliruDg 
und  Aniaitaiiig  la  BeolMKditiuigen  in  dtr  EaittoL  Jena  1006. 

8.  Aiwtiing  fpflNhfr  taitnmite  zum  Zvooke  ohendsoher  üntaisiioluiiigeD: 
SpektEilaiudyse,  MUcroBkopie,  PolariBatioii,  Befaaktioa 

Dr.  Olnfe 

1.  Spektralanalyse.  Weeen  und  Zweck  deEselbea.  Die  Appnale 
und  ihre  Handhabimg.    Zubereitung  der  Stoffe,    a)  BmitBioDsspektra. 

Diejenigen  der  anorganischen  Stoffe,  welche  in  Gasflammen,  solcher,  welche 
im  elektrischen  Lichte  erkennbar  sind.  V»)  Absorptionsspektra.  Die- 
jenigen der  anorganischen  Stoffe  in  allen  drei  Aggregat  zuständen.  Die 
Absorption  durch  organische  Stoffe,  insonderheit  die  Farbstoffe,  die  Hot- 
irteine^  das  gesunde  und  Tergiftefte  Blut 

2.  Mikroskopie  zur  Erkennung  aoleber  Struktucformen  anoEgamBolMr 
nnd  OEganisdier  Gebilde,  aus  welchen  die  chemische  Natur  derselben  be- 
stimmt werdeu  kann.    Das  PolarisationsmikroBkop.    Das  Spektralokular. 

B.  Pnlariaation,  "Wesen  derselben.  Erkennung  der  Kristallsysteme. 
Interfcrenzfdrben.  Achscnbilder.  Cirkularc  Polarisation  als  Mittel  zur 
quantitativen  Bestimmung  lichtdrehender  Stoffe.  Saccharimetrie. 

4.  Befraktometer  nnd  ihre  Verwendung,  um  ans  dem  Giade  der 
lidhtbrechnng  und  FarbeoasKstreunng  die  Beinheit  oder  dem  Oebalt  an  be- 
stimmten Stoffen  KU  ermitteln. 

LHeiwIir 

QIm>B,  Angowandte  Optik  in  der  Chemie.   Braonadiweig  18M. 

Ders.,  Anleitung  zur  Spektralanalyse.    I^ipzig  1888. 
Ders.,  Polarisation  des  Lichtes.    Leipzig  1894. 

Kbübs,  Golorimetrie  und  quantitative  Spekralanalyse.   Hambuig  u.  Leipzig  189L 

LftimAiTER,  SpektndansfyBe.  BrMunohwdg  1806. 

FondooK,  Qualitative  SpektzabnalyBe  aaoigMiisoher  KBiper.  Bedin  1900. 

II.  Pldagooltciie  Kam 

f.  Ms  LekSMaaicktaaDgeo  der  grettea  PIdagogM  seit  4m  ImIhimi 

Bivildonat  Br.  H.  Leser-Briingen 

Einleitung 

1.  Bedeutung  anseres  im  Zosammenhang  mit  der  je- 
weiligen Welt-  und  Leben  sanschannng  zu  gebenden  Durokp 
blicks  darch  die  Geschichte  der  pädagogischen  Bewegungen 

—  für  die  gerechte  Würdigung  ihrer  charakteristischen  Ansj^mgiingen  im 
allgemeinen  und  für  ihre  gegenwärtige  Lage  im  besonderen.  Emanzipation 
des  ünterrichtswesens  zu  einem  selbständigen  Zweig  der  Kulturarbeit  (ia 
Praxis  uud  Theorie)  eine  moderne  Leistung;  mit  immer  entschiedenerem 
Vorgang  der  Ideen,  der  Theorie:  Selbstandi^mt  der  Fidagogik  als  Wissea- 


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1.  Ferienkurse  in  Jena  Au£;uät  1906 


413 


8chaft.  Gründe  für  die  Wichtigkeit  des  ZuflamineiiliaDgs  mit  der  Lebens- 
aasohauimg.    Bestimmung  der  Aufgabe. 

2.  Die  allgemeiue  geistige  Situation  der  neuereu  Zeit  und 
ihre  p&dagogisohe  Bedeutung  im  GegenBats  snm  Hittelalter. 
Passiyitftt,  Fertigsein,  blofi  BtofOiohes  ÜBtecoBse  —  Aktivitftt^  Uikrokosmoe- 
gedanke  (formale  Bildung).  Begriff  der  »Bildung«. 
Erste  Periode.  Die  Übun^zeit:  Renaisaaooe  ^amaniamus)  und  fiefor- 
mation.    15.  bis  Anfang  des  17.  Jahrb. 

I.  Humanismus 

AllgemeitaeB.  Positive  Charakteristik  seines  Wesens  im 
Verhält  nis  zum  Mittelalter  und  zur  Reformation.  Wesentliche 
Merkmale  des  Bildungsideals:  eigene  Tätigkeit  und  Tendenz  auf  die  rein 
meusohliche  Seite  unseres  Wesens.  Jedoch  Abhängigkeit  von  fremder 
KüItDr  (der  Uassischen)  und  damit  Scheidung  zwischen  Gebildeten  und 
üngebOdelen.  Wursel  des  gelehrten  Schulweeens  von  heute.  QegenBBti 
snr  Befonnation. 

Persönlichkeiten.  Petrarca  und  Erasmus.  Einseitige,  sprach- 
lich-diditerifiche  Auspr&gung  dee  Bildungsideals.   Darstellung  und  Kritik. 

II.  ReKomation 

Allgemeines.  Fragen  der  Weltanschauung.  Bedeutung  und 
Schwäche  tnr  die  Pädagogik,  beleuclitet  am  Verhältnis  und  Gegensatz  zum 
Humanismus:  Abzweigung  vom  bisherigen  weltgeschichtlichen  Gang  durch 
Aukettung  ans  Moralisch -Religiöse.  Pädagogische  Konsequenzen. 
Kulturau^be  des  Christentums;  Erziehung  eines  jeden  zur  Selbständig- 
keit; Sinn  f&r  Yolksuntennoht  Doch  zuvial  Spiachbildniig  und  religiSBeB, 
nicht  allgwnein  menBoUiches  BildungsideaL  • 

Persönlichkeiten.  Luther.  Entwicklung  und  Kritik  BBiner  |»äda- 
gogiBobcn  Ideen.  Historische,  nicht  psychologische  Orientienmg ;  Beispiel 
sein  Katechismus.  Melanchthon.  Moderne  Verschmelzung  des  Kiassi- 
ßchen  mit  dem  Keformatoriscli-Christlichcn.  Gnmdlage  des  modernen  Gym- 
nasiums; Verhältnis  zur  moderneu  Universität. 

III.  Anhang 

Die  Zeit  nach  der  Reformation.    Einiges  über  Schuiorganisation  und 

Persönlichkeiten.    Pädagogik  der  Jesuiten. 

Zweite  Periode.    Die  Aufklärung.    Erziehung  auf  reine  Vernuufterkenntnis 
und  reale  Bildung.    17.  bis  tief  ins  18.  Jahrh. 

Binleitung.  Allgemeine  geistige  Art.  Die  neuen  Oedanken 
über  den  Ifenschen,  sein  Wesen  die  Vernunft;  Konflikt  swisohen  Yeraunft- 
Natur  und  Geschichte.  Das  spezifisch  Moderne  in  der  Emanzipation  des 
persönlichen  Individuums:  Unabhängigkeit,  Autonomie,  Selbsttätigkeit  nicht 
nur  gegenüber  der  mittelalterlicht  n  Autorität,  soudein  auch  gegenüber  der 
geschichtlich-gesellschaftlichen  Lebensführung  (Frankreich)  und  Einsetzen 
einer  eignen,  selbst  aufgebrachten  —  realen  —  Kultur  (England).  Hierfür 
swel  ohankteristiBche  AnfaogsfTpen:  Montaigne  und  Bacon  in  ihrer 
geistifen  und  pidagogiBchen  Bedeutung. 


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414 


MitteilfiDgOT 


L  Beginnende  Bewegung 

Ratichins.  IntezeBsante  und  bedeutende  PereOnfioUrait,  in  den  aU- 
gemeinen  modernen  Konzeptionen  (absolute!  Konzentration,  »Vemonftgemift«, 

»nach  der  Ordnung  der  Natiir«)  tiefer  und  origiAeller  als  Comeniua. 

Dieser  proßer  in  der  systematischen  Durclifühning  und  Organisation.  — 
Modern  ist  die  Methode  (Anschauung,  Konzentration,  Kontinuität  der 
Erziehung  wie  der  natürlichen  Entwicklung),  nicht  so  der  Stoff  (Sprache 
und  Gehalt).    Schola  materna!  Schriften.  —  Organisationadaten. 

II.  Höhepunkt  der  Bewegung 
Sinken  des  klassischen  Geistes  im  17.  Jahrh.  im  gelehrten  Unterricht 
UDtercitützt  das  siegreiche  Vordringen  neuer  Ideen.  Die  neue  geistige  und 
sosaale  Atmo^lre  und  die  Umeo  entspreohenden  charakteristiBoiiea  Aua- 
pilgungen  sn  bestimmten  BildnngsideaieD  in  England  (der  Me  Bttiger) 
und  Frankieich  (der  elegante  Hofmann). 

1.  Locke.  Die  neuen  Faktoren.  Erste,  wesentlich  psychologiaclie 
Orientiening;  Tndividualpsychogenese  in  ihrer  geschichtlich -bedeutsamen 
Vereiüiginig  mit  den  pädagogischen  Fragen ;  Individualerziehung.  Beginn 
der  Emanzipation  der  Pädagogik  zu  einer  selbständigen  wissenschaftlichen 
(Gedankenwelt  Die  pädagogischen  Konsequenzen  in  ihrem  Wert  end 
in  ihrer  Schwache  der  Aofldftrnng. 

2.  Oer  Zeitraum  bis  Bousseau:  Pietismus,  BealsdiulveBoii  und  Wieder- 
erwachen  des  Humanismus. 

3.  Wendepunkt  in  Rousseau.  Geistiger  nnd  sozialer  Hintergrund 
auf  dem  Rousseau  steht,  und  von  dem  er  sich  abhebt:  Frankreich  und  der 
moderne  Kulturstaat.  Leben,  Schriften  und  Allgemeines  seiner  Lebens- 
anschauuDg.  Worin  liegt  das  Neue  der  mit  Bousseau  anhebenden  Be- 
wegung? —  Beziehungen  und  Gegensatz  snr  AulUlmiig,  Ilataroptimismus 
—  radikaler  Qeeellschaftspesumismus.  Zentrale  Stellung  der  Fidagogik 
als  der  Seele  der  Lebensarbeit  zur  Entwicklung  des  rein  menschlichen 
Wesens  im  persönlichen,  antisozialen  Sinne.  Schriften,  besonders  Emiif^. 
etwas  genauer  analysieren.  Laisser  faire  la  nature.  Würdigung  und  Kritik. 
Was  versteht  Rousseau  unter  Natur? 

4.  Ausläufer  der  AufUftmng.  (Basedow.) 

Dritte  Periode.    Überwindung  der  Aufklärung;  neues  großes  Uumanitäts- 
ideaL   Ende  des  18.  bis  Mitte  des  19.  Jahrit  * 

1.  (Einleitang.)  Orofie  Benaissanoe  des  ElassisoheB,  Nett- 
humanismus.   Besonders  Fr.  Aug.  Wolf  und  Goethe.  Allgemeine 

Lebeneanschauung  und  ihre  pädagogische  Bedeutung  als  charakteristische 
Zeichen  der  neuen  Zeit.  Schiller  und  die  Kunst  in  ihrer  Bedeutung  f&r 
die  Erziehung. 

2.  Pestalozzi.  Leben.  Geistige  Fassung  der  Welt  und  des 
Lebens  (»Abendstunden  eines  Einsiedlers«)  im  Zusammenhang  mit  dem 
nenklassischen  Geist  beleuchtet    Natur  imd  Geist,  Notwendigkeit  md 

Freiheit.  Stufen  der  Seele.  »Entwicklung  der  reinen  Menschlichkeit« 
Charakteristik  dieses  neuen  Humanitiltsideals  und  kritische  Würdigung  der 
daraus  sich  ergebenden  pädagogischen  Ideen  (»Lienhard  und  (}ertnid«> 


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1.  FnienJcnrse  in  Jena  August  1905 


41& 


i^Naohforschungenc,  >Wie  Oertmd  ihre  Kinder  lehrt«).  FaTnilienorziehtinig. 
Methfxlel  Elementar-,  formale,  Herzens-Bildung.  Dynamische  Fassung  — 
dienende  Tädagogik.  Mißverhältnis  zwischen  seiner  tiefen  Intuitiün  und 
dem  Mangel  an  systematischer  Kraft  der  Aoeffibniag.  Verhftltiiis  zu 
Rousseau  einer^  und  BertMurt  andrwseits. 

3.  Herbart  Der  giofie  plülosophische  Pädagog.  Prinzipielle  wisBen- 
sohftftliche  Inangriffnahme  des  Gebietes  der  Pädagogik  und  damit  die- 
prinzipielle  Entwicklung  eines  vom  pädagogischen  Gesichtspunkt  gegebenen 
psychologischen  Durchblicks  durch  die  Wirklichkeit  und  das  Leb<?n,  einer 
eignen  pädagogischen  Gedankenwelt.  In  dieser  pädagogischen  Wendung,, 
welche  hier  die  Philosophie  (speziell  die  Psychologie)  nimmt,  liegen  einer- 
seits  die  SohwAofaeii  seiner  Philosophie  vom  Stwidpuiürt  der  TendeDs 
auf  eine  abaddietoide  Ansicht  der  Dinge  (I^iilosophie  ss  pldagogische- 
Wissenschaft!),  andrerseits  die  Gröfle  seuier  Fftdagogik  vom  Standpunkt 
ihrer  weltgeschichtlichen  Entwicklung  zur  "wissenschaftlichen  Selbständig- 
keit Darstellung  seiner  Metaphysik  und  Psychologie,  soweit  sie  in  dieser 
Hinsicht  in  Betracht  kommen.  Problem  der  organischen  oder  mechanistisch- 
inteilektualistischen  Auffassung.  Worin  besteht  hiernach  Freiheit?  Begriff 
der  »BUdsamkiitc.  Veifatttnis  sor  Elthik,  Weg  md  Ziel  der  Elndehnng« 
Dreiteilang  der  pidagogischen  Aufgaben.  »Erziehender  Unteirichtc  HOg> 
liehst  ausführliche  Analysis  nod  kritische  Würdigung  seiner  Theorie  des- 
>ünterrichts«. 

4.  Fröbel.  Lebensanschauuug  und  pädagogische  Bedeutung  (»Menschen- 
erziehung«): Pädagogik  des  Spiels  im  histori.schen  Zusammenhangs 
und  sachlichen  Wert    Kindeigarten,  Mutter-  und  Koselieder.  Kritik. 

SchluA.  Ergebnisse  und  Emuigeosohaften  im  Kampf  mit  den  Hem- 
mungen der  Zeit  (Diesterweg  und  Stephani).  Yertiefong  und  methodisobe- 
Weiterentwiddung  der  wissenschaftlichen  Pidagogik  bis  lur  O^n- 
wart  (besonders  Ziller  und  Reiti).  Konflikte  in  der  heutigen  geistigen 
Lage  und  entsprechende  entgegengesetzte  pädagogische  iüchtungen  der 
Gegenwart. 

Literatur 

Zuerst  kommt  es  auf  die  an  den  betreffenden  Stellen  zu  iienneuden  Werke 
(sowohl  diejenigen  theoretischen  IniuJts  aiä  auch  die  Schulbücher,  Fibeln  usw.)  der 
großen  FUÄgogen  aelbsi  an  (vor  aUem  von  Bafl»,  Oomenhu,  Bouasean,  FMtdoni, 
Heriiait,  fittbel).  ünaar  hiatorisoher  DordhUidt  baaierC  vie  auf  der  Kenntnis  der 

Oonnhinhtn  der  Pidagogik  auch  auf  der  der  allgemeinen  geistigen  und  sozialen  Be- 
wegungen, wie  sie  die  Philosophie  und  Kulturgeschichte  erforscht.  In  letzterer 
Hinsicht  —  es  fehlt  an  größeren,  guten  (lesanitdarstellungen  —  seien  nur  beispiels- 
weise genannt:  Jakob  Burckhardt,  Die  Kultur  der  Renaissance  in  Itahen,  und  ia 
pluloao|ilii8oher  HJnaioht  das  güniende  und  tiefe  Werk  von  Bnoiken,  Die  Lebens- 
aasohauangen  der  groBen  Denker  (bis  zur  Gegenwart).    5.  Aufl.  1904. 

Auch  in  der  Geschichte  der  Pädagogik  sehe  ich  YOn  der  sahlreiohMlf  SUn 
Teil  sehr  guten  Speziall iteratur  ab  und  nenne  nur: 

K.  V.  Raumes,  Geschichte  der  Pädagogik  vom  Wideraufbliiheu  klassischer  Studien 
bis  auf  unsre  Zeit.  4  Bde.  5.  Aufl.  1877.  (Wenn  auch  teilweise  etwas  ver- 
altet, so  doch  für  die  groAen  Persönlichkeiten  [RousBean,  Pestalosii]  gut) 


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41G 


IfittttluDgeu 


Karl  Schmidt,  Oesohichte  der  Pädagogik  iu  weltgeschiohilioher  EotwuMmig  und  im 
oigiDiMhen  ZoBammeidiaiige  mit  dem  Eultulebeii  der  YfSkat.  4.  Aufl.  ediert 

von  Lange.   Bd.  III  und  IV.    1890  Ä 

S..  A.  BtiiHii),  Geschichte  der  Erziehung  vom  Anfang  bis  auf  unsere  Zeit.  1884  ff. 
Bd.  U,  2— V,  3.  (Sehr  eiogebend  uad  besonders  für  die  Üiganisatioa  des 
Schulwesens  gut.) 

Th.  ZnsuB,  Lehibooh  der  [nenexen]  FUagogit  Mit  beeonderer  BfleiMioht  auf  du 
hfihAi»  üntericii(Mroa<m.  Iii  Bmmeistaxs  Himdlmdh  deor  ErwithwiigiWire. 
2.  Aufl.  1903. 

H.  Schiller,  Lehrbuch  der  Qeschichte  der  Pädagogik.   (Für  Gomeoius  and  Fhilan* 

thropin  gut,  neuere  Zeit  zu  kurz.)   3.  Aufl.  1Ö94. 
Fb.  Paulsen,  Geschichte  des  gelehrtea  Unterrichts  auf  den  deutschen  Schulen  und 

ünivenitftten  vom  Anagang  dee  Ifittdatteis  bis  zur  O^genwatt  Mit  beeonderar 

Bäcksicht  auf  den  idasaisohen  üntraxioht  3  Bde.  2.  Aufl.  1896.  (Aoqgneioh- 

netes  Werk.) 

Ders.,  Die  deutschen  Universitäten  und  das  Universitätastudiom.   1902,  (Popolir 

geechriebea.) 

fimr,  Bncyklopädisohea  Handbuoh  der  Pädagogik.  2.  Aufl.  1902.  (Kat- 
h&lt  öber  eine  Reihe  von  PecBönHohkeiten  gute  Abhandlungen  und  ausffihifiohe 
litefatamngabe.)  Lngenaalaa.  Hwmatm  Bayer    Söhiw  (Beyer  k  Miim). 

2.  Pidftgogik  ond  DidakUk 

Prof.  Ut.  D.  Dr  W.  Rein 
lüiileltende  Betrachtungen 

1.  Die  Bedeutung  der  Erziehung  imd  dos  UaterrichtB  für  die  Kultur- 
Arbeit  des  Volkes. 

2.  Aüflian  der  Sohnl^OigaiÜBatioii. 

3.  Die  DidaktUE  ein  Teil  der  Fidagogik.  Ihre  SteUmig  im  Qyateai; 
ihr  YerhSltniB  siir  Hodegetik. 

I  Teil 

Grundlinien  sor  Ijohre  vom  Ziel  der  EndahiUip 

1.  Welches  Erziehungsziel  soll  maßgel)en(l  sein? 

a)  Die  Geschichte  der  Erziehung  zeigt  .sieiien  Hauptziele  auf. 

b)  Die  Analyse  des  Eiziehuugäbegriffs  gibt  keine  bestiuiiute  Antwort, 
o)  Das  Enidraogsael  wird  von  der  Btfaik  bestimmt 

d)  Weldie  Ethik  soll  fOr  den  Brneher  maBgebend  sein? 

2.  Formulierung  des  Erziehongs-Zielee:  BUdmig  dee  sitütohai  Chir 
rakters  auf  religiöser  Onuadlage. 

H.  Tdl 

Orrmdlinien  mar  Lehre  vom  TTnteniflbfc 

1.  Vom  Unterrichtsziel 

1.  Das  Unterrichtsziel  muß  abgeleitet  werden  aus  dem  Erziehungsziel. 

2.  Was  kann  der  Unterricht  zur  Erreichung  dieses  Zieles  beitrugen? 
Problem:  Die  Erziehung  zielt  auf  die  Bildung  des  sittlichen  WillenSi 

der  ÜDtenicht  auf  Überlieferung  dee  Wisaens. 
kaim  der  Unterricht  dnroh  ÜberUefaning  des  Wiaeens 
znr'Kultivierong  fißß  Willens  beitragen? 


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1.  FerieDkurse  in  Jeiu  August  1906 


417 


3.  Psychologischer  Exkurs:  Unter  welchen  Bedingungen  geBtaltet  sidl 
das  Wissen  zum  Wollen?  Der  Begriff  des  Interesses. 

4.  Formulierung  des  Unterrichts-Zieles:  Bildung  eines  immittelbareo, 
Tielseitigen  Latorcooco. 

2.  Lehre  von  den  Mitteln  des  «ziehenden  Unterrichts 
(Die  Theorie  des  TohrplMB  und  die  Theorie  des  Lehrreifabrans) 
XSnlätoDg:  Begriff  der  Methode.   IfsÜiode  und  FMnUohkeit  Go- 
Bchichtlidher  ROekblick. 

A.  Di«  Theorie  dee  LehrpUns 
£  Fbf»  Ar  ÄMtmM  der  Xhiimfwkl%iUfffk 

1.  Die  Nonnalitit  dee  Lehiplans. 

2.  Die  gruppenweise  Anordnung  der  Lehifleher. 

3.  Die  Auswahl  der  Bildungselcraente. 

a)  nach  dem  Formal -Prinzip  (Entwicklungs- Stufen  des  Kindflili 
Psychologie  des  Kindes:  Organisch-genetischer  Aufbau). 

b)  nach  dem  Material-Prinzip  (Historisch-genetischer  Aufbau,  Kui- 
tmgeeohiohte). 

4.  Beispiel  eines  Lehrplans  fdr  eine  aehtUasBige  Thilringiaohe  Y<d]w> 
söhnle.  (Entwurf  fOr  die  ubungB8(^ttle  des  FSdag.  ünivezsitttB-Seminais 
SU  Jena.) 

5.  Steilnng  zu  der  Auswahl  nach  »koiueiitrischen  Kreiaen«. 

XL  r<M»  «tor  Verhimiung  dn-  UMrfäeiur 

(Koniceutratiou) 

1.  Geschichtliche  Darstelliuig  der  Konzentrations- Versuche. 

2.  Die  Fortbildung  der  Ziüerschen  Konzentrations-Idee  mit  Beziehung 
auf  den  vorliegenden  Lehrplan -Ekitwurf .  (Konzentrations-Tabellen.) 

3.  IMerungen  and  Hindemisse  bei  der  Durehfllhning, 

B.  Die  Theorie  des  Lelirverf  ahrens 

1.  Die  psychologisohen  Grundlagen:  Appeneption  und  Abetaiktion. 

2.  Der  Begriff  der  metbodisdien  Binheit 

3.  Die  Ziel-Angabe. 

4.  Besprechung  der  einzelnen  Ünterrichts-Stufen :  VorbereitUDg,  Dar- 
bietung, Verknüpfung,  Zusammenfassung,  Anwendung. 

5.  Hinweis  auf  einzelne  Beispiele  (Fr&parations-Entwürfe). 

6.  Schlui^beti'achtung. 

Utsratar 

Zur  EOiflc: 

Kahlowbkt,  AJBig.  VMk.  8.  Anfl.  Leipiig,  1903.  Ö  IL 
Hütt,  Glück.   3  Bdo.  a  3  M.   Fraaenfold-Leipzig  1899. 
Bebt,  GznndriA  der  EthiL  2.  Aull  Osterwieok  1905. 

Zw  P^ydioiogie: 

Lanok,  Apperzeption.   7.  Aufl.   Leipzig  1902.   3  M. 
DöHi'FKLD,  Denken  und  Gedächtnis.    5.  Aufl.    Gütersloh.   3  M. 
Diioiii.scii,  Empir.  Psychol.   2.  Aufl.    Leipzig  1898.    6  M. 
ZuBSN,  FhysioL  Psychologie.   6.  Aufl.   Jona  1902.   5  M. 

SriMMil  Hv  FhOoMfU*  nA  FUitgogik.  12.  Mogaar.  27 


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418 


IfitteOungeo 


Pretkk,  Die  Seele  des  Kindes.    5.  Aufl.    Leipzig  1900.   8  M._ 
CoMPATBi-ÜFEB,  Die  EatwickluBg  der  Kiudesseele.   Alteaboiig  1900.   8  M. 
YouDtum,  HaDdbaoh  der  Psychologie.  2  Bde.  OStlien* 

Zur  Pädagogik  und  Didaktik: 

Ziller,  Allf^emeino  Püdiigogik.    3.  Aufl.    Leipzig  1892.    6  M. 
Dero.,  Grundleg\mg  zur  Lehre  vom  erz.  Unterricht   2.  AoiL   Leipzig  1874.   8  M. 
WnuuNN,  Didaktik  als  Bfldimgslelute.  3.  AjüL  Bmusohwe^  1903.  2  Bde.  14  IL 
DoBFRLD,  Oes.  Sohriftan.  Gflteidoii,  BwManami. 

"WiGCT,  Die  Fonnaistufen.   7.  Aufl.   Chur  1901.   2  M. 

Bein,  VicKzt,  Schkllf.r,  Tlieorie  and  Fnxis  des  VoUcseohulanteinolits.   1.  Band. 

7.  Aufl.    Leipzig  1903.   4  M. 
Bjos,  Enoyklopäd.  Handb.  der  Pädag.   2.  Aufl.   8  Bände.  Langanaalza,  Hermaan 

Beyer  9t  Söhne  (Beyer  k  Kann).  1901  ff.  120  X. 

Rew,  Pädagogik.   1.  Bd.   Ebenda.   1901.   10  M. 
Flügel-Rein,  Zeitschr.  für  Philos.  u.  Päd.    Ebenda.   6  M. 
Lay,  Experimentelle  Didaktik.    Wiesbaden  1903. 
LiY-M£UiiAN.N,  Die  experimentelle  Pädagogik.   Wiesbaden  1905. 

t.  SpMielto  BMakttk 

Vorlesungen,  Probelektionen,  Oebatte 

Seminar-(3berlehrer  Lehmensick- Fraukenberg  i.  Sa.  und  Landmann-Jena 

1.  Das  Problem  der  Aneignung  des  Lehrstoffes:  Er  soll  ein  Teil  der 
FersöDlichkeit  des  Schülers  werden.  Geschichtiicke  Stoffe.  Politische 
und  Knltnrgesobidite.  WlxtscbaflQgeaoliiohid  in  der  YoUnBohDleu  J3m 
FtoUem  der  Aneignung  von  YeiUnogenem  und  VeigaDgenem.  Gewinnung 
des  Neuen  durch  Entwicklung  des  konkreten  StoiEM  aas  dem  Gedanken- 
kreise des  ZGglings.  Wesen  und  Zweck  des  entwickelnd  -  darstellenden 
Unterrichtsverfahrens.  B«Mlin^ingen  und  FöideruDgen.  Schwierigkeiten 
und  Gefahren.    Geltungsgebiet  und  Vorteile. 

2.  Die  Dichtung  als  Bild  des  Lebens.  Ihre  realen  Werte.  Wirk- 
liche nnd  gedachte  Welt  Die  Dichtung  als  Spiegel  dos  Berxens.  Duo 
idealen  Werte.  Die  Literatnrknnde.  Das  Problem  des  Lehrplans.  Auf- 
gabe. Auswahl  Das  Problem  des  Lehrveifthiene.  Ausnutzung  der  an- 
schaulichen Knft  des  Dichtwerkes.  Weckung  seines  individuellen  Lebens. 
Anknüpfung  an  innerlich  und  äußerlich  Erlebtes.  Wege  zur  Verraittlnng 
des  Inhaltes.  Maß  der  Beachtung  der  innorn  und  äußern  Formen  der 
Dichtung.  Das  Dichtwerk  als  Bild  des  Dichterlebens  und  als  Spiegel  des 
Dichterherzens.  Dichterschicksal  und  Dichterpersönlichkeit  als  Spiegel  des 
ZeifgeiBtes. 

3.  IHe  swei  Hanirigedankengruppen:  Menschenleben  nnd  Natorleben. 

Die  Hauptformen  des  Unterrichts.  SiunenfälUge  Unterrichtsstoffe.  Heimat- 
ausflüge als  Unterrichtsgrundlage.  Die  Anschaimngsstnfe.  Eigentümliche 
Schwierigkeit  der  ErrcguDg  von  Interesse  und  der  Erzeugung  fnichtbarer 
Erkenntnisse  bei  Behandlung  konkreter  Objekte.  Welche  Veranstaltungen 
sind  zu  treffen,  damit  die  das  Neue  verdeutlichenden  Yorstellungen  mit 
einem  Schlage  ine  BewaAtsein  dee  ZOgUngs  kommen?  Die  Ziehngri». 


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1.  Ferienlniree  in  Jena  August  1905 


419 


Der  "wnagmAib  Untemoht  Seine  beiden  HatqDtloiteDngen:  Denken  nnd 
AnechaueD. 

4.  Anschauun^n  ohne  Begriffe  sind  blind.  Denkende  Naturbetrachtung. 
Die  Vertiefung  des  Anschauuugsbegriffes  durch  die  neuere  Psychologie. 
Vorbereitungen  der  Begriffsbildung  in  den  unteren  drei  Schuljahren. 
GeneÜBche  Stufenfolge  in  den  Begriffen  des  Zöglings:  Typen,  Individual- 
begnifo  nnd  YerdiohtongsBfttee,  allgeineine  Qeeetie.  Notwendigkeit  eineB 
TiBihrptanit  der  Begriffe.  Der  Weg,  «nf  dem  Begriffe  gebildet  irercIeD: 
Entwickeln  des  Abstrakten.  Bei^iele^  Vergleich,  Verknüpfung,  Heraus- 
stellung des  Allgemeinen.  Wie  wild  die  begriff! inhe  Arbeit  eingeleitet? 
Das  Abstraktionsziel. 

5.  Warum  ist  mit  der  Einprägung  des  anschaulichen  Stoffes  und  der 
begrifflichen  Ergebnisse  die  Unterrichtsarbeit  noch  nicht  abgeschlossen? 
Die  zwei  Haaptziele:  Wieeea  nnd  Können,  Umwandlung  des  Wiesens  in 
Können.  Hacqpt-Formen  der  Anwendnqg:  DnrahUnifen,  Übertragen,  pbanta- 
sierendes  Handeln,  Darstellen,  Selbstfinden  und  Produzieren.  Die  drei 
Hoaptstufen  des  Unterrichts:  Anschauung,  Begriff sbildung,  Anwendung. 

6.  Das  "Wesen  der  Kunst.  Psychologische  Grundlage  des  Kunst- 
genusses. Kunst  und  Volk.  Kunst  und  Jugend.  Künstlerische  Erziehung. 
Kunst  und  Schule.  Die  Kunst  der  Didaktik  und  die  Didaktik  der  Kuust 
BQdeofamnok  nnd  Bildbetmobtang.  Natmgennfi  nnd  KnnstgennA.  Eflnat- 
lerieobee  BmpfindeD  nnd  Eonslfertig^t  Ennstontenioht  nnd  UntamcbtB- 
stofen.  Der  beste  Dienst  der  Ennst. 


Übersicht 


Deonentsg 

fieitag 

Sonnabend 

Montag 

Mittwooh 

10^-11 

Vor. 
leeong: 

Bnt- 

wickelnd- 
darstellen- 
der  Ünter- 
rioht 

Debatte 

Probe- 
lektion: 

Dar- 
bietender 
Unttfriöht 

Gedicht- 
behand- 
luüg 

Vor- 
lesung: 

Theorie 

dorllaupt- 
formen  des 

Unter- 
richts und 
Lehre 
von  der 
Bildung 

der 
Begriffe 

Debatte 

Probe- 
lektion: 

Anwen- 
dongsstofe 

(Bild-Be- 
traohtimg) 

11—12 

Probe- 
lektion: 

Anschau- 
UDgsstufe 

(Ge- 
Boaiohte) 

Vor- 
leeoog: 

Problem 

der 
Literator- 
konde 

Debatte 

Probe- 
lektion : 

An- 
sohaonngs- 

und 
Begriffs- 
biUnogB- 

stofe 

(Natur- 
konde) 

Vor- 
lesong: 

Tlieorie 
der  An- 
wendung 

und 
Problem 
der  Kunst- 
erriehong 

Debatte 

27* 

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420 


liittaUiu^Mi 


Binse  lad  Unten  iohtsgebiete 

1.  Religion: 

TVymftw  m  Mtj— ^  PiiptntBonen  nm  RBÜginnBimterriohi  L  Unterstufe:  Jesus» 

geechichten  und  Leben  dnr  Erzväter.  1,20  M.  II.  Mittelstufe:  Moses  bis  Elias 
und  Prophetismus.  2,10  M.  III.  Oberstufe:  Leben  Jesu.  2^  M*  Apostel- 
geschichte.  2,50  M.    Dresden,  Bleyl  &  Kämmerer. 

Bevkaut  u.  ükyv.  Piäparationen  für  den  ey.  Eeligionsontemoht  Untexstale  III: 
JeBiii«esoliioliian  u.  BTsyMeigesehiehten.  2  M.  lOttelstide  DT:  UigescIiiclitM, 
Moses,  Josua.  3,20  M.  V:  Richter-  u.  Königsgeschichten.  3,60  M.  VI:  Leben 
Jesn.  4  M.  Oberstufe  YU:  Gesch.  Israels.  5  iL  YIU:  Oesofa.  Jeso.  4  IL 
IX:  Apostelgeschichte.    Leipzig,  Wunderlich. 

DrämcLO,  Enohiridion  der  bibl.  Oesohichte.  Zosammeniassende  Fragen.  Gütersloh, 
BsrtBlsmsiiB.  4011. 

IQsK,  ])er  fambete  ffinteigcnd  SB  100  KsiB^siai^  DiisiMi,  BIsaa*  Ki— wwg. 

2  K. 

JrsT,  Abschließender  K^echismus-Uni    Altenbnrg,  Pierer.  1:  0,90  M.  II:  1,35  M. 
MiLTZEB,  Verzeichnis  empfehlenswerter  Bücher  zum  ev.  Religionsunterrioht   1.  Heft 
der  Sohriften  der  Päd.  Gesellächaft   Dresden,  Bleyl  &  Kämmeier.   0,70  M. 

2.  Gesokiolite: 

Jmmma,  DtolMlie  OesohioUa.  FÜptntioDan  nad  Mirflcfe.  2  Bde.  Altabbm; 
FieMT. 

Wboam)  u.  Tecelenbobs,  DentBohe  Oesohiohte  ffic  Sohnie  uid  Asna.  Hsono««^ 

Prior.    1,20  M. 

liBTTAO,  Bilder  aus  dor  deutschen  Yürgaugenheit.   Iieipzig,  fiirzeL 
Dbtkb,  Deotoohe  Eottuigesoliiahte.  Lsogensslss,  Giesder. 
B3bB,  Wirtsdhsltqgeschichte  und  Wirtschaftalehze.  Gotha,  Thieneosan. 
Jukob,  Quellen  md  Hilfamittel  snr  duteehen  Oesoliiolite.  Beriin,  Yahlsn. 

3.  Singen: 

SzDEHLKB,  Das  Lied  als  GefälüsaaedmcL  Altenbiu|^  Fieier. 

4.  Zeichnen: 

InoBRiB,  Ober  kttasUsnisoha  Bnwilinng.  Langensalza,  Hermann  Beyer  k  Söhne 
(Beyer  4  Msan). 

Kunsterziehung.    Ergebnisse  und  Anregungen  des  ecstsn  KlwntBfiiflhBngllt^plll ' 

Bildende  Kunst.    Leipzig,  Voigtländer.    1  M. 
Götze,  Zur  Reform  des  Zeichen-Unterrichts.    Hamburg,  Boysen  &  Maasoh. 
SoEWARTz,  Neue  Bahnen  für  den  Kunst-Unterricht   Ebenda.    1,20  M. 

5.  Deutsch: 

EaauBumi,  Ym.  Msohsn  SpnduUnilatiiefat  Lsipsig»  EKnUitidi  %  IL 
LOmi,  Bettrilee  siir  Iheozie  n.  PtniB  des  Spuok-UnteRkdiiB.  Leonis,  Vonderiieh. 

Ders.,  Der  stilistische  Anschauungs-Unt  Ebenda.   I:  1,60  M.   II:  2,40  M. 
SoBiLLEs,  Der  Aufssts  in  der  Knttetagpitohe.  Berlin,  Beather  k  Bekshanlt  I:  1,50  IL 

ü:  1,80  M. 

ScHMncDEit,  Der  Anfsats  auf  psychologischer  Grundlage.  Leipzig,  lenbner.   1  M. 
LiT,  mUiTCi  dnreli  te  BeehisQlireilranteRiclii  'WissbsdSB,  Neniiidh.  4  IL 
FoLxz,  Anleitung  soi  Behsndtmig  dentooher  Gediofats.  6  Pfr'Affhr  Bnsdfls, 

Bleyl  &  Kämmerer. 
Aimats,  Dichter  und  Sohuimeister.  Leipsig,  Yoigtltader.  0^  M. 


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1.  lerieakune  in  Jena  Aogost  1906  421 

Konsterziehnng.   Ei^bnisse  und  Anregangen  des  zweiten  KnnataxiiehiuigBtilgeB: 

Deutsche  Sprache  und  Dichtung.   Ebenda.    1  H. 
Marbu»,  Verzeichnis  empfehlenswerter  Bücher  zum  dentsohen  Unterricht.   2.  Heft 

<l«r  SdhiifliM      HU.  eweÜBoiiBft  Dmdw,  Bleyl  k  KlmiBeror.  1  IL 

6.  Geographie: 

ItezscHE,  Handbuch  für  den  erdkondüfllieo  üntaiidbt  LmgeiiMlni  Hemaini 

Beyer  &  Söhne  (Beyer  &  Mann). 
fiiBMS,  Vaterländische  Erdkunde.  Hannover. 

IracBHiB,  Lehrproben  zur  Landeskunde  von  Europa.    Leipzig,  Tenbner. 
FMix,H6jiiMttiuidel,20]L  SMiisea  1,40 M.  DenlSGUapd  1.00 X.  liiNpal.MIL 
Himmels-  ond  IsaMmüM.  Die  anlemmplieoliflii  IMIiile  2  U.  Loipiig^ 

Wunderlich. 

Kebp.  MethodiHches  Hapdbach  einer  begründend -Tergleichenden  £nUronde.  4  Bde. 
Trier,  Lint. 

IbeuiBUKiitf,  PräparatioDeii  fSat  den  geogr.  Unterridii  Sadieeii  1,60  M.  Denlsdh- 
lMidI2  1L  ni3>]L  liirapa2^1L  AitorauoplMe  BidMle  2.80  M. 
Rlfeiitf  Anweisong  zum  Unterricht  in  der  Heimtllniiide.  gegeben  an  den  Beiapol 

von  TVkinhkim.    Berlin,  "Weidmann.    3  M. 
Xippi.no,  Das  Sy.stem  im  geogr.  Unterricht.    Berlin,  Genies  &  HödeL 
WaLTUEa,  Vorschale  der  Geologie.   Jena,  Fischer.   3  M. 

7.  Natmkiinde: 

SoBOOt  Lehrlmdh  der  Bolaiiik.  Stellgert,  Nigele.  4^  IL 
Ders.,  Lehrbuch  der  Zoologie.   Ebenda.    4,20  M. 

GonuD,  Präparationen  für  den  PJtyeik-UntBRioht  Dreedeii.  Bleyl  k  Kttmmerer. 

I:  3  M.    II:  4  M. 

SKTnai,  Der  gesamte  Lehrstoff  des  naturkundL  Unterr.  Leipzig,  Wunderlicli.  3  M. 
'WiLBBB.  Der  Untoniolit  in  der  NetafkiuidB.  Leipzig,  Halm.  3  Bindoheii. 
SiüBKB.  Biologie  der  Pflaiiieii.  Leipil^  Vimderiieh. 

Pabtheil  n.  Pbobst,  Natozkonde.   Leipzig,  Oerdes  &  HödeL  I:  1  M.  II:  1.20  M. 

Sktfert,  Arbeitsktinde.    Leipzig,  "Wunderlich.    3,f>0  M. 

LaY,  Mothodik  dos  naturkundlichen  Unterrichts.   Karlsruhe,  Nemnich.  2.60  IL 

8.  Geometrie: 

Uaxbk  und  Scdiii»,  Baomlehie  nach  Fcurmengemeinsohaften.  Deeeao. 
Bnm-Wnx,  Oeonetiie  der  TeUaBohiile.  Dreeden,  Blejl  &  XXmmeier.  L  Fonnen- 

kunde  0,80  M.   IL  Formenlehre  1,80  M. 
Zmao,  Präparationen  für  Fomienkunde.   Langensalza.  Hermann  Beyer  k  Söhne 

(Beyer  &  Mann).   1;  1,4Ü  M.   H:  2  M. 

9.  Kechuon: 

Inmi^  HethodiBolie  Lehrgänge  für  den  Beehennnteniohi 
Ders^  Anleitong  zur  BQdong  heimatlioher  Bechenaofgaben. 

HAHMamr.  Rechen-Untemicht  Hildbnrghausen. 

EmuKo ,  Die  natoigeniäfte  Methode  des  Beohen-Unteniohts.  Minden.  OUenbonq;. 

2  Teile  9  M. 

DaxicK,  Rechnen  im  ersten  Schuljahre.   Dresden,  Huhle. 

10.  Turnen: 

Iteiunne,  Handbuch  für  Tnnlehrer.  2  Teile.  Leipzig. 

KoBLRAüscn,  Bewegungsspiele.   Leipzig,  OSsohen.  0,80  H. 

11.  Praktische  Beschäftigungen: 

Bajoh  u.  NiXDKBLBr,  Des  deutschen  Knaben  Handwerksbuoh.  Bielefeld. 


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422 


IDttefliwgBn 


12.  Sohnlgarten: 
UnsBME,  Der  SohvJgazton  im  Difliute  dm  YoUnaohnla.  DeaM»  1800. 

B.  Das  Gesamtgobiet: 

Bbx,  Picekl,  Schellkr,  IIiMzie  null  Fnads  des  VoHwohnl  -Unteirichta.  8  Sdiiil- 

jähre.    Leipzig,  Bredt, 

C.  Zeitschriften: 

Praxis  der  Erziehuiigsschole.  Altenbaig. 
Lahiproben  vaaA  Lehr^ge.  Halle. 
Sehvlpraxis.  Leipzig. 
Fädaf^ogischo  Studien.  Dresden. 

Philosophie  und  Pädagogik.  Langennalta,  Hermaan  Beyer  &  Söhne  (Beyei  &  lUim). 
Deutsche  Blätter.  £beuda. 

D.  Bnoyklop&die: 
BandlHMli  der  FUagOKik.  Ebeoda. 

4.  FMagtgiMhe  MMtoig  and  Bebaidlojig  der  Hitbeagwebtobte 
Ttol  ht,  Thfftndorf-AnezbaolL 
L  Offflad«  und  Volgen  der  BnrflokMtaiiqv 

a)  0rflnde:  1.  ÜberschAtzung  des  pftdagogisohea  Wertes  fertiger  Be- 
keuDtiüsse.  2.  Falsche  Vorstellung  von  SchulMrchengeschichte.  3.  Uli- 
geschichtliche  Stellopg  zur  BibeL  4.  VeckaniuiDg  dea  QeisteBlflhenB  uuenr 

Gebildeten. 

b)  Folgen:  1.  Kein  im  eigenen  Geistesleben  wurzelnder  religKiser 
Gedankenkreis.  2.  Keine  Vorbereitung  fOr  den  Kampf  um  die  Welt- 
aiiBohanpng  und  den  Lebensinhalt  3.  Kein  Einleben  in  den  geeohiohtliofa 
gewoidenen  leligiOaen        der  Gegenwart 

n.  Bedeutting 

a)  Für  die  Gebildeten  im  allgemeinen:  1.  Beweis  des  Greistes 
und  der  Kraft.  2.  Fortsetzung  der  Offenbarung  Gottes.  3.  Scheidung  das 
Weeenfliohen  vom  Unweaentlicben.  4.  Ehitfaltang  des  Weeens  in  der  Be- 
wiltigimg  neuer  Aufgaben.  6.  Yecsnndnis  der  Gcgenirart  6.  Bewahiung 

TW  orOiodoxem  und  radikalem  Dogmatisniufl.   7.  ESngliedening  in  den 

Organismus  des  Geisteslebens  der  Gegenwart 

b)  Für  die  Lehrer  an  allen  Schulen:  1.  Rechte  Begeisterung 
für  die  eigene  Untorrichtsarbeit.  2.  Gerechte  Würdigung  der  verschiedenen 
Richtungen.  3.  Bc\N'ahrung  vor  Überächützung  der  Systeme.  4.  ErmOg- 
lichung  rechter  Konzentration. 

m.  Aui^be 

1.  Vorhält  nis  zum  allgemeinen  Ziele  der  Erziehung  und  zum  Haupt- 
ziele des  Religionsunterrichtes.  2.  Besondere  Aufgabe  des  Religionsunter- 
richtes in  den  Obcrklassen  höherer  Schulen,  den  Fortbildungsschulen  und 
sonstigen  kirchlichen  Veranstaltungen  zur  religiösen  WeitaveniehuDg  der 
Jugend.  3.  Nicht  erschöpfendes,  encyklopAdisdies  Wissen  über  InBere  Er- 
eignisse und  zufiOUge  Einzelheiten,  sondern  EinfQhrung  in  den  inneren 
Werdegang  und  damit  Weokung  des  Interssses  fOr  das  Gettaeioli  in 


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1.  Ferieukurse  iu  Jena  August  1905 


423 


seiner  geschichtlichen  Entwicklung  und  gegenwärtigen  BetAtigung.  Nicht 
ÜbersätüguDg,  Boodero  Aoi^gimg  zum  WeiterstrebeD. 

rv.  Behandlung 

a)  Kritik  des  frowohnlichen  Verfahrens:  Leitfaden,  Diktat, 
Vortrag,  Urteile  Btatt  Eiufühning  iu  das  Verständnis  der  Tatsachen. 

b)  Psychologisches  Verfahren:  Anleitung  zum  Versenken  in  den 
Geist  der  Vorzeit  an  der  Hand  einer  guten  Auswahl  charakteristischer 
QaeUeoflohnfleD.  Weekung  eigenen  Lebens  durah  VorfOhnmg  des  fremden. 

V.  Stofifauswahl 

a)  Allgemeine  Grundsätze:  Typische  Vertreter  der  Hauptwende- 
punkte  in  größeren  Abechnitten  der  Hauptschrifteo  mit  Ausscheidung  alles 
üpwoocntlicben.  Nioht  naoh  theolegiBchen  Oeeiobtsponkleo,  sondeni  mit 
Bilcksidit  auf  die  geistige  (Jesamtentwicklang. 

b)  Anwendung:  1.  Gymnaden  und  Seminaie.  2.  Beatoohulen. 
3.  Volks-  und  Fortbildongssohulen. 

TL  Miffpln 

Nidii  konzentrische  Kreise,  sondern  Fortschreiten  nach  Apperzeptions- 
stnfen.  Im  allgemeinen  historisch  genetischer  Gang,  mit  Profangeschichte 
und  Literaturkunde  verbunden.  Dogmengeschichtliches  höchstens  Kot  der 
letzten  Stufe  im  AnschluB  an  philosophische  Propädeutik. 

Vn.  Iiehrverfahren  und  Iiahrproben 

a)  Grundsätze:  Weder  Schablone,  noch  Willkür.  Anleitung  zur 
Selbsttätigkeit.  Herstellung  der  Verbindung  mit  dem  persönlichen  Werden. 
Bedeutung  des  Systems. 

b)  Lehrproben:  Katholische  Kirche  (Augustiu,  Fi-auziskus),  ßefor- 
mation  (Luther),  Anfkllnmg  (Lessing),  Romantik  (SöUeiermaioherX  Neoseit 
(Widiem,  sosiide  Gesetzgebung). 

IteSinwBr,  Allgemeine  Methodik  des  BeligionBimteniohts.  Uqgensslsa,  Heimann 

Beyer  &  Söhne  (BLver  &.  Mann),  1&03. 
Sohriftf  n  der  PädagogisQhen  Geseilaohaft  1.  Heft:  Zom  BeUgionsanteRioht  2.  AufL 

Dre.sdün  1905. 

BouBSKi,  Das  Weben  der  Ueligiou,  Uaigcstullt  au  ihrer  Geschichte.   Halle  1903- 

HuouflK,  Dis  Wesen  des  Ghristeatoms.  I^ipzig,  45—50.  Tanseod. 

Hamb  vok  SQHinna,  Die  heutige  Aufteong  und  Behandlung  der  KirohengeBobiohte. 

Tübingen  1902. 
"WETMiX,  Jesus  im  19.  Jahrhundert.    Tiihin^'on  1903. 
Hans  \os  Schubert,  Grundzügo  der  Kircboiigoschichte.   Tübingen  1902. 
Fb.  Naümamn,  Briefe  über  BeUgion.   Berliu-Schöneberg  1903. 
Jahilmdher  des  Yetefais  für  wissensohafüiche  Fldsgogik.  Bd.  20-30,  34  und  36. 

Dresden  1888-98,  1902  u.  1904. 
MlLTZF.R,  Die  Hehandlung  dos  Pieti'^mus,  Methodismus  und  Quäkertums  in  höheren 

Schulen.    Zeitschrift  für  den  ev.  Religionsunterricht.    Bd.  15.    S.  227  ff. 
THBÄNDOBf,  Die  soziale  Frage  in  Prima.   Dresden,  Bieyl  4  Kämmerer,  1905. 
Baas  und  JOms^  Xiiehengeschichlliches  Leeebnoh.  SobtUezansgabe.  Tübingen  1904. 


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424  Mitteflimgm 


LUF  und  HiTN,  Lesebuoh  £ar  lurchengeschichte.  1.  Bd.:  Bis  2ur  HefonnAOon. 
Leipzig  1904. 

ÜBBiMiNnr  IL  Mmam,  TRwhaiigBBflhiohtlichflB  LeMbaoh.  HL  Ibil:  Ncaiaii  Dmte 
1003. 

Ik  Mb  ni  ft^Uwe  4m  BflligiiMnteiitaUi  Im  ftflaiilik 

IS  Yortrige  mit  DidtiiaiioiMn  von  D.  Bnuncb 

1.  Altes  Testameot.  a)  Allgemeine  Schwierigkeitea  und  Fofdetaiigen. 
b)  Spezielle  Stoffe:  1.  Moa.  1 — 4,  Psalmen,  Propheten. 

2.  Neues  Testament,  a)  Behandiunp:  des  Lebens  Jesu.  Schwierig- 
keiten. Aufgabe.  Lösungsversuche,  b)  Behandlung  der  apoetoliscben  Zeit 
Briefe  und  Apostelgeschichte. 

8.  KatoohkorasiwobleDie.  a)  Ika  SohtüpenBiiBi  (im  YeriiUbiis 
EonfiiiDMidmiiiiteEnoht).   b)  Bdhandlanc^  eiueliier  KateoliiBaMMtolfeb 
4.  Udbode  und  Lehrplan. 

LüeratBT 

Sdiziften  der  Pldi^  QeseUsohaft  1.  Heft.  2.  Aufl.  Dreeden  1005. 


t.  Ukn  ff  ■  im  WUmg  4m  rfMHckw 

IMr.  Prof.  Dr.  K.  JiMt>Attaiibaig 

1.  Dm  Zid  der  Erddiiing 

Die  verschiedenen  Ziele  der  Erziehung,  die  das  Leben  stellt.  Welches 

Verhältnis  unter  ihnen  ist  herzustellen?  Der  sittliche  Charakter  als  hfichfll« 

Ziel  der  Erziehung.    Ist  seine  Bildung  möglich? 

YezgL  ILküXf  (jhrondlegimg  zur  Metaphysik  der  Sitten.  Fkim,  Ihe  fizsehoog 
doB  Willens. 

2.  Dm  Wesen  des  sittUdien  Chankien 

Worin  besteht  der  sittliche  Charakter? 

a)  Das  Bestimmbare:  Der  Wille  und  die  Vorstellung»-  und  Gemüta- 
zustäude,  aus  denen  er  hcrvorwlkli.st.    Wie  muß  er  beschaffen  sein? 

b)  Das  Bestimmende.  Was  soll  es  sein?  Die  praktischen  Ideen  für 
die  Eiczelpersou  und  die  QeselUchaft. 

Znsanmienfiusung  der  aitlJiofaen  Chaiakterttige  io  einer  IdealpeitiBQ- 
lichkeit  Kglnsong  der  SitÜichkeit  durch  die  Bdigioo. 

Yeim^.  Hmr^bt,  AUgememe  praklisdlie  Hiiloaophie.  HjJUUHiaut^  Die  Orand- 
begxiffe  der  ethischen  Wissenschaften.  Zihxr,  iiigemeine  philoeophische  EdiiL 
FAmanr,  System  der  Ethik.  Iats,  Die  ethisohen  Orondingon.   Hbbkaiik.  EttiL 

3.  Die  Stafen  der  sittHchen  Chanhtedifldnng 

a)  hinsichtlich  der  Bildung  dM  WUlena,    \      obiektiven  Charaktere, 

b)  hinsichtlich  des  Sittlichen  im  Chnmkter,  j 

c)  hinsichtlich  des  subjektiven  Cluirakters. 

Veigl.  ÜEitBAiiT.  Allgemeine  Padaijo'^ik.  IIkrbart,  Umriß  iiädagopischer  Ver- 
lesungen. Waitz,  Ailgemeiue  Pädagogik,  herausgegeben  von  W'ujjia>.n.  Ziu^iu, 
AUgemeine  FUsgogik.  Itttan.,  Das  Idi  nnd  die  sitHiohen  Ideen. 

4.  Mittelbare  und  unmittelbare  Charakterbildung.  E)as  Schulleben  im  allgemeinen 
Anteil  des  Unterrichts  an  der  Charakterbildung.    Vollendung  durch 
die  Zuoht  Oeetattnng  einM  reehten  SehnllebeDB. 


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1.  Feiienituxse  in  Jena  August  1905 


425 


Vergl.  ZiLi.F.R,  Gnuidlaf^en  zimi  erziehenden  ünterricht.  Ders.,  Die  Begienuig 
der  Kinder.    I-aiigcusaka,  Hermann  Beyer  &  Süline  (Boyer  k  Mann). 

5.  Besondere  Formen  des  Schullebens  als  Veranstaltungen  der  Charakterbildung 
T.  Gruppe.    Formen  des  Schullebens,  welche  als  Ei'gäazuug  des 
Unterrichts  die  Arbeit  als  Prinzip  haben: 

I.  Sobnhranderungen  und  Schulreisen.  2.  Tierpflege  nnd  TierschiitL 
3.  Sdholgarteo.   4.  Sdralwerkstatt  SohuUaboratariiim. 

II.  Gruppe.  Formen  des  Schullebens,  welche  als  Yeranstaltungeii 
der  Zucht  die  Erhohing  und  Erhebung  als  Prinzip  in  sich  tragen: 

1.  Das  Spiel.  2.  SchulaudAchten.  3.  Nationale  Sohulfeste.  4.  Schui- 
feete  individueller  Art. 

Vergl.  Beybr,  Die  Naturwissenschaften  in  der  Erzifhuugsschule.  Leipzig. 
Rur,  EncyUopädie  der  Pädagogik.  2.  Aufl.  Langenbaka,  Hermann  Beyer  k  Söhne 
(Beyer  k  Maim). 

7.  Sag  MaaDkelaer  SehiisytteB 
Stadtsehulnt  Dr.  A.  SkfciwgtivMMinhifai 
3  Yoxtiiee  Tom  ia->12.  Augnit;  Jikkmkia:  Sonnabend,  den  12.  Alraft 

L  Yorgesohiohte  der  Mannheimer  YolkBSchiilreform. 

Die  ifiohtigsteo  Daten  der  iuoeien  und  Sufieren  Entwicklung  der 
Mamiheimer  Yolksschule  in  der  zweiten  Hälfte  des  vorigeD  Jahrhundc  f  . 
Abgangsstatistik  der  Mannheimer  Volksschule  in  den  Jahren  1877 — 1897. 

Die  bisherige  Organisation  im  Lichte  der  amtlichen  Inspektionsberiehte. 
Vergleiche  mit  den  Verhältnissen  anderer  größerer  Volksschulen  (Exkurs 
über  Wesen  und  Bedeutung  der  üblichen  Volksschulsysteme).  Keform- 
TonchUge  des  SdniUeiters  vom  Jahre  1890. 

n.  Die  Mannheimer  Yolkseohnlreform  in  den  Jahren  1899 
bis  1905. 

1.  Behandlung  der  Reformvorschlage  des  Schulleiters  seitens  der 
lokalen  Schulbehurdo.  Schulreise  nach  Basel  und  Zürich.  Gutachten  über 
den  Wert  und  Fortbestand  der  Bürgerschule  im  Rahmen  der  Gesaintvnlks- 
schule.  Ein  pädagogisches  Gutachten  Herbarts  und  der  Mannheimer  Schul- 
erganisstionsplao.  läeillungnahme  der  Mannheimer  BeviOlkenmg,  der  Lehrer- 
Bcbaft,  der  Geeeltechaft  der  Irste,  der  etaatliohen  ObersditdbehOide  snr 
angeregten  Frage. 

2.  Modifizierte  Eeformvorschläge  des  Schulleiters  betreffend:  a)  Die 
ünterrichtsverhältnisse  der  Gesamtschule,  b)  Sondereinrichtungen:  Ililfs- 
klasseu,  Fürderklassen  (Wiederholungsklassen,  Abscbluttklassen),  französische 
Klassen,  Sprachheilkurse. 

3.  Durchführung  der  beechlossenea  Beformen  in  den  Jahien  1901 
hiB  1905. 

4.  Die  Mannheimer  Schuloiganisation  auf  dem  1.  Internationalen  Kon- 
greß für  Schulhygiene  in  Nürnberg  Ostern  1904.  Erörterungen  in  der 
II.  Kammer  der  badischen  Kindstniide  im  April  1904.  Aufnahme  der 
durch  die  Mannheimer  Volksschulreform  angeregten  Idee  der  Organisation 
großer  Volksschulkorper  nach  der  individuellen  Leistungsfähigkeit  der 
Kinder  bei  auswärtigen  Behörden,  LehrenereiniguDgen  und  in  der  Freese. 


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426 


Ibttoiliio^Ett 


IIL  Die  wichtigsten  gegen  das  Grundprinzip  des  Mano- 
heimer  Solmlsystems  erhobenen  Einwendungen  und  Bedenken 
nnd  deren  kritische  Würdigung. 

1.  Die  Oruppiening  der  Schüler  nach  der  individuelien  Leistnnge- 
fShigkeit  ist  zu  einseitig  auf  dem  IntellektualisiDus  aufgebaut 

2.  Sie  ist  mangels  exakter  Maßstäbe  nicht  durchführbar. 

3.  Sie  heftet  den  betroffenen  Schülern  und  Lehrern  einen  Makel  an 
und  führt  zu  Mißhelligkeiten  zwischen  Elternhaus  und  Schule. 

4.  Sie  beseitigt  die  wertivoUen  Wechselbeziehungen  zwischen  Beeser- 
begabten  und  IGnderbegabten. 

5.  Die  vom  BsUast  befreiten  Ncnnalkkssen  wecden  in  in  nadm 
Tempo  fortschreiten. 

6.  Die  neue  Klassenor^nisation  ist  wegen  der  verschieden  gesrt^en 
lokalen  und  gesetzlichen  Schulvcrhältnisse  nicht  überall  durchführbar. 

7.  Sie  verursacht  zu  hohe  Kosten. 

8.  Die  Vorteile  des  FSrderklassensystems  lassen  sich  besser  und 
aioherer  eneicfaen  dnrdh  mflglicfaste  Besdhiftnkung  des  üntenicfatastolfeB, 
Dorcdifmining  der  Elassen  nnd  Herabsetzung  der  Klasaenfrequens. 

9.  Durch  die  vorgeschlagene  Differenzierung  des  Unterriclitsbetriflbs 

wird  dem  Prinzip  der  allgemeinen  Volksschule  entgegengearbeitet. 

Zusammenfassende  "Würdigung  der  nicht  bloß  durch 
vertikale,  sondern  auch  durch  horizontale  Gliederung  größerer 
Volksschulkörper  bewirkten  Individualisierung  des  Massen- 
unterriohts 

1.  vom  pSdagogisdi-scfanlteehnischen  Standpunkte! 

2.  vom  hygienischen  Standpunkte, 

3.  vom  sozialen  Standpunkte, 

4.  vom  volkswirtschaftlichen  Standpunkte, 

5.  vom  politisch-nationalen  Staudpunkte. 

Litsrattir 

Dr.  A.  SicDNOXR,  Organisation  großer  VoU£S8chulköri)er  nach  der  nalftiSolm 
Leistungsfähigkeit  der  Kinder.    Mannheim,  J.  liensheimer,  1904. 

Ders.,  Der  Ilntenichtsbetrieb  in  großen  Yolkssoholkörpem  sei  nicht  schematisch- 
einheitlich,  sondern  differensiert-dnheitlioh.  Znsamnienfasseade  Dar- 
stellnng  der  Mannheimer  YolksBohnlreform.  Ebenda  1904. 

Ders.^  Mehr  Licht  und  Wärme  den  Sorgenkindern  unserer  VoikBeohnlel  Bin  Ver- 
mächtnis Heinrich  Pestalozzis.    Zürich.  0.  Füßli,  lOOfi. 

Dr.  med.  J.  Mosks,  Da.s  Sonderklassensystom  der  Maunlioimcr  VolLsschule.  Ein 
Beitrag  zur  Hygiene  des  Unterrichts.   Mannheim,  J.  Bensheimer,  1901. 

U.  Lins,  Wie  die  Usanheiner  Sehnloiganisation  auigcnommen  vmde.  JBa.  FBhier 
dnrdh  die  literatar  der  Uannheimer  Oigsnisatiensfrigs.  Bbends  1005. 

Die  wichtigsten  Einzelaufsätze  fiber  Hia  Uatmliaimai» Bnliiilftt|pti8^^ 
frage  sind  in  nachfolgenden  Fachzeitschriften  eiaohiensn: 

Badiscbe  Schulzeitung.    Bühl,  Konkordia,  1899  ff. 

Neue  Badische  Scbulzeitung.   Hannheim,  J.  Bensheimer,  1899  ff- 

AUf^meine  BeatBohe  Lehrexaeitnng.  Leipzig,  J.  KlinkhsnU«  1800  ff. 

Pidaeggiadhe  Zeitimg.  Bedin,  B.  Scheibe,  1809  ff. 


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].  Feiienkarae  in  Jena  August  1905 


427 


Deutsche  Schulo.    Leipzig,  J.  Kliukliardt,  1899  ff. 

Zeilsciirift  für  Scholgesundlieitüpflege.    Hamburg,  L.  Voß,  1897  ff. 

Fidagogisch-peyohologisoiie  Studien.  Leipzig,  E.  Wondetliidi*  1903  ff. 

8.  Im  PMagtgiei  siIimi 

ProfeSBOr  Dr.  Guex-LBUsanne 

1.  Les  «'coles  suisses  avant  la  Keforraation.  Ecoles  latiues.  Lea 
ccoles  aprOs  la  Keformation,  La  Reforme  dans  la  Suisse  allemande.  Zwingli. 
Les  premieres  ordoonanocs  scolaires.  La  K^forme  dans  la  Suisse  frau9aiäe: 
a  Geoeve,  a  Lausauue,  ä  Neuchätel. 

2.  Les  procanears  de  Bonaaemi:  X  P.  de  Cronsu,  J.  (}.  Salier. 
BonoooQii  et  r»Emile«.  Les  disoiiilee  de  Bonaseen  od  SoisBe,  ä  HaldeD- 
stein  et  k  MarschJioB.  A.  0.  ChavanneB  et  eon  EsBai  aar  Pöduoatioii 
intellectuelle. 

3.  Pestalozzi  et  sori  infliieace  8ur  le  developpement  de  IN'KJole  [»opulaire 
suisse.  Le  Kre  Girard  et  s  ni  Cours  6duoatif  de  laogue  maternelle. 
Fellenberg,  a  Berne,  Iseiiu,  u  Bäle. 

4.  L'teole  ndne  aons  la  B6pnUiqiie  helf^tique,  l'Aete  de  MfidiatioQ 
et  la  BeBtanimtiGiL  P.  A.  Stapler.  Progrte  de  Tteole  smsBe  an  XIX^. 
flidde.  Le  mouvement  liberal  L'6cole  de  1830  k  noe  jeuiB.  Le  num* 
TemeDt  froebelien  et  les  jardins  d'ea&nts. 

5.  L'6cole  suisse  eontemporaine.  Les  trois  ordres  de  l'enseignement. 
Les  Universites.  L'enscignemeüt  secondaire.  classique  et  röaL  Lea  aub- 
veuliouö  fedurales  ä  r6cole  piimaire.  GoDclusion. 

IlL  Psychologie  und  pädagonische  Pathologio 

1.  Pfeyehtlagle  des  Hades 
Dr.  Alfred  SpitaacivLeipsig 

I 

A.  EkriiHnde  allHMiie  OrMtami 

1.  Begriff  and  Aufgaben 

a)  Die  Psychologie  des  Kindes  als  Wissenschaft  von  dessen  geistiger 
BatwickluDg.  Handelt  es  sich  nur  um  die  Erforschung  des  kleinen  Kindes? 

b)  Das  Verhäitni.s  der  Psychologie  des  Kindes  zu  den  analytischen 
und  synthetischen  Autgaljen  der  allgemeinen  Psychologie. 

c)  Der  Anteil  der  Psychologie  des  Kindes  am  wissenschaftlichen  Anf- 
hm  der  Pädagogik. 

2.  Methode 

a)  Beobachtung  und  Experiment  der  PayoliegeDeee  als  wiaeensohaft- 
liohe  Forschung  und  als  praktische  Untersuchung. 

b)  Gibt  es  eine  aeibatftadige  pftdagogiache  Forschung  auf  psycho- 
genetischem  Gebiete? 

c)  Verschiedenheit  und  gegenseitige  Ergänzung  der  pädagogischen 
und  der  medisinisoben  Foreohungs-  und  üntenoohungsmethoden  auf  einem 
^emeinBamen  (binooiüaren)  Aibeitefald. 


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428 


Mitteilungen 


Lfteratnr 

Spitzxer,  Natur  und  Naturgemäßheit  boi  Eousslaü.    Leipzig  1892. 

TiKnuMAWK,  Beobacht.  über  die  EntwiokL  der  Seeleofähigkeiten  bei  Kindern.  Ausg. 

Um.  lÜMibiuig  1897. 
Fmaumo,  SduiftBii,  Gott  Aiugabe.  7.  Bd.  8.  90  ff. 

BiRBAST,  Berichte  an  Herrn  ton  Oman  nnd  Ümnß  pädag.  Vorlesungen.  Herbacts 

pädag.  Schriften.   Ausg.  von  WiujCAim.   1.  Bd.  8.  11       2.  Bd.  &  S68  £L 
Fröbel,  pädag.  Schriften.   Ausg.  v.  Seidel.    1  Bd.  S.  27  f. 
Dabwin,  Lebeusgeschichte  eines  Kindee,  in  der  Zeitschrift  Mind  1877. 
BmainniD,  Kind  und  Welt  Aiug.  t.  üfu.  BUMinsohiralg  1807. 
Pbetkr,  Die  Seele  des  Kindes.  5.  Aufl.  von  Eabl  L.  SobShb.  Leipng  1900. 
Strümpell,  Erziehnngsfragen.    Leipzig  1869. 

Ders.,  Die  Geisteskräfte  des  Menschen,  verglichen  mit  denen  der  11616.    Ein  Be- 

denicen  gegen  Dabwikb  Ansicht  über  denselben  Gegenstand.   Iieipzig  1878. 
Den..  PsychoL  Ttäagogk.  Leipzig  1880. 

Den.,  Psychologie  als  Lehre  m  der  Bntwiddniis  des  Seelenlebene  im  MenecinB. 

Leipzig  1884. 

Hall,  Kinderforschung:   Die  Grundlage  der  exakten  Pädagogik.    Übersetzt  von 

SmiPFL.  Interuationalo  Bibliothek  für  Pädagogik  und  deren  fiilfswiasensohaften. 

Bd.  IV.  S.  150  ff.  1902. 
AnsfGhitiohe  YerseichniBse  der  kinderpsychologisohen  Literfttur  & 

Beiks  Encyklopädie,  in  üfbrs  Xledemenn-Anegebe,  in  der  Zeitaohxifk  fax  pld. 

Psychologie  u.  Pathologie  von  Kemsies.    1.  Jahrg.    3.  Heft  ff.   Vei]^  iBner: 
Ament,  Fortschritte  der  Kinderseelenkunde  1S95  — 1903.    Leipzig  1904. 
Über  die  amerik.  und  englische  Forschung  vergL  Tragt,  Zeitschrift  »Die 

Snderfehlerc,  herausgeg.  von  Tbüfkb,  Ufer  u.  Koch.  2.  Jahig.   S.  33. 
Sininn.,  Zsitaofar.  1  pSd.  Feyoh.  o.  Feth.  1.  Jahxg.  a  Heft. 
Uao  Donald,  Ebenda.   2.  Jidiig.   2.  Heft 

Rftn,  »Aus  dem  päd.  Univ.-Serainar  zu  .Jena«.    VI.  Heft.    S.  138. 

B&AHN,  Fädag.-psychoL  Studien.  Beiblatt  2ar  deutschen  Scholpiaxis  in  Leipxi|(. 

n 

B.  Dar  Verluf  der  gelstr^eR  Entwieklueg  des  Kindel  uoh  Art,  ChriMligh  mi 
kausalen  ZosaMMihaH  der  EalmMüaageersoheiniageB 

1.  Die  Epoche  des  entstehenden  psyehiseiien  Mecfaanlmu 

Erstes  Kindheitsalter  (bis  zum  4.  Lebensjahre) 

a)  Der  angeborene  psychophysiologische  Reflexmechanismos  als  Aus- 
gangspunkt der  geistigen  Entwicklung  des  Kindes. 

b)  Der  auf  gesunder  Vegetation,  Sensation  und  Motation  beruhende 
AQftmi  einer  Vorstallimgs-,  Stimmungs-  nnd  StrebuDg8meoliaD&  im  Beraidh 

«)  der  Bewegungen, 
ß)  der  Sprache, 

y)  des  Selbstbewußtseins  des  Kindes. 

c)  Die  Geeetze,  welche  bei  diesen  Entwicklnngsvoig&ngen  wirksam  sind. 

Literatur 

Hart.hann,  Psychische  Alterstypoo,    Ru.vs  Encyklopädie.  IL  Aufl.  1.  Bd.  S.  50  iL 

Strümpell,  Psychol.  Pädagogik.    Anhang.   Leipzig  1880. 

IkACT,  Psychologie  der  Kindheit  Hennsgeg.  v.  Saum.  Leipzig  1890. 


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1.  FonenkuM  ia  Jona  August  1905 


42» 


CoKPATBi,  Bm  AktwioUmg  der  Tinilnwwnln  HMHUpgehen  von  Um.  Altnbug 

1900. 

Päjstbr,  Die  Seele  des  Kindes.    5.  Aufl.    Leipzig  1900. 
lüiDKXB,  Aus  dem  Natoigarten  der  luiidüräprache.   Leipzig  1898. 
AiiBir,  Die  Bntir.  m  Spiwliai  vdA  Denkaa  Iwim  Kiiid«,  Leipzig  18M. 

in 

2.  Die  Spoche  der  erwachenden  BUdoiigstrlebe.  Zweites  Kindheitsalter 

(5.-8.  Lebensjahr) 

a)  Du  auf  Grundlage  des  aoflgebildeten  Selbstbewofitsdna  des  Emdes 
fiidi  entwickelnde  BUdnngsbedflifnis  des  Kindes  im  Berskihe  seiner  Triebe 

und  Interessen. 

b)  Differenzierung  5  fundamentaler  BUdungstriebe. 

o)  Die  Orondtataachen  und  die  Grundgesetze  ihrar  Bildssmkait 

Utiratn- 

Fröbex,  Pädag,  Schriften.    Au.sgabe  von  Seidbt-.    Leipzig  1883. 
HiRBART,  Ailgem.  Pädag.  und  Umriß  pädag.  Vorlesongea. 
Stbümfxll,  E^ehungsfrageu.  Leipzig  1869. 

T.  Oousu,  BByvbol.  n.  FUig.  des  ffindenpieh.  Anqgibe  t.  Um.  Altenbug  1000. 
Sollt,  Untersuchungen  Über  die  Kindheit   2.  AnfL  Ldpsig  1904. 
Isvonrani,  KindenMwohnnngen.  Leipsig  1905. 

IV 

3.  Die  Epoche  der  Namdstaa«  der  MldiBgtfaMa.   Drittes  Eindheits- 

altev  (9.— 12.  Lebensjahr) 

a)  Die  Oberginge  vom  mechanischen  zum  normierten  Vorstellen  und 
Handeln  des  Kindes,  bezogen  auf  die  Zwecke  der  jSrziehung,  Das  Qe- 
jfühlsbewußtsein  als  Entwicklungspotenz. 

b)  Die  Differenzierung  der  Normierungsprozesse. 

c)  Die  Grundtateachen  und  die  Grundgesetze  ihrer  Biildaamkeit 

LItaratw 

aiBflni'UJ.,  Psych.  Hdi^pigflL  Leipzig  1880. 

Ders.,  I^yofaoL  als  Lahrs  ▼.  d.  Kbtw.  d.  Beeleiilebens  im  Manseheo.  Leipsig  1884, 

flcMMiDT,  Anflisn  und  Entwicklimg  des  menschlichen  Geisteslebens.  Zugleich  eine 
DarsteUnng  der  Psychologie  Strümpells  nach  ihrer  historischen  Stellung  und 
ihrem  wissenschaftlichen  und  pädagogisohaii  Werte.  Langensalza,  Hermana 
Beyer  k  Söhne  (Beyer  &  Mann),  1905. 

Jahn,  PsyohoL  als  Onmdlage  der  PUag.  IV.  Aufl.  Leipzig  1904. 

WusBt,  OrondiiJI  der  Fayolud.  V.  Anfl.  Leipsig  1903. 

V 

4  Die  Epoche  der  beginnenden  aonaiertea  SelbstbesUmmang.  Viertes 

Eind&eitsalter  (18.— 15.  Lebensjahr) 

a)  Die  Ausgestaltung  des  Weitt)ewu8t8eios  und  dessen  Verknüpfong 

mit  dem  Selbstbewußtsein  des  Kindes.  Zuiadmung,  MsximeiiWidung,  ob« 
jektive  und  subjektive  Charakterbildung. 

b)  Die  Znsammenwiikung  der  Normieningsproseaee  in  Form  tteier 


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430 


Ifitteüaugea 


c)  Die  harmonisch  normierte  freie  Selbstbestimmung  auf  allen  Ge- 
bieten der  Hildungstriebe.  Ihr  Einfluß  auf  die  Bildsamkeit  des  Xindes. 
Abschluß  des  KLadheitsalters,  Überg:aDg  zum  Jugendaltei. 

UteratHf 

Veij^.  die  Angaiben  tintor  IV.  Dtiu:  HkRRiBx,  Allgom.  Pädag.  und  ümxü  pädag. 

VodeBongeii. 
FlDoil,  Du  loh  vod  die  aittliöhen  Ideen. 

Yl 

C.  Dto  VirioMiiiiüiH  iir  Uiiinilmi 

1.  Klamifikutifm  d«  EindeniatiiraQ  nacb  den  Ketkmüai  der  nonialeD 

Bildsamkeit. 

2.  Doppelsinnigkeit  dos  pädagogischen  Fehlerbegriffs.  Ihre  Bedeutung 
für  die  Auf&88ung  des  P&dagt^giecti-Nonnaleii  und  des  Pfidagogisch-Patho- 
logischeu. 

Utoratar 

HbubSi  Briefe  Aber  die  Anwendung  der  FbydioL  ani  die  FUi^.  Angßh&  von 

WüMIANN.     S.  277  ff. 

Strümpell,  Die  Verschicdpnheit  der  Kindornaturon.    Leipzig  1894. 

HüTHKR,  Psycho].  Erziehungslehre.    Anhang:  Charakterologie.   Bedin  189& 

KicH.  Bäbwald,  Theorie  der  B^abung.   Leipzig  1896. 

QaßMPmj,  o.  SpRsiin,  Die  FIdag.  FMihoIogie.  3^  Aufl.  Leipzig  1899. 

Bassm,  Die  pideg,  Bedentong  der  Lelm  yw.  den  peyohopttbiadhen  ICndenrarllg- 

keiten.  Leim  1894. 
Ders.,  Die  psychogenen  Störungen  der  Sfhulkindor.   Leipzig  1899. 
Ders.,  Die  pädagogische  Pathologie  im  Somiaanmtorrichte.   Gotha  1902. 

D.  GeeoWoirtlioher  RMMIoli 

a)  auf  die  ältere  philosophisch-pädagogiBdie, 

b)  auf  die  biologisch-medizinische, 

c)  auf  die  neuere  exakt-pädagogische  Kinderforschuog. 
Das  Verbfiltnis  der  drei  Bichtangen. 

unranr 

Yei|^  die  Angaben  nnter  A. 

2.  Ober  die  Irsackea,  die  ErseheiniDgei  und  die  Weekselwirkiuig  vea  kirper- 
Uahcr  ud  (»yebepAtklMker  MiiderwerUgkeit  Mm  iiade 
6  Vertiige  mit  DemonstrationeD  Dr.  FieMfJeui 
LebenedgonHohaften  und  allgemeinfi  FaUiologie  d«8  ZeUorganiamas. 
Ernahnmgsfehler  imd  Vergiftong.    Btwliitia  (Schldel,  ZShne,  Sbolioee, 
Übeiemgbarkeitsnenrosen,  Einnässen  usw.).   Skrophulose  (adenoide  Vega* 
tltionen  usw.).    Chronische  und  akute  Infektionskrankheiten  (Tuberkulose, 
S3rphi]is,  Keuchhusten  usw.).   Endogene  und  exogene  IntoxilLatioD  (Base- 
dowsche Krankheit,  Alkohol). 

Mam,  VortBchzitte  der  Kindexaeeleiikiinde.  Leipiig,  igngaimmii 

Die  betr.  Artikel  in  XbOheb  n.  üm,  Zeitschrift  1  Einderfnaoliiing.  Langaasda» 

Hermann  Beyer  k  Söhne  (Beyer  &  Mann). 
In  EmsiuifN,  Zeitschrift  f.  Schulgesondheitspilege.  fiamboxs,  YoB. 


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1.  Ferieolnine  in  Jena  Angnat  1906 


431 


In  Retx,  Encyklopädisches  Handbuch  der  Pädagogik. 

Nkümaxn,  Über  die  funktionellen  Nervenkrankheiten  des  Eindesalteis.  DentBoha 

Klinik.   Bd.  YII.   Berlin  u.  Wien,  Urban  &  Schwarzenbeiig. 
HoEU,  ImbezUlitSt  Bd.  VL  Ebenda. 
ScooBR»  AUg.  DiagnoBlik  der  OeistaabiiiUietten.  Ebenda. 
Ckmbfy,  Über  Einderernälirung.    Bd.  VIL  B?bendnf 
Zappkkt,  Rachitis.    Bd.  VII.  Ebenda. 
HocHsiNotR,  Krämpfe  bei  Kindern.  Ebenda. 
Solimann,  ijkrophulose  u.  Tuberkulose  bei  Kindern.  Ebenda. 
ZoPFBCt,  Über  einige,  dem  Kintomlter  ejgenüunliohe  Erkmkangen  der  Naae  nnd 

des  Eachens.  Bd.  VIL  Ebenda. 
ftiMnmiiwe,  Über  Psychosen  im  Zittammenhaiig  mit  ak.  n.  ohion.  Lifektionflkrtnk- 

heiten.    Bd.  VT.  ElM-nda. 
Neisskr,  Die  Diagnose  der  Syphilis.    Bd.  VI.  Etieuda. 
FufKELSTELN,  Hereditäre  Syphilis.   Bd.  VII.  Ebenda. 
Iabbb,  Die  Teverbinq;  der  Syphilis.  Bd.  Z.  Ebenda. 
EoumBVBG,  Die  Basedowsche  Krankheit   Bd.  VI.  Ebenda. 
Jhyaa,  Über  den  Einflafi  des  Alkohols  anf  den  Oiganismua  des  Kindes.  Stattgart^ 

Enke. 

KiuKPULLs,  Über  die  Beeinflussung  einfacher  psjdh.  Vorgänge  darch  einige  Arznei- 
mittel. Jena,  0.  Fieoher. 
Smhh,  Alkoihol  nnd  geistige  Arbeit  Leipzig,  Henken. 

Hebt,  Über  den  EinfhB  des  Alkohols  auf  das  Nerven-  xl  Seelenleben.  Wiesbaden» 
Bergmann. 

3.  Des  Riades  Sprache  aod  Sprsehstörnngei 

6  Vorträge  von  Dr.  med.  Hermann  Outzmann,  Fn vatdozent  a.  d.  Universität 

Berlin 

1.  Das  Seelenleben  des  Neugeboreoen.  EntwicUnng,  Übung 
der  Sinne.  SpiaoheDtwiekliiog:  a)  Sohiden,  b)  Lallen,  c)  Nachahmen, 
d)  spontanes  Sprechen.    Die  Kindersprache. 

2.  Kurzer  Überblick  über  die  Anatomie  und  Physiologie 
der  Sprache  des  Kindes,  a)  Das  Atmungsorgan.  Physiologie  der 
Atmung.  Unterschiede  zwischen  der  autonomischen  Huiicatmung  und  der 
willkürlichen  Änderung  des  Atemt^us  beim  Sprechen.  Entwicklung 
dieser  Sprechatmung  beim  Kinde.  Änderung  der  Atmung  zur  Zeit  der 
gesdileobtliohen  Entwicklung  (Pubertät),  b)  Aufbau  des  Stimmoigans. 
Physiologie  der  Stimme.  Der  Stimmumfang  des  Kindes.  Die  Hfihe  der 
Sprechstimme.  Uotmaohiede  zwischen  Brust-  und  Fistelstimme.  Stimm- 
einsatz und  Stimmansatz.  Unterschiede  zwischen  der  Stimme  des  Kindes 
und  der  des  Erwachsenen.  Worin  besteht  der  Stimmwechsel?  c)  Das 
Artikulationsorgan,  sein  Bau,  seine  sjirachüchen  Funktionen.  Die  Yer- 
findemngen  des  Artikulationsorgans  während  des  kindlichen  Wiachstoiiui: 
MnDdhllhle,  Zunge,  Ztime  (Zalmwechsel),  Nasen-  und  BaeheiiliOhle,  Die 
BUdnog  der  Vokale  (Formanten  dee  IQndes)  und  Konsonanten. 

3.  Aufbau  der  Kindersprache.  Einzelheiten  der  Sprachentwick- 
lung. Bedeutung  der  Pubertät  für  die  Si)rache.  Kurzer  Abriß  der 
Psychologie  der  Sprache:  a)  Peripher-impressiTe  Bahnen:  Hören, 


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432 


Sehen,  lierühriuigs-  und  Beweg^ungsempfindungen  der  Sprachwerkzeuge, 
b)  Zentrale  Bahnen  und  Zentren:  sensorisches  und  motorisches  Zentrum, 
ZnsMuneiihaDg  dieser  Zeatren  mit  den  TeilToretelluDgen  der  B^riffe, 
AaeogSationflbahnen.  c)  Föripher-expreeeiTe  Bthnen,  ceDtrifugale  und  notri- 
petBle  Leitung  der  Iimeratioa  dieser  Babneo.  EDtwkliiiiig  der  «inaebfln 
Zentren  und  Bahnen  beim  Kinde. 

4.  Die  Hemmungen  der  Sprachentwicklnng.  Hemmung  in 
den  einzelnen  unter  3  genannten  Bahnen  und  Zentren.  Parallelismus 
zwischen  den  sprachlichen  Erscheinungen  des  Kindes  und  den  Sprach- 
fehlern der  Erwachsenen.  Die  Übergänge  zwischen  normalen  Erscheinungen 
der  SpiaofaeDtwioUiiiig  und  bleibenden  SpiadifdilOTn.  Exakte  Begrfindung 
der  prophylaktischen  Ifafinahmen :  Hygiene  der  Sprache  im  allgemeinen, 
Hygiene  der  Stimme  (StOnmgen  des  StimmwechaelB).  Erster  Lese-  nnd 
Oeeangsunterrichf . 

5.  Die  liäufigsten  Sprachstörungen  des  Kindesalters:  Die 
verschiedenen  Arten  der  Stummheit:  Hörstummheit,  Taubstummheit,  Sprach- 
verlust  (Aphasie)  des  £äudeti,  psychische  Taubheit.  Stammeln  und  Stottern, 
üntersoheidimg  dieser  Spiaohlebier.  Die  h&nfigsten  Arten  des  Stsrnmebs: 
Lispeln  (Sigmatismus),  E- Stammeln  (Faragammaoismns)  R- Stammeln 
(Pararhotaoismus).  Das  Stottern:  Entstehung,  YeiMtang,  Wesen,  Be- 
handlung. Der  Agrammatismus.  Die  SpcaohstfiraqgeD  eohwaohiBnniger  und 
idiotischer  Kinder. 

6.  Die  Aufgaben  der  Mutter  bei  der  sprachlichen  Erziehung  und 
Überwachung  ilures  iiindes.  Die  Aufgaben  der  Schule.  Die  Tätigkeit 
deg  Lebra»  nnd  des  SdfanlantaB:  Knise  für  spraoligebmohlidis  Xindw  in 
Dentoohland.  ISnriditnng,  Oberwaobmig  mid  Besnliate  der  Kmm  Die 
soziale  Bedeutung  der  SpraohstiSrangen:  Emflnfi  auf  die  BembwaU,  Ab- 
leiBtung  der  Dieantpfliobt, 

Zor  Yorbareitong  anf  die  Voriesangeii,  aowie  snm  Naohlflomi  wid  aar  Yer- 

vollstäudigung  des  Gehörten  verweise  ich  auf: 

n.  GüTZMAiw,  Des  Kindes  Sprache  und  Sprachfehler.    Leipzig  IS94. 

Ders.,  Vorioöungen  über  die  Störungen  der  Sprache.  Für  Ärzte  und  Lehrer.  Verlag 

voa  FiscHEBS  med.  Bachhaudluog  H.  Kornfeld.  Berlin  1893.  (Hierin  findet  sich 

ein  aehr  aaafBhiÜobn  litexatmrrerzeiohnia.) 
DeiB.,  Die  praktisdie  Anwendung  der  SpnobphysMogie  beim  enten  Jjmnntmktt 

Sammlung  ScmmcR-ZmHEy  I,  2.   Berlin,  Reuther  &  Reidiard,  1857. 
I>en^  Die  aosiale  fiedeotimg  der  Spnwhatttnugen.  Jana,  Onstanr  FiaoiMr,  1904. 

IV.  Kim»  am  dMi  Mist  dar  FnuianMIdt 

1  VaBaalMa 

(mit  besonderem  Being  anf  Franenbildnng  nnd  Frauenarbeit) 

18  Terieaaiigeii  tod  "Pnt  Dr.  theo!,  et  pbiL  Zfflifliar-Beiün-ZaUeBdorf 

Einleitung:  Yolkspflege  als  Yolkserziehung  und  Wohlfahrtspflege. 
Ihre  Bedeatnng  fOr  die  Franenfrage  nnd  die  der  Franenfrage  für  sfeai 


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1.  Ferieakone  in  Jeua  Augoät  1905 


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1.  Die  Organisation  der  Yolkspfleijo. 

A.  1.  Ihre  Träger,  a)  MittelUir.  Die  Kulturgemeioschaften:  Familie 
(soziale  Aufgabe  der  Frau),  Gemeiiido  (Sozialpolitik  der  Gemeiude),  Staat 
(Heimat  und  VoUffitam  als  Natuignindlage  Volkspflcge;  der  Heom- 
dienst  als  MiUelt  die  konstitatioiielle  Staatseinnohtiing  als  Antrieb,  das 
Wohl  des  eigenen  Volkes  als  Ziel  der  staatlichen  Volkspflege;  öffentlicher 
Dienst  der  Frau  in  der  Wohlfahrtspflege?  Die  Stellung  des  Staats  zur 
Frauenemanzipation),  Kirche  (Aufgabe  der  Kirche;  Kirche  und  Fniuenfrage). 
—  b)  Unraittelliar:  1.  Der  Beruf.  Beruf  und  Geschäft;  pci-süidiohe  und 
allgemeioe  Bedeutung  des  Berufs.  Was  sind  Frauenberufe?  2.  Zweck- 
gemeinsobafteD,  untenchieden  nadi  Zweck  (ErweibB-,  gemeinnfitziger  und 
WohitBtigkeitszweck),  Yerwaltang  (hensohaftliclie  und  genoflsensohirfUiche), 
Wirksamkeit  (FQraoige  oder  Selbsthilfe),  Subjekt  (Barsonen,  Yerbinde, 
Kapitale). 

2.  Ihre  Mittel:  Amtliche  und  freie.  Anstalten  und  Einrichtungen,  Ge- 
setze und  Belülirungj  gegeuseitiger  Ausgleich  der  auieinauder  augewiesenen 
Bedürfuiöse. 

B.  Soziale  Fiaueabildung  im  ganzen  (sosiale  Fraueoschulen  und 
soziales  Element  in  der  allgemeinen  IWiuenbildung).   Allgemeine  soziale 

Ftanenorganisationen. 

II.  Volksgesundheitspflege. 

A.  Die  AufgaWn  der  Volksge>undheitspflege. 

I.  Erhaltung  der  Gesundheit:  Volkshygiene.  Hygienische  Ge- 
wöhnung und  Erziehuug.  Gesuudheits-Gesetzgebiuig  und -Polizei.  Hygienische 
Maßnahmen  der  Städte.  Sdmlhygiene.  Oewerbehygiene.  Verdne  für 
öffentliche  Gesundheitspflege. 

Maßnalimen ,  je  nachdem  die  Oesundheitsstörungen  hervorgerufen 
woden  durch: 

a")  Tbertragung:  1.  Entaitung  durch  Vererbung.  Entartung  als  Vr- 
saobe  wirtschaftlichen  und  ^ittlicile^  Niedergangs.  Krankheit  oder  Sünde V 
Die  hygienische  Bedeutung  der  Eliegesetzgebuug.  Wohlfahrtspflege  und 
Yeibenerung  d«r  Rasse.  2.  Ansteckung:  Der  Kampf  gegen  die  Ver- 
breitung der  Volksseucben  durch  Isolierung.  Tnberknloeenheime ;  Regle- 
mentierung der  Prostitution.  Deutsche  Gesdlsohaft  zur  Bekftmpfmig  der 
Geschlechtskrankheiten.  Desinfektionsanstalten. 

b)  Gefahren:  Goburts-  und  Wuchenbetthygiene. 

c)  Lebensweise:  1.  Wohnung:  Wohnungspflogo  durch  Gesetz,  Ge- 
meiniki,  i'rivatliirsorge.  Selbsthilfe.  Wohuuugsiuspektiou.  2.  Ernährung: 
Einderernährung  und  Säuglingssterblichkeit;  Cnterernfihrung  und  Trunk- 
sucht Volksküchen  und  SpeisehSuser.  Schulspeisungen.  Speisentraosport 
Kochkiste.  3.  Hautpflege:  Volks-  und  Schulbftder.  4.  Arbeit  und  Er- 
holung: Arbeits-  und  Ziellosigkeit  als  Ursache  von  Krankheiten.  Der 
Militärdienst  und  ein  Freiwilligenjahr  für  Frauen  in  ihrer  hygienischen 
Bwleutung.  Nnrnialarbeitstag.  Beschäftigung  und  Unterhaltung.  Volks- 
und .Jugendspi**le,  Sport.  Garten-  und  Blumenpflego.  Schrebergärten. 
Volksparks.  Schülerwanderuugeu  uud  üeidefahrten.  Walderholuugsstätteu. 
rerieDkolonien.   Stadtkolonien.  ErholungshAuser. 

ZaltMhiUt  fir  FbHoNpU»  and  ndigaglk.  13.  Jahiguf .  28 


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434 


MitteiluDgen 


2.  Wiederhersteliuag  der  Oeeandheit:  Kiaakenpilege  uod  Samahter- 
dienst. 

a)  Ki-aiikenpüege:  Krankenhäuser.  Volks-  und  Kindel heilstätteii. 
N€irfeii-  imd  TrioketheOslittien.  Ineohdlanstalten.  —  Hauskiaiikenpflege. 
BispensaireB.  —  Oememdekiaiikenpflege.  —  FQnoüge  für  Geoesende. 

b)  SamariteidieDSt:  UnfiJi  -  BBttnogsdienst   Rettnog  SdnfftnUoluger. 

Kri^krankenpflege. 

c)  Ergauzende  Ffliaoige  bei  Knuikkeit  und  Unfall:  Kiankenkflcheo. 

Sanitätskästen. 

3.  Hilfe  für  Gebrechen.  Bedeutung  und  Gionzo  dieser  Ililfe. 
Bildung  und  Pflege  Bresthafter  (Gebrechliche,  Sieche,  Krüppel),  Viersinniger 
(Taubstummer,  Blinder)  und  geistig  Defekter  (Idioten,  Geiste^nrnker,  Epi- 
leptischer). 

B.  Die  VolkBgeBiuidlieitspflege  und  die  Fnni. 

1.  Die  IVaneobenife  im  Lidite  der  Hygiena  Qenchtspankte;  An- 
wendung. 

2.  Frauentätigkeit  in  der  Gesundheitspflege.  Die  stillende  Mutter 
und  die  Amtne.  Die  Wohnim^spflegeriii.  Gesundheitspflegoriu,  Fleisch- 
beschauerin, Zalintechnikerin ,  Kloinkinderpflegerin ,  Turnlehrerin,  Taub- 
stummen- und  Bliudenlehi-eriu,  Hebamme  und  Wochenpflegerin,  Ärztin, 
Enmkenpflegerin,  Erankenbesudberin,  Eriegskranken-Helfeiin  und  -Pflegerin, 
Samariterin,  Heilgehilfinf  Heilgymnastin,  Masseaae,  ApotMerin. 

3.  Organisationen  für  Krankenpflege- Ausbildung  und  -Dienst:  Mattei^ 
häuser,  Berufsgenosaenschaften,  ErankenliAiiser  mit  eigenen  Pflegerinnen- 
Bchulen. 

III.  Volksbildung. 

A.  Die  Bildungsmittel: 

1.  Schulen:  a)  Der  Kindertrarton ,  sein  Verhältnis  zu  Kindei-stube 
und  Sehlde,  zu  Bewahranstalt  und  Kleinkinderschiüe.  b)  Die  Volksschule, 
c)  Die  höheren  Schulen:  Mittelschulen,  Gymnasien,  Realschulen,  Real- 
gymnasien, ?ortbildung88ohalen.  d)  Die  Fachsohnlen,  UnivenitStieD  and 
Institnte^  Oewerbesohnteo,  Tedmiken,  Technische  Hodisohnlen.  e)  Hilf»- 
Bchulen  für  Schwachsinnige,  BIMenanstalten,  Hagged  Sobods.  —  Ziir 
Schulorganisation:  Neue  Erziehungsziele  (Einheitsschule,  gemeinsame  Schul- 
erziehung beider  Geschlechter.  s«jziale  und  stiuilsbürgerliche  Erziehung). 

2.  Die  Weiterbildung  Erv,achsener :  Volksliochschulwesen.  Ferien- 
kurse.   Wissenschaftliche  Vorträge.    Bildungs vereine. 

3.  Volksbibliotheken,  Lesehallen,  SchriflenTertreibnng,  Die  Tsgea- 
leitong.  Kdeen  als  Bildungsmittel. 

fi.  1.  lYanenbildnng.  Das  Hflddiensohnlwesen  und  seine  Befonn. 
Höhere  Mädchenschulen.  Fortbildnngs-  und  Fachschulen  für  MAdcl^n. 
Gymnasial-   und  Realschulbildung   und   UniveiBitfltSBtiidiam    der  Vom. 

"Wissenschaftliche  Vm-lcsunt^en  fflr  Damen. 

2.  Frauen Inji-ufc  in  der  VolksbiMnng  nebst  Vorbildung  dafür:  Kinder- 
gärtnerin und  Kinderpflegerin;  Erzieheriu  und  Lehrerin;  Fachlehrerinnen; 
die  Bibliothekarin. 


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1.  Ferienkaree  in  Jena  August  1905 


436 


IV.  Volkskii nstpflege. 

A.  Grundsatzliches:  Spiel  und  Kunst;  Kunst  und  Natur;  Kunst- 
empfinden, Kunstmittel  und  Kunstwerk;  Kunsttätigkoit  und  Kunstgenuß; 
Kunst  und  Handwerk;  Kunst  und  Dilettantismus;  Kunst  uud  Beha^n,  Go- 
seUigkeit,  ]n:otseiitiim.  ünmittelbare  und  mittolbaiie  Kfinsta  KudbI- 
MtCfQhrangiQn  und  KuDstsammluDgen. 

Die  Kunst  im  Hause.  Eunstbildung  und  EiuistAbiiDg  durch  die 
Schule.  I^unlsf'hafts-  und  Gartenpflege.  Verschonerungsvcreine.  Denk- 
mäler. Volksunterhaltuugsabende  mit  künstlerischen  Darbietungen,  Volks- 
konzerte und  Volkstheater.  Yolkfimuseen  und  Museumsfühiungeu.  Die 
Kirche  und  die  Kunst. 

B.  KflngtlflriiKthe  VmamhmdB:  SchaoBpieleriu,  Openis&Dgeriu,  Tans- 
kUDBÜeriii  (Bfibnenschnlen).  SBngerin  und  Instnunentalkfinstlerin,  Musik- 
lebrerin,  BiMhauerin,  Musterzeiohnerin  und  Photograpbin  (Kunstachulen 
und  Kunstgewerbescbulen).    Zeichen-  und  Kunslgewerbelehierin. 

V.  Wirtschaftliehe  Volkspflege. 

Zentrale  Organisationen  dafür.  Arbeit  und  Kapital  als  Quellen  des 
Wohlstandes;  ihr  Verhältnis  zueinander. 

A.  1.  Bewahrung  vor  Not  durch  -wirtacfaaftliohe  Votsorge. 

a)  Die  Sicherung  der  Arbeit:  1.  Schutz  vor  Aiibeitsunfthigkeit: 
Forderung  der  Erwerbstfttigkeit  durch  höhere  Bildung.  Arbeiterversiche- 
mng.  Arbeiterschutz.  2.  Schutz  vor  Arbeitslosigkeit:  Auskunftsstellen 
und  Arbeitsnachweis.  Arbeitsbeschaffung.  Notstandsarbeiten.  Ateliers 
nationaux.  Auswandenmg.  Äußere  und  innere  Kolonisation.  Arheits- 
losenfürsorge  und  -Versichei-ung.  Beschaffung  von  Hilfskräften.  Uaus- 
pflege.  3.  Steigerung  der  Arbeitsleistung:  Wettarbeit  um  Prämien  und 
in  Akkord;  Yerbesserung  der  Arbeitsmittel  und  -Methoden,  Herandehung 
der  Arbeiter  dazu.  Entlastung  von  hftuslichen  Pflichten  durch  Krippen, 
Bewahranstallen,  Kinderhorte.  Ferienhcwte;  Unterkunftsräume  an  der  Arbeits- 
stfitte.  1.  SiflKTung  des  Arbeitslohnes  und  des  Arbeitsverhältnisses:  Ge- 
winnbeteiligung. Tarif  gemeinschaften.  Arbeitsordnungen.  Arbeiterorgani- 
sationen und  -  Vertretungen,  ßeciitsschutzstellen.  Volksbüros  und  Arbeiter- 
Sekretariate.    Gewerbegerichte,  Einigungsämter. 

b)  Die  Sicherung  des  Vermögens:  1.  Lebens-  und  Todesfall-  und 
Kapital -Veraichenmg.  Volksversicherung.  Spsrwesen;  Scherls  FrRmien- 
Sparsystem.  Darlehnskassen  und  Yolksbs&ken.  Hilfskassen  für  ver- 
schiedene Zwecke.  Loilihäuser.  Kampf  gegon  den  Wucher.  2.  Ver- 
billigung  der  LebenslM-dru Inisse:  aj  Die  Wohnungsgenossenschaft,  b)  Ali- 
gemeines über  Wohnuugspflege.  Wohnungsgesetzgebtmg ,  Erbbaurecht, 
Bodenreform.  Wohnungsfürsorge  durch  Arbeitgeber,  durch  Selbsthilfe, 
durch  gemeinnatzige  Vereine,  durch  die  Frivitindustrie.  Herbergen  und 
Hospixs,  Gewerksohaftshinser.  Pendonate.  Heime  fOr  Alleinstehende: 
Schjafgängerwesen.  Ledigenheime  für  Männer,  Frauen,  Lehrlinge  und  Qe- 
sellen,  Mägde.  H'^imaten  für  Stoll'-iisMchende.  Altenheirae.  c)  Nahrung 
und  Gebraiichsgegenstäude:  Volksküchen.  Konsumvereine  und  sonstige 
<  "renossenseliafteii.  Brockensanindungon.  Einkaufserleichtenmgen.  d)  Ver- 
wertung der  Arbeit  durdi  Genossenschaften  und  gemeinnützige  Vereine. 

28* 


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AnfBfttM 


2.  Hilfe  in  der  Not  durch  Armenpflege. 

a)  Orc:anisationen  der  Armenpflege:  öffentliche  und  private,  pcrfiön- 
lichc  und  amtliche,  freie  und  g-enossenscliaftliche,  bfirgerliche  und  kirch- 
liche Armenpflege.  ZeutTdlorganisationen. 

b)  Formen  der  Armenpflege:  Offene:  Oemeindearmenpfl^ ;  Elber- 
felder System.  GeBcfaksseoe:  ArmeD-  und  AibdtBhftnBer.  Arbetterkolo- 
meuL   Asylo  für  ObdaoUose^  Wltomestiibeii,  Aimenspeianng. 

B.  Wirtschaftliche  Frauentätigkeit: 

1.  Die  privat-  und  Volkswirtschaft] iclio  Hcdcutimf^  der  Hausfrauenarbeit. 

2.  Die  Ausbildung  zur  Hausfrau:  Der  wirtscliaftlicho  rntorricht  in 
Haus,  Kindergarten  und  Schule.  Hau.slialtungsschulen.  Wirtschaftliche 
Frauenschulen.  Zimmersche  T6chterheime  und  Mädchenheime.  Wander- 
kochkorse.  HMidarbeitBnntewidit 

8.  Die  fibUobfirao  selbsttodigeii  wirtsohafQiohfln  FnmenbenifB  unter 
Abgabe  ihrer  Vorbildung:,  und  ihres  wirtschaftlichen  Wertes  (Arbeits- 
verhältnis, -ertrag,  Überfüllung)  in  hauswirtscliaftlichen  Diensten,  in  r.,and- 
wirtschaft  und  Gartenbau,  in  der  Industrie,  im  Handel,  im  Verkehrswesen, 
in  der  Verwaltung. 

4.  Frauenberufe  in  der  wirtschaftlichen  Volkspflege:  Haudai'beita-, 
IndnstDe-^  Zeidhen-,  Hanshalt-,  GartenbauleliieiiiL  Annenpflegeiin. 

VL  Sittliche  und  religiöse  Yolkspflega 

Verhältnis  von  SitÜichkeit  und  IMmmigkeit  Sittlichkeit  und  Aifaeit 
und  Gemeinschaft. 

A.   1.  Die  Familie,  iln-  Ersatz  und  ihre  Ergänzung. 

a)  Die  Familie,  der  Mutterschoü  der  Sittlichkeit  Ihre  Gefährdung 
und  ihre  Jilriialtuug. 

b)  Ersats  der  Familie:  FindelhftDser.  Sftuglingsheime.  Hsltekinder- 
-weseo.   Waisenpflfige,  offene  und  geeohloesene.  KinderBchtttz. 

c)  Ergänzung  der  Familie:  VersoigimgsbiDser.  Qeneralvormundschalt, 
Jugendschutz.  Lehrlingswesen.  FQrsorge  für  die  weibliche  Jugend;  Für- 
sorge- und  Zwanirserzielumg.  Rettungshäuser.  Erziehungsvereine.  —  Für- 
sorge für  Erw.K  hsi  no:  für  Ledige,  für  Gefallene,  für  entlassene  Gefangene. 
—  Gemeiusciiaftspfiege ;  Brüder-  und  Sachwestemschaften  als  Eraiehungs- 
und  Gednnungsgemeinaidiaften:  (Studmtenverbindungen.  Frefantnverlogen. 
Der  Heimgarten).  SchwestemsehafHiohe  BemfiBgftmflinBnhaften  (Oiden, 
Mutterhäuser,  Ev.  DiakonieTerttn  und  Fraoendienstgenoaeensdiaft).  Ober- 
wiegend gesellige  Vereinigungen  (Jünglings-  u.  Jungfranenyereine,  Lehr- 
lings- u.  Gesellenvereine,  Arbeiter-  u.  Arbeiterinnenvereine,  Fabrikvereine). 
Familienabende.  Volksfeste.  Jugend-  und  Frauenklubs.  Gemeindehäuser. 
Volksheime  und  Vereinshäuser. 

2.  Kampf  gegen  Volkslaster. 

a)  Gegen  Trunksocht:  Entbaltsamkeitsbevegang.  Trinkerheilgtälten 
Das  Uaue  Kreuz.   Der  GuttempleEOiden.   MMigknitsbeiregang.  Beform- 

gasttiäuser,  Volkskaffeehallcn. 

b)  Gegeu  ün/.ucht:  Sittlichkeitsvereine.  Weißes  Kreuz,  Bund  Ethos, 
Föderation  abolitionniste.    Internationale  Bekämpfung  des  Mädchenhandels. 

3.  Die  religiöse  Volkspflege. 


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1.  Ferienkurse  in  Jena  August  190,')  4M7 


a)  Die  Kirche  als  religiOee  Gemeiiuohalt  und  als  YoDneczieliiinge- 
anstalt 

b)  Die  Pflege  der  religi(5sen  Gemeiuscliaft  durch  gemeinsame  Be- 
tätigung des  Glaubens  im  Kultus  (auch  im  Kindergottosdienst)  und  der 
Liebe  im  bürgerlichen  Ijeben.  Religiöse  LebensgeuK  iiischaften  (Klöster, 
Gtenosseuscliafteu).    Gomeiuschaftäbewcgung.  Heilsarmee. 

c)  Die  Mission  an  anderen  BeHgions-  und  EonfeesionsangehOrigen; 
die  Evangetieation  (direkte  innere  Hission)  aa  den  nnlebendigen  oder  leinen 
Qemeindegliedem  (StadtmiBsicm,  Mission  an  EellDem,  Soldaten,  Wandernden, 
Schü&hrendon,  Auswanderern,  Reisondon).  SchrippenkiiQfae.  Veraamm* 
lungen.    Bibel-,  Predigt-  und  Scliriftenverbreitung. 

d)  R«  ligiüsc  Beeinflussung  des  Yolkslebeus:  Kleiukinderschulen.  Er- 
haltung der  christlichen  Volksschule.  Konfirmandenaostalten ;  kirchlich  ge- 
leitete höhere  Sohnlen  und  Alamnate.  ESnfliift  auf  Presse  und  Qeeete- 
gebnng. 

e)  Diakonie  als  indirekte  innere  Mission. 

B.  Frauenarbeit  in  der  sittlichen  und  religiösen  Volkspflege. 

1.  Säuglingspflegerin.  Gefangenaufseherin.  Waisenpflegerin.  Kirch- 
liche Gemeindepflegerin.    Pastoralf^ohilfiii.    Frauen  im  Missionsdienst. 

2.  Organisation  und  Ausbildung:  Schwostemscliaften.  Ev.-kirchiicher 
HillBverein.  Instroktionakane  fOr  weibliche  Ldebestätigkeit  imd  innere 
ICedon. 

2.  Iraft  lad  Schwaehhfit  der  Gesehleehter  und  deren  Wirkoog  ia  4er  iiltar 

()  Vortrüge  von  Fräulein  N.  v.  Milde-Weimar 

2*  I  liOgik  und  Oemflt 

3.  OennA  und  Arbeit 

4.  Haus  und  Welt 

5.  Die  Frau  in  der  Literatur. 

6.  Die  Fian  in  der  Wissenschaft 

V.  Thaologitclie^  geicliiGhtlielis  lüd  pMlotopliische  Kurta 

i  Im  BfMg*B  km  !■  Uten  der  allgwulwi  Um^usmOMt» 

6  Vertilge  von  Prot  lio.  Dr.  Wdnel 

1.  Die  Quellen  des  Lebens  Jesu.  Niohtchiistliohe  Quellen:  TacituB. 
Sneton,  PUnius:  Josephus.  Christliche  Quellen:  Paulus,  die  Evangelien: 
apokryphe  und  kanonische  Evangelien,  Johannes  und  die  drei  ersten  Evan- 
gelien, Methode  und  Resultate  synoptischer  Vergleichung:  die  Quellen 
unserer  drei  ersten  Evangelien,  Markus  und  die  Spruchquelle,  Sonderstücke. 
Sicherheit  und  Unsicherheit  der  Oberlieferung  von  Jesus,  üm  die  6e- 
dentong  des  EvangeUams  richtig  su  wHidigen^  mnA  man  es  Tergleidben 
mit  der  Entwicklung  der  Beligtonen,  die  vor  ihm  gewesen  und  tqo  ihm 
Uberwunden  \\'orden  sind. 

2.  Jede  Religion  ist  charakterisiert  1.  durch  ihren  Oottos- 
glauben   (sehr   selten   durch   die  Ausschaltung  des  Oottesgiaubens), 


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438 


ICtteüongeii 


2.  dmoh  die  fligentflmUohe  Stellung,  die  aie  den  Mensdhen  sar  Welt 

gibt,  3.  durch  die  Art  der  sie  b^leitenden  Sittlichkeit  und  ihrer 
VerbinduDg  mit  der  Religion.  An  dem  Gottesglaiiben  insbesondere  ist 
wieder  ins  Awv^  zu  fassen  der  Weß^,  auf  «lern  Gott  mit  dem  Jfenschen 
uod  der  Mensch  mit  Gott  verkehrt:  die  Gottheit  offenbart  sich  dem 
Menschen,  das  ist  die  Grundüberzeugung  und  das  Gnmderlebnis  aller 
Beligion,  wodurch  sie  eich  von  jeder  andern  Erkenntniaweise  nnteEwIiiedfln 
fohlt  Umgekehrt  spricht  der  Mensch  mit  der  Gottheit  im  G-ebet  Die 
Gotthdt  teilt  sich  den  Meoaehen  mit  in  geheimnisvoller  Weise  (Sakra- 
ment) und  er  bringt  ihr  als  Dank  und  Mittel,  sie  für  sich  zu  gewinnen, 
Opfer  dar.  In  allen  Gestaltungen  und  Entwicklungen  der  Religion  sind 
diese  Grundlinien  des  Aufbaues  wieder  zu  erkennen  und  je  nach  ihrer 
Art  sind  die  Religionen  zu  gnippieren  in  eine  aufsteigende  Entwicklimg 
von  einem  primitiven  Geister-  und  Seelenglauben  za  den  großen 
polytheistischen  Religionen  der  Staaten,  innerhalb  deren  dann 
wieder  die  hfthere  Entwicklung  zu  sittlichen  und  zu  ErlOsnngs- 
Beligionen  anhebt.  Diese  smd  in  der  Tendena  Qemeinsohafts-  nnd  Welt- 
leligionen  und  lösen  die  Staatsrcligionen  auf. 

3.  Aus  der  eic:enartigen  Entwicklung  des  israelitischen  Jahvekultus 
zu  einer  sittlichen  Gesetzesreligion,  die  aber  im  Judentum  nie  zur  Voll- 
endung kam,  ist  die  sittliche  Erlösungsreligion  Jesu  entsprungen. 
Sie  seheint  znnfichst  nnr  die  Vollendung  der  sittlichen  Religion 
des  Judentums  sa  sein,  indem  sie  endgOltig  alles  Natmliafte  (Knltiadi- 
Heilige)  ans  der  Religion  ausschaltet,  für  heilig  nur  das  Innerliche,  das 
Fromme  und  sittlich  Gute  erklärt  (Sabbath,  Reinheitsgebot«;  u.  ä.)  und  das 
Tun  des  Gesetzes  durch  die  Fordening  einer  einheitlichen  reinen  rit> 
sinnung  vertieft.  Dabei  bleibt  Jesus  scheinbar  vollständig  in  dem  Seiiema 
der  Gesetzesreligion  von  Lohn  und  Strafe  befangen,  wie  denn  die  Erwartung 
des  Weltendes  und  des  Anbrechens  eines  Büches  Gottes  so  stark  ist,  daft 
eine  Sozialethik  nur  in  gsns  geringen  Anfingen  ausgebildet  ist 

4.  In  der  Erwartung  dies^  Herrschaft  Gottes  auf  Erden  drückt 
sich  die  Erlösnngssehnsucht  und  die  Wertung  der  Welt  charakte- 
ristisch aus.  Die  Erde  ist  keine  Gottesherrschaft,  sondern  Herrschaft  der 
Dämonen  (Krankheit),  der  Gewalttätige  im  Staat,  Rechts-  und  Wiitscliafts- 
leben  und  der  blinden  Blindenführer  in  det  Religion.  Von  dem  allen  ist 
das  Gottesreioh  das  Gegenteil,  die  Edfiaimg,  und  darum  Seligkeit  —  Dennooh 
kein  lemer  Pessimismtis  und  keine  blofie  ZukunftaieUgion:  Gott  der  Vater, 
seine  Fürsorge  für  alle. 

5.  Von  hier  aus  winl  das  Chriatentnm  als  Erlösungsreligion  deutlich 
wie  von  der  sittlichen  Fonlcnmg  aus  als  sittliche  Erlösungsreligion. 
Nicht  durch  » Werke c  verdient  man  Gottes  Liebe,  sie  ist  da.  Die  Sitt- 
lichkeit als  innere  Reinheit  und  Liebesgesinnung  kann  nicht  durch 
sittlichen  Willen  hergestellt  werden:  sie  erwftchst  aus  dem  Glauben,  daS 
Gott  liebe  ist,  »Yaterc,  und  vergeben  wilL  Schuld,  Leid  und  Sorse 
verschwinden  aus  dem  Leben  dessen,  der  diesen  Vater  gefunden  hat.  Das 
Wunder  als  Offen1>aruug  macht  diesem  Erleben  Platz  und  das  Gebet  als 
Andacht  bleibt  allein  als  Mittel  des  Verkehrs  mit  dem  »Vaterc. 


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1.  Ferieakurse  iu  Jeua  Auguüt  1005 


439 


<J.  Man  kommt  zu  diesem  Erlebnis  durch  den  Eindruck, 
den  das  Wesen  Jesu  aus  der  Fülle  seines  Lebenss  mit  Gott  heraus 
macht  (Jünger,  >8lliid«rc).  Denn  wie  in  allen  ErlOeungsreUgionen  ist  auch 
im  ErBDgeliiim  nicht  die  Lehre  das  Wichtige,  Boodern  die  Gewalt  der 

PevsOnUchkeit  ihres  ersten  Trägers  und  der  Eindruck  seines  Lebens 
(SuiTOLTiit :  ein  Idealbild).  Nur  aus  diesem  Eindruck  werden  erst  allmäh- 
lieh  die  tragenden  Ge^laiiken  herausgearbeitet.  Aus  seinen  Wirkungen  auf 
andere  erwächst  das  Problem,  swer«  der  erlösende  Mensch  war;  eine 
Legende,  die  ihn  über  die  Menschheit  erhebt,  bildet  sich.  Hat  Jesus  selbst 
seine  >Gotte8solmschaft«  schon  in  diesem  Sinne  aufge&ßt?  Hat  er  sich 
fQr  den  MensohenBohn « Messias  gehalten?  Jeden&lls  ist  sein  SeLbst- 
bewnßtsdn  nadi  die  drei  ersten  Evangelien  noch  ein  menschliches. 
Die  Frage  ist  aus  verschiedenen  Qrflnden  ncb«i8|ohlicher  Art;  an!  den 
überragenden  Eindruck  seiner  Person  und  auf  seine  Kraft,  immer  noch 
selbst  in  seinen  wenigen  erhalteneu  ^\'ol•ten  andern  ein  j  Erlöser «  zu 
'«erden  in  dem  genannten  Sinn,  darauf  ist  aller  Nachdruck  zu  legen. 

Uteratar 

Teztbibel  des  Alten  und  Neuen  Testaments,  herausgegeben  von  D.  E.  Kaütisoh 
nnd  D.  E.  WibsXokbi,  (mit  den  Apokryphen  des  A.  T.).  (KOige  Ansgshe.) 
1904. 

HKVNFrKE,  Die  Apokryphen  des  Neuen  Testaments. 
"SV.  ßoussET,  Was  ^^iSvSen  wir  von  Jesus?    (Heft)  l'J03. 
P.  Wekkle,  Die  Quollen  des  Lebens  Jesu.   (Heft)  1904. 
P.  D.  GsAMBna  ob    S&main,  Lehrbnoh  der  BeligionsgescbJdite.  8  Bde.  3.  Aufl. 
1906. 

C.  P.  TiELE,  Kompendium  der  Keligionsgescbichte.  1903. 

W.  BorssKT,  Das  Wesen  der  Roliuion.  1903. 

0.  l'KLKiifKiiKR.  l\.eligionsphilosü|)lue  auf  geschichtlicher  Grundlage.    3.  Aufl.  189Ü. 

J.  WiixuiAusEiN,  Israelitische  und  Jüdischü  Geschichte.   4.  AufL  1897. 

W.  BoüBBcr,  Die  BeUgion  des  Judentnms  im  neateetamentl.  Zeitaltar.  1902. 

W.  Baldknspehgkr,  Das  Selbstbewußtsein  Jesu  im  Lichte  der  messian.  Hoffnungen 

seiner  Zeit  I.  Die  roewianiach-apokalyptiaohe  Hoffnung  des  Judentums.  3.  Aufl. 

1903. 

0.  Pvi.KTngpMi,  Vorbereitung  des  Christentums  in  der  griechischen  Thilosophie. 
1904. 

W.  BoüBSR,  Jesus.  (Heft)  1904. 

0.  IIoLTZMANN,  lieben  Jesu.  1901. 

H.  H.  Wendt,  Die  Lehre  J.'su.    J.  Aufl.  \m. 

H.  Wkixfx,  Jesus  im  1!).  Jahrliuiidert.    1903.  19u4. 

O.  rFLEiuKBEK,  Das  Urchristentum,  seine  Schriften  und  Lehren.  2  Bde.  2.  Aufl. 
1902. 

Dem.,  Die  Entstehung  des  Chnstentnms.  1905. 

P.  Wernlb,  Die  Anfänge  unserer  Rehgiou.   2.  Aufl.  1904. 

H.  J.  Hoi,TZM.\KN,  liiliüsrhe  Theologie  des  Neuen  Testaments.   2  Bde.  1897. 

DeiB.,  Die  £ntstehuug  des  Neuen  Testaments,  (üeft) 


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440 


Mitteilungen 


6  Vortilige  von  Adolf  Damaidike-Beiiiii 

1.  Die  liberale  Schale. 

Die  wirtsohafüiche  EntwicklaDg  der  Neuzeit  Smiths  »Untersuchungen 
über  die  Natur  und  die  Ursachen  des  Reichtums  der  Völker«.  Seine 
Stellung  zur  Grundrente.  Die  freie  wirtsrliaftliche  Entwicklung  und  ihre 
Grenzen.  Smiths  SteUung  zu  den  Kaufleuten  und  Fabrikanton.  Von  s;e- 
rechter  Besteuerung.  Vom  Gebrauchs-  und  Tauschwert  Die  Bedeutung 
der  ArbeitsteiluDg.  Das  Bevölkerungsgesetz  von  Malthus.  Seioe  EoDse- 
quenzen.  Seine  BegrQndiing  durch  das  Geeeti  der  aboefamendeD  ErMgeu 
Das  »Maoofaestertam«. 

2.  Das  nationale  System. 

Die  Kontinentalsperre  und  ihro  Wirkung.  Friedrich  Li.'Jt.  Seine 
Tätigkeit  in  Württemberg  und  Amerika.  Der  Kampf  um  die  Entwicklung 
des  Eisenbahnbaus  in  Deutschland.  Erfolge  und  Enttäuschungen.  Seio 
Tod.  Die  Stufen  der  Nationalwirtschaft.  Forderungen  für  die  deutsche 
Volkswirtsohsft 

3.  Der  Eommonisrnns. 

Der  Weg  der  Dampfmaschine.  Die  Utopisten  in  England,  Frankreich 
und  Deutschland.  Karl  Marx.  Das  kommunistische  Manifest.  Der 
Ausgang  des  Kommunistenbundes.  Die  » Internationale  FerdiniUid 
Lassalic.  Das  Arbeiterprogiainm.  Das  »offene  Antwortschreiben«.  Die 
Gründung  des  »aligemeinen  deutschen  Aibeitervereins*.  Lassalles  Ende. 
Sana  Naofafolger.  Bebel,  Liebkoecht  und  der  Verband  deotsdier  Aibeiter>- 
Terein&  Die  »Eisenacherc  Der  Gothaer  ISnigungskongreA.  Das  Fh^gramm 
der  sozialistischen  Ärbeiter|iartei  Deutschlands.  Das  tSosialistengeaetz« 
und  seine  Wirkung.    Das  P>fnrt6r  Programm. 

4.  Die  Anarchisten. 

Die  namhaften  Vertreter.  Ihre  Lehre  vom  Staat.  Die  Verwerflich- 
keit des  rarlamentarismus.  Die  Wertlosigkeit  der  Gesetzgebung.  Die 
^yereule  von  E^goisten«.  Die  freiheitBfBindliohe  Tendenz  des  Kommoni»- 
mus.   Der  Weg  sum  Ziel.   Die  »Fkepaganda  der  Täte.    Der  paasiTe 

Widerstand. 

5.  Die  Bodenreform. 

Hegels  dialektische  Methode.  Der  erste  Vorläufer  der  engli.^hen 
Bodenreform.  Die  Bodenfrago  in  der  Chartistenbeweguug.  Englische 
Philosophen  und  Theologen  über  die  Bodenfrage.  Henry  George  und  sein 
Werk.  Yen  der  pieufitsoheD  Banembebeiung.  Die  OemeinheitBteüuDgeo. 
.  Die  Bedeutung  der  Allmende^  Die  irachsende  Not  und  das  Werk  von 
Raiffcisen.  Der  unteilbare  Stiftungsftmd  als  modexses  Allmend.  »Rodbertua« 
Rentenprinzip.  Deutsche  Staatsmänner  zur  Frage  der  Bodenverschuldnng. 
Preußens  Ilypothekarbewegnng.  Die  Wohnungfsnot  in  den  Städtou.  Miets- 
steigerung und  Arbeitslohn.  Die  Steuer  nach  dem  gemeinen  Wert.  Die 
Zuwachssteuer.  Gemeindegrundeigentum  und  Erbbaurecht.  Vom  Hyi-o- 
thekenweaen.  Die  Bauhandwerkeiftsgew  Die  ünteritonBomtion.  Bergwerke 
und  fliefiende  Geiiteer.   Die  BodenAage  in  den  Kolonien.  Bodaueform 


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1.  Ferienkane  in  Jena  Aogost  1905 


44t 


imd  Parteipolitik.  Die  eisten  OrganisationsTersuche.  Die  Afribie:qpedition. 
Der  QnmdigedaDke  der  deatschen  Bewegung. 

unnrar 

A»  SkniH,  »Xatur  und  Ursachen  der  Reichtümer  der  Völker«,  dentaoll  von  LOwBr- 

IHAL.    2.  Bd.    2.  Aufl.    Berlin,  K.  Staudo,  1882.    10  M. 
F«  List,  »Das  nationale  System  der  politischen  Nationalökonomie«,  neu  henMUKeg* 

von  Prof.  WAjumo.   Jena,  G.  Fischer,  1904.   6  M. 
B.  BnamMBSt  LaanOes  Beden  nnd  Sohriften,  Oeeamtansgabe.  3  Binde.  Beriin, 

Yexlag  >y<HirirtB€,  1892.   11^  H. 
K.  Mabx,  >Das  Kapital«.  Kritik  der  politischen  Ökonomie.   Bd.  1.  4.  Anfl.  188(h 

Bd.  2.   2.  Aufl.    180.i    B<i.  3.    1891.    27  M. 
Max  Stirxkh,  »Der  Einzige  und  .sein  Eigentum«.    I>eipzig,  Reclam.    20  Pf. 
Henry  Geobob,  > Fortschritt  und  Armut«.   5.  Aufl.  Berlin,  £.  Staude.   3  M. 
DaKAflomOi  »Die  Bodenieformc.  3.  Aufl.  Berlin,  Johannes  BUe.  3,50  M. 
Dexa.,  »Oeacdiiehte  der  Nationalökonomie«.  ESne  erste  TOnlühning.  Zwdte  duroh- 

geeebene  Auflage.  Jena,  0.  üspfaer,  1905.  2,50  IL 

d.  Dcntsehe  Wirtsehansgeschichte 
Prof.  Dr.  O.  Mentz 
1.  Einleitung:  Begrenzung  und  Eiuteiluug  des  Stoffes.  Be- 
grÜfsbeBtiiiimuDg.  Keine  Eisehöpfimg  des  Themas  möglich,  nm  Behand- 
hng  germsBoe  Hanpigebieie.  Obersicht  über  diese.  Frage  mwh  einem 
BSoteilungsprinrip.  Periodisierungsversuche  von  List,  Ilildebrand,  Bücher^ 
Sohmoller,  Lampceoht,  Sombart,  ihre  Widerlegung  doroh  Below. 

Uteratar 

Fr.  List,  Das  nationale  System  der  politischen  Ökonomie.  1843. 

Bb.  Hildebrand,  Natural-,  Geld-  und  Jireditwirtschaft  Jahrbücher  f.  Nationaiök. 

u.  Statist   II.  18(34. 
E.  BOoHBB,  Die  Entstehung  der  VolkswirtBohaft.  3.  Aufl.  TdUngen  1900. 
O,  ScaniWHJB»  Das  Mettentflqratoni  in  seiner  histoxiSQhen  Bedeutung:  stSdtisQhe, 

territoriale  und  staatliche  Wirtschaftspolitik  (»Umrisse  and  Untersuchungen  snr 

Vorfa-^sungs-,  Verwaltungs-  nnd  Wirtschaftsge.schichte«).    Leii>zig  1898. 
Ders.,  Grundriß  der  allgemeinen  Volkswirtschaftslehre.  2  Bde.    Leipzig  1900,  1904. 
£.  Laufrecht,  Was  ist  Kultiugeschichte  ?  (Deutsche  Zeitschr.  f.  Geschiohtswissensch. 

N.  F.  L) 

W.  SoMBAAT,  Der  moderne  Kapitalismus.   2  Bde.   Leipzig  1902. 

O.  V.  Below,  Über  Theorien  der  wirtBobafttiehen  EntiHoklung  der  YiMker.  (Histor; 

Zeitschr.    Bd.  80.  1901.) 
K.  Ta.  V.  I.\a:ma-Sterneuo,  Deutsche  Wirtschaftsgeschichte.   3  loile  in  4  Bänden. 
Leipzig  1879—1901. 

K.  LuDSBORt,  Deutsches  Wirtsohaftsleben  im  Mittelaltar.  3  Tlnle  iu  4  Binden. 

Leipzig  1886. 

AsHLEY.  Englische  Wiitschaftsgosch.  übers,  von  K.  Oppbnhbim.   Leipzig  189G. 

Th.  Freiherr  v.  u.  (Joltz.  Geschichte  der  deutschen  Lind  Wirtschaft.    Bd.  I.  Von 

den  ersten  Anfängen  bis  zum  Ausgange  des  18.  Jahrb.   Stuttgart  und  Berlin 

1902.  Bd.  n.  das  19.  Jahrh.  1903. 
O.  SnnBAUSBir,  Oesohiehte  der  deutsohen  Kultur.  Leipatg  u.  Wien  1904. 

(Viele  dies»  Sdiiiften  konmien  andi  f&r  die  folgenden  Vorlesungen  in  BetrMht> 


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442 


MitteanDgen 


2.  Die  Wirtschaft  der  Urzeit,  Geiuei ueigeutum  und  Sonder- 
« igen  tum.  Die  QueUen.  Naohriohten  des  CBsar  und  TMUtos.  Vieh- 
suoht  Die  GrandeigwtumsTerhftItmBse.  Die  Art  der  Benedelong.  Die 
'GewnnndSifer.   Die  PM>diikte  des  Ackeibause.   Handwerk  tmd  Handel 

Literatur 

O.  Uanssen,  Auäichteu  über  das  Agranvesen  der  Vorzeit  (in  seinen  agrarlüstoriächdn 

AbhandliQgeD.  2  Bde.).  Leipzig  1880.  84. 
"W.  Amwuif  Anaiedelniigeii  und  Wandeningeii  deatsohar  Sttnu&a.  2.  Aufl.  1881. 
An».  UKDBKf  TTanderangen,  Anbau  und  Agiaireoht  der  Völker  Eun^pas  nSidlich 

der  Alpen.    I.  Abteilung:  Siedelung  und  Agrarwesen  der  Wostgermanen  und 

Ostgeruiaueu,  der  Kelten,  Kömor,  Finnen  und  Slaven,    3  Bde.    Berlin  1S9Ö. 
JoH.  Ricu.  MucKJC,  Urgeschichte  des  Ackerbaues  und  der  Viehzucht.  Greifswald  18ÜS. 
B.  HnjnDKAiiD,  Beoht  und  ffitta  auf  den  vexadiiedanaD  wirteoliafüiehan  Eidtanlnfeii. 

Bratar  Band.  Jana  1896. 
Bachfahi.,  Zur  Geschichte  des  Grunddgantima.  (Jahibüohar  fär  Nationalofaniomie 

und  Statistik.    Bd.  74.  1900.) 
KxAi'P.  Gruudherrschaft  und  Rittergut    Leipzig  1897. 

3.  Die  großen  Grundherrschaften.  Streit  über  die  Entstehung 
<ier  ^oßen  Gruudherrschaftcn.  l^ewoiso  für  die  herrschende  An.sicht, 
-Charakterisierung  der  grolien  Gnindherrscliafton.  Ihre  Organisation  durch 
Karl  d.  Gr.  Wirtschaftliche  Bedeutung  der  großen  Gruudhern>chafleD. 
Ihre  Anflteang. 

Utaratar 

K.  Tb.  T.  iRAiu-SiKBNaaQ^  Dia  Analiüdnng  der  groBeo  Onmdhanaoliaftan  in  Daataoli- 
land  irthread  der  ^unUngataelt  La^irig  1878. 

O.  Sekugeb,  Die  soziale  und  wirtschaftliche  Bedeutung  der  Grondherrschaft  im 

früheren  Mittelalter.  (Abhandl.  d.  sächs.  Oes.  d.  Wissensch.  XXII.  I.  19<»3.) 
L.  V.  Maureb,  Einleitung  zur  Geschichte  der  Mark-,  Hof-,  Dorf-  and  Stadtverfassung 

und  der  öffentlichen  Gewalt   2.  Aufl.   Wien  1896. 
Deia.,  Oeeohiohta  der  FnmbQfe,  der  Banemhttfe  nnd  dar  Hotverfiaanng  in  Damaolh 

land.   4  Bde.   Erlangen  1862/63. 
Fr.  Sekboh«,  Die  englische  Dorfgemeinde,  übers,  von  Tn.  v.  Büxpkn.  Hoilolbort:  IJ^sö. 
FrsTEL  DE  CouLANOEs,  Ili.st.  des  in.stitution.s  politiques  de  l  ancienne  France.  Bd.  IV. 

i'aileu  et  le  domaine  rural  pendant  1  epoque  Merovingienne.   Paris  1889. 
W.  WmiaB,  Die  Omndhanaohaft  in  NoidwaetdanfaoUand.  Leipzig  1884. 
K&nsoHxXf  Die  Gliederung  der  GaaaHaohaft  bei  den  alten  Deutaohen.  (Dantaehe 

Zeitschr.  f.  Gesohiohtawissenschaft.  N.  F.  II.  1898.) 
Alft?.  TlALnAN-BLüuiRBTOCK,  Entstehung  dea  deatBchen  Inunobütaraigantiutta.  L 

Innsbruck  1894. 

GutRARD^  Explication  du  capitulaii-e  de  Viihs.   Bibhoth.  d.  l'ecole  des  chartes  14. 
Paria  1853. 

K.  Oabbu,  Dia  Landg&terordnnng  Keila  d.  Or.  Bailhi  1886. 
-O.  Wiiia,  DeutBofae  Verfasanngagaaoh.  Bd.  lY. 

4.  Rodung  und  EoloniBation.  Die  Quellen:  OrtsnameD  und  Orte- 
«nlage.  Die  Rodung  im  Mutterlande;  Die  Eolonieation  dee  Ostens,  ihze 
-virtschaftlicbe  Bedeutung. 


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1.  Ferieokune  in  Jena  Angnst  1906 


443 


LNmtar 

A.  Heitzkn,  Die  Ausbreitung  der  Deutschen  in  Deutschland  und  ihre  Bosiedelung 
der  SlavengAbiete.  Jena  1879.  (Jahrböober  L  Natioaaiökonoime  and  Btatistik 

XXXU.) 

K.  0.  iScHULZK,  Die  Kolon iäiei-uug  und  Genuanisierong  der  Gebiete  zwi^cheu  Saale 
und  Elbe.  Leipzig  1896. 

5.  Naturalwirtschaft  und  Geldwirtschaft.  Dio  Entfltehuog 
der  Stftdte.  Das  Geld  bei  den  Deataoheii  in  der  Uaher  behandelten  Zeit 
Die  »▼olkswirtsohaMche  Beyolutiont  Kwischen  1150  und  1800.  Streit 
Uber  die  Entstehung  der  Städte.  Dire  wirtschaftlicho  l^«  deiitung.  Schilde- 
mog  der  Stadtwirtachaft  und  der  stftdtiachen  Wirtsohaftspolitik. 

Literatur 

O.  ScHMot.LKR,  Straßbuigs  Blüte  and  die  Tolluwirtsohaftliohe  Bevolution  im  13.  Jahrh. 

Straßbur^'  1S75. 
O.  ScuBÖDEU,  Deutächo  Kechtsgescliichte.   4.  Aufl.  1902. 
£.  HiiasL,  lÜe  Ibtsfeehung  des  deutsoiiea  Sttdtowoeons.  Leipzig  1898. 
0.     Bibow,  Das  iltsre  dentBohe  Stadtewea«i  und  Bfiigertnm.  (MoBOgn^^hien  aar 

"Weltgeschichte  VI.)   Bielefeld  1898. 

Ders.,  Territorium  und  Stadt.    München  nn<\  T.oipzig  1900. 
R-  SoHJd,  Die  Entstehung  des  deutscnen  Stadtewosens.    Leipzig  1890. 
Fk.  Kedtoen,  Untersuchungen  über  den  Ursprung  der  deutschen  Stadtverfassung. 
Leipzig  1895. 

8.  RnncHiL,  Markt  und  Stadl»  in  ihrem  rechtlichen  Verhältnis.   Leipzig  1897. 
£.  GoTHEiN,  Wirtschaftageech.  des  Sehwanwaldes.  L  StcaBboig  1892. 
£.  BücuEK,  siehe  unter  I. 

6.  Handel  und  Gewerbe.  Der  Handel  in  der  älteren  Zeit,  die 
Märkte.  Die  Entwicklung  der  Gewerbe.  Büchers  Theorie  und  Belows 
Einwände  gegen  äie.  Das  Handwerk  in  den  Städten,  die  ZOnfte.  Ge- 
Bellen-  und  Oeweri^everbbide.  Der  städtische  Handel  Die  Eaufinanna- 
güden.   StatistisoheB.   Der  afiddeatsohe  Handel 

Uüratir 

£.  Baxbobi,  Die  Entstehung  der  Märkte  in  Deatschhmd.  1881. 

W.  Stifp  v,  Artikel  »Zunftwesen«  im  Handwörterbuoh  der  Staatswiaaensohaften. 

2.  .\ufl.  1902. 

F.  Kkutgkn,  Ämter  uud  Zünfte.   Jena  1903. 

G.  Schanz,  Zur  Oesohiohte  der  deutsohen  GesellenTerbände.   Leipzig  1877. 

6.     BiLow,  OfoAhindler  und  EleinhSndlw  im  deutsohen  IGttelalter.  (Jahrbftoher 

für  Nationalökonomie  uud  Stati.stik.    Bd.  7.').    HI.  F.    XX.  1900.) 

F.  Keutüen,  Der  Großhandel  im  Mittelalter.    Han.sischo  Geschichtsblätter.  XXIX. 

Al.  Schulte,  Gesch.  des  mittelalterlichen  Handels  und  Verkehi-s  zwischen  West- 
deutschland und  Italien  mit  AussuhiuÜ  von  Venedig.   2  Bde.   Leipzig  1900. 

H.  SmoHsnu),  Der  Eondaoo  dei  IMeaohl  in  Tensdig  nnd  die  daniaeh-Tenetianisohen 

Handelabasiehnngett.  2  Bde.  Stuttgart  18B7. 

7.  Die  Hanaet  Der  Niedergang  der  Stadtvirtachaft  Der 
norddentache  Handel   Die  Entatehnng  der  Hanse.  Lire  Politik  vor  allem 

Wirtschaftspolitik.  Charakterisierung  des  hanaeattachen  Handels.  Der 
YerfoU  der  Hansa   Die  Ursachen  des  Niedergänge  der  Stadtwirtsohaft 


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444 


Mitteilungen 


Die  großen  Gcldmächto  des  IG.  Ja)u*huiiderts.  Die  FreisrevolutioD.  Wirt- 
schaftliche StagoatioQ  in  Deutschland. 

Literatnr 

D.  ScHÄym,  Die  Hanse  und  ihre  Handelspolitik.   Jena  1885. 
Ders.,  Die  deutsche  Hanse.    (Monographien  rar  Weltgesch.  XEL)  Bidefeld  ond 
Leipiig  1908. 

In.  LiKDKKR,  Die  deutsche  Hanse,  ihre  Qeoohidite  und  Bedeutung.   Leipzig  1899. 
0.  T.  Bblow,  Der  Untergang  der  mittelalterlichen  Btadtwirtadiaft  (Jahrböchei  für 

Nationalök.  und  Statist.    Bd.  76.  1901.) 
R.  Ehrkxberg,  Das  Zeitalter  der  Fugger.  Geldkapital  und  üi-editverkehr  im  16.  Jahih. 

2  Bde.  Jeot  1899. 

0.  Wim,  Zur  Oeaeh.  der  Pzdsrevoliition  des  16.  und- 17.  Jthih.  Lnpiig  1886. 

J.  Hartit.n'o,  Die  direikton  Stenern  und  die  Yemiögensentwicklung  in  Augsburg  roa 
der  Mitte  dos  16.  bis  zum  18.  Jahrhundert.  (Jahrbuch  für  Gesetzgebung,  Ver- 
waltung und  Volkswirtschaft.    N.  F.   XXII.  181)8.) 

8.  Der  Osten  und  der  Westen.  Die  Entstehung  der  Guts- 
herrschaft, Verschiedene  Entwicklung  der  agrarischen  Verlüütnisse  im 
Sfuhvesten,  im  Noidwesten  \md  im  Osten  Deutschlands.  Ghiindherrschaft 
und  Gutsherrscliaft.    Die  Ursachen  der  verschiedenen  Entwicklung. 

Literanir 

G.  V.  Bklow,  Territorium  und  Stvlt  (8.  unter  V.). 
W,  "Wimm  (8.  unter  HL). 

0.  F.  EiTAFF  (8.  unter  II).  ' 

Tb.  Knapp,  Gesammeitc  Beiträge  zur  Rechts-  und  Wiitsdiaflqgesohiolite  Tomehmlich. 

des  deutschen  Bauenistandos.    Tübingen  1902. 
C.  JoH.  FucH.s,  Der  Untergang  des  Bauemstandes  und  das  Aufkommeo  der  Guts- 

henschaften.  Nach  archivalischen  Quellen  aus  Neu- Yorpommem  und  Bogen 

StraBbuxg  1888. 

Den.,  Die  Epoohen  der  denlsoheii  Agraigesdhidite  mid  AgrupoUHk.  Jena  1886b 

9.  Die  Eotwioklang  der  bftnerlichen  YerhiltiiiBseL  RQck- 
Uiok.   Einfliifi  der  agiaziBohen  DreitoUuiig  DeiitB6h]aDd&  SohUdeniiig  dm 

bäuerlichen  Verhältnisse  in  den  drei  Gebieten.  Die  Aufgaben  der  fimen- 
befreiung,  ihre  Durchfühznqg.  Die  Gemeinheit&teilaDg  und  die  ZosamineB- 
legODg  der  QrandstOcke. 

Literatur 

Tu.  LuDwiu,  Der  badische  Bauer  im  18.  Jahrhundert    Straßburg  1896. 

0.  F.  Knapp,  Die  Bauernbefreiung  und  der  Ursprung  der  Landarbeiter  in  den 

ilteren  Men  FteoBens.  2  Bde.  Leipiig  1887. 
Ders.,  Die  Landarbeiter  in  Knechtschaft  und  Freiheit   Leipiig  1881. 
M.  Lamuat,  Freiherr  vom  Stein.  Bd.  II.  Leip^g  1903. 

10.  Die  Territorien,  der  Merkantilismus.  Stadtische  und  teni- 

tonalo  Wirtschaftspolitik.  Versuche,  territoriale  Wirtschaftseinheiten  ru 
schaffen.  Wirtschaftspolitik  der  anderen  eurofväischen  Staaten,  das  Mcr- 
kantilsy.stein.  Schä<llicho  Wirkung  der  Zersplitterung  Deutschlands,  seine 
■wirtöchaftiiclien  Verhältnisse  im  17.  Jahrhundert.  Die  preußische  Wirt- 
achaftapolitik. 


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1.  Feriflidrane  in  Jena  August  1905 


445 


Literatir 

O.  ScimuLLEu,  Das  Merkautüsyätem  (siehe  unter  I). 

DenL,  Über  die  irirtBohafflidie  Politik  Friediiohs  d.  Gr.  und  Preofieiis  übeihanpt 
1680—1786.  (Jahilmdh  für  OmetMg^  Yenndtmig  und  VoUenriitMliift.  Bd.  VIII, 

X,  XI.) 

Acta  Borussica.    Denkmäler  der  preufi.  Staatsverwaltung  im  18.  Jahrii.  Berlin 

1892  ff.   Bis  jetzt  1 1  Bde. 

11.  Freier  Vorkehr  und  Kapitalismus.  Die  Gründung  dos  Zoll- 
verems. Der  Liberalismus.  Freihandel  und  Oewerbefreiheit.  Aufschwung 
Ton  Industrie  und  Technik.  Streit  über  die  Entstehung  des  Kapitalismus. 
Seine  Wirkungen. 

Uteratir 

A.  Zimmermann,  Geschichte  der  preußisch-deutschen  Handelspolitik.  Oldenburg  1R02. 
H.  V.  Tkkitschxe,  Die  Aufaugo  des  deutschon  Zollvereins.    (Preufi,  Jahrb.  XXJL) 
W.  SoMBAüT,  Der  moderne  Kapitalismus.   2  Bde.   Leipzig  1902. 
Den.,  Die  denisolie  Tolknrirteelitft  im  19.  Jahiit  Beriia  1903. 

E.  LAmanD,  Dentsohe  OMohiohte.  2.  Ergänwngsband.  L  Hftlfte.  BexUn  I90ß. 
T.  Bbow,  Die  Entstehung  des  modernen  Eapitahsmiie.  Histor.  Zeitschr.  Bd.  91. 
Jacob  Strisdks,  Zur  Genesis  des  modenien  Eapitalismtis.   Leipzig  1904. 

12.  Nationalwirtschaft  und  Weltwirtschaft.  Deutachhmds 
gegenwärtige  wirtschaftliche  Lage.  Die  Exportindustrie.  Vorteile  der 
WeltvN'irtscIiaft:  Die  Arbeitsteilung  unter  den  Nationen,  die  damit  ver- 
bundene Bereicherung  des  Lebens.  Wirkliche  und  angebliche  Nachteile 
der  Weltwirtschaft:  Die  passive  Handelsbilanz,  die  Abhängigkeit  vom  Aus- 
k&de,  settweiliger  und  dauernder  Rflokgang  des  AnfienhaodeU,  Yer- 
addebungen  in  den  wiitachaftliehen  YerbSltnieseii  in  den  NationalslMAen, 
Kot  der  Landwirtoohaft.    Die  Angaben  der  deutschen  Wirtsohaftspolitik. 

H.  DmzEL,  Weltwirtschaft  uad  Volkswirtschaft.  Dreeden  1900. 

K.  HKLrvKRicH,  Handelspolitik.    Leipzig  1901. 

F.  C.  lIi  HJiK,  Doutscldand  als  Industriestaat.    Stuttgart  1901. 
Die  HaudelspoUtik  des  deutschen  Reichs.   Berlin  1899. 
Handels-  nnd  Maofatpolitik.  2  Bde.  Stattgart  1900. 

Oldkxberg,  Deutschland  als  Industriestaat.  1807. 

JvL.  "Woi.F,  Das  doutsciio  Reich  und  der  "Weltmarkt.    Jena  1901. 

Pom.K.  Deut.schlaiid  am  Scheidewege.    Leipzig  1902. 

Verhandlungen  und  iSuhrifteu  des  Vereins  (ur  äoziaipuiitik.    Leipzig  1Ö73  ff. 
An.  Wamhb,  Agrar-  und  IndnstriestMt  Jena  1901. 
Yenehiedene  Sohxiften  Bukuikm. 

d.  Oom,  Yorleeongen  über  Agrarweeen  nnd  Agrarpolitik.  Jena  1899. 

4.  WlUclie  Literaturgeschichte  seit  üoeClies  Ted 

Privatdozent  iJr.  M.  Scheler 

1.  Einleitung,  Cber.'?iclit  über  den  Gang  der  deiitscheu  Literatur 
von  Luther  bis  zu  ihrer  klassischen  Blüte  in  Goethe  und  Schiller.  Die 
allgemeine  geistesgeschichtliche  Situation  bei  Goethes  Tod:  Gemeinsames 
und  innerer  Gegensata  in  den  UasaiBchen  und  lomanfiBoben  Kunst- 


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446 


Hitteilungea 


anschainingen.  Was  an  der  Romantik  für  die  pewimte  folgende  Literator- 
entwicklnng  typisch  ist:  a)  Fortwahrende  Revolution  der  Form,  b)  Reflexion, 
c)  Individualismus.  Die  Stufen  der  Romantik:  Altere,  jüngere.  Die 
schwäbische  Schule:  ühhind. 

2.  Die  groAe  InteresseDwendiing  des  deutschen  Yolkes 
TOD  Theorie  und  Spekulation  zu  Praxis  und  Tatsache.  Der 
realistische  Lebenstypus:  Die  exp^mentelle  Natnrfinrschang;  der  politisdi« 
militärische  Geist  in  Zusammenhang  und  im  Gegensatz  zu  den  inter- 
nationalen Mächten  des  Kapitalismus.  Der  Materialismus  als  Staatskirchea- 
tum  und  als  Revolution:  Feuerbach,  Stiraer,  Gutzkows  Wally,  Laube, 
Strauß.  Annette  von  Droste^Haishoff.  Heine  als  das  lyrische  Genie  der 
Zeit  Heines  StU  als  Vorbild  der  Feniileto&istdn.  Die  neue  literarische 
Form  als  Ausdruck  eines  gesteigerten  Lebenstsinpoe.  Jonmalist  nnd  Dichter, 
Tendenz  und  Kunst.  Was  dieser  Epoche  fehlt:  Vomehniheit,  Buhe,  geistiger 
Oehalt,  Universalität. 

3.  Die  zwei  großen  Dramatiker  der  Zeit:  Friedrich  Hebbel  urÄ 
Otto  Ludwig.  Charakteristik  der  Personen  und  Werke.  Otto  Ludwigs 
Shakespearestudien  und  sein  Angriff  auf  Schillers  Wallenstein. 

4.  Epigonen  der  Klassiker:  IVatsg,  Geibel,  Heyse,  Graf  Schack, 
Bben,  Bodenstedt  Verdienst  dieser  Gruppe  um  Kontinnitflt  und  Aushan 
der  Form.  Das  Professorale  ihrer  Art.  Schwächung  durch  die  Historie. 
Ihr  Verhältnis  zu  Goethe.  Goethe,  falsch  vei-standen  als  Gefahr.  Scheffel 
und  seine  Freuudo:  Die  Poesie  des  Bummelns.  Der  ältere  (romantiscbej 
und  der  neuere  Begriff  des  »Philisters«.  Scheffel  und  der  deutsche 
Student 

5.  Vier  bedeutende  Ersähler:  Gottfried  EeUsr,  Frits  Banter, 
Marie  ron  Ebner.   Fontanes  Bedentoog; 

C.  Der  Pessimismus  gegen  Ende  der  50er  Jahre:  Der  be- 
herrschende Geist:  Schopenliaucr.  Literarische  Spielformen  von  verschie- 
denem Wert;  Bobert  Uamerling,  W.  HaabOi  £.  Qriesebach,  H.  Lonn, 
W.  Busch. 

7.  Der  Pessimismus  als  stärkster  Xuustmotor  der  Epoche: 
Richard  Wagner  und  Friedrich  Nletasehe.  Faiadozie  dieser  Tatsache  und 
Versuch  ihrer  LOsung.   Nietzsche  als  Stilist,  Künstler  und  Denker.  Was 

hedeutet  das  "Wort:  »»Decadeuce«. 

8.  Das  neue  Reich:  Stimmung  der  großen  deutschen  Bii- 
dungsträtrcr.  Freude  und  EnttÄuschung.  Treitschkes  und  Wilden!>riehs 
Kunstvitrstflhingcn.  Wildonbruch  al.s  Dramatiker  und  Erzillilor.  Ixr.m 
als  literarisches  Zentrum.  Literarisches  Unternehmeitum :  Lindau,  Blumen» 
thal  usw.  Berlin  mOehte  Faria  timeln.  Beriiner  und  Pariser  LustspieL 
Berliner  uod  Pariser  Publikum.  Berliner  Literatnrkritik.  liteiarisohe 
SpanuuDg  zwischen  Sflden  und  Korden.    Die  Zeitschrift  »Gesellschaft«. 

9.  Fremde  Einflüsse  und  Passivität  des  deutschen  Geistes 
bei  größter  politischer  Aktivität.  Literarische  Ohnmacht  und  Bni- 
talität  des  l>ewul5ton,  reflektierten  Nationalgefühls.  Zola  und  andere 
Franzosen,  die  Norweger  und  Russen  werden  gelesea.  Der  Einfluß  Ibsens, 
Doetoijewskys  und  Tolstois  im  besonderen* 


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1.  Ferienkoise  in  Jena  August  1905. 


447 


10.  Grflnde  des  Versuches,  alle  historischen  Voraus- 
setzniif^en  im  Natiiralifimii  s  abzubrechen.  Das  relative  Recht 
dieser  Bewegung.  Die  Bewegung  selb.st :  Die  Oebrüder  Hart  als  Kritiker. 
Holz  und  Sclüaf;  Max  Kretzer.  Die  oeuo  Lyrik:  von  Liiienkron.  Be- 
dfifutoDg.   Eklnere  Leata 

11.  Hauptmann  nnd  Sudermann.  Oemmere  ChaiakteiiBtik  der 
Pereonen  und  Werke. 

12.  Die  Neuromantik  als  Symbolismus.  Pan  und  Simplioissi- 
muB.   HoffmaoQstbal  und  Stefan  George.    Die  HeimsÜnustbestrebungen» 

Literatur 

P.  M.  Metbb,  »Die  deutsche  Literatur  des  19.  Jahrhunderts«.  Berlin  1900. 

5.  Eiafihnug  io  die  histortecben  GrundlageD  und  die  f^egenwirtigea  ttaipt- 

riclitiuigeD  der  Ethik;  Kritik  ond  Forderangei 

Privatdozent  Dr.  M.  Scheler 

1.  Begriff  der  iihiIosophi^;ehen  Etliik  (das  Problem  dos  f?otrates).  Be- 
streitung der  Existenzbereclitigung  derselben  in  älterer  und  gogoiiwärtiger 
Zeit  a)  durch  den  ethischen  Skeptizismus;  seine  aggressive  und  quietistische 
Fonn  nnd  die  Ufeaehen  adner  EncheinnDg.  b)  Durch  die  reinen  Formen 
der  Antoritllsethik.  Ihre  genetische  Abhftngiglceit  vom  franzfidschen  Skepti- 
zisrnns.  Ein  neaere^  Beieinel:  J.  Balfour  nnd  F.  Bnmeti*  ro.  c)  Dorch  die 
populäre  Gewissensraoral.  d)  Durch  den  radikalen  Individualismus  F. 
Nietzsches.  Das  VerfaAItnis  des  sittlichen  Beformators  zur  Ethik  als 
Wissenschaft. 

2.  Aufgaben  und  Methoden  der  Ethik.  Verhältnis  der  sittliciien  Normen 
zn  den  dttHchen  Zwecken  nnd  Gütern.  Kants  Methode  nnd  die  teleologische 
Ethik  (Lotze,  Fteolsen).  Kann  das  Sittengesetz  ans  der  »menschlichen  c  Natur 

oder  aus  der  Natur  des  »Lebens«  entwidwlt  werden?  Entfaltung  der  sittlichen 
Probleme:  1.  Verhältnis  des  Menschen  zu  sich  selbst.  2.  Zu  ilem  Göttlichen. 
3.  Zum  Kosmos.  4.  Zur  Gemoinsrhaft.  5.  Zur  objektiven  Kultur.  Ist  eines 
dieser  Verhältnisse  das  grundiepv'ndp,  so  daß  die  anderen  abgeleitet  sind 
nnd  welcheb?  Die  typischen  Ant weiten  der  großen  Ethiker  auf  diese  Frage. 
Die  SteQnng  der  EUük  im  System  der  Philosophie,  besonders  ihr  Veili&lt- 
nis  inr  Logik,  Ästhetik,  P^hologie  nnd  Metaphysik:  Der  Primat  der 
praktischen  Vernunft  in  der  gegenwärtigen  PhÜOBoj)hie  (Chr.  Sigwart,  W. 
Windelband,  H.  Biokert);  der  Psychologismus  in  der  Ethik;  Herbarts  Ver- 
such, die  Ethik  zu  einem  Teil  der  Ästhetik  au  machen.  Theoretisches,, 
praktisches  und  ästhetisches  Urteil. 

3.  Die  ethischen  Richtungen  der  G^nwart.  llir  allgemeines  Ver- 
hältnis zur  antiken  und  christlichen  Ethik.  Ihre  Wurzeln  in  der  Eultnr 
der  Nenzmi  a)  Der  ütilitarismns  nnd  seine  Entwicklung;  Bacon,  Hobbes, 
Loohek  Hume,  J.  Bentham,  J.  St  MiU,  Vr.  Ftaüsen.  Kritik  des  Ütilitaris- 
mns. b)  Der  ethische  Evolutionismus  im  allgemeinen,  c)  Der  Evolutio- 
nismus  in  seiner  individualistischen  und  spiritualistisclion  Form  (Leibniz). 
d)  Der  Evolutionismus  in  seiner  universnlistischen,  spiritualisti sehen  Form 
(Hegel;  Wundt).     e)  Der  Evolutiomsmus  in  seiner  universalistischen. 


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448 


Mitteiluugea 


naturalistischen  Form  (Cli,  Darwin,  H.  Si>eiicer).  Die  Verschiedenheit  der 
Kulturbegriffe  iu  der  Ethik  des  KulturevoiutioDismus. 

4.  Emgehendera  Kritik  a)  des  EvolutioDogedankeDS  in  te  EtMk 
übeifaaapt,  b)  der  TerscfaiedoDdii  ergiqtionigtiaofaen  Systenw. 

5.  F.  Nietz8(dies  Kritik  des  ütUitarisnrafi  imd  der  obigen  Eonnen  deB 
JEiTolutiouismus. 

G.  Die  rationale  Gewissensethik  und  ihre  gegenwärtigen  Fortbildungen. 
Eingehende  Entwicklung  und  Kritik  der  Ethik  Kants  und  Horbarts.  Ihr 
Verhältnis  zur  gcgcuwiii-ügeu  Kultur.  Cohen,  Windelband,  Natorp  als  For^ 
bildner  der  Kanttsobeii  EÜiik. 

7.  Fotdenmg  und  kune  BogirOndong  des  ntiooaleii,  obfektiven  Ideali»' 
muB  als  erkenntnistheoretische  Qrandlage  der  Ethik. 

8.  Was  folgt  aus  dieser  Grundlegung  für  das  Verhältnis  von:  Ethi- 
schem Emj)insmus  und  Aprioiismus;  Gedonuugs-  und  ErfoJgsethik;  Altruis- 
mus-Egoismus? 

9.  Die  objektiven  Formen  des  sittlichen  Ijebens  und  der  Wert  der 
Persönlichkeit 

10.  Ethik  und  QeBdiiohtaphiloaophie. 

11.  Ethik  und  Beligioa  in  ihrer  tiieistisohen  und  pantheiatiaoheo  Fonn. 

Utiratv 

F.  Jgdl,   Geschichte  der  Etliik  iu  der  neueren  PhiioBOphia«.  2.  Bd.  Stuttgart  1882. 

W.  WuxDT,  Ethik.    2,  Aufl.  2.  Bd.  1892. 

F.  Paülsen,  System  der  Ethik.   6.  Aufl.   Berün  1903. 

«H.  OoHKN,  System  der  Philosophie.  Bd.  II:  Ethik  des  reinen  WOlana.  Berlin  1906. 
SooiiL.  Eänleitang  in  die  Moralinsseasohaft  2.  Bd.  (Anastatisoher  Kendmol.) 

Berlin  1905. 

W.  WiNDKLBAND,  Piühidien.    2.  Aufl.   Tübingen.  Mohr,  1905. 

Zur  ersten  Einführung  g\it  geeignet: 
Paul  Hk-n-sjo.,  llauptprobleme  der  Ethik.    Leipzig,  B.  G.  Teubaer,  1903. 
A.  MnsBB,  Kants  Bthiki  seine  Binfühning  in  ihre  Hauptprobleme  und  Beitiige  n 

deren  LBsnng.  Lsips^^  Yeit  k  Go.,  1904. 
Th.  tan.  Die  ethiaohen  Oiundfrsgmi.  Hambaig  u.  Jjeipng  1899. 

6.  lorlatti  Pijikaliiie  ui  Ihn  flegier 

6  Voriesungen  von  O*  Flflgel-Wandehen 

1.  Herfaarts  Seelenbegriff  im  Qegensats  sa  Materialiamiifl^  Monismos» 

Dualismus,  Idealismus. 

2.  Die  Vorstellungen  als  Kräfte  im  Gegensata  zur  VarmdgeDslehieL 
Mathematische  Psychologie  und  ihre  Gegner. 

3.  Vorstollen,  Fühlen  und  Wollen.  Intellektualismus  und  Voluntaris- 
mus,   ludividuai-  und  Öuzialpsychologie. 

Literatur 

O.  Ittton»  Die  Seelenfiage  mit  Raoksicht  auf  die  neuem  WandluDgcn  gewteer 
natorwissenschaftlicher  Begriffe.   3.  Aufl.  Göthen,  Schuhe,  1902.   158  8. 

Ders.,  Über  das  Verhältnis  des  Gefühls  zum  Intellekt  in  der  Kindheit  des  lodi* 
viduums  und  der  Völker.  Langensalza,  fiermann  Beyer  &  Söhne  {ßejv 
&  Mann),  1905.   0,75  M. 

Deis.,  Der  Philosoph  J.  F.  Herbart  Leipzig,  W.  Wdoher,  1905.   1  M. 


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1.  Fbxieiüauw  in  Jena  Augast  1906 


4-49 


VL  Karte  im  dm  fiaUele  dar  Kintt 
1  ItlMflnItv 

6  YorMge  mit  UehttdUam  Fnf.  Schaltee-Nannbarg  in  Suleok  M  KSmh 

1.  Hdmatlidie  BuiwdM 

1.  Die  Bedentoog  der  TMUtion  in  der  Kirnst 

2.  Die  bürgerliche  Bauweise. 

3.  Die  ländliche  Bauweise 

4.  Ziele  und  Wege. 

Literatar 

Das  Bauernbaas  im  deutschen  Reiche,  herausgegeben  vom  Verbände  Deutsoher 

Anbüelcten-  und  Ingenienr-Yereine. 
O.  Fano  und  L.  Lvck,  Augen  auf!  Schweizer  Btiuzt  alter  und  nener  Zeit 
Gro-ek,  Die  Doi-fkin  liu  im  Königreich  Saofaaen. 
GuRLiTT,  Über  Baukunst. 
MuTHSsius,  Stilarchitektur  und  Baokiinst 
Mild,  Volkakust 
Busow,  Hefinatwchnti» 
SoBMBiT,  Die  Kunst  auf  dem  Lande. 

ScHrLTZE-XArMBüRO,  Kulturarbeiten,  bis  jetzt  erschienen:  Band  I,  Hauabao«  Band  II, 

Gürten.    Iknd  III,  Dörfer  und  Kulonien.    Band  IV,  Städtebau. 
Ders.,  Die  Entütellung  uiihere.s  Leindes.    Flugschrift  des  Bundes  Heimatschatz. 

2.  Fraueaideidang 

1.  Die  aDatomiachea  Bedingungen  des  KOrpers,  in  Beeonderbeit  des 

Frauenkörpers. 

2.  Die  sich  aus  ihoeu  ergebendi  ti  Kuusequenzen  für  die  Xieidong. 

Literatur 

ScuuLTze-NAUHBURQ,  Die  Kultur  des  weiblichen  Körpers  als  Grundlage  der  li'raueu- 
Ueidung.  ^ 

MidbxSdxiBi  Die  Befoim  der  Fnneiildeidaiig  «of  gewmdhflHüoiieit  Onindlsgen. 

2.  Rifhard  Wagner,  sela  Lehes  «ad  seia  Werk 

6  Vorträge  mit  Demonstrationen    Superintendent  Rieh.  BQrkner-Auma 

1.  Das  Leben.  Jugendjahre  1813—1833.  Waudeningen  1833  bis 
1843.  Kapellraeisterleiäcn  1843  —  1853.  Irrfahrten  1853—1864.  Von 
Münclieu  über  Triebschon  nach  Bayreuth  1864—1876.  Der  Sieger  1876 
bis  1883. 

2.  Das  Werk.  Erster  Zeitramn:  Jngendwerka,  Biena,  Fliegender 
HollAnder.  Zweiter  Zeitraum:  Tanntaftuser,  Lohengrin.  Dritter  Zeitraum: 
Tristan  und  Isolde,  Ring  des  Nibelungen,  Meistorsinger,  Parsifal.  —  Der 
Musiker,  Der  Diciiter,  Der  rtiilosoph,  Der  Politiker,  Das  Oesamtkunst- 
werk. Der  Gedanke  von  Bayreuth. 

Uttratsr 

Wfike  und  Briefe: 
Kicimid  Waguerb  gesammelte  Schriften  und  Dichtungen.    10  Baude.   Geb.  25  2L 
Biohiid  Wagners  inohgel— sene  Werke. 

UtMliriR  Hr  FküOMfU«  u4  FMieotlk.  12.  Jahigu«.  29 


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450 


Mitteiloogom 


Briefwechsel  zwischen  W.  und  Liszt 

R.  W.  an  Mathilde  Wesendoni,  TagebndiliUtler  nad  Briefe. 

Briefe  yon  W.  an  Otto  Wesendonk. 

Briefe  von  W.  an  EmU  Heofcel,  «D  EliM  Wille,  an  Aqgnsfe  BSokel,  aa  Uh% 

Fischer  und  Heine.  . 
Biographien: 

Cabl  Fu.  GLAaENAPP,  Das  Leben  Richard  Wagners,  in  sechs  B&ofaeni.  Leipzig, 
Breitkopf  k  BSrteL 

HovsiOR  StBWASD  GBUnmLAiR,  Biohaid  Wagner.  Zwei  Ausgaben,  eine  grate  mit 
saUreidien  Abbildungen  und  «ne  wohlfeile  nur  mit  Text.  München,  Bmcbnann. 
WiLüKLM  KrrNZT    l^ichard  Wagner.  Die  Oesamtkonst  des  19.  Jahrhonderin.  Jlön- 

chon,  Kirchhoim. 

Ocmo  Adlkh,  Richard  Wagner.    Vorlesongon  gehalten  au  der  Universität  zu  Wien. 
Leipzig,  Breitkopf  &  Hirtel. 

VN.  SpracUamo 

1.  ieitiche  SprMke 
1.  Sptaddaimia  fiir  Anfinger:  Oberiehxer  H.  Landfliaiia 
Der  Spraoh-EarBus  stellt  sich  ab  Anllgabe:  lIQndliche  und  sdhrift- 
lidbe  DaisteUnng  der  Oedanken.    Zahlreiche  nnd  plaomStigr  angeordnete 

Sprechübungen  sind  das  Hauptmittel.  Alle  Stunden  tragen  daher  den 
Charakter  der  ausschließlich  deutschen  Unterhaltung.  Grammatische 
Übimgcn  schließen  sich  den  gelesenen  und  besprochenen  Stoff  an. 
Gelegenheit  zu  schriftlichen  Übungen.  ((  bungsstoff :  Jena  imd  Umgebung.) 

Der  Kursus  umfaiit  18  Stunden  (vom  3. — 9.  August  :  8 — 9,  vom  10. 
bis  16.  Angost:  8 — 9  und  10 — 11)  und  sechs  Spaziergänge,  die  m  dem 
ünteirioht  in  enger  Beiiehnng  stehen.   (8.  die  WoehentafeL) 

2.  Sprachkursus  für  Fortgeschrittene:  Seminar-Oberlehrer  Fr.  Lehmenaick 
Die  deutsche  Sprache  der  Gegenwart 
18  Standen  Tom  8. — 12.  August:  9^10  nnd  4 — 5 
GrondzOge  der  deutschen  Grammatik  nnd  des  deutscheo  Stiks 
abgeleitet  aus  deutschen  Schriftwerken 
VorleBnngBn,  Lektflie,  Unterweisungen,  Übungen 

1.  Deutsches  Mttr<^n. 

2.  Deutsche  Sage. 

3.  Deutsche  Frzählung. 

4.  Deutsche  Poesie. 

5.  Deutsche  Kunst. 

Anzuschaffen  sind  nnd  benatzt  werden:  Ihälinger  Sagen.  Leipiig,  Heinxidi 
Biedt,  1902. 

Beiofae  literatorangaben  siehe  in  dem  Hefte  von  HAxna&a,  Zorn  dratBoliaii 

Unterricht  (Verzeichnis  empfehlenswerter  Bacher  für  Lehrer  und  Lohrerinnen  zur 
Vorbereitung  für  ihren  Beruf  wie  zu  ihrer  wissenschaftlichen  Fortbildung),  das  als 
2.  Heft  der  Schriften  der  Päd.  Gesellschaft  erschienen  ist  bei  Bleyl  &  Kämmerer 
Dresden.    1  M. 

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1.  Fehenlnurse  in  Jena  Angost  1906 


451 


2.  Eiglisehe  Sprtehe 

Pngtish  Convenation  and  Literature  Classes:  Miss.  Catherine  J.  Dodd,  Ihe 

Victoria  Uuiversity  of  Manchester 

1.  Elementary  Claas  for  begiouers 

ThiB  ooime  indadeB  rery  easy  oouverBaftioa,  the  zeadiag  of  easy 
proee  and  poetiy,  fhe  writing  of  easy  oompositioii  and  dioCatioD. 

Subject  Matter,  a)  Prosa  1.  A  Fairy  Tale  The  Sleeping 
Beatity.  2.  Fables.  The  Town  and  Conntry  Mouse.  The  fox  and  the 
Crow.  Mercury  and  the  Woodmao.  The  Goantry  Maid  and  the  Alilkpail. 
b)  Poetzy  for  Children. 

He  was  a  rat 

I  oooe  had  a  aweet  litüe  doli  Kingsley 
Hie  Chfld  and  tlie  Lamb  Blake 

Lady  Moon  Loid  HoughioD 

The  Violet  Jane  Taylor 

Lullaby  Sir  Walter  Soott 

The  Mountain  and  Squirrel  Emerson 
The  Montlis  S.  Coleridge 

The  YiUage  Blacksmifh  Loogfellow 
Hethod.  Simple  nanative,  spoken  dowly  and  distinotly,  interapersed 

with  many  queetionB  and  recapitnlations.    Dictation  and  otfaer  written 

exercises  will  bo  given  daily,  also  exercises  in  reading  and  pronunciation. 

Not  less  than  two  English  walks  will  be  arranged. 

Bocks  lequired.    1.  Fairy  tales.    2.  Aesop's  Fablee.    3.  Selectioo 

of  Children 's  poems.    4.  Selection  of  Sehool  poems. 

2.  Advanced  Class  for  members  who  can  speak  and  understand 
ea^y  Engliah.  Simple  lectares  on  topioa  ooimeoted  irith  litentme  with 
psoses  for  oonvenation.  Beading  alond.  Subjeot  Matter.  Seteetfons  from 
Tennyson.  Browning.  Bunyans  Pilgrims  Progress.  Shakespeare  As  you 
likc  it.  (All  liookR  will  be  providcd.  Two  English  walke  will  beamngedi 
and  a  Shakesperiau  reading  in  tho  forest.) 

Books  required.  1,  Pied  Piper  of  Hamolin.  Bro\sTiing.  2.  Selec- 
tioüs  from  Browning.  3.  Sclectioas  from  Teunysou.  4.  As  you  iike  it. 
Shakespeare.   (Stead*s  editions  of  the  above  books). 

8.  IlMniilachs  8|iMcks 

MoBSieiir  Jules  Dietz,  de  Oeneve.  Lehrer  der  französischen  Spnohe  am 

Großherzogl.  Sophienstift  in  Weimar 

1*^  Revue  genüiale  de  l'histoire  de  la  litt6rature  frau9aise, 
12  Conferences. 

Ddreloppement  de  la  littfaatore  fean^aise,  du  moyen  age  jusqu'A  mos 
joora  Les  rapporls  areo  l'histoire  de  la  oiviliSBtion.  Oonp  d'<Bil  sor  la 
formation  et  la  transfonnation  des  genres:  ^popte,  loman,  trag^diei 
oom6die,  po6sie  lyriqne. 

Ouvrages  recommandös: 

Gaston  Paris,  Histoire  de  la  litterature  fran<;^ise  au  moyen  Ige. 

Maurice  Bouchor,  La  Chanson  de  Koland,  traduite  en  vers  (1  franc). 


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452 


Mitteilongen 


Le  Bidois.  La  vio  dans  la  trag^ie  de  Racino, 
Lenieat,  La  satire  en  France  au  moycn  äge. 

„        La  Com6die  aux  18e  et  19e  si^es. 
Rambaad,  Histoire  de  k  dTfliaiKtkHi  fnm^aifle. 
Le  Breton,  Le  Boman  anx  17e,  ISe^  19e  BiddeB. 
Branetidre.  Evolution  des  f^tires. 

„  Epoquos  du  Thöätro  frantjais. 

„  Evolution  de  la  poesie  lyrique. 

„  Manuel  de  rHistoire  de  la  iitt6rature  feangaise. 

Lanson,  Histoire  do  ia  Utt6rature  fraoQaise. 
2*  Bxeroioes  pratiques  (aoasi  poor  las  oommeDpants)  12  con- 
f6renoes. 

Lecture,  tEaduotioii,  convanalioD,  imptoviaation,  rUaotioiL  Sujets 

TBiies,  ohoses  vues  ou  lu^. 

Lccturo  et  traduction:  Le  Monde  oü  Ton  s'ennuie  pai*  E.  Pailleroa 
(Velhagon  et  Klaaing).  Un  choix  de  contcs  et  röcits  faciles  sera  rais  h 
la  dispositioD  des  j|[>articipaiits.  Des  promenades  dans  les  environs  de  Jena 
Bont  adapt^  k  oes  amzs. 

Ire  promeiiade:  Jeudi,  4  aoüt,  SohwdierilBlie.  Bende^-TOfna,  Yolks- 
hsoB,  0  heuQB. 


2.  »Die  nene  Sohtilec 

£ia  Beitiag  nur  Oeadiiohte  der  neuesten  Untemohts-  und  BnielHingiMnethodea  ta 

Frankreich 

Von  P.  Thiry-yexneafl 

(Fortsetzung) 

Werfen  wir  jetzt  einen  flüchtigen  Blick  auf  den  in  der  Schule  be- 
folgten Stunden-  und  Studienplan,  so  merken  wir,  daß  manches  vom  neuer- 
dings in  die  »lyotee«  und  »odli^«  eiiigefOhrtan  Ftagramm  abweiolit 
Ek>  wedieelt  z.  B.  der  Stundenplaii  mit  jeder  JahresMit;  die  Scbola  beutst 
einen  »boi&irc  d'hivers  »horaire  do  printemps«  imd  »horaire  d'6t6«  .  M 

TTm  sechs  oder  halb  sieben  läutet  die  Glocke  zum  Aufstehen.  Gleich 
macht  sich  der  Capitaino  geltend,  der  die  Schlaf  lustigen  zu  sofortigem  Auf- 
stehen aufmuntert;  gleich  nach  dem  Morgcngobet  (das  joder  Scluller  frei 
für  Bich  verrichtet)  zieht  der  Junge  seineu  Bademantel  au  und  läuft  zum 
Badesimmer,  wo  er  eine  BehnBekondeidange  Dondie  nimmt  (dies  geBohiebk 
sa  jeder  JahresMit);  Bad  mit  Toiletbe  nimmt  hOdiateiiB  eine  halbe  Stande 
in  Ansprach.  Darauf  folgt  eine  halbe  Stunde  Vorbereitungsarbeit  (sie  be- 
trägt täglich,  je  nach  dem  Alter  und  der  Klasse  des  Schülers  2  V,  bis 
das  Vesperbrot  (das  je  nach  der  Jahreszeit  aus  Schokoladetftfelohea,  aus 

*)  Das  Schuljahr  serfiült  in  drei  »trimeetreec  oder  >tennes<  ;  »trimeatn 

d'hiver«,  vom  1.  Oktober  bis  ziim  20.  Dezember:  »trirncstrc  de  printemps«  vom 
18.  Januar  bis  Ostern:  »triiuestre  d'et^c,  der  nach  24tägigea  Ferien  aaülagt;  die 
Heriatfeiien  danem  2  Monate;  aoBer  der  drei  Trimesteiterien  gibt  es  keiiM  sck 
genannton  ipctites  vacanoes«,  wie  also  zu  Pfingsten,  zu  Fastnacht,  am  14.  Juli  usw. 
Diese  £inrichtiui£  hat  zur  Folge,  daß  der  Schüler  während  12 — 14  Wochen  »on- 
untaibroohenc  aneitai  kann. 

^  V 

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2.  »Die  neue  Schule« 


}.-,:>, 


6  Standea).    üm  7**  Iftntet  inederam  die  Glooike;  dann  wird  das 

englische  »breakfast«  eingenommen  (aus  Eiern,  kaltem  Fleisch,  Schokolade, 
Milchkaffee  oder  Tee  und  ^pornd^c -Suppe  bestehend).  20  Minuten  vor 
acht  worden,  immer  unter  Aufsicht  des  Capitains,  die  Betten  von  den 
Schüleni  selbst  gemivclit.  Dann  werden  die  für  die  Klassen  nötigen  Schul- 
bücher oder  »hefte  gepackt  Funkt  8  Uhr  strOmeu  s^imtliche  »gar9ons« 
(die  in  der  1  km  entfanrteo  »Gnichaidi^«  wohnenden  benntaen  meialai- 
teils  das  Fahnad)  ins  »BIftiment  des  oHasses«,  wo  mit  respeIrtiTen  Fensen 
von  5,20  und  5  Minuten  die  Elasaensfamden  gilben  werden.  Also  4 
Schulstunden  nacheinander,  was  vom  alten  zweistündigen  Ijehrsystem 
wesentlich  abweicht.  Die  dem  Unterricht  gewidmete  Zeit  nimmt  den 
ganzen  Moriron  ein  (von  acht  bis  halb  eins).  Den  Rest  des  Tages  füllen 
die  S[)ortübungeu  oder  bogenaunteu  vtravaux  pratic^uos«  aus.  ^)  Selbat- 
versttndHofa  gilt  diese  anacheinKoh  freie  Zeit  als  Arbeitsseit  —  Üm 
12*^  kehrt  jeder  Schiller  in  sein  Heim,  mn  das  lüttageesen  (das  ans 
3  Gingen  und  einem  Nachtisch  besteht  und  30—  40  Minuten  daniwt)  ein- 
zunehmen. An  diesem  Mittagstisch  nehmen  alle  im  Hanse  anwesenden 
Lehrkräfte  teil;  jetlermann  darf  frei  roden:  nur  muß  am  Ilaupttisch 
französisch,  am  zweiten  englisch,  am  dritten  deutsch  gesprochen  werden; 
jeden  Monat  befinden  sich  die  Jungen  au  einem  dieser  3  Tische,  was  zur 
Folge  hat,  d&ß  die  Teradhiedenen  »öhefis  de  table«  d.  h.  Lehrer,  den  Zög- 
ling ebensogut  wie  in  ihrem  ZimmeTi  in  der  Kkisse  oder  anf  dem  Sport* 
feldo  kennen  lernen  und  erproben  kOnnra.  Zwanglos  herrscht  die  mimtere 
Unterhaltimg  (an  der  öfters  fremde  Besuclier  oder  ehemalige  Schüler  teil- 
nehmen) imd  natürlich  wird  auf  korrekte  Haltung  des  Schfllen  sehr  viel 
Gewicht  gelegt. 

Nach  dem  Mittagessen,  während  des  darauffolgenden  ^teraps  iibi"e«, 
rflsten  sitiii  die  Knaben  zum  Sportspiel;  die  gewöhnlichen  ArbeltaUeider 
werden  gegen  die  SportUdder  gewechselt  Punkt  2  Uhr  fangen  die 
Sportspiele  an;  diese  Übungen  werden  von  englischen,  musterhaft  dazu 
befiUiigten  Lehrern  geleitet;  im  Winter  wird  Fußball  (»nigby«  oder 
»aasociation ' )  gespielt;  an  regnerischen  Tagen  findet  ein  Rennen  oder  ein 
»rally-paper«  statt;  im  Sommer  spielt  man  >cricketf,  »lawn-tennis«  oder 
»hockey«.  Während  eine  j>6qui[)e«  derart  beschäftigt  ist,  nehmen  andere 
Boxe-,  Fecht-  oder  Musikstunden.  2) 

Üm  3'^  nach  Beendigung  der  Spiele,  kehren  alle  SchQler  in  ihr 
HfMis,  um  nadi  einer  Angenommenen  Doudie  sidi  umzukleiden;  dann  folgt 
Konfekt  (aus  Nüssen,  ÄpfeLi  oder  Birnen  mit  Brötchen  bestehend);  zwei-  oder 
dreimal  wöchentlich  wird  der  englische  »five  o'clock  tea«  eingenommen; 

*)  CHiemie,  Physik,  geologische  und  botanische  Ausflüge,  Schreinerei,  Buch- 
binderei, Bearbeitung  des  Holz^  mid  des  EiseiiB,  Gärtnerei,  Besuche  von  Bauoru- 
hüfen  und  Fabriken  aller  Art  usw.  —  In  einem  folf^cnilnn  Aufsalze  gedenkt  der 
Verfa.sser  über  diese  originelle  Einrichtung  des  praktischen  Studiums,  sowie  über 
spezielle  8]*ortül>ungen,  Hasik,  literarische  oder  wiasensohitfttiohe  Yortrige  und 
Abendversammlungen  ein  weiteres  Wort  zu  sagen. 

')  Die  Schule  besitzt  ein  etwa  20 — 2ö  Schüler  und  Lehrer  zählendes  Streidl- 
orohester,  das  von  einem  in  Paris  wohnenden  und  einmal  wöohentiioh  rar  Schule 
kommenden  ber&hmten  VioUnTiitaosen  geleitet  wird. 


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4Ö4 


MitteilangOB 


jeden  Tag  nehmen  die  Capitains  an  der  table  ä  the<  mit  Leiter,  Lehrern 
und  sonstigen  llerron  und  Damen  Platz.  —  Um  halb  fünf  treten  die 
Knaben  in  den  Studicrsaal ,  um  unuutcrbnjchen  2  Ys  Stunden  lang  zu 
arbeiten;  die  Oberleitung  der  »etude«  liegt  dem  Capitaiue  ub;  streogeä 
SfiUaohireigflD  inid  beobachtet;  taOa  «in  Sohfllfir  &  allgfwnmiw  Stille 
unterbricht  oder  döh  auf  iigeod  welche  Weise  sdiledht  beoiinmt,  ao  wird 
Bein  Name  in  das  sogenannte  »cahior  d'6tade<  geschrieben ;  das  Heft  wird 
jeden  Abend  dem  Hausleiter  gezeigt  und  es  erfolgt  eine  sofortige  Maß- 
regelung. •)  Um  7  Uhr  klingelt  es  zum  Händewaschon ;  dann  beginnt  das 
Abendessen;  eine  hali)-tündige  »r^'cr^'ation«: ;  dann  eme  lialbe  Stunde  oder 
eine  Stunde  Vorbereit  ungsarbeit;  um  9  Uhr  (resp.  S^t  Ulu*  für  die 
Kleioeren)  wnd  zun  SoUafeDgehen  geUntet;  um  9  V4  Uhr,  naoh  eiAdgtem 
Lesen  der  Zensuren  des  Tages,  nach  kurzer  Anrede  über  einen  beUebigeo, 
wichtigen  Punkt  dos  »r^glementc,  und  Lesung  einiger  Zeilen  aus  den 
alten  oder  neuen  Testament,  mit  Kommentar,  oder  aus  einem  moralischen 
Werke,  geht  der  Schüler,  nach  krj|ffip:em  >f;hake-hands«,  unter  Anwesenheit 
des  Leiters,  seiner  Uattin  und  der  verschiedonen  Lehrer,  allein  zu  fiette. 
Um  halb  zehn  ist  alles  still  im  Hause. 

So  nimmt  der  Schultag  sein  Bnde.  Bb  Bohfliut  m»  »tmmfiglichs  den 
Schüler  einen  besser  ausgefüllten  und  abwechBelungsreidieren  Tageskuf  la 
bieten,  besonders  wenn  man  ins  Auge  faßt,  daß  hier,  Sonn-  und  Feiertage 
ausgenommen,  von  keinen  Ferientagen  (wie  Donnerstag  in  den  übrigen 
staatlichen  und  freien  Anstalten)  die  Rede  ist.  Wahrlich,  hier  scheint  mir 
die  Frage  der  »Maximalarbeitc  mit  der  »Maximalfreiheitc  aufs  glücklichste 
gelüst  zu  seini 

* 

Werfen  wir  nun  einen  weiteren  raschen  Blick  in  das  ünteiriöhtaweaeii 
der  Schule.  Zunichst  sei  bemokt,  dafi  sämtliche  Lehrer  (der  ftlteste  aSUt 

34  Jahre),  mit  Ausnahme  der  Ausländer,  dem  staatlichen  I>ehr&ch  an> 
gehören ;  alle,  mit  Ausnahrae  des  katholischen  und  ]>rotestanti5chen  Seel- 
sorgers, sind  Laien  (etwa  70 ''4  der  Schüler  gehören  zum  katholii^-hen 
Bekenntnisse,  ca.  28^0  dem  calvinistischen ,  lutheranischen  oder  angU- 
kaniscben,  und  ungefähr  2  %  orthodoxen  Eirohe  an).  Alle  Lehrer  be- 
sitzen die  im  Sekundaannterricht  meistens  eocforderliohe  lioenoe-da-kttrea 
oder  ds-sdenöes,  oder  das  im  Primanntevrioht  nolwendige  brevet  &&- 
mentnire  oder  snjx'rionr.  In  gewissen  Klassenabteilungen  wird  auf  das 
bei  den  französischen  Familien  so  beliebte  »baccalanivat*  vorbereitet:  jenes 
baccalaurrat  ist  bekanntlich,  kraft  eines  vor  2  Jahren  erschienenen  miui- 
sterieUen  Erlasses,  in  4  Sektionen  eingeteilt  worden,  nämlich:  >>latin-gTec«; 
>latin-sciences€ ;  latin-hmgues«  und  »scienceb-iangues«.  £s  wird  uiemaud 
Wunder  nehmen,  daB  in  einer  nach  gana  modenen  Begriffen  eingerichteten 
Schule,  mehr  Gewicht  auf  die  Praads  als  auf  die  Theorie  gelegt  wiid; 
auch  sind  demzufolge  die  beiden  letzten  Sektionen  die  von  den  Zöglingen 
bevorzugten;  ja  die  eiste  Sektion:  die  »kitin-greo  Gombinationc  (ein  Über- 

'  )  t'her  die  vcrs(  hiedeticu  in  der  Schule  verliängteu  Strafen  wird  im  späteren 
Auföatzo  gesprochen  werden. 


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2.  »Die  neue  Schule« 


455 


rost  des  streng  klassischen,  d.  h.  ia  mancher  Hinsicht  ganz  unpraktischen 
früheren  Untcmchtsvcrfahrens)  existiert  gar  nicht  in  der  Schule,  was  die 
> Abscliaffung  des  Griechischen«  und  das  Aufblühen  und  (iedeihen  des 
ueusprachüclieu  Unterrichts  zur  glücklichen  Folge  hat 

Bei  nflherar  Betrachtung  des  UntamchtssysteiiiB  wird  dem  fremden 
Beeoeher  am  Bieisten  auffallen,  dafi  der  Eriemimg  der  Sprachen 
der  Hauptanteil  zufallt:  in  dieser  ffindöht  bietet  die  »Ecole  des  Roches< 
ein  in  Fi-ankreich  noch  nie  dagewesenes  und  ganz  eigentümliches  Bild  und 
führt  zu  ganz  ausgezeichneten  Ergebnissen.  Dieses  Resultat  verdankt  die 
Anstalt  dem  sogenannten  >stage  eu  Angletene  et  on  Allemagne«,  d.  h. 
der  den  Schülern,  vom  8.  bis  zum  14.  Jahie  auferlegten,  in  England  und 
Dentsohland  aasubriDgendeD  FlrobationBaeit;  dieeer  Aufenthalt  im  Aoalande 
dauert  0e  nach  den  geistigen  Befthigangen  dee  Knaben)  drei,  aechs,  neim 
Monate  oder  ein  Jahr,  und  findet  in  Eraehnngaheimen  statt,  die  mit  der 
Schalbehörde  in  direkter  Verbindung  stehen,  und  womöglich  über  eine  der  »Eoole 
des  Rochesf  ähnliche  Organisation  vei-fugen.  Das  Endresultat  dieses  Systems 
ist,  wie  gesagt,  ein  auffallend  günstiges  und  in  jeder  Beziehung  erfolgreiches. 

Freilich,  mit  der  Annahme  dieses  Prinzips  des  Aufenthaltes  im  Aus- 
lände hat  die  Schule  eigentlich  nichts  Neues  geleistet,  insofern  dieses  ja 
schon  in  manchen  »ljc6eac  nnd  »coUdgesc  dnrchgefOhrt  ist  Aber  Hot 
Demolins'  Verdienst»  bei  seinem  96ystemati0ohen«  Yerfshien,  liegt  darin: 
In  Frankreichs  meiaten  Erziehungs-  und  Bildungsanstalten  ist  nämlich  diese 
Maßregel  nur  eine  ausnahmsweise,  eine  außerordentliche ;  auch  bleiben  die 
meisten  Schüler  »lyceensc  oder  »collegiens«  höchstens  während  der  llorbst- 
ferien  im  Auslande,  was  ihnen,  bei  oft  unüberlegter  Walü  des  fremden 
Heimes,  beinahe  unmöglich  macht,  in  so  beschränkter  Zeitfrist  das  fremde 
Idiom  auch  nur  teilweise  beherrschen  su  lernen.  Hier  dagegen  Terfafllt 
flieh  die  Sache  gans  anders,  und  daa  Endeigebnia  ist  darum  auch  ein  gans 
TOESchiedenee.  Die  Schüler  erwerben  sich  auf  diesem  Wege  einen 

gewissen  Fond  soliden  Wissens,  der  ihnen  später  das  I^esen  moderner  und 
klassischer  Werke  ermöglicht  und  sie  zur  Konvorsation  in  der  betreffenden 
fremden  Sprache  befähigt.  Dieser  erste  einiri  lirachte  Fond  bildet  nun  ein 
nachlialtig  kräftiges  »substratumi,  das  sich  dem  Uedächtnisse  desto  fester 
und  dcberar  Mnprägt,  je  mehr  die  Kenntnisse  bei  jungen  Jahren  erworben 
worden  sind.  Bevor  man  in  einer  fremden  Sprache  schreiben  lernt,  kann 
man  in  derselben  zunächst  sprechen,  eine  Unterhaltung  im  Gange  lialten 
und  beinahe  >fremdsi>rachlich  denken«^.  Und  siehe!  dies  ist  eben  der 
Endzweck  der  olien  erwähnten,  vor  zwei  Jahren  in  Frankreich  so  glück- 
lich eingebürgerten  und  verfolgten  Methode,  genannt  »methodo  directe«, 
oder  »muthode  intuitive«.  —  Aber,  was  bis  jetzt  in  den  »milieux  universi- 
tairee«  mit  so  großer  Mfihe  und  dmeh  S  oder  Satfindigen  wöchentlichen 
Unterricht  TerwirUicht  worden,  mit  Hilfe  der  sogenannten  »Glaasea  de 
Converaationc,  dies  erzielt,  auf  tganz  natQrlichem  Wegec,  ohne  jedweden 
Zwang,  und  nur  mit  Hilfe  >naturgemäßer«  Mittel  die  Schule  >les  Roches«.  ^ 

Übrigens  beeint räelitigt  diese  Pmbationszeit  im  Auslande  keineswegs 
den  normalen  Gang  des  nousprachlichen  rnterrichts,  der  im  l'ntemchts- 
zjkius  immer  eine  kapitale,  auf  der  unbedingten  Notwendigkeit  der  Er- 


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456 


lliiteiliiDgeD 


lemuog  freuidtir  Spraclieu  beriüieude  Holle  spielt  Auch  hat  jede  KlaasQ 
swa  Sektionen,  die  eine  fOr  die  achirfldieren,  die  andere  für  die  tfiohtigerai 
Schiller;  wie  in  allen  andem  ünterriohtsfikäieni,  seigt  die  Schule  andi  in 
diesem  Fache  ihre  spezielle  Eigenart:  denn  im  Zusammenhaag  mit  den 

Klassen,  die  hier  seit  »fünf«  Jahren  (in  den  übrigen  Anstalten  erst  seit 
»zwei«  Jahren)  immer  im  fremdländischen  Idiom  gelialten  werden,  wobei 
des  Lehrers  Augenmerk  besonders  auf  die  Erlernung  des  Vocabiilars,  der 
Biegungen  iukI  der  einlachsteD  Hegeln  des  Satzbaues  gerichtet  ist,  müssen 
sidi  die  Zöglinge  der  »Eoole  Nonvelle«  anoh  aafier  der  Klaflaenwit  speziell 
in  der  Konversation  flbeo.  Und  damit  das  beidts  angeeignete  Spndi^ 
material  nicht  verloren  gehe,  stehen  den  Schülern  dentsche  und  englische 
Lehrer  fortwahrend  zur  Seite;  bei  Spaziergängen,  wie  während  der  Sport- 
flbungen,  während  des  Essens  und  während  der  Spielstunde,  überall  bietet 
sich  da  dem  Knaben  Oclegeulieit,  das  schon  Erlernte  zu  vervollständigen 
bezw.  zu  vervollkommnen  in  iTorm  leutseliger,  zwangloser  Unterhaltungen 
in  fremder  Sprache. 

moht  lange  hat  das  Enderg^m'a  dieser  stieogen  Schnlmig  im  neo- 
sprachlichen  ünterrlcht  auf  sich  warten  lassen  nnd  die  Folgen  des  Systems 
sind  bei  verschiedenen  Prüfungen  von  unerwartet  glänzenden  Erfolgen  ge- 
krönt worden.  Im  Abituriontenexamen ,  bei  der  »mündlichen«  Prüfung, 
sind  die  meisten  Schüler  »des  Koches <  glänzend  durchgekommen;  einige 
haben,  z.  B.  im  Englischen  die  Zensur  »sehi-  gut'  erhalten.  Alles  dies 
▼erdanken  sie  ihrer  Beherrschung  der  fremden  Spmche  (etwa  70% 
Schiller  haben  schon  mit  ihrem  12.  Jahre  einen  mehrmonatigen  Anientliatt 
in  EngUmd  zu  verzeichnen).  Für  die  meisten  ist  diese  Obcädegenlieit  von 
entscheidender  Bedeutung  beim  Endresultate  des  Hauptezamens  gewesen; 
nicht  selten  sogar  wurden  manche  Schüler  »cum  laude«  angenommen,  dank 
ihrer  Meisterschaft  im  Englischen  oder  Deutschen.  Bedenkt  man  nun, 
daß  sich  etwa  90^0  ^^i'  Schüler  später  verschiedenen  Zweigen  des 
Handels,  der  Industrie  oder  der  Kolonisation  widmen  werden,  so  sieht  man 
gleich,  dn,  von  welcher  Wichtigkeit  fOr  das  wettere  Leben  diese  Sprach- 
kenntnisse  sein  werden,  und  wie,  dem  Wahlspraoh  der  Schule  entspraeheod. 
Jene  Knaben  in  späteren  Jahren  wohlgerüstet  sdn  werden  fOr  das  Leben 
(bien  arm^s  pour  la  vio !). 

Soviel  über  dieäuüere  und  innere  Ausgestaltung  der  Schule  »les  Boches«. 

•  ^  ♦ 

Werfen  wir  nun  nochmals  einen  ROokUick  auf  das  oben  in  den 
Orundrisseo  und  HaupÜinien  Skiziierte,  so  kommen  wir  sn  folgender 
Schlußfolgerung:  Was  die  Schule  »les  Bodbes«  von  allen  andem  französi- 
schen Erziehnngs-  und  Tlntemchtsanstalten  unterscheidet,  was  ihr  das  Ge- 
präge der  Neuheit  vcrleilit,  kann  in  drei,  von  Ilerru  D.  in  dem  schon 
oben  erwähnten  Werke  (»Tilducation  Kouveile«)  trefllich  zusammengeiaüteo 
Hauptpunkten  klai-gclegt  werden:^) 
^  1.  Das  Leben  im  Freien:  das  eine  geiadesn  eEstannliche  Wirkung 
auf  die  Knaben  ansDbt,  insofom  es  als  natuigemftfles,  eoeigisofaes  Ab- 
leitungsmittel gegen  alles  BOse  und  Lasterhafte  in  Oedanken  und  Tat  dient: 

>)  r^auoaüon  Noavelle,  Chap.  II  et  IQ. 


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2.  »Die  neue  Sohnle« 


457 


die  Handarbeiten  (Tischlerei,  OärtDerei,  Buchbinderei,  Bearbeitung:  des 
Holzes  und  Eisens),  dio  S|>ielo  unter  freiem  Himmel,  die  verschiedenen 
Sportübungen,  die  gt'sundheitlichen  Hilfsmittel  (wie  kalte  und  warme 
Bäder,  tubs,  Douchen):  alles  das  übt  einen  ebenso  kräftigendeu  Einfluß 
«nf  das  Bändee  Seele  ans»  wie  die  erteHten  atüicheii  fiateohUge  (die 
UbrigeDS  bei  uns  ebeneogat  als  moralieoher  Faktor  gebfandit  -werdeo  wie 
in  ükn  sich  doee  guten  Bnfee  erfreuendra  andcn  n  Anstalten). 

2.  Das  gemeinsame  Arbeiten  und  Zusammenleben  des 
Lehrers  mit  den  Schülern:  Dank  dieser  Gemeinschaft  des  Lehrers 
mit  dem  Zögling  im  Handeln  und  "Wandeln,  erblicken  die  Knaben  im 
Lehrer  nicht  (wie  leider  so  oft  geschieht),  einen  Hemi,  der  bloß  da  ist, 
tun  Stunden  zu  geben,  Arbeiten  zu  korrigieren,  Zensoren  zu  erteilen, 
Stiafen  m  diktieren,  sondern  ▼ielmebr  einen  Freund,  einen  Batgeber,  der 
alles  mit  ihnen  gemeinschaftlich  teilt  und  mitfühlt,  der  an  ihren  Freuden 
und  Leiden  innigen  und  uneigennütsigen  Anteil  nimmt.  Der  Lehrer  ist 
es  auch,  der  mit  den  lieben  Eltern  in  regem  Briefwechsel  stellt,  der  sie 
gerne  bei  Schulbesuchen  empfängt,  mit  ihnen  über  den  ^jungen  Wildfang« 
spricht ;  kurz,  der,  soweit  es  ihm  seine  Kräfte  erlauben,  für  das  gemeinsame 
Vöhl  des  Kindes  und  der  Familie  mitarbeitet :  mit  einem  Wort,  »der  Lehrer  ist 
dem  Sdifller  ein  Fiennd,  d^  Eltera  ein  Mitarbeiter  im  Era^nngsgeechftft«. 

3.  Die  Gegenwart  des  Weibes  im  Hanse  resp.  in  der 
Schule.  Die  Idee,  welche  leider  bis  tot  ^nigen  Jahren  als  Grundlage 
des  Erziehungssystems  obwaltete,  war  diese:  völlige  Abwesenheit  des 
Weibes  von  der  Schule!  In  der  »Ecole  des  Koches«  dagegen  führt  die 
Frau  (sei  es  die  Gattin  der  Hausleiter  oder  Professoren,  sei  es  die  in 
niederen  Klassen  von  den  meisten  Erziehern  mit  Recht  bevorzugte  Pro- 
fessorin) ihr  mUtterlicfaes,  mildes,  wohltuendes  Regiment;  dank  der  Gegen- 
wart des  Weibes  in  der  Anstalt,  dank  seiner  mütterlich  eingreifenden 
"Wirkung  wird  das  Schulheim  zu  eiiior  wahren  »Filiale«  des  eigenen 
Familienheime.^,  des  väterlichen  Herde.s.  Viehnohr:  die  Gegenwart  des 
Weites  gewöhnt  den  Knaben  an  bessere  äußere  Haltung,  an  höfliches, 
sittliches  Reden ;  sie  bürgert  in  die  Schule  soziale  Lebensverhältnisse  ein, 
die  denjenigen  des  späteren  »offiziellen«  Lebens  gleichkommen;  sie  macht 
ans  der  Schule  ein  trautes  Duniliennest^  verleiht  derselben  ein  heimisches 
Aussehen,  und  widerspricht  dem  so  sehr  Tersehrieenen  Gleichnisse  der 
Internalsschule  mit  der  »Kaserne  • ;  sie  beugt  endlich  einem  wichtigen, 
dem  Kinde  beim  Eintritt  in  das  Ijeben  vorkommenden  1  bei  vor ;  d^-r 
plötzlichen  Entdeckung  des  Weibes,  welch  lefztf^re  in  moralischer  Hinsicht 
SO  schwere  Folgen  für  den  lebensuneriahrenen  Knaben  mit  sich  bringen  kann! 

So  Tersteht  man  hier  in  der  »Ecole  des  Boohesc  die  Aufgabe  der 
Erziehung;  so  versteht  man  das  ideale  Werk  des  Lehrens  und  Lernens; 

so  versteht  man  die  Wirkung  des  Lebens  im  Fr^en  auf  Körper,  Geist 
und  Seele;  so  endlich  sucht  Unterricht  und  Erziehung  auf  die  soziale  Zu- 
kunft des  Kin<les  Einfluß  auszuüben,  so  bildet  man  vorurteilsfreie,  stark 
individualisierte,  charakterfeste  und  sitthch  vollkommene  Weltbürger. 
(Ecole  des  fioches,  Verneuil  [Eure]  Ende  Dezember  1904). 

  (Schluß  folgt). 


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I  Philosophisches 

Partsch,  Dr.  J.,  Mitteleuropa.   Gotha,  Justus  Perthes,  1904.  463  Seiten. 

Die  Eigenart  dieses  vortreölichen  Buches  und  der  Reichtum  seines 
Inhalts  sind  so  groß,  daß  ich  zweifle,  dem  Werke  in  nachstehender  Be- 
sprechung voll  gerecht  zu  werden;  und  gleichwohl  meinte  ich,  die  Leser 
dieser  Zeitschrift  und  namentlich  die  Pädagogen  auf  dasselbe  aufmerksam 
macheu  zu  dürfen,  als  auf  ein  vorzQglich  geeignetes  Hilfsmittel  zur  Be- 
lebung des  geographischen  (auch  geschichtlichen)  Unterrichts. 

In  uusenn  Buche  sollen  *die  Länder  und  Völker  von  den  Westalpea 
und  dem  Balkan  bis  zu  dem  Kanal  und  Kurischen  Haff«  dargestellt 
werden.  Ui-sprünglich  als  Einzelband  eines  großen  Werkes  gedacht 
welches  unter  der  Leitimg  von  John  Mackinder  (Oxford)  um  die  Jahr- 
hundertswende erschienen  ist,  und  welches  in  12  Bänden  die  Länder  des 
ganzen  Erdkreises  dai-stellt,  konnte  die  Arbeit  des  Verfassers  in  diesem 
Rahmen  nur  verkürzt  aufgenommen  werden;  so  erscheint  sie  nun  tm- 
verkür/t  und  den  Bedürfnissen  des  heimischen  Leserkreises  entsprechend 
neu  bearbeitet;  luid  hierbei  sind  die  Veränderungen  berücksichtigt,  welche 
der  seit  erster  Abfassung  verronnene  fünfjährige  Zeitraiun  erforderte. 

»Mitteleuropa«  umfaßt  nach  unserm  Buch  das  Deutsche  Reich  und 
Österreich  -  Ungarn ,  femer  Bosnien,  Serbion,  Bnlgarien,  Rumänien  und 
Holland,  Belgien,  Schweiz.  Die  Orenze  nach  Osten  liegt  passend  da,  wo 
Ostsee  und  Pontus  sich  am  meisten  nähern  (Königsberg — Odessa)  wnd 
hiermit  fällt  ja  die  Grenze  Rußlands  zusammen.  Die  Ausscliließung  der 
drei  großen  sfldeuropäischen  Halbinseln  ist  gleichfalls  selbstverständlich. 
Bezüglich  der  Abtrennung  FrankTeichs  war  dessen  ganz  abgesonderte  Ge- 
staltung des  Stromnetzes  bestimmend.  Es  liegt  wolü  aber  noch  ein  innerer 
wesentlicher  Gnmd  für  diese  ganze  Begrenzung  Mitteleuropas  vor,  welcher 
die  Umschließung  so  verscliiedener  Völkerteile  rechtfertigt.  Der  Verfasser 
gibt  ihm  an  anderer  Stelle  folgenden  Ausdnick:  »Wird  der  Kampf,  der 
heute  Mitteleuropa  tief  bewegt,  sich  beruhigen?  ...  0  nein!  Das  Selbst- 
gefühl der  Nationalitäten  ist  tiefer  begründet.    Die  Zeit  verschärft  es.  in- 


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I  Pliilo80i)hisches 


459 


dem  sie  die  Eigenart  je<les  Volkes  zu  voller  Durchbildung  brint^t.  .  .  In 
dem  Wettstreit  so  vieler  Kulturen,  die  auf  seinem  Boden  sich  begegnen, 
liegt  der  Reichtum  des  geisligeu  Lebens  von  Mitteleui-opa  begründet,  aber 
gleidueitig  auch  dio  emsteBfee  Gefahr  für  die  Sidierheit  seineB  BestaDdes. 
BornblgeDd  wirkt  indes  eioe  Tatsache,  weiche  keine  nfttfonftk  LeidfiOBcbaft 
aua  der  Welt  schaffen  kann:  das  praktische  Bedüifnis  aller  Lünder  Mittel- 
europas nach  einer  dem  Verkehr  vermittelnden  gemeinsamen  Sprache.  Ver- 
gebens gibt  madjarisches  Selbstbewußtsein  oder  rumänische  Koketterie,  die 
mit  dem  Fi-anzösischen  liebäugelt,  sich  den  Ausclieiu,  als  sei  über  die 
Wahl  dieser  Spnushe  noch  ein  Zweifel  möglich.  Diese  gemeinsame,  von 
Galats  und  Sophia,  von  Triest  nnd  Antwerpen  bis  tief  nach  Rnfiland 
liiii  i:i  im  Verkehrsloben  heimische  Sprache  ist  tatsächlich  bereitB  vor- 
banden: es  ist  das  Deutsche.  Nur  die  zurQckgebliebenen  Länder,  Monte* 
negro  und  Sorhion  mögen  jetzt  noch  eine  Ausnahme  machen.  Das  ganze 
übrige  Mittelt'urupa  gehOrt  bewußt  oder  unbewußt,  gern  oder  widerstrebend 
zum  germauischeu  Kulturkreis.« 

Was  greift  doch  alles  in  die  Gestaltung  des  Relief  eines  so  weiten 
Gebietes  ein.  —  Umlte  VorgSnge  und  neues  Geschehen  bestimmen  das- 
selbe: geologische  Ablagenmgcn,  Faltungen,  Senkungen,  plutonischo  Erup- 
tionen, Erosionen  vom  Einfres!<en  eines  einzelnen  Wassorlaufs  bis  zur  Ab- 
rasierung  eines  ganzen,  eiiiat  hoch  aufgericlitetfn  Gebirges;  da/.u  das 
Wiiken  des  Meeres  iu  Zerstörung  und  Aufbau,  und  die  tief  eingreifende 
Wirkung  der  Gletscher  und  Bisseit  ünd  nicht  nur  das  Belief  imd  die 
Geognode  des  Landes  wird  damit  bestinunt,  sond^  mit  ihnoi  zuglddh 
alle  Lebensbedingungen  der  Bevßlkenmg:  Fnichtbarkeit.  Schätze  des  Berg- 
baues, Zugänglichkoit,  materieller  und  g*^istigor  Verkehr  über  Wege,  Flüsse 
und  Meer.  —  In  diesem  weiten  Zusammeuliange  bespricht  der  Verfasser 
im  ersten  Drittel  des  Werkes  cmgohend  Relief  und  Landscluiftsbild  der 
drei  Abteilungen  des  Gebietes :  Kettengebirge  des  Alpinen  Systems,  SclioUen- 
gebirge  Mittelearopas,  Norddeutsches  Tiefland  und  Deutsche  Heeie.  Da 
sehen  wir  die  großen  teUweiae  schon  wieder  abiasierten  al^nen  Faltungen 
aus  der  Tertiärzeit,  reichend  von  den  Seealpen  bis  Wien,  sich  fortsetzeud 
in  den  Karpaten  und  in  Schleifenform  zum  Balkan,  an  dosson  Ostraiul  das 
Faltengel)irge,  im  Pontus  versinkend,  in  Krim  und  Kaukasus  wieder  auf- 
taucht. Diese  im  allgemeinen  nordwärts  geschobene  Faltung  der  vor- 
tertiliea  SohiditeiL  hat  die  gleichartigen  nördlichen  Schichten  nur  wenig 
berflhrt  Zwischen  den  alten,  teilweise  bis  zum  Sockel  abrasierten  Oe- 
birgsmassiven  Rohmens,  des  Ober^  und  Niederrfaeins  und  Harzes  gelagert, 
haben  sie  der  Faltung  halt  geboten.  Diese  vortertiären  Schichten  sind  in 
Mitteldeutschland  stufenweise  zum  Teil  bis  zur  Kohl>'nfoniiatirin  bloßgelegt, 
in  Norddeutschland  aber  von  jüugerea  Ablagerungen  verschleiert 

Wie  in  diesem  Tsile  des  Buches  ohne  ROcksicht  auf  poUtische 
GrenieD,  aber  immer  die  Beriehungeo  auf  VolkawirtschafI,  Yerkehr  usw. 
im  Auge,  Belief  und  Geognosie  duich  das  ganze  Gebiet  hindurch  im  Zu- 
sammeobange  behandelt  wurde,  so  werden  wir  auf  weitem  120  Seiten 


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460 


Besprechungen 


durch,  das  ganze  Gebiet  umfassende  Darstellungen  über  naehstohenlo 
Wissenszweige  unterrichtet:  über  das  Klima,  die  Völker,  die  Staaten- 
bildung,  das  wirtschaftliehe  Leben.  —  Da  sehen  wir  die  Sttae  der 
TUker  vor  and  nadi  der  YOIkerwanderong  nnd  deren  heutige  Yetteihmg. 

Wir  erhalten  einen  kurzen  Überblick  über  die  Staatenentwicklmigeii  und 
bis  in  die  neue  Zeit  hinein  Einblick  in  die  politischen  Stellungen  der 
Einzelteile  unseres  Gebietes.  Wir  übersehen  die  Gaben  der  Pflanzenwelt, 
den  Wald-  und  Ackerbau,  die  Viehzucht,  die  Schätze  des  Bodens  an 
Erzen,  Brennstofteu,  Salzen  und  in  Verbiodung  mit  dem  allen  das  Wirken 
nnd  den  Erfolg  menschlichen  Fleißes. 

Es  folgt  ein,  dem  dritten  *M  des  BnclieB  einnehmender  Abschnitt 
fibersohiieben:  tEnltnigeographiec  Obgleidh  hier  die  poUtisdien  Ab- 
grenzungen nach  GebQhr  hervorgehoben  werden,  sind  doch  die  Staaten  ni- 
nächst  zu  10  Hanptgruppen  (Alpenländer,  österreichische  Sudetenländer  usw.) 
zusammong-efaßt  und  in  weiterer  Teilung  nach  geog:raphischer  Zugehörig- 
keit behandelt:  sn  z.  B.  zerfällt  die  eine  liauptijruiipe  Das  mitteldeutsche 
Berg-  und  Hügelland  c  in  4  Eiuzelgebiete :  Bergland  des  Niederrheins; 
Hessen,  das  Weserbergland  und  Wesiphalens  Tleflandbodit;  das  Gebiet 
der  mittleren  Mbe;  die  Oberlansits  nnd  Südhftlfte  Schlesiens.  —  So  er- 
hält man  Aber  jeden  Gebietsteil  einen  kurzen  kulturgeographisch^  Über* 
blick,  in  welchem  namentlich  auch  die  Verkehrslagen,  Bedeutungen,  teil- 
weise auch  geschichtlichen  Beziehungen  der  Landeshauptstadt  und  einiger 
anderer  wichtiger  Städte  besprochen  werden. 

Der  Verfasser  hatte  unsern  Blick  schon  in  früheren  Abschnitten  Niel- 
fach auf  das  Kulturelle  gericlitct,  deslialb  möchte  ich  zur  Unterscheidimg 
die  Übeischrift  dieses  Kapitels  in:  »Enltoigeographie  der  Einaelgebiete« 
ergfinst  wissen;  vidleicht  aber  kennseiobne  ich  den  &ihalt  dieses  Kapüsls 

am  besten  durch  wörtliche,  etwas  abgekürzte  Mitteilung  eines  Beispiels, 
dnes  kleinen  unter  den  zahlreichen  gleich  lesenswerten: 

Sfldhälfte  Schlesiens:  »Diese  Provinz  des  preußischen  Staates  <lriTi_'^ 
wie  eine  Halbinsel  zwischen  Böhmen  und  Polen  ein.  Die  Umfassung  dim:h 
fremde  Zollin'enzou  erschwert  die  Entwicklung  vieler  Zweige  ihres  auf- 
strebenden wirtschaftlichen  Lebens  und  gibt  der  erst  in  den  letzten  Jahr- 
zehnten  su  ansehnlicher  LeistongsfiUiigkeit  verbesserten  Wasserstrafie  der 
Oder  . .  erhöhte  Bedentang.  Dsa  «ildxmdie^  aber  keine  grölten  Erzlager- 
stätten bergende  Gebirge  ist  der  Sit«  einer  Industrie,  welche  an  der  Trirfh 
kraft  der  Gobirgsbächo  eine  Hilfe  von  wechselndem  Werte  gewinnt,  solange 
nicht  Sammelbecken  ihnen  eine  stetigere  Wasserführung  sichern.  Glas- 
hütten, Sägemüiilen  und  Holzstofffabriken  zehren  an  der  Waldung.  Die  Hand- 
ireberei  fristet  immer  noch  ihr  Dasein.  .  .  Aber  unwiderstehlich  volldeht 
sich  in  der  ganzen  Textilmdnstrie  der  Übergang  su  Msschinenbetiieb  in 
großen  Fabribsn.  Ihre  Entwicklung  gehorcht  der  Anziehungskraft  des 
Kohlenbeckens  von  Waldenburg,  das  einen  Gürtel  dicht  b^iedelter  Dörfer 
und  rührig-er  Werkstätten  zwischen  steile  waldige  Berge  einflicht.  .  .  Der 
Groiiverkehr  hält  sich  seit  alter  Zeit  an  den  Außenrand  des  Gebirges  und 


I  PhflOMplliSOhBB 


461 


emioht  von  Görlitz^)  aus  bei  Lieguitz  (57  000  Eiuw.)  die  fruchtbaren 
nuttelBoliMBolie  Bbene  bei  Brodau  die  Oder. . . . 

Im  14.  und  15.  Jidirliiiiidait  lag  Brealaii  an  der  Oienae  der  euo- 

pSischen  Kultur.  Auf  seinem  Markte  begegneten  flioh  die  Warenzüge  aus 
den  Niederlanden  und  Süddeutschland  mit  denen  aus  T"^n,t,'ani ,  Rußland, 
Poleu  und  Preußen.  Mit  den  Erzengnissen  des  Westens  und  der  eignen 
Industrie  drangen  die  Kaufleute  der  Stadt  weit  nach  Osteiux)pa  vor  und 
hatten  andreneits  Fühlung  mit  Venedig  und  Brügge.  Die  selbständige 
EntwiokliiDg  Pdens  entwertete  im  16.  Jahrhimderto  die  alten  Handels- 
Tarrechtei  .  .  Der  neue  Au&chwung  der  Stadt  im  19.  Jahrhondert  Qetat 
438800  Einw.)  beruhte  auf  anderer  Grundlage.  Breslau  war  nmi  det 
Mittelpunkt  des  Handelslebens  einer  großen  erzeng'nisreichen  Provinz.  .  .  . 
Neuerdings  aber  beginnt  sich  mit  steigernder  Entwicklung  der  Verkehrs- 
mittel die  Abhängigkeit  der  Provinz  von  diesem  Zentrum  zu  lockern. 
Bio  TTanaliBieruDg  der  Oder  Ua  anMrte  nach  Koeel  verlegt  dorthin  den 
Hafen  OberechleeienB  ond  Telegraph  mid  Telephon  knüpfen  immittelbar 
an  das  Zentrum  des  Belcbs  den  oberschlesisohen  Indnstriebezirk. 

Mitten  in  einem  weiten  Waldgebiet,  das  unter  wenig  große  Grund- 
herron verteilt  war  .  .  .  hat  sich  seit  ErschlioBung  der  Kolüenlager,  die 
selbst  die  westphälischen  an  Reichtum  übertreffen,  hart  an  den  Grenzen 
des  Beichs  eine  mächtige  Industrie  erhoben,  welche  die  selteue  Vereinigung 
-ven  Kohlen,  Eiaenefaen,  Zink-  und  fileienen  an  achneller  nnd  vielaeitiger 
Entwioklnng  beAhigta  Die  Zinkgewinnimg  dieees  Bevieia  iat  die  stftrksto 
Europas.  Der  Eisenindustrie  genügen  die  geringwertigen  heimischen  Ene 
nicht,  aber  der  billige  Kohlenpreis  setzt  sie  ...  instand,  bessere  Erze  aus 
der  FeiTie  heran  zu  ziehen.  ...  In  den  Kreisen  Tarnowitz,  Beuthen,  Konigs- 
hütte.  Kattowitz,  Zabrze,  Gleivntz  trägt  ein  Gebiet  von  485  r|km  486000 
Mensclieu.  .  .  .  Dicht  nebeu  diesem  Gewimmel  arbeitsamer  Menschen  liegen 
"weite  Waldimgen,  in  denen  —  anf  Kohlenfeldeni  dea  Berghanea  der  Zn- 
knnft  —  Magnaten  ihre  Wildparke  abgrenaen.c 

Noch  einmal  zum  Schluß  wird  in  zwei  kleinen  Abschnitten  des  Buchs 
das  ganze  Gebiet  Mitteleuropas  nach  zwei  Gesichtspunkten:  »Verkehrsleben« 
und  »Bedingungen  der  Landesveiteidigungc  zusammenhängend  bespmcheu. 
Ich  kann  auf  diesen  letzten,  sehr  interessanten  Abschnitt  nicht  näher  ein- 
gehen. Im  allgemeinen  sind  diejenigen  BefestigungaanJagen,  welche  frOher 
die  Staaten  Mitteleuropaa  gegeneinander  errichtet  hatten,  aSrntUoh  gefallen. 
Nor  Serbien  und  Bulgarien  kehren  Sicherheitsmaßregdn  gegeneinander, 
und  Österreich  sichert  sich  die  Bewachung  Montenegros.  Im  übrigen 
liegen  die  wesentlichen  Befestigungslinien  an  den  Grenzen  des  Gesamt- 
gebietes nach  Osten  und  Westen.  Auch  hierin  zeigt  sich  das  dunkle  Ge- 
fOhl  einer  inneren  Zusammengehörigkeit  Mitteleuropaa* 

Dem  Werke  iat  eine  grOfiere  Ansahl  ferbiger  Karten  beigegeben  und 
auch  dem  Texte  aud  mancherlei  Abbüdongen  ebgedmckt:  fXbm  Oebirgs- 

^)  Der  Verfasser  führt  uns  von  Westen  her  über  Bautzen  naoh  Sohlesien. 


462 


Besprechangen 


bau,  TalnetiB^  rßmiscbe  Grenzlagcn,  Festungen,  Fixichtarten,  Kalisalze  xisw. 
—  So  oft  man  das  Buch  zur  Hand  nimmt,  wird  man  durch  den  Beichtnm 
<los  Inhalts,  die  manigfalti^^en  Beziehimgen  und  die  Darstellungsart  ge- 
fesselt. Man  hat  stets  die  Empfindung,  als  ob  der  Verfasser  das  Be- 
schriebene selbst  gesehen  habe  und  genießt  dazu  den  Vorteil  der  fort- 
fQhraQg  dar  DamteUmig  bis  in  die  alleitetzten  Jahzen. 

Boppard  Julius  Bedlich 

II  P&dagogiBohes 

Ikyer-Markao  u.  Holdschmidt,  Duisburg,  die  jüngste  Großstadt  des  deutschen 
Heiches.  Eine  lieimatskunde  als  Volks-  und  Jugendschrift.  Duisburg, 
Steinkampf;  1904.    100  & 

Ea  iat  immer  eise  mi Wiche  8aohe,  wenn  man  mit  wenig  ICtteln 
allzuviel  erreichen  will.  Vorliegende  Schrift  will  eine  »Heimatkunde«  sdn, 
die  in  der  Regel  für  die  Hand  des  Lehrers  bestimmt  zu  sein  pflegt.  Sie 
soll  aber  auch  als  *  Volksschrift«  das  reifere  Alter  interessieren  und  als 
»Jugendschrift •<  durch  Form  und  Inhalt  die  Kinder  fesseln.  Endlich  ist 
das  Buch  auch  als  »Festschrift«  zum  4.  Februar  d.  J.,  an  welchem  Tage 
die  Einwohnenabl  Duisburgs  auf  100000  gestiegen  ist,  gedaolit  Daa  iflt 
viel  verlangt  und  konnte  nidit  gnt  gelingen. 

Dem  Lehrer  wird  die  Söhale,  ans  der  er  sich  nach  Bedarf  den  Kern 
herausholen  soll  —  denn  es  ist  wohl  selbstverständlich,  daß  er  den  Stoff 
nicht  in  der  vorliegenden  Form,  einer  Erzählung,  verwendet  —  wenig 
angenehm  sein.  Dem  Erwachsenen  dürfte  die  fingierte  Handlung  —  der 
aus  Amerika  zurückgekehrte  Onkel  Fritz  durchwandert  mit  seinem  Neffen 
Hein  die  einaelnen  Teile  Dniabnrga  nnd  bei  dieaer  Gelegenheit  beapreohen 
Me  aioh  Uber  Vergangenheii  nnd  Gegenwart  der  Vaterstadt  —  anf  die 
Dauer  auch  recht  eintOnig  werden.  FQr  die  Kinder  endlidi  ist  vieles 
interessant,  vieles  aber  geht  durchaus  über  ihr  Fassungsvermögen,  wie  ja 
die  Verfasser  selbst  ab  und  zu  bemerken,  daß  Hein  »von  alledem  wiederum 
nichts  verstand«  (S.  61,  67).  Hoffentlich  geht  es  darum  den  kleine 
Leeem  nicht  auch  ao  wie  Hein,  der  zum  Onkel,  naohdem  dieeer  eben  eise 
wobigesetale  llogere  Belehrung  beendigt  hatte,  die  denkwftrdigen  Worte 
eagt:  »Onkel,  du  kohlst,  daß  man  es  fühlen  kann«  (8.  10).  Das  wiie 
um  80  bedauerlicher,  als  die  Denkschrift  zur  Erinnerung  an  den  4.  Febrair 
1904  von  der  Stadt  an  11000  Volksschüler  vorteilt  worden  ist! 

Einen  Gewinn  für  die  Didaktik  bedeutet  diese  erzählende  Darstellung 
der  Heimatkunde  nicht;  sie  dürfte  sich  auch  zur  Nachahmung  kaum 
empfdilen.  Die  BHkhrnng  bat  gelehrt,  dai  dsnrtig  bdelmDde  EnBhlnagen, 
wie  sie  beeondera  aeit  Campe  nnd  flalamann  eine  Zeitlang  ala  Jqgend- 
•fdniften  aebr  verbreitet  waren,  einen  tieferen  Einfluß  auf  die  Jugend 
nicht  anaflben,  und  Herbart  hat  mit  seinem  Worte:  : Schon  die  Absiebt 
zu  bilden  verdirbt  die  Jugendschrift«  recht  behalten.  Ob  in  Jem  vor- 
liegenden Falle  der  heimatliche  Stoff  den  Nachteil  etwas  abechw&cht,  muß 
die  Erfahrung  lehreu. 

Indea  soll  nicht  unenvihnt  bleiben,  daft  daa  SehriftebflB  auf  grflnd- 


U  Pädagogisches 


463 


]icher  Sachkenntnis  beruht,  und  der  lohalt  so  geschickt  angeordnet  und 
dargestellt  erocbeint,  wie  dies  bei  dem  sprOden  Stoffe  nur  mOgUch  ist  und 
stellenweise  anob  eines  poetischen  Anfluges  nicht  entbehrt.  Nur  soJlt» 
mit  Ausdrücken  wie  >]^umenwdche  (statt  flaumweiche)  Erumec,  S.  61» 
»die  Ene  sohmilzen«  (statt  schmelzen),  S.  68,  vorsichtiger  umgegangen 
werden.  —  Ob  wohl  die  Verfasser  selbst  die  Schwierigkeit  ihres  eigen- 
artigen Unternehmens  eingeselien  haben,  weil  sie  sich  über  dessen  eigent- 
liche Absichten  gar  nicht  äuüem? 

PöBneok  E.  SohoU 

Teufel .  S.,  Lateinisohe  Stilübungen  aus  dem  Nachlasse  des  W. 
S.  Teuffei  herausgegeben.    2.  Auflage  bearbeitet  von  C.  John.  Tübingen 
und  Leipzig,  J.  Mohr,  1903.    8o    VIU,  147  S.    3,60  M,  geb.  4,G0  M. 
Die   vorliegende  Sammlung   ist   zum   größten  Teile  für   die  ent- 
sprechenden Übungen  des  philologischen  Seminars  zu  Tübingen  entstanden. 
IXe  sm  Sofalnsse  beigegebensn  AnmerkiuigeD  bieten 
frQohten«  und  Hinweise  auf  Nlgelsbaohs  Stilistik.  Der  Xhabag  der  litenr- 
geechichtlichen  Studien  von  W.  S.  Teuf  fei  erkl&rt  es,  daft  wir  niobt  etwa 
ausschließlich  ciceronischem  Latein  und  langatmigen  Satzgefügen  begegnen; 
sind  die  Übungen  doch  für  angehende  Philologen  bestimmt,  die  sie  nicht 
urteilslos  benutzen  worden !   Der  Herausgeber  der  2.  Auflage  hat  sich  be- 
müht, die  Hauptmerkmale  der  Teuffelschen  Übersetzungskunut,  die  scharfe 
FsssQSg  und  Ansscböpfung  des  Gedankens  und  die  in(SgIiohst  nnsweideutige, 
einfsehe  und  snsohlieiende  Wiedergabe,  unangetastet  ta  lassen,  ebne 
jedoch  darauf  zu  verzichten,  den  »öfter  zu  vennissenden  Einklang  mit 
Grammatik,  Wörterbuch  und  den  andern  seither  so  namhaft  verbesserten 
stilistischen  Hilfsmitteln  im  Texte  selbst  vollends  herzustellen«.   Das  Buch 
ist  80  gedruckt,  daß  wir  auf  der  linken  Seite  die  deutsche  Vorlage,  auf 
der  rechten  die  Teuf  fei  sehe  Übersetzung  lesen.    Die  Proben  sind  zum 
grofien  Teile  Oesohichtssdhreibem  wie  Momnisen,  Feter,  Sofawegler  usw. 
entnommen ;  andere  bieten  Abrisse  aus  den  LebenibUdem  deutscher  Fhilo> 
logen,  wie  G.  Hermanns,  Bfl^s  u.  s.  f.    Auch  fehlt  es  nicht  sn  der 
"Wiedergabe  von  Briefen,  Reden  und  philosophischen  Abhandlungen. 

Bei  dem  großen  Gewichte,  das  infolge  der  geringen  Anforderungen 
auf  der  Schule  jetzt  der  Ausbildung  des  lateinischen  Stils  auf  den  Hoch- 
schulen  soAllt,  wird  das  Buch  vielen  Studierenden  ein  willkommener 
rauer  sein.  Glücklich,  wer  an  der  Hand  eines  solchen  Meisters 
windeln  kannl 

Pforta  Menge 


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484 


Neu  dngegangtne  BQoher  und  Zeitaohriften 


Neu  eingegangene  Bücher  and  Zeitsohnften 


B.  Lhotzky,  Religion  oder  Reich  Gottes. 
Eine   Geschichte.     Leipzig,  Hiniioh, 

1904.  402  S. 

J.  Pokorny,  Die  AoBfolgeroag  und  Ans- 
doatnng  «Ugeiii^iier  üzteile.  LBOgm- 
salsa,  Hennann  Beyer  &  SShiie  ^Beyer 
k  Mann),  1905.   27  S. 

J.  Kedlich,  Ein  Einblick  in  das  Gebiet 
der  hSlieven  Geodäsie.  Ebenda  1905. 

0.  8ie1»ert,  Der  Ifenadi  in  seiner  Be- 
ziehung auf  ein  göttUdLea  Frinaip. 
Ebenda  1904. 

V.  Rein,  Stimmen  zur  Koform  dos 
Beligioas-Ünterrichte.  Heft  I.  Ebenda 
1904. 

Benrubi,  J.  J. Bouaaeanu  elliiadieB  UeaL 

Ebenda  1905.    141  S. 
J.  Bahnsen,  Wie  ich  wurde  und  was 
ich  ward.   Herausgeg.  von  Ii.  Louis. 
Mfindiea  u.  Leipzig,  0.  Mfiüer,  1906. 
274  S. 

A.  Leicht,  Lazarus,  der  Begründer  der 
Völkerpsychologie.  Laipqg,  Dfiir,  1904. 
111  S. 

Rolfe 8,  Aristoteles  MetaphysiL  Über- 
aetst  und  mit  BiDleitiuig  imd  Anmei^ 

Iningen  versehen.  IL  Hälfte.  Philo- 
sophische Bibliothek.  Bd.  3.  Ebenda 
1901.  2W  S. 
Kunze,  Metaphysik.  Webers  illustrierte 
Katechiamen.  Bd.  249.  Weber  1905. 
424  S. 

H.  Gottschalk,  "Weltwesen  und  Wahr- 
heitswille. Stuttgart,  Streoker&Sohröber, 

1905.  4G4  S. 

X.  Witte,  Daa  FioUam  das  Tragischen 
bei  Nietaaohe.  HaUe,  Eaemmeier,  1904. 
126  S. 

A.  Bichl,  Philosophie  der  Gegenwart. 
2.  Auflage.  Leipzig,  leubuer,  1904. 
274  S. 

Kretsaohmar,  Leaatng  und  die  Auf- 
klärung. Leipzig,  Richter,  1905.  172  S. 

IL.  Heim,  Das  Weltbild  der  Zukunft! 
Berlin,  Sohwetzschke,  1904.  298  8. 


'Jul.  Ziehen,  Der  Frankfurter  Lehrj^lai: 
u.  die  Art  seiner  Verbreitung.  Leipzig. 
Kesselring. 
F.  Lehmhaua.  Moderner  Zeiobeniutar- 
richt  Langenaalaa,  Hermann  Beyer 
&  Söhne  (Beyer  &  Mann). 
C.  Schubort,    Einige    Aufgaben  der 

Kinderforsühung.  Ebenda. 
F.  Stande,  PiSpar.  t  d.  Relig.-Unt  L 

4.  AnfL  Ebenda. 
Baentsch.  II.  St  Chamberlains  Yoiit 
über  die  Religion  der  Semiten  osw. 
Ebenda. 

Thrändorf,  Ein  Wort  zur  Simultan- 
aohnifrage.  Dresden,  Bohambeeh. 

Barchewitz,  Neue  Bahnen  im  haimit* 

kund!.  Unterricht  Ebenda. 
Auffarth,  Die  religiöse  Frage  und  die 

Schule.   2  Bde.   Tübingen,  Mohr. 
Oehrig,  Methodik  dea  Yolks-  o.  WM- 

echulunt  Leipzig,  Teubner. 
Hahne,  Präpar.  f.  d.  Katechiamnsnnt 

Osterwieck,  Zickfeldt 
Sickinger,  Mehr  Licht  u.  Wärme  usw. 

Zürich,  Fü£U. 
Wohlrabe,  Der  Lehrer  in  der  LUMätn: 

2.  Aufl.    Osterwieck,  Zickfeldt 
Agahd- Schulz,   Gesetz  betr.  Kinder- 
arbeit in  gewerbl.  Betrieben.  3.  AufL 
Jena,  Fischer. 
Bitthaler,  Zur  Iheorie  und  Praxia  des 
gmndleg.  Rechenunt.  München,  Gerber. 
Fick,  Erdkunde.     I.  Teil.    2.  Anfll^ 

Dresden,  Kaeninierer. 
Aus  Natur  und  üeisteswelt  Leipzig, 
6.  Teobner. 

Bnaae,  Die  Waitanaohaanngen  dar 
großen  Philo.sophen  der  Neuzeit. 

Martin,  Die  höhere  Midohenachoie 
in  Deutschland. 
Ziegler,  Allgemeine  Pädagogik, 
ünold.  Anljgaben  nnd  Ziele  das 
Menschenlebens. 
Schirmaoher^  Die  moderne  Fman» 
I  bewegnng* 


Dwok  VW  HwMin  Bift  4  SWm  ifiym  k  Mmm)  fn  LmgiMilii 


Mitteilung 


Mit  dem  nSchsten  Jahiigang  soll  die  »Zeitsdirift  ffir  Philo- 
sophie und  Pädagogik«  eine  Umänderung  erfahren.  Nicht  dem 
Geiste  und  dem  Inlialte  nach,  wohl  aber  in  Bezug  auf  die  äussere 
Foim  und  die  Art  ihres  Erscheinens.  Die  Zeitschrift  soll  in  eine 
Monatschrift  umgewandelt  werden.  Dies  hat  den  grossen  Vor- 
zugs dass  »Mitteilungenc  und  »Beurteilungenc  zeitiger  gebracht 
werden  können  als  bisher.  Auch  ist  dne  grössere  Oldchmässig- 
keit  der  Ausgabe  damit  gewährleistet  und  der  Zusammenhang  der 
Zeitschrift  mit  ihren  Lesern  wird  dadurch  dn  engerer 

Trotz  des  erweiterten  Umfanges  soll  der  Abonnementprds 
derselbe  bleiben  wie  bisher. 

So  hoffen  wir,  dass  die  Zdischrift  hi  ihrer  neuen  Form  die 
alten  Freunde  festhalten  und  recht  viele  neue  Leser  dazu  ge- 
winnen wird. 

Herau$gd)er  und  Verlagsbuchhandlung 

UtMtatft  Mr  FUlowfU«  vaA  Ftä»togik.  12.  Jakifu«.  30 


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Kind  nnd  Ennst 

Einige  experimentelle  Untersuchungen  zu  einigen  Grundfragen  der  Kunst» 

erziehung 

Von 

Marx  Lobslen,  Kiel 
(Schluß) 

n.  Ergebnisse,  die  sich  auf  das  BUdschöne  beaiehen 

Die  Fragen  sind  in  zwei  Hauptgruppen  zu  sondern:  Haupt-  und 
Nebenfragen.  Zu  den  Hauptfragen  rechne  ich:  1,  2,  3,  4,  12  u.  13; 
Nebenfragen  sind  die  Nr.  5 — 11.  Die  letzteren  können  eine  wesent- 
lich kürzere  Behandlung  erfahren. 

1.  Welche  Farbe  ist  dir  die  liebste? 

Zunächst  sollen  uns  die  Hauptfragen  beschäftigen,  die  sich  auf 
elementare  ästhetische  Dinge  beziehen,  die  Farbe  als  solche  und  eine 
Auswahl  einfacher  linearer  Formen.  Über  Farbenkenntnis  bei  Schul- 
kindem  habe  ich  umlängst  eine  Untersuchung  angestellt,  M  sie  unter- 
scheidet sicli  aber  von  der  vorliegenden  dadurch,  daß  dort  bestimmte 
Farbenkreise  der  Benennung  und  Wahl  geboten  wurden,  während 
hier  vollkommene  Freiheit  herrschte;  ich  hoffe  aber,  daß  beide  sich 
in  vollkommener  Weise  ergänzen  werden. 

Die  Werte  berechne  ich  wieder  prozentualiter. 


Zeitschrift  für  Psychologie  und  Physiologie  der  Sinnesorgane.    Bd  34 
Leipzig,  Barth. 


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LoHimr:  JBad  xaä  Kongk 


467 


Unter  100  Angaben  entfielen  auf: 

Tabelle 


Q 
1. 

r»- 

^^-^  ,  . — , 

Altersstufü 

Farbe 

3 
<-»- 

blau 

grau 

orange 

gelb 

braun 

weiß 

violett 

schwarz 

I 

24 

52 

14 

3 

1 

100 

U 

30 

62 

17 

1 

6 

4 

2 

100 

m 

37 

52 

2 

2 

2 

5 

100 

IV 

46 

38 

5 

4 

7 

100> 

V 

30 

33 

7 

18 

12 

100' 

Mädchen 

i 

13 

70 

10 

100 

n 

46 

39 

2 

3 

7 

2 

1 

100' 

m 

42 

39 

4 

4 

4 

6 

1 

lOO- 

IV 

54 

27 

4 

4 

8 

3 

100 

V 

60 

20 

15 

5 

lOO* 

Da  sich  auf  den  ersten  Blick  deutliche  Unterschiede  in  dem 
Verhalten  der  Geschlechter  offenbaren,  will  ich  die  Geeamtwerte  für 
beide  zunächst  gesondert  berechnen.   Ich  finde 


blau 

grau 

orange 

gelb 

braun 

weiß 

violett 

schwarz 

Knaben 

33 

47 

8 

0,4 

6 

0,3 

1 

0,3 

4 

100 

Hidoben 

43 

39 

1,3 

4,6 

1.4 

6.8 

3 

1 

100 

Bemerkung.  Kleinere Uagenanfj^ten  Tutehen  ridi  Tom  MÜwt,  ich  habe- 

■ie  dem  Sinne  nach  korrigiert. 

Meine  früheren  Untersuchungen  habe  ich  lediglich  mit  Mädchen 
angestellt  Ich  konnte  konstatieren:  die  verschiedenen  Regenbogen- 
iarben  sind  den  Kindern  in  sehr  verschiedenem  Maße  interessant  und 
bekannt  Am  höchsten  steht  in  der  Wertung  da  das  Rot.  Es  wurde 
auf  allen  Altersstufen  immer  richtig  aufj2:efaßt  und  benannt.  Ilini  fast 
gleich  steht  da  das  Blau,  dann  folgen  Gelb  und  Grün,  während  Orange,. 
Violett  und  Indigo  sehr  ungünstig  da.stehou  (a,  a.  0.  S.  35  f.).  — 
Diese  Untersuchungen  erfahren  hier  zunächst  insofern  eine  Er- 
gänzung, als  sie  auch  auf  Knaben  ausgedehnt  wurden.  Eine  weitere 
Ergänzung  erfahren  sie  dadurch,  daß  auch  Schwarz  und  "Weiß,  die 
dort  unberücksichtigt  blieben,  bei  der  freien  Wahl  eingefügt  wurden^ 


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inMte 


«ndlidi  war  mir  hfer  Megenhelt  gegeben,  eitie  JJtersstafe  obendzanf 
wa  seten.  Siebt  maa  won  diaaeii  Umsttnden  ab,  so  beobachtet  maii 
ToUe  Beatstigang  des  eben  veraeichneten  BeanltatB.  Für  Bot  und 
Blan  eEjgeben  aiob  (unter  Auaschlnfi  Ton  Stufe  I)  die  prozentoalea 
Werte:  51%  ™^  ^^-Vo*  ^  daroh  I  beaeichneten  Alteis- 
«tole  findet  ein  Dmaäiwnng  atatt,  die  Yediebe  ffir  Blaii  übem^ 
ganz  weaentlioh  die  fOr  Bot 

Bei  den  Knaben  finden  wir  ebenfalla  ein  starkes  FtftTalierai 
•des  üntereaae  ffir  Bot  und  Blau,  hier  aber  überwiegt,  steigend  mit 
mehmendem  Alter,  das  Interesse  ffir  Blaxt. 

Bern.  1.  So  erUftrt  aioh  anch  Tenunffich  der  Gegensaia  iwiachea 
jneinen  XJnteisaohimgseigebnisBen  imd  denen  Aabs^)  auf,  wiewohl 
Mer  ancb  etwa  Unteiaehiede  YoUdsefaer  Art  bestimmend  sein  kSnnen. 
$ehr  inieresBani  wftre  ein  Terg^eioh  mit  ihnlichen  TTnteisachangsD, 
•die  aber  unter  andern  Qunmelsstriolien  angestellt  aein  müBten.  Bb 
ist  wenigstens  denkbar,  dafi  die  in  der  umgebenden  Natur  ▼o^ 
bensdhende  Faibe  bestimmend  wiifce  in  positlTem,  wie  negaÜTem 
Sinne.  So  beeteht  sweifdlos  ein  ünteisohied  der  Binwiikang^  wenn 
•der  Holländer  unter  seinem  nebel-  und  regenschweren  Hinumel  be- 
müht isl^  in  schreienden  Farben  Fenster  und  Türen  zu  streichen,  die 
-Gartenbeete  mit  bunten  Steinen  einzufassen,  als  wenn  der  sorglose 
'Südländer  zwar  in  Lumpen  aber  gleichwohl  in  graziöser  malerischer 
Anordnung  sich  kleidet  Doch  darüber  l&fit  sich  füglich  ein  mehreres 
nur  sagen,  wenn  weitere  Versuche  der  angedeuteten  Art  vorliegen. 

2.  Interessant  ist  in  diesem  Zusammenhange  auch  die  Beob- 
4Uifatung,  daß  im  allgemeinen  das  Blau  die  Farbe  des  Knaben,  Bot 
die  der  ^lädchen  ist:  jenes  bekommt  als  Wickelkind  blaue  Bändchen, 
blaue  Schleifen,  blaue  Mütze  usw.  —  hier  muß  alles  rot  sein.  Ob 
dann  ein  Zusammenhang  mit  dem  obigen  Ergebnis  erblickt  werden 
darf?  Oder  handelt  es  sich  lediglich  um  Willkür  oder  Mode?  Soweit 
meine  Kenntnis  reicht,  ist  die  Weise  sehr  alt 

Weitere  Bemerkungen  brauche  ich  den  obigen  Tabellen  meines 
Erachtens  nicht  hinzuzufügen;  Ei"«^^>*ftit^  lassen  aioh  aus  denselhen 
mit  gennger  Mühe  herauslesen. 

2.  Wahl  unter  ehdidien  geometrisdiea  Fonnea 

Du  der  nachfolgenden  Übersicht  bezeichne  ich  die  Figuren  der 
Ktbae  wegen  mit  diemelbeii  Nummer,  die  sie  oben  edialtsn  haben. 

'}  Ztsohr.  t  FsycL  o.  Path.  Bexlin,  Walth«r.  Bd.  L 


LoBsmr:  Und  ond  Kunst 


Geschlecht 

- 

State 

Form 

1 

2 

3 

4 

0 

6 

aIhHMII 

T 
X 

81 

64 

6 

6 

2 

1 

u 

86 

19 

19 

5 

5 

16 

TTT 

11 

33 

29 

3 

24 

IV 

6 

13 

30 

3 

8 

45 

T 

38 

31 

31 

I 

10 

40 

7 

7 

S6 

10 

n 

28 

48 

8 

4 

12 

m 

25 

21 

41 

9 

2 

2 

IV 

16 

20 

40 

12 

12 

V 

20 

10 

35 

25 

10 

Aus  dieser  Übersicht  berechne  ich  folgende  Gesamtwerte: 


1 

2 

3 

4 

6 

6 

Knaben  .    .  . 

24 

30 

17 

9 

3 

17 

100 

Mädchon    .  . 

20 

28 

26 

6 

9 

100 

0«Bamt  .   .  . 

22 

29 

21 

10     i     5     1  13 

100 

UÜhm  beromgai  die  Kmil«r  an  emlaoheii  geometrischeii  Vigaieit 
hervoncagend;  Ereis,  Oral  und  f^eushaeitiges  Iheleoik:,  am  wendgaten 
Schöll  finden  sie  daa  Beohteok,  ea  handelte  aich  hier  aUerdinga  nm 
ein  fidobee^  daa  doppelt  ao  lang  wie  bieit  wsr.  Überiunipt  worden 
die  kmnunUnjgen  lügozen  den  gendlinigen  gegenüber  TOigeiogeii 
«ntapreohend  den  Tecfafiltnianhlen: 

kranunlinig  25:  genuDinig  12, 
oder  rund  wie  2:1.  In  welchem  Mafia  rein  iattiettaehe  TJmattnde 
die  Wahl  beetimmien,  bleibt  hier  fOgUoh  nnbegrflndet;  aioher  aber 
iat  nur,  daß  nicht  lediglich  daa  Auge  entsdheidety  aondem  —  mmal 
bei  dem  Hotoiiker  —  anöh  der  komplex  Idnetiaeher  und  kiniathe' 
tiacher  Empfindungen  nnd  Yoiaiellnngen,  der,  ana  mandieilei  Be- 
wegnnga-,  Spannungen  Brodk-^  Beibangaempfindangen  in  Hand  nnd 
Arm  xeaiiltierand,  die  ala  kinetischee  Initial  —  einen  Aoadrock 
SwuoBHa  an  modifisieren  die  Angenbewegmigen  mehr  oder  minder 
ataik  betont  b^g^eiten.  Erwflgt  man  daan,  dafi  die  nach-  nnd  mit* 
achafienden  Bewegnngsempfindimgen  in  Hand  nnd  Ann  alle  mit* 


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470 


Aufsätze 


«dnander  xesnHiereii  ans  Helid-,  d.  b.  ihrem  Erfolge  nach  KreiB- 
bewegangen  und  fluen  Konrekturatt  an  die  ToirgeBobaäebeiie  Bogai> 
«duM  bd  Soliieiben<)  und  Zeichnen,  so  wird  ohne  wetteres  em.- 
lenohtend,  dafi  nicht  ^e  gende,  aondeni  die  krumme  IMe  die  natnr- 
gemftfiere  isl^  die  lekfaieve  nnd  deiom  aneh  die  ieiöhter  gefiülige  nnd 
iuispreohende. 

Demnach  sind  diejenigen  Zeichenmeätodiker  sweüelsohne  im 
Unrecht,  die,  geometrisch  konetroiennd,  von  gemdr  sa  krnmmlinigai 
lüguren  fortschreiten  wollen. 

Unter  den  übrigen  Hauptfragen  stelle  ich  zunächt  diejenige 
hierher  (13),  die  sich  auf  das  Zeigen  bestimmter  Bilder  beiieht: 
Ans  der  Sammlung  Eshr-Pfeiffeb  wurden  gezeigt:  »Wandersmann 
und  Lerchec  und  »Enabe  und  Yogelnest«.  Die  angehingten  Engen 
Janteten:  Welches  Bild  findest  dn  sohOner?  Warum? 

3.  a)  Welches  Bild  ist  dir  das  liebste? 

Ich  gebe  zunächst  das  rein  quantitative  Ergebnis,  d.  h.  ohne 
Kücksicht  auf  die  Antwort  auf  die  Frage:  Warum?  geordnet  nach 
(Geschlecht  und  Altersstufe  und  bemerke  vorweg,  1.  daß  ich  für  über- 
flüssig halte  an  diesem  Orte  eine  Reproduktion  der  genannten  Bilder 
zu  bieten,  die  künstlerisch  hervorragend  ausgestatteten  Kehb-Pfeifpkii- 
sehen  Bilder  sind  den  Losem  dieser  Zeitschrift  durchweg  bekannt; 
2.  mit  Fleiß  wählte  ich  die  genannten  Bilder,  weil  beide  durch  einen 
bekannten  Text  gestützt  wurden,  das  eine  femer  durch  ein  stark 
ausgeprägtes  Stinmiungsmoment,  das  andere  durch  eine  zwar  einfache, 
aber  den  Kindern  bekannte  und  spannende  Handlung  charakterisiert 
wird.    In  technischer  Vollendung  stimmen  beide  überein. 


Knaben 

HSdchen 

Wandersmasn  mid 

Enabe  nnd 

Wandersmann  nnd 

Enabe  und 

Leiohe 

Yogehi68t 

Leioha 

Vogelnest 

% 

•/. 

•/. 

•/. 

68 

48 

68 

48 

M 

06 

48 

61 

46 

65 

65 

85 

37 

es 

60 

40 

e? 

38 

85 

66 

*)  Ich  bitte  meine  umfänglicheren  Ilntersnchongen  über  »Schreiben«,  dem- 
nSehst  in  »Deutsche  Blätter  f.  erz.  üaterrichtc  (Hermann  Beyer  &  Söhne  [Bejar 
4  Mann]  in  Lao^nsalza)  zu  vergleichen. 


LoBsmi:  Xind  und  Exaudt 


471 


Ah  Gesamtwerte  berechnete  ich: 


Knaben 

Midohen 

'Waadersmann  und 

Knabe  und 

Wandersmann  und 

Knabe  und 

Lerche 

Vogelnest 

Lerche 

YogebuBt 

% 

% 

•/o 

48 

62 

52 

48 

Oesamt:  WaademnanQ  und  Lerdhe      Smibe  and  Vogelnest 

50  Vt  Ö0% 
Man  beobachtet  mithin  zwar  auf  den  einzehien  Altersstofen  oft 
nicht  unwesentliche  Unterschiede  in  der  Wertschätzung  beider  Bilder, 
im  Geeamtresultat  aber  sehen  wir  die  Unteiscliiede  stark  ausgeglichen. 
Man  kann  höchstens  sagen,  daß  ein  etwas  größerer  Prozentsatz  der 
Knaben  das  Bild:  Knabe  und  Yogelnest  boTOtzugt,  während  bei  den 
Madchen  das  Stimmungsbild:  Wandeismann  und  Lerche  stirker  ge- 
wertet wurde.  Man  darf  aber  nicht  Teiges&en  —  und  dazu  verleitet 
eine  solche  rein  quantitative  Betrachtung  —  daß  immerhin  annähernd 
die  Hälfte  aller  Schüler  für  das  eine,  die  andere  Hälfte  sich  fürs 
andere  Bild  entscheidet.  Die  Zahl  als  solche  offenbart  nicht,  welche 
Gesichtspunkte  für  die  Wahl  entscheidend  waren,  ob  lediglich  der 
durch  das  Gedicht  gestützte  Bildinhalt,  oder  die  Farbengebung  oder 
die  äußere  Anordnung,  oder  die  Beziehung  zu  der  eigenen  Erfahrung 
oder  wie  immer.  Das  näher  zu  erkunden  bedarf  es  einer  ein- 
gehenderen Wertung  der  Antworten  auf  die  Frage:  Warum? 

b)  Wamm? 

Nun  ist  allerdings  die  Beantwortung  disser  Frage  niofat  leiidit 
und  man  wird  von  Tomheretn  die  nicht  gana  unbegründete  Ter- 
rnntoDg  hegen,  daft  sidi  viele  oberflfiddiclie,  nichtssagende  Antworten 
einstellen  werden.  Bs  ist  bekaimte  Eifahnmgstatsaohe,  daB  in  vielen 
raien  auch  der  srastear  yeranlagte  Beobachter  sich  sohwezüöh  aas 
sich  heraus  eingehend  Bechensohaft  darüber  gibt,  warum  ihm  dieses 
Bild  gefidle,  jenes  aber  nicht,  er  begnügt  sich  mit  dem  nicht  nihsr 
m  ehaxakterisierenden  allgemeinen  mehr  gefOhlsmftfiig  anftanchenden 
BewuBtsein:  das  gefiUlt  mir  —  jenes  aber  nicht  Wie  sollte  man 
da  erwarten,  daß  Kinder  brauchbare  Antworten  geben  werden.  Ich 
selber  hegte  ähnliche  Befürchtungen  —  imi  so  mehr  war  ich  über- 
rascht nicht  nur  durch  die  Mannigfaltigkeit  der  Antworten,  sondern 
oft  sehr  bezeichnenden,  treffenden  Begründungen.  Ich  kann  mir 
nicht  ▼erssgen,  emen  BlmnenstraoA  solcher  Antworten  herEUSteUen. 


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472 


i.a£aitze 


Ich  sondere  sie  wieder  nach  Geschlecht  und  Altersstufen.  Selbst- 
verständlich yeizeichne  ich  die  Antworten  nur  einmal 


Knaben: 


'WandnBmann  und  Lerche 

Ibabe  nnd  Vogel 

Staf e  L 

ireü  ^9  Soul»  ausgeht 

Vta  die  Lnohe  ilir  LoUied  singt 

Die  Landschaft  ist  schön. 

Man  lauscht  dem  Gesänge  der  Leiche. 

Es  ist  so  naturgetreu. 

Sie  Moi]genwanderang  hah  ich  so  gem. 

Die  Stille  der  Tanriiwheffc 

Ei  tat  knnstreioher. 

Der  schöne  Gesang. 

Beiigen. 
Die  Kttor  ist  so  piiiditig. 

Es  ist  einfacher. 

Die  Farben  sind  >passend«. 

Die  Lerche  fesselt  durch  ihren  Qesang. 

£b  herrscht  freudige  Stimmung. 

Die  Gegend  ist  lemanCsdi. 

Wefl  der  Knabe  dem  Vogel  niohis  tat 
Weil  der  Knsbe  sbitst,  als  er  den  Yopl 

sieht 

Weil  der  Knabe  besser  herroxthtt  als 

der  Wanderer. 
Der  geängstigte  Bliolc  der  Hutfesr  hindSEt 

den  Xjiaben  (dem  Yogel  sin  Loid  sn 

tun). 

Weil  der  Knabe  unartig  sn  nein  aohsinL 

Difl  Muttpr  hif+ftt  ro 

Das  Bild  ist  schöner  ausgestaltet  als  dm 
andere. 

Der  kleine  Vogel  verteidigt  sich  gegen  den 
starken  Knaben  und  läuft  nicht  davon. 

Dos  andere  ist  zu  einförmig,  hier  int  der 
Vogel  so  dreist 

Die  Hotieiüebe. 

Das  Erstannen  des  Kiaaben  und  die  Angrt 

der  Mutter  ist  sehr  hübsch  gemalt 
Der  Vogel  schützt  dreist  seine  Jungen. 
Es  ist  lebhafter. 

Stufe  U. 
Weil  ich  so  gerne  wandern  mag. 
Muk  hört  den  sohSnen  Gesang, 
El  ist  »feiner«  als  das  andere. 

Die  Wiesen  sind  grttn. 
Die  Blumen  blühen. 
Weil  >er<  Oott  dankt 

Wegen  der  jungen  VögeL 

Weil  er  ao  toH  ist 

Wen  der  Xnsbs  fieUicli  tat 

Weil  er  die  Jnngen  nicht  wegnimmt 

Weil  er  so  verwundert  guckt. 
Weil  das  Nest  so  spaßig  aussieht 
Weil  das  Gedicht  so  hübsch  ist 
(dl  hab  die  Vögel  so  gem. 

Stufe  HL 
Der  ITandexanann  istfiShlioL 
Besser,  weil  (dorQ  der  Jungs  die  ¥5gel 

nimmt. 

Es  ist  »schön«,  so  früh  zu  wandeln. 
Der  Vogel  singt  »schöne. 
Dae  andere  ist  nieht  deaüieh. 
Er  hat  sofaSne  flarben. 
leli  mag  gern  wanden. 

WtSi  der  Yogel  niofat  fttttlliaet 

Die  niedlichen  Vögel! 

Der  Vof,'el  schimpft  ihn  aus. 

Es  ist  schön,  ein  Nest  zu  betrachten. 

»Weil  die  Alte  nicht  für  den  Koabm 

bange  istc 
Bi  ist  sohSn  bont 
Der  Yogel  ist  so  aohwaoh. 

LoBsns:  Kind  and  Kunst 


473 


Wandexsmana  und  Laxohe 

Knabe  und  Vogel 

Stufe  IV. 
"Wegen  des  Gesangs. 
Ei  aiiid  aohfiM  BliuiMn  am  Wegi. 
Der  Wanderar  ist  entMni 
Das  Korn  »blüht«. 
Es  ist  bunter. 

Die  Jungen  sind  so  niedJiolL 

Der  Knabe  tat  UmeD  mohli  sa  leidei. 

Es  sind  Eier  drin  (im  Nee^L 

Das  Gedicht  ist  so  hübsch. 

Der  Knabe  Uioktäe  (die  Jungen)  liebend  an. 

Stufe  V. 
Die  Korubiumen  blühen. 
Sb  lind  sohfin«  fitnmsa  dimt 
Dw  Vogel  rii^  tolifin. 

£b  ist  ein  Junge  »drin«. 
Be  iet  hUMh  gemali 
XiMfvalNint 

h  0  n  : 

Wandemnann  und  Lerobe 


Stufe  I. 
Es  ist  einfach  und  anmutig. 
Die  Landschaft  ist  schön. 
Wefl  der  Wanderer  mit  »fiegeiaterang 

die  Lerche  sieht«. 

Es  hat  einen  tiefen  Sinn. 

Es  macht  einen  tiefereu  Eindruck, 

Das  Lob  Gottes  ist  darin  enthalten. 

Weil  der  Wanderer  bei  dem  Anblick  der 

Lerche  so  frohe  Züge  erhält 
Die  Angst  der  Yogeimotter  mag  ich 
nicht  sehen. 


Knabe  und  Vogelnest 


Der  Knabe  hat  treuherzige  Augen. 
Die  liebe  der  Vogelmutter. 
Die  Yonioikt  dee  Knaben. 

Der  Knabe  tut  den  Vögeln  nichts  zu  leide. 
Weil  es  einen  tiefen  Sindraak  auf  mioli 

macht. 

Die  Umgebung  ist  so  niedlich. 
Weil  der  Knabe  so  drollig  anasiebi 
Weil  der  Knabe  in  seiner  Fraodo  ao 

rührend  aussieht 
Weil  es  so  fein  ausgeführt  ist 
Weil  der  Knabe  so  klug  dreinschaut, 
^v,  gen  der  Borge  trai  <fie  Jtragen. 


stufe  IL 

Der  Wanderer  lauscht  so  andiobtig. 

Es  ist  so  »natürUch  gemacht«. 
Weil  er  sein  Dankgebet  verrichtet 
Weil   er  dankbar   nach  dem  Himmel 
aiekt 

Weil  ich!  selbst  schon  sinnud  ao  ge- 
gangen bin. 

Er  ist  lustiger. 

£b  ist  hübsch  gemalt 

Das  Oedioht  iat  aUeiUebat 

Weü  ioh  gern  waodem  mag  and  die 
Oegend  ao  Uebiioh  ist 


Es  ist  so  schön  dargestellt 
Weil  das  Gedicht  so  hübsch  ist. 
Weil  der  alte  Vogel  so  nach  dem  Knshen 
schaut 

Der  Ycgel  sohaat  den  Ibrnben  so  lagst- 
lieh  an. 

Die  »Alte«  ist  so  besorgt. 

Der  Dichter  hat's  una  näher  vor  die 

Augen  gestellt 
Weil  der  Knabe  die  Jungen  nebmsn 

wollt»,  es  aber  doch  nioht  toi 
Weil  man  die  liebe  an  den  Joagen  aiabt 


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474 


AnfiBltw 


Wandersinami  und  Lerche. 

Xnabe  und  Togelnest 

Dtt  0«dioht  ist  ldilMh«r. 
»Weil  es  sovisl  Fnihfltt  Int« 

Er  ist  so  fröhlich. 

H^l*           Of\    Qnr) a1i ^ifT 

Xu  lol  oU  aOUaCUui^. 

Der  »QiDsi  ist  hübeoher«. 
Um  Vndanr  iit  to  Teignügt 
Br  iil  duUar. 

Die  Muttsr  soUttrt  die  Jungen. 
Der  Knaibe      eo  gut 

>WeiI  ich  V5gel  gen  mg,« 

iüB  ist  SO  naturiicu. 

Das  Gesicht  des  Knaben  ist  aohöner. 

WtSi  der  Knabe  gehorcht 

Weil  die  MiitfcBr  trau  engt; 

Weil  der  Vogel  spricht 

Die  Jungen  sind  so  niedlicL 

Der  Knabe  ist  so  niedliob. 

Stufe  in. 
Das  Kornfeld  ist  hübsch. 
Im  suKi  Boiioiio  ninnien. 
Der  Wanderer  (1)  singt  SQii5n. 

Er  ist  fröhlich. 

Er  ist  frisch  und  mutig. 

£8  ist  hübsoh. 

Weil  »er«  BChoD  so  fi^Blh  auf  ist. 

Der  Knabe  ist  sorgsam. 
Der  JunM  im  fiOniiOB. 

stuf«  IV« 

Es  ist  ein  altes  hübsohss  BOd. 

Da  sind  hübsche  Blumen. 
Das  Korn  ist  so  schön. 
Der  Wanderer  singt. 

Die  Zweige  sind  hübsch  genatt. 
Der  Junge  hat  schlaue  AqgeB. 
Weil  der  Vogel  so  bittet 
Der  Knabe  ist  hübeoh. 

Stufe  V. 
Das  KonfeU  ist  sohSn. 
Das  Feld  lenditet 

Weü  da  kleine  Vögel  sind. 

Der  Bhuh  ist  htttsflh. 

Xoli  mag  gerne  VOgel  Isldas. 

Schon  ein  oberflächlicher  Blick  belehrt,  daß  die  qualitatlTe 
"Wertung  der  Angaben  ungleich  ergiebiger  ist  als  die  quantative 
Schätzung.  Selbstv^erständllch  erfolgte  sehr  oft  ein  Yersagen  oder 
die  Antwort:  Ich  weiß  nicht,  doch  nicht  in  dem  Maße,  wie  ich  er- 
wartet hatte.  Ich  zähle  dieser  Art  Angaben  auf  etwa  1/3  aller  Ant-' 
Worten.  Die  in  der  Übersicht  gegebenen  Antworten  kamen  in  ver^ 
schiedener  Häufigkeit  vor.  Ich  verzichte  jedoch  darauf  sie  mit  einer 
entsprechenden  Kennziffer  zu  versehen  und  begnüge  mich,  sie  nach 
Gruppen  zu  ordnen  und  für  die  einzelnen  Stufen  prozentualiter  «u 
charakterisieren,  wieviel  dieser  Gruppen.  Selbstredend  verbot  sich 
ein  fertiges  logisclies  oder  ästhetisches  System  von  vornherein  anzu- 
nehmen und  nun  das  gefundene  Tatsachenmaterial,  so  gut  oder  so 
schlecht  es  geht,  dem  einzuschachtehiL   Ich  schlug  deu  entgegeo- 


LoBsmi:  Kind  und  Konsi 


475 


fgeaeMsa.  Weg  ein,  ordnete  eine  Obeatoiht  auf  Gnmd  der  iroriumdeiLea 
Antworten.  Ifan  daif  somit  keine  Yoltetfadigfceit  in  dieser  oder 
jener  Hinsicht  erwarten. 

Ich  unterschied  wieder  zunächst  zwei  Hauptgnqppen:  oberfläcfa- 
fiehe  und  wertbetonte  Urteile.  Zu  der  ersteren  Gruppe  redinete  ich 
Aassagen  wie:  Weil  es  schöner  ist;  weil  es  httbscher  ist  usw.  Die 
"wertbetontcn  Angaben  sind  dann  solche,  die  in  einzelnen  oder 
häufigeren  Momenten  yeiiaten,  daß  sie  mehr  sind  als  eine  landläufige 
Bedensart  NatttiUch  ist  eine  scharfe  Grenze  nicht  immer  festzuhalten; 
die  Angaben  lassen  sidi  werten  als  besondere  und  allgemeine.  Diese 
Einteilnng  trägt  cwir  mechanischen  Charakter,  trotzdem  halte  ich  sie 
in  diesem  Zusammenhange  für  ausreichend.  Die  erste  Gruppe  zer- 
legte ich  in]  4  ünterabteilnngen:  1.  Urteile  die  technische  ümständCi 
2.  einzelne  Schönheiten  angehen,  seien  es  solche  der  Stimmung 
oder  der  Landschaft,  3.  solche,  die  sich  auf  moralische  Qualitäten 
stützen,  die  angeblich  oder  sicher  im  Bilde  zum  Ausdruck  gelangen, 
4.  Bevorzugung  der  zu  Grunde  liegenden  HEYSchen  Texte.  Die  all- 
gemeinen Urteile  entstammen  entweder  1.  unmittelbarer  eigener  Er- 
fahrung, die  durch  das  Bild  wieder  lebendig  wird  und  es  mit  frischem 
Inhalte  füllt,  oder  2.  sie  gehen  die  Stimmung  als  solche,  also  die 
Innenseite  des  Bildes,  oder  3.  dessen  Außenseite  als  Ganzes  an. 

Somit  erp:ibt  sich  folgende  Übersicht  der  Urteile  rücksichtUch 
ihrer  Veranlassungen: 

I.  Oberflächliche  Urteile. 

IL  Wertbetonte  Urteile. 

A.  Besondere  in  Bezug  auf 

1.  die  Technik, 

2.  einzelne  Schönheiten 

a)  der  Stimmung, 

b)  der  landschaftlichen  und  persönlichen  Staffierung; 

3.  einzelne  moralische  Momente, 

4.  den  zu  Grunde  liegenden  Text 

B.  Allgemeine; 

1.  aus  eigner  Erfahrung, 

2.  die  Staffierung  als  Ganzes, 

3.  die  Stimmung  als  Ganzes. 

An  der  Hand  dieses  Schemas  will  ich  die  Übersicht  durchgehen 
in  der  angedeuteten  Weise:  für  die  oberflächlichen  Antworten  habe 
es  sein  Bewenden  mit  der  Bemerkung,  dafi  ihre  Zaiil,  die  Yemeinungeii 
oder  das  Versagen  mit  eingerechnet,  anf  der  Unteistiile  etwa  Vs  be- 
Üiffif  daB  abo  dss  letite  Drittel  in  irgend  einer  Weise  wertbetont 


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476 


Aufsätze 


ist  Je  weiter  nacli  oben,  desto  günstiger  wird  im  allgemeineiL  das 
Zahlenverhältiiis  für  die  wertbetonten  Angaben. 

Im  besonderen  gestaltete  sich  das  Verhältnis  der  wertbetontea 

zu  ledip:lich  den  oberflächlichen  Antworten  folucndcrmaßen : 


fiiJd 

Knaben 

Madchen 

Stufe 

Stufe 

I 

n 

in 

IV 

V 

I 

n 

UI 

IV 

V 

^1  1 

25 

15 

20 

16 

16 

33 

20 

20 

11 

10 

75 

85 

80 

84 

84 

67 

80 

80 

89 

90 

3? 

%  ^  ^ 

25 

20 

13 

16 

10 

40 

23 

15 

15 

15 

oberfl. 

Q  und 
Inest 

72 

80 

87 

84 

90 

60 

77 

85 

85 

85 

Diese  Ptoaentaiigabeii  belehren,  dafi  alierdiiigB  ein  Steigen  in  der 
AncaU  der  wertbetonten  Angaben  an  erbUokea  ist  IKeses  ist  immev- 
bin  gering;  Keben  dem  Sünflnfi  des  Gesoblechts  aeigt  aidi  dne 
interessante  Büdwirknng.  Im  allgemeinen  ist  der  Zuwachs  bei  den 
Mfidoben  größer  als  bei  den  Knaben.  Wihrend  bei  den  Knaben  sieh 
die  grSßere  Anzahl  wertbetonter  Angaben  findet  besü^^ch  des  enten 
Bildes  finden  wir  ein  deutliches  Prä^alieren  bei  den  Mädchen  dem 
aweiten  gegenüber,  offenbar  weil  jenes  den  Knaben  mehr  an  sagen 
und  zu  mehr  Antworten  anzuregen  yermag. 

Greifen  wir  nun  die  aliein  wertbetonten  Urteile  heraus,  um  sie 
nach  ihrem  Sonderobarakter  —  entsprechend  der  oben  angedeuteten 
Einteilung  —  zu  ordnen.  Die  Werte  rersteben  sich  wieder  pio- 
zentuaiiter.  (Die  Numerierung  bitte  ich  aus  der  Torauilgegnngenen 
Übeisicht  zu  deuten.) 

(Siehe  Tabelle  a  477.) 
Wir  finden  hier  wieder  bestätigt,  daB  nicht  nur  Unteisefaiefc 
des  GeschlechtB,  sondern  innerhalb  desselben  auch  XTntersoluede  der 
Bildforderung  nachweisbar  sind.  Im  allgemeinen  ist  nach  oben  lim 
ein  Waohstom  der  Interessen  zu  konstatieren;  das  Bild  spricht  viel- 
seitiger an,  es  weckt  mannigfaltigere  Gedankenkreise.  Dabei  sind 
diejenigen  Urteile  dünn  gesät,  die  auf  die  G^samtwirknng  des  Bildes 
gegründet  sind,  weitaus  die  meisten  gehen  Ain«Ain^  wohl  oft  duroh 


Lobsdcn:  laod  und  Eonst 


477 


Knaben: 


Bild 

Qualität  des  Urteils 

AI 

A2b 

A3 

A4 

Bl 

B2 

B3 

I 

w. 

19 
20 

19 

24 

HO 

od 

— 

6 

19 
20 

13 
7 

n 

w. 

14 

20 
13 

40 

37 

19 

25 

11 

21 

in 

w. 

IL 

14 

43 
44 

14 
56 

29 

IT 

w. 

K. 

20 

80 
40 

40 

20 

V 

V. 
S. 

100 
100 

Mädchen: 


Stufe 

Bild 

Qadiat  des  ürteOs 

AI 

A2a 

A2b 

A3 

A4 

Bl 

B2 

B3 

I 

w. 

E. 

9 

10 

27 

40 
45 

10 

50 
9 

n 

W. 
K. 

18 

25 
60 

25 
33 

8 
11 

17 

7 

ni 

W. 
E. 

100 
100 

IV 

V. 
K. 

100 
100 

V 

w. 

iL 

100 
100 

den  Zufall  wertbetonte  Bildelemente  an.  Dabei  ist  ferner  deutlich 
ersichtlich,  daß  die  Haupttendenz  des  Bildes  —  der  Ausdruck  sei 
erlaubt  —  auch  in  den  Teilurteilen  deutlich  hervortritt:  wir  finden 
TL  a.  eine  stärkere  Betonung  von  A3  dort,  wo  durch  das  Bild  eine 
stärkere  Veranlassung  geboten  wird.  Auf  den  unteren  Stufen  domi- 
niert A2b,  d.  h.  es  werden  einzelne  Momente,  wie  etwa:  Kolorit 
(»fein  bunte,  grüne  Wiese,  hübsches  Kornfeld  usw.)  zu  Kriterien 
des  Bildes  gemacht.  Die  Mädchen  zeigen  sich  den  Knaben  gegenüber 
rückständig)  denn  diese  immerbin  sehr  äußerliche  Seite  der  Bild- 


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478 


Wertung  dauert  bei  jenen  an  bis  zur  Altersstufe  III,  bei  den  Knaben 
beschränkt  sie  sich  auf  Stufe  V". 

Die  auf  die  Technik  gehenden  Urteile  habe  ich  sehr  |minder- 
wertig  eingeschätzt  —  sie  tragen  die  Signatur  AI  — .  Die  Stimmung 
femd  im  allgemeinen  bei  den  Mädchen  staikeres  Entgegenkommen  als 
bei  den  Knaben.  Wo  es  sicli  aber  um  einzelne  »moniische  IComentec 
bandelt,  zeigte  sich  der  Knabe  den  Mädchen  gegentüber  In  der  Weit- 
fidhitaung  nicht  nnwesenfliöh  übeilegen.  NatoigeiDifi  mt  in  dieser 
Hinsicht  das  Bild:  Knabe  nnd  Yogobiefit  ataift  betont  Die  Ifildehen 
kehrten  nabeni  ansnahmsloa  das  aentimentele  Moment  hervor.  Sie 
sind  gerCkhrt,  weil  der  Knabe  den  Ydglein  nichts  m  leide  tat^  iwefl 
er  sie  so  rfihrend  anguckt,  weil  die  Yogelmntter  »so  sehrc  Uttels 
wegen  des  armen  Jnngen,  weQ  sie  »die  Angst  der  Tcgelmntter  nicht 
sehen  mOgen«.  Die  Knaben  begeistert  mehr,  daß  der  Ueme  Vogel 
Mnt  hat,  daß  er  seine  Jimgen  dem  großen  Bnben  gegenüber  [reF- 
teidigt,  daß  er  nicht  »wegfliegte,  daß  er  sogar  wagt,  den  Angreifer 
»ansEosohimpfenc.  Hier  spricht  sich  die  Eigenart  der  beiden  Ge- 
schlechter nnd  die  dieser  entsprechende  BQdwirknng  mit  nnverkenn- 
barer  Denflicfakeit  ans. 

Anffiülig  ist,  daß  der  sngehSnlge  Text  so  ungleich  gewertet 
wurde:  nur  Stufe  H  der  Mädchen  nnd  Stofe  H  nnd  17  der  Knaben 
kommen  Uberbanpt  in  Srage  —  mSg^idi,  daß  die  Akostiker  hier  be- 
sonders stark  betont  erscheinen. 

Die  eigene  Er&hrong  wurde  nur  betont  gegenftber  dem  ersten 
Bilde.  Das  ist  auffällig,  weil  zweifelsohne  auch  das  Bild:  Knabe 
und  Yogelnest  in  reichlichem  Maße  persönlicher  Erfahrung  begegnet 
Hier  aber  beschränken  sich  dio  Urteile  auf  Einaelerscheinungen, 
Einzelwertungen,  die  zumeist  das  Verhältnis:  »großer,  starker  Knabe 
—  kleiner,  schwacher  Vogel  mit  niedlichen  Jungen,  c  in  verschiedener 
Beleuchtung  angehen,  ^vährend  dort  aus  der  persönlichen  Erfahrong 
und  Erinnerung  eines  Morgenspavdergangs  die  Stimmiinj::  als  Ganzes 
er&ßt  und  erlebt  wird.  Wie  weit  die  Sonderwerte  des  Bildes  durch 
diese  Stunmung  ergriffen  werden,  entzieht  sicli  allerdings  nßherer 
Wertung.  —  Kachzutragen  ist  noch,  daß  Bl  bei  den  Knaben  un- 
gleich häufiger  sich  wirksam  erwies  als  bei  den  Mädchen. 

32  und  B3  ließen  sich  naturgemäß  seltener  feststellen  und  dann 
lediglich  auf  der  Oberstufe.   B3  steht  bei  den  Mädchen  ongleidi 

Vena  mau  demgegeoIHMr  an  die  giößern  Btaik  eiiimam  woOta^  w  int 
man;  denn  snnlohst  bedeutet  der  Soontagaaasfhig,  yor  allen  Diogeai  hier  aber  die 

reichliche  Anfschließang  städtischen  Oel&ndes  fttr  Paobigirten  anoh  an  mhider  to> 
güterte  Familien,  eine  heilsame  fiexeiobeniiig. 


Lobbiik:  Kind  und  Kanst 


47» 


günstiger  da  und  beschränkt  sich  für  beide  Geschlechter  überwiegend 
auf  die  Wertung  des  Bildes:  "Wandersmann  und  Lerche.  Im  be- 
sonderen berechnete  ich  die  Häufigkeit  von  B2  gegenüber  B3  auf 
das  Terhältnis: 

B2  :  B3 
Knaben  20  :  10 
Mädchen  3  :  22. 
Rückblickend  dürfen  wir  festhalten,  daß  das  Bildschöne  in  der 
Wertung  gegenüber  dem  Wortschöuen,  nicht  unwesentlich  zurücksteht. 
Das  mag  zur  Hauptsache  wohl  darin  begründet  sein,  daß  das  Bild 
höhere  Anforderungen  stellt,  daß  es  sich  stumm  passiv  dem  Be- 
schauer gegenüber  verhält,  während  dort  reichlicjier  gegeben  wird. 

Eine  wesentliche  Ergänzung  erfahrca  diese  Beobachtungen  durch 
die  Antworten  auf  die  Fragen  1,  2  und  12,  da  die  Kinder  aus  freier 
WaU 

4.  Das  UebUngiUld,  da*  Ueblingsgebiwle  md  das  UabUogadenkiiial 

angeben.  Die  Jfngem  sind  insofern  mangelhaft^  als  did  Antwoiten 
gebunden  sind  an  den  jeweiligen  EkfaluningslawiB  der  Kinder.  Dieser 
ist  nidit  nur  xeöht  ungleich  groß,  sondeni  inid  im  allgemeinen  be- 
scheidene Grenzen  nicht  fiberschniten,  trotsdem  liegt  in  der  Wahl- 
freiheit immer  such  ein  Moment  der  Bewegungsfreiheit,  die  nns  einen 
Einblick  in  das  Verhalten  des  Kindes  dort  gestattet,  wo  jeder  schnl- 
mäSige  Zwang  anfhört 

Die  zweite  Frage  habe  ich  schon  früher  gestellt,  die  Antwort 
würde  in  diesem  Zusammenhange  mit  einem  lünnszeichen  yersehen 
werden  mtlssen,  d.  h.  beweisen,  daß  das  Eind  bei  der  Wahl  sich  im 
allgemeinen  nidit  durch  isthetische  Badksiohten  bestimmen  IKßt  Ich 
fand  die  Auswahl  bei  den  Knaben  gr5ßer  als  bei  den  Mfidchen.  Das 
Auge  der  Mfidchen  schien  bei  der  Wahl  etwas  mehr  durch  Gesichts- 
punlrte  der  Schönheit  geleitet  zu  werden;  die  Knaben  wählen  mehr 
das  GioAe,  das  Übenagende.  Tor  allen  Dingen  schätzten  sie  das  alte 
Kieler  Schlofi.  Es  ist  ein  altes,  graues,  einförmiges  Gebäude,  soweit 
es  sich  dem  Beschauer  nach  den  Straßen  hin  präsentiert,  kann  es 
auch  nicht  den  leisesten  Anspruch  auf  irgendwelche  Schönheit  er- 
heben, —  aber  daß  es  die  Wohnung  des  Prinzen  Heinrich  und  zeit- 
weilig der  Aufenthaltsort  dee  Kaisers  ist,  das  macht  es  dem  Knaben 
zum  Ideal  aller  Gebäude.  Nach  dem  Schloß  folgt  in  der  Wert- 
schätzung eine  Kirche,  hinter  der  die  Schule  weit  zurückstehen  muß 
—  auch  bei  den  Mädchen,  die  dem  Yexsnch  unterworfen  wurden, 
trotzdem  ihr  Schulhaus  ein  durchaus  elegantee,  modernes  und  schönes 


» 


480 


Gebiade  ist  Hier  nuseheii  aicih  offenbar  hemmende  GedenkenreiheiL 
anderar  Art  ein. 

IGt  diesem  SrgebmSi  das  einer  Untersnohnng  von  SOO  Schfileni 
und  Schalerinnen  entnommen  worden  ist,  wollte  ich  mioh  fOr  den 
gegenwirtigen  Znsammenhaiig  nicht  begnügen;  ich  stellte  erneut  eine 
nmfibi^che  Nachprüfung  an. 

Welches  Bild  ist  dir  das  liebste? 

Wie  btt  den  Bflchem,  so  bereitete  es  aodi  hier  giOfite  Sohwieiig- 
keiten,  den  Namen  des  Maleis  oder  Zdohnera  m  edahren,  auch  die 
Titel  erwiesen  sich  sehr  oft  nngenan;  trotidem  erachte  ich  das 
ICateiial  für  die  vorliegende  Angelegenheit  ansreichend.  Ich  beaohside 
mich,  auch  hier  jinr  allgemein  ein  Bild  dessen  sn  geben, 
Kind  interessiert  ohne  genauere  aahlenmfiffige  Sonderan^ 


Stufe  I. 

Photographie.  Sixtioiscbe  Madonna. 
WilitntiaiidMiiaft  Abendmahl  Jagd  nach 
dem  OlüdE.  Wilhelm  H  Sohlaoht  bei 

T^'örth.  Wilhelm!  Friedrich  II.  Buchen- 
wald (Roß).  Kaiserproklamation  (Werner). 
Schlacht  bei  Bau.  Bismarck  (Lonbach). 
Morgenandacht  (Jessen).  Waid(Juhannsen). 
Oebngene  Ttnloe.  Teatobniiger  WaM 
(Lohmeyer).  Hagen  an  der  Bahre  Sieg- 
frieds. Hähoengrab  (Bjeae).  KMgia 
Laiso. 


Stufe  II. 
Wilhelm  II.   Mutter  Gottea.  Sommer- 
landsdialt  fimg  Hohenzollem.  Schiller 
und    Ooetfae.    FhotoKnplii&  Königin 
Loise.  YesieiUlder. 


Photographie.  Ostermoigen.  Abend- 
mahl (L.  d.  V.}.  Rodolfa  Bitt  zum  Grabe. 
Königiii  lAiae.  Die  drei  Ptosen.  Heide> 
röslein.  H^rmanmiimhlefiM  Jean  iüBi 
den  Stonm 


Photographie.  Germaniscbos  Bauem- 
gehöft  Jerusalem.  Kuichbtag  zu  Worms. 
Jesu  Oebnit  Sofawaigeii  im  Walde. 
Wilhelm  IL  Ootfaensohlaoht  Jeeoa  am 
Mer-r.  Karl  der  Or.  Jesus  am  Kreui. 
Frühling.  Domrt^schens  Erwachen.  Abend- 
mahl. HohenzoUern.  Schneewittchen.  Der 
Tod  als  Freund  (Bethel).  BoofaenwahL 
Seeroaen.  flchntaeagel.  BheinftJl.  Jeane 
eegnet  die  Kinder.  Kfthe  an  derTMnk». 


Stufe  III. 
Abendmahl.  Photographie.  Eaiser- 
proklamation.  Burg  Hohenzollem.  Her- 
mannadenknuL  Gennaai  ta  the  front 
Wahelmll.  KyefhSnaerdenkmaL  Über- 
schwemmung in  Schleeien.  Seeadiladit 
8tarm  auf  lako. 


Königin  Luise.  Die  scböae  Melusine 
(Schwind).  Befiehl  d.  tn  Herrn  deine 
Wege  (Richter).  Waldkapelle.  Die  sieben 
Beben  (Biohtei).  Friedrich  n.  Fhoio- 
graphie.  Jesu  am  Kreuz.  Hanaaegen. 
Landschaft  Der  zufriedene  Spiefibfuger. 


Lobboh:  Kind  and  Kmiat 


4SI 


Knaben 

Midohen 

Stnfe  17. 
DomrOeohen.    HMMwmhun.  Winter- 
landschaft     KjrffhäaserdenkiiiaL  Wil- 
helm IL   Bergpredigt  f!hin«Wi^,  gtoU. 
verkbildex.  Vogelbild. 

Heimohen  am  Hera,   wimalin  II.  Dia 

sieben   Raben.    Die   schöne  MelasiDe. 
Knabe  und  Vogel.  Der  Vesuv.   Der  See 
Genezareth.      Nordsee.  Schwanwald 
(Jagend).    SduMawittobea  dtotstain). 
UlidMMnilileiui  (Bwaa^  OiDsahiit 
(Voli-marin).  Jesus  segnet  die  Kinder  (St.). 

BtuU  Y. 

Ffexd  an  der  Enppe  (Lehinaiin).  Enegs- 
bnd.    Drachentöter.    Ileimkchr  aus  dem 
Chiiiakrieg.     Hünengrab.     Kaiser  Wil- 
helm II.  Kittäiborg.  lAndschaft  Krea- 
slgug.    HlDsel  und  OietiieL  SohifL 
von  dar  Briae.  Kube  und  Toge^ 

aast 

Schneewittchen.    Jesus.    Wilhelm  U, 
Bismarok  (Leabaoh).  BildTonderSoliwalbe. 

Die  Photographie  eines  Anverwandten  wurde  nahezu  zur  Hälfte 
aller  Fälle  als  Lieblingsbild  bezeichnet,  sei  es  die  eigene  oder  die 
des  Vaters  oder  der  Mutter. 

Bilder  bekannter  Meister  —  natürlich  lernen  die  Kinder  diese 
sumeist  als  Reproduktion  kennen  —  sind  sehr  stark  in  der  Minder- 
zahl Trotidflin  ist  ein  gtinstiger  EinJElafi  der  Schale  in  der  oben 
gegebenen  Obersioht  je  nnd  je  deafjieh  naohweisbar.  Das  gilt  be- 
eondeis  ron  den  lfäd<Äien,  wo  bier  nnd  da  ein  beoonderes^  aber  Ter- 
stindnisYoIlee  Bemühen,  anoh  edlere  Ennst  den  Kindern  vor  Augen 
m  bringen,  wie  ich  beetimmt  weiß,  statt  hattOe  Man  ist  bereebtigt 
der  Tatsache  an  entnehmen,  daß  beaonderes  Bemüben  auf  Brfolg 
sBUen  dari^  wenn  es  sich  in  TemOnftigen  Bahnen  bewegt  Dasn 
gehört  Tor  allen  Dingen,  daß  es  sich  mit  feinem  Takte  dem  jeweiligen 
Stande  der  kindlichen  Entwicklung  anpasse.  Die  Fordenmg:  dem 
Kinde  das  Beste  ist  stark  abgegriffene  Mttnae  geworden,  matf  Teigißt 
das  eiste  Dingwort  stark  sn  unterstreichen  und  projiziert  nur  in  zu 
Tiden  Forderungen  weit  über  den  OesiohtBkreis  des  Kindes  hinaus. 
Denn  —  und  das  mdge  hier  erneut  betont  werden  —  das  Hinein- 
passen in  die  kindliche  Gedanken-  und  Interessenwelt  ist  nicht  zu- 
nftchst  Sache  absichtlicher  ErwSgung  oder  logischen  BisonnementS) 
sondern  des  Taktes. 

Stark  gleichgültig  gegen  künstlerische  Ausstattung  ist  nach  .'der 
Übersicht  das  jugendliche  Alter,  aber  auch  auf  den  oberen  Stufen 

ZiltMlBift  Mb  FUtoMplit*  aad  Pidivogik.  12.  JakgtQs.  31 


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488 


AoMln 


interessiert  in  erster  Linie  der  Stoff,  der  Yorwurf  des  Bildes  und 
zwar,  entsprechend  der  stets  regen  kindlichen  Neugier,  der  Vorwurf 
erzählenden  Inhalts,  entstamme  er  nun  weitgeschichtlichen  oder  den 
kleinen  Yorgäugen  des  alltäglichen  Lebens.  Das  Stimmungsbild  findet 
nur  selten  Erwähnung. 

Nicht  unerwähnt  will  ich  lassen,  daß  nahezu  anasohliftMich  kolo- 
zierte  Bilder  als  Lieblinge  bezeichnet  wurden. 

Ein  Altersfortschritt  zeigt  sich  insofern  als  auf  die  völlige  Wahl- 
und  Kritiklosigkeit  der  unteren  Stufen  wie  immerhin  nicht  undeut- 
liches "Wählen  nach  Seite  des  Besseren  auf  den  späteren  Altersstufen 
einsetzt;  im  großen  und  ganzen  aber  finden  wir  das  Ergebnis  der 
voraufgegaugenen  Untersuchung  bestätigt,  daß  das  Kind  der  Büd- 
kunst  gegenüber  ungleich  ungünstiger  dasteht,  (d.  L  hier  ungleich 
hilfsbedürftiger  ist)  als  gegenüber  der  Kunst  im  Worte. 

Welches  Gebäude  unserer  Stadt  hast  da  besonders 
gern? 

Bas  Ergebnis  der  NaohuntmiGliung  kann  ich  knis  reneiehnea: 
im  grofien  und  ganzen  Mtigte  siidi  Obereinstimmung  mit  dem  ein- 
gangs des  Abschnitts  gezeiehnelen  Ergebnis  frfiherer  ünteisaöhnngen. 
Nur  in  einem  bedaxf  es  einer  Biginznng,  —  sowohl  bei  Knaben  wie 
bei  UMehen  leigte  sich  neben  der  starken  Betonung  des  KOni|^ichen 
Schlosses,  ein  deutliehes  SQnneigen  des  Urteils  zn  solchen  Gebinden 
der  Stadt  Eiel,  die  durch  herFomgende  architd[tonische  Sdhdnheit 
charakterisiert  sind.  Ich  ▼endchte  darauf  die  Daten  hier  au  geben, 
bemeike  nur  noch,  daß  das  Ergebnis  gezogen  wurde  unter  anadrfltck- 
lichem  Teiadcht  auf  diejenigen  Werturteile^  die  ledic^ich  znfiUigen 
Umstanden  entsprangen,  etwa  der  sufiOligen  Neigung  oder  der  Tigee- 
nenheit 

Welches  Denkmal  ist  dir  das  liebste? 

Kiel  ist  an  DenkmSlem  keineswegs  reich,  somit  ist  die  Wahl- 
möglichkeit beschrankt  Tiotsdem  bot  sich  Gelegenheit,  Tocnehen 
und  Yetwerfen  der  Kinder  au  beobachten,  weil  diese  Denkmäler  von 
sehr  ungleichem  künstlerischen  Werte  sind. 

(Siehe  TU>elle  S.  483.) 

Das  Reiterstandbild  Kaiser  Wilhelms  I.  von  Brütt  nimmt  den 
Löwenanteil  des  Interesse  in  Anspruch.  Es  ist  ein  Standbild,  das 
dem  Laien  —  und  zu  denen  gehört  zweifelsohne  auch  das  Kind  — 
nicht  sonderlich  verschieden  erscheint  von  den  besseren  i^eioh- 
betitelten  Denkmälern  anderer  Städte.  Der  Übersicht  I  kann  man 
nicht  entnehmen,  welche  Momente  dem  Kinde  für  die  Bevorzugung 
insonderheit  wertvoll  waren.  EsAt  man  aber  die  Gesamtdaten  ins 


Loasm:  find  wd  Kunst 


48» 


Knaben: 


ORIIIS 

I 

ü 

m 

IV 

V 

Kaiser  inihelm  I  .  . 

76 

84 

60 

67 

70 

71 

4 

6 

10 

16 

7 

8 

Henog  Friedrich  .  . 

4 

3 

6 

3 

Kösfsitieuknial  . 

A 
O 

o 

Q 
O 

Q 
O 

3 

Der  große  Xurfiirst  . 

2 

7 

4 

6 

A 

\ 

9 

7 

17 

10 

7 

10 

— 

— 

— 

— 

4 

0,8 

2 

— 

— 

— 

— 

0^ 

Mädch 

en: 

Stufe 

2s&me  des  Deaknialt> 

Souuue 

— — 

I 

n 

HI 

iV 

V 

Kter  Wilhelm  I  .  . 

89 

66 

68 

46 

80 

BSsmarck  

16 

10 

19 

5 

13 

Herzog  Friedrich   .  . 

8 

6 

4 

5 

6 

Kriegerdenkmal  •    ,  . 

3 

2 

10 

5 

Der  große  Kurfürst  . 

5 

1 

8 

26 

32 

33 

2 

JflSBB  am  Xieu.  .  . 

1 

o;8 

Auge,  80  begegnet  sweifeUoSi  daß  niöht  sowohl  kflnsflerisdheB  Emp- 
findeo,  als  die  EOUe  OeschehniBse,  die  an  diese  Perafinlichkeit  ge- 
heftet ist,  das  Kotiy  des  Yomehens  beigibt  Dem  widerapdoht 
durdunis  nidbt^  daß  das  Xroppdenkmal  an  sweiier  Stelle  gewertet 
wnxde.  Znnficihst  war  die  Binweibiuig  desselben  Tsgeseraigiiis»  dann 
aber  bedeutet  der  Umstand,  dafi  es  ein  Denkmal  von  stai^  betonten 
Ifinnsqnslititten  kfinstierischen  Schaffens  darstellt,  einen  erneuten  Be-- 
weis,  dafi  nicht  beschauliches,  passives  Aufbissen  künstlerische  Kom- 
plexionen, sondern  das  Interesse  am  Leben,  am  Stoff  des  Bildes  zum 
Yoniehen  reiat  Mithin  werden  alle  diejenigen  Bilder  bevorzugt,  di& 
erzählen,  zumal  aus  der  Gegenwart,  ganz  unbekümmert  darum,  ob 
sie  künstlerisch  besonders  wertvoll  sind  oder  nicht 

£ine  weitere  £iginznng  erfährt  diese  Angelegenheit  durch  dia 
Beantwortung  Ton  mancherlei  Sonderfrsgen.    Da  sie  nur  Neben- 

31* 


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484 


AulBitM 


Interesse  tragen,  kann  ich  nur  eine  knue  Behandlang  derselben  ge- 
statte n. 

Die  Sonderfragen  beabsichtigen,  einige  Nebengebiete  in  dem 
Sinne  zu  beleachten,  ob  hier  eine  »Schönheitskonkoirras«  oder  Inter- 
essen anderer  Art  bestimmend  waien. 

5.  Welche  Blume  hast  du  besonders  gern? 

Es  erübrigt  sich,  hier  genauere  und  umfängliche  Zahlangaben  zu 
"machen,  einige  allgemeinere  Bemerkungen  genügen.  Erneut  fand  ich 
bestätigt,  daß  die  Rose  die  ausgesprochene  Lieblingsblume  der  Kinder 
ist,  sowohl  der  Knaben  wie  der  Mädchen.  Erst  auf  den  oberen 
Stufen  konnte  eine  reichere  Auswahl  konstatiert  werden.  Zwar  läßt 
sich  —  für  diesen  Zusammenhang  —  nicht  ohne  weiteres  feststellen, 
ob  der  Duft,  die  Farbe  oder  die  Gestalt  der  Rose  für  ihre  Bevor- 
zugung bestimmend  war,  die  Art  der  andern  genannten  Blumen  läßt 
aber  wahrscheinlich  erscheinen,  daß  nicht  der  Duft,  sondern  in  erster 
Linie  Form  und  Farbe  verantwortlich  zu  machen  sind  imd  zwar  mit 
starker  Unterstreichung  der  letzteren.  Denn  die  duftenden  Blumen, 
die  keineswegs  immer  die  farbenreichsten  sind,  werden  sehr  viel 
seltener  genannt  als  die  andern. 

Die  größere  Mannigfaltigkeit  der  von  den  Mädchen  genannten 
Blumen  läßt  auf  ihre  stärkere  Neigung  schließen,  sich  mit  Blumen  zu 
beschäftigen. 

&  Wdcbet  Tier,  imbetondae  wekben  Vogel  hatt  dn  beaoadcra  fem? 

Die  Anzahl  der  genannten  Lieblingstiere  ist  yerfailliiisiiiiSig 
gering,  \ni  den  Eneben  etwas  grOAer  als  bei  den  Mldehen,  bei 
Uteron  Kfndem  giOSer  ab  bei  den  jungem.  Man  moB  aber  be- 
denken, da0  die  Stadtjugend  den  ]>(xifl>ewohneni  gegentttier  im  Kaub- 
teile  ist  Sie  leint  nnr  wenig  Tieie  kennen.  So  luid  ich  anoh  nur 
Tiere  genannt,  die  im  Hanse  äoh  anihalten,  sehr  selten  solohe,  die 
draofien  leben.  Bs  fehlt  an  der  Gelegenheit  xn  nnmittelbarar  Beob- 
aditong:  Ich  fand,  wie  in  der  frttheien  XTnteisachnng,  bei  den 
Knaben  Yoiliebe  filr  das  Grofie  und  Staika  Seine  Lieblingstiere 
smd:  der  Hund  nnd  das  Ffacd.  Die  Neigung  der  Uidcfaen  geht 
mehr  auf  das  Kleine,  Zieiliche,  Ißedlic^:  das  HUnddhen  nnd  die 
Katee.  Im  allgemeinen,  so  schließe  ich  unter  Yeigleich  dieser  Tat> 
Sache  mit  den  andern  genannten  Tteien  —  läßt  sich  das  Kind  bei 
der  Wahl  seine  Lieblingstiere  oft  weniger  durch  instinktiF  wiikende 
ästhetische  Momente  bestimmen  (obgleich  kein  hftfiliohes  Her  genannt 
wnrde),  als  durch  TTmstinde,  die  entweder  der  Zufall  bedingt^  der 


LoBsnat:  Kind  und  Kunat 


485 


ihm  eben  nur  eine  beschränkte  Anzahl  von  Tieren  zur  Auswahl  zu- 
weist, oder  es  greifen  "Wünsche  ein;  so  denkt  sich  der  Knabe  das 
Pferd  zumeist  als  Reitpferd  und  als  den  Reiter  niemand  anders  als 
sich  selber,  oder  er  denkt  an  das  Vergnügen,  das  ihm  der  possiei- 
liehe  Affe  oder  das  drollige  Eichhörnchen  bereitet. 

Bei  den  Mädchen  fand  ich  durchweg  eine  größere  Hinneigung 
zu  den  Yögeln.  Bei  ihnen  dominiert  wesentlich  das  Interesse  für 
die  Nachtigall,  dann  folgen  Papagei  nnd  Kanarienvogel.  Auf  Stufe  I 
bis  ni  beherrscht  die  Nachtigall,  auf  der  IV.  der  Kanarienvogel  und 
auf  der  V.  der  Papagei  das  Interesse.  Hier  kann  nicht  zweifelhaft 
sein,  daß  der  Papagei  seines  Sprechens,  der  Kanarienvogel  seiner 
Farbe  und  munteren  Bewegungen,  die  Nachtigall  aber  ihres  Gesanges 
wegen  vorgezogen  wird.  Es  ist  interessant  zu  beobachten,  wie  die 
Vorliebe  für  den  Gesang  so  stark  ist,  daß  Vögel,  die  durch  Gostalt 
und  Farbe  sich  auszeichnen,  kaum  genannt  werden.  Interessant  ist 
die  Beobachtung  besonders  eines  doppelten  Umstandes  wegen:  1.  haben 
die  Kinder  eine  ganze  Reihe  Vögel  letztgenannter  Art  durch  Ver- 
mittlung des  Unterrichts  im  Bilde  und  in  aasgestopftem  Zustande 
kennen  gelernt,  8.  bin  ich  fibeneugt,  dafi  kaum  die  Hftlfke  der  ESndfir^ 
welcSie  die  NaolitigaU  als  üebüngsvogel  beMiahneten,  (trot>  dat  fOr 
unsere  Stadt  yeriiiltusmäßig  günstigen  Terbältnisse:  gablreichfr 
stfidtisdie  Paditgftrten)  den  Gesang  des  TogeLs  gehört  haben.  Aber 
der  Vogel  ist  nun  einmal  der  erste  Singer  unserer  bemiisdhea  Vogel* 
welt^  alle  Welt  beaeiohnet  ihn  als  solöhen  —  und  das  wizkt  sugge- 
xierend  auf  das  Kind  ein  und  zwar  in  dem  eben  genannten  Msfie.  — , 
Bei  den  Knaben  aeigen  sich  nicht  unwesentlidhe  üntersohiede.  Zu- 
Hiebst  beobaohtea  wir  keineswegs  ein  Yorhenscben  der  Neigung  ffir 
die  NabhtigaU  —  mOglioh,  dafi  das  damit  susammenhingt,  dafi  der 
Knabe  weniger  suggestibel  ist  als  das  IQdcben  — ,  ferner  finden  wir 
eine  bedeutend  giöfiere  Anzahl  toh  Vögeln  genannt,  endlich  sind  da» 
oahesn  ausnahmslos  Vdgel,  die  durch  ihre  Bubeniaacht  ansgeaeiofanet 
sind:  Pfau,  Stiei^^  Paiadiesrogel,  Buntspecht,  Kolibri,  BotkehlcheD, 
KanarieuTogel,  Buchfink,  Zeisig^  Gdd&san,  oder  solche,  die  dundi 
Oröfie  und  Stiiike  ausgezeichnet  sind»  wie  Stnnfi,  Adler  und  Sdiwan. 
Der  Fiqpagei  hat  auch  Tiele  Liebhaber.  Daneben  q;»ielt  natoigemlß 
auch  der  Zufall  in  der  Wahl  eine  Bolle,  jenaehdem  er  diesen  oder 
jenen  Vogel  in  den  Besitz  des  Kindes  bringt 

Wir  erfahren  mithin,  dafi  auch  in  der  Auswahl  der  Lieblings- 
tiere Vorziehen  und  Verweifen  der  Kinder  durch  ästhetische  Um* 
stfinde  mitbestinmit  werden. 


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48« 


iiiMHiii 


7.  Welchen  Atmig  wünschst  du  dir? 

Die  Ausbeute  für  die  vorliegende  Aufgabe  ist  gering.  ISnerseits 
regen  sich  Wunschideale,  die  hier  und  da  den  elementarsten  Bedürf- 
nissen entspringen.  Die  Zahl  und  Mannigfaltigkeit  der  Wünsche  ist 
bei  den  Mädchen  ungleich  größer  als  bei  den  Knaben.  Dort 
finden  sich  alle  erdenklichen  Farben  und  Modefoniien  veraeichnet 
Bei  den  Knaben  ist  das  anders.  Da  überwiegt  der  »Matrosenanzug<. 
Hancher  wünscht  sich  einen  Prinzen-  oder  einen  Galaanzug,  mancher 
modeme  Quertaschen.  Später  kommt  die  Periode,  da  die  langen 
Hosen  mit  Inbrunst  gewünscht  werden,  sie  absorbieren  einen  großen 
Teil  des  Interesse  für  die  Kleidung. 

A.nf  den  oberen  Stolen  kommt  aadi  der  »junge  Herrc  in  dem 
Vunscfae  je  tmd  je  snm  Ansdrndt  Bas  Interesse  daran,  Mi  so. 
pntaen  tmd  ra  sduntloken  finden  wir  bei  Sindern  allgemein,  doch 
stUer  bei  den  MSdchen. 

8.  Wohia  möditeat  da  efaien  kadtug  nadiaa? 
Einen  AnsfLng  machen,  der  das  Eineiiel  der  tSgüchen  Be- 
-sohlftigimg  onteibricht,  gehOrt  sa  den  Wonnen  des  Emderiebens. 
In  diesem  Zusammenhang  soll  erwogen  werden,  ob  das  Kind  in 
«dnen  Wünschen  sich  bestimmen  läßt  durch  die  Schönheit  der  er- 
wählten Gegend.  Das  Ergebnis  der  Umfrage  bestätigte  das  in  dnieh- 
■ans  befriedigendem  MaBe  sowohl  für  Knaben  wie  für  Mädchen,  so- 
wohl für  die  niederen  wie  für  die  höheren  Altersstufen.  Wo  nicht 
Bedsenele  gewünsdit  wurden,  die  durch  landschaftUohe  Heise  aus- 
:gefleiohnet  sind,  da  griffen  bei  den  Knaben  Wünsche  ein,  die  dem 
Drang  in  die  Feme  entspringen,  da  will  der  eine  nach  Afrika,  der 
andere  in  die  Schweiz,  jener  nach  Frankreich,  dieser  nach  Jerusalem, 
•der  eine  in  die  Rlviera,  der  andere  nach  Rußland,  dieser  nach  Däne- 
mark, jener  in  den  Harz,  der  eine  nach  China,  der  andere  nach 
Mecklenburg  usw.  CBiarakteristisch  ist,  daß  in  diesen  Wünschen  dem 
Knaben  keine  Reise  zu  weit  ist,  während  die  Mädchen  sich  —  mit 
Ausnahme  der  unteren  Stufe  —  innerhalb  der  Grenzen  der  Heimat» 
provinz  halten. 

Wir  dürfen  dieser  kurzen  Betrachtimg  entnehmen,  daß  die  Jagend 
in  reichlichem  Maße  auch  für  das  Schöne  in  der  Katar  Hers  und 
-Sinn  haben. 

9.  Liebh'ng;sspiel  und  Ueblingsturnübung 
Diese  letzte  Fragestellung  hatte  sich  zur  Aufgabe  gestellt,  zu  er- 
knnden,  ob  auch  in  Spielen  und  Tomen  ästhetische  Neigungen  nach- 


Loon:  B&i  «d  Kamt 


467 


"wsaalicli  aoiin,  ob  die  Toiliebe  ging  auf  solche  Übungen  and  Spiele, 
die  dnreh  Hdtong  und  Ordxnmg,  oder  anf  soldie  die  Gesdnok,  Krafi 
und  Gewandtheit  in  erster  Linie  Yedangen. 

Hinsidhtliflli  dee  lieUingsspiels  kaim  ieh  iManm  Terweiflen  auf 
meine  Abhandfamg  Über  Ehiderideale,  deren  Brgefanis  idi  hier  tqII- 
kommen  bestttigt  &nd.  Die  Liebliiigsspiele  der  mästen  Kaaben  sind 
FreUnft-,  die  der  meisten  HIddien  Snunerspide.  Weitaiis  am 
hidfigsten  wsd  Ton  beiden  Gescfaleditfim  das  Ballspifil  als  Ide^^^ 
beseichnet  Den  Knaben  ehttnücterisieren  die  Lanf-  nnd  Banfspiele, 
die  Hnt^  Lnsi^  Gewandtheit  nnd  Eiaft  eif ordern,  das  Hidchen  die 
säaberiidi  geordneten,  wie  Eieisba]],  Fbngeball,  Lottospiel  nnd  die 
Fnppe.  Der  Enabe  will  mit  seinem  Spiel  hinans  in  I^eiheit  nnd 
UngebnttdeBheit)  das  Hidchen  mag  ins  Hm,  snr  Ordnung  nnd  Ge- 
sittung. Wenn  wir  also  Ton  tB&eliBdien  Elementen  reden  wollten, 
so  kann  dies  nnr  beefigüöh  derlttdchen  geschehen,  die  sof  Ordnung 
nnd  Anmut  bei  ihren  Spielen  halten. 

Ähnlichem  begegnen  wir  bei  dem  Tumen.  "Weil  ich  in  »Kindeiv 
ideale«  diese  Angelegenheit  nicht  berührt  habe,  gebe  ich  hier  die 
prozentualen  Werte  wieder,  geordnet  nach  Alter  nnd  G^eschlecht  der 
Kinder. 

(Siehe  TabeUe  S.  488.) 
Ein  Blick  auf  die  beiden  TabeDen  belehrt  wa^^  daß  die  Anzahl 
der  beliebten  Turnübungen  bei  den  Knaben  bedeotend  größer  ist  als 
bei  den  Mädchen. 

Scheidet  man  alle  aus,  die  einen  "Wert  in  der  TabcUe  unter 
haben,  so  kommen  für  die  Mädchen  nur  zwei  Übun^ren  in  Frage,  der 
Kimdlauf  und  das  Schweben  in  den  Ringen.  Für  das  Reck  und  die 
Kletterübung  fand  sich  keine  einzige  Stimme.  Bei  den  Knaben  finden 
wir  das  Klettern  durch  den  höchsten  Gesamtwert  ausgezeichnet,  dann 
Sprungseil  und  Reck;  die  den  Mädchen  liebsten  Turnübungen,  Rund- 
lauf und  Ringe  finden  bei  den  Knaben  eine  gerin^re  "Wertschätzimg. 

Auch  im  Verhalten  auf  den  einzelnen  Altersstufen  zeigen  sich 
bezeichnende  Unterschiede:  das  Interesse  der  Mädchen  bleibt  während 
der  ganzen  Zeit  annähernd  auf  gleicher  Höhe,  nicht  so  bei  den 
Knaben.  Deutlich  fällt  mit  steigendem  Alter  das  Interesse  für  Klettern, 
dagegen  steigt  das  für  Reckübungen  und  Spiingen.  Der  Umscliwimg 
in  der  Neigung  findet  auf  det  dritten  Altersstufe  statt,  wie  em  Ver- 
nich. 

Flu-  die  Aufgabe,  die  uns  hier  beschäftigt,  ist  wieder  die  Ans- 
beute  sehr  gering,  die  eingangs  gestellte  Präge  läßt  sich  ans  dem  Tor» 
handeneu  Material  weder  bejahen  noch  verneinen.  Man  mnß  sdion 


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488 


AUWIB 


Knaben: 


Stafe 

Name  dar  Tanfiboiig 

I 

n 

m 

IV 

V 

Beok  

26 

38 

18 

18 

iv 

SpringaeU  

32 

80 

64 

29 

8 

32 

FoMlitftf  ....  * 

7 

11 

8 

11 

20 

11 

Barrea 

8 

8 

2 

Tie  J 

rfcrd  ...... 

3 

Laufen  

7 



1 

Klettern  

7 

19 

16 

32 

44 

BiDge  

10 

12 

18 

8 

Summe 

100 

100 

100 

100 

100 

M&dchen: 

# 

Stufe 

XIWDO  Uw  XllIllttDIIIIg 

1 

n 

nr 

IV 

TT 

V 

Keck  

~ 

Sprungseil  

1 

BUOdlMlf     •      •      ■      a  « 

38 

29 

28 

40 

Ott 

31 

fifexven  

8 

2 

1 

Heid  

1 

— 

— 

lAiifpn  ...... 

7 

* 

4 

2 

Klettern  

Bioge   

50 

65 

68 

60 

75 

63 

Beigen  

8 

• 

2 

StaUUmiig  

1 

KralensclLwiiigen  .  . 

1 

Summe 

100 

100 

100 

100 

xoo 

«rwfigen,  wie  die  Übungen  von  Knaben  und  Mädchen  ausgeführt 
werden,  dann  allerdings  wird  man  geneigt  sein,  den  Ringangsgedanken 
zuzugeben. 


D.  Schluas 

Wir  abid  am  Ende  ennes  redit  mflheroUen  Weges  angelangt 
Mancher  wird  geneigt  sein,  den  Vnob  fOr  die  Axbett  sehr  gering  n 
nennen,  jener  gar  behaupten,  sie  sei  gani  nnntttz  gewesen,  denn  es 
seien  grofienleilB  Dinge  sa  Tige  gefSidert  worden,  die  nidit  nea  seifln. 


Lmn:  Kind  und  Emist 


489 


DemgegenUbfir  möchte  ich,  scfaUfifiend,  gans  kon  Stelluig  nehmeiL 
1.  Der  Sänwmf  zeigt  von  starker  üiünniitmB  Yom  Wesen  des  päda- 
gogisch-psychologischen Ei^»erimeni8.  Es  gehört  za  dessen  Wesen, 
daß  es  ungemein  mühselig  und  auch  za.  dessen  Wesen,  d&B  der  Er- 
folg oft  nur  bescheiden  ist  ISneiseitB  eifoidert  diese  Arbeit^  die  un- 
beikünmiert  nm  äußeren  Eifolg,  ledi^ich  ans  wissensohafflichem  Inter- 
esse geleistet  "wird,  als  solche  sdion  ihre  Anerkennnng,  andierseitB  ist 
aber  ein  ganz  fidscher  Standpunkt^  nnr  in  der  Erwartung,  etwas 
dnichaiis  Neues  zu  hören,  an  die  ünteisudinngen  heranzutreten.  Das 
Experiment  ist  eine  besondere  Fonn  der  Erfahrung,  das  ist  schon  oft 
ansgeführt  worden  —  aber  darin  liegt  doch  zugleich  ausgesprochen, 
daß  es  sehr  oft  la  ahnttchen  Ikgebnissen  wie  jene  kommen  muß. 
Aber  —  und  darin  steckt  der  Wert  dieser  Beobaditungsweise  —  die 
-Qbereinstimmenden  Ergebnisse  sind  jetzt  ganz  anders  fundiert,  als  das 
durch  die  bloße  Beobachtung  möglich  war.  Sie  sind  dem  zufälligen 
Meinen  und  Scheinen  entrückt  und  auf  wissenschaftlichen  Boden  ge- 
stellt worden.  —  Für  das  Experiment  selbst  aber  bedeutet  diese  Über- 
einstimmung mancher  Ergebnisse  ebenso  oft  eine  Bewährung,  einen 
Beweis,  daß  es  sich  auf  richtiger  JB^ihrte  befindet  Sie  gibt  ihm  das 
Bechl)  nachdrücklich  seine  Stimme  auch  dann  geltend  za  machen, 
wenn  es  zu  abweichenden  Reeoltaten  konunt  und  Irrtümer  nachweist 
Ich  möchte  sehen,  wie  diejenigen,  die  jetzt  über  die  Unfruchtbarkeit 
des  Experiments  ereifern,  dem  Experimentieren  zu  Leibe  gehen  würden, 
wenn  es  tatsächlich  nur  Neues  bringen  würde. 

In  der  vorliegenden  Frage  aber  glaube  ich,  unter  AVahrung  mög- 
lichst großer  Vorsicht  und  auf  breitester  Grundlage,  nachgewiesen  zu 
haben,  daß  allerdings  im  Kinde  ästhetische  Qualitäten  schlummern 
und  daß  treffende  Maßnahmen  geeignet  sind,  diese  zu  entfalten  und 
gegen  unedle  Einflüsse  zu  immunisieren.  Das  Wortschöne  liegt  dem 
Kinde  ungleich  näher  als  das  Bildschöne.  Femer:  Die  Voraussetzungen, 
welche  die  Förderer  auf  dem  Gebiete  der  Kunsterziehung  ohne  weiteres 
vorwegnehmen,  sind  somit  experimentell  erwiesen:  eine  Kunsterziehung 
ist  möglich. 

Freilich:  wie  hoch  die  Ziele  zu  stecken  sind,  welche  Sondermaß- 
nahmen notwendig  sind,  ob  die  gegenwärtigen  Bestrebungen  in  ihrer 
Methode  berechtigt  sind  —  das  sind  Fragen,  die  hier,  wo  die  Absicht 
auf  die  Voraussetzung  allein  gelenkt  war,  nicht  beantwortet  werden 
sollen.  Ich  hoffe  jedoch,  daß  Fingerzeige  hier  und  da  den  vorliegenden 
Untersuchungen  entnommen  werden  können. 


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m 


BUmmma  ssr  Rrtkmn  des  Beligioiifr¥niii(Hiinliti 

(FortsetsiuDg) 
XIV 

UtttUn  zn  IMI|iMt>UMin1olt 

1.  IMe  Sohwierigkeit,  mift  dar  der  BeligionsnntBRiofat  der  Sokide 
—  dar  Tolkssdrale  wie  der  Meran  Sdiole  —  in  gegenwirtiser  Zeit 
an  Umpfca  hat,  liegt  mehi  hloB  dariiii  daft  es  das  Üssnetsto  und  HiBdoto 
dto  Menachenlebeps  isi^  wonim  ea  sich  dabei  handett;  andi  mclil  bloft 
darin,  daA  die  religideen  Überaeugungen  heute  weiter  anaemandeigehen 
vnd  mehr  in  IhiB  afaid,  ala  vielleicht'  je  aoror;  aandeni  darin,  daft 
daa  ganae  YeihflltDis  der  Religion  aa  den  llbrigen  Ghfandb  wtan  dfaflen 
der  durch  die  S<dnile  dem  jttaigeren  Geaohlecht  an  ttberiiefamdsn 
natlonaleD  nnd  meDSofaheittiohea  Kultur  maoher  geworden;  daft  die 
Taisache  einea  tiefgehenden  Konflikte  awiaefaen  der  ^betkommenan 
Jenaetterdigion  nnd  der  homanen  Wiaaenaohaft^  Sitlitol^it  nnd  Kunst 
vorliegt  nnd  ädä  ttnger  nicht  verbergen  1SM\  einee  KonflildB)  der 
nodi  weit  entfernt  ist  von  einer  solchen  Lösung,  welche  hotkn,  dfirito 
zur  gemetnsamen  Überzeugung  aach  nur  derer  zu  werden,  die  g^ 
willt  und  befiOiigt  sind  die  Snige  mit  airf»elBngetter  Wahriieitriiebe  iaa 
Ange  zu  fassen. 

2.  Bei  dieser  Lage  ist  nur  einer  von  zwei  Wegen  möglich.  Das 
Eine  wäre:  völliger  Vendoht  auf  irgend  welche  (Gemeinsamkeit  leü- 
giliaer  Unterweisung;  strenge  Ausschließung  also  der  Religion  aus  dem 
gemeinsamen  Unterricht  der  Schule,  und  Freigebung  desselben  aa  die 
einzelnen  Bekenntnisse,  nnd  zwar  alle  ohne  Unterschied;  denn  keine 
einzige  religiöse  Überzeugung  darf  vergewaltigt  werden,  nicht  die  der 
kleinsten  Minderheit,  ja  nicht  die  eines  einzelnen;  nicht  die  positiTe, 
aber  auch  nicht  die  ncG:ative.  So  erhielte  die  Kelipon  eine  ganz  ab- 
gesonderte Stf'lhinfr  nohon  dem  übrigen,  durch  den  gemeinsamen 
Unterricht  zu  überliefernden  Kniturinhalt;  aus  dem  auf  diesen  ge- 
richteten Unterricht  dag^en  wäre  das  religiöse  £lement  ganz  anaaa* 
scheiden. 

3.  Aber  diese  Losreißung  der  Religion  vom  Zusammenhange  des 
Kulturlebens  ist  an  sich  nicht  sachgemäß  und  würde  nach  vielen 
Seiten  geradezu  gefährlich  wirken.  Der  Partikularismus  des  Bekenntnis- 
glaubens  würde  dadurch  nur  gefördert  Bewiese  dann  die  Reügion 
in  dieser  von  der  Kultur  losgelösten  Stellung  überhaupt  noch  eine 


stimmen  zur  Befoim  des  Beligioos-UntdrriohtB  491 


-wirkliche  Macht,  m  würde  sie  geradesn  bedrohlich  werden  für  die 
gemeinsame  Eultorarbeit,  deren  Erhaltung  und  Fördemng  die  Schale 
dient:  zoigte  sie  sich  in  solcher  Absonderung  ohnmächtig,  so  bliebe 
nur  eine  auch  um  den  wertvollen  Gehalt  der  Religion  verkürzte,  also 
eine  verstümmelte  Kultur  übrig.  In  jedem  Fall  wäre  der  Konflikt 
Ä¥rischen  Religion  und  humaner  Kultur  auf  diese  "Weise  nicht  be- 
Mltigt  oder  auch  nur  gemildert,  sondern  unabsehbar  verschärft. 

4.  Und  dabei  wäre  das,  was  man  auf  diesem  gewagten  "Wege 
retten  wollte,  die  Freiheit  der  Gewissen,  gerade  so  nicht  gewahrt  Der 
Staat  zwar  und  die  bürgerliehe  Gemeinde  würden  aufhören  einen  Be- 
kenntniszwan^r  zu  üben;  aber  die  Kirche  würde  ihn  um  so  schärfer 
anspannen.  Seilest  wenn  Dörpfelds  Yorschlag  Hoffnimg  auf  Verwirk- 
lichung hätte,  nach  welchem  die  Schule  hinsichtlich  des  Inhalts  des 
Unterrichts,  besonders  des  religiösen,  freien  Verbänden  religiös  gleich- 
gestimmter Hausväter  (»Schulgemeinden«)  an  erster  Stelle  verantwort- 
lich wäre,  so  wäre  in  Hinsicht  der  Gewissensfreiheit  nicht  mehr  ge- 
wonnen, als  daß  an  die  Stelle  einer  oder  zweier  großer  Rehgions- 
gemeinschaften  ungezählte  kleine  träten,  die  in  der  so  gewonnenen 
Freiheit  ihre  Sonderrichtung  nur  um  so  schärfer  betonen  und  sich 
jeder  Verständigung  verschließen  würden.  Dem  Gewissen  der  Eltern 
geschShe  kein  Zwang  mehr;  aber  sie  selbst  würden  ihn  mit  um  so 
ummiBcliiinkterer  Gewalt  auf  die  Einder  ausüben  können,  und  ifaa 
auf  ae  anseattbeii  dardi  eine  sololie  Bfairielitung  geradera  angewiesen 
werden.  Die  walure  Oewimensbeilieit  iei  aber  die  des  Bidividnnms, 
nidit  die  irgend  welcher,  gleidkTiel  ob  weit  oder  eng  Teistandenen 
KoiporaticiL  Be  daif  tttierhaopt  kein  Tozmimdschafi^cheB  OewisseD 
geben,  aneh  sieht  der  Ettem  fOr  die  Einder. 

Ik  Ist  also  dieser  Weg  bedingongslos  absnlehnen,  mnfi  Tiehnehr 
der  leligidee  ünteniöht  gemeinsam  mtd  in  Yerimulang  mit  dem 
gannu  Unteniobt  der  Sehlde  Teibleiben,  so  bleibt  nnr  eines  ftbrig: 
die  Sehnle  bat  nicht  iigend  welche,  sei  es  alte  oder  neae,  aOgemeine 
oder  besondere,  podtiTe  oder  gar  n^gatire  religiöse  Übersengong,  nidit 
irgend  welches  »Bekenntnisc  als  feststehend  anrnmehmen  nnd  dem 
nachkommenden  Gesddecht  an  flbeiliflieni,  sondern  sie  hat  allem  die 
Tiilaacbe  der  BeUgion  nnd  ihre  wiiUiche  Bedentang  im  Oanaen  der 
mcpashhsBtfiehsn  nnd  nationalen  Enltar  anaaerkennen  und  dem  Ter- 
attndnis  nahe  zu  bringen.  Sie  hat  also  enien  inhaltlich  allgemeinen, 
streng  nndogmatischen  Unterricht,  für  alle  gemeinsam,  zu  erteilen, 
einen  Unterricht  nicht  in,  sondern  über  Reügion;  das  heißt  einen 
Unterricht,  der  nicht  bezweckt,  iigend  eine  gegebene  Religion  dem 
Einde  einsiipIlaDaeii,  oder  anch  mir  ihre  hanptsttdilioh  dnröh  andere^ 


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492 


AvfBlftie 


Ürchliche  oder  EamilieiirSiiiflfisse  bedingte  BuUaltmig  in  üim  an  ihrem 
Teil  sa  befördern;  sondem  siofa  streng  darauf  beechifinkt,  diejenige 
Kenntnis  nnd  dasjenige  Teistilndnis  Ton  Beligion  mitEUteilen,  welches 
ZOT  Kenntnis  und  mm  Terstündnis  der  ganaen,  dem  jüngeren  Ge- 
schlecht doroh  die  Sohnle  za  Ubeiüelemden  menschheitlichen  nnd 
nationalen  Enltor  erforderlich  ist  Sie  soll  also  ihren  Zögling  tot  die 
Kage  der  Beligioa  swar  stellen,  aber  nicht  irgend  eine  bestimmte 
Antwort  auf  diese  Ebrage  ihm  aiitoritetiy  aufdringen  oder  aiudi  nur 
nahelegen.  Die  Antwort  soll  em  jeder  nach  edangtsr  Beife,  also 
jenseite  des  Schnlalters,  selbstBndig,  rein  nach  dem  eigenen  Gewissen 
—  womfiglioh  finden;  er  soll  aber  auch,  wenn  er  kerne  findet^  dordi 
den  ünteniöht  dayon  einen  Begaff  bekommen  haben,  dafi  es  Beligioii 
fpb%  und  was  sie  im  Gesamtleben  der  meosdilichen  Kultur  bidier  be- 
deutet hat  und  noch  bedeutet 

6.  Angabe  des  Eeligionsunterrichts  der  Schule  ist  also  keines- 
falls »Aneignung  der  Heilstatsachent,  wie  z.  B.  die  preußischen  Lehr^ 
pläne  für  die  höheren  Schulen  sagen.  Eine  solche  Forderung  ist  an 
sich  sinnlos  in  einer  Zeit,  wo  die  Übeaengcmgen  der  redlichsten  und 
religiösesten  Mensclien  darüber,  wo  das  »Heil«  liege^  so  weit  ausein- 
andergehen wie  heute:  Aber  selbst  wenn  hierüber  gar  kein  Zweifel 
bestände,  so  würde  es  nicht  die  Aufgabe  der  Schule  sein,  die  An- 
eignung dieses  Heils  in  ihrem  Zögling  zu  bewirken.  Der  Lehrer  soll 
nicht  den  Seelsorger  spielen  müssen,  der  Schule  nicht  die  Verant- 
wortung für  das  Seelenheil  (im  religiösen  Sinne)  aufgebürdet  werden. 
Dagegen  liegt  in  ihrem  Bereich  und  gehört  2:u  ihrer  natürlichen  Auf- 
gabe die  Erschließung  der  Welt  der  religiösen  Yorstellungen,  als  oin^ 
eigenen  und  "wichtigen  Gebietes  des  seelischen  Lebens  der  Menschheit; 
und  zwar  dieser  Vorstellungen,  soweit  sie  für  unsere  Nation  liistorisch 
bedeutend  gewesen  und  gegenwärtig  noch  in  ihr  wirksam  sind;  mit 
Verzicht  jedoch  auf  jeden  dogmatischen  Anspruch.  Es  soll  vielmehr 
der  Religionslehrer  bis  zum  tiefsten  durchdrungen  sein  von  der  Ge- 
wissenhaftigkeit gegen  die  ihm  anveitraute  Seele  des  Zöglings,  daß  er 
nicht  seine  besondere  religiöse  Überzeugung  ihm  aufdringe,  nicht  bloß 
nicht  durch  äußeren  Zwang,  sondern  auch  nicht  durch  die  Mittel 
einer  feineren  Suggestion,  wie  viele  Geistiiche  sie  in  der  Gewalt  haben. 

7.  So  allein  entspricht  es  dem  allgemeinen  pädagogischen  Grund- 
satz: daß  Bildung  auf  Selbsttätigkeit  beruhen  muß,  die  durch  die  Mit- 
tätigkeit des  Erziehenden  nur  entbunden,  gegen  hemmende  oder  ab- 
lenkende Einflüsse  geschützt  und  in  ihrer  eigenen,  natürlichen  Bahn 
gehalten  werden,  nicht  aber  unterbunden  oder  in  eine  ihr  nicht 
natOrüche  Bahn  künstlich  eingelenkt  wecden  soU.  Selbst  wer  statt 


Stimmoi  sor  Balona  des  Baljgkms-Uiitsniolifs 


493 


der  Autonomie  die  Theonomie  behauptet,  daif  doch  nicht  im  Unter- 
richt dem  Zögling  gegenüber  den  Gott  spielen  wollen,  sondern  muß 
vielmehr  streben,  die  ihm  anvertraute  Seele  aller  menschlichen  Autf)rität 
gp^eiiühor  frei  zu  machen,  damit  sie  der  alleinigen  Einwirkung  »Gottesc 
offen  stehe.  Vollends  ist  es  so  gefordert,  wenn  und  solango  der  frag^ 
liehe  UnteiTicht  —  wie  es  nach  obigem  auch  sachlich  bep^ndet  ist 
—  im  Auftrag:  und  unter  der  Verantwortlichkeit  des  Staats  oder  der 
bürgerlichf  ii  Gemeinde  erteilt  wird.  Denn  der  Staat  hat  als  solcher 
keine  Konfession,  noch  darf  er  eine  solche  seinen  Bürirem  aufzwin^^cen, 
weder  eine  einzige,  noch  mehrere  zur  Auswahl;  weder  eine  allgemeine 
noch  eine  besondere.  Dagegen  ist  er,  als  berufener  Ti-äger  und  Pfleger 
der  nationalen  Kultur,  ohne  jeden  Zweifel  befugt  und  verpflichtet, 
Religion,  sofern  und  solange  sie  ein  tatsächlich  wirksamer  Kulturfaktor 
ist,  im  Zusammenhang  mit  dem  Ganzen  der  bis  dahin  errungenen 
Kultur  der  Kenntnis  und  dem  Verständnis  des  jüngeren  Geschlechts 
durch  die  Schule  nahezubringen. 

8.  Man  hat  bisweilen  gezweifelt,  ob  überhaupt  ein  Unterricht 
über  Religion  möglich  sei,  der  nicht,  auch  ungewollt,  zum  Unterricht 
in  Religion  werde;  weil  in  der  religiösen  Vorstellungs-  und  Gefühls- 
welt die  suggestive  Wirkimg  an  sich  liege.  Aber  so  sicher  es  mög- 
lich ist,  die  Tatsachen  des  religiösen  Lebens  imd  Glaubens  der  Ver- 
gangenheit und  Gegenwart,  zwar  nicht  ohne  persönlichen  Anteil,  aber 
doch  ohne  parteiliche  Voreingenommenheit  historisch  festzosteUen  und 
psycholegisch  za  ergründen,  muß  es  auch  möglidi  sein,  eben  diese 
Iktsachen  nach  ihiem  bistoriedieii  und  p^ohologischen  Zusammen- 
hang dem  YersiSndnis  des  Hemawaduenden  scfarittweiBe  näher  an 
bringen,  ohne  dafi  damit  zugleich  die  Aneignung  einer  bestimmten 
leligiösen  Übeneagong  oder  Gemütshaltuig  sei  es  absichtlich  ihm 
angemntet  oder  auch  nnbeabsichtigterwease  in  ihm  herrorgemfen 
wird.  Hat  schon  Ungst  die  "Wissensdiaft  diese  freie  Stellang  aar 
Religion  eingenommen,  so  wird  die  Fldagogik  daraus  die  Eonseqnenaen 
za  sehen  haben,  da  sie  doch,  hier  wie  in  allem,  sich  auf  den  Grund 
der  'Wissenschaft  m.  stellen  die  nnabweisbare  Pflicht  hat  Damit 
würden  die  Schwiedgkeiten  TüUig  wegfallen,  nnter  denen  die  Schule 
in  Hinsicht  der  religiasen  Frage  zor  Zai  leidet  Diese  Schwierig 
keiten  bestehen  in  der  TSat  gar  nicht  für  die  UniTersität,  soweit 
wenigstens  sie  die  freie  Foisdinng  und  eigene  Übenengong  als  Prinzip 
aneitomt;  sie  würden  ebenso  wen^  für  die  Schule  bestehen,  wenn 
sie  sich  mit  Entschiedenheit  aof  den  gleichen  Grund  stellen  würde, 
wie  sie  doch  will  nnd  soll  Eine  Pädagogik  jedenfalls,  die  nach  den 
Prinzipien  Pestalozzis  xmd  £aiits  Entwicklang  Ton  innen,  nicht 


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Hinelnbfldimg  von  anfien  als  Angabe  ^Aeant,  darf  tkh  auch  in  dar 
religiSMm  Frage  nur  im  £^fii«di6n  Sinne  der  llceiheit  und  unbedingten 
Achtung  der  Gewissen  entscheiden. 

9.  Man  fOrchtet  Tielfaoh  mit  dem  «oioritativen  BeUgionsonter- 
rieht  der  Sittlichkeit  eme  unentiiehriidie  Stütae  an  nahen.  Aller- 
dings wflxde  der  antoritatire  Beligionsonterricht»  Toraiugesetaty  daA  er 
seine  Absicht  wiiUich  erreifihie,  allgemein  den  Geist  der  Aatorititt 

'  stütsen.  Doch  irird,  wer  sich  nicht  g^gen  ofienkimdige  Tatsachen 
TesBohliefit)  angeben  müssen,  daft  er  diese  Absicht  schon  lange  nicht 
mehr  und  immer  weniger,  ja  sehr  oft  das  ToUe  Gegenteil  dayon  erreioht 
Echte  Sittlichkeit  aber  inzui  überhaapt  nicht  auf  Autorität,  sondern 
nur  auf  Freiheit  ruhen;  eine  Stütze  der  freien  Sittlichkeit  aber  ist 
nicht  eine  Beligion,  welche  selbst  in  unfreier  Weise  beigebracht  wird, 
sondern,  wenn  überhaupt  eine^  dann  allein  eine  solche,  die  in  voller 
Ereiheit  eigener  Überzeugung  erwächst  Übrigens  muß  festgehalten 
werden,  daß  Sittlichkeit  und  Religion,  bei  aller  innigen  Berühnmg, 
doch  dem  wesentlichen  Grande  nach  voneinander  yerschieden  und 
unabhängig'  sind. 

10.  Der  Stoff  des  Religionsunterrichts  brauchte  bei  gedachter 
Zielbestininiung  nicht  ein  wesentlich  anderer  zu  sein  als  bisher.  Denn 
natürlich  hat  auch  der  bisherige  Religionsunterricht  die  für  unsere 
Nation  und  die  gegenwärtige  Kulturstufe  bedeutsamsten  Daten  der 
religiösen  Überliefening  in  den  Vordergrund  gestellt  Doch  wäre 
eine  sti'enge  Sichtung  auf  der  einen  Seite,  eine  Ergänzung  auf  der 
andern  durch  freieren  und  weiteren  Umblick  auch  auf  andere  als  die 
traditionellen  Stoffe  geboten.  Es  wäi-en  besonders  die  biblischen  Stoffe, 
die  eine  gewisse  Klassizität  mit  vollem  Reclit  erlangt  haben  und  be- 
hiüten  sollen,  zu  ergänzen  durch  Dai'steilungen  des  reÜgiösen  Lebens 
der  deutschen  Vergangenheit  und  Gegenwart  Es  sei  hier  besonders 
auf  ScHiELES  gutes  Buch  »Deutsclier  Glaube.  Ein  Lesebuch  religiöser 
Prosa  zimi  Schulgebrauch  im  deutschen  Unterricht«  (Dürrs  Deut^sche 
Bibliothek  für  Seminare,  Bd.  XII,  T^eipzig  1905)  hingewiesen;  welches 
zwar  der  uliit^on  Absicht  insofern  nicht  entspricht,  als  es,  mit  Rück- 
sicht auf  tlio  tatsaciilich  vorliegende  religiöse  Spaltung,  das  prote- 
stantische Deutschland  ausschließlich  berücksichtigt,  und  auch  nicht 
für  den  Religionsunterricht,  sondern  für  den  deutscheu  Uuterncht 
bestimmt  ist;  welches  aber  doch,  schon  durch  seine  bloße  Existenz, 
hinreichen  sollte,  jeden  noch  Zweifelnden  zu  überzeugen,  daß  der 
Bruch  mit  der  bisherigen  ausschließlichen  Bibel-,  Katechismus-  imd 
Kirchenlied-Tradition  nicht  den  Bruch  mit  Religion  und  Ghriatentom 
zu  bedeuten  biaucht 


StimoMD  rar  Beftm  im  Beligioiii-iriiiinioliig 


11.  Einer  radikalen  Änderung  dagegen  bedürfte  die  Behandlungs- 
weise.  Schon  längst  hat  Pestalozzi  die  Anknüpfung  der  religiösen 
Unterweisung  an  die  immittelbaren  Erfahrungen  des  Menschenlebens, 
an  die  »Anschauung«  desselben  gefordert  Durch  sie  können  dem 
Einde  schon  von  der  untersten  Stufe  des  Schulunterrichts  an  die 
schlichten  Orondgefühle  und  Grundvorstellungen,  auf  denen  alle 
BeUgion  beruht,  nahegebracht  werden,  nicht  in  irgend  einer  kliT- 
lüilQii  Farm,  sondern  rein  als  EE&hningen,  ab  Edfibmfiae  menfioli^ 
IklHrter  Art  und  Bedeatong,  daam,  der  XJntenidit  nnr  das  ebenso 
Bofalidite,  dem  Kind  mid  Volk  versttiMUidie  Wort  hinxiuiifQgen  bat 
Damit  wird  aber  sugiaieh  die  Qnmdlage  gewonnen  fOr  die  weitere 
Testiafung,  die,  wie  in  jedem  andam  Gebie^  die  eigene  Eifidirung 
ergänzen  muß  durch  die  Sr&ifarangen  anderer,  der  Mitlebenden  so- 
wohl, ab  derer,  die  eise  Spur  ihzea  Lebens  in  der  Oesdddite  hinter- 
Jasaen  haben.  Hierbei  ist  in  strenger  Stufanfolge  das  den  eigenen 
BrEahnrngen  Terwandteate,  also  Ton  ihnen  ans  Yeistindliofaste  Tozanr- 
anstellen,  und  nur  in  stetigem  Übergang  zu  dem  femer  und  hoher 
Junanf  liegendsn  fartamschieiten;  moht  aber,  wie  jetrt  vielfach,  gleich 
anfimgs  mit  schwer  läßlichem,  dem  eigenen  TorsteUungskreise  nnd 
eigenen  Edeben  des  Kindes  ganz  Bemstehendem  einzosetaen.  Haben 
die  biblischen  Stoffe,  wie  ananeilrannen,  fOr  daa  reUgiSse  Oebi^  eine 
gewisse  KhoslaLtflt  mit  Qnmd  eriangt,  so  haben  sie  es  nnr  dadurch 
und  nur  insoweit,  als  sie  wiiMich  eio&che,  elementare  Formen  reli- 
giösen Lebens  in  entsprechend  elementarer  Fassung  zum  Ausdruck 
bringen.  Erst  auf  höherer  Stufe  tritt  zum  Selbsterlcbten  und  ge- 
schichtlich bekannt  Gewordenen  der  religiöse  Begriff;  nicht  als  dog- 
matisch abschließend,  sondern  streng  nur  als  Versuch,  den  Inhalt  d^ 
Erlebten  auf  einen  möglichst  scharfen  Ausdruck  zu  bringen;  stets 
mit  dem  bestimmten  Vorbehalt,  daß  kein  solcher  Ausdruck  je  als 
endgültig  zu  betrachten,  sondern,  wie  dem  religiösen  Erleben  selbst, 
so  der  begrifflichen  Prägung  des  Erlebten  der  Spielraum  unbegrenzt 
offen  an  halten  seL 

XV 

TIMM8  fibar  daa  RaUiiaaaaBterriobt  aa  hötaeraa  Soiiaita') 

Oymnasialoberlehier  Dr.  F.  Heuck  in  Berlin 

1.  Relif^ion  ist  das  innere  Verhältnis  des  Mensclien  zu  Gott, 
nach  christlicher  Auffassung  das  Kindschaftsverluiltnis.    Wie  der 

1)  Die  AnafOhrangaa  meiner  Theaaa  findeB  sich  in  meiner  Bnachfin  »Zorn 
BaUgknsontexxioht  an  bfiliemn  Sebnlanc.  (Bariin,  Aleiaader  Danoker,  1904.) 


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496 


einzelne  zu  Gott  steht,  ob  er  sich  als  Gotteskind  fühlt  oder  nicht,  ob 
er  Christ  ist  oder  nicht,  darüber  entscheidet  das  Leben,  nicht  die 
Schule.  Wohl  kann  die  Schule  durch  Klärung  des  Denkens  maochen 
Anstoß  aus  dem  "Wege  räumen  und  dadurch  den  Weg  zu  Gott  viel- 
leicht hier  und  da  ebnen,  aber  nicht  kann  sie  es  sich  zum  Ziel 
setzen,  den  einzelnen  in  das  richtige  Verhältnis  zu  Gott  zu  bringen; 
d.  h.  mit  andern  Worten:  Religion  ist  nicht  lehrbar. 

2.  So  gewiß  Religion  selbst  Sache  des  Gemüts  —  oder  trie  nun 
sich  nun  ausdrücken  wiU  —  ist,  so  gewiß  ist  Beligion8imi0Eridit 
etwas  anderes  als  Religion,  und  swar  iHe  jeder  andere  ünteDidit 
Sache  des  Teistaades.  Indem  der  Beligionsimteiricht  —  irie  jeder 
andere  IJntenidht  —  sich  zanlchst  ansschlieflliöh  an  das  logische 
Denken  richtet,-  wirkt  er  mittelbar  auch  a^  das  Gemttb  Das 
ist  der  einzige,  durch  die  P^ofaologie  gewiesene  Weg^  Aufierdem 
ist  es  tSricht,  Yerstandesbildnng  als  ethisch  wertlos  anzusehen:  Gemttt 
ohne  Yerstand  ist  genau  ebenso  nnmoralisoh  wie  Terstand  ohne 
Gemüt! 

8.  Ebensowenig  wie  Religion  kann  der  RaHgionsontemeht  den 
Sdifilem  Moral  beibringen.  Ob  die  ^der  HebeToU,  gehorsam,  ver- 
trSg^lich  usw.  smd,  hängt  von  der  Behandlung  ab,  d&e  ihnen  sq  teil 
wird,  nnd  von  der  Umgebung^  in  der  sie  anfwadisen  nnd  ans  der 
sie  sich  nnbewoflt  ihre  Yoriiilder  wfiUen.  Bs  IfiAt  sich  keine  Ge- 
dfinwiig  in  die  Kinder  hindnreden. 

4.  Klirung  des  Denkens  —  darauf  alelt  der  BeBgiottsnnterricht, 
wenn  er  nicht  wertlos  oder  gar  geOQiriidh  sein  soll,  einzig  nnd  allein 
ab.  Damit  ist  ihm  eine  sehr  schwere,  aber  auch  sehr  dankbare 
gäbe  gestellt;  eine  schwere,  weil  die  Unklarheit  in  religiösen  Fragen, 
durch  die  Jahrhunderte  hindurch  kirchlich  sanktioniert,  auch  heute 
noch  weiten  Kreisen  als  der  eigentliche  Kern  der  Frömmigkeit  er- 
scheint; eine  dankbare,  weil  nur  durch  Aufklärung  die  Schüler  die 
Fähigkeit  erlangen  können,  dereinst  dem  Stormlaufen  g^n  die  Religion 
einerseits  wie  dem  angleich  gefährlicheren  scheinheiligen  Pharisäertum 
andrerseits  wirksam  zu  begegnen,  zu  eigenem  sowohl  wie  zu  der  All- 
gemeinheit Nutz  und  Frommen.  Der  Religionsunterricht  hat  zu  diesem 
Zweck  dann  einzusetzen,  wenn  die  Reflexion  erwacht  ist;  das  ist  der 
Fall  in  den  oberen  Klassen,  hier  ist  der  systematische  Beligiona» 
Unterricht  am  Platze. 

5,  Die  Frap:e,  ob  auch  schon  in  den  mittleren  und  unteren 
Klassen  I{oli*j:ionsunterricht  erteilt  werden  kann,  will  ich  nicht  rund- 
weg mit  nein  beantworten  (ven^i.  meine  Broschüre  S.  S9  u.  40).  Es 
handelt  sich  meiner  Ansicht  nach  aber  lüer  um  ein  Problem,  das 


Stimmen  zur  Befonn  des  Religions-UnteniGhts 


497 


noch  erst  seiner  Lösung'-  liurrt  Daß  der  landliiufif^e  Untcniclit  ;nif 
der  mittleren  und  unteren  Stiife  ein  Nonsens  ist,  das  allerdings 
scheint  mir  niclit  mehr  zweifeUuift  zu  sein. 

6.  Der  Ridi^ionsunterricht  in  den  oberen  Klassen  soll  historischen 
Charakter  tragen;  darunter  verstehe  ich  nicht  eine  trockene  ^Mitteilung 
Ton  einzelnen  Tatsachen,  sondern  eine  Einführunt;  in  das  geschicht- 
liche Verständnis  der  christlichen  Keligion  und  der  Kirche.  Eine 
Diskussion  der  allgemeinen  großen  Welt-  und  Lebensfragen  kann 
dabei  gar  nicht  umgangen  werden. 

7.  Die  Stoffverteilung  auf  die  Tier  oberen  Klassen  denke  ich 
mir  folgendermaßen: 

1.  Geschichte  des  israelitischen  Gottesglaubens  (Uli). 

2.  Jesus  (OH). 

3.  Paulus  und  Johannes  (ÜI). 

4.  Kirchengeschichte  (Ol). 

Bei  Nr.  1  wäre  die  Babel- Bibel- Frage  heranzuziehen,  bei  Nr.  2 
ans  der  allgemeinen  Religionsgeschichte  Buddha  und  Mohammed,  bei 
Nr.  3  griechische  Philosophie  und  Philo,  bei  Nr.  4  Confessio  Augostana 
und  der  LafheiBche  Eatechismos  ans  der  alten  Zeit,  ans  der  neaen 
Zeit  Hamacks  Wesen  dee  Cauristentiims  und  Aluiliolie& 

8.  Der  Seligionsmitenicht  an  höheren  Schalen  ist  ein  wissen- 
schaftlicher Unterricht  wie  jeder  andere,  keine  konfessionelle 
Unterweisung!  Er  dient  —  nnd  darin  besteht  seine  Hauptaufgabe 
—  der  allgemeinen  Bildung.  Daß  aas  konfessionellen  Bflcksiohten 
nach  den  geltenden  Bestinunongen  aaf  wissenschaftlichen  Beligions- 
onterricht  verzichtet  werden  kann,  daft  dadundi  der  ünbildang  weit- 
gehende Eomsesslonen  geoiaoht  werden  nnd  der  Denk-Eaolheit  and 
Feiert  Yorschab  geleistet  wird,  mfissen  wir  —  wie  die  TerhSltnisse 
nun  etomal  liegen  —  als  ein  Übel  ertragen,  nicht  dürfen  wir  das 
aber  als  ein  gates  Becht  Terteidigen.  Im  Frincip  mofi  Ton  jedem 
Gebildeten,  ganz  gleich  wie  er  persönlich  au  der  Sache  steh^  Ter- 
langt  werden,  dafi  er  ein  Yerständnis  für  religiöse  Fragen  beeitat 

XV 

LiluTlaB-Ealwirf  fir  slae  Mwr  üiaHsIwli 

Von 

Dr.  H.  Lieti»  Leiter  des  I^Anderziehungsbeims  Schloß  ßieberstoin  (Ilaenbii]ig,Haabiiida) 

Religionsgeschichte  und  ReUgioiislehre 

I.  Kursus  (Rexta,  Quinta,  Quarta). 

VI.  Stufe  der  naiven  kindlichen  Vorstellunc:,  df^r  Freude  an 
fischen  Persönlichkeiten  und  charakteristischen  Begebenheiten.  Das 

ZailMittift  Mr  lIiDoMiiU«  lud  FURfOgOc.  12.  MiiRDg.  33 


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498 


AafB&tze 


religiös-sittliche  Leben  der  Yergaageuheit»  Yeranschaulicht  an  leichen 

die  Phantasie  fesselnden  Stoffen. 

Ausgang  vom  religiös-sittlichen  und  kirchlichen  Leben  der  Gegen- 
wart —  Rückgang  auf  seinen  Begi'ünder:  Jesus.  Erzählungen  über 
Jesu  Geburt,  Kindheit,  Taten  (Wunder),  Tod,  Auferstehung.  2.  Die 
ältesten  Zeiten  des  israelitischen  Volkes  (Patnarchen,  Moses). 

2  Std. 

Y.  Die  wertvollsten  Erzählungen  aus  der  israelitischen  Richter-, 
Königs-  und  Prophetenzeit.  (Josua,  Deborah,  (iideon,  Jephta,  Simsen, 
Saul.)  Einiges  von  David.  Ahab  und  Elias.  Elisa.  Arnos.  Bilder 
aus  dem  Leben  Jeremias.  Bilder  aus  dem  Exil  (PsaUn).  Nach  der 
Bückkehr  (Haggai).  2  Std. 

IV.  Die  einfachsten  Bestandteile  der  Verkündigung  Jesus  (Berg- 
predigt, Gleichnisse).  Die  Schicksale  seiner  Jünger  in  der  ürgenieinde. 
Charakteristisches  aus  dem  Leben  Paulus  und  wenige  Bilder  aus  der 
Geschichte  der  altchristlichen  Kirche.  2  Std. 

IL  Kursus  (Unter-,  Ober-Tertia,  Unter-Sekunda). 

Anbahnung  zum  geschichtlichen  Verständnis  der  Entwicklmig 
der  israeUtischeu  Beligiou  und  der  Eutstehung  der  christUchen  Reli- 
gion aus  ihr. 

mb.  Entwiclduug  der  isnelitisclieu  Beligion  im  ZuBammenhang 
mit  der  Entstehung  des  alten  Testamentes.  Die  Phasen  der  £nt- 
widdung:  1.  israelitische  Volksreligion,  ältestes  aus  Pentatench, 
Bichtem,  Königsblidieiii.  2.  Prophet  Religion  (Propheten,  einige 
FlBalmeu).  —  3.  Gesetsesreligiou  (Priesterkodex,  Ssra,  Nehemia). 

2  Sti 

nia.  Ton  Esras  Tode  bis  zur  AVirksamkeit  Jesus:  Ausbildung 
und  Erstarrung  der  Gesetzesreligion  und  immer  erneuter  Kampf  gegen 
sie  bis  zu  ihrer  schließlichen  Überwindung  durch  Jesus.  1.  Sb-enger 
Standpunkt  der  Gesetzesreligion.  Vernichtung  der  lebendigen  Pro- 
phetie  (Sacharja  II,  Maleachi).  2.  Reaktion  gegen  die  Ausschließlich- 
keit und  Härte  der  Gesetzesreligion  (Ruth,  Jona).  3,  Der  Kampf  um 
die  rehgiöse  Eigenart  unter  Führerschaft  der  Makkabäer.  4.  Die  Ent- 
stehung der  Weisheitsliteratur  (Hiob,  Spmche  usw.).  5.  Die  Apoka- 
lyptik.  6.  Die  Wiedererstohung  des  Prophotismus  (Johannes  der 
Täufer).    7.  Das  Leben  Jesu  bis  zum  Einzug  in  Jerusalem.       2  Ötd. 

üb.  Der  weitere  Verlauf  der  Wirksamkeit  Jesu,  sein  Kampf 
gegen  die  Gesetzesreligion  und  sein  Tod.  Der  Sieg  seiner  Ver- 
kündigung nach  dem  Tode  in  der  urchristlichen  Gemeinde.  Paulus. 
~  Gründung  der  christlichen  Kirche.   Ihr  Abfall  vom  fivangehuin 


Stimmen  zur  Beform  des  Beli^ons-Unterzichts 


Jesu.  Versuche  einer  Erneuerung  des  Evangeliums  Jesu  in  der  Auf- 
fassung Pauli  durch  Luther.  Die  christlichen  Konfessionen.     2  StcU 

HL  £ar8U8  (Ober-Sekunda,  Unter-,  Ober-Ftinia). 

na.  Allgemeine  BeligiouBfeMdiiQhte.  Tiefeies  Yeisttndnis  der 
ESgenart  der  toraelitiflchen  und  eiukdichen  BeligioD,  ihres  ürsprong» 
und  Weeens  gefordert  durch  das  Stadium  der  hanptslofaliobston  ftbrigen 

Religionen. 

IIa.  Allgemeine  Religionsgeschichte  bis  zum  Aufkommen  des 
Chnstentums.  Die  indischen  Religionen,  die  altbabjlonische  und 
altSgyptische  Hcli^non,  die  persische  Religion,  die  griechische  Religion, 
die  germanische  Religion.  2  Std.. 

Ib.  IJrspnmg  nnd  Wesen  des  Christentums.  (Die  Quellen  auf- 
gefaßt in  iiuer  religionsgeschichtlichen  Bedingtheit,  z.  B.  Der  Zu- 
sammenhang zwischen  der  israelitischen  und  der  babylonischen  Ur- 
geschichte usw.  Israelit  Prophetismus  und  griechische  Philosophie. 
Christus  und  Buddha.  Die  schmerigeren  Teile  aus  dem  Alten  und 
Neuen  Testament)  2  Std, 

la.  Die  Entwicklung  der  christlichen  Relip^ion:  Ent-^tehunn^  der 
Kirche,  des  Dogmas,  des  Papsttums,  sein  Höhepunkt,  Kampf  gegen 
das  Papsttum,  Reformation.  Die  lutherische  Orthodoxie,  der  Pietismus, 
der  Kationalismus.  Die  neuere  Theologie  seit  Schleiermacher.  Ketzer 
und  Sf  kticier,  die  Teischiedene  Auffassung  des  Christentums.  Reli- 
gionsphiiosophie.  2  Std» 


82» 


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L  Zwei  Pfingstversammlangen  in  Weimar 

Von  Hermann  Itschner-Weimar 

Verein  für  wissenschaftliche  Pädagogik  —  Allgemeiner 
Tag  für  deutsche  Erziehung. 

Ein  tiefgreifender  Gegensatz  zwischen  den  beiden:  Der  eine  erprobt 
in  jahrzehntelanger  emster  Arbeit,  der  andere  Repräsentant  einer  vor 
wenig  Jahren  zusammengefaßten  geistigen  Bewegung,  die  erst  noch  zum 
vollen  Bewußtsein  ihrer  Ziele  erwachen  muß,  deshalb  sich  noch  im  Pathos 
überstürzt,  ihre  Stärke  in  der  Kritik  findet,  aber  ebenfalls  Großes  gebären 
könnte,  wenn  —  ja  wenn  ihre  Kraft  durchhält  und  sie  im  Aufbauen  ihre 
Mission  vollendet 

Der  Berichterstatter  befand  sich  in  keiner  beneidenswerten  Lage: 
wollte  er  doch  das  Wichtigste  sich  sichern  aus  beiden  Tagungen.  Da 
pendelte  er  denn  hin  und  her,  immer  im  Zustand  höchster  Anspannung 
seiner  Aufmerksamkeit  Aber  die  Gegensätze  machten  auch  sein  Urteil 
unbefangener. 

Im  Verein  für  wissenschaftliche  Pädagogik  hörte  ich  die  Ver- 
handlimgen  über  die  Arbeiten  von  Wilk  und  Ritthaler,  von  Just  und  Vogt 
(Jahrbuch  XXXVÜ,  No.  4.  7.  8.  10).  Die  Verhandlungen  über  die  beiden 
ersten  Arbeiten,  die  zusammen  besprochen  wurden,  drehten  sich  in  der 
Hauptsache  um  das  Wesen  der  Zahl.  Prof.  Vogt  vertrat  dabei  den  Stand- 
punkt, die  Zahl  sei  ihrem  Begriff  nach  eine  Wiederholung  des  Identischen. 
Für  die  erste  Auffassung  der  Zahl  seien  die  zeitlichen  Erscheinungen  den 
räumlichen  vorzuziehen,  weil  bei  zeitlichen  Erscheinungen  leichter  von  der 
Qualität  abgesehen  werden  könne:  also  die  Identität  von  5  Glockenschlägen 
oder  Böllerschüssen  sei  leichter  zu  erfassen  als  von  5  Katzen  oder  Hühnern. 
Zuerst  handle  es  sich  auch  immer  nur  lun  die  Auffassung  einer  un- 
bestinmiten  Vielheit,  die  Einheit  folge  aus  deren  Negation.  Pastor  Flügel 
wies  darauf  hin,  daß  das  Volk  für  die  unbestimmte  Vielheit  sogar  be- 
sondere Namen  geprägt  habe,  man  spreche  von  einer  Koppel  Pferde,  von 
einem  Volk  Hühner,  von  einem  Rudel  Hirsche,  von  einer  Herde  Schafe, 


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1.  Zwei  Pfingstversammlangen  in  Weimar 


501 


von  einer  Schar  Kinder  usw.  Fack  warnt  vor  voreiliger  Zustimmung  zu 
diesen  scheinbar  so  einleuchtenden  Ausführungen  über  daa  Weeea  der 
Zahl,  da  bis  heate  nodi  keine  ÜbeieiiiBtimmimg  bei  den  Fhiloeophen  er- 
zielt sei  Eb  Beiern  aaioh  in  der  eiben  stattfindenden  Besprechung  nur  die 
Bedingungen  ins  Auge  gefaßt  worden,  unter  neu  die  Bildung  des  Zahl* 
begriffs  erfolgen  kann.  Der  Vorgang  selbst  fonlere  ein  Beziehen  von 
Voretellungen,  wie  er  es  1895  in  Heft  B — ö  dieser  Zeitschrift  dargelegt 
habe.  Bei  den  großen  Schwierigkeiten,  welche  sich  der  Darlegung  solcher 
Aufibssungen  sowohl  dem  Redner  wie  dem  BOrer  gegenüber  «uftun,  sei 
es  ftberiumpt  geraten,  sidi  duioli  LektOre  geeigneter  Sohriften  zu  in- 
formieren. Faok  hat  darin  zweifellos  das  Biditige  getroffen,  nur  werden 
viele  tlavor  zurückgeschreckt,  da,  um  zu  einer  solchen  Walirheit  vor- 
zudringen, meist  ganze  Bergo  philosophischer  Spitzfindigkeiten  hinweg- 
geräumt werden  müssen.  Desluüb  hat  auch  die,  man  möchte  sagen 
elementare  Auseinandersetzung  des  Prüf.  Vogt  solchen  Eindruck  auf  die 
HSrer  gemacht,  und  es  ersdieint  mir  in  dem  AugenUick,  wo  idi  dies- 
niederschreibe,  ausgemacht,  daB  in  der  Eonstatierung,  die  Zahl  sei  ihrem 
'Wesen  nach  eine  Wiederholung  des  Identischen,  schon  auflgeq>rochen  ist^ 
daß  die  Beziehung  auf  die  erste  Vorstelliuig  eVven  der  Vorgang  ist,  der  zu 
der  Erkenntnis  führt;  es  liegt  eine  Wiederholung  vor.  Nicht  vergessen 
sei,  daß  Prof.  Just  seiner  Genugtuung  darüber  Ausdruck  gab,  wie  durch 
die  Forschungen  Wilks  nele  praktische  Maßnahmen,  wie  Benutzung  der 
Finger,  Darstellung  der  ZaUen  erst  durch  litanische  Ziffern,  Sachieohnen  usw» 
eine  Begründung  er&hren  h&tten. 

In  den  Verhandlungen  über  die  Formalstuf entheorie  gab  Fack  einige 
wertvolle  Erläuterungen  zur  Gestaltung  der  Analyse,  da  meist  nicht  genau 
genug  ins  Auge  gefivßt  wurde,  in  welchem  Umfang  oder  ob  überhaupt 
Altes  herangezogen  werden  müsse;  sogar  B^riffliches  gehöre  unter  Um- 
Sünden  anl  die  1.  Stufe,  etwa  als  LnperatiTe,  die  die  AufmedBaaikett  auf 
das  Wesentliche  des  neuen  Stofb  eansteUten.  Das  IHedediolen  und  Ein- 
prägen gehöre  aber  entschieden  nicht  auf  die  letzte,  sondern  auf  difr 
2.  Stufe,  da  es  zur  Klänmg  des  Neuen  diene.  —  Es  wäre  vielleicht  er- 
wünscht gewesen,  wenn  die  sonst  so  treffliche  Arbeit  Justs  sich  noch 
mehr  auf  Einzelfragen  eingelassen  hätte,  vielleicht  könnte  ein  andermal 
auch  die  Fi-age  der  künstlerischen  Gestaltung  des  Stoffs  innerhalb  der 
formalen  Stufen  behandelt  werden,  eines  der  ersten  Erfordernisse,  um 
den  alten  Vorwurf,  sie  seien  ein  Mechanismus,  zu  beseitigen. 

Konzentration  als  Lehrplanfrage  ist  eines  der  schwierigsten  Oebieta^ 
der  gesamten  Pädagogik,  hier  gingen  immer  schon  die  Meinungen  am  meisten 
auseinander.  Auch  auf  der  Weimarer  Tagung.  Schmidt  (Raguhn)  vertrat 
den  Standi)unkt,  die  Frage  könne  nur  gelöst  werden,  wenn  man  sich  rein 
Ton  psychologischen  Erwägtmgen  leiten  Ueße,  die  Ethik  habe  nicht  mit- 
xusprechen,  so  hoch  er  auch  von  der  Bildung  des  sittlidien  Chaiakters  als- 
dem  Ziel  der  Erziehimg  denke.  Psychologische  Erwflgungen  aber  zwflngen 
ihn,  den  Unterricht  nicht  sowohl  auf  realistischer  Grundlage  anfambanen,. 
als  auch  das  Kultnrbild  der  Gegenwart  zum  Knnzentrationsstoff  zu  machen, 
also  nicht  die  Gesinnungsstoffe.   Diese  seien  dort  einzustellen,  wo  das» 


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■502 


Mittailnngen 


Kulturbild  der  G^petnvart  zu  seiner  Aufhellung:  ihrer  bedürfe,  wcidurch 
natürlich  der  chronologische  Gang  aufgelöst  wüi-de.  Die  Befürchtung,  er 
würde  durch  einen  so  angelegten  Lekrplan  Materialisten  erziehen  statt 
nttüiche  ChaiaiUero,  er  znrtlök,  er  sorge  sogar  nodli  besser,  da  « 
^  dtüidie  Geshmiing  nicht  als  ansreixdieod  ansaerkennea  vennllge  snr 
Ausführung  einer  Handlung,  dazu  gehörten  als  integrierende  Bestandteile 
Verständnis  für  die  gegebenen  Verhältnisse  und  die  Beherrschung  der 
zur  Ausführung  notwendigen  technischen  Mittel.  Er  ist  gegen  die 
Jächerung  und  alle  systematische  Anordnung,  im  Leben  gäbe  es  ja  doch 
4raoh  nur  Eausalmben.  —  Daß  eine  Entscheidung  über  die  Schmidt  schal 
Anregongeii  nicht  Inmeriisiid  gebüffsn  worden  klhmo,  empfmdcn  alls 
und  begrüßten  deshalb  den  Vorschlag  mit  Freuden,  Schmidt  wolle  fflis 
nächste  Jahrbuch  eine  eingehende  Darstellung  seiner  Gedanken  geben. 
Sicherlich  ist  es  noch  viel  schwieriger,  die  Gesinnungsstoffe  den  realistischen 
einzuordnen  als  umgekehrt.  Immerhin  würde  der  Versuch,  einen  solchen 
Lehxplan  zu  entwerfen,  interessant  sein,  noch  interessanter  freüich  die 
Begrflndmig  dazu;  sie  wird  sich  suspitsen  mUssen  auf  die  Frage:  Ssmi 
man  im  ReTigtons-  und  OeschichtBimteRicht  die  chronologisdie  Reih»  anf- 
.geben  ohne  der  Ent^^-icklung  des  Charakters  wesentliche  Bildungsmomente 
entzogen  zu  liaVien?  Die  Frage  der  Konzentration  -vs-ird  noch  viel  Arbeit 
machen;  aber  maiichcs  kann  in  dieser  Frage  heute  schon  in  der  PVaiis 
getan  werden,  ob  man  sich  prinzipiell  nun  so  oder  anders  entscheide.  Prof. 
•Just  faßte  diese  Gedanken  dahin  zusammen:  1.  räumlich  und  zeitlich  zu- 
sammenhängende Stoffe  nidit  durch  EnisteUmig  in  Tersdhiedeae  Bohiil- 
jahro  auseinandersoreifiea;  2.  die  verschiedenen  Zweige  emer  DisapUn 
(in  Religion,  Deutsch,  Naturwissenschaften)  nicht  zu  trennen;  3.  Sachen 
und  Zeichen  zu  verbinden;  4.  beim  Fachlehrersystem  für  Konzentrations- 
tabellen  einzutreten;  5.  dieselbe  Elasso  wenigstens  einige  Jahre  dorch- 
zuführen. 

Die  Tersammlung  war  Ton  etwa  60  Mitgliedern  und  einigen  Gästen 
besncht  Ahl  Ort  der  nichsten  Tagung  wurde  Nanmburg  a/S.  ins  Auge 


Nun  die  andere  Versammlung:  Ein  Tag  für  deutsche  Erziehung! 
Arthur  Schulz,  der  Herausgeber  der  »Blätter  für  deutsche  Erziohuiitr«, 
erläuterte  im  ersten  der  acht  Vorträge,  welche  gehalten  wurden,  was  man 
•danmter  zu  versteheoi  habe.  Er  drQokte  dies  negatir  so  aus:  Los  tob 
Born,  los  von  OriedieDland,  los  tqu  Jndal  Podtir  forderte  er:  Dentsehe 
-Oes  hif  hte,  deutsche  Sprache,  deutsche  Kunst  Hauptfeiude  im  Kampl 
um  diese  Güter  sind  die  klassischen  Philologen,  die  schwer  belastet  sind 
mit  ILichmut  und  Stiunpfsinn,  anderseits  aber  auch  der  Staat,  der  jede 
freie  Regung  im  Erziehungswesen  niederhält,  statt  geradezu  hineiuzurufen 
ins  Volk:  Willkommen,  wer  neue  Wege  zeigt!  willkommen,  wer  uns  vom 
Joch  der  geistigen  Kramdhemöhaft  beCreitI  Gefordert  mufi  weiden:  eme 
Einhdtssdiule  mit  volhstOmHdiem  ünterban.  —  Es  kostete  mich  t)ber> 
Windung,  diese  Ausführungen  bis  zum  Sdilnfi  anzuhören.  Ghnade  uns  Oott» 
wenn  wir  einmal  Männer  dieses  Schlages  als  Baonertriger  deatsoher 


\ 


1.  Zwai  Ffingsbrenammlungen  in  Weimar  503 


Kultur  anerkennen  müßten!  Nicht  wegen  der  Sache,  die  er  vertrat,  aber 
w^;en  der  Form,  in  der  er  es  tat  Wo  war  da  die  Würde  des  Mannes, 
der  um  heilige  GHlter  klmpftl  Eb  mr  die  Sprache  emes  UuineB,  der 
einer  senfiationslüstemen  Menge  za  geEallen  strebt 

Berthold  Otto,  der  Herausgeber  des  »Hauslehrers«,  spndi  flodana 
über  den  »geistigen  Verkehr  mit  Kindern«.  Er  Weidete  seine  prinzipiellen 
Ausführungen  in  die  Geschichte  seines  Lohrerl n^nifs.  Sachlich  ertrah  sich: 
Kindern  soll  man  nichts  aufnötigen,  man  soll  warten,  bis  sie  fragen;  denn 
dann  eest  Ist  der  Augenblick  gekommesi,  wo  geistige  Befmohtung  sich 
'ToDaieht  Biese  Angenblioke  bleiben  nicht  ans,  sobald  die  Hemmimgen 
beseitigt  sind,  zu  denen  in  erster  Linie  die  Schule  mit  ihrem  üntenichts- 
zwanp  gehört.  —  Diese  Fonlemng  Ottos  -^-ürde  selKstverstftndlich  eine 
völlige  Umwälzung  in  der  Stellung  des  Lehrers  mit  sich  bringen.  Kla.ssen 
mit  60 — 80  Schülern,  die  ja  lientc  solion  kein  Ideal  sind.  wRi-en  nicht 
mehr  möglich,  ja  nicht  einmal  äolchc  mit  15 — 20.  £s  müßten  nati'u-lich 
dann  anch  iBoUeniome  erstellt  Verden,  damit  ja  von  den  ein  Kind  be- 
flchlftigenden  Fragen  die  andern  nichts  yemShmen,  oder  es  m  Wen  Yeroohlafi- 
stücke  fBr  die  GehQig8nge  der  Kinder  erfunden  werden,  damit  ja  keine 
Belehnmg  aufgefangen  werden  könnte,  um  die  sie  nicht  gebeten;  denn  das 
wäre  Vergewaltigung.  N(X.h  besser,  der  Lehrer  setzte,  um  keine  Kivalität 
imter  den  Kindern  aufkommen  zu  lassen,  Sprechstimdo  an.  Dann  wäre 
es  aber  denkbar,  daß  die  geistige  Spannung,  welche  eine  Frage  im  Kinde 
tevofmft,  abgeflant  -wSTe,  bevor  der  Lehier  infolge  seiner  Tielseitigea 
Praxis  sor  Beantwortimg  kSme;  so  bliebe  als  Endziel  nur  eine  Ein- 
liditung  wie  die  des  Leibarstes  bei  einer  Fürstlichkeit,  Aber  Scherz 
beiseite!  Was  Otto  will,  ist  im  Kern  eine  der  hochston  Angelegenheiten 
des  Erziehoi"s:  der  Oetlanke  von  der  geistigen  Zeugung  ist  die  letzte 
Triebfeder  aller  derer,  die  je  Über  Pädagogik  nachgedacht  haben,  sogar 
solcher  MBnner,  die  nun  einmal  sicfa  damit  abgefunden  haben,  daft  man 
mit  MBSsenerodiung  einfach  rechnen  muB.  Es  ist  eine  gar  einfedie  Art 
zu  korieren,  wenn  man  sa?t:  AV«  mit  der  Schule!  Bei  Licht  beeeheUf 
ist  es  aber  ein  Zeugnis  der  Ohnmacht.  Gerade  dort,  wo  aus  dem  Ge- 
gebenen heraus  die  Wandlimg  angebahnt  wird,  dort  stehen  die  Holden:  es 
sind  die  Männer,  welche  rufen:  Dennoch!  Otto  aber  vei-schiebt  die  Sach- 
lage, für  ihn  ist  die  Lösung  ein  Abonnement  auf  den  »Hauslehrer^,  dem 
Organ  seiner  grundsteigenden  Fidagogik. 

Infolge  der  oben  geschilderten  Inanspruchnahme  mofite  ich  anf  die 
Vorträge  3 — 6,  die  dem  Gymnaflinm,  der  Ausbildung  des  Leibes  und  der 
Erziehung  zur  dontsclieü  Frau  und  Mutter  goA\'idmet  waren,  verzichten. 
Um  so  gifȧer  war  die  Spannung,  mit  der  ich  dem  Vortrag  von  Hermann 
Obrist  entgegensah.  Hatte  doch  Obrist  schon  auf  dem  Dresdener  Kimst- 
erziehungstag  Protest  eingelegt  gegen  das,  was  geschehen  war  auf  dem 
Gebiet  der  Eunstenddrang.  Ldder  hatte  er  damals  sich  nidit  so  an»- 
gedrückt,  daS  man  wußte,  welche  Wahrnehmungen  ihn  eigentlich  so 
bedrilct  hatten.  Nun  schien  er  es  nachholen  zu  wollen.  Sein  Thema 
hieß:  »Falsche  und  richtige  Wege  in  der  Kunsterziehung.«  Er  ftlhrto  aus: 
Wir  bildenden  Künstler  konnten  eine  instinktive  Angst  von  vornherein 


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504 


Uittsilimgtii 


nickt  los  werden.  Wie  imsei-er  Generation  die  Werke  der  Dichtkunst  ver- 
ekelt wurden,  so,  fürditeten  wir,  werde  es  nun  mit  den  Werken  der 
fafldenden  Eunst  gehen.   Unsere  Furcht  war  nur  zn.  sehr  begr&ndet:  Die 

Bilder  werden  »beliandelt«,  pädagogisdi  ausgebeutet.  Das  Beispiel  einer 
Fühnmg  in  einer  Münchener  Gralerie  stehe  ihm  für  viele.  Nim  xs-ird  den 
Kindern  die  subjektive  Moinimg  des  Lehrcrs  aufgedrängt,  und  diese 
Meinung  wird  fiist  durchweg  vom  saclüichen  Interesse  bestimmt,  nicht 
vom  künstlerischen,  wovon  der  Lehrer  eben  nichts  versteht,  seinem  ganzen 
BÜdungsgang  nach  einfKh  nichts  Terstehen  kann.  Hat  doch  die  Kunst 
selbst  eben  erst  m.  erwachen  begonnen  ans  einem  Bann,  der  Jahriranderte 
auf  uns  gelastet!  Und  nun,  wo  die  Pfadfinder  auf  dem  Gebiet  der  Kunst 
sagen  koniit»-'ii:  Hu'  Jimgen,  jetzt  kommt,  svir  haben  die  ganze  Tradition 
lünweggci äumt ,  die  euch  befangen  machen  könnte,  —  jetzt  kommt 
der  Schulmeister  mid  stellt  die  ganze  Entwicklung  aufs  neue  in  Frage, 
weil  er  nun  die  Stile  durchhastet  und  darein  das  selbständige  Sehen  und 
Schaffen  erstickt  So  seien  die  Lehrer  die  Sigsten  Feinde  der  Efbustler. 
Non  wolle  er  aber  das  Kind  keineswegs  mit  dem  Bade  ausschütten,  er 
wolle  es  baden.  Das  erste  sei  ihm:  Anscluuung  der  Wirklichkeit,  der  Natur, 
der  Dinge.  Das  zweite:  Keine  Rechenschaft  verlangen  über  das  Empfundene, 
denn  das  hieße  die  Keime  des  Erlebnisses  tüten.  Das  dritte:  Fini^er- 
übungen,  Naturzcichuen,  Schreinern,  mit  einem  Wort  —  Entwicklung  des 
Technischen.  Glflcklidi  die  Musik,  die  ihre  Lehre  abschlieBt  mit  der  Lehre 
vom  Kontraponktl  Sie  hat  Vertrauen  zur  schöpferischen  Kraft  der  Jungen. 
Die  Kunsterzieliung  von  heute  hat  kein  Voititmen.  Früher  hatte  man'sl 
Da  lernte  der  junge  Künstler  das  Handwerkliclie  beim  Kleister,  und  damit 
war's  getan.  Deshalb:  »Weniger,  weniger,  weniger!«  Daß  der  Beethoven 
der  bildenden  Kunst  einst  komme,  dafür  lasse  man  den  deutschen  Genius 
sorgen!  Soweit  Obiist 

Wer  wollte  nicht  zugeben,  daA  diese  ganze  Kunateniehnngsbewegung 
die  Schule  Abenaacht  hat,  und  wer  kfinnte  nicht  die  Gewissensnot  disses 
ernsten  Künstlers  nachfühlen?  Aber  ist  sie  denn  so  ganz  und  gar  be- 
rechtiu-t?  Wii-d  nicht,  sobald  die  Mode  eine  andere  Welle  -wirft,  der  Lehrer, 
den  Hermann  0 brist  in  der  Münchener  Galerie  sich  quälen  sah,  sofort 
ablassen  von  seinem  Tim:  hat  er  doch  sicherüch  mehr  der  Not  gehorcht 
als  dem  eigenen  Triebe.  Alles,  was  so  von  außen  kommt,  trägt  den  Keim 
des  Todes  m  sich.  Ich  g^be»  Obrist  bnnoht  den  KremBzog,  den  er  für 
das  Jahr  1910  ankflndigte,  nSmlich  um  mit  seinen  4  Gesinnimgsgenossen 
unter  den  bildenden  Künstlern  durch  Deutschland  zu  ziehen  und  alle  tot- 
zuschlagen, welche  noch  Kun?t  ti-aktieren<',  nicht  zu  unternelimen.  Aber 
dessen  können  wir  Obrist  gleichfalls  versichern:  Das  Problem  der  Kunst- 
erziehung ist  damit  nicht  ausgerottet.  Es  gibt  Köpfe  bei  uns,  denen  das 
ProUem  mehr  ist  als  em  Wunsch  von  oben,  und  sie  werden  lüttel  und 
Wege  eigrilnden,  die  der  Sache  zum  Heil  geraiohen;  sie  werden  aich  trotz 
aUem  Protest  die  Fahne  der  Kunsterziehung  nicht  aus  den  Händen  winden 
lassen.  Ahar  allei-dinq^  wenlen  sie  diese  Aufgabe,  die  Jugend  genußfähig  zu 
macheu,  in  die  zweite  Linie  rücken,  besser  gesagt,  sie  werden  dem  Begriff 
»künstlerische  Erziehung«  den  rechte  Inhalt  geben.  Vorsicht,  weiseste  Vor- 


1.  Zwvi  PIlugBtfoiBiiiiiiiiloDgea  in  y^thuu 


505 


Bidit  gebietet  das  Haranfülireu  der  luiider  aus  Kunstwerk,  aber  früiiiicher 
Eifer  tieibe  uns,  die  kflnstlerisohaa  Tinebe  im  Siiid  zum  SchafEea  eiTiwilaitffln. 
Freilioh  an  die  Form  kOmien  wir  dabei  nor  geringe  Ansprüche  stellen,  um 

so  mehr  •werden  wir  aber  überrascht  weiden  von  der  Kraft  der  Anscjhauung, 
die  flas  Kind  uns  in  seinem  Schaffen  offenbaren  wird.  Und  das  müßte 
Christ  fordeiTi,  nicht  bloß  imgerübimgen,  Natnrzeichnen.  Schroinorn,  nein 
viel,  xiel  mehr:  Allenthalben  im  Unterricht  Gelegenheit,  die  schüpferischen 
Kräfte  zu  betätigen.  Allerdings  heißt's  auch  hier:  vom  Keim  noch  nicht 
die  Fracht  Terlaogenl  Bis  diese  Erkeimtiiis  lebendig  gewoiden  ist,  bat's 
noch  gute  Weile,  aber  unsere  junge  pBdagogisohe  Qeneration  drängt  nadi, 
sie,  die  mit  dem  Gei5;t  der  Zeit  getränkt  ist  Sie  erkennt  keine  Fessdn 
mehr  an.  Es  -winl  noch  wenden.  Al»er  auch  hier  Vertrauen,  Hermann 
Ob r ist!  Es  kommt  die  Generation,  die  dazu  ausgerüstet  ist,  die  Warnung 
Nietzsches  zu  entkräften:  »Alles  fertige,  Vollkommene  wird  angestaunt, 
allee  Werdende  irird  unteischätit.« 

Nun  noch  Fsstor  Steudel  (Bremen):  »Unser  Beligionsontemchtc 
Er  lehnt  den  Religionsunterricht  ab.  ^)  Oder  lehnt  er  ihn  nicht  ab?  Genau 
weiß  man's  nämlich  nicht  Es  ist  ebenso  oft  von  Reformen  die  Rede  ge- 
wesen, wenn  auch  von  radikalen.  Jedenfalls  ist  der  Satz  ausgesprochen 
worden:  Das  Wissen  von  religi«*jsen  Persönlichkeiten  kaim  keine  Religion  er- 
zeugen. Das  stimmt  Aber  wir  können  uns  nicht  denken,  daß  für  Steudel 
die  religUJee  PenOnHchkeit  überiiaapt  irgend  einmal  Wert  hat.  Denn  seine 
Auffassung  rm  Beligifln  ist  jedenfsUs  eine  solche,  wie  irir  sie  Ton  den 
klassischen  Helden  auf  dem  Gebiete  des  religiösen  Lebens  nicht  kennen. 
Er  definiert  nämlich:  Religion  ist  jenes  tiefe  Ergriffeusein  von  der  Un- 
endlichkeit der  Welt  nach  Raum  und  Zeit.  D'^nmach  ist  Religion  also 
Stimmung,  rein  ästhetischer  Natur.  AVir  danken.  Uns  ist  die  Religion 
das  Organ  der  unstillbaren  Sehnsucht  nach  Heiligung.  Die  »Ge- 
rechten« bedürfen  dieses  Organs  freilioh  nicht,  wenn  sie  sich's  auch 
hin  und  wieder  einmal  leisten,  eich  an  der  Unendlichkeit  zu  berauschen. 
Wir  gelben  Steudel  darin  recht,  daß  der  Verbalismus  gerade  im  Reli- 
gionsunterricht die  größten  Orgien  gefeiert  hat  AV)er  woran  liegt  das? 
Entweder  ist  der  betreffende  Stoff  verfi-iilit  aufgetreten  oder  fidsch 
behandelt  woi-den.  Dann  darf  man  ihn  selber  aber  keinesfalls  ver- 
dächtigen. Steudel  jedoch  winnt  die  aUen  SpiBe  Uber  die  »Lügen«  der 
alten  Juden  anüB  neue  snf  —  das  seist  doch  viele  Uatsdiende  HBnde  in 
Bewegung  —  und  macht  Front  gegen  sie:  »Livius  hat  viel  geschwindelt, 
aber  er  war  noch  ein  exakter  Geschichtsforscher  gegenüber  den  alten 
Juden.«  Wozu  auch  diese  Geschichten!  »Die  Relit,'ion  entzündet  sich 
an  der  Wirklichkeit,  am  Leben.«  Ja,  sind  denn  diese  alten  Geschichten 
im  1.  Buch  Mose  keine  Wiikiichkeiten?  0,  diese  Neunmal  weisen!  Dort 
also  sind  sie  gelandet^  wo  man  dichterisohe  WirUiohkeit  fObr  »Lflgen«  ver* 
sollt?  Und,  fthrt  Steudel  fort,  es  ist  doch  zum  mindesten  so  »umständ- 
lich«, wenn  man  aus  diesen  Geschiofalan  Religion  gewinnen  will,  ja  selbst 
durch  die  Person  Jesu:  Da  muß  man  wissen,  was  Fhaiisäer,  Sadduofter, 


*)  Siehe  die  Aosfilhmngen  Steudeis  in  der  »Christi  Welt« 


506 


BeaeBBCoe  und  was  H&nner  smd,  dSe  Heuadbreolm  und  wüden  Honig 
essea  (II)  80  mgt  Steudel.  Deshalb  sdikskt  Stendel  die  Jugend  hinaus  auf 
^  Flur,  in  den  Wald,  hier  in  Weimar  etw»  ins  Steri»ezimmer  SohilleES, 

und  da  sagt  er  dann:  Ziehe  Deine  Schuhe  aus,  denn  das  Land,  -worauf 
Du  stehst,  ist  heiliges  Land!  Mit  Verlaub,  das  ist  ja  ein  Imperativ! 
Imperative  gibt's  doch  im  Religionsunterricht  der  Zukunft  gar  nicht,  da 
gilt  dodi:  Jede  Wahrheit  hat  nur  dann  Wert,  wenn  sie  gesucht  wiid? 
Und  wie  kann  man  von  einem  Sjnd  verlangen,  das  in  den  Wald  tritt:  Sei 
ergriffen!  Ich  habe  rechte  Kinder  immer  nur  jauchzen  hören  im  Wald. 
Doch  mit  14  Jahren  kOnnte  nach  Steudels  Meinung  allenfalls  religions- 
geschichtlich an  die  Gestalt  Jesu  heran  getreten  werden.  So  peführt  wimle 
dann  der  junge  Mann  mit  18  Jahren,  vielleicht  auch  spilter,  dazu  kommen. 
Bich  ein  neues  Testament  zu  kaufen;  dann  würde  es  ihm  zur  Quelle  der 
Beligiop.  Diflse  letetoXonseqnens  winde  tb&c  wa  gns  fificihtig  angedeutet 
Dafi  Steudel  aioli  damit  widospEidit,  kttmmert  ihn  nicfat  Oder 
meint  er  vielleicht:  Bis  zum  18.  Jahr  erzieht  die  Wirklichkeit  zur  Religion 
nnd  von  da  an  die  Lektilrc  des  Neuen  Testaments  (?!)  —  Nein,  Steudel 
hat  dieser  hochbedeut&amen  Frage  einen  schbxhten  Dienst  erwiesen,  zumal 
auch  er  seinen  Voi-trag  auf  einen  Ton  gestimmt  hatte,  der  einfach  un- 
erüüghch  war  im  Hinblick  auf  die  Würde  seines  Gegenstandes.  Wäre 
loh  orthodox,  ich  wHide  seine  Bede  als ülngblatt  analle  diejenigen  aendeD, 
die  sich  vor  der  AnfrdUang  dieser  Sache  ffliohten:  Sie  vllrdien  dann  be* 
inhigt  schlafen. 

Eine  Diskusaion  Ober  die  beiden  letzten  Vorträge  wurde  abgelehnt 
Die  Hauptge<lankcn,  welche  die  Tagung  herausgestellt  hat,  sollen  in 
einer  Petition  verarbeitet  und  diese  den  Regierungen  eingereicht  werden. 

Schade,  daB  man  im  ganzen  nicht  mehr  Selbstzucht  geQbt  hat  Ich 
wurde  aOsiisehr  an  sosialdeniflikiatiache  Taktik  erinnert  Im  flbrigen:  W« 
hatte  wohl  Ellen  Key  zu  diesen  Aufzügen  gesagt?  Es  wurde  gegeben 
»Die  Anbetimg  des  Kindes«  in  8  Bildern.  Wäre  nur  das  Kind  ein 
IIoili£7erI  Aber  lassen  wir  einmal  diese  Auffassung  gelten:  Mit  trinen<lon 
Phrasen  und  Kokettieren  mit  dem  Publikum  kommen  die  um  Schulz 
nicht  weit  Im  Gegonteü:  Was  an  ihrer  Sache  gut  ist,  das  wird  mit  der 
Verarteümig  ihres  Gebahrens  fallen.  Deshalb  wire  es  ein  Segen,  wenn 
lOoner  aofettOnden,  die  diese  FtoUeme  angreifen  und  sie  vor  der  6Kent> 
lichkeit  mit  Emst  und  Würde  bespfeehen  wollten.  Sonst  bshilt  die 
Schiü<nihodoaae  recht,  auf  lange  Zeit 


2.  Haaptversammlung  des  Vereins  deutscher  Zeichen- 
lehrer 

Von  Karl  ElssBor-Dvesdea 

Am  12. — 14.  Juni  d.  J.  tagte  in  Dresden  die  32.  Hauptversammlung 
des  Vereins  deutscher  Zeichenlehrer,^)  wohl  die  besuchteste  aller  UsherigeD. 


')  Der  Verein  deutscher  Zeichenlehrer  nimmt  auch  I^ahrer,  die  eine  besondeie 

Fachbildung  nicht  genosseo,  auf. 


2.  HiQptfwiiiminlmig  dm  Tsniae  dflatodnr  Zdohanlehreg 


607 


Gegen  600  TeOndmier  iiu  aQtt  TtOm  Deatsolikncifl,  Osterreidi-Ungamt 
Fhmland  vsw,  liatten  sudi  m  die  Listen  angeieiohnet  Die  Tagesoidniing 

der  yersammlung  und  der  aie  b^leitenden  Ycranstaltungen  kann  anBer» 
oxdentlich  reich  genannt  werden,  fast  zu  reich  für  einen  Zeitraum  von 
nur  3  Tagen.  In  Gecronwart  zahlreicher  Vertreter  der  staatlichen  und 
etad tischen  Behörden  begannen  am  13.  Juni  die  Yeihandhmgen.  Be- 
deutungsvolle Worte  richtete  Stadtschulrat  Prof.  Dr.  Lyon  an  die  Ver- 
sammlung. Hb  mttase^  betonte  der  mit  umsdhendem  BdfaH  bogittfite 
Redner,  «neAannt  ireiden,  dafi  der  Zeiohenimtemcfat  in  kuner  Zeit  sidi 
an  emer  erstaunlichen  Hohe  und  Bedeutung  durchgerungen  habe.  Binat 
sei  die  abstrakte,  -wesenlopc  Linie  das  Aljiha  uud  Om^a  des  ganzen 
ünterrichtos  gewesen,  jetzt  aber  sei  die  bloße  Korrektheit  und  mechanische 
Technik  hinweggefegt  ^^^e  von  einem  Sturmwinde.  Auch  der  bloße 
Naturalismus  könne  als  überwunden  bezeichnet  werden.  Das  Zeiciinen 
sei  der  Trilger  der  Eanateraiehimg  mid  EnnstUMung  geworden,  ein  Ans- 
dmekamittel  für  das  Empfinden  der  Ktodeaaeele,  gleichberechtigt  mit  Schrift 
tmd  SpsBOhe.  Man  solle  die  Worte  Knnstbildung  und  Kunsterziehung 
allerdings  nur  in  beschränktem  Sinne,  als  Geschmacksbildung  und  Ghe- 
schmackserziehung,  gebrauclicu.  Der  Begriff  sei  zu  hoch,  so  daß  er  durch 
zu  weitherzigen  Gebrauch  leicht  zur  erblassenden  Phrase  herabsinken 
kannte.  Die  Tergaogene  Zeit  habe  als  Banptfoiderangen  an  die  Bildung 
»Denken  nnd  Bedenc  aufgestellt,  die  neue  Zeit  habe  die  Begriffe  »Sehen 
imd  Handeln«  hinzugefügt.  Die  Sprache  der  Hand  sei  heute  von  ^eiober 
Bedeutimg  wie  die  des  Mundes.  Der  Schüler  müsse  erzählen  lernen  mit 
Stift  und  Pinsel.  Alles  Gezeichnete  sei  inneres  Erlebnis.  Der  Blick  nach 
außen,  den  mflsse  miser  A^olk  lernen,  nachdem  es  solangf  den  Blick  mehr 
nach  innen  gerichtet  Dies  zu  fördern,  dazu  sei  der  deutsche  Zeichen- 
lehrer berufte.  Wer  davon  flberseugt  sei,  dafi  die  Artieit  am  Tempel  der 
Sonst  gleichwertig  aet  mit  der  Axbeit  im  Dome  der  THaaensdiiit,  der 
milssc  aber  auch  bedenken,  daß  das  Wesen  der  Kunst  die  FrcMheit  sei 
Dem  L(.'hrer  soll  diese  Fn:»iheit,  die  Wahnmg  der  individuellen  Persönlich,* 
keit  im  Zeichennnterricht  gewahrt  bleiben. 

Über  »Auffassung  und  Technik«  sprach  Paul  Hermann -Dresden. 
Er  -mea  den  inneren  Zusammenhang  zwischen  der  Auf&tssung  des  Kindes 
and  ihres  Ansdrocksmittels,  der  Tedmik  nach,  um  su  zeigen,  wie  efaie 
liditige  Auffassung  eigentUdi  mit  Notwendigkeit  auch  eine  richtige  Technik  . 
bedinge»  Nach  einer  Zeit  starken  naturwissenschaftlichen  Yor^^ärtsdrängens 
sei  nun  eine  Zeit  gekommen,  in  der  die  Men9fiiheit  Ruhe  und  Sammlung 
sucht  in  dem  Reiche  der  Kunst  Unsere  moderne  Zeit  sei  aber  arm  an 
Eigenkunst,  die  innere  Wahrheit  widerspiegelt  Hier  wie  immer  rufe 
man  in  erster  Linie  nach  der  Schule^  nach  kOnstlerisoher  Endehung.  Sie 
will  ja  nidits  anderes,  als  die  schöpferischen  Eritfte,  die  in  jedem  Mensdhen 
schlummern,  wecken,  sie  will  selbstlndig  empfinden  und  schaffen  lehren, 
vor  allem  aber  eins  vermitteln,  was  erste  Vorbedingimg  dafür  sei:  Die 
selbständige  Auffassung.  Das  Kind  stellt  aber  nur  das  dar,  wa«!  es  inter- 
essiert und  ist  von  seint^r  nnvollkommenen  Darstellung  befriedigt.  Die 
Klage,  daß  die  heutige  Jugend,  mcht  sehen  könne,  sei  vollberechtigt  Das 


508 


Ifittanmigan 


liege  au  der  von  dor  Beobachtung  losgeUSsten  Bildung,  die  meist  durch 
BOoher  vennittelt  veictoi  decen  Äjakftm  Tletfuh  nioiit  ehunal  aäEbet  an 
der  QueUe  aller  Erkenntnu,  der  Natur  geacbOpft  liaben.   Dorbh  Seliea 

muß  sich  der  Mensch  belehren.  Die  Kinderzeichnung  bestätigt  einerseits 
das  Interesse,  bestimmt  den  Umfang  der  Beobachtung  und  andrersoit>  die 
Lust  am  Scliaffeu.  Um  mm  das  Zeichnen  als  Au.^drucksmittel  zu  erhalten, 
Lst  es  nötig,  daß  der  ZeichenuntoiTicht  von  Anfang  an  die  Kinder  zu 
selbständiger  Auffassung  anhält  Keine  feston  Formen,  keine  Typen,  kein 
meohanischea  Naohbüdenl  —  das  vHide  za  EMdilnldimg^  nidit  za  all- 
gemeiner  BQdong  ffihren.  Sdhm  yor  Beginn  der  Sdudseit  eignet  sicii 
das  Kind  gewisse  Formen  an,  die  es  beinahe  gebrauchen  lernt  wie  die 
Sprache.  Diese  heißt  es  in  der  Schule  fortzubilden,  indem  man  die  Kinder 
zum  freien  und  sicheren  Gcl>raneh  dieses  Ausdrucksmittels  erzieht.  Die 
Zeichnung  soll  den  Grad  der  Auffassung  und  die  Stärke  des  Ausdruckes 
nachweisen.  Ist  der  Wille  geweckt,  so  wird  die  Darstellung  von  selbst 
▼erhAltnismftfiig  gut  werden.  Besondere  technische  Übungen  sind  deshalb 
höchstens  als  Willensübungen  soiaeaig.  Technisdie  Eartigkeiten  sa  er- 
zielen hat  zwar  et-^-as  ungemein  Bestechendes,  gereicht  aber  nur  zum 
Schaden  des  Gesamtbildungszieles.  Es  ist  nicht  die  Aufgabe  allgemein 
bildender  Schiüen,  sondern  die  der  Berufslehre.  Zeichnen  als  Ausdrncks- 
mittcl  des  selbständig  Beobachteten,  des  eigenen  Innenlebens  nicht  nur 
anerkannti  sondem  aadi  benutet  zu  sehen,  das  ist  des  Zeiohenlehieis  Ziel 
Er  kann  es  aber  nicht  allein  erreichen,  der  gesamte  ünterriolit  mnB  akdi 
seiner  bedienen.  Das  mnfi  Überzeugimg  werden  oben  und  unten  und 
tll>erall.  Dann  ^v^rd  man  auch  dafür  Sorge  tragen,  daß  der  Zeichenunter- 
richt nicht  abschließt  mit  wenigen  Jahren;  dann  wird  das  Z&cbneD.  als 
fester  Bei>tandteil  der  ganzen  Unterrichtszeit  gelten. 

Architekt  Gabler-Halle  behandelte  in  formgewandter  Bede  das  Thema: 
»Der  gnte  Geschmack  im  Dienste  des  Eultuifertsofarittesc  mit  Blloksioht 
auf  die  FOiderang  aDgemeiuer  Qeistesknltnr  und  anf  die  Yeibesserang 
unserer  wirtschaftlichen  Yerhflltnisse. 

Eine  treffliche  Paiullele  zu  dem  ersten  Vortrage  bildeten  die  Aus- 
führungen von  Fr.  "Weißenborn-Leipzig:  »Das  Formen  im  Zeicheniuiter- 
richt.«  Seine  Thesen  lauteten:  »Das  Nachbilden  köqjerlicher  Dinge  in 
körperlicher  Fonu  (das  Formen)  ist  das  wichtigste  Hilfsmittel  zur  Er- 
ziehung klarer  und  tiefer  FormvorBtellmigen.  Es  legt  den  Grand  za 
denjenigen  ästhetischen  Empfindungen,  die  durch  Körpeifonnen  ausgeltet 
werden.«  Die  Aussprache  gestaltete  sich  besonders  lebhaft  Die  Vorträge 
nebst  den  sii  Ii  daran  anschließenden  Debatten  werden  als  Sonderbericht 
erscheinen.  Derselbe  wird  auch  die  Verhandlungen  aus  der  Deli'c-io  rten- 
versammlung  enthalten.  Von  fast  allen  Zeichenlehrerverbäudeu  waren  Ab- 
geordnete erschienen,  um  tiber  den  ZusammeosolduB  der  einselneD  Ver- 
eine zn  einem  großen  Verbände  zu  beiaten.  Als  Obmann  fOr  die  Vor- 
arbeiten wurde  Seminaroberleliier  E.  SlAner-Dresden  geiwihlt  Bereits 
im  nächsten  Jalire  hofft  man  zu  einem  greifbaren  Resultate  zu  gelangen. 

Auch  25  Lehrervereine  mid  gegen  75  Ortschaften  hatten  für  die 
Tagung  Delegierte  entsendet,  ein  Beweis,  daß  iu  Sach£en  auch  in  weiteren 


8.  Über  das  Waohstam  der  HoBkelknft  bei  Sohülem 


509 


Kreisen  ein  tiefgehendes  IntoitWDO  an  der  Entwicklimg  des  Zdchenunter» 
lichts  vorhanden  ist 

Eine  besondere  Bedeutung  dürfte  der  Zeichenausstellung,  bei  der  die 
versdiiedeasten  Schulgattongen  vertietea  waren,  zuzuschreiben  sein.  Sie 
fiefi  die  lebhafte  Bewegung  im  Zdoheniinterncht  der  Gegenirart  deatlidi 
erkennen  und  imterschied  sich  von  gleichartigen  Veranstaltungen  haupt- 
sfichlich  diu*ch  die  strengen  Bedingungen,  die  man  den  Beteiligten  auf- 
erlegt hatte.  Es  durften  nur  Arbeiten  aus  dem  Jahre  1904/5  zni-  Ans- 
ßtellunp  gelangen.  Gefordert  wimle  ein  Lehrgang,  der  die  vollständige 
Jahresarbeit  mindestens  einer  Klasse  (nur  Arbeiten  aus  dem  Massen-  oder 
GrappenuBterridit)  zeigte,  und  ans  jeder  Khase  mindestens  drei  vollBttadige 
iniMiiHii1n!nlniigffli  Anfieidem  konnte  jeder  Aassteller  noch  ein  von  ihm 
besonders  gepfl^ites  Gebiet  veranschaulichen.  Zur  leichten  Orientierung 
in  der  Zeichen-  und  Lehnnittelausstellung  diente  ein  mit  hünstlerisohem 
Bnchschmuck  vornehm  ausgestatteter  Führer.^) 

Im  engsten  Zusammenhange  mit  der  Tagung  des  Ycreins  deutscher 
Zeichenlehrer  stand  eine  Ausstellung  »Einderkunst«,  veianstaltet  von 
dem  Lehrerrereinsaiisedmß  ffir  Knnstpflego  m  Dresden.  Sie  nmfaBt  roc 
allem  freie,  d.  h.  ohne  den  Zwang  lehrender  Beeinflussung  entstandener 
Zeichnungen  aus  Schule  imd  Haus,  die  von  Kindern  versduedenen  AlteiB 
gefertigt  worden  9\n(\:  außerdem  ist  eine  kleine  Sammhmg  von  Spielzeug 
und  Bilderbüchern  aufgenommen  worden,  die  nur  einige  charakteristische 
Beispiele  zeigen  und  den  Vergleich  der  den  Erwachsenen  oft  fremd  an- 
mutenden Erzeugnisse  mit  der  freien  Kinderzeichnung  und  ihrer  reichen 
Phantasie  ennQgBoiieii  soiD.  Audi  für  diese  AnssteUang  ist  ein  Fahrer 
erschienen,  der  mehr  ist  als  ein  blofier  Katalog.  Es  besteht  die  Absicht 
die  AusstcJlimg  ^wandern  zu  lassen.  Anfragen  sind  an  richten  an:  Lehrer 
B.  Bfirckner,  Dresden-A^  Hassestr.  7. 


8.  Über  das  Waohstom  der  Hnakelkraft  bei  Schülem 
wfthxend  eines  SohiUJalireB^ 

Von  Iftrx  Lobsien-Kiel 

Li  seiner  ersten  Mitteilung  über  diese  Angelegenheit  im  1.  Bnd. 
Jaaitmek  lud  Sohnyten- Antwerpen,  dafi  die  MoskelkEBft  der  Sdiflkr 
wihrend  eines  Sohnljahres  nicht  st^ag  wachsend,  sondern  im  Monat  M&n 
einem  Bückgange  miterworfen  ist  Die  damaligen  Experimente  wurden 
unter  Anwendung  von  Stimulanz  imd  nur  in  zwei,  den  höheren,  Volks- 
schulen für  Knaben  und  Mädchen  zu  Antwerpen  ausgeführt.  Jedes  Kind 
wurde  um  den  15.  eines  jeden  Monats  herum  vom  Oktober  1898  bis  Juli 
1899  swischen  2  und  3  Uhr  nachmittags  und  immer  unter  denselben 
ümstlDden  geprOft   Die  aUgemeinen  Ergebnisse  waren  folgende: 

*)  Beide  Föhzer  sind  ersohienen  im  KommissionsTeriag  von  A  MüUer,  Fröbel- 
hana-Dreedea. 

*)  Over  de  toeoame  der  Spierkracht  bej  kinderea  gedurendel  hat  Sohooljaar. 
Iwaede  nededeeling.  Paed.  Jaarb.  1904.  Antweipen. 


Digitizec  uy  ^^oogle 


510 


UitteiloDgen 


Oktober 

(1898) 

Novembor 

Dezember 

Januar 

(1899)  ! 

Februar 

S 

April 

Juni 

C-i 

46,9 

48,7 

49,1 

51,0 

49,0 

51,5 

53,4 

55.8 

58,2 

Mädchen  .... 

4.3,4 

43,6 

45,2 

45,3 

48,6 

48,1 

48,1 

48,3 

48,8  j5'J,6 

43,6 

45,4 

46,9 

47^ 

49,7 

48,6 

49,9 

50,9 

52,4154,7») 

Schily  ton  hat  die  üntersuchungen  erneut  angesteUi  Sr  nnteisuchte 
Kinder,  die  zu  Beginn  der  Untei-suchungen  im  Oktober  1901  genau  1  0  Jahre 
9  Monate  (1,  VersuchsK-ihe),  10  Jahre  8  Monate  (2.  Reihe),  10  Jahre 
7  Monate  (3.  ßeihej  ait  und  über  alle  Schulen  der  Stadt  verteilt  waren. 
Hon  aibeitete  er  aber  ohne  Stimulanz  und  suchte  zu  erkunden,  ob  andi 
jetzt  unter  den  so  verRnderten  Bedingungen  die  frflheoren  Besnltate  Be- 
stätigung finden  würden. 

Er  fmd  folgeade  aUgemeino  Worte: 


Oktober 
(1901) 

November 

Dezember 

Januar 

(1903) 

Februar 

März 

April 

e. 

Juni 

Knaben    .  .  . 

56,0 

53,5 

53,2 

53,9 

52,8 

52,6 

533 

54,7 

lOdohen  .  .  . 

46,2 

43.3 

42,8 

43,4 

44,1 

4M 

43,8 

433 

Oeatmt    .  .  . 

513 

48,2 

47,9 

48,4 

48,3 

47^ 

4I»,2 

Mithin  ist  der  Monat  März  immer  noch  der  niedrigste  geblieben. 
Doch  offenbaren  sich  anstatt  der  legdmftfiig  anfsteigenden  Kirre  des 
Sduüjaliies  1899—1900  jetzt  did  »tansende«  Kurven,  die  oCEeobar  auf 
die  neoeii  Stimalosbedingniigen  zurOckzuführen  sind.  Das  frOhere  Ergeb- 
nis aber  ist  im  großen  und  ganzen  bestätigt  wonlen. 

Die  frülicren  Vcrsnehc  Schuytcns  ergaben  für  beide  Hände,  wenn 
R  —  10  angenommen  wiixl,  als  Yerliältniswerte  für  £inder  von  ö  Jahren 
und  9  Monaten  und  von  9  Jahi'en  9  Monaten: 

Knaben  Mfidchen 
10 :  9,2  10  :  7^ 

mit  Stimulans,  ebne  aber  fOr  Eüader,  die  dem  neuen  Yenocli  onter- 
irorfen  worden: 

Knaben  Mfidchen 
10  :  9,18  10  :  9,11 

Es  Hchcint  somit,  daß  die  Bedingimgen  der  neuen  Yersuche  keinen 
Einfluß  goli;vl)t  haben  auf  die  Proportionalität  zwischen  den  Zugkräften 
rechts  imd  links,  auch  reagierten  jetzt  beide  Geschlechter  übereinstimmend. 
Für  Kinder  ärmerer  Eltern  verlaufen  die  Kiurven  zwar  übei-eiustimmend, 

1)  Die  Daten  geben  aa,  wieriel  Kilogramm  der  601  noter  100  Sodem  an  d«i 
bekannten  elyptisohen  Dynamometer  gedittokti  benr,  gengm  hat 


4.  Die  sdüeswig-lidateiDisolie  llndliohe  Voltohoohaohale 


511 


doch  zeigt  sich  sehr  Idar,  daft  die  aoaiil  gut  gestellten  Eltern  die  kräftigeren 
Kinder  habcu.  —  Im  allgemeinen  verfflgen  auch  die  iuteliektueli  reicher 
bedachten  Kinder  Über  eine  größere  Muskelkraft 


4.  Die  sohleswig-liolsteinisclie  ländUohe  Volkshooli- 

schnle  ^) 

Ton  Fr.  Lembke,  Heide  i.  H. 

Bio  Anrpgimi?  zn  der  BowcpiTig,  die  sich  als  Ziel  gesetzt  hat,  eine 
ländliche  Volkslioehschiüe  in  Schlos\\-ig--Holstein  ins  Leben  zu  rufen,  kommt 
aus  Dänemark.  Aus  dem  Studium  der  dänischen  Volkshoch^ichulen  ist 
der  Plan  entstanden. 

Die  Idee,  die  Emricshtnng  der  Dliien  nachzuahmen,  ist  seit  dem 
Artikel  in  der  »Gegenwart«  1895,  13  und  43,  mohrfach  in  der  deutschen 
Literatur  mrogen  worden,  aber  bisher  mit  negativem  Erfolg.  Wir  halwn 
in  Deutschland  ja  schon  seit  langer  Zeit  Yolkshochschulon ;  sie  befinden 
sich  aber  in  den  Städten  und  gleichen  mehr  oiler  woniger  don  Einrich- 
tungen der  englischen  university  extension,  die  mit  der  dänischen  Ein- 
ricfatong  venig  gemein  hat 

Als  idi  TOT  etwa  swd  Jahren  mich  Utaigere  Zeit  an  den  dftnisdien 
YoQDBhodhsdiulen  aufhielt,  wurde  gesprächsweise  mehrfach  der  Gedanke 
erwogen,  ob  in  Deutschland  eine  Volkshochscluile  ntich  dänischem  Muster 
möglicli  sei.  In  meiner  Schrift  »Die  dänische  VoIkshtH-hschule«  ^)  habe 
ich  den  Gedanken  etwas  weiter  erörtert  und  bin  zu  dem  Ergebnis  ge- 
kommen, daß  die  Möglichkeit  vorhanden  sei.  Di^elbe  Ansicht  vertrat  ich 
dann  auch  in  mehreren  Aufefttzen. 

Unser  kr&ftig  au&trebender  Yextand  landwirtschaftlicher  Genossen- 
schaften nahm  den  Gedanken  auf.  Er  hatte  erkannt,  daß  ein  auch  nur 
einigennaßoii  vollständiger  Ausbau  dos  ländlichen  Genossenschaftswesens 
nur  möglich  sei,  wenn  tlie  Volksbikhuig  auf  dem  Lande  gt^hoben  wünle. 
Er  setzte  daher  auf  die  Tagesordnung  der  vorjähiigen  VerUmdsversammlung 
das  Thema:  »Genossenschaft  nnd  Bfldungsstreben  anf  dem  Lande.«  Die 
Yeiliandlungen  fOhrten  dahin,  daß  man  allgemem  anerkannte,  daft  die  Oe- 
nossonschaften  oiiistlich  an  der  Volksbildung  interessiert  seien.  Ein  Aus- 
schuß wurde  eingesetzt,  der  die  Sache  weiter  verfolgen  sollte. 

Die  ganze  Lage  der  Sache  brachte  es  mit  sich,  daß  ich  sowohl  in 
meinem  Vortrage  als  auch  in  der  Vorlage  für  die  erste  Ausschußsitzmig 
die  allgemeinen  Gesichtspunkte  in  den  Vordergrund  stellte,  ohne  den  Volks- 
hochschulplan  ganz  zu  nnterdrOcken.  Um  so  größer  war  meuie  Freude, 
daß  man  mir  in  meiner  ersten  Sitzung  alles  andere  stridi  nnd  nnr  den 
Plan  der  Volkshochschule  stehen  ließ. 

Dies  Eigcbnis  verpflichtete  mich,  emsthaft  den  Plan  der  kindlichen 
YolkBhochschule  weiter  zu  verfolgen  und  einen  genaueren  Plan  zu  ent- 

>)  Yei^  die  Zettnhiifk  1. 

*)  Zeitsohiift  XL  Kifli  und  Leipäg,  lipaiv  k  aSsohar,  1904. 


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512 


MitteilaiigMi 


werfen.  Dabei  war  Rücksicht  zu  nehmen  niclit  nur  auf  den  EntNvicklung»- 
gaDg,  der  eine  eingehende  Berücksichtiguiig  der  Verhältnisse  des  praktischen 
Lebens  verlangte,  aondem  wach,  auf  die  bereits  bestehendeii  landwiii- 
fichafüioihen  Haobscihiilea  und  die  ländlichen  FertbÜdmigsBGhiileiL^) 

Den  Fachschulen  konnte  man  nicht  leicht  zu  nalie  treten,  wenn  man 
allen  Fachunterricht  aus  dem  Spiele  ließ,  und  somit  die  Schule  zu  einer 
Anstalt  machte,  die  allen  Schichten  der  ländlichen  Bevölkerung  zu  dienen 
hat,  die  dalicr  absieht  von  allem  speziellen  Fachwissen  und  dafür  wirt- 
schaitliche  und  bürgerkuudliche  Verhältnisse  in  den  Vordergrund  rückt, 
die  alle  in  gleicber  Weise  inteiessieren. 

l^t  so  leidit  "war  es,  sieh  mit  der  ländlichen  Fortlnldangssdrale 
auseinander  zu  setzen.  Vir  haben  in  miseter  Provinz  beretts  Uber  150 
solcher  Schulen,  und  es  wÄre  nicht  nur  unhistorisch  gewesen,  solche 
einfach  zu  übersehen,  sondern  es  wäre  bei  solchem  Vorgehen  auch  die 
Mithilfe  aller  Kräfte  verloren  g^;augen,  die  im  Dienst  der  Fortbildongs- 
sdiule  stehen. 

Ein  Ausgleich  wnide  gefunden,  indem  man  eiDmal  feetstelite,  dsft 
Ijei  der  viel&ch  recht  zerstreut  wohnenden  BevOlkenmg  in  unserer  Pro- 
vinz nicht  alle  G^nden  lebensfiüiige  Fortbildungssohiilen  heben  konnten, 

und  sodann,  daß  es  den  Schulen  an  Lehrkräften  mangeln  raüsse^  wenn 
man  die  Schulen  nicht  als  einfache  Fortsetzung  der  Volksschule  gelten 
lassen  wollte.  (Jerade  die  Versorgung  der  ländlichen  Fortbildungsschulen 
mit  geeigneten  LehrkrSftea  erfordert,  dafi  ein  Weg  gefunden  wezde,  der 
es  znlftfit,  daS  sich  HXnner  anssdhlieilich  mit  den  emschligigen  Aagen 
besehlftigen,  und  daß  dann  Anstalten  erstehen,  die  eine  besondere  Schulung 
der  nebenamtlich  beschäftigten  Lehrer  besorgen  können.  Diese  beiden 
FoiTlerimgeu  können  erfüllt  werden,  wenn  ^viT  ländliche  Volkshochschulen 
haben.  Ilire  Lehrer  leben  ständig  in  den  Fragen,  die  die  ländlichen  Fort- 
bildungsschulen beschäftigen  müssen,  und  deshalb  sind  diese  Anstalten 
auch  wohl  geeignet,  dafi  an  ihnen  Korse  m  Ansbfldmig  von  Lehrern  an 
Fortbildangrachnlen  abgehalten  werden. 

Können  somit  die  Volkshochsdnilen  enkeneits  als  eine  gewisse  Er- 
gänzung der  Fortbildungsschulen  angesehen  werden,  so  lassen  sie  doch 
auch  andrei-i^eits  den  Fortbildimgsschiden  genügend  Raum  für  ihre  be- 
sondere Tätigkeit  Selbst  bei  günstigster  Entwicklung  werden  ^ir  in 
absehbarer  Zeit  nicht  dahin  kommen,  dafi  wir  alle  BedQifnisse  nach  Fort- 
Inldnng  auf  den  Yolkshoohsöhalen  werden  befriedigen  kOnnen,  und  immer 
wird  die  Kostenfrage  einen  solchen  ESnflnfi  ansfiben,  dafi  nioht  alle  die 
Volkshochschule  werden  besuchen  können. 

Unsere  Losung  heißt  danim  Yolkshochschiüe  und  Fortbildungsschule. 

Nach  dem  Vorhergehenden  ist  der  Unterrichtsstoff  aus  der  V^Iks- 
mid  rrivatwirtschaftslehre  und  aus  der  Gesetzes-  uud  Bürgerkunde  zu 
entnehmen,  soweit  dieselben  fOr  die  breite  Hasse  der  isnii^ow  BenKSke- 
nmg  Literesse  haben.  Übungen  im  Deotsohen  und  Beofanen  sind  an- 


*)  Yergl.  »I^ndlicho  ForlbildoogsBöhiils  and  ifr»<n*«>»a  Yolkahoohaohids«.  Siel 
TL  Leipzig,  läpaiiis  &  Xischer,  1905. 


4.  Die  schleswig-holsteinische  l&Ddlicbe  Volkshochschule 


513 


zuschließen.  Der  Unterricht  ist  anf  keinen  Fall  in  abstrakter  systematischer 
Weise,  sondern  als  eine  Art  Anschauungsimterricht  zu  erteilen.  Nur  auf 
solche  Weise,  iudem  man  sicli  immerfort  an  Erscheinungen  hält,  die  den 
Schfllem  belaamt  smd,  dflrfte  es  geUngen,  soweit  Yentfndnis  sa  eniden, 
als  erforderlich  ist 

Es  kommt  aber  nicht  allem  danmf  an,  den  Schülern  ein  bestimmtes 
Maß  von  Wissen  und  Können  zu  übermitteln,  vielleicht  durfte  das  nicht 
einmal  in  ei-stor  Linie  stehen,  sondern  die  Schiller  sollen  vor  allen  Dinf^n 
Lust  gewinnen,  sich  weiter  zu  bilden,  weiter  zu  aibeiten  in  der  Schule 
tmd  vor  allen  Dingen  auch  im  Leben.  Wenn  man  die  Arbeitsweise  der 
dfinifiK^en  Schulen  betrachtet,  so  dürfte  man  Tom  metiiodischen  Standpuiikt 
an  mehreren  Stellen  erhebliche  Bedenken  haben,  die  aber  alle  verschwinden» 
■wenn  man  sieht,  wie  es  ihnen  gelingt,  ihre  Schüler  zur  ArbeitswiUig^nit 
und  Arl-eitsfi-eudicrkeit  zu  erzielien.  Dies  aber  dürfte  sich  durch  einen 
yachuntt'irii  ht  reinster  Fom  nicht  erreichen  lassen.  Will  man  lioi  reinem 
Fachunterricht  sich  eine  gewisse  Gi-oßzügigkeit,  die  auch  in  kleinen  Ver- 
h&ltnisseo  nicht  zn  entbehren  ist,  bewahren,  so  muß  man  versuchen,  dem 
rein  Praktischen  etwas  Ideales  an  die  Seite  sa  stellen. 

Von  diesem  Gesichtspunkt  betrachtet,  erh&lt  der  mystisch  nationale 
Grundtvigianismus  in  den  dänischen  Schulen  eine  ungeheuere  Bedeutung. 
Wollen  wir  die  d,lTiischen  Schulen  nachbilden,  so  wciTlen  wir  versuchen 
müssen,  die  Schulen  iiielit  allein  zu  Vorbereitungsanstalten  für  die  Praxis 
des  Berufslebens  zu  miichen,  sondern  wir  müssen  üinen  einen  volkstüm- 
lichen idealen  Inhalt  geben.  Das  dflrfto  doppelt  notwendig  sein,  wo  die 
Schalen  nicht  allein  ffir  einen  Beraf  arbeiten  soUen,  sondern  allein  Sehichten 
der  ländlichen  Bevölkerung  in  gleicher  Weise  dienen  wollen,  "Wir  glanben 
dies  ideale  Moment  in  der  Heimat  gefimden  zn  haben.  Allgemein  ver- 
langt heute  die  Heimat  ihr  besonderes  Recht;  in  imserer  Nordmark,  die 
bis  vor  wenigen  Jahrzehnten  noch  ilire  eipene  Gescliichte  hatte,  die  auch 
in  Kultur,  in  Handel  und  Wandel  dalier  manche  Eigentümlichkeit  aufzu- 
weisen hat,  ist  nicht  nur  das  Heimatgefllhl  besonders  lebendig,  sondern 
andL  von  hervomgender  Bedeutung  fOr  die  Yolhserziehnng.  änd  diese 
Yoranssetzungen  richtig,  so  dürfte  mit  der  Einfügung  des  Heimatunter- 
richts in  weitester  Form  auch  dem  ganzen  rnterriclitsbetriebe  die  erforder- 
liche Einheit  ge,sichei-t  sein,  da  ja  auch  Wirt^^chaftslehre  und  Bürgerkuude 
als  Anschauungsunterricht  l)etiieben  wenlen  sollen. 

Nadi  den  vorstehenden  Ausführungen  dürfte  die  nachstehende  Stunden- 
verteilung verstftndlidh  sein: 

Geschichte  und  Heimatkunde 
Deutsche  Sprache  und  Literaturkunde 
Qeographie 
Natorkonde 

Gesetzes-  und  Bürgerkraide 
Reehnen  und  Buchführung 
Leibesübungen 

Zusammen  42  Stunden  wOdhentlich. 

ZaltMduUt  fOr  FliUowpUe  and  Pldigogik.  12.  JahigM«.  83 


6  Stunden  wAohenthch, 
10 
2 
4 
6 

8  „  „und 
6 


n  n 
n  n 
n  n 


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5U 


Mitteilimgen 


Die  Dauer  der  Kurse  ist  vorläufig  nach  dänischem  Muster  auf  ö  Monate 
fOr  Jünglinge  und  auf  3  Mcmato  fdr  Jongfiaaen  angenomman.  Bgm 
Erfahnuigen  werden  uns  lehren  mflaoon,  ob  es  bei  dieser  Festsetsmig 
bleiben  kann. 

Die  Volkshochschule  ist  als  ein  Internat  gedacht.  Diese  Form  ist 
nicht  nur  deswegen  erewählt.  um  allen  Gegenden  der  ProNinz  den  Besuch 
in  wenigstens  annäliornd  gleicher  Weise  zu  enuOglichen,  und  imi  die 
Kosten  niedrig  zu  halteu,  sondern  vor  allem  um  des  erziehlichen  Zweckes 
irillen.  Wir  vodea  das  gesteckte  Ziel  nur  dann  voUstftndig  eiradm, 
irann  wir  eben  nadihaltigen  EinflnB  auf  die  SdilUer  ansllben  klinnen. 
Darum  milfi  uns  laran  golegen  sein,  alle  fremden  Einflüsse  nach  M3g- 
lichkeit  fem  zu  halten,  imd  zugleich  die  Schüler  an  ein  (resollitTkeitsleben 
zu  gewöhnen,  das  in  ländlicher  Einfachheit  gesimde,  den  Geist  kräftigoade 
Genüsse  bringt.    Das  al)er  ist  nur  dui'ch  em  Inteniat  zu  erreichen. 

Es  erscheint  ferner  notwendig,  die  ländliche  Volkshochschule  so  ein- 
xoiiditen,  daft  sie  in  mfSglioliat  enge  Bedehnng  zmn  Volke  ateht  Des- 
halb ist  wohl  auf  einen  eriidblidien  Znachuss  dee  Staates  gerechnet^  dock 
soll  die  Sduüe  keine  Staataanstalt  sein.  Ein  Verein,  der  die  Sache  fordern 
und  den  allgemeinen  Balunen  für  die  Organisation  abgeben  soU,  ist  bereits 
gegründet,  imd  schon  zeigen  sich  die  ei-sten  Ansätze  der  Lokalvereine, 
die  als  Träger  der  Schulen  auftreten  sollen.  Vereine,  die  die  ehemab'gen 
Schüler  sammeln,  und  in  denen  auch  die  Freunde  der  Yolkshochschnle 
ein  Feld  an  lokaler  Arbeit  finden  k(tainen,  seUsn  mdgliolist  bald  ina  Leben 
gerufen  weiden. 

Die  entstehenden  Kosten  werden  nicht  gering  sein.  Wir  werden 
etwa  50  000  M  für  ein  entsprechendes  Gebäude  anwenden  müssen,  werden 
auch  jälirlicli  zwischen  11000  imd  12  000  M  aufzubringen  lialieu.  Die 
bisher  gepflogenen  Verhandlungen  lassen  uns  aber  frohen  Muts  in  die 
Zukunft  sdianen.  Ist  das  Bedflifnia  im  Volke  auch  nur  annlhemd  so 
grofi,  wie  wir  annehmen  dürfen,  und  werden  uns  die  Behörden  ihr  Wohl- 
wollen erhalten,  so  weixlen  wir  der  Kostenfrage  w^en  nicht  von  unserem 
Plane  abzustdien  brauchen.  Wir  rechnen  dabei  nur  mit  den  Beiträgen 
uns(:'rer  ontreren  T^andsleute,  hoffen  al)er  aucli.  daß  ims  aus  dem  großen 
deutsrlicn  Vateriande  Unterstützungon  zugelieii  wenlen.  winl  doch  die 
Arbeit  dem  ganzen  deutschen  Volke  zu  gute  komineu,  wenn  sie  gelingt 

Außer  den  Gesamfkosten  för  die  Unterhaltung  der  Schule  fiülen  aber 
auch  noch  die  Kosten  wesoitBch  ins  Gewicht,  die  der  Besuch  der  Schule 
dem  Schider  venu-sacht.  Die  Gesamtkosten,  die  der  Schüler  aufzubringen 
liat,  sind  auf  40  M  im  Monat  voranselilagt,  so  daß  ein  Fünfmonatskursus 
auf  200  und  ein  Dreimonatskursus  auf  120  M  zu  stellen  k«ninnt.  Diese 
Kosten  sind  im  Voi-liältnis  zu  dem  Aufwand,  den  andere  Anstalten  ver- 
ursachen, entschieden  recht  gering;  sie  werden  auch  von  weniger  be- 
mittelten Leuten  sich  erschwingen  lassen.  Wir  halten  aber  dafOr,  daS 
sie  noch  weiter  enn&fiigt  werdoi  müssen,  wenn  der  Besuch  allen  ermög- 
licht werden  soll,  wenn  es  wixkUch  eine  Volkshochschule  werden  solL 
Um  eine  weitere  Ermäßigimg  zu  erzielen,  ist  beabsichtigt  Mittel  flüssig 
zu  machen,  die  zu  Unterstützungen  für  Schüler  vervi'eudet  werden  sollen. 


Das  Frinxip  der  fieiirillj^att  in  dar  Arbeit  der  hSheraii  Sohnlen  515> 


Ich  nehme  an,  daß  wir  in  der  glücklidieii  Lage  sind,  dabei  nicht  allein 
aiif  öffentliche  Nüttel  angepriesen  zu  sein.  Wir  haben  anf  dem  Lande- 
eine  jranzc  Reihe  gut  funtlierter  Sparkassen  und  Genossenschaften,  die 
alljührück  eine  sehr  erhebliche  Summe  für  gemeinnützige  Zwecke  aus- 
vafen,  die  anch  zur  Untentttteiiiig  von  joogea  Lentan  ans  ihien  Beiirlnn. 
gern  ihre  Beüstener  geben  weiden.  "^eUetelrt  wird  es  allein  mit  diesen 
Mitteln  sich  schon  erreichen  lassen,  daß  wir  eine  Summe  zusammenbringen, 
die  eine  i-echt  kräftige  Unterstützung  der  Schüler  ermöglicht.  Wir  lialten 
das  Ziel  für  erreicht,  wenn  wir  —  von  Ausnahmefrillen  abgesehen  —  für 
die  Hälfte  (h^r  Schüler  die  Kosten  um  Zweiilrittel  ennäßigen  können. 
VoUbtäüdig  unentgeltlicher  Untenicht  erscheint  nicht  erwünscht,  da  das 
leicht  die  Wertsdiitzung  der  Sdudaibeit  beeintrtiQhtigen  kOmite. 

Seher  ist  noch  Tiele  AAeit  ro  kistai,  die  nMiste  vieHeidit  ent 
dann,  wenn  die  Schularbeit  ndt  all  ihren  Fehlem  und  kleinen  Mißerfolgen 
einsetzt;  der  Anfang  ist  aber  so,  daß  er  zu  der  Hoffnung  berechtigt,  da^ 
^ir  bald  die  erste  schleswig-holsteinische  ländliche  VolkshochRchule  er- 
stehen sehen  werden.  — 

Nadtwofft 

Nachdem  der  üntenelchnete  vor  etwa  10  Jahren  wob.  von  dem  aofier- 
oidentlichen  ESufhüt^  den  die  dBnisohen  YollEBhoGliscfaiilea  auf  die  Ent- 
wicklung des  dänischen  Volkes  ausgeübt  haben  und  noch  ausüben,  sich 

durch  den  Besuch  Dänemarks  selbst  ültor^cngt  liatte,  schrieb  er  einen 
Artikel  in  die  » Gegen wai-t«  und  schloß  ihn  mit  der  Frage:  »Ob  die  Zu- 
kunft uns  ähnliche  Einrichtimgen  in  imserem  Vaterlande  bringen  wird,, 
die  wir  es  angeblich  so  herrlich  weit  in  aller  Bildung  gebracht  haben? 
Wir  hoffen  es,  wenn  diese  Anregung  auf  froohtbaren  Boden  fUlt;  wenn 
sieh  Leute  bei  uns  finden,  die  Hfihe  mid  Opfer  nicht  sdienen,  um  die 
dänischen  Volkshochschulen  zu  studieren  imd  dann  etwa  mit  Hilfe  einiger 
Besitzenden,  die  die  Zeichen  der  Zeit  verstehen,  den  Versuch  auf 
deutschem  Boden  wagen.«  Nun,  endlich  ist  die  Zeit  gekommen.  Der 
Versuch  wii-d  in  der  Koulmai-k  imtemommen.  Das  erfüllt  uns  mit  großer 
Freude.  UOgen  die  übrigen  Landschaften,  vor  aUeni  die  Ostmark  bald 
nachlolgenl  Das  ist  wichtiger,  als  der  Bau  einer  Bjdserpldz  imd  einer 
Bibliothek,  so  gute  Dinge  dies  an  sich  sdn  mögen.  In  der  Gründimg 
von  ländlichen  Volkshochschulen  liegt  eine  grolle^  für  unser  Volk  höchst 
segensreiche  Aufgabel  W.  Bein 


6.  Das  Prinzip  der  Freiwilligkeit  in  der  Arbeit  der 

höheren  Schnlen 

Mitgeteilt  von  Conrad  Schubert- Altenburg 

Das  humanistische  Gymnasiinn  liat  durch  die  Anfordenmgen,  die 
Naturwissenschafton,  GcrmanisLik  und  neuere  Philologie  erhoben  und  dozcib» 
gesetzt  haben,  ems  Tedoien,  das  in  den  Zeiten  FEiediieh  Aogost  WoUb, 
Gottfried  Hermanns  und  Bitsdüs  als  ihr  Chaiaktoristiknm  gelten  konnte^ 

83« 


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•die  Geschlossenheits  seines  Lehq^lans,  die  Gruppierung  allen  Cnterrichts  um 
^inen  Konzentrationsstoff,  die  Antike.    Das  ist  aus  psychologischer  Er- 
wägung heraus  zu  beklagen.    Die  Lelirpläne,  sagt  man,  sind  mit  üirem 
^cyklopSdiaolieii  Streben  inuiMr  eddecditer  geworden,  der  Dmok  auf  die 
•Schlllergeihinie  iriid  isimer  grOAer,  und  gdienit  -wirl  in  Snmmn  immer 
Aveniger  etwas  Bechtee.    Die  klassischen  Philologen  rufen  triumphierend: 
^So  mußte  es  kommen,  daß  ihr  den  einheitlichen  Bau  des  alten  humani- 
stischen Gymnasiums  durch  falsche  Einbauten  zei-stört  und  gelockert  habt! 
Wir  liaben  gar  nicht  klassische  Philologie  und  Altertumskunde  deshalb 
getrieben,  weil  wir  das  Wissen  von  diesen  Dingen  für  das  Höchste  und 
einzig  Wichtige  hielten.  "Wir  haben  sie  getiieben,  um  an  eineni  Xbcempel 
zur  Methode  m  erziehen,  aar  idealistisdien  HeHiode.  Das  Wissen  ist  vuH 
zu  groß.    Das  kOnnen  wir  gar  nicht  übermitteln.    So  haben  wir  nns  auf 
ein  Symbol  beschränkt,  um  an  dem  Methode  beizubringen.    Diesen  Weg 
habt  ihr  aber  leichtsinnig  ganz  verloren.    Ihr  stopft  das  Wissen  selber 
heuschobeihaft  in  die  Schule  und  erreicht  nur,  daß  alle  Methode  darüber 
ziun  Teufel  geht  und  der  Stoff  doch  nicht  bewältigt  wirdl« 

Dagegen  eadiebt  nim  ein  Katoiforsoher  seine  Stimme  nnd  fragt:  Haben 
wir  im  Jagendunterricht  heute  wiiUicih  die  Zeit,  eine  ganze  lange  Reihe 
der  ftisdiefiten  Jahre  blofl  einer  Vorschule  für  Methode  zuzuweisen? 
Wilhelm  Bolsche^)  ist  es,  der  neue,  beachtenswerte  Vorschläge  bringt, 
imi  den  Gymnasialjahren  den  Charakter  schwerer  Belastungsjahie,  den  sie 
•ohne  Zweifel  für  viele  jetzt  haben,  zu  nehmen. 

Er  argumentiert  so:  Beim  Lebensbenif  wird  der  am  meisten  nnd  am 
leichtesten  etwas  kästen,  bei  dem  sich  natfiriiohe  Beanlagang  und  Berafs- 
Arbeit  decken.  Die  Gabe  erzeugt  den  Fleiß  in  logischem  Zusammenhang. 
Es  ist  ein  himmelgroßer  sanitärer  T'ntcrschit^d,  ob  ich  eine  schwere  Arbeit 
gern  tue  oder  ob  ich  sie  als  Zwang  empfinde.  Und  dieses  große  geistige 
Gesundheitsprinzip,  das  Prinzip  der  Freiwilligkeit,  muß  in  irgend 
•einer  Form  auch  schon  auf  den  Gymnasien  zur  Geltung  gebracht  werden. 
Denn  auch  hier  gilt  der  Sats,  dafi,  wenn  Schulstoff  nnd  Begabung 
zusammenfallen,  gern  und  frsodig  md  imi^blidi  intensiv  ohne  geistige 
SohAdigung  gearbeitet  vdrd.  Die  ▼ersohiedenen  B^bungstypen  werden 
je  zur  Philologie,  zur  Mathematik,  zum  deutschen  Aufsatz  die  Galn?  der 
Veranlagimg  imd  damit  die  Frei\\illigkeit  hineinbringen.  Wenn  mm  das 
alte  humanistische  Gymnasium  bloß  auf  das  philologische  Feld  eingestellt 
war,  so  konnte  nur  der  Sdiüler  mit  keimender  philologischer  Anlage^  mit 
intmÜTem  Sinn  für  das  äbstiaikt  Logische  der  Grammatik  jenes  geheimms- 
volle,  geistig  gesund  haltende  Plus  empfinden,  das  aus  der  EongeniaÜllt 
des  Schulstoffes  und  der  Begabung  hervorwftchst.  Wenn  aber  das  moderne 
Gymnasium  in  seinem  falschen  encyklopädischen  Streben  und  mit  seinem 
Ideal  des  Eklektischen  von  allem  gleichmäßig  etwas  erstrebt,  so  leiden 
alle  unter  dem  Zwang  und  leisten  nichts  Erhebliches. 

fiisoism  hat  B9lsohe  recht,  daB  in  der  Bntwiddnng  des  Jünglings 


Welt  blick,  Gedanken  sn  Katar  und  Ennat  Dvasdsn,  Geil  Baifiner,  190L 


6.  Bas  Pmaof  der  nniwilUgkaifc  in  dei  Aibeit  dar  hj&hM«n  SobnUii  517 


ein  Zeitpunkt  eintritt,  in  dem  sich  rin  starkos  Interesse  nach  irgend  einer 
Kichtung,  entweder  der  historischen  oder  der  naturwissenschaftlichen  cxler 
der  tochuischeu,  geltend  macht.  Da,  wo  eine  Galx?  ist,  stellt  sich  auch 
ein  unglaublicher  Fleiß  ein.  »Was  leisten  Jungen  mit  technischer  Ver- 
anlagung in  dieser  Hinsicht  freiwillig  Ton  früh  auf!  Mit  welchem  FleiB 
bricht,  wo  de  da  ist,  die  Künstlergabe  daiGh!  Soll  dieses  migeheaie  ge- 
gebene  Kapital  uibeniitKt  Ueiben,  bloß  weQ  IVeode  darin  ist?« 

Auf  diesen  allgemeinen  hier  nur  kniv.  skizzierten  Erwägungen  baut 
Bölsche  seinen  die  bisherige  Organisation  der  höheren  Schulen  voll- 
ständig lungestaltenden  Reform  Vorschlag  auf.  Da  sclion  der  Sextaner  die 
Gnmdlagen  der  Hauptrichtimgstalente  oder  Methodeuunterschiede,  die  im 
intnitiTen  Spiel  der  Aufmerksamkeit  und  der  Assoaation  liegen,  mitbringt, 
80  muß  die  Sdiule  mit  diesen  Begabnngsdifferaiueii  rechnen.  Irgend  eine- 
(Übe  zeigt  sich  als  eouditio  sine  qua  non  bei  jedem  Menschen,  und  in 
dieser  Gabe  liegt  seine  Lebenschance.  Was  nottut,  ist,  daß  diese  Gabe 
erkannt  und  entwickelt  wnrd  und  daß  alle  übrigen  Fähigkeiten  nur  um 
sie  als  den  Seh  werjj  unkt  gruppiert  werden.  B  Öls  dies  höherc  Sehlde  soll 
jene  finden.  Die  erste,  unterste  Klasse  bildet  die  Klasse  der  Taleutpi-obe, 
Der  Lehrer  versnobt,  durch  adilichte  Proben  die  Masse  der  ihm  gegebenen 
Indhidnalititen  auf  gtOtere  Bubriken  nach  dem  Tilent  an  ordnen.  BOlsckie 
denkt  sich  das  meines  Erachtens  zu  einfach.  Selbst  ein  psychologisch, 
eminent  geschiüter  Pädagog  würde  hier  dio  größten  Soliwici-igkeiten  haben. 
Auch  die  einfachste  Artgrnppierung  dürfte  nx-ht  schwierig  sein.  Bölsche 
meint^  in  zwei  Jaliren  wäre  es  möglich,  die  Schüler  unter  die  immer 
wiederkehrenden  Rubriken  aufzuteilen.  Er  nennt  als  solche  das  mathe- 
matiscfae  Talent,  das  Talent  fttr  den  deutschen  Aufsatz,  das  Talent  für 
Zeichnen,  das  Talent  für  rein  tedmisohe  Fertigkeiten,  das  Spraefatalent. 
Wenn  man  sich  mit  der  B^gabiiiigBliheorie  genauer  beschäftigen  würde  — 
es  ist  das  ein  noch  sehr  wenig  wissenschaftlicti  V>oliainloltes  Gebiet  — , 
dürften  sich  sehr  bald  große  Schwierigkeiten  in  der  rielitigen  Klassifizierung 
herausstellen.  Erst  recht,  wenn  man  diese  so  früh  vornimmt,  wie 
Bölsche  wilL 

Für  alle,  die  mit  Professor  Zillera  Sdiriftaa  vertrant  sind,  ist  der 

BOlschesche  Vorschlag  nicht  überraschend.  Auch  Zill  er  meinte,^)  dafi* 
adum  in  der  allgemeinen  Erziehungsschule  (als  solche  sah  er  auch  die 
hf^here  Schule  an)  die  individueUo  Seite  des  Zöglings,  die  dem  Benife  zu- 
gewendet ist,  berücksichtigt  werden  müsse.  Von  dem  Zeitprmkt  an.  wo 
der  Zögling  anfängt,  sich  seiner  Individualität  deutlich  bewußt  zu  werden, 
woDte  Ziller  Nebenklassen  fftr  die  Spesialriohtangen,  denen  jeder 
zuneigt,  einfOhren.  In  den  h(9ieren  Sobnlen  soDe  dies  aber  spit  ge» 
schehen,  denn  eine  je  reichere  BOdoDg  ein  jeder  in  sich  ansammele,  desto 
spftter  schüefie  er  ab^  desto  langsamer  reife  er  einem  bestimmten  Berufe 


')  Vergl.  Dr.  Biirwald,  Tlieorie  dor  Begabung,  psycholop.-päd.  üntersuchuDg 
über  Existenz,  Elas.sifikation,  Ursachen,  Bildsamkeit,  Wert  and  Erziehung  mensch- 
licher Begabungen.   Leipzig,  Rei^land,  1S90. 

>>  AUg.  PM.  8.  Aufl.  1802.  (Just)  &  1B& 


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S18 


JCittoümiigos 


•entgegen.  »Die  Einrichttmg'  ist  aber  deshalb  allgemem  notwendig:  mn 
€0  weniger  wiitl  ciaiiu  die  Fa-hhildimg  in  die  der  Allgemeinbildung  ge- 
widmeten Uaaptklassen  der  Erziehimgsscliule  übergreifen  und  ihr  Abbruch 
ton,  um  flo  hem»  tmd  aber  dort  die  sp&tere  EMshbildiing  ▼oiteteitotc 
Auoh  Ziller  hatte,  wie  BOlsohe  eEtaumt»  dafi  die  Last  üntemoiili 
^bdurch  nicht  vermehrt  würde,  weil  die  Individualität  für  ihre  Tendeniai 
gar  ieiner  großen  Nachhilfe  bedarf.  Es  werden  schon  Anleitungen  zur 
Betätigung  der  eigenen  Kraft  genügen.  Der  Unterricht  auf  diesen  höchsten 
•Stufen  der  höheren  Schulen  soll  überhaujit  die  erweckte  und  nach  allen 
Seiten  regsame  Selbsttätigkeit  dee  Zöglings  nur  leiten,  und  damit  ist  auch 
der  Baum  und  die  Zeit  fftr  die  KebrnMiiwen  gfftcMhm.  Ziller  hat  i.  S. 
mskif  mm  er  dieae  BerOokakditignng  der  Begabaag  im  Ihtereaae  der  AB» 
Ipemembildung  möglichst  weit  hmaoBiilBQllieben  wünschte. 

Bölsche  gibt  auch  ein  genauer  ansgeführtes  Beispiel,  wie  er  sich 
Allgemein-  und  Talentbildung  vereinigt  denkt  Bei  ihm  ist  es  umgekehrt 
^ie  bei  Ziller.  Die  Tjüeutklasse  ist  die  Hauptklasse,  die  Allgemeinbildung 
geht  nebenher;  in  jener  liegt  der  Schwerpunkt  Aus  der  ProbekJasse 
<Seacte  and  Quinta)  werden  aehn  KiOpfe  anf  die  Gabe  dee  deotBohen  Alf- 
«atzes  gewählt,  das  aind  die  kftnftigen  SoiuillBteiDer  aUer  Art,  mit  Bb- 
schluB  der  Poeten.  Es  ist  die  bevorzugte  »deatsche  Klasse«;  sie  bleibt 
-es  bis  hinauf  zur  Prima.  Sie  erhalten  ihren  deutschen  Unterricht  für 
sich,  ihr  deutscher  Lehrer  ist  ihr  Ordinarius,  von  dem  alle  Entscheidungen 
über  Ansti^  in  höhere  Klassen  abhängen.  Hier  könnte  nuu  das  Vorzüg- 
Hohste  geleiatet  werden,  weil  die  Begabung  und  der  logisch  aus  ihr  eQt> 
springende  MwUIige  Fleü  Toriianden  aind.  Keben  den  Xfileatanden,  die 
kontinuierlich  durch  alle  Klassenstufen  das  eigentliche  Lemaentram  bflden, 
gehen  die  andern  Lehrstunden,  die  aber  jetzt  ausgesprochen  nur  der  All- 
gemeinbildung dienen.  Also  der  künftige  Benifsschriftsteller ,  Benifs- 
philologe,  Benifszeichner  haben  auch  gemeinsame  Matheniatikstnnden  nach 
einem  Lehrplan  mit  geringeren  Zielen,  als  die  et^'a  ausgesondert«3n  zehn 
Begabongamaliiematiker;  es  aind  mdir  Anregungsstonden,  aie  aind  von 
aekondärar  Bedeatong.  In  diesen  es  kein  Überhören,  keine  An»> 
wendiglenerai,  keine  Übersetzungen,  keine  HausanlgabeD,  aondem  viel 
Anschauung,  yki  gomsinaBme  LektOie^  viel  Anleitwig  som  TerstindigOB 
Lesen  u.  s.  f. 

Einen  weiteren  Vorteil  hätte  dies,  meint  Bölsche,  weil  dadurch 
auch  solche  Lehrer  zu  einer  echten  Ordinariusstelle  kämen,  deren  Berufs- 
liflle  jetat  nur  ein  gednktetes  Anhflngsel  im  Tiehrplan  waren,  s.  B.  der 
Zeiehwilehrer.  »Was  ist  Zeicbnen  für  eine  eminente  Brofknnstt  üad  wie 
hat  das  humanistiaoihe  Gymnasium  sie  und  ihren  Vertreter  stets  behandelt  !c 

Als  l'T)ergang  zu  dieser  höheren  Schule  der  Zuk^inft  könnte  das 
schon  jetzt  durchgefühi-t  werden,  daß  das  Fach  bei  allen  Zeugnissen  imd 
Versotzmigen  als  das  entscheidende  Fach  g^t,  zu  dem  einer  besondere 
Begabung  hat  Ausgezeichnete  Leistungen  in  der  Mathematik  müBten  alle 
spracUkhen  Uankos  kompensieren.  In  den  Fbten,  fOr  die  einar 
keine  Begabang  hat,  mflßte  einer  mehr  als  HbepitMit  gelteD,  bei  dem  ge> 
nllgt»  wenn  er  nnr  vaHOigi  und  allgamem  folgt  JedenbUa  kOnnto 


5.  Das  Prinzip  der  Preiwilli^ttt  in  der  Arbeit  der  höheren  Scholen  5X9 


aber  nur  vegon  der  Sch\neric:koit  des  gleichmÄßigen  Fortschreitens  des 
Gros  der  Schüler  mit  den  Eliteschülem  ein  Übergangsexperiraeut  sein 
\md  würde  in  logischer  Konsequenz  zu  Eliteklassen  der  einzelnen  Fftcher 
fOhraiL 

Die  skizzierte  Idee  hat  nach  BOlsche  zwei  Yorteilei,  einen  fOr  das 
ganz  Reale,  den  Exiatenskampf,  die  BenilB-  und  Brotfrage,  indem  sie  die 

vorhandenen  Bogabimgen  zeitig  nutzbar  macht.  Andrerseits  hebt  sie  das 
ethische  Niveau  der  Lernarbeit,  indem  sie  eine  ewige  Quelle  des  Mißlichen. 
Unfrohen,  Widerwärtigen  verstopft.  »Von  den  besten,  edelsten  Männern 
im  späteren  Leben  hört  man  die  ewige  Klage:  es  hat  miB  nlolits  genüM 
—  und  es  hat  uns  aufierdem  so  gequllt,  dafi  wir  heute  noch  in  der  Bp- 
innenmg  den  Dingen  von  damals  fluchen  wie  ein  ohnmäditiger  Sklave; 
das  ist  denn  doch  keine  nüchtom-praktische  —  und  es  ist  ganz  gewiß 
noch  weniger  eine  ethische  "Wirkimg.  Nur  wer  an  beiden  Stellen  bessern 
könnte,  der  dürfte  hoffen,  einen  branclil lai^en  Vorschlag  l)€'igebracht  zu 
haben.  Öchliüßlich  muß  auch  der  kom>ervativste  klassische  Philologe  zu- 
giebea:  im  Stadium  des  HienimdokleRis  sind  wir  heute  doch  einmal,  hier 
drucken  wir  uns  nicht  mehr  voihei.  So  mag  ein  YotscUag  mehr  auf  aUe 
EUle  ohne  Schaden  m  die  Masse  eingehen.« 

So  schließt  Bö  Ische  seine  gewiß  interessanten  Vorscliläge.  Wir 
sind  weit  entfernt  davon  zu  glauben,  daß  dieselben  schon  reif  wären,  in 
die  Pmxis  umgesetzt  zu  werden.  Al)er  ein  gesmider  Geilanke  liegt  ihnen 
zu  Grunde.  Wie  jetzt  in  der  Volksschulorgauisation  das  Mannheimer 
System  mit  seinen  mhigkeitHklafwen  zu  vielseitigen  Überlegimgen  in  der 
Achtung  geClUiit  hat,  daB  man  sidi  emstlich  ingte,  wie  man  die  biadi- 
liegenden  Kräfte  der  Begabten  besser  molnl  macban  könne,  so  muß  man 
auch  auf  dem  Gebiet  der  höheren  Schulen  es  nur  mit  Freude  liegrüßen, 
wenn  man  den  Gedanken  des  Prinzips  der  Freiwilligkeit  ernstlich  V>espricht. 
In  Nordamerika  kennt  man  bereits  tlas  Organisatiousprinzip  der  wahlfreien 
Fächer.  Alan  kann  Bölsche  darin  beistimmen,  dafi  es  fOr  den  FhiMogen 
wie  fflr  den  Malhematiker  eine  Qual  ist,  mit  unbegabten  Sdhflleni  zu 
arbeiten.  Beide  bedauern,  mit  denen  das  Ziel  nicht  erreichen  zu  können. 
Abel'  e<5  erheben  sich  Frasr^^n  aller  Art,  die  so  leicht  nicht  bcant«'ortet 
wenlen  können.  Zuerst  die  Hauptfrage:  Ist  wirklich  eine  einheitliche 
allirt  iueine  Bildung  nicht  mehr  möglich  und  muß  die  Differenzierung  schon 
auf  der  Schule  beginnen?  Diese  Frage  hat  bekanntlich  der  fi-ühere  Ein- 
heitsschulveiein  (Homemann,  Uhlig,  Friek,  EL  Schiller,  Ghistay  Richter, 
Lothar  Meyer  u.  a.)  vemeini  Dunsh  die  Bewegung  der  Beformschulen 
ist  diese  Frage  wiederum  lebhaft  in  den  Vordergnmd  gerückt  und  bejaht 
worden.  Durch  die  Dreiteilimg  der  höhei-en  Schiden  in  humanistische 
Gymnasien,  T?'^a.lgyranasien  und  <  )l.errealschulen  soll  den  verschiedenartigen 
Begabimgen  R'-clmung  getiugen  wei'den.  Bölsche  ist  der  Meinung,  daß 
dies  durch  diese  Organisation  nicht  in  genügendem  Mafie  g^hieht 
Übrigens  war  auch  hn  Einheitssohulverein  bereits  vorgeschlagen  worden, 
die  Schüler  später  in  ▼erschiedene  dmch  fakultativen  ünterricht  gebildete 
Abteilungen  zu  trennen,  welcher  Yoischlag  aber  als  dem  Einheitsschul- 
gedanken  zuwiderlaufend  iaUen  gelassen  wuide.  (Yergl  Bein,  Encyklopfidie 


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520 


Mitteilungen 


I,  779  und  V,  777.)  Dor  pomoinsame  Unterbau  der  3  Schulgattimgen 
würde,  wenn  allgemein  eiiigefülirl,  eiue  Artgruppierung  iin  Sinne  Bölsches 
ennöglichen,  aber  nicht  in  der  speziellen  Alt,  in&  dieser  will,  sondem  in 
einer  mehr  allgemeinea  Bilferenaenmg.  Soweit  daxf  die  Saohe  doch  wohl 
kaum  getrieben  Verden,  daß  schon  auf  der  höheren  Schule  für  einen  gani 
bestimmten  Benif  vorbereitet  wird.  "NVinl  abor  nicht  bei  dem  Verfahren 
Bülsches  das  Niveau  der  Allgemeinbildung  herabgedrüokt  woixlenV  Eher 
scheinen  uns  die  Bestrebungen  in  der  Bewegung  der  Refonuschulen  dem 
gesunden  Xern  in  Bölsches  Vorschlag  Rechnung  zu  tragen,  die  darauf 
hinansgelien,  den  gemeinsamen  ünterbaa  anf  6  Jahre  anssndehnen.  Dann 
würde  nur  der  Oberbau  sich  gliedern  in  3  Richtungen  durch  Aufnahme 
des  Griechischen  oder  des  Englischen  oder  duidi  stirkere  Betommg  der 
mathematisch  -  naturwissenschaftlichen  Fächer. 

Bölsche  genügt  aber  offenbar  diese  dreifache  Abzweigung  nicht,  er 
verlangt  Berücksichtigung  der  historischen,  technischen,  der  scliriftstelle- 
lischen,  der  kflnstienschai  ^eate.  War  liegen  noch  schwierige  Probleme^ 
die  aadi  erst  gelOst  werden  kOnnen,  wenn  die  WertsohitKang  der  BfldangB- 
elemente  eine  andere  geworden  sein  wnd.  Vorerst  sind  wir  noch  sa 
sehr  in  den  Vonirteilen  befangen,  die  wir  dnroh  unsere  eigene  Aas- 
bildung aberkommen  biUien. 


6.  Der  euglisclie  Unterricht  in  den  Volksschulen 

Hambargs 

Von  A.  Schwieker 

Als  im  Jalu-e  1870  der  hamburgische  Staat  die  Schulpflicht  einführte 
und  seine  ersten  Vollisschulen  einzurichten  hatte,  bestimmte  er  durch  das 
Uutenichtsgesetz,  daJi  in  den  Lehrphm  der  tnaljonschuleu  auch  die  eng- 
Ii  sehe  Sprache  als  obligatorischer  ünteEiichtsgegenstsnd  an%€noiiimen 
weide.  Durch  diese  Einiiehtong  wollte  er  wohl  in  erster  liafe  die  Be- 
dfirfnisse  des  Berufslebens  berlldodchtigai,  das  in  einer  so  bedeutenden 
Handelsstadt  wie  Hamburg  auch  von  den  aus  der  Volksschule  abgehenden 
Schfiloni  Kenntnisse  im  Englischen  fonleit.  Seit  der  Einfühnmg  des 
englischen  Unterrichts  sind  bei-eits  Jalirzchnte  vergangen.  Wohl  liat  die 
Oberschulbehörde  es  für  nötig  beftmden,  den  Lehrplan  der  Volksschulen 
KU  revidieren,  dodi  übenengt  yon  dem  Werte  des  enc^isdhen  üntemchts, 
hat  sie  dieses  Each  im  Plane  beibehalten. 

Unsere  Ejiabensohulen  beginnen  mit  dem  Erlemen  des  Englisdien 
im  fönften  Schuljahre  und  verwenden  darauf  in  der  dritten,  zweiten, 
ersten  Klasse  imd  der  Sclckta  je  vier  Stunden  wöchentlich.  Als  Ziel 
des  Unterrichts  bestimmt  der  amtliche  Lehi'plan:  »Die  Schüler  sollea 
bef&higt  werden,  englische  Lesestücke  ins  Deutsciie  zu  Qbeisetien,  leiditere 
Sprachstoffe  aas  dem  Dentschen  ins  Englische  zn  Obertragen  nnd  sich 
über  naheliegende  Dinge  in  englischer  Sprache  auszudrCkshen.«  Was  die 
Lehr  weise  anhingt,  so  hat  seit  einem  Jahrzehnt  an  die  Stelle  der  grara- 
matisierenden  Methode  die  Anschauungsmethode  treten  dfiifen.  Auch 


6.  Der  englische  Uutemoht  in  den  Yolksschuleu  iiauiburgs 


521 


für  den  fremdsin-achlichen  Unterricht  ist  der  Oninds<atz  niaßfz^ebond  ge- 
worden: -»Alles  Wissen  wurzelt  iii  der  Auscliauuiig.*  AVälueud  jene 
Methode  tqh  grammatiscben  Hegeln  ausging,  werden  jetzt,  besondeis  im 
eraten  und  zweiten  üntemohtejalue,  SpcaGhstHoke  (BeBGhreibiuigen)  anf- 
gebant  Diee  geschieht  unter  kräftiger  Beihilfe  der  Ansohammg  dnroh 
Bezeichnen  der  Teile  imd  Eic:cnscliaften  eines  Pin,c:es  am  •wirklichen 
Getjenstande  fxler  au  einem  Bilde  oder  einer  Zeiclmimg  und  durch  An- 
deuten der  Iliindlungen  nüttels  Darstellung  der  Bewegungen,  wenn  nötig, 
unter  Zuhilfenahme  der  Muttersprache. 

Nach  der  EntwieUnng  des  SpraohatfloikeB  werden  die  Benennungen 
fflr  die  TSti^eiten,  die  I^ge,  die  Eigenscthaften  UBW.  an  die  Wandtefel 
geedirieben  nnd  bei  dieser  Darbietung  in  Reihen  gebracht  d.  h.  nach  den 
Woi-tarten  geordnet.  Erst  nach  diesen  Vorbereitungen  wird  das  Lehrbuch 
zui'  Hand  genommen  mid  das  Stück  gelesen  und  übersetzt. 

Nachdem  die  Schüler  im  Lesen  und  Übersetzen  völlig  sicher  sind, 
beginnen  die  Übungen,  die  auf  ein  grOndüohes  Yeiurbeit^  des  Stoffes 
a])nelen:  RaokObersetzenf  Abfragen  des  Inhalts,  Wiedererzählen  und  Um- 
wandeln nach  Person  und  Zahl  und  spftter  nach  Zeit. 

Den  Schluß  bildet  die  ans  dem  bekannten  Lesestoffe  —  dem  letzten 
und  den  finiheren  Stdcken  —  herauBgearbeitete  grammatische  Belehrung 
und  ÜViung. 

Eine  erfrischende  Abwechslung  in  den  Sprachstoff  bringen  die  Er- 
sählungen. Auch  bei  ihrer  Beihandlung  heiAt  es,  nicht  vom  Fertigen,  wie 
das  Buch  es  bringt,  ausgehen,  sondern  den  Stoff  unter  Anwendung  der 

entwickelnden  Gesprächsform  anfbauen.  Neu  auftretende  Wörter  sucht 
der  Lehrer  durch  bekannte  zu  erkUren  oder  übermittelt  nOtigeofsUs  ihre 
Bedeutimg  durch  Verdeutschung. 

Dem  Unterrichte  wird  fast  an  allen  Knabenschulen  das  von  dem  Ver- 
fasser dieses  Artikels  herausgegebene  Lehr-  und  Lesebuch  der  eng- 
üsdien  Sprache^)  zu  Onmde  gelegt,  ein  Lehibuoh,  das  ans  der  Praxis  an 
unseren  Schulen  hervorgegangen  ist 

Bd  der  Behandlung  der  Sprachstoffe  wird  auch  dem  Gnmdsatz 
Rechnung  getragen:  »Die  Klarheit  stammt  aus  dem  Vergleich.«  So 
oft  wie  möglich  wird  die  sich  häufig  bietende  Gelegenheit  benutzt,  auf 
die  Verwandtschaft  des  Englischen  mit  dem  Deutschen  näher  ein- 
zugehen. Dies  geschieht,  denn  eine  Yergleichung  vermittelt  ein  tieferes 
Verständnis  der  Erscheinungen  der  fremden  Spraohe,  weckt  im  Sc&Hler 
ein  lebendiges  Interesse  an  denselben  und  untnstfttet  in  hohem  Qiade 
das  Gedächtnis  für  den  erlangten  Wortschatz. 

Ein  zweites  Mittel,  das  sehr  häufig  Veranlassung  zur  Yergleichung 
gibt,  wii-d  von  den  meisten  Kitllegen  auch  jetzt  noch  ziu-  Anwendimg  ge- 
bracht, es  ist  das  Übersetzen  aus  der  Mutterspiache.  Wenn  der  Schüler 


Lehr-  uod  Lesebuch  der  englischen  Sprache  naoh  der  direkten 
Ibtiiode.  Mit  mehieren  Abbikhmgen  und  einem  liedeianhaage.  14.  AulL  Him- 
bozg.  Yerlag  von  Otto  Meißner.  1,0011.  — >  Hferm:  »Methodische  Anleitung« 
(die  unent^tUch  abgegeben  wird). 


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522 


Mitteilungen 


sowohl  im  Erkennen  der  grammatisrheii  Können,  als  auch  im  selbständigen 
Bilden  einzelner  Formen  nach  durchgenummeucn  Regeln  geQbt  woiilen  ist, 
tritt  das  Übersetzen  auf  und  rwar  die  Übertragung  von  Stöcken,  die  aiSff- 
Hchst  sasBnmieiihBiigend  and,  aioli  fluem  Inhidte  nach  an  die  gegebensQ 
Stücke  anschließen  und  den  wa  edemendea  granmiatischen  Stoff  zur 
manniL''farhon  Anwendnng  bringen.  Diese  Übung  ist  ein  sicheres  Mittel 
zur  EinüTnmg  und  Befustigimg  der  grammatischen  Fonnen  und  Konstnik- 
tionen,  wie  auch  dos  Wortschatzes.  Sic  bietet  eine  sichere  Kontrolle 
darüber,  ob  tlas  zu  Eiiernende  richtig  vei-stauden  und  sicher  angeeignet 
wotdm  ist  und  ist  dämm  als  Prü&tetn  zn  echitawn. 

»Die  Ifeistenohaft  entstellt  diiroh  Übung.«  Dem  Ziraeke  der  Übung 
dienen  die  schriftlichen  Arbeiten.  In  der  Klasse  wird  fMfiig  naoh 
Diktat  und  aus  dem  Gedächtnis  niedergeschrieben.  Während  man  anfangs 
den  Sprachätoff  in  der  vorüegenden  Fassung  diktiert,  bietet  man  ihn  später 
in  mannigfach  veränderter  Form.  Als  eine  passende  schriftliche  Übung 
in  der  Klasse  hat  sich  auch  das  Diktieren  von  Questions  und  das 
antworten  deraelben  erwiesen.  Die  hfaaliolien  sduiftUohen  Aibeiten  sind 
recht  mannigbcher  Art  Sie  bestohsn  in  Abechreiben,  Bilden  von  Wor^ 
reihen,  kkintti  Umgestaltungen  nach  Person  imd  Zeit,  Beant^'orten  von 
Fragen,  Bilden  von  Fragen,  Anfertigen  leichtor  Aufsätze  nach  Angaben, 
in  in>ersetzen  und  grammatLschen  Cbungen.  Fih-  die  Uljei-stufe  hat  sich 
besonders  das  selbständige  Bilden  von  Fragen  im  Anschluß  an  den  be- 
luindeltea  Lesestoff  als  wertvoll  erwiesen.  Die  Schüler  lernen  die  fremde 
Spiaohe  fOr  das  Leben  pzaktisch  handhaben. 

Da  es  sich  bei  dem  in  Anwendung  gebraohtan  Unternohtsver&Lhreii 
häufig  um  ein  Aufbauen  imd  mn  ein  Mittim  von  seiten  der  Schüler 
handelt,  so  ilarf  gesagt  werden,  daß  sie  mit  Lust  imd  Liebe  bei  der  Sache 
sind.  Sie  lernen  hüivn  und  verstehen,  wie  auch  die  fremde  Sprache 
selbst  sprechen.  Da  der  Stoff  aus  dem  gesamten  Anschauungsgebiet  ge> 
wflUt  ist,  so  werden  sie  mit  dem  fQr  das  pmktiaoiie  Leben  Notwendigen 
ansgerflstet.  Wie  anch  andere  EoUegen  haben  erfshran  dflifen,  nimmt 
ein  Schüler  von  dniohschnitäicher  Begabung,  der  es  an  dem  nötigm  FleiS 
niclit  liat  felilen  lassen,  ein  gut  Teil  Englisch  mit  ins  Leben  hinaus.  Er 
win-de  befähigt,  leichte  Spnichstücke,  z.B.  Briefe,  in  denen  es  sich  um 
die  Mitteilimg  eines  Wimsches  oder  um  die  Darstellung  eines  Vorganges 
handelt,  zu  lesen  und  zu  übersetzen  und  sich  der  fremden  Sprache  münd- 
lich und  sdiriftlioh  su  bedienen,  wobei  es  sich  natOrlidi  nur  um  be- 
scheidene Leistungen  handeln  kann.  EaUs  das  Leben  hOhers  Anforderangen 
an  ihn  stellt,  so  kann  er  leicht  aeme  weitere  Ausbildung  veranlasse 

Hinsichtlich  der  Anforderungen,  die  das  Unterrichtsverfahren  an 
den  Lehrer  stellt,  ist  zu  bemerken,  daß  die  Behandlung  der  Spcaohsfeoiffe 
eine  gründliche  Vorbereitung  erfordert 

Zu  den  wesentlichen  Bedingungen  für  den  Erfolg  des  ünter> 
ridits  gehören,  wie  die  ürfshiung  gelehrt  hat,  die  siohere  Aneignung  der 
behandelten  Sprachstficke,  femer  die  häufige  Wiederhohmg  des  durch- 
gearbeiteten Stoffes  und  endlich  die  regelmäßige  Übung  in  der  schrift- 
lichen Darstellung,  die  wonLOglich  am  Schlüsse  einer  jeden  UntenichtB> 


6b  Der  en^isoho  Unterzioiit  in  dea  VidkasolralMi  HambiugB 


523 


sümde  anznstellen  ist.  Es  gilt,  alte  ErfahnrngssÄtze  zn  behor^it^n  \m<\ 
fleißig  zu  befolgen:  Eile  mit  Weile!  —  Ropetitio  mater  est  stadionim 
und  NuUa  dies  sine  linea!  (Kein  Tag  ohne  Federstrich!) 

Der  Erfolg  des  Untcnichts  wird  gänzlich  in  Frage  gestellt,  wenn  die 
Klasse  ans  minderwertigen  Scfafllem  «wamtMingesetrt  ist  Darum  sollte 
an  einer  Schule,  die  obtigstonsdiea  üntemdii  in  einer  fremden  Spiaohe 
liat,  von  Klitöse  za  Basse  scharf  versetzt  werden. 

Es  soll  nicht  unerwähnt  bleiben,  daß  einige  Kollegen  auch  die  von 
dem  Professor  Gouin  enlachte  »Serienmethodo«  in  Anwendung  bringen 
und  bei  ihrem  Unterrichte  die  von  dem  hiesigen  Koliken  Höft  heraus- 
gegebenen »Englischen  Serien«  benutzen.  Bekanntlich  handelt  es  sich 
bei  der  SenemneChode  nm  die  Daiateillimg  von  Yorgftngen.  Sie  ledflgt 
einen  Vorgang  in  EinzeUumdlmigen,  reiht  sie  mit  Rücksicht  auf  die  zei^ 
liehe  Folge  aneinander  und  begleitet  die  T&tigkeiten  mit  subjektiTen  Äuße- 
rungen des  Wohlgefallens  oder  Mißfallens,  der  Zustimmung  o<Ier  Ab- 
neigimg  usw.  Auch  bei  dem  Unterricht  nach  der  Anschauungsmethode 
handelt  es  sich  neben  Beschreiben  von  wirklichen  Gegenständen  und 
Bildem  manfhmal  vm  die  Darstellung  eines  Vorganges.  Für  die  Daiv 
Uetong  eines  soldien  dOifte  es  sich  empfehlen,  naoh  der  Weise  0oninB 
Reihen  zu  bilden.  Jedoch  einng  und  allein  Serien  zu  behandeln,  dürfte 
nicht  gut  zu  heißen  sein ;  denn  auch  in  Bezug  auf  das  Unterrichtsver&diren 
heißt  es:  Variatio  dolectat.  Die  ganze  Grammatik  in  fremder  Sprache 
zu  lehren,  wcnleu  gewiß  die  meisten  Kollegen  mit  mir  nicht  für  ratsam 
halten.  Abgesehen  davon,  daß  eine  derartige  Übermittelung  zeitraubend 
und  schwierig  sein  wflrde,  hat  andh  die  Kenntnis  der  fremden  grun- 
madsofaen  Boeiöhnangen  für  das  praktische  Leben  gfr  keinen  Wert 
(Vg^  meinen  Artikel  an  der  Serienmethode:  Pädagogische  Befonn  Nr.  2, 1901.) 

Bisher  ist  nur  von  dem  englischen  Unterricht  an  unseren  Knaben- 
schulen die  Rede  gewesen.  Es  gereicht  mir  zur  großen  Freude,  mitteilen 
zu  können,  daß  auch  an  manchen  unserer  Mädchenschulen  die  eng- 
lische Sprache  gelehrt  wird  und  zwar  fakultativ.  In  einer  Beurteilung 
meiner  »Methodischen  Anleitung«  zu  dem  von  mir  herausgegebenen  Lehr- 
bnche  äufiertsich  ein  HiaapÜehrer  einer  hiesigen  Mädchenschule:  . . .  »Isäi 
bedaure,  daß  das  Englische  dem  Lchrplan  der  Midchenschulen  fehlt  Wenn 
auch  die  Resultate  im  Englischen  bescheiden  sind  und  sein  müssen,  so 
ist  dabei  nicht  zu  übersehen,  daß  einerseits  dieser  bescheidene  Anfang 
sich  später  oft  als  recht  nützlich  erweist,  daß  andrerseits  die  geistige 
Schulung  sowie  der  Gewinn  für  das  Deutsche  sehr  wertvoll  ist  . . . 
(Hambnrgisdie  Schnlaeitang  Nr.  61,  1903.)  In  nSchster  Zeit  wird  anoh 
die  OberschalbehOrde  sieh  mit  der  Frage  der  EinfQhnmg  des  «ngliBAhnn 
Unterrichts  an  unseren  Mädchenschulen  beschäftigen. 

Einige  unserer  Knal>enschulen  bieten  ihren  guten  Schülern  in  den 
It'tztt^n  beiden  Schuljahren  auch  noch  französischen  Unterricht.  Tn 
uiiücrm  Lehrplan  heißt  es:  »Soweit  es  die  Verhältnisse  gestatten,  hum 
anoh  ünterrioht  in  der  franaOsischen  SpcMhe  erteAt  trecden,  jedoch  vi 
in  jedem  einaelnen  EUle  die  aaadrfiokliQlie  Oepehmignng  der  Obeiscliiil- 
behArde^  Sektion  für  daa  Volkssohnlweeen,  «rCoiderlioh.« 


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524 


Ifitteaviigea 


Fragen  wir  uns,  wius  die  AuinaJime  tlieser  Bestimmung  in  den  Lehr- 
plfltt  TenuüaSt  bftben  mag,  so  haben  irir  -wohl  nicht  aUein  an  den  Kirtieii 
für  das  BeruÜBlebea  zu  denken,  sondern  auch  an  die  andern  grofien  Vor« 
teile,  die  jeder  fremd spi achliche  Unterricht  gewährt.  Das  Er- 
lernen einer  fromtlcn  Sprache  fördert  in  hohem  Maße  die  Verstandes-  \hkI 
die  Willensbilihmg  und  ist  darum  ein  hervorragendes  Mittel  formaler 
Bildunpr.  Es  entsprielit  auch  dem  lu^sonderen  Cliaiukter  der  i^ehobenen 
Volkssclude  j  denn  es  hilft  deren  wichtige  Aufgabe  lösen,  die  Muttersprache 
za  pflegen.  Der  Yorwnif,  daft  die  Eilemong  der  fremden  Sprache  den 
ttbrigen  Untenrioht  beeintrfiahtige,  mnfi  sarOökgewiesea  ireiden.  Dmoh 
sie  winl  \-ielmehr  ein  Gleichmaß  formaler  und  mateiialer  Bildung  herW- 
gefrdirt.  Ziu-  Bestätigimg  des  Gesagten  mögen  einige  Urteüe  dienen. 
Aug.  Horm.  Niemeyer  sagt  in  seinen  »Giimdsätzen  der  Erziehimg  und 
des  Unterrichts:«  »Nichts  beföi-dert  und  konzentriert  die  anhaltende  Auf- 
merksamkeit und  den  unermüdlichen  Fleiß  so  sehr  und  gibt  soviel  Ge- 
legenheit, scharf  anzumerken  und  Schwierigkettsn  dnroh  Anadaner  m 
fiberwinden,  als  die  zur  Erlernung  emer  fremden  Sprache  erforderlichea 
Übungen.«  In  seiner  »Allgemeinen  Pädagogik«  führt  Waitz  aus:  »Bei 
der  Eilommig  der  fremden  Sprache  wird  das  Fremde  fortlaufend  an  das 
angekni'nift  imd  mit  dem  verglichen,  was  die  Muttersprache  bietet.  Da- 
durch tritt  erst  die  Muttei-sprache  selbst  in  ihre  einzelnen  Teile  mit  aller 
Dentlichhfiit  aoaemander.  IMeaer  6ewinn  für  die  Hntterspracba  ist  nicht 
gering  ansnacfalagen.  Sie  wird  in  ihrer  EigentOmlichlrait  erst  durch  das 
soigfältige  Vergleichen  richtig  erkannt.«  Und  deshalb  geht  Palmers 
Meinung  in  seiner  »Evangelischen  Pädagogik«  dahin:  »"Wir  halten  es  für 
unentliolirlicli.  daß  eine  fremde  Sprache  gelehrt  wird,  weil  an  einer  fremden 
Si)raciie  am  besten  sich  der  Sprachverstand,  am  Übersetzen  auch  der  Aus- 
di-uck  in  der  Muttersprache  bildet« 

HOge  dämm  sich  der  Wimsoh  TerwirUiGhen,  dafi  recht  vieto  ToÜDi- 
sdinlen  gehohener  Art  eine  fremde  Sprache  je  nadi  den  YeriiUtniasen  als 
ohligatorischen  oder  als  &kultativcn  Untenichtsgegenstand  in  ihren  Lehr- 
püan  einreiheD  und  sie  mit  gatem  £rfo]g  tarn  Segen  der  Schfller  khrenl 


7.  Bericht  über  die  talgarisohen  Lehrersemiiiare 

(staatspfidagogisolieii  Sohnlen)  fflr  das  SohiUjalir 

1908A904 

Von  Dr.  W.  Nikoltschoff,  Sofia 

AVio  ich  in  meiner  Abhandlung  über  das  bulgarische  Schidwesen 
(Encyklopädisches  Handbuch  der  Pädagogik,  2.  Bd^  2.  Hälfte)  ausführlich 
dargestellt  habe,  sorgen  fOr  die  AnshOdnng  der  Volkssehnllehier  in  Bol* 
garien  hanptsflchlich  die  seit  Jahren  besteh^den  Lehreneminare  (aMs- 
pldagogischen  Schalen)^  Solche  gibt  es  in  dem  ganzen  Lande  5,  und 
zwar  4  in  Xord-BulLTirien  (Küstendil,  Schumen,  Lom  und  Süistra)  und 
1  in  Süd- Bulgarien  (Kasanlik).    Jedem  Lehrerseminar  ist  angegliedert: 


7.  Bericht  über  die  bulgarischen  Lehrerseminare  usw.  525 


1.  Eine  Yolksschiile  mit  4 jährigem  Kursus,  welche  gewöhnlich 
»Übungsschule«  genannt  wird,  da  in  ihr  die  Seminaristen  hosjjitien^n  und 
unterrichten.  Jede  Xlasse  dieser  Schule  wird  von  einem  besondci-en  Lehrer 
geleitet 

2.  Eme  daiaoffolgende  dreiklassige  Bürgerschule,  welche  als  gemein- 
flame  Gnmdlage  aller  höheren  Sdhulen,  also  aodi  dee  Lehrerseminars,  gilt 
Für  die  Schüler  der  Bfligerschnle  besteht  kerne  Verpflichtung,  imbedingt 
in  das  Seminar  oiir/utreten;  dieses  rekrutiert  aeme  Zöglinge  ans  allen 

Bürgerschulen  lU's  Landes. 

Die  Angaben  für  «las  Schuljahr  1903/04,  die  ich  den  liCsem  dieser 
Zeitschrift  vorzulegen  beabsichtige,  beziehen  sich  wie  auf  das  Seminar 
ebenso  anch  auf  den  Unterbau  (die  Volks-  und  BOigerschule),  der  mit  ihm 
eine  organisch  verbindende  ESnhdt  darstellt 

A.  Nach  dem  Verlauf  der  grofien,  zweimonatlißhen  Sommerferien 
(Juli  und  August)  hat  das  neue  Sdiuljahr  (1903/04)  dem  Gesetze  gemflB 
am  25.  August  (alt.  St)  begonnen.  Vom  25.  August  bis  zum  I.September 

fanden  die  Anmeldimgen,  um]  die  Aufnahme-  und  Wi(]^lorholimgs-(Besse- 
mnp>-)Pn'ifimgen  statt.  WiUiivnd  dos  ganzen  Schidjalire^>  ist  dvr  Tnlcr- 
richt  in  allen  Lehrerseminaren  regelmäßig  und  ohne  jede  Störung  ge- 
gangen, und  mit  Hitie  Juni  abgeschlossen. 

B.  Am  £nde  des  Schuljahres  irirkten  in  allen  LehreFseminaren 
136  Lehrer,  von  denen  116  den  üntemoht  in  der  dreUdassigen  Schule 
und  in  dem  Seminar  selbst  erteilten  und  20  die  Klassen  der  Übungs- 
schulen leiteten«  Dem  Alter  nach  verteilen  sich  alle  Lehrer,  ^e  folgt: 

Jm  Alter  von  20 — 25  Jahren  ...    4  Lehrer, 

„  „  „  26 — 30  „  ...  36  „ 

II  »  »  3^  n  ...  4.3  „ 

n  n  »1  n  ...  26  „ 

„  „  „  40-45  „  ...  20  „ 

»  jt  1»  45    50  „  ...    4  „ 

„  „  über  50  p  .   .   .    3  „ 


136  Lehrer. 

Daraus  ist  ersichtlicli,  daß  die  Mehrzalü  der  Lehrer  sich  in  dem  Alti^r 
vom  25. — 45.  Lebensjahi-e  l^efindet  imd  mit  einer  frischen  Tatkraft  aua- 
gerüstet sind,  die  der  Schularbeit  zu  gute  kommt. 

Als  ordenüidie  Lehrer  an  den  Lehrerseminaren  und  den  dazu- 
gehörenden Bfirgerschulen  werden,  wie  auch  an  den  Gymnasien,  nur 
solche  Personen  ernannt,  die  eine  höhere  Schule  (Gymnasium  oder  Lehrer- 
seminar) imd  dann  die  Univei-sitüt  absolviert,  und  nach  einjUhnt^'ein  Dienst 
das  Staatsexamen  abgelegt  hal>en.  Die  onlentliclien  Lehrer  werden  auf 
Gnmd  der  Dienstdauer  in  drei  Stufen  oder  Hassen  eingeteilt.  Die  Kandi- 
daten für  ordentliche  Lehrer,  d.  h.  solche,  welche  das  Staatsexamen  noch 
nicht  bestanden  haben,  heifien  »neuemannte  Lehrer«.  Auflerdem  gibt  es 
nodi  eine  Aniahl  »provisorische  oder  aufierofdenttichc  Lehrer«,  die  ent- 
weder Obeibldbsel  frOherer  Einrichtung  der  höheren  Schulen  smd,  oder 


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52e 


die  geforderte  Vorbildung  nicht  besitzen.  Nacii  dieser  Teilung  ordnen 
flioh  die  Lohrer:  1.  OzdentUche:  a)  L  (die  hiOGliflto)  Stofe:  28  IL  St: 
32  L.,  nL  St:  15  L.;  b)  Neoeniaiinte  29  L;  2.  FtomniBdie:  42  L. 
Ca.  13G  L.  DcrBüdung  nach  Btellen  die  Lehrer  an  den  Lehieraenmiven. 

folgendes  Bdd  dar: 

1.  YoUsttndige  ahadomiBfihe  and  vollständige  hdheie  BQduag.   .  53 

2.  „  „  unvollständige     „         „      .    .      9  „ 

3.  Unvollständige      „  „    vollständige      „         „      .    .      8  „ 

4.  Vollständige  „  „  imvoUständigo  „  „  .  .  3  „ 
6.        M        höhere  (GymnaBiBl-  oder  Seminai^)       „     .   .   83  „ 

6.  ünvQUsttadige  höhere      „  „  „     .   .     5  „ 

7.  Itehlehrer  (Zeiofanen,  Hooiidazbeit)  Turnen)   .   25  „ 

136  L. 

Zirni  Verständnis  dieser  Zusammenstellung  mflssen  inr  bemerken, 
daß  in  ihr  alle  Lehrer,  also  auch  diejoniiron  an  der  Übiuigs-  und  Bürgep- 
Bchule  inbegriffen  sind,  Cranz  andern  Eindruck  bekommen  wii-,  wenn  vnr 
nur  die  Tichi-cr  an  dem  Seminar  ins  Auge  fassen;  dann  treffen  wir  in 
der  Regel  niu-  akademisch  ausgebildete  Lchi-er. 

Die  Mehnahl  der  Lehrer  ecfreoen  sich  einer  guten  Schulpraxis,  vie 
dies  aus  den  iolgenden  Zifiecn  zn  enMthen  ist: 

Unter  5  Diensfjahze  haben.   ...   29  Lehrer, 
5—10       „  „    ....    35  „ 

10—15       „  „    ....    43  „ 

15—20        „  „    ....    20  „ 

20~~25        ,f  )j    •    .    •    •  8 

Über  25       „  »    •    •    •    •     1  „ 

13G  Lehrer. 

Dem  Gesetze  nach  muB  jeder  Lehrer  18 — 24,  die  Dii-ektoren  6  bis 
12  üntenichtsstanden  wöchentlich  erteilen;  doch  finden  oft  Abweichungen 
davon  (es  werden  gewisse  Erleichterungen  den  Spiaohlehreni,  den  Auf- 
sehen und  den  Klassenlehrern  gemacht),  so  daß  die  Duiubschnittszahl  der 

w5chcnthchQn  Unterrichtsstunden,  die  jedem  Lehrer  zufallen,  17,6  Stunden 
beträgt.  Trotzdem  ist  der  Beruf  m\cs  bulgarischen  Seminarlchrei"s  nicht 
allzu  leicht  zu  bezeichnen  und  deshalb  hört  man  von  allen  Seiton 
Beschwerden  und  Verlangen  nach  einer  Minderung  der  obligatorischen 
Unterrichtsstunden,  die  jeder  Lehrer  wöchentlich  erteOen  muA. 

G.  Über  die  I^uenz  der  SchiUer  wShrend  des  Schuljahres  1903/04 
in  den  bul  tjmrischonTiohrprscminaren  läßt  sich  folgende  Tabelle  zusammenstellen: 


Ansahl  der  SdiQler 

in  der 

Übungs- 
sohule 

in  der 
drei- 
klassigen 
Sohnla 

in  dem 
Semin&r 

Zu- 
sammen 

1.  im  Anfange  des  Schuljahres  .   .  . 

2.  «m  Ende  des  Sohnljahies  .... 

633 
691 

1316 
1161 

752 
728 

2701 
2475 

7.  Bsriolit  fibw  dto  UlgHiMlMii  Lahranoninare  usw. 


527 


Ana  dieser  TabeiDe  eigibt  sich,  dsfi: 

1.  die  Zahl  der  his  znni  Ekide  des  Sdraljahres  geiblieibenen  Sdilller 
2475  oder  91,63%  beträgt; 

2.  die  Zalü  der  wShrend  des  Sohuljahies  ansgeferotaneii  Sohfllar 

226  oder  8.37  7o  beträgt. 

Beti-achten  wir  von  die^^er  Seite  die  drei  verseliiedenen  Schnl- 
gattungen  (Abteilungen)  des  Lehrerseminars  gesondert  voneinander,  so  be- 
kommen  vir  folgende  Angahen: 

1.  Die  Anzahl  der  Us  som  Ende  des  Schuljahres  gebMebepen.  Sdifller 
beträgt:  a)  in  der  Übiingsschule  591  (93,37%);  b)  in  der  dreiUaflsigeQ 
Schule  1161  (88,22%);   c)  in  dem  Seminar  723  (96.14%). 

2.  Die  Anxahl  der  während  des  Schiüjahres  ausgetretenen  SchflJer 
beträgt:  a)  in  der  Cbungsschule  42  {6,33%);  b)  in  der  dreiklassigen 
Schule  155  (11,78);  c)  in  dem  Seminar  29  (3,86%).  Die  Ursachen, 
irdohe  die  erwähnten  226  Schüler  Tecanlafit  hieben,  die  Schule  frahseitig 
za  Terbasen,  sind:  Aimnt  68  Schiller  (2y62%\  JütaoikbiÄt  27  Schiller 
(1%),  ansgewif^sen  aas  der  Sehlde  wegen  Übertretung  der  Schidoninimg 
12  Schüler  (0,44  7o)i  versetzt  in  andere  Sohulon  65  Sdinior  (2,41%), 
gestorben  2  S<^'hnler  (0,07%),  unbekannte  Ursachen  52  Schiller  (1,93  7o)- 

Aus  der  Vergleichung  der  An?iahl  der  Schüler  mit  denen  der  Klasseu 
und  der  Lehrer  ergibt  sich: 

1.  Die  Dorchsdinittszahl  der  Schfiler  in  jeder  Klasse  beMgt  80,55. 

2.  Auf  jeden  Lehrer  kommen  18,20  SchfUer. 

Als  Schüler  in  den  Lehrerseminaren  kutanen  nur  bulgarische  Unter- 
tanen aufgenommen  werden  ohne  Rücksicht  auf  ihre  Nationalität  und 
Konfes.sion.  Doch  bilden  die  Bulgaren,  welche  in  der  Rccrt-'l  dor  criechisch- 
kathoiischen  Konfession  angehören,  die  überwiegende  MujuiiUit  und  geben 
diesen  Sehnlen  eän  echt  nationales  Gepräge.  Der  Naticmalittt  nadi  verteilen 
sich  die  SohOler  folgendermafien:  Bnlgaren  2602  (96,84  7o);  ^^^den  61 
(2,26 7o);  Armenier  16  (0,59 »/o):  Türken  6  (0,22%);  ariechen  6  (0,22%); 
Rumänen  2  (0,07%);  andere  Nationalitäten  8  (0,30%).  Nach  der  Kon- 
fession: Griechisch-katholisch  2601  (96,30 »/o);  römLsch  -  katholi.^ch  5 
(0,18  7o);  Protestanten  11  (0.41%):  Juden  61  (2,26%);  Gregorianer 
(Armenier)  16  (0,59  7o);  Moliammc^laiicr  7  (0,26%). 

Die  QffentUchen  PrOfungen  am  Ende  des  Sänljahres  sind  in  Bal- 
garien beseitigt,  doch  spielen  die  Zensoren  immer  mehr  eine  viohtige  Bolle 
bei  der  Bestimmung  und  Feststellmig  der  Endergebnisse  von  der  Arbeit 
des  Schülers.  T'm  dies  zu  erreichen,  ist  jeder  Lehrer  verpflichtet,  im 
Laufe  des  Schuljahres  mindestens  4  Zensuren  zu  stellen,  von  denen  tliö 
arithmetische  Mittclzalil  als  cntlgültige  Zensui'  gilt  Hat  der  Schfller  in 
jedem  Fache  genügend,  wird  er  ohne  weiteres  in  die  nächste  höhere 
Klasse  Tersetzt,  sonst  muß  er  dieselbe  Kiasse  noch  ein  Jahr  wiedelholen. 
Ansnahme  wird  gestattet,  wenn  der  SchiUer  höchstens  in  zwei  Fächern 
luigenflgend  hat;  dann  muß  er  nach  den  Ferien  sich  der  Wiederholungs- 
(Bessenmgs-)Prüfimg  unterziehen,  deren  Erfolg  entscheidet,  ob  der  Schüler 
in  die  nächste  IQasse  versetzt  wei-den  muß,  oder  nicht.  Diese  Klassi- 
fikation der  Schüler  kann  uns  als  Maßstab  zur  Beurteilung  des  Erfolges 


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528 


lOttoflongm 


und  des  lleiBeB  der  SdilUer  dienen.  In  dieser  Beiieluing  weist  das 
Sohiiljihr  1903/04  folgende  Eiigelniisse  anf :  65,67%  veiden  dme  wettareB 

in  die  nächste  Klasse  veisetzt;  2  7,36  %  mflsaen  nach  den  Forion  sich 
der  Wie(lerholimgs-(Bessenmg8-)Pr0fung  imterzichen,  niid  1G,97°  (,  bleiben 
in  derselben  Klasse.  Der  Kursus  des  Seminars  winl  mit  einer  Reife- 
prilfuüg,  die  unabhängig  von  dem  Staatsexamen  ist,  geschlossen.  Die  Er- 
gebniase  von  dieser  PrQfusg  für  1903/04  sind:  153  SchQIer  (62,45%) 
haben  die  PrOfong  j^OcUich  bestanden;  47  Schfller  (19,18  7o)  müssen 
Wiederholungsprüfung  machen,  und  45  Schüler  (18,37%)  sind  durch- 
gefollen.  Es  wäre  für  manche  Leser  vielleicht  interessant,  wenn  wir  hier 
die  Themata  iiV>or  Bidgarisch  und  Pädagogik  angeben,  welche  die  Abi- 
torienten  seliriftlieh  ausarbeiten  müssen. 

L  Bulgarische  Sprache  und  Literatur:  1.  Iwan  Wasoff^) 
als  Lyriker  nnd  Iknelier  der  Hennwaehaenden  (Lehierseminar  in  Ktetendil); 
2.  Chavalcteristik  der  periodiseihen  Literator  vShrend  unserer  National- 
kämpfe  (Kasanlik);  3.  Wir  erziehen  nnd  lernen  ims  auch  nach  der  Schule 
(Lom);  4.  Cliarakteristik  des  Lehrers  Tscliakaloff  in  dem  Roman  »Die 
Königin  von  Kasalar*  von  Iwan  "Was off  (Schumen);  5.  Die  Bedeutung 
Lüben  Karaweloffs^)  für  die  buljtrarisclie  Literatur  (Silistra). 

iL.  Pädagogik:  1.  Das  Beispiel  als  Erziehungsmittel  (Kibteudü); 
2.  Der  Lehrer  ist  ver^lklitet,  inuner  auf  seine  Selbstbilduug  zu  arbeite, 
welche  Mittel  nnd  Wege  stehen  ilim  aar  Verffigung,  und  wie  soll  er  sie 
ausnutzen  (Kasanlik);  3.  Vor-  und  Nachteile  der  privaten  und  QffenÜichen 
Erziehung  (Tjom) ;  4.  Mein  Ideal  als  künftiger  Lehrer  (Schumen); 
5.  Cliarakterbildung  durch  Schule  und  Gesollsrhaft  (Silistra). 

Die  Ordnimg  in  allen  Lehrerseminaren  i.>t  \välireud  des  ganzen  Schui- 
jalu-es  aufrechterhalten,  ohne  jede  Störung  des  Cuterrichts  imd  ohne 
wichtiges  Übertreten  der  Soihulreglemeints  seitens  der  Schflier.  Die  Lehrer 
und  die  Direktoren  aber  sind  davon  nicht  ganz  snirieden,  denn  es  beziefat 
sich  bloß  auf  das  Betragen  in  der  Schule,  nicht  aber  auf  die  Gesinnung 
dt  r  Schüler  und  auf  das  Betragen  außer  der  Schule,  wo  die  ungünstige 
Einwirkung  der  rmpebnng  immer  fühlljaicr  winl.  Als  Hilfe  dazu 
wird  von  vielen  Seiten,  auch  von  manchen  Direktoren,  die  Gründung  der 
Internate  und  die  Besserung  des  Lehrerpersonals  empfohlen. 

Alle  Lehrerseminare  samt  den  dazugehörenden  Ubungs-  und  BQrger* 
schulen  werden  von  dem  Staate  unterhalten;  die  Gemeinden  beteiUgoi 
sich  daran  nur  mit  einem  geringen  TeiL  Die  Ausgaben  für  die  Unter- 
haltung der  Lehterseminare  während  des  berichtenden  Schuljahres  be- 
ti^agen: 

1.  Für  Gehälter  der  Lehrer  und  der  Bedienung  342  754,70  Fr.; 
2.  fttr  Beleochtong,  Heizung  usw.  6968  Fr.;  3.  fOr  M(Sbel  usw.  4322,72  Fr.; 
4.  für  Lehrmittel,  Bflcher  und  Zeitschriften  6087,08  Fr.;  5.  fOr  Miete 
der  Privatgebäude  3000  Fr.;  6.  für  Schullandwirtschaft  1000  Fr.:  7.  für 
Unteriialtung  der  meteorologischen  Stationen  690  Fr.;  insgesamt364812,50Fr. 


')  Der  angesohcndsto  heutzutage  bulgarische  Schriftsteller  und  Dichter. 
*)  Schhftstoller  uad  Dichter  zur  Zeit  der  Befreiungskämpfe. 


8.  Dritter  Knosterziefaniigstag  in  flambaig 


529 


Vergleichen  wir  diese  Summe  mit  der  Anzahl  der  bis  zum  Ende  des 
Schidjalu-es  gebliebenen  Schüler  (2475),  so  ergibt  sich,  daß  für  jeden 
Schüler  147,40  Fr.  ausgegeben  werden. 

Der  Besodi  der  ubungssdnild  und  des  Seminais  ist  nnentgeltUcli, 
die  beniittolten  Schüler  der  dreiklaSBigen  Schule  aber  besahlen  jfihilich 
8  Fr.  Schidtaxe,  von  der  ein  Drittel  zur  Unterstützung  anner  Schiller, 
ein  Drittel  für  Bücher  und  ZoitsdiHften  und  oin  Drittel  zur  Fnrdenmg 
der  Lehrer  in  ihrer  wissenschaftlichen  Tätigkeit  und  für  Schulreisen  ver- 
"Ä'endet  wird. 


8.  Dritter  Ennsterziehnngstag^)  in  Hamburg 

am  13.,  14.  und  15.  Oktober  1905 
Musik  und  Gymnastik 

Zur  Beratung  gelangen  folgende  Punkte: 
Erster  Tag:  Freitag,  den  13.  Oktober  1905. 

1.  Musik  und  QjmDaslSk.   Direktor  TtoL  Dr.  Lichtwark-HiBmbiirg. 

2.  Musikpflege  im  Hansa   Dr.  Richard  Batka-Prag. 

3.  Der  Schnlgesang  alB  Bildungamittel  des  kOnBtteneohffli  Geechmackea. 
ITeinr.  Johannsen-Kiel. 

4.  I>i '  Jutr.  nd  im  Konzert  und  in  der  Oper.    Prof,  Dr.  Richard 
Barth-JJamburg. 

5.  Das  musikalische  Genießen.   Prof.  Dr.  Karl  Groos-Giellen. 

Zweiter  Tag:  Sonnabend,  den  14.  Oktober  1906. 

1.  Der  Einfluß  der  Gymnaetik  auf  die  Entwiddung  des  KOrpers. 

SanitÄtsrat  Dr.  F.  Schmidt -Bonn. 

2.  Spiele  und  Tolkstflmliche  Übungen.   Lehrer  Julias  Sparbier* 

Hamburg. 

3.  Schwimmunterricht  in  der  Schule.    Schuliuspektor  H.  Fricke- 
Eamburg. 

4.  Der  Tanz.   Referent  noch  unbestimmt 
Dritter  Tag:  Sonntag,  den  16.  Oktober  1906. 

öffentliche  Vorträge: 

1.  Musikalische  Kultur.   Prof.  Dr.  H.  Cornelius-München* 

2.  Bedeutung  der  Leibesflbung  in  der  tefhetisohen  Erziehung.  Tum* 
Inspektor  Karl  HGller-Altona. 

3.  Unsere  Kunsterziehungstage.    Lehrer  und  Redakteur  des  »Sfte- 
mann«  Carl  Götze-I^mbuig. 


^)  Über  don  ersten  Kunsterziehungstag  berichtet  das  "Werk:  >Knnsterziehung; 
Ergebnisse  und  Anre^nin^en  des  Kunstorziehungstages  in  Dresden  1901,*  Preis  1  M, 
über  den  zweiten  Kuuäterziebungstag:  >Kausterziehaug;  Ergebnisse  des  zweiten 
Ennstorsiehiuigstages  in  Weimar  1903«.  Ptetg  1,25  M.  Leipzig,  B.  YoigUBnden 
Verlag. 

ZrftMhilft  fOr  FhOoMplii«  ud  FIdNgogik.  12.  Jikignff.  34 


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530 


Mitteilangen 


9.  Pftdagogisoher  FMloiikiin  in  KlTolihnfm-Teok 

7.  Ut  12.  ingut  1905 

I.  Die  Selbst-  und  WiaUanschaiiimg  des  Emdes  erwdtert  und  ver- 
edelt durch  den  Religionsunterricht,    Pfarrer  Jung  in  Olbronn. 

n.  Die  Teclmik  des  Sprechens  und  deren  Bedeutung  fOr  deaSdml- 
unterricht.    Mittelschullehrer  Wagner  in  Eßlincren. 

HI.  Die  Naturgeschichte  und  die  Pflege  deü  ISatursimis  in  der  Vdks- 
«dudA.  Sohnlldm  Werner  in  TObingoii. 

IV.  Die  Grondlagen  eines  entwickebid-eroeliflnden  üntenidits.  Sohid;- 
lehrer  Jetter  in  Kirchheim. 

V.  Zur  Methodik  einiger  Unterrichtsfächer  (Geschichte,  Rechnen, 
Aufsatz,  Schflnschreiben)  mit  Lehiproben.   Schullehrer  Jetter. 

J.  L.  Jetter 


10.  Der  evaageüBche  Religioiunmteniolit  in  den 

VolkisohiilaiL 

Ein  liarfcee,  aber  beachtenswertae  Urteil  fiber  den  evangdioidien  BeM- 

gionsunterricht  in  den  Volksschulen  fällt  ein  Mitglied  des  badischen  Ober- 
schulrats, Geh.  Hofrat  Dr.  Weygoldt,  in  einer  Broschüre,  die  jüngst 
unter  dem  Titel:  »Die  Katecliismusfrage  in  der  evangelisch-protestantischen 
Kirche  Badens«  im  Verlag  von  Gutsch  in  LöiTach  erschienen  ist.  »Unsere 
Kirche,«  so  schreibt  Weygoldt,  »leidet  an  einer  Art  ünterrichtswut  imd 
hat  sich  die  Tatsache,  dafi  die  Religion  in  entoc  Beihe  Sache  des  Ge- 
müt 8,  nicht  des  Deiü^ena  ist,  piaktiadh  anoh  nicht  im  mindesten  an- 
geeignet. Den  Erfolg  ihres  Unterrichts  schätzt  sie,  so  feierlich  sie  offiziell 
vielleicht  das  Gegenteil  versichert,  tatsächlich  nicht  nach  der  Tiefe,  sondern 
nach  der  Breite  und  dem  Umfang;  denn  die  einfache  Wahrheit,  ilaß 
der  Mensch  fi-omm  leben  müsse,  um  Gott  wohlgefällig  zu  sein,  läßt  sie 
das  Kind  mit  einer  Anzahl  von  Gesangbuchversen,  mit  300  BÜielaprflchen, 
mit  157  dogmatischen  Thesen  nnd  mit  einem  didkeo  Oeechichtsboohe  er- 
kaufen, in  welchem  alle  Details  des  Judentums  und  selbst  moralisch  an- 
rüchige Gestalten,  wie  ein  Jakob,  ein  Simson,  ein  David,  auf  Kosten  des 
Kindes  sich  der  ausgiebigsten  Berücksichtigung  erfreuen.  Sie  packt  eine 
Menge  religin.ser  Begriffe  in  die  Köpfe  sclion  auf  Ältersstnfeti,  auf  denen 
sie  schlechterdings  nicht  geistig  voll  erfaßt  werden  können.  Sie  übt 
anch  nicht  die  pädagogische  Regel,  daft  man  den  Unteciicht  mit  Ab- 
veohselung  interessant  nnd  spannend  machen  mttee;  sie  qnftlt  das  Kind 
vielmehr  vom  6.  bis  14.  Jahr  Tag  für  Tag  mit  dem  gjeidien  Katechismus, 
zieht  ihre  höchsten  und  heiligsten  Aufschlüsse  entgegengesetzt  den  alten 
Griechen  und  den  ereteu  Christen,  welche  dai-aus  ein  Mysterium,  ein  Arka- 
num  machten,  zum  alltäghchen  Geschwätz  herunter  und  ist  dann  noch 
mehr  erstaunt,  wenn  das  Kind  sich  mit  der  gleichen  Sache  nicht  noch 
weitere  vier  Jahre  in  der  Chiistenlehie  abqu&len  will,  oder  wenn  es  von 
religiösen  Yorstellnngen  nicht  hoch  denkt,  welche  die  Kirche  selbst  Ihm 
trivial  gemacht  hatc 


531 


Xhnliclw  Uitnle  lind  berats  hAufig  von  nchTontiiMUger  Seite  ge- 
fiült  worden,  ohne  daß  es  so  ejner  Inderung  der  bestefaenden  Htfistände' 

im  Relij^onsnnterricht  gekommen  wftre.  Die  Enth«mdang  namentlich,  der 
arbeitenden  Bevölkening  vom  christlichen  Glauben  und  christlicher  Ge- 
sinnung und  die  großen  Erfolge  der  Sozialdemokratie  in  ihrer  Hetzarbeit 
gegen  die  Religion  sind  zweifellos  wesentlich  darauf  zurückzuführen,  daß 
nur  wenige  Eioder  in  den  TolkasdhTilen  in  ein  TerhUltniiHnltffg  innere» 
Yerlilttnis  la  den  dnisüiolien  HeUitatMMshen  gelangen. 

Innerhalb  der  Herbartlschen  Pftdagogik  ist  seit  Jahren  auf  die  Heform 
des  Religionsunterrichts  mit  allen  Kräften  hingearbeitet  worden,  aber  die 
Machthaber  in  Kirche  und  Schule,  und  die  Vertreter  der  Katechetik  an 
den  üniversiäten  wollten  auf  sie  nicht  hören.  Möchte  es  nicht  zu  spät 
sein,  wenn  man  eich  endlich  auf  eine  durchgreifende  Reform  besinnt. 
(VergL  Bein,  Religion  vnd  Solinle.  Mflnofaen,  Tiehmann.  Feiner  die 
tStimmen  zum  Religiensuntemoht«.  Langeoaaln,  Hennann  Beyer  Söhne 
[B^yer  4  Mann].) 


11.  JMeWirkimgdmrFflnorge-OeBetigelniiiginFmis^ 

Der  Statistik  über  die  Fflrsorgeerziehang  Minderjfthriger  und  über  die 
Zirangeernelinng  Jngendlioher,  die  im  kOni^oh  prenBisohen  Minislennm 

dee  Innern  bearbeitet  ist,  ^tndimen  irir  die  Angabe,  daß  20040  Zdg^ge 
und  eine  jährliche  Ausgabe  von  5089683  M  das  I^gebnis  des  Fürsorge- 
erziehungs-Qesetzee  (vom  2.  Juli  1900)  am  Ende  des  dritten  Jahres  seiner 
Wirksamkeit  ist.  »Von  denen,  die  es  auszufüiireu  haben,  keine  Klage 
über  die  Lagt  und  den  Um&ng  der  Arbeit,  die  es  mit  sich  bringt,  keine 
Hagen  über  die  Koalen,  die  es  vemi8aoht,c  heitt  ee  in  dem  amflioheii 
YoiAeriöht  »Die  Sehiden,  unfar  der  Ingend  nnaerea  YoUnSi  die  es  ent- 
hüllt, dringen  mehr  dazu,  eine  Brweitemng,  als  eine  Ebechrftokmig  seiner 
Anwendung  zu  fordern.«  "Wenn  anch  nach  so  kurzer  Zeit  noch  keine 
großen  Erfolge  aufzuweisen  sind,  so  wächst  doch  die  Zahl  derer,  denen 
das  Gesetz  zum  Segen  gereicht,  und  die,  wenn  auch  geringe  Abnahme  der 
Zahl  der  jugendlichen  Verbrecher  scheint  auf  die  Wirkungen  dieses  Ge- 
aetiee  larfldkgefflhit  ^werden  an  kOnnen.  JSb  mnden  in  Fleoflen  1899: 
27820  JügeodliefaeTerarteat,  1900:  28908,1901:  30007,  1902:  .31002 
und  1903:  30088  (vorläufige  Mitteilung  des  kaiserl.  Statistisohen  Amtes). 
Die  Abnahme  gegen  das  Vorjjüir  beträgt  zwar  nur  914,  aber  sie  beweist 
doch  zum  mindesten,  daß  von  einem  ununterbrochenen  Steigen  der  Ver- 
urteilungen Jugendlicher  zunächst  nicht  mehr  die  Rede  sein  kann.  Auch 
in  den  Gefängnissen  hat  sich  eine  Abnahme  der  Jugendlichen  beoierkbar 
gemaoht. 

Nach  einer  Zvsammenatellnng  der  eingangs  erwähnten  Statistik  wurden 
der  Fflrsorgeerziehusg  überwiesen:  1901:  4949  männliche  und  2838  weib- 
liche Personen,  1902:  4133  bezw.  2063  und  1903:  4359  bezw.  2164; 
d.  h.  auf  10  000  0—18  Jahre  alte  Personen  entfallen  Fflrsorgezögliuge 
1901:  6,9  männliche  und  4,0  weibliche,  1902:  5,8  männliche  und  2,^ 
▼eibliohe  und  endlich  1903:  6,1  mftnnliohe  und  3,1  mihlioheb 

  34* 


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532 


12.  Demokratie  nnd  Kaisertum 

ist  der  Titel  eines  Werkes  von  D.  Fr.  Naumann,  das  zum  geleeensten 
politischen  Buche  der  Gegenwart  geworden  ist  Es  ist  soeben  in  4.  Auflage 
(15.— 25.  TBiueDd)  eredhieoea  und  findet  nnn  seinen  We^  dnroh  alle  Teile 
DeutscUanda.  Besonders  von  der  gebildeten  Jugend  wird  dieses  Werk  als 
ihr  poUtisohfia  Lehrbuch  angesehen.  Es  ist  für  jedermann  verständlich, 
in  allen  seinen  Teilen  interessant  und  für  den  Staatsbürgor,  dor  nicht  blind 
durch  seine  Zeit  gehen  will,  unentbehrlich.  Auch  entpcliiedene  Gegner 
achten  den  von  aller  gewöhnlichen  Polemik  weit  entfernten  vornehmea 
Ton.  (Der  Preis  von  »Demokrrtia  und  XaiasKtomc  iat  sehr  billig:  Qe- 
brniden  2  nogebunden  1,20  M.  Jede  Bodih&ndliing  nimmt  BesteümigeB 
«ntgOgeo.) 


IB.  Preiwinfgabe  der  »EantgeseUsohftft« 

Kants  Begriff  der  Eilcenninls  veigUdien  mit  dem  des  Aristotdet 

BestimmiingeB:  1.  AbHefianrngshist:  1.  Oktober  1906.  —  2.  Die 
Aibeitsn  sind,  als  »FNiasn^be  der  fiuitgeBeUaQhsftc  beieklmet,  einzu- 
senden an  das  »Kuratorium  der  Universität  HaUe«.  —  3.  Die  Verkündigung 
der  Preisverteilung  findet  statt  am  22.  April  (Kants  Gleburtstag)  des  Jahres 
1907  in  der  Generalversammlung  der  » Kantgesellschaf t «  in  Halle.— 
4.  Die  gekrönte  Arbeit  erliält  den  Preis  von  500  M.  Wenn  es  die  im 
Jahre  1907  verfOgbareo  Mittel  der  »Kantgesellächaft«  gestatten,  kauu  der 
Fkeia  tob  500  H  emtoell  erbfllit  veiden;  auch  kann  dann  eratnell  ein 
sweiter  nnd  dritter  Ptais  gewlhrt  irardeo.  ^  5.  Jede  Arbeit  iet  mit  einem 
Motto  zu  yersehen.  Der  Name  des  Verfassers  ist  in  geschlossenem  Couvcrt 
l)eizufügen,  das  mit  dem  gleichen  Motto  zu  überschreiben  ist.  —  6.  Jeder 
Arbeit  ist  ein  genaues  Verzeichnis  der  benützten  Literatur,  sowie  eine 
detaillierte  In iialtsan gäbe  beizufügen.  —  7.  Nur  deutlich  geschriebene 
Manuskripte  werden  berücksichtigt  Es  empfiehlt  sich  Herstellung 
dea  MannslniptB  doicii  Kopisten  oder  dnroh  Schreihmsanhine.  —  8.  Die 
Arbeiten  können  in  Deotsoher»  EngUscher,  EnnsOsisoher  oder  Italienisctw 
Sprache  abgefaßt  sein.  —  2.  Als  Preiariohter  fungieren:  Geheimer  Rat  Pro- 
fessor Dr.  Max  Heinz e  in  Leipzig,  Hofrat  Professor  Dr.  Alois  Riehl 
und  Professor  Dr.  Hans  Vaihinger  in  Halle.  —  10.  Die  Retlaktiou  der 
»Kantstudieuc  ist  berechtigt,  aber  nicht  verpflichtet,  preisgekrönte  Arbdten 
in  ibrer  Zeitschrift  zu  dem  bei  deieelben  übUoheo  Honorar  abzudrucken.  — 
Bewerber  nm  den  Preis  branohen  nicht  Mitglieder  der  QeseUsdiaft  an  sein. 

Halle  tL      den  22.  Februar  1905. 

Der  Cteachftftsf Qhrer  der  »Eantgesell schalt«. 
Professor  Dr.  H.  Vaihinger. 


I  Philosophisches 

ToBbaeh,  A.  H.,  Rektor  der  höheren  Stadtschule  zu  Cochem  a.  d.  Mosel. 
Neue  Beitrüge  zur  Fundamental-Philosophie.  Buch  II:  Untersuchungen 
über  das  Wesen  des  Outen.    Bonn,  Hanstein,  1899.    1,50  M. 
Eigentlich  hatte  ich  die  wohlwollende  Absicht,  dem  Herrn  Terfasser 
sowie  unsern  Lesern  eine  Besprechung  dieses  Buches  zu  ersparen.  In- 
dessen, da  ich  es  in  dem  trefflichen  »Führer  im  Lehramtec  von  Beetz 
(VI.  Band  des  »BQcherschatzes  des  Lehrers«,  Ostenvieck,  Zickfeldt,  1902. 
S.  317)  unter  dem  Verzeichnisse  empfehlenswerter  Bücher  für  die  Fort- 
bildung des  Lehrers  erblickte,  in  das  es  durch,  wer  weiß  welches  Ver- 
sehen geraten  sein  mag,  halte  ich  es  doch  für  notwendig,  das  Buch  zu 
charakterisieren. 

Außer  dem  vielversprechenden  Titel,  der  in  der  Tat  manchen  ver- 
anlassen kannte,  sich  das  Buch  zu  beschaffen,  findet  sich  kaum  etwas 
Brauchbares  in  demselben.  Vertrautheit  mit  den  Problemen  der  Ethik, 
das  Mindeste,  was  man  eigentlich  wohl  erwarten  dürfte,  zeigt  der  Ver- 
fasser nicht.  Die  Sprache  ist  unerträglich  durch  die  endlos  langen 
Perioden,  welche  im  Buche  die  Regel  bilden.  An  Stelle  philosophisch 
scharf  ausgeprägter  Begriffe  treten  bilderreiche  Ausdrücke,  um  nicht  zu 
sagen  Phrasen,  bei  denen  man  sich  wenig  denken  kann.  Aus  diesem 
Grunde  ist  es  auch  völlig  unmöglich,  sich  Rechenschaft  über  die  Grund- 
gedanken,  die  den  Verfasser  beherrscht  haben  mögen,  zu  geben.  Einige 
Proben  aus  dem  Buche  werden  dieses  Urteil  bestätigen.  Über  das  mora- 
lische Gefühl  läßt  sich  der  Verfasser  folgendermaßen  aus: 

»Demnach  wohnt  das  moralische  Gefühl  in  derjenigen  Zone  der  Seele, 
wo  das  Licht  des  Verstandes  und  die  Anmutimgen  des  Willens  das  Wacht- 
feuer erglimmen  und  auflodern  lassen,  das  genährt  ist  von  dem  Herdfeuer 
der  Königin,  ich  meine  der  Tugeifd,  und  darum  fähig  und  stark  genug, 
den  Menschen  für  den  Brennpunkt,  das  Gute  selbst,  anzufachen  und  zu 
"begeistern  und  die  Liebe  zum  Guten  zu  bewahren,  rein  zu  erhalten  und 
immer  mehr  zu  durchglühen.  (!!)  —  Das  fein  und  zartbesaitete  Gefühl  für 


oiyi  i^uj  Ly  Google 


534 


Beipxeohimgen 


das  Gute  im  Menschenwesen  ist  von  Natur  aus  darauf  angelegt,  das 
HeraDDahea  der  Tugead  zu  vermeldeo  und  rasch  in  die  Wege  su  leit^ 
waoD  die  HohdisvoUe  auf  dem  Gefilde  der  Berabarbeit  oder  des  gesell- 
sdiaftliolMii  Verkeh»  überhaupt  die  Hegge  hiaeen  oder  anoh  bloi  lUwr 
die  inoein  EntschlÜBse  der  Seele  das  alte  Szepter  von  neuem  hochhtÜan 
inll:  man  vergleicht  wohl  die  Menschenseele  mit  einem  tiefen  Gebirgssee: 
nun  wohl,  dann  kräuseln  sich  noch  am  Ufer  die  mit  dem  Sande  spielenden 
Wellen,  die  heranzuschweben  scheinen  aus  der  milchtig  bewein  Mitte, 
und  tragen  ebenso  vom  Ufersande  die  dort  empfangenen  lieblichen  £&mme 
txtm  Zentram  lurOok:  je  im  Zeotnui  der  Seele,  in  deo  mmmneBbeieD 
Tiefen  dee  WUlene,  da  wohnt  die  Falle  des  Guten  nas^siQadiioh,  und 
euch  am  Bande  nodi  ist  das  Yibfierea  der  Tagend  der  Beflex  ihfer  Hoheit 
und  Lebenskraft.  € 

In  diesem  Stile  geht  es  105  Seiten  lang  fort!  Auch,  um  die  zu- 
sammenfassenden Schlußresultate  wiederzugeben,  ziehe  ich  es  vor,  den 
Verfasser  selbst  sprechen  zu  lassen: 

»Fassen  vir  nunmehr  die  gewonnenen  Besnltete  zusammen,  so 
bietet  lidi  nns  dae  Veeen  des  Guten  in  Gestalt  der  geordneten  SsIIn*- 
liebe  als  der  Inhalt  einer  innerlichen,  Teraehmbaren,  Gehorsam  heischenden 
Proklamation  dar,  welche  nicht  nur  uns  unabweisbar  nahe  legt,  daß  der 
Mensch  sein  individuelles  Ich  wollen,  also  lieben  soll,  sondern  auch,  wie 
er  es  lieben  soll,  n&mlich  so,  daß  er,  iu  ersprießlicher  Wechselwirkung 
mit  seineu  Mitbrüdem,  sich  anstrengt,  dasselbe  auszustatten,  zu  erfüllen, 
eossugestalten  mit  all  den  kostbaien  Vorzügen,  welche  dem  Meosobeotom 
als  dem  vornehmsten  sichtbaten  86h0pfung8g]iede  die  Xzone  nnfaelaen, 
namentlich  ui  Erkenntnis,  Herzensfriede,  Willsnagitok  mit  dem  Geprfige 
des  hohen  Seelenadels,  dessen  Ideal,  dem  Geiste  vor-  und  voranschwebend, 
ihn  mächtig  zieht,  in  den  Normen,  auf  welchen,  wie  auf  ihren  natur- 
gemäßen Bahnen,  des  Menschen  Anlagen  und  Kräfte  zu  besagtem  Ideale 
hinstreben.  Indem  aber  die  wohlgeordnete  Selbstliebe,  so  anljBeiifit  und 
xidhtig  erseliaiit^  notwendig,  wie  oben  dargetan,  binwelBt  anf  den  al^ 
miohtigen  Spender  der  Existenz  an  das  Ich,  Denselben,  der  deehalb  in 
don  Ich  und  für  das  Ich  Richtimg  und  Ziel  markierte,  erhält  jene,  so 
eben  genannte,  innerlich  sehr  deutliche,  nie  gänzlich  verstummende  Prokla- 
mation eine  hehre  Auktorität,  bekommt  die  Stimme  des  Gewissens  eine 
göttliche  Sanktion.  Wenn  ich  nicht  irre,  so  befaßt  diese  Erklärung  den 
berCLhmten  jkategorieohen  ImperatiT*  des  EOnigsberger  Fhilosoplien 
schon  in  sich,  (1 1)  und  —  wenn  der  Ruf  den  Bofer  beaengt,  wenn  Esnt 
mit  Hecht  aus  dem  vernommenen  Herrschenrcnt  die  Existenz  des  Herrschers, 
das  Dasein  Gottes,  folgert,  wenn  er  femer  —  ganz  richtig  —  die  Zeit  als 
unzulänglich  bezeichnet  für  die  zu  vollendende  Realisiernng  der  Menschen- 
würde im  Diesseits,  die  vornehmste  Aufgabe,  die  der  Lösung  harret, 
und  darum  die  endgültige  Lösung  ins  Jenseits  verweist,  also  die  Unsterb- 
lichkeit des  Gdirtes  konstatiert:  so  gewinnt  ja  dnioh  diese  Gedanken  die 
Eigenart  des  Gnten,  die  ta  eothlUlen  wir  nns  vorgosotit,  eine  neoe,  kSst- 
liflbe  Knanoe,  (1)  neu  für  die  Betrachtung,  köstlich  für  das  Herz:  nämlich: 
Das  Wesen  dee  Gaten,  als  geordnete  Selbstliebe,  hat  seine  Basis  in  Gott, 


n  Pädagogische« 


535 


stammt  also  von  dem  unwandelbar  Ewigen,  hat  sein  Ziel  jenseits  des 
Grabes,  also  bei  dem  Ewigen,  hat,  ob  notwendiger  Verwandtschaft  seiner 
Bewegung  zu  seinem  Ziele  Ideal  und  Weihe  aus  dem  Ewigen,  aus  Gott.« 

Das  Bind  abo  die  Terspcoohflnea  »Neaeo  Beiträge  sor  Fandaauntal- 
FhiloBoipliielc  npienti  9Bt\ 

Auerbach  i  Y.  Dr.  0.  Burk 

Eitler,  Dr.  Radoir,  W. 'Wundts  Philosophie  und  Psychologie.  Leipzig 
1902.    YI  u.  210  S.    Preis  uügeb.  3,20  M. 

Der  Yerfeisser  will  allen  denen  einen  Dienst  erweisen,  die  durch 
innere  oder  ftuAere  YeihlltniBae  nicht  in  die  Lage  Irommen,  die  Sohriflen 
Vundts  selbst  zu  atodieren,  aber  doch  ein  Gesamtbild  von  dem  Schaffen 
und  Denken  dieses  Philosophen  haben  machten,  ferner  für  jene,  die  nicht 
dazu  kommen,  alles  zu  lesen,  was  Wundt  geschrieben  hat,  endlich  als 
YorbereituEg  und  Erleichterung  für  das  Studium  der  Werke  Wundts.  Der 
Yer&isser  hofft  femer,  manche  Miüverständnisse,  denen  die  Philosophie 
Wundta  auBgesetzt  ist,  und  die  großenteila  aus  der  unameicliendan  und 
unvollattodigen  Kenntnis  der  Lehren  des  Leipziger  FhUosophen  entefnlngeii, 
durch  sein  Buch  zu  beaeitigen. 

Yon  der  bei  Frommann  eradiienenen  Darstellung  der  Wundt  sehen 
Philosophie  durch  E.  König  unterscheidet  sich  die  vorliegende  haupt- 
sächlich dadurch,  daß  sie  sich  enger  an  die  Originaldarstellung  anlehnt 
und  genauere  Details  jribt.  Besonders  gilt  das  von  der  Erkenntnistheorie 
Vundta,  die  bei  KOnig  an  knia  gekoSmnen  ist  Daa  vorliegende  Buch 
urill  daa  EOnige  «i^ien.  lufiere  YerhSltmaae  swangen  den  Yerfasser, 
seine  Handschrift  um  etwa  ein  Drittel  zu  kürzen.  Deshalb  zog  er  die 
Ethik  Wundts  nur  soweit  heran,  ala  aum  Yerotändnia  des  phikaophiaohen 
Systems  unbedingt  nötig  war. 

Die  Einleitung  erörtert  Aufgaben  und  Methoden  der  Philosophie.  Die 
drei  Hauptkapitel  behandeln:  1.  Psychologische,  2.  erkeuDtnistheoretische, 
3.  metaphysische  Prinzipien.  Daa  Sehhifikapltel  enthalt  eine  sehr  Uaie 
wiBammenfjwBcndo  Darstellung  der  Philosophie  Wundts. 

Die  DarsteUung  ist  nicht  tiberall,  den  Absichten  des  Yerfassers  ent- 
sprechend, gelungen,  oft  stört  ein  Zuviel  der  Details,  mitunter  ist  die  Dar- 
stellung so  lapidarisch,  daß  ein  eingehenderes  Studium  des  Abschnitts  im 
Origioal  Yorbeilingung  zu  dessen  Yerständnis  ist.  Gern  hätte  ich  durch- 
gehende eine  größere  Popularität  dee  Auadraoks  gesehen  —  deren  Schwierig- 
keit ich  keinen  Augenblick  verkenne  —  ea  wSre  damit  anch  einem 
giOfieren  fttr  Philosophie  interessierten  Ptthlikmn  ein  Dienst  erwiesen 
worden.   Im  übrigen  iat  das  Buch  Eialera  nur  su  empfehlen. 

Kiel  Marx  Lobsien 

II  P&dsgogisolieB 

WM,  Wllhela,  Zukunftapftdagogik.  Berlin,  Yerlag  von  G.  Reimer,  1904. 

Der  hochgeschätzte  Yerfasser  hat  uns  mit  einer  neuen  willkom- 
menen Arbeit  beschenkt    Seine  Zukunftopftdagogik  bietet  auf  varhUtnia- 


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536 


Begprechongen 


mäßig  kleinem  Kaum  des  Anregenden  und  Belehrenden  eine  solche  Fülle, 
daß  wir  uns  durch  dieselbe  in  reichem  Maße  gefördert  fühlen.  Während 
der  1.  Teil  seines  Boolies  sdiarf  gezeicbiiete  Einblicke  in  den  beeonden 
ohankteristisohen  Inhalt  pftdagogiscfaer  Schriften  n.  a.  von  Ellen  E^,  Paol 
Laoombe}  Pierre  de  Coubertin,  Edouard  Demolins,  John  Dewey,  Faul  QAfi- 
feldt,  Hugo  Göring,  Ludwig  Gurlitt,  Hermann  Liotz,  Julius  Baumann, 
Fritz  Schnitze,  Paul  Natrup  bietet,  crofTnot  uns  der  2.  Toil  praktische  Aus- 
blicke in  die  ihm  wesentlich  erscheinoinion  Grundideen  und  Probloine  für 
eine  äicli  nach  verschiedenen  Richtungen  hin  ausbauende  theoretische  wie 
piaktiBohe  Fidagogik.  Der  mit  der  dentsohen  wie  ftemdlftndiachen  Be- 
formpSdagogik  wohlvertrante  Verfasser  ▼ersteht  es  vortrefflich,  uns  mit 
dem  weeentlichen  Inhalt  der  von  ihm  vorgeführten  Reformschriften  bekannt 
zu  machon,  nicht  minder  aber  nits  das  Auge  für  die  anzubahnenden  Fort- 
schritte auf  dem  Gebiet  grundlegender  Erziehungsideen  zu  öflfnen.  Wie 
geneigt  er  ist,  starre  historische  Standpunkte  im  Gebiete  des  Cnterricbts- 
und  Erziehungswesens  zu  Gunsten  einer  weitherzigen  und  dehnbaren 
Jngendbildung  mehr  oder  weniger  auftugeben,  sehen  wir  unter  anderem 
an  seinen  Eoosessioneii  im  Interesse  wie  der  gymnastischen  Ertdohtigtmg 
so  der  technischen  Geschicklichkeiten. 

Das  hygienische  Element  kommt  bei  Münch  zu  unserer  lebhaften 
Genugtiuini;  zu  vollem  Recht.  Aber  auch:  was  der  Verfasser  über  weib- 
liche Bildung  und  die  darauf  gerichteten  Forderungen  der  Frauen  l)emerkt 
(S.  238),  ist  uns  aus  der  Seele  gesprochen.  Auch  wir  haben  uns  unter 
anderem  in  der  Schrift  ^Fnaenbernf  und  Franenbildong«  fttr  das  Fest- 
halten der  dnroli  die  GesohleohtsdUfiBrens  gebotenen  natOrliofaen  Orenseu 
erklären  zu  müssen  gemeint  und  uns  namentlich  gegen  das  unbeseheue 
Horübemehmen  der  altklassischen  Sprachen  in  die  Mädchenschule  erkl.irt. 
Besonders  auch  leuchtet  uns  ein,  w^as  Münch  (S.  247)  mit  andeien 
Autoritäten  über  die  neuerdings  von  vielen  befürwortete  akademische  Bil- 
dung der  Yolksschullehrer  urteilt;  wir  sehen  ihn  auf  Seite  derjenigen,  die 
auch  mit  Bücksicht  auf  das  keineawegs  in  allen  Stöchen  musterglUtige 
ünivernt&tswesen  —  abgesehen  von  manchem  anderen  auch  hier  Beform* 
bedürftigen  —  auf  den  Universitäten  kaum  die  besonders  geeigneten 
Bildungsstätten  für  Volksschullehrer  finden  können.  Im  hohen  Grade  vor- 
bildlich aber  ist  auch  dos  Veif;xssers  Urteil  über  dio  wahren  Berufs- 
aufgaben von  Schulverwaitungsbeamteu  (S.  260).  Ilicr  offenbart  derselbe 
eine  seltne  und  hOohst  wohltuende  Weite  des  Blickes  und  des  Hsnemk 

Eeferstein 

irltte  nnd  vierte  Scbwind-llappe.   Herausgeg.  vom  Eunstwart  München, 

Georg  D.  W.  Caihvoy.    Preis  je:  1,50  M. 

Dio  vom  Kuuötwart  bis  jetzt  herausgegebenen  Schwind-MapiKjn  I  u.  II 
haben  in  weiten  Kreiseu  eine  freundliche  Aufuahme  gefunden,  deshalb 
sollen  sie  durch  drei  weitere  Mappen  fortgeeetzt  werden.  Zunächst  liegen 
uns  die  dritte  und  vierte  Schwind -Mappe  mit  folgenden  14  Bildern  vor. 
in.  Mapi^e:  1.  Die  Symphonie.  2.  Das  Konzert.  3.  Die  Schöpfung. 
4.  Des  Knaben  Wunderhom.   5.  Nächtliche  Erscheinung.   6.  Der  Trsom 


n  Pädagogiscbes 


537 


des  Gefangenen.  7.  Die  sieben  Schwaben.  —  IV.  Mappe:  1.  Ritter  Kiirts 
Brautfahi-t.  2.  Dos  Falkensteiners  Ritt.  3.  Hero  und  Leander.  4.  König 
Krokus.    5.  Endyinion.    6.  Der  wunderliche  Heilige.    7.  Die  Schifferin. 

Das  Gemälde  »Die  Symphonie«  (vollendet  1852),  ist  einer  gefeierten 
Xflnohener  Sängerin  bei  ihrer  Yeriieintung  gewidmet,  als  sie  die  Bfihne 
verliefi.  ESb  hat  die  Tier  Teile  einer  Symphonie:  unten  die  Probe  eines 
Stückes  auf  einem  Haustheater,  darüber  als  Andante  »ein  Begegnen  ohne 
Annäherung«,  höher  als  »Scherzo  ein  Maskenball,«  in  seiner  Mitte  das  Pärchen, 
das  sich  ausspricht;  krönend  als  AUegro  und  Sclduß  der  Augenblick  der 
H'X'hzoitsreise,  \vo  die  Jungverniählten  in  der  Ferne  ihr  Schlößchen  schauen. 
Ornamente  mit  kleineren  heiteren  Darstellungen  fassen  diese  Bilder  in 
pompejanischer  Weise  znsammeii.  Das  »Eoniert«  stellt  noch  einmal  groB 
das  untere  Bild  »Die  Frobec  dar.  »Die  SchOpInng«  entstammt  dem 
Fresken-Zyklus  im  Wiener  Opemhause  (1866).  Adam  nnd  Eva,  stark, 
keusch  und  schön  wie  der  Morgen,  erblicken  wir  inmitten  der  erscliaffenen 
Welt;  Tiere  spielen  zu  ihren  Füßen,  und  die  Chöre  der  Engel  singen  oben 
das  Lob  des  Schöpfers.  Auf  dem  Blatt:  »Des  Knaben  Wunderhom« 
herrscht  Sonunerwaldesherrlichkeit;  in  all  dem  Blühen  und  Grünen  liegt 
der  Siegfriedsknabe.  »Und  wie  er  das  Horn  an  die  Lippen  hob,  verstand 
er  aller  YOglein  Gesang.«  Das  kleine,  bisher  wenig  beaditete  Bild  aus 
der  Schack-Galerio :  »Nächtliche  Erscheinung«  versinnbildlicht  das  Locken 
des  nächtlichen  Waldes.  Eine  verführerische  Elfengestalt  lockt  ein  junges 
Menschenkind:  »Komm  tiefer  hinein,  daß  du  all  die  Waldes -Geheinmisso 
siehst,  ehe  der  abnehmende  Mond  im  Tagesdämmern  erbleicht!«  Ein  feines 
Blatt  ist  »Der  Traum  des  Gefangenen«  (Schack-Galerie).  Der  Zwergkonig 
hilft  ihm  tren,  er  hAlt  seinen  wackoen  kleinen  Leuten  selber  die  Sdiolter 
hin,  daß  sie  einer  auf  den  andern  klettern  und  hinaufreichen  und  das 
Gitter  durchsägen  können,  indes  seine  Tochter  den  Armen  stärkt  und  ein 
anderer  ausschaut,  ob  keiner  stört  —  ach,  da  weckt  ihn  der  erste  Strahl 
der  Morgensonne!  Ein  an  Charakteristik  im  einzelnen  wie  im  ganzen 
köstlich  humoristisches  Blatt  ist  das  von  den  »sieben  Schwaben«  (Original 
eine  BOtelaeichnnng).  Das  Heer  ist  gerflstst,  die  Waffe  gerichtet  —  nun 
zittere  da  Ungetüm!  Aber  es  verhUt  sich  beleidigend  gelassen.  —  Das 
Original  von  Ritter  Kurts  Brautfahrt  (1839)  wird  jetzt  in  der  Earlsmher 
Galerie  aufbewahrt^  des  Falkensteiners  Ritt  (1843/44)  im  Leipziger  Museum. 
Die  nächsten  beiden  Bilder  »Hero  und  Leander«  und  »König  Krokus« 
stammen  aus  der  Schack-Galerie  in  München;  das  letztere  zeigt  tiefste 
Waldeinsamkeit,  Weltentrücktheit  Im  »Wunderlichen  Heiligen«  (1828) 
hat  Schwind  ohne  Zweifel  die  Leiden  einer  Jugendliebe  ans  sioh  heraus- 
gemalt  »Die  Schifferinc  stsUt  eine  junge  Frau  dar,  wie  sie  stehend  auf 
dem  Gmundener  See  rudert 

Es  ist  eine  reine,  deutsche  und  dabei  im  besten  Sinne  volkstümliche 
Kunst,  die  uns  hier  in  den  Bildern  von  Schwind  geboten  wird.  Es  ist 
darum  zu  wünschen,  daß  diese  Schätze  im  deutschen  Volk  soweit  als 
möglich  verbreitet  werden.  Hoch  erfeenlioh  ist  es,  daß  der  Kunstwart 
jetst  auch  die  sofaSnstsn  der  gröfieien  Olgemtide  Schwinde  in  Kaoh- 
bilduogen  den  minder  Bemittelteo  mgflagUch  macht    Schwiads  Be- 


538 


BMprechungen 


deutung  beruht  nicht  nur  in  seinen  gefeierten  Märchenzyklen,  sondern  in 
seinen  selbstÄndigen  Bildern,  von  denen  manche  wertvolle  bisher  n'»ch 
nicht  einmal  photographiert  worden  sind.  Seine  höchste  künstlerische 
Kialt  nigt  aick  tot  alten  in  einidiieD  »Bieiaelfaildeni«  xmd  aoostigen  Ueiiien 
SadieD,  mit  denen  der  Meister  unberührt  Ten  allen  Xnnattlieorien  aeiner- 
zeit  ganz  anapnudialoa  und  swan^oa  niaderadhiiel»,  iraa  in  aeiner  Fhantaaie 
entatandeD  war. 

Halle  a.  &  H.  Groaae 

HeUager,  Dr.  L,  Kehr  Lieht  nnd  Wirme  den  Sorgenkindern 

nnaerer  Volksschule!  Ein  Yerm&chtnia  Heimieh  Feataloisia.  Zürioii, 

Oren  POßU,  1905.    30  S.    0,50  M. 

Ober  daa  vorstehende  Thema  hat  der  Verfasser  gelegentlich  einer  in 
Zürich  am  8.  Januar  d.  J.  von  der  PestalozzigoseDsclmft  und  dem  Lehrer^ 
verein  veranstalteten  Pestalozzifeier  gesprochen.  Die  Gedanken  sind  be- 
btont  OOS  aeinem  in  Nflznberg  Uber  die  Organisation  grofler  Schnlkfiiper 
gehaltenen  Vortrag  nnd  ana  aeiner  Sdhiift:  »Der  ünterriehtabetrieb  in 
großen  Volksschulkörpem  sei  nicht  schematisch  einheitlich,  sondern  diffe- 
.xenziert  einheitlich«  (Mannheim,  J.  Bensheimer,  1904).^)  Neu  ist  der 
Versuch  des  Verfassers  den  Nachweis  zu  führen,  daß  der  Geist,  aus 
welchem  die  sogenannte  Mannheimer  Schulorganisation  geboren  ist,  ein 
Vermfichtnis  Pestalozzis  sei.  Wie  Dr.  Sickinger  in  seinem  Vortrage 
»län  pädagogischea  Gutachten  Herbaita  nnd  der  Mannheimer  Sohnlorgani- 
aationqplan«  Herbart  für  seine  Plftoe  ins  Feld  ftlhrt,  ao  diesmal  Peetaloza 
(a.  S,  21^26).  Die  Zitate  sind  sehr  gesohiokt  gewihlt  und  verwertet 
Die  zuletzt  angefügten  "Worte  eines  Augenzeugen  über  die  Organisation 
der  Anstalt  Pestalozzis  in  Burgdorf:  »Eine  bestimmte  Klasseneinteilung 
gab  es  nicht;  dafür  aber  5 — 6  Gruppen  von  Kindern,  welche  sich  nach 
jeder  Stunde  auflösten  und  anders  bildeten,  je  nachdem  es  ihre  verschie> 
denen  GetsteabedfiifDiaae  erfordertenc  aind  indea  weit  mehr  eine  Wafie 
gegen  als  ffir  Siokinger;  man  unteistreiohe  nur,  nicht  wie  der  Ver- 
fasser den  letzten,  sondern  die  beiden  ereten  Sitae  dieser  charakteristi- 
schen Mitteilung.  Diese  Art  der  SchOlergruppierung  kommt  dem  Grund- 
satz »jedem  das  Seine«  sehr  nahe,  eine  Lösung  der  schweren  Frage  ist 
sie  auch  noch  nicht  Wie  weit  davon  entfernt  ist  die  blo^  Zusammen- 
luBung  von  Repetenten  an  beaoodeien  Klasaenl 

PöBneck  i.  Thür.  B.  Scholz 

Mlach,  W.,  Geist  des  Lehramts.   Eine  Hodegetik  für  Lehrer  hfihenr 
Schulen.    Berlin,  G.  Reimer,  1903. 

Das  vorliegende  Buch  ist  in  erster  Linie  für  Kandidaten  des  Gym- 
nasial-Seminars  und  Probejahres  berechnet,  um  sie  mit  dem  Wesen  ihrer 
fiernfsaufgabe  vertraut  an  machen;  aber  naoh  der  Vonede  hofft  der  Ver- 
feaaer,  dal  anch  fitere  Eacfagenoaeen  ana  den  daigebotenen  Betrachtungen 
Gewinn  ziehen  werden.  Die  HoCbraqg  iat  keine  trfigeriadie.  Denn  waa 


')  Letsteie  ist  im  4  Heft  des  XII.  Jahig.  dieser  ZeitMhnft  beiproohea. 


n  FSdagQgisclias 


539 


Münch  schreibt,  trSgt  den  Stempel  reicher  Erfahrung  und  reifer  Über- 
legung. Das  Buch  umspannt,  ohne  systematisch  angelegt  zu  sein,  den 
ganzen  Umkreis  der  pädagogischen  Probleme,  die  fragen  der  tlieoretischen 
tmd  pzaktisolMD  Pädagogik,  die  Aoigilwii  um  Zvdit  und  üntenkiit  DiS 
die  AnbiQger  der  PUiJgogik  Herlierte  niobt  eetteii  ein  FrageieiGliea  an 
den  Baad  schreiben,  kann  nnr  an  erneuter  Überlegosg  anregen.  Das  Buch 
ist  eines  eingehenden  Studiums  wert  Für  eine  neue  Auflage  dürfte  es 
sich  empfehlen,  einen  sehr  wunden  Punkt,  die  Lehrplantheorie  für  höhere 
Schulen,  eingehend  zu  behandeln.  Hier  könnte  sich  der  Verfasser  ein 
großes  Verdienst  erwerben.  Freilich  müßte  er  an  die  vorhaudeueu 
Ldstnngen  —  ich  nenne  mv  Hertiait,  ZlUer,  Vogt,  Wlllmann,  Ttixk, 
Kinnin  —  anknüpfen  und  eine  Aibeit  lorlBeInn,  die  noch  in  den  An- 
föngen  liegt,  aber  dringend  der  FoltflUilxing  bedarf,  und  zwar  nicht  vom 
Standpunkt  der  Tradition,  sondern  von  prinzipiellen  Erwägungen  aus.  Daß 
der  Unterricht  an  unseren  höheren  Schulen  nach  den  Kämpfen  von  äußerer 
Gleichstellung  dringend  einer  inneren  Reform  bedarf,  bestreitet  heute  kein 
Bintichtiger.  Um  so  willkommener  müssen  Schriften  sein,  die  hierauf  ihr 
Angenmeik  richten,  mit  TomrleikMeai  Blick  die  vorhandenen  tiefen 
Mingel  des  Lehrplana  aufdecken  nnd  die  lechten  Wege  aeigen.  V.  Mfincli 
wiro  hiena  berttlen. 

Jen«  W.  Rein 

Witthill;  Dr.  A,  Geh.  Oberregierungsrat,  Die  soziale  und  politische 
Bedeutung  der  Schulreform  Tom  Jahre  1900.  Berlin,  A.  Danoker, 
190& 

Das  vorliegende  Schriftchen  gibt  einen  klaren  Überblick  über  die 
Entwicklung  der  Schulverhältnisse  in  Preußen  während  des  19.  Jahr- 
hunderts und  gipfelt  in  der  Darlegung  der  letzten  Schulreform  nach  ihrer 
individuellen,  sozialen,  nationalen  und  weltpolitischen  Rodentung  hin.  Es 
durchzieht  das  Ganze  der  üeist  einer  freien,  vorurteilslosen  Auffassung. 
Man  schOpH  wieder  Mut,  daß  unsere  höheren  Schulen,  nachdem  sie  den 
Tiefstand  ihrer  Arbeit  nonn^  flberschrittsn  haben,  mit  giOfierer  IMheit 
an  der  Erziehung  der  Jugend  azbeiten  werden.  Ich  betone  mit  Nachdruck 
die  erzieherische  Seite.  Denn  an  Unterricht  haben  unsere  Schulen  über- 
genug geleistet.  Hier  liegt  ihre  Stärke,  aber  auch  ihre  Schwäche.  Was 
liabeu  sie  getan  zur  Entwicklung  eines  regen,  fröhlichen  Schullebens?  Wie 
weit  stehen  sie  darin  hinter  den  englischen  höhereu  Schulen  zurück! 
Nachdem  wir  zu  einem  erwünschten  AbechluA  der  Reförmbewegung  ge- 
langt sind,  gilt  es  jetzt  alle  Erifte  anzo^annen,  um  den  inneien  Betrieb 
nach  (lädagogischen  Grundsätzen  einaariditen.  Diesem  muß  zunächst  durch 
zwei  Verbote  freie  Bahn  geschaffen  werden:  1.  Vertreibung  der  Extempo- 
ralien aus  der  bisherigen  Herrschaft;  2.  Abschaffung  der  Abiturienten- 
Prüfung.  Solange  beides  beibehalten  wird,  k§mi  man  trotz  der  bessern 
Oiganiaation  auf  innere  Gesundung  nicht  ho^.  Mochte  Herr  Dr.  Matthias 
seinem  wertveUen  Sdhriftidien  ein  noch  wectvoUerae  in  dem  angegebenen 
Sinne  bald  folgen  lassenl 

Jena  W.  Bein 


540 


Bespxeobiutgen 


Treeltseh,  E.,  Politir^cho  Ethik  und  ChristeDtum.  OOttingen,  Yandeii- 
htieck  &  Ruprecht,  1904.     1  M. 

Die  vorliegende  Studie  kann  das  Interesse  unserer  Leser  um  so  mehr 
in  Anspruch  nehmen,  als  das  Problem  »Ethik  und  Politik«  forfigesetKt  die 
Geister  in  der  Gegenwart  besohSftigt  Die  LOsong  dieses  Problems  sehm 
w  darin,  dafi  die  Ethik  ein  PersOnlichkeitB-  und  ein  Qemeinsohaftsidesl 
zu  zeidinen  versacht,  an  dem  sich  alles  menschliche  Handeln,  das  politische 
eintresclilnfisen,  zu  orientieren  bat.  Zwischen  Ethik  und  Politik  klafft  ein 
großer  und  tiefer  Riß,  wie  zwischen  Ideal  und  Wirküclikeit.  Der  Fort- 
schritt in  der  Welt  der  Tatsachen  bewegt  sich  durch  Kompromisse  hin- 
dnich,  die  swischen  beiden  gesolilOBsen  werden.  Aber  das  Ideal  als  solehea 
bleibt  davon  nnberflhrt  und  miiA  als  lestor  Wegweiser  dnrdi  alle  Schwan- 
kungen,  Widersprüche  and  Yemeinungen  bestehen  bleiben.  ÜB  hat  aUe 
Enlturvölker  gleichmäßig  nach  und  nach  zu  erfassen  nnd  m  beseelen; 
dann  wird  die  Zeit  kommen,  wo  die  Kluft  zwischen  Ethik  und  Politik 
sich  schließt.  Ein  einzelnes  Yolk  kann  diesen  Schritt  nicht  vollziehen, 
ohne  sein  Dasein  zu  gefährden;  nur  die  Verbindung  der  Völker  kann  ein 
'VilSkeRedit  auf  etbisdiar  Grundlage  schaffen  nnd  durchsetsen.  8o  wirft 
die  Ethik  weite  Blicke  in  die  Znkunft;  dis  Fditflc  hfllt  nns  in  der  Gegen- 
wart  fest  Aber  sie  ist  doch  schon  soweit  gekommen,  daß  sie  ohne  Be- 
ziehung zur  Ethik  fürchtet^  auf  Abwege  zu  geraten.  Insofern  kann  be- 
reits von  politischer  Ethik  gesprochen  werden.  Wenn  dann  die  Wandlung 
in  ethische  Politik  vollzogeu  ist,  können  die  beiden  Faktoren  des  Völker- 
lebens, Recht  und  flacht,  einen  friedlichen  Bund  eingehen. 

Jena  W.  Rein 


UDIg,  Peter,  Welches  sind  die  pidagogisohen  Anforderungen  an 

einen  Lehrplan  für  die  bayrischen  stftdtischen  Yolkssohnlen? 

ISiürnberg,  Korn,  1904.    0,60  M. 

Das  vorliegende  Schriftchen  ist  ein  Abdnick  der  Vorträge,  die  von 
dem  bekannten  Würzburger  Pädagogen  gehalten  worden  sind.  Es  entbehrt 
darum  nicht  der  Frische,  Unmittelbarkeit  und  Eiudriuglichkeit  Nach  und 
nach  scheint  die  »Lehiidanfrage«  mehr  in  RnB  za  kommen.  Seit  D5rp- 
felds  »Grundlinien  einer  Theorie  des  Lehiplansc  war  ja  anf  diesem  Ge- 
biet wenig  genug  geleistet  worden.  Aus  den  höheren  Schulen  hörte  man 
so  gut  wie  nichts,  weil  eben  in  Dingen  des  Lehrplans  alles  höheren  An- 
ordnungen anheim  gestellt  ist.  Nun  aber  beginnt  es  sich  zu  regen.  Und 
es  ist  hohe  Zeit!  Über  Lehrverfaliren  ist  genug  geredet  und  gedruckt 
w<nden.  Aber  ffir  den  Lebrplan  gibt  es  noch  viel  zu  tun.  Deshalb  mu£ 
die  Schrift  von  Zillig  willkommen  geheiAen  mid  allen  warm  empfohlen 
werden,  die  sich  mit  der  Ijehiplanfrage  bezeita  besdUfligen  oder  be- 
Bch&ftigen  wollen. 

Jena  W.  Bein 


Aus  dor  philosophischen  Fachpresse 


Kantstudien.  Philosophische  Zeitschrift 
Herausgegeben  von  Dr.  Hans  Vaihioger 
und  Dr.  Bruno  Bauch.    Band  X.  3. 
Festheft  zu  Schillers  100.  Todestage. 
Gedicht  von  0.  Liebenau,  In  Schillers 
Garten.  —  Eucken,  Was  können  wir  heute 
aus  Schiller  gewinnen.  —  F.  Ä.  Schmid, 
Schiller  als  theoretischer  Philosoph.  — 
J.  Cohn,  Das  Kantischc  Element  in  Goethes 
Weltanschauung.  —  Bauch,  Schiller  und 
die  Idee  der  Freiheit.  —  Vaihinger,  Zwei 
Quellenfuude  zu  Schillers  philosophischer 
Entwicklung.  —  Kunze,  Karl  Rosenkranz 
über  Schiller.  —  Windelband,  Schillers 
letztos  Bildnis  und  Schillers  transzenden- 
taler Idealismus.   —  Klein,  Kant  und 
Schiller.  —  Mitteilungen. 

Commers  Jahrbuch  ffir  Philosophie 
und  spekulative  Theologie.  XIX. 
4.  Heft  1904. 
Dr.  Michael  Gloßner,  Das  zweite  Dezen- 
nium des  Jahrbuchs.  —  P.  Joseph  Gredt, 
Gleichartigkeit  und  Ungleichartigkeit  der 
Teile  in  der  belebten   und  unbelebten 
Substanz  und  die  Wiederkehr  der  Ele- 
mente in  der  chemischen  Auflösung.  — 
P.  Fr.  Gundisalv  Feldner,  Das  »Werden« 
im  Sinne  der  Scholastik.  —  Fr.  Norbertus 
del  Prado,  De  Concordia  Molinao.  — 
Literarische  Besprechungen. 


Qutberlets  Philosophisches  Jahr- 
buch. 18.  Band.  3.  Heft 
I.  Abhandlungen :  A.  Dyroff,  Der  Ich- 
gedanke. —  Beda  Adlhoch,  Zur  wissen- 
schaftlichen Erklärung  des  Atheismus.  — 
J.  Schmidlin,  Die  Philosophie  Ottos  von 
Freising  (Forts.).  —  ü.  Rezensionen  und 
Referate.  —  III.  Zeitschriftenschau.  — 
IV.  Miszellen  und  Nachrichten:  Die  Ent- 
faltung der  Seele  durch  Lebenskunst.  — 
Eine  neue  Lösung  dos  Wolträtsels. 

Kritische  Blätter  für  die  gesamten 
Sozialwissenschaften.  Herau.sgeg. 
von  Beck,  Dom  und  Spann.    I.  Jahrg. 
1.  Heft   Januar  1905. 
Geleitwort  der  Herausgeber.  —  I.  Teil. 
Besprechungen:  I.  Encyklopüdien,  Lehr- 
bücher und  Bibliographien.  —  Encyclo- 
pedies,  Trait^s,  Bibliographies.  —  Cyclo- 
pedias,  Compends,  Bibliographies.  —  II. 
Geschichte  der  sozialen  Wissenchaf ten ; 
Biographien.  —  Histoire  de  sciences  soci- 
ales; Biographies.  —  History  of  social 
sciences:  Biographies.  —  HL  Allgemeine 
Soziologie.    —   Sociologie  generale.  — 
General  sociology.  —  IV.  Soziologie  der 
einzelnen  Sozialgübilde  (spezielle  Sozial- 
wissenschaften) und  allgemeine  Ziistands- 
schilderuog.    —    Sociologie  speciale  et 
Sociographie.  —  Special  sociology  and 


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642 


iMlipraiie 


polygraphy.  —  V.  Theoretische  Sozial- 
ökonomie.  —  Tböorio  d'öconomie  politique 
et  sociale.  —  Theory  of  political  and 
■ocial  eoonotny.  —  YL  PnliiBdlie  SosU- 
Skonomie  (Spezielle  WirtsduftBkonde  n. 
-Politik  der  einzeloen  Wirtschaftszweige). 

—  Les  parties  speciales  d'econoniie  natio- 
nationale  et  leurs  politique.  —  Ihe  special 
ptili  cf  tt»  naSiiHiil  mimmj  and  fteir 
pditioi.  —  m  Sorialpolitik.  —  Politique 
sodele.  —  Social  poHtioa.  —  TDL  Finanz- 
wisseosohaft  u.  Finanzpolitik.  —  Finances 
publique».  —  Public  finance.  —  IX.  Sta- 
üstiL  —  Statistiqae.  —  Statistios.  — 

X.  Bevittkenuigalalue  und  BevStkenrngs- 
Politik.  —  Demographie.  —  Demography. 

XI.  Sozialgeschichte,  insonderheit  "Wirt- 
schaftsgeschichte. —  Histoire  sociale.  — 
Social  Hystory.  —  XII.  Hechtswissen- 
Bohait— Droü  — Law.— XIILHandel»- 
iriMaaaobaften  und  Yanmidtes.  —  Seien- 
oes  commerciales,  —  Comercial  Science. 

—  XIV.  Völkerkunde  und  Anthropogeo- 
graphie.  —  Ethnographie.  —  EthnQgraphy. 

—  ZY.  Wiitnhaft^eograpliie.  —  XYL. 
PUloeophiadieDinipliBMi.  —  Phfloeopliie. 

—  Philosophy.  —  XYIL  YMSchiedenes. 

—  Various.  —  IMveiMi.  —  IL  leiL 
Bibliographie. 

Archiv  für  vyteauMukt  Philo- 
•opU«.  XL  1.  i90A. 

Kurt  OeiBIer,  Über  Notwendigkeit, 
Wirklichkeit,  Möglichkeit  und  die  Grund- 
lagen der  Mathematik.  —  A.  Gure witsch^ 
Bewußtsein  und  Wirklichkeit  —  Dr.  B. 
Lemoka,  De  lege  motu.  —  Frani  Oraf 
Uaranid,  Dar  eoezgetiaalie  MutaaUamus. 

—  Dr.  James  Lindsay,  Theistic  Idealism. 

—  Jahresbericht  über  sämtliche  Erschei- 
nungen auf  dem  Gebiete  der  systemati- 
schen Philosophie.  —  C.  Bos,  La  philo- 
BOphio  an  I^oe  1904.  —  Die  neoaeten 
Encheinungen  auf  dem  Gebiete  der  syste- 
matischen Philosophie.  —  Zeitaoludfton. 
Eingegangene  Bücher. 


Vlertcljahrsschrift  für  wissenschaft- 
liche Philosophie  und  Soziologie. 
XXYIU.  Jahrg.   4.  H. 
Job.  Kteibig»  Oter  ein  Paradoxon  in 

dar  Lo|pk  BftliaBflai 

Archiv  für  die  gyiiiiffi  Pqrchologle. 

4.  Bd.   3.  H. 

Henry  J.  Watt,  Experimentelle  Bei- 
träge zu  einer  Theorie  des  Denkens. 

Revue  philotophlque.  Janvier. 

A.  FouUl^  La  raison  pure  pratiqno 
dolt^Ue  Htn  flritiqiida?  —  O.  S^iOor,  De 
la  methode  dana  loa  reoiiawiiea  doa  kia 

de  l'ethique. 

Annalen    der  Natnrpliiloeopliie. 

4.  Bd.    1.  Heft 
Wilh.  Ostwald,  Zur  Theorie  derWissen- 
aohaft 

ZeÜMlirifl  für  PUloeepirie  nad 
philoM>piiiMiie  Kritik.  Baad  12S. 

Heft  2. 

Julius  Bergmann,  Das  Verhältnis  des 
Fühlens,  des  Begehrens  und  des  WoUens 
sam  Yoxatellni  und  BewoStBeiii. 

Neue  Metaplijtiache  RundadM». 

Haratttgeg.  iwi  FSanl  1905. 

Band  XU  Heft  2. 
Geheime  Figuren  der  Rosenkreuzer 
aus  dem  16.  u.  17.  Jahrhundert  (Sen- 
druok  1.  I.j  —  Dr.  med.  J.  D.  Buok, 
Mystiaehe  Hanxeni  (foita.  Kapitel  VI: 
Die  Gehnmlehxe:  die  aiebenfache  Natur 
des  Menschen.  Schluß).  —  Dr.  Heb. 
V.  Lessei,  Die  metaphysische  Grundlage 
von  Richard  Wagners  »Der  Bing  des 
Nlbalnqgen«  (Forts.  Kapiiel  Y:  Über  dia 
Göttarwelt).  »  Ivy  Hooper,  Zwtl  Btear 
(Kapitel  IV).  —  Rundschau:  Der  Sieben- 
sortenflegel. —  Radiumentdeckun«;,  ein 
Produkt  der  Homoeopathie  ?  —  Vedanta* 
Universität.  —  Boscggers  J.  £.  J.  — 
Eünatliohe  IGfigeataltoa  durah  Badfim. 
—  Literatur:  Coli;-,  Flita.  —  CoUina, 
durch  das  goldene  Tor.  —  Oodliaa,  die 
Qaaohiohte  des  Jahiea. 


543 


Aqb  der  pftdagogischen  Fachpresse 


Scheibihuber,  A.  Cl^  £in  pädago- 
gischer Konflikt  Mg.  D.  Leluers. 

1905,  Nr.  13.  14. 

Der  Konflikt  entsteht  im  Gocchichts- 
unterrioht,  besonders  im  elementaren,  und 
zwar  auf  folgende  Weise:  1.  Manche 
historiaohe  Tataxdien  weiden  in  den 
Qnellen  niobt  e&BohHilioh  mid  tnsKihrlich 
flberliefert;  folgt  der  Lehrer  genau  diesen 
Quellen,  so  verletzt  er  die  methodischen 
Anforderungen.  2.  Andere  Tatsachen 
weite  mB  eueohaaUoh  xnA  meflUtilioh 
beriobtet,  aber  die  QueilMikritik  findet 
viele  Einzelheiten  unsicher  usw.;  folgt 
der  Lehrer  diesen  Quellen,  so  ist  seine 
Darstellung  nicht  historisch  getreu.  Und 
gerade  die  mangelhaftesten  Berichte  — 
so  oder  so  —  fallen  »regelmUig«  in  die 
erste  Zeit  des  Geschichtsunterrichts,  wo 
Anschaulichkeit  und  Ausführlichkeit  dem 
Schüler  am  nötigsten  sind.  (Von  den- 
jenigen Queiieu,  weiche  an  sich  nicht 
Ififlkenhaft  in  dem  obigen  Sinne,  wohl 
aber  ffir  das  Kind  sa  hoch  sind,  ist  hier 
niobt  die  Bede.)  <—  Verfasser  hält  nnn 
die  anschauliche,  nach  Dörpfeld  auch 
»detaillierte«  Darbietung  als  methodische 
Forderung  fest  and  lehnt  zunächst  zwei 
Auswege  9b:  1.  Die  Schüler  schaffen  im 
darstellenden  Unterricht  gemeinsam  ein 
anschauliches  Bild.  2.  Der  Lehrer  bietet 
den  lückenhaften  Quellenbericht  und  ge- 
winnt dazu  im  entwickelnd -darsteliendeu 
Unterricht  mit  den  Sohttiem  die  lebens- 
vollen Einzelzüge.  Denn  in  jedem  ge- 
schichtlichen Vorgange  liegen  zweierlei 
Gedankenschichteu :  das,  was  nur  der  be- 
treffenden Zeit  eigentümlich  ist,  und  das, 
was  diese  Zeit  mit  der  Gegenwart  gemein 
hat;  nur  ans  dem  letzteren  kann  das 
Kind  Beitiflge  geben«  nnd  znr  Anschau- 
iickeit  fehlen  dann  doch  noch  die  »Zeit- 
und  Lokalfarben  der  Vergangenheit«. 
(Trotzdem  könnte  es  aber  doch  oft  zweok- 
m&8ig  sein,  erst  das  der  Jetzigen  oder 
aooh  einer  irfibeien  oder  anderen  be- 


kannten Sphäre  Gemäße  angeben  zu 
lassen  und  ihm  dann  das  der  betvaOeadea 

Zeit  Eigentümliche  entgegensustellen.)  Zar 

wirklichen  Lösung  des  Konflikts  weist 
Verfa.s.ser  hin  auf  die  Entwicklung  unserer 
Geschichtsschreibung:  Sie  hat  mit  poe- 
tischer Anffnwmng  begonnen  nnd  Ist 
allnilhUoh  cur  kritischen  Anflaiaang 
fortgesohiitten.  Diesen  Weg  muB  der 
Lehrer  nachahmen  und  in  einer  Lektion 
mit  mangelhaften  Quellen  beides  bieten: 
zuerst  die  melxr  poetische  Ausfuiiruag 
der  Details,  »bald  ersShlend,  bald  ent- 
wickelnd ..  in  behaglicher  epischer  Breite;« 
und  dann  die  kritische  Sichtung  dessen, 
was  historisch  feststeht  und  was  nicht 
überliefert  ist;  —  so  durctigefuiirt  in  des 
Yezteen  Booh:  »Dentaobe  Oeaobiohtek 
Bnihlnngen  nach  QoeUeiLc  Ntbmbeig, 
Korn.  —  Um  diese  methodischen  Ge- 
danken näherzulegen ,  führt  Verfasser 
Aussprüche  an,  weiche  besagen,  daß  auch 
die  kritiaehe  Gaaobiidito  die  Uelneo  Be- 
atimmungen^  wekbe  an  eingehender  Dar- 
stellung nötig  sind,  niemals  alle  belegen 
kann  (Lessing),  daß  sie  also  »immer  eine 
wenn  auch  noch  so  spät  geborene  Enkelin 
der  Sage«  sein  wird  (Lamprecht),  und  da£ 
dem  Volke  andi  »eigentHoh  niohta  an- 
gebracht werden  kann,  als  was  sich  ihm 
auf  dem  "Wege  der  Sago  vermittelt« 
(Grimm).  Zum  letzten  Punkte  vergl. 
Jahrg.  1  dieser  Zeitschr.  S.  217.  in  dem 
St&cke,  welehea  YerCueer  aoa  Leasings 
Duplik  (II)  anfährt,  nennt  er  den  Oe- 
schicht.sschreiber  Vopiscus  >einen  von 
den  alJergriindlichsten«,  bei  Lessing  aber 
heißt  er  »einer  von  den  allerpünktlichstenc, 
und  ao  paBt  es  beeaer  anf  die  »Id^en 
Beatimuiangenc,  welehe  die  ganse  Arbeit 
im  Auge  hat ;  denn  zu  Itessings  Zeit  hieß 
»pünktlich«  punktweise,  Schritt  für  Schritt 
—  hier:  von  einem  psychischen  Element  zu 
dem  nächsten,  sich  daran  anschließenden! 


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R44 


Neu  «izkgegangtne  Bttohsr  «od  Zataofariftaa 


Neu  eingegangene  Bacher  and  Zelteohriften 


P.  Courbet,  Das  Dasein  Gottes,  ein 
Postulat  der  Wissenschaft  Aus  dem 
Französisohen.  Straßbarg  i/E.,  LeBoox. 

02  a 

J.  Banmftno,  Über  Religionen  und  Reli- 
gion. Langensalza,  Hermann  Beyer 
&  SüUne  (Beyer  k  Mann).    186  S. 

0.  Siebert,  Geschichte  dei  Philosophie. 
Ebenda  1905.  818  8. 

B.  Adiokes,  Qiarakter  u.  TTeltanschan- 
«Bg.  Tübingen,  Mohr,  1905.   46  S. 

E.  M  e  1 1  z  0  r,  Luther  als  deatMher  Hann- 
Ebenda  1905.    77  S. 

S.Rubiu8tein,  Schillers  JBegriffsinTentar. 
Laoganaalsa,  Hemiaiui  Beyer  9t  SQhne 
(Beyer  4  Hann).  1905.   12  8. 

H.  Bölart,  Emst  Häckels  Naturphilo- 
sophie. Berlin,  F.  Wunder,  1905.  64  S. 

P.  Kronthal,  Metaphysik  in  der  Psychi- 
atrie.  Jena,  Fischer,  1905.   92  8. 

Bomnndt,  Kants  Xritik  der  reinen  Ter- 
nnnft  äb^ekttist  anf  Omnd  ihrer  fint- 
stehungsgeschichle.  Qotiia,  Thienemaan, 
1905.    112  S. 

Hesser,  Kritik  der  reinen  Vernunft  von 
j..  Kant  in  Terk^rsier  Gestalt  Statt- 
gart, Greber  k  Pfeiffer,  1900.  188  8. 

L.  Keller,  SohiUers  Stellung  in  der  Bnt- 
wioklungsgeschichte  des  Homanismns. 
Weidmann  1905.    87  S. 

Baontsch,  H.  St.  Chamberlains  Vor- 
atellungen  über  die  Religion  der  Se- 
miten. Langensalza,  Hennann  Beyer 
&  Söhne  (Beyer  &  Mann),  1905.  83  S. 

Th.  Newcst,  Die  Gravitationslohre  ein 
Irrtum.    Wien,  Kuuegen,  1U05.    93  S. 

K.  Kroman,  Ethik  L  Leipzig,  Reisland, 

1Ö04.    146  S. 
ApoUon  XL.  Dionysos,  Ein  Beütsg  zur 

dnalistisohen  Weltanschauung.  Barlin, 

Schröder,  1905.   28  S. 
K.  Gebert,   Katholischer   Glaube  und 
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