Zeitschrift für
Pliilosophie
und Padagogilc
LIBRARY
OP TBE
University of California.
Class
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Zeitschrift
fOr
Philosophie und Pädagogik
O. nfigd ^ W. Rein
bblUte^. loM
Zwölfter Jahrgang
UNiVi
Langensalza
Hermann Beyer und Söhne
(Beyer & Mann)
Hmogl. Sidis. Hofbttchbiiidlcr
1905
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3 /
A < ,
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V
Inhalt
16. 124. 204.
291
LoBSicf, Kind und Euost 177. 273. 369.
PoKOBKT, Die Ausfol^erong und Ausdeutung allgemeiner örteile mit positiTem
Subjekte und Prädikate durch Definition und Einteilung dieser Glieder
194
466
388-
97
1
28.
490
30.
306
13»
Mltt^ilangen
inj
Die Bestimmungen über Immatrikulation und Promotion Imniaturer an
deu
t s
51
Zur Frage der ethischen "Wertschätzung und religiösen Anerkennung
• •
59'
UA
154
1'>R
160
Konferenz der Lehrer des mutterspracliUchen Unterrichts in Bulgarien
161
222
• •
229-
232
235
Beiträge zur ^ eiterentwicklung der christlichen Religion . .
236
238
238
239
Der moderne Materialismus als Weltanschauung und üoschichts
prinzip .
240
Bericht üb. die 13. Herbstversammluug des V. f. w. P. Bez. Magdo
borg u. Anhalt
24a
246
• •
249
257
330
333
337.
452
De oorspronklijke >Ventjes« der Antwerpsche schoolkinderen .
344
347
350-
351
Verein der Freunde Herbartiächer Pädagogik in lllÜriOKea . .
351
407
5Ö0
506
Uber das Wachstum der Muskolkraft bei Schülern während eines Schuljahres
509
IV
Inhalt
Sait«
T)ie schleswig-holsteinische ländliche Volkshochsc^ . « . • 511
Das Prinzip der Freiwilligkeit in der Arl:)Qit der höheroa Bohnlen .... f>T5
Der englische Unterricht in den VoIksschuJen Hainbur^^ ....... 520
Bericht über die bulgarischen I/ehrorseminare fiir das Schuljahr 1903 '04 . 52^
Dritter Kunstorziehvingstag in Hamburg 529
Pädagogischor Ferienkurs in Kirchheim-Tect 530
Der ovangelischo Keligionsunterricht in den Volksschulen 530
Die Wirkung der Fürsorge-Gesetzgebung in Preußen 531
Demokratie und Kaisert^im iüi'd
Preisaufgabe der » KantgeselLschaftc 532
Bejjprecliunyen
Berliker, Lehrbuch der Experimentalphysik in elementarer Darstellung . . 168
-CoyAVBNTZ, Die Heimatkunde in der SoWe 361
Die neue Erziehung ■ ■ • 2Ü5
Dritte und vierte Schwind-Mappe • » « 536
EisLKrt, Wundts Philosophie und Psychologie ........... 5"35
Fa^lbrecht, Uber den Unterricht in der bildenden Kunst am Gymnasium . . "87
FöRSTKK, Jugendlehre . 303
•Gaüuio, Didaktischo Ketzereien . . . . . . . . ■ • • • • .• • •
GöiiRLNO, Die Anfänge der deutschen Jugendliteratur im 18. Jahrhundort . . 91
Ghussk. Historische Kechenbücher des 10. und 17. Jahrhunderts und die p]nt-
Wicklung ihrer Grandgedanken bia zur Neuzeit 171
HgysKL, Hauptprobleme der Ethik 76
HÖFTniNo, Philosophischo Probleme . . . • • , ■ • • ■ Q5
Kautzsch. Versuche in der Betrachtung farbiger Wandbilder mit Kindeni . . '206
Lazarus, Pädagogische Briefe •
LANüsiiERo, SciQtRiL uud Scioim, »Natur und Schule» ^
Lkmkk, Universität und Volkssclmllehrer 88
Tji's, Leitfaden der Psychologie . . . . . . . . ■ 86
Matthias, Die soziale u. politische Be<ioutung der Schulreform vom Jalire 1000 >'>3i)
Mkyer- Markau u. Holoschmidt, Eine Heimatakunde ala Volks- u. Jugendschrift 462
Mf'N'CH, Zukunftspädagogik . T ♦ . . 535
Münch, Geist des Lehramts 538
NAifLowsKY, Allgemeine Ethik 352
Paktsch, Mittelouropa 458
Rausch, Schülorvereine. Erfahrungen und Grundsätze 35?
Rkichel. über den GniOenkontrast 82
Rmslno, 25 Wandtafeln und 21 Voriagen fär das elementare Freihandzeichnen 267
KirK>:RT, Der Gegenstand der Erkenntnis • . • 83
Bkyffj^t, Die Unterrichtslektion als didaktische Kunstform 3o6
ScHNEiDKR, Die Zahl im grundle^^enden Rochenunterricht • • • • • • • • 265
■SiCKiNOKR. Der L^nterrichtsbetrieb in großen Volksschull'örpern sei nicht
schematisch-einheithch. sondern differenziert einheitlich 360
Siop»GF.R, Mehr Licht und Wärme den Sorgenkindern unserer Volksschnle! . 538
fipcoER, Soziale Fürsorge der Weg zum Wohltun . 3?)8
TEurFKL, Latcinisclie Stilübmigc!! aus dem Nachla.sse des W. ■ 463
Tombach, Untersuchungen über dius Wasen des Guten 533
Trokltsch, Poliüsche Ethik und Christentum . . . . . . . • • • ♦ • 54Ü
Ukkh. Die Ergebnisse und Anregungen dt\s Kunsterziehungstaffl in ^^"('imar . 3")9
VolüT. Die Bedeutung der Horbartschen Pädagogik in der Volksscbulo . . .
yuNDT, Völkerp.sychologie ^^5
ZiK.HE.N', t'ber Volkserziebung im nationalen Sinn
Znjje, Welches sind die pädagogischen Anfordernngen an einen Lehrply
für die bayrischen btädtibchen Volksschulen? 87. 540
Ein Einblick in das Gebiet der höheren Geodäsie
Von
Julius Redlich
Wie oft benutzen wir doch eine topop^raphisehe Karte, einen
Atlas oder Globus und wie wenig ist der Wissenszweig bekannt, auf
dem diese Hilfsmittel beruhen. Und doch muß in dieser Wissen-
schaft der Erd- und Ijändermessung ein erhebliches Maß von Geistes-
inhalt vorhanden sein, denn es haben sich mit ihr Männer von her-
vorragender Geisteskraft (ich nenne nur Karl Friedrich Gauss und
Bessel) eingehend beschäftigt. Zudem verdankt sie deutscher Arbeit
ganz besondere Förderung und ihre internationale Fortbildung ist
angebahnt durch deutsche Initiative und steht unter deutscher Führung.
Immer sorgfältiger werden die geistigen Werkzeuge der Beobachtung,
Fehlerausgleichung und Darstellung geschärft; die Rechnungsmethoden
haben eine Ausbildung und einen Umfang der Anwendung gefunden,
daß sie mit den astronomischen Rechnungen rivalisieren. Sollte es
nicht für Leser dieser Zeitschrift von Interesse sein, einen kurzen
Einblick in ein so gedanken- und arbeitsreiches Gebiet, auf welchem
ein umfangreicher Teil unseres Wissens und des Unterrichts ruht,
zu bekommen? sind doch gerade die Bücher über höhere Geodäsie
so schwer zugänglich. — Ich will versuchen, solchen Einblick in
gemeinverständlicher Form zu geben.
1. Das BEssEi.sche Erdellipsoid. — Was wir messen liegt
in der Ebene, auf Bergen, im Tal und alles liegt auf der gekrümmten
Oberfläche der Erde; aber wir messen die Lage der Punkte, indem
wir sie auf eine ideale mathematisch bestimmbare Fläche lotrecht
Zeitflchrift für Philosophio und Pädafffiifik. 12, Jahrg^anc;. 1
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2
Aufsätze
projizieren. Die ^Eeeresfiüche und deren j^^edachte Fortsetzung er-
scheint für diese Projektion zunächst vollkommen geeignet. Die
Schworclinien stehen allen thiilbon auf dieser "Wasserfläche senkreckt
Aber es finden Anzieliungen des Wassers nach den schweren blassen
der Kontinente hin statt, abhängig von der zufalligen Höhe und
Schwere dieser Massen. So weiclit schon die Meeresfläche von einer
matliematiscli bestiniml»aren Idcalgestult ab; und wenn wir uns das
Meer unter Kontinenten und Inseln als Projcktionsfläche so fortgesetzt
denken, daß letztere allenthalben die tatsächlichen Schwererich tungen
rechtwinklich schneide, so haben wir eine ganz unregelmäßige, von
lokaler Terraingcstaltung und Erdmassondiclito abhängige Projektions-
fUiohe, welche man Geoid nennt
F. R. TTwjfTOT hat diese Frage sehr umfiesenden Untersuchungen
untersogen. Hier einige Ergebnisse desselben: Den ftufieren Formen
der Eontinente nach müßte sich die Bliche des Oeoids unter
Europa, Asien und Afrika um 600 bis 700 m, unter Amerika um
200 bis 300 m, unter Australien um 50 m über das ungestörte
IfeeresniToau eriieben. Es deuten aber gewisse andere Tatsachen
darauf hin, daß die Eontinente gewissermafien aui^ockerte Schollen
von geringerer Dichte sind. So nimmt TTgr-ngMi die Höhen der konti-
nentiden Störungen des Geoids durchschnittlich nur zu 200 m an.
FQr die Meeresfläche selbst schätzt er die^ von den Erdmassen ab-
hängigen Senkungen gegen ein Umdrehun^ellipsoid auf 5 bis höch-
stens 20, die Hebungen auf etwa 8 m. Ein 750 km langes, 25 km
breites und 2600 m hohes Gebirge würde das Geoid am Fuß des
Gebirges um nahe 5 m, unter dem Gebirgsrücken um et^va GY, m
heben. Auch hier deuten geringere Beobachtungs werte auf eine Auf-
lockerung der Gebirgsmassen. Für den Harz beträgt die lokale
Hebung des ßeoids (also exkL der kontinentalen) noch nicht 2 m.
— Diesen Hebungen entsprechen Abweichungen der Schwerelinien.
Das oben erdachte 2500 m hoho Oebirgsgebilde würde die Scliwerc-
linie in 2500 m Entfernung vom Rücken um Iii Winkelsekunden,
am Fuße des Gebirges um 27", bei 12 7^ km Entfeniung außerhalb
des Fußes um 10" verändern. Am Kaukasus fand man eine Lot-
abwoichung von 54". Die Krünnuungsradien des (ieoids wecliseln
zwar stark, das Qeoid bleibt aber trotzdem immer nach außen
konvex.
Nach Bessei, beträgt die Differenz der beiden Hauptaxen des
Erd-Ellipsoids 42():56 m. Dagegen verschwinden, wie wir el)en
sahen, die durch kontinentale und lokale Massen verursachten Ver-
schiebungen des Geoids, und man kann also unbedenklich als ideale
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Bkdugb: Ein EinUick in das Gebiet der höheren Qeodftsie
3
Frojektionsfiäche eine noch näher zu bestimmende Rotationsfläche
annehmen, w elche die £rdaxe als Drehaxo hat.^)
Aus 10 Öiadmessunj^on zwischen 1<*31' südlicher und 66^20'
nördlicher geographischer Breite hat Bessel unter Annahme, daß jene
Rotationsfläche ein ümdrohunfjsellipsoid sei, die Dimensionen desselben
wie folgt hergeleitet: große Halbaxe — 6377397 m; kleine HaLbaxe
6356079 m; Abplattung — Es gibt eine auf ganz anderer
«rnindlaue beruhende Bcstimnuin;! obitror Rotationsfläche. 122 Mes-
sun^'^eu der Länge dos Spkiiiuleiipendcls , ausiL^ofülirt an den ver-
schiedensten Orten der Erde vmi 0 bis KO" i:f'o<^raj)liisclier J^rcito,
gaben Helmert die Daten zur Bestimmung eines >Xiveausph;iroi(l>
d. h. einer Rutationsfläclie , welche ilas Meer unter "Wirkung der
Massenanzieliung und Zentrifugalkraft (abgesehen von Ebbe und Flut)
annehmen wird. Es eigab sich hierbei die Abplattung der Erde
zu öpcf ^yö^* genaue Übereinstimmung der Abplattung nach
beiden Methoden, von denen die eine also auf iJingeü- und Winkel-
messungen, die andere auf Schweremessimgen beruht ist wohl nur
eine zutällige; sie zeigt jedoch, daß man sieh des B>;sskl sehen Erd-
ellipsoids, nach welchem arheitsreielie Tafelwerke berechnet sind,
noch heute mit vollem Rechte allgemein in der Geodäsie bedient
2. Triangulationen erster Ordnung. Als Beispiel einer
Triangulation erster Ordnung wollen wir die der Provinz Hannover
betrachten. Diese Triangulation ei-streckt sich vom Meißner, süd-
östlich Göttingen bis etwa Neumünster in Holstein, und vom Brocken
bis Bentheim an der holländischen Grenze. Es sind nur 3 Längen
(Basen) wirklich gemessen: eine 5193 m lang bei Göttingen, eine
5875 m lang bei Braak, nordostlich nahe Hamburg und eine 7039 m
lang bei Meppen. Göttiugen, .Meppen, Braak bilden ein nahe gleich-
schenkliches rechtwinkliches Dreieck tou etwa 225 m Länge der
Katheten* Bie Figur aal S. 4 gibt den südwestlichen Teil der Trian-
gulation zwischen Meppen und Gdttingen. — Yen der kleinen ge-
messenen Base 1—2 bei ^Iei)pen ist man, wie Ügur zeigt, durch
Bestimmung sweier rhombenartiger Tierecke zu der Triangulations-
') Nachdem Jacobi gezeigt hatte, daß eia rotierender fiüüäiger Jvurpur aucti
in 0«Bialt eines dnisiigeii lUipeoids bestehen kann, glaaUea OwKttteii die Lot-
abweicimngen dordi em Bolohee Blipeoid Teimindeni sn können. Solch dreiaxiges
Ellipsoid kann aber onr existieret], wenn das Verhältnis der Äqnatoxialazen kleiner
als 0,707 ist, was bei der Eide sicher nicht der Fall ist
1*
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Aufsätze
Seite 5—6 (Windberg-Haspe) übergegangen, und fihnliohe Übergänge
von der gemeBsenen kleinen Base 17—18 za der Hauptdreieoksseite
15 — 20 finden bei Odtdngen und gieichgeartet bei Braak statt
Ein Schulmann, Professor ScHwintD sah die mühselige Meßarbeit
der 15460 m langen Basis einer Triangulation bei Speyer, und ging
1820 mit seinen Ly-
ceumsschülem hinaus,
und maß die dadurch
berühmt gewordene
kleine Speyersche Basis
von nur 860 m Tünge,
und, indem er die Meß-
arbeit sparsam dem Ge-
wichte der Dreiecks-
stücke anpaßte , be-
stiiiinitc er durch ähn-
liche rhoiubonaitige
Übergänge mit unver-
hältnismäßig geringen
Mitteln zutreffend die
Länge der großen Basis.
Dem Laien verdsinkt
man diese Metliode.
Kein en wir zu unserer
Triangulaüun zuriick.
Die von den Biusen aus
bestimmten Dreieck-
seiten 5—6 und 15—20
sind nun doich eine
Kette großer Dieieoke
miteinander verknüpft
und fihnliohe Dreiecks-
ketten erstrecken sich
von Braak nach Meppen
und Ton Braak nach
Güttingen. Dieser
Babmen, welcher das in schwichere Linien teilweise angedeutete
innere 130 mal 220 km große Gebiet (das Wesemetz) umschließt, ist
in Bezug auf unvermeidliche Yermessungsfehier in sich fest aus-
geglichen. Das innere Netz (Wesemetz), aus annähernd gleich großen
Dreiecken bestehend, ist gleichfalls in Bezug auf Fehler in sich
• ia 10 50 s% 50 6011
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Seduch: ESn Einblick in das Gebiet der höheren Oeodisie
5
und ?0£ron die dasselbe umgebenden Winkelpunkte des Rahmens
ausgeglichen. So ist ein tanUohst fehlerloses Netz für alle weitere
Messungen pegobcn.
Eingehende theoretische Untersuchungen sind über die aus un-
vermeidlichen Fehlern der AViiikelmossung hervorgehenden Fehler
der Dreiecksseiteu. über die F(*rtpflanzung dieser Fehler je nach An-
ordnung der Figuren (ob Dreiecke oder Mehrecko mit DiagoruUen,
ob große oder kleine Dreiecke), über die geringste Messungsarbeit
kurz über die beste Art der Triangulation angestellt. Sind z. B. in
einem nahezu gleichseitigen Dreieck die Winkel mit einem Fehler
von mehr oder weniger 1 Sekunde gemessen, sd ist eine aus fehler-
los gedachter Basis imd beiden anliegenden Winkeln berechnete, der
Basis anliegende Seite mit einem Fehler von + 3,9 mm auf den
Kilometer Länge behaftet, und von den nun fehlerhaften Seiten pflanzen
sich die Fehler, infolge der unvermeidlichen Winkelfehler weiter fort.
— Eine Basis von mäßigen Dimensionen, Übergang von derselben
zu den Dreieckseiten durch rhombenähnliche Anordnung unter sorg-
samster Messung der spitzen Rhombenwinkel, große möglichst gloidi-
seitige Breiecke ohne DiagonalTerbindangen, das ist nach Torbezeich-
neten üntersachmigeii die beste Anordnmig. — In unserm Beispiele
einer Triaagnlation erster Ordnung sind 3 kleine Basen gemessen.
Dadozcfa wird die Zonahme der Fehlerfortpflaozung eng begrenzt
Alle andere Hessong ist Winkelmessnng.
Was bedingt nnn die Größe der Dreiecksseiten erster Ordnung?
— Der mit dem Fernrohr des Winkelmeflinstraments fTheodoliQiza
slditende Punkt muß durch ein Spiegelbildchen der Sonne^mittels
des Heliotrops markiert werden. Dies ist nur Ton etwa 8 Ühr Nach-
mittags bis Sonnenuntergang ausfahrbar. Wie oft stört Trttbung der
Luft die Sichtung. Im Hügel- und mittleren Bergland läuft die Sicht-
linie durch klarere Luft, dort können die Dreieckseiten größer sein.
Zieht man in der Triangulation Nord- und Südwestdeutschlands
eine Linie von Bremen nach Glogau und Öls, so sind die Dreiecks-
seiten östlich dieser Linie (im Flachland) meist 25 bis 35 km lang,
die westlich davon (im Hügel- und Berglaud) 50 bis 70 km. In
Deutschland ist wohl das größte Dreieck das von K. F. Gauss be-
stimmte: Hohenhagen — Inselberg — Brocken mit Seiten bis 105973 m.
Die größte Dreieckseite überhaupt ist die einer Xriangalation zwischen
Spanien und dem westlichen Algier: von Mulhazen bis Filhavussen,
269926 m lang, gesichtet bei Nacht mit elektrischem Licht.
Es ist zu beachten, daß bei der Winkelmessung die Axo des
Theodolit mittels Idbeile, also in der Schwererichtung eingestellt
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6
AufBätse
wird und dafi diese Riciitimgen in je zwei Punkten dee Erdeilipsoids
im allgemeinen nicht in derselben Ebene li^en, woza noch die
schon oben erwähnten Lotabweichungen treten.
Zu Anfang dee 17. Jahrhunderts maß SuELurs die Winkel bis
auf 1 Minute genaa, jetzt eireioht man Genauigkeitea von % Sek.
und wenif^er.
Den andorn Teil der Meßoperationen bildet die Messung der
wenigen, zur Größe des ganzen Dreiecksnetzos fast verschwindenden
Basen. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts wurde eine Basis bei
Mündelheim mit besonderer Sorgfalt und zwar mit hülzemen Meß-
latten und viermal gemessen. Der mittlere Fehler einer Messung
betrug + 8,2 mm auf den Kilometer. Dagegen erreichte man 187!)
bei der Messung der schlesischen Basis bei Strohion eine Genauig-
keit von + 0,70 mm pro Kilometer für eine Messung. Epoche-
machend ist hier der zuerst bei der Triangulation Ostpreußens an-
gewendete Bi>;sF.i,sche Apparat. Die 4 gleiciien 3.89S m langen Maß-
stäbe bestellen aus einem Eisenstab, dessen WärmeausMchnung durch
die Differenz gegen einen daran befestigten Zinkstub mittels flach
zulaufender graduierter (J laskeile gemessen wird. Die Maßstäbe
werden auf horizontale Bettung mit geringem Zwischenraum gelegt,
nnd die Zwischenräume werden mit denselben Glaskcilen gemessen.
Mit diesem Apparat sind zwischen IS.'M und 1892 14 Basen in
Dentsohland, Belgien und Dänemark gemessen. Inzwischen sind zahl-
reiche neuere Methoden aufgekommen und die Genauigkeit wird
wesentlioh gefSidert durch die internationale Meterkonvention von
1872. Nach derselben sollen 30 gleiche Mafistäbe Ton zförmigem
Qaencfanitt, 2 cm Breite und Höbe ans einer Legierung von 90 Teile
Platin und 10 Teile Iridium beigestellt werden, welche Legierung nur
eine Ausdehnung von 0,000009 fOr V C. hat Ein solober Mafistab
(No. 18) gilt seit 1890 als deutsches Grundmafi.
Aus der gemessenen Basis und den gemessenen Winkeln kann
man nun ^on Dreieck zu Dreieck fortschreitend die Längen der Drei-
eoksselten berechnen. Bei den hier in Betracht kommenden Dimen-
sionen ist es znlSssig, die Dreiecke als auf einer Kugel liegend zu
betraofaten. Ein solches sphSiiscbes Dreieck bat eine Winkelsumme
von mehr als 2 Rechten. Dies Mehr (sphärischer Exzeß genannt)
ist proportional der Dreieoksfläohe und berechnet sich nach der
F 180^
Formel t ~ • • So ist z. B. die Oberfläche des achten Teils
t* n
4r>ff
einer i^ugel (geteilt durch 3 aufeinander senkrechte Schnitte) F =- — g—
J
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Biduck: Ein KmWiflk in das Gebiet der höheren Geodäsie
7
Der sphSriflohe Exsefi solohen Engeldroieoks berechnet dch also zu
T*.n 180"*
I ♦/^ . • — — BS 90**, wie ja in der Tat das Dreieck solcher
AchtelkagelflAche 180<> + 90^ 3 Beerte als Winkelsamme hat
So hat ferner z. 6. das große oben erwähnte Dreieck Hohenhagen —
Inselberg— Brocken einen sphärischen Exzeß von 14,85".
Man berechnet nun nach einem merkwürdig bequemen Satz (von
Legendre), dessen Berechtigung die höhere Geodäsie nachweist, die
Lfinge der Seiten des sphärischen Dreiecks, nachdem man dessen ge-
iDeasene Winkel um je Vs sphärischen Exzesses vermindert hat,
genau so, als ob es ebene Dreiecke wären. Endlich sind noch die
auf der Erdoberfläche (und zwar horizontal) gemessenen Längen auf
die Mecrosflächo zu beziehen; sie verkleinern sich dadurch bei
Höhen von 101) m um 0,0157 m, bei Höhen von 500 m um 0,0815 m
auf je 1 km Länge.
Neben der Messung der Basis und der Dreieckswinkel ist für
f'ine Triangulation noch die Bestimmung eines Azimut nötig, d. h.
AVinkels, den an einem nach geograpliisciier Länge und Breite
bestimmten Funkte eine von demselben ausgoliende Dreieckseite mit
dem Meridian jenes Punktes bildet. Damit ist dann die Lage des
ganzen Dreiecksnetzes auf dorn Erdellipsoid festgelegt, d. h. es lassen
sich nun alle Punkte der Triangulation nach Länge und Breite be-
stimmen. Hier ist beachtenswert, daß die astrunoniisclie Bestimmung
der I>änge und J^reite eines Ortes weit weniger Oenauigkeit besitzt,
als geodätische Messungen. Die Schwankungen der Erdachse um
deren Mittellage in der Zeit von 1890 bis 95 entsprechen etwa 18 ni,
gemessen auf der Erdoberfläche und erst 1883 wurde die Beachtung
soleher Schwankungen, welche die geographische Breite eines Ortee
am den ganzen Betrag fälschten, angeregt Bei den weit schwierigeren
Bestimmungen der geographischen Länge eines Ortes waren natfirlich
die Fehler weit größer. Bis 1859 ist die LBnge der Berliner Stern-
warte nm 12,95 Winkel-Seknnden größer angenommen worden, als
sie sich nach neuerer telegraphischer Bestimmung ergeben hat; das
ent^richt, auf der Erdoberflfiche gemessen, einem Fehler Ton 247 m.
Nimmt man mit Hslmebt jetzt den Fehler astronomischer Bestimmung
in Breite zu 0,3", in Lftnge zu 0,5", so entsprechen diesen Fehlem
ffir Deutschland Abstände von nahe 10 m. Nach Albrscht beträgt
aber der Fehler der besten astronomischen Längenbestimmung i/«",
was 15 m Abstandsf ebier entspräche. Messungsfehler in der Aus-
dehnung deutscher Dreiecksnetze erreichen nicht entfernt derartige
Oröfien.
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8
Aofsätse
J
Rg. 2.
Nordpol P
3. Die Übertragung der Triangu-
lation auf das Erdellipsoid. Die
geographische Lange und Breite (letztere
mit (/ bezeichnet) eine^ Punktes A (z. B.
der Sternwarte Berlin) nehmen wir als
gegeben an; die Länge der Dreieck-
seito AB = ff ist aus der Triangulation
berechnet, das Azimut a, d. h. der Winkel,
den AB mit dem Meridian AP bildet, ist
gemessen. Die Aulgabe der helleren Oeo-
dlsie ist es nun, aus dem sphäroiden Polaidreleck ABP, in
-welchem PB gleichfalls ein Meridian ist, und Ton welchem 90^ — 9>
und tt in Graden, c in Metern gegeben sind, X, 90 — (f' und (leti^
teres das Azimut von AB im Punkte B) zu bestimmen. Damit hat
man geographische Lfinge und Breite des Punktes B und das Azimut
jeder andern tou diesem Punkte ausgehenden Dreieckseite, so dafi
man nun, in gleicher Weise yon B weiter schreitend, nach und
nach alle Triangulationspunkte nach geographischer LSnge und Breite
bestimmen kann.
Die L8nge g wird einen um so größeren Abstand geographischer
Unge und Breite überdecken, je stärkte die Krümmung der Ellipsoid-
oberflftche in der Bichtung AB ist, d. h. je kleiner der Krümmungs-
halbmesser. Auch bezüglich der beiden Meridiane wird das Krüm-
mungsmaß ihrer in das Polardreieck fallenden Seite AP und BP ffir
das Dreieck bestimmend sein. Für die Meridiane ist der Krümmungs-
halbmesser (M) in einem Punkte Ton der geographischen Breite q
nur von der Ellipsoidabplattung und von f abhängig; für die Seite AB
aber kommt auch der Krümmungshalbmesser (N) des auf dem Meridian
senkrecht stehenden Schnittes des KUipsoids^ und außerdem die Größe
des Azimut in Betracht
') Beteidmet a die gioBe Halbtxe der EideUipee, b die Ueme; ffikit man
femer folgende Abkürzungen ein;
— e"; -p — c; 1 -f- e" cos'*
~ ' b
80 werden die obou erw'ühntcn lüÜQimangshalbmeääer in eineiu Punkte von der
geogiaphiBohea Breite f ; M (für dem Meridian) « K(8enkreohtsam Meridian)
; Iva (für eine liithtung vom Azimut a) =* — .
1
• 1 4- e** coe C08 a"*
Für die ük ^kx sehen Dimensionen dee BUtpsoid ist o — 6398790 m und e'*
-» 0,00072 m.
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Beduch: £in Einbliok ia das Oebiet der höheren Geodisie
9
Für die Folardreieckseito AB ist aber noch folgender Umstand
von erheblichem Gewicht. Im allgemeinen liegen die in A und B
auf der EUipsoidoberflächo errichteten Lote, in deren Richtung die
Yertikalaxe des Winkelinstruments eingestellt ist aiu h abgesehen von
den znföliigen Lotabweichungen, nicht in ein und derselben Ebene.
Visiert man von A aus. so geht die Sichtebene durch das Lot in A
und durch den Punkt B, visiert man von B aus, so geht diese Ebene
durch das Ix)t in B und den Punkt A. In der Tat visiert man un-
vermeidlich zwei verechiedeno Linien AB ein. Zwischen l)eiden
Hegt die sogenannte geodätische Linie, die man am einfaclisten als
tunlich geradeste und kürzeste Verbindung beider Endpunkte defi-
nieren kann. Wir denken und rechnen nach der geodätischen Linie
und messen tatsächlich nach zwei verschiedenen Normalschnitten AB
und BA. — AVie groß ist die hiermit verknüpfte Differenz? Für
zwei Punkte, Mannheim und Vogelsberg z. B. (Entfernung 132 km)
berechnet sich die griȧte Querabweichung beider Normalschnitte zu
9 mm, die Dingendifferenz zwischen geodätischer Linie und Normal-
schnitt zu 0.00 000 Ü04 nun und die Korrektur für das Azimut zu
0,037 Sekunden. Es wird also selbst bei recht großen Droieckseiten
eine Winkelkorrektion kaum nötig sein. Die Längendifferenz ist
völlig unwahrnehmbar.
Die Torbehandelte Aufgabe der Berechnung dea Polardreiedm
tritt in den mannigfachsten Formen aot Bald handelt es sich um-
gekehrt am Bestimmung der Länge von AB aus geographischen
Längen und Breiten, bald um ungemein große, mittlere, Ueine Drei-
ecke. B€|i letzteren genügen die geschlossenen Formeln der sphärischen
Trigonometrie, deren Eigebnisse man durch leichte Korrektur dem
EUipsoid anpaßt; bei ersteren sind genaueste Formeln mit vielen
komplizierten Gliedern nötig. Immer ist es Sache der hdhem Geo-
däsie, die arbeitsparendste bequemste L5sung zu suchen. Geistreiche
Arbeiten Ton K. F. Gauss sind gerade diesem Zwecke gewidmet
Ffir alle hier in Betracht kommenden mathematischen Unter-
suchungen dient als Hauptwerkzeug die konvergierende Beihe. Die
Zahlen, weldie uns die Logarithmentafel fertig zu Gebote stellt (sie
shid ja auch durch konvergierende Reihen berechnet) reichen direkt
nur für Kreisberechnung aus. Die Aufgaben am EUipsoid erfordern
neue Reihenentwicklungen, welche nun die Zahlen der Logarithmen-
tafeln als gegebene Größen benutzen. Die Hauptaufgabe des Mathe-
matikers ist hier die Reihen für die massenhaften Berechnungen sehr
bequem und vor allem stark konvergent zu machen. Je nachdem
man von diesen unendlichen Reihen die ersten zwei, drei oder mehr
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10
AufsätM
Glieder anwendet, folgt man, unnütze Arbeit meidend, demjenigen
Bedürfnis an Genauigkeit, welches die besondere Aufgabe fordert Ich
gebe als Beispiel die Reihe für Berechnung des Logaritlinnis der in
Anmerkung 1 mit V bezeichneten vielbonutzten Größe. Sie lautet:
14590- 0082;J4 cos2 ^ — 49-0l87ll cos* (f + 0-2lfl578 cos® y —
0' 001 106 cos* f/ -|- 0' OXxiTtri cos^o — . Die großen Ziffern vor dem
obern Punkt entsprechen Einheiten der 7. Dezimalstollo. Die imgenioin
starke Konvergenz der abwechselnd verniiiulcruden und vermehrenden
Zahlen- Koeffizienten wird noch erhülit durch die Konvergenz der
Kosinus -Glieder, welche für beispielsweise öQ» Breite von 0,11 auf
O.Ol fallen. Für die meisten Fälle genügen schon die ersten drei
Glieder der Keihe.
4. Die Darstellung der Triangulation auf der Ebene
des Papiers. In einem Lande von mäßigen Dimensionen und wenn
man seinen Blick über das eigene Landesgebiet nicht viel hinaus-
gehen lassen wollte, war es das einfachste, eine gerade Richtung als
Abscissenaxe anzunehmen und reclitwinklich zu ihr Ordinaten, welche
den auf der Erdo selbst rechtwiuldieli zur Abscissenlinie abixesteckten
Linien eut'^prechen sollen, und so die Triangulationspuukto auf das
Papier zu übertragen. Bayern, für welches Soldner gegen 1809 dieses
System der Vermessung einführte, hatte damals eine südnördliche
Ehstreoknng von 530 km und eine ost westliche von 300 km. München
lag in der Mitte der letztem Dimension. So ergab sich von selbst
der Meridii^ Ton Münolien als Absoisse, mit Hflnöhen als Nullpunkt.
Andere Meridiane waren nicht nötig, ebensoweoig geographische
Breiten. Man konnte andi die Dreiecke als auf einer Kugel liegend
ansehen. An Stelle des Azimut tritt in diesem System der »Richtungs-
winkel«, die Abweichung einer Dreieckseite von der Abscisse. — Idi
fibergehe die Aufgaben, welche dieses System an den Mathematiker
stellt ~ Für Württembeiig^ fOr Baden war nach Lage dieser Lfinder
dasselbe System mit den Meridianen von Tübingen und Mannheim
als Absoissen angemessen; Anhalt nahm, seiner Gestalt entsprechend
auch den Meridian aufgebend, eine westOstliohe durch Dessau
gehende Abscisse an.
Da die Urbilder der Ordinaten auf der Kugel selbst konvergieren,
wiihrend die Ordinaten auf dem Plan parallel laufen, so tritt eine
A^rzerrung des Planes ein. Es erscheinen die AbstSnde zweier
Punkte in der Richtung der Abscisse gemessen auf dem Plane bei
Abständen von der Hauptabscisse von 50, 100, 150 km um bezw.
3, 12, 28 cm auf 1 km länger, als sie in Wirklichkeit sind, und,
was das schlimmste ist, die Zenrung ist in den verschiedenen von
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Beduch: Ein Einblick in das Gebiet der höheren Geodäsie
11
einem Punkte aiugehenden Bichtangen versofaieden, die Bilder sind
(mathematisch an^gedrückt) dem Original nicht ähnlich. — E. F. Gauss,
dem man die wiohtigeii Unterandmngen über gekrfimmie lUohen
verdankt, hat diesen llifistand durch die »konforme Abbildung« er-
heblich unschädlicher gemacht Danach entsprechen den Figuren des
Originals in ihren kleinsten Teilen Tollkommen ähnliche Figuren
des Bildes. In größerer und größerer Entfornung von einem be-
trachteten Punkte aber yerscbiebcn sich (iic konformen Stttcke kaum
merklich gegeneinander, um die unaufhebbare Differenz zwischen
krummer Fläche und Plan auszugleichen. Der Maßstab des Bildes
wächst etwas mit dem Abstände vom Mittelmeridian, aber in jedem
Punkte ist diese Vergrößerung; nach allen Richtungen gleich groß;
man kann daher den einzelnen Kartenblättem einen ihren mittleren
Abstand von dem ^littelmoridian ontsprerheiid vergrößerten Maßstab
aufdrucken, der dann in allen Richtungen brauchbar ist. Wie bei
dem Soi.DNERschen System verschieben sieh auch bei konformer Ab-
bildung gerade I-inien des Originals, zunehmend mit dem Abstand
vom Mittehneridian zu sehwacli gekrümmten, nach dem Meridian zu
konkaven Linien des Bildes, aber die damit zugleieh verknüpfte
Richtungsänderung der Linien ist für konforme Abliildung \\<>it ge-
geringer; so beträgt bei 100 km Abstand vom MitteluKTidiaii die
Riohtungsünderung einer ö km langen, unter einem Richtungswinkel
von 4.')^ verlaufenden (haden bei Soldner 14,0", bei konformer Dar-
stellung nur 1,3". Endlich ertragen wir ja ohne erheblichen Übel-
stand die Verkleinerung von in hohen Gegenden gemessenen Flächen
durch Reduktion auf den .Meereshorizont; so erscheint die mit der
konformen Darstellung verknüpfte Maßstabvergrößerung um so weniger
nachteilig, als sich beide Verschiebungen teilweise ausgleicdien.
Am Tollkommensten und der Landesform besonders ssweckmäßig
angepaßt, ist die konforme Darstellung, welche der Oeodät PASCBEir,
ein Sohfiler von E. F. Gauss, in Mecklenburg angewendet hat Die
Triangulation ist direkt und zwar konform auf eine Kegelzone (also
auf eine abwickelbare Ebene), welche Zone das Erddlipsoid im
Pazallelkreis 53^46' berührt, projiziert Es würde sich für die größten
Abstünde des Landes von diesem Parallelkreis eine MafistabTergrößerung
bis zu 85 mm auf 1 km ergeben. Durch Höherlegung der Projektions-
ebene auf + 262,4 m hat nun Paschen das Maximum der Maßstab-
indemng fflv ganz Mecklenburg auf 40 mm auf 1 km herabgesetzt
K. F. Gauss hat eine konforme Abbildung von dem Ellipsoid
aaf eine Engel erdacht und bearbeitet, derart, daß dem Parallelkreis
52«42' 2,5325" anf dem Ellipsoid als identisch entsprechen soll der
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12
Aufsätze
Parallelkrois 52*40' auf einer Projektionskugelfläche von 6 383040 m»)
Kadius. Die konforme Darstellung erfordert dann nur eine gleich-
fürmiiTo unerheblich (1 : 1,00420) vern^roßerte Übertragung der geo-
grapiiischen Längen vom Ellipsuid auf die Kugel; und der Maßstab
ist hierbei fast unveränderlich bis auf O" Abbtuiul vuin Mittelparullel.
Die Projektion, welche die preuliischen Koordinatensysteme zu-
sammenhält und auf welche die Uesamttriangulation des Staates über-
tragen wird, beruht auf konformer Abbildung vom EUipsoid auf die
Kugel entsprechend der vorbezeichneten Ideen yoxl Gauss, und weiter
wird nan die Triangulation konform abgebildet von der Kugel auf
die Ebenem Als Xaze dient hierbei der Meridian 31^ östlicher Länge.
Die ganze Triangulation hängt an dem einzig astronomisch bestimmten
Punkt Berlin. Sie stützt sich auf acht gemessene Grundlinien: Königs-
berg, Berlin, Bonn, Strehlen, Braak, Oberbergh, Göttingen and
Heppen. Große Dreiecksketten nmziehen die Grenze; im Südwesten
Pfalz und Elsaß-Lothringen mit umfassend. Andere Dreiecksketten
bilden Yerbindongen zwischen dem äußeren Bahmen und lassen nur
Baum für wenige größere und kleinere Füllnetze. Die Arbeit begann
1832 in Ostpreußen und endete 1895 mit dem PfiUziBohen Dreieoks-
netz. Für die Spezialvermeesung sind 40 Koordinaten-Nullpunkte für
die einzelnen Bezirke festgestellt Diese Spezialmessung wird ab-
weichend yon der konformen Darstellung der Gesamttriangulation nach
Soldnerschen Koordinaten berechnet und bezeichnei
5. Verknüpfung der Detailmessung mit der Triangulation
erster Ordnung. Wir folgen hier den preußischen Bestimmungen.*}
An die Dreiecke erster Ordnung schließen sich solche zweiter Ord-
nung Ton 10—20 km Seitenl&nge, hieran solche von dritter und
vierter Ordnung von 10—3 km Seitenliinge. Die Ordnungen unter-
' scheiden sich durdi abnehmende Größe der Winkelinstrumente und
abnehmende ^Multiplikation der Winkelmessungen. Die Punkte joder
Ordnung sind an die der nächsthöheren mittels etwa 4- oder 5 fachen
Dreiecksschluß geknüpft und die Messungsfehler in jeder Ordnung in
sich ausgeliehen. Unterhalb der zweiten Ordnung ist auf Erd-
krümmnng nicht mehr Rücksicht zu nehmen, und unterhalb der
vierten Ordnung tritt Trennung zwischen Kataster und topographischer
>) llittlorar Krfimniimgsradiiis des EUipsoid im FanM 62*42' 2^5".
*) BestimmaDgen des Vorsitzendeii der Zentnüdirektioa der Ywmeasongea
vom 12. 7M; ferner IX. Anweisung des Finanzministers vom 2r)./10. 81; end-
lich: Vorschriften der topographisohea Abteilung der LandeaTennessangen vom
22./3. öa
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Beouch: Ein ISaUick in das Gebiet der hSheren Ocod-isi»
Messung ein. Letztere wird mit Meßtisch und Eippiegel aofigeftthrt,
beruht also auf Messung und direkter Abbildung der Winkel (nicht
auf Längonniossung) und erstreckt sich auch auf Bamtelinng der
Höhenverbältnisse. Das Meßtischblatt umfaßt je 6 Minuten Breiten-
und 10 Minuten Lfingendifferenz und mißt das Tenain im Maßstab
1:25 000.
Bei der Katastervermessung sind l?r::ronzung, Ertrag- und Besits-
verhältnisse das Wesentliche. Die Mdistäbe sind dem angepaßt und
1 : 4000 bis 1 : 500 bilden etwa die Grenzen derselben. — Die von
der Landestrianguiation nach geographischer Länge und Breite ge-
frebenen Tunkte werden in SoLDNEBSchen Koordinaten auf dem Null-
punkt des bezüglicbeu Koordinatensystems (Preußen ist, wie wir oben
sahen, in 40 solcher SoLDxraschen Spozialsysteme eingeteilt) uni-
gereclinet. Die so gegebenen Dreieckspiinktt' werden durch weitere
Triangulation (nur Wiukelmessung) so vei niehrt. dal) auf je 10 Poly-
gonpunkte (Punkte der nacherwälinten Polygonzüge) etwa 1 Dreiecks-
punkt kommt. Hieran srhlit'lioii sich für die Detaihermessung lang-
gestreckte Pnlygonzüge, dereu Ijängen nüt Maßen, deren Winkel mit
Theodolit gemessen werden.
H. Die Erdmessung. Die neuere Erdmessuug l)eginnt zu An-
laug des 17. Jahrhunderts mit der Triangulation von Alkmar bis
Bergen op Zoom durch Sneixius. Sie beruhte auf linearen Messungen,
die bich tunlichst der Kichtung des Meridians anscidielten. Zwei
solche Messung» !! in verschiodoncn Breiton unter Feststellung der
Polhöhen der Endpunkte genügen nutdürftig für Bestimmung der
Hauptdimensionen des Erdellipsoids. Natürlich wird die Genauigkeit
durch größere Ausdehnung der gemessenen oder trigonometrisch
mittelten Längen, Yermdürung der Polböhebestimmungen und Aus-
dehnung der Operationen auf weit abstehende geographische Breiten
erheblich erhöht Man hätte auch durch Bestimmung von Parallel-
kreisstücken in zwei verschiedenen Breiten die Dimensionen des Erd-
ellipsoid bestimmen können, wenn damals, wie wir oben gesehen, die
astronomische Bestimmung geographischer Längendifferenzen nicht völlig
unzulänglich gewesen wäre. Heute, wo man solche lüngendiffe-
renzen durch telegrapliische Zeitflbertragungen weit genauer bestimmen
kann, würde schon die genaue FMegung einer einzigen >geodätischen<
lonie für die Erdmessung genügen. Nimmt man beispielsweise an,
man habe für das Folardreieck Berlin— Pol— Breslau die Breiten für
Berlin und Breslau astronomisch gemessen, die geographische Längen-
differenz durch elektrische Zeitübertragung bestimmt, man habe femer
durch eine Dreieckskette die metrische Länge der geodätischen Linie
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14
Aufsätze
Berlin— Breslau ermittelt und die Azimute dieser Linie Berlin und
Breslau gemessen und korrigiert, so hat man G gemessene Stücke
und kann daraus das Ellipsoid mehr als ausreichend bestimmen, da
diese Bestimmung nur 5 gemessene Stücke erfordert.
Es stellt sich aber ein Hindernis entgegen: die Lotabweichungen.
Der Umstand, daß im allgemeinen die Lote, in den Endpunkten einer
Dreieckseite auf dem Ellipsoid errichtet, wegen der Form des Ellip-
soids nicht in einer Ebene liegen, wirkt zwar, wenn man von dem
niedrigem nach einem höher gelegenen Punkt sichtet, analog so, als
ob man nach der aus einem Wald eben hervorragenden Spitze einer
schief gestellten Signalstange sehe; die Höhe verhüllt den untern
Teil des schrägen Lotes, wie der Wald die schriige Stange. Aber dieser
Fehler läßt sich berechnen und, wenn er merklich ist, korrigieren.
Anders die lokalen und zufälligen Lotabweichungen. Es gibt kein
Mittel, das absolute Mafi einer Lotabweiohung zu bestimmen; man kann
nur die lelative Abweicbnng der Lote zweier Orte durch Yeigleiobnng
geodätischer and astronomischer Messungen ermitteln nnd nach Größe
angeben. So bringen diese Lotabweichungen auch in die Winkel-
messung im einseinen unkoirigierbare Fehler hinein, aber weit
wichtiger sind die Fehler, welche eine Lotabweiohong bei astro-
nomischer Bestimmnng von Länge und Breite erzengt Findet die
Lotabweichung nur in der Riofatnng des Meridians statt, so fiUscht
sie die Breite des Orts um den Betrag der Lotabweichang, und weicht
das Lot nur in der Sichtung nach Ost oder West ab, so wird für
NorddentBchland die UUige des Ortes um Vs Lotabweichung un-
richtig.
Keluen wir zur Bestimmung des Erdellipsoids aus den 6 oben-
bezeichneten Stücken eines großen Polardreiecks mit der geodätischen
Linie Berlin— Breslau zurück. Denken wir uns aus den großen Drei-
ecksketten der Triangulation Nord- nnd Westdeutschlands geodä-
tische Linien von 150 bis 300 km nach linearer Länge und nach
Azimuten berechnet, Linien wie Berlin— Breslau, Kiel — Berlin usw. und
daraus gebildet ein großes Netz, umrahmt von Kiel, Wilhelmshafen,
Erkelenz, Straßburg, Mannheim, Westerwald, Göttingen, Brocken,
Leipzig, Großenhajn, Schneokoppo, Breslau, Goldap, Memel, und ver-
knüpft mit Berlin, ein Riesennetz von ."H Netzpunkten und 42 großen
geodätischen Linien! Die Netzpunkte seien neben vorgedachtem geo-
metrischen Zusammenhang auch durch astronomische Messungen und
elektrische Zeitbestimmungen nach geographischer Länge und Hreir»»
sorgfältig bestimmt. Dann werden die Fehler der Lotabweichuugen
sich aufheben und mindern und die zahlreichen Polardreiecke werden
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Heduch: Ein Einblick ia das Gebiet der höheren Geodäsie
15
die größte Sicherheit für Bestimmuag der Erdgestalt für das unter-
suchte Gebiet ergebon.
7. Die Fehierausgieichung. Wir haben diese Aufgabe bis-
her nur mit wenig Worten berührt und doch durchdringt die
Forderung nacli ihr das ganze Gebiet der Geodäsie: die Prüfung der
Instrumente, die Messungen und ihre Darstellung, die Kechnungs-
methoden, die Beurteihmg des Einflusses selbst unbedeutt nder Neben-
omstände (z. B. seitlicher Refraktion) usw. Die Fehkrausglciehung
beruht auf einem festen Gesetz für Auswahl des wahrscheinlicljstea
"Wertes einer mehrfach bestimmten Größe, welches Gesetz das sub-
jektive Dafürhalten und bedrückende Schwanken ausschließt, und ein
zahlenmäßiges Urteil über die fertige Leistung bietet.
Die Methode der kleinsten Quadrate, auf welcher die Fehler-
ausgleichung beruht, wird ja auch in vielen andern Wissenszweigen
angewendet; aber hier hat sie eine ganz besonders ausgedehnte
spezielle Anpassung gefunden. Zunächst auf große Triangulationen
angewendet ist sie allmählich bis in die niedersten Messungen ein-
gedrungen.
Es handelt sich hier nicht um Nachlässigkeitsfehler, sondern um
jene Schier, welche aas der Beschfinkthelt miserer Sehkraft ans, nieht
zu beseitigenden Fehlem der Instrumente, Zustand der Luft usw. un-
Tenneidlich hervorgehen. Bei dieser Ünvermeidbarkeit ist der wirk-
liche Wert einer direkt gemessenen oder aus Messongen abgeleiteten
Oröfie eigentlich stets anbekannt, aber wir erreichen eine größere
Annfihenm; an diesen wischen Wert dnrch wiederholte Messnngen.
Bezeichnen V|V, ..vn die den n maligen Messungen entsprechenden
unbekannten Abweichongen von dem wirklichen Wert der Qi6fie, so
sagt das, dieses ganze Gebiet regelnde Gesetz (die Methode der
kleinsten Quadrate), daß die beste Bestimmung der gesachten GiOße
dadurch erreicht wird, daß die Summe vi*-\-Vf*-\-,..vn* ein Mini-
num wird; und der mittlere Wert dieser Fehlerqnadrate, oder Tiehnehr
die Quadratwurzel aus diesem mittleren Wert ^±|^^i^ + ^'2-^4-. ■»^o'^|
gibt zugleich ein genaues Maß der Genauigkeit der Bestimmung.
Wie aber die unbekannten Fehler in den ungemein vielgestaltigen
Aufgaben der Geodäsie in Rechnung zu stellen .sind, wie die dem
Minimum der Fehler<iuadratsumme entsprechende Größe ermittelt
wird, ist hier auch nicht annähernd darstellbar. Auch auf diesem
schwierigen Gebiet sind geistreiche Arbeiten des großea Gauss bahn-
brechend.
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16
Anfsätse
Zar annäherndeD Yergleiohmig der Genauigkeit der za Ter-
schiedenen Zeiten und in verschiedenen Ländern ausgeführten
Tdangolationen hat man eine jintemationale Formel für den mittle-
ren Winkelfehler aufgestellt: m — ± ly^Summet^« ^^orio z— Zahl
r 3 • Z
der Dreiecke). Für Bayern (älteste Triangulation) ergibt sich m == 1,77";
für Hannover (Gauss) m = 0,72"; für preußische Landesaufnahme
111= 0,554" (in neuerer Zeit besser); für Sachsen mi-»0,35". Sachsen
verdankt dies günstige Ergebnis der Freiheit von überkommenen
Fehlern, der Einheit der Instrumente und Leitung, den prünstiizon
Sichten im ßerg- und Hügelland und der Nutzung aller Erfahrungen
aus vorhergehenden Triangulationen.
H. St. Chamberlains Vorstellungen über die Religion
der Semiten spez. der Israeliten
Von
Professor D. Baentsch • Jena
I
H. St Chamberlain hat in seinem bekannten Werke »Die Grund-
lagen des XIX Jahrh.« den Nachweis unternommen, daß die gesamte
Zivilisation und Eultnr des netmzehnten Jahrhunderts das Werk
einer besonderen Mensohenart» niimliöh der G^ermanen oder genauer
der Kelto-Slavo-Germanen ist Aber diese Oermanen, so zeigt er, haben
diese Kultur und Zivilisation nicht rein aus sich heraus gesofaaffen.
Sie tragen ein bedeutsames Erbe aus der Vergangenheit, das teils
von bolobcndcra^ teils aber auch hemmendem Einfluß auf das Werk
der Zivilisation und Kultur gewesen ist Auf die Hellenen geht
unsere künstlerische und wissenschaftliche Kultur in vielen
wesentlichen Merkmalen zurück. Unsere gesellschaftl i e Ii o Kultur
beruht im letzten Grunde auf Rom, von dem wir den Staats-
gedanken und die Kechtsidee übernommen haben. Auf rcli-
^ir)som (rebictG sind wy- vom Somitentum und speziell vom Juden-
tum beeinflußt und zwar, wie Chamberlain meint, in poradezu ver-
hängnisvoller Weise. Vermittelt ist dieser Einfluß nach ihm durch
die cliristlielie Kirche, die dem Charakter und der noistosrichtunf]:
ihres Stifters zum Trotz viel jüdiscli-semitisclie P^leniente in sich auf-
genommen uud in die Substanz der christlichen Keiigion selbst ein-
geführt hat (S. 17).
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Baxmsch: fi. 8t Chambeiiains YorBteliuiigea über die Religion usw. 17
Diesen verhängnisvollen Einfluß aufzuweisen, hat Chamberlain
sich besondere Mühe gegeben. Er gibt an zahlreichen Stellen Aus-
führungen über die Religion der Semiten, die alle in dem auf den
ersten Blick höchst paradoxen Satze gipfeln, daß alle Semiten
ohne Ausnahme ein Miiiiniuni von Kelit^ion besäßen; und was
von den Semiten im allgemeinen gelte, das gelte von den Juden
noch im besonderen, und zwar in weit höherem Grade (S. 393).
Der Satz klingt paradox. Haben nicht gerade die Semiten der
Welt die drei großen monotheistischen Religionen gegeben? Sind
nicht aus dem Schöße des Semitentums die Religion des Judentums,
der Islam und das Christentum hervorgegangen? Verdankt also die
Welt nicht gerade den Semiten die stärksten religiösen Impulse?
Muß demnach bei den Semiten nicht vielmehr ein Maximum an
Religion vorhanden gewesen sein, groß genug, um einen beträchtlichen
Teil der Menschheit damit za beglücken? Ja, fließt dort nicht ge-
ndesa die Quelle der Religion?
Es wird gai ton, c^eioh hier an der Schwelle die Möglichkeit
eines Mifirerständnlsses abzuwehien. Man mnfi scharf sdietden
zwischen Religion und Beligiosit&t d. h. zwischen dem Komplex der
in einem Volke oder in einer Yölkergrappe lebendigen religiösen
Torstellungen nnd Ideen, und der Energie, mit der man diese im
Leben geltend macht, resp. sich von ihnen bestimmen l&fit Eine
grofie religiöse Energie will Chamberlain den Semiten keineswegs
absprechen, ja er schreibt ihnen geradeza ein Mazimnm Ton reli-
gidser Energie oder von Olanben zn (8. 400 i). Aber bettelarm sei
ihre religiöse YorsteUnngswelt Auf diesem Gebiete könne nor von
einem Minimum von Religion bei ihnen die Rede sein (S. 410).
Um Chamberlain recht zu verstehen, wird man sich zunächst
über das, was Chamberlain unter Religion versteht d. h. welchen
wesentlichen Inhalt die religiöse Vorstellungswelt nach ihm haben
mnfi, eine möglichst klare Anschauung zu bilden haben. Denn nur
so gewinnen ^vir ja den Maßstab, mit dem er die Religion der
Semiten mißt. Und von der Beurteilung des Maßstabes hinwiederum
wird es im letzten Grunde abhängen, ob wir Chamberlain in der Be-
urteilung der Religion der Semiten — vorausgesetzt, daß deren Auf-
fassung durch Chamberlain überhaupt den Tatsachen entspricht —
beistimmen können, oder ob wir seine Beurteilung ablehnen resp.
modifizieren müssen.
Hier hat es Chamberlain uns nun insofern nicht ganz becjuem
gemacht, als er uns nirgends eine knappe erschöpfende Definition
dessen bietet, was er unter Religion versteht Er liaßt überhaupt
Zaitaehrift für Ptiiloioplu« and FldiffOgik. 12. Jahiging. 2
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die Definitionen, dieses Steckenpford der Schuiweiflbeit Er «iU dafür
lieber TatBaofaen vorflllireii, aus denen der Leeer eotnehmeii soll, was
denn eigentlieh die Meinung des Yerfessers seL So gibt er uns denn
anoh bier lieber eine Besehieibimg des religiösen Menschen, zu der
der religiöse Arier Modell gestanden hat, 8. 220 1 (v ergl. damit auch
die Beschreibong des arischen Inden anf 8. 411 f.). Biese Be-
schreibang ist non aber so begeistert, so überschwilnglicb, so dithy-
rambisch gehalten, dafi der Leser wohl sofort im stände ist, dem Yer-
fasser nachzofOhlen, was nach ihm Beligion sein soU, dafi er es aber
doch nicht ohne weiteres vermag, des Verfassers Ergüsse in eine
klare Formel an fassen. Es wird daher angebracht sein, des Yer-
fassers Beschreibang hier wenigstens anssngsweise kurz wiederzugeben.
Für Chamberlain ist die Beligion rein Sache des OemOtes; ihr
tiefeter und eigentlichster Qaellpunkt liegt im Herzen des Menschen.
»Die Wurzel des Seienden fanden die Weisen im Herzen c, dieser
Ausspruch des Rigveda bedeutet ihm die größte allev feststehenden
religiösen Erkenntnisse. Dieselbe Erkenntnis hat Goethe ausgesprochen,
wenn er sagt:
Ist nicht der Ken d«r Natur
Menschen im Henau?
Mit dem Forschen im eignen Herzen hebt ihm alle rechte Beli-
gion an. Das große Rätsei des Daseins drängt sich dem Menschen
auf, nimmt ihn ^anz gefangen, aber nicht als ein rationalistisches
Problem, das er verstandesmäßitr nach dem Gesetz von Ursache und
Wirkung zu lösen sucht — denn Rationalismus ist ihm der Tod aller
Religion — sondern in der Weise eines unmittelbar zwingenden
Lebensbedürfnisses. Der Schleier des Geheimnisses — das fühlt er
in seinem Herzen — kann sich ihm nur lüften, wenn er von sich
aus zu allem, was ihn umtribt, die Brücken hin überschlägt, wenn er
sich, (las einzige, das er unmittelbar weiß, in jedem Phänomene
wieiler erkennt und jedes Phänomen in sich selbst wiederfindet.
Ist es ihm aber geluntren, sich und die ihn umgebende Welt mit-
einander in Einklang zu setzen, dann darf er hoffen, das Weben des
ewigen Werkes mit eignem Ohre zu belauschen, die geheimnisvolle
Musik des Daseins im eignen Herzen zu vernehmen. Die ganze
Natur belebt sich ihm, überall regt sich in ihr das Menschen verwandte.
Und unter dem Lauschen auf ihre Stimmen geht ihm dann ein Ahnen
einer höheren Bestimmung auf, er entdeckt in sich den »Samen der
Unateibllcfakeitc. Jetzt weiß er, ans welch tiefem Bronnen die Helden
seinss Stammes, die heiligen Mianer, die als Übermenschen hoch
über der Erde schweben, die Kraft schöpften, groß za sein, nnd da
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BucnaGH: fi. 8t. Cbamberiaiiis YorateUniigen über die Jieligion usw. 19
er 66 weiß, darf er hoffen, ihnen, zu denen es ihn hinansiebt, gleich
za werden. Der religioee Mensch, der so in einem inneren unmittel-
baren Kontakt mit einer Welt jenseits der Vernunft steht, ist aber
notwendig auch Dichter und Denker. Was ihm aus der Unendlich-
keit ins Ohr gedrungen, das sucht er in heiligem Symbol, Mythos
und Kosmogonie festzuhalten und zu gestalten. Aber seine Vor-
stellungen bleiben im lebendigen Fluß, denn er liat eine zu lebendige
Empfindung des Unendlichen, die ihn davor behütet, seine Erkennt-
nisse in starre Formen, Dogmen und Lehrgesetze einzuzwängen. Das
ungefähr ist das Bild, das Chamberlain von dem religiösen Menschen
entworfen hat.
An uns würde es sein, dem Bilde eine Etikette zu geben. Ich
glaube, daß wir nicht vorbeitreffen, wenn wir seine Anschauung von
Keligion als »pantheistischen Mystizismus« bezeichnen. Wir
begnügen \ins vorläufig, dies getan zu haben, und behalten uns eine
Beurteilung seiner Anschauung für das Ende vor.
Jedenfalls liegt für Chamberlain also das Wesen der Religion in
dem Gefühl für das Unendliche, in der Empfindung des Geheimnis-
vollen. Die Religion muß nach ihm mit Geheimnisvollem durchwebt
sein. Ohne Geheimnisse und Mysterien gibt es keine wahre Religion.
Und nicbt blofi, daß das GeheimnisTolIe geahnt, eohanemd empfanden
wild, die Religion soll auch die Brücke in die geheimnisroUe Welt
dea Unendlichen hindbeischlagen, soll die Kloft augfflllen zwischen
dem Menachen nnd der Gottheit anf dem Wege einer tiefen reli-
giöeen Spekolation, einer reichen, phantasievollen Mythologie, piner
tiefsinnigen heiligen Symbolik. So ist also Beligion nach Chamber-
lains Yoraaaaetznng nicht denkbar ohne eine gewisse metaphysische
Begong nnd philoBophisohe Anlage and nicht ohne den Besitz einer
seichen Phantasie, die das Unfaßbare faßbar, das Unausdenkbare denk-
bar, das Unvorstellbare vorstellbar zu machen versteht Er gibt daher
ScHOFiüHAüER nicht nnreoht, der die Beligion geradezu als »Volks-
metaphysikc bezeichnet habe (S. 391). Ist dem nun aber so, so
muß nach Chamberlain folgerichtig das Volk die tiefste Religiosität
und die vollkommenste Beligion besitzen, das tiber den größten Reich-
tum metaphysischer Begabung und über die reichste, blühendste
Phantasie verfügt.
Indem Chamberlain nun die Völker der Erde auf .diese Merk-
male hin mustert, findet er, daß sie fast bei allen in höherem oder
geringerem Mafia vorhanden sind. Am reichsten ist der arische
Inder damit ausgestattet, weshalb bei diesem ein Maximum von
Beligion von vornherein zu erwarten sei. Man lese die begeisterte
2*
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20
AnfBätse
Schilderung, die er S. 411 ff. von dessen Religiosität entwirft. Aber
auch sonst findet sich diese Begabung im indo-europäischen Völker-
kreise. Der griechische Philosoph Pi.ato rede von einem allersoligsten
Geheimnis der Seele, das ihr im Jenseits offenbart werde, und (der
Arier?) Christus sage von seiner Lehre, die seine ganze Religion
einbegreift, sie sei ein Geheimnis. Aber auch bei den tiefer-
stehenden Völkern seien diese Gaben und damit ein verhältnismäßig
hoher Grad von Religion anzutreffen. Selbst der naive Wilde
kenne das verwundernde Staunen und vermute überall ein Aulier-
weltliches. Der Australneger , ja der arme Neger an der
Skia venküsto, beide ahnen den großen überweltlichen Geist. Die
Neger der Goldküste besitzen nach Chamborlain sogar eine schon
recht hoch geartete Volksmotaphysik. Die Samoaner besitzen eine
unmittelbare Empfindung für die Allgegenwart Gottes und haben es
ventanden, diese in einer auf den ersten Blick zwar rohen, aber
tootBaHedom tie&innigen Weise zu Tersinnbüdiichen, die sich prin-
zipiell von der dirisilich thedogiBohen ToisteUung von der Allgegen^
wart Gottes, ja yon dem tranflsoeDdeiitaleii Idealismas, der eineni
Qankaia zur Toistellimg desselbeii GeheinmisseB dieat, nioht unter-
«sheidet Nur bei einer Yölkergruppe rermifit Chamberlain die
Merkmale, die auf eine liGher geartete Beligion schließen lassen, und
das sind eben die Semiten (S. 392. 220).
Dem Semiten geht naoh Chamberlain durchaus ab die meta-
physische Anlage; es fehlt ihm darum auch fast ganz die ge-
staltende Kraft der Phantasie. DafQr ist bei ihm aber der Ver-
stand kriftig, und der Wille geradezu enorm ausgebildet Der Wille
beherrscht bei ihm den Yerstand, verkümmert das Qemflt^ ertötet
ihm die Phantasie. Man kann nach Chamberlain geradezu von einer
Hypertrophie des Willens bei dem Semiten reden; unter dieser
Hypertrophie haben außer dem nüchternen Verstand alle Seelen-
vermögen gelitten. Das muß sich natürlich auf dem Gebiete der
Beligion in charakteristischer Weise geltend machen.
Chamberlain sucht diese enonne Ausbildung der Willenskraft
und die Armut der Phantasie^ zu einem Teil wenigstens, aus der
Natur des Bodens zu erklären, auf dem der Semit ursprünglich
heimisch war. Er ist ein Sohn der Wüste, und die Wüste hat ihm
für immer ihren Stempel aufgedrückt. Das Wüstenleben ist ein
steter Kampf. Der Beduine muß kämpfen um das tägliche Brot, das
ihm nicht zuwächst; er muß sich wehren gegen feindliche Stämme,
muß auf der Hut sein vor wilden Tieren. So steht er Tag und
Nacht auf dem Qui-vive, wachenden Auges, mit geschärften Sinnen,
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Bakntscu: H. St Chamberlains Yorsttiilungea über die Kuliglou usw. 21
allezeit znm Kampfe bereit. Er hat es niclit su gut wie sein arischer
Bruder, der in Denken und Sinnen über das Unendliche versunken,
seine Hand nur nach dem Baurae auszustrecken braucht, der ihm
seine süßen und iiahiliafton Früchte freiwillig spendet. Der Semit
fand keine Zeit, über das Unendliche nachzuspüren, wozu er wohl
auch an sich schon so gut wie uubefähigt war. Die Armut (icr Um-
gebung erkläit zugleich seine Armut an Phautasio und an mytho-
logischen Vorstellungen. Vor allem aber versteht man, wie sich
unter den Kämpfen, Nöten, Gefahren und Entbehrungen der Wüste
jener ebenso sfihe wie eg^Maohe und nioht selten bmtsle Wille heraus-
hildefce, der fOr die ganze Basse so oharakteristisoh ist und der eben
auch ihrer Beligion ein eharakteristisohee Gepräge gegeben hat (S. 404).
Ghamberlain Teikennt keineswegs die QröAe dieser zähen Willens-
kraft. Yermfige ihrer sind ja die Semiten so stark und kilftig und aus-
danemd geworden, durah sie haben sie so Außerordentliches geleistet
(8. 241). Aber all diese Gröfie wird, wenigstens auf dem Gebiete
der Beligion, doch wieder aufgehoben durch die veikfimmenide
Wirkung, die dieser WiUe auf Gemüt und Phantasie ausgeObt hat
Biese schidliche Einwirkung des Willens auf die spezifisch für
die Bdigion in Betracht kommenden Vermögen äußert sich nach
Chamberiain in gewissen charakteristischen Erscheinungen, die er mit
Vorliebe als Bationalismns und Ifaterialismns, meist bloß als
Materialismus bezeichnet (S. 398). Diese These kehrt in dem Werke
in geradezu nnerschöpflichen Variationen unter immer neuer Hei^
▼orhebung derselben Momente aber in immor neuen Kombinationen
wieder. Wir wollen veisnchen, diejenigen Momente, die uns als die
wesentlichBten erscheinen, herauszuheben und dem Leser in möglichst
klarer und geordneter Übersicht vor Augen zu führen.
Nach der negativen Seite hin macht sich der schädliche Ein-
fluß der Vorherrschaft des "Willens in dem Fehlen aller und jeglicher
Mythologie geltend. Denn der Wille hat ja die Quelle des mytho-
logischen Triebes, das Gomüt verkümmert und damit zu^'loich die für
die Mythenbiidung unerläßliche Phantasietati^^keit lahm gelegt. Zwar
finden sich Mythologieen bei den Babyloniern und den Phöniziern,
und unverkennbare Spuren solcher finden sich deutlich auch im
Alten Testainont (vergl. Gen. 1. 2. 3). Aber diese Mytliulo^neen sind
erborgtes ihn (S. 222). Ihre Schöpfer sind höchstwahrscheinlich die
alten Sumerer, die vor der semitischen Einwanderung in das baby-
lonische Tiefland dort seit unvordenklichen Zeiten als ein hochbegabtes
Kulturvolk saßen. Und von diesen Sumerern haben die Semiten ihre
Mythologieen übernommen, zuerst die in Babyionien eingewanderten
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22
AofBittM
Semiten oder die sogeuauuten babylonischen Semiten oder kurz
Babylonier genannt, und diese liaben sie dann an ihre Brflder weiter-
gegeben. Aber die Semiten haben, wie ja eigentlioli aach gar nicht
anders m erwarten war, sohleobt damit Hans gehalten. Die sinnigen
Mythologieen haben unter ihren robusten Hfinden Schaden gelitten.
Der Semit hat sie bei seinem mangelnden Terständnis fOr solche
zarten Gebilde in masBive Historie umgesetzt Kein Wunder, der
starke, lediglich auf das Greifbare, Faßbare gerichtete Wille duldet
kein Geheimnis, zerreißt mit plumper Hand den zarten Sohleier und
etabliert dafür die gemeine nackte Wirklichkeit (S. 393. 397). Die
Schöpfungsgeschichte in Gen. 1 sei, an ihrer babylonisch- samerischen
Vorlage gemessen, krasser Materialismus (S. 394. 398). In der Sünden-
fallgeschichte Gen. 3 habe der semitische Erzlhler ans dem Sohlangen-
dfimon eine wirkliche Schlange gemacht und diese unter die übrigen
Tiere dee Feldes eingereiht (S. 399). Das charakterisiert nach Chamber-
lain den Tiefstand dos semitischen speziell israelitischen Geistes in
geradezu erschreckender Weise. Die Uistorisierung und Materialisierung
der Mythen ist gleichbedeutend mit deren Hebräisierung.
Nach der positiven Seite hin zeigt sich nach Chamberlain der
aus der Vorherrschaft des Willens stammende Materialismus zunächst
im allgemeinen Charakter der Religion. Denn diese Religion
verfolge nur praktische Zwecke, durchaus keine idealen. Sie
solle für das Wohlergehen auf dieser Welt sorgen und ziele nament-
lich auf Herrschaft und Besitz. Außerdem solle sie das AVolilero:ehen
in der künftigen Welt verbürfron, wenigstens dort, wo der Begriff
der Unsterblichkeit vorhanden sei , der aber in die israelitische
Kelij^ion erst von außen, z. B. durch persischen Einfluß, in die
arabische erst durch das Christentum aufgenommen sei. Was ist
das alles aber anders als nackter Materialismus? (S. 400).
Spezioll dokumentiere sich der ^laterialismus aber auf dem Ge-
biete der religiösen Vorstellun^^en. Dem Semiten und speziell
dem Israeliten sei es unendlich schwer geworden, sich zu einem
hohen Begriffe des Göttlichen zu erheben. Seinem Willen, dem nicht
allein jede Phantasie, sondern auch jede Überlegung gefehlt habe, sei
nur eins natürlich gewesen: sich auf das Gegenwärtige zu stürzen
und danach zu greifen. Darum habe er auch seinen Gott fühlbar
gegenwärtig haben, ihn gleichsam in der Hand halten und bei sich
führen wollen. Daher z. B. der krasse materialistische Niederschlag
aus dem semitischen Götzenglauben in der jüdischen (sie) Bundes-
lade, in der man sich seinen Oott eingeschlossen gedacht habe.
Daher auch die Fabrikation und Anbetung der goldenen Eftiber und
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BABmoa: H. St Chamberlains YonteUimgeii über die Religion usw. 23
ehernen Schlangen usw. Und was das Schlimmste ist, der Jude (sie)
habe diese Dinge wirUioh als seine Odtter angebetet Er habe nicht
unteFBoheiden können zwischen seinem Gott und dessen Bild. Das
Bild, das seine Hfinde gemacht, habe ihm wirklich als Gott gegolten.
Der Gedanke^ daß das Gottesbild etwa zur Kontemplation und znr
Abwendung von der Welt anregen solle und könne, sei von ihm nie
gefaßt worden. In dieser Beziehung stehe er tiefer nicht etwa nur
als die HeUenen, Eranier, die Kelten, die Slaven, die niemals Bilder
angebet hätten, sondern tiefer sogar als die Fetischanbeter. Denn
durch die Forschungen der Ethnographen habe es sich immer mehr
herausgestellt, daß diese primitiven Naturkinder ihre Fetische als
solche gar nicht anbeten, sondern höchst komplizierte symbolische
Vorstellungen mit ihnen verbinden. So sei denn der Israelit, resp.
der Semit überhaupt der einzige wirkliche Götzendiener auf der Welt,
der Götzendiener xar* f'ioxrjy gewesen. Also auch hier wieder der
krasseste Materialismus. Und von diesem Materialismus sei etwas
auch auf die Männer unter ihnen, die vom Standpunkte einer
geistloseren Gottesvorstellimir aus den Kampf gegen den Bilderdienst
unternommen hätten, überi^et^anizi n. Denn dieser Kampf sei immer nur
unter der Voraussetzung ;j;efiihrt worden, daß jedes Bildnis, ja häufig,
was überhaupt der »Hände Werke: war. für die Israeliten die Gefahr in
sich geborgen habe, ein angebetetes Götzeubild zu werden. Zu dem
Standpunkte, daß man ein Bildwerk sieh als etwas Schönes vor Augen
stelle, um sich daran zu erheben und zu laben, um dem Gemüt
Nahrung zuzuführen, um den religiösen Sinn zu Avecken, hätten sie
sich nicht erheben können, Ks sei dem Semitou schlechtliiu un-
möglich gewesen, ein Bildwerk unter dem (resichtspunkte eines Kunst-
produktes zu betrachten. Daher der fanatische Kampf gegen die
BUder, die auch die Propheten nicht anders als gefährliche Qdtsen-
bilder hätten betrachten können. Chamberlain nennt dieaen Ifate-
rialismus im Unterschied von dem krassen Materialismns des Götzen-
anbeters den abstrakten Mateiialismas.
Und mm die Gottesvorstellung selbst Im Gegensatz zu der
der indoeoropSisohen Völker, die die Gottheit in der das All durch-
waltenden Gesetzmäßigkeit erkennen, trete der Jahve der Israeliten
und der Jnden als menschlich vorgestellte Einzelpersönlichkeit ans
diesem All herans, keinem Gesetz als dem seines eigenen Willens
unterworfen. Der Willensstärke Israelit habe sich seinen Gott geradezu
als »Inkarnation der WillkOrc Torgestellt Was Jahve sei, das sei
er, weil er so sein wolle; er stehe flber aller Natur, über jedem Ge-
setz als der absolute, unbeschränkte Autokrat Ebenso das göttliche*
Oigitized b^j^gle
24
AuMtze
Gesetz. Neben moralischen Geboten, die zam Teil hohe Sittlichkeit
und Menschlichkeit atmen, ständen direkt unsittliche und unmensch-
liche, andere wiedorum bestimmten die trivialsten Dinge, was man
essen und was man nicht essen darf, wie man sich waschen soll usw.
Kurz überall die unbeschränkte Willkür. Von dem indoeuropäischen
Standpunkte aus sei Jahve eher ein idealisierter Götze, oder, wenn
man lieber wolle, ein Antigötze zu nennen als ein Gott. Dafür ent-
halte diese Gottesauffassung allerdings den an sich hohen Gedanken
einer Yorsohunfi, aber auch diese sei ebensowenig wie die Willkür
der Beobachtung der Natur zu entnehmen und müsse daher vom
indoeuropäischen Empfinden ausgeschieden werden.
Das geringschätzige Urteil über die israelitische Gottesvorstellung
will Chamberlaiu auch gegenüber einer solchen Erscheinung, wie sie
der israelitische Monotheismus bietet, nicht uufgobon. Gering-
schätzig fragt er S. 224, was denn die Arithmetik mit Religion zu
tun habe. Der Monotheismus könne ebensogut eine Verarmung als
eine Veredelung der Religion bedeuten, sei also an sich selbst noch
nioht etwas absolut Wertvolles. Am wenigsten der der iBraettten and
Juden. Denn im Teigleiöh m den viel großartigeren religiösen Tor-
stellangen Ton einem alleinigen Oöttliohen, zn denen die Arier auf
rein religiösem Wege (dem der Spekulation) gelangt seien, sei der
ktimmerlich Torsobrumpfte Weltschöpfer der Juden doch nur eine
Earrikatur. Dort bei den Ariern handle es sich um die tief religiöse
Erkenntnis der Sinheiflichkeit des gOttlichen Wesens, einer in vielen
Gattern gleiehmfißig lebendigen Gottheit oder eines allgemein Gött-
lichen, von dem die einselnen Götter nur TeUersoheinungen seien.
Der Jahve der Israeliten dagegen sei und bleibe auch in seiner mono-
theistiBohen Yerkappung doch nur ein Nationalgotl^ der die andern Götter
mit brutaler Gewalt unter seine Fflße trete, um selbst die Herrschaft
anzutreten. In Wahrheit sei er immer nur der Gott der Juden, oder
doch nur insofern der einzige Gott, als auch die Juden die einzigen
Menschen im wahren Sinne des "Wortes zu sein sich eingebildet
hätten. Dem Monotheismus im Sinne des jüdischen Materialismus
sei demnach in jeder Beziehung der religiöse Wert abzusprechen.
Eine weitere, sehr charakteristische Äußerung der auf der ein-
seitigen Vorherrschaft des Willens beruhenden materialistischen
Betrachtungsweise findet Chamberijiin in der geschichtlichen
Auffassung der Religion, wie sie unter den semitischen Völkern
speziell den Israeliten und Juden eigentünilicli geworden ist. Weil
sie ihren Gott nicht in Erfahrungen des Gemüts hätten finden können,
hätten sie ihn in den Ereignissen der eigenen Geschichte zu finden
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Babrbcb: H. 8t Chamberiaiiis Vontelhuigen Uber die BeBgion vsw. 25
gesacht. Ihr Qotte^laabe sei so daroh und doioh historisch funda-
mentiert Nicht eine innere Tatsache des Gemüts, auch nicht die
Beobaohtung der Natur, sondern die materielle histoiisofae Tatsache
der Befreiang ans Ägypten gelte als der fondamentalste Beweis fflr
Jahvee Wirken fOr sein Volk nnd als Fundament fttr die israelitische
Beligian ttberhanpt Aber nicht nur in diesem fundamentalen nnd
anderen euuselnen Ereignissen hätten die Israeliten das Walten Jahves
▼erspfirty sondern dieses Walten habe sich tot allem in dem Ganzen
ihrer Geschichte ihnen dargestellt Gerade daiin nnn aber, wie sie
sich ihre Geediichte als eine Art Organismus konstruiert httttsn, trete
die materialistfach - egoistische Denkweise in greller Belenchtong zu
Tage. Von der ganz richtigen Erwägung aus, dafi, wer das Heute
besitzen will, auch das Gestern, aus dem es herauswuchs, umspannen
und zugleich die Zukunft in den Händen halten muß, hätten sie
äe sich eine Geschichte konstruiert, in der die ganze Weltentwick-
long auf Israel hin tendiere. Von dem Augenblicke an, wo Jahve
mit Abraham den Bund schließt, bilde das Schicksal Israels die
Weltgeschichte, die Geschichte des ganzen Kosmos, das einzige, um
das sich der Woltenschöpfer kümmert Charakteristisch für das
egoistische Selbstgefühl sei vor allem die raffiniert systematische
Weise, in der in diesem Geschichtsbilde Vei^angenheit und Zukunft
mit der Gegenwart verknüpft erscheine. In der Vergangenheit gött-
liche Wunder zu Gunsten der Juden und in der Zukunft der zu
erwartende Messias und die Weltherrschaft. Der ver^i^iinfrliehe Augen-
blick erhielt seine eigentümliche Bedeutung dadurch, daß man ihn
aus der Vergangenheit herauswachsen sah, als Lohn oder als Be-
strafung , und ihn in Prophezeiungen vorausgesagt glaubte. Hier-
durch gewann nun auch die Zukunft eine unerhörte Realität, da
man gewiß sein durfte, daß das vor vielen (?) Jahrtausenden dem
Abraham Verheißene in vollem Umfange noch eintreffen werde. Die
göttliche Verheißung sei nun aber an die Bedingung geknüpft ge-
wesen, das göttliche Gesetz bis ins Kleinste hinein zu halten. So
habe der Jude Tag und Nacht an Gottes Gesetz gedacht. Dadurch
habe das religiöse Leben eine ungewöhnliche Lebendigkeit ange-
nommen. Konnte man Jahve auch nicht sehen, so war er doch eine
gescliichtliche Größe, deren tagliches Eingreifen in die Geschichte
gewissermaßen Sache der Erfahrung war. Die ganze Nation lebte
davon nnd sonnte sich sicher und selbstgewifi im Lichte seines
Gottes.
Es sind vor allem noch zwei Pmskte zu erledigen, an denen
Chamberlain die egoistisch • materialistische Gedankenrichtang der
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26
AnfBltze
Israeliten und Juden charakterisiert, nfimlioh das Dogma tod der
Freiheit des Willens und der Glaube der Semiten. Was den
letasteien betrifft, so charakterisiert er ihn einmal als blinden Tat-
sachen glauben im Gegensatz zu dem Glauben in den arischen
Beligionen, deo* sich nie und nirgends auf geschichtliche Tatsachen
beziehe und sich zudem mit absoluter Gedankenfreiheit Tertrage
(S. 404 ff.); dagegen auf 8. 246 charakterisiert er ihn als nner-
schütterlichee Vertrauen zu einon persönUcheD, unmittelbar gegen-
wärtigen, allmächtigen Gott und leitet ihn aus der Macht des Willens
zum Leben ab. Natürlich lehnt er von seinem arischen Standpunkte
ans beide Arten des Glaubens ab. Der erste ist ihm minderwertig,
weil er materialistisch ist, den zweiten lehnt er ab, weil er aus
dem egoistischen Trieb zum Leben, aus der ungebändigten Kraft
jenes verhängnisvollen Willens entsprungen ist, der durch seine Vor-
herrschaft die religiöse Anlage der Semiten im Keime erstickt hat.
Während der sinnende Geist des Ariers das Göttliche ahnend in
weiten Fernen suche, zwin^re der willensstarke Jude seinen Gott vom
Hiraniel herab und lasse ihn ein für allemal sein Zelt in seiner Mitte
aufschlap'n (S. 2Mi). Mit derselben Entschiedenheit wendet er sich
vom Standpuukt des Ariers aus gegen das Dogma vom freien Willen,
dem uuhoilvollen Kon-elat zu der Vorstellung von Gott als der »Inkar-
nation der Willkiir . Die Freiheit des Willens bedeute nichts woniger
als ewig wiederholte Schöpfungsakte. Bedenke man das, so begreife
man . daß diese Annahme nicht allein aller psychischen Wissen-
schaft, sondern auch aller Metaphysik widerspricht und so eine Ver-
leugnung einer jeden transscendenton Religion bedeutet. Die Vor-
stellung von der Freiheit des Willens vorrate so eine im Verhältnis
zum Wollen sehr beschränkte Intelligenz. Ks zeige sich also auch
hier wieder die für den Semiten so charakteristische Vorherrschaft
des Willens, die den Tod oder doch die Verkümmerung alier wahren
Religion bedeute.
Sieht so Chambehlain fast überall nur Schattenseiten und Uinder-
wertigkeiten in der Beligicn der Semiten und speziell dw Israeliten
und Juden, so kann er doch wenigstens «Ines kleinen Lichtblickes
sich freuen, den ihm die Ersdieäinng der Prophetie gewihrt
(a 437). FreiUch will et auch die Propheten nicht fiberschfttst
wissen; auf die Bezeichnung von »religiösen Genies« dfirften sie
doch keinen Anspruch erheben. Er lobt sie als prfichtige Miinner,
weil sie mit der Moral so heiligen Emst machen und die sozialen
Schäden des Tolkes mit so ernstem Eifer zu heilen suchen« Aber
Chamberlain kann doch nicht Tergessen, dafi sie Juden sind, »jüdisch
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BäMtrtaxm: H. St GhambezUniis TonteUangen über die Religioii vbw. 27
TOD den Sohlen bis zum Scheitel«, und so l)etiaclitet er sie als Arier
mit gemischten Getühlen. Es ist geradezu ergötzlich zu sehen, wie
er jeden Lobq[>nich, den er ihnen zu teil werden läßt, durch einen
Dimpfer wieder absnsohiriUihen liebt Gewiß, sagt or, haben sie den
»leligiOMn Haterialismos, den de von seiner abstraktesten Seite
eifsfitenc [wir wttiden etwa sagen: die im religidB-BittUchea Geiste
erfsfite Jah^e-Beligion], in moralischer Hinsiebt auf eine hohe Stofe
erhoben (S. 247), aber andrerseitB haben sie doch die Religion auf
die Moral reduziert, und es ist so dnrch sie für die Religion eigent-
lieb nicht viel berao^gekommen (8. 440). In der Erstrebung einer
progreasiTein YereinfBofaung des Enltns nnd der Terwerfong un-
sinniger Ritoalyerbote — darin sind sie schon soweit wie die
Yoraba-Noger, mit denen sosammenznsteUen Ghamberlain ihnen die
etwas knrioee Ehre erweist (S. 438) — nnd in der Betonung des
reügiös-dttlicheii Momentes bitten sie einen glücUioben Anfang ge-
macht, der darauf hinausgelaufen sei, die Frömmigkeit ins Heiz zu
legen, aber es sind andrerseits doch wieder etwas einfältige Herren,
da sie sich allen Ernstes einbilden, daß os in der Religion ohne
Kultus abgehe (S. 440). Ghamberlain lobt an ihnen den sozialisti-
schen Zug, besinnt sich aber sofort, daß dieser Zug ja gerade mit
der historischen Auffassung der Religion zusammenhänge, die den
Nachdruck nicht auf das Individuum, sondern auf die Gesamtheit
lege (S. 247), und so kann er auch dessen nicht wieder recht froh
werden. Am höchsten schätzt er von ihnen noch den Deutero-
jesaia ein, den »einzig wirklichen und bewußten Monotheisten«,
aber auch er habe uns doch nur bis an die Schwello joner Ahnuiii:
eines transscendenton (Tohoimnisses geführt, mit der diu eigeuüiciio
Religion beginnt, uud den Schleier nicht gelüftet (S. 439). So darf
man nach Ghamberlain die Prupheton doch nicht allzu hoch ein-
schätzen. Im Grunde sind und bleiben sie für ihn doch nur priicli-
tige Men.schen, brave Hiedenniinner, vor denen man gern den Hut
zieht und denen man gern einmal die Hand drückt.
So also etwa nimmt sich vom Standpunkt des bewußten >Aner8«
die Religion der Semiten und speziell die der Israeliten und Juden
aus. Dürftigkeit der religiösen Vorstellungen, kraß mate-
rialistische Gedanken rieh tu ng, die sich in der Form eines
abstrakten Materialismus oder der konkreten Abstraktion
selbst auf der höchsten Stufe israelitischer Religion wirksam zeigt,
und beides wurzelnd in dem Cbermächtigsein eines kräftigen,
nicht selten ins Brutale hinübei-spielenden Willens, das sind nach
Chambehlmn die wesentlichsten Charakterzttge dieser Religion. Ob
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■
28
Aufsätze
diese Beniteiliing richtig ist, witd steh am letzten Ende bei der Be-
urteilung des Sehwinkels zeigen, unter dem Ohamberlain die Beligion
der Semiten gesehen hat, d. h. bei der fieorteilung seinee' arischen
Religionsideals. Ehe wir aber dieeee einer FMlfiing unterziehen,
wird /.u nächst die andere Frage zu beantworten sein, ob denn
Chamberlains Auffassung von der semitischen Religion auf einer
richtigen Beobachtung des latsäohiiohen beruht, oder ob er nichts
sei es unter dem Zwange einer gewissen Voreingenommenheit, aei
es aus Mangel an Fachkenntnissen, sei es aus beiden Ursachen zu-
gleich, ein Zerrbild entworfen hat, durch dessen Verurteilung die
wahre Religion der Semiten und speziell der Israeliten noch lange
nicht getroffen zu werden braucht Diese Untersuchung wollen wir
uns für den im nächsten Hefte erscheinenden Schluß vorbehalten.
(Soblufi folgt)
Stimmen zur Beform des Religions-XTnterriohteg
(Fortsetzung)
LilMttii flr tfM IMIilsiMitMTisM
Geh. Hofnt Lcatit Semiaaidlrektor a. D. ia Kariimlie
1. Der Beligionsnnterricht hat den Zwedr, die vom Kinde bereits
in die Schule mitgebrachten religiösen Lebenskeime weiter zu ent-
falten, sie tiefer zu gründen und zu einer Lebensmacht zu gestalten.
Es kann dies zonfichst nicht auf dem Wege der Erkennlnia geschehen,
sondern durch Eingrfindung in religiöse Persdnlichkeiten, durch be-
stimmte Vorbilder und Tatsachen, welche dem Schfller Üar machen,
daß die Beligion nicht auf Lehren, sondern anf Tatsachen beruht
Der häusliche Ereis wird erweitert durch den Lehrer und erhlilt seine
hödiste Entfaltung durch die Vorführung biblisdier Personen und
seine Vollendung durch die Peison Jesu.
2. Jeder erziehliche Unterricht muß also PersönlichkeitBunterricfat
sein. Das Kind muß sich einleben in die vorgeftthrten Personen,
deren Denk- und Handlungsweise es sich aneignen soll und aus
denen sich schließlich die fortschreitende Entwicklung des göttlichen
Heilsgedankens sich erkennen läßt Es gehört somit auch das Alto
Testament mit Notwendigkeit in den religiösen Unterricht
3. Aus einer solchen Behandlung siebt der Schiller, daß nicht
die Aufzählung der Ereignisse, die äußere Entwicklung, die Ge-
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Lkvtz: Stimmen zur Kefonu des Eeligionsontaniolits 29
schichte eines bestiramten Volks die Hauptsache ist, sondern die
überall sichtbare Hand Gottes als Leiterin der menschlichen Ge-
schicke. Die Biblische (Teschichto muß stets den Charakter als Heils^ .
geschichte erkennen lassen.
4. Die einzelnen Fortschritte in diesem Hoilsweg werden ver-
anschaulicht durch gewaltige Giaiibensholden, die besonders eingehend
zu behandeln sind. Sie haben ihre Lebensgrundsätze, die Zeugnisse
ihrer göttlichen Erleuchtung in Reden und Einzelaussprüchen uns
hinterlassen, sie bilden besonders den Lehrstoff und die kurzen
Aussprüche den Memorierstoff der biblischen Geschichte.
d. Die ans der Geschichte gewonnenen Lehren hat dann die Schule
zu einem kurzen, einfachen System zasammenzustellen ; dies ist der
Katechismus, der also kein Bekonntnisbuch im eigentlichen Sinne
sein kann, sondern nur ein Ausdruck der christlichen Lehre in «ner
bestimmten Zeitperiode.
6. Daraus folgt, daß die Zusammenstellung der Sätze, deren Form
in Erage und Antwort durchaus nicht für alle Zeiten gleich bleiben
kann. Der Ausdruck wird und darf sich ändern, allein das Zentrum,
die Grundwahrheiten, die Erlösung durch Jesus muß ewig bestehen
bleiben. Jesus, Christus, gestern und heute usw. Eine Ändemng
dieser Grundwahrheiten würde zum Christentum hinaus führen.
7. Diese Darstellung der christlichen Lehre kann aber nur mit
der Oberklasse einer Volksschule versucht werden und zwar mit
einem viel geringeren Gedächtnismaterial als die meisten Katechismen
enthalten.
8. Eigentlich gehört dieser Teil in den Konfirmandenunterricht
des Geistlichen, allein da diesem Unterricht gewöhnlich zu wenig
Zeit zu^'eraessen wird, Vs Jahr, und die Lelirsützo in der Schule
nicht zur völligen Klarheit herausgebildet werden können, ist es gut,
wenn die Sätze schon dort memoriert, und vom Geistlichen in seinem
Unterricht wiederholt werden.
9. Ein religiöser Persönlichkeitsunterricht kann aber nur da statt-
finden, wo der Lehrer selbst eine solche Persönlichkeit an sich dar-
bietet, wo der Schüler in seinem Lohrer ein Beispiel hat, dessen reli-
giöser Charakter, dessen frommer Sinn und Wandel in dem ganzen
Unterricht zu Tage tritt, dessen Worte dureh die Persönlichkeit so
veranschaulicht werden, daß sie den Schüler innerlich crfrreifen. In
dieser Beziehung ist allerdings die konfessionelle Schule der Simultan-
schule weit vorzuziehen.
10. Es ist zweifellos, daß für einen solchen einheitlichen Unter-
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30
Aufsätze
rieht ein einheitliches J^ehrbuch wünschenswert wäre; ebenso ein
biblisches Lesebuch statt der Vollbibei.
11. Don Keligionsuuterricht ganz aus der Schule entfernen, ihn
der Kirche überlassen, hieße die Krönung aller unsrer Schularbeit
vernichten, sie aller ihrer Weihe und ihres Segens berauben.
Das Sohalwesen des Kantons Baselstadt
Von
Dr. X. Wctt«rwald-BMel
Die Ausgesteltong des Sohnlwesens in der Schweiz ist eine sehr
mannigfaltige. Wie die iandsohaftUchen Bilder, wie Sitten und Ge-
bräuche, Sprache und Eonfeesion, LebensbedOrfnisse und Lebens-
gewohnheiten von Eanton zu Eanton wechsefai nnd immer wieder
ein anderes Gepräge zeigen, so vielgestaltig sind die Einrichtungen,
die für die AasbiJdung der Jugend in den veischiedenen Landes-
teilen sorgen. Die Scholorganisationen sind geschichtlich gewordene
Einrichtungen, die ans den BedArbüssen des Volkes, ans den Forde-
mngen der Zeit an individanm and Gemeinwesen hervorgewachsen
sind. Wie die Leistnngsfilhigkeit yon Bftrger- und Gemeinwesen im
einsamen Hochtal des Gletscherbaches sich nach anderer Biohtnng
äußern muß als in deir volksreichen Handels- und Fabrikstadt am
breiten Heerstrom, so können dort einfache Schuleinrichtungen leicht
den kleinen Verhältnissen genügen, während sie hier den gesteigerten
Forderungen gemii(5 rciclier gegliedert und sorgfältiger ausgebaut sein
müssen. Es ist daher leicht einzusehen, daß das Schulwesen der
Schweiz kein einheitliches ist, und es ist leicht zu begreifen, daß
jeder Kanton, der bis zu einem gewissen Grade seine besondere
historische Vergangenheit hat und demgemäß auch ein bestimmtes
Gepräge besitzt mit änglicher Sorge die Oberhoheit über die Schule
stets gewahrt )iat. Wie jeder einzelne Kauton oder Halbkauton seine
besondere Yertassung besitzt, so aucii seine eigene Schulgesetzgebung. —
Die Bundesverfassung, d. h. die Verfassung für die ganze Schweiz,
die verschiedene Gebiete des staatlichen und volkswirtschaftlichen
Lebens zentralisiert hat, gibt in Bezug auf das Schulwesen nur einige
allgemeine Tiiohtlinien und Vorschriften. Die einzige schweizerische
Schuhuistult ist die eidgenössische polytechnische Schule in Zürich;
allerdings gibt die Bundesverfassung dem Bunde die Befugnis, auch
eine Universität und andere höhere Unterrichtsanstalton zu errichten
und solche zu unterstützen; da aber schon sechs kantonale Univer-
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Wrcerwaid: Das SohnlweBen dM Kaatons Baselsladt
31
sitäten bestehen, ist keine Aassicht auf Gründoxig einer eidgenössi-
schen UniTersität vorhanden. Im weitern bestimmt § 27 der Bondes-
verfassnng "vom 29. Mai 1871: »Die Kantone sorgen fttr genügenden
Pdmaronterricht d. h. Volksschulunterricht, welcher ausschließlich
miter staatlicher Leitung stehen soll. Derselbe ist obligatorisch und
in den öffentlichen Schulen unentgeltlich. Die öffentlichen Schulen
sollen von den Angehörigen aller Bekenntnisse ohne Beeinträchtigung
ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit besucht werden können. Gegen
Kantone, welche diesen Verpflichtungen nicht nachkommen, wird der
Bund die nötii^en Verfügungen treffen. Durch die Volksabstimmung
vom 23. November 1902 hat dieser Paragraph noch einen Zusatz er-
halten, der bes^timmt. daß den Kantonen zur Unterstützung in der
Erfüllung der ihnen auf dem Gebiete des Primaruntcrrichts obliegenden
Pflichten Beitrage geleistet werden; dabei bleiben aber Organisation,
Leitung und Beaufsichtigung des Primarschulwesens den Kantonen
ausdrücklich garantiert.
Es mag nun vielleicht auch für deutsche Lehrerkreise von Inter-
esse sein , die eine oder andere der 25 Schulorganisationen der
Schweiz kennen zu lernen. Wir wählen das Schulwesen des Kantons
Baselstadt, das wohl eines der am besten ausgebauten ist. Der
Kanton Baselstudt ziihlto Endo 1902 un<^of;ihr 117 500 f^inwohner
und ist abgesehen von den zwei Landgemeinden Uiehen und Bettingen
mit etwa 3000 Einwohnern ein rein städtisches Gemeinwesen. Das
Schulgesetz des Kantons Baselstadt vom 21. Juni 1880 normiert die
obligatorische Schulpflicht für jedes bildungsfähige Kind auf 8 Jahre.
8ie beginnt mit dem Anfang des Schuljahres für diejenigen Eonder,
die vor dem 1. liai das sechste Altersjahr zurücklegten. Knaben
and Mädchen werden in den Schnlen der Stadt getrennt nntenichtet;
in den zwei Landgemeinden jedoch gememsam. In allen öffentlichen ^
Scholen des Kantons sind die Kinder der yerschiedenen religiösen
Bekenntnisse Tereinigt Was den Beligionsnnteiiicht betiifft, so wird
derselbe in den sechs ersten Schuljahren, also in den Primaiklassen
und in den zwei nntem Klassen der Hittelschalen durch den Lehrer
gegeben. In den obem Klassen der Mittelschulen wird kein Reli-
gionsunterricht mehr erteilt; dagegen TerstSndigt sich der Erziehungs-
nt mit den Behörden der Landeskirche darüber, wie bei der Em-
liohtung des Stundenplanes auf den kirchlichen Beligionsunterricht
and den Konfirmations-Unterridit Rücksicht zu nehmen ist. Der
Beligiansunterricht, der in biblischer Geschichte besteht, ist nicht
obh'gatoiisch; jeder Schüler muß auf das von den Eitern oder deren
Yertretem gerteilte Ansuchen davon entbunden werden. —
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Aufrittsd
Die erste Sohnlstofe nmfafit vier Jahre und beifit Primarsohnle;
in derselben sind die Kinder des ganzen Yolkes yereinigt Jede der
beiden Soholanstalten — Saiabenprimarschulo und Mädchenprimar^
schule — steht unter der Leitung eines Schulinspektors. Im Jahio
ld02 zählte die Knabe n primarschule4179 Knaben, die in 91 Klassen
von 69 Lehrern und einer Lehrerin unterrichtet wurden. Die
Mädcbenprimarschule zählte in 103 Klassen 4556 Kinder mit
32 Lehrern, 57 Lehrerinnen und 24 Arbeitslehrerinnen. In diesen
Zahlen sind die Kinder der Primarschule Kleinhüningen, die dem
Inspektorat der Mädchenprimarschule unterstellt ist, mitgerechnet. In
den acht Spezialkl asseu für Schwachsinnige befanden sich
79 Knaben und 94 Mädchen; sie wurden von 8 Klassen- und
4 Arbeitslohrerinnen unterrichtet. In der ersten Klasse, d. h. im
ersten Schuljahr beträgt die wöchentliche Stundenzahl 20; im 4. Schul-
jahr 26; die Mädchen erhalten schon vom ersten Schuljahr an Unter-
richt in den weiblichen Handarbeiten, und zwar zunächst im Stricken,
vom 3. Schuljahr an auch im Nähen. —
Mit Beginn des 5. Schuljahres tritt bei den Knabenschulen
eine Dreiteilung ein: Sekundärschule, Realschule und Gymnasium.
Die Sekundärschule, die aus vier aufeinanderfolgenden Klassen
mit einjährigem Kursus besteht, soll diejenigen Schüler aufnehmen,
für die ein einfacher, nicht über das schulpflichtige Alter hinaus-
gehender Lehrgang in Aussicht genommen wird. Seit bald 20 Jahren
besteht an derselben noch eine Fortbildungsklasse von ein oder zwei
Abteilungen mit einjährigem Kursus. Die Sekundärschule, die die
obere Abteilung der Volksschule darstellt, ist selbstverstfindlich obli-
gatorisch; in derselben ist das FranzOsisohe, das schon von der eisten
Klasse an, d h. im 5. Schuljahr, mit einer ziemlich großen Stunden-
zahl auftritt, obligatorisdiee Hauptfiach; die Basler Yolksschule hat
also neben der Matteraprache noch eine Fremdsprache, eine Ein-
richtung, die wohl selten zu finden ist Sie erklfirt sich daraus, daß
fOr Basel als Handels- und frOhere Grenzstadt gegw Krankreiöh diese
Sprache eine wichtige Rolle spielt Die Knabensekundarsohule
steht unter der Leitung eines Bektors, der bei der großen Ausdehnung
der Anstalt keinen Unterricht erteilen kann. Die Sohfllerzabl betrug
im Jahre 1902 in 53 Klassenabteüungen 2231; der Unterricht wurde
Ton 55 Lehrern erteilt
Die Bealschule soll ihren Schftlem eine allgemeine realistisdhe
Bildung geben und sie auf den Obertritt zu Handel, Gewerbe und
Industrie vorbereiten; insbesondere ist sie auch Yorbereitungsanstalt
fOr höhere technische, mathematische und naturwissenschaftliche
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WniKRWALD: Dm SolnilwMeii des Kantons Baselstadt
33
Studien, also für Polytechnikum und Universität. Seit Jahren be-
nutzen sie namentlich auch Mediziner und Lehramtskandidaten als
Yorbereitungsschule für ihre wissenschaftlichen und beruflichen
Studien. Die Realschule besteht aus einer untern und einer obera
Abteilung; die untere Abteilung hat vier Klassen mit einjährigem
Kurs. Die obere Anstalt zerfällt in eine Real- und in eine Handels-
ftbteüung: die Kedabteitog umfaßt seit der kürzlich erfolgten Re-
organisation ftkat KlMBcn, wovon 'vier xnlt einjährigem und die fOnfte
mit ludbjihiigem Knzs. Die Handelsabieflnng besitzt drei Klassen
mit einjährigem Ems. Jede der beiden Anstalten steht unter der
Leitong eines besonderen Bektors, von denen jeder noch einige
Untenichtsstanden zu geben hat Die Anstalten sind «ach rttumlich
voneinander getrennt; die untere Abteünng befindet sich mit der
Kehrsahl ihrer Klassen in dem stattlichen, Ende der 80er Jahre
erbauten Oebftade an der Bittergasse neben dem Münster, wShiend
die obere Abteilnng seit dem lotsten Frtthjahr in dem prichtigen
Nenban in der Nähe des Bnndesbahnhofes untergebracht ist
Die Untenicbtsgegenstände der untern Realschule sind deutsche
und französische Sprache, Englisch in der vierten Klasse, l^fathematik,
Geschichte, Geographie, Naturkunde, Schreiben, Zeichnen, Gesang und
Tomen; diejenigen der obem Abteilung deutsche, französische und
englische Sprache) Mathematik, Geschichte, Geographie, Naturwissen-
schaften, Zeichnen und Turnen; in der Handelsabteilung noch italie-
nische Sprache und Handelsfächer. Die untere Realschule zählte im
abgelaufenen Jahre in 24 Abteilungen 1024 Schüler, die von 31 Lehrern
untenichtet wurden; in der Realabteiluntr «ler obem Schule befanden
sich in 11 Klassenabteilungen 299, in der Handeisabteilung in 6 Klassen
142 Schüler. Mit dem Zeugnis der Reife gingen im Herbst 1902
58 Schüler aus der Schule ab, und zwar zu akademischen Studien 18,
zu polytechnischen Studien 16, zu den Fachkursen für Primarlehrer
(Lehrerseminar) 13, zu andern Studien 4, zu technischen Berufsleliren 5
und zu Handel und Verkehr 2. Die Zalil der Tjehrkräfte betrug 25,
wovon einige auch an der untern Abteilung der liealschule tätig waren.
Das (iymnasiura, dfis ebenfalls aus einer untern und einer
obem Abteilung von je vier aufeinanderfolgenden Klassen mit ein-
jährigem Kurse besteht, soll seinen Schülern eine aUgeraeine huma-
nistische Bildung geben und sie auf das akademische Studiimi vor-
bereiten. Die ünterrichtsgegenstiinde des untern Gymnasiums sind
Itttoinische^ deutsche und französische Sprache — letztere von der
zweiten Klasse an — , Griechisch in der vierten Klasse, Geschichte,
Geographie, Mathemafi][, Naturkunde, Schreiben, Gesang und Tomen;
ZritMioltt IBr PUJotopU« aad FldagQgik. 12. Jahisuf . 3
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34
das Zdohnen ist fakultativ. Solche SchtUer der vierten Hasse, die
nicht in das obere Oymnasiimi, sondern nach Ahsolviening der vier
eisten OymnasialHassen in die obere Bealschule übertreten wollen,
weiden vom TTntemcht in der griechischen Spiacfae dispensiert nnd
erhalten dafür üntemcht im Englischen und in der Physik. Die
XTntemchtsfiUsher des obem Gymnasiums sind grieohisofae, lateinische,
deutsche und finmzQeische Sprache, Geschichte, Mathematik, Natur-
wissenschaften und Tomen ; aufierdem fOr künftige Theologiestudieiende
hebiiische Sprache. Das ganze Gymnasium, am Mttnsteiplatse ge-
legen, steht unter der Leitung eines Rektors. Bas untere Gymnasium
besuchten im letzten Jahre 376 Schüler, die in 11 Erlassen unter-
richtet wurden; die Schülerzahl des obem Gymnasiums betrug in
8 Abteilungen 142; davon gingen im Frühjahr 1902 38 zur Univer-
sität ab. Am Gymnasium wirken zusammen 26 Lehrkräfte.
Für die Mädchenschulen tritt nach dem vierten Schuljahr
eine Zweiteilung ein: Sekundai'schule und Töchterschule. Die
Mädchen Sekundärschule stellt wie die Knabensekimdarschule die
obere Abteilune; der Volksschule dar: sie lehrt schon von der ersten
Klasse an das Französische als obligatorisches Lohrfach und hat eben-
falls vier aufeinanderfolgende Klassen mit einjährigem Kurse. Seit
vielen Jahren besteht auch da eine Fortbild uiigs- oder fünfte Khisse
mit einjährigem Kurse in zwei oder drei Abteilungen. Die Anstalt,
unter der Leitung eines Rektors, zählte im verflossenen Jahre
2580 Schülerinnen in 59 Klassenabteilungen; der lintorricht wurde
von 42 Lehrern und 41 Lehrerinnen erteilt. Mit der Schule sind
Koclikurse verbunden, die von Lehrerinnen geleitet werden und einer
stets zunehmenden Beliebtheit sich erfreuen. Unter deiselben Leitung
wie die Mädchensekundarschulo der Stadt steht auch die Sekundär-
schule der Ortschaft Kleinhüningen, die nach und nach mit der Stadt
zusammenwftohst und bereits in den städtischen Organismus auf*
genommen worden ist ffier sind die beiden €^esohleohter in den
betreffenden Elassen Tereinigt; die Schule zShlte in vier Klassen-
abteilungen 86 Knaben und 73 Mädchen, die von 4 Lehrern und
einer Arbeitslehrerin unterrichtet wurden. Diese Schule wird übrigens
bald mit den städtischen Sekundärschulen vereinigt werden.
Die Töchterschule hat die Bestimmung, diejenigen Mädchen
au&unehmen, für die ein längerer und umfemnderer Lehrgang in
Auasicht genommen wird. TJntemchtsfSoher sind: deutsche, franeö-
asche und englische Sprache, Mathematilc, Qeschichte, Geographie,
Naturkunde, S<toiben, Zeichnen, Gesang, Turnen und weibliche
Qandaibeiten. Sie besteht aus einer untern und einer obem Ab-
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'Wsitebwald: Das Soholweeeii des KaDtons Baselstadt
35
teilung; die untere hat vier, die obere zwei Klassen mit einjährigem
Kurse; die erstere zählte im verflossenen Jahre in 20 Klassen-
abtc'ilungen 949, die obere Abteilung in 8 Klassen 248 Schülerinnen.
An die sechs Klassen der Anstalt schließen sich noch verschiedene
Fortbildunprsklassen an: Für {Ulgeraeine Bildung drei Jahreskurse; für
Ausbildung als Lehrerinnen drei Jahreskurse; füi- das kaufmännische
Bildunfrswesen zwei Jahreskurse und für Ausbildung als Lehrerinnen
an Kleinkinderanstalten ein Jahresknrs. Tn der allgemeinen Abteilung
wird auch Unterricht in der lateinischen Sprache erteilt, und es
werden die Schülerinnen so vorbereitet, daß sie das Maturitätsexamen
bestehen können. Die sUnitliclien Fortbildungsklassen zählten im
letzten Jahre 155 Schülerinnen; 16 bestanden die Diplomprüfung
als Lehrerinnen. Die gesarate Anstalt steht unter der Leitung eines
Rektors; der Unterricht wird von 22 Lehrern und 22 Lehrerinnen
gegeben.
Unter einem besonderen Inspektoiat stehen die Schulen in dem
som Kanton Baselstadt gehöiemdan Landgemeinden Bieh«n und
Bettingen. Knaiben nnd IDidchen sind beim ünteirieht in äea ver-
sdiiedenen Klassen Toieinigt In Biehen afihlten die Tier Frimai^
Uassen lotsten Jahres 113 Knaben nnd 103 Mädchen; den Unterricht
erteilen 4 Lehrer nnd eine Aibeitslehrerin. Die Tier Seknndarklassen
nnter 4 Lehrem nnd einer Arbeitslehrerin sfihlten 74 Knaben und
74 M&dchen. Die 8 Klassen der kleinen Beiggemeinde Dettingen, in
eme Primär- nnd eine Seknndaiabteilnng zusanmiengefaßt, wiesen
26 Knaben nnd 35 Mftddien anf; an der Sohnle wirken awei Lehrer
nnd eine Ariieitalehrerin.
Den unmittelbaren Bedttifnissen des praktischen Lebens dienen
die Allgemeine Gewerbeschule und die Frauenarbeitsschnle. Die
Allgemeine Gewerbeschule hat die Aufgabe, den Gewerbe-
treibenden diejenige für ihren Beruf notwendige Ausbildung zu geben,
die in der Werkstatt nicht eriangt werden kann. Die Schule be-
zweckt einerseits die allgemeine und fachliche Fortbildung der An-
gehörigen aller Gewerbe, andrerseits die theoretische und künstlerische
Heianbüdung von tüchtigen Arbeitskräften für die Bedürfnisse der-
jenigen Kunstgewerbe, für welche die Bedingungen einer gedeihlichen
Entwicklung in Basel vorhanden oder leicht zu gewinnen sind.
Daneben soll in besonderen Abteilungen — Kunstklassen — für
nicht Gewerbetreibende beider Geschlechter Unterricht im Zeichnen,
Malen usw. erteilt und hierdurch der Sinn für die Kunst bei der
Bevölkerung gefördert werden.
Die Schule zerfällt in eine untere Abteilang für allgemeine ge-
3*
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36
werblidie Yoibildung und eine obere Abteilung ftir Schliche Aus-
bildung; einen Teil der lotztorn bilden die Kunstklassen. Der ünter-
richt wird in halbjährlichen Kursen erteilt und findet an den Werk-
tagen in Tages- und Abendstunden statt; die Aufnahme der Schüler
erfolgt in der Regel am Anfange jeden Semesters. Bei der Auf-
nahme in dio untere Abteilung: wird verlangt, daß der Schüler das
14. Altersjahr zurückgelegt und eine ordentliche Volksschulbildung
erlangt habe. Für die Aufnahme in die obere Abteilung ist das
zurückgelegte 15. Altorsjahr imd die Erfüllung des Lehrzieles der
untern Abteilung nötig. Angehörige dos Handwerkes und der Ge-
werbe, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, können jedoch
zur Teilnahme an einzelnen Fächern der obem Abteilung zugelassen
werden, wenn sie das 18, Altersjahr zurückgelegt haben und zum Be-
suche der betreffenden Klasse reif sind.
Der Unterricht an der Allgemeinen Gewerbeschule ist iment-
geltüch, ausgenommen für diejenigen Schüler der Kunstklassen, die
dieselben nicht zum Zwecke der gewerblichen Berufsbildung be-
suchen; diese haben je nach Fächern und Stundenzalil per Semester
ein Schulgeld Yon 10 bis 50 Fr. zu bezahlen. Alle andern Schüler
entrichteii zum Zwecke der Sicherung eines regelmäßigen BosnclieB
«m Anfüge eines jeden Semestois ein Haftgeld, das ohne Sttcksioht
anf die Stnndenzahl nnd die XVeher fflr die untere Abteilung 4 Fr.,
fflr die obere 8 Fr. beträgt. Dieses Haftgeld iriid denjenigen Schfllem,
die den üntenicht regelmäßig besucht haben, am Ende des Semesten
jEurftokeiststtei
Die UntemchtsfiGher der untern Abteilung sind: Sdixeiben und
Aufsate, Arithmetik, Geometrie^ Bundschiift, Geometiisches Zeiohnen,
Blachomament und Gipsaeicbnen; diejenigen der obem Abteilung:
Frojehüonaseiöhnen, Schattenlehre, Stereometrie, Algebra, ICechanilc,
Ifaschinenlehze» Technologie^ Fhyäk, Chemie, Buchführung, gewerb-
liches Beohnen, praktische Geometrie und Feldmessen, Perspektive,
Baumaterialienlehre, fiaustatik, Bauformen- und Stillehre, Kunst-
geschichte, Heisong und Tentilation, Fnchaeichnen fiLr die verschie-
denen Bernfsarten; Omamentseiohnen, ornamentales Gipszeichnen,
Skissieren nach der Natur, omamentale Formenlehre, Holz- und
Kaimorimitation , Schriftzeichnen und Malen, dekoratives Malen,
Aquarellmalen; figürliches Gip?zoichnen, figürliches Skizzieren, Zeichnen
und Malen nach dem lebenden Modell, Anatomie, Aktzeichnen. Model-
lieren, Ilolzbildhauen für Schreiner, Möbelpolstem für Tapezierer,
Handverf^oldon für Buchbinder, praktische Übungen für Spengler;
Porzeilan- und ölmalen für Damen.
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WimswAi»: Dm SoInlweND d«8 Xnlons BveMadt
37
Der Unterricht wurde im letzten Schuljahr von 51 Lehrern er-
teilt, von denen einige dem l^ehrpersonal anderer Schiüanstalten, die
meisten jedoch dem Gewerbestand angehören. Die Schülerzahl be-
trug im Sommersemester 1048, im WinteiBemester 1365; sie ist in
den letiElen Jahren infolge der gedrückten Geschliftslage etwas zurück-
gegangen. Bie Sdinle stellt unter der Leitimg eines Dixektore.
Schon seit lingeier Zeit wird von den Behörden eine Beoigani-
sation der Anstalt geplant; ee soll derselben nimlioh die allgemeine
büigerliche Forfbildongsscfanle eingegliedert werden, die von allen
Schfllem des Esntons, die eine bestimmte Klasse der Volks- oder
Mittelschnle nicht erreicht haben, besucht werden mufi. Jetzt ist die
Forä>ildnng88chnle nur für die zwei Landgemeinden des Kanton»
Baselstadt obligatoiiBch, für die Stadt bestehen bloß freiwillige Fort-
büdnngskurse, die nnr mäßig stark besucht werden.
An dieser Stelle sollen anch die Handarbeitsschnlen für
Knaben erwfihnt werden. Bieseiben sind nicht eine rein staatliche
Einrichtung^ sondern werden Ton einem Verein, der Ton seinen lOt-^
g^edem Beiträge bezieht organisiert; sie stehen aber unter staat>
licher Aufsicht, und die Kosten werden auch zum größten Teil vom
Staat, der letztes Jahr an dieselben 20000 Fr. bezahlte, bestritten..
Die Handarbeitsschule will die Lemschule ergänzen und den Zog-
lingen Gelegenheit zur Erwerbung und Förderung manueller Fertig-
keiten geben. Außerdem will sie auch ein Hort für viele arme
Knaben sein, die an den icalten und dunkeln Winterabenden, bevor
die Eltern nach Hause kommen, sonst kein warmes und erhelltes
Stübchen finden könnten. Anmeldungen gingen letztes Jahr von
1397 Schülf-m ein, von <lonon 1223 Aufnahme fanden; diese wurden
in 38 Kart«innaire-. 2:5 Hobelbank- und 2 Kerbschnittklassen von
47 Lehrern untemchtot. Der Unterricht wird in den Monaten
Oktober bis Miirz in den Abendstundon von 5 — 7 Uhr, am Mittwoch
auch in den Xachmittagstunden erteilt
Die Frauenarbeitsschule hat nach dem Gesotz die Aufgabe,
Frauen und Mädchen durch theoretischen und praktischen Unterricht
in den weiblichen Handarbeiten und in der Führung eines Haus-
wesens für den häuslichen Benif oder für den Erwerb, sowie Arbeits-
lehrerinnon und Lehrerinnen für Koch- und Haushaltungsschulen
gründlich auszubilden. Der Unterricht wird in Kursen von sechs
Monaten erteilt und findet an Werktagen in Tages- und Abend-
stunden statt Zur Aufiiahme ist das 15. Altersjahr und der Besitz
derjenigen Kenntnisse eiforderlioh, die in einer guten Yoltochule
erworben werden können. Nach Beendigung eines Euzses erh&li
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38
jede SohOleim eiii eohiifdiohes Zeugnis Uber Betragen, Fleiß, Fort»
«cliritt und Leistung. Die Sdiflleiinnen, die beabsichtigen das Examen
«]s Aibeitslehrerinnen zu machen, müssen bei ihrem Eintritt die
5. Klasse der Töchterschule oder die 4 Klasse der Sekundärschule
nebst Fortbildungsklasse oder eine gleichwertige Schule mit Erfolg
besucht, also 9 Schuljahre durchgemacht haben. In der Fnuen-
aibeitBschule sind fOr sie Weißnihen und Flicken, Maschinfflinlfliftn,
Kleidermachen, Wollfach und Weißsticken, Geeundheitslehre, Methodik
des Arbeitsuntemchts unft Pädagogik obligatorisdL Die Schülerinnen
der Kodi- und Hanshaltungsschule erhalten außer im Kochen, üntei^
rieht im Waschen, Flicken, GlStten, Rechnen und Buchfahrung, Ge-
eundheits- und Krankenpflege; diese Fächer sind für sie obligatorisch.
Für den ^Mittagstisch und den Nachmittagskaffee bezahlen sie per
Semester ein Kostgeld von 80 "Et, Im übrigen ist der Unterricht in
allen Fächern unentgeltlich; dagegen sind die Kosten Ittr Arbeits-^
■Schreib- und Zeichenmateiialien , Nähmaschinen usw. von den
-Schülerinnen zu tragen.
Der Unterricht erstreckt sich auf folgende Fächer: Weißnähen
(Handnähen); Maschinennähen; Kleidermachen; Weißsticken; Bunt-
stickon; Filet-, Häkel-, Knüpf-, tStrick- und REihmenarbeiten (Woll-
fach); Flicken, Verstechen und Stopfen: Glätten; Putzmacheii: Zeiohnen;
Rechnen und Buchführung; Pädagogik; Methodik; (xesundheitslehre unii
Krankenpflege; Koch- imd Haushai t im gskunde : djizu Lingerie: Flicken,
Zuschneiden und Fertigen von Weißzeug, sowie Kleidersclmitt in
Abendkursen. — Die Lehrei"schaft zählt, abgesehen von den Ge-
hilfinnen in den Abendkursen, 26 weibliche und 4 männliche Lehr-
kräfte. Der Zudrang zu dieser Schule wird von Jahr zu Jahr größer;
sie zählte im Summersemester 1902 1072 Kursteilnehmeriunen und
"251 Schülerinnen in den Abendkursen; im Wintersemester 1902/03
1234 Kursteünehmerinnen und 302 Schülerinnen in den Abendkursen.
Die Anstalt steht unter der Leitung eines Vorstehers, der sie vor
ungefähr 25 Jahren in bescheidenen Anfängen mit Hilfe der GeseU-
echaft des Guten und Gemeinnützigen ins Leben gerufen hat
Fttr die Überwachung und Bildung der Euider im Torschul-
Pflichtigen Alter ^d die Kleinkinderanstalten eingerichtet
worden, die teils staatlicher, teils privater Katur sind; die letstem
•stehen unter der Obsorge der gemernntttsigen Gesellschaft In den
-staatlichen Anstalten befanden sich Snde Dezember 1902 in 39 Ab-
teilungen 882 Knaben und 884 Ifidchen unter 21 Lehrerinnen und
18 Gehilfinnen; die Leitung ist einer Inspektorin übertragen. Die
privaten Anstalten mit 33 Abteilungen sShlten 696 Knaben und
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Wextebwald: Daa Soholwesen des Kantons Baselstadt
39
770 Mädchen; sie wurden von 34 Lehrerinnen geleitet; sechs diesw
Schulen erheben ein Schulgeld von 5 bis 40 Rappen per Woche.
Für die Erziehung und Beschäftigung verwahrloster Knaben und
sjugencllich Bestrafter« besteht die RettuiiETsanstalt Klosterfiechten,
ungefalir eine Stunde von der Stadt am Abhang des Bruderhoiz ge-
legen. Mit der Anstalt ist eine ziemlich ausgedehnte Landwirtschaft
verbunden. Die Leitung ist einem Hausvater übertragen, der auch
der Liindwirtsciiaft voiNteht und mit einem Lehrer den Unterriclit
und die Beaufsichtigung der Zöglinge besorgt. Die Ansttdt zählte
am Jahresschluß 22 Knaben. Von den im Laufe des Jahres Auf-
genommenen gehörten 7 zur Kategorie der Verwahrlosten, 2 waren
»jugendlich Bestrafte«, 2 wurden aufgenommen, um sie der Miß-
handlung durch ihre Eltern zu enrzielien. Von den Ausgetretenen
wurden 7 in Lehren untergebracht, 3 kehrten ins Elternhaus zurück,
2 wurden weiter versorgt. Die Aufsicht über die Ketlungsanstalt ist
einer Kommission übertragen, die auch anden^^itigü Versorgungen
leitet und überwacht In einer großen Stadt wie Basel gibt es leider
immer rerwilizlosfe odor sittlich gefährdete Kinder, die aus den
dffentlichen Scholen entfernt werden müssen; Tiele derselben werden
doieh die genannte Kommission in Etonilien des Kantons Baselland-
schaft, andere in auswärtigen Anstalten untergebracht Von den am
31. Deeember 1902 aoßerhalb der kantonalen Bettnngsanstalt yer^
sollten Kindern gehörten 2 dem Kanton Baselstadt, 15 dem Kanton
BaswUandschaft, 25 andern Kantonen und 23 dem Ausland an. Die
staatlichen Aufgaben fOr auslfindisohe Yersorgongen betrugen 3850 Fr.
Neben der staatliohen Kommission besteht noch die Yersorgungs-
komnussion der Oesellsohaft des Guten und OemeinntLtzigen, die auf
dem Gebiet des V'ers<»gungswesens gans Bedeutendes leistet
Büne staatliche Yersoigungsanstalt ffir Terwahrloste Mädchen,
wofür die im Jahre 1896 anläßlich der Pestalozzifeier ins Leben ge-
rofene FestalozzigeseUschaft die InitiatiTe eigrifien und finanzielle
Mittel gesammelt hat, ist im Entstehen begriffen.
(Sohliiß folgt)
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1. Der Begriff der Harmonie bei SoMller
Von Dr. Sasanna Bubinsteia
Schiller behielt das Wesen der Antithese, des Gegeontzes, stets im
Blickpunkte seines Bewußtseins, er sah es alle Erscheiniingeu durchziehen
und drückte diese seine Anschaimng sowohl in seinen poetischen Schöpfungen
als in seinen kulturphilosophischen Abliaudlnngon aus. Zwei seiner her-
▼orragendsten Gedichte, das Gedicht »Das Ideal und das Leben<| das aeine
phfloeophisoheD Orundgedaakeii enthSlt, vnd das gcachlechtB-pqrcfaologiBobe
Gedicht »Würde der Fkauen« , sind inhaltlioh und formal ganz in der
Antitbeae beaohlosseo. Er aiogt im ersten:
»Wenn der Menschheit Leiden eooh vmCngai»
Wenn Laokoon der Schlangen
Sich erwehrt mit namenlosen Schmerz,
Da empört sich der Mensch tc
»Aber in den heitern Regionen,
Wo die rfinen Formen wohnen,
Rauscht des Jummer^ trüber Sturm nicht mehr« usw. usw.
und im zweiten:
»In der Männer Herrschgebiete
Gilt der Stärke trotzig Recht.«
»Aber mit sanft überredender Bitte
Führen die Frauen den Zepter der Sitte« usw. usw.
Schiller spricht direkt die Überzeugung aus, daß in der Reibung:: dos
Gegensatzes die Triebknift der Entwicklung läge. »Der Antagonismus ist
das Instrument der Kultur.« Er ist das Instrument der Kultur, weil er
jeden Partner zur Abstreifmig des Schroffen, zur Fortbewegung ins Al-
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1. Der Begriff der Hanuoaie bei Schüler 41
truistische antreibt, und das Endziel davon ist die konsolidierte verstärkte
Kraft in der Harmonie. Schiller hegte auch die Überzeugung, daß die
ideelle Potens der Haimooie als kosmogoiuBch-QfÜusohe Knft im Weltbilde
zersplittert sei, und die EinigiiDg mit diesem Kitt ist die Krönung aller
dualistischen Uniuho. Diese Ansicht vertritt Schill» in seiner Theosophie
(philofi. Briefwechsel zwischen Julius und Baphael).
I. Die Ethik
Die zwei küuträreu Faktoren deren Auflösung in Harmonie die wich-
tigstea und edelsten 0fiter der Menschheit, ja den gansen Bestand der
Kultur bildet, sind: Sinnlichkeit und Temunft Denn aus der VeieiaigaDg'
dieser Faktoren entstammt die Ethik und die Ästhetik. Diese zwei philo-
sophischen Gebiete sind auch diejenigen, welche Schillers Geistf^swelt 1»^-
herrschen. Sie sind ihm die nächsten und wichtipston. vreil sie tief urnl
bestimmend im Menschenwesen eingreifen. L'ud Schiller ist ebenso leblmft
fflr die anthropologische Welt interessiert, wie Qoethe für die koemische.
Schiller bat seinen Frasdierblidc suvOrderst nach innen, Goethe nadi auBen
gerichtet. Nicht bloß abstrakt reflektierend, sondern mit einer Weihe des
(femütes wie bei einem Priesterdienst, konstruiert Schiller seine ethisch-
ästhetischen L<^hren. In den Yerschiedenon philosophisclien Althandlungen,
in denen er diese auseinander setzt, verfolgt er, als das Z^ ntnile. den Ge-
danken, daß Sinnlichkeit und Vernunft, Neigung und Pflicht, sich im
Wesen der Btbik sur Harmonie auflösen. Es g&be kein GefOhl der Be-
friediguug, der Lust beim sittliohen Handeln, wenn sur Maxime der Ver^
nnnft nicht die Sinnlichkeit, wenn zum Pfliditgebot nicht die Neigung
sich beigesellte. Mit der Anerkenming des sinnlichen Elements in der
Begriff l»est im mung der Moral, tritt Schiller dem Rigorismus seines Meisters,
Kaut entgegen. Der Königsberger Weise foi-dert drakonisch, daß man dio
Pflicht einzig nur ans Pflichtgebot flbe und entscheidet, dafi die Neigung
tat Pflicht der Imperativischen Macht derselben Eintmg tue. Die Neigung
zu einer Tat hebt ihren sittlichen Wert auf. Man kOnnte darin einen
Anklang an den theologischen Begriff des Opfers finden, an der Idee, die
in allen Religionsfornien wiederkehrt, daß in der Selbstüberwindung und
KasteiuDg, auch in der grausamsten und unsinnigsten, ein Verdienst läge.
Doeh hat diese strenge Trennung von Neigung und Pflicht bei Kant vicd-
leieht den Qrund in dem Mechanismus seines Systems, da er scharf die
Sphäre der Sinnlichkeit, also dio Sphäre der Zwecke und des Bot:' hrens,
von der intelligiblen Sphäre der Ideen und der Freiheit — in der dio
Moral wurzelt — auseinander hält, so zeigt sieh auch keine Bkmko fiur
einen möglichen Wechselverkehr. Die beiden Sphilren sind abgeschnitten,
und der bescluänkto L utertaneuverstand sucht mit rechter Verlegenheit
die Konkordans su einer Persönlichkeit zu finden. Schiller schöpfte aus
zwei RichtuDgeo die Überzeugung — mit der er Kant entgegentrat —
daß den Oeistesfimktionen unentwegt ein sinnliches Element beigemischt
sei: er schöpfte sie einmal atis seiner künstlerischen Tätigkeit, und ratio-
neller aus seinen medizinischen Studien. Diesen verdankt man dio zwei
Abhandlungen, in denen er das Substanziale des reciproken Verhältnisses
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42
Mitteilungen
von Ijcib lind Geist erörtert: I. die »Philosophie der Physiologie < , und
II. ȟber den ZusammeDhang der tieriechea Natur des Menschen mit seiner
geistigen,« Giog ffir Kant die Notwendigkeit sa seiner impentiTeii Fonn
▼OD seinem Geisteswerk ans, so efgab sich für Soihiller, dss Axiom der
Vereinheitlichung beider Faktoren, als Frucht seiner Geistesarbeit Wenn
er in jenen Dissertationen SJätze durchführt wie diese: daß »die mensch-
licho Vdllkommenhoit in der vollsten ('bucg der Kräfte und ihrer wechsel-
seitigen Unterordnung bestellen müsse,« und: »die tierische Empfindung
von Lust und Schmerz dient nicht aUein der Erhaltung des psychischen
Lebens, sondern hilft auoh das innere Urwerk des Geistes in Gang bringen«
— so wurzelt schon in diesen Arbeiten seiner Jugendzeit die Ansicht von
der Coordination, die später als gezeitigte Frucht der Kttngehalt seiner
ethischen und ästhetischen Prinzipion wurde.
Kants kategorisches Sollen drückt eigentlich ein Jocli auf das Gemüt
auf, es zwingt ihm die Tugend auf, und damit hat er ja ihre Abstammung
ans der BVeiheit enohtttfeert Zwischen der imperativen Foim nnd der
Idee der Freiheit eigibt sich dne unansweichlidie Kollision. Geht aber
die Sittlidürait nicht frei und unmittelbar aus dem Ganzen hervor, so in-
häriert sie auch nicht der "Wasensbeschaffenheit, so ist sie Disziplin, und
so gibt es auch keine Bürgschaft, daß man ihr nicht bei guter Gelegenheit
entschlüpft »Der bloü niedergeworfene Feind kann wieder aufstehen,
aber der veisOhnte ist wahrhaft überwunden.« Und bloß niedergeworfen
ist die Sinnlichkeit dnroh den kategorischen Imperativ, versöhnt ist sie
durch die Neigung zur Pflicht Das Dokument, in dem Schiller am ein-
gehendsten das Problem der hamionisehen Auflösung von Sinnlichkeit und
Vernunft in der etliischen Gesinnung behandelt, und in dem er gegen
Kants Higidität in Aktion tritt, ist die Abhandlung über »Anmut und
Würde«. >Der Mensch darf nicht nur, sondern er soll Lust und Pflicht
verbinden; er soll seiner Vernunft mit Freaden gehorchen. Nicht um sie
wir eine Last wegzuwerfen, oder wie eine grobe HüUe absnstreifen, nein,
um sie aufs innigste mit seinem höhern Selbst zu vereinbaren, ist seiner
reinen Geistesnatur eine sinnliche beigemischt« Die Auflösnntr dieser
beiden Extreme in üannonio begreift also die echte und wahre Sittlichkeit
in sich. Und wo diese ÜbereinstimmuDg — die Übereinstimmung von
Neigung und Pflicht — besteht, da bewAhit sich audi ein ethischer Sinn
durch die ganze LebensfOhrnng. Wfthrend, wenn man immer wieder zur
Vernunft Rekurs haben muß, wenn man von Fall zu Fall bei dem Morali»
t&ts-Codex anfragen muß, sich nur abgezwackte Tugendhandlungen orgeben
können. Wo aber j*Mie beiden Prinzipien im Einklang verschmelzen, da
ist die »vollendete Menschheit«: erstanden ; liarmouie ist die krönende
Vollendung einer Entwicklung. Und nur auf dieser Stufs, wo sanft und
eben die beiden Richtungen zusammeofliefien, kann andauernde Selbst»
Verleugnung und aofoplerDde Werktätigkeit mit heiterer Ruhe geübt werden.
Dieser Zustand der unmittelbaren, freien Harmonie bildet das Wesen der
»schönen Seele«. Die ^ schöne Seele« ist der Adelsmensch, in der Über-
einstimmung von Natur und Oesetz gelangt bei ihr die Totalit&t zur Eot-
wioklung.
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1. Der Begriff der HarmoDie bei Schillor
43
Wie kann aber die Auflösung:, der doch auch andrerseits petrenntea
und heterogeiiea Elemente bewirkt werden? Die jS'oigung entötammt der
SumBohkeit, das Sittengesets — das Oeseti durch desaea Befolgung der
Mensdi in ncfa selbst die Menschheit ehrt — gehflrt der fibersiiiolioheii
Yenimftrej^fili an, was bringt nun die Annäherung zu stände? Wodtirch
werden Neigung und Pflicht, Siunlichkeit und Vernunft vereinigt? Durch
Zucht Aber nicht durch eine occasionalistische Zucht, wie es Kants Pflicht-
begriff in sich schließt, der bei jedem Anlaß herbeigezogen werden soll,
Bondttn durch eioa ratioiMlIe Zucht, unelehe dem Qamttts fOr immer die
Ptfge gibt ESb boU die pidagogiadie ISnwirkaiig eines MitHeren sein.
Dieses Mittlere soll die Sinnlichkeit so rektifizieren, daft sie Kioh als gi^
fügiges Korrelat dem übersinnlichen anschließt. Dieses veredelnde Mittlere
ist das Schöne. Das Schöne leitet das Gemüt zum Übersinnlichen, und
in dieser reinen und verklärten Stimmung verstummt die Lockung des
l^iedrigen, weicht die Beechräokung, und die gesetzmäßige Kraft der Yer-
nnoft ivird Uaier, man kommt dem Erkennen nlher, und dabei erlangt
auch das Gefühl die Eignung intuitiv dem Sittlichen zuzustreben. »Nur
durch das Morgentor des SchOnen drangst du in der Erkenntnis Land.c
Und das Schöne, die Kunst, ist »die Gütige, die deine Jugend in hohen
Pflichten spielend uutenvips. und das Geheimnis der erhabenen Jugend in
leichten Kätseln dich erraten ließ«. In der didaktisch -theoretischen Ver-
schmelzung des Schfioen mit dem Sittlichen sind offenbar Stxahluogen ans
dem Geist der Antike eiDgegaogen. SchiUen ganae Isthetisch - ethiche
SanoOi wie er ihn eintrohender in den Briefen >über ästhetische Er-
ziehung« entwickelt, besteht aus einem aus den Studien der Antike assi-
milierten UD<1 7Air Bhite ausiiTf^fifteii Keim. Das Wesenliafte, der Grund-
kern dieses Kanons, bildet das xuAoyxayadoy^ das griechische »Schöngute«.
Der Begriff des Sofaflngatoi ist anoh in SdiiUsrs »achfiner Seelec anthrcqpo-
morphisiert Das Wort ist in ihr Fleisdi nnd BInt gewKMden. Man mag
-vielleidit auch nicht fehl gehen, wenn man in Schillers ganzer und be-
herrschender Hinneigung, die widerstrebeiuleu Verhältnisse unter dem Ge-
sichtspunkt eines ?>olutioDiBmu8 zur Harmonie zu fasseo, auf heilenisoher
Eio Wirkung zurückführt.
Der Widerschein der innem Harmonie in der äußern Erscheinung
bildet das Wesen dw Anmnt Anmut Ist der lebendige Ausdmok der
Person, des innem Menschen, im Gegensatz zum architektonischen Bau,
welcher die Naturseite desselben bedeutet. Das Durchbrechen des Frei-
heitsbegriffs der Vernunft, auf dem Schiller das Schöne wie das Sittliche
V>egrnndet, ist auch Bedingung der Anmut. Wo die architektonische Natur-
seite überwiegt, da entsteht Masse. Die t schöne Seele« bringt den An-
mntssanbar sur höchsten EntEaltung; wie sie frei und mit Leichtigkeit
die peinlichsten Pflichten llbt, so frst und gefOgig sind auch die 6e-
wegongen, mit denen sie ihre Antriebe bekundet. Eine »schöne Seele«
gießt selbst über eine mangelhafte architektonische Bildung einen unwider-
stehlichen Reiz aus. Ja, socrar über Gebrechen der Natur sieht man sie
triumpiiieren. Die Person, oder das freie Prinzipium, nimmt es dabei auf
sich, das Spiel der Erscheinungen sa bestittunen. Der ionete Mensch Ter-
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UitinhiBgsii
Sufierfioht sieh io der LeibÜGlürait, womit weiter die Zusammen^BhOngkeit
des grcistigen nod leiblichen ElementB dokumentiert ist. Von diesem aus
erklärt sich Schillers Äußerung: daB >Schuiiheit eine Pflirlit dor Er-
soheinunf^« sei. Mit der Aufliebung des Gleichmaßes, der Harmonie der
beiden Natnren, ist für Schiller auch die Schönheit aufgehoben. Der Be-
griff der Harmonie hat bei ihm eine sehr viel vertieftere Bedeutung ge-
wonnen als bei den Grieehen, da er nicht die naiv ftoJem Verhaltnisse,
sondern den anthropologisdi spekulativen Ausgleich der beiden Kräfte be-
greift. Die Würde ist deshalb des Schönhoitszaubers beraubt, weil in ihr
das substanzielle Gleichmaß gestört ist. Sobald die Anmut in Würde über-
geht — und dies ist der Fall, wenn sie einen Affekt mit der Kraft der
Vernunft bemeistert — verliert sie, trotz höhei"er Dignität, das Schöne.
Bei der Wüide» welche eine erhabene Gesinnung in aioh achliafit, tiitt
eine Venchiebung zu Gunsten der Vernunft ein. Die Qeeetigebung der
Vernunft kann mit der Gesetzgebung der Natnr in Widerstreit geraten,
wenn der Trieb eine Forderung erhebt, welche die Maxime der Vernunft
von sich weisen muß. Daraus folgt das strenge Gemüt der Würde. Das
harmonische Zusammenfließen ist Wohllaut, ist herzbezwingender Zauber,
die strenge Blajefitftt einer Juno aber entbehrt des Gflrtels der Anmut
Wie bei der Würde so besteht such bei den Phftnomeoen des
XUubenen nnd des Pathetischen ein Vorwiegen des Vemunftprinzips.
Wenn sie aber trotz verminderten sinnlichen Gehalts dennoch ästho-
ti55che Stimmungen erzielen, so ist es hier die Gewalt eines ethiselion
Eindrucks, der ästhetisch ausklingt, weil er in Lust und nicht in
Pflicht übergeht. Beim Erhabenen stehen zwei Mächte einander gegen-
über, — das Objekt und das Gefühl — wobei die sweite, neben
dem Bewußtsein, dafi sie dar ersten unterliegen müßte, sich doch über
dieselbe erhebt. Als Giordano Bruno angesichts des Scheiterhaufens
sagte: »Ihr fürchtet euch mehr, daß ihr das Urteil über mich verhängt,
als ich es zu erleiden« — so hatte er eine göttliche Erliabenheit gezeigt
Das Erhabene liegt nicht im objektiven Gegenstand, sondern es liegt aus-
schliefilich im Gefühl Es erweitert die Gefühlssphlre über die Sinnen-
welt hinaus und ist dadurch tou stürkerer Wirkung als das SohOne.
Dieses macht sich um den Menschen verdient, >das Erhabene aber um
den Dämon in ihm<. Das Schöne übt durch die Zusammenstimmung von
Sinnlichkeit und Vernunft Reiz auf uns, aber durch die Schönheit würden
wir nie erfahren, daß wir uns auch als reine Intelligenz bewähren können.
Beim Erhabenen stimmen Sinnlichkeit und Vernunft nicht zusammen, und
eben darin liegt die Macht, womit es unser Gemüt ergreift Denn daft
hier gerade der physische Mensdi TOm moraliBohen Menschen geschieden
ist, und daß trerade durch das, was den erstem niederwirft, der zweite
seine Kraft betätigt, das ist eben, was ihn erhebt. Der Mensch fühlt sich
auch der ganzen grandiosen Machtfülle des Kosmos gegenüber erhaben,
sobald er zwischen verheerenden Elementen in resignierter Freiheit vor-
harrt Nach dem allen whrd im eriiabenen Zustand ein h(ttieres Mafi von
Freiheit entbunden als im fistfaetisohen. Dooh ist die IVeiheit in diesem
letstem heiterer Art, es ist ein amgeglichenes, boooligendee Emporachw^ben,
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1. Der Begriff der Harmonie bei Schiller
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bei dem der Erdendruck sinkt und sinkt. Das Freiheitsgefflhl in der er-
habenen Stimmung ist von einem tiefernsten Kolorit; man erkonot das
Yeniichtende der gegenfibentoheiidea MMdit, Ist sich klar bewuBt, ihr nicht
bokommea za können, und wichst in seiner inneni Mensohlieit hoher und
hoher über Welt, Verhältnisse und Leben hinsot.
Im Pathetischen, dem dritten Phänomen mit vorwiegender Yernunft-
herrschaft, erweist sich die moralische Kraft anders, nämlich nicht durch
passive und entsagende Gesianungshöhe, sondern durch Widerstand gegen
die finsfeera Gewalt des Leideoa. Dm Lddeo, welches in Znstand des
Pathos Teisetst, ist ansschliefilioh seeliacfaer Art ünd der pathetische
Znstand ist für die Kunst von sehr viel höherer Wichtigkeit als die beiden
frühern, denn das Pathos des Leidens ist der eigentliche Nerv dor tragi-
sdien Kunst Er ist es auch, der das Mitleid, das sympathische Mitfülilen,
diesen großen dramatischen Motsor über dessen ethische Bedeutung soviel
geschrieben und gedeutet wurde — erweckt üm aber der Kunstanfmde-
mng an genügen, mnA die ans dem Übersinnlichen gesdiOpfte Eraft des
Widerstandes gegen das Leiden versinnlicht werden. Die Darstellung des
Leidens, ohne Darstellung des fibersinnlichen Widerstandes ist gemein.
Das Pathos des Leidens veranschaulicht daher sowohl die Marter, die an
jeder Faser nagt, als auch die Macht des Übersinnlichen, dieses ewigen
Jungbrunnens, der die Wunden des Lebens heilt, indem er die Kraft ver-
leiht es sn überwinden. In dem im Leidenspathos mit dem Übersinn-
Udien Getränkten wird das Wort lebendig: >lfein Reich ist nicht von
dieser Welte, ünd dieser Glorienschein, der sich auf ihm niedersenkt,
bildet seine ethische Schönheit, Die dramatische Dichtung ist speziell das
Kunstgebiet, bei dem die ethische Schönheit — also die Schönheit die
nicht heitere Harmonie, sondern didaktische Läuterung ist — Bedingung
nnd Zweck ist, da dieses Eonstgebiet eine Sesierung des inneni Lebens ist
Bis ethisiphe Schönheit, das Ealli- Agathon, bildet bei diesen yw~
echiedenen und zugleich homogenen Kategorien eine aussteigende Reihe:
Die Wünle betont die ernste Strenge der Persönlichkeit gegenüber den
Angriffen der materiellen Faktoren; das Erhabene zeigt die Person auf
einer noch hohem Stufe der Freiheit, denn sie wäclist im erhabenen Zu-
stand Uber die Naturgewalten, die sie nicht einschränken und nicht ab-
wehren kann, hinaus nnd erweist den DamOn, den individnellen Omndkem
des Menschheitlichen; im Pathetischen eiitsiig^ die Barson, mit schwer ge-
troffener Seele, allem Irdischen, allen Verheißungen und allen Bedi-äng-
nissen der Wirklichkeit, und gelangt zur transzendentalen Heiligung. Das
Pathetische ist zumeist von tiefer elegischer Weise durchzitiert. In den
swei Aufsätzen über tragische Kunst wendet sich Schiller, mit dem
Kriterinm der Zweckmäßigkeit, der Anbahnung seines tdedlcgisch eudlmo-
nistischen Scbicksalsbegriffs au, in dem wieder alle wirren Geschehnisse
sich in harmonischen Einklang auflösen. Die tragische Kunst aktualisiert
in einer Reihe von Begebenheiten den Kampf der geistigen Natur mit den
sie bedrängenden sinnlichen Hemmungen un'l pliysikaiisehen Nutwcndig-
keiten. Zu den erstem gehören die Triebe, Aifokte usw. Dab Mächtigste
der zweiten ist der Tod. Den tiieoretisch logischen Kern den Schill«
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ICttoflnogm
ans diesem Kampf erweist, ist die moralische Zweckmäßigkeit. Jede
Hemmuug tendiert darauf, die ilir gegenüberstehende Vernuultkiuft zu
binden, diese waA daher ihie Eneigie sur Gegenwehr steigern. Du durch
das Zweckwidrige Terankfite Leiden bewirkt das Eingrmfeo des moralisoh
Zweckmäßigen, welches sich als Weltordnung behauptet Aus diesem
Prozeß entsprin^l die Lust am Tmgischen. Im Sioc: des Zweckmäüipren
muß das moralisch Mindei wertige dem moralisch Überlegenen unterliegen.
Das Weltgericht trifft Zuchtwahl. Die Träger aber der im Kampf be-
giiffeuea Prinzipien gehen unter, weil sich jedes Prinzip als xa eng ei^
weist, um das ganse Konvolut dier Lebensanlorderangen m decken. Doch
die moralisohe Zweokmäfii^eit Ueibt als BegolatiT des Widtgesdhehens
fortbestehen.
Schiller heg^e eine teleologisch eudämouistische Weltanschauung, die
^erseits dann lag, daß die Idee der Innern Freiheit für ihn in Blut und
Leben überging; die Philosophie war für ihn nicht eine abstrakte Theorie,
sondern sie venohmok mit seinem Sein. AndrerseitB wird es ihm wahrschdnlich
anoh nicht so schwer gewesen sein mit seiner wunderbar reichen Phantasie
über das Leidensgewirr der Erde in blauen Zenit emporzuscbweben. Seine
Ansicht vom Weltgericht ist die eines die Universalität umfassenden Harmonie-
Akkords. Je mehr man sich aus der Beengung des Weltterrains heraus-
hebt, je höher man aufsteigt, je mehr der Gesichtskreis sich ausbreitet,
nm so radikaler verlflsdien in der seit- und aferlosoB Flut die Oegensltze
Ton Glfid[ und Jmnmer, von Hüerfolg te Yerdieoslies und ErhU&ung
Unwflidigeri und alle diese ünbill, die Hamlet so bitter scharf an&Shlt —
und eine harmonische Einheitlichkeit luht über das Weltpanorama.
Das ist wohl die Anschauung eines Dichters, der lM?i Zeus im Olymp
ätzt und dabei die tausendfachen Geißel, die blutig und brennend das
Leben lerfleiBoheQ, «os dem Auge verlor.
Zwei Stellen bei Schiller bieten eme auareiobende Erkttrong über
die Prämissen, aus denen sich bei ihm diese Anschauung gestaltete; in
der einen, die eine Outheißung des Bösen zum Zwecke der Auslese des
Guten ist, sagt er: daß der Sündenfall, >der das moralische Übel in der
Schöpfung brachte, aber nur um das moralische Gute darin möglich zu
machen,« sei ohne Widerstreit »die glücklichste und größte Begebenheit
in der Menscbengeschiditec.^) Die sweite Stelle befindet sich in einem
Brief an Karoline v. Beulwitz. Schiller schreibt ihr, dafi er eane
äußere und innere Wahrheit der historischen Auffassung anerkenne. Bei
der äußern Walirhcit, die sich das Gegebene in treuer Empirie aneignet,
muß naturgemäß die Erforschimg des Einzelnen vorwiegen. Die innere
Wahrheit geht bei der Erforschung nach dem allgemeineu und dem ideollen
Prinzip der kansalen GesetsmäUgkeit und humonisohen Durohdringtmg
*) Etwas ttber die eiste UensoheDgeedböhaft naxlk dem Leitfaden der mosai'
sohen Ürkunde. In ähnlicher Weise äußerte sich übrigen.s auch Shaftesbnry,
mit dem sich Schiller in seiner vorkautischon Zeit viol hoscliäfti^to: er sa^rtt»:
»Dient das Übel eines besoudem Systems zum Besten eines andern, so ist es kein
absolutes ÜbeLc
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1. Der 6^;riff der Harmonie bei Schiller
47
der verscliie<lenen Momente, und ist das Ideal, dem alle wirkliche Forsohuog
sich nur aanähera kann.
In der ümeni Wahilieit also und in der Opemtioa mit der Allgemein-
heit, wandelten Bioh fOr SohiUer die kreischenden WetttOne in eine, die
Divecgenflen »naammeneohmeibende Harmonie nm.
me die antithetische Schrift »Aber Anmnt nnd WOidec den Grund-
stock von SchiUers ethischer Theorie enthilt, von dem Ataeenker in seinen
andern Abhandlungen verteilt sind, so biigt seine fweite antithetische
Arbeit, die tüber naive und scntimentalische Dichtunf^', den Kerngehalt
seiner kulturasthetischoii Botrriffo. Die beiden Gebiete, das ethische und
ästhetische Gebiet, greifen in Schillers Geisteswelt so stark ineinander,
daß sie eine Gestalt mit zweiiachem Jauuskopf sind, da beide einem und
demselben autonomen Prinrip^ dem Prinzip der Freiheit entstsrnmeo. Die
von Kant eingeeetste ethische Antonomie, »das bestimme doch ans dir selbet«,
das den Menschen zum Machthaber seiner sittlidieo Verantwortung erhebt,
hat Schiller nicht nnr adoptiert, aber auch zum Erklärungsgrund des
Schönen erweitert. Schönheit ist Freiheit in der Erscheinunfir. D. h. im
sdiünen Objekt stimmen die Teile so harmonisch zu beiueiu Typai», daß
ihm autonome Bestimmung suppooieit werden kann. In diesem Er-
USrungsgnrad dimmert etwas vom Maßverhiltnis der Griechen — sa
!• neu Schiller ja eine so starke Affinität besaß — herein. Schön ist der
Gegenstand in dem sich die Teile zur Darstelluns:: seiner Idee einen. Und
diese Cbereinstimnmng gibt den Ausdruck der Freiheit in der Erscheinung.
Im Grunde ist Freiheit in der Erscheinung nichts anderes als Harmonie
der manoigfechen Teile in der Darstellung einer Idee. Kann dies aber Kosk
nur als &iterium des SchOnen gelten? EOnnen die Teüe eines Olijekts
schlechterdings nur zum Ausdruck des tetiietiseh Edlen zusammen stimmen?
Mit nichten I Mit derselben Berechtigung, mit der Schiller auch in dem
Gegensatz des Ethischen, in dem absolut Bösen, Kraft und Freiheit kon-
statif^rt ()>ni»er das Pathetische« ), mit derselben Berichtigung läßt sich auch
deiu Extreme des Schönen, dem volikommeu Hälilicheu, Freiheit der Er-
scheinimg zuerkennen. Bei diesem waltet such dne autonome Auslasse
der EinaebzQge sum Artcharakter des Widerlichen. Diese Autonomie hat
Plato schon in seiner Ideenlehre antizipiert, und es liegt eine eindring-
hche Konsequenz darin, daß er dem vollkommenen Plxemplar einer häß-
lichen Idee auch Schönheit vindiziert. In diesem Sinne hat das voll-
kommene Abbild der Idee, Kröte, auch auf das Öchönseiu Anspruch.
Allein — nicht in der Abhandlung über nsive und sentimentalisöbe
Dichtung Inetet Schiller seine kunstphilosophisolien Theorien; ihnlich wie
j ! "iVer Anmut und Würde kein Kriterium der Moral, keine Bestimmung
über den Inhalt des Sittentresetzes selbst gibt, sondern die Art und Weise
darlegt, wie sittliches Handeln zu erreichen sei: entw'e<ler durch sieg-
reiches Vorwalten der Vernunft oder durch Harmonie derselben mit der
sinnlichen ^Neigung — ähnlich verfährt er in der erstem Schrift mit dem
XL Die Aatlietik
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ICttefliingen
ästhetischen Problem. Nicht die Maximen seiner Begründung der philo«
sophischen Ästhetik setzt er in dieser Schrift auseinander — das moht — >
soodero er sdiildort in ihr den pB3^ologi86hQn und kaltareUea üntersohied
der naiven und sentimentaliachen Kunstrichtung. Und der analytische Fein-
sinn, die Tiefe der Betrachtung, die Kraft der spekulativen Kombination,
wie der Schwung des Gefühls — gestalten diese Arbeit zu einer Be-
geisterutigs- und Belehningsquelle von unvergänglichem Werte.
Die Naivität ist eine Kindlichkeit, wo man sie nicht mehr erwartet
Die oaiTen Objekte rind mm inr wann und vae irir ivieder weiden
sollen. »Wir waren Natur wie sie, und nnsere Eultor soll uns anf dem
Wege der Vernunft and der Frciheit zur Natur zurückführen« — eia
brtierrschender LdebUngsgedanke in Schillers Geistes weit. Die Dichter
sind überall Bewahrer der Natur, entweder werden sie Natur sein oder
ilie verlorene Natur suchen; im erstem Fall sind sie »naive, im andern
»sentimentalisohc. Die Vendiiedenheit dieser Dicfatongsart ist im wesent-
liöhen mit den Entividklmigsstadien der Henscfaheit verknflpft Die Auf-
gabe der Poesie ist die, 3>der Menschheit den möglichst voUst&ndigen Aus-
druck zu gel)en.« Im Zustand der Natur, wo der Mensch mit allen seinen
Kräften als harmonii^clie Einheit wirkt und das Ganze seiner Wesenheit
sich in der Wirklichkeit vollständig auslebt, ist die Nachahmung der Natur
die Aufgabe seiner Kunst Im Zustand der Kultur aber, wo das harmonisolie
Zusammenwirken des Wesens bloB eine Idee ist, da liegt die AnJgabe in
der Erhebung der Wirklichkeit zum Ideal, oder was dasselbe ist, in der
Darstellung der Idee. ^Die Natur macht den Menschen mit sich eins, die
Kunst trennt und entzweit ihn.« Durch das Ideal aber kehrt er zur Ein-
heit zurück — d. h. zum inneren Schauen eines Verhältnisses, das die Wirk-
lichkeit nicht erreicht Der naive Dichter hat vor dem sentimentalischen.
die sinnliche BeaätBt Toxans, doch ist diese als WirUidikeit besohritokt
Der sentimentalisohe hingegen hat vor jenem dm unendlichen Oehalt voraus.
Der wesentliche Unterschied zwischen beiden besteht darin: daß die lebendige
Empfänglichkeit beim naiven, doch der innere Gehalt, das unbedingte freie
Ideenvermügen , beim scntimetitalischen Dichter verwaltet. Mit der ent-
wickelteren sinnlichen Empüinglichkeit des naiven Dichters, liängt seine
UShere Meistenohaft der FonnschOnheit zusammen. Hinwieder überragt
ihn die geistige Gvaftheit und innere Vertiefung des seotimentalisohen. Bei
bdden Autogonisten vermindern sich jedoch die Artcharaktere, je mehr
sie sich dem künstlerisch vollendeten, dem poetisch Höchsten nähern.
Das Ideal der Dichtung aber ist, daß jede den Vorzug der anderen Art
erreiche; daü sich also der sentimentalisohe Dichter die schönere Form iles
naiven aneigne, und dieser den tieferen Gebalt des sentimentalischen. Ein
bedeutender Gehalt in sohOner Fenn gegossen ist das Ideal aller Diditoog.
Cnd dieses dem Begreifen so nahe liegende Ideal, hat bei Schiller noch
eine tiefere und umfassendere Bedeutung, denn es involviort die von diesem
Dichterphilosophen für alle alle ausgereiften Verhillttiis.se, für alle höhere
Zustände der Menschheit geforderte Harmouie vuu Sinnlichkeit und Ver-
nunft Die vollendete Dichtimg, die der Fordeiung entspricht, das Ganze
•der Menschheit zum Ausdruck zu bringen, wird sohin durch den
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1. Der Beghif der Harmonie bei Schiller
49
harmonischen Ausgleich der sinnlichen EmpfindnnsrsfShigkeit mit der
geistigen Selbsttätigkeit, durch die luirmouische Eioiguag der sinnlichen
Gerichtsbarkeit mit der übersinnhcheo erreicht
Das hannonieohe ZiuammeimtmuDeii der lUrtoreo Itann sowobl io
Ueinen Umkraseii darchgeffihrt weideD als es auch das evolutioDiBtiache
Ziel des großen generellen Wettgewcges ist Es kann — wenigstens als
flüchtiges Intermezzo — kurze Phasen des individuellen Lebens ver-
schönem, und die Dissonanz der sich durchkreuzcndeu und befehdenden
Interessen auflösen. So besteht die Erholung vom Frondienst des realen
ISigeverks darin, daft die heraoBgetretenen und angespannten Kiftfte ent-
lastet, die latenten in Aktion getnacbt irerden. Doch soll es niclit Bnhe
und nicht Arbeit sein, sondern alle Kfäfte sollen in sanftem Flnfi geleitet
werden. Das Ideal der Eriiolung ist »Wiederherstellung unseres Natur-
ganzen nach einseiticren S|\innungen« ; ilio Vereinigung unserer Natur-
kräfte nach Vereinzelung derselben. Erholung ist iüso ein Zustand
harmoniBcben Gleichmaßes. Schiller fordert, daß die Poesie sowohl Er-
hoinng als yeredlung fnete, er beklagte es aber, daft die Qnnst der Ijese-
weh sich zu sehr den leeren und glatten Produkten zuwende. Andrer-
seits erfordert der Genuß des Schönen eine so volle Empfänglichkeit der
sinnliehen und vernunftgemäßen Gerichtsbarkeit, wie sie nach einer ein-
seitigen Aiispannvmg nicht zw erwarten ist; es müßte daher innerhalb des
rein Menschiicheu für jeden einzelnen fall die Erhohmg augepaßt werden.
YoD welch nngkdch höherer und weittragender Bedeatong ist die
hannoniaobe Einigong als Endziel der uotvenellen Bewegung, als Anslfinfer
des allgemeinen Xultmgsngs der Menschheit zu erstreben! Sie ist die Er-
füllung alloi Bestrebungen in einem jeden Verhältnis, und vollends für die
große Aligemeinheit ist sie das Ideal und der Traum einer sozialistischen
Organisation. Allein, um iu Uannonie einzumünden, muß die fortschreitende
Bcrwegung der Kultur zugleich eine rOdmohreitende, der evolutionistisGhe
Qang sngleich ein retrospektiver werdra; denn als Ideal dner sozial-
philoeophischen OrganisKtiiMl steht mit unerschütterlicher Eonse^non/ iu
Schillers Bewußtsein dip Rflckkehr zur Natur. Die Ideen der Rückkehr
zur Natur, nach der Wandenuig durch die aufgeregten und treibenden
Wogen der Kultur, spncht er iu verschiedenen seiner philosophischen Ge-
dichte aus, Bo schon im ersten derselben, im Gedicht »die EQnsÜer«:
»IGt eudi des FrtUdinga erster Fflanze
Beginn die seelenbildende Natur;
Mit euch, dem froud'gen Erntckranae
Schließt die vollendete Natur.«
Das Nähere, wie sich Schiller nach dem segensreichen Vorbilde
Hellas die Rückkehr zur Natur und damit den Ausgleich zu einer generellen
Haimonie denkt, setzt er in einer Reihe seiner Briefe »Aber ästhetische
ErziehuDgc (vom 6. — 15.) » diesem hflchsten nnd tiefsinnigsten Dokument
seines philosophischen Denkens — auseinander. In der griechischen Zeit,
in der einfache Natur mit feinster Bildung vereinigt war, hatten »die Sinne
und der Geist noch kein strenp: goscliiedenes Eigentum«. Erst das be-
stimmtere Denken durch das Fortächreiten der Wissenschaft einerseits, und
Ztaischnit (ur Philosophie tuid Ptt4la^tigilf. 12. Jahrgang. 4
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ÖO
Mitteilongea
tdas verwickelte Urwerk der Staaten, welches eine strengere Absonderung
von Ständen und Geschäften notwendig macht, zerreißt auch den inneren
Bund der Natur«. Hiermit erfährt die alte Erfahrung eine Bestätigung,
dafi Differenziening und Antogonismus die Vehikel der Kiittor sind. Die
Griechen konnten die TotalitSt ihiee Wesens, d. h. die volle Answirknng
ihrer sinnlichen imd geistigen KrAfle leicht behaupten, weil das Maadmnm
ihrer BiUlnng ein relativ geringes war. Doch überragende Leistungen, wie
die der Kritik der reinen Vernunft, konnte nur durcii Ycreinzelung der
Yernuiifikraft erreicht weixien. Wohl kann die Anspannung einzelner
Geisteskräfte außerordentliche, aber nur die gleichmäßige Temperatur der-
selben kann glückliche und yoUkommeoe Meneohen eneogen. Es steht hei
uns »die TotalitU unserer Natorc auf einer ausgereifteren und höheren Analogie
zam Griechentum wieder herzustellen. Und die Potenz durch welche dies
zu erreichen ist (wie bereits in Anmut und Würde dargetan), ist das
Schone. Die Kunst bildet und erweckt die Natur. Der Kfinstler soll der
"Welt die Richtung zum Guten geben, so wird der lubige lüiytliiuus der
Zeit die EntwicUvng bringen. Und -welches -wlre das psychologisch
didaktische Teriahien zu düeeem BildungBiesnltat ? Das wite — wie es
ans den leitenden Gedanken in Schillers üben^^ältigender Qdsteswelt vor-
zusehen war — die beiden Naturen des Mensehen: die vernunftgemäße,
oder den Formtrieb und die sinnliche, oder den Stofftrieb, zu gleich-
berechtigten Teilen in ihm auszubilden. Jedem dieser Triebe soll die
Oienze gesichert werden; sie sollte vcr Yemiming gesdifltat sein. Nicht
nur Übetgteilen der Sinnliohkett bringt Nachteil, aber anch das Übergreifen
der Yemunftkraft ist zu mißbilligen, weil es das Gefühl unterdrückt.
einer richtigen Wechselwirkung wird der Mensch dem Bewußtsein seiner
Persönlichkeit als absolute Existenz und seines Zustandes als Existenz in
der Zeit gerecht werden. Solche Fälle müßten zu einem dritten ver-
mittelnden Trieb führen, in wachem die beiden vorigen au%ehoben und
eine höhere Einhat der Mensohennatur ersielt wflieu Dieser Trieb ist der
Spieltrieb, dem ea eignet das Oemflt beim Anschaoen des SchOnen in eine
glückliche Mitte von Otesetz und Bedürfnis zu versetzen. Auf dieser Höhe
wird die sozialphilosophische Aufgabe der Kidtur an ihrem Endziel an-
gelangt sein, und das Menschentum wird zu dieser vollendeten und beseligen-
den Harmonie seinem sinnlichen und übersinnlichen Teils entwickelt sein,
Aber die hinaas die irdischen Kiftfta nicht weiter reichen.
Yon der knlturphilosophischen Stellung des Hensdien fOhrt dar Weg
zum korporativen Institut desselben, zum Staate. Auch vom Ideal eines
Staates verlangt Schiller Totalität der Kräfte — identisch mit üarmonie.
Die volle Übereinstimmung der ganzen Natur mit der Vernunft würde
Fälle von Widcrsprucii einzelner gegen das Gesetz nicht aufkommen lassen,
lüt Recht bemerkt himii Tomasohek in sdner Pkeisschrift, daB dann
die Institution des Staates minOtig wflre, es vftre dann der Zweck aller
Regierung: die Regienmg überflüssig zu machen, erfüllt.
So treten aus Schillere reicher und umfassender Oeisteswelt einige
wenige Begriffe als Grundlage aller Phänomene hervor, wodurcli sich eine
Affinität, eine verwandtschaftliche Zusammengehörigkeit derselben ergibt
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2. Die fieetiiniiniDgen öbei Immatnknktkui nnd Pkomotkni Tmimtafar «nr. 51
Der Begriff der Freiheit als Bedingung und der der harmonischen Y«^
eimgnng von Sinnlichkeit und Vernunft als Strebeziel aller Erscheinungen^
Bekundet die Ableitung der verschiedenen Gebilde aus denselben Prinzipien,
die Schärfe und KombinatioDski^t, so offenbaii; die Unterscheidung und
Belaoolitang der eii»eln«D Orappen in jedem Distrikt, die analytische Tiefe-
und wnnderiMie feinfOhligkeit diflsee Diehteiphilosophen.
8. Die Beetünmnngen über Immatrlknlation imd Pro»
motion Immatnrer an den deatsohen Universitäten
Aof Grand amthcher Quellen zosamraengestellt von Karl Mnt h es iuü- Weimar
Zur Erlangung des vollen akademischen RürgoiTochts ist an allen
deutschen Universitäten die durch den Besitz des Reifezeugnisses einer
neun klassigen höheren Lehranstalt nachzuweisende Maturität Voraus-
setzung. Daneben enthalten aber die Immatrikulations-Ordnungen sämtlicher
deotBcher ünivefsititea Bestimmnngen, nach denen «odi adldie, die niolit
im Besitz eines Reifezeugmsses sind, in der philosophischen Fakultät
immatrikuliert werden können. Diese Bestimmungen sind fQr Volks-
Schullehrer, die sich an der Universität wissenschaftlich weiterbilden wollen,
von Wichtigkeit, da sie ihnen unter Umständen die Möglichkeit gewährcn,
als ordentliche Studierende — nicht nur als Hörer — bei der philo-
sophifloheo Fakoltit anfgenommen zu werden. Bekannflioli sind das KOnig^
reidi Sachsen, das GmBhenogtom Sachsen nnd das Oroihsnogtnm Heesen
bis jetzt die dnagen Bundesstaaten, die Volksschallehrer unter gewissen
Bedingungen zu einem geregelten akademischen Studium mit abschließender
Prüfunt^ zulassen. In den übrigen Staaten erwächst immatrikulierten Volks-
schullehrem aus der Aufnahme in die philosophische Fakultät keinerlei
Anspruch auf kfinftige Zolassong zu einer afcndemisnhen oder höheren
Amtsprllfnng. Wer aber ohne BflokBioiht anf SnBeren Erfolg seinem Drange
nadi wissenschaftlicher Fortbildung Genüge tun will, findet dazn auf einer
ganzen Anzahl deutscher Universitäten Oclcgenlinit. Es ist auch die
Möglichkeit nicht ganz ansf^oschlossen , daß er auf Onmd hervorragender
wifiseoschaftlicher Leistungen die Doktorpromotion erlangen kann.
Vielfach an mich gerichtete Anfragen lassen darauf schließen, daß inr
weiteren Kieiaeo der Lehrer diese Bestimmungen unbekannt sind. Es-
dQifte darum am Flatie sein, sie einmal ttbersiobtlioh luaammeosnsteUen*.
I PreoIlBen
1. Vorschriften für die Studierenden der Landesuniversi-
täten vom 1. Oktober 1879. (Zentralblatt der Unterrichtsverwaltung-
1879, S. 520 ff.) Die hier in Fiuge kommenden Bestimmungen sind durok
MiD.-ErL vom 7. Febmar 1894 abgeändert (Zentndblatt 1894, & 345 1>
und Uralten in der neuen Fassung:
>§ 3. Mit besonderer Erlaubnis der ImmatrikoIatioiiB-Koinmissioa können An—
gdi&rige des deatsohen BeidMS, welche ein BeüMeagiiiB aioht erwoiben, jedoolk.
4*
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52
ICttflOnngMi
wenigstens dasjenige Maß der Schulbildung erreicht haben, welches für die Er-
langung der Berechtigung zum einjährig -freiwilligen Dienst voigeschrieben ist, auf
viflr SeneBter iniiDttiäiiliest und bei der philoao^iisolien Fikalttt eingetrageii mieii.
Die Inmilrikdittim-EoiBaiiHioii ist ezndohtigt, naoh AUeof ^Bmu vier Semeetar
die Yeriängenuig des Studiums um zwei Semester aüs besonderen Gründen zu ge>
statten. Eine weitere Terlingerong ist nur mit Oenehmiguag dee Kantors (Kun-
toriums) zulässig.c
Zu berücksichtigen ist femer $ 5 Abs. 1 der Yorschnften vom
1. Oktober 1879:
»Ale Stedieieiide dürfen nioht nligeiKniUDeii werden: Beiehs-, Btsats-, G«-
mtinde- oder Eircbenbeamte.c *)
Nach dem Wortlaut des angegebenen § 3 liegt die Entscheidung über
GesTicho um Immatrikulation in der Hand der Immatrikiilations-Komraission.
Die Verwaltungs[iraxis ist an den einzelnen Universitäten verschieden. Die
Anfrage, ob das Abgangszeugnis von einem Yolksscbullelu-eräemiuar, mit
dem die Bereohtigung zum einjihrig-freiwilligen Dienst verbanden ist, im
Sinne des § 3 der Vorsohriften für die Stndieienden vom 1. Oktober 1879
als Nachweis »einer für die Anhörung von Universitäts- Vorlesungen
nügenden Bildung«*) erachtet werde, beantworten die Universitäten Königs-
berg, Kiel, Bonn, Qöttingen mit ja, Breslau und Halle mit nein, Berlin,
Oreiibwald und Marburg treffen die Entscheidung von Fall zu Fall
3. Was die Promotions-OidDUDgen der philosophischen Faknltfttea
in den pcenAischen ümTeisi4lte& betrifft, so sdiweben gegemvMg Ver-
handlungen wegen deren Umarbeitung. Bisher waren Reifezeugnis einer
neunstufigen höheren Lehranstalt und wenigstens dreijähriges ununter-
brochenes Universitätsstudium Bedingung zur Promotion. Nach einem Min.-
ErL vom 30. Juli 1902 kann ausnahmsweise das Reifezeugnis ersetzt
werden
»dnieh die ESmeiehnng einer als hervorragende Leistung ansusehenden
Dissertation; die Zulassung darf in diesem letzteren Falle nur anf
einstimmigen Beschluß der Fakiüttt und unter QutfaeiBung des Tor-
geordneten Ministeriums erfolgen«.
Die Fälle, in denen auf Grund dieser Verordnung die ausnahmsweise
Zulassung zur Promotion bewilligt worden ist, sind überaus selten und
werden es jedenfalls such in Zukunft bleiben.
n Bsyeni
1. Satzungen fflr die Studierenden an den EgL bayerisohen
üniTersitäten vom 23. Februar 1891:
Ȥ & Afldeiea Stqdieieiiden ohne Oyrnnsmalrflifetengnia wird nur snimshms-
1) Demnach sohlieAt aooh das UriaabsTeihültnis die Möglichkeit der Xmmatzi-
kulation aas.
^ Diese Wendimg enödsit f 8 in der IVMang vom 1. Oktober 1870.
Ö In § 7 ist TOB Bolohen Stndterandea ohne Gymnasial reifezeugnis die Bede*
>\velcho verordnungsmäßig bestimmte ümTenitilBStDdiai behob ZoIasBong snr
Schlofiprüfang naohzaweisen haben«.
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2. Die Bestmunungen über Immatrikulation und Promotion Immaturer usw.
mSa» mit mioistorielleT Genehmignag die kleine Matrikel vexliehen und zwar Deutschen
nur dann, wenn sie sich wenigstens über den Besitz der an einer Lehranstalt mit
obligatorischem Unterricht im lateinischen erlanf^t<>u wissenschaftlichen Befähigung
zum einjährig -freiwilligen Militärdienst ausweisen.
Stiidietende mit soldier Mitilkfll werden iiiir bei der philosopliisolien lUniUit
md zwar TefBbDiffig irar bei der mtamtansdiafüidien SektUm defselben ein*
geedirieben.«
In Fracke kommt ferner § 10, in dem unter Persönlichkeiten, welche
nicht in der Lage sind, sich immatrikulieren zu hissen'- aufgezählt werden:.
»Angestellte im Staats-, Kirchen- oder Gemeindedieüste.»
Die Worte »mit obligatorischem Uoterricbt im LateinischeDc schließen
die YoUraediiülehrer Bayerns und der meisten anderan Bondeestaaten von
der M Ogtichkeit der Imiiistrikiilation ans. Nur sftohsisohe VoiksschnUduer
hfttten nach don Wortiaut der Bestimmungen Aussicht, daA ilir Gesnoh
um Zulassung zur Immatrikulation genehmigt werden könnte.
2. Die Proraotions-Orclnung der philosophischen Fakidtäten ist
durch 3Iin.-ErI. vom 9. Februar 1903 (mit Wirkung vom 1. April 1903)
▼erscbärft worden. Nach § 1 hat der Bewerber einzureichen:
*oy Bas Beifeseognis einer denteehen nemistafigen höheren Lehnn8talt...Aiis-^
oahmsweise kaon von dieser Forderung durch einstimmigen, lfm dem TOigeeeisteik
Ministerium gut zu heißenden Sektinnsbe.schluß abgesehen werden, wenn die mit
dem Gesuche eingereichte Abhandlun>,' eine liervorr%'endo Leistung darstellt
d) Zeugnisse über ein miudesteus dreijuhrigos Uuiversitatsstudium . . .«
Die philosophische Fakultät zu Würzburg erläßt zur Ausführung
dieser Bestimmungen, da »viele Studierende mit an sich nicht ans-
leidieiider Yorbilduog aogefavgt haben, unter trelcheii Bedingungen sie
Aimsicht bitten, zur FromoCion sugekssra zu werden«, folgende Bekannt
maohuDg:
»Ein Thema für eine Doktordissertation kann an solche Kandidaten, die eine
in ihrer Art abgeschlossene Vorbildung, aber nicht das Reifezeugnis einer hüiieren
neunklassigen Lehranstalt besitzen, nur erteilt werden, wenn sie vorher eine Prüfung
im Eanpttedi mit der Note eehr gut bestanden haben. Diese Prttf ong wiid rom
Ordinarius des Hauptfaches mit oder ohne Zuziehung von andern Dozenten ab-
gehalten. Eiu darauf bezügliches Zeugnis ist dem Gesuch um Zulassung beizulegen.
Hat der Kandidat die Dissertation zur Zufriedenheit des Keferenten aus-
geführt, so kann er zum Promotionsexamen unter den in der neuen Promotious-
osdnong «nflgestellten Bedingnagm mgelaesen wezden.c
T7T Saoihseii
1. a) Immatrikulationsordnung fOr die Studierenden der
Universität Leipzig vom 8. März 1903:
»§ 10. P\ir die Immatrikulation sächsischer Volksschullehrer als Studierender
der Pädagogik gelten die Bestimmungen der Verordnung boti-offend die Zula.ssung
von Volksschullehrem zum Besuche der Universität behufs der Erlangung einer
hSheran BerubbUdnog vom 30. September 1808.t
>§ 12. Studierende zweiter Ordnung. Wer bloA ni seiner weiteren wissen-
sohafUidMii Anshildung, ohne dis Absiohi, sieh dem Stsslsdieneta oder dem höherent
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Mitteaangen
8chulfache oder sonst einer wissensdiaftlichen Laufbahn zu widmen, einzelne Teile
der Kanieral- oder Naturwissenschaften studieren will, kann zur Immatrilnilation
zu^lassen werden, wenn er daa zum einjährig-freiwilligen ililitärdieoät berechtigende
3tnpdB besitst.«
Ȥ 18. Verheintete werdeo mM imnuMaiieit Der Diipeui tob dieser Be-
stimmung steht dem Tfifay^fehen UiiiiBteiiiiin des Kottus und Uleiitliohea ünter-
liohts zu.«
Die Universität Leipzig steht also in dem in § 12 bezeichneten be-
•adwftnkten Umfange nicht nur sächsischen, sondern auch auüersächsischeii
ydbBsdhilUelizeni ofin.
b) Die in § 10 genannto VenjcdmiDg vom 30. September 1898 bat
folgenden Wortloiit:
>§ 1. Lfhrern, welche zu ihrer höheren Ausbildung für den Lehrerboruf die
üuivLTsität Lel\m'j )iesuch'jn Wullen, ohne dazu durch das Reifezeugnis eines
Gymnasiums oder i)U.'(Ugyxniiusiums befähigt zu sein, soll dies auf drei hintereinander
folgende Jahxe unter nedutehenden Bedingungen bis auf weiteree gestattet sein:
a) Dieselben müssen die in § 17 des Volksschulgesetzes vom 26. April 1873
"Torgeschriebene Walilfähigkeits- oder Amtsprüfnug bestanden und den durch § 9
Aha. 2 der Prüfungsordnung für Lehrer und Lehrorinueu an Volksschulen vom
1. November 1877 in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. Februar 1890 für
•die wiflsensehsfUiohe Haaptssasar bestimmten eisten Zensugrsd (vorzüglish I)
•erlangt haben.
b) Diejenigen, welche diesen Zonsurgrad nur mit der Zwischenstufe Ib er-
reicht haben, bedürfen noch der liesonderun Genehmigung dos uatorzeichnoten
Ministeriums, die jedoch nur ausnalimsweise und in ganz besonders hierzu geeigneten
nOen ertält werden wird. Bebnfi Bnlsebfielang über diese Genehmigung ist von
•der ProfangakommiBSion alsbald nach 8chlu8 der Prüfung an das Ministerium unter
eingehender Begründung darüber zu beriohten, ob und welche der mit dem Zensur«
grade Ib bedachten Kandidaten nach Begabung, Fleiß und Kenntnissen zu der Er-
wartung eines ersprießlichen akademischen Studiums berechtigen. Für den Fall
ihrer Zulassung wiid ihnen ein besonderer Briaabnissohein ausgefertigt, welcher der
laimaftrikQlatioDskommiBsion so^siah mit dem Gesoofae um Inskription vorzulegen ist
c) Sie müssen ein günstiges, von dem Ortsschulinspektor, beziehentlich Direktor
(zu vergl. §§ 25 und 29 des Volksschulgesetzes vom 26. April 1873) ausgestelltes,
von dem Bezirksschulinspektor bestätigtes Zeugnis über üir gesamtes Verhalten bei-
jmhringen vermögen.
§ 2. Die som Besnehe der ünivenittt wgelaswsnen Lehrer hsbsn sieh am
Schluß ihres akademischen Studiums zum Zwecke der Erlangung .der Kandidatur der
Pädagogik für die Anstellung als wissenschafthcher T^ehrer an Realschulen, Seminarien
und den diesen Anstalten in den Unterrichtszielen gleichstehenden öffentlichen oder
privaten Lehranstalten der pädagogischen Prüfung nach Maßgabe dmr doroh Bekannt-
snadrang vom 28. Januar 1888 verSffsntUditen Prüfungsordnung*) zu untandehen.
Die Bestimmung in § 4 Abs. 3 genannter Prüfungsordnung, nach welcher die
zum Studium der Pädagogik an der Universität Leipzig ermächtigten inUindischen
VolkRschullehrer schon nach einem zweijährigen akademischen Studium zur päda-
gogischen Prüfung zugelassen werden, bleibt in Kraft
0 Die »Ordavig der pidi^qgisohen PrSteag an der UmveiBilit Leipslgc bat
•dnroh IfinistBrialbekaantmaohung vom 8. September 1889 eine neue Oeetalt eibalten.
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2. Die Bestimmaogen über Immatriliulalion imd Frotnotion Immaturer usw. 55
§ 3. Der übeigaog zu einem Fakaltätsstudiam für Lehrer, welche, ohne
Ttnber an emem Gymnasinm oder BMlgymnaaiiin die BiOeprüfuog bestanden zu
babt», dia ünhanitit baaadian, iat nnanlMsaig.«
c) In llmlicher Weise wie Lehrern ist in Sachsen auch Lehrerinnen
das Studium an der Universität Leipzig und die Ableguog der pftdagogisdieil
PrtifuEg gestattet. Es kommt folgende Verordnung:
Die höhere wissenschaftliche Ausbildung der Yolksschul-
lehrerinneo betreffend vom 12. Februar 1902 in Fi-age.
1. Lehzerinuen, welche zu ihrer höheren Ausbildung für den Lehreriunen-
lianif die ünivenitft Leipsig beeocheii wollen ohne daa B^feseagnia einea Oymnaaimna
oder Realgymnasiums zu beahaen, aollen auf drei hintcreinandw fdgendo Jahre
unter den in § 1 der Verordnung vom 30. September 1898 unter a— c für die in-
ländischen VolksschullelirtT aufgestellten Bedingungen und vorbehaltlich der Oe-
nehmignng der Dozenten bis auf weiteres berechtigt sein, an der Universität als
flSrerinnen Fidagogik za atudieren nnd ca dieMm Zweoke aaob Zutritt sa den
Seminaren zu erlangen.
§ 2. Die zum Studium der Pädagogik an der Universität Leipzig berechtigten
Lohrerinnen werden am Sclilusso ihres akaiicmischen Studiums zum Zwock'e der
Erlangung der Kandidatur der l'ädagogik zur pudagügischeu i'rufuug nach Maßgabe
der dnroh Bekanntmadrang vom 8. S^itember 1899 TerOCfeDtiiehten PrQfiuigaoidnang
angelassen.
Die Bestimmung in § 4 Abs. 3 genannter Pi-üfungsorduung wird auf die in-
ländischen Volts.schullobri riiin'^'n mit der Maßgabe ausgtdf'hnt, daß dieselben erst
nach einem dreijährigen akadeniischen Studmm zur pädagogischen l'j üiung zugelassen
waideii.«
2. Den dmoh die YerordiraDg vom 30. September 1898 mm Studium
sqgdasseDen sächsischen Lehrern ist durch die Promotionsordnuog
der philosophischen Fakultät auch die Möglichkeit der Promotioil
gewährt. In der Ausgabe Tom 15. Juli 1902 bestimmt § 6 dieaer
Ordnung:
»Von den in den § 4 und 5 gegebenen Vorschriften') über die Vorbildung
aun akaderateohen Stadinm kann nor mit Genehmigung des KönigUohen Miniaterittma
daa Enltns nnd affentlichaii üateniohta in Dieadao diapenaiert weiden. Diapena
iat nur zulässig, wenn
a) der Beworber mindestens die Reife für die Prima finer d<M- in $ 4 ge-
nannten höheren Lehranstalten besitzt oder auf Grund der Ministerial - Verordnung
Tom 30. September 1898 com Studiom der Fidagogik an der UniTexsitftt Leipzig
tngelaaaiwi winden iat;
b) wenn femer ein Vertreter des Faches, welchem die Dissertation angehört,
und der Vertreter eine.s anderen Faches auf Grund ihrer itfrsonlichen Kenntnis
von den Stadien und von der Tüchtigkeit der bisherigen Leistungen des Bewerbers
den formalen Mangel dordi eine aoluifffiohe Empfehlnng deoiuo; wenn ftberdiea
e) die eiagereiohte Diaaertation nach dem ürteU der beiden Referenten nnd
§ 4: »Yen den Bewerbern aoa dem Dentschen Reiche wird die Vorlegung
des Reifezeugnisses einer deutschen nennstufigen Mittelschule (Gymna'sinm, Real-
gymnasium, Oberrealsohnle), sowie der Nachweis des akademischen Trienniums auf
UniTetät&ten dentsoher Zunge verlangt« § 5 redet von anslftndisohen Bewerbern.
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Ifittefliuigen
dem ( iDstimnugen Yotum dor lUcoltttasaktioii als eine hemnxagende Leistung an-
zusehen ist.
Aoßerdem muß in einem solchen Falle die mündliche Prüfung mindestens die
Doxdiadinittszfliisiir II (magna oom lande) eingeben.
Kandidaten mit einer den VoTSohriften niolit entspredienden Vorblldnng, die
nicht mindestpns drei Semester iu Leip/.ig immatiilrolieit geweaen sind, veiden
überhaupt nicht zur Bewerbung zugelassen, c
rv Württemberg
1 . Y o r 8 c h r i f t e n f il r d i e S t u d i e r e nd c n a n d e r K g I. W ü r t-
tcmbergischen Universität Tübingen vom 2. Januar 1899
(mit WirkoDg vom 16. April 1899):
>$ 4. Als aoBenndenäiohe Stndieiende weiden anigmommen:
2. nach dem Emessen des Kektors solche nicht im Besitz eines Reifezeugnisses
befindliche Fersonon, welche die Universität nicht zum Zweck der späteren Er-
stehung einer Staatsprüfung zu beziehen wünschen. Diese haben 8ich über eine
zum Huren von Vorlesungen genügende Vorbildung, suwiu über ihre sittliche fuhrung
an8suwa86n.c
DarQber, welche FrflfuogszeugnisBe alB genügende VoiinlditQg er-
weisend anzusehen sind, bestehen Iceine Nonnen, die EntoöheiduDg erfolgt
vielmehr nacli Lage des Falles dnrc Ii den Rektor. Nach einer Mittdünilg
des Kgl. akademischen Rektoramtes pflegt diese in liberalem Sinne zu fflp-
folgen ; es sind bisher mehrfach solche, die das Lehrerinnifungszcugnis be-
saßen, namentlich in der staatswissenschaftlichen l^akult^, als auBerordeot-
licbe Stadierende immatrikuliert worden.
2. a) Bestimmungen der philosophischen Fakultät iu Tübingen
ffir die Erteilung der philosophischen Doktorwürde vom Januar
1902:
^>§ 1. l) . . dabei wird bemerkt, daß von dem bezeichneten Nadiweia der
Vorbildung (Iv-ifezeugnis eines deutschen Gymnasiums oder Realgymnasiums) nur
solche Bewerber entbunden weiüen können, . . . deren Dissertation von der Fakultät
einstimmig als hervoriagende Leistung eiUArt wixd.€
b) Bestimmungen fflr die Brteilung der Doktorwürde in
der naturwissenschaftlichen Faknität der üniversitAt Tübingen:
>§ 1. 2. Bewerber, die keinee der vorgenannten Zengnisse (Reifezeagnis eines
deutschen Gymnasiums oder Realgjrnnx^iums) vorlegen können, werden nur auf
einstimmigen Beschlul? der Fakultät zur Pronjotion zugelas^sen. Voraussetzung ist,
daß sie durch ihr btudium in Tübingen der Fakiütät oder einzelnen MitgUedern der-
selben perBdnlioh bekannt önd nnd eine beeondeis gnte Arbeit ehirei<dien.«
V Baden
1. Nach § 8 der Vorschriften für die Orofih. badischen hohen
Schulen sn Heidelberg nnd Freibnrg vom 81. Mai 1889 ist die
Immatrikulation Immaturer zwar solftseig, <loch soll von dieser Bestimmung
nach den bestehenden Grundsätzen nur äulicrst selten Gebmuch gemacht
werden. Auf seminansch gebildete Lehrer findet die Bestimmung nach
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2. IXe Bertimimnigem filwr LnmatriknliUoii und Fnunotion ImiMtairsr vsw. 57
einer Mittoilimg des Piorektorats der Umrersität Freibarg überhaupt keioe
Anwwdung.
2. Deshalb ist fOr diese aucb der letite Absats des § 1 der Promo-
tionsordnuDg der philosophisohen Fakuitftt vom 1. Oktober 1902
ohne Bedeatnng:
*Eine Ausnahme von der das Rflifewqgnis betreffenden Bestimmung kann nur
unter (jutheil5unp deä vorgesetzten Ministeriums gemacht werden. In diosom Falle
ma£ der Kandidat eine lüä hervorragende Leistung anzuseilende Dituiertation ein-
niohen, nod mnS die Zukuming von der Abteilung einstimmig beffirworiat wetden.
Die phflologndi-hlatoriBdie Abteflniig tritt der Fnge eines Dispenses nor dann aiher,
wenn anerkannte vissensohaftliohe Leistungen im Druck Torsosgegangen sind.c
Yl Btasen
1. a) Bestimmungen Aber den Besuch der Landesnniversitftt
Oiefien vom 15. Februar 1904 :
'2. ... Nach dem Ermessen des Rektors können auch Bewerber (zur Im-
matrikulatiun'; zii^ola<^sen werden, die sich durch andere Zeugnisse über Unbescholten«
heit und wi.sscusijhaftliche Vorbildung ausweisen.«
Nach dioson Bestimmungen ist die Immatrikulation auf Grund eines
SemiiiarabffanL'szt'Uu'-nisses naoli dem pj-inosson des Rektors mötrlich.
b) Für liessische Volksschullolu-er gelteod ist die landeslierr-
liohe Verordnung vom 29. August 1003:
>§ 1. Yolkascäkiilldirer and SdinlsmtBaspirsnten, die in der KiHsssungsprüf ung
sn einem hesnsohMi SeholldirerBemiaar die eiste, in der DefinitorisIpTfifang die
eiste oder die zweite Note erhalten und sich im praktischen Schuldienst G ewährt
haben, können, sofern sie rnindt-steas drei Jahre an offentliclu-n Schulen des Landes
tätig gewesen sind, von un^Tem Ministerium des Innern für die Dauer von drei
Jahren zum Besuch der Landesu^versitat beurlaubt und in diesem lUle sls
studierende der FSdagogikc zur Immatrilnlfllion in der phOoeophisohen Fskoltlt
mgelassen werden.
§ 2. Der Abscldull dor ak.vli^mi^' hen Studien erfok^t hol den Studierenden
der Pädagogik durch eit)e bv-sundere rmfung, die frühestens nach Ablauf von fünf
8tudieuhalbjahren abgelegt werden kann. Die näheren Beatimmongen ftber diese
Piüfang Verden Ton nnserem Ifinisterinm des Innem erlsseen.
9 3. TolksschuUehrtM und Srhulamtsaspiranten die zum Besuch der Landes«
Universität beurlaubt werden, haben während des Urlaubs keinen Anqtmoh auf
ihr Dieiisteinkommen.«
Vom gleichen Ta^^e datiert die Prüf ungsord nung für die Studieren-
den der Pädagogik im Großherzogtum Hessen.
Hessische Yolksschullehrer und SdiuhimtsaspiranteD, die die
dingungen in § 1 der Verordnung vom 29. August 1903 nicht erfüllt
haben, werden nidit zum Studium an der LandeeuniveisitSt beurlaubt
2. Die Promotionsordnung für die philosophische Fakultät
SU Oiefien Tom 22. Mai 1902 enthält keine Bestimmung darOber, daft
aoBDabmsweifle auch Immaturi die Pronu>tion erlangen könnten.
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58
MitteUangea
YH OrofthfOgUuiA M^MenlWMeg'Bflitwerin
1. Di« Sfltningen der Univendttt Boetock QntsnolifiiddD Immatri-
koUtion mit grofler und mit kleiner Matrikel. Znr Briangang der letsteren
muß wenigstens der Beäts des Zeugnisses fOr den einjährig- freiwilligen
Dienst nachgewiesen werden. Diese BeetimmoDg erBtreokt Bich aber nicht
auf seminarisch gebildete Lehrer.
2. Nach § 3 der Bestimmungen für die Promotion bei der
philosophischen Fakultät der Universität Rostock vom 15. Juni
1902 ist aosnahmsweise die Promotion Lnmaturer znlABsig, eeminarisch ge-
bildete Lehrer and aber ansdriloklich aasgesohloeeen.
Vm QffofldMnagtiu& Saebeen ^nw^ eAalieieolM TTfBwgH******''*
1. a) Statut der GesamtuniTereitftt Jena vom 80. Augnet 1893:
>§ 5. Ohne Beibringung des Beifteeognisses können Angehörige des deutschen
Reiches für vier Semest(?r aufgenommen und für die philosophisohe Fakultät mif
getragen worden, wenn sie
c) dasjenige Maß der Schulbildung nachweisen > welches für die Eriangnng
der BereohtignDg sam einjahrig-firaiwilUgea Dienst Toigesohrieben ist Der Pro-
rektor ist exmiohtigt, nach Ablauf der vier Universitätshalbjahre die Veriängerong
des Studiums um weitere zwei Fniversitätshalbjahre aus besonderen Gründen zu
gestatten. Eine uüchmalige Verlängerung ist nur mit Oeuehmigung des üniveisitäts-
kurators zulassig.«
Auf Grund dieser Bestimmung werden in Jena Volksschuliehrer im-
matrikuliert
b) Nur auf Volksschullehrer des OroBhersogtumt Sachsen
bezieht sich die Ministcnal Verordnung vom 2. März 1900, in der sich
das Mimstenum too Sachsen- Weimar, Departement des Kultus, geneigt
erklärt,
»in solchen Fällen, wo ein Lehrer beide Prüfungen mit der Gesamtxensur 1
in den wissenschaftliohen HUdiem abgelegt hat and nach dem Urleil des betrettenp
den BesiikssoholinspektoxB wegen eeiner wissensohaftUdien und sittlichen TBohtig-
keit einer solchen Vergünstigung würdig ist, ihm lünfUghitt auf Ansuchen, soweit
es mit den Interessen des Schuldienstes vereinbar ist, zu seiner weiteren Ausbildung
für den Lehrerberuf einen Urlaub bis zu drei Jahren zu erteilen und ihn zwecks
Immatrikulation in der philosophischen Fakultät der üniversität Jena von der Bei-
bringimg des Beifesengniases m dispensieren. Weitem Erwlgnngeo bl«bt es tot-
bebalten, ob von den betretenden Lehrern die Ablegnng einer Prüfung am Ende
der Studionzcit 7:11 verlangen sdn wird und welche Bestinurangen in dieser Hinsicht
zu treffen .sein werden.*
Die Ordnung der pädagogischen Prüfung für das Groß-
herzogtum Sachsen datiert vom 11. April 1902.
Weimarisehe YolkssdliuUehrer, die lüoht die in der Yerardnung yoin
2. lOrs 1900 angegebenen Bedingungen erfOUt haben, werden nicht lum
Zwecke des Studiums beurlaubt
2. Nach den Promotionsbedingungen der philosophischen
Fakultät 2tt Jena vom 15. April 1902 ist zur Erlangung der fromotioa
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3. Zar Vngß der dlusoliaD WertMliitnmg und nligfliseii liMikmmimg 59
ansBahmaloe das Beifexengnis eines Gymnasiums, Bealgymnasiums oder einer
Obeneahehnte notwendig.
Schlufsbem erkung
Ans der vorsteheDden Zusammenstellung ist zu ersehen, daß das mit
der Berechtigung ziun einjährig -freiwilligen Dienst verbundene StMiiinar-
abgangszeugnis an keiner deutschen Universität das Recht zur Immatri-
kulatioa Terleiht Sie ist Tiehnehr anch an den üniTersittten, an denen
sie Yolksschullehrem gewährt wird, Ytm der besonderen Qoidunigong der
Universitätsbehörden abhängig.
Daß einzelne Universitäten, anch wenn die amtlichen Bestimmungen
die Immatrikulation auf Grund des Zeugnisses für den einjährig-freiwilligen
JDieQst gestatten, Volksschullehrern grundsätzlich die Aufnahme versagen,
ist ein Beweis für die geringe Einsdiltsnng der Seminariuldnng. Wer als
ICjflhriger das Abgugsiengnis einer sedfasUassigen Bealsehole erlangt
bat, kann immatrikuliert werden, Yolksschullehrer aber, die mit dem Ab-
gang vom Seminar in den Besitz des Zeugnisses für den einjährig- frei-
willigen Dienst kommen, werden al)gewiesen. Man vergleiche die Seminar-
lehrpläoe irgend eines deutschen Bundesstaates mit denen der sechsk lassigen
Bealschnlen, und man wird einsehen, welche Härte und Ungerechtigkeit
in dieser Flazis liegt
S. Zur Fxage dAr ethischen Wertooh&trang und reli^
gififlen Anerkenniuigi)
JCt Beiqg anf : Werturteile und Glaui« nsurteile. Eine Uatersuohiuig von Frofeamr
Dr. Alax Heischie
(Schlaft)
Ich ssgte oben, daß es nnr die ästhetische und ethische Wert-
beurteilung gebe und alles, was noch sonst als Wertschätzung erachtet
werde, entweder auf die eine oder andere dieser beiden Klassen der Wert-
beurteilung zurückgehe. Das gilt insbesondere auch von der Wert-
bearteilung im Gebiete der Erkenntnis. Die Ikkenntnia selbst das be-
grifOicbe Wissen Ton der Erfahrang, liegt ihrer Natnr nach vOllig anfier
sittlichem Lob und Tadel. Die Wahrheit wird nach anderen Gesichts-
punkten ireprüft als das Gute. Für die Anerkennung der Wahrlieit ist die
Logik maßgebend, nicht das Gewissen. Echtes Wissen weist allerdings
zuriick auf geistige Kraft. Dieselbe kanu gegenüber geistigem Unvermögen
gefallen. Das ist aber eine Beurteilung nach dem Maßstabe der GrGße
nnd folglich isthetischen Charakters. Das Wissensstreben kann aber anch
im Dienst edler Zwecke stehen, meinetwegen im Dienst der Linderung
leiblichen Elendes, etwa der Bekämpfong der Schwindsucht Es gefällt
dann als Hilfe für die Verwirklichung der Absiebten der Nächstenliebe.
Hier wird es ethisch beurteilt, indem es als ein sittliches Gut geachtet
') Vagi. Heft 5 dfls vor. Jahig.
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60
IBttBÜllDg^
wird. Das Wissensstreben kann anch als lanteres Wahrheitastreben ge-
schätzt Verden. Solches Wissensatreben viid s. 6. Kepler nachgerflhmt.
Lauteres Wahrheitsstreben ist aber nur ein Fall innerer Freiheit. Es be-
rührt pich mit der Ehrlichkeit und Rechtschaffenlieit. Es ist also abh&ugig
von der sittlichen Richtung der ganzen Persönlichkeit. Hinter dem reinen
Suchen der Wahrheit um iiirer selbst willen steht der gute Mensch. Wo
die moialiacbe Qflte, die ChaiaktervortiefflicblDait abgeht, sndian m ver-
geblich das lantere, Tomehme Wahrbeitaatreben. üdi weiA lUle^ wo siob
mit wissenschaftlichem Bang Habsacht und Geldgier cder nacktes Erfolg-
streben verbunden zeiql.
Die moilemen Werttheorien stehen im Banne des Glaubens, daß nur
die naturw'i&seuächaftliche Metliode, vielleicht auch, daü nur die natur-
'wiaaeneohaftliche (entwioklungsgescfaiohtliohe) AnflBasang adiff mache, das
iBt, zum Zide auch im Bereidie der ethischen üntnanchnng fOhre. Wie
hätte sonst das Unternehmen hervortreten kfonen, die Werttheorie nach
entwicklungsgeschichtUcher Vorstellungsweise aufzubauen? Oerade die-
jenigen, welche hierin zur Äußerung vor anderen berufen waren, weil sie
wirklich aus der persönlichen Gemütserfahrung vom Guten ihre Aussagen
Bchöpften, haben mit vollster Gewißheit hervorgehoben, daß die ethische
Betiachtungaweiae von der theoretisofaen (psychologischen), der die modernen
Werttheorien fdgen, grundverschieden seL Was die Fkage der fOr ethische
üntersuchungen angemessenen Betrachtungsweise angeht, haben M&nner
von dem ethischen Range eines Plato, Kant, Herbart die Geltung wahr-
haft if^cr Autoritäten. An dem Beispiele solcher Manner könnte man sich
zu jeder Zeit orientieren über den Weg, den die Ethik nach ihrem Wesen
als Wisaenscbaft von der rechten Weitschitsung bei üntersndiungen anf
ihrem Gebiete einsuhaltoi gebietet Freilich sind diese »spekulativen
Ethiker« heute mifiaditsi Ton welcher Haoht wissenschaftliche Zeit-
strömnnpen sind, kann man an Felix Krüger ersehen. Er stimmt in die
Mißachtung der spekulativen Ethiker nicht mit ein; aber dorn herrschenden
Zuge der modernen ethischen Wissenschaft nach Anwendung der theore-
tischen Betrsditungsweise vermochte anofa er nicht zu widerst^sn. Auch
unsere Schrift meint: Mit Bedit hebt von Ehrenfels hervor, dafi die
Definition (der Begriffe: Wert und Werturteil) eine wesentlich peycho-
loglBche werden müsse.
Kants Bedeutung für die Ethik beruht nicht allein auf seiner edlen,
ernsten Denkungsart, und seine Fülirung ist uns nicht bloß dann not-
wendig, wenn wir die Eigenart der sittlichen Werturteile erkennen wollen.
Er hat vielmehr gerade auch dadurch eine solch grofie Bedeutung fOr die
Ethik gewonnen, dafi er die psychologische Betrachtungsweise, die heute
bei ethischen Untersuchungen als die wissenschaftliche gilt, aus der Ethik
selbst fortgewiosen nnd die Ethik auf ihre rechtmäßige, eigene Grundlage,
die unbedingte sittliche Wertsch.ltzung, gegründet iiat. Herbart folgte ihm
hierin nach und gewann dadurcii Anteil an Kants Verdienst um die Elhik.
YeigL Zeitsohr. 1 FhiL u. Fid. 7. Jahig. 1. Heft, a 1 ft, u. 2. Heft»
& 114 £L
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3. Zur Tngb dar otliiBdiMi WafMüUzung und reUgiÖseo Anerkenniuig 61
Die ethittche Beurteilung legt in unserer Schrift ebenso Zeugnis für
flioh eelbtl äb» als sie In F. Krügers Schrift: »Dor Begriff des absolut
WsrtwoUfloc fOr äch selbst gesengt hat Auch wo wir soost m modemeD
Schriften zur Ethik, trotz ihres theoretischen StandpunkteSi ethischen Ge-
halt antreffen, Liegt jedesmal die ethische Beurteilnnc: zu Grunde. Ich
denlte da V»esonders an zwei berühmte neuere Bearbeitungen der Ethik.
Der ethischen Beurteilung kann sicli eben niemand entziehen, wenn es nur
im Augenblicke innerer Stille zu reiner Vorstellung des Guten kommt
Im gsosen smd die moderaen Werttfaeorien nnfrachtbar lllr die Ethik.
Ehi Eisieher kann aus ihnen für seinen Beruf keine ethische Förderang
gewinnen. Was durch sie aufgehellt werden könnte, wftre die Psycho-
logie Ton Lust, Unlust, Begehren und Meiden, Aber selbst nach dieser
rein theoretischen Seite hin versagen sie. da sie unter sich selber hierin
nneins sind. Die Unfruchtbarkeit der modernen Werttheorien für die Ethik
ist eine swar mittelbsre, aber gleicdiwoli} sehr gewichtige Bsstttigung fOr
die ethische Beorteiluog als einsige Grandlsge der Ethik nnd für diese
selbst als die Nachweismig der rechten Wertschätzung des Onten; sie be-
deotet zugleich eine Aussage jener Theorien wider sich selber.
Die T'nfruchtbarkeit der modernen Werttheorien für die Ethik ist
auch ein gültiger Beleg für die Ursprünglichkeit der ethischen Beurteilung.
Die ganae medscne irissenschaftliche Znrflstong tut es nidit Sie Wert-
urteile sind im Gemüte erlebt, oder sie sind es niebt Und wo sie es
nicht sind, da kann eben keine Art >Methodt'< den Mangel ersetsen. Da
gleicht der Forscher dem Wanderer, der auf allen Wegen sucht und doch
nicht zum Ziele gelangt, weil ihm das Ziel selbst verloren ging. Die
ünfruchtbarkeil der modernen Werttheorien in ethischer Hinsicht ist der
Kommentar zu dem Wort dee Dichters: Was kein Verstand der Ver^
sündigen neht, dss übet in Einüdt ein kindlich Gemüt
Das Evangelium steht mit sohlrfBter Betonung snf dem Gedanken,
daß theoretische Beeinflussnngen gerade die Anerkennung des Guten im
Herzen hindern. Den Weisen und Verständigen, erachtet das firaDgelium,
ist es verborgen, den Kleinen dagegen offenbart
Mit gleich scharier Betonung steht auch Paulus auf diesem Gedanken.
CbristoB, der Gekreuzigte^ war den Heidsn eine Torheit, denn sie suditen
Das Evangelium wie Paulus heben femer hervor, daß die Wahrheit,
Gottes Wille und Gottes Herrlichkeit, nur erfaßt wird im heiligen Geist.
Im Bereich des Ethischen gibt es keine solche Beweisführung wie
Im Bereich des Theoretischen, des Psychologischen. Die ethische Beur-
teilung steht in sich selber fest Von der ethischsn Beoitethmg gilt die
aaschdnend sondetbare Rsde m Fralns: Der Gdstige beurteilt alles,
und er sslbst wird von niemandem beurteilt Die ethische Beurteilung
ergeht über jedes Lebensverhältnis. Sie richtet sich sogar auf künst-
lerisches, wissenschaftliches Streben, wieferne solches Streben zugleich
ausgehen soll von edleren Absichten. Ja, sie zieht auch die Arbeit, welche
auf die Befriedigung der alieruilchsten Bedürfnisse ausgeht, in ihren Kreis,
■wiefern sie darnach fragt, ob hinter der Arbdt nur der blanke Selbst-
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62
IfitteUangen
erikaltungssiim, oder doch auch ein vielleicht von Wohlwollen, oder eiuem
juodern besseren Motiv geleiteter Wille stehe. Und die ethische Beur-
teilung tritt da allenthalben in völliger Unbedingtheit auf. Sie ist ihrer
Auslage gewiü. Wie bald einmal Wenn oder Aber auftreten, die £nt-
BtehuDg dieeeB oder einM andeni Willeos imterBiioht wird, die anlijektiTeik
Ergelmiflse daraua sor Bereolunmg gdaogeii und davon die Wertung ab-
hängig gemacht wird, ist die ethische Beurteilung verlassen. Die ethische
Beurteilung ist gervl'^ darin von der theoretischen so abweichend, daß
sich dabei das Bedürfnis nach Erfassung der Kausalitätsbeziehung gar
nicht r^. Sie ruht in der Anerkennung, oder auch in der Verwerfung
dea Willena, über den sie ergeht Und ihr genügt das OemütBieugniSy
um mit vollster Sidieilieit und mit innigster Übersragong von der Wahr-
heit ihrer Aussage in dem einen Falle ihre Billigong, im andern ihre
Mißbilligung zu äußern.
Wie die ethische Beurteilung in der Tat über alles ergeht, was irgend
eine Willensseite einschließt, Absichtlichkeit^ eigene Entscheidung erkennen
läßt, ein Verhältnis zur sittlichen Forderung aufweist oder aufweisen sollte,
dies wird durah unsere Sohiift wieder sehr sohOn verdentlieht Sie unter-
nimmt es z. B., wie wir gesehen haben, die Ehmen der WertorteQe nadi
ihrem Fortschritt zur AllgemeingOltigkeit zu ordnen. Oder sie untersucht
die Frage nach der Einordnung der Glaubenssätze in den Begriff W^ert-
urteil. Da zeigt sie sich der ethischeu Beurteilung untergeben; was sie
hier Zutreffendes ausführt, kommt von der etliischeu Beurteilung, die sich
ihr Beoht nicht nehmen laßt, sooh wenn der theocetisohe Standpunkt
wider sie ist
Eb nimmt wohl den Anschein an, als ob die religiöse AufÜMsnmg'
gegenüber der ethischen die höhere, übergeordnete sei. Allein es zeigt
sich gerade, daß die religiöse Auffassung nur wahrhaft wertvoll wird
durch ihre ethische Bedeutung.
Die theontische Erkenntnis soll dazu mitwirken, dafi die Wahrheit
der rdigi(iBen AulfiMsung erhirtet werda Über die Frage naoh dem
Wahrheitsri weis von Glaubenssätzen gibt namentlich das Johannesevangelium
die tiefsten Aufschlüsse. Auch der 1. £onnther>Brief gew&hrt darüber
Tortreffliche Belelunmg.
Die Einheitlichkeit der Weltanschauung wird nur durch die ethische
Beurteilung gesichert Die ethische Beurteilung ibt der Pfeiler aller wahren
Eonsentration des Oeistes. Sie gibt dem Ch^stesleben einen festen Mittel-
punkt, um den es sich bewegen mag, wie die 6estime um ihre Sonne.
Wer auf die theoretische Betnehtongsweisc vertraut, der baut auf unzu-
verlässigem Gmnd. Das einzige, was da vorhalten kann, ist allein das
Fortschrittsstreljen. Im übrigen gilt gerade für dio theoretische Betnich-
tungsweiäe: Es iixt der Mensch, so lang er strebt. Es ist in dieser Be-
aiehung zur Warnung und Ibhnnng dienend, dafi die modernen Wert-
theoretiker Ober den Ausgang bei ihrer üntersnohung versdhiedener Meinung
sind. Die Theorien kommen und gehen, fast wie die Moden. Was ist
Wahrheit? Diese Frage ist den Theorien gegontlbor oft nur zu berechtigt.
Die ethische Beurteilung ist Wahrheit. Und der Meilige, der sie unter
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3. Zar Frage der ethischen Wertschätzung und religiösen Anerkennung 63
den MeoschcD in einziger Relohcit und Yollkommenhfiit übte, durfte darum
auch von sich sagen: Ich bin die Wahrheit.
Die Wahrheit, die Jesus verkündigte, macht frei. Der Geist dieser
Wahzbeit macht tottendig. Die Freiheit ist kein YemiOgcn, das im Menschen
Ton Natur aus adilommeit Sie ist die Krone seines sittliehen Strebens,
ein Ziel, dem er sich auf Erden, auch beim höchsten Y-wst und Eifer,
doch stets nur nähern kann. Dio Fr^-ihoit, wolche Ethik uud Chrißtentum
übereinstimmend raeinen, ist kein Begriff einer spekulierenden Metaphysik;
sie hat nichts zu tun mit der Freiheit, wie sie Hegel lehrte. Es gibt
nur die eine Flreiheit, eben die innere, sittlicfae. Was sonst sIs IMheit
mgeaekm wird, die Unterwerfung des Zements durch den Oedanken im
Schaffen z. 6. des Bildhauers, oder die M>MstpninLr <lrs einzelnen in der
Erfahrung durch zusammenfassende und oixlnende Begriffe hat doch mit
der Freiheit des guten Willens nichts gemein.
Die Glaubenssätze sind erweisbar, d. h., durch einen allgemein
gültigen Grund zu rechtfertigen, sotom sie ethische Wahrheit einschließen.
Auf den GlanbenssBtsen mit ethischem Wahrheitsgehalte beruht die Hfig-
lidiksit einer allgemeinen Menschheitsreligion. Die Religion gibt allen
andern Geistestätigkeiten des Menschen den krönenden Abschluß, wenn sie
Religion im Sinne des personlichen Heiligungsstrebens ist, von dem Johannes
in seinem 1. Briefe sj rif ht.
Also: die Frage der Wertschätzung und die damit verknüpf baren
fagesi der religiflsen Gemütsgewißheit werden Ton der Psychologie ans
nicht gdfist, sondsni nor den Gemlltserlebnissen ans, die im ethischen
Urteil ihren Ansdmok finden. Die Gültigkeit des efliischen Urteils hängt
lediglich von der inneren Vortrefflichkeit oder Verwerflichkeit des Willens
ab, über welchen es ergeht. Die Beschaffenheit des Gegenstandes l>e-
dingt das ethische Urteil, nicht das Dasein, die Wirklichkeit desselben.
Dss ist jener füsdie flieoretisolie Qesiohtspnnkt, der aioh z. B. auch
gegenllber den Schöpfungen des Volkstums in Form historischer Kritik
GelturiLT verschafft hat. Hier hat bereits Goethe das Richtige gesagt:
>Bi.^iu'r glaubte die Welt an den Heldensinn einer Lucretia, eines Mucins
Scävola und ließ sich dadurch erwärmen und begeistern. Jetzt aber kommt
die historische Kritik und sagt, daß jene Personen nie gelebt haben,
sondern als Fiktionen und Fabeln anzusehen sind, die der große Sinn der
BOmer erdichtete. Was sollen wir aber mit einer so Srmlichen Wahrheit?
Und wenn die BCmer groß genug waren, so etwas zu erdichten, so sollten
wir wenigstens groß genug sein, daran su glauben.« (Eckermann, Ge-
Sprftche mit Goethe. I. S. 155.)
Die Annahme, daß die Zulässigkeit der Gemütsverehrung geknüpft
asi an dio Erweisbarkeit des Daseins, der Wirklichkeit der Gegenstände
des raligiflsen Glaubens hat innerhalb des Gebietes religiöser Anerkennung
schon unberechenbare Yeriieerungen angerichtet Was hat man da nicht
sciion in Zweifel gezogen! Wenn es keinen geschichtlidira Moses gab, so
war auch alles Ethi.sche. das durch diesen Namen getragen wird, hinfällig
geworden. Und so hoi den Berichten der Evangelien. Wenn diese der
historischen Kritik nicht standhalten, so ist auch ihre ethische iiedeutimg
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MittefloBgen
dabin! Die Annahme, daB theorotiBciie Ürleile sogleldli die Entadieidiing
blichten Qber die Angelegenheiten des Herzens, hat insbesondere der
Volksreli^ion schwere Schädigung bereitet. Auch hierin hat Goethe bereits
das zutreffende Wort geredet: ȟbrigens echt oder unecht sind bei Dingen
der Bibel gar wunderliche Fragen. Was ist echt, als das ganz Vortreff-
liche, das mit der reinsten Natur und Vernunft in Harmonie steht und
sooh heute nnserar hOchaten EntwioUung dientl Und uraa ist nneoht, als
das Absurde, Hohle und Dumme, was keine Frucht bringt, wenigstens
keine gute! . . . (Ich halte) die Evangelien alle vier für durchaus echt,
denn es ist in ihnen der Abglanz einer Hoheit wirksam, die von der
Person Christi ausging und die so göttlicher Art, wie nur je auf Erden
das Göttliche erschienen ist Fragt man mich: ob es iu meiner Katur
fld, ihm anbetende Ehrfoioht m erweisen? so sage loh: Dnichaiisl — loh
beuge mich vor ihm, als der göttlichen OffenbaruDg des höchsten Pkuudps
der Sittlichkeit . . . (Eckermann, G. m. G. III. S. 256.)
Man redet von einem Gegensalz zwischen Glauben und Wissen und
davon, daß dem Menschen nur die Wahl bleibe, entweder ewig unmündig
zu bleiben, indem er beim Glauben verharre, oder mündig zu werden,
indem er sich zum Wissen erhebe. Dieser GegeoBsti ist so recht das
Kind der ICdnung, daft theoretische Urteile auch ein Gewicht besBfien im
Umkreise der Qemfttsüberzeugungen. Es ist eine Bekundung eigener üu-
beratenhoit, wenn versucht wurde, die religiösen Güter zu schützen durch
Beschreiten des nämlichen Weges theoretischer Auseinandersetzung. Die
theoretische Beurteilung muß m Gemütsfragen einfach als durchaus unzu-
stftndig zurückgewiesen und zur Besinnung auf ihr eigentliches Gebiet,
die ErfassuDg der erscheinenden Welt» angefordert werden. Solange die
theoretische Beurteilung unbefugt flbeigieift in das Qlanbeosgebiet und
die Verteidiger der religiösen Interessen selber der theoretischen Beur-
teilung verfallen, ist zwischen Glaube und Wissen kein Friede. Hier
bringt nur die strenge Scheidung den Frieden! Hie die theoretische Be-
urteilung! Uie die ethische Beurteilung! — Hie Wissen! Hie Glaube!
Es ist schon wiederholt die Tatsache gestreift worden, daB die ün-
zulAnglichkeit der theoretischen Beortettong in ethisohen Dingen sehr helle
durch das Auseinaodeiigehcn der Werttheoretiker in ihrer Meinung vom
psychischen Ausgangspunkt der Untersuchung beleuchtet wird. Diese Tat-
sache muß der Aufmerksamkeit l>esonders aneiniifohlen worden. Indem die
AVerttheoietiker untereinander selber sich widerstreiten in der Auffassung
des VerfalUniflses rm Wertung (-Werthalten) und WsttoiteO, der eine be-
hauptet, dafi die Wertungen den Wertorlstten sn (hnnde liegen, der andere
dagegen an&tellt, daß die Wertungen selbst nur durch ein Werturteil zu
Stande kommen, offenbaren sie, daß der psychische Tatbestand der Wert-
scliätzung ülx.'rhaupt dabei nicht lebendig gegenwärtig war. Sonst wäre
dieses Auseinandergehen in der Aussage darüber unmöglich gewesen. Wenn
dieser und jener zwei Dinge betrachten, die in der Ordung a b der Er-
fahmng dargeboten nnd, so werden die Terschiedenen Beobediter wohl
übereinstimmend finden : da sind zwei Dinge in d«r Ordnung a b ge-
geben. Ein Auseinanderweicben der Aussagen ist da rein ausgeschlossen,
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3. Znr Frage der ethisohen WertsoblUzang und roligiösea Anerkennung 65
solange nur der Zustand geistiger Gesundheit bei jedem Beobachter voraus-
gesetzt wird. Ebensowenig können nun die Aussagen von mehreren, die
sich Kecheuschaft von dem inneren Tatbestand bei der Wertscliätzung
geben wollen, einander entg^;ra treten, wenn dieser Tatbestand in dem
Bewußtsein jedes einzelnen nur wirklich erlebt ist
Der ethische Wert wird bewuBt in der ethisdien Beurteilung. Die
ethische Beurteihing ist im Wesen Oefuhlserlebnis — Wohlgefallen oder
Mißfallen. Aber der ethische Wert liegt nicht in der siilijcktiven Rück-
wirkung, nicht im Gefühlserle buis, das die ethische Beurteilung setzt,
sondern in jenem Wiliensverhlltnis, Aber welches die ethische Beuiteilnngf
ergeht Wo immer der Wert in die snbjektive RQckwiiliing verlegit
wird, da gleitet die Wertschätzung selber zur relativen herab, der Grund
dos Wertes liegt dann nicht mehr in dor Yortrefflichkeit, der 'lüte des
Wiliensverhiiltnisses, sondern in der Lusterrogimg. Der Schluß liegt dann
nahe: Das, was Lust hervorruft, gewinnt Wert — für mich; der Wert
ist Oberhaupt gar nicht da aufier dem wertenden Individuum.
Bier werden wir eindringlich dannf hingewiesen, dafi der Anfangs-
punkt in der ethischen Beurtaiinng die Yorstollung eines einstimmigen
Verhältnisses zwischen Willen und sittlicher Forderung ist. Diese Vor-
stellung ist das Maß bei der Wertschiltzung des Wollens im Leben und
in der Geschichte. Niu* wer in irgend einem Grade der Klarheit sich zu
jener Vorstellung erhoben hat, kann also ethisch urteilen. In der ethischen
Bemteilnng gibt ea iwischen den Orenzpunkten des ersten Anfdlmmems
der Einsidit und der ToUendelen Wdsheit viele Grade im EmporateigeQ
zur Vollkommenheit Der traarigste menschliche Zustand ist der Zustand
der Gemütsverblendung, bei welchem sich der Mensch gleichwohl für sehend
hält und gerade deswegen sich der AuerkennuDg des Guten, z. B. in der
Person Jesu, liartnäckig verschließt
Weil die wahrhaft ethische BeorfeeUung gebunden ist an die herror-
gehoibene Yorstellnng der Eünatimmnng swisohen Willen und sittlicher
Forderung, solche Vorstellung aber nur im »reinent Herzen möglich ist,
sind die Aufschlüsse über die Frage der Wertschätzung so spärlich zu finden
in den philosophischen Ivehren. welche sich der Reihe nach in der Ge-
schichte folgten, zieht sich durcth die Geschichte der Philosophie nur »ein
sehr schmaler Streifen der ethischen Wahrheit«.
Die Quelle der ethischen Beorteilnng fließt dort am reichsten, wo der
Mensch weder versinkt in der Not des Daseins, noch sich verstrickt in
den Xetzon der Tiicorien, sondern sein Leben dem guten und seiner Zu-
nahme unter den anderen Menschen weiht: bei den hohen Dichtern von
der Art eines Soi>hokles, Sciiiller; bei den erhabenen Propheten von der
Art eines isaias; bei den heiligen Aposteln von der Art eines Paulus.
Am herrlichsten, übeiflieflendsten strOmt die Quelle der ethischen Be-
nrteilnng beim »licht der Menschen«, bei Jesus:
»Wir sduien nns naeh Offenbamog, ^
Die nirgends würdger und sohSner brennt,
Als in dem neuen Testament« —
Ziitniiiift tb fhUoMflüo iumI IMtgopk. 12. iabrgmg. 5
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66
Mitteifaingen
In der Yerehiung des Guten, irdche in der Kunst, beeonden der
Dichtang, und in der BeligloD, beeonders im Christentnm, begegnet, liegt
der Gnind für das Überge%vicht dieser Lebensgebiete in dcor Bniehong und
Bildung des Menschen über die Erkenntnis. \)
Wenn die Entscheidung darüber ^^efordort \viril. wclcbe Wertschätzung
die wahrhaft ethische sei und darum Ailgemeiugültigkeit habe, so kann
dieser Forderung nur dnidi — die etbisohe Werlsehitxung selber genCIgt
'werden. Diesen Sinn hat die Bede: Wer ans Oott ist, der hOret Gottes
Wort Wäre Gott euer Vater, so würdet ihr mich ja lieben .... Was
Gottes ist, kennet keiner, als der Geist Gottes. Eben danira sind theo-
retische Urteile in den Gemütssachen, und solche sind auch die Sachen
eines geläuterten Glaubens, unzuständig.
Die BemQhuDgeD, auf dem Wege theoretischer Q)sychologiächer) Be-
trachtungsweise das Fehlern der Wertsohfltsung zu Utaen, bestltigen durch
ihre ethische Ergebnislosigkeit die schlichte Sachlage, dafi Gemüts-
anerkennung kein Gegenstand des Wissens, solidem des unmittelbaien Er-
lebens ißt.
Die religiöse Anerkennung beruht auf ethischer IJeurteiluug: das kann
man bcsondei-s bcü Taidus sehen. Die Frage ist: Welches ist der Grund
der religiösen Übeneugung ? Wodurch komme ich dahin, das« was mir die
Autoriliten lu glauben vorsteUen, als Wahrheit gelten an lassen? Worauf
beruht die innere Notwendigkeit der Giaubenswahifaeit fOr mich? Die
Merkmale der loligidsen Überzeugung kann man aus einer Erkenntnislehro
nicht erfahren. Wenn in einer solclien das Wissen gegenüber dem Glauben
wegen seiner objektiven Gewißheit gerühmt., der Glaube aber wegen seiner
angeblidi nur sabjdEtiTea Gewißheit gegenüber dem Wissen geringe ge-
«ditet wird, so ist damit Aber die GlaubensgewiAheit, wekdie doch eine
andere Grundlage haben kann als das bloße persönliche »FQrwahrhaltenc,
noch nichts entschicdou. Solche Vergleichungen zwischen Wissen und
Glauben lassen nur erkennen, daÜ hier auch der Glaube als so etwas wie
das Wissen, nur von minderer Sorte, erachtet wird. Nieht irgendwelche
Erkenntnialehre kann hier zureichend belehren, dies vermögen nur die Ur-
kunden des Glanbens, die religi(taen Quellen. Man muß darüber bei den
religiösen Yorbildem sich Bats erholen, nicht bei Theoretikern, die mOglicher-
weise etwas als Religion ausgeben, was gar nicht Religion, wenigstens
keine etliischo, geh'iuterto Religion, ist. Der religiöse Inhalt des Evan-
geliums gewährt da doch ganz anderen Aufschluß als gelehrte B^iffs-
Untersuchung.
Die religiöse Erkenntnisweise ist in dem kleinen Sats beschlossen:
Wer nicht liebt, der kennet Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. Sie ist
eine vOllig^ andere wie die theoretische Erkeontni.sweise mit Hilfe der
Sinne: Selig sind, die nicht haben gesehen, und glauben! Die JQnger
') Kunst und T\plicion haben auch woit;pfi der (Jemütsvorodlung durch das
Schöne und der (jeuiutbätuikuug durch das VertraueQ auf die göttliche Uuter-
stfttzung groBe Bedenhuig für die innere Erhebung des Menschen und seine Be-
faBtigong im Goten.
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3. Zur Frage der ethischen "Wertschätzung und religiösen Anerkennung (\7
machten ihre Anerkennuag Jesu zuerst abhingig vom Infieren Erfolg.
Damm nahmen alle in der Nacht^ da er gefangen wurde, an ihm Ärgernis.
Die iWelt«, die »Finsternis«, wie sie uns bei der Menge begegnet, die
Jesus zum König machen wollte, weil er sie gesättigt hatte, sowie bei den
Feinden Jesu, macht die Aüerkeuuung Jesu abhängig von der Befriedigung
fluer Lust und SdbstBoobt. Der 0]aabe allem anerkeniit Jeeos als
Gottes Sohn.
Ein sehr würdiger Mann, der sich sein Leben hindurch mit dar IVagfr
der religiösen Anerkennung beschäftigt hat, kommt zu dem Schlüsse: Die
personliche Erfassung der religiä«on Wahrheiten ist die Haupt.-^ache. Aber
eben solcher Erfassung steht nach ihm der menschliche Eigendünkel ent-
gegen. »An der eingebüdetsD eagßom Gerechtigkeit der Phariiler solieitertea
alle BemflhmigeD des Herrn Jesu, ja eben diese erzeugte eine solche Feind-
schaft gegen ihn, daß sie ihn töteten, c Es gibt keinen anderen Weg zur
religiösen Anerkennung als den Weg durch das eigene Herz. Derselbe
treffliche Mann weist auch auf das höherc Bildungswesen als eine T^i-sache
des Zustandes gerade im Gebiet der religiösen Anerkennung hin: »Bei
uns ist die unbegrenzte Freiheit, die in ungemessene Zireifdsiicht aus-
artet Die Bibel and die religifleen Wahrheiten sind dam da, kiitiaieit
zu Axerden und soviel davon anzunehmen, als vor dem kritisehen
Bichterstuhle Gnade findet.* Er sieht die Wendung zum Besseren nur
kommen durch die innere Bo'lüi-ftitrkeit der Gegenwart. »Die Not der
Zeit zwiriL'-t am Ende doch, die feste (Lebens) -Grundkige der Lehre Jesu
•wieder aufzusuchen, freilich wohl erst nach einem großen und jammer-
vollen Krach. 80 ging ea in üsiaeL Yoiher TedeohtsD und miBhandeiten
sie die Propheten. Nachher vrar das Gesetz Gottea ihr einziger Halte
Einmal antwortete Jesus den Juden, die sich wunderten, daß er die
Schrift verstehe, da er nicht gelernt Imtte: Meine Lehre ist nicht meine
scmdem dessen, der mich gesandt hat. Wenn jemand den Willen des-
selben tun will, der wird erkennen, ob diese Lehre von Oott sei, oder ob
ich ans mir selbst rede. Das eigene nnmitbelbaie Bdeben der xeligiQeeo
Wahrheit im Gemfite ist also immer ideder die Bedingung der religifieen
Anerkennung. Sollte es darüber einen Streit geben? Der Mensch kann
d' ch nirgend aus seinem Bewußtsein hinaus. Ebenso wie er nach unten-
iun sich alles nur zurechtlegen kanu mit Iliife seines Bewußtseins und
gemäß demselben, vermag er das auch nur nach oben hin. Der Geist,
Temehmcn wir im 1. Xorintherbriefe, ergründet alles, auch die Tiefen
Gottes. Der Geist ist der Geist Gottes selber. Welches aber ist dieser
Geist Gottes? Daran wird er nach Johannes erkannt: Jeder Geist, welcher
bekennet, daß Jesns Christus ist gekommen im Fleisch, der ist von Gott.
Und jeder Geist, welcher Jesum auflöset, ist nicht von Gott. Gottes Geist
ist die wahre ethische Wertschätzunfr, dio in clor Anerkennung Jesu als
des Sohnes Gottes hervortritt. Wenn wir einander lieben, so bleibet Gott
in uns, und seine Liebe ist in uns Tollkommen. Daran erkennen wir, daft
wir in ihm Ueiben und er in uns: tou seinem Geist hat er uns gegeben.
Also noch einmal: ohne das persönliche unmittelbare Erleben des Guten
gibt es keine Anerkennung des religifleen Ideals, der religiösen Wahibeit.
5*
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es
Die Frage, ob die Glaabenstirteile Werturteile seien, ist durch den
Charakter der christlichen Glaul>ensurteile allerdings bejahend entschieden.
Innerhalb der ethischen Religion sind die Glaubensurteile Werturteile,
selbst dann, wenn sie dem Anscheine nach sich wie Seiusurteüe darstellen.
Waa bekannt Pmüos zum Eingang des BSmenbriefee? loh bin berufen nnd
ecboven ffir das EnBigdiam Gottes von seinem Sohne, dem geboTenen aas
dem Oeechlechte Davids, dem Fleische nach, dem als Gottes Sohn er-
wiesenen in Tatkraft, dem Geiste der Heiligkeit nach, durch Auf-
erstehung von den Toten. Und was versichert der Apostel an der näm-
lichen Stelle? Daß er Gott diene in seinem Geiste. Worauf stützt er
tSxh in Betenemng der Wahrheit? Auf sein Oeiwieeen: loli sage die Wahr-
heit in Cluiafa) Jesa, ich Iflge mcht, mein Qewiasen benogt ea mir im
heiligeD Geist. Er lehrt nicht aus Irrtiun, Unlauterkeit, noch mit Täuschung,
sondern um Gott zu gefallen, der sein Herz prüft, nicht mit Schmeichel-
worten, nicht mit Absicht der Habsucht, nicht um Ehre zu gewinnen.
Worauf vertraut er dabei? Auf die Gewissensaussage in den Hörenden:
In Offenbarung der Wahrheit empfiehlt er sich bei dem Bewufitsein aller
UenBchen tot den Angen Qottes. Er ist tief davon dorchdrongen : Wir
haben nicht Macht wider die Wahrheit, sondern für die Wahrheit. Der
Ohrist soll sich niemand gefangen geben, nicht auf Menschen schwören:
Alles ist sein. Der Christ soll auch nicht dem Buchstaben vertrauen: Der
Buchstabe tötet, der Geist aber belebet. Der Christ hat keine Decke auf
seinem Herzen. Der Herr ist Geist, wo aber der Geist des Herrn ist, da
ist IMieÜ Jeder — in dem Oottee Qeist wohnet — spiegelt die
Harrüfihlrait Gottes -wider. Der Ohriet soll taohten uMSh der aUes ttber-
treffendcn Erkenntnis Jesu. Dieser gegenüber gelte ihm alles Übrige als
Verlust. Christus ist ja Gottes Weisheit. In ihm sind alle Schätze der
Weisheit und Erkenntnis verborgen. Ihn mit den Augen des Herzens zu
erkennen, die Herrlichkeit seines Willens zu erfassen, das ist Gewinn.
Hit ihm ist der Ghiist den Kindheitslehran dieser Wdt gestoiten. Das
geisdiohe YereHndnie des WiUenB Christi — dieses ist das Wissen, darin
der Ouist gekräftigt werden soll zu jedem Reichtum und zur Fülle. Und
zu diesem Verständnis des Willens Christi sind alle Menschen, auch die
Heiden, berufen. Das ist den Propheten und Aposteln durch den Geist
offenbart worden. Das Beich Gottes ist Gerechtigkeit und Friede und
Frande im heiligen Qeist Wenn einer in Christo ist, eine neue SchOpfong
ist er. Er stsht niobt mehr nnter Avbeheni nnd Yerwaltem, wie das
immUndige, dem Eneohte gleich gehaltene Eind. Er ist erlöst von dorn
Gesetze, dem Joche der Knechtschaft. Er gehorchet nur der Wahrheit, ge-
leitet vom Geiste. Ihn bewegt nicht mehr jeder Wind der Lehre. Er
ist nun Sohn, denn er liat den Geist Christi im Herzen. Er anerkennt
Gott und iüt anerkannt von Gott Zur Freiheit, zur Herrlichkeit Gottes
berufen, lom Wandel nach dem Geist, prüft er sein eigenes Ton. Er stet
im Geist und erntet daraus das Leben. Die Yerleognnng der Obeneqgong,
des Glaubens, ist ihm Sünde. Fest und unerschütterlich steht er anf dem
Evangelium Christi. Wenn ein Engel vom Himmel es ihm anders predigt>n
mflohte, als wie es ihm in Treue und Aufrichtigkeit verkündigt wiuxie, er
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3. Zur ¥nft9 der eOiiaoheD WtvMbXtwaDg mid idigiSmn Aneikemmiig 69
vanket nktht Eir lebt Gott, denn Chriatog lebt in ihm. Den Lebenskamiil
führt er, umgetan mit dem Gürtel der Wahrheit und bewaffnet mit dem
Schwort dos OeisteSy Qottee Wort So harrt er «u, bis er den Lnnf
vollendet hat.
Der ganze Paulus ist eine einzige grulie Botiitigung dafür, daß die
Glaubensarteile — auf dem Boden der Religion Jesu — Worturteilo sind.
Die Lehrweise Christi) wie sie besonders im Gesprftche mit dem
samaritisehen Weibe und in der Unterweisung des Qeeetzlehzecs herrortrittf
der ihn vei^uchte (Luk. 10, 25 — 37), geht auf die Anerkennung der rcli-
Eri"'»en Wahrheit durch die eigene Geraütszustimmunp^ hinaus. Um solche
üomQtszustimmung bewegt sich alle christliche Mission; denn diese will
nicht die Seelen überherrschen des Glaubens wegen, sondern baut darauf,
dafi Oott die Henen erlenohte cor Erkenntnis seiner Henlichkeit in der
Paraoo Jesn. Auf soldier OemOtssostimmmiff beruht die wahihafts ^nes-
andemng, die Bekehrung, welche fortan strebt nach der Gemoinschaft des
Sohnes Gottes. Durch solche Gemütszustimmung ist dio christliche Reli-
gion GesinnungsreligioD, und der, der kleiner ist im Jk'ich der Himmel,
doch größer als Johannes. Solche Gemütszustimmuug wirket die christ-
fidie BetiflbDiB über das BBee, wie den chrisüiofasn Trost in der Tersöh-
mmg mit Gott dnrch Jesos. Solehe Qemfltssnstimmmig ist die Eiaft in
den Helden der christlichen Kirche.
Wie macht sieh die ethische Beurteilung bei einem Trauernden —
im Sinne des Beruj redigcrs — geltend ? Der Mensch unterliegt dem Be«
gehren. Da.s ikgchren ist gerichtet auf das Erleben einer Lust. Diese
Lust wird schon mit vorgestellt in der Yersuchung. Das Begehren drängt
nir Hsndlnng. Die Handlung ist das Mittel sur Befriedigimg des Be-
gehrens. WUhrend der Handlung regen sich schon Lustempfindungen.
Dieselben wachsen im Voranechreiten der Handlung. Sie nahem sich
ihrem Höhepunkt, je näher die Handlung ihrem Ziele ruckt: der vollen
Befriedigung des Begeluens. Der Mensch geht im Begehren auf. Die
Unterscheidung dessen, was sein und nicht seiu soll, ist wie geschwuudeu.
Wenn das Begehren befriedigt ist» erlischt es. Die innere Geschichte des
Begehrens hat ein giofier Dichter daigeetellt Audi ein neuerer gaühmter
Ktlnatler hat sie in einer Bilderreihe den Augen gezeigt Wenn das Bo-
gehren gestillt ist, regt sich die Beurteilung. Das Gewissen redet. Die
sittliche Forderung wirtl wieder gegenwärtig im Bewußtsein. In der sitt-
hchen Forderung erkennt man sich selber so, wie man beim guten Ge-
danken, beim Vozssts sein wollte. Die Verurteilung durch das Gewissen
ist darum Sdhetrerurteilung. Das macht sie so bittor sohmersend. Es
regt sich ein neuer Wille, der den gestOrten Einklang unseres Strebens
mit der sittlichen Forderung, den inneren Frieden, wieder herzustellen
trachtet: Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen und zu
ihm sagen: Vater, ich habe gesündiget gegen den Himmel, und wider dich.
Wie ist es mit dem Qemüte im Beten? Im Gebete, werden die
linder gelehrt, erheben wir das Gemüt zu Gott Diese Audegung des
Gebetes für die Kinder trifft den l^n des Betens aufe beste. Im Gebete
geht der Mensch mit Gott lun. Da steht Gott in seiner Heiligkeit vor
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70
MitteihuigeD
uns. Wir beurteilen ihn: wir verdiren ihn; wir beten ihn an: m an-
erkennen ihn als den Heiligpen. Aber wir lialten uns auch liier an Gott.
Wir beurteilen uns selber in unserem Abstand von ihm. Wir fühlen
unsere Blöße imd Bedürftigkeit Wir flehen ihn an um seine Hilfe in
unserer Herzensnot: Und der ZOUner stand von fem, wollte auch seine
Augen nidit aufheben gen Himmel, aondem aehlog an seine Brost und
spiach: Gott, sei mir Sünder gnidüg! — Oder wir finden ons dnroh Gott
gestärkt in der Ausrichtung unserer Aufgabe. Wir haben mit seinem Bei-
stande die Treue gehalten gegen das Gute auch in schwerer I^ge. Dann
loben wir ihn und danken ihm. Dann denken wir: Wenn Gott für uns
ist, wer wider uns? Das Vaterunser ist das Beispiel des Gebetes. Es
liebt an mit dem Ansdmok des VertEsneoB anl den lieOigen Yater. Dann
bittet es um die rechte Rrdheit nnd den rechten Gehorsam des Gemüts.
In seiner Glitte stellt die Aufnahme des göttlichen Willens im Herzen.
Dazu soll Gott in seiner Freundlichkeit und Barmherzigkeit helfen, indem
er gütig den Druck der Not und die Angst der Schuld von uns nimmt.
Am Olberg, in der Nacht vor seinem Leiden, betete Jesus: da können wir
den Qeist des 'wahren Gebetes erfahren. Wahres Beten ist nicht Bzanoh
nnd Übong, es ist selten.
Wir sehen: das christlich-religiOse Leben, gehe es auf Bufie oder auf
innere Kräftigung und Läuterung, steht auf ethischer Beurteilung.
Wie wird denn die Kluft überbrückt zwischen Natur und innerer
Freiheit? Schiller wollte sie vermitteln durch die Macht des Schönen über
•das Gemüt. AUein er selbst wußte es, daß es Augenblicke im Leben
geben kann, wo dieser Genius Tersagt. Wer soll dann den Hensdien Uber
die Tiefe tragen? Der moralische EntscbluB? Für alle Menschen gilt jenes
Bekenntnis: Was ich will, das Gute, das tue ich nicht; sondern was ich
mißbilL'ge, das Böse, das tue ich. . . Ich habe Wohlgefallen an dem Ge-
setze Gottes ruich dem inneren Menschen. Ich fühle aber ein anderes
Gesetz in meinen Gliedern, welches entgegen streitet dem Gesetz meiued
Geistes, und mich unteijoclit dem Gesetie der Sflndlicfakeit, das in meinen
Gliedern ist Der das ehrliche Bekenntnis der menschlichen Armseligkeit
abgelegt, derselbe hat auch angezeigt, was den Menschen frei macht von
dem Gesetz der Sünde: das Gesetz des Geistes dos Lebens in Jopu, die
Gnade Gottes, die allen Menschen erschienen ist. Das Begeliren wider-
streitet der Vernunft. £s ist stark durch die Lust, die es erwartet. Wie
irarde ich Herr darfiber? Ästhetische Erziehung, Oemfltsvendelnng, ist
gewiA ein Schntsmittd gegen die Macht des Begdunns. Allein das Be-
gehren «ird dadurch nur sbgelenk^ nicht überwunden. Wer gibt mir
das Zutrauen, die Hoffnung auf den Sieg trotz aller Gewalt des Begehrens?
Christus, der Gekreuzigte. Im Glauben an ihn gewinne ich die Kraft
zum aussichtsreichen Kampf mit dem Begehren. Aus der Religion schöpft
der Mensch sittlichen Mut und sittliche Stärke. (Vergl die Fußbemerkung
8. 66.) Der Glanbe an Jeans kommt ans Wertsohltzung Jesu. So be-
ruht die religiöse Gesinnung, auch in ihrer Yollendung, im letzten
Grunde auf der ethischen Benrteilang^ verbunden mit dem Geftkhle der
J^UTecsicht
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3. Zur Frage der ethischen Wertschätzung und religiösen Aucrkeauung 71
Es ist mm wohl zulässig, (Iber das Religiöse selbst eine Besiunung
anzuätelleD. Man vemimnit, daß das Heligiösc Sache der Überzeugung
werden solle. Als Übeneugong wird ausgegeben, was gewiA ist Als
gewiß giU, -was wirklioh ist Das Wiridiobe ist jedoch noch nicht das
Gewisse. Das Gewisse ist noch nicht das persr»nlich Gülfitro, die Über-
zeugung. Wirklich, sinneubezeugt, ist z. B. auch der scheinbare Lauf der
Sonne. Aber dieser Lauf ist doch nicht gewiß, nicht wahr. Viele Dinge
sind gewiß, ihre Wahrheit steht fest; aber sie steht nicht für mich fest,
lob habe sie noch nicht anerloumt, mit dem Oaoseo meine Gedanken noch
nicht vecsdimolsen. Das Gewisse ist in solchem Falle fQr mich Iceine
Überzeugimg. Denn das Merkmal der Überzengong ist dieses: der Inhalt
ist nicht bloß gewiß, sondern in das Ganze meiner Auffassungen auf-
genommen und dadurch zu meinem geistigen Eigentum gemacht wonlen.
Das Wirkliche gehört dem Gebiet der äußeren Erfalinuig an, es ist das
Natur- Wirkliche. Das KeligiCse ist kein Wirkliches in dem gleichen
Sinne wie das Natur-Wirkliche. Der Heiland antwortete sdnem Bichter:
Mein Reich ist nicht von dieser Welt Die Qebftrden machen nicht die
Religion. Sonst wären die Phaiisäer religiös gewesen. Also muß das
"Wirkliche, das der äußeren P^rfahrung dargeboten ist, uud das Religiöse,
das gar kein Wirkliches im Sinne des Natur- Wirklichen ist, mit aller
Strenge auseinander gehalten werden. Das Religiöse ist nicht Gegenstand
der sinnHcben Erfabrong, sondern des Erlebens im Qemüte. Das BeligiOse
ist ein Willens- Wirkliches, ein Wirkliches geistiger Art (Ich denke an
das ChrisUlob-Beligidse.) Wann ist das Religiöse ein Qewi>si s für mich?
Das Erfahrungsgewisse ist ein Seins- Gewisses, das diu-ch die Sinne be-
zeugt wird. Ja, ich habe das gesehen! Thomas war noch auf der Stufe,
daß auch das Religiöse durch die Sinne bezeugt werde gleich dem Sinuen-
WhUicheD. Er wurde belehrt: Das Religiöse hat mob andere Erkenntnis-
quelle als das NatOiliehe, ErfsbrungsmäBige. Auf dem anflnglichen Stand-
punkt Ton Thomas steht die platte Aufklärung.
Das Religiöse wird für mich ein Gewisses im Willen. (Job. 7, 17.)
Es ist schwer, zur religiösen Gewißheit zu kommen. Das Bekenntnis
allein reicht nicht zu. Derselbe, der bekannt hatte: Du bist Christus, der
Sohn des lebendigen Gottes! leugnete es vor der Magd und den Knechten
mit einem Eidschwur: Ich kcmne den Menschen nicht. Die JQnger haben
vordem nidit gebeten im Namen Jesu. Wenn der Geist der Wahrheit,
der Tröster, sie lehrt, da werden sie bitten im Namen Jesu. Da.s Reli-
giöse ist Willenssache, die herrührt vom Gei.ste. Wie gelangt man zu
solchem Willen, der vom Geiste kommt? Jesus sagt: Alles ist mir über-
geben von meinem Vater; niemand kennet den Vater, als nur der Sohn,
und wem es der Sohn will offenbaren. Wenn euch der Sohn frei madiet,
da werdet ihr wahrhaft frei sein. Ohne mich kOnnet ihr nichts tun.
Jesas bittet auch den Vater um die Gabe des Tn'^sters an die Apostel
Das Religiöse wird einem gewiß, wenn man den Geist erlangt, der im
Willen wohnt, wie ihn Jesus uns gibt
Wie kommt der Menseh, der von Natur aus den Weg zum Guten
aioht anliwiflhti mid der vieileidil imier den Btaden der ümgebung noch
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72 Mitteflimgen
mehr entartet, doch empor? Durch religiöse Bildung auf der OruDdlage
eines wertvollen religiOeen Büdnngsstoffes? Das» -was ein solofaer Stoff an
Büdangskraft einschließt, wird nicht ohne weiteres wirksam auf das Sind,
wenigstens nicht so, daß der tiefere Gelialt dieses Stoffes Gomütseigentura
des Kindes, Gcwißlicit, Überzeugung würde. Wie wird dann der Gehalt
des relif^oscn Bildnnpsstoffes wirksam auf das lüiul/ Der Mensch muß,
zum mindesten in emcm gewissen Anfang, den Willen haben, in dem der
Geist Christi, d. i. Gottes, vohnt Gehet und belehret, taofet und haltet
an! Jaatete der Auftrag an die Apostel Und die Apostel traten wirklich
vor allem als Lehrer auf. (I. Kor. I, 17. Ap.-G. VI, 2.) Es gibt auch
eine religiöse Gedankenarbeit. Hinter ihr steht das Gemüt. Sie ist
ethisrlios Urteilen. Cl>er religiö.se Gedanken vcrstiindigt man sich schwer,
weil sie auf Gewissens- Aussagen beruhen. Die A]x>stel sollten alle Völker
beliolireD: damit -war niolit im entüBrnteaten gemeint, sie soUteii ebenso
▼erfahren, ine man verfiUirt bei Yeretandesbe^nffen, welche man zwecks
Erläuterung auf ihren Erfahrungsinhalt zurückfahrt WIre das religiöse
Erkennen ein gleiches wie das Erfahnm^s- Erkennen, so wäre auch die
Religion selber etwas Äußeres. Aber zwischen dem Erkennen im Sinne
von VerstaudesbegiiÖen und dem Erkennen des Herzens ist ein himmel-
weiter Unterschied. Wer Religionsunterricht erteilt, der weiß es aus
lebendiger Erfahrung, wie sdiwer doch wieder das GemQtserkennen fttr
den Menschen ist, wieviel dazu gehOrt, bis einer aus voller persönlicher
GewlBheit, ganz aus sich selber, zu einer Aussage kommt, die als Äußerung
einer überzeus^nnp: geachtet werden darf. Die religiöse Erkenntnis ist
etwas Hohes, weil persönlich Bedingtes. Der Religionsunterricht hat schon
ein großes Ergebui.s erreicht, wenn er den Menschen nur in die geistige
Bewegung gebracht hat, daß er nach Oberzeugung strebt Der Beligions-
unterricht kuin nicht auf Aufwallungen der Qefllhle bauen. Es ist eine
grobe Verwechselung des Gemütsgefallens oder -Mißfallens, wie es in der
ethischen Beurteilung sich offenbart, mit den gewöhnlichen Gemüts-
erregungen, wenn behauptet wird, der ethische Religionsunterricht arbeite
mit Affekten. Die ethische Beurteilung, aus welcher zuletzt die religiöse
Erkaintnis >- im Umkretoe der religiösen Bildung — hervorgeht, beruht
ihrerseits wieder auf einifissiger Durcharbeitung der reUgiOsen Bildungs-
stoITe. Solche Durohsibeitung fiflbet erst die Augen des Henens fOr den
Wert dieser Bildungsstoffe.
Wie ist es eigentlich mit dem religiösen Anerkennen? Es denke da
jeder an sich selbst. Wie oftmal im Leben hatte denn jeder solche
Augenblicke im ßemüte, daß er von der Macht der Qlaubenswahrheit so
ergriffen war, dall er den Zwang der Überzeugung dabei tief empfand?
Gewiß sind solche AugenUicke in eines jeden Leben nicht allzuhäufi;.
Man denke nur: dazu cphnrt, daß man das Naturwesen gänzlich wie aus-
gezogen habe, daß auch der Rest von Lustverhingen, Eigenliebe, Trachten
nach dorn Vorteile aus dem Herzen entfernt sei, daß man heilig fühle.
Ja, man freut sich so oftmal über Gutes, lobt es, aber die Anerkennung
durch die ganze PetsOnlichkeit ist selten. Die Apostel des Herrn voll-
zogen sie zu Pfingsten. Da war ein Petrus verwandelt; jetzt mußte er
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3. Zur Fnuro der öthischen 'Wertschätzung und feligiSeen Anerkennung 73
rar Menge sprechen: Gfotk hat sum Herrn und Gesalbten diesen Jeeum
geouMllt, welchen ihr gekreuzigt habt! Solche Anerkennungsakte edebt
man zu ihrer Zeit. Saulus hatte einen, da ihn auf dem Wege Jesus an-
redete. In dem Anerkonnungsakt, bei dorn die Persönlichkeit ins Treffen
rückt, verdichten sich wohl die Oemütserfahrungen eines Lebens zu Einem
ürteU. Der Mensoh mnA dabei M sein, alles abgetan haben, was an ihm
Tergflng^oh, irdisch ist
Die religiöse Bildung aoU religiös > sittlich denken lehren. Dazu ge*
hört, noch einmal sei es presagt, geistige tiefe Durcharbeitung der reli-
giösen BilduntrsstolTe. Das religiös- sittliche Denken ist schwerer als das
verstandesmäliige im Gebiete der Natur. Im Bereiche der Physik bei-
spielweise kann man zur Erkenntnis gelangen, auch wenn man persön-
lich niedrig steht Dabei tamn aUea Mensohliche bleiben. Aber beim
Tdigiöe-sittlichen Denken muß ich von meinon Selbst, wie ea die Natur
und die Umstände erzeugten, absehen. Da kommt mein > innerere Mensch
in Frage. Dem nattirlichen, liOL'chrliohen Selbst klingt die religiöse Wahr-
heit hart, es mag sie nicht hören, es ärgert sich darüber. Wer vom
Brote und Wasser des Lebens genießen soll, in dem muß schon etwas
Tom Hunger und Dnnt nach der Qeraehtigkeit sein!
Das Ganze der Frage nach der Wertschätzung überhaupt und dem
Yerhaltuis zwischen Wert- und Glaubensurteiloi soll uns am Ende noch
ein Fall aus dem Leben vorhalten. Ein junger Mann ist in großer innerer
Unruhe. Das Angeerbte gerät in ihm ins Wanken. Das ganze »moderne«
Empfinden und Denken stürmt auf ihn ein und wirbt um ihn. Besonders
die neneie Bewegung nach einer Lebensgestaltung auf dem Dntertmi der
SobOnheitareligion erfhSt ihn mit aUer Gewalt Er sooht nach LOsmig
der Fragen, die ihn bedrängen, in Büchern, Vorlesungen, im stillen Sinnen.
Er geht auch zum Freund seiner Kindheit und entdeckt ihm seinen Zu-
stand. Er ist soweit: die Kunst stehe über dem Oedanken. Das Ziel
der menschlichen Entwicklung sei das Weltbürgertum. Der einzelne solle
sich selber beherrschen. Aber die Menschheit gelange nicht zur Selbst-
beherrschung. Damm bleibe das Weltbflrgertum Traum. Der monarohische
Oedanke sei dem Eindheitsalter der Meosohen gemäß. Der Ab&U vom
Christentum sei im Wachsen. Die Kraft setze sich in Wärme um. Zu-
letzt sei alles Wärme: der Untergang dor Welt. Der Mensch entferne
sieh von der Natur. Es könne Gott nicht im hr naiv, im Gefflhl glauben,
sondern nur durch den Verstand. Aber dahin kämen wenige, Gott mit
dem Yeratande m glauben. Diesea ist uogeffthr der geistige Zustand dee
jungen Mannes.
Der Freund gibt dem jungen Manne zu bedenken: das Schöne steht
über dem Wissen, aber am höchsten steht das Gute. Das künstlorischo
Schaffen ist an die Persönlichkeit des Kunstlers gekiifipft. Sittlieiier
Verfall bringt auch den Verfall der Kunst. (Aeschylos, Sopliokles, Euri-
pides. — Wolfram von Eschenbach, Qottfried von Straßburg.) Schiller»
GoeCbe waidea die gioAea Dichter, weil aie sieh menaohlich empor
Untertan. Beim Ysrfall der Eonat flberwisgt die Form, der Gebalt tritt
sorOok.
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74
MitteüoDgeD
Das menschlicho Wissen ist StOokwerk. Was wir mit unserer Er-
fahrung umfassen und unseren Geisteskräften durclicliingen , ist ver-
schwindend -wenig gegenüber dem, was unserer Erfahrung unzugänglich
und unserer Auffassung verschlossen ist (Bekenntnis des sterbenden
Laplaoe.) Dumm mnfi «D« Erkenntnis mit dem Vorbehalt «nfgenommea
werden : sie kOnne möglicherweise berichtigt werden. Newtons Lehre von,
der Gravitation beg^ete dem Bedenken: Wie ist Wirkung in die Feme
(ohne Yermittelung) möglich? Die Gravitation scheint undenkbar ohne Vor-
anssetzung des Äthers. Es gibt dagegen eine unwandelbare Notwendigkeit:
die sittliche. Dem Urteil über gut-bdse im Gewissen kann kein Mensch
Bich entziehen oder widerstreiten, wiefern er gnt-bOse einsieht. Die sitt-
liche Beurteilung bleibt dieselbe von Sokiates bis heute — bei allen, die sich,
dazu emporgeschwungen haben. Der Abfall der vielen vom Glauben, der
religiöse Bankerott, hat ohne Zweifel mehrere Ursachen; aber dem un-
rechten Religionsunterricht muß doch eine Hauptschuld daran aufgebürdet
werden. Er gibt den Kindern, die nach Brot verlangen, den Stein un-
verstandener ErUftnmgen. Er yergiBt so oft der Mahnung des Meisters:
Lasset die Eindleini und wehret ihnen nicht su mir zu kommen, denn
solcher ist das Reich der Himmel. Der Katechismus ist ein Buch voll
tiefer, bedeutungsvoller Wahrheit. Aber die wird dem Menschen nicht
immer vermittelt. Sie bleibt für den Mcns^L-hon dann nur Wort. Daraus
und aus anderem, was das Nötigen zum bloßen Auswendiglernen z\iweilen
begleitet, entsteht ein starker psychischer Druck, wie von allem, was man
lernen soll, obgleioli man es nioht versteht Dieser blofle Gedlohtnisinhalt
und die Religion sind den Kindern und spftter den QioBen Eins. Mit
Widerwillen lernen die Kinder das Geforderte, und wenn in sp&teren
Jahren den Erwachsenen einmal der freche Spott und kecke Zweifel sagt:
das ist Torheit oder Trug! so werfen sie mit Lust weg, was nie in seinem
'\^'erte ihrem Gemüte nahe gekommen war. Dazu kommt: das Religiöse
muß TorgelebC werden. Daa ist die wirksamste religitee Beeinflussung.
Das Christentum ist die Liebe in jenem wetten, alles bsgreifenden Sinn
des 13. Kapitels im 1. Eorintherbriefe. Die Lehrpersonen, die den Reli-
gionsunterricht besorgen, mflssen religiöse Vorbilder sein. Werden sie das
ausnahmslos sein?
Die Religion ist niemals Verstandessache, immer Gemütssache. Die
gelinterte Religion ist auch keine Religion der Furcht Sie geht nioht
henror aus dem OefOhl ftufierer Abhingigkeit, der OlQckssorgei Der Ver>
stand kann emp&nglich, zugänglich machen für religiöse Überlegungen,
indem er sich aufrichtig eingesteht, daß es jenseits alles Wissens dunkle
Rätsel gibt, die er nicht auflösen kann, von welehon er vielmehr bekennen
muß: Ignorabimusl Aber der Verstand selber kommt doch niemals zur
wahrhaftigen Religion. Für ihn ist die Religion nur Lücken büüer. Der
popuUren Naturwiasensohaft gegenüber ist fibeidies Vorsieht geboten. Sie
hat sohon Unheil genug angeriohtet Sonderbar, die Glaubenskraft, die
man der BeUgion entsieht, stellt man den Sätzen der Naturwissenschaft
gerne zur Verfügung. Aber man täusche sich nicht: diese Sätze sind
nur iOr den, der sie, er/ahrend-denkeDd, auagemaoht hat, Erkenntnis ^ für
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8. Zur Frage der etfaiachen 'Wntsohftbnmg und religiösen Aneikennimg 75
jeden andern, der sie nur an- oder aufnimmt, silid sie auch bloB ge-
lerntes Wortwisaen, ohne innei« Bedentong und Anift. Eb bleibt niohts
anderes ftbrig: man muß die Natorwiaaenadiaft aioli auf dem Woge zu-
eignen, auf dem sie aUein erworben werden kann: durch das Studium
der lebendigen Natur: mit Hilfe von Beobachtung und Versuch und ein-
dringendem Denken. So sieht man ein, daß die Naturwissenschaft nur
bei wenigen zu linden ist und nur diesen wenigen hier ein Urteil zusteht
Denn aelbat Stodierende eignen aie aioh ^hl ao an, wie Sinder beim
▼erkehiten BaUglonBonteiiioht den Kateohiamoa.
Die Menschen leben in der Familie, unter ihrem Stamme, in ihrem
Landesverbände, bei ihrem Volke. Da haben sie ihre Aufgaben. Die
müssen sie erfüllen. Das Weltbürgertum bringt die Gefahr mit sich, daß
man seine nächsten, wirklichen sittlichen VerpÜichtungen überspringt
Schiller bat aioh daron loagemaoht Auch Goethe (in Hermann und Doro-
tiiea). Da bist ein edler Anaiohiat; dn denlwt: der Henaoh aei aein
eigener Herr. Es bedarf keiner gesellschaftlichen Organisation. Der Staat
ist nur Notbehelf, Polizeianstalt. Du bist auch Pessimist; du meinst: die
Well — die Menschheit — die westeuropäische Kultur geht ihrem Unter-
gang entgegen. Aber das Gute bleibt. Wenn es unter einem Volke
keine Heimstätte mehr hat, ündet es eine solche bei einem anderen Volke.
Das lehrt die Ctoaohiohte. Die Oeaohiohte lehrt mithin: Die TSlker gingen
zu Onmde, die aioh ¥om attüiohen Qelate loeaagten. Der Burenkrieg ist die
Offenbarung der modernen Kultur, wie sie der Natiu'wissenschaft entsprang.
Die moderne Kultur ohne Christentum führt zur Barbarei. Wenn man
ihr die Hülle abnimmt, ist sie Habgier. Unter dem Verwände, den Fort-
Bchhtt zu bringen, hat man jenen Xri^ augebngen. Die einen waren
die SOokatftndigen , die gemftfi der modernen Fortaohrittdehre dem Unter-
gang TerlUlen aollten. Die anderen, die im Besitie der modernen Macht-
mittel, waren die EShoron. Die moderne Kultur ohne Christentum bringt
den Menschen hinab auf die Stufe des Raubtieres. Die Stärke ist die
Vollkommenheit. Die Stärke gibt das Recht. Es gibt nicht mehr gut-
böse, sondern nur stark - schwach. Die Stärke darf sich aller Mittel
bedienen. Je eher sie den Q^er niederzwingt, vernichtet, desto lobend
werter ersdheint sie. Sie aobfimt sich nioht der ünwahiheit Sie verletzt
gefühllos alle Henechlichkeit Sie beeeelt nur der Eine Oedanke: der Oe-
danke an den Erfolg. Möchte unser Volk für alle Zukunft dem getreu
bloil-ten, der gemahnt hat: Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze
Welt gewönne, aber Schaden nähme an seiner Seele? —
P. Zillig
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I Philosophisches
Heosel, Paul, Hauptprobleme der EthiL Leipzig, Teubners Verlag,
1903. 106 S. 1,60 M.
Die Schrift besteht aus 7 systematisch-zusammenhängenden Vorträgen,
die in Mannheim auf Veranlassung des dortigen Vereins für Hochschul-
kurse gehalten worden sind. Ihrer Entstehungsart nach sind die Vorträge
für das Verständnis eines weiteren, fachwissenschaftlich nicht vorgebildeten
Leserkreises berechnet, und wir glauben, daß bei ihrer klaren, leicht
faßlichen Ausdrucksweise — einer heilsamen Wirkung, die solche Hoch-
schulkurse auf den Stil so manches Gelehrten ausüben konnten! — die
Schrift diesen Zweck vollkommen erreichen wird, und wir würden es mit
Freuden begrüßen, wenn sie dazu beiträgt, weitere Kreise für die ethischen
Probleme zu interessieren.
Die ersten 3 Vorträge führen mitten in das feindliche Lager der in
der Gegenwart als modei-n geltenden Richtungen des Utilitarismus und
Evolutionismus hinein.
Nachdem der Verfasser eine Darstellung der Lelire Benthams, des
klassischen Vertreters des Utilitarismus in seiner unverfälschten und konse-
quentesten Gestalt, gegeben hat und an Beispielen veranschaulicht, wie der
Utilitarismus alle moralischen Gefühle auf ihre letzten Gründe, auf Lust-
und Unlustgefühle, zurückzuführen sucht und sie nach ihrer Intensität, der
Sicherheit ihres Eintretens, der Dauer, der Schnelligkeit, Fruchtbarkeit und
Reinheit abschätzt, schreitet er zur Kritik. Den Grundpfeiler des Systems
bildet die Möglichkeit, jegliche Art von Lust- und Unlustempfindungen
gegen einander einheitlich abzuwägen. Es ist aber lediglich Sache der
individuellen Willkür, wie hoch die einzelnen Lustposten nach ihren ver-
schiedenen eben angeführten Gesichtspunkton der Beurteilung in Anschlag
gebracht werden; denn je nach der Bildung eines Menschen werden jene
Gefühle teils höher teils niedriger bewertet. Ferner stellt jede einzelne
Handlung auch für das Individuum einen individuellen Akt dar, der indi-
viduell beurteilt sein will. Mag also auch z. B. für gewöhnlich die durch
I Fhüoiophiaohee
77
einen Mord erworbene Lustsumme durch die spätere ünlustsummo seiner
Folgen übertroflen werden; wenn aber im einzelnen Falle eine Entdeckung
völlig ausgeechlossen ist, — und solche Fälle gibt es doch, — was hin-
dert mich nach Benthams Ethik, den Mord zu begeben? Oder was kann
mich bewegen, auf eine LaBtsamme an veniohteDf also ein definitives
Opfiv IQ bringen, das mir später nicht wieder mit Zinsen zu gate kommt?
Aber auch die Formel Benthams: eine jede Handlung müsse, um
sittlich zu sein, das größte Glück der grr)ßton Anzahl bezwecken, ist sitt-
lich sehr bedenklich, zumal da auch alle die Folgen mit in Betracht ge-
zogen werden müssen, die durch eine Handlung im Laute der Zeit heriror-
gebraoht werden. KnrfOist FHediich IL tou Heaaen-Kaseal verkaufte
einen Teil aeiner Landeakinder, wodoroh gewiS eine grofie Summe von
Unlust erzeugt wurde. Aber von einem Teile des Erlöses schaffte er sich
Kunstwerke an, die noch heute Tausenden von Menschen Entzücken be-
reiten. Von Jalir zu Jahr wird also jene Unlustsumrae der Vergangenheit
mehr kompensiert, bis schließlich die Lust^umme überwiegen wird. Die
Handlung muß also darnach als attülioli geHan.
SohlieMiek liegt der Lusttheorie Benthams ein starker Optimismus
zu Qrunde, nämlich der Glaube, daß aus dorn lieben ein Überschuß von
Lust über die Cnlust resultiere. Ob dies der Fall ist, oder ob der IVssimis-
mus mit seiner gegenteiligen Behauptung recht hat, ist einfach Giaubens-
saclie. Damit aber, daB der Utilitarismus sein System auf diese Basis
stellt, verleugnet er sein eigenes Prinzip, das jegliche idealistische
S|)eku]ation (Hansel gebranoht den Ausdruck: Metaphysik) verachtet
Das Hauptgewicht legt der Utilitarismus auf den ethischen Kalkül,
die Berechnung der Lust- und Unlustfoltrcn einer Handlung. Nun wird
eingf'worfen: derartige Berechnungen widersprechen der Erfahrung. Denn
in Wirklichkeit fällt es niemand ein, derartige Berechnungen anzustellen,
sondern man folgt der inneren Stimme des Gewissens, weiche besser als
alle Berechnungen sag^ was der Msnaoli sn tun habe.
Dieae eofaeinbar unflberwindliohe Kluft sn flberbrflcken hilft dem ütili^
tarismns der Evolutionismus mit seiner bekannten Theorie von derfiu^
stehung des Gewissens. (Vergl. Flügel, Ycrsucho, den Endäraonismus
durch den Evnlutionismus zu er^'clnzen, Einladungnschrift.) Für den dabei
in Betracht kommenden Entwicklungsgang vom Egoismus zum Altruismus
sucht Spencer, der Hauptvertreter dieser von Darwin ausgehenden An«
sduutUDg, historische BesUttigung und teOt darnach die Weltgeeofaiohte
ein in das unzivilisierte Zeitalter, wo die Mraschen in stetem Kampf mit-
einander leben unter naturgemäßen Vorwiegen der egoistischen Motive,
zweitens in unser gegenwärtiges, militärisches, wo sich nur noch große
Verbände gegenüberstehen, und der Egoismus und Altruismus sich die Wage^
halten, und drittens in das goldene, kommerzielle Zeitalter der Zukunft,
wo Altruismus und Egoismus ihre YersOhnnng feiern.
In der Kritik diesss Bvölutionismus kommt Honsel, dessen Aus-
führungen sich hier vielfach mit denen in Flflgels tldealismns und Mate-
rialismus der Geschiclito- (Langensalza, Hermann Beyer ^ Sohne f Heyer
& MannJ, 1898) decken, wie dieser zu dem üesultate, daß der i^sitz einiger
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78
Tugenden e&tBchieden als Yorteil im Kampf vasa Dasein sn betrachten sei,
bei andern sei es sweifeUuift, wieder hi anderen konnten ihre direkt
nachteiligen Folgen nicht abgeleugnet werden; femer, daß der Evo-
lutionismus (ebenso wie der damit zusammenhängende Ökonomische Material-
ismus) von prinzip wegen keine Ethik begründen könne, weil da die
Entwicklung des Weltgeschehens doch nach unabänderlichen Gesetzen
vor sich gehe, wobei unser Wollen nicht in Betracht komme, ein Grund
eines pfliohtgemftBen Mitwirkens miserarseits snoh gar niöbt erflndlidL
sei (»Ein Astronom wäre tOriobt» der eine Mondfinsternis ,will!*«) Anfier-
dem krankt der Evolutionisaras, ebenso wie der Utilitarismus, an dem
Optimismus des Glaubens an einen endlosen Fortschritt zum Höheren
in kultureller wie moralischer Beziehung, was noch erst nachzuweisen
wäre (Vergi. Kanke, Über die Epochen der neueren Geschichte, S. 15 Q.)
Im Tisrten Vortage stellt Mensel diesen Erfolgsethiken die sbsolnte
Qesinnungsetfaik entgegen und swar begründet auf dem Eantisohen kat»>
gorischen Imperativ. Der fünfte Vortrag zeigt jedoch all ^chwftohen
einer Ethik, welche wie die Kantische den PflichtbegrifF oder die an sich
leere Ideo der inneren Freiheit oder der autonomen Überzeugungstreue des
Individuums als einzige Grundlage anerkennt. »Sollen wir den Willen,
welcher die(se) empörendsten Handlangen als pflichtgemäß bejaht hat mit
den hlkihsten ESiren eines gaten H^ens bezeichnen?« Itthrt Hensel als
naheliegenden Selbstein wurf an, und er beantwortet ihn konseqnent: »Ich
sehe in der Tat keine Möglichkeit uns dieser Eonsequenz zu entziehen.«
Gewiß gel)en wir flensol zu, daß aus derselben Beachaffenheit eines
guten Willens die verschiedensten Handlungen entspringen tonnen, wie
ja das Flügel in seinem »Ich und die sittlichen Ideen« ethnologisch auf-
gezeigt hat, aber einen ans Überseugung übelwollenden, nnbilligen and
prinsiidell nngersdhten Willen werden wir nnn nnd nimmer als gut be-
aeiohnen, ganz abgesehen nnd nnabhSngig davon, was tfit Handinngen
aus einem solchen Willen hervorgehen. Ganz konsequent warnt infolge-
dessen Honsel beispielsweise vor dem Irrtum, die Juden, die Jesus zu
Tode gebracht haben, für böse und verderbliche Menschen zu halten, denn
als Anhlnger der I^folgsethik bitlBa sie eben anok naoh ihrer Obeiw
seogong gehandelt (Darnach, so mflssen wir nooh konseqoentarweise
fortfiahren, waren sie also gute Menschen I) Überzeugungstreue wollen wir
ihnen, allerdings auch mit Einschränkung, zubilligen, aber Wohlwollen,
Gerechtigkeit, Billigkeit?! Etwas ganz anderes hat es z. B. mit dem Falle
auf sich, den Flügel a. a. 0. anführt, daß bei gewissen wilden Völker-
schaften der Erstgeborene den altersschwachen Vater erschlägt, also nach
nnsem heutigen Anschauungen einen Vatermord begebt Denn er tat es
ja aus reinem Wohlwollen, nm dem Vater ein vielleicht schimpfliches Ende
durch Feindeshand zu ersparen. Er begeht auch keine Unbilligkeit oder
Undankbarkeit, denn el)en jene Tat wird ja vom Vater selbst als billige
Wohltat empfunden. Eine Schonung seines Lebens würde dieser selbst
als Nichtachtung ansehen. Er verstößt auch nicht gegen das bei jenen
VOlkem sanktionierte Beoht, wihrend im Gegenteil ein Unterlasssn dieser
Ehrenpflicht des Sohnes AnJaB ni Streit bOte; nnd yon der innem Über-
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I Philosophisches
79
zcngung, eine giite Tat zu tnn, ist der Täter auch getragen. Wer wollte
aber behaupten, daß die Juden Christus aus Liebe gekreuzigt hätten?
Und dafi sie billig gehandelt hfttten, in dieser Weise seine Wohltaten zu
▼ergelten. Und jene ProseßTerhtndlungen aeben anch vatHit gerade nach
Becht und Qerechtigkeit aus! Ihr Verhalten ist und bleibt also unsittli(di.
Wir sehen, mit den Herbartschen 5 Ideen, die ebenso wie der kate-
gorische Imperativ des autonomen Gewissens rein formaler Natur und daher
unabhänipig von jeder äuiiereii Handlung sind, werden ebenfalls die
Klippen der Erfolgsethik vermieden, andrerseits haben sie deu Vorzug,
daB sie dem aittUohen Erfitbrangsiuteiu nicht den Zwang anton, wie obigea
Belaplel Henaela anfweiat, führen auoh nicht an der Konaeqaens, daß
rieh Ober das, was sittlich ist, im GFmnde gar nicht disputieren läßt, daß
man schließlich jede aus Überzeugung^ ausgeübte Handlung als sittlich
gelten lassen muß. Mit obiger Rektifizierung kennen wir auch den Satz
Honsels ruhig unterschreiben: »Wenn uns hier auffallende Verstöße gegen
daa, was wir fOr aittUoh an halten gewohnt aind, entgegentreten, ahiä wir
alabald mit Verdiohtignngen des aittliohen Gharakters dea Handdnden hei
der Hand, und doch haben wir auch an dieaer SteUnngnahme kein un-
bedingtes Recht.« (S. 60.)
Im weiteren stimmen wir auch mit Honsel überein, wenn er bei der
Besprechung der Sitte, der positiven Rechtsordnung und Strafrechtes aus-
fahrt, wie es vorkommen kOnne, daß ein sittlicher Charakter mit der Sitte»
der Reohtaofdnnng nnd dem Strafkecht infiilge seiner hohem aittiichen
Anffassung in Konflikt kommt» wie ein solcher aber dann die Stnfe ala
von Rechtswegen verhängt zu ertragen habe in der Hoffnung, später viel-
leicht sein Volk zu seiner höheren Sittlichkeit hinaufziehen zu können.
Im sechsten Vortrag ist für uns die Erörterung über den ethischen
Wert des Altruismus von besonderem Interesse. Da He n sei uur die
Idee der Obeneugungstreue kennt, muß die Idee dea Wohlwollena wohl
oder ttbel an dem an eich aittUoh Indilfafenten gerechnet werden. Ihr
kommt hOohatena pädagogischen Wert zu, indem sie zur Selbst-
öbervs'indung, also zur Idee der innern Freiheit erziehe. Welche Ver-
kennung der eigentümlichen 8 ittlichen Schönheit derldee des Wohl-
wollens spricht aus den Worten (S. 74): »Es mag pädagogisch wünschens-
wert sein, Kinder daran zu gewöhnen, von ihrem Kuchen an andere mitau-
teOen, aber daa ethiach Wertvolle iat dabei nicht daa Lastgefühl der andern
Kinder, ( — selbstveratBndlich nicht, aber das behauptet auch niemand! — )
sondern die Gewöhnung, welche dem mitteilenden Kind daraus erwächst,
eine andre Norm für sein Handeln anzuerkennen, als das eigne Behagen.«
Demgegenüber vergegenwärtige man sich doch, welch' eignen Reiz es auf
den unparteiischen Zuschauer ausübt, wenn so ein kleiner treuherziger Locken-
köpf adnen armen Kameraden von seinem StQdc Kuchen beißen Ußt!
Hier wird einem so recht klar, welch feinen Griff Herbart tat, wenn er
das ethische Qeschmacksurteil in enge Beziehung zu dem ästhetischen
brachte! Nein, mein braver Junge, das war schon, das war gut von dir!
Gewiß eine rein altnÜBtischo Goineinschaft ist ein Unding. Aber wer
sagt denn, daß das Wohlwollen das alleinige Prinzip der Moiui sein müsse?
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80
Besprechungen
Don meisten christlich -theologischen Ethikern gegenüber ist ein solcher
Hinweis allerdings am Platze. — Auch der Egoismus sensu medio, also
besser, der natürliche Selbsterhaltungstrieb, oder Handlungsweisen aus Lust
oder ünlQBt Bind an sioh nicht monlifloh mindenreitig, da Btimmen wir
Hensel bei, sondern sitüioh indifferent
Heu sei sagt nun (8. 75): »Es können altraistische Handlungen höchst
nnsittlich« ( — indessen wohlgemerkt: nicht, weil sie altruistisch sind! — )
»egoistische in demselbeu Grade sittlich sein«. ( — indessen nicht deshalb,
weil sie egoistisch sind! — ) »Wenn ich mich krank fühle, und es als
Pflicht empfinde, durch eine Badereise meine geschädigte Gheeundbeit
wieder henustelton, und wenn ich alsdann das hierfür bereit gelegte
Geld ans eofalsflinr Gntmütigkeit fttr einen andern dahingehe nnd niin
diese Reise unterlassen muB, so habe ich ich eine selir altroistiache (?),
aber zu gleicher Zeit hochgradig unsittliche Handlung begangen, c
Indessen ist diese Handlung keineswegs »sehr altruistisch«, denn
Altruismus oder Wohlwollen ist nicht identisch mit »schlaffer Gutmütig-
keit!« (vergL A Iii hns Ethik u.a.). Denn ich hätte bedenken müssen, daß
ich meine Geeondheit fOr weitere soiiale Arbeit fOr andere erhalten mnA.
Andrerseits hängt damit snsammen, dafi ich midi dmmh meine sohwaobe
Handlungsweise einer Verletzung der andern Ideen & B. der Vollkommen-
heit, der Billigkeit habe zu schulden kommen lassen. Denn ich bin ver-
pflichtet, für meine Familie zu sorgen oder dem Vaterlande zu dienen,
dem ich meine Ausbildung zu verdanken habe u. dgL Altruismus im
Sinne von reinem Wohlwollen ist und bleibt immer gut. Eine,
wenn anofa wirkUoh altraistisohe, Handlung aber unterliegt noch der Be-
urteilung der flbrigen Ideen.
Des weiteren wollen wir noch Honsels Ausführungen über das
Herabsinken früher ethischer Handlungen auf die Stute der au IJerethi sehen
betrachten, ein Problem, das natürlich nur für eine auf dem PÜicht-
begiiffe basierte Ethik in Betracht kommt »Es begegnet uns dauernd, daß
Handlungen und Unterlassungen, die wir früher nur mit ftoBerster sitt-
lioher Anstrengung von uns m erhalten in der Lege waren, die also im
höchsten Grade sittlich zu bezeichnen waren, allmählich ganz ohne
das Bewußtsein einer sittlichen Pflicht sich vollziehen. Nach dem, was
wir über den Charakter der sittlichen Handlung ausgemacht haben, kann
es kein Zweifel sein, daß sie damit auf die Stufe des Außersittlichen
hinai^esunken sind, daß wir einen ethischen Wert für diese Handlungen
uns nioht mehr zuerkennen können.€ Hensel lOet die Sohwietigkeit
damit, dafi er sagt: Oleiohsdtig mit der suooeesiven Umwandlosg von
sittliolien in anfienittliohe Handlungen treten an den Menschen neue bis-
her nnerschlossene Aufgaben heran, neue Pflichten, so daß das außersitt-
liche »Ideal der schönen Seele« niemals erreicht wird. Wir brauchen
also nicht zu fürchten, daß die Sittlichkeit aufhört. — Es ist richtig,
wir rechnen es uns nicht nicht zur Sittlichkeit an, wenn wir einen zu-
fUlig daliegenden silbernen IMk nicht stehlen, während ein früherer
Dieb jedenfalls sittlich handelt, wenn er dieser Yersnohnng widersteht,
ebenso wie ein Kind, wenn es die Versuchung des Naaohens flberwindet
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I Philosophisches
81
Doch sehen wir uns einmal nach andern Beisiüolen um, ob in
der Tat alle jetzt sittlichen Handlungen später durch Wegfall der
Bittliohen Anstrengung, also des PflicitbewiiAtseins, aufhOren, aolohe
IQ sein. Denken wir an den barmbendgen Samaritarl Ist es fOr die Be-
nrldhmg seiner Tat als einer sittlichen irgendwie von Belang, ob dieselbe
seiner ethisierten Persönlichkeit entsprungen, gleichsam aus Neigung er-
folgte, oder ob ein sittlicher Kampf mit den natürlichen Trieben voran-
ging, in dem das Pflichtbewußtsein obsiegte? Jesus scheint nicht dieser
Meinung gewesen zu sein, sonst hätte er einen angeblich so wichtigen
Zng nidit aoAer acht gelassen. Oder denken wir an die Idee des BeobtsI
Findel Abrabam weniger unser ethisches Oebllen, wenn es ihm leiöht
wurde, friedfertig zu sein nnd den Streit mit Lot beizulegen? Und verliert
nnaore dankbare Gesinnung gegenüber unsern Wohltätern tatsächlich das
sittliche Moment, wenn uns die Dankbarkeit als etwas Selbstverständ-
liches vorkommt? Ich denke, das sittliolie Erfabrungsurteil widerle^'t die
Verallgemeinerung Hensels. Ich glaube, nur wenn es sich um Unter-
lassung gewisser Handlungen handelti wenn gegenüber dem kategorisdien:
>Da sollst nichtl« nnsre Neigungen opponieren und dadnrcb das Fflioht-
bewnfitsein erweckt wird, oder die Idee der Innern Freiheit ihr Veto er-
hebt, ist die Beobachtung Kants und Hensola richtig; also bei dem
kategorisch negativen: »Du sollst nicht stehlen, lügen, töten Ic usw., aber
nicht bei dem kategorisch positiven: > Darum sollt ihr barmherzig sein,
wie euer Vater im Himmel auch barmherzig istU usw. Solche Hand-
hmgea bewahren immer ihren sittlichen Charakter.
Deshalb gilt uns auch das tideal der sohOnen Seele« nicht als aufier-
tittlidk, sondern als das höchste Ideal der Sittliohkeit
Ob wir es allerdings jemals erreichen werden, — auf Erden wohl
nicht, aber im vollkommenen Reiche Ctottes» — darüber kann man ja
trotzdem versclüedner Meinung sein.
Aber wäre dieser nach unsrer Ansicht höchstsittlicbe, nach Hansel
anfielsittliche Zustand wünschenswert? Hüren wir Hensell
»Orientieren wir uns nochmals an dem vorher verwendeten Beispiel
des Tonkünstlers. Werden wir wirklich den Künstler für den vollkommen-
sten halten, der gar keinen Willen mehr bei der Her vorbringung seiner
Kunst in Tätigkeit zu setzen braucht? Ich glaube es nicht. Er würde
uns wie ein vollendeter Automat erscheinen, und sein Kunstwerk würde
uns durchaus kalt lassen. Schon auf dem ästhetischen Oebiet verzichten
wir nicht gern auf Schwierigkeiten, die sich dem Künstler gegen-
überstellen, und die er, obwohl siegreioh, doch mit Anstrengung überwindet
Und so mag uns denn auch die sohOne Seele, selbst wenn wir sie nur
ästhetisch betrachten, nicht als jenes schlechthin Höchste erscheinen^ als
welches sie uns häufig genug angepriesen wird.« (S. 82 f.)
Dazu bemerken wir: Wenn ein Künstler mit vollendeter Kunstfertig-
keit uns sein Stück, das gleichsam sein ganzes Seelenleben reproduziert,
▼orlülir^ so ist durchaus nicht einzusehen, warum uns das Stück kalt lassen,
und uns der Künstler als vollendeter Automat erscheinen sollte. Sein
ZritadttUt fOr fUloiqpU» und PUagogik. 12. Jahiguf . 0
82
Besprechimgen
Wille ist doch bd nooh so grate kfinstterisclier YoUkommenheit nicht
ausgeschaltet!
Oder stehe ich in Andacht versunken da beim Betrachten des Klinger-
schen Beethoven, was kuninunt's mich in diesem Augenblicke des ästhe-
tischeu OenieBeoB, ob Kiingor das Kunstwerk m ein paar Wochen
oder in vielen Jahren gesohaiTen hat? Wir erinnern an das Wort Herbarta,
eine Blume bleibe sohOn, auch wenn man nicht wisse, auf welchem
Boden sie gewachsen sei.
Gründet man die Etliik wie Herbart auf das sittliche Urteil, dann
bleibt einem der immerhin etwas widerspruchsvolle Oedanke erspart, daß
auf der denkbar höchsten Stufe der Vollendung die Etliik ein überwundoner
Standpunkt und dieses Ziel auch ein wenig wünschenswerter Zustand sei.
in der Eonaequenz dieser AuJhssuug mflAte man sich dann also
auch Oott entweder als anfieraittlichea Wesen ▼orstellenf das sich in einem
jedenfsUa von uns nit^t erstrebenswertem Zustand befindet. Oder aber
mfißte man annehmen, daß auch für das liGclisto Wesen Widerstände zu
überwinden seien, damit es für dasselbe eine Ptlicht gebe, und es im Be-
reiche des Sittlichen bleibe. Beides müßte uns veranlassen, unsre Auf-
fassung von dem Yerhältuisse der Moral zur Keiigion uud unsere Keli-
gionsphilosophie zu leridieren. —
Vom siebenten Yortiage fuhren wir noch die Übersohriflen an: Das Ge-
wissen historisch entstanden; Bedeutung der Kultur für die Ethik; Das
Sittengesetz als Vernunftinstinkt; Persönlichkeit und Sittlichkeil; Welt-
abgeschiedenheit und lOtSiik; Willensfreiheit und Kausalitüt; Ein Ding mit
mehreren Merkmalen ; Das Problem der Beuej Ethik und lieügions-
phüusophie.
Wir sehen, die YortrSge sind bei der eng konientrierten FOlle dee
Stoffes übenuis geeignefti aum Nachdenken Aber sittliche Probleme anso-
ngUL MCgen danim die Erwartungen ihrea Yerfifisers erfüllt werdenl
JDr. Q, Burk
fteiehel, Dr. Karl, Ober den Größenkontrast. Eine experimental-
psychulogische Studie. Öls in Schlesien, A. Ludwig. 4ü S.
Ea ist bekannt, daß ein mittelgroßer Mann neben mehreren Zwergen
gHJte, neben mehreren Biesen aber kleiner an sein scheint, als er ist
Über solche Wirkungm des sogenannten Größen kontrastes hat der Yer-
fasser mit sechs Personen durch Vorführung eines Kreises inmitten von
vier kleinern und dann wieder unter vier großem eine wold vorbereitete,
vorsichtig durchgeführte uud auch auf iuigrenzonde Erscheinungen aus-
gedehnte Reihe von Versuchen angestellt, deren Einzelheiten die Schrift
durch Besobrnbungen , Tabellen und graphische Darstellangen mitteilt
Nach Ausscheidung der in einielnen Fällen eingetretenen stOtenden Neben-
umstftnde gelangt der Yerfasser zu dem Ergebnis, daß eine Scheibe in
der Umgebung kleinerer wirklich vergrößert, dacregen unter größern ver-
kleinert scheint und daß diese beiden Kontrastwirkungen mit dem Größen-
unterschiedo bis zu einem — individuell verschiedenen — Maximum
wachsen, über das hinaus sie wieder abnehmen.
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I PhfflowpbiBolMB
8a
Die für dieso Erscheinungeu von H. Helmholtz, A. Thierjy
Tb. Lipps TL a. gegeboMii Brkttrungen irafden amgdieiid beeproohen
und zuletit — im Anaohloft an Mfillers und Schumanns Theorio-
der Sofaltzung abwechselnd gehobener Gewichte — die Ober- und ünter^
Schätzung der Große der Scheibe aus der Änderung der motorischen Ein-
stellung erklärt, wolnho eintritt, wenn wir von der Auffassung der grOtfiom
Scheibe zu der der kleinern oder umgekehrt übergehen.
So erweist sich die Abhandlung als ein ernst zu nehmender Beitrag
war TOsensofaafUiohfln Beihandlong der Veigleiohnngsiirlefle, deaen die
heotige FqyoholQgie mit Beoht ihre vone Anfrawksamheit sngswendst hat.
Ignaa Pokorny
Ricfcert, Heiorieb, Professor an der üniv. Freiburg i. B., Der Gegenstand
der Erkenntnis. Einführung in die Transzendentalphilosophie.
Der Verfasser geht aus vom BegrÜf der Objektivität, der auf dem
G^genaate von Bewußtsein und Sein beruht und weist die 0nabhliigtgkeit
des Erkenntnisaktes von der Frage nach einen psychischen Sein nach»
laicht eine vom Bewußtsein unabhängige Welt von Dingen kann als Gegen-
stand der Beweisführung betrachtet werden, sondern allein eine Unter-
suchung über das Wesen des Erkennens. Die bisherige Annahme, der
ErkenntnisbcgrifT könne nur auf dem Gegensatz des Seins und Bewußt-
sems^ das durch Vorstellungen dieses Sein erkennt, aufgebaut werden, ist
unhaltbar. Erkennen als VonteUen entiiilt nur die Besiehungen sweier
Objekte aufeinander und schaltet das Snbgekt, das die Obereinstinunun^
des Abbildes mit der Wirklichkeit feststellen mUßte, vollständig aus. Bs
folgt nun der Schwerpunkt der Entwicklung, daß das Urteil nach seinem
erkenntnistheoretischen Wesen zur Lösung des Problems führt. Seine Ele-
mente sind freilich auch Vorstellungen, die hinsichtlich ihrer VerknOpfungs-
lähigkeit aufeinander bezogen werden. Diese kann bejaht oder verneint
^rerden. Bin logisch ▼nllkwimwnes Urteil ist ebne diese Biigahung oder
Yemeinung undoikbar. Ba jede Erkenntnis einzig auf Urtäen beruht^
80 muß beim Aiosei des Erkennens lu den Vorstellungen als Grund-
elementen eine Bejahung oder Verneinung hinzutreten. Sie entspringen
einer praktischen Betätigung der Seele, die sich gegen die auf sie ein-
dringenden Vorstellungen nicht teilnahmslos verhält, sondern ihre Stellung-
nahme im Billigen oder Mißbilligen bekundet. Die Veranlassung dazu
hOdet ein GefOhl, das sich als Lust oder Unlust KuAert Seüne Bewertung
ist demnsoh ausschlaggebend fOr den Erkenntnisakt, der sich so als An-
erkennen oder Verwerfen darstellt. Dieses wertbestimmende Gefühl bat
als Richter aller inneren und äußeren Erscheinungen dauernden Wert, da
das im Urteil Anerkannte nicht bloß im Äugenblick der Herrschaft des
Gefühls, sondern zeitlos gilt. Seiner Macht muß ich mich willig unter-
werfen. Es bleibt mir nur die Wahl zwischen Bejahen und Verneinen.
Diese Notwendigkeit, welche die Torbedingung ffir das Znstandekommen
des Urteils ist» wird sls Urteilsnotwendigkeit bezeichnet So leitet uns
beim Urteilen nicht das durch Vorstellungen abgebildete Sein, sondern
das durch das Gefühl bedingte Sollen. Seine Anerkennung führt zur
6*
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84
Bespreohimgeii
I
Lösung unseres Problems. Die irrige Annahme, daß sich die Urteile nach
dorn Sejendea liöhteii, beruht inf Machet Vonnawteung. Das Boirafll»
werden dee WirkUohea eetst Mhoa ein Urteilen Torans, da eich ja das
Urteilen als Anerkennen offianbart Seine Richtigkeit kann nur durch das
Gefühl des Sollens gemessen werden. Das Urteil: »Der Baum ist grüne
entspringt nicht dem Umstand, daß ich ihn als frrfm seiend vorstelle,
sondern der inneren Notwendigkeit, die vorgestellte Beziehung des Baumes
zur Farbe zu bejahen. So beruht also die Wahrheit des Urteils nicht auf
dem Sein, sondern auf dem Sollen. IfOr dieaee SoUen kOnnen wir die
Boheinhar paradox klingende Beieichnmig einee Qogenstandea inaofem bei-
behalten, da wir unter Gegenatand das beaeidmen, waa dem erkennenden
Subjekt gegenübersteht.
31it diesem Gedankengange sind wir dem Verfasser bis zum 4. Kapitel
seines scharf durchdachten geistvollen Werkes gefolgt , dessen ganzen
Beichtum man nur durch ernstes Studium ausschöpfen kann. £s wird
im weiteren Yeriaaf der Ifaohweis geführt, daB daa SoUen als Gegenstand
der Erkanntnia tranesendentBlen Charakter beaitsti ohne den ee der Objek-
tivität entbehren würde. Durch Lösung dieses Hauptproblems hat dar
Verfasser seine Aufgabe, in die Tzanssendentalphiloaophie einsufOliren, voll-
kommen gelöst.
In einem umfangreichen 5. Kapitel: »Transzendentaler Idealismus
und empirischer Realismus« wird das gefundene erkenntnistheoretische
Gmndptinaip in seiner Bedentnng fOr daa l^atem der Erkfiontnistiieorie
und der goesmton Philosophie bdeoohtet Letalere Ausführungen sind b^
sonders interessant und fesselnd. Es wird due Parallele zwischen dem
sollenden und wollenden Menschen gezogen. Wie bei diesem die Pflicht
der Leitstern seines Handelns ist, so wird joner durch das Gewissen, das
im Gefühl der Urteilsnotwendigkeit zum Ausdruck kommt, beeinflußt. Die
Begriffe Gewissen und Pflicht sind so gleichsam die beiden Pole, um die
sich nnaer gesamtes Sootonleben bewegt — Ihre abaolnte Geltung wird
Mlioh bedingt durch mein peraBnlidiea Wollen, wie ja die gesamte
Philosophie die Begriffe des absoluten Wertes oder SoUena und dea wert-
anerkennenden Willens zur Grundlage hat.
Die erkenntnistheoretischen Untersuchungen besitzen unermeßliche
Tragweite bei der Lösung der tiefsten philosophischen Probleme und haben
ihre Grenze da, wo alles Wissen aufhört und nur noch geglaubt werden
kann. Daa Problem der transaendentalen Bealittt iat aomit der Beligiona-
philoaophie zu flberweiaen, die daa VerUUtnia dea denkenden sum
^übenden Menschen klarlegt
Mögen diese Darlegungen, die größtenteils mit des Verfassers eigenen
Worten wiedergegeben sind, um einer schiefen Darstellung seiner Gedanken
vorzubeugen, zu einer Vertiefung in das gediegene Werk anregen. Die
Frage nach dem > Gegenstand der Erkenntnisc wird jeden nach Wahrheit
Strebenden ematUoh beschäftigen. Der Verüuser hat una lu ihrer LOaung
die Wege geebnet. Klare Beaeiohnang der Unterziele durch prftaiae Frage-
stellung, ^Iftuterung der philoso^dschen Abstraktionen durch sinnliche
APBohsuung, gründliche Widerlegung erkenntniatheoretischer Vorurteile und
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I FhikMophisohas
85
zusammenfassende Rück- und Überblicke sind Vorzüge, durch die das
Studium jene Erkenntnisfreude in uns erweckt, deren anregende Bedeutung::
nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. T^nd wenn der neu er-
'worbene Vorstellungsinhalt durch ein innerem Sollen anerkannt wird, so
wild jeiMB WahrhdtqgefQhl gestärkt, das in eeinar wertbeBtimmenden Be-
üwbaiag einen wichtigen Mafietob für die BenrIeUnng aller geistigen Er-
schemongen bietet
Wilmersdorf W egener
liliillg) Hm Philosophische Probleme.
Durch "Wort und Schrift hat der bekannte dänische Professor der
Philosophie an der Universität Kopenhagen einen weiten Hörer- and
Freundeskreis erworben.
Als weiterer AusÜuß und gewisser Abschluß seiner weitverbreiteten,^
teilweise in mehreren Sprachen erschienen, früheren Schriften auf philo-
sophischem OeMek ist in jüngster Zeit Twliegendes Werkchen erschienen.
Es ist diese Abhandlung als Qnmdlage mid weitere Fmoht von Vor-
lesungen anzusehen, die der Yer&sser im Jahre 1902 an der Universltlt
Upeala gehaltm hat
Hoff ding spricht hier zu Jüngern der "Wissenschaft, welche sich
bereits in philosophischen Fragen klare Einsicht und entschiedene Selb-
ständigkeit verschafft haben. Sclion in seiner »Geschichte der neueren
Philosophie« hat der Verfasser historisch nachzuweisen versucht, daß es
A Hauptprobleme der Fhiloeophie gibt: L Bas Problem von der Nator des
BewuAtseinslebens (das pqrohologisdhe FtoUem), IL Das Problem von der
Gültigkeit der Erkenntnis (das logische Problem), III. Das Problem von
der Natur des Daseins (das kosmologische Problem), IV. Das Wertungs-
probiem (das ethisch-religiöse Problem).
Wie Höffding selbst in seiner Einleitnne zu vorliegender Ab-
handlung sagt, stellt er sich darin die Aufgalx^, den Innern Zusammen-
hang zwischen diesen Problemen nachzuweiseiu. Schon in der äußern
Anordnung wird er diesen seinen Prinzipien gerecht; wenn er als kri-
tischer Phikei^ im AnschlnA an die Analogie swisch^i PerslbiliohlEeit
und Wissenschaft, welche die Aufgaben stellt, mit dem psychologisdion
Problem, - der Natur des persönlichen Lebens« beginnt, darauf zur Losung
des KrkenntnisproVilems forTsehreitot, sowohl aus der Porsonliclikoit, >dio als
ein einzelner Teil des ganzen Daseins dasteht«, als auch aus der Wissen-
schaft, »deren Aufgabe es ist, zu einer Weltanschauung zu führen«, den
Übergang nun 8. Problem, dem Bsseinsproblem, findet und mit den
Wertongsproblem, welche» »wegen der Beaehnng, in welcher der Mensch
als fühlendes und wollende sWesen zum Dasein steht«, erscheint, schließt.
Die Reihenfolge, in welcher die Probleme auftreten, ist nicht von
schlaggebender Bedeutung, sie richtet sich nach den Motiven, welche zum
philosophischen Forschen führen. Es ist je nach der Voranstellung eines
der Probleme nur darauf zu achten, jedem derselben volle Gerechtig-
keit in teil wird. Auch hierin ist obige Behandlung mustergültig. Und
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66
Be8prechan|{9&
nun kommt Ilöffding bei Aufstellung seiner Probleme zu der wichtigsten
Frage wohl der gesamten Philosophie: Lassen sich alle genannten Pro-
bleme auf ein »durchgängiges« Grundproblem zurückführen? Verfasser findet
die Möglichkeit hiena in der Bedeatang, welche das YerhAltideswieofaeii Kon-
timiittt und DiakontinmtSt bei jedem der einwlnen FroUeme hat »Dieaea Ver-
hältnis drftckt das tiefste Interesse sowohl der Persönlichkeit als der Wissen*
Schaft aus. Keins der beiden Elemente erscheint Ton vornherein als das
einzig berechtigte. Es wird von unstreitbarem Interesse sein, dieselben
unter den vier von unsern vier Hauptproblemen angegebenen verschiedenen
IJesichtspunkten in ihrem Verhalten zu euiander zu verfolgen«. Von
dieaem Standpunkte ana wiU Verfaaoaar die vergleichende Flroblenilehre be-
handelt wiesen. Wenn nna HOffding in dieser adhwierigen Materie mit
konsequenter Logik teüweise einem »Excelsior« entgegenfBhrt, ao hat er
erreicht, was kraft menschlicher Erkenntnis zu erreichen war.
Vor Phantastereien hütet er sich. Er kehrt zurück zu der Gedanken-
strenge des Mannes, der gezeigt hat, daß es für metaphysische Fragen
keine andere Lösung gibt als das immer schärfere Verstehen ihrer Un-
lösbarkeit zu Kant.
Wilmersdorf-Berlin Bach
iips, Theaiar, Leitfaden der Psychologie^ Leipzig, Wilh. EDgelmann.
Nach dem Vorworte hat der Verftsaer seinen Leitfhden der P^cho-
logie sunlohat fttr HBrer aeiner Vorleaongen bestimmt, hoflt aber, andi
andern damit zu dienen. Das Buch will »Orondlinien« geben nnd Ter>
sichtet auf »historische und kritische Exkurse«.
Der Inhalt des Werkes (349 S.) bietet nacheinander folgende Ab-
schnitte: I. Grundlegung (Das Bewußtsein, Bewußtseinsinhalte, Aufmerk-
samkeit und Bewuiitsein, Assoziation und Gedächtnis), IL Die Apperzeption,
in. Die Erkenntnis, IV. Der Wille^ V. Die Gefühle^ VL Besondere psycho-
logische Zustande (Affakte, Temperamente, l^ypen, Sohlai; Fianen, Ifypnoas^
pathologische Zuatäade, Metaphysisches).
Der Verfasser geht nicht über die zu erklärenden Ersclieinnngen
leicht hinweg. Es liegt ihm daran, sie seinen Lesern verständlich zu
machen. Daher die vielen sprachlichen Wendungen für ein und dieselbe
Sache. Die Bilder, durch die er die psychischen Vorgänge zu verdeut-
lichen ancht, geben dem Werke einen gewissen populären Anstrich. Trota-
dem redet daa Buch doch an emseitig die Sprache der Abatraktion, ent-
wickelt die pfljychischen Gesetze und Regeln zu wenig ans Ansobauungs-
stofifen, als daß es in allen Teilen gleichmäßig fesseln und anregrend wirken
könnte. Kurz: Das Buch ist für Ijoser, die nach einem populären Werke
der Psychologie mit Beziic:nahme auf Pädagogik suchen, nicht bestimmt.
Es trägt mehr rein wissenschaftlichen Bedürfnissen Rechnung.
Wilmersdorf-Berlin Schals
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II PidogogiBohes
87
II P&dagogisohes
lUUg, Peter, Welches sind die pädagogischen Anforderungen an
einen Lehrplan fflr die bayritolien stftdtisohen Volksschulen?
Nflrnbeig, Korn, 1904. 60 Pf.
Die kleine Schrift von P. Zill ig ist aus YortrSgen entstanden, die
der Verfasser im Lehrerverein zu Augsburg gehalten hat. Den Anhängern
der Herbartischcn Didaktik sind die Gedanken, die P. Zill ig vortiTip:!,
geläufig, aber trotzdem sollte man nicht an ihm vorQbergehen, da sie hier
in eigenartiger Auflassung und anregender Form vorgetragen werden.
Immer mehr rflokt die Lehrplanfrage in den Yordergnind des Interesses.
Neben der kleinen DSrpfeldsohen Sobrift über diesen Gegenstand sind
daher die Zilligschen Ausführungen hoch willkommen nnd als Aus-
gangspunkt für eingehende Betmcbtongen in Lehrerkreisen zu empfehlen.
Jena W. Rein
Uehea, Dr. Jolias, Über Yolkserziehung im nationalen Sinn. Mün-
chen, Lehmann, 1904.
Dieeer Vortrag, der auf dem Yerfaandstag des alldenteohen Yerbandea
m Lübeck am 28. Mai 1904 gehaltm wurde, sei der Lektüre warm
empfohlen. In kurzer, übersichtlicher Weise sind die Probleme scharf
herausgehoben, die sich fHr die Volkserziehung im nationalen Sinn er-
geben. Grundlegend ist dio Familien- und Schulerziohung; im Anschluß
hieran muß die Yolkserziehung größere und weitere Aufgaben in bewußter
Weise Terfolgen, wenn wir Deutaohe Ansprach erheben wollen, als Enltor-
▼olk in Torderer Reihe za stehen. Hit Reofat hebt der Verfasser henror,
daß hier fOr die wissenschaftliche Betraohtang mn weitm Feld eindringender
Forschung vorliegt, das bis jetzt leider nur zu wenig erforscht ist, um
sichere Richtlinien zu geben, nach denen die Yolkserziehung in großem
Stil sich zu richten hat Wenn man z. B. die Verwirrung betrachtet, die
die Frage nach dem religiösen Charakter unserer Schulen immer wieder
hervorruft, so kann man nnr anfe lebhafteste b(>daaeni, daß nicht von
mafigebenden, wissensdhaftliohen ZentrslsOtten der Versuch zur Losung
der Verwirrung gemacht wird.
Jena W. Rein
Filbrecht, Dr. Fr., Chor den Unterricht in der bildenden, Kunst
am Gymnasium. Heft 1, Übersicht und Vorlage praktischer Ver-
suche. e.-Prgr. Mstadt (Oberteterreioh) 1903. 44 8. Heft 2,
in OemeinBchaft mit Frana Sommer, Architektur, 0.-Prgr. 1904.
36 S. 8«.
Als ich im Jahre 1877 das Schriftchen »Gymnasium und KnnBtf
veröffentlichte, in dem ich dringend aufTorderte, die Schüler unserer huhoron
Schulen mit den hervorragendsten Kunstwerken zunächst der antiken Weit
bekannt zu machen, und zeigte, wie man so zugleich das Verständnis für
die alteo Vülker vertiefen und unaeie Jugend ästhetisch fBcdem kOnntib
88
Besprechungen
fand ich zwar recht viele Zustimmung, aber nur wenig- Nachahmung. Das
ist im Tjaufo der Jahre anders geworden. Steht doch die »Kunsterziehung«
heute mit in dem Mittelpunkte des Interesses. Aber die Frage, wie dieser
üntemoht am beateo erteilt werde, ist trots des Tages in Draadeii noek
nicht geltet
Im Freistadter Programm vom Jahre 1903 war Falb recht lobhaft
dafür eingetreten, daß der akademisch gebildete Zeichenlehrer diesen Unter-
richt an jedem Gymnasium erteilen solle. Aber dieser Plan wiixl sich
vorläufig nur in recht seltenen Fällen verwirklichen lassen, denn die
»duruii und durch künstlerisch gebildeten Männer« sind eben nicht zahl-
reich« Aber Falbreoht hatte doch auch xngelaseeii, »dafi die Niohi-
kUnsÜtt des LehrerkoUegiams alle Mitarbeiter aein konnten« ; nur d«r ab-
SChlieBende Unterricht, der in Übereinstimmung mit meinen Erörterungen,
Lehrproben Heft 38, S. 90, methodisch erteilt werden soll, müsse dem
Zeichenlehrer zugewiesen werden. In Freistadt scheint ja nun auch wirk-
lich ein Zeichenlehrer zu sein, Franz Sommer, der dieser Aufgabe ge-
wachsen ist. Im Programm von 1903 war kurz angegeben, wie dieser
in zehn Stunden die herrorragendsten HeiBterwerke der griechischen Plastik
darcbgenoBunen hat. Das diesjfthrige Programm enthAlt in grOBerer Ans-
fOhriiohkeit eine Anzahl seiner 15 Vorträge über die Architektur, und
zwar von den Uranfängen bis auf die Gegenwart. Fast jeder Vortrag
umfaßt soviel StolT, duß die Befürchtung nahe liegt, die Zuhörer hab^
sich ins Einzelne nicht genügend vertiefen können, es sei denn, daß sie
aus dem vorbereitenden Unterrichte schon sehr viele Anschauungen mit-
brachten. — Aber hier mnfi die Erfahrung entscheidea. ledenfalls ist es dankens-
vert, Venn von kundiger Seite solche Proben vorgelegt werden. Yoraus-
geschickt ist diesen Vorträgen eine kune Abhandlung von Falb reo h^
aus der wir erfahren, daß der zusammenfassende Unteriicht am dortigen
Gymnasium auf drei Jahre verteilt ist. Anmutend ist der vom Verfasser
gemachte Vorschlag, daß mit den Lehrer vortragen solche von Sciiiilern in
Verbindung gebracht werden sollen, die das im Laufe des vorbereiten de u
Unterrichts auf jedem Gebiete Qekmte ansammenstaUen sollen. Für diesen
Torbereitenden Knnstnnterrioht scheint an der dortigen Schule seitens aller
Lehrer vid au gesishehen. Daa -wird sich nicht überall erreichen laaaan.
Oldenburg i. Gr. Bud. Menge
Lemke, Lehrer und Organist, Universität und Volksschullohrer.
(Päd. Abh. V. Bartholomäus IX, Heft 4.) Bielefeld, iieluuch. 17 S.
40 Pf.
Das Schfiftchen verficht die Forderang« dafi kfinftig jeder Yolka-
Bchullehrer seine Ausbildung auf der Universität zum Abschluß bringoi
solle. Wie radikal es zu Werke geht, zeigt u. a. folgender Satz: »Inner-
halb der philosophischen Fakultät müssen die Lehrerstudenten keine t)e-
sondere viruppe bilden, sondern sie müssen die volle Lehrbefähigung als
vollberechtigte und -befähigte Lehrer für alle Arten höherer Schulen
▼or der wissenschaftlichen Prfifnngakommission erwerben dflrfen.« Es
scheint dem VerEuser sonach selbstverstAndlicb au sem, dafi trotz des von
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II PUagogisohM
89
ihm anerkannten Mankos in fremden Sprachen jeder Seminarist jede
Wissenschaft der philosophischen Fakultät bozw. alles, worin z. Zt. Ober-
lehrerbe fähigunpen erworben werden, zu studieren verm 'li^o. Wenn der Ver-
fasser jenen Mangel durch die vorhandene Ausbildung in Pädagogik,
Ffeiychologie and Logik als »reichlich aufgewogen« aneieht^ so sind darüber
die Herren üniTersititprofessoreD leider anderer Heinung. Man kOnnte
aus diesem Anfsats einen ganzen BlütenstranA von Unklarheiten und
Widersprüchen zusammenbinden, der von den grundsätzlichen Gegnern
der Sache mit dankbarer Freude entgegengenommen würde. Nicht bloß
über die von ihm selbst erhobenen Einwände, daß bei künftiger akade-
mischer Ausbildung der Lehrer ihre künstlerische Erziehung die Zeche
beuUen müsse und daß der Lehreretand nur ans dem Abfiül der besser
sitoierten Kreise Zawaobs erhalten werden sondern insbesondere auch über
die finanxielle Seite der Frage schreitet der Verfasser kühn hinweg, Kun^
die vorliegende Abhandlung liefert lediglieh den Beweis, daß der Bsdikalis-
mufi das m Frage stehende Problem nicht zu lösen vermag.
Braonsohweig Qt. Hecke
Yeigt, "Prot Kfinigl. Provinzial-Soholrat in Berlin, Die Bedeutung der
Herbartsohen Pädagogik in der Yolkssohnle. H. Aufl. Leipzig,
Vorlag der Dürr sehen Buchhandlung, 1901. 92 8. 1,20 M.
Ihis Neue und in höchstem Maße Anerkennenswerte und Erfreuliche
des Schriftchens liegt darin, daß ein Kflnigl. Preuß. Schulrat einmal mutig
aus der Reserve hervortritt und ohne Rücksicht auf die Staatsjnldagogik,
die er amtlich zu vertri>ton hat, frei über die Herbart-Ziller sehe Pädagogik
urteilt Im Übrigen bringt Voigt bekannte Gedanken, teils zustimmender,
teils abweisender Art Er beleuchtet sie aber vielfach von neuen Gesichts*
punkten aus so frisch, klar und übersichtlich zusammenfassend, dafi sein
Schriftchen durchweg interessant und belehrend wirkt.
Voigt nimmt Stellung zum Ziel und zu den droi Grundideen der
Herbart - Zillerschen Pädagogik, zur Idee der Fornialstufen, der kultur-
historischen Stufen und der Konzentration. Außerdem spricht er vom Be-
griff des Tielseitigen Interesse als der Brücke, die zum Ziele, führt und
auch einen kurzen Exkurs über Herbartsche Psychologie bat er dem
Scihriftchen eingefügt.
Der Scliwerpunkt dos Schriftchens liegt in den Ausführungen i\ber
das Erziehungsziel, die Formalstufentheorie und den Begriff des Interesse.
Hierbei kommt Voigt zu vollständig übereinstimmenden Resultaten mit
der Herbart-Zilier sehen Pädagogik. Folgende Sätze, die in dem Schriftchen
herausgearbeitet werden, mOgen die Übereinstimmung beleuchten.
L Ziel 1. £s ist einheitlich und gibt den letzten Zweck alles
Unterrichts und aller Erziehung an. Es ist damit ein Prinzip gewonnen,
das ebenso tief und umfassend als fruchtbar ist. Es ist damit der Schul-
arbeit Weihe und Würde gewahrt. — 2. Der Vorwurf, das Ziel sei
nur formal, ist nicht stichhaltig; denn das Sittliche kann seiner Natur
nach nur als Bestimmtes gedacht werden. — 3. Desgleichen ist der Vor-
wurf nicht berechtigt das Sittliohe als einzigen Dntemchtssweok su be>
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90
BesprechaDgan
trachten, sei einseitige Oberspannung; denn stellte man noch andere
Zwecke in das Ziel ein, so könnte das nur dann geschehen, wenn es
sich darum handelte, relative Werte miteinander zu vergleichen. Zu diesen
Werten gehört aber das Sittliche nicht. Mit dem Begriff der Sittlichkeit
ist €6 gegeben, dafi sie kein Ziel neben andern sein kann. Entweder ist
sie Oberhaupt kein Ziel, oder es gibt kein anderes neben ihr. — 4. Grund-
los ist endlich der Vorwurf, durch das Ziel werde das religiöse Moment
mehr oder weniger beeinträchtigt; denn a) Horbart fordert, daß der Ge-
danke Gottes als das Älteste und Erste den Hintergrund der Erinnerung
fülle, b) Es steht fest, daß die Sittlichkeit, zu der erzogen werden soll,
bei Herbart als leligiOs begrOndet gedacht wird, c) Mau kann unter
keinen Umstftnden nachweisen, dafi Herbarts Ideenlehre den Versuch be-
seiofane, eine Sittliohkelt zu begründen, die nicht vom Geiste des Christen-
tums getragen wäre. Herbart gibt die durch den Eudämonismus auf-
gehobene Würde des Sittlichen dem Sittlichen wieder zurück. In seiner
Sittenlehre ist die absolute Geltung und verpflichtende Kraft des Sittlichen
nachgewiesen, und damit wird die Herbartsche Ethik dem christlichen
Oedankenkreiae eingereiht
n Interesse: Das vielseitige, gleidhsehwebende Interesse kann mit
Rücksicht auf die freie Entscheidung für das Gute a) die Voraussetzungen
schaffen, b) die Grenzen festlegen, c) den Boden der Betätigung sichern.
Die Herbartsche Pädagogik ist daher berechtigt, dem Interesse die ent-
selieidende Stellung zuzuerkennen und vom Unterrichte als das Erste und
Wichtigste zu fordern, daß gerade dieses Interesse durch ihn begründet
werde.
m Formalstnfen: Znr Wecknng des Interasse bedarf der Ünter-
tidit 1. Wechsel zwischen Vertiefung und Besinnung. 3. Kräftige An-
regung zur apperzipierenden Tätigkeit. 3. Erzeugung zusammenhängender
milchtiger Vorstcllunii^sgebilde. Die Herbartsche Pädagogik hat aus diesen
drei Elementen die Theorie der Formalstufen geschaffen, die nichts anderCB
ist, als die genaue Einordnung dieser Elemente in das Ganze des Unter-
riobtsbetriebsB und die deshalb in unanfenhtharer Weise den Weg be-
schreibt, auf dem das Interesse gebildet und die YerwiiUiehung des
letzten ünterrichtszweckes ermöglicht wird.
Neben den Übereinstimmungen fehlt es auch nicht an kleinem Diffe-
renzen. Solche bestehen z. B. hinsichtlich der Glioderiing der ünterrichts-
stoffo und der ümwendung der Lchrformen. Voigt gliedert in geschicht-
liche, begriffliche und technische Steife. Das ist logisch falsch
und steht su der anerkanntsn Stoffbehandlung nach den Fennalstufen io
Widerspruch. Begriffliches Material muß jede »methodische Ebheitc ent-
halten, wenn sie als solche gelini solL Den B^priff der methodischen
Einheit faßt Voigt nicht scharf genug, sonst könnte er nicht so gliedern.
Vor allem könnte er dann auch nicht die Anschauung haben, daß bei den
begnfiiichon Stoffen (Mathematik) die Selbsttätigkeit der Schüler schon auf
der Darbietungsätufe in Anspruch zu nehmen sei, während bei den ge-
sohichtlichen StoiMi, die freie Mitarbeit der Sohlllar erst bei der Yer-
tifl&ug hinnen liBnnte. Bine merkwflcdige und entschieden fdaofae
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n FldagogiaoliM
91
Ansicht, um so merkwürdiger, da doch Yoigt das Woeeii des darstellend-
entwickelnden Lehrverfahrens kennt und schätzt. Ganz ablehnend
verhalt sich Yoigt zu den Ideen der Konzentration und der kulturhisto-
rischen Stufen. Seine Ausführungen hierüber sind aber nicht wio früher
beweisführeud , sondern nur aphoristisch gehalten. Sie umidi>^n nur
10 Seiten, enfbaltan aiehts Poaitives, und was sar Kritik der beiden Ideen
gesagt wird, bernht entweder auf falscher Aafbasnng, oder kann nur auf
alte Ansichten bezogen werden, die längst aufgegeben oder modifiziert
worden sind. Ein Moment der Wahrheit «Ditb< die Konxentrationsidee
nach Voigt auch. Welches? das wird nicht gesagt.
Eingewendet wird, daß 1. nicht aller Unterricht unmittelbar den
Willen auf das Oute richten könne, 2. daß nicht jede Unterrichtseinheit
die Gesamtheit der Interessen in Bewegung setzen könne, S. dafi nicht
blofi ein Eonaentntionsmittelpunkt angenommen werden dürfe. Dazu muß
bemerkt werden, daß die Eerbart-Zillersche Pädagogik die gerügten Mängel
nicht oder doch nicht mehr aufzuweisen hat; denn adl. der unmittel-
baren Beeinilussung des Willen.s auf das Gute dienen hauptsächlich die
Üaßnahuicn der »Zucht«. Vom Unterricht wird vorwiegend nur mittelbare
Wirkung auf die Charakterbildung erstrebt, ad 2. Wem kann es einfallen,
▼on jeder ünterrichtseinheit Pflege der Qesamtheit der Interessen au er-
warten? Diese Erwartung kntlpft sicii an die Gesamtheit vom Unterricht,
da allerdings im Sinne der gesunden Innern Konzentration, ad 3. Wir
konzentrieren schon lange nach mehreren Mittelpunkten.
Zu den Einwänden gegen die Idee der kulturhistorischen Stufen sei
kurz bemerkt: 1. Der Parallelismus zwischen Gesamt- und Einzelentwick-
luDg ist nicht eine bloß imbewiesene Annahme, Zu den drei Eutwick-
lungsstafen, die von Voigt in den ErUuterungen zum 16. Jahrbuch des
Vereins fflr wissensehafttiohe Pädagogik gegeben worden sind, kommt man
auch von naturwissenschaftlicher Seite aus immer mehr. (Vergl. auch
den Vortrag von Dr. Hart auf dem W. Kunsterziehungstage. — 2. Oar
nicht wird beachtet, daß die kulturhistorischen Stufen in der Hauptsache
ein Hilfsprinzip zur StolTauswahl sind, das bisher ungemein wertvolle
psychologische Dienste geleistet hat und Toraussichtlich noch mehr in
dieser Hinsicht leisten wird. — 3. Es wird flberaeheni dafi die Idee für
die Volksschule auf [den nationalen Rahmen besogen werden mufi. —
4. Das Kind wunelt im gegenwärtigen Kulturleben nicht so tief und festi
um es von hier aiis in fremde Verhältnisse einer entlegenen Vergangen-
heit einführen zu können. Die Erfahrung lehrt unwiderleglich die Biohtig-
keit des umgekehrten Weges.
Mit der am Eingang hervorgehobenen Empfehlung sei die Besprechung
geeohloesen.
Jena H. Landmann
Mrlig^ Udwig, Die Anf Ange der deutschen Jugendliteratur im
18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Jugmid-
literatur. Nürnberg, Friedrich Korn. Preis brosch. 1,50 M.
Jeder Zweien am Baum dos tleutpchen fleisteslebons ist etwas Ge-
wordenes, jeder hat eine Entwicklung hinter sich und iniolgedesson seine
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I
92 Bespreohongen
eigene Geschichte. Bei den verechiedonen Disziplinen unserer pädago-
gischen Wissenschaft ist es naturgemäß nicht anders und der Chronisten,
die sich fOr dieses oder jenes Gebiet gefanden haben, sind gar viele. Die
Geschichte der deutschen Jagendlitemtnr hat jedoch bis znr Stunde noch
keinw geschrieben. Wir meinen eine wirUidie »Ctoscfaiohte«, nicht nur
einen kurzen Durchblick oder einen Auszug, sondern eine nmfusende Dar-
steliunt; all der vergeh iedenartif^en Erscheinungen, die sich deutsche Jugend-
schriften nannten, und zugleich der mannigfachen Momente, welche das
Neue bedingten. Und doch w&re uns eine Geschichte gerade diesee
Wissenssweiges zur Zeit dringend nfltig. Speziell fttr den Pädagogen ist
eine grOndlidie Kenntnis der deutschen Jugendliteratur, wenn wir das
Augenmerk auf die praktische Vorwertbarkeit des Materials richten, so
wichtig, wenn nicht wiclitiger, als die Einführung in unsre große deutsche
Literatur. Die Hauptursache, warum wir noch keine eigentliche Geschichte
der deutschen Jugenüliterdtur besitzen, ist in der großen Schwierigkeit zu
erblicken, welche die Verabfassung einer derartigen Gesdiiohte mit sich
bringt Der UmÜuig des Stoffes ist enorm; die alten Quellen sind schwer
lugflnglich. Zudem ist erforderlich, daß der event Verfasser eine Art
Doppclbildung besitzt; denn unsere deutsche Jugendliteratur ist ein Stück
Literatur und ein Stück Pädagogik zugloich; wer ihre Geschichte schreiben
will, muß in beiden Fächern gründlich beschlagen sein, um die Beziehungen
herauszuspüren, welche allein eine befriedigende Erklärung der jeweiligen
Entwicklung abgeben können.
»Die Anfinge der deutaofaen Jugendliterstnr im 18. Jahrhunderte ist
ein Werk, das all diesen Anforderungen Genfige leistet und das wir des-
halb freudigst begrüßen. Freilich sind es erst »die AnfSnge«, also gleich-
sam der erste 140 Seiten starke Band, dem die andern noch zu folgen
haben. Aber schon diese »Anfange« zeigen uns, mit welchem Püesenfloiß
der Verfasser gesucht und geforscht, mit welchem Geschick er gesichtet
hat GG bring gibt zudem keine trockenen Aufzählungen; er bemüht sich, jede
literaiisohe Erscheinung »aus dem gesamten Geistesleben ihrer Zeit herana
an wklfir^«. Dss liest sich wie eine Sammlung geistreicher Essays fiber
deutsche Kultur, als deren sprechender Ausdruck uns die pädagogisch-
literarischon Erzeugnisse der einzelnen Epochen erscheinen. Die zehn
Kapitel um tasten außer den »ersten Anfängen« auch die Fortentwicklung
der Jugendliteratur unter den Philanthropen und die Jugendliteratur im
Aufkl&iungszcitalter. Als Anbang sind ausgefQhrte Skizzen Ober »Wilhelm
Hey, Hoffimann yon lUlersteben und Friedrich Gflll« beigegeben, Bio-
graphien, die fOr den, der zwischen den ZeÜoi zu lesen versteht, eine
Art Ȁsthetik der Einderlynk enthalten. Die vielen beigedruckten Bei-
spiele ermöglichen auch für den wmiiger Bewanderten ein volles Ver-
St&ndnis.
Wenn wir zum Schlüsse einen Wunsch hegen, dann ist es der,
QOhring möge das im Vorwort gegebene Versprechen halten und uns
im Laufe der Jahre die »Geschichte der deutschen Jugendliteratur« bringen,
zu der die vorliegenden »Anfftngec in der Tat einen Torzfiglichen Anfang
bedeuten. Damit dies m({gUoh werde, wflnsohen wir dem hilligen Werkchea
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II Fädagogisches
93
eine weite Verbreitung innerhalb der deutschen Lehrerschaft; denn jeder
Lehrer, der sich ernsthaft mit deutscher Jugcndlitei-atur befaßt, wird in
Zukunft nicht nur seinen Wolgast, sondern auch seinen Göhring go-
ieeen haben mflasem, will er ernsthaft mitreden kSnnen. Wir verkennen
nicht die GrGfie der Arbdt, vir wissen, dafi es eine Lebensau^be be-
deutet, ein derartiges Werk fertig zu stellen; aber der sie erfüllt, darf
Bicher sein, dafi er damit seiner Zeit etwas Bleibendes hinterläßt.
lianchen Ernst Weber
Landsherg, Dr., SchaeU, Dr., u. MmAi, Dr., »Natur und Schule, Zeit-
schrift fflr den gesamten naturkundlichen Unterricht aller
Schulen.€ Leipsig n. Berlin, B. G. Tenbner.
Vor uns liegt der vollendete 2. Jahrgang von »Natur und Schule«,
einer Zeitschrift, an der Schulmänner und Forscher eifrig mitarbeiten, und
an deren Verbreitung beide das gleiche Interesse haben. Sie ist eine
Zentrale, welche die neuesten Erscheinungen auf dem Gebiete der Didaktik,
der Geschichte des naturkundlichen Unterrichtes und der wichtigeren Ent-
deckungen und Erfindungen den Lehrern der Naturwissenschaften sller
Schulen rasch und auf verstflodliche Welse snginglich nraohen solL Die
2ieit8chrift kommt allen berechtigten Ansprüchen vortrefilich entgegen.
Die größeren Aufsätze verbreiten sich über die Fortbildung der Methode,
über Lehrplan fragen , die Wechselbeziehungen zwischen Philosophie und
Naturwissenschaft, Museen, Exivursionen, Schulgarten, Entwicklungslehre
im Unterricht, Berlloksichtigung der Geologie, der Meteorologie, der
Fflanfengeographie usw. Die Abhandlungen wissenschaftlichen Inhaltes sind
den Bedürfnissen des Sohulnnterrichtes angepaßt. Erwähnt seien hier nur
die Artikel Ober wilde und z^une Binder der Yorzeit, über den Begriff
der Art , Reize und StofFleitungen bei Pflanzen , tiefe Temperaturen,
Becquerelstralüen , Fortschritte der Chemie. Es kommen Freunde und
Gegner der Theorien zu Wort.
Audi die kleineren Beiträge bringen viel des Interesssnten und Bxauoh-
bsien. Wir nennen die »Ueinen Scäulversuche^ wdche die Experimente
auf ihre einfachste und Idurreiohsto Form bringen wollen ; die »Lehrmittel-
sehan«, welche einerseits geeignete Anschauungsmittel in Vorschlag bringt
und Bezugsquellen nennt, andrerseits Anleitung zur Selbstanfertigung der-
selben gibt. Die Rubriken »Selbstbeobachtetes«, »Irrtümer und Stroit-
fragen« und der »Sprechsaal« regen zu Naturstudien und Meinungsaustausch
an. Dssn kommen Besprechungen, Versammlungsbeiifihte, eine Progiamm-
und Bflchersohau, die aus der groflen Fülle des Materials das fflr die
Schule Bedeutsamste herausheben.
»Natur und Schule? verdient, den Fachlehrern, den Lehrern
der Pädagogik und Methodik, pädagogischen Lesesirkein, Vereinen und
Bibliotheken bestens empfohlen zu werden!
Hiidburghausen 0. Pfannstiel
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Aus der philosoph
Archiv fOr systematische Philo-
sophie. 1904.
Jonas Cohn, Psychologische oder kriti-
sche Begründung der Ästhetik? — Vin-
cenzo Allara, Sulla quistione del Genio.
— D. Adolf Müller, Die Eigenart des
religiösen Lebens und seiner Gewißheit
— Jahresbericht über sämtliche Erschei-
nungen auf dem Gebiete der systemati-
schen Philosophie. — C. Bos, La Philo-
sophie franvaiae 1902. — 0. E. Moore,
Jahresbericht über »Philosphy of the
United Kingdom for 1902«. — Die neuesten
Erscheinungen auf dem Gebiete der systo-
inatischen Philosophie. — Zeitschriften.
— Eingegangene Bücher.
Beiträge zur Psychologie der Aus-
sage (Mit besonderer Berücksichtigung
von Problemen der Rechtspflege, Päda-
gogik , Psychiatrie und Geschichts-
forschung. Herausgeg. von L. William
Stern. 4. Heft. Mit 2 Einschaltbildern
und vielen Textfiguren. 1904.
Abhandlungen: Hans Schneickert, Die
Zeugenvernehmung im Lichte der Straf-
prozeßreform. — L. W. Weber, Ein
experimenteller Beitrag zur Psychologie
der Zeugenaussagen. — C. Minnemann,
Aussagevorsuche. — Eigenbericht: H.
Schneickert, Zur Psychologie der Zeugen-
aussagen. — Mitteilungen: Bericht des
ischen Fachpresse
Herrn Rechtsanwalt X. — Das Anssage-
problem auf dem Kongreß für experim.
Psychologie. — Namenregister zur ersten
Folge.
Mind A Quarterly Review of Psycho»
logy and Philosophy. Edited by
Dr. G. F. Stout New Series. No. 51.
July 1904.
F. H. Bradley, On Truth and Practice.
— B. Russell, Meinongs Theory of Com-
plexes and Assumptions (II.). — Prof.
J. S. Mackenzie, The Infinite and the Perfect
— H. G. Wells, Scepticism of the In.stru-
ment — T. M. Forsyth, The Conception
of Experience in its Relation ot the Deve-
lopment of English Philosophy. — Critical
Noticos. — New Bocks. — Philosophical
Periodicals. — Correspondence.
Revue de M^taphysique et de Mo-
rale. (,M. X. Leon.) 12e annoe, No. 4.
Juillet 1904.
G. Lanson, L'histoire littcrcure et la
sociologie. — Ch. Rist, ix:onomie opti-
miste et Economic scientifique. — L.
Couturat, Les principes des math^mati-
ques. — ly. Le continu. — ^^des criti-
ques : A. Rey, La philosophie scientifique
de M. Duhem. — Enseignement: L. Weber,
La question de TEcolo Polytechnique. —
Supplement: Livres nouveaux. — Revues
et Periodiques. — Varietds. — 2e Con-
Digitized by Google
Fachpresse
95
gfiß international do phiJosophie. —
2e list» de Boiuoription n moaiunent
Benonvier.
Bölcscleti Folyöirat Szerkeszti es
kiadjft Dr. Ei98 J<no6. U.Fazet 1904.
I. l^brtekezesek : Dr. Rott N&ndor,
Darwinizmus ez kifejlödis. — Dr. Gieß-
wein Silnd'T, Mit tartsunk a spiritis-
xtikas jelensögek objectiv vaiödisjigarol.
» Xomärik Istvän S. I., Az idö 6z
u drtttkevBlMg. — Schflts Antsl, Az
ertebni ismeretek eredet^nek föbb elm^-
lateL — II. B<3l( se!et;i niozpilmak, Tegyo-
nki — HL Irodalmi ^rtasito.
Conaiers Jahrbuch fOr Philosophie
und spekttlmtive Theologie. XVIIL
4. Heft
Der theologische Glaube und seine
nafcoiüchen VonniBsetsaiigeiL Ton Fkklat
Dr. Michael Glofiner in Mftndieii. — Zur
Lehre des hl. Thomas von "Wesenheit
and Sein, f Bemerkungen zu S. Thoin.:
In lib. Boethii De Hcbd. leet. 2. [al. 1]).
Ton Dr. Franz 2igon, Professor aiu b.
KlerikilBamiiiar In OSxs. — Das Weiden
im Snne der Sdiolastik. Ton P. Fr.
Gundisalv Feldaw» Mag. Theo!., Ord.
Praed. in Wien. — Die Stolle Gen. II.
7 und die Deszendenztheorie. Von Dr.
Engen Bolfes, Pfarrer in Dottendorf bei
Bonn. — De Oonoordia HoUnae. (Seqnitnr.)
Scripsit Fr. Norbertus del Prado Ord.
Pra»^l. . Professor üniversitatis Litor.,
Friburgi Il'^lvet. — Literarische Be-
sprechuuf^Lii.
XIX. 1.
Dokumente. Drei Breven Piu.s' X. —
Aus Theologie und i'hüo:>ophie. (L. Jans-
aens. Seite. Iiqnieido. Desaoir o. Menaer.
Llohtaeokert.) Von PriUat Dr. Ifichael
Gloßner in München. — Die natürliche
Erkenntnis der Seligen nach S. Thomas
von Aquin. Von P. Fr. Gundisalv Feidner,
Magister S. Th., Ord. Praed. in Wien. —
Zur Lehre des hl. Thomas von Wesen^
hflit und Bein. (B«nerknngen an 8.
Ihom.: In lib. Boethü De Uebd. Ic t 2
[al. 1]). Fortsetzung von Bd. XVIll
S. 3'M\. Von Dr. Franz Zigon, Professor
am Klerikalseminar in Gorz. — De Coq-
cordia Molinae. (Sequitur, vol. XVH
p. 301. 476. XVm p. 83. 284. 464.)
Scripsit Fr. Norbertus del Prado Ord.
Praed., Professor Üniversitatis Täter. Fri-
burgi üelvet — Literansohe Besprechun-
gen.
Die Kinderfehler. Zeitsckrift für
Einderforschung mit besonderer Be»
rftckaichtignng der pidagogischen Patho-
logie. Herausgegeben von J. Trüper,
Direktor des Erziphnngsheimes und
Kindersanatoriums auf der Sophienhöhe
bd Jena md Cbr. Ufer, Rektor der
lOdehenmittelschnleui Elberfeld. IX, 6.
A. Abhandlungen : D. Hieronymus,
Vererbung and erbliche Belastung in
ihrer Bedeutung für Jugend- und Volks-
erziehung. — Medizinalrat Dr. Engelhom,
Welohe Bedentnng fär die Sdiulhygien»
hat die Psychologie und Psydiopathologie
der Entwicklungsjahrt"? — B. Mitteilun-
gen: Dr. Paul liiinsohburg, Der gegen-
wärtige Stand der Heilpüdagogik in l'ngam.
Dr. med. Hennann, Srsiehung und
Kxankheit — Fiiedr. Xenl. Tom Kinde
in der Kunst — H. Dörreich, Ein Fall
von motori-scher Aphasie. — Frau Ileuny
Bock-Neumann, Kinderlaunen. — Über
BettnSaaen. — Das nmische Kind. — An
die Vereinigungen ffir Kinderpsyohologie
und Heil Pädagogik und Freunde dieser
Wisseuschafton. — C. Ijteratur: »Schutz
für Geistossch wache«. Von J. Trüper. —
Dr. C. Gutberiet, Der Kampf um die
Sede. Ton Ufer. — Dr. W. Ament,
FortBohiitte der Kinderaeelenkunde 1895
bis 1903. Von Ufer. — Th. Ribot, Psy-
chologie der Gefühle. Von Ufer. — Karl
Kroiß, Zur Methodik des Uörunterrichts.
Von 0. Danger.
96
Neu eingegangene Bücher und Zeitschrilten
Neu eingegangene Bücher und Zeitsohiiften
B. Bnrokhardt, Über antike Biologie.
Vortrag. Aann, Smeriliuier, 1904.
18 S.
Ders., Biologie der Griechen. Frani-
fait a/M., Knauer, 1904. 26 8.
Ap«l, loMinid Kant, ein BUd seines
Lebens und Denkens. Beilin, Mr^pnft,
1904. 102 8.
Brauer, Die Beziehungen zwischen Kants
Ethik und seiner Pädagogik. Leipzig,
WnndorHoli, 1904. 35 &
Goldschtnidt, Kant über Freiheit Un-
sterblichkeit, Gott Gotha, ThieiMimann,
19(.)4. 39 S.
Bibot, Psyohol(^e der Gefühle. Deutsch
m üto. Altsnburg, Bonde, 1903.
548 8.
M. Paul, Für Herz und Gemüt der
Kleinen. 56 biblische Geschichten für
die ersten 4 Schuljahre in erzählend
dantellender Form an! Grand Wundt-
seher Fsyohologie. Le^piig. Wunder-
lich. 1904. 206 S.
"W. Bittorf, Methode des evangelischen
KtdigioDsunterrichts in der Volksschule.
Ebenda 1904. 176 8.
8. Bang, Zur Belonn des Xateebismus-
nntsxfiolits. Ebenda 1904. 76 &
A. Eowalewski, Stadien snr Fbycho-
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Die Ansfolgernng nnd Ansdentnng allgemeiner Urteile
mit positivem Subjekte nnd Prädikate durch Definition
nnd Einteilung dieser Glieder
Von
Ignaz Pokorny
THnlailning
Es ist wohl wahr, daß manche Begriffe sich nicht definieren
und manche sich nicht einteilen lassen, doch bleibt die Zahl der
definierbaren und einteilbaren trotzdem so ^oß, daß die Angabe des
Inhalts und die des Urafangs eines Begriffes in der Darstellung und
Anwendung der Denklehre und der Wissenschaft überhaupt eine be-
deutende Rolle spielt
Ebendarum aber dürfte es kaum überflüssig sein, in einer be-
sondern Abhandlung zu erörtern, wie jedes allgemeine (d. h. nicht
partikuläre) Urteil mit positivem Subjekte und Prädikate durch die
Definition und Einteilung dieser Glieder eine eigentümliche und für
gewisse wissenschaftliche Zwecke förderliche Umgestaltung erfährt.
So ein Urteil (welches wir der Kürze halber zunächst nur mit U be-
zeichnen wollen) wird nämlich, wenn man für sein Vorder- oder
Hinterglied dessen Inhalts- oder Urafangsangabe einstellt, verwandelt:
entweder 1. in eine Ausfolgerung des d. h. in eine mit U
gleichgeltonde Vereinung (Konjunktion) von Urteilen, die zu U unter-
geordnet (notwendige Folgen) und untereinander bloß verträglich sind,
oder 2. in eine Ausdeutung des C7, d. h. in eine mit U gleich-
geltende Wahl (Disjunktion) von untereinander unverträglichen Urteilen,
von denen eines dem U übergeordnet ist
ZeiUchrin für Fhilosophio ani PUdsKOgik. 12. Jahigsng. 7
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98
Die hier eingeführten Ausdrücke Äusfolgenmg and Ausdeutung
können vielleicht durch andere bessere Benennungen ersetzt werden,
die Bildung und den Gebrauch dieser oder gleichbedeutender Wörter
hält aber der Verfasser für unentbehrlich, wenn die durch eie be-
zeichneten Umwandlungen gegebener Urteile erklärt und ihre An-
Wendungen besprochen werden sollen.
Dabei wird der Folgerichtigkeit halber das am meisten gebräuch-
liche Verbindungswort für die Glieder einer Veroinung von Urteilen,
nämlich imd^ und dasjenig'o, weldies gewöhnlich die Glieder einer
Wahl von Urteilen verbindet, nämlich oder^ auch bei Vereinungen,
bezw. Wahlen von Begriffen angewendet werden, und zwar anch^
wenn sie im Vordergliede eines Urteils stehen, dann jedoch nur mit
der zur Wahrung des Sinnes notwendigen Umschreibung: Was {iffer)
A und B ist^ bezw.: Was {ircr) A oder B istJ)
Demgemäß hat auch, wenn eine Definition durch: B = G und I)
ausgedrückt wird, dieser Satz die Bedeutung: B ist G und I)^ und
was G u}id I) ist, ist B. Ebenso ist, wenn eine Einteilung; durch:
B ==■ BDi oder BD^ ausgedrückt wird, damit der Gedanke aus-
gesprochen: B ist BDy oder BD^, und was BDi oder BD^ ist, ist B.
A. Bildung der Ausfolgerungen.
Zu einem gegebenen allgemeinen Urteil mit positivem Subjekte
und Prädikate {S ist P) bildet man eine Ausfolgerung:
entweder T. nur definierend, indem man für P eine gültige
d. Ii. gewiß richtige Angabe seines Inhalts (/^ utid il,) einstellt, so
daß da.s Ergebnis lautet: 5 ist JI^ und
oder II. nur einteilend, indem man füs 5 eine gültige An-
gabe seines Umfangs {SD^ oder SD^) einsetzt, so daß sich ergibt:
Was Sr\ oder SD^ isi^ ist P\ gewöhnlich ausgedrückt: SD^ und
SD^ sind P\
oder III. definierend und einteilend, indem man für P
eine gültige Inhalts- und für .S* eine gültige Umfangsangabe einstellt.
Man erhält dann : Was SD^ oder SD^ ist^ ist 11^ und il^, gewöhnlich
ausgedrückt: SD^ und SD^ si7id 11^ und Hj.
Daß das so gewonnene Ergebnis gewiß eine Ansfolgerung des
gegebenen Urteils ist, erhellt aus folgender Erwägung:
t. ist es eine angezeigte Verein ung von Urteilen, da es mit
einer ausgefOhiten UztailiTereinung gleichgeltend ist und swar:
') Ohne diese Umschreibunt; ist nämlich: A und B sind C der gewöhnliche
▲asdniok fiii: Ä ist C und B tat C und der Satz: A oder B ist C der gewöhnliche
Audnok miAiatO odbr B «M C.
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PoKOBirr: Die Aosfolgenmg und AusUeutung allgemeiner Urteile usw. 9ft
bei I mit: 'S ist
wid S ist TL, :
bei II mit: SD^ ist' P
und SD^ ist P;
bei in mit: SD^ ist il,
{und) SDi ist 11^
{und) SIK ist
und SJj't ist II,.
2. ist jedes Glied dieser ausgeführten Urteilsveremong dem
gegebenen Urteil untergeordnet, da es mit diesem immer mift-
gültig ist) w&hrend das umgekehrte nicht stattfindet
3. sind die Glieder der Urteilsvereinmng untereinander bloß
▼erträglich, weil sie entweder demselben Begriffe Prädikate bei-
legen, die als Glieder einer gültigen Inhaltsangabe untereinander bloß
▼Qlträglich sind (so bei: S ist 11^ und: S ist II,, bei: SDi ist fl^ und:
SD^ ist n,, bei: SD^ üt und: SD^ ist U^) oder mit Begnifen,
die als Glieder einer regelmäßigen Einteilung untereinander unver-
träglich sind, ein und dasselbe Prädikat verbinden (so bei: SD^ ist P
und: Sn^ ist P, bei: SDi tat Iii bei: 8Di ist JI^
mid: 8J>^ ist J%).
4. ist die ganze Urteilsvereinniig eine ▼ollständige (er-
schöpfende) Angabe^) der Folgen des gegebenen Urteils oder, was
dasselbe ist, mit dem gegebenen Urteil gleicbgeltend, demi
sie ist der Schlußsatz eines gültigen Schlusses aus dem gegebenen
Urteil und einer gültigen Gleichong und hei jedem gültigen Schlüsse
ist der Schlußsatz mit einem seiner Vordersätse (einer Prämisse)
gleichgeltend, wenn die übrigen gültige Gleichongen sind. Der Schluß
lantet nämlioh:
bei l : 8i8t P
P ^ und
8 ist Iii und 1^;
bei II: iS2>| oder 8D^ -= 8
8üt P
Was SDi oder SD-^ i^t, ist P;
bei m: SD^ oder SD^ = 8
8ist P
P ^ und
Hkae 8Di oder SD, ist, ist und
*) Dies soll daB am* in Amfoigenmjf bewiohnen.
7«
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100
Aufsätze
Zasatz. Die Ausfolgenmg ist wohl mit dem gegebenen Urteil
gleiofagdtend, d. h. sie ist mit diesem und dieses auch mit ihr immer
milgflltig, doch wäre es ToreiÜg, sie selbst (^a wie die zu ihrer
Bildung verwendete Definition oder EinteQnng) fär eine Gleichung
zu halten. Dies zu veibQigen, reichen die voiliegenden Schlüsse,
bei denen von zwei Vordersätzen nur einer oder Ton dreien nur
zwei gewiß eine Gleichung sind, nicht aus, dazu wäre yielmehr er-
forderlich, daß jeder der Yordersätze, also auch das g^ebene Urteil,
eine Gleichung wäre, während es nach unserer Voraussetzung nur
ein allgemeines Urteil ist
Beispiele von Ausfolgerungen:
I. durch eine Definition.
So verwandelt sich das gegebene Urteil: Daa Quadrat ist ein
regelniäfsiges Vieleck in die Ausfolp^ernnp:: Das Qtiadrat ist ein
gleichseitiges gteichwinkUges Videek; desgleichen der Satz: Die Be-
griffe *einfach<t wid ^xvsammengesetxt* sind xtteinander korUrü'
düUorisch in das Urteil: Die Begriffe * einfach* und ^xusammen-
ge,setxt€ sind miteinander unvereinbar und scfUiefsen ein drittes aus.
Die Behauptung: Diese Erscheinung ist eine Farbenxerstreuung lautet
ausgefolgert: Sie ist eine gleich xciti je ungleich starke Brechnng der
verschiedenfarbigen Bestamltcüe des urifsen Lichtes. In der mittel-
hochdeutschen Grammatik bedeutet der Satz: Das Wort »hoeren< ist
cm nickumlantendes Zeitwort soviel wie: *Hoereti€ ist ein Zeitwort,
hat nne lange Stamvmlbe, schwache Biegung und im Piiiteritnm
irir int Mittelwort der Vergangenheit einen nicht umgelautetcn. da-
gegen in der Orgcmcart einen ninrjclnfiteten StammsclbsiUuit. Wcun
jemand ein Wort z, B. Imlt für eine Parenthoso (einen Sclialt^atz)
erklärt, so meint er damit, es sei ein Hauptsatz, der in einon undem
Satz (Mn^H'schaltot ist und diesen dem Sinne nach regiert, jedoch auf
dessen Form keinen Einfluß übt.
n. durch eine Einteilunj;.
Der Satz: Jede relative Ztihl gihi xum Quadrat erhohen eine
pusitii-e Zahl lautet ausfrefolgert : Sowohl jede positirr n ie jede nega-
tive Zahl (jihf \ntn (^umlrnl erhoben eine poxitire Zihl. Ebenso ent-
steht aus dem Urteil : Jedes iconrexe Viereck hat innere Winkel^ deren
Summe vier Heehte hei ragt die Ausf olgerunp^ : Das J Parallelogramm,
das Trape\ und das Trope \oid hohen innere Winkel, deren Summe
vier Rechte beträgt. Aus: Jedes gleichseitige Parallclogratfnn hat
Diagonalen, die aufeinander senkreeltt sfeheti wird: Soirohl das
Quadrat als aarh iler Rfiombus haben Di/n/oualen, die aufeinamh r
senkrecht steiien. Zu dem Urteil: Jedes allgenieiue kategorisdie Urteil
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PoKORKY: Die Aasfolgerung und Ausdeutung aligemeiuer L'rteiie u.sw. 101
ist glcirhfjeUfttd iiiii srliin' Kotilraposlllon ist eine Ausfolgorung::
N'uhi ufir jrdes jiosiiivv, soitdvrn auch jt-dcs //r(/ntir«' alUjrnifinf kai<-
(jormhc Urteil ist (ileichgeltcud mit seiner Kofitrajjositiou.^) Aus:
Jedt Ulfige Silhr ist für die Urhung de^ lateiniseheu daktglisehen
Ihmineieri; geeignet er^bt sich: Soirohl jede ron Sntiir lange als
Icdr tinreh sogenannte Pnsifion laiigr Sillir int für die Hebuiig des
UUeinischen daktglisehen llesann ters geeignet.
ni. durch eine Definition und eine Einteiluno:.
Wenn das Urteil g^egeben ist: Jeder platonische Körper ist ein
konvexes regelmäfsiges Polgeder, so lautet seine Ausfi^lperung: Das
Tetraeder, Oktaeder, Ikosaeder, Hexaeder and Dodekaeder sind Poly-
eder, die von lauter regelmäfsigen und kongruenten Flächen begrenzt
sind und lauter reget nu'ifsigc, kongruente Ecken hohen. Oder es sei
der Satz gegeben: Jede periodisehe Iknegung bringt ntuh Ablauf
einer Periodr das lieuegte in die Pheise, in der es sieh unmittelbar
vorher befand. Dann gilt die Ausfolfrerun;:: Sou ohl jede jxriodisehf
Sehwinffung als auch jede periodi.^ehe {vollständig( } Drehung gibt
nach Ablauf einer Periode dem Beuajten dieselbe ränndichc Lage^
dieselbe Betceffungsruhtung und dieselbe Geschwindigkeit, die es un-
mitteUmr vorher hatte. Ebenso verwandelt sich das Urteil: Jedes
grofse Leiden.^ in dem der Leidende sittlichen Adel betätigt, ist tragiech
in den Satz: Sowohl jedes selbstverschuldete, als auch jedes niehi
selitstverschtUdete grofse Leiden eines Menschen., in dem dieser siU'
Ikhen Adel betätigt., erregt unser Mitleid und wirkt ofifime xugleick
erhebend,
B. Praktische Bedeutung der AuBfolgerungcn.
L Jede Aasfolgerang ist, mag nun das gegebene ürleil (ü) an
sich gültig sein oder nicht, jedenfalls eine verdeutlichende Zer-
legung des in U ausgesprochenen Gedankens und da sie
diese Yerdendichung durch Angabe einer gleicfageltenden Yereinnng
Ton dem ü untergeordneten und untereinander bloB Tertrfiglichen
Urteilen gewährt, so ist sie im Reiche der Urteile genau dasselbe,
wie im Reiche der Begriffe die bei jeder Definition eines Begriffes (J3)
▼orkommende Inhaltsangabe {O imd P), die ja auch eine dem B
gleichgeltende Yereinung Ton zu B abergeordneten und untereinander
blofi yertriglichen Begriffen ist Daß die Definition au B Über-
geordnete Begriffe, die Ausfolgerung aber au 17 untergeordnete Urteile
angibt^ begründet swisohen diesen beiden Operationen keinen Unter-
>) Gemeint ist: Ä ist immer B mm Wo» nieht B ist^ iet imtmr Mi A «id:
Ä üf immer meht B B %»t immer nidU Ä,
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102
schied, da bei beiden tatsächlich dasselbe geschieht, nämlich Gedanken
vorgeführt werden, die mit dem gegebenen immer mitgültig sind, aber
nicht umgekehrt; nur daß man diese zufolge eines (nicht folge-
richtigen, aber) allgemein herrschenden Gebrauches, wenn es sich
um Urteile handelt, unteigeordneti wenn es aber Begriffe betrifft
übergeordnet nennt.
II. Überdies ist, wenn das gegebene Urteil gewiß richtig
ist, auch jede regelrecht gebildete Ausfolgerung desselben
ein gültiges Urteil, denn sie ist dann ein streng abgeleitetes,
d. h. ein durch einen gültigen Scliluß aus lauter gültigen Vorder-
sätzen gewonnenes Urteil. Als Beispiele hierfür dienen alle unter A
angeführten Ausfolgerungen.
TIT. Wenn das gegebene Urteil nicht gewiß richtig ist
so ist durch den zur regelrechten BUdung der Ausfolgening führen-
den Schluß, weil einer der Yonlersiitze kein gültiges Urteil ist, die
Gültigkeit der Ausfolgerung nicht verbürgt; so viel aber ist auch
dann noch gewiß, daß das durch diesen Schluß gewonnene
Urteil wirklich eine Ausfoigerung des gegebenen Urteils ist
und daher:
1. mit dem gegebenen Urteil immer niitgilt, zu ihm eine
notwendige Folge bildet. Und dies berechtigt, da mit der Folge auch
der Grund aufgehoben wird, zu dem häufig angewendeten Vorfahren,
daß man ein gegebenes Urteil widerlegt, indem man zu ihm
eine Ausfolgerung bildet und dann zeigt, daß diese ungültig ist. Und
zwar genügt zu diesem Zwecke, weil die Ausfolgerung eine Ver-
emung von Urteilen ist, und weil nicht nur die ganze Ausfolgerung,
sondern schon jedes einzelne ihrer Glieder eine notwendige Folge
des gegebenen Urteils ist, auch schon der Nachweis der Ungültigkeit
eines solchen Gliedes.
Zu dem Urteil: Diese Tat ist ein Diebstahl lautet eine Ausfolge-
rung: Diese Tat ist Entxiehung einer fremden beweglichen Sache
aus eines andern jßesitx^ ohne des Besitzers Einwilligung und in
gewmnsüehüger Absiekt geschehen. Wenn sich nun auch nur ein
Olied dieser tJrtoilsirereiiiung als ungültig erweist, ist diese und mit
üv auch das gegebene Urteil ungültig. Daß dies auch toh einteilend
gebildeten Ansfolgerungcn gilt, lehrt die ^btsaehe, daß der Satz: Äüe
Plandm bewegen sich innerhalb der Grenzen des Tierkreises auf-
gegeben weiden maßte, als man festgestellt hatte, daß die FkiUas
diese Grensen übeiscfareitet Aach maßte man aafhöxen, alle Metalle
für schwerer als Wasser m halten, als dies besilglich des Kaliams
and Natrinms fttr nnzichtig erkannt worden war. Ebenso bildet der
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Pokobxy: Die Audfülgeruog und Ausdeutung allgemeiner Urteile usw. 103
Umlauf des Nephmmondes ein HiiKlernis für die Aufstollnn? des
Satzes: AUp Umlaufs- und Rotationshr/rn/foigrfi So/inensy.steme
erfohjiN. vom Polarsterm aus gesehen^ yu^u den Sinn df.f Uhr-
xeigcr.s. Auch darf man unter die allgemeinen Eigenschsiften der
Körper die Porosität nicht zählen, weil diese Eigenschaft dem Glase
nicht zukommt
2. Da jede regelrecht gebildete Ausfolgerung mit dem gegebenen
Urteil gloichgelteiid ist, so ist niclit bloß sie mit diesem immer mit-
gültig, sondern auch das gegebene Urteil zu ihr eine not-
wendige Folge.
In diesem Sinne bereitet man den direkten Beweis eines
gegebenen Urteils oft vor, indem man aus ihm mit Hilfe einer
Inhaltsangabe oder einer Einteilung oder beider eine Ausfolgerung
bildet, um sodann, den Gedankengang dieses {Schlusses umkehrend,
aus der Gültigkeit der Ausfolgerung (oder was dasselbe ist, aller
Glieder dieser Urteilsvereinung) und Jener lülfspriimissen (der Inhalts-
angabe, der Einteilung oder beider) die Gültigkeit des gegebenen
Urteils zu erschließen. Dann geht, wenn die Richtigkeit des Urteils:
S ist P vergewissert werden soll,
a) aus dessen definierender Ausfolgerung der sogenannte kon-
janktive Schluß und Beweis hervor, bei dem die Inhaltsangabe
des P der Mittelbegriff ist und der Grundgedanke lautet: <S ist P,
weil 8 alle Merkmale des P hat.
So zählt man einen Menschen auf Grund der Kennzeichen:
kxwiseB Haar, Tontehoide Eiefsr, mÜBtige lippen, stampfe Nase usw.
rar ftthiopisohem Basse und ftberiiaupt jeden Natoiközper anf Gnind
einer Gruppe von MerianaleU) die er besitst, sn einem gewissen
Typus, m einer gewissen dasse, Esmilie, Gattung und Art Ebenso
wird oft vergewissert, daß eine bestimmte Krankheit, daS eine
Schenkung, ein Kauf oder ein Betrug, eine LOge Toiüegt In der-
selben Art spricht Gioero in der Bede pro lege Manilia fttr die Wahl
des Pompeius, weil dieser alle Bigenschaften besitse, die ein F^dherr
haben mufi, tun den Eri^g der Börner gegen Hitfaridates glflckiioh zu
Ende za führen. Hierher gehört auch jeder Nachweis, dafi zwei Be-
griffe oder zwei Urteile in einem gc^vissen eindeutig bestimmten
Yerhältnisse stehen, z. B. in dem des Widerstreits, weil sie mitein-
ander unvertrSgiich smd und ein Drittes nicht ausschlieften. Dafi
endlich das an bd anerkmnm in Sätzen, die die gewöhnliche Wort-
folge eines Hauptsatzes haben, nach den Aussageformen (von erkennen)
stehen soll, könnte in folgender Weise bewiesen werden: i^Jn€ ief
Mer die nähere Beetimmung eines ZeShoorles^ hat einen dieses
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104
Anftifae
Überragenden Hauptton^ tat muh ah sMständiges Wort in der Sehrift-
spraehe gebHiudiUchy üt mit dem Zeiheorte mekt fest xuMmmen-
gesetzt {wie sich an der Form »anxtterkennen* xeigi) und das ganze
Verb ist auch mekt von einem bereits xuaanimijesetxUn Nomen {wie
etwa >Änerkmniimg^) abgeleitet. Jedes BesHmmungsufort aber, bei
dem alle diese Merhnale xidreffen, soll in $ätxm, die die gewöhnUdie
Wortfolge eines Han^tsaixes haben^ nach den Aussageformen stehen.
b) Die eintailende Ausfolgerong des gegebenen Urteils (Sist P)
führt zum sogenannten induktiven Schiasse und Beweise, bei
dem eine Einteilung des S den Mittelbegriff bildet und der Orond-
gedanke ist: 8 ist P, tceil alle JBtÜle des S {d, h, alle seinem Um-
fang angehörigen Einzelwesen oder Arten) P sind.
So wird der Satz: Jeder Peripheriewinkel ist gleich der Hälfte
des Zentriwinkds über demselben Bogen bewiesen, indem man zeigt,
dafi das Prftdikat dieses Satzes jeder von den drei möglichen Formen
des Peripheriewinkels zukommt Daß das Volumen eines geraden
Prismas gleich ist dem Produkte^aus der GrundfUiche und der Höhe,
beweist man nacheinander für die lüle, daß die Grundfläche ein
rechtwinkliges, ein schiefwinkliges Paiallelognunm, ein Dreieck oder
endlich ein beliebiges Polygon ist Oft wird auch dargetan, daß ein
Satz von den verschiedenen Arten der Zahlen gilt, um die Übet^
Zeugung zu begründen, daß er för alle Zahlen Geltung hat* Sbpplees
erstes Gesetz der Planetenbewegung wurde von seinem Urheber und
dessen Nachfolgern für den Mars, die Erde und jeden einzelnen der
übrigen Planeten erwiesen. Daß es eine allgemeine Eigenschaft der
Korper (z. B. die Undurchdringiichkeit) gebe, weist man immer an
den starren Körper, den Flüssigkeiten und den Gasen nach. In der
lateinischen Grammatik kann man mit Vorteil lehren : Die ^ur driUen
Konjugation gehörigen Zeitwörter mit J- Stämmen sind capiOf eupio,
fado, fodio, fugio, iado^ pario, qnatio, raino^ mpio, laeio^ speeiOy
gmdior, ynrnior^ pafior. Alle diese haben einen kurzen Stammvokal.
Alna iiaben alle der dritten Konjugation angehörigen Verba mit
J» Stammen n'nen kurzen Stammvokal. Ebenso zeigte Sox>*enfels, daß
die früher übliche Anwendung der Folter im str»^richtUchen Ver-
fahren ungerechtfertigt sei, weil dies von allen einzelnen Fonnen
ihrer Anwendung (zur Erzielung eines (Geständnisses, zur Bestrafong
eines wahrscheinliclien Verbrechens oder zur Absclireckung anderer)
sich nachweisen lasse. Ein Schachspieler endlicli erklärt sich auch
erst dann für matt, wenn er sich überzeugt hat, daß dies wirklich
für alle einzelnen ihm noch zu Gebote stehenden Züge gilt.
c) Die definierende und einteilende Ausfolgerung eines gegebenen
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Pommr: Die Aiisfolgerung und Anadentang allgemeiner üiteOe nsv. 105
Urteils {S ist P) wird, wenn man den Gedankengang umkehrt, zu
einem einerseits konjunktiven und andrerseits induktiven
S'cliluüse und Beweise, bei dem einerseits eine Inhaltsangabe des P,
andrerseits eine Einteilung des S den Mittelbegriff bildet und der
Grundgedanke Lst: S ist P, iceil allr Fälle des S alle Merkmale de^
P liaben.
In dieser Weise wird vorgegangen, wenn man den Satz: Edle
MäaUe bilden Oxyde, die erhitzt in Satterstoff und Metall xerfaüen
beweist, indem man vom Quecksilber zeigt, daß es ein Oxyd bildet
und daß dieses erhitzt in Sauerstoff und Quecksilber zerfällt, dann
aber dartut, daß diese Sätze nicht nur vom Quecksilber, sondern
auch Tom Silber, Gold, Pktm und den Platiiimetalleii gelten. Ton
gMcher Art ist der Beweis des Satses: Die Meiaäe sind gute Wärme-
bUer, wenn man nacheinander yon allen einsselnen Metallen zeigt,
daß sie Wftime schnell aufiiehmen, schneli in allen Teilen desselben
Oegenstandes veibreiten nnd schneli an andere Körper niedrigerer
Temperatur abgeben. Hierher gehört es auch, wenn der Satz: Die
orgumseken Wesen atmen bewiesen wird, indem man einerseits von
den Tieren, andrerseits aber anch von den Pflanzen zeigt, daß sie
aus der Luft Saneistoff aofnehmen, durch Oxydation des in ihnen
enthaltenen Kohlenstoffes Kohlensäure bilden und diese zeitweilig aus-
scheiden. Daß die harten Tonarten sich von den gleichnamigen
weichen durch den dritten nnd den sechsten Ton unterscheiden,
«fbde induktiv und Konjunktiv bewiesen, wenn man zeigte, daß in
der harten 0-Tonart E und A, in der weichen aber Es und As, in
0-Dnr H und E, in 0-Moll 6 und Es, in D-Dur Fis und H, in
D-HoU aber F und B vorkommen usw.
Bemerkenswert ist, daß alle diese Beweisarten, welche durch
die Auafolgemng vorbereitet werden, eine Eigenschaft haben,
auf die bei der Beweisführung mit Recht besonders Gewicht
gelegt wird. Daß man sich nSmlich bei jedem Beweise eines
gültigen Schlusses bedienen und jeder von den Vordersätzen gültig
Sern muß, sind wohl wesentlicfae ^ordemisse eines regelrechten Be-
weises, es sind dies aber Forderungen, die auch bei andern An-
wendungen der Schlüsse vorkommen und regelmäßig nicht schwer zu
eiffUlen sind. Dem Beweise eigentümlich aber und eine Mahnung
zu großer Vorsicht ist die dritte Forderung, daß kein Beweisgrund
(Argument) verwendet werde, für dessen Gültigkeit die des gegebenen
Urteils eine notwendige Bedingung bildet, widrigenfalls man in den
unter dem Namen der petitio principii berüchtigten Beweisfehler ver-
fallt Und gerade in dieser wichtigsten Beziehung ist bei unsem Be-
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106 Aufsätze
weisen ihre Regelrichtigkeit immer verbürgt, denn bei ihnen geht
die Überzeugung von der Gültigkeit des gegebenen Urteils aus der
Gültigkeit der einzelnen untergeordneten Urteile iiervor. Zu diesen
ist aber das gegebene Urteil keine notwendige Bedingung, vielmehr
sind gerade umgekehrt die zwei oder mehrern untergeordneten Urteile
notwendige Bedingungen des zu beweisenden tSatzes.
C. Bildung der Ausdeutungen.
Zu einem gegebenen allgemeinen Urteil mit positivem Subjekte
und Piiidikate {S ist P) bildet man auch eine Ausdeutung entweder
nur definierend oder nur einteilend oder definierend und einteilend.
I. Nur definierend geschieht dies, indem man für S eine
gültige Angabe seines Inhalts {2^ nnd ^) einstellt, so daß das Er-
gebnis lautet: Was 2^ und '^^> ^•
Daß dieser Satz eine Ausdeutung des gegebenea UrteÜs ist, er-
gibt sich aus folgender BetraChtong:
1. ist er zwar unzweideutig, insofeni mit der Yeroiiiung von
und immer P mitgültig ist, aber nicht hinsiohtlieh der Frage,
eb dabei ein Glied der Tereinung für die Mitgöltigkeit des P ent>
behrlich sei oder nicht Der in Bede stehende Sats ist daher eine
angezeigte Wahl von Urteilen, da er gleichgeltend ist mit der
ausfOhrliohen ürteilswahl:
P (1. Deutung)
oder 2| ist immer P (2. Deutung)
oder was nidit nur Si sondern auch i^, ist immer P
<3. Deutung).
Zur Teranschaulichung, wie sich die Wahl gestaltet, wenn die
Angabe des Inhalts von S mehr als swei Glieder hat, sei hervor-
gehoben, daß z. B. bei drei InhaltQgliedem ^) die aus-
gefOhrte Ausdeutung lautet:
Entweder ist immer P (1. Deutung)
oder ist tmmer P (2. Deutung)
oder ist immer P (8. Deutung)
oder was nickt nur sondern aiu/eh ist, ist immer P
<4. Deutung)
oder was niiAt fwr sondern awsh ist^ ist immer P
<6. Deutung)
oder was niekt nur sondern auch ist, ist immer P
<6. Deutung)
oder was nicht nur und 2^ sondern auch ^ ist, ist immer P
<7. Deutung).
Bei n Inhaltsgliedem betrigt die Zahl der Deutungen (Kombi-
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Pokokny: Die Ausfolgeruog und Ausdeatong allgemeiner Urteile uäw. XOl
nationen ohne Wiederholung) n Unionen, Amben, Temen,
Quatemen, Qiiinteraen usw.
2. ist jedes Glied dieser Urteilswahl, wenn es überhaupt gültig
ist, ein dem gegebenen übergeordnetes Urteil, da dann mit ihm
das gegebene immer mitgüitig ist, aber nicht umgekehrt;
3. sind die Glieder jeder so gebildeten Urteilswahl iinterein-
aader unvereinbar (so daß nur eines dem gegebenen wirklich
übergeoidnetseinkann), weil jedes vonihnen etwas für {uf^entbehiUcii}
eridärt, was nach den andern Urteüen {^^Swhplil^^l
4. muß, wenn das gegebene Urteil gUt, eines von den Gliedern
der Urteüswahl gelten. Diese ist nämlich eine Tollständige (er-
schöpfende) Anf zählang der möglichen EKlle,^) da die angeaeigte
Ansdentong mit dem gegebenen Urteil gl eichgeltend ist und
swar als Schloflsats eines gültigen Schlusses ans dem gegebenen
Urteil und einer gültigen Gleichung. Dieser Schluß lautet nämlich,
wenn J| und die Inhalteglieder sind:
Ji und S
8 ist immer P
Was und ist, ist immer P,
und wenn und ^ die Glieder der Inhaltsangabe sind:
S^^ und ^ 8
8 ist immer P
Was 2^, und ist, ist immer P.
Beispiele. Wenn der Satz gegeben ist: Jedes Quadrat ist em
Tangentenmereek und ffir das Yoideiglied dieses Urteils seine Inhalts-
angabe eingestellt wird, lautet das Eigebnis : Jedes gUiekseitige recht-
winklige Parallelogramm ist ein Umgentenviereßk. Dieser Satz ist
allerdings insoweit unzweideutig, als er behauptet, daß alles, was zu-
gleich ParaUelognunm, gleichseitig und rechtwinklig ist, auch ein
TangenteuTiereck sein muß. Dagegen ist er eine (angezeigte) Urteüs-
wahl, inaolsm er es unentschieden läßt, ob nicht jedes Parallelogramm
oder jede gleichseitige oder jede rechtwinklige Figur ein Tangenten-
Tiereck ist, oder diese Aussage erst einem Vieleck zukommt, das nicht
nur ein Paiallelognumn, sondern auch gleichseitig oder nicht nur
etn Fandlelognanm, sondem auch rechtwinklig ist, oder nicht nur
gleichseitig, sondem auch rechtwinklig, oder endlich nicht nur ein
Paiall^ogzamm und ^eichseitig, sondem auch iecht?rinkiig. Von
■) IMes 1011 das «MW in Autdeuiimg besdfibiMD.
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108 AniiBtM
dieser Urteilswahl ist aucli wirklich nur ein Glied gültie;, und zwar
derjenige Satz, der (mit Auslassung eines Tiliedes der Iniiultsungabe)
erklärt: Tfo« nicht nur ein Paralleloff ramm, .sondern auch ffleich-
seitig isty ist ein Tangentenviereck. Aus dem Satze: Die Schwefel-
säure färbt blaues Lakmuspapier rot geht, wenn man für dessen
Yorderglied seine Inhaltsangabe einsetzt, henror: Diejenige Säure., die
am Sulfai efUsiehi^ färbt blaues Lakmuspapier rot, eine Ausdeutung,
Ton welcher nur ein Urteil wirklich gilt, nämlich: Alle Säuren färben
hUmsB Lakmuspapier rat* Daß bisweilen in dem einen eich scUieß-
Hoh als gültig erweisenden Urteil aach mehr als ein Inhalteiglied ans-
fiUlt, zeigt sich s. B., wenn wir das Urteil ansdeuten: Jeder Würfel
hai einander halbierende Diagonalen. Da eigibt sich: Jedes gleitk"
seiHge und rechiwinldige Bmraüelepipcd hat einander haUierende
Diagonalen, Yen den in dieser angezeigten Urteilswahl enthaltenen
sieben Urteilen gilt da^enige wirklich, welches (mit Anslassung zweier
Inhalt^lieder) behauptet: Jedes Poaraüelepiped hat einander halbierende
Diagonalen, Damit wir aber andh solche Beispiele anführen, wo in
dem schließlich sich als gültig erweisenden Urteil alle Inhaltsglieder
des S vorkommen, sei auf den Satz aofmerksam gemacht: Jedes regel-
mäfsige Vieleck ist ein Sehnen- und Tnmgenienvideek. Wenn wir hier
den Inhalt des -Yordeigliedes zerlegen, so erhalten wir: Jedes gleich-
seiHge und gleichwinklige Vieleck ist ein Sehnen- und Tangenten-
vielem und dieses Urteil ist einer Wahl von sieben Urteilen gleich-
geltend, von denen nnr dasjenige wirklich gilt, welches alle Inhalts-
glieder des Begriffes regelmä feiges Vieleck enthält Ebenso wird:
Jedes probtemaHsche Urteil ist unvollendet Terwandelt in: Jedes
ürteH, das ni^ gewifs riehtig und nicht gewifs unrichtig ist, ist
unwdlendet, welcher Satz nicht gfiltig bleibt, wenn man einen Be-
standteil seines Yordergliedes wegläßt
n. Nur durch eine Einteilung bildet man zu: SistP eine
Ausdeutung, indem man fOr P eine gültige Angabe seines Umluigs
(Pi)i oder PD,) einstellt, so daß das Ergebnis lautet: S ist entweder
PDi oder PD^,
Daß das so gewonnene Urteil wirklich eine Ausdeutung des ge-
gebenen ist, ergibt sich aus folgender Erwägung:
1. ist es eine angezeigte Wahl von Urteilen, da es mit einer
ausgefOhrten Urteilswahl gleichgeltend ist Diese lautet:
a) wenn S ein Einzel begriff ist:
Entweder S i.st (jpdrnfalh) Pr\ (1. Deutung)
oder S ist {jedenfalls) PD^ (2. Deutung).
Hat die Einteilung des F außer PD^ und FD^ noch ein oder
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PoKOonr: Die Ausfolgeroog und Aoadrataiig allgemeiner Urteile asw. 109
mehrere andere (Hieder, so wachsen aach in der ausgeffihrfcen Aus-
deutung ehensoviele Deutungen hinzu^ x. 6. hei drei EÜnteilungs-
gUedem: 8 üt {jedenfaUa) P2>,;
h) wenn aher 8 ein allgemeiner Begriff ist, so lautet die
auQgeföhrte ürteüswahl:
Eniweier 8 tat immer PDi (1. Deutung)
oder 8 ist immer PD^ (2. Deutung)
oder 8 ist bisweilen PD^ und bisweilen PD^ (3. Deutung).
Zur Yeruischaulichung, wie sich die Wahl gestaltet, wenn die
Einteilung des P mehr als zwei Glieder hat, sei hier noch hervor-
gehoben, dafi sie z. B. bei drei Eünteilung^edem lautet:
Entweder 8 ist immer PDg (1. Deutung)
oder 8 ist immer PD% (2. Deutung)
oder 8 ist immer PD^ (3. Deutung)
oder 8 ist bisweilen PDi itnd Insweäen PD^ (4. Deutung)
oder 8 ist bisweüen PDi und bisweilen PD^ (5. Deutung)
oder 8 ist bisweikn PD^ und bisweilen PD^ (6. Deutung)
oder 8 ist bisweilen PDi^ bisweilen PD^ und bisweüen PD^
(7. Deutung).
Hier bedeutet das Wort bisweHenj wo es zum eisten Haie steht:
XU einer gewissen Zeit, xu gewissen Zeiten oder unter gewissen Um-
ständen, wo es nicht zum ersten Male steht: XU einer gewissen ü/ndem
Zeit, XU andern Zeiten oder unter andern Umständeny am Schlüsse:
XU aUen Übrigen Zeiten, unier aUen itinigen Umständen, in allen
übrigen MUen,
Bei n Einteiiungsgliedem des P betrfigt die Zahl der Deutungen
(Kombinationen oline Wiederholung) auch hier /* Unionen ^'jj Amben,
^^j Temen, Quatemen, ^'^^j Quintemen usw.
Wenn 8 nicht nur ein allgemeiner, sondern auch ein
Klassen begriff ist, so hat die Ausdeutung, mag sie wie immer
sprachlich ausgedruckt sein,
a) bei zwei Einteilun^sf^liederu den Sinn:
Entweder Alle S sh/d PL\ (1. Deutung)
oder Alle S sind PIK (2. Deutung)
oder Ein oder rini<ie S sind PD^ und ein oder einige andere 8
nitid PD^ (3. Deutung).
Für Sätze wie die soeben angeführte 3. Deutung tritt oft ohne
Änderung des Sinnes folgende kürzere Ausdrucksweise ein: Die 8
sind teils PD^, teils PD^ ,
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110 Auftttie
bei di«i BlnteüungsgHedeni {PD^, PD^ und PD^):
Entweder Alk S sind PD^ (I. Deutung)
oder AUe 8 and PD^ (2, Deutimg)
oder AOe 8 wnd PD^ (3. Deatong)
oder Die 8 sind teUa P17„ teile PD^ (4. Deutung)
oder Die 8 sind teils P2>„ teüs PD^ (6. Deutung)
oder Die 8 sind teils PD^, teils PD^ (6. Deutung)
oder Die 8 sind teils PjD„ teils PD^, teils PD^ (7. Deutung).
Analog bei mehr als drei Einteflungs^iedem.
2. ist jedes Glied einer so gebildeten ürteilswahl, wenn es
Uberhaupt gültig ist^ ein dem gegebenen übergeordnetes Urteil,
da dann mit ihm das gegebene immer milgültig ist, aber nicht um-
gekehrt
3. sind die Glieder so einer Urteilswahl untereinander un-
vertrfiglich (so daß nur eines dem gegebenen wiiMich ^beigeordnet
sein kannX weü jedes Ftor dieser Urteile entweder allen 8 oder doch
genau denselben einigen 8 unverträgliohe Prädikate beilegt^ und dies
sind 8Di und 8Dt. bezw. 8Di, 8D^ und iSD, als Glieder einer
göltigen Einteilung.
4. mufi, wenn das gegebene Urteil gilt, eines von den Gliedern
der in vorstehender Weise gebildeten UrteUswahl gelten. Diese ist
nfimlich eine vollstfindige (erschöpfende) Aufx&hlung der mög-
lichen ItUle,') da die angezeigte Ausdeutung mit dem gegebenen
Urteil gleichgeltend ist und zwar ab Schlufisats eines gOltigen
Sdhlusses ans dem gegebenen Urteil und einer gültigen Gleichung.
Dieser Schluß lautet nfimlich,
wenn PDi und P2>, die Einteilunggglieder sind:
Sist P
P — PDi oder PD,
8 ist PDt oder PD^,
und wenn PD|, PD, und PDt Äe Einteilungsglieder sind:
8ist P
P — PDi oder PD^ oder PD^
8 ist PDi oder PD^ oder PD^.
Beispiele: a) Fälle, wo das Vorderglied des gegebenen
Urteils ein Einzelbegriff ist Eine Ausdeutung des Urteils:
Diesels- Fädchen ist eine Nervenfaser ist der Satz: Es üt entweder
{jedenfalls) eine sensible oder {jedenfalls) eine motorische Nervenfaser.
Eboiso verhält sich zu: Dieses OdiUde ist ein Nervenstrang der Sats:
^) Damm «ißh hier das Wort am in Arndmim^.
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Pokobkt: Die Ausfolgemog und Auadeatang aUgemeiaer Urtöle usw. HX
Ef ist entweder (Jedenfalls) ein rein »msibler oder {jedenfalls) eifi
rein ^notorischer rxler (jedeN falls) ein gemischter Nervenstrang, Zu:
Diese an dar Tafel vcrxpiclnuiv Figur ist ein Dreieck p:ohört die
Wahl: Sie ist enticeder (jedenfalls) ein ungleichseitiges oder (jedenfalls)
ein ghiclischenkliges oder {jedenfalls) ein gleichseitiges Drrirrk Da
ferner 101 eine von 1 verschiedene Zahl ist und jede solche Zahl
entweder eine zusammengesetzte oder eine Primzahl ist. so ergibt
sich: 101 ist rftfiredtr { jeden falis) eine xnsnmniengesetxte oder (jeden-
falls) eine Prinr.ahl, zwei Möglichkeiten, von denen sich die zweite
als gültig enveist. Auch können wir sagen: Der gan\r Wnt\)itan}i,
jrie er in einem l)estinnnf('// Angenhliehe ist, ist ein (tehirgsstock, der
entweder (jedenfalls) nolkenfiii oder {jedenfalls) )iich1 uolkenfrei i^t.
Zu dem Urteil: Das Wort r Uifl^ in diesem Sat\< ri/f deidsehes
Haupt irort lautet eine Ausdeutung: Ks ist eutireder (jedeufalla) nutan^
Uch oder (jeden falls) u-eihlleh oder {jedenfalls) sürhlieh.
b) Fälle, wo das Vorderglied des gegebenen Urteils
ein allgemeiner Begriff ist.
Handelt es sich nicht um den Watzmann. wie er in einem be-
stimmten Augenblicke ist, sondern um den AVatzmann überhaupt, so
müssen wir zu den Sätzen: Er ist entweder jedenfalls nolken frei oder
jedenfalls nieht wolkenfrei das dritte und dann wirklich zutreffende
Urteil hinzufügen, er sei bisweilen wolkenfrei und bisweilen nicht.
Ähnlich verhält es sich mit dem Worte Qift^ wenn wir es nicht bloß
an einer bestimmten einzelnen Stelle ins Auge fassen, sondern wie
es überhaupt vorkommt. Dann hat die Ausdeutung: »6^//7« /,s7 ent-
weder ein männlielies oder ein ireibliehes oder ein sächliches Ilanpt-
wort nicht bloß den Sinn: Es ist entweder immer mäntdieh oder
immer tveiblich oder imtner sächlich , wir müssen vielmehr hinzu-
fogen: oder bis weilen männlich and bisweilen weiblich^ oder bisiveilcn
männlich und bisweilen sächlich, oder bisweilen weiblich und bis-
weilen sächUcli, oder bisweilen männlicJi, bisweilen weibUch und bis'
weilen eäehUch, Urteile, von denen nur das letzte gilt, da *Oift*
in der Bedeutung »Ärger* männlich, in der Zusammensetsnng * Mitgift*
weiblieh und im Sinne von ^venenum* sächlich gebntneht wLrd.
Während sich im ietztangefübrten Beispiel die 7. Dentung als gültig
erweist, vetfaält ee sich anders, wenn wir an Stelle von Qift eines
der (nicht als Bigennamen gebrauchten) Wörter ESnig^ Frauy Land,
JEufiife, Schild oder Mofa setaen. Benn von den so für jedes dieser
Wörter snr Wahl stehenden sieben Dentnngen gilt bei ESmg die
erste (es ist immer männlich^ bei Ihm das zweite (es ist immer
weiblich), bei Land das dritte (es ist immer sächlich^ bei Kunde das
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112
vierte (es ist teils männlich, teils weiblich), bei Schild da.s fünfte (es
ist teils männlich, teils sächlich), bei Mafs das sechste (es ist teils
weiblich, teils sächlich). Hierher gehört auch, daß man aswar einer
und derselben Person für ein und dieselbe Zeit, für einen und den-
selben Entwickluno:szustand nicht Prädikate beilegen darf, die unter-
einander unverträglich sind, wohl aber für vorsoliiodone Zeiten und
Entwicklungsstufen, weil in lotzterm Falle der Be^^riff dieser Person
sicii einteilen läßt und also nicht mehr ein Einzelbegriff ist. Xicht
nur Leute wie Alkibiades, wir alle ändern uns, wenn auch nicht
geradeso wie dieser, im Verlaufe unseres Daseins und luibeu zu ver-
schiedenen Zeiten nicht nui* verschiedene, sondern oft auch entgegen-
gesetzte Eigenschaften.
Für Fälle, wo das Vordor^^lied des geirebenen Urteils ein Klassen-
begriff ist, lassen sich folgende Beispiele anführen. Aus dem i^atze:
Erijcbvis ciucr Division ist ein Bruch und einer Einteilung des
Begriffes Bruch erhält man die Ausdeutung: Das Ergebnis der
Division ist entweder ei/t echter oder ein unechter Bruch und von
den drei in diesem Urteil enthaltenen Deutungen gilt wirklich : Das
Krfjehnis der Division ist fjisuei/en ein unechter timi l/isucihn ein
echter Brurlt. Ebenso geht aus: Jeder d/ssonieretule Akkord enthalt
{/renigstcns) ein dissonieretules Intervftll iiervor: Jeder dissonierende
Akkord enthalt cntu-eder eine Sekunde oder eine Septime oder ein
übermäfsiges oder ein rerniinderles anderes Intervall, eine Ausdeutung,
von welcher nur jene Deutung gilt, bei der kein Glied der Einteilung
ausfällt. Wenn ferner gegeben ist: Alle Fasern des menschlichen
Trigeminus sind Nervenfasern, so lautet eine Ausdeutung: Kntweder
sind sie alle sensible oder alle nwtorische Xerre/t fasern oder — was
wirklich dei' Fall ist — teiLs sensibel teils motorisch. Während die
bisherigen Beispiele mit einem Klassenbegriffo im Yordergliede des
gegebenen Urteils von der Art waren, daß dasjenige Glied der Urteils-
wahl wirklich galt, welches alle Glieder der Einteilung des Prädikates
enthielt, zeigen auch hier viele Falle, daß dies nicht immer zutrifft
So ist 68 z. B. wohl wahr, dafi jedes rechtwinklige Dreieck ein Dreieck
und daß die Brdeeke teils gleichseitig, teils gleichschenklig teils an-
gleichseitig sind, es gilt auch die nach der obigen Fonnel ge-
bildete Wahl von sieben Urteilen, von diesen gilt aber nicht das
siebente {Die redUwinkUgm Dreiecke sind teils gkkhseUig^ tat»
gleichschenklig, ieHs ungleiehseitig), sondern das sechste {Die rscAI-
winkUgen Dreiecke sind teils gleichschenklig, teils ungleiehsäUg).
Oder es ist g^ben: Jeder voUsiändige deutsche Nebensaix ist ein 8atx
mU einem aussagenden Zeitwort nnd es kommt hinzu: Jeder Satx
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Pokorny: Die AuüfolgeruDg uud AuiideutuDg allgemeiner Urteile usw. 113
mit einem aK.ssayendett Zcitirnrt ist entweder ivdihutiiiscJi oder
koitjmikti risili oder ijiiperatiriscli . Hieraus folget: Jeder roll.sUindige
deutsrhv XfheiLsaii ist entwedir indik/itivi.sch oder konjunktivisch oder
impe rat irisch, von weicher Ausdeutung aber nur da-s Urteil gilt,
welches wohl indikatirisch und kof?Ji(nktirisch festiiiilt, jedoch impera-
tivi.seh w(\irläßt. Daß sich von den niehrern nj(»glichen Deutungen
auch eine solche als gültig erweisen kann, von den Einteilungs-
gliedeni des Prädikates nur eines festhält, zeigt folgendes Beispiel.
Aus: Alle Alijrn sind krt/]tlo(/ame PfUin\e)i und: die Kri/pt(Mj<n/ten sind
teils lAattlose^ tiils l/lattlntdende, teils Oefdfakrifpfof/nmcN geht wohl
hervor: Die Alyen sind enttreder blattlose oder blatthildeude oder Oe-
fdfskrjijdojiajiten. Aber von den nach unserer Formel in diesem Satze
enthaltenen sieben Deutungen gilt nur die erste: Alle tilgen sind
blattlose Kryptogamcn.
Bemerkenswert ist endlich, daß zu den Ausdeutungen eines Urteils
durch eine Einteilung seines Hintergliedes auch alle Fülle gehören, wo
Sätze wie: Irgendein 8 ist P scheinbar durch Einteilung des
Vordergliedes ausgedeutet werden {Entweder^ SD^ oder SD^
oder SD^ ist F). Es ist dann nämlich P das wahre Vorder- und S
das ffinterglied, welches sich als solches auch durch seine Betonung
und den dem Hintergliede ToUkonunen angemessenen Znsatz irgend
ein Terrftt Von dieser Art sind die Oedankenwege, die wir ein-
schlagen, wenn wir zu der Oherzeugung gelangt sind, daß ein Hans-,
ein Wohnungsgencsse^ ein I^cunilienglied, eines unserer Kinder, einer
von nnsem drei Söhnen etwas getan hat, aber noch nicht wissen,
▼on welcher Einzelperson wir dies mit Becht behaupten können.
Dann lautet das eigentliche Yordeiig^ed: der das getan hat, kurz: der
lüter und z. B. einer wm unsem drei Söhnen das Hinterglied, dessen
Umfang nnn behufs der Bildung einer Ausdeutung zergliedert wird
(Der JUter ist entweder der älteste oder der mittlere oder der jüngste
Sohn). Ähnlich ist auch der Satz zu Terstehen: Enttoeder JP. Ser-
viUus Quea oder C. Serviliue Ctteea führte den ersten Stöfs gegen
Caesar. Bekanntlich veischmäht es auch die Mathematik nicht, bei
der Bestimmung der Wurzeln einer Gleichung in ähnlicher Weise
Torzugehen z. B. wenn es gewifl ist, daß den in der Gleidiung ent-
haltenen Bedingungen nur eine ganze Zahl entspricht, die größer
als 5 und kleiner als 10 ist und dann versucht wird, ob diese Zahl
6 oder 7 oder 8 oder 9 ist
HL Durch eine Definition und eine Einteilung entsteht
die Ausfolgerung des Urteils: S ist P, wenn man für S eine göltige
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114
AnfsStze
Angabe semes Ihhalis {Sg und S^) und fOr P eine gliltige Angabe
seineB Umfange (PA oder PD,) emsiellt Es wiid dann der SohlnB
gezogen
Si und mm 8
8ütP
P — PDt oder PP,
Was 2i und St ist^ PA i'A -
Der eo gewonnene SchloAsaiz ist eine angezeigte ürteikwaH
mit welcher gleichgeltend ist die atisgeführte ürteilswahl:
Entweder ist immer PDi (1. Bentong)
oder -2", ist immer PD^ (2. Deutung)
oder ist bisweilen PD^ und bistoeüen PD^ (3. Deutong)
oder ^2 PI^i Deutung)
oder -2 ist immer PD., (5. Deutung)
oder ist bisivcile)i PD^ und bieueilen PD^ (6. Deutung)
oder Was nicht nur ^ sondern auch 2^ ist, ist immer PD^
(7. Deutung)
oder Was nicht mtr \ sondern auch ^ ist, ist immer PDf
(8. Deutung)
oder Was nicht nur 3, sondern auch ^ ist, ist bisweilen PD^
und bisweilen PD^ (9. Deutung).
Die Überzeugung, daß der so (und ähnlich auch bei mehr als
zwei Inhalts- oder Umfangsgliedem) gewonnene Satz wirklich eine
Ausdeutung des gegebenen Urteils ist, ergibt sich aus dem, was vorhin
(unter C, I) über die definierende und (unter C, II) über die ein-
teilende Ausfolgorung gesagt wurde. Gemäß den an den eben ge-
nannten Stellen gemachten Angaben gilt auch hier:
1. Die :>., f). und die 9. Deutung entfällt, wenn das Yoideigiied
ein Einzel begriff ist.
2. Wenn iS ein Klassenbegriff ist, nehmen die Deutungen mit
immer den Sinn an: Alle — sind^ die Deutungen mit imweilen aber
den Sinn: die — si)id teils — teils.
Was endlich die Zahl der sich so ergebenden Deutungen betrifft,
so ist sie gleich dem Produkte aus der Zahl der durch die Definition
des S und der Zahl der durch die Einteilung des P ermöglichten
Deutungen.
Beispiele. So ergibt sich zu dem Satze: Die ernstm iSchauspir/c
endigen mit einem etiischcidrndcn Abschlufs die Ausdeutung: Die
dichter/S/ h dnrgestrlliett Ilnn/Ihmgr?/, die dramatisch mid mitleiderregcyui
sind^ eudige/f mit rinmt Siege oder einer Niederlage der Hauptperson,
Bei jeder in diesem Urteil enthaltenen Deutung steht im Yordergliede
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PmcoHcrr: Die Auafolgarang und Aasdentung aUgemeiner Urteile qbw. 115
entweder blofi einer Yon den Begriffen: äiehtensiA dargesUUU Hand-
lung^ dramaUaeh und wükiderregmd oder irgend eine Yereinnng
▼on zweien derselben oder eine solche Ton allen drei Begriffen, im
Hintergliede aber entweder: endigm immer mit einem Siege der
Baupipereon oder: emOffen immer mit einer Niederlage der Baupt-
pereon oder: endigen teils mit einem Siege teile mit einer Niederlage
der Hauptperson. Wirklich gültig ist aber nur die eine Deutung,
welche sagt: die dich ferisch dargeeteüten Handlungen überhaupt (auch
die epischen und komischen) endigen teile mit einem Sieije, teils mit
einer Niederlage der Hauptpereon, Der Satz: Dir am Hopfen vor-
kommende NutaHon (Jrr Fflanxengipfcl linrirkt die Uinschlingaiig
einer vorhandenen eenkrerhlen Stütxe lautet definierend und fintoilend
ausgefülgert: Die am Hopfen vorkommende durch ungleickmäfsiges
Wachtum renjrsac/Ue bogenfürmige Br/regung der Pflanxengipfel be-
wirkt die Urnsrhlingung einer vorfianäenr?/ scnkreehten Stütxe eni-
n eder in der Richtung mwh rechts oder nach links. Von den in dieser
Ausdeutun£i: enthaltenen Urteilen gilt nur das. ^N-elches sagt: Die durch
ungleichfnäfbiges Wachstum vemrsachte bogenförmige Brn^egung der
Fflayixengipfel Itcnirkt die Umschlingung einer vorhandenen senk-
rechten Stütxe teils in der Richtung nach rechts^ (wie beim Hopfen
und dem Geisblatt) feifs fn der Richtung nach links^ (wie bei der
Mehrzahl der Schlingpflanzen). — Oder es ist der Satz gegeben: Jede
{t/?is hrh f fff/tdc) Srhindrhelei qt pilinlci dir Rieht if/keit unserer Urteile.
Wenn wir in diesem rrtr-il für das Vonlerglied die LEinNizsche
Definition des Begriffs der Schmeichelei einstellen und das Ilinterglied
einteilen, so ergibt sich: Jede Anfserung^ dnrrh die ein anderrr mis
lobt, uns gefallen uill und ftns xuglrirh hclät/t, gefährdet dir Rirtdig-
krit unserer forteile entueder durch gan\ /nurahrr Aiigabrn oder
durch solches die eine Mischung von Wahrhrif und Unuahrhrii sind.
iJas dem gegebenen Satze wirklich übergeordnete Urteil lautet hier:
Uie Änfserungen, durch die ein anderer uns belügt^ gefährde n die
Hiehtigkeit nitscrer Urteile teils durch f/f/fr, unwahre Angaben, teils
durch solche, die eine AMischung von Waftrhrii und Unwahrheit sind.
Zusatz. Xaehdcm wir nunmehr die Bildung der Ausfolgerung
allseitig besprochen haben, wäre nur noch zu bemerken, djiß das,
was oben (unter A. Zusatz) von jeder Ausfolgerung gesagt wurde, auch
von jeder Ausdeutung gilt. Sie ist nämlich wohl dem gegebenen
Urteil {U) gleichgeltend d. h. mit ihm immer raitgültig und U mit
ihr, doch wäre es voreilig, sie selbst (etwa wie die zu ihrer Bildung
verwendete Definition oder Einteilung) für eine Gleichung zu halten.
Dies zu verbürgen, reichen die vorliegenden Schlüsse, bei denen von
8*
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Aulsätze
zwei Vordersätzen nur einer oder von dreien nur zwei gewiß
Gleichungen sind, nicht aus, dazu wäre vielmehr erforderlieh, daß
jeder Vordorsatz, also auch das gegebene Urteil eine Gleichung wäre,
wäiirend es nach unserer Yoraussotzung nur ein allgemeines Urteil ist
D. Traktisclie Bedeutung der Ausdeutungen.
I. Jede Ausdeutung ist, mag nun djus gegebene Urteil ( IJ') an
sich gültig sein oder nicht, eine Verdeutlichung derjenigen
Gedanken, die in Betracht kommen, wenn wir nach einem
Urteil suchen, in dem das gegelH'ne wie eine notwendige
Folge enthalten ist. Und da die Ausdeutung dies tut, indem sie
eine dem U gleicligoltonde Wahl von Urteilen angibt, die zu U mög-
licherwc'is»» übergeordnet und unteroiiiander unverträglich sind, sc» ist sie
im Keiche iler Urteile dasselbe, wie im Reiche dt r Begriffe das liinter-
glied eines allgemeinen kategorisch-disjunktiven Urteils, z. B. des Satzes:
Diese F/hufxf ist niiwetlpr eine Schniarotxcr - oder ei zw füiilnis-
hnrohi/i oder eine P/lanxe, die ihre ganze Nahrung in Form an-
or(janis< her Verhiudnnge}i ai(fni»nnt ; denn so ein Hinterglied gibt
zu dem im Vordergliede aufgestellten Begriffe /? {diese Pftanxe) auch
eine gleicbgeltende Wahl von ihm möglicherweise untergeordneten und
untereuiander un vertraglichen Begriffen 7?Z)i, BD^ nnd BD^ an {eim
Schimiroixcr-^ eine fäulnishetroJtnende und eine die ganxe Nahrung
in Form anorganiseher Verhind/f/tym anfnehjnendr l'fiair.e). Daß man
einem allgemeinen Gebraucht' zufolge diese Begriffe dem B unter-
geordnet, die (ilieder der Ausfuigorung des Z7 aber zu übergeordnet
nennt, macht wohl sj)rachlich einen Unterschied, nicht aber im Wesen
der Sache, da in beiden Füllen Gedanken vorgeführt werden, zu denen
der gegebene iioiner mitgiiltig ist, während das Umgekehrte nicht
stattfindet
n. Wenn wir der Richtigkeit des gegebenen Urteils
gewiß sind, maß auch die Ausdeutung ein gültiges Urteil
sein, weil sie dann durch einen gültigen Schluß aus lauter gültigen
Toidersiiien gewonnen worden ist
Da in jedem solchen EUle eine gültige Wahl von Urteilen, eine
Urleilswahl, Ton der ein Glied gültig sein muß, Toriiegt» so spielen
die gültigen Ausfolgerangen bei der Yeigewisserung der Richtigkeit
von Urteilen eine bedeutende Bolle. 1£an bedarf ja bei jeder von
ihnen, am dasjenige einzelne Urteil zu bestimmen, welchem
die Gültigkeit sususprechen ist, nur noch eines oder
mehrerer disjunktiven Schlüsse. Diese sind:
entweder 1. durch Setzung aufhebende, wenn man die Ans-
dentung^ d. i. die Kenntnis der überhaupt mög^chen Ffille, so benutzt,
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Pncosxt: Die AuüfoJgeruog aud Ausdeutung allgemeiuer Urteile usw. 117
daß man eines von den zur Wahl stehenden Urteilen direkt beweist,
woraus sich die Unp^tütif^keit der übrigen Deutunp^en von selbst er-
gibt. In dieser Weise wurde vorgegangen, als man aus: Die Bahn
dieses {fn'p a/lrr) Konietrii ist eine Kegelsc/mittsliiiie und der Ein-
teilung^ des k'tzt<renannten Begriffes schloß: Die Bahn dieses Kometen
ist (iitircder ri/ir Ellipse oder eine Parahel oder eine Hyperbel und
Hallkv sofort den Beweis antrat, daß die Hahn des bestimmten Kometen
eine Ellipse sei. Auch Kki-flekn scliwcliten betreffs der Planeten-
bahnen melirere Moirlichkeiten vor. von <ienen sicii durch die Be-
rechnuiiiron eine als gültig erwies, während die übrigen eben darum
au^egL'bt'n wurden.
Weit häufiger wird aber die Ausdeutung benutzt, um
2. mittels eines ndcr mehrerer durch Aufhebung setzen-
den Schlüsse eine Deutung (indirekt) zu beweisen, indem man alle
übrigen widerlegt. So gelangt man hei der Hestimnuing von Natur-
kürpern sehr oft zuerst (hircli AusseliiielJung mehrerer anfangs sich
darbietenden ^rogliclikeiten zu einer festen Uberzeugung, in welche
Gruppe der tiegenstand wirklich einzureihen ist und läßt dann den
direkten Beweis für die Richtigkeit der Bestimmung folgen. Ferner
ergaben sich aus den Sätzen: Die Alpen sind ein Gchirf/e und: Die
(iihiriji sin/f enfiitihr diirrlt rnlkamsiJn' Krftehnmj oder durch fiori-
xontdli Faltung der Erdohrrfldche i'ittstondcn , für die Entstehung der
Alpen zwei mögliche Erklärungen, von dcMien nach Abweisung der
ersten die zweite festgehalten wird. Bezüglich der Me'teore gibt noch
Cm.ADNYs bezügliches Werk eine Reihe von Deutungen an (Entflanunung
von Dünsten, Projektile aus Erd- oder Mondvulkanen usw.), die erst
fiberwunden werden mußten, ehe man zur heutig<Mi Auffassung ge-
langte, wonach in solchen Fallen Körper (von sehr verschiedener
Größe), die nicht zum System Erde-Mond gehören, in die Atmosphäre
der Erde eindringen.')
Übrigens sind auch die im nachfolgenden zu besprechenden Fälle
Itater Beispiele von Schlüssen, die auf Grund einer Ausdeutung eine
Deatang durch Widerlegung der übrigen beweisen.
Wir haben nämlich noch die praktisch wiehtige TktBaehe sn
') Derjenige indirekte Bewds «nee Stfacem der daroh die ÜDgülti^ceit dee
kMtndiktnrisohen OegeoteUs geffihrt wiid, ist wohl mdi ein durch Aufhebung
setzender Schluß auf Grand einer gültigen Wahl von Urteilen (welche lautet: Bhit-
vrdfr giU fh'r xti betceijtniflr Safx odf^r srin knntrnth'kfori.trhfs Gegenteil), unter-
scheidet 8ich aber von den oben behandelten iadiiekten Beweisen dadurch, daß die
gültige Urteilswahl, auf der er beruht, keine Ausfolgerong des zu beweieendea
flatiee ist
Digitizeo by^^OQle
118 Anfdtie
beleuchten, daß bei solchen Schlüssen oft zwei oder mehrere
Glieder der IJrteilswahl auf einmal widerlegt werden
können. Und zwar f^eschieht dies
a) bei der (oben unter C l besprochenen) definierenden Aus-
deutun|.( eines Urteils {S ist P):
a) wenn man von einem Merkmal des S z. B. von ^ nach-
weist, daß es (weil alles, was und .2,, aber nicht ist, auch das
PrSdikat P hat) für die Gültigkeit des Satzes nicht notwendig ist
Man ist daher berechtigt, in jeder definierenden Ausdeutung
eines Urteils {8 ist F) alle Deutungen auszascheiden, in deren Tordier-
g^ede ein Merkmal Ton S vorkommt, das für die Gültigkeit des Urteils
nicht notwendige ist In dem angenonmienen Falle, daß nicht not-
wendig ist, können in der siebengliodrigen UrteUswahl die 5^ 6. und 7.,
in der dreigliedrigen Urteilswahl, wenn ^ nicht notwendig ^ die ^
2. und 3. Deutung ausgeschieden werden;
ß) wenn man von einem Merkmale des 8 z, B, nach-
weist, dafi es (weil alles was und ^, aber nicht ist, das
Mdikat P nicht hat) ffir die Gültigkeit des Satses notwendig ist
Man ist daher berechtigt, in jeder definierenden Ausdeutung
eines Urteils {Sist F) alle Deutungen auaansdieiden, in deren Vorder^
^iede ein Merkmal von 8 nicht yorkommt^ welches für die Gültigkeit
des Urteils notwendig ist In dem angenommenen Falle, dafi 2^ not-
wendig ist, kann in der siebengliediigen Urteilswahl die 2., 3. und 6^
in der dreigliedrigen aber nur die 2. Deutung ausgeschieden werden.
Bei den oben beispielsweise angeführten definierenden Aus-
deutungen entfaUen daher, wenn man das dem gegebenen wirklich
übergeordnete Urteil suchte einerseits diejenigen Deutungen, in deren
Subjekte Inhalteglieder Torkommen, die nicht notwendig sind, andrer-
seits aber auch diejenigen, in deren Subjekte notwendige Inhaltsglieder
nicht Torkommen. Der Eürse halber führen wir, um dies ersichtlich
m machen, im nachstehenden nur die angezeigten Ausdeutungen an
und unterscheiden dabei die notwendigen und die nicht notwendigen
Inhalts^eder, indem wir diese einklammem, jene aber nicht Jene
Ausdeutungen lauten : Jedes gleiehaaHge {rechiwiiMige) Parallelogrufnm
ist ein Tangentmviereek* Jede Säure {die ot» Stdphat enMeM)
ßrbt blaues Lahnuspapier roL Jedes {gldekseitige) {jreektwmkU^)
Parallelogramm hat einander halbierende Diagonalen. Jedes glei^
seiti/fe rechtwinklige Vieleck ist ein Sehnen- und TangefUenvielede,
Jedes Urteil, das nicht gewifs riehiig und nicht gewifs unrichtig
ist^ ist unvollendet.
b) Auoh bei der (oben unter CU bebandelten) einteilenden
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FoBoinrr: Die Amfolgemog und AiiBdeataiig allgemeiner üiteile vmr. 119
Ausdeutang eiiies ürteils (Sist P) können, Ms 8 ein allgemeiner
BegiifiE ist, zwei oder mehrere Beutungen auf einmal widerlegt werden:
a) wenn man von einer Determination des P z. B. von
P2>g nachweist, dafi ihre Tereinung mit 8 (s. B. wegen eines
in ihr entiialtenen Widerspruches) ein ungültiger Begriff ist, weil
es kein 8PD^ gibt Man ist daher berechtigt, in jeder einteilenden
Ausdeutung eines ürteils {8 ist P) alle Deutongen auszuscheiden,
in deren Hinteiglied eine Determination Ton P yoricommt, die nie i$isi
In dem angenommenen Falle, daß 8PDi ungültig ist, können in
der siebengliediigen ürteilswahl die 3^ 6^ 6. und 7., in der drei-
gliedrigen TJrteilswahl, wenn 8PDt ungültig ist, die 2. und 3. Deutung
auggeschieden werden.
b) wenn man yon einer Determination des P, z. B. von
PDi nachweist, daß ihre Yereinung mit 8 ein gültiger Be-
griff ist, weil es ein oder einige 8PDi gibt Man ist daher be-
rechtigt^ in jeder einteilenden Ausdeutung eines ürteils {S ist P)
diejenigen Deutungen auszuscheiden, in deren Hintergliede eine Deter-
mination von P nicht vorkommt^ die bisweilen «9 ist.
In dem angenommenen Falle, daß SPDi gültig ist, kann in der
siobengliedrigen ürteilswahl die 2., 3. und 6., in der dreigliedrigen
ürteilswahl aber nur die 2. Deutung ausgeschieden worden.
Bei den oben beispielsweise angeführten einteilenden Ausdeutungen
entfallen, Avenn man das dem gegebenen wirklich übergeordnete Urteil
sacht, sowohl diejenigen Deutungen, in deren Hintergliede ein Begriff
vorkommt, dessen Yereinung mit S ungültig, als auch diejenigen, in
deren Hintergliede ein Begriff nicht vorkommt, dessen Yereinung mit
S gültig ist In nachstehender Aufzählung jener Ausdeutungen sind
die gültigen und die nicht gültigen Prädikate dadurch unterschieden,
daß diese eingeklammert erscheinen, jene aber nicht Die betreffenden
Satze lauten: Der Watxmarin überhaupt ist etitureder wolkenfrei oder
nicht wolkenfrei. Der Oaitumjstiame ^Gift^ überhaupt ist rnffrcdfr
ein mänjiliehes oder ein weibliches oder ein sächliches Ilaitptirort,
Der Gattungsname -iKönig* ist männlich {oder iceihlich oder sach-
lich). Der Gattungsname »Frau* ist {männlich oder) /rrihlirh {oder
sächlich), der Gattungsname : Lnndi ist {männlieh, neUA'u li oder)
sächlich, der Gattungsname :> Kunde ist männlich oder weiblich (oder
säehlich). Der Gattungsname tSehihU ist inäufdich (nrihlich) oder
säehiich. Der Gatfuugsuanie ^M<ifs<L ist {mäuulieh) uvihlicii oder
säehlich. Das Ergebnis einer Division ist eiiftreder ein rehter oder
ein unechter Bruch. Jeder disso)tierr/{de ALLord enthält entweder
eine Sekunde oder eine Septime oder ein übcrmäfsiges oder ein ver-
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120
Aufsätze
minderten anderes hitervaU. Alle Faseni des meiiscJdichcn Triget/i/ntis
sind sensibel oder vioiorisch. Jedes rechtwinidiye Dreieck ist ent-
weder fnff/Icichseitig oder (ileichsehoddig {oder glrirhsritii/). Jeder
ro/lständiye drf/fschr Nrbensatx ist cntucder indikativiseh oder kon-
jnnklirisch (oder itz/pcratirisch). Alle AUjru sind blatilose KryptO'
gatnen {oder blatthildrndc oder Gcfäfskrf/piogamen).
c) Bei jeder Ausdeutung, die durch eine Definition und
eine Einteilung gebildet wurde, kann man, eben weil itci ihr
beide Bildungsweisen zur Anwendung gelangten, zum Zwecke der
Ausscheidung von Deutungen sowohl wie bei der bloß defi-
nierenden als auch wie bei der bloß einteilenden Aus-
deutung vorgehen. Unsere Beispiele lauteren: Die dichterisch dar-
(/cstcllfcft Thuidlungen [die dramatisch und mitleiderrrgc/td sind] rndigm
mit cinein Siege oder )nif einer Xiederlage der Ihi/<jffpersoN. Die
{am Hopfen rorkoininvudt) ditrili ungleichnidfsigc^ Muchs tum rer-
urmrhte bogen för)nige Beirr gutig der Fjhur.eugipfcl beirirkl die Um-
schiinguug ciuer rorhaudeucf/ smkn'cJifen Stiitw iu der Ririitung
nach rechts oder nach links. ,frd< Aufserung, durch die ein anderer
[utis U)bt, niLs gefallen will und) un^ belügt, gefährdet die Richtigkeit
u/iserer Urteile enfueder durch gnnx u/nrahre Angttben oder durch
solche^ die eine Mischung von Wahrheit find Unwahrheit sind.
III. Wenn das gegebene Urteil nicht gewiß richtig ist,
so wird ilurcli den zur Bildung einer regelrechten Ausdeutung führen-
den Schluß, weil einer von .meinen Vordersätzen kein giiltigos Urteil
ist, die Gültigkeit der Ausdeutung nicht verbürgt; wohl aber ist auch
dann noch gewiß, daß das durch diesen Schluß gewonnene
Urteil wirklich eine Ausdeutung des gegebenen ist
Da diese als solche mit dem gegebenen Urteil immer mitgültig
ist) also eine Folge desselben bildet^ so benutzt man sie häufig
zur Widerlegung eines gegebenen Urteils, indem man zeigt,
daß dessen Ausdeatimg d. h. alle Glieder derselben ungültig sind.
Man nennt solche Widerlegungen gewöhnlich (di-, tri-, poly-) lemma-
tiflohe a. B. Wärm Oedäckimwene Oeäiehte, so müfstm sie tnhpeder
epische oder fyrisdie oder dramoHsehe Qedkhte sein. Da sie mm
aber keiner ifon diesen Jrtett angehören, so sind sie itberhm^i keim
Oediehie. Oder: Wäre der Angeklagte im ÄugenbUnke der ihm xur
Last gelegten Tai strafreckUu^ xurechnungsfähig gewesen^ so hätte
er entweder bewufsihs sein müssen oder in einem Zustande krank-
hafter Störung seiner OeistestäHgkeit Nun war er eher damaXs
weder bewufstlos noch geistesgestört, also war er strafreehtlieh xU'
reehnungsflüiig.
FoKORinr: Die Aiufolgenuig und AaBdeutaiig allgemeiner VrteSle usw. 121
Anhang
Wenn der Verfasser in der vorliegenden Abhandlung nur Urteile
mit positiTeiii Subjekte und Prädikate behanddt hat, so ist dies in
der Absicht geschehen, die bei solchen Sitzen besonders hfiufig toiv
kommenden und praktisch wichtigen Ansfolgerungen nnd Ausdeutungen
möglichst ein&ch, klar und ohne diejenigen Komplikationen dansnsteUen,
die unvermeidlidi werden, sobald man sich dabei auch auf negative
Urteilsglieder einlfifit Wer jedoch diesen Schritt nicht scheut
und ihn zur Herstellung einer gewissen Vollständigkeit der Theorie
sogar für nnerläfilich erkennt, findet bei genaueim Eingehen folgendes:
L Eine Ausfolgerung wird gebildet:
1. SU einem allgemeinen Urteile mit einem Prädikate
wie: igt (sind) niehi P, indem man ohne Veränderung des positiTen
oder negativen Subjektes für P eine gültige Umfangsangabe
(PDj oder FD^) einsetzt Das Ergebnis lautet: ^ tat nicht {FD^ oder
^»
xmd ist nicht FD^\
2. B. Aus dem Satse: VerträgHehes ist nieht mtgeyetKjvsetxt ent-
steht duroh Einteilung des im Prädikate vorkommenden Begriffes:
Verträgli^tes ist nicA^ kontradUdoriseh oder konträr entgcgengesetxi
oder, was dasselbe ist, nidU lamtfadiktorisek und mtM konträr ent'
gegengeaetzt.
2. zu einem allgemeinen Urteil mit einem Subjekte wie:
oder, besser ausgedrückt: Was niehi 8 ist bildet man
eine Ausfolgening, wenn man ohne Veränderung des positiven oder
negativen Prädikates für S seine luliuitbangabe (-\ utul ein-
stellt Das Ergebnis lautet: Was nidU (^^ und 2,) ist, ist ^ ^ Was
p
eniwedsr nieht oder nieht 2^ ist, ist »
P
Was nicht Z ist. ist
P
p
und was nicht ^ ist. ist
z. B. Wenn gegeben ist: Was nicht tragisch ist^ ist kein Stoff
für ein ernstes Drama, so ergibt sich duroh Definition des im Sub-
jekte vorkommenden Begriffes: Was nicht dem Zuschauer Mitleid ein-
fUffst und ihn zugleich erhebiy ist kein Stoff für ein ernstes Drama'^
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122
Was dem Zusduwer kein Mitleid einflöfst \ ist ifcetn Stoff für
ufMf was dm Zuaehauer nidU erhebt, f ein ernstes Drama.
3. Es können surBUdnng einer Ansfolgening auch zugleich
ausgeführt werden:
1. wenn beide ürfceilsglieder negativ sind, die soeben (Anhang. 1 1
nnd n2) angegebenen Einstellungen;
2. wenn ein Urteilsglied positiT ist, eine Einstellung für dieses
nach Abschnitt A zugleich mit einer für das negatiTe ürteilsglied
nach Anhang, II oder 12.
IL Eine Ausdeutung wird gebildet:
1. SU einem allgemeinen Urteil mit einem Prftdikate
wie: ist (sind) nidU P« indem man ohne Yeriinderung des positiTen
oder negativen Subjektes für F seine Inhaltsangabe (üj und il^)
einstellt Man erhält so: f ist nicht (il^ und 11^)
q
Entweder ist Hj, aber nicht (1. Deutung
o
oder ist i^, aber nicht (2. Deutung)
S
oder ist weder i/, noch lU (H. Deutung);
z. B. So entsteht aus: Das Deltoid ist kein Quadrat durch Defi-
nition des im Prüdikat vorkommenden Begriffes der Satz: Das DeUoid
ist kei/i m/('lmäf.si(/es Vieref:k
ffi/frcflcr es ist rcgelmäfsig, nher kein l'lererk
otltr es ist ein Viereck^ aber nicht re(jelinäfsig
oder es ist irtdrr ein Viereck noch regelmäßig. Wirklich gültig
ist hier die 2. Deutung.
2. zu einem allgemeinen Urteil mit einem Subjekte
wie: Nieht-S oder, hesser ausgedrückt: W/is tnchf S ist l)ildet
man eine Ausdeutung, wenn man ohne Veränderung des positiven
oder negativen Prfidikates für eine gültige Umfsngsangabe
(SIJ]^ oder 6D^) einstellt. Man erhält dann: Was nicht (SDi oder
SD,) ist, ist ^ J^as nicht SDi und nicht SD^ iai ^ »
p
Entweder Was nicht SD^^ ist, ist (1. Deutung)
oder Was «icÄf 52), ist, ist ^ (2. Deutung)
oder Was nicht blofs niciii SD^ sondern zugleich auch nidU
8Df ist, ist ^ (3. Deutung);
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Pobobht: Die Amfolgenuig and AtiBdeatang allgememar Ufteite usw. 123
z. B. Es sei gegeben: Was nicht v'ui irarmhlütiycs Wirbel (/W
ist, hat )(i(lit xirei vollständig yftrrnntc Ilcr^hannneni. Wenn man
nun für den im Prädikate vorkommoiiden Bui^riff seine beiden Arten
einstellt, so gewinnt man den Satz: Was nuht Siiugciicr oder Vogel
ist. hat nicht zwei vollständig gvircnnte Ilrrxkaunncrn. Von den
drei hier möglichen Deutungen gilt nur die dritte. Doch liißt sich
letzteres nicht von allen hierher gehörigen Ausdeutungen behaupten.
Wenn wir z. B. zn dem Urteil: Was kein Dreu-/-k iai, ist kein sym-
metrisches Dreieck die Ausdeutung bilden : Was kein gleichschenkliges
und kein nicht gleichschenkliges Dreieck ist^ ist kein symmetrisches Drei-
ecL, so gilt nicht die 3. (oder die 2.) sondern nur die erste Deutung: Was
kein glMu^enkliges Dreieek ist^ ist auch kern symmetrisches Dreieek.
3. Es können zur Ausdeutung eines allgemeinen Urteils auch
xngleich ausgeftlhrt werden:
1. wenn beide UrteilsgUeder negativ sind, die soeben (Anhang, II 1
und 112) angegebenen Einstellungen;
2. wenn ein UrteiisgUcd pusitiT ist, eine Einstellnng für dieses
nach Abschnitt C, zugleich mit einer für das ncgatiTC Urteil^glied
nach Anhang III oder 112.
Schlieüich sei noch beaüglich der besondern Urteile die
Bemerkung gestattet, da£ man wegen ihres bekanntlich geringem
wissenschafüichen Wertes kein Bedürfois empfindet, sie zum Gegen-
stände einer Ausfolgemng oder Ausdeutung zu machen. Auch fehlt
ihnen, solange sie wirklich partikulfir sind, zu diesen Operationen
die Eignung^ da die Umwandlungen, die bei allgemeinen Urteilen
leidit und sidier zum Ziele fflhren, bei ihrer Anwendung auf be-
sondere Urteile infolge der diesen Sätzen eigentämlichen Unbestinmit-
heit und Vieldeutigkeit unwirksam werden.
') So gelangt man z. B. auch in dem günstigsten Falle, daß das Subjekt und
das Prädikat de» besondern Urteils positiv sind, zu keiner Ausdeutung, wenn mau
fir P dne gültige Angabe aaines Umfiogs einstellt und erhilt: Em oder einige 8
gimd entweder oder PD,. Da nämlich partilniläre Urteile auch bei (fürmoU)
gleichem Suhjekic und unvereinbaren Prädikaten verträglich sein können, so kann
man auf Grund des Satzes: Ein oder einigp S .<t'ii</ J'J)^ ttflrr PI\ nicht zwei (oder
mehr als zwei) untereinander wirklich uuverträgliche Deutungen angeben, deren
ITahi mit dem gefgebeDeo ürMl gleiohbedeatend wäre. Auch wenn man in einem
beeondeni Urteil mit positiTem Snbjelcte oad Plftdikate fOr P eine gfiltige Angabe
eeinea Inhalts einstellt, erschließt man wobl richtig: Ein oder einige S sind ^^
und 77. und kann daraus fol^'ern: Fitt of/rr riintfi- S sind Tl^ und: Ein f>dcr rinigr S
xind 11^; ab«r da in den beiden zuletzt angefuluteu Urteilen die ^' voneinander
ganz verschieden sein können, so ist die Vereinung dieser beiden Sttse darohina
nicht gleiohgeltend mit: Ein oder einige S eind Iii und n; nnd daher anch gar
keine Ansfdgennig des g^benen Urteila.
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124
H. St. Chamberlains Vorstellungen über die Religion
der Semiten spez. der Israeliten
Von
Professor D. Baentscb-Jeiia
(Fortsetzung)
n
Zweifellos hat sich Cbamberlain in den im I. Teil unserer Ab-
handlung cfaarakterisieTtein AusfOhrongen über die Religion der Semiten
and spezieil der Israeliten in mehr als einer Beziehung als ein scharf-
sichtiger Beobachter erwiesen. Wem wären denn nicht schon ähn-
liche Empfindungen und Gefühle gegenüber gewissen Erscheinungen
gerade der alttestamentlichen Religion und besonders der Religion
des Judentums aufgestiegen, wie Cbamberlain sie in seinem Werke
zum Ausdruck gebracht hat, und zwar in einer Weise zum Ausdruck
gebracht hat, daß man mehr als oinnuil sagen möchte: hier ist der
Nagel wirklich einmal aiif den Kopf getroffen? So ist Cbamberlain
denn für viele der Dolimetsch ihrer eigenen (bedanken und Emp-
findungen und für manchen bisher L ti] laron und Unentschiedenen
gewiß der Führer in das antisemitische Heerlager geworden. Aber
auch der, welcher sich auf den extrem ariselien Standpunkt Chamber-
lains nicht zu stellen vermag, der sich mit Händen und Füßen gegen
den Antisemitismus sträubt, kommt von dem Bann, in den ihn die
Lektüre seines monumentalen Werkes versetzt hat, und von der leb-
haften Empfindung, daß in all seinen Ausführungen wenigstens ein
sehr richtiger und gewichtiger Kern stecke, nicht so leicht los. Nament-
lich die Art, in der Chumberlain die Willensenergie der Semiten
und speziell der Juden als das hervorstechendste Merkmal dieser
Völkergruppe zur Geltuiiii; bringt, und wie er z(Mgt. daß unter der
neiTscliaft dieses gewaltigen, immer nur auf das Greifbare gerichteten,
egoistischen Willens, der zugleich die r!rr>Bo der semitischen Kasse
ausmacht die übrigen Seelenvermögen manche Beeinträchtigung er-
fahren haben, hat für jeden, der die Geschichte der semitischen
Völker und der Juden einigermaßen kennt, etwas so Überzeugendes,
daß er von vornherein geneigt ist alle weiteren Ausführungen des
Verfassers, die auf jenen Satz von der semitischen Willensenergie
als auf ihre feste Grundlage gestellt sind, als durchaus oder doch in
hohem Grade richtig anzuerkennen.
Gleichwohl wird nun aber der Leser, der etwas tiefer in das
Wesen der israelitischen Keiigion eingedrungen ist und der das Alte
Testament etwas genauer kennt, das Gefühl nicht los, daß Chamberlaia
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fiuRnoi: H. St CbamberiaiDs VorsteUangen äber die Keligioii usw. 125
wonigstens dem Allen Testamente und der Belig^on Israels, die darin
ihren liiederschlag gefanden hat, nicht ganz gerecht geworden ist
Denn diese Religion — so sa^t sicii selbst der einigermaßen kundige
Laie — hat neben den manclierlei offenbaren und zura Teil auch
abstoßenden Mängeln und Schwächen doch auch so viel helle Licht-
seiten, daß eine Beurteilung derselben, die auch diese Seiten ohne
VoreingenoniaiMiheit in Ansatz bringt, sich etwas anders ausnehmen
wild als das im ganzen höchst absprechende Urteil, das Chaniberlain
über sie gefällt, und das hei seinen Verehrern und oft gedankeniofien
Bewunderem und Nachbetern ein so lautes Eciio gefunden hat
Schon aus diesen Bemerkungen wird der Leser entnehmen
können, daß eine Auseinanderset;:un/]^ mit Chamberlain ihre besondere
Schwierigkeiten hat. Einer total falschen Auffassung der Religion
Israels könnte der Kenner mit Leichtigkeit eine richtigere Auffassung
dieser Religion gegenüberstellen. Damit wäre dann der ganze Streit
ia der einfachsten Weise von der Welt erledigt. Aber Chambeilains
Auffassung ist ebensowenig total falsch als sie total richtiic ist. Denn
in seinen Ausfiihning'Mi ist meist Falsches und Richtiges so innig
miteinander verniejigt, daß es oft schwierig ist beides aiiseinander.
zulösen. Dazu ist der Kritiker Chamberlain gegenüber in^ufcrn in
einf'm gewissen Nachteil, als dieser es verstanden hat, sich eine
Hintertür zu schaffen, durch die er just allemal in dem Augenblick
entschlüpft in dem der Kritiker glaubt ihn gepackt zu haben. So
')ft näinli<-li der Kritiker ihm mit schlagenden Beweisen für eine
höher geartete Religiosität innerhall) Israeds auf den Leib rückt ist
jener flugs bereit von Entlehnungen, sei es von den alten Sumerern
oder sonst wolier. als von der ausgemachtesten Suche der Welt zu
reden, oder aber sich auf seine mit grober Virtuosität ausgebildete
Rassenmischungs thoorie zurückzuziehen. Das aber gerade —
daß das Alte Testament so reich und überreieli an fremdesten
Kiementen ist — macht, daß es ist. was es ist. \\ Ubei auch die
eigenartige Zusammen werf ung von Rassen, aus denen l.sraeliten
und .luden hervorgingen, nicht ültersehen werden dart< M Damit ist
<ler Kampfplatz aber auf ein völlig unkontrollierhares (iebiet verlegt
und eine erfolgreiche Diskussion infolgedessen nicht mehr möglich.
Denn daß die Ausführungen Chamherlains über diese Ra.ssen-
zusamraenwerfungen auf S. 357 ft zum guten Teil hypothetischer
Natur sind, darf nicht Ubersehen werden. *')
') DÜcttantisnins. Rasse, Mfnotheismus, Rom. S. 58.
') Natürlich wirJ kein vernünftiger Mensch (l.iran dpnkfn, eine soU'ho H.xssen-
miacbuog za leugoeo. Auch gebe ich ohne weiteres zu, daU wir an bei den alten
Digitizöd by Google
126 Aufrittze
Bevor ich nun in eine Auseinandersetzung mit Cuamberlaix ein-
trete und zunächst das von ihm entworfene Bild von der Religion
der Semiten und speziell der Religion Israels auf seine Richtigkeit
prüfe, muB ich den Leser noch mit einer mehr allgemeinen Aus-
einandersetzung Über den komplixierteo Charakter der Religion Israels
(den sie fibrigens mit jeder einigwinaßea entwickelten Beligion ge-
mein hat) behelligen. Wir gewinnen dadurch für die Aoseinander-
setzong mit Chambodain einen festen Boden und erleichtern ans das
Verstündnis seines Standpunktes wie seine etwaige Bekftmpfnng. DaA
ich mich auf die Beligion Israels besohrfinke, hat seinen Onmd dazin,
dafi wir diese Beligion in allen ihren Phasen am deutUcbsten kennen
und daB sich unser Interesse begreiflicherweise am meisten auf sie
konzentriert
Man muß, wenn man über die Beligion Israels redet, sich immer
Tor Augen halten, daß sich im Alten Testament der Niederschlag
einer religiösen Entwicklung ron mehr als einem Jahrtausend findet
Bafi eine Beligion, die eine solche Entwicklung durchlaufen hat, auf
Terschiedenen Stufen einen yerachiedenen Charakter trSgt, ist selbst-
verstindlich und ist natürlich auch von Chamberiain im allgemeinen nicht
verkannt worden. Gewiß werden sich ja in den verschiedenen Stufen
oder Entwicklungsperioden gemeinsame und gleichartige Grundzüge
finden, denn auf ihrem Vorhandensein beruht ja die Einheit einer Beli-
gion. Aber diese Grundzüge treten uns in den verschiedenen Perioden
do6tk immer ui eigenartiger Ausprfigung und in neuen Gedanken-
Verbindungen entgegen, die oft eine eigentümliche Umwertung des
Charakters der betreffenden Beligion zur Folge haben. Uan wird dem-
nach nicht ohne gründliche Kenntnis der einzelnen Entwicklungsstufen
an die Beurteilung der isra^tisdien Beligion gehen dürfen. Vor allem
darf man seine Belegstellen nicht aufs Geradewohl ans dem oder jenem
Buche nehmen, sie nach Gefallen auswählen, eine wie die andere
würdigen und damit wohlfeile Trumpfe ausspielen. Es wird vielmehr
alles darauf ankommen, die Zeiten auseinanderzuhalten und keiner
Belegstelle eine über ihre Zeit hinausgehende Tragweite beizulegen.
Amontern in Noidkanaan mit dnero Volk enmiaohen UnpningM m ton haben.
Dafür sprechen die Abbildungen von Ämoritern auf ägyptischen Denkmälern, die
sie Maiiiintrii; und spitzbürtig darstellen. Die Hethiter aber, die bei Chamberiain
eine so groliu liollo spielen, lassen wir lieber aus duiu Spiele, da wir vun ihnen
doch noch viel zu wenig wissen. Was wir über sie bei Chamberiain lesen, ist zum
gaten Teil haltlose Phantasie. Wie es nno aber «noh um jene Bmweniiüachimgen
stehen möge, jedenfalls ist die Ait, in der Cauunberlain mit ihnen operieit, nkdit
einwandsfrei und sum mindesten übertrieben.
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BomBCH: H. St. Chamberlaina VontoUaDgen über die Religion vasw. 127
Difi Gbambeclnii diraer Fordemng mdit übeniU gerodit geworden
ist, werden wir später sehen. Abet es gilt nicht bloß die Zeiten
«Qseinanderzahalten. Innerhalb der einzelnen Zeitperioden sind wieder
Terschiedene religiöse Richtungen oder Stränge zn unter-
scheiden und streng voneinanderzusondem. Da ist zunächst der
Strang der Volksreligion. Die Volksreligion schleppt sich von Jahr-
handert za Jahrhundert mit altheidnischem Aberglauben und Dämonen*
glaaben und polytheistischen Vorstellungen und hält unentwegt an
ihnen fest, anch wenn die offizielle Religion längst Uber sie znr
ÜBgesordnnng übergegan^'cn ist nnd dasFestlialten daran unter strenge
Pön gestellt hat Die Äußerungen der Volksreligion sind also auf
keinen Fall als klassische Zeugnisse für das Wesen der Religion
Israels anausehen. Wer sie in diesem Sinne verwerten wollte, würde
genau so verkehrt handehD^ als wollte er das Wesen des Christentums
an der Religion unserer Bauern studieren, deren Christentum be-
kumtUch eine reiche Fülle heidnischen Aberglaubens und heidnischer
Sitte in sich aufgenommen und konserviert hat Da ist weiter der
Strang der Priesterreligion. Hier erstarren die lebendigen reli-
^(ison Überzeugungen und Erfahrungsaussagen leicht zu dogmatischen
Fonneln; hier herrscht überall das Bestreben, kultischen Brauch und
kultische Sitte zu registrieren, zu rubrizieren, kurz die Religion zu
legalisieren. Die Religion verliert ihren subjektiven Charakter und
bekommt den Charakter des Statutarischen, das sich jedem Fortschritt
hemmend in den Weg stellt. Speziell in den I'riesterkreiseii wird
sich auch jene, allem wahren religiösen Empfinden widersprechende,
Auffassung der Religion als eines zwischen dem Volke und seinem
Gott geschlossenen Verti'ages herausgebildet hab(»ii. dessen Bestand
an die Erfüllung gewisser Vertragsbedingungen ,<j:ckniii)ft ist (vergl.
d. Deut). Da weiter den Priesterschaftcn die Pflegf des nationalen
Kultus obliegt werden sich gerade iniicrhall» der Priesterreligion die
Tendenzen auf nationale Beschränkung der Religion am deutlichsten
and Zähesten zeigen, auch dann, wenn in den Prirstersriiaften selbst
aufgeklärtere Anschauungen Platz gegriffen haben sollten, denn diese
werden dann als esoterisehe Weisheit vor dem Volke geheim gehalten.
Steht nun die Priesterreligion auch hoch über der halbheidnischen
Volksreligion, so ist sie doch noch keineswegs der Ausdruck der
wahren Religion, wie sie in einem Volke lebendig ist Sie ist not-
wendig zu deren Erhaltung, Bewahrung und IJberlieferung. aber nicht
mit dieser identisch. Wollte man die Religion Israels lediglich an
den priesterlichen Dnkumeuten des Alten Testamentes studieren (so
z. B. aus dem sogenannten Priesterkodex des Pentateuchs), so würde
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Aufsätze
das g^enau so verkehrt sein, als wollte man das wahre Wesen des
Christentums aus alten Ap:enden, Kirch engesetzen und aus Kirchen-
und .Synodahjrdnungen ergründen. Endlich haben wir noch den Strang
der sogenannten prophetischen Religion, der in Israel seit der
Mitte des S. vorchristlichen Jahrhunderts deutlich hervortritt (wenn
auch siclier nicht erst seit dieser Zeit existiert, sondeni bis in die
Tage ihrer l^egründung zurückreiclit). und in dem sich uns das Wesen
<ier israelitischen Religion in seiner reinsten Ausgestaltung und seiner
höchsten Vollondung darstellt. Hier liegen die fruchtbaren Keime
der Entwicklung, von hier gehen die neuen Antriebe aus, lüer ist
ein Geist lebendig, der alle starren Formen durchbricht, die natio-
nalen Schranken lockert und in dieser und jener großen Persönlich-
keit sogar ganz überwindet. Dieser Strang läßt sich, wie gesagt, seit
der Mitte des 8. Jahrhunderts am denflichsten und in urkundlicher
Belegung verfolgen; er reißt seit der Zeit auch nicht wieder ab,
sondern zieht sich, wenn auch oft nur anter der OberfLfiche, doroh
die Jahrlranderfce hindmx^, bis endUoh Jesus an diesen Strang an-
knifft und ihn in die Religion, die seinen Namen trägt, hinüber-
leitet Man wird, um der Beligion Israels gerecht zu werden, sich
vor allem an die prophetisclien Aussagen zu nalten haben. Denn
nur hier merken wir die Kräfte, die in der Religion Israels lebendig
sind, nur hier fahlen wir den Pols ihres mächtigen schdpferischen
Lebens. Daß die prophetische Beligion Israels in ihrer geschicht-
lichen Erscheinung und Entwicklung durch die unverwUstliche Volks-
religion einerseits und die starre Priesterreligion andrerseits vielfsoh
beeinträchtigt, ja zu Zeiten sogar verschüttet gewesen ist, so daß sie
sich ihren Lauf unter der Oberfläche hat suchen müssen, ist richtig.
Aber das ist eine Erscheinung, die in ähnlicher Weise alle höher
entwickelten Religionen, unter diesen vor aUem auch das Christentum,
zeigen, und die uns auf kernen Fall verleiten darf, von der prophe-
tischen Religion deshalb niedriger zu denken. Der Leser hat aber
ans dieser Auseinandersetzung jedenfalls gesehen, wie verschieden
eine Religion sich ausnehmen kann, je nachdem der Beschauer seinen
Standort nimmt, und er wird gebeten, die hier gemachten Be-
merkungen für den weiteren Verlauf unserer Dariegung recht fest
im Auge zu behalten, da sie fflr die Auseuiandersetznng mit Chamber-
lain von einiger Wichtigkeit sein werden.
Bei dieser Auseinandersetzung handelt es sich nun, wie schon
früher angedeutet, zunächst um die Frage, ob denn das Bild, das
Chamberhiin von den semitischen Religionen im allgemeinen und von
der Religion Israels im besonderen entworfen hat, überhaupt auf
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BilKtscu: ü. ät Ghamberlains Vorstellungeii über die Keiigiou usw. 129
Richtigkeit Anspruch machen darf, oder nicht etwa Einseitigkeiteii
und Verzcichniiniren aufweist, die der Korrektur bedürfen. Wir er-
innern uns, daß Chamberlain diesen Reli^onen und speziell der
Keligion Israels, auf die sich unsere Untersuchung besonders zu-
spitzen soll, einen krassen Materialismus zum Vorwurfe machte.
Diesen Vorwurf gründete er einmal negativ auf die Abwesenheit
aller und jeglicher Mythologie, und dann positiv auf die durch
und durch praktische Abzweckung der Religion, auf den grob-
sinnlichen Charakter der Gottesvorstellung, der selbst im israeliti-
schen Monotheismus nicht überwunden sei, auf die geschichtliclie
Auffassung der Religion seitens Israels, auf die Herrschaft des Dogmas
von der Freiiieit dos Willens und auf die materialistische Auf-
fassung Vom (ilauben. Es waren das wenigstens die Punkte, die
wir oben (s. S. 21 ff.) als die uns am wesentlichsten erscheinenden
herausgehüben haben. Die Auseinandersetzung wird uns Gelegenheit
geben, aucii noch auf den oder jenen Punkt (so z. B. auf die Auf-
fassung der Sünde), der hier nicht mit aufgeführt ist, einzugehen.
Verhältnismäßig weit können wir Chamberlain mit Bezug auf den
PTsten Punkt entgegenkommen, wenn uns auch manches in etwas
aiidrit r Beleuchtung entgegentreten wird. Die Semiten haben, so
weit wir bis jetzt sehen können, wolil keine Mythologie aus sich
selbst hervorgebracht. Was sich wenigstens an mythologischen Ele-
menten in den semitischen Religionen findet, trägt die Züge alt-
orientalischer Spekulation und Denkweise, die schon lange vor den
im unbestimmten Dämmerlicht der Geschichte liegenden ersten Ein-
wanderungen von Semiten in das babylonische Tiefland zu hoher
Ausbildung und weiter Yerbreitang gelangt war und deren Ursprünge
hauptsächlich im babylonisdien TieÜand zu suchen sind. Als Schdpfer
der altbabjlonisdiea Ealtar, Spekulation und Mythologie sieht man
heute mit vollem Bechte die in ethnographischer Beziehung noch
nicht ganz sicher bestimmten alten Sumerer an, die vor den Ih-
yasionen der Semiten die dominierende Eultormacht in Yordenisieu
reprfisentierten. Ihre Sprache, die in ihrem Bau an die Turksprachen
erinnert, und das von ihnen erfundene Bilderschriftsystem bekunden
ihre hohe Begabung gerade für das Gebiet der abstrakten Spekulation.
Als die ersten Semiten von Ostarabien aus erobernd in die baby-
lonische Tiefebene eingedrtmgen waren — wann? Ifißt sich nicht
mehr bestimmen, doch mufi es lange vor 3000 Chr. gewesen sein
— und sich su Herren des Landes gemacht hatten, wuchsen sie all-
mfiUicfa in die sumerische Kultur hinein und übernahmen mit der
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130
AnflMtM
Zeit die sumerischen Spekulationen und Mythen. Das wiederholte
sich in ähnlicher Weise, so oft neue Öemitenscharen aus Arabien er-
obernd in das Zweistromland oder überhaupt in ein von der alt-
babylonischen Geisteskultur beherrschtes Land eindranj2;en und sich
darin festsetzten. Sic wurden politisch die Herren des l^andes, ge-
rieten aber in Abhängi^^keit von der dort herrschenden altorientali-
schen Geisteskultur. Nur übernehmen die später Gekommenen diese
Kultur nicht mehr direkt von den alten Sumerern — denn die waren
unterdessen längst verschollen — sondern von ihren früher ein-
gewanderten semitischen Brüdern, unter deren Händen sie natürlich
bereits mehr oder weniger semitisiert war. So erklärt es sich eben,
daß, wo sich im Bereiche semitischer Religionen mythologische Ele-
mente finden, diese überall dieselben charakteristischen Züge alt-
oriontalisclier Weisheit und Spekulation tragen. Der phönicische
Schöpf ungshericht des Sanchuniathon und die babylonischen Schöp-
fungsmythen in ihrer alten Gestalt sowohl wie in der Überlieferung
des Berossus sind Zweige von demselhen Stamme, und der bibli.sche
Schöpfuugsbericht in Gen. 1 läßt die Verwandtschaft mit dem alt-
babylonischen Marduk-Mythus (nach seinen Anfangsworten gewöhn-
lich als Mythus inuma ihl bezeichnet) und ähnlichen babylonischen
Schöpf ungsmjthen noch deutlich erkennen. Auch der zweite biblische
Schöpfungsbäidit m Oen. 2 und die damit jetzt im engsten Zu-
sammenhange stAhende biUische FmdieseB- und Sfinden&Ugeschiobte
in G«n. 3 sind so xei<di an babjlonlsoiien Motiven, dafi es nicht sa
gewagt erscheint, aaoh fOr sie babylonische Urbilder, oder doch
wenigstens starken Binfloß altbabylonischer Denkweise anzonehmeii.
Wenn wir nadi dem allen Cbambklair auch gern sageben, daft
die Semiten eine eigne Mythologie nicht hervorgebracht haben und
ihrer gansen Art nach auch nicht für religiöse Spekulation angelegt
waren — sie stehen in dem Pmücte fraglos weit hinter den alten
Sumerern mrttck — so scheint uns Ghambeilain dodi viel su weit
SU gehen, wenn er den Semiten jedes YerstSndnis für den Mytiius
Überhaupt abspricht. Der Mangel an Produktionakraft auf einem Ge-
biet schließt eine gewisse Beseptionsfittiigjkeit auf eben diesem Ge-
biete keineswegs ans. Wenn auch nicht schöpferisch wirksam auf
dem Gebiete der Mythenbildung haben doch die Semiten, apedell die
in Babybnien eingewanderten, die sumerischen Mythen aufkommen,
sich angeeignet und mit YerstSndnis weitelgebildet Es ist, wenigstens
in der Allgemeinheit, in der es Chamberiain in engem Ansclilui an
seinen Gewihrsmann Bxnan (S. 399) behauptet, nicht richtig, dafi der
Mythus unter den Händen der Semiten (wohlverstanden, nicht nur
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BiJS2«TSCH: H. St Gbamberlaus Voratellaiigeii über die Eeligion oaw. 131
der Israeliten, für die die Behauptung eher zutreffen könnte) zu
> historisch er Chronik« werde. Um sich von dem Unzutreffenden
dieser so allgemein gehaltenen Behauptung zu tiberzeugen, braucht
der Loser nur einen Blick in den I. Teil des 6. Bandes der von
Ebekuard Schräder herausgegebenen Keili nschriftliclien Biblio-
thek zu werfen. In diesem Teile hat der Assyrioloe: I^eter Jensen
die wichtigsten assyrisch-babylonischen Mythen und Epen in Trans-
scription und Übersetzung mitgeteilt Und zwar handelt es sich hier
— wohlgemerkt! — nicht etwa um Mythen und Epen in ihrer
sumerischen Crgestalt, die wir überhaupt nicht mehr besitzen, soiidom
um Mythen und Epen in semitischer Bearbeitung und Ausgestaltung.
Wie ist da doch aber übenill das Wesen des Mythus treulich be-
wahrt und erhalten! Von einer Umsetzung in »historische Chronik«
ist so gut wie nichts zu merken, höchstens hier und da etwas von
Historisierung eines mythologischen Zuges, wie sie aber bei aDen
Völkern vorkommt (s. iU)er diesen Punkt weiter unten). Man lese
nur den Schöpfungsmythus inuma iliä, oder die Mythen von Zu dem
Sturmvogel, von Nerigal und Ereükigal, von Istars Höllenfahrt oder
schließlich den sinnigen Adapa-Mythus. Ob nun freilich die Mythen
in ihrer semitischen Ausgestaltung hinter ihren sumerischen Urbildern
zurückstehen, kann gefragt werden und ich möchte die Frage sogar
bejahen. Wie groß der Abstand aber ist, läßt sich beim besten
"Willen nicht exakt beantAvorten, da wir eben die sumerischen Ur-
bilder nicht mehr besitzen und wir somit über kein Mittel verfügen,
um auch nur annähernd bestimmen zu können, was an irgend einem
Mythus sumerischen oder semitischen Ursprunges ist, vergl. dazu
H. Zdocbui in Ebebuard Schräders Eeilinschriften und das Alte
Dlestament 3. A. S. 349. Aber das ist schließlich hier aaöh Neben-
sache; wonnif es hier ankommt, ist lediglich sa zeigen, dafi die alten
sumerischen Mythen auch onter den Hlnden von Soniten nicht anf-
hMan, Mythen za sein, daß also die Semiten nicht jeglichen Yer-
ständniases ffir den Mythus bar gewesen sein können.
An einem besonders interessanten Punkte l&ßt sich sogar deut-
lich naehweiBen, wie die babylonischen Semiten es auch Terstanden
haben, einen Mythus in chaxakteristiscfaer Weise weiterzubilden. Der
schon oben erwihnte Inumsrilil-Mythus ist in seiner uns bekannten
Oestalt das Flrodukt eines längeren mythenbildenden Prozesses. Denn
wShrend bestimmte Anzeichen dafür sprechen, dafi dieser Mythus in
einer ilteren Gestalt bereits im 4. Jahrtausend t. Chr. bekannt ge-
wesen ist (vei^^ dazu GmiDL in Schöpiong und Chaos S. 27 f), rOhrt
die Qestalt^ in der wir ihn kennen, frühestens aus der Zeit des zu
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132 AjxmMO
Ende gehenden dritten vorchristlichen Jahrtausends her. Damals war
nämlich die 6tadt Babel durch den bekannten König Hammurabi zur
Hauptstadt des von ihm begründeten babylonischen Einheitsstaates
geworden. Das hatte zur unmittelbaren Folge, daß der bisher in
Babel verehrte Gott Marduk iiunmelii als König der Götter und Herr
der Welt an die Spitze des babylonischen Tantheons trat Gerade
diese Tatsache spiegelt sich nun aber in dem Weltschöpfungsepos
inuma iÜS in sehr bezeichnender Weise wieder. Es wird nämlich
darin sehr ausführlich erzählt, wie, nachdem ältere Götter sich teils
geweigert haben, den ICampf mit dem Chaosungeheuer Tiamat aufsn-
nehmen, o^er ohne Erfolg ans diesem Kampfe zurückgekehrt sind,
der jüngere Gott Haidok sich eibietet, den Kampf gegen die lümat
KU wagen, unter der Bedingimg, daß ihm das Beoht der obersten
Schicksalsbesümmmig gewfihrt werde. Die Götter treten darauf m
einer Versammlung zusammon und bestimmen, nachdem sie suvor an
einem Uahle sich giUÜch getan und sich am W^e berauscht haben,
Marduk zu ihrem YorkSmpf er und Bücher. Zugleich erkennen sie ihn
als obersten ffimmelsgott an und bringen ihm ihre Huldigung dar.
Diene ganse Scene, die &st homerisch anmutet — wer denkt dabei
nicht an die olympischen Götter, die sich beim Göttermahle an
Nektar und Ambrosia laben? — stellt, wie gesagt, eine jüngere
Zutat SU dem filteren Mytiius dar, und zwar eine Zutat ans
semitischer Hand. Diese Zutat ist nun aber so fein auf das
Ganze abgestimmt und ist so im Tone des alten Göttermythus ge-
halten, daß wir dem semitischen Teifasser ein feines Yerstfindnis flSi
das Wesen des Mythus und tot allem au(di die gestaltende Straft der
Phantasie nicht absprechen können. Wir sehen gerade an diesem
Beispiele, wie wenig Chamberlain mit seiner so allgemein gehaltenen
Behauptung, dafi jeder Mythus unter semitischen Binden zur histo-
risdien Chronik werde, Becht hat Wird doch hier der Mythus nicht
in Historie, sondern vielmehr die Historie in Mythus umgesetat oder
genauer gesagt: dem historischen Ereignis wird ein mythischer Hinter-
grund gegeben.
Wir fürchten nun freilich, daß diese ganze Ausführung auf
Chamberlain wenig Eindruck machon würde. Er würde sich zur Bp-
klärung des Vorganges einfach auf die Rassenmischung, die zwischen
Semiten und Sumerern stattgefunden und den Semiten sumerisches
Blut zugeführt hat, berufen und uns damit durch seine bereits oben
gekennzeichnete Hintertür entschlüpfen. Oder noch wahrscheinlicher^
er würde uns vieUeioht gar nicht zugestehen, daß hier eine wirkliche
echte Weiterbildung eines Mythus vorliege, sondern lieber von Ent-
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BABincB: H. St Gtiamberlains VontaUttn^ äber die Baügion usw. 133
Stellung und Zentönuig des Wesens des MyÜius reden. ^) Denn daß
der Mythus ein historisches Element in sich aufgenommen hat,
kann ihm nach seinen Yoraussetsnngen, nach denen die Religion
überhaupt mit Geschichte nidits zu tun hat, nur als eine Ffilschung
des Mythus gelten. Damit wäre die Frage nun freilich ganz und gar
auf das leligionsphilosophische Oebiet hinübergespiclt, und wir sehen
hier zum ersten Male deutlich, wie in der Auseinandeisetzung mit
Ghamberlain schließlich alles davon ahhän^ wie man sich zu sdner
AufiRSSung von der Religion stellt. Da wir, wie wir gleich vorweg
bemerken wollen, Chamberlains Auffassung von der Beligion in
keiner TVeise teilen, und jede Beligion für minderwertig halten, in
der nicht alles irdische (reschehen und somit auch die Geschichte in
Beziehung zu dem Göttlichen gesetzt wird, so würden wir uns jeden-
falls nicht entschließen können, in dem von uns angezogenen Beispiel
einen Beweis für die unter semitischen Händen sich vollziehende
Degeneration des Mythus zu sehen, und müßten aUen etwaigen Ein-
'wendungen gegenüber an nnseier Auffassung, nach der hier eine
echte mythologische Weiterbüdang eines filteren Mythus vorliegt, fest-
halten.
Neben solchen "Weiterbildungen des Mythus fehlt es nun freilicli
auch nicht an Historisierungen ursprünglicher Mythen, an Ver-
quickung mythologischer Stoffe mit historischen Elementen. So
spricht z. B. vieles dafür, daß es sich in der Sündflutgeschichte ur-
sprüüglicii um einen Naturmythus gehandelt hat der den Lauf der
Sonne am Himmel zur (irundlage hatte fvergl. H. Zimmern in Euerh.
Schräders Keilinschriften u. d, A. T. S. 555). Aber schon in der
uns bekannten babylonischen Gestalt der Sage ist dieser ursprüng-
liche Himmelsmytlius bereits auf die Erde verlegt, ohne daß freilich
die mythologischen Züge schon gänzlich verwischt wären. Der ur-
sprüngliche Sonnengott, der in seinem Schiff über den Himmelsozean
dahinfiilir, ist zum menschlichen Heros und der Himmelsozean zur
irdischen Flut die ganz in der Weise einer Sturmflut geschildert
wird, gemacht Oder man denke an das G ilgamea-Epos, in dem
es sich ursprünglich um einen Sonnenmythus handelte, der den
Jahreslauf der Sonne zum Hintergrunde hatte. In der uns vor-
liegenden Gestalt ist nun aber mancherlei Historisches in den Mythus
') Vergl. z. B. Dilettantismus. T'asso, Monotheismus, Rom, S. 64 Zeile 6 ff.,
wo er sich dahin äußert, daß ein sohjluT Um- und Au.sbau alter Volkstraditionen,
wie er innerhalb der babylonischen üiorarchie gewili stattgefunden habe, eine Ver-
uBätaitong bis zur Unkenntlichkeit bedeute.
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134
Aufsätze
hinein verflochten ; ja der Mythus ist, wie Zimmern a. a. 0. S. 580
sich ausdrückt, geradezu auf einzelne historische Tatsachen und Ge-
stalten übertragen. So ist die Gestalt des Sonnenheros Gilgameä mit
der eines alten Königs von Erech verknüpft und wahrscheinlich
spiegeln sich auch historische Kämpfe der Babylonier gegen die
Elamiter in dem Epos wider. Aber ich frage: sind das denn Er-
scheinungen, die sich nur bei den Semiten finden? Erscheint die
Sündflut in den betreffenden Sagen der andern Völker nicht ebenso
wie bei den Babyloiiiem und den Israeliten als ein auf der Erde
sich abspielendes historisches Ereignis? Und zeigt nicht, um etwas,
das uns besonders naheliegt, zu nennen, das Nibelungenlied eine
besonders charakteristische Mischung historischer und mythischer Ele-
mente? Welcher ungelehrte Leser denkt denn jetzt noch daran, daß
es sich bei Siegfried ursprünglich um einen Sonnengott oder der-
gleichen geiiandelt hat?
Es wäre für unsere Untersuchung sicherlich von nicht geringer
Bedeutung, wenn unsere Kenntnisse über die Religion der in Bezug
auf Kasse wohl ziemlich reinen Südaraber bereits zu einem be-
friedigenden Abschlüsse gekommen wären. Immerhin verdanken wir
den Forschungen Glasers, Hommkls u. a. die gesicherte Einsicht, daß
die Semiten Südarabiens es schon im zweiten vorchristlichen Jahr-
tausend zu einer respektablen Kultur — man denke nur an den
Staat der Minäer — gebracht hatten und sich im Besitz einer reich
entwickelten Religion befanden, deren ganzer Charakter das Yor-
handenaein einer ausgebildeten Mythologie vermuten Ifißt, veigLdasa
0. Webbr, Arabien yor dem Islam (a. u. d. Der Alte Oiient,
Jahrg. m, Nr. 1) S. 18. Oewifi ist «noh hier mit altbabylonisdieii
Binüflssen rechnen, aber die Ton dort kommenden Anregungen
sind hier augenscheinlich In so selbstSndiger nnd eigenartiger Weise
yerarbeitet, daA wir nns jedenfsUs htUsn müssen, den Semiten in
Bansoh nnd Bogen jede Empfänglichkeit und jedes Yerstfiadnis für
my&ologische Gedanken ahsnsprechen.
Etwas anders scheint es ja nun freilich bei den Israeliten zu
stehen. Obwohl die sahireichen mythologischen Anklänge im Alten
Testament und die nicht seltenen Übertragungen mythologischer Züge
auf Jahye (vergl. zahlreiche Beispiele bei GtjmatL, Schöpfung und
Chaos, S. 29 ft) für das Eindringen mythologischer Gedanken und
für die sehr weit gehende Geneigtheit, die altorientalischen Mytho>
logien anzimehmen nnd sich zu assimfliercn, ein deutliches Zeugnis
ablegen, zeigen gerade die (Tigeschiöhten der Genesis, die zum Teil
direkt auf mythologische Vorbilder zurückgehen, und bei denen man
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Babubcb: U. 8t GhanboslaiiiB TantdlimKen fib«r die BeUgion usw. 185
daher die meisten mythologischen Züge erwarten müßte, einen auf-
fälligen ilangel an solchen. Wohl schimmern sie durch die Ober-
fläche noch hier und da hindurch, aber sie sind so vertuscht und
Tcrhüllt, daß sie eigentlich nur dem religioüsgeschichtlichen Forscher
erkennbar sind. So machen in der Tat die ursprünglich mytho-
logischen und symbolischen Gebilde den Eindruck Ton Historien, die
▼OD Dingen und Ereignissen melden, die genau so geschehen sein
sollen, wie dazin berichtot wird. Der für alles menschliche Begreifeii
nnfiiBbare Yoigang der Wdtsohöpfung. über den man nur in Bildern
und aadentottder Symbolik reden kann, wird hier zu einer wirklichen
Historie, deren einzelne Akte sich in greifbarer Deutlichkeit vor
unsem Augen abspielen. Der mythische Göttoigarten oder das Paradies
wird anf ein bestimmtes Stück Erde veraetot^ und seine Tier Ströme
werden abenteueriich genug mit vier irdischen Strömen identifiziert
Aus dem bösen Schlangendimon, der die Plfine des Schöpfergottes
listig durchkreuzt, wird eine wiikliche Schlange, ein Tier des
Feldes, das sich von den fibrigen nur dadurch unterscheidet, daß
es UOger ist als sie und reden kann. In diesem Sinne — in
jedem andern wäre es unsinnig — redet Chamberlain nicht ohne
Becht Ton einem massiTen Materialismus der biblischen Yorstellungen;
wir würden es lieber nennen: Haterialisierung der ursprüng-
lichen Mythen.
Stimmen wir nun soweit in diesem Punkte mit Chamberlain
auch ganz überein, so möchten wir in der Beurteilung dieser Er-
scheinungen uns doch auf einen etwas anderen Standpunkt stellen.
Chamberiain suchte wie wir gesehen haben (& S. 22 dieser Zeitschrift)
diesen Materialisierungsproaefi ans der BeschrKnktheit, ja einer ge-
wissen Borniertheit des israelitischen Geistee heraus zu erklären.
Denn darauf läuft es doch am Ende hinaus, wenn er S. 399 sagt:
»Ton all den tiefen Ideen, welche sinnende und sinnige Gemüter in
diese Erzählungen (gemeint sind die Erzählungen in Oen. 1—3)
hineingeheimnifit hatten, merkten die Semiten gar nichts, so
rein gar nichts, dafi die Juden z. B. die Vorst« llnng eines bösen
Geistes, dem guten entgegengesetzt, erst während der babylonischen
Gefangenschaft durch Zoroaster kennen lernten, bis dahin hatten sie
in der Schlange ihrer Bibel eben lediglich eine Schlange erbhcktt
Wir sind dagegen der Überzeugung, daß die israelitischen Pricstor,
oder wem wir sonst die gegenwärtige Formulierung der Sündenfall-
geschichte ▼«rdanken, um den ursprünglich diimonischen Charakter
der Schlange recht wohl Bescheid gewußt haben. Wenn die Schlange
jetzt als Tier des Feldes erscheint — was ja in der Tat keine Yer-
136
AnfBltie
bessenmg bedeutet^) — so liegt das daran, daß man der Schlange
des MTthus den dSmonisohen Charakter mit vollem Bewußtsein ab-
gestreift oder doch abzostreilaii gesucht hat, weil nadi der isiaeliti-
sehen Überzeugung für eine Scfalangengottlieit oder einen Schlingen-
dSmon neben Jahve eben kein Baum war. Mag nun nach Chamber-
lain diese Übeneuguug selbst wieder ein Zeichen bedauernswerter
Beschrünkth^t sein, worauf es hier znnfiohst ankommt, ist, zu be-
tonen, daß es sich in diesem Zuge nicht am eine ans Borniertheit
entsprungene Veikennong eines mjthologischen Elementes, nicht um
ein >Nichtm6rken€, sondern nm euie anf genanestem Yerstindnis
desselben bemhende^ bewußte Pdemik dawider handelt Genau so
yerhilt es sich mit dem Sohöpfungsbericht in Gen. 1. Es ist durch-
aus einseitig und ungerecht, darin ledi^ch eine plumpe Terball-
homisierang und phantasielose Mateiialisiemng des zarten mythisch-
symbolischen sumerischen Urbildes zu sehen, wie es der Phantasie
Chamberlains Torschwebt (8. 399). Ich sage mit Tollem Bewußtsein
tder Phantasie Chamberlainsc, denn weder er noch sonst jemand hat
ein irgendwie sicheres Wissen um den zu Grunde Menden sumeri-
schen Kytlins. Wir kennen diesen Mythus nur in seiner semitischen
Gestalt, wie sie nns in dem babylonischen Schöpfongsmythus inoma
ilü erhalten ist Inmierhin werden wir aber annehmen dfiifen, daß
diese semitische Gestalt, in der der alte sumerische Mythus gewiß
auch den Israeliten erst bekannt geworden ist,*) wenigstens in den
Grundzflgen (personifiziertes Wasserchaos, Theogonie, Kampf des
Schöpfergottes mit dem Wasserungeheuer und Spaltung desselben in
zwei Hälften, Reihenfolge der Schdpfungswerke) mit dem alten sume-
rischen Mythus übereinstimmte, so daß eine Vergleichung des bib-
lischen Berichtes mit dem babylonischen Mythus uns den Abstand
dieses Berichtes wie von dem babylonischen Mythus so auch von
seinem sumerischen Urbilde zeigen wird. Eine solche Vergleichung
zeigt uns aber wieder auf das deutlichste, daß der biblische Bericht
') Diese Auffassung hat sich darum auch nie recht durdusotzun können. In
8ap. iSal. 2 v. 24 wird die Schlange mit dem Teufel identificierl, ebenso im N. T.
(E7. Joh. 8 T. 44, Boo. 16 20, Apok. 13 t. 9 usw.), im spitonn Jodentom und
in der ohiistUohMi Kivohe. Wir amd der Übeneagnogi daß auch aohon das alte
Israel, das man nicht ohne weiteres nach dem Erzähler yon Gen. 3 beurteilen
darf, hinter der Schlange immer etwas mehr gewittert hat als ein Tier dos F'oldes.
*) In Dilettantismus, Rasse, Monotheismus, Rom S. ü4 nimmt Chamberlain an,
daß Om. 1 fast Wort für Wort auf den uralten sumerischen Bericht surückgehe.
Das iat andh von andam aohon ▼emniiat, läßt aioh alwr nidht bawaiaeo« und iat aa
sich nicht sehr wahrscheinlich, da die in Gen. 1 TOiÜegonde Oaatalt daa SohöpfungB-
behohtea ztomlich jung iat (ca. 500 Chr.).
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Baettsch: H. St. Chamberiatns Yorstellunjcen über die Keligion usw. 137
auf dem "Wofrc bewußter und konsequenter Ausstoßung aller poly-
theistischen und mythologischen Elemente, die sich nun einmal mit
dem monotheistisch gearteten Gottesbewußtsein des israelitischen oder
jüdischen Erzählers nicht vertrugen, zu stände gekommen ist^ und
zwar, wie ich hier gleich hinzufügen will, nicht etwa von heute auf
morgen, sondern sehr allmählich, auf dem Wego eines langen reli-
gionsgeschichtlichPH Prozesses zu stände gekommen ist. Wie dem
nun auch sein möge, wir mü.ssen jedenfalls dabei bleiben : nicht der
Phantasielosigkeit, der eingefleischten Vorliebe für das Platte, Greif-
bare. Alttägliche und Massive ist das mythische Chaosungetüm und
die bunte, in den Weltlauf verflochtene Götterwelt des babylonischen
Mythus zum Opfer gefallen, sondern diese Dinge sind wie wesenlo.se
Schemen vor dem Lichte der höheren und reineren (iotteserkenntnis,
die wir trotz Chamberlain den Israeliten nun einmal zuschreiben
müssen, in das Nichts vergangen, in das sie gehören, Mjig bei der
Umsetzung ins Monotheistische mancher schöne poetische Zug,
mancher tief spekulative Gedanke des alten Mythus verloren ge-
ganjjen sein, so entschädigt reichlich dafür die viel höher und reiner
geartete Religiosität, die den biblischen Bericht vom Anfange bis zum
Ende durchweht und die ihn weit über alle Kosmogonien erhebt,
die uns bis jetzt bekannt sind. Oder meint Chamberlain wirklich,
daß auch nur eine dieser Kosmogonien dem religiösen Gemüt Be-
friedigung gewähren und das Gefühl der Andacht in einem Menschen-
herzen auslösen werde? Wir werden gewiß viele dieser Kosmogonien,
darunter auch die sumerisch-babylonische, höchst interessant finden
ab Denkmäler einer großen Vergangenheit, als Zeagnisse einer von
den meisten bisher nicht geahnten EntwicUungshQbe, die der den-
kende Mensehengeist schon vor Jahrtsosenden t. Chr. erUonunen
hat, wir werden die Oedankentiefe und den wdtom&ssenden Geist,
der sich in manchen von ihnen offenbart, rttckhaltslos bewundern,
tber bei aller Bewnndenmg wird unser Hers ihnen gegenCLber kalt
bleiben. Sie gehören fttr ans alle der Geschichte an. Die in ihrer
Einfachheit majestfttische biblische Ensfthlung in Gen. 1 verfehlt da-
gegen noch heute ihre Wirkung auf religiös empfindende Menschen
nidit und wird sie behalten, solange es solche Menschen auf Erden
gjbti) Und mag man femer über die vom ErsUüer von QetL 3 unter
') Natürlich darf man Gen. Ij dann aber nicht übersetzen wollen, wie es
Qiamborlain in Dilettantismus, R^isse usw. S 02 f. petan hat, njimlieh folf^ender-
Ba&ea: Als zu Beginn die Dämonen da» £rdreich und das LuftreicL ausschieden
OiinM ans dem ünneerX da gesobah folgendes nsw. In dieser Übenetsong des
iHliiiaohen Textee vom Gen. 1, boXL sich sn^eioh des eUsamensehe Oiiginal wider-
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138 Anftttie
die Tiere des Feldes gerechnete redende Schlange seine Glossen
machen, die Sündenfallgeschichte mit ihren von bewunderungs-
würdigem psychologischen Tiefblick zeugenden Ausführungen (vergL
aamentUch Gen. 3, 1 — 6), die wir trotz der auch von uns an-
genommenen Abhängigkeit von Babylon in Einzelheiten als Ganzes
doch fOr des ianelitiflohen Erzählers ureigenstes Eigentum halten, ge-
hört nun einmal sa den Perlen religiöser BisihlDngskimBt aller Zeiten
nnd Völker. TTnd mögen, um andi das noeh zu erwähnen, die bib-
lischen Berichte nach Abstreifiuig des mythisch- siymbolisdien Ge-
wandes inmieriiin den Eindrack Ton Historien machen, die als so ge-
schehen ^änbig hingenommen werden wollen — IQr den Sohöpfongs-
bericht in Gen. 1 hat das Alte Testament selbst diesen Schein ser-
stört; denn indem es in Gea 2 dem eisten Schöpfungsbericht einen
sweiten mit euier ganz anderen Reihenfolge der Werke und über-
haupt mit einem ganz anderen Oharakter beigeseUte, hat es fOr jeden
der sehen kann nnd will, den dorohaas subjektiTen nnd poetischen
Ohankter beider ins hellste lacht gestellt und uns damit zu einer
weitherzigen Betrachtung der Einzelheiten die Anleitung gegeben.
Wenn spätere Eiferer sich auf den Buchstaben von Gen. 1 yersteift
und jede Abweichung daron als fluchwttrdige Ketzerei gebiandmarkt
haben, so ist das des Alten Testamentes Schuld jedenfslls nicht
So haben wir also mit Bezug auf den eisten Funkt gesehen, daft
Ghamberiains Ausfahrungen mancher Einschränkung bedfiifen. Gewift
sind die Semiten tou Hause aus nicht geiade spekulatiT beanlagt
und Begründer einer originalen l^ythologie gewesen. Was wir an
Mythologie bei ihnen finden, geht schHeSlich alles auf die altorien-
talische Weisheit zurück, die ün babylonischen Tiefland seit unvor-
denklichen Zeiten ihren Sitz hatte nnd von da aus schon früh sich
nach allen Himmelsgegenden hin (sogar bis Indien, und wahrschein-
lich auch bis nach China im Osten und nach Ägypten und Griechen-
land im Westen) verbreitete. Aber es ist nicht so, dafi der über-
kommene mythologische Besitzstand von den Semiten aus totalem
Mangel an Verständnis in Grund und Boden verderbt und die Mythen
in historische Chronik umgesetzt seien. Wenigstens die babvlonischea
Semiten haben das mythologische Erbe der Sumerer behütet und in
ihier Weise weitergebildet, und für die Südaraber wird das Gleiche
anzunehmen sein. Ein ausgesprochen antimythologischer Zug läfit
spiegttfai ! Diese Übezeetnuig ist natariioh trots dae beigebrachten gelehiten Mato-
riales gelinde gesagt leine 'WlUkflr und Phantasie. Der ebiiige Punkt, in dem ioh
Chaniborlain hier beistimmen kann, ist der, daß in Gen. 1, f. von einer Schöpfung
der Welt aus nichts nicht eigentlich die Bede ist Das Chaos wird vonuugeeetzt
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WnTKBWAU): Das Schoiweseo des Kantona Baselstadt
139
sich nur bei den Israeliten wahrnehmen, aber er erklärt sich hier
nicht sowohl aus einem völligen Unvermögen, die Mythen zu ver-
stehen, sondern aus dem tiefinnersten Wesen ihrer Religion, die bei
ihrem ausgesprochen monotheistischen Zuge aUes Mythologische und
Polytheistische von sich abstoßen mußte.
Freilich sieht ja nun Chamberlain g'erade im israelitischen Mono-
theismus ein besonders charakteristisches Merkmal des Tiefstandos
dieser Religion und wird demgemäß auch in der Polemik dieser
Religion gegen Fulytheismus und Mythus nur ein Zeichen von Platt-
heit und Borniertheit sehen wollen. Das erinnert uns von neuem
daran, daß der Entscheidimgskampf auf einem andern Felde auszu-
tragen sein wird. Ehe wir uns dazu anschicken, haben wir zuvor
zu sehen, ob Chaniberlains Charakteristik der Religion Israels hin-
sichtlich der nocfh nicht erledigten Punkte besser Stich hält, als mit
Bezug auf den ersten. (Forts, folgt)
Das Solmlwesen des Kantons Baselstadt
Von
I>r. X. Wettcrwald-Baael
(SoUnA)
AuAer den besprochenen staatlichen Schulen, die auf Ende
Deiember 1902, abgesehen ron den EleinldndeianBtalten, 20641 Kinder
unter 556 LehiMften sihlten, besltet fiasel noch eine Anzahl
PriTatsehnlen ffir Kinder der TöUcBschule sowohl als fOr die reifere
Jugend, ünter den ersteren ist die bedeutendste die freie eyan-
gelische Yolksschnle, die im veiflossenen Jahr in den vier Pximap
Uassen 99 Knaben und 99 Mädchen nnteiriohtete; in der daran sich
anachlieftenden TSchtereohnle befanden sich in 6 Klassen 168 SchfUe-
nnnen. Die flbiigen Ptivatschnlen, von Damen geleitet, nehmen nur
Iffidchen anf nnd haben zum nur eine kleine Zahl von Schüle-
rinnen. Die Schulen in den Hissionskinderhäusem werden vozzug»-
weise von auslSndischen Kindern, Knaben und Ißidchen, besucht; die
Oeeamtsahl betrug auf Ende des letzten Schuljahres in acht Jahr-
gingen 50 Knaben und 41 Mfidchen.
Der Heranbildung tou Predigern und Missionaren dienen die
evangelische Missionsanstalt (90 Zöglinge im Alter von 18—29 Jahren),
die evangelische Predigerschule (28 Schüler) und die Pilgennission
zu St Chriscbona (58 Zöglinge und 8 Hospitanten).
Eine besondere Erwähnung yerdienen die beiden privaten Taub-
%
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140 AufiriUxe
stumme 11 an stalten, von denen jede durch eine besondere Kom-
mission orlialten und beaufsichtigt wird. Die altbewährte Anstalt in
Riehen zählte auf Eude des Jahres 1902 21 Knaben und 22 Mädchen,
die iu vier Klassen, jede mit zweijährigem Kursus, von vier Lehrern
und einer Lehrerin unterrichtet werden ; das Alter der Kinder Tarüert
zwischen 8 und 17 Jahren. Die Anstalt in Bettingen dieot der An»-
bildung schwachbegabtear taabstnmmer Kinder; sie sfihlte 8 Knaben
nnd 6 Ifidchen, die im Alter Ton 6 bis 17 Jahren standen. — Für
die Aasbildnng solcher Kinder, die so sohwadi sind, daß sie in den
SpezialUassen der stidtischen Sohulen nicht fort kommen können, be-
steht die Anstalt mr EofiEnnng, in der Stadt gelegen, in der sich
anf Ende des lotsten Jahres 13 Knaben nnd 8 Hfidchen beiMiden.i)
Der weiteren Fortbildung in den fremden Sprachen — Französisch,
Bnglisch und Italienisch — dienen die Sprachkurse ffir Jfbiglinge
und Tochter, die Ton der Gesellschaft des Guten und Gemeinntttzigeii
unterhalten werden und die sich eines sehr guten Besuches erfreuen.
Für die musikalische und kommerzielle Aus- und Fortbildung
sorgen die der Gesellschaft des Guten und Gemeinnützigen unterstellte
Allgemeine Musikschule, die unter einem besonderen Bektorate
stehende Schule des kaufmännischen Yereins und die Wide-
mannscfae Handelsschule; alle drei Anstalten sind privater Natur,
haben eine bedeutende Ausdehnung und entbüten eine sehr an*
erkennenswerte Tätigkeit
Der Besuch sämtlicher staatlicher Anstalten, also auch derjenigen,
die über das schulpflichtige Alter hinausgehen, wie obere Realschule,
oberes Gjnmasium und obere Töchterschule samt den Fortbildungs-
klassen, ist unentgeltlich und zwar auch für solche Schüler, die in
anderen Kantonen oder gar im benachbarten Elsaß oder Großherao^p-
tum Baden wohnen. Die allgemeine Gewerbeschule erhebt von ihren
Schülern nur eine Einschreibgebühr, die bei regelmäßigem Schul-
besuch am Schluß des Semesters wieder zurückerstattet wird; nur
solche Scliüler und namentlich Rchülorinnen, die den Unterricht nicht
zum Zwecke ihrer beruflichen Ausbildung, sondern bloß als Diiettanteii
besuchen, haben ein bescheidenes Schulgeld zu bezahlen.
Zu dieser ünentgeltlichkeit des Schulbesuches kommt für
sämtliche Schulen des schulpflichtigen Alters, also auch für die
untere Realschule, das untere Gymnasium und die untere Töchter-
schule die unentgeltliche Abgabe sämtlicher Schreib- und
*) Diese Anstalt wird nun nach Biehen verlegt; flia NevlNni ist im Eattleheii
begriffen und kann nAobstee Jahr beaogen werden.
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WsmawAU): Das Schulwesen des Kantons Basektadt
Ul
Zeichenmaterialion, sowie der Schulbücher. Außerdem können
gut empfohlene Schüler der oberen Klassen Stipendien erhalten, die
sowohl vom Staate als von Zünften verabfolgt werden. Die privaten
Schulanstalten müssen natüi'lich ein Schulgeld erheben, da die Be-
soldung ihrer Lehrkräfte vorzugsweise aus diesen Einnahmen be-
stritten wird.
Man wird leicht einsehen, daß diese weitgehende Fürsorge des
Staates für die Ausbildung der Jugend namentlich für die unteren
Tolksklassen eine große Wohltat bedeutet und es jedem braven,
fleiüigen und begabten Kinde ermöglicht., sich eine gute Schulbildung
zu erwerben imd sich so die Grundhige für eine rechte Lebensstellung
zu siehern. Wenn man außerdem nocii bedenkt, wie vom Staat, von
verschiedenen Stiftungen und Gesellscliuften durch P>inrichtung von
Ferien- und Abendhorten, durch Abgabe von Kleidern und Schuhen,
von Milch und Brot während der Fcrioii, von Suppe in den Winter-
monaten, durch Ferienkolonien für arme Kinder gesorgt wird, so wird
man vielleicht auch darin einen (»rund für den Zug nach der Stadt
und besondei^s nach der durch ihre private Woldtatigkeit bekanuteu
Stadt Basel erkennen können.
Den Schlußstein in den Unterrichts- und BildungsansUüten des
baselstädtüschen Gemeinwesens bildet die Universität Sie erfreute
t^ich von jeher der besonderen Förderung imd Pflege von Behörden
und Bürgerschaft, und eine lange Reihe von Professoren, die aus
alten Basler Geschlechtern hervorgegangen sind, förderte den Buhm
und die wissensduifüiche Bedeutung dieser Bfldungsst&tte. Im Winter-
«emeeter 1901/02 haben in den vier yeiBcfaiedenen lUraltiten 91
Dozenten in 813 wöcbenfliohen Stunden zusammen 201 Kollegien
gelesen; im Sommetsemester 1902 waren es 87 Dozenten mit 955
wdehentlioben Standen und 211 Kollegien. Das Mazimnm der Zu-
hdrer in einem Kolleg betrug 87 bezw. 73 nnd fiel auf die matfae-
matisch-natnrwissenschaftliche Abteilung der philosophischen Fakultät
Die Zahl der Stadierenden betrug im Wintersemester 1902/03 560,
•daninter 10 Damen, und zwar entfielen anf die theologische Büraltät
40, anf die juristische 00, auf die medizinische 147 (5 Damen) und
auf die philosophische 313, worunter 5 Damen. Ton diesen 560
Studierenden waren Basler 189 (3), weitere Schweizer 223 (7) und
Ausländer 148, wovon 96 auf das deutsche Reich fallen. — Außer
den Voiiesungen dienen der praktischen und wissenschaftlichen Aus-
bUdung die Kliniken, Seminarien und Laboratorien. Im Dienste der
Universität stehen femer das naturhistorische Museum, die ethno-
gn^htsehe Sammlung, das historische Museum, die Kunstsammlungen
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142
Aufsätze
und die Bibliothek mit 242219 Bänden — ohne Manuskripte und
Dissertationen — , die in einem prachtvollen Neubau neben dem
Bemoullianura (Institut für Physik und Chemie) untergebracht ist
Zum Schlüsse erwähnen wir noch das Basler Lehrerseminar
oder die Fachkurse zur Ausbildung von Piiniarlehrem, wie der
offizielle Name der Anstalt heißt. Zum Eintritt in diese Bildungsstätte
ist der Besitz des Maturitätszeujinisses notig. In drei halbjährigen
Kursen werden die Kaiuiiduton auf das Primarlehrer- Examen vor-
bereitet. Auiier den speziellen pädagogischen Fächern und Übungen
besuchen sie nach freier Wahl Vorlesungen an der Universität, wo
sie als ordentliche Studenten immatrikuliert sind.
Die Aufsicht über alle öffentlichen und privaten Schulen und
die Ausführung des Schulgesetzes liegt dem Erziehungsdepartement
ob. Zur Orientierung für niobtschweizerische Leeer sei beigefügt^
daß die oberete d. h. die gesetzgebende Bebttrde des Eanim Bind
stedt der Große Bat ist Diejenige Behörde, die mit der YoMehDiig
der Gesetie betrsat ist, also die nach Departementen abgegrenstm
Gesdiäfto des Gemeinwesens besorgt, ist der ans 7 Mitgliedern be-
stehende und alle drei Jahre vom Volke gewählte Regierungsiat
Siner dieser Begierungsräte ist Yorsteher desEniehungswesens; ihm
ist der vom Großen Bat aof eine Amtsdauer von drei Jahren ge-
wählte Eiziehungsrat beigegeben, den er präsidiert Der Ersiehtmge-
rat wirkt mit beim Entscheide aller aof die Oiganisation des ünter-
riehtsweeens beEflglidien Fragen; es eriäßt mit Genehmigung dee
Begienmgsrates die zur AnsfOhrung des Sohulgesetses eifordeilichen
Ordnungen und Be^emente; er trifft die ihm durch das Gesets «!•
gewiesenen Wahlen und macht die gesetzücben WahlvorsehUige. Eemer
bestimmt er die Besoldungen nnd bewilligt die Besoldungsechöhungen
innerhalb der gesetslichen Grenzen und stellt die geeigneten Anträge
an den Begierungsrat beztiglioh Erleichterung, Pensioniening nnd Ent-
lassung von Lehrern; er bestimmt auch auf Antrag der unteren Be-
hörden den Gebnmdi der obligatoxischen Lehrmittel.
Fär die besondere Beaufidohtignng der einzelnen Schulanstalten
wählt der Begierungsrat für jede derselben eine Kommission oder
Inspektion ron mindestens fünf MitgUedem. Nach einem kürzlich
erfolgten Beschluß des Großen Bates werden in Zukunft für die
Mädchenschulen auch F^uen in diese Behörden gewählt Außerdem
wählt der Regierangsrat auf eine Amtsdauer von sechs Jahren für
jede Schulanstalt einen Vorsteher; für die Primarschulen heißen die-
selben Inspektoren, für die mittleren und oberen Schulen Bektoren.
Die ScholTorsteher wohnen den Sitzungen ihrer Inspektionen mit be-
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ÜNIVEKoiTY
OF
TSTinTiswAU): Das Sobnlwieaen de» Kantons Baselstadt
US
ratender Stimme bei und besorgen das Sekretariat : sie ordnen und
beaufsichtigen (ien Schulbetrieb, besorgen das Kechnungswesen, machen
Schulbesuche bei den ihnen unterstellten Lehrkräften, leiten die
Lehrerkonferenzen und besorgen die internen Schulgeschäfte, wie
große Schulanstalten sie mit sich bnngen. — Jode lns})ektion leitet
in Verbindung mit dem Schulvorsteher die ihr untei'stellte Schule
nach Vorschrift der Gesetze, der Schulordnungen und der Beschlüsse
des Erziehungsrates, sie berichtet über Anstellung. p]rleichterung,
Pensionierung, Entlassung der Lehrer an den Erziehungsrat; sie stellt
nach Anhörung der Lehrerschaft Antrage an den Erziehungsrat über
den Gebrauch der obligatorischen Lehrmittel. Sie überzeugt sich von
der Beobachtung der Schulordnung, der Einhaltung des Unterrichts-
planes und der Erreichung des Lehrzieles; sie ist befugt, dem Er-
ziehungsrat Vorschläge über Veränderungen im Gang ihrer Anstalten
zu machen. Alljährlich hat sie dem Erziehungsrat über den Gang
ihrer Anstalt sowie über die Verhältnisse der ihrer Aufsicht unter-
stellten Privatschulen Bericht zu erstatten und die Schulrechnimg
zui' Genehmigung vorzulegen.
Es mag auch von Interesse sein, etwas über die Lehrer-
verhaltuisse zu erfahren. Lehrer und Lohrerinnen werden auf
Grund eines Gutachtens bezw. Antrages der betreffenden Inspektion
oder Schulkommission durch den Erziehungsrat ernannt und zwar
auf unbestimmte Zeit, d. h. tatsächlich auf Lebensdauer angestellt-
Die zu besetzenden Stellen werden in der Regel zur freien Bewerbung
ausgeschrieben; die Besetzung kann auch durch unmittelbare Be-
lufang erfolgen. — Kein Lehrerkollegium der ganaen Sefaweiz hat
amen so mterkantonalen Chaiakter wie dasjenige von Baselstadt Die
Anssdueibiuig der LebxBtelleii hat gewöhnlich die Anmeldung einer
grofien Zahl ron Bewerbern aus aUen Teilen der Schweix zur Folge ;
ans den meisten Kantonen, die ein gut geleitetes Seminar oder sonst
gute Bildungsanstslten besitEen nnd daher ihren Lehrern eine rechte
BildoDg geben können, sind Lehrkräfte nach Basel gewühlt worden
nnd swar ohne dafi sie noch ein besonderes Examen hätten machen
mftosen. Da das Unterrichtswesen von jedem Kanton nach seiner be-
sonderen Geseti^bnng geordnet wird, schreibt er anch die Lehrer-
prOfong vor nnd macht in der Begel die definitire Anstellang ab-
hängig Ton dem Besita des betreffenden kantonalen Patentes. Die
Behörden von Baselstadt aeigen in dieser Beziehnng eine wellgehende
liberalität, indem sie fost ausnahmslos die von anderen Kantonen
anagestellten Patente für die betreffende Schnlstnfe ohne weitere
Prfiüang anerkennen. Bei der Anstdlang wird in erster linie auf
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Aufsätze
Tüchtigkeit der Bewerber gesehen ; die Zugehörigkeit zu einer politischen
Partei, zu einer bestimmten Konfession fällt dabei nicht in Betracht.
Die Lehrer an den PrimarschuJen — die 4 ersten Schuljahre —
haben ihre Bildung meistens in einem Seminar erhalten, einzelne
auch an (lymnasien oder Realschulen und an der Univei'sität. Die
Lehrer der Sekundai*schulen — die 4 oberen Klassen der Volksschule
— haben ihre Volksbildung zum größten Teil an Seminaiien er-
worben und dann nach kürzerer oder längerer Schulpraxis sich an
der Universität die zum Examen erforderliche wissenschaftliche Bildung
angeeignet; die Ausbildung in den neueren Sprachen erwerben sie
sich gewöhnlich im beh-offenden Lande selbst Andere Lehrer der
Sekundärschule hal)en nach erworbener Keal- oder Gymnasiiü-Maturität
gleich die Universität bezogen und sich hier die für das Lehramt er-
forderliche wissenschaftliche und pädagogische Bildung geholt. Seit
dem Bestehen des Primarlehrerseminars wird es immer mehr Übung,
daß wenigstens die Real -Abiturienten, die Lehrer werden wollen,
zuerst diese BÜdungsanstalt besuchen und gleichzeitig, sowie nioh
Absolvierung des Seminars noch an der üniYeraitSt fflöh wiBSeii^
sohaftliGlien Stodien widmen. Alle diese Kandidaten sohliefien ihie
wissensohafiliolie Bildung mit dem Mittel- oder Obedehrer- oder
auch mit dem Doktor-Examen ab. Den gleichen Bildungsgang —
Bealschole oder Gymnaalnm und üniTersität — haben andi die
Lehrer am Oynmasium und an der Realschule durchlaufen, doch
finden sidii anoh unter den Lehrern der letsteren Anstalten sdohe, die
zuerst ein Seminar besucht nnd dann an der üniversltfit ihre wisseur
schaftliche Bildung sich erworben haben.
Was die Besoldung betrifft, so richtet sich dieselbe, abgesehen
Ton der Zahl der Dienstjahre, auf allen Schulstufen nach der Zahl
der von der betreffenden Lehilaraft wöchentlich erteilten Unterrichts-
stunden. Für die Lehrer der Primarschule betrügt dieselbe 90 bis
120 Fr, fOr Lehrerinnen 70—100 Fr, fOr Arbeitslehrerinnea 60
bis 70 Fr für die wöchentliche Lehrstnnde im Jahre. Dazu kommen
nach 10 Jahren 400 Fr, nach 15 Jahren 500 Fr jährliche Alters-
zulage. Die meisten Primailehrer haben 32 wöchentliche Untemchts-
stunden, so dafi sich ihr Beeddungs-Mazimnm auf 4340 Fr beliiift
Yen 3 zu 3 Jahren wird die Besoldung um 5 Fck. pro wöchentliche
Jahresstunde erhöht, so dafi das Maximum mit ungefilhr 18 bis 20
Dienstjahren erreicht wird oder — da den ans anderen Kantonen
nach Basel gewühlten Lehrern nur die Hülfte der dort Terbrachten
Dienstjahre angerechnet wird und da bei den Abiturienten des Basler
Seminars die Jahre der proTisorischen Anstellung bei der Besoldnngs-
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WcCTswAU): Das Schulwesen dee Kantoos Baseistadt
145
zamessung nicht mitzählen — in einem Alter von 40 — 45 Jahren.
Die Lehrennnen erteilen in der Regel wöchentlich 24 Unterrichts-
stunden, woraus sich ihre Besoldung mit fünschlofi der Alteiszolage
leicht berechnen läßt
Die Besoldungen an den Sekundärschulen, dem unteren Gym-
nanum. der unteren Realschule und an der untoren Töchterschule —
also für das 5. bis 8. Schuljahr — betragen für Lehrer 100 — 140 Fr,
bei besonderen Leistungen bis 160 Fr, für Lehrerinnen 80 — 120 Fr,
für Arbeitalehreiinnen 50 — 80 Fr für die wöchentliche l^ehrstunde
pro Jahr; die Alterszulagen sind die gleichen, wie an der Primar-
schule. Die Zahl der wöchentlichen Unterrichtsstunden beträgt durch-
schnittlich 29 — 30, in einzelnen Fällen bis 32. so daß das Besoldungs-
maximiun, wenn der Ansatz von 140 Fr iil)t'rs( liiiften wird, wie eS
tatsächlich geschieht, sich auf ungefähr 5ÜÜÜ Fr ht'läuft.
Die Besohl URf^ der Lehrer am ol)oron (lymnasiuni, an der oberen
Realschule und an der oberen Tt chrerscliule beträft 1:^0—250 FV,
die der Ijohrerinnen 100 — 140 ¥i\ der Arbeitslehrerinnen 00 bis
00 Fr für die wöchentliche Lehrstunde im Jahr. Die Zahl der
wöchentlichen Unterrichtsstunden variiert zwischen 20 und 2S; das
Besoldungvniaxiniuni kann GOOO F^r und aueli darüber hetragen.
Die Schulvorsteher beziehen eine Jahresbesoldung von 0000 F'r —
Vor weni^'^en Wochen ist \om Ctroßen Rat ein neues Besoldungs-
gesetz in erster Lesung durchberaten und angenommen worden ; nach
demselben würden vom 1. Januar 1904 an die Besoldimgsansätze für
die Primarschule betragen: für Lehrer 100 — 130 Fr, für Lehre-
rinnen SO — 110 Fr, für Arheitslehrerinnen 00—80 Fr: für die
mittleren Schulen: für Lehrer 120 — 160 Fr, für Lehrerinnen 100 bis
130 Fr, für Arbeitslehrerinnen 60 — 90 Fr; für die Schulvoistehor
6000 — 7000 Fr; für die oberen Ixihranstalten für tlie Lehrerinnen
120 — 150 Fr, für die Arbeitslehrerinnen 70 — 90 Fr; für die Lehrer
bleiben die Ansätze die bisherigen. Die zweite Lesung des Gesetzes
wird im Oktober staltfinden, und nach der schulfreundlichen Stimmung,
die sich bei der ersten Beratung gezeigt hat, zu schließen, wird das
Gesetz jedenfalls angenommen werden,
Aus diesen Angaben kann man ersehen, daß der Kanton Basel-
stadt für seine Lehrkräfte in erfreulicher Weise sorgt. Seine Für-
soi^e erstreckt sich aber auch auf ältere Lehrer und Lehrerinnen; es
') Da.s (losptz wunlo vom Großen Rat in zweiter Lesunp angonommen und
vom Volke stillsi-hweifrond satiktinuicrt. Seit 1. Januar 1904 werden die Besol-
dungen nach dem neuen Ge.setz ausbezahlt.
giitMhlM llr nOoMpkl* oad Fldagogik. 12. Jahiguf . 10
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146
AoMtze
kann nämlich der Regierungsrat auf Antrag des Erziehungsrates ältere
Lehrer um einen Teil ihrer Stunden erleichtem und ihnen den Fort-
genuß des bisherigen Gehaltes einschließlich der Alterszulage ganz
oder teilweise bewilligen.
Wenn eine Lehrkraft nach Vollendung von 10 Dienstjahren
wegen Krankheit aus dem Schuldienst entlassen werden muß, hat sie
Anspruch auf eine jährliche Pension auf Lebenszeit. Dieselbe beträgt
2 % der bisherigen Jahresbesoldung einschließlich der Alterszulage
für jedes vollendete Dienstjahr seit der Anstellung durch den Er-
ziehungrat; sie soll jedoch den Jahresbetrag von 1.500 Fr nicht über-
steigen. Zudem ist der Regierungsrat ermächtigt, in Fällen, wo die
Festhaltung der gesetzlichen Normen für die Berechnung der Pension
einen offenbar ungenügenden Betiag ergeben sollte, über denselben
innert den Grenzen des Gesetzes hinaus zu gehen. Es zeichnet sich
BO Baselstadt in der Fürsorge für die alten Lehrer vor den meisten
Kantonen vorteilhaft aus, indem das Gesetz eine aasreichende Pension
Toisieht und dem Lehrer von Rechts wegen anch in den alten Tagen
ein Auskommen ächert^ was anderawo — von wenigen Kantonen ab-
gesehen — meist eist durch einen Qrofirats- oder Gemeindebeschlnß
als ein Akt der Gnade in keineswegs hinlänglicher Weise oder anch
gar nicht gewShrt wird. In Erkranknngsfifllen wird der Stellvertreter
ans der Yikariatskasse bezahlt, die znr Hülfte durch jihriiche Bei-
träge der Lehrerschaft, znr HMlfte durch Zuschttsse des Staates ge-
spiesen wird. Bei länger andauernder Ejankheit übernimmt der Staat
die gesamten Yertretnngskosten. — Für die Hinterlassenen des Lehrers,
für die Witwen und Waisen sorgt auch Baselstadt nicht» wie man
denn in der Schweiz das Institut der staatlichen Witwen- und Waisen-
Pension übeihaupt nicht kennt Da hat sich die Lehrerschaft durch
GrOndnng einer freiwilligen Lehrer -Witwen- und Waisenkasse selbst
geholfen. Durch Mit§^iederbeitr8ge — seit einigen Jahren jfihiüch
80 Erk. — und durch Schenkungen ist die Kasse im Laufe eines halben
Jahrhunderts auf eine halbe Million Franken angewachsen und ge-
wahrt der Witwe oder den Kindern, bis das jOngste 20 Jahre alt ist»
eine jährliche Pension .von 720 Fr.
Eb mag wohl auch von Interesse sein, etwas über die Schnl-
hansbauten und über die Auslagen des Kantons Baselstadt für das
Schulwesen zn erfahren. In den letzten dreißig Jahren sind 16
gidfiere Schulhftuser erbaut worden, die ohne die Bauplätze ungefiQir
9 Millionen Franken gekostet haben; inegesamt sind in diesem Zeit-
raum für größere und kleinere Schul-Bauten und die dazu gehörenden
Bauplätze zirka 11 Vt Millionen Franken Tcrau^gabt worden. Das
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Wrrrwaii»: Dm Sdralweflaii des KaDtoos Baaelstadt
147
neoeste und zugleich eines der größten Scholhäaser ist die Obere
Bealschule, die im letzten Frühjahr ToUendet und bezogen wurde.
810 floliiSlt 31 Klassen m 24, 32 und 33 Schüler, saBaiiim«n Flals
ffir 948 Schfller; aofierdem finden sich in dem Gebäude eine Aula,
swei Zeichnongasfile, Lehrsäle für Physik, NatiiigeBchichte, Chemie
und Geographie, femer noch dreizehn Lehier- und Sammlnngsonmier,
sowie fOnf Klassen fOr den Handarbeitsunteirichi Die Korridore
haben eine Breite von 4 m; die dreiarmige Haupttreppe besitit swei
SeiteDÜufe von 2,4 m and einen ICitteUanf von 3,6 m Breitew Die
m mmiittelbarer Yerbindung mit einem Seitenflügel des HaiqitiMnies
stehende Tomhalle ist 24,4 m lang, 12,2 m breit und 8,8 m hoch.
Die Baukosten belaafen sich mit Bänschluß des Mobiliars auf
1140000 Fiic.
Für die Frimanchule — Knaben und ICftdchen — wurden in
den Jahren 1899/02 drei Neubauten — Bosentalschulhaus, Schulhana
am Rhein und Sdhulbaus am Gotthel^latz — mit je 23—24 Klassen
SQ 52—64 Kukdem — erstellt; aofierdem besitEen diese Neubauten
je einen Examen- bezw. Singsaal, einige Lehrersimmer, eine Schul-
kfiche, ein Brausebad und eine Anzahl Handarbeitsklassen. Heizung
und Ventilation erfolgt bei allen drei Gebäuden durdi eine Warm-
wasseriuftfaeizung; die Klassen sind in der grofien Mehrzahl nach
Osten und Süden gerichtet Die Kosten der Gebäude betragen un-
gefihr 27, 29 und 30 pro Kubikmeter oder 25 800, 24 700 und
21800 Fr pro Klasse; die Gesamtbaukoflteii beliefen sich auf
595000 Fr, 740000 Fr und 665000 Fr ~ Bei jedem Schulhaus
ist eine Turnhalle und eine Abwartwohnung.
Schon wiederholt haben die jeweüen Yorhanden gewesenen Schul-
gebäade nicht genügt, um alle Schüler unterzubringen; daher haben
sich die Behörden genötigt gesehen, ausnahmsweise auch sogenannte
Schulbaracken zu ersteUen, d. h. ebenerdige Bauten mit je drei Elassra
in den üblichen Dimensionen. Diese Bauten sind in Holzkonstrulction
mit Verwendung von Gipsdielen aui^geftthrt worden, haben pro Klasse
5 — 6000 Fr gekostet und können somit als rentabel bezeichnet
werden, sofern sie etwa fünf Jahre an gleicher Stelle benützt oder
mit relativ geringen Kosten an einen andern Ort Terlegt werden
können.
Zum Schluß mögen hier noch einige Angaben über die finanzielle
NShens Abar die Bader SdhidbaiiBbeateii siehe H. Beese, Die aeoeien
Bohalhaaser der Stadt Bisel mit 21 Trfdn tuid 2 TebeUeiL Zilzioh, Zfiidier tt
Fäirer, 1902.
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Au&ätze
Seite des Basler Schulwesens Platz finden. Im Jalire 1902 be-
trugen die Ausgaben des Staates für Schreib- und Zeichenmaterial
49 042 Fr, für die Lehrnüttel der sohulpflichtigen Schüler 45565 Fr.
Dio Gesamtauslagen betrugen
f ii die Knaben- und Mädchenprimarschule Fr 503 559.63 Rp;
für die Knaben- und Mädchensekundarschule Er 552 456.15 Rp;
für die Schulen von Richen und Bettingen . Fr 52 421.20 Hp;
für die Volksschule also zusammen .... Fr 1 108436.98 Rp
Ferner betrugen die Auslagen für das Gymnasium Fr 120 092.34 Kp,
für die obere Realschiüe Fr 96318.29 Rp, für die imtere Real-
schule Fr 119 435.85 Rp, für die Töchterschulo Fr 167 400.94 Rp,
für die allgemeine Oewerbeschulo nach Abzug der Rundessubvention
Fr 952.14 Rp, für die Fraueuarbeitsschule ebenfalls nach Abzug
der Rundessubvention 46 586.34 Rp, für die Universität mit all'
ihren Sammlungen und Anstalten Fr 333 S49.65 Rp, für die Klein-
kinderanstalten Fr 99 772.50 Rp, für Reinigung, Heizung, Beleuchtung
und Abwartdienst in sämtlichen Schulgebäuden Fr 226 853.20 Rp.
üie gesaraten Auslagen für das Erziehuugswesen beliefen sich im
Rechnungsjahr 1902 auf Fi' 2 635 414.92 Rp, d;il.ei sind die Kosten
für Schulhausbauten, für Unterhalt der Gebäude, für Schulmobiliar
und Reparaturen nicht mitgerechnet.
Dieser Überblick über das Schulwesen des Kantons Baselstadt
zeigt uns, daß Behörden und Bürgerschaft dieses Gemomwesens der
Jugend- und Volksbildung eine große Bedeutung beimessen, alle
Nüttel zur Förderung derselben gerne und in reichlichem Mal^e be-
willigen und stets den redlichen Willen bekundet haben, die heran-
wachsende Generation für das Leben tüchtig zu machen und zur
Mitarbeit an den großen Kulturaufgaben zu befähigen.
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1. Anschein nnd Wirklichkeit
Ein Scherflein zur Lehre von den ürteilsformen, geliefert von Dr. Ernst Friedrich
zu Stolp in Pommern
Auf eine unbeachtete ürteilsform, welche iu einer Bezugsriehtung be-
jaht und damit zugleich in einer andern Bezugsrichtung verneint, habe ich
öfters aufmerksam gemacht, zuletzt ausführlich in meiner Abhandlung
»Lehre von den Ürteilsformen in Prima«, welche gleichzeitig in der
Braunschweiger Zeitschrift »Pädagogisches Archiv« erscheint. Die gemeinte
ürteilsform heißt dort apotatisch, ihr Aussageband araegepäisch und ihr
Sperrspruch regional. Denn die Bezugsrichtung, in welcher ein Ding
vom andern gilt, dürfen wir Referenz-Region oder anaphorische Apotasis
nennen imd das griechische Nebenwort araegepe = aliqua quidem ent-
spricht unseren Neben Wörtern: inirgend wiefern, einerseits, eineswegs =
in einer Art, im Vergleich mit, im Verhältnis zu, in gewisser Beziehung,
in einer Richtung verbunden und damit zugleich in einer andern Richtung
getrennt. Beispiele: Du Imst in einer Art Recht. Ein Mann von
40 Jahren ist einerseits alt. Das im stillstehenden EJimor wallende Wasser
ruht inirgendwiefem. Der Berg Gaurisankar bewegt sich in gewisser Be-
ziehung. Dieses Gemälde befriedigt uns weder inallewcge, noch keines-
wegs, sondern eineswegs, nämlich insofern, als seine Farbengebung schön
ist. Die Angabe, inwiefern es uns befriedigt, ist eine regionale Klausel
oder ein die Bezugsrichtung anzeigender Sperrspnich, zu welchem die
am^epäische Kopula entfaltet worden. Obenhin vermerkt, lautet dieses
Aussageband »ist inirgendwiefem«, eingehends vermerkt aber »ist insofern,
als . . . derhalben. daß . . . dafür, daß ... in Anbetracht dessen, daß«.
Noch weiter entfaltet erscheint die amegepäische Kopula, wenn wir urteilen:
»Dieses Gemälde befriedigt uns insofern, als seine Farbengebung schön ist,
und befriedigt uns insofern nicht, als seine Zeichnung und Gruppierung
viel zu wünschen übrig lassen.« Endlich urteilen wir disjunktiv oder
bündig sondernd: »Dieses Gemälde befriedigt uns einerseits und be-
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Mitteilungen
friedigt HOB andraradts niclitc Die apatatisobe ürleilBfonii Ifttt also daa
Brldikot yom Subjekt einerseits gelten und audierseits nicht gelten, bejaht
nnd verneint zugleich, spricht zu und spricht ab, stellt mithin einen wohl-
gereimtcn Widerspruch (contradictio concinna) dar, wie auch einige andere
ürteilsformeu tun, welche ebenfalls das zwiefach beschaffene Aussageband
(oopula anoeps) haben. Wir versteheu unter »Bezugsiichtung« die ein-
aeitige Geltung dee Pkfidikals vom SnljekL
Hier wOl ich nun eine Abart der aftolatiadhea ürteüaform TorfQhren,
wo das Aneaageband immer die Bezugsrichtung auf einen Anaohmin bin
verrat, welcher nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmt, sondern von ihr
abweicht. Diese amegepäische Kopula offenbart die einseitige Geltung
allemal als Abweichung eines Anscheins von der Wirklichkeit, erklärt ihn
dem eigentlichen Stattfinden gegenüber für ein gleisendes Stattfinden und
lautet »ist quantaireiae« d. b. nur zum Schein, gleiaend (gleidiaend),
UDaigentlicb, bloB zum Yorwande, angebliobt einem Gerede nach, nur
scheinbar, bloß anscheinend, griechisch: pioapupoe, lateinisch: specioBa
tantum (pro forma), italienisch: speziosamente, quasiraente, französisch: par
feinte, qiusiment, burschikos bei uns: quasimativ. Solche ürteilsfällungen
beanstanden jedesmal ein gleisendes Stattfinden, indem sie mit £h>
irlhnung desselben seine Nichtigkeit, Hinfälligkeit, Unwahrheit, bezw.
Haibwahrheit mitvermerkeo. Dieae Beanataodimg geaohieht bald durah die
einschrftokeDden Eopelverben: aohelnen, dOnken, vorkommen, aoUen z. B.
in folgender Anwendung: »adieint nur ZU sein, dünkt uns nur zu sdn,
kommt uns lediglich so vor, als ob , . ., soll bloß einem Gerede nach
seine — bald durch Boklcidung der nackten Kopula entweder mit einem
einschränkenden Nebenwort (Adverb) z. B. »angebliche oder mit einem
einschränkenden Nebensatz« welchen wir Sperrspruch (Klausel) nennen,
s. B. »wie der Vorwand läutete
Nachstehende ßeispiele zur gemeinten Abart der apotatiacben ürteils-
form sind einem Proben - Sortiment entnommen und werden vorstehende
Angaben bestätigen: Der Kaiser von China ist, wie or dort genannt wird,
ein Sohn des Himmels. Die Ordnung ist, wie Schiller sagt, eine Tochter
des Himmels. Scheinbar bewegt sich die Sonne um die Erde — in Wirk-
lichkeit aber die Erde um die Sonne. Die Erde aoheint eine kreiarande
Scheibe zu adn — ist aber eine KageL Der Vollmond aieht aus, ala
ob er ein menschliches Antlitz habe — zeigt aber Bergen welche von der
Sonne beleuchtet sind, und Täler, welche zum Teil von ihnen beacbattet
sind. Der Kibitz umflattert Menschen, welche seinem Nest nahe kommen,
scheinbar flügellahm, als möchte er sich greifen lassen — sucht aber
eigentlich ihre Aufmerksamkeit von seiner Brut abzulenken. Karl soll
einem Gerede nach ins Aualand entflohen aein — befindet aich aber in
Stialannd und gedenkt binnen 8 Tagen heimzukehren. Dieser junge Mann
besucht quantsweise den Bruder einer jungen Dame — will aber eigent-
lich Gelegenheit haben, dessen Schwester wiederzusehen. Mancher Ein-
brecher fragt ([uantsweise an einer Wölmungstflr, ob nicht Herr Dingsda
im Hause wohnt — will aber eigentlich Gelegenheit haben , einen Blick
in die Wohnung zu werfen und sich das Türschloß zu besehen. Zwei
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1. Anschein und Wiikliciikeit Xöl
Mänoer schafften morgens Betten aus einer Wohnung, w ie ihr Vor wand
lautete, im Auftrage der Hausfrau zum Sonnen auf dem Bleicbplatz —
iD Wahrheit aber war diebiBchen AoeigDUDg. Dieser Freiwillige hat sich
qnaDtsweise krank gemeldet — hat aber eigentlich Zeit gewinnen woUen,
um seine schriftstellerische Arbeit fertig zu schaffen. Jene Fran ist an-
geblich am Herzschlag gestorben — hat sich aber vergiftet Sie betrieb
unten quant.sweise ein Ladengeschäft — oben aber ein unzüchtiges Ge-
werbe. Dieser Meister tadelt quantsweise seinen Lehrling — meint aber
seinen Qeseiien, welcher zugegen ist, den Tadel verdient und ihn sich
annehmen soll. Jene Xfinner worden qnantsweiae ro einem Gastmahl Un-
geladen, audi gnt bewirtet — hinterher aber ermordet Dieser Feldherr
fsriangte quantsweise das ünm(S|^iche von seinen Soldaten — woUte aber
nur das ihnen Mögliche erreichen. Jener Verkäufer forderte quantsweise
einen überaus hohen Preis — wollte aber bloß einen ziemlich hohen Preis
erschwingen. Kaufmann Öchwindclineior, Schwiegersohn des Herrn Pleite-
geier, hält sich quantsweise eind t^uipage — besitzt aber nur eine Kredit-
Equipage, welche eben nooh nieht von ihm beanhlt ist und Yertnnien tu
ihm erweoken soU. Die mit Beieig, Basen und Kllder flberdeckten Fall-
groben, worin Bftren, LOwen, Wolfe und andere vierbeinige Menschenfresser
sollen gefangen werden, sind anscheinend massiver Erdboden — in Wirk-
lichkeit &heT anscrehöhltor Erdboden. Der Pantoffelheld regiert quantsweise
— wird aber von seiner Gattin regiert, ist *e\n willenloses Werkzeug in
der Hand einer Tyrauniu«. Ein weiüer Hund, dessen Kopf schwarz is^
dflnkt HOB in dunkler Nacht beim eisten Anblick kein ämpt su haben
hat aber sein Haupt, wie am hdlen Tage, und braixdit nicht IQr ein
Gespenst angesehen zu wei-dcn. Der Fechteode sieht oft eine Finte d. h.
macht oft einen Scheinangriff, indem er quantsweise nach einer Stelle
seines Gegners hin schlägt, bo/w. st^^ßt — und sofort nach einer andern
Stelle dosseü^en hin ernstlich zuhaut, bezw. zusfr»|Jt. El)onBo trügerisch
ist der Sciieinangriff im Kriege und die scheinbare Flucht, um die Ver-
folger nach einem Hinterhalt hinzulocfcen. Scheintote sind quantsweise
gestorben — leben aber noch, haben nur Starrkrampf und müssen qualvoll
umkommen, wenn derselbe verkannt wird und sie irrtümlich dem Lcichon-
b«?tatter nborgeben werden. Der scheinbare Ort eines Planeten ist nicht
sein wirklicher Ort; ein solcher Himmolskörpor befindet sich qiiantswoise
noch hier — eigentlich aber schon dort. Die scheinbare Größe eines von
unseren Augen weit entfernten Körpers ist nicht seine wirkliche Grüüe,
wie denn dnem sohon der Fuß am eigenen Leibe kflrzer vorkommt, als
der ünterarm, obwohl beide Gliednuifiea gleich lang su sein pflegen. Dem-
zufolge urteilen wir wieder mit Auwendung der amegeplischen Kopula:
Meine Füße sind quantsweise kürzer, als meine Unterarme.* Hier be-
rührt sich die I/ehre von den TIrteilsfoniien (Diaii(>"tik) mit der Ijchre von
den In-tumsartcn (Paralogismik), "welche zur Enttäuschung anleitet.
Unserem Nebenwort > quantsweise < entspiicht unter anderm das
grieohisefae Adverb prospupos » zu wo wie d. h. in gleiseuder Weise
zutieBend, nur scheinbar, bloA anscheinend, quasimativ. Adolf ist an*
geUich der Dieb — kann aber unschuldig sein, wenn es ihm unmöglich
152
IGtAeiliiDgen
war, den Schein zu venneideD, welchen er jetzt gegen sich bat Ldder
Iftfit sicli der falsche Schein nicht immer Termeideii. Kjunn denn s. E
ein Dira8tt>ote etwas dafür, daß in seinem Spinde das yennifite goldene
Armband vorgefunden wird, welches ein anderer lUenstbote gestohlen nnd
dort listig hineingesteckt hat? Doppelgänger wissen vom Qniproqno in
Verkennungsszonen zu crzühlen; sie sehen ja täuschend ähnlich aus
und werden daher ebenso leicht mit einandei' verwechselt, wie echte und
unechte Diamanten, richtige und falsche Münzen, eßbare und giftige Pilze,
Mllokenaohwinne imd Ranohaftiilen, das Geschrei eines Tiers und die ge-
lungene Naohahmnng solcher Laute, das von einem Menschen und das
von einen Fsfiagdi Oesprochene, gebratenes Kalbfleisch und gebratenes
Fleisch von einem jungen Schwein usw. Wenn dagegen ein Gast in
seiner Zuvorkommenheit eifrig die Scherl)en von einer kostbaren Yase auf-
liest, weiclie ein anderer Gast soeben zerbrochen hat, so gibt er sich den
falschen Anschein, als habe er selber diese Yase zerbroohen. Sin Booli-
stapler gab sich den Anschein eines unveriieinteten GoldonkelB ans Amerika
— war abw ein Torbeirateter armer Schlucker aus der Umgegend fon
Berlin. Er verantwortete sich mit der holdselig lächelnden Miene engel-
reiner Unschuld — Incr aber dabei das Blaue vom Himmel herunter. All-
bekannt sind fnlp iKlo Hotnrnngsversuche : das Gebahren der Scheinbeiligen,
das Getue waifeulähiger Männer, welche der Militärarzt Simulanten
nennt, Krankheit vorschfltsen, Wohlwollen heucheln, Demnt heucheln —
Ohnmacht, Ladien nnd Weinen affektieren. Armut yorspiegeUi nnd Beidi-
tum vorgaukeln; wer so etwas tut, verstellt sich in unlauterer Abdch^
zeigt eine zur Betßrung seiner Mitmenschen erkünstelte Außenseite
und heißt Gleisner. Dngegen mögen wir weder berufsmäßige Nachahmer,
wie die Schauspieler im Theater, noch vermummte Personen auf dem
Maskenball Gleisner schelten; denn wir wollen uns ja zu unserem Ver-
gnügen von ihnen täuschen lassen. Ebensowenig mögen wir das indirekte
und zwar glimpftidi-nmBchweifige Verfahren jenes Meisters Gleisnetei
schelten, welcher qnantsweiso seinen Lehrling taddt^ aber sdnen an-
wesenden Gesellen meinte, überhaupt nicht das augenehme Betragen höf-
licher lycnte. ihr gesohoitos Benehmen, ihr gewandtes Auftreten, ihre hübsch-
zarte Sprechweise (Diskretion, T(»urnüre. Euphemismus); denn dieses an-
genehme Betragen entspringt ja aus der Herzensgüte, welche aller Felu-
sitte das Basein gegeben hat nnd erhAlt Die speziOse EootUDgeoz nun
oder das gleisende Stattfinden bat meistens einen Anfing vom eigent-
lichen Stattfinden, ähnelt ihm und stellt sich fälschlich ihm gleich, weshalb
ursprünglich »gleichsend« benannt und geschrieteu. Täuschung durch An-
schein hat manchen Justizmord, manchen Medizinmoni, manchen argen
Mißgriff in der Erziehung zuwege gebracht, hat manchen Scliaden, manches
üuhoil, Elend, Übel und Wehe augerichtet. Die amegej[)liiöche Kopula »ist
qnantswdse (prospupos, specioee tantum, quadment)«, läßt also immer das
Prtdikat vom Subjekt einereeits gelten, nftoftlioh in der Bezngsrichtung auf
einen Anschein hin, und andrerseits nicht gelten, nämlich in der Bezngs-
richtung auf die Wirklichkeit hin. Sie bezeichnet allemal einen Zwie-
spalt zwischen Apparenz und Effektivität, eine Abweichung des Anscheins
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1. Anaoh^ und WirUiehkeH
153
von der Wirklichkeit. Sie unterscheidet stetä die spezit^ Kontingraz uud
die antlieiitiacfae KoutiDgenz oder das gleieende Stattfinden und das eigent-
licfae Stattfinden. Jedes nmacbrlnkte Zeitwort (Terbnni finitam) drOckt
ein Stattfinden anSf ad es ein Zustand oder ein Geschehen; die allen
ürteilsformen gpmeinsame Kopula bezeichnet daher bald ein Sein, bald ein
Werden d. h. Cbergang aus einem Soseiii iu ein Anderssein und lautet
nicht bloß: bin, bist, ist usw., sondern auch: werde, wirst, winl usw.
Vergl. Ich werde Arzt; du wirst Soldat; er wini Landwirt; sie wird
Lehrerin; nnser Yaterhana wird banfllUg; wir werden täglich ftiter; ihr
weidet eelbsttndig. »Ana Kindern werden Lente; ans lUddieD werden
Bräute, f Aus einem Dorf wird maochmal eine Stadt. Solche Sätze be-
kiiriflen keine Zustünfle, sondern mehrfoches Geschehen, Übergänge aus
einem Zustand in den andern. Rulie ist ein Sinnbild des Zustandes
und Bewegung ein Sinnbild des Geschehens.
Termutiich ist unser Nebeuwort »quantsweise« stammverwandt mit
dem Banptwoit »das Quent, das Quentohenc, welches Mher V4
spiter i/jQ Lot ^ 1*/, Oramm, mithin ein sehr kleines Gewiäbt be-
deutete. Nachgerade wäre der iUsohe Anschein verächHich als eine Sache
von geringer Wichtigkeif, von winzigem Belang, kurzum als Lappalie
gedacht, obschon das gleisende Stattfinden doch manchmal einen Irrtum
erregt, zu WalmbedOnkungen verleitet und sogar zum Verderben führt.
Weigand gesteht, die Herkunft der ersten Silbe unseres Nebenwortes
>quantswei8ec nicfat m wissen; er veneichnet es swar in seineoi Deutschen
Würterbnch, erkennt es aber nuht als ein hochdeutsches Adverb an. Da-
gegen halten andere Lexikc^raphoi da88el)>e fflr bedeutsam genug zur
Übersetzung in fremde Sprachen, so z. B, Thieme im deutsch -englischen
Teil seines Diktionärs, wo es durch: as it were. for fomi's sako wieder-
gegelen wird, ebenso Mozin & Peschier im deutsch - französischen Teil
ihres Lexikons, wo es durch: par feinte, avec dissimulation gedolmetscht
wird. Cbrigens kennt Thieme ein deutsches Beiwort »quant« » gewandt»
luttg BS deztorous, cunning; sndem klonen Hozin & Peschier ein deutschea
Hauptwort »der Quantc = Mumpitz, Flause, Finte, Schwindelei, Ver-
stellung, Gleisnerei, auch der Schwindler, der sich verstellende Mensch,
der Gleisner = la feinte, le finaud. Damit wird nun die Herkunft der
ersten Silbe unseres Nebenwortes genügend aufgehellt und ich vermute,
daß die beiden Hauptwörter »Quant und Quent« einer und derselben Sprach-
wonel entstammen, welche etwa Tand, wertloeee Zeug, nichtiges Tun
bedeuten mag. Schwerlich hat Verktlrsung unseres Beiwortes »gewandte
TO »quant« stattgeftmden. Heutsutage ist unser Neben wort »quantsweise«
aeines logischen Wertes wegen in di*» allgemeine hochdeutsche Mundart
übergegangen: jetzt wenden es horhureliildete Volksgenossen gerne an.
Zwischen Apparenz und Effektivität d, h. zwischen Anschein und
Wirklichkeit steht also oft eine Scheidewand, wie zwischen dem möglichen
IUI und dem venotwendigten (nesessitierten) oder eingetretenen Fall, wie
■wischen Erstreben und Eirreichen, wie zwischen Solkaohe (Qebfihr) und
Tatsache. Oft jedoch steht keine Scheidewand da; dann stimmt die Wirk-
hchkfrit mit dem Anschein flberein, wie der yemotwendigte Fall mit dem
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164
Mittaaangezi
möglich geweseoen IUI, wie das Eixeiohte mit dem tetrebteo, wie die
Tatsache mit der SoUsache. Der AnsdMio ist In vielen EUlen kein
»Quant«, kein Gleisen , kein falscher Schein, sondern ein zuverlässiger
Schein, ein branchbaror Anzeiger, ein Wegweiser zur Wahrheit. I^ei-
ßpiele: Das Wasser im Züricher See scheint blau zu sein und ist auch
wirklich blau. Rudolf scheint reicli zu sein und ist auch wirklich reich.
Jeder Rauch ist dn auf Feuer hindeutender Umstand. Der Sturm-
wind namens »Eilnng« ist ein Yoibote des Blitses, wie der Donner asin
Nachfolger. Eoflspnien im Sand und im Schnee, Fufistapfen im Basen
und im Moos sind sichere Anseichen dafQr, daß ein Animal darüber
hinweg gegangen ist. Dem Titel eines Buches entspricht gewOiinlich
dessen Inhalt, dem Aashängeschild eines Handwerkers dcs.sen Arbeit, dem
Programm eines Festes dessen Verlauf. Mutmaßungen nach dem Anschein
haben oft das Richtige getroffen. Das günstige Vorurteil fQr ein Unter-
nehmen wird oft durch dessen Erfolg gerechtfertigt VorlAofige Nach-
richten vom Eriegsaohauiilatz werden oh spUer endgOltig bestitigt. —
2, Ästhesiometer, Ergograph — Ermüdung
Von Marx Lobsien-Kiel
I
Bereits im Jahre 1808 hat Dr. R. Tümpel in dieser Zeitschrift den
mechanischen Methoden zur Erforschung dor Enuüdung — also der Ästhesio-
meter- imd Ergographenmethfxle — gegenüber eine ablehnende Stellung
eingenommen. Eine größei-e Anzahl Forscher sind mit ihm gleicher
Meinung. Ihnen gegenüber stehen viele Anhänger Griesbachs und
Hossos, die auf Qrond eigener praktischer Versuche zwar die Yerbesse»
rungsbedfirftigkdt des Apparats in manchen Punkten sagestehen, gleich-
wohl aber der Methode als solcher durcliaus wissensohaftlidien Wert su-
erkonnen. Dort handelt es sich g^r<")ütenteils nm akademische, hier um
praktische Erwägungen und es kann nicht lanj^e fraglich bleiben, auf
welcher Seite das größte Maß von Wahrscheinlichkeil liegt. Folgender
Satz liegt den mechanischen Maßmethodeu zu Gründe: Nach geistigen
Arbeiten zeigen sich gewisse Änderungen der Hautsensibilitit
und der Muskelenergie, folglich haben wir in dem Maße dieser
Veränderlichkeit einen Maßstab für die Große der geleisteten
geistigen Arbeit. Man köiuite nun theoretisch beweisen, daß dieser
Schluß falsch, daß die Umkehrung ohne weiteres nicht statthaft sei, etwa
durch den Nachweis, daß die angenommene Ursache aus vielen einzelnen
Komponenten bestehe, die in ihren Sooderwirkungen keineswegs genOgend
bekannt sind, daB also die Wirkung durchaus nicht eindeutig bestimmt
set Man kOonte femer darauf hinweisen, daß nicht wenig Ergebnisse
dem Grundsatz widersprechen, daß also keineswegs erlaubt ist, ein
Parallelitätsverhältnis anzunehmen (so Tümpel, wenn auch mit zu ge-
ringem Vertrauen auf den Ausgleich durch Masseubeobachtuug). Man
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3. iaOieaiometer, Etigograph — Snnfidimg 155
könnte anf Tersachstechoische YerfehluDgea aufmerksam machen oder auch
den peychologisch iatowloolintim, doch kioht m erbriDgendeo Beweis IQhzen,
daS — nmal bei der Äetheeiometermethode eine Yoreingenommeiihdt, ein
Vonirtell, n&mlioh daB dieses ParaUelitttSTerhältnis in Wiridicbkeit be-
stehe, durch einige wenige Beobachtungen scheinbar gestützt, autosiiggestiv
-wirkte, den Blick der Forscher trübte für die Wertung der nachfolgenden,
oft wenig umfangreichen Untersuchungsresultate. Man könnte diesen noch
«eitere Erwägungen hinzufügeu — sie würden vielleicht im einzeloen Ab-
itoohe am Wert jener Methoden im Gefolge haben, doch niemals ihre
Stimme lant genug den uns eben tataftohlich gegebenen Resultaten gegen-
über ertönen lassen kOmien.
Nun ist aber neuerdings eine Arbeit erschienen, die durchaus den
Boden tadellos sorgfältigen wisvscnschaftlichen Experiments betritt, die
obendrein begonnen wurde in dem festen Glaubeu , die Ei^gebnisse
GrieabaohB und Hosso -Kellers bestünden zu Recht, die sonlobst
nur eine Nachprüfung wollte — und mit einer vollen Absage
endigte Thaddens L. Bolton: Ober die Beziehungen zwischen Er-
müdung, Raumsinn der Haut und Muskelleistung. ^) Sie bedeutet für die
Methode Griesbachs in ihrer vorliegenden Qestalt den Todesstoß und
für die Ergographenmethode beinahe dassollje.
Ich weiß sehr wohl, daß Untersuchungen über geistige Leistungs-
fthigkeit und Ermüdung heute nicht entfemt dem Interesse begegnen wie
Ter einem Jahrxehnt, trotsdem schemt mir die genannte Arbeit wertroll
genug, an diesem Orte einer kmneii Darstellnng und kritischen Würdigung
unterzogen zu werden.
n
Der Verfasser beabsichtigt, mit Hilfe möglichst genauer psychologischer
Vereoche zunächst einmal Mzusetzen, ob und in wie weit sich wirklich
ein gesetzmftBiger Zusammeohaog swischen geistiger und kürperlicher Er>
iDüdung einerseits, der IbnimschweUe , bezw. der Ergographenleistung
andrerseits nachweisen lasse. Zu dem Zwecke führte er regelmäßig je
an einer R^ihe aufeinander folgender Tage vor und nach oiiior orraüdonden
Ar}>eit Bestimmungen der Kaumschwellen mit dem Ästhesiometer und der
Muskelieistung mit dem Ergographeu aus. Als Enuüdungsai-beit wurde
das foilBohreileiide Addieren einstdliger Zahlen nadi Oehrn gewählt *) Die
Daser der Arbeiten wechselte swischen Y,, 1 und 2 StondMii spftter wurden
immer zwei Stunden gewühlt Zum Vergleiche wuzden Tage eingeschoben,
an denen zwei Stunden geruht oder spazieren gegangen wurde. Die Glabella
war die für die Untersuchung der Raumschwelle ausgewählte Uaiitstelle.
Das bei diesen Versuchen angewandte Ästhesiometer war nach den An-
gaben Griesbachs in Basel angefertigt worden. Um Druckunterschiede
ba dem Auftotaen zu yermeiden, wurden an Stelle der Spitzen zw^ Udne
FSyohologiaohe Arbeiten, herausgeg. ?on Kraepelin-H^detbeig. Bd. IV.
a 17,- ff.
*) Veigt D. VL, Szperim. Stadien zur IndiTidoalpeyohologie. Diese Ztsotax. 1903.
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156
lütteiloiigan
senkrecht abgebogene Plätlchen angeecliraubt, die je eine Dnrchbolinmg
trugen. In diesen Lfkrhern spielten frei kleine, 5 mm lange, genau passende
Metallstäbchen, die an ihrem imteren Ende eine feine Elfenbeinspitze, am
oberen Ende dagegen ein kleines Gewicht trugen. Mit den Spitzen dieser
Stftbe wurden die Bwunstieekeii auf der Haut abgegrenzt Bei dem Avf-
aetsen derselben konnten die StKbohen fm in ihren LSoheni gleiten und
drQcktffil daher immer nur mit ihrem Eigengewichte, das im ganzen 5 g
betnig, auf die Haut. Trotz dios^'r Yrrsiclitsmaßregeln trat dennoch
öfters das Gefühl verschieden stirkon Drucks an V»oiden Spitzen hervor.
Bolton bediente sich des Verfahrens der Minimaländeruugen. Der An-
fang wurde mit einem Abstände von 4 mm gemacht; dann wimlen die
Spitzen immer om je 1 mm weiter voneinander entfernt, bis der Ab-
stand 8 mm betrug. Nunmehr erfolgte fortschreitende Verideinemng der
Berührungsstrecke um je 1 mm wieder bis zu 4 mm herunter. FQr die
Messung der Muskelkraft benutzte er den Ergographen des Heidelberger
Laboratoriums. Er ist nach Angaben Kracpelins angefertigt worden und
zeigt gegen den Mossoschen Api^aiat besonders die Änderung, daß das
Hauptgewicht mit jedem Hube höher steigt, so daß man die Gesamthöhe
unmittelbar an einem Hafistabe ableseo koonta Das Gessrntgewieht, dsa
bei jeder Bewegung gehoben werden mufite» betrug 5 kg. Die Hebungen
wurden alle 2 Sekunden Torgenommeo, bis keine Hebung mehr möglich
war. Nach einer Pause von 1 Minute wurde eine neue Ermüdungskurre
gezeichnet, der nach einer 2. Pause von 1 Minute eine dritte folgte.
in
Bei genauester und ausgedehntester Prüfung der Beziehungen zwischen
Baumschwelle und Ermfldungsgrsd stellte sieh hemus in drei Yersnchs-
reihen, daB ein solcher ZusamsMnhaag in der ersten Reihe andeutung»-
weise, in der zweiten kaum, in der letzten durchaus gar nidit erkennbar
war, obgleich die Ermfidungsgrade sehr beträchtlich waren. Jedenfalls
läßt sich mit Bestiinnithcit sagen, daß die Beeinflussung der Raumschwelle
durch die geistige Ermüdiuig, wenn es Oberhaupt eine solche gibt, eine
äußerst geringfügige und unsichere sein muß. Somit ist jede Möglichkeit
ausgeschlossen» die Baumsdiwdle in Hassenuntezsuchungen als Maft der
Ermfidung zu benutzen.
Ganz ahnUche Erfahrung«], wie mit der Raumschwelle hat Bolton
mit der Ei^graphen kurve gemacht. Zwar ließ sich hier durch planmäßige
Untersuchung der Nachweis erbringen, daß wirklich Beziehungen zwischen
der Muskelleistung und der geistigen Tätigkeit zu bestehen scheinen —
aber sie wai'cu gerade umgekehrter Art, wie sie schon Kemsies voraus-
gesagt und aufgefunden hatte. Nach sweistflndigem Rechnen erwies sich die
Muskelkraft erhöht, obgleich eine recht erhebliche geistige Ennüdung ans
dem Verlaufe der Rechenarbeit hervortrat. (Sic läßt sich ja unschwer aus
Quantum und Qualität dor gelösten A^ifgaben ersehen.) Obwohl Verfasser
weit davon entfernt ist, diesen Befund als allgemein gfUticr anzusehen, be-
weisen seine Versuche doch mit vollster Bestimmtheit, daß es nicht angeht,
aus dem Sinken der Muskelkraft iigend welche Schlüsse auf den Qiad
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2. Ästhesiometer, £i|{ogni>h — Ennäduiig
167
der £^eistic:en ErmOdun^' zu ziehen. Wahrscheinlich sind dio ^gegenseitigen
Rc'ziohungeu sehr verwickelt. Bevor also Massen versuche angestellt
werden, ist es unumgänglich notwendig, mit grfiliter Sorgfalt der Wechsel-
wirkung zwischen geistiger Tätigkeit und Muskelleistung im emzeinen
naclmgeheo, damit wir erat ein richtiges VerstfiodiUB dafOr gewinMo,
im wir eigentUcb mooocn. — Bei dem überall erkennbaren Ineimukler-
greifen der verschiedenartigsten ISoflOflee muß es vorläufig als zweifelliaft
bezdchnet werden, nh Ennudungsmessungen (mechanischer Art!) jemals in
eine Form gebracht werden können, die sie für Massenuntereuchungen ge-
eignet macht, wenn man sich nicht auf die allergröbsten Tatsachen be-
schränken will. Wenn es aber doch gelingen sollte, so wird das sicherlich
mir dadoroh eneioht werden, daB wir dnroh aoigftltige nnd pmfiMaende
Voiprühmgen una die genaueste Kenntnis von den Wechaeibeaehnngen
der yerschiedenstea Formen geistiger wie körperlicher Tttigkeit und Er«
Bifidong verachaffen.
IV
Summe der Ergebnisse. 1. Das Griesbachsche Ästhesiometer
ist fOr fernere BaamschweiUeirantersnchungen ungeeignet
2. Die Bestimmnog einer eioigeimafien snverUtesigen Banmaohwelle
eriocdert eine so grofie Zahl planmäßig angelegter Einzel versuche^ daß sie
in einer einzicren Sitzung wegen der bald auftretenden Ermüdangserschei-
DOX^n unmöglich ist.
3. Irgendwelche gesetzmäßige Beziehungen zwischen Größe der Kaum-
schwelle und Grad der geistigen ErmQdung haben sich bisher auch in
woohenlang ausgedduten sorgffiltig ausgeführten Yersncbsreiben nioht nach-
4. Die Banmaohwelle ist in keiner Weise als das Mafl für die Er-
mÜdnngswirkuog einer geistigen Arbeit verwertbar.
5. Die Ergographenleistung wird duK:h zweistündiges Addieren er-
höht, durch zweistündiges Spaziereu herabgesetzt.
6. £>ie Ergographenkurre liefert durchaus kein Maß für die Größe
d« geistigen Ermüdung.
V
Das sind allerdings vernichtende Schläge gegenüber den bisherigen
Versuchen, durch ein mechani.sch- physiologisches Maß geistige ErmQdung
zu messen. Es drängt sich uuwillktlrlich die Frage auf: Haben denn
Griesbach, Wagner, Kemsies u. a. so oberflfichlioh, so leiohtglAiibig
gssrbeitet? Oder hat die oben erwfthnto Voreingenommenheit eine solche
Ibflfat» daß sie auch Männern der Wissenschaft die Augen zu binden ver-
mag? Wo ist denn die Wahrheit? Meinen und Erraten hilft hier nichts,
entscheiden kann zunächst nur ein sorgfältiger Vergleich der näheren Ver-
suchsnmstände. Zweifelsohne sind die Untersuchungen Boltons mit denk-
barster Sorgfalt anstellt worden, sie konnten auch mancherlei versuchs-
twAmauhe Mängel ihrer Yorgängerinnen ana^eidien; die DarstelluDg Gries-
bachs aber nnd Hossos usw. läftt nach dieser Seite hin manoherlei
158
Mitteilungen
Unklarhoitpn und Lücken. Bedenklicli bleibt bei den Cntereuchungen
Boltoüs, daß sie nur au einer Person ausgeführt wurden — zwar finde
ich das nirgends bestimmt sasgedrOokt — . So ist von TomlieraiD ein
Veigleich leoht schwierig; min ▼eiS nidit — - hüben, wie weit indiyi-
dnelle Unterschiede ausgeglichen wurden, drüben, wie sehr die persCnlicha
Eigenart das Ergebnis beRtimmte. Entscheiden kann darüber letzten Endes
nur sorgfältigste und umfassende Nachprüfung. Vorläufig aber
erseheinen die mechanischen Methotlen zur Messung geistiger Ermüdung,
weno auch nicht unbedingt im Prinzip, so doch in ihrer heutigen Fassung,
duToh die Untersnohmig^ Boltons stark eraohlttteit.
8. Die BtUtiBche Fortbildungsschule in DflBseldorf
besteht aus einer obligatorischen und einer freiwilligen Abteilung, anfiel
dem sind ihr EnabenzeichenklasseD angegliedert, in welchen YoUaBchfller
in den freien Nachmittagen einen erweiterten ZeicfaennnteniGfat eihalten,
so daß sie bei ihrem Eintritt in die obligatorische AbteUnng sogleich mit
den Elementen des beruflichen Zeichnens beginnen können. Die obli-
gatorische Abteihmg umfaßt 3 1 Klassen jngendlicher Arbeiter, 62 gewerb-
lich o und 11 kaufmännische Klassen.
Die Schulpflicht besteht bei wöchentlich 6 Stunden zunächst fflr
2 Jahre, \s egeu der Einffihning des dritten Jahres schweben Yerliandlnngen.
Die erste Entlassung fand Ostern 1904 statt Als besonders beacblans-
wert sei aus den Erörterungen des jüngst erschienenen Berichtes des
Stadtschulinspektors Dr. Kuypers ühä die Organisation der obligatori-
schen Schule hervorgehoben :
Bei der Gründung wurde nur der erste Jahrgang eingeschult; die
Erweiterung erfolgte nach dem halbjährigen Zuwachs aus der Volksschule.
Die Einsohulung geschieht nicht dwjh besondere Anmeldnng. Es eiliilt
vielmehr jeder Schiller schon bei der Entlassnng ans der YoUnsdrale seine
Zuweisung zu einer bestimmten Sammelkiasse. In diesen Klassen werden
die Schüler einige Wochen geprüft; mittlerweile sind auch ihre Arbeits-
verhältnisse soweit geklärt, daß ohne erhebliche spätere Umschulungen
die Zuweisung zu einer Berufsklasse und Befähigungsstufe erfolgen kann.
Die Klussenbildung ist nach Berufen und Berufsgruppen und inner-
halb derselben nach Befthigungsstufeii etfolgt, aufierdem sind mit BOoksioht
auf die LehrplAne die Jahrgftnge geschieden. Die aus der HilfBsdhule
entlassenen Schfiler und solche, welche in der Berufsldaase nicht folgen
können, werden besonderen Vorklassen überwiesen, welche ohne Scheidung
der Jahrgänge und der Benife in 4 Stufen aufsteigend gegliedert sind.
In denselben wurden 3.21 % sämtlicher Pflichtschfller unterwiesen. Die
Lehrpläne ächheiieu sicli dem Benifslebcn an. Qelehrt wird: Deutsch,
Gewerbe- und Bembkunde (Handelskunde^ bei den ungelernten Arbeitern
BQrgerkunde), Rechnen, Kalkulation, ' Buchführung und bei den seich-
nenden Berufen: 2jeichnen unter Berücksichtigung der Zwecke des Berufes.
Als freiwillige Kurse für Pflichtsohttler sind Stenogn^)hie und pmktiache
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159
Samariterkimde angegliedert. Sonntags wird keio obUgatorischw Uotei^
rieht erteilt, Werktags nicht nacli ^ Vhr al>on(l8.
Die Ausbildung der Lehrer orfülj^to außer durch Beschickung aus-
wärtiger Ausbildungskurse und durch Konferenz- Vorträge im wesentlichen
durch Aifalialtuiig yoa allgemeioen Zeiobenkiinai und betondeieo lusb-
kvnen noter Leitung von ÜBcUeaten. Mit den Handwerksindsteni, Sjtuf-
leiiten, WerksttiteD und Fabriken wird bestandig Fühlung gehalten. Probe-
lektionen, welche die Methode des Fortbildungsschul - Unterrichtes veran-
schauHchen sollen, sind in Aussicht genommeD. Für die Lehrer und für
die Schüler sind Bibliotheken gegrümlot.
Umfangreiches statistisches Material ist über Arbeits- mid Lohn-
veihlltinase sasammengetragen. Die Fortbildiingaechule se%t «oh dabei
als Gdegenhfflt zur Ausbildung der noch wenig eotwiolrelten Lohostatistik
Jugendlicher. Der Zweck der Umfrage^ deren Bearbeitung in den statisti-
schen Tabellen vorliegt, war aber vor allem, den Umfang und die Gründe
der Arbeitslosigkeit festzustellen, sowie ein Bild von den Lohiialtzüiirerj
fQr die Zeit des Unterrichts zu erhaiteu, um auf die betreffenden Arbeit-
geber einzuwirken.
Der Schulbesodi hat sieh nach den angeffibiteo FkDsentsfltEen der
TenlniDiuBse sn einem fast gans regelmiftigen gestaltet Am meisten
neigen die jugendlichen Arbeiter zu unentschuldigter Schulversäumnis.
Pünktlichkeit und Saiib^rkfit sind nach vielen Anstrengungen erzielt. »Im
ganzen fällt die erfreuliche Tatsache offenkundig in die Augen, daß dio
juDgen Leute durch die unmittelbare und mittelbare Einwirkung der Fort-
bildungsschule in hohem Orade zur Achtsamkeit auf ihren inneren und
Inlereo Menschen enogen und und dafi daher die Neigungen der ülegel-
jriue gana ivesentlich bei ihnen surQoktreten hinter einer geieifteren und
gehaltvolleren Lebensanschauung, r
Lehrreich ist die Kontrolle der Fortbildungsschule über die Volks-
schule. Es hat sich herausgestellt, daß viele Einzelkenntnisse der Volks-
Bchule bald verloren gehen, und daß das Maß der Denk- und Sprach-
fertigkeit im ganzen geringer ist, als man erwartet hätte. Desgleichen ist
die groie Yerschiedenartigkeit dier BeflUiigung und der Leistungen auf-
gefallen, 80 daB die Scheidung nach BefiUiignngBstnfen sich als gans un-
ecUUUioh erweiet
Ein besonderes Kapitel ist den polizeilielu n Maßnahmen und der
Fürsorge-Erz ieluing gewidmet. Falls der Sr-hülor aus eigener Schuld die
Schule wiederholt versäumt, werden Geldstrafen gegen ihn verfügt, im Un-
TensOgens&üle wird ihm Gelegenheit zur Ausfertigung eines Stundungs-
gesnehes gegeben, und erst als letstes Mittel bei hartnftckigen Bummlern
den Schulbesuch zu erzwingen, wird die Haftstiafe in einer besondereu
Zelle des Polizei -Gefängnisses vollzogen. Es hat sich geseigt, daß die
wenigen, welche der Haftstrafe verfallen, fast immer junge Ijcute sind,
deren Lebensführung auch sonst nicht einwandfrei, und deren häusliche
Erziehung gänzlich vernachlässigt ist Sie werden deshalb seitens der
Sehnte beeonders sorgfältig überwacht. Wenn nOtig, wird FÜrsorge-Er-
liehnng gegen sie beantragt, was in 10 lUlen mit Eifolg geschehen ist
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160 IGtleaaDgeii
In der letzten yemmniliiDg des Fürsorge' VerainB fOr katholische Ge-
lADgene wurde bertohtet, dafi die Krimioalitftt Jogendlioher, soweit die
StnufvollBtreokang im ZeUrageflDgniB zu Dflaaeldaif in Fmge kommt, auf
eiD Drittel des rrofanges früherer Jahre zurück c:oi^angen ist, was seitens
des Anstaltsgeistlichon wesentlich auch der Fort bUdunf^ssch nie zugeschrieben
wird, und zwar abgesehen von ihrer direkten Einwirkung der eben an-
gedeuteten rechtzeitigen Aussciieiduug vuu solchen jungen Leuten, bei denen
eine völlige Verwahrlosung zu befürchten ist.
Frne YenmataltoDgen zur Sammlung der adhulenflasaenen Jugoid in
ihrer froen Zeit sind in erfreulicher Entwicklung: Es werden Tum- und
Spielknrse, Skioptikon - Vorträge und Samariter- Übungen abgehalten und
Schnlfoiern veranstaltet, bei denen die Schüler selbst mitwirksD. Mit
Schülerausflügen ist der Anfang gemacht.
Die Schüler erhalten Ualbjahrszeugnisse und ein Enüassungszeugnis.
Die EntlaaBong erfolgt auf Qnmd einer Prüfung; falls das Lehniel nicht
erreicht ist, wird nach einer sehr beachtenswerten Beetioimung des Orta-
statutes die Schulpflicht um ein halbes oder ein volles Jahr verttngert.
Die freiwillige Abteilung wird von Lehrlingen und Gesellen beeuoht,
welche der Fnrtbi1dnnG:^schulpflicht entwachsen sind. Sie besteht ana vor-
bereitenden Zeichenklassen und Fachklassen.
Von besonderer Bedeutung sind die Knabenzeichenklasseo, deren Zahl
in den leisten beiden Jahren von 7 auf 26 geetiegen ist Sie eigftnaen
die Volkseohulbildung im Zeichnen , sollen mit Huer Anlehnung an die
Zwecke technischer Berufe eine Brücke schaffen zwischen dem modernen
Volksschulzeichnen und dem bemflichen Zeichnen der obligatorischen Schule,
und regen das Interesse der Schüler für einen »gelernten« Beruf an, so
dali zu hoffen ist, daß sie zur Verminderung der Zahl der ungelernten«
Arbeiter beitragen, welche durchschnittlich 34 ^/^ aller rflichtschüler auiä-
macht
Dafi das Interesse der Gewerbetreibenden für die Schule geweckt ist,
bewdsen die gestifteten Ooscbenke.
Die angeschlossene Übersicht für das Sommerhalbjahr 1904 zeigt
einen Bestand von 1Ü4 obligatorischen Klassen mit 3074 Schülern, 35 frei-
willigen Klassen mit 792 Schülern und 26 Knabenzeichenklassen mit
703 Schülern.
4. Universität und Volkssohiülehrer
Von W. Kei n-Joua
Den »Königsberger Sätzen« stelle ich folgende gegenüber:
1. Die Universitäten sind in ihrer gegenwärtigen Verfassung voll-
ständig ungeeignet für die Ausbildung der Volksschullehrer, woiii aber er-
BcheiDen sie als Zentialatitten wiseensdiaflttoher Arbeit dasn berufen, der
Fortlnldung der Lehrer au dienen.
2. Jeder Lehrer soll auf Orund seines Seminarabgangszeugnisses an
je<ler Universität immatrikuliert werden kOnn^, wie dies bereite an
mehreren üniTersitftten geschieht
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5. Konferenz der Lt;hrer des muttersprachlicbeo Uoterhchts in Bulganen löl
Die Bcj^ründung habe ich in Lohmeyers Deutscher Monats-
schrift (Augustheft) zu geben vei-sucht E» sei iiier in Kürze folgendes
dazu bemerkt:
1. Naoh deo KöDigsberger Sitzen soll der gleidie BOdungsgaug dotoh-
lanfen wsrdeo wie der der Oberlehrer. Dos ist eio Lüsches ZieL Der
BUdnogogang der Volksschulldirer b(A\ zwar gleichwotig, aber nicht glach-
artig sein. So verlangt es unsere Volksschulerziehung.
2. Bei den Oberlehrern kommt das Seminar nacli der Universität,
bei den Volksschuilehrern vor derselben. So soll es bleiben. Dies hat
seinen guten Qrund in der Eigenart der Yolksschulerziehuug.
8. Die UniverdtfttoD lehnen die Ausbildung ab, da sie io ihrer
jetzigen Yerfossang nur der Fortbildung der Volkssohaliehzer gerecht
werden können.
4. Der Prozentsatz der Lohrcr. die ihre Fortbildung auf dor l'ni-
versität suchen, wird von Jahr zu Jahr steigen. Dieser allmählichen Ent-
wicklung auf gegebener Grundlage werden die Universitäten gewiß gern
entgegenkommen, wie dies schon in Leipzig, Jena und Gießen der Fall ist
5. Eine Reform der Lehrerseminare, wie sie bereits in Proofien an-
gebahnt worden ist, hat damit Hand in Hand su gehen, vor allem auf
Orand eines gut durchgebildeten Lehrerkollegiums, das wissenschaftUldl
nnd (>ädagogisch auf der Höhe stehen mufi, die man mit fiecht von
Lehrerbüdnem verlaogea kann.
5* Konferenz der Lehrer des mutterspraolillclieii Unter-
riohts in Bulgarien^)
Vom 14. bis 17. Juli ds. J. tagte in Sofia unter dem Vorsitze des
rnterrichtsminiHters Dr. Iw. Schischmanoff eine Konferenz der bulgari-
schen Sprachlehrer, in der sehr wiclitigo Beschlüsse in B(>tioff der Er-
teilung der bulgariseiiea Sprache an den höheren Schiüen gefaßt wuideu.
Auf Grund der beiden Vorträge von Dr. B. Tzoueff, Professor au der
Hochschule zu Sofia, Uber »Dialektenverteilung und Notwendigkeit einer
Dialektenkaitec, und von Dr. N. Bobtscheff, Sektionschef in dem Unter-
richtsministerium, Ober »Notwendige Maßregeln au einer besseren Er-
teilung des litei-atuzgeschichüichea Unterrichtsc wurden folgende Fragen
eiDgeheud erörtert:
1. Auf die Frage, welche Maßregeln getroffen wenlen müssen, um
eine einheitliche Rechtschreibung zu stände zu bringen, antwortete die
Konferenz: Es soll in nAohster Zukunft ein vollständiges Rechtsohreibungs-
wQrterbuch ausgearbeitet werden mit Berücksichtigung der von der Konfe-
renz au.sgesprochenen Prinzipien, die auf eine Vereinfachung der jetzigen
offiziellen Rechtschreibung hinzielen.
2. Als Ursaciien des sehr geringen Erfulgs bei dem multer.sprach-
licheo Unterriclite wurden gekennzeichnet: a) die I^'atui* des Faches und
Bericht nach eiser amtlichen ICttdlong.
SSrftHhim lir FUloMvUe ODl Flteiaglk. t2. Jüttg^. 11
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162
llttteOimgen
seine zosammeogesetste und vielBeitige Aufgabe; b) das Fehlen einer ent-
sprechenden JngendUtentar ; o) die nicht genan festgestellte ReditF
schreibuDg; d) die fehlerhafte Sprache der I^ehrbücher und der Literator-
werke; e) die EinNvirkun? clor Dialekte auf die Sprache der Kinder und
oftmals auch der Lehrer; f) die schwere und überhäufte Arbeit der Sprach-
lehrer; g) die sehr geringe Vorbereitung violer Sprachlehi-er; h) die all-
zuhAiifige Versetzung der Lehrer von einer Schule in die andere; i) die
unpassende Auswahl und Anordnung des mutterspracUichen Lsrastoifes in
dem Lehrplan für die YoUnachale; j) die überfQllten Sohulklaasen.
Als Mittel zu einer möglichen Bessening wurden vorgeschlagen:
a) der muttersprachliche Unterricht in der Volksschule und in den niederen
Klassen der höheren Schulen soll einen mehr {iraktischen als theoretischen
Charakter tragen, d. h. die Grammatik soll nicht Zweck, sondern Mittel
bei der Erlernung der Muttenpndie sein; b) die LshibfidiBr aoUeo nicht
allsuoft gewechselt werden und ihre Sprache muß lein und fehleiM sein;
c) es muß eine allgemeingültige Rechtschreibung und Terminologie ein-
geführt werden; d) es müssen für alle Klassen Chrestomathien mit gut
ausgewählten Lesestficken ausgearbeitet werden ; e) der Charakter der
schriftlichen Übungen muß näher bestimmt werden; f) es müs>tMi günstige
Grundlagen für die Pflege der Uauslektüre und für die Entwicklung der
Jugendliteratur gmfäußm weiden ; g) der muttersprachlioiie ünteirioht soll
nur von Fadtmlnnem erteilt werden; h) die Arlidt der Spraohlehrsr muB
durch Mindenmg der obligatorischen Schulstunden (18 — 24 in der Woche)
für jeden Lehrer erleichtert werden i) für das richtige Sohroiben
und Sprechen sollen auch die andern Lehrer mit größerer Aufmerksam-
keit sorgen.
3. In Betreff des Lelirpians für die Gymnasien und der Ausarbeitung
einer Dialektenkarte bat die Konferenz eine Reihe toq Beechltasen von
SrHicfaem Interosae geiaBt und aufierdem ncoli folgende Wünsche aus-
gesprochen: a) die bulgarische Sprache soll an den klassischen (Humanitäts-)
und Realgymnasien im gleichen Maß erteilt werden; b) die Lehrer der
Muttersprache an den höheren Schulen müssen sich mit der Dialekten-
forscliuiig befassen, indem das Land in Diaiektenbezirke eingeteilt werde.
Die gesammelten Rohmaterialien müssen von einer Kommision bei dem
ünterrichtsministerium geprüft, geordnet und herausgegeben weiden; e) die
Spraehdenkmiler müssen soig<ig gesammelt, yedttfentliofat und den
Schülern zugBnglidi gemacht werden.
Sofia Dr. W. Nikoltachoff
') Es ist schon geschehen. Nach einer MiaisterialverordDong sollen die Sprach-
lehrer an den höheren Scholen nur 15 Standen wOohenthoh haben.
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I Philosophisches
Wudt, WilhelH. Völkerpsychologie. Eine ÜDtersuchung der Entwick-
lungsgesetze von Sprache, Mythus und Sitte. 1. Bd. Die Sprache. 1. Tl.
Zweite Aufl. X u. 667 S. Leipzig, Engelmann, 1904.
Diese 2. Auflage hat eine tiefer greifende Umarbeitung nur in dem
Kapitel vom Lautwandel gebracht. Da ich das Werk Wundts bereits im
9. Jahrgange dieser Zeitschrift ausfflhrhch besprochen habe, will ich hier
kurz nur auf dieses Kapitel eingehen.
Das Neue liegt darin, daß die beiden Umstände, welche, nach Wundt,
die mannigfachen Formen des Lautwandels zur Hauptsache bedingen, näm-
lich die mit fortschreitender Kultur sich steigernde Geschwindigkeit
des Redeflusses und die Betonung, eine erneute sorgfältige Erwägung
und eine umfängliche Begründung erfahren liaben. — Die Bedeutung der
gesteigerten Geschwindigkeit im Sprechen und Denken für den Lautwandel
hat man zwar schon vordem ausgesprochen, aber nirgends finde ich eine
so festgefügte Begründung.
Wundt erörtert zunächst die allgemeinen Wirkungen der Artikulations-
geschwindigkeit. Zwar haben wir kein unmittelbares Zeugnis dafür, daß das
Tempo der Rede in früheren Zeiten wesentlich langsamer war als heute ; doch
können wir uns berufen: 1. auf ein Analogon aus der Musik. Bekannt-
lich hören wir die Beethoven sehen Symphonien heute in einem schnelleren
Tempo vortragen als in dem sie ursprünglich komponiert worden und das
gilt noch mehr von Haydn, Mozart, Bach u. a. 2. Der StU, die umständ-
lichere Form der grammatischen Konstruktion — der schwerfällig -gravi-
tätische oder plumpe Schritt der Rede weist auf ein gleiches hin. Aber
abgesehen von diesem immerhin etwas unbestimmten Eindruck von Sprache
and Stil, haben wir dafür ein wertvolles Zeugnis im Gebiet der Laut-
formen selbst, nämlich in den Kontaktwirkungen der Laute, den sogenannten
regressiven und progressiven Lautassimilationen, die alle auf eine Be-
schleunigung der Rede hinweisen.
Die Sprache besitzt eine große Zahl von Erscheinungen, die dafür
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164
BespreohttDgen
eintreten. Zu erinnern ist an die Vokalkontraktion (die Verschmelzung
von Vokalen), an die Lautscliwächung ara Ende der Wörter, Änderung dar
konsonantischen Endlaute. — Man ist ferner in der Lage, durch ein ein-
faches Experiment nachzuweisen, daß bei boscbleuoigter Rede der Laut-
ohankter vafindert wird. Man veifolge 2. & die Wuidliinge& der labialen
ExplouTlante p und b. Es empfiehlt sich, aie mit a za kombinieren. Bs
seien bezeichnet mit p^, die stark, mit p', b' die schwaoh aspirierten
Laute, mit b die AfCrikata, mit b die tonende Media» mit p und b die
V
tonkieen Lippenlaute» dann ergeben rioh tagende Wandlungen:
p'^ä, p% äpa }^
bft* ba abil bft Sb Sb.
V
Denkt man sich ähnliche Wirkungen der Geschwindigkeit und Be-
tonung über eine längere Zeit ausgedehnt oder gar durch hinzutretende
Bedingungen Tentftrkt, so erkttien sich mancherld Veiändemngen besonden
der harten BxpIoaiTlaute: 80 sehen wir p'unt in pfunt und fund über-
gehen ; so war die unprflngliche Form für Apfel wahrscheinlich *ap'ul.
althochdeutsch nebeneiniHider apful und afful, niederhochdeutsch Apielf
niederdeutsch Appel.
Tempo der Rede und Wortbetonung sind vor allen Dingen wichtig
für die Deutung des Gesetzes über die Lautverschiebung. Überblickt man
zunächst die allgemeine Achtung der Lautänderungen sowie die Ab-
weiohungen, die sie im dnzelnen bieten, so springt in die Augen, daß
diese Erscheinungen in beiden Besiehungen im wesentlichen den Modi-
fitarfionsn entsprechen, welche die drei Klassen der Vfflrsdüufilaote infolge
der experimentellen Variation der Artikulationsbedingungen erfahren. In
den Veränderungen, die sich in den oben dargestellten Reihen an den
labialen Verschlußlauten hervorbringen lassen, wiederholen sich, wenn wir
noch die unter bestimmten, länger einwirkenden Ursachen oder bei den
Sprochversuchen des Kindes in beobaohtenden Obergänge in die Spirans
hinzunehmen, beinahe Schritt fOr Schritt gewisse Erscheinungen der ImA-
▼ecsdiiebung. Sie entsprechen dieser sowohl in ihrer allgemeinen lUchtung
als anch in vielen Einzelzügen: so in dor größeren Zahl von Stufon, welche
die Media gegenüber der Tenuis durclüaufen kann, ferner in dem Emfluß,
den die Stellung im Au-, In- oder Auslaut ausübt, eudlich in der Wirkung
der Qualität, Dauer und Betonung der umgebenden Tokale. So haben sich
im Anlaut, bei unmittelbar folgendem Yokal noch heute die aspirierlSD
Tenues erhalten, während sie im Inlaut in AfErikatä oder wmtwhin in
Spiranten und endlich im Auslaut in stumme Explosivlaute übergegangen
sind. Die Media aspirate dagegen ist sehr frühe schon im Anlaut zur
tönenden Media geworden, während sie im Inlaut Affrikata blieb oder
durch diese in eine tönende Spirans überging, im Auslaut aber dem stimm-
losen EzplosiTlaut mstrebte: hnter Verlndemngen, die im weaentHohan
mit den obigen Reihen flbereinstimmen. Aua diesem Paiallelismus darf
man wohl den Sohluft neben, dafi die im Germanisebeo in beaonderB
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n Pidagogisches
165
weitem Umfang, in den andern indogermanischen Sprachen in engeren
Oreozen, aber im ganzen in übereinstimmendem Sinne eingetretenen Laut-
TerechiebuDgeo der Konsonanten Prozesäo eiod, die, ganz wie die vielfach
gleichseitig mit ihnen erfolgten Yokalkontraktionen, BUaonen mid I^mt-
schwSdniDgen, sowie in Übereinstimmung mit den EootaktSnderongen der
Lante, zum größten Teil ak Wirkungen der beaohiennigten Artikulation
lu deuten sind.
Auch der Wechsel der Betonung w irkt anf eine Änderung der Sprech-
weise hin. Das zeigt sich besonders deutlich bei dem Vernerschen Gesetz,
oadi dem die eingetretenen Lautverschiebungen in dem Sinne von 6i»
Betnnuag abUngig sind, dafi die endgültige Yenchietning eine andere ist,
wenn in der Zeit, da die Differems der Laute orfolgte, die dem YerschluA-
laut vorangehende, eine andere, wenn die ihm nachfolgende Silbe betont
war (z. B. zlhan, der dem betonten Vokal folgende Konsonant ist tonlose
Spirans: zeigön, der dem betouten Vokal vorausgehende ist tönende Media.
Beide gehen auf ein und dasselbe Wort wahrscheinlich ziu-Qck). Hierfür
finden aioh besondeis vieile Beispiele im Gotischen. Durchweg reduziert
der sinkende Tod eine Lockerung des vorangehenden Yeieoblussea, also
stimmlose Spirans, die steigende Betonimg den tOnenden Yerschlußlaut,
der durch den festeren Verschluß die folgende stärkere Exspiration und
gleichzeitig durch die bereits in Schwinp:ung versetzten Stimmbftnder die
oacbfolgende lautere VokaUsation vorbereitet
Kiel Marx Lobsien
II Pädagogisches
Laiam, Professor Dr. M., Pädagogische Briefe. Mit einem Vorwort
herausgegeben von Dr. Alfred JLsickt Breslau, Schlesiaohe Verlags-Austalt
von S. Schottlaender.
Das 1G5 Seiten starke Büchlein bringt 10 Briefe des kürzlich ver-
slotbenen Pkvfessots Lazarus Aber wichtige Fragen der FSdagogik. Wie
es in des Heransgebers Yorwort beiBt, sind nur die drei lotsten Briefe
noch nicht veröffentlicht worden. Es handelt sich also mehr um eine
Sammlung von bisher Zerstreutem als um eine erste Herausgabe. >Päda-
gogi.sche Briefe« nennt Dr. Leicht die kleine Sammlung; aber wer sich
nur eine leichte Unterhaltung über pädagogische Themen im Briefstil
erwarten würde, der würde fehliaten. Es sind freilich meist nur An-
sltse, oft nur Andeutungen , was Fkof. Lasar us hier gibt; aber es sind
Oedanken, die bis su den Wuraeln slles pldagogischoi Lebens reichen.
»Sie — die Briefe — sollen Neues bringen c, fordert der Verfasser
selbst im 1. Brief, »und doch wird aiif keinem Gebiete und auf keinem
wiedenim weniger als auf dem der PAdagogik eine Wahrheit aus der
Pistole geschossen«.
Für ihn beeteht nun das Neue nicht im vOllig ümvrllaenden ; denn
»alle Yersnofae, die Welt oder irgend einen Teil oder eine Richtung der*
selben von gestern anf heute von Qrund aus umsugestalten oder
uranflnglioh neu ins Leben su rufen, sind entweder schon im Gedanken
Digitized by Gaogle
166
Bespreohongen
mlBgeborea oder lebensunfähig vor der Sonne der Wirklichkeitc. FQr ihn
besteht da» Nene mehr in einer Bevirion der Qnmdbegriffe^ in dem >Be-
wafitaein Aber das eigene Ton«, in dem bewnfiten Zusammenhang des
Einzelnen mit dem Qanzen: »Die Bfleksieht auf das Ganse in allen seinen
Teilen muß maßgebend gemacht werden.«
Von diesem weiteren Gesichtspunkt aus sucht er nun einzelne hervor-
springende Punkte im pädagogischen Blickfeld zu markieFen und da» be-
schütz seiner Kritik richtig einzustellen.
Der 1. Brief bandelt in der Hauptsache von der »idealistisohen
Stimmtinge, die darin besteht, daA der Endeher ȟberall unter den ge-
gebenen Umstanden das YoUkommenste in erreichen bestrebt istc. ~~
»Diese Stimmung zu erfassen, zu heben ond zu verbieitenc, betrachtet
Lazarus als «ein innig ersehntes Ziele seiner Briefe.
Der 2,, 3,, 4., 5. und 6. Brief befassen sieh mit der Staatserziehung
und mit der Sc hui Verwaltung. Lazarus ist Anh&nger der Staats-
Bchule. Die Schule steht über den Parteien.
>Der Dnterrichtsminister sollte kein politischer llinister, sondern ein
pädagogisdher sein.c
Die geistliche Leitung kOnne weder ans pSdagqgisohen, noch ans
religiösen, sondern nnr ans kirohenpolitiscbeii Ortlnden gefoidert verdea.
Lehrer und Leiter des Schulwesens müssen Pädagogen sein, die »nur
aus pädagogischen Gründen entscheiden und nach pädagogischen Normen
trachten und wirken«. Der Staat ist in unserer Zeit rociitmäßiger Herr
der Schule. Die alte Beschwerde, »die deutschen Fürsten haben die Schule
säkularisiert«, ist falsch. »Der Staat hat die Volksschule säkularisiert,
indem er sie geschaffen hat« Diese Herrschaft aber darf nicht snr
lyiannei werden. Die Sehnte soU eine Schule der Freiheit sein. »Was
wir im ganzen deutschen Stamm, in und außer dem Reich, in der großen
und breiten Masse des Volkes an geistiger Freiheit und politischer Mündig-
keit finden, ist der Volksschule zu verdanken, die der Staat geschaffea
oder bei den Kommunen angeordnet hat.« Auch der Lehrer muß frei
sein, wenn er segensreich wirken soll >£3 gibt keinen Cäsar über die
Onmmatiker und auch nicht Uber die Schulmeister.« »Direktoren, Lehrer-
kollegien, kommunale oder regionale SdhulrUe werden dem Staate niemals
besser dienen, als wenn sie den Oehorsam vor allem ihrer wissenschaft-
lichen Überzeugung und ihrem ethischen Gewissen leisten.«
Die Staatserziehung ist das Ideal ; aber sie darf nicht in Uniformierung
ausarten. Dezentralisation muß eintreten.
Im 7., 8. und 9. Briefe, die an ein Mitglied des Abgeordnetenhauses
gerichtet sind, befaßt sich Lazarus mit der Dauer der Schulzeit,
mit dem achten Schuljahr und mit der Fortbildnngsschula
Am tiefsten in das Wesen des Yolkssohulimterrichts dringt der
7. Brief ein. Lazarus ist ein Feind aller zu weitgehenden Forderungea.
Er unterscheidet erstens: -^gewisse Kenntnisse und Fertigkeiten, deren
Inlialt und Übiuig niemals wieder vergessen worden darf,«
zweitens; »die Art von Kenntnissen, welche nicht wegen ihres sloff-
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II fttdagogisohes
167
lieben Inhaltes, sondern wegen der Erleuchtung und I^Mfmg dee QeiflteB
und wegen der Errepuntr des Gemütes überliefert werden.«
»Von alledem gehört in die Volksschule keine vollständige wissen-
schaftliche Disziplin.« »Überhaupt keine Wissenschaft soll in der Volks-
sehnle getriebon werden.«
Scharf irandet aiofa Lasarns gegen jedes bloia Oedloh tniswissen.
»Die erlencbtende imd erweckende Kraft, der BUdungswert einer Gedanken-
nihe ist um so großer, je mehr sie als eine freie Gabe empfangen wird.«
»Was nützt denn in allen ernsten und tiefen Dins^en, mit denen wir
die Srole der Kinder befassen, daß sie ein Gedächtniskram und ein
Li^jpenwerk sind?€
Mit besonderer psychologischer Feinheit wendet sich Lazarus in
seinem 8. Briefe dem Apperseptionsprosefi sn, der Umbildang früherer
Wissensecdiitie durch neu hinzutretende und dem Zwiespalt zwischen
Scliulwissen und lebendigem Leben, zwischen Schriftdeutsch und Volks-
mund, zwischen literarischem und natürlichem Denken. In der Yolks-
sehnle soll man überall wissen und jeden Tag bedenken, daß die abstrakte
Welt des Buchstabens den Geist zu töten, des Gedankens Blässe das Leben
tniukränkeln im Begriff steht, imd daß man deshalb auf der Hut sein
muß, den Qeist nnd das Lsben in seiner natOrliohen Frische m er^
liBltsn.«
Lazarus ist Anhänger der obligatorischen Fortbildungs-
schule. Entgegen neueren Anschauungen fordert er, »daß die Fach- und
Berufsbildung in die zweite, die allgemein menschliche Bildung in die
erste Linie zu setzen ist«^. Einen großen Segen verspricht er sich von der
Vertnndong von BeratHurbeit und Soholbesach. tloh sage nicht «nviel,
wenn ioh behaupte: mir sind zwd Jahre Fortbildnngssohule lieber als nooh
twei volle Schuljahre ohne Berafsarbeit.«
Der letzte, an eine Dame gerichtete Brief befaßt sich mit dem Wesen
der Erziehung. Nicht die spozifischon Pädai^ot^'en, »die Dichter sind
die Lehrer der Menschheit«, i Bei keinem Volke finden wir, daß die
großen und berühmten Dichter unmittelbar mit der Erziehung im eigent-
lichen Sinne besohftfligt hltten.€ Die Uassisohe Epoche der deutschen
Nation macht hier die große Ansnahme. Wir verdienten eher das »Volk
der Pädagogen« genannt zu werden als das der »Dichter nnd Denker«.
In keiner Literatur spielt der Bildungsroman eine so hervorragende Rolle
als in der deutschen. Durch Lessing hat der Begriff Erziehung eine Weite
und Tiefe erhalten wie nie vorher. »Erziehung gibt dem Menschen nichts,
was er nicht aus sich selbst haben konnte.« Wir müssen die Kräfte des
Zöglings entwickeln, indem wir ihm den Cnltnigehalt flberliefem. »Von
der tief eindringenden Unterschmdnng dieser beiden Orundelemente der
errieherischen Tätigkeit und der darauf gegründeten Bssiehung beider «a-
einander hängt das Gelingen derselben ab.« Und nun geht Lazarus in
längerer Ausführung auf unsere pädagogischen BeirrifTe ein und zeigt, daß
wir sie gebrauchen, ohne an ihre tiefere Beziehung zu denken. Schon
die beiden Ausdrücke »bilden« und »entwickeln« — welche Summe von
Vocetellangeo von Fsrallelen, von Bildern n. a.! Wir denken in sprsoh-
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168
Besprechungen
liehen Fornaen, in Illu.stratinnen . um das Wesen zu erfassen — dieses
selbst bleibt uns ewig ein Rätsel.
»Das Ziel aller Ersiehmig ist die Ausbildung voUkommeoer
* Humanit&t; der Weg m ihr ist die Erkenntnis and die Anwendung der
Vernunft Wahrheiten.« —
Es ist oin Reichtum von pädagogi fachen Anrefrnncen, was hier ein
weit und klar schauender Geist verkündet. Mau merkt aus jeder Zeile,
wie roiflieh überda(!ht, wie wohl erwogen sie ist. Man glaubt dem Ver-
fasser, wenn er als den großen Fehler seines Lebens den Umstand be-
seicbneteb daA er cnviel in sieb bineingedaoht habe im Vergleioh m dem,
was er geschrieben.
Was uns hier geboten wird, das sind Kristalle, die ein langjähriger
Prozeß klar werden und anschienen ließ, Kristalle, in denen sich das
Licht hundertfältig bricht und sjjiegelt. Mae^ auch mancher Stein etwas
anders geraten sein, weil ihm dieses oiier jenes Ingrediens fehlte — ich
denke hier vor allem au des Verfassers Ausführungen über die allgemeine
VdksBofanle, bei denen die praktische Erfahrung wahiadheinlich andrsr
Anschanung huldigt im großen nnd ganaen sind die »Fidagogiaoheii
Briefe« ein Werk, das in keines Lehrers Hand fehlen sollte. Wir empfehlen
das kleine Buch aufe wArmste.
München £rnst Weber
Bcrüser, Dr. A.f Lehrbuch der Experimentalphysik in elementarer
Darstellang. 10t 3 lithographischen Tafeln und 695 snm Teil
farbigen Abbüdongen im Texte. Jena, 0. Fiacher, 1903. gr. 8^
XVI u. 857 S. Geh. 14 M, geb. 14,50 M.
Fruchtbar zu untornchten, ist scliwer. Man muß selbst etwas Rwhtos
wissen, und man muß außerdem fähig sein, methodische Einsichten zu
verkörpern. Doch nicht jedes Wissen frommt dem Lohrer. An Werken,
die von Oelehrsamkeit strotzen, fehlt es uns nicht; aber es fehlt uns an
Werken, die zu denkender Bearbeitung einee Qebietsa anrsgen, an Werken,
die da zeigen, wie weittragend oft ein Bsgriff, wie sinnvoll diese oder
jene scheinbar willkürliche Festsetznng ist, durch welches Ganze ein
einzelnes Bedeutung erhält, wie man gerungen hat, diesen oder jenen Ge-
danken zu verkörpern usw. Das ist auch der Grund, weshalb ich
Berliners Werk mit Freuden begrüße.
Das Buch hat ganz wesentliche Vorzüge.
1. Berliner hat Abbes Gedanken Ober optische Instrumente ver-
wertet. Hit Recht. Abbes Gedanken beherrschen asit geranmer Zeit die
optische Praxis. (Vor Berliner hat bereits Lummer im HOllersdhen
Lehrbuch der Pliysik eine einschlägige Darstellung geboten.)
2. l?erliner hat die geliäuohliche Anordnung des Stoffes in mehr-
facher Hinsicht verbessert »Es ist z. B. herkömmlich, die Polarisation des
Liditea mit der Doppelbrechung des Lichtes zusammen zu bdiandeln, ein
Fehler, der sich oft dadurch riUsht, daß der Lernende keine von beiden
begreift und die Bemtlhongen nm ihre Beherrschung von vornherein als
aussichtslos aufgibt Wenn man aber die Darstellung der beiden Yoiging«
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II F&dagogüH^es
169
vollkommen vonojnnndor trennt (wozu man berechtigt ist, da die I^oiarisation
ganz unabhängig von der Doppelbrechung existieren kann), und wenn man
die Doppelbrechung unmittelbar im Anschluß an die einfache Brechung
bdiandeltf so verschwindet ein großer Teil der Schwierigkeiten ganz von
selbst. Erstens sieht man dann jeden dnzelnen der an sich nicht gans
einfachen Yorgftnge ohne Vermengang mit dem andern, nnd zweitens wird
die Polarisation des Lichtes sehr viel flbersichtlidier, weil man dann schon
mit dem bequemen Hilfsmittel zur Polarisiening des Lirhtcs vertraut ist,
das uns die Doppelbrechung in die Hände gibt.« (Vorrede S. IV.) Am
Ende der Darstellung über die Wärmelehre (S. 349) heißt es: tüm das
Wesen nnd die einzelnen Erscheinungen der Wärmestrahlung begreiflich
so machen, mflßte der grOfite Teil dessen, was in die Lehre von dem
Lieht gebArt, hier besprochen werden. Dies wtirde den Gang der Dar-
stellung aber wesentlich unterbrechen. Es ist daher zweckmäßig, die
Fortpflanzung der Wärme durch Strahlung und davS, was damit zusammen-
hängt, nicht hier, sondern erst im Zusammenhange mit der Lehre vom
I^cht zu besprechen.« (Vergl. S. 831 u. f.!)
3. Viele pbysikalifiche Erscheinungen beziehen sich auf R¨idies.
Wer die fflamlichen VerhUtnisse nicht durdisohaot, ringt ganz ▼ergeblioh,
aidi die damit verbundenen Erscheinungen vorzustellen. Wie eifrig ist
dämm Berliner bemfiht, den Lesern zu helfen! Yor allen nimmt er oft
Bezug auf geläufige Bewegungen und Lagebeziehungen. »Man orhält das
Bild der erif stehenden Weile aus dem Bilde der Wasserwelleu {F'ifj;. 232),
wenn man das Buch vertikal auf die schmale Kante aufrecht stellt und
sich dann die Kreise der Fig. 232 nm ihre vertikale Achse gedreht denkt,
80 daB sie also wie die MUnsen einer horizontal gehaltenen Geldrolle
soeinander liegen . . .c (8. 866). »Man muß sich das ganze den Leiter
timgebende Feld von solchen Fliehen durohsogen denken, die wie die
Schalen einer Zwiebel einander umschließen ..." (S. 459). »Dreht man
die Kalkspat platte um das Einfallplot in ihrer Ebene (wie ein Rad um seine
Achse) herum, so . . .« (S. 686). Vergl. auch S. 797, Zeile 29 u. f.,
S. 814, Zeile 3 n. f.l Berliner bietet femer einschlägige Skisten; und
wo diese nidit ansreiöhen, wird mit Elappenflgiiren, d. i. mit aufrichtbaren
K]i^pen ans steifem Papier, die mit Figuren verbunden sind, hantiert.
4. Eine gewisse Anstrengung kann dem Leser sicherlich nicht erspart
werden: aber man muß verhfiten, daß er seine Kraft unnQtz verbraucht.
Aucli in dieser Hinsicht kennt Berliner die Bedürfnisse seiner Leser.
Cr erinnert immer wieder an das, was erforderlich ist, das Neue zu ver-
sldien. Br steckt da Wamungszeichen ans, wo er die Leser strancheln
sieht, ünsiohere sprachliche Beziehungen nnd synonymische Bedeweisen
sucht er zu ?ermeiden. Besonders behutsam geht er dann vor, wenn es
Bich um sehr verwickelte Stoffe handelt. Hie und da konstruiert er einfache
Fälle, um sie nach und nach der komplizierteren Wirklichkeit näher zu
fuhren. Er macht darauf aufmerksam , an welcher Stelle eine IJnter-
ßuciiuiig einsetzt, und faßt die Ergebnisse immer und immer wieder zu-
sammen. Zuweilen bietet er Figuren mit Bandbemerkungen, in denen
man ganze Oedankenmassen überschant o« s. f.
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170
fisqmdhttDgni
5. In der Pliysik feUt ee nioht an Festsatrangen, die Bohflinbar
recht wiUklIrlioh sind. »Die Sttrke des magnetiBchen Feldes in tfgend
einem Punkte wird dargesteUt duroh die Dichte der EiaMinien. Von
der magnetischen Menge u gehen 4 7r/u Kraftlinien aus . . .« So heißt
es schlankweg in vielen Lehrbüchern. Berliner dagegen zeigt zunächst,
woran man die Intensität eines maii^netischen Feldes erkennen kann, dann
zeigt er, daß die Kraftlinien da am dichtesten sind, wo die Feldstärke
am grOAton ist, nnd endlich zeigt er, wie es swar nicht notwendig, aber
doch zweokmftBig ist, anzonehmen, you der magnetieohen Menge /u gingen
4»/' Kraftlinien aus u. s. f. Das nenneich eine Anleitung zu fruchtbarer
Geistesarbeit. (Vergl. auch: F. Auerbach, Die Grundbegriffe der modernen
Naturlehro. Leipzig, Teubner, 1902. S. 90—92.) Daß Berliner be-
fähigt ist, schwierige Stoffe darzustellen, zeigt sich besonders in den Ab-
schDitten über das Trägheitsmoment, über die Wellenlehre, über die Kraft-
linien, über das Potential, Ober die Doppelbrediang nnd Uber die
Polarisation.
6. Die Darstellung ist elementar, aber dardidmngen Yon wissenschaft-
lichem Geiste. Hie und da wird eine Überlegung nur für besondere Fälle
oder unter vereinfachten Bedingimgen durchgeführt, eine komplizierte Er-
scheinung wird nur im großen und ganzen betrachtet, es werden selbst
mathematische Beaidinngen verwertet, die nioht besonders abgeleitet sind.
Alles das ist nnbedenUioh, weil der Leser immer nnd immer wieder auf
die OnTollkommenheit und BesohrSnktheit seines Wissens anftnerksam ge-
macht wird.
7. Hinsichtlich der Maße sind die gesetzlichen Definitionen verwertet.
Auch einige Mängel mögen angedeutet sein:
1. In der Wärme-, Licht- und Elektrizitätslehre ist manches als
TatMohe dargestellt, was wohl nur hypothetischen Wert hat Namentlich
für didaktische Zwecke scheint es geboten, den Standpunkt einsunehmen,
den Professor Dr. K Mach vertritt (VergL: Die Geschichte und die
Mängel des Satzes von der Erhaltung der Arbeit. Prag, Calvesche üniv.-
Buchhandlung, 1872. Die Mechanik in ihrer Entwicklung historisch und
kritisch dargestellt. Leipzig, Brockhaus. Die ökonomische Natur der
physikalischen Forschung. Almanach der Kaiserl. Akademie der Wissen-
Schäften. Wien 1882. S. 295—319. Beitiflge zur Analyse der Emp-
findungen. Jena, Fischer. Die Prinsipien der Wärmelehre. Leipzig, BbtAl.
Populärwisaenachaftliche Vorlesungen. Leipsig, Barth. Leitfaden der Physik
für Studierende. Leipzig, Freytag. Bemerkungen über die historischo
Entwicklung der Optik in der Zeitschrift f. physik. u. ehem. Unterricht,
herauBgcg. v. Poske. XI, S. 3 — ^8. Vergl. dazu die einschlägigen Schriften
von Stallo, Volkmann und Fetzoldtl) Erklären heißt danach nicht, Er-
scheinungen auf hypothetische ürsachen surOokfUhren. ErklAren heifit
yielmehr, komplizierte Erscheinungen auf einfhohe snrOckfOhren. Als Br-
klänmgsmittel sind die Hypothesen sicherlich nachteilig, als Mittel der
Forschung, der Darstellung u. b. f. können sie gnte Dienste leisten.
2. In der Physik haben wir matiche Bezeichnung (einarmiger TTebel,
Zerlegung einer liewegung oder einer Kraft u. s. f.), die zu falschen Oo-
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II Fidagogisohes
171
danken verführt. Diesen Übelstand sollte oamenüioh eine etoneataie
Darstellung eingehend berücksichtigen.
3. Wie miiß ein Hebel beBchalTea sein, wenn man Kraft sparen will?
Wie, wenn man niöht an Eiaft, woiil abor an Weg spaien -wiu? n. a f.
Über Deraitigea anaflttirlioh Anakonft an geben, aeheint mir nicht flbarflflsaig.
4. Welch eine Fülle von wissenBchaftlioher Arbeit ist oft in den
Dingen verkörpert! Die einschlägigen Darstellungen Berliners reichen in
manchen Fällen (Thermometer, Roibungselektrisiermaschine u. a.) nicht aus,
den licser zu der so nützlichen Einsicht zu führen. Vielleicht wäre es
angebracht, bei einzelnen physikalischen Grundgedanken die Stufen in der
YeridJrperung etwaa nSber an bdenditatt*
5. Mach hat geiaigt, dafi ea nnmdglioh ial^ die Gmndeinaiohten der
Mechanik losgelöst von jeglicher Erfahrung su gewinnen. Wäre ea dann
nicht unbedenklich, die abatiaktan Beweiae dar Qmndeinaiiditen etwaa
geniiger zu werten V —
6. Die neuem Ar leiten über Blitzschutz (z. B. Koch, Elektro-
technische 2jeitschrift, lö99, Heft 16. Zechnor, Prometheus, Nr. 560 u.
561) Bind nicht verweitet Wer heutzutage einen BUfaali]fliter anlegen
wilif mnfi die Brfiüimng verwerten, daß ein von einem Leiter umgebener
Körper Tor dektrischen Entladungen geschützt ist (Faradays Versuch im
Drahtkäfig; man denke auch an Prof. Artemieffs Schutzanzug für Arbeiter
in Werken mit hochgespannten \Vj?chsGl,strömen!), und ferner die Erfahrung,
daß bei osziLLatonschen Entladungen der Obmsche Widerstand nur eine
geringe Bolle spielt
7. Die mathematiaohen Ableitungen auf den 8. 605, 571 n. 572 aind
nicht aweckmifiig und nicht fehlerfrei. In dem KapUel Aber Doppel-
breohnng (S. 688 u. 689) sind einige Versuche mit falschem Ergebnia
dargestellt, mithin sind auch die Fipuren auf Tafel II verzeichnet. (Ver-
wertung der Huygen sehen Konstruktion.) Die Figur G62 entspricht nicht
dem einschlägigen Texte. Es kommen Gleichungen mit einseitiger Be-
nennung vor. Druckfehler treten mohrfach auf ,; einige sinnstöreudo mögen
angegeben aein: & 689 Zeile 22: 1,668 atatt 1,486. 8. 785 Zdle 17:
fiewegnngaeradheinnngen atett BengnngaerBcheinnngeB. Auf den S. 771,
811 nnd 813 sind Hinwaiae anf Figuren ungenau oder falsch. Figur 658
ist verzeichnet. Kann man Lichten bergscho Figuren mit unelektriachei
Mennige und unelektnschen Schwefelblumen erzielen? —
8. Ist es wohlgetan, beispielsweise die Lichtenbergschen Figuren und
andere Kleinigkeiten der Elektrostatik zu behandeln, dagegen die gewöhn-
Bohe Telegraphie an ftbergehen? —
Weimar M. Faok
fllieia, In Hiatoriaohe Bechenbflcher des 16. u. 17. Jahrhunderts
nnd die Entwicklung ihrer Grundgedanken bis zur Neuzeit
Ein Beitrag zur Öeischichte der Methodik dos Rechenunter-
richts. Mit 5 Titelabbildungen. Leipzig, Dürr sehe Buchhandlung. gr.8<^.
183 S. Preis 3,60 M.
Was der Verfasser besweckt, hat er im Vorworte in aller Kürae lum
Aoadmok gebrecht. »Die vorliegende, aeit Jahren vorbereitete Monographie
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172
will als ein Beitrag war Geeohiohte der Methodik des Beohenunterridifs
gewertot sein, als eine Erglnsung der Darstellangea von Wildermntii,
TreotleiD, Jftnioke, Unger, Hartmann, Sterner, Villicus, Cantor, Simon u. a.
, , , Nachdem in der Einleitung die beiden die heutige Rechenmethodik
beherrschenden Ideen [a) auch das Rechnen steht im Dienste der sitt-
lichen Bildung, und b) ee trSgt vorwiegend den Charakter des Sach-
reohnensj gekennzeichnet aind« gibt Teil I ein Bild Ton dem Stande des
Becbenuntemobts im 16. imd 17. Jahrhnndert imter BerttckdchtigiiBg
Sohulordnongen und Bechenbflohern. Teil II führt auf dieser Grandlage
die interessanten historischen Rechenbücher des 16. und 17. Jahrhunderts,
besonders die von Suevus, Meichsner und Hemeling (bisher von den
Hechcnhistnrikorn über Gebühr vernachlässigt und weder bibliographisch
noch pädagogisch zur Genüge gewürdigt), in charakteristischen Proben vor
und sucht dieselben aus den jeweiligen Zdtomstflndoi ond den dieae
Fsriode bewegenden idealen und aittlicben MAohten veistftndlioh su maoben.
Es bedarf nidit der Versicherung, daß (der) Ver&sser sich durchaus auf
OriginalqneUen stützt; es ist keine Mühe gescheut und kein Mittel un-
versucht gelassen, dieselben auTzufinden und zu erlangoi. Die Fundorte
der zum Teil seltenen Werke wurden genau angegeben.
Die Darstellung läüt zugleich erkennen, daß die Verfasser jener histi^
risohen Beohenbaoher bereits — ohne darüber zur KMisit sn kommfla —
sowohl das reehenunterrichtliche Saobprinsip als aoch die Idee vom
ethischen Zweck des Bechenuuterrichs in ihrem Aufgabenmaterial berfick-
sichtigt haben. . . . Das Sachprinzip sowohl wie der Gedanke des sitt-
lichen Bildungswertes des Reclinens zieht sich wie ein roter Faden durch
die ganze Entwicklungsgesehiclite des Rechenunterrichts hindurch. Beide
stehen in innigster Verbindung; jenes methodologische Prinzip wird in
seiner praktisohen Gestaltung m einem pädagogisch-teleologischeiL FMblem.
Eine entwioklungsgeschiohtUdhe Beleuofatnng jener recfaenimterriohtliidien
Normen, die bis jetzt sohmenlich vermißt wird, erscheint für den weiteren
Ausbau unserer Rechenmethodik von Bedeutung. Teil UI unserer Arbeit
will jene Entwicklungsgeschichte, rcichond bis in unsere Tage, geben. Es
ist eine Tatsache, daß man eine geistige Erscheinung erst dann wesenhaft
kennen lernt, wenn man ihre Entstehung und Entwicklung verfolgt Die
Kenntnis der Genesis jener Probleme fOhrt uns diese selbst nlher; denn
sie lOsfc eine FOlle appersipierender KrSfte aus, die das YerstSndnis er-
leichtern. Auch praktische Pädagogen werden daher der Studie, die mit
der reichen Fachliteratur der neueren und neuesten Zeit bekannt macht,
ilir Interesse zuwenden können.' (Vorwort, S. 3 u. 4.)
"Welch eine Fülle von Angaben bietet uns Grosse in seinem Werke!
Wieviel Fleiß mag er geopfert haben, um all die Quellen zu erlangen!
Wieviel Zeit^ um Texte m entsiffem, Texte su prflfen und sn kopieren,
Aufgaben su vergleichen, zu sShlen und zu gruppieren! u. s. f. loh ver-
mag nur einen kleinen Teil der Angaben zu prflfen ; trotzdem bin kh mit
Rücksicht auf die literarischen Hinweise u. a. der festen Überzeugung,
daß Grosse mit großer Sorgfalt und mit umfassender Sachkenntnis ge-
arbeitet hat. Die Rechenhistonker werden ihm deshalb zu Dank ver-
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II FIdagogisches
173
pflichtet sf'in; und gar mancher dürfte Gelegenheit gehabt haben, die
eigene Darstellung zu erweitern und zu verbessern. In dieser Hinsicht
hat sich Grosse offenbar ein Verdienst erworben.
Grosse hofft, mit seiner Studio aucii den Männern der Praxis einen
Diflost geleistet wa haben. Ist diese Hoflhung berechtigt? Wer in der
FhooB etwts leisten will, moB gewisse Einsichten (»SMchprinsip« n. a.)
verwerten. Einsiobten vermag aber nor fruchtbar zu verwerten, wer sie
vollkommen durchschaut und aus ihren ersten Gründen herleiten kann.
Grosse berichtet in ausführlicher Weise über die Gründe, die den und
jenen Autor zu senior Einsicht geführt haben. Aber er unterläßt es, zu
zeigen, wie man diese Fülle von Anregungen dazu benutzen kann, um zu
einer aUeeitigen nnd strengen BQgrQndung dieser oder jener Binsicht so
gelangen. Er Ueibt also anf halbem Wege stehen. Üna Lehrern fehlt
69 in erster Linie an der philosophischen (der stolze Ausdruck mOge er-
laubt sein!) Durchdrinq-unt^ der Gedanken, die wir verkörpern sollen.
Grosses Schrift bereichert das Wissen des Lohrois ; abor zur VerwirJl-
lichimg jenes höheren Zweckes tut sie woiil mchi genug.
Wer mathematischen Formen Leben einhauchen will, miifi »e auf
Suhen beliehen. Aber soll man von komplisierten SaohverbAltnissen aas-
gehen, nm die Formen su gewinnen; oder soll man erst an komplizierten
SachverhiUtnissen sohreiten, nachdem man die Formen bereits an verein-
fachten Sach Verhältnissen gewonnen hat? Hier ist dor Punkt, an dem
einsetzen muü, wer uns Lehrern hinsichtlich des »Sachpriuzips einen
Dienst leisten will. Um die Ijeregte Frage zu lösen, wird man am besten
tun, zu zeigen, wie sich gemäß der einen oder andern Forderung der
Reofaenanterrioht in seiner ganzen Ansdehnnng und in allen Binselheiteii
gestaltet.
Philosophische Durchdringung der Gedanken und Anleitung zur Toll-
ständigen V^erkorperung der ö<xlankon, — das ist's, was uns Lehrern in
erster Linie nottiit. In dieser Hinaicht findet uian nur wenig Uand-
reichuDg bei Grosse.
Weimar M. Faok
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Aus der philosopli
Archiv für systematische Philo-
sophie. X, 3. 1904.
Dv. 'Vk/tot Enft, Das Problem der
Anfienwelt — A. Levy, VorbedingUDgen
einer jeden wahren philosophischen Er-
kenntnis. — Julius Fischer, Zum Exiuni-
und Zei^)robIem. — Theodor A. Meyer,
Dis Fnminuirip des SdiOnen. — Jshres-
behcht über sftmtUohe Erscheiniiiigen auf
dem Gebiete d<>r systematisohen Philo-
sophie. — Rudolf Goldscheid , Jahres-
bericht über Erscheinungen der Sozio-
logie 1899—1004. — Die neaestm Er-
sfliighwingwi anf dem Oelneta der ^sto-
matischeii Philosophie. — ZeitsduÜton.
— Eingegangene Bücher.
Ontberlets Philosophisches Jahr-
buch. 17. Jahrg. 4. Höft.
1. Abhandlungen: C. Gutberiet, Der
'Vnile ala Weltprinap. — Panl Czaja,
Welche Bedeutung hat bei Arestoteies
die yiniUfth« Wahrnehmung und das
innere Ansohauungsbild für die Bildung
des BogriffesV — Scheror, Sittlichkeit
und Recht, Naturrecht uud nc htige-s Recht
(Forts.). — L. Baary Sabetansbegriff und
AktaaUliisphaoaopbie (Schlag). — Beek,
Die Sittenlohre des Briefes an Diognet
— R. Stölzle, Zwei IJriofe E. v. Lasaulx'
zur (Charakteristik des i'hilüsophen Baader.
ischen Fachpresse
— IL Besensloneii und Beferate: M.
WsrtsDbeig, Das ideahstisohe Aigument
in der Kritik des Msterialismos, von GL
Gutberiet. — K. Fahrion, Das JE^blrai
der Willensfreiheit, von Deins. — 0.
Weininger, Über die letzten Dinge, von
L. Baar. — C. Friok S. J., Ontologia
siTs Mstephysios gsasr., von J. Fkiss
0. M. I. — J. Kiog, Ihe psychology of
Child Development, von J. Wallenborn
0. M. 1. — III. Zeitschriftenschau: A.
Phüosophisohe Zeitschhiteu. — B. Zeit-
sohriftm yennisohten Inhalts. — IV. Mis-
sdien und Nsehriditen: Ehie neue Br>
kUrong der Konsonanz und Diasonans.
— Ein neuer Versuch zur Erklärung der
Lebcnstätigkeit. — Zur Neuroneolehre.
— Das Yibrationsgefühl.
Kaatetiidleii. Henusg^ben von Dr.
Hans VuIuDger und Baooh. Band IX.
Heft 3 tt. 4 1904.
Bauch, Luther und Kant — Riehl,
Anfänge des Kritizismus. — Renner,
Reden zur Feier der Wiederkehr von
Kante 100. Todestag. — Aale. Zwei d&nisGh&
Festgsben som Kantjolnttnm. — Sitsler,
Zur Blattversetzong in Kants Prolego-
mena. — Rezensionen. — ^olbstsnseigeiu
— Mitteilungen. — B^gister.
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liudipresse
Commersjahrbuch fOr Philosophie
und spekulative Theologe. XIX.
2. Heft 1904.
Oloftnsr, Ans TheoJogie mid Phflo-
Sophie. — Josephoa s Leonissa, Diu ge-
schaffenen Geister und das Übel.
Franz Zij^on, Zur Lfhro des hl. Thomas
von Wesenheit und Sein. — literahsche
Besprechungen.
Olfuibeii and Winea. VomDr. Dennert
IL 10. Hea 1904.
E. Wölffei, Gewohnheit. — Pf. W.
Römheld, Blaise Pascals Gedanken t. ~
Prof. Lic. R. Grützniacher, Alte Wahr-
heit in neuem Oewsnde. — Dr. med.
BelkMa, Ist der Hase ein ItMeittaer V
— Zeugen Gottes. — Umsohsa in Zeit
und Welt. — Notizen. — Antworten aaf
Zweifelfragen (Frage 30. 40/. — Apolo-
getische Rnndschau.
Neue Metaphysische Rundschau.
Hersusgeg. Ton Psnl ZiUmsmi. 1901.
Bend XL Heft 4.
Dr. med. F. A. Mesmer, Die 27 Lehr-
satze vom animalischen Magnetismus. —
Dr. med. A. Marques , Die Aura der
Magnete. — Albert Kniepf, Der vierte
Aggregstsostsnd (die Bsdio-Aktivitlt). —
Dr. Höh. von Lessei, Die metaphysische
Grundlage von Richard Wagners »Der
Ring des Nibelungen« (Kapitel III: Das
flüssige Hheingold und das zum King ge-
schmiedete Metall; Kap. IV: Erda und
Wotsn, dw BsgNk dw Tragödie der
Menschheit). — Dr. med. J. D. Ruck,
M3r8ti8che Maurerei (Kapitel V : Die Ge-
heimlehre, Wissenschaft und Religion").
— Ivy Hooper, Zwei Häuser (Kap. III).
— RnndsdisiL — Meherschaii. — Por-
trait: Fiiediidi Anton Mesmer.
Rcvae de MÜnphysique «t de Mo-
ral e. (M. X. Leon.) 12e sanee, No. 5.
Septembre 1904.
L. Bninschvicg. La rcvoletion cart6-
sienne et la notion spino/.iste de la sub-
stance. G. Vailati, Sur une classe
remarquable de raisonnements par rcVluc-
tion k l'absurde. — L. Couturat, Les
principes des msthkastiqiies. — YI. La
geomdtne. — Istodes oritiqnss: 6. Lsdia-
las, Une nonvelle tentative de refutatioa
de la göoinötri»^ generale. — Questions
pratifjues: F. Maiguet, Surl'idöe de ratrio.
— Supplement: La philosophie dans les
Univeintte (1904-1905). — livies noa-
veanz. ~ Rsvnes et PdriodiqQes. —
KantgeeeUaofaaft
Die Kinderfehler. Zeitschrift f&r
Kinderforschong mit besonderer Be-
rücksichtigung der pädagogischen Patho-
logie. Herau.sgegeben von J. Trüjjer,
Direktor des Erziehungsheimes und
XinderBsnstoriums auf der SophienliAhs
bei Jens nnd Chr. Üfer, Belrtor der
Mädchenmittelschnle in ElVai-fcId. X, 1.
A. Abhandlungen : Prof. Dr. F. M.
Wfmlt. Zur Psychologie der Eltern- und
Kindesliebe. — Dr. phil. Franz Nietzold,
Prnfung der sor VoUnaohnle angemeldeten
Kinder, besonders im Oessng». — B. Mit-
teilungen: G. Fischer, Der XI. Blinden-
lehrerkongreB in Halle a. S. vom 1. bis
.'». August 1!K)1. — Die Gründung eines
llilföscbulverbandes in England. — Neu-
begründete Heileniehungsheime. — Pfttde-
pädagogik. — Znr Frage «nes Kongresses
für Kiiiiit rpsychologie und Ueilerziehiing.
— VI. Versaininluiig dos Vereins für
Kinderforschung am 14. Kl. Oktober
lii04 in den GeseilschafLssälen des iieuea
Zentrsltfaesteis am Thomaaringsn Leipzig.
— An die Frenode nnd Mitglieder des
Vereins für KindsifMBchnng. — Vor-
läufige Tagesordnung für den f). Ver-
bandstag der Hilfs.scbulen Dout.sohlands
in Bremen, Usturn 1905. — C Literatur:
Dr. A. &&ckinfer, Organisation groBer
Volkaachnlkörper naeh der astfiriichen
Leistungsfähigkeit der Kinder. Von Trüper.
— Dr. med. Julius Moses, Das Sondcr-
klassensystem der Mannheimer Volks-
schule. Von Trüper.
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176
Neu wagugMigMift Booher und Zeiteohrifleii
Neu eingegangene Buolier and Zeitscliriften
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Groth, Natur^tuiiiüu. 2. Aufl. Ebenda.
Tews, Schulk**mpromill usw. Berhn-
8chöneberg, Hille.
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Kind und Kunst
Einige experimentelle Untersuchungen zu einigen Grundfragen der Kunst-
erziehung
Von
Marx Lobslen, Kiol
A. Einleitung
Die gegenwärtige Pädagogik darf sich zweifelsohne als Verdienst
anrechnen, daß sie ein absichtliches Bemühen forderte, um die
Kunst dem Volke nahe zu bringen. Dabei handelt es sich in erster
Linie um die Kunst im Bilde, sei es das plastische oder ebene, in
zweiter Linie um die Kunst im Worte. Man verglich die Gegen-
wart mit einer kunstsinnigen Periode des Mittelalters und mußte mit
Beschämung eingestehen, daß die Gegenwart in Kunstsinn und Kunst-
fertigkeit ungleich hinter joner zurückstehe. Verglich man das
moderne bürgerliche Zimmer — um nur auf dieses eine hinzuweisen
— mit dem jener Periode, so gewahrte man dort feineren Sinn für
Farbe und Form, naives, aber doch sicheres Empfinden für das Zu-
sammenstimmen. Dieses Zusammenstimmen bezieht sich sowohl auf
das einzelne Zimmergerät, wie auf die Gesamtausstattung des Raumes.
Wo sich Gelegenheit bot, unterließ man nie, ein passendes Zierrat
mit geschickter Hand, d. h. niemals in aufdringlicher Weise, anzu-
bringen. Die Aus^schmückung war nicht Selbstzweck, wie in einer
späteren Periode der Übertreibungen und des Schwulstes, sondern
ordnete sich bescheiden dem jeweiligen Zwecke des Gebrauchsgegen-
standes unter. Ebenso war unmöglich, es sei denn, daß ein starkes
Pietätsgefühl das so forderte, daß ein Gerät im Zimmer geduldet
Zdtschiift für Philosophie and Padagocrik. 12. Jahnnuig. 12
Google
178 Aufsätze
würde, das geeignet wfiie, den Oesamteindrack za stören. — Tritt
man dagegen beute in das Wohn- oder gar Prunkzimmer eines relativ
wohl gestellten Bfiigers: welch ein tohnyabohn in Form nnd Farbe,
welch traniige Geschmacklosigkeit und Oeschmackswiimis redet von
diesen Winden, diesen Bildern, dieser Auswahl nnd Anordnung
Ton Zicrgcgenstinden mannigfachster Art! Welch schreiende Mißtöne
in Wahl nnd Anordnung der Farben! Und nun gar die Futzstube
des Minderbegüterten, des kleinen Handwerkers, Beamten, Kaufinannes,
an dessen Ausschmückung er seine Spargroschen wendet, jenes
Zimmer, das der Hausfrau Stolz ist, das während des ganzen Jahres
kaum betreten und sorgsam vor Sonne und frischer Luft bewahrt
wird: es ist zunächst nichts weiter als ein Aufspeicherungskabinett
der denkbar mannigfachsten Ramschware des nächsten Warenhauses
— ein Warenhaus en miniature! — Das ist nur ein Beispiel für
viele. Ich erinnere aufierdem an das dicht besetzte Yarietö, das
zweifelhafte Yorstadttheater, den Gassenhauer, die Easemenlieder, die
elende Schmutz- und Hintortreppenliteratur, die gemein und schauder-
bar illustrierton Witz- und Skandalblfttter, die alle zahlreiche Ab-
nehmer finden usw.
Das mufite allerdings sowohl dem Pädagogen wie dem Künstler
ans Herz greifen. Man fand auch Wege und Mittel, ^des Teufels
Mißt« — mit Luther zu reden, auszukehren, die Yolksseele zu säubern,
sie zu veredeln, indem man ihr die besten Kunstschätze in Wort
und Bild zuführte, sie so, wenn möglich, gegen die Ansteckung durch
die Unkunst, das Unedle, das Unsaubere zu immunisieren. Es ward
die Parole ausgegeben: die Kunst dem Yolke! und beide Interessenten
verbündeten sich, um den Kampf auf der ganzen Linie au&unehmett.
— Der Kampf muß offenbar nach zwei Seiten geführt werden, ab-
wehrend und angreifend; abwehrend gegenüber der herrschenden
Unnatur (wie das mit bemerkenswertem Erfolge auf dem Gebiete
der Jugendschiifton versucht wird), gegenüber der Wahl- und Stü-
losigkeit in Kunst und Kunstgewerbe, wie sie das Publikum be-
liebt. Dann aber muß man vor allen Dingen Besseres als Ersatz
schaffen — zweifellos die größere und unvergleichlich schwierigere
Aufgabe.
Dabei kann es sich selhstversändlich , will man Gesundes
schaffen, nicht am einen Kampf von heute auf morgen handeln,
etwa mit gewaltsamen Machtmitteln, wie mancher Heißsporn ver-
meint Das ist bei allen denen von vornherein sicher, die da wissen,
wie hart Meinungen, Neigungen, Wertschätzungen gerade solcher Art,
wie sie hier in Frage stehen, sich einwurzeln. Wir haben logische
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Lobsikn: Kind und Kunst
179
Tnliimpr, ja Walinideen allen gegenteiligen Zeugnissen zum Trotz
Jalirhunderte überdauern sehen, l^nd doch kann man dort, wo es
sich um derartige Verfehlungen und Falsohdeutungen handelt, die
Masse, wie man sagt, mit der Nase auf die nbjektivc^n Tatbestände
stoßen. Wie ganz anders, wo es sich um den (Jeschraack handelt;
hier liegen die Verhältnisse viel schwieriger. Man kann derartig
handgreifliche Beweise nicht geben, weil der Treschmack indis-
kutabel ist. Nun soll nicht geleugnet werden, daß die erwähnten
Irrungen aus logisch-sachlichen Gebieten' nicht allein gefestigt werden
durch die Trägheit der blassen, sondern auch durch die diese Eigen-
schaft naiv oder raffiniert ausbeutende Herrschsucht der Oberen starke
Stützen gewann (Ptolemäus-Kopernikus). Dieser Herrschaft begegnen
wir auf dem Gebiete des Geschmacks wieder in der mindestens ebenso
rigorosen der Mode i. w. vS. Der Satz: der Geschmack ist indiskutabel,
hat praktische Bedeutung nicht sowohl dem Individuum gegenüber,
das sich in seinem Geschmack sein noli me tangere äußeren Ein-
wirkungen gegenüber bewahrt hat, als vielmehr einer größeren oder
geringeren Gemeinsamkeit gegenüber, die durch die Mode gebunden
wird. Wir haben heute noch ihre Macht deutlich vor Augen, am
deutlichsten in dem, was sie für die Kleidung vorschreibt Trotzdem
ihre Macht durch den häufigen Wechsel stark gelockert ist, sehen
wir das widersinnigste und bäßUcbste in Form und Farbe »modern«
und »unmodern« werden — aber wieviele wagen, sich zu emanzi-
pieren. Denn — und darin liegt snm großen Teile das Geheimnis
beschlossen — der Hauptbundesgenosse der Modo ist die Furcht vor
dem »sieb lächerlich macben«, vor dem Spott. Die Waffe hebtet
sich in TWschärfter Form gegen den minder Wohlhabenden, der zu-
gleich seine Dürftigkeit getroffen fühlt. Welche Macbt aber dem
Spott innewohnt, bezeugt die Eultuiigescbiobte zur Gen (ige: was emster
Belehrung unmöglich war, das gelang den Volksfreunden, die die
Geißel des Spottes und der Satire zu bandhaben wußten. Wie groß
aber ist die Macht der M.ode in jenen Zeiten gewesen, da sie sieb
in viel weitereu Z^Mfiünmen wandelte und sich obendrein mit äußeren
Machtmitteln verbinden konnte. Sie wirkt stark uniformierend ein,
nicht nur auf die Kleidung, sondern die ganze LebensfiUn tmg, die
Lebenswertung und den Geschmack. Bedenkt man diese Macht, die
auch heute wirksam ist, so wird man schon aus dem Grunde der
Meinung entgi^;entreten müssen, daß in einigen Jahren, nd. r Jahr-
zehnten, auch ernstes Bemühen von durcbgreifendein Erfolge sein
werde. Es ist richtig, die Jugend »kann man leichter biegen und
ziehen« und darum durchauB zu billigen, daß man »bei ihr anhebt«,
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180 AvfBUxe
aber das Haus, auch wo es keinen aktiven Widerstand leistet, hat
durch 100 feine Fäden eine viel engere Beziehung zum Kinde, einen
viel inteusivercn Einfluß.
Dazu kommen weitere hemmende Umstände, die in modernen
volkswirtschaftlichen Verluiltnisson begründet liegen; ich erwähne nur
einiges. Die modt rue Technik gestattet neben Herstellung vorzüg-
licher Machbildungen künstlei'ischer Erzeugnisse, auch die minder-
wertige billige Mas.senproduktion , die dann im Dienste der öden
modernen Geschäftsdevise: Großer Umsatz, kleiner Verdienst (d. h. zu-
meist schlecht aber billig), den Markt zu ül)ersehwemmen vermag
Damals lautete sie: wenig, aher gut Das paßte vorzüglicn zu der
bürglich-konservativen Behaglichkeit jener Zeit wie jene andere zu
der nervösen Hast unserer Tage. Ein minderwertiges Vielerlei lockt
den Käufer, geschmackverwirrcnd. Er nimmt sich nicht die Mühe,
das Bild, den Ziergegen stand, das Hausgerät auf seine Schönheit hin
zu betrachten, ja, er kann es nicht, weil ihm der Sinn dafür fehlt.
Dieser ist auf das Nüchterne und Traktische gerichtet und für das
Schöne abgestumpft; denn die Lebenshaltung steht großenteils unter
der gleichen Devise. Weil das (Jeld gegen andere materielle
Lebenswerte eine starke Kui-sherabminderung gegenüber früheren
Zeiten erfahren hat, so gilt es ein Auskaufen der Zeit und ein An-
spannen der geistigen und leiblichen Kräfte bis zu ihrem Maximum.
Dazu verführt di<>se Hast schnell erreichbare oft verwerfliche Ge-
nüsse zu erhaschen. Diese Rastlosigkeit in Arbeit und Genuß ge-
stattet kein ruhiges Vorweilen, die Jagd nach dem Gdlde macht
blind und stumpf dem kninstlerisclien Schauen und Genießen gegen-
über. So hängt der Sinn für Kunst aufs engste zusammen mit
der ganzen Lebenshaltung. Ungimstige wirtschaftliche Lage macht
von vornherein das Bemühen: Die Kunst dem Volke, künstlerische
Erziehung für alle diejenigen illusorisch, die darunter seufzen. Der
hat nicht Sinn für Kunst den jeden Morgen Fi'au Surire grüßt Erst
Brot, dann Kunst! Möglich, daß man in weichen Kinderherzen manch
Samenkorn legen kann, aber es ist unweigerlich dem Tode gewiß.
Schade um die verlorne Liebesmüh. So erfährt der Satz: die Kunst
dem Volke schon aus äußeren Gründen eine Einschränkung.
Zu diesem Abstrich in der Breitenrichtung komtnt dann ein
anderer in die Tiefe. Die äußerlich günstige Lebenslage gewährt
noch keineswegs die Verwirklichung des gesteckten Zieles, mindestens
ohL'nso wichtig sind bestimmte psychische Qualitäten, worüber her-
nach genaueres ausgeführt werden soll. Doch mischte ich in diesem
Zusammenhange auf einen Feiud der modernen Bestiebungen auf-
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Lobsien: Kind tmd Kunst
181
meriraam machen, den man nicht immer genügend gewürdigt hat
Man kauft das Bnch, das Bild, den Schmnc^gegenstand im Waren-
banse billig ond damit macht man von 7omherein die Eonsession:
ffir den Preis ist es doch ganz nett, da kann man nichts besseres
▼eriangen. Daß aber ein derartiges Eonzessionenmachen irgendwie
geeignet sein sollte, einen etwa noch schlummeniden Sinn fOr schöne
Form nnd Earbe zn beleben, wird nur der Unkundige einen Augen-
blick erwfigen. ^
Die Fordenmg: die Ennst dem Volke, geht von der Yoraus-
setEODg anS) daß das Yolk zum Eunstsinn nnd Ennstgcnuß erzogen
werden könne. Diese Toranssetznng hat aber, meines Erachtens, yor>
linfig nur den Wert einer Hypothese. Sie kann historisch nicht
eifairtet werden (etwa durch den Hinweis auf jene hochstehende
mittelalterliche Periode). Die Geschichte des fisthetischen Geschmacks
— den wir in den cfanaktenstisdien Ennsterzeugnissen der einzehien
EntwicUungsstadien verköipert sehen — zeigt ein Auf und Ab der
Entfiiltung. Auf den Wellenborg folgt das Welleatal, je nachdem das
Geschick hervorragende, bahnweisende Geister bescherte oder Yorent-
bielt Diese bestimmten fiibalt nnd Richtong des Aufschwungs. Das
Chaikteristische für den Psychologen liegt aber in den Zeiten des
Kiedeigangs darin, daß nur von wenigen diese als solche erkannt
Qod rerstanden werden, im Gegenteil, die Zeitgenossen sind mit dem,
was geleistet wird, nicht nur ganz wohl zufrieden, sie stellen es über
die Bizeugnisse jener Perioden, die hernach vor dem Richterstuhle
der Eunstgeschichte als Höhen sich ausweisen. Das Selbstzeugnis
der einzelnen Perioden ist das denkbar schlechteste — sonst wäre
das wechselnde Auf und Ab der Entwicklung ja unmöglich. Die
historische Betrachtung zeigt dann weiter, daß dieser Wechsel im all-
gemeinen zusammengeht mit äußeren Schicksalen und innerkulturellen
Umwandlungen. Sie kann im allgemeinen auch mancherlei ürsach-
Terhältnissc zwischen hüben und drüben nachweisen oder wahrschein-
lich machen. Damit aber ist ihre Aufgabe erschöpft in der Beant-
wortung dvT gestellten tYage: Sie kann auf Grund jener Registrie-
roDgen und dieser Ziisammenhango im allgemeinen die Möglichkeit
einer Erziehung zur Kunst wahrsclipinlich machen. Das unter fol-
gender Begründung: Ein ursachloscs Geschehen ist ein Widerspruch
in sich. Für die Wellenbewegung sind Ursachen verantwortlich zu
machen, seien es peiNönlichc, Uniweltseinflüsse oder beide zusammen.
Diese «laii man in ihrer (resanithcit als erzieliliche Kiiiwirkungen mit
Fug Luid Recht bezeichnen — folglicli ist Erziehung zum Kunstvor-
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182 AnfBBtse
stfindnis möglich. Entspreehend der Natur der Eüiiflflsse liegt ihr
Erfolg in auf- oder absteigender Linie.
Der Sais, daß nrsaobloses Geschehen ein Unding sei, ist un-
bedingt zuzugeben; er hat genau dieselbe Gültigkeit wie das aus
ihm resultierende, dafi ein Geschehen, eine Zustuidsinderung not-
wendig und notwendig in derselben Form statthaben mufi, wenn die
ganze Summe der Bedingungen gegeben ist Dem Historiker sind
aber nicht alle Bedingungen bekannt, er kennt nur die ftufieren, so-
weit sie überliefert sind. Wo seine Au^be endet, da hebt die
Arbeit des Psychologen erst an. Er erkundet das Verhalten der
Seele, ihren Gesetzen entsprechend, jenen Einwirkungen gegen-
über. Würde aber der Fsydidoge lediglich arbeiten mit den Mitteln
der alten Eonstruktionspsyohologie, dann müßte er sich gleicher-
weise begnügen, die Möglichkeit im allgemeinen und obendrein mit
viel engeren, weil willkürlicheren Mittehi darzutun. Der Tollgflltige
Beweis kann auf kürzestem Wege nur ei^erimentell erbracht werden,
d. h. dadurch, daß« man planmäßig Ssthetisch auf eine bestimmte
Schüleigruppe einzuwirken trachtet, um dann den Erfolg zu beob-
aditen. Ich sage am sichersten und kürzesten, denn des eben ist
das Wesen des Experiments, daß es die Bedingung nach Möglichkeit
reinlich sondert und sie willkürlich varüert, trennt und yerbindet,
um so dem Zu&U mit allen seinen Terboigenen Irrtümern zu ent-
gehen. Dieselbe Angabe hat auch hier das Experiment, nur Tarüert
dem neuen Anwendungsgebiete entsprechend. Er setzt Toiaus eine
stete, der jeweiligen kindlichen Entwicklungsstufe angepaßte üsthe-
tiscbe Einwirkung im weitesten Sinne und prüft dann in gewissen
Zeiträumen das Maß der Immunisierung gegenüber der ünkunst —
Das alles ist aber rorläulig lediglich Zukunftsmusik, denn ee fehlt
bis heute noch an jeglicher Vorarbeit dieser Art
Die ErziehuDgsmöglichkeit im allgemeinen ist zwar erwiesen,
80 widersprechend ihre Theori^ sind, die Erziehungsmög^chkeit zur
Kunst soll erst erwiesen werden. Es soll erwiesen werden, daß für
eine solche allgemeine Vorbedingungen Torhanden sind, denn nur
dann ist berechtigt zu fordern: die Kunst dem Volke. Die Geschichte
der Kunst läßt uns hier im Stiche, sie zeigt diese Allgemeinheit nicht,
sondern redet nur von bestimmten, mehr oder minder abgeschlossenen
Kreisen, die bald größere, bald kleinere Radien gehabt haben mögen.
Es muß also vor allen Dingua der Nachweis erbracht werden,
daß ästhetische Qualitäten — a gr. s. — im Kinde schlummern, ob
überhaupt Bedingungen bereits dafür Torhanden sind, die ein absicht-
liches Bemühen berechtigt ersdieinen lassen. Dem ist hinzuzufügen.
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LoBtoEN: Kind und Kuust
183
dftß hiervon Qualitäten natürlich nicht in dem Sinne eines VennÖgans
geredet wird, eines Keims, der nur günstiger äußerer Bedingungen
wartet, um sich zu entfalten, sondern als von Neigungen, ästhetisch
zu werten, vorzoziehen und zu betrachten. Während im allgemeinen
Kunstsinn, Kunstverständnis erst auf einer <:o\vi\sen, oft eigenartigen
Oesamtbildungshöhe inteliektuelier und moralischer Art, möglich er-
scheint, 80 ist (loch xonigoben, daß solche Neigungen oft eigenartig
früh hervori)rn hon, andrerseits, daß es nicht, wie etwa auf mechÄ-
nischem Gebiete bei dem Parallelogramm der Kräfte, lediglich dieser
intellektuellen und moralischen Kräfte bedarf um unter günstiger
Konstallation als Resultante die ästhetische Genußfähigkeit zu er-
zeugen, beileil>e nicht Jene scheinen zumeist Voraussetzungen, ja
gar die conditio sine qtui non — aber das ästhetische Genießen ent-
hält doch ein mehreres, das in jenen nicht vorhanden ist und aus
ihnen allein nicht resultieren kann. Man mag, etwa im Sinne Uerbarts,
die Ethik möglichst nahe an die Ästhetik heranrücken, man mag von
einer Ästhetik logischer Konstruktionen reden u. a. — man trifft
damit immer nur Sondorf ornien, Abarten eines Grundwesens, das in
ihnen nicht beschlossen liegt. Kurzum, die ästhetische Genußfähig-
keit liat ihr Sonder wo sen. Daraus folgt weiter — und lediglich
das wollte ich durch diesen kurzen Gedankengang dartun — , sie
hat ihre Sonderentwicklung von niederen zu höheren Stufen
iun, eine Entwicklung, die in ihrer Höhenlage, in ihrem Tempo
nach der persönlichen Eigenart denkbar verschieden ist Hier
liegt, wie mir scheinen will, eine Ftmdamentalaufgabe für die Be-
strebungen auf dem Gebiete der Kunsterziehung, die noch lange nicht
genugsam gewürdigt und nur ganz sporadisch in Angriff genommen
worden ist, nämlich: die Entwicklungsstadien des ästhetischen Sinnes
genau tsa TCifolgen. Die Au^be ist um so schwieriger, weil die
Entwicklung, zunächst innerhalb der großen Gruppen: Bild- und
Wortwhönes, dann auch innerhalb ihrer Unterabteilungen keineswegs
parallel verläuft, weder innerhalb des Individuums noch breiterer
Massen. (Genaueres werden die experimentellen Untersuchungen
dieser Arbeit bringen.) Wie dem auch sei, ich bin zufrieden, wenn
man mir jeet schon zugibt, daß wir es hier mit einer Angelegenheit
der Entwicklung zu tun haben. Daraus ergibt sich weiter, daß,
wenigstens im allgemeinen ein Unterschied ist zwischen dem Kinde
und dem Erwachsenen einerseits, dem Gebildeten und der breiten
Hasse andrerseits; femer, daß gewagt erscheint, die Kunst — ohne
daß die genannten Bedingungen erfüllt seien, der Masse, oder gar
dem Kinde \anzttbieten. In gewissem Sinne haben wir ein Analogon
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184 AnlBitse
in dem Religionsuntemohte. Ich glaube, es gibt keinen Untemcbte-
zweig, der auf eine so lange und eingehende Pflege zorflcAbHeken
kann wie dieser. Wie ungemein reich ist seine Literatur, wie groß
die Zahl hervorragender Geister, die sich aufs ernsteste um ihn be-
müht haben — aber es gibt kein Unterrichtsgebiet, auf dem man
sich ärger gegen die Psychologie versündigte, die kindliche Indi-
vidualität so gründlich ausschaltete. (Die Ursachen sind zum Teil
äußerer Art und interessieren uns hier nicht.) Man sah in dem
Kinde den Erwachsenen nicht nur, sondern den mit einer reifen
eigenartigen, elep:iscli- philosophischen Weltanschaung, unbekümmert
um die eigenartige kindliclie Entwicklung. Man täuschte sich beim
Unterrichte in unglaublicher Weise seihst; man wunderte sich über
da.s, was im Kinde schlummore, was der Fragcküiisth?r herauszuheben
verniot'lite — wiiiinnid dem Psychologen nicht unkhir bleiben kann^
daß der »Mäeutiker« sich selbst fragt, sich selbst beantwortet Was
in den Kiipfen der Kinder aphoristisch sich abspielt, ist weit ver-
scliicdpn von den Vorgängen im Hirne des Katecheten. Das wollen
wir auf dem Gebiete der Kunsterziehung doeli vermeiden. Die Ge-
talir ist liier besonders groß, weil sich im ei-sten Eifer überaus viele
und sehr viele unberufene Hände der neuen Angelegenheit heniach-
tigten. Die Gefahr eigenes — sei es tatsächliches oder imaginäres
— Erleben in andere fälschlich hineiuzuprojizieren wäciist unter
solchen üjnständen ins Ungemcssene.
Hier liegt auch die Wurzel zu der Verstimmung zwischen
Künstlern und Kunstenthusiasten, die schon auf dem ersten mit so
großem Scenarium ins Leben gerufenen Kunsterziehungstago (ein
stolzes Wort) deutlich hervortrat; sie hatte schon vorher eingesetzt
und greift weiter um sich. Es bewahrheitet sich hier wieder, daß
so subjektive Dinge, um die es sich für die Kun.sterziehung handelt,
nicht durch äußeren Pomp oder gar gewaltsame Kraftanstrengung
geförd(U't w(Tden können. Dils ist nur geeignet, den zarter Emp-
pfindenden abzustoßen, dem Unbesonnenen aber, zumal in unsern
stark auf äußeres und leider oft hohles Schaugepränge gerichteten
Tagen, den Blick für das Wahre und Echte in der vorliegenden
Sache zu trüben. Dabei sollte man schon aus (irunden der Klugheit
die alte Erfahrung nicht aus dem Auge lassen, daß man sich den
anfangs naiv Vertrauenden durch Enttäuschung zum ärgsten Feinde
macht — (und die Enttäuschung bleibt hier nicht aus). Die Ver-
stimmung ist so begründet: Der Künstler ist als solcher Aristokrat.
Sein Können ist ein Geschenk der Götter, nur wenig Auserwählte
können sich ihm zur Seite stellen. Er kann zwar das Publikum
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LoBBBir: Kind lud Kunst
185
nicht entbehren, hat diesem gegMiüber Tielmehr eine Hission zu er-
ffiUen. Aber einerseits ist sein Publikum nur die immerhin kleine
Gemeinde kongenialer Geister (passive Künstler)^ die durch bestimmte
YemnUigung, LebensstellungyLebensführung, Lebensanschauung, befiUiigt
ist, ihn und sein Schaffen zu wtlrdigen, nicht aber die breite Masse,
die doch das schnell laut gewordene Schlagwort: Die Kunst dem
Volke! im Sinne hat Man tttusche sich doch nicht, die Kunst läBt
äob nicht demokratisieren. Die Kunst ist ein Agens, ist Rand-
▼ezzierung des Lebens. Man mag ihren nie zu bezweifelnden Wert
~ man reneibe den philiströsen Ausdruck — noch so hoch ein-
sehfttzen; das wird niemals abzuleugnen sein, dafi fflr ihre Wirkung
zonSohst ein bestinmites Maß sozialen Wohleigehens nach unten wie
nach oben unbedingtes Erfordernis ist (Von einzelnen Ausnahmen
rede ich nicht) Die Sorge war noch niemals die Mutter des Schönen
ond des weitverbreiteten Kunstempfindens. Erst Brot, dann Kunst!
Den Backen gebeugt unter der Last des animalischen Lebens, Herz
und Sinne erfCUlt Ton dem Oedanken: Woher nehmen wir morgen
unser Brot? — da kann doch nur Ificherlicher utopischer Idealismus
oder TöDige Unkenntnis der tatsächlichen Yerhältnlsse die Hoffnung
hegen, hier durch die Kunst und Kunsterziehung helfen zu können.
IKe Kunst dem Volke bleibt für diesen Teil der Bevölkerung ein
leerer Wahn. Hier gilt es, ganz andere Mittel in Bewegung zu
setEen, um dem Bedrängten aufzuhelfen.
Dazu ein noch viel wichtigeres! Man vertauscht Ursache
und Wirkung, stellt als Prinzip au^ was an dem Ende seinen Platz
erhalten sollte. Das Oeschüft der Erziehung wurde schon lange als
eine Kunst aufgefoßt, die in ihrer Fülle auszuüben nur dem Gott>
begnadeten möglich ist Auch die Ausbildung der geistigen und
leiblichen Krifte zu dem harmonischen Kunstwerke: Mensch, ist dem
Kenner der Wandlungsgeschichte der Bildungsideale nicht fem. Hier
aber hat das Eipitheton Kunst nur den Sinn eines Vergleichs gehabt,
wenigstens ist es ans einer gewissen Kunstauffassung übernommen
worden, diner Auffassung, die eben in der Ausgestaltung des Har-
monischen das Orundwesen der künstlerischen Darstellung erblickte.
Nun aber soll die Kunst in der Erziehung eine eigene aktuelle
Bedeutung gewinnen. Die Kunst soll das Wesen des Endehungs-
gescfaflftes neugestalten, neubeleben. Aber — ein Beispiel heraus-
gegriffen — was redet denn das Bild zu mir? Von ihm aus gelangen
Itherwellen von festbgrenzter Länge und Gestalt an unser Auge nur
als Beiz durch den nervösen Apparat zur Seele — aber von dem
Inhalte des ffildes, dem historisch-objektiven des Äußeren Geschehens
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186
AvMtse
und vor allem dem subjektiven, der Welt der Enipfincluniren wird
nichts unmittelbar in die Seele des Beschauoi's hinüber/^etni^en. Diese
Irapouderabilien vermag keine Ätlierwelle zu trairon. Auch das
schiinste Gedicht bleibt dem eitel Schall und Druckei-schwärze, der
keinen Hauch des Lebens in sich erfuhr, das jenseits dieser arm-
seligen meehanisehen Außerungsmittel flutet. Das innere Erleben
des Mitteilenden muß dem der Empfänger (innerhalb gewisser Grenzen)
kongenial sein, wenn die Zeichen irgend welchen Wert beanspruclien
dürfen. Denn ich selbst bin es, der aus eigener Innenwelt lieraus
auf die Athei-schwingungen reagiert, der dem Kunstwerke seinen
Inhalt verleiht. Meine Empfinrlungen, meine Stimmungen, meine
subjektiven und objektiven Erfahrungen lege ich in das Bild hinein.
Das Bild bleibt ohne jede Wirkung, wenn sein Inhalt nicht einen
Teil meines persönlichen Erlebens bildet. Andernfalls wäre ja auch
u. a. gar nieiit veiNtändlich, warum kaum zwei Beobachter einem
Bilde gegenüber die gleiche Stellung einnehmen; auch wo sie sich
im Vorziehen oder Verworfen begegnen, einigen sie sich nur auf
ganz bescheidenem Gebiete der Gründe. Über den Ge^>chmack läßt
sich nicht streiten. Und doch handelt es sich hier keineswegs um
ein völlig Regelloses, das Verhalten ist deutlich bestimmt durch die
Yerschiedonheit der Erfahrungswelten. Ein lyrisches Stimmongsbüd
wird der niemals verstehen, dem ein adäquates Empfinden nicht
durch die Seele gegangen ist. Es ist unmöglich, dem Bewohner des
Hochlandes die intimen Schönheiten des Meeresstraades, dem fröh-
lichen Südländer die eigenartige, den Rücken überschau emde, traaiig*
schöne nordische Heidestinmiung vorzuzaubern. Ich erinnere als
Beispiel an die altdeutschen Liedstäbe, die man hier und da versucht
hat, auf die Nachwelt zu retten, jene Stäbe, in die hunderte rauher
Kehlen einschlugen, deren Gewalt mit dem Heulen des Sturmwindes
sich maß, deren Schmiegsamkeit andrerseits sich dem Säuseln des
Abendwindes vergleichen ließ. Sind sie nicht zu vergleichen bald
den knonigen Eichen, bald den wettererprobten Buchen des deut-
schen Waldes. Vernimmt man in denselben nicht bald den Donner,
wie er fem widerhallend rollt von den Waldeswiesen, das Zischen
des Blitzstrahls, das Krachen der Stämme, berstend vorm brausenden
Sturmwind? Man hört das Klinken und Rasseln der Speere, das
Krachen der Schilde, getroffen vom Schwertfaieb, der die Loft sausend
durchbeißt — aber auch stilles sanftes Sausen, man spürt, der All*
vater geht durch den Wald, hört flüstern und lispeln wundersame
Märchen, trautes Kosen der Liebe, Keuchen und Klagen, spürt, in
heiligem Schauem die Brust bewegt, tiefes Todesahnen, die letzten
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Lomir: ffind und Ennrt
187
Sen&er eines dahinsterbenden Volkes: das war der Wald im deutschen
Oemüte, ans dem des Sängers lied in tansend&chem Echo wider^
ballte. — Aber was sagt uns die Alliteration in dem albernen »Roland
der Riese am Rathans zu Bremen« u. ä. heute noch? Nichts! Es sind
hihaltsleere Schallwellen|, die ihren Weg zum Ohre, nicht aber zur
Innenwelt der Seele finden. Ich wollte dnrch dieses Beispiel nur be-
logen, dafi die ganze, breite, dnrch Naturanlage und Umwelt
bedingte Erfahrungswelt allein das Apperzeptionsmaterial
ist, welches die Schöpfungen der Kunst aufzunehmen, oder
besser, sie ihrem inneren Werte nach an der Hand der
iufteren Zeichen nachzuschaffen vermag. Diese Yorbedin-
gongen müssen erst geschaffen werden, und doch reichen sie nicht
allein ans. Wie der Arzt, trotz aller Kunst, niemals ein Tollwertiges
neues Glied schaffen, sondern lediglich der Natur zu Hilfe kommen,
ihr seine Dienste anbieten kann, so kann die Erziehung auch nur
Toihandene KrSfte fördern, ordnen, als Ursachen für ein bestimmtes
Ergebnis zusammenstimmen lassen, aber nichts völlig Neues schaffen
jenseits der psychophysischen Oesetzmäßigkeit Nur völlige Ver-
kennung der individuellen Besonderheiten, das gleichbedeutend ist
mit der Despotie der aui^zwungenen eigenen Art zu denken, zu emp-
finden, zu wollen, kann zu solchem Dünkel verf&hren. Der für die
Konst begeisterte Pädagoge wiU nun, in an und für sich gewiß
lobenswertem Eifer, gleich ganze und gründliche Arbeit verrichten.
Er versacht, dem Künstler die breiteste Gemeinde zu schaffen und
hebt bei der Jugend an. So gewinnt der Künstler einen Interpreten,
— vor dem er Angst hat, von dem er im stillen denkt: Heinrich,
mir graut vor dir. Er hat den durchaus berechtigtoa Wunsch, selber
zu seiner Gemeinde zu {reden und weiß sehr wohl, daß der Weg
durch das Medium des Räsonnements gefiUirlich ist, gefittizlioh schon
deshalb, weil jegliche eigene beschauliche Buhe gestört wird. Diese
Foicht vor dem Yerschulmeistem der künstlerischen Erzeugnisse
wird, so fürchte ich, noch luiigc ein starkes Hemmnis gemeinsamer
Arbeit sein — und sie hat zweifelsohne ihre Berechtigung die aristo-
kratische Auffassung des Künstlers und die demokratische des Pädsr
gegen müssen kollidieren. Die Mittellinie greift der zu Konzessionen
Geneigte drüben vieUeicbt zu hoch, hier gewiß zumeist zu tiet Wo-
hin aber einmal die Geschichte unserer zeitgenössischen Kultur korri-
gieren wird — das theoretisch zu erwägen ist nicht Aul|gabe dieser
einleitenden Zeilen.
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188
AoMtze
B. Versuchstechnik
I. Ahrioht und Plan vorJi«g«nder Untaraoohiiiitai
Die stark aphoristisch gehaltene Einleitcmg sollte zeigen, daß ich
weder mit übeigrofien Erwartungen noch mit munotiTierter Sk^sis,
sondern nach Möglichkeit objektiv an die voriiegenden üntersacfanngen
herangetreten bin. Nicht positiv oder negativ gefiirbte VororteilCf
sondern die, wenn auch auf beschränktem Baume, gewonnenen Tat-
sachen selbst sollten reden.
Meine Untersuchungen setzten sich eine doppelte Angabe. Sie
wollten, auf experimentellem Wege, zunächst erkunden, ob übeihaupt
ästhetische Qualitäten schon im Kindesalter auffindbar seien und
dann, ob etwa eine Entwicklung, vielleicht im Sinne des Aufsteigens
nachweisbar sei.
Entsprechend dieser allgemeinen Aufgabe gebot es sich, nicht
ledi^^ch eine Seite, etwa nur das Bildschöne, sondern alle Formen
der Kunst zu berücksichtigen, wie sie dem Kinde entgegentreten»
Man wird doch wenigstens die Möglichkeit zugeben müssen, dafi das
Interesse hier und da nicht gleichzeitig und innerhalb der Perioden
nicht in übereinstimmendem Tempo sich entwickle. Weil aber ein
derartiges Interesse, gemäß der kindlichen Natur, notwendig nicht
nur ein passives bleiben kann, sondern sich zu betätigen drängt in
mancherlei Spiel und Beschäftigimg, so war notwendig, auch diesen
Spuren nachzugehen. Dabei war unumgänglich, daß manche Dinge
berührt wurden, deren schon in mehier Abhandlung über »Kinder-
ideale« Erwähnung geschehen war. Eine ein&che Wiederholung
ist aber schon deshalb nicht zu besorgen, weil die Gesichtspunkte,
von denen aus die Ergebnisse gewürdigt wcoiien, durchaus verschieden
sind, dort allgemeiner, hier enger und bestimmter.
Dabei darf eine doppelte Sehwieiigktit^ die vorliegende Yersuchs-
teohnik einschließt, nicht unerwähnt bleiben; scheint sie doch einer
oberflächlichen Würdigmig geeignet, das Ergebnis nidit unwesentlich
zu beeinflussen. Der Versuch nahm die Schüler wie sie sich boten.
Eine stete Einwirkung im Sinne der künstlerischen Erziehung durfte
nicht allseitig vorausgesetzt werden, ja, man mußte rechnen mit gegen-
teiligen, nicht immer geringen Wirkungen. Manche Bildungsanstalten,
die mch in den Dienst der zu behandelnden Fragen stellten, haben es
an direkten Maßnahmen nicht fehlen lassen, andere haben die An*
') Ztsdir. f. päd. - psychologische Psychologie und Pathologie« hennsgeg. vob
Ita». Kmun. Beilm 1908. fleft 5 u. 0.
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Lonnw: Kind and Kunst
189
gelegenlieit keiner näheren Würdigun^^ luiterzoo-en. Trotzdem kann
aus diesem Umstände nicht wohl ein sehworerer Einwurf hergeleitet
werdiMi. Zunächst, wenn trotz dieser wenig günstigen Lagen, Spuren
von Kunstverständnis irgend welchen (irades bei der Jugend nach-
weisbar sind, so hat man in eigener Sache einen Beweis gebraclit,
der nahezu gleichwertig ist dem, den die Ricliterspraclie die prQbatio
diabolica nennt. Sehliitnmern Keime, so werden sie unter günstigen
Wachstumsbedingungen sicii entfalten, ja mehr nocli, die Erziehung
hat die Pflicht, an ihrem Teile mitzuhelfen bei dieser Entwicklung.
Ferner muß man den Aufschwung der modernen Technik bedenken,
soweit sie im Dienste der künstlerischen Darbietung, in erster Linie
der massenhaften Vervielfältigung von Kunsterzeugnissen, steht. Sie
ermöglicht zwar, daß Unkunst in Wort und Bild in großer Masse
auf den Markt geworfen und gegen wenig Heller ihren Weg in das
Volk nehmen kann — aber denselben Dienst erweist sie der echten
Kunst und sie macht davon reichlich Cn'brauch. Das Kind von lieute
hat vielmehr Gelegenheit, mit der Kunst in BerühmDg zu kommen,
als vor einigen Jahrzehnten möglich war. Ich erinnere, um nur
eines zu erwähnen, an das, was die Illustrationstechnik auch in
billigeren Zeitschriften leistet gegenüber dem, das man früher vor-
fand. Deutlich erkennen wir das an den Anschauungsbildern, die in
unsem Schulen verwendet werden, sie sind zum Teil Kunstwerke in
ihrer Art. Kurz, das Kind hat reichlich Gelegenheit, zumal in dor
größeren Stadt, mit Kunstschöpfungen in Berührung zu kommen.
Man könnte der zweiten Aufgabe, die es mit der Entwicklung
des Kunstsinnes im jugendlichen Alter zu tun hat, gegenüber sagen,
daß hier von Entwicklung nicht wohl geredet werden krume. Es
wird nicht die aUmäblichr Ijitwicklung einer und derselben Kinder»
gmppe über mehrere Jahre hinaus vei'folgt, sondern eine größere
Anz^ibl verschiedener Klassen auf verschiedenen Altersstufen unter-
sucht und verglichen. Alierdings muß mit der Zeit die vorliegende
Untersuchung eine Ergänzung in jenem Sinne erfahren, daß einzelne
Persönlichkeiten oder kleinere Gruppen in bestimmten Perioden dem
VOTSUCh unterworfen werden, um daran zu erfoixchen, welche Wand-
lungen im einzelnen zu beobachten sind. Hier aber handelt es sich
um Ao^ben ganz allgemeiner Art, die ein möglichst reiches ßeob-
achtungsmaterial zur Voraussetzung haben. Innerhalb dieses Kahmens,
der individuelle Züge geflissentlich nicht umsclüießt, .sondern nur
das AJlgemein-Charakteristi.sche, wie es die steigenden Altersstufen
aufweisen, ist man allerdings berechtigt, von einer Entwicklung zu
reden.
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190
AvfBttse
n. Zahl und Art dar Frflflfaig«
Es wurden insp saint 1380 Kinder dem Versuch imterwurfen
und zwar 99H Knaben und 384 Mädclien. Da notwendig war, die
gestellten Fraj^en schriftlich zu beantworten, mußten die jüngeren
Jahr^^iinge unberücksiclitigt bleiben. Die Kinder standen im durch-
schnittlii'hen Alter von 9. 10, 11. 12, 13, 14 Jahren und besuchten
die 9stufigen hiesigen Knahcnnütttel-, b(»zw. die 8 stufigen Knaben-
Vdlkssehulen, die 8stufigen iliidchenmittel- und die 7 stufigen Mädchen-
vvilkssehulen. Xatürlich mußten für die Wertung der Ergebnisse die
betreffenden Alteivstufi'n korrespondiert werden. Ich erwog anfangs,
ob eine Prüfung auf den drei Stufen, die die Schule gewohnt ist za
unterscheiden, der Unter-, Mittel- und Oberstufe ausreichend sei.
Doch zog ich den längeren Weg vor, weil ich die Hoffnung hegte,
80 möchten sich die Entwickluiigsstuleu deutlicher ausprägen.
m. der VmoqIm
riedes Kind mußte 22 Fragen beantworten, die daran ange-
schlossenen Neberuiufgaben eingerechnet 32. Es waren also — und
dabei ist die Antwort auf die Frage: warum nicht eingerechnet —
22 X 1380 30360,
bezw.
32 X 1380 — 44160
Antworten zu bearbeiten. Eine ungemein mühevolle und zeitiaubende
Arbeit. Trotzdem ist notwendig, daß sie allein durch die Hand des
nc:ni>eiters geleistet wurde — abgesehen von einigen mecbaiiischen
Angelegenheiten — im Interesse der Einheitlichkeit des Qanzen.
IV. Y«fnfihi«nordnoiig
Ich gebe nachfolgend die Aufgabe wieder, die den Schülern und
Schülerinnen zur schriftlichen Erledigung gestellt wurden.
1. Welches Bild ist dir das liebste?
2. Nenne das schcinste Gebäude unserer Stadt!
3. Welche Farbe gefällt dir am besten?
') Ich will nicht unterlassen, dem Kieler Prüfungsauaschufi für Jugeod»
Schriften, speziell suinem jetzigen Voi-sitzenden, Herrn .IrvacLArs und seinem Vor-
gänger üerrn Nib.sk.n für schätzenswerteste Uuterstützung meinen verbindUciistea
Dank ansziuqiredien. D. V.
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191
4. Weiche form ssiehst du vor?
(18 8 4 ^
o, o, □,
(Bem.: Sie Vlgiiiett weiden vor der Beobaohtoog alle an die Wandtafel ge-
Mjchnet, dann der Auswahl daigeboten. IMe vvngecogeiie Form wird dnrdi die
darübergesetzte Ziffer gekennzeichnet, da die Namen anf den ftttheren ünterriohtB-
etofen nicht bekannt sein werden.)
5. Wohin möchtest du einen Ansflng machen?
6. Welches Kleid (Anzng) wünscht du dir?
7. Nenne dein Lieblingsspiel!
8. Wie heißt dein Lieblingstier?
9. Die schönste Blnme?
10. Der schönste Yogel?
11. Nenne deine liebste Turnübung!
12. Welches Denkmal unserer Stadt ist das schönste?
13. Zeigen Ton Bildein. Ans der Sammlung von Kehr- Pfeiffer
werden gezeigt die Bilder: Wandersmann und Lerche und Knabe
und Vogehiest Welches Bild findest dn schöner? Warum?
14. Welches Bach hast du besonders gern?
15. Wieviele Bücher hast du gelesen?
Wie heifien sie?
16. Weiches Gedicht hast du gern?
17. Magst da gern ein Gedicht hören?
18. Magst du gern ein Gedicht lernen?
19. Welches Lied singst du am liebsten?
20. Welche biblische Geschichte hast du besonders gern?
21. Yersnch mit Yort ragen von Gedichten. 1. Abseits
(Storm). Wie findest du das? 2. Die Bache (Uhland). Welches
von beiden ist das schönere? 3. Storch und Stier (Schneider).
Welches von den dreien ^[efSUt dir am besten?
22. Rh y t Ii Iii u s. l'^s wird mit (iciii uiigi 'spitzten Bleistiftende
auf den Pultdeckel geklopft. In Imu^^' kornnuMi: — — ' = a, - — ,
e= b, — w w = n- Tempo: Ein Metronom steht srhwerlicli zur
Verfügung, daher bitte ich innezuhalten für a: Nächtlich am Busento
lispein. b und c sind dem anzugleichen (natiirlich. daC) (h-r Dreiertakt
den Zeitraum ausfüllt). Jeder Takt wird dreimal angeschlagen. —
Verglichen werden: a und b, a und c, b und c. Jedesmal wird ge-
fragt: was gefällt dir am besten, das ei-sto oder das zweite Klopfen?
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192 AoMtse
T. Aoiwilil und AnordiiiiBg dar nagoii
Die Fni^jeii wurden mit Fleili so ausircwühlt, daß sie sich auf
Dinge bezogen, die dureliaus innerhalb der Grenzen des kindlichen
Verstehens liegen. Von den Elementen der Gestalt des Rhythmus
und der einzelnen Farben stiegen sie auf zu einfachen Bildern und
Gedichten, nicht weiter. Daneben hoUni dann die Fi'agen nach der
Liebiingsblunie, dem IJeblingstier, dem Liebiingsgedicht usw., uameut-
lich wo sie mit der ferneren Frage: warum? verknüpft wurden,
weitere und oft überraschende Einblicke.
Im besonderen ist folgende Anordnung zu Grunde gelegt worden:
(Bem. : Man wolle sich durch die regellose Anordnung auf dem Frage-
bogen nicht täuschen lassen. Diese Umstellung geschah aus prak-
tischen, d. h. versuchstechnischen Gründen.) Die erste Hauptgruppe
bezieht sich auf die durch da.s Auge, die andere auf die durch das
Uhr zu vermittelnde Kunst, natürlich innerhalb der Grenzen, die für
die vorliegenden Untersuchungen gezogen werden mußten. Die erste
Gruppe zerfallt wieder in das BUd- und Naturschöne. Auf die erste
Angelegenheit l)eziehen sich die Fragen: 4. 3, 2, 12, IH, auf die
zweite: 5. 8, fl. 10. Die zweite Gruppe zeiiidlt wieder in drei Unter-
abteilungen, die sich sondern lassen nach den Stichworten: I. Buch,
II. Gedicht. III. Lied: 1. umfaßt die Fragen: Welches Buch hast du
besoudei's gern? Wieviele hast du gelesen? Wie hoißen sie? Auf 2.
bezieht sich: Welches Gedicht hast ilu besonders gern? .Magst du gern
ein Gedicht hören? Magst du gern ein Gedicht lernen? Allen drei
Fnigen voraus geht Nr. 22. die ganz unabhängig von jeglichem
poetischen Inlialt, ledigluh den Khythmus dem Vorziehen und Ver-
werfen darbieten will. Dann wurden drei Gedichte vorgetragen. Ich
wählto nach längerer Erwägung aus: ein Stinmiungsbild (Ab>eits), ein
lebhaft-dramatisches, in dem Handlung sich schnell an Handlung
fügt (Kache) und endlich ein zwar banales aber gleich — ein brauch-
bares mit stark ausgeprägter Situationskomik wußte ich nicht zu finden
— ausgezeichnetes Gedicht in der schnellen, wenngleich gesuchten
Komik, in treffender, derl)er Erwiderung. — Ich bemerke, daß ich mich
auf die angedeuteten Rhythmen beschränkte, weil sie die populärsten
zu sein scheinen, wenigstens diejenigen, die lediglich als solche, ein
stärkeres Interesse bei jugendlidieii Beobachtern zu wecken Termögen.
VI. Die Frage: warum?
Durch ein Mißvei*ständnis veranlaßt ward die Frage: warum?
nicht an jede der oben angeführten angefügt Trotzdem beklage icli
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T/)Bsn!N: Kind und Kunst
193
das nicht ans doppeltem Onmde: 1. Ein stetes AnhSngen dieser
Neben- an die Hauptfrage hätte bald ein ödes Gerede im Gefolge ge-
habt, eingestreute Beispiele bewiesen das reichlich — und
2. wie würde der reife Erwachsene schwer die Antwort finden,
wenn es unmittelbar nach einer Beobachtung künstlerischer Erzeug-
nisse darauf ankSme, die Frage: warum? emstlich zu beantworten.
3. Trotzdem gaben gerade diese Antworten ein so interessantes
uid zuverlässiges Eigebnis, dafi^ wenn man eine vorläufige Erklärung
dafür suchen wollte, nur die unmittelbaren, d. h. die bei Kindern
durch keinen änfieren Zwang abgegebenen Urteile, als Produkt der
Unbefangenheit intuitiv heraustreten. Es bleibt selbstredend nicht
aos, daß banale Redensarten mit unterlaufen, doch überwiegen nicht
anwesentlich Urteile, die dem Psychologen von Wert sind. — Eigen-
artig war, daß diese Urteile auch dort reichlich waren, wo, soweit
memo Erkundigungen reichten, kein absichtlicher Einfluß im Sinne
künstlerischer Erziehung stattfand, wo mithin der Kunstsinn der
Gasse unverfiOscht zu Tage lag.
Wenn ich nun dazu übergehe, die Ergebnisse meiner Beob-
achtungen zu zeigen, so tue ich das erneut mit der Bitte, einem
Erstlingsversuch dieser Art und auf diesem Gebiete nicht mit zu •
hochgespannten Erwartungen zu begegnen. Man muß immer ein
zweifaches bedenken: die natürlichen Grenzen des Experiments und
die Eigenart des vorli^enden Gegenstandes. Es könnte die Meinung
anfkommen, daß die gestellten Fragen überhaupt nicht auf dem Wege
experimenteller Beobachtung, auch in der voriiegenden Form, gelöst
wCTden können, daß also von vornherein eine Grenzüberschreitung
stattfinde. Man könnte mit einem Scheine des Rechts darauf hin-
weisen, daß das Experiment doch lediglich Elementarphänomene zum
Gegenstande hat, daß es nur innerhalb dieser seinen Charakter zu
wahren vermag: willkürlich zu variieren und zu vergleichen. Die
experimentelie Psychologie ist in Bezug auf das »Wertgebiet indiffe-
rent«. Für sie ist Seelenleben Objekt der Forschung, dem gegenüber
sie keine andere Stellungnahme kennen darf, als eben die, es zu zer-
gliedem und seine Phänomene in allgemeine Zusammenhänge hinein-
znordnen, so wie es der Chemiker mit den Stoffen in seiner Retorte
macht« >) Die Aufgaben, die die vorliegende Betrachtung sich ge-
stellt haben, gehen aber auf Dinge, die unmittelbar in die Lebens-
näbe hineingerückt sind. Hier wird ein unmittelbares Vorziehen
und Verwerfen verlangt, ein unmittelbares Werten, eine unmittelbare
*) SnoDT, Beitrige zur Psychologie der Annage. I. 8. 11.
Zaitidufft ür FUIoMphl* nii4 PlUagogik. VL Jahrgang.
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194 AafBltae
persönliche Stellungnahme, was O^netand experimenteller Fonchangeii
ihrem Wesen nach nicht sein kann; denn das lloment der mathe-
matischen Exaktheit kann hier nimmer gewahrt irerden. Demgegen-
über ist zu erinnern an die eigenartige Form dbs Experiments^ die
sich erst neuerdings von der exakten losgelöst hat Sie nennt sich
»angewandte Bsjohologiec^) Entgegen dem »Bxaktheitsfanatismns«
und der Lebensferne will die angewandte Psychologie: Lebensnähe.
Sie ist sich wohl bewußt^ daß die Persönlichkeitftpsjchologie Asymp-
tote der Wissenschaft ist und bleiben mufi, sid will aber in dem
Sinne Lebensnähe^ daß sie Individnalpsychologie ist, d. h. sie stellt
auf Orund umfangreichen BeobachtungsmateriaU Typen zusammen,
die das Gemeinsame kleiner Gruppen in Bezug kuf GedSchtnis. An-
schauung usw. enthalten. Ton diesem Gesichtspunkte aus ist aller-
dings gestattet, experimentell an die Fragen, die hier erörtert werden
sollen, heranzutreten. Das Werten, das Vorziehen und Yerweifen,
bezieht sich auf Objekte und charakterisiert sich in dieser AuswahL
Hier handelt es sich um Kunstschönoe. Soll der Kunstsinn reinlich
zu Tage treten, so muß man solche Objekte zur Auswahl bieten, die
ein anderes Literesse nicht, oder doch nur in geringstem Maße auf-
kommen lassen: Wunsch nach Besitz, Genuß usw. Dann aber ist
man wohl berechtigt, die ausgewählten Objekte nach übereinstimmen-
den Gesichtspunkten zu ordnen und von da aus Schlüsse zu ziehen,
die in der Richtung der gestellten Fragen liegen. (Pozte. fdgt)
Windelband über Herbart
Li WixDmAANDs Lehifouch der Geschichte der Fhiloeophie 1903,
heißt es S. 466: »Bei Herbabt hat der Umstand, daß er die Dinge
an sidi Reale nannte, in Verbindung mit der Tatsache, daß er aus
ganz andern Gründen der KoBiv-HBaB.8ofaen Richtung Opposition
machte^ zu der durchaus schiefen und irreführenden, durch alle Lehr-
bücher der Geschichte der Philosophie laufenden Ausdruoksweise ge-
führt, seine Lehre als Realismus und ihn im Gegensatz zu den Idee-
llsten als Realisten zu bezeichnen.€ Unter Idealismus wird »die Auf-
lösung der Erfahrungswelt in Bewuttseinsprozesse TerstMidenc (S. 465).
^) Ihr Weam hab^ ioh nkgaads so TortraffUch daigeetellt gefondflii. wi« in der
Ailwit OUBHH«
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ütfasL: Wilkdelbftiid über HerUrt
19&
Hier wird zweierlei behauptet Erstens Hkrbart sei nicht Realist,
sondern Idealist und zweitens, alle Lehrbücher der Geschichte der
Philosophie hätten dies übersehen.
Haben wirklich alle Lehrbücher das übersehen? Ist keines,
welches lehrt, Herbart sei Idealist? In Zellers Geschichte der deut-
schen Philosophie 1873 heißt es S. 858: Daß Herbast viel tiefer im
Idealismus befangen war, als er selbst wußte. Die Gründe, worauf
sich Zeller beruft, sollen sogleich besprochen werden. Hier sei zu-
nächst festgestellt, daß WnnmAAKD mit seiner Behauptung nicht allein
steht und nicht der eiste ist
ZiLLBB bringt seine Behauptung in Zusammenhang mit seiner
Ansicht vom Verlauf der Philosophie überhaupt Bekanntlich stammt
Zbujbb aus Heoils Schule. Diese letztere konstruierte sich ein Schema,
naoh welchem die Philosophie sich in der Geschichte entwickebi
sollte und entwickelt habe. Man kennt ja die Willkür, mit der hier
die philosophischen Systeme auf das Ftobrustesbett gelegt und passend
for das im voraus festgestellte Schema gemacht wurden.^)
Zellsb bat sich im ganzen frei davon gemacht Allein Fetzen
dieses leicht zerrissenen Spinnengewebes der apriorischen Konstruktion
sind hier und da an den Fingern hängen geblieben. So meint er
8. 915, daß der Idealismus den Zustünden des deutschen Volkes zu
HiBBABTs Zeit entsprach und so sei auch HnBABi selbst unwillkür-
lich in den Idealismus zur&ckgefAllen oder darin geblieben.
Und worauf grOndet ZbiiBB diese seine Behauptung?
Einmal darauf daß Herbasts reale Wesen jeder Wechselwirkung
anzngäng^ch seien; wenn also Hkrbabt meine^ auf solche Wechsel-
iriiknng die ErUlrung der Erscheinungen zurfickführen zu können^
so irre er, die venneintliche Wecfaselwirbmg, wie alles Geschehen
sei bei folgerechtem Denken unmO^ch, es sei nur m5§^di im Kopfe
HiBBABn; er habe sich das so ausgedacht^ aber das sei doch eben
nur etwas Gedachtes; also Eingebildetes, also Idealismus. Die ob-
jektiTe Welt des Seins werde daron gar nicht betroffen.
Dieser Emwuif ist sehr oft gemacht Auch Windbaand eriiebt
ihn S. 479. Da ich mehrfach darüber gehandelt habe, so weise idi
nur auf einiges hin.*)
Der andere Grund wird toh WiHDiiaAim darin gefunden, dal
wenn audi die Beelen der inneim Zustibide^ oder des Geschehens
fittDg wiren, so könnte doch keine Beziehmig zwischen den Bealen
Vei]^ 0. MuL, IMiimiiB und MitozialiamiiB der GwdhiohtBw & 51, 67»
*> Ver^ Ztsohr. 1 enUs FhiL ZTL 8. 230. ZIV. & 60.
13»
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196
sfaittfinden. Denn diese Beaehnng setze auch nach Hbrbabt Toiaus,
daß die Realen zusammen und wieder auseinander treten. Allein
Baum und Zeit seien nach Hebbabi »nur Produkte der Reibenbildung
der Toistellungen, des seelischen Mechanismus und daher für HmBiirf
in fast noch stSikerem Ghsde phänomenal als bei Xant« (3. 480).
Hierauf gründet WniUELBAND seine Behauptung vom Idealismus
Hkbbabts. Weicht er nun hier von allen Lehrbtlchem der Ge-
schichte der Philosophie ab? Garns dasselbe liest man weiter an»-
geführt bei Zblldl Ich habe a. a. 0. ausfOhriich darauf erwidert
ZbiLbr yerwechselt das, was tTibhiami empirischen Baum und was er
intelligiblen nennt Der empirische Baum, unsere räumliche An-
schauung ist allerdings ein Produkt ron ToistellungsreUien, ein
p^cfaologisches Gewebeu Diese Anschauung ist heute unter den
Forschem allgemein geworden, darin sind sie alle Nachfolger Hibbasis,
daS sie die Yorstellung des EztensiTen aus intensiTen Seelenzuständen
erklären. Der Torgeetellte (psychische) Baum ist selbst nichts Aus-
gedehntes, nichts Extensives, sondern etwas ganz in uns Einge-
schlossenes, Vorgestelltes. Das vorgestellte Drneck ist selbst kein Drei-
eck. Die ausgedehnten Bildchen auf der Netshaut sind nicht die vor^
gestellten räumlichen Bilder. Diese sind etwas rein Intensives in uns.
Auch die Art; wie aus der Wechselwirknng dieser intensiven
unräumlichen Zustände der Seele die Yorstellung des BäumHchen
entsteht durch Assoziation, Hemmung, Beproduktion der intensiven
Gesichts- und Huskelempfindung — ist den Hauptgedanken nach
Yon HiBBART auf alle Psychologen übergegangen.
Etwas ganz anderes ist das, was Hbbbabt den intelligiblen Baum
nennt, ein unbequemes Wort, was er aus seiner 2Seit und namenlüdi
Ton Kamt aufgenommen hat Nadi Kamt war die inteUigible Welt
4er Dinge an sich durchaus keine eingebildete Welt Sie war ffir
ihn die eigentliche Welt des Beelen, nicht der Erschemung. Aus
dieser inteUigiblen Welt kommt zu uns freilich nur der eine licht-
strahl, nämüdi der intelligiblen Freiheit und vielleicht noch die sinn-
lichen Empfindungen nach ihrer Ursache. Das war aber nach Kamt
nichts Emgebildetes, sondern etwas sehr Beales.
Wer HsBBABfs intelligiblen Baum oberflächlich auffaßt; der meint,
es sei damit ein eingebildeter Baum, ein Baum in unserm Intell^
bezeichnet So ist es nicht Intelligibler Raum heißt: der Baum in-
telligibilium, der Baum, in welchem sich die Beelen, die Intelligiblen
bewogen. InteUigible heißen die realen Wesen; weil sie, wie jeder
von den letzten Elementen, Atomen lehren muß, nicht gegeben, son-
dern nur erschlossen, also intelligibel sind. Aber was erschlossen ist;
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Flüoei<: Windelband über Uerbart
197
das ist nicht emgebiidet. Die intelli^iblen oder realen Wesen müssen
aber als real angenommen werden, weil ohne diese Annahme unsere
Vorstellung einer Außenwelt nicht erklärbar wäre. Und wiederum
rduniliche Verhältnisse müssen als wirkliche reale Verhältnisse des
Naher oder Ferner, der Ruhe und Bewegung unter den realen Wesen
selbst angenommen werden, weil ohne diese Annahme also etwa bei
völliger Kuhe der Realen, unsere Vorstellung des Räumlichen nicht
möglich wäre. Wir steilen die Welt räumlich vor, weil sie selbst
räumlich geordnet ist. Unser psychologischer Raum ist der Er-
kenutnisgrund des intelligiblen, d, h. aus jenem schließen wir auf
diesen. Der intelligiblc Baum ist der Bealgnmd des psychologischen,
d. h. er bewirkt diesen.
Daß dies Herbarts Lehre ist, habe ich ausfühi lich Zelleh gegen-
über^) dargetan. Zeller hat sich darin stark geirrt und andre wie
Pfleidkrer, Ostermann, Windelband nehmen das gläubig hin, oder
sind auch selbständig in die vielfach abgewiesenen Irrtümer vei-f allen.
Andre machen aus dem intelligiblen Baum gar einer intellektuellen,
idealen Raum (Schwbgler). Windelband mag sehen, daß er hier
nicht ohne Vorgänger ist Zu den früher angeführten Stellen aus
Herbart möge hier noch eine aus einem Briefe (Hartenstein XTII,
S. 43) hinzugefügt werden: »Sie können (betreffend die Bewegung)
nicht weit fehlen, wenn Sie meine Elemente als LEUKffpische Atome
mit ursprünglicher Bewegung betrachten. Denn in der Tat, nicht
etwa bloß in unserer Vorstellung! würden sich die Elemente in dem
Baum, den ich den intelhgibh n Viloß deshalb nenne, weil er nicht
für eine KANrische Form der Anschauung, sondern geradezu für den
nämUchen Kaum gelten soU, den andere den wirklichen Raum
nennen — nach allen Richtungen bewegen, wenn nicht zwei Um-
stände hinzukämen, ein begreiflicher und ein unbegi'eiflicher. Der
begreifliche Umstand ist die Attraktion und Repulsion der Elemente,
welche ich (als Folge der Innern Zustände) nachgewiesen habe, und
von welchen keine Atomenlehre etwas weiß. Diese Attraktion mußte
die im Baome vorhandenen Elemente dahin bringen, sich in Welt-
körper zu verdichten. Aber die Weltkörper würden nach aller Wahr-
scheinlichkeit noch immer kreuz und quer durcheinander fahren,
wenn nicht ein unbegreiflicher Umstand hinzukäme — die Vorsehung
— die wir uns durch keine transscendente Theologie verderben
wollen — der wir aber die Ruhe des Fixsterahimmels zuschreiben
müssen. Das bedeutet ungleich mehr als alle irdische mit irdischen
*) ZtMhr. t exakte PhO. XVL a 242.
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198
Zelt-Begebenheiten znsammenhfingendeund saSa Umveisam ohne Grund
anqgedehnte Theologie mit ihren kosmologisohen Ansprüchen. Daft
vorstehendes durchaus realistisch nnd nicht im alieigeringsten ide»-
listisch lautet^ werden Sie einrftnmen. Es lantet aber nicht blofi so^
sondern es ist so meine wahre nnd definitiTe Meinung. Bnden Sie^
mem yerehrter Frennd! nnn irgend etwas in meinen Sdiriften, das
Ihnen idealistiscb klingt, so sden Sie fest übeEsengt^ dieser dang
yeifOhrt Sie. Den einmal vorhandenen realistischen Boden dfiifsn
Sie, sofern Sie mich m. verstehen wünschen, sddediteidings gar
nicht mehr veilassen. Wohl aber dürfen Sie meinen intelligibien
Banm als die Erikenntnis des wiridicfaen Baomes betrachten. Es wird
Ihnoa an dem gehörigen Stellen schon wieder emftJleni dafi ein Banm
— bloBer Banm — doch eigentiich nichts Wiildidies sein könne;
aber diese Bemerinmg darf Sie schlechterdings nicht som Sachen
nach Idealismus bei mir verleiten. Und wenn Sie irgendwo in meinen
Schriften lesen: Der gesamte Eealismns werde die nnvermeidliöhe
Beate des Idealismos, so darf auch dieses Sie dorchaos nicht im ge-
ringsten an mir irre machen, sondern Sie sind gebeten. Sieh sogleieh
an erinnem, daft bei mir den Idealismus seine innem Widtt8{irüche
plataen machen. Daraus folgt — was sich von selbst versteht —
der Idealismus l&ßt die Beute, die er verschluckte, wieder fahren;
und aus seinem Bachen geht der Bealismus völlig unversehrt und
nnn auf immer gesichert, wieder hervor.
Soviel ich sehe, ist es allein der idealistische Eaden, an welchem
gefaßt, sich mein ganzes Gewebe unbegreiflich kraus und bunt ge-
zogen hat Schneiden Sie diesen laden dreist ab. Dann wird das
Ganse von selbst ^att werden, und es wird Sie bald bedflnken, Sie
haben in der ganzen Geschichte der Philosophie nichts so Glattes
und SSn&ohes gesehen« ....
Nach solchen Eiidftrangen ist es gewiß gewagt, zu behaupten,
HiuBABs sei Idealist, der intelligible Baum sei nur ein Gebilde in
uns, WmAM» habe gegen den Idealismus Figbik und Hzens »aus
ganz andern Gründen Opposition gemacht«. (Wdidiiaaiid S. 468.)
Aus welchen Gründen denn? Hbrbibt hat sie oft auseinander ge-
setzt: Der Idealismus muß behaupten, das Ich erzeuge ans sich selbst
vermöge eines absoluten Werdens die Vorstellung der Vielheit und
Mannigfaltigkeit der Welt Da dies ein Widerspruch ist, muß dar
Idealismus aufgegeben und angenommen weiden, daß die Seele nur
in Wechselwidning mit andern realen Wesen, mit einem Nicht-Ioh
ihre Voistellangen erzeugt Damit ist der Idealismus widerlegt und
der Bealismus begründet, wie es HiBBABf oben so drastisoh schildert
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ItQan: Wind^Ilaiid ttlwr Heriiui
T
T
199
Warum nach andern Gründen suchen? Wixdelband spricht hier von
»Xei^ng«. Das ist für einen Denker, wie Herbaht war, eine schwere
Beschuldigung, wenn ea heißen soll: grundlose Willkür. »Herbakts
Neigung zur früheren Philosophie besteht nun gerade darin, daß
er die schöpferische Spontaneität des Bewußtseins leugnet und das
Denken in dem Sinne wie die Assoziationpsychologen nach Form
und Inhalt von außen bestimmt und abhängig findet« (S. 478). Hier
hat nicht eine Neigung zur frühem Philosophie statt, sondern die
Einsicht in die Widersprüche, die in dem Begriff einer schöpferischen
Spontaneität im Sinne eines ursachlosen, absoiuteu Werdens liegen
und also verworfen werden müssen.
Schon dies hätte Windki.haxi) bedenklich machen sollen, dem
intelligiblen Raum IIkrüakt ideulistiscli zu deuten. Ich selber habe
versucht^ den intelligiblen Raum anders als Herbart zu deuten, näm-
lich so, daß die Verhältnisse unter den Realen nicht selbst räumlicher
Alt sind, sondern reine intensive Verhältnisse nach Art unserer Vor-
stellungsreihen. Ich habe jedoch auch die Schwierigkeiten dabei
her^'orgehoben und daß man dabei nicht weit kommt ^) Allein auch
80 gedeutet wird der Realismus nicht angetastet. Es muß immer
eine Mehrheit realer, vom Ich völlig unai)hängiger Wesen ange-
nommen werden, die in bestimmten — vielleicht nicht näher be-
stimmbaren — Verhältnissen stehen.
Noch ein Wort über das, was Herbart oben über den unbegreif-
lichen Umstand, die Voi"schung sagt. Wj.\delba>1) meint: da der
intelligible Raum nur unser (Jedankenbild ist, so besteht er nicht
für die Realen selbst. Nun sollen sie aber doch nach Hf.riku{t in
Beziehung treten, wie können sie diis, wenn es für sie keinen Kaum,
kein nahe noch ferne, keine Bewegung gibt? Auf die — falsch ge-
stellte — l^Vage lautet nach Windelband die Antwort S. 480: >ln
diese Lücke der Metaphysik hat Herrart seine Religionsphilusopliie
geschoben: denn da es keine P'rkenntnis des realen (iruiules der
Beziehungen zwischen den Realen gibt, aus denen die Ei-scheinungs-
wclt hervorgeht, so erlaubt der Eindruck der Zweckmäßigkeit, welchen
der letztere macht, in theoretisch unanfechtbarer Weise an eine
höchste Intelligenz als den Grund dieser JJeziehungen zu glauben —
eine sehr blasse Erneuerung des alten physiko-theologisclien Be-
weises.« Ohne Seitenhieb geht es auch bei dieser ganz falschen Dar-
stellung nicht ab. Schon aus den oben angeführten W^orten Herbarts
geht hervor, daß nicht das Geschebea im allgemeinen die Annahme
FroUeme der Fhiloaopliie nod ihre Lösangen. Nr. 56.
Digitized by Gpogle
200
Aufsätse
eines Scluipfers nötig macht. Da reicht die Voraussetzung ursprüng-
lich sich bewegender, zufällig ausammentroffender Realen hin. Dabei
können Geschehen, Anziehung und Abstoßung und innere Zustände
nicht ausbleiben. Aber daraus würde eine ganz andere Welt folf^en,
als sie uns gegeben ist, nämlich ohne zweckmäßige, also auch ohne
Olganische Formen. Nicht daß etwas geschieht, erfordert den Glauben
an den Schöpfer, sondern wie es geschieht, daß es geradeso ge-
schieht, wie es uns gegeben ist als eine geordnete, zweckniäßi<^ ge-
bildete Welt Hat man diese Überzeugung gewonnen an der Hand
der Organismen, so hindert nichts anzunehmen, daß auch die un-
organische Welt sich unter Gottes Leitung gebildet hat, aber eine
Notwendigkeit dieser Annalime, den Schöpfer zu einem Lückenbüßer
für das Geschehen im allgemeinen in ITkubarts Metaphj-sik zu
machen, liegt nicht vor. Das ist nur ein Lückenbüßer in Windel-
bands falscher Ansicht, als seien Beziehungen zwischen den Bealen
unmöglich.
Es wird nun noch ein Grund für Herbarts Idealismus angeführt:
»Nimmt man hinzu, daß auch das ,Seiu^ der Kealen oder absoluten
Qualitäten von Herbast als ,ab8olute Position* d. h. als eine Setzung
definiert wird, bei der es sein Bewenden haben und die nicht zurück
genommen werden soll, so eröffnet sich die Perspektive auf einen
absoluten Idealismus« (S. 480).
Ob Yerfasser auch hier meint von »allen Lehrbüchemc abzu-
weichen? Dieses Mißverständnis des Wortes Position oder Setzung ist
unter den G^em Hbkbabis sehr gemein, um nicht zu sagen all-
gemein« Es ist auch erklärlich bei jemand, dem der philosophische
Sprachgebrauch namentlich bei Kam* nicht geläufig ist, denn diesen
Ausdruck hat Herbabt von Kaot att%6nommen und beibehalten. Aber
verwunderlich ist es, wenn man diese falsche Deutung auch bei Ünnt-
WKO, Grundriß 1883, S. 373 liest Hier heißt es: »Herbart zieht
das Setzen des Seins in den Begriff des Seins hinein. . . . Das Sein
an sich hat aber in der Tat mit unsem Positionen nichts zu schaffen.
Es ist gerade das von unserem Setzen Unabhängige. Nicht das Sein,
sondern unser Denken des Seins ist Position und was außerhalb des
Bereichs unserer Position liegt, liegt darum noch keineswegs außer-
halb des Bereichs der Wirklichkeit«
Was hier als beabsichtigte Entgegnung gegen Hebbabt gesagt ist
von der CTnabhängigkeit des Seins vom Denken, ist eben genau
Hssbabts Meinung selbst, aber dem unabhängigen Sein tut es doch
keinen Eintrag, wenn es gedacht wird. Das Seiende ist, mag es ge-
dacht werden oder nicht; wenn man davon redete muß man den Be-
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Flügel: Windelband über Herbart
201
griff doch denken, allein das Gedacht-werdcn ist docli nicht das Soin,
noch tut es dem vSeiii Abbruch. Das sollte sich von selbst verstellen.
HiRBABT fiiirt zur Erliiuterunp^ hinzu: »Setzen, ponere, heißt bejahend
denken. JJiese Bemerkung ist durch Klai,^en über die vor^^el)liche
FiCHTESche Spmchverwirrung nötipr j:e\sunleii, ()b<;leieh man von jeher
gewußt hat, was das heißt: ich .setze den Fall.i) Setzen lieißt hier
nicht machen, sondern voraussetzen, djts .Seiende als Unabhangi/.^es
anerkennen. Übriirens gebraucht lh:Bi5.viiT die Worte Positioa imd
absolute Position ganz im Sinne Kants.
Es wäre noch zu bemerken, daß Windei jjand auch die falsche
Ansicht Zki lers über PIuruahts Lehre von den zufüiiigeii Ansichten
anzunehmen und idealistisch zu deuten scheint.
Kann man nun sagen, daß Windelband, der seine ileinung von
Herb.vrts Idealismus auf zwei soviel gel)rauchte Lehrbücher wie
Zk!,i,kr und Überweg (ich könnte nocli Schweglers Abriß nennen,
der Herbarts intelligiblen Raum zu einem intellektuellen, idealen
macht) gründet, oder milder ausgedrückt, mit ihnen übereinstimmt:
kann man sauren, daß er in dieser Hinsicht von allen Lehrbüchern
abweicht und ihm diese ^[ißvei'ständnisse allein eigen sind?^)
Hinsichtlich der Psychologie teilt er gieichtalls mit vielen andern
gewisse Irrtümer. So wird abermals wiederholt, djiß die St'ele nach
Herhart »lediglich den inditferenten I5*)den« für die Voi*stel hingen
abgebe (S. 480), als sei die Seele unbeteiligt an dem, was sie tnt,
die (loch ganz wie sie ist, sich in ihren Zustünden betätigt. ')
Fenier wird bei den Vorstellungen deren Klarheir mit ihrer
Intensität verwechselt, üie Intensität oder wie es Vei-fasser auch
nennt, die Stärke verliert nichts durch die Hemmung. Es ist durch-
aus nicht so, wie S. 4S0 berichtet wird. Durch die Spannung ver-
hören die Vorstellungen an Intensität, und am Grade der Intensität
hän^'^t ihr Bewußtsein.« So ist es nicht, üie (Qualität und Intensität
>iiid unveränderlich und eben weil diese sich erhält gegen andere ent-
gogengesetzte Vorstellungen , aber auch die entgegengesetzten sich
erhalten, muß sich die Klarheit ändern. Ein Teil der aktuellen
Energie oder Intensität muß potentiell werden, oder latent, so jedoch,
') Bei Kbhrbach TU. S. 208, bei Hartenstein IV. 8. 581.
*) Ztschr. für exakte Philos. XVI. S. 'J45. Ein Beispiel, wie Worte ÜERD.vnTa
laläch angeführt und von einem Berichterstatter uiibesekens auf andere übergehen,
«. diese Zeitschrift. IV. 1897. 8. 142.
*) WcnmiBAifD wiedofholt hier anoh sein alnpreehandes Urteil ftber Hxbbasis
Niterphilosophie. Vei^gl. daza diese Zeitschrift 1901. 8. 476.
«) VeigL dieee Zeitsohiift 1904. & 359.
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202
AniBätie
daß bei jeder Vorstellung die Summe ihrer aktuellen und potentiellen
Tätigkeit eine konstante Größe bildet, also die Stärke, die Intensität
unverändert beharrt. Es gilt hier das Gesetz von der Erhaltung,
der Energie in vollem Maße. Nur die ungebundene, aktuelle freie
Wirksamkeit ist Klarheit oder im Bevs^ußtsein, aber was unter der
Schwelle, was gebunden ist, ist nicht verschwunden, ist nicht ver-
loren, ist auch noch Tätigkeit, die wider andere Vorsteilungen an-
strebt, ein Streben vorzustellen.
Wer dem nachdenken will, wird sich sofort überzeugen, daß
eine Verwechslung von Intensität und Klarheit jedes Verständnis der
GrundbcLTiifft^ der Psychologie Herbarts völlig ausschließt. In dieser
Lage befindet sich der Verfasser und in diese Lage versetzt er seine
Leser.
Ferner hat er einen Satz aufgenommen, der sich auch in sehr
vielen Lehrbüchern der Geschichte der Philosophie findet, nämlich:
»Vergleiche über die willkürliche axiomatischc Annahme und die
Verfehltheit des ganzen psychologischen Kalkids A. Lange, Die Grund-
legung der mathematischen Psychologie 1S65« (S. 481). Höchst-
wahrscheinlich nimmt dies ein Lehrbuch unbesehens vom andern
auf; ich glaube kaum, daß das oft angeführte Schiiftchen Langes
von vielen gelesen oder gar durchdacht ist. Jedenfalls ist ihnen un-
bekannt geblieben, daß alle die Einwände Langes der Reihe nach
von C. S. Cornelius widerlegt und als grobe Mißverständnisse aul-
gedeckt sind.i)
Überblickt man diese Weiterüberiiefernng der so oft aufgehellten
Mißverständnisse der theoretischen Philosophie Herbarts, so wird
man sagen, daß Winoklbam» iranz und gar, wenn nicht allen, so
doch sehr vielen Lehrbüchern der Geschichte der Philosophie gefolgt
ist, deren Darstellung er selbst als eine schiefe und irreführende be-
zeichnet
Noch viel kürzer als die theoretische kommt Herbarts praktische
Philosophie zur Darstellung. ,
Auf 20 Zeilen wird ül)er Herbarts Ästhetik, Ethik und Staats-
lehre berichtet und geurtcMlt Auffallend dabei ist der Ausdruck:
Die Geschmacksurteile beziehen sich auf die Verhältnisse des
»Seienden« (S. 495). Was ist hier als das Seiende gemeint? Herbakt
versteht unter dem Seienden nicht das Wirkliche, sondern was dem
Wirklichen zu Grunde liegt. Das Seiende hat nach Herbart keine
ästhetischen Verhältnisse. Gleich darauf heißt es: Die Geschmacks-
*) In dei Zeitsohiift üu exakte Philoe. VL & 323.
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FlOoh.: ITindelbADd ftber Heiiwii
203
urteile ergehen über Yerliiltiiisse des menschlichen Willena Das ist
richtig. Aber den Willen rechnet ffwmitp* nicht so. dem Seienden,
sondern zu dem Geschehenden.
Verfasser yerspricht im Vorwort^ eine Geschichte der Probleme
und Be^iffo zu geben und zwar seine Aufgabe nicht durch eine
begriffliche Konstruktion^ sondern nur durch eine aUseitige, Yorurteüs-
loee Durchforschung der Tatsachen zu lösen.
Von diesen Yersprechungen ist hinsichtlich der Darstellung
HiBBABis nichts gehalten. Und man übersehe nicht, das ganse Bocii
ist in erster Linie für Ani&nger geschrieben, für solche^ lÜe nicht in
die Geschichte der Philosophen oder des Kultureinflnsses der Philo-
sophie einsuftthren sind, sondern »in die Geschichte der Probleme
und der sa ihrer Lösung emugten Begriffe,« denn darin stimmt er
mit Herb ART überein, man dfiife über dem Historischen nicht das
Philosophische oder wie Hboabt sagt über der Geschichte nicht yer^
geesen, wessen Geschichte sie ist
Was wird nun ein Anfibiger daraus über Hrrbabt lernen!
Jedenfalls wird niemand durch den Yeifasser in HnmAim Ge-
danken und Probl«ne eingeftthrt Wihdblband rühmt dnmal Hbbbabtb
historische Fehafflhligkeit für das metaphysisohe Motiv der platonischen
Ideenlehre (S. 478). Diese Feinffihligkeit für Hibbasts Motire des
Denkens geht dem Terfasser ab. Er yersteht nichts wenigstens weifi
er die treibende Kraft nicht zu würdigen, durch die HimiBT yon
den Widersprüchen der Erfahrung zur Ketaphysik gediftngt wurde.
Was zur Zeit Hbbbabis und heute noch mandiem paradox klingt,
daß nfimüch die Eifshrung d. h. die anftngUche Aufiassung der Natur
widenprechend sei und cur Lösung derselben eine metaphysische
Arbeit au^be, das versteht steh heute unter Forschem von selbst
>TJnser ganzes p^chisches Leben, sagt z. B. Mach, so insbesondere
das wissenschaftliche besteht in euier fortwfthrenden Korrektur unserer
Tontellungen.« *) Warum bedürfen sie einer Korrektur? Weil sie
widersprechend sind teils in sich, teils mit anerkannten Wahrheiten.
Wiren sie nicht widersprechend, so brauchten sie nicht korrigiert
zu werden. Wie lange müssen sie korrigiert werden? Bis sie wider-
spruchsfrei sind. Hier hat man den Schlüssel zu Hibbabx8 Meta-
idiysik. Aber davon findet man bei Wtkdeuujid nichts.
') Sonst nennt Windelband Hkbrabt »wenig histoiisch veranlagte. Yei^ data
diese Zeitechrift 1904. S. 468.
*) Ihnlieh Hhjoolb, Hm o. a. 8. 0. liflraL, Die Bedaataag der UMa-
phlA HeilNfftB für die Gegenwart 8. S.
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204
Im übrioren bin uh sthr einv^ r-tainieu mit der Aufirabc, die
sich WiNDKi.BAM) für die Abfassuu^: diov- -^'Mnes L^i-lirbuchs der Ge-
schichte der Phil<i«»phi<' p stellt hat, nämlich in »die Geschichte der
Probleme und der zu ihrer L«)>unp^ erzeujrten Beirriffe« einzuführen.
Das ist fast wörtlich die Aufpibe. die ich mir vor fast 30 Jahren
gestellt habe in der Schrift: Die Probleme der Philosophie und
ihre Lösuugea hiätonsch- kritisch, wovon jetzt die 4. Auflage er-
scheint
H. St. Cliamberlains Vorstellungen über die Religion
der Semiten spez. der Israeliten
Von
Pxofessor D. Baentach - Jena
(FortBetnog)
in.
In der Prüfung; der \vcit»'n'n ^^l^\v^u•fc, die Chamberlain ^i^egren
die Kcligi<»n d<'r Semiten und im verstärkten Maßstabe gegen die der
Israeliten und dt r -Juden erhebt, folp-n wir am besten der Reihen-
folgc, in der wir im I. Teil»" dicker Studie diese Vorwürfe dem Leser
Vor Aup n geführt iial»("ii. l)anach liat Chamberlain dieser Religion
V(»r allem vorzuwerfen, dal] >ie nur praktische d. h. aber nach ihm
wesentlich materielle und egoistische /wecke verfolge, durch-
aus keine ideale. Denselben Vorwurf kleidet er S. -401 in die
Worte: Die Religion ei-sciieint gewissermaßen nicht als um ihrer
selbst willen da, sondern als ein Mittel, als eine Handhabe, um
das Gebiet des durch den Willen zu Erreichenden möglichst er-
weitern zu kr»nnen.<c Man bedenke, was das bedeutet! Der Semit,
und was von diesem g^ilt^ gilt ja vom Israeliten und Juden in noch
vei-stärktem Maße, besäße danach also nur eine durch und durch
interessierte, selbstsüchtige, egoistische Religiositiit. Kr wiire nicht
religi'is aus dem iiineisteii Redüi-fnisse seines Gemütes heraus, sondern
imnur nur aus JJerechnung, aus praktischem Sinn. Nicht die be-
se'ligende ( iemeinschaft der Seele mit Gott wäre e.s, wa.s er am letzten
Ende in seiner Religion suchte, sondern immer nur materiellen Vor-
teil und greifbaren (iewinn, sei es nun, daß seine Religion ihm die
Khifte geben soll, dic er braucht, um seinen Willen überall durch-
zusetzen, sei es. daß er, auf Belohnung s(»in»'r Frömmigkeit speku-
lierend, die Religion als Mittel zur Siclieistellung seines Wohlergehens
im diu^ssuitigeu und (so wenigstens in der jüngsten Zeit) auch in
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Babitcoh: H. 8t Chamberlains VoisteUaDgen aber die fieligioii naw. 205
einem jenseitigeii Leben benutet W&re das alles richtig, gSbe es
wiridich gar nichts darüber hinaus, so würe freilich die semitische
mid speziell die israelitische und jüdische Religion eine der minder-
wertigsten Erscheinungen auf dem weiten Gebiete des religiösen
Lebens der Menschheit, und man begriffe in der Tat nicht, wie man
jemals von dieser Religion soviel Aufhebens hat machen kömuean.
Han begriffe vor allem nicht, wie die antike Welt im Zeitalter des
H^enismiis dazu gekommen wäre, einer so rohen Religion, wie
es namentlich die jüdische sein müflte, einen so großen Einfluß auf
ihr eigenes religisräs Leben zu yerstatten.
Aber es handelt sich bei diesem Yorwuife doch wohl nur um
eine der bei Chamberlain so hfiufig begegnenden allgemeinen Be-
hauptungen, mit Bezug auf die er Tielleicht selbst voraussetzt, daß
der Leser die nötige Einschränkung — wie er selbst einmal bei
anderer Gelegenheit sagt — gleichsam automatisch vollzieht Denn
jedenfidls ist der Yorwuif nur zum Teil berechtigt, und, wie ich
{jleich hervorheben möchte, hier nicht mehr berechtigt, als er schließ-
Uch auch gegenüber allen anderen Religionen bis zu einem gewissen
Oiade berechtigt wftre. Wirklich getroffen wird von ihm, soweit es
die alttestamenüiche Religion angeht, im Grunde doch nur die natio-
nale Yolksreligion, in der allerdings, wie man es bei einer Tolks^
retigion anch gar nicht anders erwarten kann, die materiellen Inter-
essen des Yolkee eine sehr bedeutende Rolle spielen. Getroffen wird
weiter die aus priesterlichem Geiste herausgeborene Gesetzes-
religion, zum Teil schon die des Deuteronomiums, vor aUem aber
die des nachexilischen Judentums mit ihrem ausgeprägten Werk-
heUigkeits-Standpunkte und dem für sie so charakteristischen Lohn-
nnd Yerdienstbcgiift Getroffen wird endlich jene utilitaristische
Frömmigkeit und Moral, wie sie sich vielfach in der Spruchdichtung,
in den Froverbien und Jesus Sirach geltend macht >) Und selbst hier
ist der Yorwuif, daß die Religion durchaus keine idealen Zwecke
') Man hüte sich ührigens, uberall, wo von Lohn die Rede ist, Sjjuren einer
mindenve rügen Frönimif;keit scljen zu wollen. Hs ist immer zu uMtersi heideo, ob
die Aussicht aui Lohn als da» eigentliche Motiv der Frönunigkeit gilt, uder ob der
l/dmiedaoke nur nebenherlioft und eigentlich nur dem Olaaben an eioe sittliohe
Weltoidiraog Aosdniok gibt Sb wiie z. B. verkehrt, ans dem Wortlaute des 4. Ge-
botes folgern zu wollen, daß der Xsnelit in der Hochachtung der eltorlichon AutoritSt
nur ein Mittel gesehen habe, um sich ein lanj-es nti l glückliches LebiMi im T>ande
zu sichern. AVenn irgend ein (icbüt, ■^'> la^ .i.. st.> c, Imt der pieta-s dem Israeliten
sozusagen im Blute, d. h. es hatte für liiii eiuu absolute Bedeutung. Durch die
augefügte YerheiBnng soll nnr die hohe Bedeutung, die das Gebot für ihn hatte,
gebährend herroigehoben werden, et Ephes. 6, 2,
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206
Aufsätze
verfolge, viel zu weitgehend. Denn, um nur dieseii einen Punkt hier
herauszuheben, heißt es nicht Verfolgung eines hochidealen Zweckes,
wenn die alte Yolksreligion 8ioh>zar Hüterin der Rechtsordnung aof-
wirft und den Geist nicht nur der weltlichen Gerechtigkeit, sondern
auch der Billigkeit, der freundlichen Rücksichtnahme oof den ^virt•
schaftlich Schwachen, der Milde und Barmherzigkeit gegen Unter-
drückte, Witwen, Waisen, Fremdlinfi:e imd Notleidende aller» Art in
die Praxis einzuführen sndit? Wo aber bleibt für Chamberiain — und
mit dieser Frage setet unser Hauptvorwurf gegen ihn ein — die
prophetische Strömung der Religion Israels, wo die mancheiiei
Äußerungen einer wahrhaft hohen, durch und durch selbstlosen, rein
menschlich anmutenden, individuellen Fiömmigkeit» wie wir sie
gerade aus den Kreisen der nachexilischen Frommen vernehmen?
Oder stellen etwa die großen Propheten des achten Jahrhunderts die
Religion in den Dienst praktisch-egoistischei- Interessen, wenn sie im
Namen dieser Religion dem eigenen Volke den Untergang ankündigen,
weil es sich gegen den Geist dieser Religion versündigt hat? Gilt
ihnen tlie Religion jemals als Mittel zur Erreichung irdischer, politi-
scher Ziele, oder ist sie ihnen nicht vielmehr Sache ihres innersten
Herzens, ihres unbestechlichen Gewissens, eine Sache, um derent^vlDcu
sie Gut und Veimögen, Stellung, Freiheit und Leben mutig in die
Schanze sclilagen? Sagen sie ihren Zeitgenossen auch nur einmal:
»ihr mtLßt Jahves Gebote halten, dieweil das Halten dieser Gebote
eine sehr nützliche Sache ist«, oder haben die religiös-sittlichen Forde-
rungen ihres Gottes für sie nicht eine durchaus absolute Geltung?
(Veigl. z. B. Am. 5, 15, Mich. 6, 8,) Und wenn die Propheten aus ihrer
Religion Kräfte geschöpft haben auch für ihre irdischen Kampfe und
Nöte, ist ihnen deshalb ihre Religion etwa nur eine Handhabe ge-
wesen, um sich in der Welt zu behaupten? Hätte sie ihnen diese
Krfifte überhaupt spenden können, wenn sie nicht zuvor ihnen warn
ümeren Erlebnis geworden, wenn sie, um mit Chamberiain zu leden,
für sie nicht um ihrer selbst willen dagewesen wäre?
Und neben den Äußerungen prophetischer Frömmigkeit eteUe
man sich jLufierungen individueller Frömmigkeit vor Augen, wie
sie z. R in Fä. 73 enthalten sind. Der Dichter dieses PSahns freut
sich der inneren Gemeinschaft mit seinem Gotte, auch wenn ihm Leib
und Seele vezschmachten. Er fragt nichts nach dem Himmel und
fragt nichts nach der Erde, wenn er nur Gott seinen Teil und seinen
Freund nennen dazl Sind das nun etwa nur fromme Bedensarten?
Oder steht der Dichter dieses Fäalms etwa nur gans vereinaelt da?
Aber er ist doch nur einer ans der großen Schar von Zeugen
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Babhxboh: H. Sc Ghamtwiiaios YonteUuogon über die BeUgkni vsw. 207
lebendigster Erömiiugkeit, deren Seele nach dem lebendigen Gott schreit
und dfizstet (Fä. 42), oder deren Hen ganz wunschlos und stille ge-
worden ist in ihrem Oott, wie ein entwöhntes Kind, das die Matter
Ton ihrer Brust abgesetzt hat (Fs. 131)? Es ist wahr, wir besitzen
solche Eigässe reinster, im tie&ten Herzen wurzehider Frömmigkeit
nur ans ezilischer und nachexilischer Zeit Sie zeigen uns dann
eben, daß gerade auch auf dem Boden der von Ghamberiain so tief
gewerteten jüdischen Frömmigkeit echteste Beligiositftt hat gedeihen
kömien. Wir dtkifen aber getrost annehmen, daß eine soldie innere
liehe Frömmigkeit auch schon in der filtesten Zeit vorhanden gewesen
ist Denn das Mensdienherz — und auch der Semit hat ein solches
— hat zu allen Zeiten dieselben Bedürfnisse, wenn vielleicht auch
eine verschiedene Art, sich zu äußern. Man denke doch ja nicht
etwa, daß der Jahve der alten Tolksreligion bloß ein nationaler Götze
gewesen ist Für die religiösen Gemüter hat sich mit diesem Jahve
schon immer die Ahnung von einem höchsten, allmächtigen göttlichen
Wesen verbunden, und dem Herzen eines aufrichtigen Gottsuchers
hat das Göttliche auch in der Gestalt des alten nationalen Jahve, wenn
natariich auch unter mancher Verhüllung und Beschränkung, nahe
kommen können. Daß wir so wenig Zeugnisse individueller Frömmig-
keit aus alter Zeit besitzen,^) erklärt sich daraus, daß wir aus der
fiteren Zeit eben nur Urkunden der nationalen Religion besitzen, in
denen sich alles um das Volk und seüie Interessen dreht, und Indi-
viduen nur insoweit zur Geltung kommen, als ihr Leben mit dem
nationalen Leben verflochten ist
Nicht übergehen dürfen wir schließlich in diesem Zusammen-
hange das Buch Hieb, das sich in seinem Prologe spez. mit der
Ihigs^ ob es euie uninteressierte Frömmigkeit auf Erden gebe, be-
schäftigt Der Dichter bejaht diese Frage, indem er uns in Hiob^
der auch unter den schlimmsten Schickungen und herbsten Verlusten,
die ihm jeden Glauben an irgend welchen materiellen Nutzen der
Römmigkeit ranben müssen, an seinem Gotte festhält, das Beispiel
emer solchen Frömmigkeit vor Augen fOhrt An ihrer Möglichkeit
zu zweifeln, bleibt nur dem Satan vorbehalten. Damit ist also jener
Standpunkt, dem die Frömmigkeit nicht um ihrer selbst willen da
ist, scmdem nur als Mittel zur Erreichung praktisoher Zwecke be-
*) Mau könnte hier allerdings an die Patriarchengesch iohten der Genesis er-
iimera, vor ailem an die Abrabam-Oesohiohten. Bei dem iompliziertea Charakter
dimr OssMtm glanbea wir aber von einer Yenrertniig denelbai an dieser Stelle
tMen so mAMn.
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208
AufBütze
greifiich ist, geradezu als satanisch gekennzeichnet Kann es denn
eine schärfere yenuteüung jenes trivialen, ntUitaristischen Standpunktes
geben? Und daif es denn flbeisehen werden, daß gerade Ton
israelitischein Boden aus jener von Chamberlain für spezifisch
semitisch oder israelitisch-jadiseh ausgegebene Standpunkt die denk-
bar schfiifste VerurteUung erfitturt?
Nun ist ja zwar — das geben wir bereitwilligst zu — diese höhere
innerliche FMänmigkeit in Israel und im Judentum nicht zur allge-
meinen Herrschaft gekommen; sie findet sich — in welcher Religion
würe das aber anders? — immer nur bei großen Persönlichkeiten,
die über den Durchschnitt weit hinausragen. Aber gibt uns das
denn ein Recht, von ihren Äußerungen bei einer Beurteilung der
israelitischen und jüdischen Religion ganz abzusehen? Sollen wir
diese Religion denn immer nur nach dem Durchschnitt und nach
ilam minderwertigsten, oft genug brutalen Äußerungen beurteilen
und ihre schönsten, reinsten und edelsten BlCLten ganz außer acht
lassen? Das kann Chamberlain von uns um so weniger verlangen,
als er selbst die nichtsemitischen Religionen, die er zu den semi-
tischen in einen Gegensatz stellt, immer nur nach ihren höchsten
und reinsten Äußerungen beurteilt Oder meint Chamberlain etwa
gar, daß es sich bei dieser höheren Religiosität gar nicht um Äuße-
rungen des israelitischen Geistee, sondern um arische Infiltrationen
handle? Wir filhlen uns nicht im stände, seine Rassenmischungs-
theorie in alle ihre Einzelheiten hinein nachzuprüfen und zu be-
urteilen, weshalb wir es last ängstiich vermeiden, zu ihr Stellung
zu nehmen. Wir müßten aber gestehen, daß sie uns in dem Augen-
blick im höchsten Grade gefiUurdet erscheint, in dem er den emst-
lichen Tersuch machen sollte, sie als Handhabe zu benutzen, um
alles Edlere und Höhere innerhalb der Religion Israels und des Juden-
tums als. etwas dem semitischen Geiste total Fremdes aus ihr aus-
zuscheiden.
Doch ehe wir von diesem Punkte scheiden, noch eine Rige.
Wird denn von dem Vorwurfe, den Chamberlain speziell gegen die
Religion der Semiten und hier wieder insbesondre gegen die der
Israeliten und Juden erhebt, nicht jede Religion ohne Ausnahme mehr
oder weniger getroffen? Denn wo vrir nur immer eine Religion auf
Erden antreffen, da sucht der Mensch in ihr nicht etwa ausschließ-
lich und in erster Linie BeMedigung seines spekulativen Bedürf-
nisses, das seinen ahnenden Geist in weite dänmiemde Femen zieht
sondern einen festen sichern Halt für sein irdisches Leben, da will
er aus ihr Kraft und immer wieder Kraft schöpfen für die Kämpfe
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Baextscu: H. St Chainberlains Voretellungen über die Religion usw. 209
mit den Widcrwärtipkeifen und XiHen, die das Leben ihm aufzwingt.
Ja ist OS im dniiide niclit der Trieb des ^lenseliPii nacli Sell)st-
beliauptiing pep n über den ihn umgebenden und sein Leben beendenden
Mächten gewesen, die die Religion, unbeschadet ilirer metaphysischen
Omndlage, zum Ereignis iiat worden lassen? Warum also speziell
der ßclifrion der Semiten zum Vorwurfe machen, wa.s sich In allen
Religionen findet? Ich fürchte sehr, daß. wenn Chamberlain seinen
Maßstab für das, was er Religion nenut^ mit derselben Konsequenz
und Unerbittlichkeit an die übrigen Religionen anlegen wollte, wie
er ihn an die Religion der Semiten angelegt hat, er sein Urteil über
jene bedeutend heralistimmen müßte. Und wenn sich innerhalb der
israelitischen Religion der materiell-egoistische Zug vielfach stark .
geltend macht, steht es denn in jülen übrigen Religionen damit so
sehr viel besser? Die breite Masse ist überall religiös aus Sitte und
Herkommen und zugleich aus Berechnung. Selbst die homerischen
Helden rechnen ihren Göttern die Hekatomben vor, die sie ihnen
dargebracht haben, und han-en des wohlverdienten Lohns. Der arische
hider envartet so gut wie der Semit für sein Opfer die Gegengabe
des Gottes, dem der es daigebracht, und daß auch hier die Erwartung
mh oft genug in recht drastische Formen kleiden kann, mag man
bei Oldbmbiro, die Religion des Veda S. 308 ff. nachlesen. Und daß
sich der von Chamberlain so hoch eingeschätzte Fetischanbetcr durch
fidne tiefsinnigen Spekulationen, die er mit seinem Fetisch ver-
knöpfen soll, jedenfalls nicht abhalten l&ßt, seinen Fetisch zu prügeln
oder ihn wegzuwerfen, wenn er ihm nicht recht zu willen ist, ist zu
bekannt, als daß darüber auch nur noch ein Woi't zu verlieren wäre«
Nicht minder bedürfen Chamberlains Anschauungen über die
semitische und speziell israelitische Gotte s Vorstellung (s. ob. S. 22.
bis 24) der Einschränkung und Korrektur. Zwar in dem, wa.s er
fiber die Gottesbilder sagt, findet sich manche gute und feine Be-
merkung. Es ist richtig, daß das Volk seinen Gott mit dem Bilde,
das es sich von ihm gemacht hat, oft geradezu identifiziert, und daß
auch die Bestreitcr des Bilderdienstes sich im Gninde nicht von der
Vorstellung haben loslösen können , daß ein Gottesbild unter allen
Umständen ein verabscheu ungswttrdiges Götzenbild sei, dem man den
Krieg erklären müsse. Zu der geistigen Höhe, ein Gottesbild unter
dem Gesichtspunkte eines Kunstwerkes zu betrachten, haben sie sich
in der Tat nicht empoi-sehwingen können. Und wenn .Männer wie
Denterojesaias und (h'r Verfasser von Deut 4, 15 wohl auch nicht
gerade eine (vom Boden gemeinsemitischer Vorstellungsweise aas an
ZaitMblft fOr Fhfkwflii» and Pldi«ogik. 12. Jabignff. 14
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210
dch b^feÜiiclie) abergläubische Scheu vor Gottcsbildem batton —
dagegen spricht bei einem Manne wie Beuterojesaias die überlcfrene
Ironie, mit der er sich gelegentlich über die Götzenbilder äußert,
cf. Jes. 44. 12—20 — so kommen sie doch über das jede ästliotische
und kimstlerischo Denkungsweise im Keim erstickende theologische
Bedenken nicht hinweg, daß die Überweltlichkeit des unsichtbaren
Gottes sich nicht mit einer auch nur etwa symbolisch gemeinten
Darstellung dieses Gottes im Bildwerk vertrage. Jeder Versuch, Gott
darzustellen, gilt ihnen als Antastung dos übenveltlichen Charakters
der Gottheit, als oiu Herabziehen dorsoll)on in die niedere materielle
Welt, von der die Gottheit für semitisches Denken nun einmal durch
eine tiefe Kluft getrennt ist Mögen wir nun auch die Energie, mit
der solche prophetischen Männer die schlechthinnige Geistigkeit und
Lnniaterialitat ihres Gottes botonen, bewundem und schätzen, denn
es handelt sich hier ja in der Tat um eine höchst wichtige theologische
Einsicht und eine kerngesunde Äußerung religiösen Empfindens, so
müssen wir doch Chamberlain zugestehen, daß diese ganze Betrachtongs-
weise in ihrer Rigorosität und ihrer ertötenden Wirkung auf isthe-
tisches und künstlerisches Empfinden eine herbe Einseitigkeit dar-
stellt Die Chaiakterisiemng dieser Richtung als »abstrakter Hate-
r.ialismus« gehört zu dem Feinsten and Treffendsten, was Chamber-
lain über die Religion der Semiten geschrieben hat
Aber so weit wir Chamberlain in diesem Pankte entgegenkommen
mußten, so energisch haben wir Widerspruch gegen seine Behanptang
zu erheben, daß die Israeliten die einzigen wirklichen Götze n>
anbeter auf der Welt gewesen seien, sofern eben nur sie die Bilder
mit der GotÜieit selbst identifiziert hätten, wihrend alle anderen
Völker und Menschen, wie die Hellenen, Eranier, die Eelten, die
Slaven, ja selbst die Fetischanbeter sehr wohl zwischen der Gottiieit
und ihrem Bilde unterschieden hätten. Namentlich dalh er die Eetisch-
anbeter in diesem Punkte als den Israeliten himmelweit überlegen
hinstellt, macht yon yomherein den Eindruck eines gewissen Übel-
wollens gegen alles, was von den Semiten kommt, daß hier auch
der Laie stutzig werden muß. Es sei uns daher eriaubt, gerade an
diesem Punkte mit unserem Widerspruche einzusetzen.
Chambeilain behauptet, daß es sich nach den neuesten ethnogra-
phischen Forschungen immer mehr herausgestellt habe, daß die Fetisch-
anbeter nicht nur ihre Fetische nicht als solche anbeten, sondern so-
gar höchst komplizierte symbolische Torstellungen mit ihnen tot-
binden. Wir wollen hier nicht weiter fragen, was für TorstoUiingen
denn das eigentlich seien, denn das würde uns in weitzdiweifige Ans-
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BmmaB: H. St Gbamberlains Vontellungan über du BeUgion vsir. 211
eiiuuideKBetzaiigen fiber das, was eigentilich unter Fetischismiis za Ter>
stehen ist, hineinfahren, wosa nns hier kein Baum m Gebote steht
Aber wir erkennen mit Ghamberlain die Tatsache an, daß der Fetisoh-
anbeter prinzipiell zwischen dem Fetischgeist und dem Fetischobjekt
d. h. dem Gegenstände, dee dem Geiste als Behausung dient, unter-
scheidet An dieser Tatsache würde sich auch dann nichts ändern,
wemi sich für den einzelnen der Unterschied zeitweilig yerwischt
Hutten die Israeliten also in der Tat nicht zwischen der Gottheit nnd
dem Bilde, das sie sich von ihr gemacht hatten, unterschieden und
sogar nicht einmal unterscheiden kdnnen, so wttrde sich allerdings
der Fetischanbeter im Punkte dieser Unterscheidung dem Israeliten
und dem Semiten tlberhaupt geistig überlegen zeigen, wohlgemerkt
nur in diesem einen Punkte, denn daB wir im ttbiigen nicht daran
denken dOrfen, den Jahye Israels mit einem FetischgeiBt und ein
Ton Menschenhand kttnstlich gebildetes Gottesbild mit einem be-
liebigen Fetischobjekt auf eine Stufe zu stellen, bedarf wohl nicht
erst der Versicherung.
Aber woher weifi denn nun Giambeilain so bestimmt, daß die
Israeliten so gar nicht im stände gewesen seien, zwischen Gottheit
und dem sie daistellenden Bild zu unterscheiden? Daraus, daß das
Volk oft beide identifizierte, läßt sich das ebensowenig erschließen
wie ans der Polemik der Propheten gegen den Bilderdienst^ die sich
bei ihrem meist ironischen Charakter gern in grotesken Übertreibungen
gefiUlt Vielmehr sprechen sehr deutliche Anzeichen gegen eine
sdiledithinnige Identifizierung. Nach gemeinsemitischer Vorstellung,
die sich genau so übrigens auch bei fast allen Naturftlkem findet
und sich im ßemitentum nur mit besondrer Ztthigkeit bis auf unsere
T^;e erhalten hat, geht in das Bild, das von iigend einem Menschen
gezeichnet wird, etwas von dessen Persönlichkeit oder von dessen
Seele über.^) Daher die Scheu bei den Ton der westlichen Kultur
noch unberührten semitischen Beduinen, sich abkonterfeien zu lassen
oder ihre Gestalt der photographischen Platte zu exponieren. Sie
fürchten, daß wer sie abbildet, dadurch Macht über ihre Seele und
fiber ihr Leben gewinnt Das Bild eines Menschen gilt (ganz fihnliöh
wie sein Name) eben als eine Art Doppelgänger des betreffenden
Menschen, der zu diesem in einer mystisch-geheimnisToUen Beziehimg
steht und dessen Erlebnisse und Grachicke auf das lebendige Original
') Vergl. Ricu. äsdree, Bildnis raubt die Seele, in der Neuen Folge seiner
ShiiographLichen Parallelen u. Veigieiohe. Leipzig 1888. lylor, FhmiÜye Kuitui.
Bd. I, kap. Ü u. Bd. 11, Kap. 14.
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212
mit Notwendigkeit zorückwirken.^) Ganz ebenso steht es aber mit
den Gottosbüdem. Auf ein Gottesbild ist nach semitischer An-
schauung etwas von dem peisönlichen Leben der Gottheit ILbeige-
gangen; es gilt als ein mit den Kräften der Gottheit ausgestatteter
BepiSsentant derselben in der sinnenfttUigen Ersdheinungswelt*) Von
der Gottheit selbst aber wird es prinzipiell ebenso genan unter-
schieden, wie das Bild von dem Menschen, den es darstellte, nnteiv
schieden worden ist
Eine solche Untsrsdiddang Ifißt sich nun gerade mit Bezog auf
die heilige Lade oder die sogenante Bnndeslade, die ja eine
gewisse Verwandtschaft mit einem Gottesbilde besitzt, auf das deot-
lidiste nachweisen. Es ist nämüoh keineswegs so, wie Chamberlain
annimmt, daß sich Israel seinen Gott in diese Lade ein&ch ein-
geschlossen gedacht und Gott und Lade resp. das etwa in ihr ent-
haltene Jahvebüd geradezu mitdnander identifiziert habe, wenn sich
vieUeicht auch einzebe Stellen, die dann aber nur fOr die Auffatssong
der naiyen Volksreligon beweisend sind, dafOr ausfindig machen lassen
(vergL z. R L Sam. 47). Yielinehr haben sich gerade an die heilige
Lade schon sehr früh höchst merkwQrdige Spekulationen geknüpft^
die vielleicht Ghamberlains Bewunderung hervoirufen wtteden, wenn
er sie bei Eetischanbetem entdecken wOrda Die Grundstcdle fflr
diese Spekulationen findet sidi in dem der jehovistischen Pentateuch-
sohidit angehörigen Kapitel Exod. 33, das leider durch spitere Be-
arbeitung und Diaskeuase so verunstaltet und TerSndert worden ist,
daS der Laie, der dieses Kapitel in deutscher Übersetzung liest, die
Pointe nicht ohne weiteres meikt*) Danach hat sich Jahve ge-
weigert^ das von ihm abgefisdlene Volk auf seinem Zuge nach dem
▼dheiAenen Lande zu b^leiten. Aber auf das Dringen des ICoses
Ufit er sich endlich dazu bewegen, dem Volke wenigstens ein Suxxogat
seiner Gegenwart mit auf den Weg zu geben. Dieses Surrogat ist
aber eben die heilige Lade. Jahre ist nicht etwa selbst in diese
heilige Lade eingegangen, wohl aber hat er an die heilige Lade die
PüUe seiner gewaltigen KrSfte gebunden, die bei Gelegenheit in teils
^) Römische and griechische Zauberinnen machten kleine Bilder von Wachs,
die den zu Benabemdett daisteUen soUten; diese Bilder qiiilte man anf alle Axt
ond gimMe der betreffende wftide den Sdunen ftthlen.
Diese VonteUnng verknüpft sich auch mit den Heiligenbildern in der
nuniechen Kirche. Daher segnet der Zar die auf desk Kriefflsohanplalii abgehenden.
Trappen mit einem Ileiliircnbilde.
*) Yergl. zu diesem Kapitel meinen Kommentar zu Exod^-Numeri. Güttingen
1903.
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BACTsca: H. St. Cluunberiams VontelluDgen über die Beligion wir. 213
furchtbarer, teils in segenbringender Gewalt aus ihr herauswirken.
So stellt das Volk durch die beilige Lade in seiner Mitte mit dem
unnahbaren Sinaigotte in einem mystischen Znaammenhang. Wo die
Lade ist, da ist auch Jahve in irgend einer Weise gegenwärtig, aber
er ist keineswegs als in die Lade eingeschlossen oder ausscbUeAlioh
an sie gebunden vorzustellen. Er w«nlt zugleich auf dem alten Gottes-
borge — so wenigstens für das Be\mßtsein der älteien Zelt — und
manifestiert sich zugleich hier und da im Lande TTanftan, Wir sehen
daraus jedr nfalls, daß wenn sich etwa ein Jahrebüd in der heiUgen
lAde befunden hat — was ich übrigens keineswegs für erwiesen an->
sehe 1) — das Yolk sicher nicht daran gedacht hat, Jahve mit seinem
Bilde einfach zu identifizieren.
Die Ausführong über die heilige Lade veranlaßt mieh^ m diesem
Zusammenhange zugleich auch einiger verwandter, ungleich höherer
Spekulationen zn gedenken, die Chambeilains Behauptung, daß die
Semiten sich nicht zu einer höheren Auffassung von der Gottheit
hätten erheben können, auf das DeatÜchste widerlegen. Sb handelt
sich um die eigentümliche Yoistelhmg von dem mal'akh Jahve nnd
von den Paiiim Jahves. Beide Yoistellungen sollen dazu dienen, sich
die Offenbarung und Erscheinung des fiberweltUchen, transcendenten
Gottes in der Erscheinungswelt begreiflich und vorsteilig zn machen.
Danach ist es nicht die Gottheit an sich, sondern immer nur eine
Erscheinungsweise der Gottheit, eine Art Projektion der Gottheit in
die sinnliche Erscheinongswelt hinein, welche die Menschen wahr-
nehmen können. Biese Erscheinungsweise hat sich nach der einen
Vorstellung zu der mystisch-geheimnisvollen Gestalt des mal'akh Jahve
d. h. des Boten oder Engels Jahves verdichtet. Dieser mal'akh ist
keineswegs als ein selbstiindiges himmlisches Wesen neben Jahve vor-
zastellen. Er tritt viehnehr aus Jahve selbst heraus und zieht sich,
nachdem er die Botschaft an die Menschen ausgerichtet hat, wieder
m Jahve selbst zurdck. Nach der andern Vorstellung zeigt Jahve»
wenn er sich offenbaren will, seme Panim d. h. wörtlich die den
Menschen zugekehrte Seite seines Wesens oder sein Antlitz. Ein
Ortsname wie Puiel oder Pnuel will besagen, daß die Gottheit an dem
betreifenden Orte ihr Antlitz hat sichtbar werden lassen d. h. den
Die spitere Tiaditioii, nach der zwei steinerne Tafeln mit dem Ooaot« m
der Lade gewesen seien, läßt eher darauf schheßeu, daß sich Steine vom heiligen
Kmiberge darin befanden. Jahve war nach aller Auschaunng so sehr mit dem
heiligen Sinai berge verknüpft, daß jeder Stein dieses Berges als Träger seines
Weeeae imd ab Mittel rar Hentelliuig einer dsnemdeiL Ben^mig za ihm gelten
konnte.
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214
Menschen erschienen ist. Man sieht hieraus, wie man im alten Israel
beflissen war, zwischen der Gottheit an sich und ihrer sinnen fälligen
Erscheinungsform genau zu unterscheiden. Wir dürfen daher mit
gutem Rechte voraussetzen, daß man in Israel dieselbe Unterscheidung
hinsichtlich der Oottesbilder gemacht haben wird. Wenn trotzdem
das Volk hin und wieder Gottheit und Bild miteinander identifizierte,
60 ist dafür nicht spezifisch semitische Denkweise, sondern eben nnz
der Unverstand der breiten Masse verantwortlich zu machen.
Genau in derselben Weise äußert sich aber — und das ist ein
Punkt, den Cbamberlain mit keinem Worte berührt — der Unverstand
der großen Masse auch in allen andern Religionen bis in den heutigen
rSmischen und griechisch-russischen Katholizismus hinein, indem für
den einfältigen Verehrer der Heilige und das Bild, das ihn darstellt,
in ungezählten Fällen zusammenfließen. Und auch innerhalb des
alten Griechentums läßt sich eine volkstümliche Würdigung der
Gottesbilder nachweisen, die eine Identifizierung des Bildes mit der
Gottheit entweder geradezu bedeutet oder doch von einer solchen
nicht gar weit entfernt ist. Es ist keineswegs so, wie es nadh
Chamberlain scheint, daß die Griechen in ihren Gottcsbildorn immer
nur Kunstwerke gesehen oder sie als Mittel seelischer Erhebung be-
trachtet hätten. Von ihren großen Denkern und Philosophen mag
das gelten. Aber die große Masso war in dieser Beziehung genau
ebenso unreif wie bei den alten Israeliten. So. sagt einmal Heraklit:
»Sie beten zu diesen Götterbildern, als wenn jemand mit Gebäuden
Zwiesprache pflegen wollte; sie kennen eben die Götter und Heroen
nioht nach ihrem Wesen.c^) Und was soll man dazu sagen, daß
mau in Sparta den Kriegsgott Ares in Kotten angeschlossen hielt^
damit er nicht etwa enteile und das Kriegsglück daTontrage, oder
gar dazu, daß man in dem an^Ufirten Athen der Siegesgöttin Nike
die Schwingen gekappt hatte — daher Wxt; anrf^oc — um den Sieg
dauernd an das große Athen za ketten? Sind solche rohen Manipu-
lationen erkUtrlieh bei einer geläuterten üsthetisohen und religiösem
Betrachtungsweise, die in den Gottesbildem immer nur hehre Kunst*
werke und Mittel zur Entzündung der Andacht sieht? Und daß anoh
bei den sonst so abstrakt denkenden Römern hinsichtiieh der Oottea-
bilder nicht aUes in Ordnung war, Jftfit die Äußerung des M. Teren-
üus Vano TerrnnteD, der sich einmal dahin ansspridit: »Der Mann,
>) DiMM ZHat TCidanke iidi dam Anteile von Bna. Nmilb flbw dM afftU-
giBta FkoUam« in H. 8t Ghambedabt Onmdlagn d« 19. Muh. Meslaiileiihbili
1908. Ko. 29. 8. 232.
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Basntsch: H. 8t Cbamberlains Vorstellangen über die Beligiou usw. 215
der zuerst dem Volke Bilder von den Göttern machte, hat die Gottes-
furcht vernichtet und eine Quelle des Irrtums geschaffen.« Wir
sehen aus dem allen, daß Chamberlain bei den Semiten und Israeliten
die niederen Formen der Frömmigkeit in demselben Maße ui^er^
als er bei den übrigen Religionen darüber hinwegsieht So wird es
ihm allerdings leicht, die semitische Beligion als die minderwertigste
Ton allen erscheinen zu lassen.
Ebensowenig wie in seiner Auffassung Ton dem Bilderdienst
der Israeliten können wir Chamberlain in seiner Auffassung von dem
israelitiscfaeD Jahve in jeder Beziehung folgen. Zwar, daß dieser Jahve
im Gegensatz zu den arischen Gottheiten, die als im AU waltende
Mächte und Kräfte vorgestellt werden, sich als menschlich vorgestellte
Einzelpersönlichkeit über das All hinaushebt, wird von ihm ganz
richtig betont. Ob diese Voi-steUung als minderwertig anzusehen ist,
wird sich erst herausstellen können, wenn wir an Cbamberlains Reli-
gioDsideal die kritische Sonde legen. Daß ferner der willensstarke
Israelit in seinem Jahve die Verkcirperung eines überaus mächtigen,
kraftvollen, nicht selten sogar brutalen Willens gesehen hat ist eben-
falls nicht zu bestreiten. Aber eine bedeutende Einschränkung bedarf
Cbamberlains Behauptung, daß der willensstarke Israelit sich seinen
Oott geradezu als »Inkarnation der Willkür« vorgestellt habe.
Wenn er sich dafür namentlich auf das Gesetz beruft, das die hetero-
gensten und einander widersprechendsten Forderungen enthalte, so be-
ichtet er nicht, daß die im Gesetz jetzt nebeneinander stehenden Forde-
rangen aus den verschiedensten Zeiten stammen und daß die Tora in ihrer
Gesamtheit den Niederschlag eines vielhundertjährigenrcligionsgeschich^
lieben Prozesses und das Produkt der verschiedensten religiösen Ström-
ungen darstellt. Nur wer die Tora als eine Einheit auffaßt, kann sich über
die Bontscheckigkeit der darin enthaltenen Forderunp:en wundern und
daraus auf den willkürlichen Charakter Jahves 8cbliel)en. Das hieße
aber den Schein mit der Wirklichkeit verwechseln. Daß speziell die
kultischen Gebote auf uns vielfach den Eindruck des willkürlichen
machen, liegt daran, daß wir Modemen den Sinn vieler Verordnungen,
der in den religiösen YorsteJlungen einer uralten Zeit wurzelt, nicht
mehr ohne weiteres verstehen. Viel eher als auf die Tora kann sich
Chamberlain aber auf die Tatsache berufen, daß das Israel der ältesten
Zeit sich seinen JahTu wirklich vielfach als willkürlich und launen-
haft schaltend und wallend votgeetellt hat Aber neben dieser nie-
^) VeigL Oaooft Wibmwa, OMtnunelte Abhandtamgen rar lömischen BeligioDS-
ud StadtReMOiicfata. Mfindieii 1914. B. 280 ff. (BfimiMdie OfitterbUder.)
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216
Aufsätze
drigen Vorstellung, die deutlich in dem alten Matterboden der Nator-
religion, der Jahve namentlich als Wettergott galt, wurzelt, geht doch
schon früh (sicher schon seit der mosaischen Zeit) die andere einher,
die Jahvo als den Vertreter der Recbtsidee sehr energisch in An*
Spruch nimmt, ihn also ethisch bestimmt sein läßt. Damit war aber
för die Willkür Jahves von Tomherein eine sehr bedeutsame Schranke
gezogen. Gelegentlich findet sich die niedere mit der höheren Vor^
Stellung in sehr merkwürdiger Weise kombiniert, so e. B. in IL Sam.
Kap. 24. Jahve empfindet hier ein scheinbar ganz unmotiviertes Be-
dürfnis, sich einmal an David gründlich zn reiben. Da haben wir
also ganz den launenhaften, willkürlichen Jahve der Yolksreligioii.
Da er aber als sittlicher Gott, der er sein will, das nicht ohne einen
Anlaß seitens Davids tun darf, stiftet er den David zuvor zu einer
Tat (einer Volkszählung) an, die ein gottliches Eingreifen nach anti-
kem EmpGnden gerechtfertigt erscheinen Ififit. Es ist ein billiges
Vergnügen, sich über derartige Stellen lustig zu machen. Aber es
wfire verkehrt, auf Grand einer solchen Stelle ein Verdikt über die
Beligion Israels selbst zu föUen. Es hieße das den komplizierten
Charakter dieser Religion, wie wir ihn S. 126—128 dieser Zeitschrift,
geschildert haben, gröblich veikennen. Denn derartige Vorstellnngen
wie in II. Sam. 24 gehören durchaus der volkstümlichen Oberlieferung
an und atmen darum den Geist der alten Volksreligion. ^) Wir
müssen aber, um die eigentliche Seele der Beligion Israels zu spüren,
vor allem den prophetischen Strang dieser Beligion ins Auge
fassen. Innerhalb der prophetischen AnsprSgung der Beligion Is-
raels ist aber von einer Willkür Jahves nichts mehr zn spüren.
Jahve ist auch hier die Verkörperung eines mSchtigen Willens, aber
''dieser Wille hat hier den sittlichen Gedanken ergriffen und in sich
aufgenommen in einer Intensivität und mit einer Folgerichtigkeit,
wie es bis dahin noch nicht der Fall gewesen war. Jahve ist hier
die verkörperte Gerechtigkeit und Heiligkeit im höchsten ethischen
Sinne. Er trSgt das Sittengesetz in sich und könnte, ohne sein
eigenes Wesen zu verleugnen, von diesem Gesetze auch nicht einen
Fingerbreit abweichen. Sieht er sich doch um seines ethischen Cha-
rakters willen vor die harte Notwendigkeit gestellt, sein eigenes Volk
dem Gerichte der Vernichtung preiszugeben, weil es das göttliche
Sittengesetz hartnackig unter die Füße tritt Auf dieser Stufe der
Gotteserkenntnis — es ist die höchste, die nach unserem Urteil die
*) Mau beachte, wiu diese Geüoliichtc iu I. Cliroo. 21 vom Scaudpuiii^te einer
apileren Zeit umgemodelt ist
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Baehtsch: U. St Chamborlains Vorstellungen aber die Religion usw. 217
aatike "Welt überhaupt aufzuweisen hat — kann von Jahve als von
einer ^Inkarnation der Willküre schlechterdings nicht melir die Rede
sein. Gewiß würde ja nun dieser Jahve als Verkörperung^ des sitt-
lichen Gedankens bei Chamberlain rocht wenig Gnade finden, denn
was hat nach ihm Religion mit Sittlichkeit zu tun! Aber mag er ihn
deshalb von seinem Standpunkte aus immerliin einen idealisierten
Götzen schelten, als Inkarnation der Willkür ihn zu charakterisieren,
dazu hat er schlechterdiiif^-s kein Recht. Es rächt sich hier bei ihm
wieder, daß er die prophetische Religion Israels für die Gesamtbe-
urteilung der israelitischen Religion nicht zu ihrem gebührenden
Becbte kommen und in dieser Gesamtbeurteilung sich nur die Ein-
drücke auswirken liil5t. die ilim von der hallilioidnischen Volksreligion
und der vielfach engherzigeu und beschränkten i^hesteireligion her
zugekommen sind.
Aus diesem Grunde kann er auch einer solchen Erscheinung,
wie sie der israelitische Monotheismus bietet, unmöglich gerecht
^vorden.^) Zwar fehlt es auch in den auf diesen Monotheismus be-
züglichen Partien bei ihm nicht an sehr richtigen und feinen Be-
obachtungen. So zeigt er ein feines Verständnis für den Unterschied
zwischen dem israelitischen Monotheismus und dem monotheistischen
Gedanken, wie er sich innerhalb der arischen Keligioneu heraus-
gebildet hat Während in den arischen Religionen die eine Gottheit
hinter den einzelnen Göttern als ihren Teilerscheinungen stehe, habe
sich in Israel Jahve auf Kosten aller tibrigen Götter aus einem Yolks-
gotte zum alleinigen Gott emporgeschwungen. Eine gewisse Be-
rechtigung gegenüber einer gedankenlosen Überschätzung des israe-
litischen Monotheismus als solchen im Oegensatse ztt jeder poly-
theistischen Religionsform enthält auch seine Frage, was deiia die
Arithmetik mit Religion zu tun habe. Denn höher als die Frage
nach der Zahl der Götter steht bei der Abschätzung einer Religion
ohne Zweifel die Frage nach der Qualitüt der Gottheit. Wäre z. B.
der Jahve Israels wirklich die kümmerliche Gestalt^ für die Chamberlain
ihn ausgibt, so wäre dieser Jahve in seinem monotheistischen Auf-
putz allerdings eine wahre Karrikatur von einem Gott, die denkbar
Uksheriicbste Ausgeburt des jüdischen Größenwahns, als die Chamber-
liin ihn denn auch ganz folgerichtig in Anspruch nimmt.
Aber gerade diese kflmmerliohe, lediglich an der Yolksreligioii
1) Yeigl. zu diesem Abschnitt meine eiogehende AUiiiidluDg fiber »Eniatahang,
iit und Otediiohte dm isnwlitisoheii Monotheisimu« im FrotestantenUatt, 1904
Hr. 46-51, 1905 Nr. 1 o. folgende.
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218
Aufsätze
und der PrieBterreliipoii orientierte Auftoniig Ton Jahve ist der
Onmdfehlw in der ChamberlainsoheiL Argumentation, der ilim die
richtige Einsieht in das Wesen des israeJitiBohen MonotheismiiB eil
für aUemal yersperrt Wer die israeJitisohe Beligionsgescdiicfate in
ihrem innem Zusammenhange kennt, der weiß, daß dieser Jahfe,
der fflr das Bewußtsein der Israeliten nicht nur der mächtigste aller
Götter war, sondern der auch durch seine inneren, ethischen Quali-
tftten alle andern Götter überragte, von Tomherein darauf angelegt
war, der Gott der Götter und schließlich der alleinige Gott zu werden.
Es verstand sich unter solchen Umständen von selbst, daß hier der
monotheistische Gedanke auf einem ganz andern Wege zu stände
koDunen mußte, als in den polytheistischen arischen Religionen,
wo er nur durch Reduzierung der vielen Götter auf ein in ihnen
sich offenbarendes Göttliches gewonnen werden konnte. Auf diesem
letzten Wege sind auch die monotheistisöhen Ansätze innerhalb der
babylonischen und ägyptisdien Religion zu stände gekommen, was
uns, soweit die babylonische Religion in Betracht kommt, beweist^
daß dieser Weg eben auch für semitisches Denken, sofern ihm in
einer polytheistischen Religionsform dafür die Voraussetzung gegeben
war, gangbar geiiiesen ist, und daß es demnach nicht etwa statthaft
ist, den Gang, den die monotheistische Gedankenentwicklung in Israel
genommen hat, aus irgend welcher Armut oder gar Bomiertiieit
semitischen Denkens zu erklären. Ob jener andere Weg großartiger
nnd des menschlichen Geistes würdiger ist, ist eine Frage, die hier,
wo es sich um das Yerständnls historischer Notwendigkeiten handelt
gar nicht mit hineinspielen darf. Wir haben einfach zu konstatieren,
daß Israel diesen Weg nicht gehen konnte, weil es neben Jahve eben
keine gleichberechtigten Qütter in Israel gab, die mit ihm in ein
höheres Göttliches als ihren Generalnenner hätten aufgerechnet werden
können. Und Jahve etwa mit den Göttern der benachbarten Völker^
an deren Existenz ja das alte Israel durchaus glaubte, auf eine Stufe
zu stellen und diese Gottheiten dann alle als Erscheinungsforraeii
des einen GöttlichcMi zu betrachten,*) ging für Israel deshalb nicht
an, weil Jahve als ein in dem Korne seines Wesens ethischer Gott
nicht mit den ethisch indifferenten Naturgottlieiten auf eine Linie
gestellt werden konnte. Dieser ethische Jahve, der auf Erden nicht
seinesgleichen liatte, war eben für Israel die Verkörperung des Gött-
') Eioen bemerkenswerten Ansatz dazu macht der Prophet Maleaohi (1, 11).
Nach ihm dienen auch die Heidea unbewußt 4om oinea Ootte, den er allenUnf{B in
Jahve verkörpert sieht
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Bjlkxsch: H. St Cbamberlaius VorstellaDgen über die Beligion osw. 219
liehen selbst. Das erkennen heiJit zugleich die Intoleranz dieses Oottes
begreifen.
Mit dem eigentümlichen Wege, auf dem die monotheistische
Gedankenbildung in Israel zu stände kam, hängen nun aber weiter
einige eigentümliche Erscheinungen auf das engste zusammen, die
den Laien oder einen voreingenommenen Beobachter wie Chamberlain
leicht zu den ungünstigsten aber auch ungerechtesten Urteilen über
diesen Monotheismus veranlassen können und Chamberlain denn auch
in der Tat veranlaßt haben. Während nämlich innerhalb der poly-
theistischen Religionen der monotheistische Gedanke, sobald er nnr
einmal geahnt ist, auch gleich in ziemlicher Schärfe erfaßt und in
eine deutliche Formel gefaßt werden kann, vollzieht sich in Israel die
monotheistische Gedankenbildang notwendig auf dem Wege eines
sehr langT\'ierigen, oft gehemmten geschichtlichen Prozesses. Denn
Jihve hat hier nicht nur die anderen Götter, sondern gewissermaßen
loch sich selb&t zu überwinden. Die alteingewurzelte Yorstellung
von Jabve als dem Nationalgotte Israels hängt sich wie ein schweres
Bleigewicht hemmend an den emporstrebenden monottioisti sehen Ge-
danken und sucht ihn immer wieder in die nationale Beschränkung
zurückzuziehen. Das ist selbst bei den großen Propheten hin und
wieder der Fall. Denn auch sie haben es noch nicht recht fertig
gebracht, die Konsequenzen des monotheistischen Gedankens nach
allen Seiten hin zu ziehen. Zwar fehlt es bei ihnen keineswegs an
deodsofaan monotheistischen Bekenntnissen, aber sie setzen Jahve noch
immer in eine zn ausschließliche, wenn freilich anch durchaus sitt-
lich bedingte, also nicht unlösbare, Beziehung zn Israel und sehen
die Heiden nicht als gleichberechtigte Kinder des einen Gottes an.
Erst als im Exil die nationalen Schranken durch Aufhebung des
jodäischen Staates gefallen waren, kommt bei einem Manne wie
Deaterojesaias, dem daher auch Chamberlain alles Becht wider-
fahren lifit, der monotheistische Gedanke mit seinen vollen Kon-
sequenzen zum vollen Durchbruch. Deuterojesaias erwartet daß auch
die Heidenvölker sich zu dem wahren Gott bekehren und mit Israel
eines Heiles teilhaftig werden. Erst jetzt ist der israelitische Gottes-
glanbe von seiner nationalen Basis losgelöst und damit die Möglich-
keit zn einer Entwicklung der Beligion auf eine Stufe hin gegeben,
anf der nicht mehr Israel und Jahve, sondern Gott und Mensch
Gorrelata and. Dieser Höhepunkt ist auf alttestamentlichom Boden
in nachexilischer Zeit annähernd in den Proverbien und in denkbar
größter Vollendung im Buche Hieb erreicht, in dem nichts mehr an
die alte nationale Form der Beligion erinnert Das zeigt sioh yor
220
AvlBlise
allem schon darin, daß der vorbildlich fromme Hiob überhaupt nicht
als Israelit, sondern als ein Ausländer vorgestellt wird. Wertvolle
Zeugnisse dieses universalen Monotheismus haben wir außer in einer
ganzen Anzahl von Psalmen namentlich noch im Buche Buth und
Jona zu sehen.
Freilich darf nicht verschwiegen werden, daß gerade in nach-
exilischer Zeit, als die aus dem babylonischen Exil zurückgekehrten
Juden sich zu einer ebenso fest in sich geschlossenen wie nach aulicn
hin abgeschlossenen theokratischen Gemeinde konstituiert hatten, der
monotheistische Gedanke in gewissen Kreisen — aber, wie die eben
angeführten Beispiele zeigen, durchaus nicht allgemein — wieder
eine räumliche Beschränkung auf eben diese Gemeinde erfuhr. Üiis
nachexilische Priestergesetz, die Bücher Esra-Nehemia und die
Chronik lassen von wahrhaft monotheistischem Geiste im universalen
Sinne recht wenig merken. Darüber darf die öfter vorkommende
Bezeichnung Jahves als >Gott des Himmels,« zumal sie sich fast nur
in den Edikten des Perserkiiiiigs findet (!), zuweilen auch im ^lunde
des persischen Beamten Nehomia, nicht hinwegtauschen. Die Propheten
Haggai und Sacharja vertreten zwar einen gewissen universalen
Monotheismus, aber er zeigt sich durch einen reichlichen Einschlag
nationalen Dünkels und materialistisch-egoistischer Erwartungen so
entstellt, daß wir nur wenig Freude daran haben. Dasselbe gilt auch
von dem berühmten Kap. Jes. 60, das die Kirche zur Epistel-I^ktion
für das Epiphaniasfest bestimmt hat. Und so oft sich in nachex iiischer
Zeit gar politische Selbständigkeitsbestrebungen d. h. Bestrebungen
auf Wiederherstellung des alten national(>n Königtums geltend raachteu
— ich erinnere an die Zeit Serubbabels und vor allem an die
Makkabaerzeit — da wird der monotheistische Jahve geradezu wieder
zum alten Xationalgott, der die Ileidenvölker wie Töpfergeschirr zer-
schmeißt und dem Könige Israels die Königreiche der Welt zu seinen
Füßen legt (Ps. 2. und 110).
Man sieht: der israelitische Monotheismus ist eine überau«;
komplizierte Erscheinung, innerhalb deren verschiedene Richtungen
wohl zu unterscheiden und für sich zu würdigen sind. Dem, der diese
Richtungen kritiklos ineinanderschaut, ergibt sieh notwendig ein wahr-
haft schaudererregendes Zerrbild von einem Monotheisnms, der diesen
Namen in Wahrheit gar nicht verdient. Wer aber die Richtungen
auseinanderzuhalten versteht, der sieht in ihrem Widerstreit das
mächtige, unserer Bewunderung niciit unwerte, Ringen des wahrhaft
hohen monotheistischen Gedankens mit seinen nationalen und parti-
kularistischen Entstellungen. Der monotheistische Gedanke ist in diesem
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Babitrch: H. 8t Chamberlains VoxsteUaDgen über die Religion nsw. 221
Kampfe nicht untergegangen, im (Gegenteil, dieser Kampf hat nur dasn
beigetragen, ihn cur VoUendnng za bringen. Das Christentam hat
in seiner Gottesvorstellung an ihn angeknüpft und ihn in seiner
christlichen Vertiefung ond VeriDnerJiobang für alle Zeiten sicher-
gestellt Für das innerlich bankerott gewordene griechische und
rBmisohe Heidentum hat er, zumal in seinem helienistisohen Gewände,
das ihm die giiechisdie Übersetzung der Septuaginta verliehen, und
ia dem er noch viel abgeklfirter als im altteetamentlichen Urtext er-
scheuil^ gewirkt wie ein befruchtender Begen für lechzendes I^d.
Aach inneriialb des Judentums hat er fortgewirkt, wenn dort freilich
aacb die einseitig partikularistische Ausprfigung dieses Gedankens,
die den einen Gott in zu ausschliefiliohe Beziehung zu den Juden
setzt, die Oberhand behauptete, wofür zum guten Teil freilich der
Dmc^ und die Yerfolgungen, unter denen die Judensofaaft in der
Folge zu leiden hatten, die Verantwortung trägt Wie dem aber
auch sein möge, jedenfalls ist Chamberlain dem israelitischen Hono-
thäsmus nicht gerecht geworden, weil er ihn ans Mangel an histo-
lischem Verstündnis mit einem falschen Mafistabe gemessen hat
(SohlnA folgt).
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1. Kongeniale Geistesf&rsten
(Schiller u. W. v. Humboldt)
Yoti Dr. Susanaa Kabinstein
Die Geisteswelt des 18. bis ins erste Drittel des 19. Jahrhunderts
hinein, war von dem äußerst edlen Zug, nach dem Erkennen an sich,
nach dem Erforschen und Enträtseln, der den Weltprozeß und den Kiiltar-
prozeß durchdringenden Gesetze — rein um der Selbsterhebung willen —
beseelt Es war ein im Ästhetischen Sinne interesseloser und idealer
Eultofl. Heate ist ee anders, heute lenken die großen ErruDgeoschata
der NatnrwisBenschaft, den Fonofaertrieb auf Nutsbannaohnng der im
Kosmos verborgenen Kräfte. Das Losungswort und Schibolet des modttnen
Zeitgeistes ist: praktische Verwertung der physikaUechen Kräfte; sein
Symbol ist das, die Sphären durchsausende geflügelte Rad. Dixs Bildungs-
ziel jener stimmungsvoll gesammelten Zeit, war das Eindringen in das
anthropologische Reich, und die Mittel und Gesetze zur Erhebung der
Menschheit, über die Not und Niedrigkeit des realen Natura^ns, zu koo-
stitoieren. In dieser Bichtnng, in der Bichtnng der auf der Mepachhmt
interessierten Forschung, begegneten sieh swd Geister, auf die gegenseitig
die Reinheit ihres Wdlens eine besondere Affinitit übte; diese swei
Geister, die kaum oder nur von Vereinzelten zusammen genannt werden,
waren Schiller und der um 8 Jahre jüngere Wilhelm v. llumboldt.
Es war ein gemeinsamer erliabener Zug in den beiden Freunden, daß sie
über das meüschlich Begrenzte lünausdrangen, und in ihrem Denken und
Fühlen den Begriff der Menschheit, in der TotaUtlt seiner Entwioklungs-
Au^aben, eifafiten. Die hohe Stimmung ihres Yerkehis yerwirküchte
Humboldts Wort: »Das hOchste Ideal des Zusammenseins menschlicher
Wesen 'wäre mir dasjenige, das jeder nur aus sich selbst und um seiner
selbst willen sich entwickelte.« Der erste Teil dieses Ideals — das sich
aus sich selbst entwickelte — traf allerdings vielmehr auf Schiller — dem
weitaus selbständigem — zu. Diese Überlegenheit, die Humboldt unbe-
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1. JKongeiiiato OaBtMfüisten
223
diogt anerkannte, trat für ihn auch cntschiedeii in dem doppelten Wissens-
ffehiete hervor, der beide in Verbindung versetzte: in der Ethik und
Ästhetik. In diesem Ausschnitt bestand zwisclion ihnen eine starke CoTii-
cidenz, während im fil ripen die Magnetnadel dos (Joistos hei jedem nach
anderer Richtung hinwies: nach Dichtung und Metai)iiy8ik beim einen,
oadi ÜD^stik beim andern. Von Schiliers drei Freunden, die er sein
»kritisehes KleeUattc nannte: SQrner, Ooethe und Humboldt, stand ihm
der letzte am nächsten. Es mr nicht Uofi das glelobartige wissenschaft-
liche Interesse, es war auch eine lebhafte persönliche Sympathie, was sie
aneinander fesselte. Das Forsclien nach den Grundgesetzen des Sittlichen
und den Prinzipien des Schönen. fCilirto sie in ihrer theoretischen Bahn
zusammen, und die fein ziselierte Gefühlweise beider, wie ilir hoher
idealer Sinn, nährte die persönliche Zuneigung. Der positive Gewinn war
auf Hnmboldto Seite, er sog die Frflchte groß, die er auf Schillers Boden
pflügte. SchilleTB Gewinn war ein theoretiscdi rektiver; Humboldt yet-
half ihm seine eigenen Ideen sdineller und g^flcklicher zu entwickeln.
Er war durch seine hervorstechende Feinfühligkeit und durch seinen
kritischen Takt ungemein befähigt in den andern einzugehen und seine
Eisrenart zu assimilieren. Schiller rühmte an Humboldt, daß er sciiarf
unterscheide und vielseitig verbinde. Der Verkehr entfesselte in beiden
die innersten Tiefen. Schiller äußerte, daß sie sich dort verstanden, wo
flieh niemand Tenteht also in den snbjektiTsten und subtilsten Regionen,
fii war in den Jahren von Februar 1794 bis Juli 1795, wo sie sidi in
Jena im allabendlichen Verirahr durch t Geistesreibung elektrisiertent.
Dieses hochgestimmte Zusammensein hatte später noch eine Fortsetzimg
vrn November 179(3 bis April 1707. Noch im Jahre 1803 bezeiclmcte
Schiller diese Epochen als eine ewig unvergeßliche Zeit; und noch kurz
vor seinem Tode äußerte er, für ihr Einverständnis seien keine Jahre und
keine liäume gewesen. Humboldt fand, daß Schillers Persönlichkeit sich
am mlchtigsten und glinseodsten im Gespiache zeige und daB er in der
WiMsnschaftlichen Diskussion nicht leicht von einem andern erreicht werden
künae, ja daß er darin unvergleichlioh sei. Die sehr viel reichere und
bewegtere Triebkraft besaß natürlich Schiller. Humboldt bewundert und
sdiAtzto seine unabhängige Selbsttätigkeit hocli und erkannte mit großer
Verehrung seine dichterische wie metaphysische außergewöhnliche Be-
gebung. Humboldt mit seinen offenen, empfänglichen Sinn, strebte immer
fnBck das Weltpanorama nach allen seinen Kichtungen in sich aufzunehmen.
ÖMz besonders war aber sein Interesse auf das Heosohentnm gerichtet,
sad m dieeem Interaese mag auch der SprungqueU seines linguistischen
Arbeitens zu suchen sein. Schiller hingegen gab mch der angestrengtesten
Prrxluktivität hin, der in ihm wogende Ideengang, die mannigfach reich
gestaltende Phantasie, drängten ihn; das wogende Leben war wie ein be-
legter Strom in ihm, den er nicht stauen konnte, weil er sein ganzes
Sein fortriß. Die energische Kraft und der Reichtum von Schillers
ScfaOpfoDgsfähigkeit gehört zu den seltensten Olanzerscheinungen im
Menschentum. Das erkannte Humboldt sehr klar, und mit seinem welchen
und subtilen Anempfinden, drang er durch Schillere Pers5nlicfakeit in die
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224
MHtefluDgen
innerlichste AV(>rkstatt, in das geistige Laboratorium seines Ai neilens. In
den Vorerinueniugen zu Schillers Briefen, die Humboldt im Jalire 1830
herausgab, stellte er fest, daB Schillen »Diehtergenle auf das engste an
das Denken in allen HOhen und Tiefen geknflpft gewesen«. Ib* sah in
ihm den Meister des Lehrgedichtes und des idealen philosophischen Stils.
Und fand, daß er die Eänheit der Idee von Philosophie und Poesie ver-
körpern. Scliiller hingegen sprach seinem Freunde geniale Begabung ab;
Humboldt war für ihn, wie für den gemeinsamen Freund Kömcr, eine
>breite Fläche«. Diese Fläche war jedoch von einer außerordentlich fein
vibrierenden Rezeptivität, und daher konnte sich Humboldt leicht in jeder
fcemden Innerlichkeit orientiefen, iros der Nerr seiner loitisohen Begabung
war. Seine Kritik mhte auf intnitives Erfassen der persflnlichen Indivi-
dualitAt Es war etwas wie ein Zug weiblichen HeUsehens, übertragen
auf das intolloktnollc Orlaet. Aber auch dos zarte Zaudern, mit dem
Humboldt seine Kritik abgab, die Rücksicht auf das Selbstgefühl des
andern, die dem Urteil Schmelz aber auch Mattigkeit verlieh — hatte
etwas weibliches, und unterschied sich von der keruliaft schneidigen Kritik-
weise Körners. Humboldts feministische Verwandtschaft ging aus seiner
lebhaften EmpfindungssphAre hervor. Das Register der EmpfindungstOne
war bei ihm sehr reich, und da vibrierte und ritlerte es so nnansspreck-
lich und so wcchselvolif dafi daraus ein eigenartiges Yerbalten, imd oft
verschwebende Zustände von begrifflichw Unklarheit entstanden. Diese
sensitive Richtung in Humboldts Wesen war so stark entwickelt, wie sie
sein Freund Schiller bei seiner eigenen großen Besonnenheit nicht geahnt
zu haben scheint Da aber Scliiller die sensible Konstruktion seines
Freundes übersah, konnte er in ihm um so bestimmter den B^iiff der
Totalität verkörpcart sehen. Dieser Begriff in dem SohiUar den Ausgleich
von Denken und Ffihlen, von Vernunft und Sinnlidikeit snsammenfafite,
war seiner Vorliebe für die beseligende hellenische Eintracht entlehnt
Allei'dings kam Humboldt dieser harmonischen Friedlichkeit viel näher als
der gilronde, rastlos treibende Ijcbensgeist Schillers. Und der starke
Timbr seiner sinnlichen Empfindsamkeit war fast kein Hindernis für diesen
Vergleich. In der Harmonie der Griechen war auch die Sinnesempfindung
betont, nur war sie auf die Anschauung gerichtet, bei Humboldt mdndete
sie in das OemQt Die innere Eintracht bedingt aber auch die inners
»matte Flache«; die Totalittt« dieses hAchste Ziel der Kultur, nimmt sich
fthnlich aus, wie eine fortgesetzte Sabatfeier, wie das pensionierte Greisen-
tum. Es ist Schluß. Aus dieser feindlichen Windstille, erklärt sich
Humboldts Mangel an Schaffonsfähigkeit , doch mochte sie sehr seine
kritische Begabung fördern: denn zum sezieien. j>rüfen und verbinden,
mag die gelassene Stimmung, bei hoher Intelligeuz, sehr geeignet sein.
Nicht minder ergibt sich aus dieser ruhig Adlden Natur die Stfttigkeit
und die Treue, die Humboldt nachgerühmt wird. Dieses lautere Oleich-
gewicht war ihm von Jugraid auf eigen nnd blieb unverändert bis suletzl,
weshalb das Wort der Rahel: »Humboldt ist von keinem Alters als so
ti-effend galt. In seinen spRtern Loben steigen trat noch ein zweites Momeut
'AM soinem Qräcizismus hinzu, das auf den Bestand seines heitern Gleich*
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1. Kongeniale GeistesförBten
225
jnaßo«? einwirkte, dieses war, der sich in ihm konsolidierende feste Ud-
stcrblichkeitsglaube. llumholdt schHpfto den Glaubeu, an ein fx^rsönliches
Fortbestehen, aus der großen Macht der Liebe. Daß er sicli ans einem
gefühlsiouigen, psychischen Argument, den Schlüssel zuui metaphysischen
Bitsalrcich drehte, tragt ebeo&IlB einen weiblichen Zug an sich. Auch
in dieaer grofieo und dnoklen Wngd mst Schiller nnabhlogiger und reeo-
luter, der Tod war für ihn ein undurchdringbares Gesetz, das man mit
Fassung hiuzunehtnea habe. »Das Allgemeine ist kein Übel« — sa^e er
sterbend. Die innere Freiheit, die ihm — im Sinne Itants — das Funda-
ment der Sittlichkeit war, d. h. das Übergewicht der Vernunft über die
subjektive Empfindung, bewies er auch in seiner ganzen Lebensführung.
Leben und Lehre war für diesen hehren Priester eins. Allerdings lag es
iiidi in der üubenetnhlenden Fülle seiner Phantasie^ in dem wogenden
quellenden Beichtnm seiner Innenwelt, daB er sich mOhelcB »in den heitern
Kegionen, wo die reinen Formen wohnen« erhalten Iconnte. Cber Humboldts
Inneowesen ist ein leichter Hauch des Mystizismus, wie ein ätherischer
Silberschleier gebreitet; er besitzt eine Affinität zu allem, was erhebt und
ins Unendliche führt, und möchte von den Sternen, den Blumen, insbe-
sondere von den schaffenden Geistern, Empfindung und Genuß einsaugen.
Schiller aber steht, wie olympischer Heros, fest auf sich selbst, mit
«DeEgiscfaer Hand greift er in seinen innero Hord nnd teilt ans demselben
den Jahrhunderten Besitztflmer aa& Der Unterschied in ihren Beschaffen-
heiten, der produktive Begeistt'riir]f,^drang Schiliers und die rezeptive g^
nießende Empfänglichkeit Humboldts ist durch nachstehende eigene
lußenmgen auf das prägnanteste charakterisiert. Bei Gelegenheit wo
Schiller über den Plan einer Idylle redet, gilit or seine hoehgesi)annte
Stimmung in den Worten kund: »lauter Licht, lauter Freiheit, lauter Ver-
mögen, kein Schatten und keine Schranke« — wie ein von seiner
SohaABOskraft getragener Qott dnrchkreist er das Beich der ihm su Ge-
bote stehenden MCgMohkeit, nnd wie hoch diese göttliche SohOpferlust ihn
schwellt, das sagt der Zasatz, daß er um diese Aufgaben zu lösen, seine
>ganze Kraft und den ganzen ätherischen Teil seiner Natur noch auf ein-
mal zusammennehmen wolle«. Doch auch Humboldts unersättlicher rezeptive
Drang drückt seine hohe Natur aus, die durch ihren heiligen Dienst im
Tempel der Kultur die Schätze derselben der Menschheit näher bringt
Er schreibt an Schiller: »Der Mensch scheint doch einmal dazu da an
sein, allee, was ihn umgibt, in sein BigeDtum, in das Eigentum seines
Verstandes su Terwandeln — nnd das Leben ist Iran. loh möchte, wenn
ich gehen mnA, so wenig als möglich hinterlassen, das ich nicht mit mir
in fierübrong gesetzt hätte, c
In einem Punkte trafen aber die diverg-ierenden Geistosachsen innig zu-
sammen, das war im Idealismus und im hohen Kultus für das sittlich und
ästhetisch Geläuterte, in welchem auch die Aufgabe und das Ziel der
menschlieitlichen Vollendung liegt. Humboldt war nicht minder Idealist
wie sein Rrennd. Die Ideen waren ihm das Höchste in der Welt Dafi
er diese transzendentale Urtypen höher stellte als jede Verwirklicbnng,
buin sowohl als eine Platonische wie als eine Eantische Beeinflussung
ZMiiift ttr FUIoMpU« ttod FUiVog^ la. Jabigug. 15
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226
lütteiluiigea
gelten. Humboldt war tief ins Griechentum eingedrungen und mit Kants
Oeisteswelt wohl vertraut. War ihm in letzter Richtung Schiller sehr
Btark überlegen, so war er ihm dafür sehr zurück in der Kenntnis dei>
Uaadacliea Hellas. Schiller schitste sehr Hnmboldis KenntnisBe des
grieehiicheo Gdstes und fimd sieh dansh dieseLben lebhaft aageragt Dm
war fOr ihn ein positiver theoretischer Gewinn aus dem Verkehr. Aob
BeUaa schöpften und nährten sie den Sinn für das Element des Schöneo
im nllgomeinen, für den ethisch -ilstheti sehen Begriff des Einklangs, der
Harmonie von Denken und Fühlen, in seiner Anwendung auf iraraaneDte
Verhältnisse. Doch auf der Basis von Kants Lehrgebäude entwickelte
Schiller seine objektive Begründung des Sittlichen und des Schönen. Aus
Eants antoDomen Maohteprooh: »Bestimme dich aus dir selbsU — diesem
Orundaxiom des Sittlichen — deduzierte Schiller auch den objektiTeD onl
tiieoretischen Grand des Schönen. Schönheit ist Freiheit in der Encfafli-
nuDg; d. h. das schöne Objekt muß den Schein haben, als h&tte es aus
sich selbst die Teile zu seiner Charakteristik bestimmt. Sohin ist «las
Sittliche mit dem Schönen an seiner prinzipiellen \Vuizelfai;er identisch
verbunden. Die Probleme des Ethischen und Ästhetischen waren Haupt-
anregung in den Diskossionen der bdden Freunde. Und der Kompas der
damaligen Forsdierwelt wies konstant nsch der Richtung Jan, wo Yer>
einigung des Getrennten, Anslogie des Entgegengesetzten, zu sudieii ssL
Es schwirrte ein Streben in den hoben Denkerregionen, die natni'philo-
sopliisclio Gesetzeseinheit des empirisch Getrennten zu ergründen. In
Schellings Identitäts])hilnsnphie tmt dies als Bezogenheit auf das ganze
kosmische All hervor. Erlolgrcicher bewährte sich dieses Streben in ein-
zelnen Abteilungen des Denkerreichs. Allen voran gab Schillers vereinigende
Totalität diesem Problem die Wdhe eines scharfsinnigen Ideals. Auch
Humboldts Denken war von diesem Ftoblem impifigniert, und tou seinen
zwei berQhmteD, in Scfailleirs floren veEQffientlichten Abhaiidlungen, ist us-
besondere die erste: ȟber den Qeschlechtsunterschied und deren EinfloS
auf die organische Natur« — davon getragen. Die beiden Schillerschen
Grundbegriffe: Der Antagonismus und die Identität, sind die Bausteine
dieser Schrift. Erst entwickelt er darin den Gegensatz in der Charakte-
ristik der Geschlechter: Selbsttätigkeit ist die Signatur des männlicheo,
und Empfänglichkeit die des weiblichen Geschlechts — daianf wird pemllel
diesem Dualismus ein geistiger statuiert Auch im Intellskt bestäie ein
sweifiusher üntnsdiied. Und diese kOrperlicdis und geistige DupUzitit
überbriUdtt dieselbe Gesetzlichkeit zur Totalität. Aus diesem Fundamental-
gedanken spricht deutlich die Verwandtschaft mit Schillers I>ehrsatz: daß
parallel der Zweckmäßigkeit der Naturordnung, walte das Gesetz der
moralischen Weltordnung. Nachdem Humboldt mit duftig feinen Nuancen
und mit i-eiclieo Empiindungstöneu — wenngleich etwas zu weitschweifig
und etwas zerEIosBen — den Dualismus der GesoUediter in der Katar
durofagefOhrt hat, schildert er das Widerspiel desselben im Intellekt In
beiden von den nftmlichen Grundgesetzen behsctschten Gebieten ist die
Doppelgeschleohtlichkeit die Triebkraft des Lebens. Die geistige Schaffens-
kraft, die ^nen Abglanz der Schöpfungsmacht darstellt, ist das Qeoi&
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1. KoDgeoiale Qeiaieafüzsten
227
Das Genie ist die Potenz, welche geistige Gebilde in die Welt setzt. Das
formende Genie ist das Pendant zum ßelbsttiitip- männlichen Charakter,
das stoffliche Genie ist Repräsentant des empfindenden weiblichen Wesens.
Das Fornigenie wirkt freier durch Vorheri-schaft der Vernunft Das stoff-
liche Genie hingegen ist leioher durah die FUle der anfnehmenden sIdq-
liehen Eindrflcke und wkt. durah Übennacht der Phantasie. Die Beminis-
lensen an Schiller häufen sich hier auf Schritt und Tritt So mahnt die
Unterscheidung der dualistischen Genies, an den Menschen als »Person c
und den Menschen als »Zustand« in den ästhetischen Rriofen. Noch
markanter ist die Verwandtschaft von diesen zweifachen Genies mit Schillers
Entwicklung des naiven und sentinientaiischen Genies, in der unvergäng^-
lich gro&utigen Schrift über diese Dichtungsarten. Im Ausgangspunkt, im
Besnmö der Anaführaog, widertOnt der Tersöhnlicfae Gedanke Tom teleo-
iQgisehen Zusammenwirken des Entgegengesetsten. »Indem alles Mlan-
liche angestrengte Energie, alles Weibliche beharrliches Ausdauern besitzt,
bildet die unaufhörliche Wechselwirkung von beiden die unbeschränkte
Kraft der Natur.« Ähnliches offenbart die Produktionsgabe des Genies.
Jedes echte Kunstwerk ist die Frucht einer freien, auf sicii selbst ge-
gründeten Kraft, dennoch kann erst die Vereinigung von männlicher Ver-
nunft mit weiblicher Phantasie zugleich Tiefe und reizende Anmut ge-
Humboldts zweite in den Hören erschienene Abhandlung ist die »Uber
die männliche und weibliche Form«; somit ein analoges Motiv, Das
Problem der Geschlechter übte offenbar eine lebhafte Anziehung auf
Humboldts weiche und emitfängliche Natur aus. und er behandelte es
auch hier teilweise stimmungsvoll imd teilweise abstrakt Es war in ihm
noch ein Überschuß, ein Plus des auf die Menschheit gerichteten Inter-
esses, was sich diesem Problem zuwandte. In der jetzigen Schrift ist
SehiUem ISnfluA womöglich noch markanter, doch steht de auch unter
HdhM Palladium. Für beide Richtungen kann der nachfolgende Aus-
spruch von Schiller als verborgener Text der Durchführung gelten. >Dem
Griechen ist die Natur nie bloß Natur, danim darf er nicht erröten, sie
zu ehren; ihm ist die Vernunft niemals bloß Vernunft: darum darf er
nicht zittern, unter ihren Maßstab zu treten. Natur und Sittlichkeit,
Materie und Geist, Erde und Himmel fließen wunderbar schön in seinen
Dichtungen zusammen.« (Anmut und Wflrde.) Die YeipersOnlichung der
Ueen im Olymp ist Ausgangspunkt der EntwicUong; und ans ,diesem
AiMgang blinkt griediisofae wto Sdiillerisohe Anregung, denn er mahnt
staik an den sinnvoll mythischen Eingang zu »Anmut und Würde <, wie
an die glänzende Schilderung der Inno Ludovisi (15. Brief über ästhe-
tische Erziehung«). Dieses Volk, das »den verborgenen Charakter eines
Wesens in seiner noch imentfalteten Knospe zu pflücken und in dieser
Zartheit mit einer Gestalt zu umgeben« verstand, hat in der Venus daa
Ueal der Weibliohkeit in allen seinen Einzelheiten aur Dantallung ge-
biacht »Was unser dunUee GefQhl von der weihUchen Bildung erwartet,
finden wir in ihr am leichtesten wieder.« Hingegen ist in keiner mythi-
achen Gestalt ^in dieser Vollkommenheit das Ideal reiner MAnnüohkeit aus-
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228
Mitteilongen
geprägt. Darin liegt schon Humboldts resTimierender Gedanke von der
größern Eignung des Mannes zur pemislosen Menschheit vorgebaut. Die
b^te YerkörperuDg der Idee des Mannes ist der farnesische Herkules.
Bei der SehOnheit de« W^bes »wird mehr QtfBhl durah die freie nUle
des SloffeB und doieh liehUche Annrat der ZUge befriedigt«. "WUirad
»bei der SchOnhett des Mannee mehr der Verstand durch die Oberherr-
schaft der Form und durch die kiinstmäßige Bestimmtheit der Züge« in
Betracht kommt. Die Unterscheidung der beiden Arten von Schönheit ist
"von Blüten der hochgestimraten Schillerschen Schönheitslehre, wie man sie
aas »Anmut und Würde« und noch ausgereifter aus den ästhetischen
Briefen kennt — durchwirkt Insbesondere ist Schülers analytische Untere
eoohoog der eoeigiBciheii und Hchmeleenden SöhBuheit (16. — 83. Brief) tiel
beoetst Die üefBioiiige tranuendentale Foceohnng wbd aotfaxopokgisdi
gewendet, das Abstrakte wird vermenschlicht Und angeregt daven, dal
Schiller das Ziel beider Arten des Schönen in deren Vereinigung zum
Idealschönen erblickt, findet Humboldt, daß die Konsnramation beider Ge-
schlechter in eiuem geschlechtslosen Menschen der Höhepunkt des schöpfe-
rischen Hervorbringens wäre. Docli wie nach Schillers Elrraessen. ein
solches Gleichgewicht von Vernunft und Sinnlichkeit, eine solche harmo-
niBohe Weohaelwirkung von IVeiheit mid Notwendigkeit, wie eie dee Id«d-
•difine erfordert, nieoudB verwirklicht werden kann, ao kann nach Humboldt
dieser Ausgleich von Selbsttätigkeit nnd EmpfÜnglichkeit, welcher den
über alle Eigentümlichkeit der Oattimg stehenden geschlechtslosen Ideal-
menschen begründen würde, nur in der Einlnldnnjjskmft vorgestellt werden.
Dem Manne aber ist es durch seine innere Freiheit eher gestattet, sich
dem Ideal eines geschlechtslosen Menschen anzunähern, als dem Weibe;
dessen Charakter der Art nach zwar voUkommeuer als der des Mannes
ist^ dooh dem Qrade nach stehe er gegen diesen sarOok.
In dem feinsinnig abgetOnton, tiefdmpohdaohten, doch etwas unebnen
nnd weilsaihweifig auseinandergehenden Vortrag ist Hangel an plssljsnhff
PMgnanz, an organisch festem Bau, fühlbar.
Diese zweite Publikation der Hören ist noch reicher als die frflhere
von Schillers Gheistesblüten durchsetzt Doch aus ihrem Spiegelbild übten
einzelne Züge eine rückwirkende Belebung auf Schiller aus, und Besultate
dieser sind seine Gedichte »Würde der Frauen« und »Die Oeechleofater«.
An venohiedeDSQ Stellen derselben sind Humboldts BekinchtungSD kUcper-
haft sohfln ausmodeUktt So s. R »la der minnlidhen Gestalt ist Ob«^
gewicht der Knft ohankterisiert. Mit Schnelligkeit sehen wir sie daher
die Muskeln anspannen. Mit Heftigkeit sich aller hindernden Masse ent-
ledigen.« Und Schiller singt: »In der Männer Herrschgebiete gilt der
Stärke trotzig Recht« Weiter sagt Humboldt: »Die weibliche Form be-
2aubert zuerst die Sinne durch ihre Anmut« Da aber »die Fülle sion-
liofaflii Beiles nur Ausdruck zarter und feiner OeisUgkeit istc, so llisit
die sinnlidie Empfindung« in unentweihter Reinheit in die geistige fiber«.
Und dies gibt Schiller in der dichterischen ümbilduog. »Und in der
Grazie züchtigen Schleier, nfthren sie wachsam das ewige Feuer sohOMr
QefOhle mit heiliger Hand.«
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2. Baltaaar Oraoian nnd seine Philosophie
22^
Humboldt äußerte: es sei ihm »ein unbeschreibliches Gefühl gewesen,
Dinpe, über die er so oft gedacht und die mit seinem Wesen verwebt
seien, in einer so schönen and angemessenen Diktion ausgeprägt zu finden
2. Bftltagar Graoian und seine PliilOBophie^)
Von dem Leben Gracians ist nur wenig bekannt. Im Jahre 1C66
schrieb von ihm der Reisende Aarsens von Sommerdyck, als er den Qe-
Imlsort des Philosophen, Calata^md in AragonieD, anf Beiner WandeniDg
berflhite: »Ei ist ein SohrifisteUer unserer Zeit, welcher von den Spuiein
hochgeachtet wird. . . . Seneca und Tacitus haben in der Stilistik im Ter»
gleich Z11 ihm nichts verstanden, und wenn man von ersterem behaupten
kann, daß sein Stil ,Sand ohne Kalk' ist und von der geheimnisvollen
Schreibart des andern, daß sie mehr enthält, als sie ausdrückt, so kann
man vom Stile Gracians sagen: Seine Perioden sind so schlecht gebaut,
nod in seioen Worten liegt soviel Zurückhaltung, daß der Gedanke sich
dahinter verbirgt wie ein schledht gefoSter Diamant, dessen Licht und
GlaDz nnr halb zur Geltung kommt.«
Etwas mißtrauisch muß man sich gegen die unzulänglichen Behanp-
tongeu verhalten, welche der amerikanische Geschichtsschreiber Geor^
Tickuor über unseren Seliriftsteller aufstellt, in seiner »Geschichte der
schönen Literatur in Si>anien<' - ), wf^lche bis jetzt das umfangreicliste, leider
mit vielen Mängeln behaftete, liilismittel füi- das Studium der spanischen
liteiatnr des 16. und 17. Jahrhunderts ist Obgleich wir schon in Kail
Borinshys 9Baltha8ar Gradftn und die Hofliteratur in Deutschland«, Halle a/8.
1894, sowie in der Besprechung dieses Buches durch Artnro FarineUi in
der Zeitschrift für vergl. Literaturgeschiclite, Neue Folge IX S. 369 ff.
und in der Revista cn'tica de historia y litoiatnra esp., port. e hisp. am.,
Ma<Jrid, Enero de 189G, einen wesentlichen Fortschritt in der Forschung
der Fraf^e zu verzeichnen haben, so wäre doch zu wfinFchen, daß ein
Homauist dem Leben und den Werken des araguuischeu Jcäuiteu eine
gnmdlegende Arbeit widmen mOobte.')
Eine Zusammenstellung des geringen biographischen Materials, welches
bis jetzt über ihn Torhanden ist^ kOnnte nur wenig dazu beitcsgen, die-
') Entwurf zu oinetn Vortrag iui Neusprachlichen Verein Ilaniburg-Altona.
*) Deutsch mit Zusätzen herausgegeben von Nik. Ueinr. Julias. Leipzig,.
Bpockhans, 1862. 2 Bde.; mit Supplementband, bearb. von Ad. Wolf. Ebenda
1867. — 8. femer, als anderes Bebpiel der veisohiedenartigen Wertsdilltniig einer
mid desselben Schriftstellers, Mr. Graut Duff's Miscollanies (1S78)
*) 8f'lbst nach dem Erstheinou des Werkes: D. Narciso Josö de Lifian y
fleredia, Baltasar Gracinn (1601-1658). — Madrid, Asilo de huerfanos, 1902.
102 pags. y 8^ — bleibt obiger Wunsch bestehen, denn dieses Werk, welches
vcsan der mdiaiistvollen Bosehreibong des Lebens OraaÜns und der Analyse des
Gritioöiu nicht uaerwihnt bleiben darf, wUl nur ein Schritt anf dem Wege lom.
ZMsaem.
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280
Mitteilnogen
wesentlichen Zöge seiner Philosophie zu erklären. Wir wollen hier auch
nicht die sämtlichen Titel seiner einzelnen Werke aufzählen, die bei Ticknor
(wenn auch nicht vollßtändig und chronologisch richtig) mitgeteilt sind
Wir begnügen uns mit der Angabe^ daß von den alten Ausgaben eine
aoUechter als die andere ist und daß die einsige oeae aUgemeiii m-
gSngfidie (Büilioteca de Autoiee Espafloke de BivadeDeiyiB, tomo 65) im-
voUständig und schlecht geordnet ist. Yorübergehend sei erwähnt, dat
Schopenhauer die Agudeza y Arte de ingenio unter dem Titel »Baltasar
(Jraciäns Handorakel und Kunst der Weltkhigkoit«, Leipzig 1862 (4. Ausg.
1891), übersetzt hat und daß er in einem Briefe an Keil (1832) die Ab-
sicht ausgesproclien hat, auch »el Criticön« zu übersetzen, wenn er einen
Verleger dafflr finden kOonte, was leider nicht eintrat^)
Der Fall Qraoi&na ist in Spanien nidit sdten: dn Mitglied der
tatfadisehen Kirche und in dieser Kirche der Yertreter eukss OrdeoBf dor
orthodox par exoeiUenoe sein soll, gibt \ms das Beispiel einer solchn
Freiheit der Auslegung, einer solchen Unabhängigkeit des Urteils, daß man
es eher mit einem jener Heterodoxen zu tun zu haben glaubt, welche die
Inquisition auszuwandern nötigte, mit einem Luis Vives oder einem Juan
de Yaides, als mit dem Rektor eines Jesuitenkollegiums. Unter seiner
MOnöhskatte awdit man Tergebens eine kirchliche Seele: der Asketismos
hat den Skeptiiiamus eneugt; in dem Mafie ine der Körper sich vom
Stoffe befreit, bewegt sich der Geist freier und unabhängiger in dem
Beicfae der Spekulationen. Mit mehr Recht als La Rochefoucauld h&tte
Graciiin pagon knnnen: »Ich habe zwar Geist, aber einen Geist, welchen
die Schwermut verdirbt.« Man hat in Graciun im allgemeinen nur einen
Literaten, einen Conceptista sehen wollen, den Gesetzgeber einer Schule,
die man nicht mit der gongoristischen Schule der cultos verwechseln darf,
•wie es ninr in hSnfig gesHshieht Mancheemal bekimpfl er in seinem
Critiofo die Anhänfong fader Allegoiien, unerhörte Ifetapbem nnd Tcopen,
gekOnstelte Antithesen, nene und nngewohnt angewendete WOrter und
Phrasen, wie sie bei der Sohnle der onltos vorkommeiL In dieaer Polemik
liat er deutlich angegeben, was man unter KonzcptismtiP zu verstehen hat.
Der Konzeptismus besteht nach Graciun in der intellektuellen Vision des
harmonischen Zusammenhangs zwischen zwei oder drei Konzepten. (Agu-
deza, Diso. 11^.) Während also das Bestreben der cultos dahin ging, die
Wortkomplikaftion des Gedankena sn eneidien, besteht das der Koniep-
tistsn darin, dafi sie eine intellektuelle Yersinfaohung des Gedankens be-
absiohtigen. Sie versuchen immer, in möglichst wenig Worte einen mög-
lichst grofien Sinn einzuschließen. Man darf also nicht den Namen
GraciÄns mit demjenigen der Gesohmacksverderber jener Zeit verwechseln
und nicht die Schule der Konzeptisten mit derjenigen der Pröcieuses in
Frankreich, der Marinisten in Italien, der Euphuisten in England, noch
mit den schlesischen Schulen in Deutöchiand.
Betr. die deatschen Überaetzungen des 17. Jahih. sisiie Adam Sohaeider,
Spaniens Anteil an der dentiohen Utentar des Id. und 17. JahihnndeitB. StraS*
bugi.B. 1808. 8. 163 ft
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2. Baltasar Oracian and seine Philosophie
231
Aber Gracian hat überhaupt die Stilfrage mehr als eine Nebenfrage
und nicht als Endzweck betrachtet Sein Endzweck ist die Erklätung des
LelfCnsrätsoLs und die Verwirklichung des Glücksprobloms Was ist nun
(las LeU'U nach Gracian? Es würde zu weit führen, auch nur die
typischsten Gedanken hn Critic6n hier vollstfindig wiederzugeben, in denen
die peseimistisobe LebenaanffaBsang des Jemiteo in ihrer bewtiAten nnd
gefaßten Tnuirigkeit encheint Nnr ein paar der hervonteeliendaten aden
hier fibersetzt:
»Alles in diesem T^ben geschieht im Scheine, noch besser gesagt:
in der Einbildung; selbst das Wissen ist nur ein Phantom.« —
»Alle Sterblichen sind Seiltänzer, welche der Sicherheit df^s dünnen
Fadens eines zerbrechlichen Lebens auf Gnade und Ungnade anheimgegeben
sind: Die einen iUlen heute, die andern morgen. Anf dieeeoi Seile er^
riohten aie nm die Wette hohe Bauten nnd nngefaenre Luftsdüfiaeer,
welche ein Schlag des Schicksals umwerfen kann. Sie wundem sich Aber
die Kühnheit ihrer Nachbarn, welche sich auf ein festes Seil wagen und
vergessen dabei, daß sie s»^lbst in ihrer wahnsinnigen Hoffnung auf einem
seidenen Faden fußen oder sogar nur auf einem Haar, was noch zu viel
gesagt ist, vielmehr nur auf einem Spinnenfaden, aucii das ist noch zu viel
gesagt, vielmehr nur auf dem Lebensfaden, welcher dünnei als alle andern
llden istc —
>In dieser Welt geht alles Terkehrt Die Wahrheit wird verfolgt,
das Laster erhält Beifall; der Aufrichtigkeit wird der Hund versperrt, die
Vedenmdiuig hat hundert MAuler.c —
>Der Mensch stirbt, wann er anfangen sollte zu leben; unser Leben
ist nur ein langsames tägliches Dahinsterben.« —
tist diese Welt selbst etwas anderes als Wind? Nimm dem mensch-
üdien Körper die Luft, und du wirst sehen, was davon übrig bleibte —
»Das Elend des Heneoben macht sich aus seinem Elend eine
IVophle.« . . .
In Wirklichkeit ist dieser Pessimismus, so ausgeprägt und kategorisch
er anch sein mag, kaum etwas anderes als der alte Pessimismus der
christlichen Mystiker und kfmnte nicht als oiiginoll golttM), wt im er
nicht mit so starker Oberzeugimg und in so bündige Au^drucksweise
abgefaßt wäre und zwar woniger als streng geordnetes System, als
u zentreuten Sprachen. Was den Werken Graciins ihr eigentOmliches
OeprSge gibt, ist der Umstand, dafi er neben jener negativen Theorie sich
.bemüht hat, ein poeitivee Lehigebftude aufzurichten, um die zweite Haupt-
trage des menschlichen Daseins zu lösen: Zugegeben, daß das Leben
schlecht ist, wie soll man dann das Glück erreichen, die Grundbedingung
der Existenz? — Gracian hoixuügt sich nicht mit dem »Entbehren sollst
da, sollst entbehren!« der Stoiker. Er hat ein positives materielles Glück
nötig, und auf die Lösung des Glücksproblems richtet er die ganze Stärke
•emer intelkiktoeOen BemAhung. Der »malicia« der Welt setzt er die
»miliciac seines hfooe, seines poHtico, entgegen. Wir verzichten hier
darauf, auseinanderzusetzen, was in dieeem wahrhaft positiven Teile seines
Werine der VeiiMser seinen spanischen Yorlftufeim und den »trattatistic
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232
IGtteihingea
verdankt, jenen moralischen und politischen Schriftstellern Italiens, eines
Landes, das während des ganzen 16. Jahrhunderts die Lehrerin und Er-
ziehenn Europas geweseo ist Wir begnOgen uns vielinehr damit, in
einigen Worten die Sanptsflge seiner Lehren snsammenimfaeson;
Der Weise, el poUtico, wird nie vergessen, daß das Leben ein Kampf
ist. Dalier wappnet er sich gegen die Angriffe der Welt. Die Klnfrheit
und die Vorsicht sind seine Lioblingswaffen. Auch ein Gran Kühnheit
ist manchmal von großer Wirkung. Zeit und Raum beherrschen zu
können, warten zu können, ist die größte Kunst Die Grundbedingung,
um in djeser Kunst Heister su sdn, ist die »ospaddadc Wir mflssen
Kenntnisse fiber Kenntnisse sammeln. Mso kann nie zuviel wissen. Wer
am besten gerüstet ist, hat am mdsten Aussioht su geiwinnen. Daher
hat König Ferdinand (Ferd. Y., der Katholische, 1452—1516) neue König-
reiche zu erobern verstanden. Die wahre Kraft liorrt im Individuum; alle
menschlichen Erfolsro sind das Ergebnis individueller Kräfte: Der einzelne
Mensch, nicht die i^voWo Monge, ist Lenker des Schicksiils. Aber um Herr
über andere zu sein, muß man vorher Herr über sich selbst sein können.
Man mufi sidi verstellen kOnnen: Die Sanftheit der Taube mnfi beim h6a»
gemildert werden durch die Klugheit der Schlange. Etwas wissen und
sein Wissen zu seigen verstehen, heiAt doppelt gelehrt sein. Die Ver-
achtung ist manchmal eine feine Waffe auf dem Wege zum Ziele. Man
soll sieh jnonschlielipr Mittel bedienen, als ob es göttliche nicht gäbe.
Wenn man ater einmal zu einem göttlichen Mittel greift, so muß man
vergessen, daß es auch mensclilicho gibt. Zur rechten Zeit zu handeln,
für alles den geeigneten Zeitpunkt zu ti-effen, seine Ware an den Mann
SU bringen — auch die Wahrheit ist eine Msrktware: todo es meroanda
en el mundo, tambito hi verdad — bei allen Dingen gersde das Passende
SU treffen, alle Dinge im richtigen Augenblicke zu genießen: darin besteht
nach Gracian der Geschmack (el gusto). Der Geschmack ist demnach
eine Folge der Kultur und nicht eine angeVioreue Gabe. (El gusto y la
cultura estan en reciproca relaciön.) Der Gipfel des Geschmacks ist der
despejo, ein unübersetzbares Wort, welches dem »je ne sais quoi« der
Ästhetiker eutspiicht, über dessen Ergründung man schon soviel Sdiwin
auf Weiß gesetzt hat. Sobald el despejo existiert, ist die Seele schOn
geworden, hat sie ihre volle Entwicklung erreicht Der hto» ist des
Fußgestells wfbrdig, auf den ihn die Fama stellen will, und er kann dieses
Leben verachten; denn er hat allen Saft daraus gesogen, und von nun an
kann ihn nichts Wtkrdigeres mehr hienieden festhalten. Er ist reif ffir
das Eniinroum. Camille PitoUet,
Hamburg, 1904 Agrege de l'üniversite de France
8. Zu dem Streit KonfesBionsBoliiile oder SinraltMi-
Boliiile
Professor Th. Ziegler in Straßburg schließt das Vorwort zu seiner
Schrift über die Simnltanschule mit dem doppelten Schlachtruf: Los von
Bom; los von Witteobeigl Wohin aber der W^ dann gehen soll, daiaui
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3. Zo dem Streit Eonleeaionaeohale oder Sunnltanachule
233
eriudten wir keine Aotwoil Hur das Mittel wird empfohlen: Eiiiriditimp
von SimoltaDSchuleo. Eine wunderbare Selbsttäuschung aber ist es, wenn
man glaubt, durch die Simultan schule los von Rom und los von Witten-
berg zu kommen. Äußerlich ja. Der katholische Priester nimmt den
katholischen ReligioDsunterricht, der evangelische Geistliche den seinen.
Die Sohule ist beide los; aber nur adiaiiibar. Denn die Lefaier bkiben.
Und diese Bind teSlB kstholieoh, tesle eTangeliaoh. Oder sollen duofaweff
Joden Schule halten? Dann wären wir Rom und Wittenberg loa; aber
Moria mit dem Tempel Salomos hätten wir dafOr eingetauscht Oder
sollen die Lehrer in ilirer reliLrinsen Wellanschauung durch das simultane
Lehrerseminar so indifferent gemacht worden, daü auch niclit durch die
kleinste Hitze ihi-es Unterrichts der leiseste Luftzug ein(»s religiösen Stand-
punkUj durci» wehen dürfte? Ja, so objektiv sollen sie sein, solche Frosch-
JMtoieD, solche Phonographen, die nur herplapperu, was in sie hinein-
gebracht worden ist den Kindemi die in solcher ObjektiTitat er-
frieren — und wehe den Lehrern, die vor lanter RQckfiditnahme kein
kritftiges Wort sprechen dürfen.
Und trotzdem. Das Wort Siraiütanscfanle hat ffir Tiele etwaa gerade-
za faszinierendes. Wanun wohl?
Ihr Oegensatz, die Konfessionsschule, hat dies vci-schuldet, Sie hat
es gründlich verstanden, sich unbeliebt zu machen — die oiihodoxistischeD
Kidse ausgeDommen, in denen sie geliebt wird. Ihr dogmatischer BeligioDB-
mtemdit, das beste Mittel, um Kindern die Beligioo anssntreiben, ane
geradezu mephistophelische Erfindung, wirkt so abstoßend, dafi man dieses
fach gern preisgibt, wenn auch auf Kosten des Charakters der Schule.
Dur mittelalterlicher Standpunkt, der die jpeistliche Schuiaufsicht mit l>e-
▼undemswürdigcr Stairheit festhält und die Entwicklung der Schule im
19. Jahrhundert vollständig übersieht, treibt jetzt auch ixjsitiv kirchlich
gerichtete Leute von ihr weg. Ihre engherzige Auf&usung in Bezug auf die
Lehreriuldang, ihr Bestreben, am alten Lehrplan nicht au rfittsln, und
msnches andere hat ihr Fdnde Aber Heinde angesogen. Der Name »Kon-
intionsschule« genflgt heute, um bei nicht wenigen geradezu Abscheu her-
vomnifen, weil man mit ihm alles Rückständige und Bescluftnkte, alles
Unpädagogische, Widersinnic^e und ftottvcrlrv^sene verbindet.
Es kommt hinzu, daü starke politisciie Parteien mit aller Leiden-
schaft sich für die Konfessionsschule ins Zeug werfen, das Zentrum und
die Hochkonservativen. Grund genug für die liberale Gegnerschaftf da-
gegen snfsutreten, nm ihnen diese Waffe, diesen Stützpunkt ihrer Welt-
anscfaammg und ihrer Herrschaft ans der Hand su winden. Deshalb ihr
lehbaftes Eintreten ffir die Simidtanschule. Sie soll in der Hand des
Staates das wirksame Mittel werden zur Breciumg der finsteren Milchte,
zur Hebung der Bildung, zur Verwirkliclniiif: echter Toleranz, zur Ein-
leitung wahren Fortschritts, zur Abschw&chung der konfessioneiiea Gegen-
Bätze im Volke.
So stehen sich zwei Auffassungen aufa sohlrfete gegenüber. IKe erste
aeUiefit so: Keine Erziehung ohne Religion; keine Religion ohne Konfession.
Die Pflege der letaleren ist Aniigabe der Kirche. Darum muB dieaslbe in
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234
liitWlQDgen
organischer Yerbindung mit der Schule stehen, und zwar 1. iu Bezug auf
die Leitung des Religionsunterrichts nach Ziel und Umfang, Methode und
Lehimittel; 2. in Bexng auf^die Inspektion liber den ünterricht und das
Leben der Schule. Die sweite Auffassung steht der eisten diametnl gegen-
über: Die Schule gehört dem Staate und nicht der Eirche. Sie ist des-
halb nach staatlichen Bedürfnissen einzurichten, nicht nach kirchlichen.
Ersterc verlangen eine einzige nationale Schule. Da aber das Volk kon-
fessionell gespalten ist, muß auch die Schule da, wo es sich um Religion
handelt, konfessionell geteilt sein. Sie ist ein Sjiiegelbild unsres nationaleo
Lebens und leidet deshalb an denselben Mängeln und Fehlern.
Es gilt SU den beiden Auffassungen Stellung zu nehoMD, und svar
Tom pidagogiaohen, nicht Tom politischen Standort aus. Lsliterer verwint
die Angelegenheit und schiebt sie auf falsche Geleise. Der ersten Auf*
fassung folgen wir nur im ersten Satz: Keine Erziehung ohne Religion;
keine Religion ohne Konfession. Die woiteron Folgerungen lehnen wir ab.
Dem zweiten Staudpiuikt geben wir ebenfalls recht nur in Bezug auf den
ersten Satz: Die Schule gehOrt dem Staat und nicht der Kirche. Die
weiteren Folgerungen weisen vir hier eben&lls znrQck.
Wie aber haben wir uns eine Yerbindung der beiden Fundamentsl-
sflftae zu denken? Dem Staat gehOrt die Schule. Das heißt aber nicht: Der
Staat hat als Sehulherr mit alleiniger Macht den Charakter der Schule zu
bestimmen. Das kann er nicht und darf er nicht, ohne den wichtigsten
Faktor im Erziehungsleben zu vergewaltigen. Das sind die Familien, die
im Schidvorstand der Gemeinde ihre Vertretung besitzen. Wenn auf Ge-
wissensfreiheit Wert gelegt wird — und wer wollte heute sie gering achten? —
muA die Entscheidung über den Charakter der Schule dem Hanpttnteressenten
der Erziehung flberiassen, d. h. den Eamilien und ihren Vertretungen in
den (Gemeinden. Geschieht das nicht, so verfallen wir der Vergewaltigung,
entweder, daß wir die Konfessionsschule oder die Simultanschule swaag»-
weise einführen wollen. Beides ist eines Kulturvolkes unwünlig. Einzig
und allein der Grundsatz: Laßt die Familien über den Charakter ilirer
Schulen entscheiden, gibt Freiheit und Frieden. Wenn sie in gemischten
Gegenden sich fQr die Simultan schulen entscheiden, gut, so gebt bie ihnen.
Wo sie fOr die religiflse Ei^hdtsschule eintreten, soll sie ihnen nidit vor-
enthalten werden. Letztere ist und bleibt das Sohulideal — das ist für
jeden tiefer blickenden Evangelischen unbestreitbar. Sie braucht nichts
von der Engherzigkeit eines erstarrenden Eonfessionalismus zu wissen,
nichts von Intoleranz gegen Andersgläubige, nichts von Überhebung; sie
soll durchaus Staatsschule sein, ohne kirchliche Aufsicht und Bevormun-
dung — aber sie muß allerdings fest verankert sein in dem Geiste echt
evangelischer Freiheit und Wahrheit. — Eine solche Schule, die wir
nicht als Konfessionsschule bezeichnen mOchten, sondern als pädagogische
Einheitsschule, steht wdt über der Simultanschule, die keine Notwendig-
keit ist, sondern nur ein Notbehelf, die die kirchlichen Qegeasitie nioht
aus der Welt zu sobaffsn, sondern in unseren Zeiten eher zu versohlrfen
vermag.
Erst dann kann sie zum Ideal werden, wenn FMtestanten und Katho-
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4. Zar BebaDdlnog von Oediohton in nnfleren Scholen
235
liken einen gemeinsamen Keligionsuntemcht ertragen gelernt haben; wenn
die konfessionellen Gegensätze unter den Erwachsenen soweit überwunden
sind, daß hoide Konfessionen ihre Jugend einer Schule anvertrauen, in der
ein gemeinsamer biblischer Religionsunterricht die Grundlagen für die
diuiBtliche WeltaDschauang legen darf. Aber wann werden diese Zeiten
kommen? Wenn anoh auf evangeliaciier Seite die Hand bereit ist zum
Bund — an! der katholiechen regt doli mehr als je Unduldsamkeit
nnd Feindschaft gegen das lutherische Ketzertum. Man denke an das Auf-
treten des Metzer Bischofs. In solchen Zeiten wird die paritätische Schule
nur zu leicht eine Städte der Verbitterung und des Kamj>fcs oder der
Unterdrückung des schwächeren Teiles, wie man es in den Simultanschulen
Österreichs erlebt hat. Warum lernen die begeisterten Lobredner der
paritätischen Schule unter den Protestanten nicht von solchem Beispiel?
Waram treten sie nicht lieber fOr die Entwicklung onseree evangelisdien
SdinlweeeuB in Mera, eeht protestantiBohen Geiste ein, so daS es immer
mehr Anziehungskraft auf die katholischen Familien ansQbt? Auf dieser
Linie sehen wir den Fortschritt für unser Volk — von dor paritätischen
Schule können wir solche Früchte nicht erwarten. Aber trotzdem liegt es
uns fem, sie zu unterdrücken, ihrer Ausbreitung; Hindernisse in den Weg
ZU legen, wo die Gemeinden sie aus schultechnischen oder finanziellen
Qrfinden haben wollen.
JSfvat dagegen wenden wir nns, daft wir die Simnltansohnle als Schnl-
idesl ansehen und für sie eintreten sollen. Dagegen strftnbt sich unser
pädagogisches Gewissen, das die Einheitsschule, einheitlich im Geist luid in
der Wahrlirit, fordert; das sich dagegen auflehnt, daß man die Schule mit
simultaner Einrichtung als ein Kampfmittel gegen rückschrittlichen Konser-
vatismus im katholischen wie im evangelischen Lager benutzen will.
Lafit der Schule ihren Frieden und der Jugend üir Paradies! Besinnt
euch, ihr pdilMien Fsrleien, auf die Foiderungen echter Freiheit ond
wahrer Duldsamkeit. Gebet den Eltern was ihnen gebflhrt, und wollt
nicht Wohltaten zwangsweise anfdifogen, die ihnen zuwider sind!
4. Zur Bebandltmg von Gadiohten in unBeren Sohnlen
Herr J. F. Lichtenberger, Lehrer in Neuderben bei Ftoey an der
Elbe, berichtete im »BtksheEfreondc (1904, Nr. 9) Ober eine Rezitstion, die
ntnlein Holgers-Berlin gehalten hatte. In diesem Bericht heiAt es:
»Völlige Klarheit in dieser Frage (Kunst und Erziehung) ist mir aber
eist durch Maria Holgers geworden. Sie hat mich die gewaltige Wir-
kung der Kunst auf den Menschen, den reinen veredelnden Einfhiß onip-
hnden lassen. Wie auch Kinder dafür cmi»f;inplich sind, das Aveiß jeder,
der es schon einmal der Mühe für wert gehalten hat, Kinder daraufhin
ZQ beobachten. Und es ist eine der grOßten Sünden der Pftdagogik, wenn
sie den veredelnden, eihebenden SinflnA der Knnst auf die Bonderseelen
nfadit ansnntzt oder ihn doroh versfeBodesmäfiiges »Zerpflücken« beein-
tMohtigt oder gsr zerstört.
Jena
W. Rein
236
Mitteilaogen
Zum Schluß miLß ich noch eine Klärung erwähnen, die ich Maria
Holgers verdanke und die wohl, nach dem Vorhergegangenen, niemand
erwarten wird: trotz alledem und alledem ist doch eine » Besprechungc
des Stoffes möglich, die dem fiindruck des Kunstwerks keinen Ab-
brooli tat.
lian hOre: als das Progninm des Abends beendet wtat, tnt die
Kttostlerin noch einmal vor. Daß nodi etwas Besonderes kommen mflsäe,
seigte ihre ganze Erscheinung: es war unvergleichlich, wie Jondlitdie Un-
befan<Tciilieit. wie sie nur der Kunstler sich bewahren kann, und zarte,
echt weibliche Bcfanpronheit sich vereinten. Und dann bat sie mit kurzen
Woiten, ül>er den frr.hlichen Darbietungen, die den Schluß gebildet hatten,
doch auch das Ernste nicht zu vergessen. Sie wies namentlich auf »die
beiden Taaben« und »Fremd und Feinde von Targen jeff hin und madite
auf die ethischen Qmndsilge nnd ihre Bedeotang ffir nnaer Leben auf-
merksam. Sie gab also, wenn man will: Zasaauneofttsong und Anwen-
dung der Herbartschen Formalstufen.
Man mag dies Verhalten künstlerisch und auch mensclilich für bedenk-
lich, ja für geschmacklos erklären — aber wer's nicht miterlebt hat, der
kann nicht darüber urteilen; denn es kommt dabei weniger auf das »Was«
als auf das »Wie« an. Wie es Maria Holgers tat, war es groß und
gut, nnfibertielßidL Und der BeiM, der duaiif folgte, schien mir der
herzlichste und tiefete. FQr die KQnsUeiin muA er der WertvoDsle ge-
wesen sein; denn er galt nicht nur ihrer Kunst, sondern auch dem grofiem
und gaten Meeschen in ihr.
In jenen Augenblicken ist mir klar gewoiden, daß auch in der Schule
eine solche »Behandlung« ])oetiseher Stoffe möglich ist, ohne den künstle-
rischen Eindruck abzuschwächen. Sie ist sogar wünschenswert. Aber
nicht jeder kann es. Nur der Lehrer mit feinem künstlerischem Empfinden
wird es vennOgen; jeder andere lasse die Finger davon.c
5. Beiträge snr Weiterentwicklimg der ohiisttioben
Religion
Llhalt: 1. Wesen und Ursprung der Keligion, ihre Wurzeln und deren Entfaltung
von Prof. Dr. L. von Schroeder, "Wien. 2. Das Alte Testament im Licht der
modernon Forschung von Prof. D. H. Gunkel, Berlin. 3. Evangeliuni und Ur-
chribteotuni (Das Neue Testament im IJcbt der historischen Forschung von Prof.
D. JL Deifimann, Heidelbng. 4. fleilsglaabe und Dogma von Frol D. Dr. L. Dnnar,
KSnigsbeig. 5. Religion nnd Sittliohkait m Prot D. Dr. W. Hemnann, llarimiir.
6. Christentnm nnd Germanen von Sup. D. F. Meyer, Zwickau. 7. "Wissenschaft
und Keligion von Prof. D. Dr. R. Eucken, Jena. 8. Religion und Schule von Prof.
D. Dr. "\V. Rein, Jona. 9. Die pcmcinschaftsbildende Kraft der Religion von Lic.
ü. Traub, Doilrauud. ]ü. Das W esen des Christentums von Prof. Lic. Dr. Ü.
Wdbbermin, Beilin. 35 Bogen gr. 8^. Pros geheftet 6 K, sohSn geb. 6 IL
Mfinohen, J. F. Lehmanns Tellig.
Das Ringen nach einer dem Denken und Empfiodea gleicfaermaßen
gerecht werdenden Weltanschauung ist ein unverkeDsbans und hoobhedevt-
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5. Beitrige sor WaateveiitwMUiing der ehiiatlidiAii BeUgton
287
sameB Morfanal der Oegenwart Auf alles GeMeteD der Kultur haben d»
foraohmigeD und ErCnlinnigeD derKeoseit omgestalteDd gewirkt; sollte da
nicht auch anf dem Gebiete der BeügioD das Gesetz der »EDtwicUungc
getten?
Der Weg von Abraham zu Jesaias, von Thomas von Aquin zu Kant
beweist, daß die religiöse Weiterentwicklung im alten Testament wie im
Hittelalter und in der Neuzeit stetig bestanden hat und weiter besteht.
Nicht immer freilich hat die Menschheit den führendeD Geistern willig
Oefdgaehalt geleistet; sie ist anch su manehen Zeiten auf lange und breite
Abwege geraten. — Dal also die chiistHcfae Religion etwa mit dem Jahre
1904 die Höhe ihrer Vollendung erreicht uud nunmehr für alle Zeiten
xmd für alle Völker in einer bestimmten Form als ausschließlich wahr und
unanfechtbar zu gelten habe, wird im Ernste kein denkender Mensch be-
haupten wollen. Ebenso falsch wäre es andrerseits, den Ewigkeitswert
gewisser Wahrheiten des Christentums in Abrede zu stellen. — In dem
immerwährenden Yorwartatrebea, in dem nnennfldliohen Suchen nach
Wihriieit und Erkenntnis mflssen wir unsere Aufgabe erUioken« Das
▼or ürstairung«
»Das Werdende, das ewig wiikt und lebt,
ümfaft' eaoh mit der Liebe holden Schranken,
Und was in schwankender Erscheinung schwebt.
Befestiget mit dauernden Gedanken!«
Diese herrlichen Ooothe sehen Worte scheinen das Tjeitmotiv für alle
zehn Mitarbeiter der vorliegenden Beiträge zur Weitt'rentwicklung der
christlichen Religion« gewesen zu sein. Niclit bloß niederzureißen, son-
dern auch aufzubauen, hat sich jeder einzelne Bearbeiter obiger Ab-
handlungen snr Pflicht gemacht und gerade in dieser poeitiTen Tendens
liegt der hohe Wert des vorliegeoden Buches gegenfiber so vielen andern
BAohem, die sich auch mit diesen brennenden Fragen der Gegenwart be-
&Nen. Wer kein Neuling auf diesem Boden ist, »der Suchende«, wird
mit großer Freude wahrnehmen, daß sioli hier Namen ron bestem Klang
vereinigt haben, um »zur Weiterentwicklung der christlichen Religion bei-
zutragen«. Leider verbietet es der Raum auf die einzelnen Abhandlungen
besonders einzugehen. Die Nennung der Mitarbeiter imd der einzelnen
▼on ihnen Terfkfiten Abhandiuogen wird aber genügen, um das Interssse
unserer Loser in hohem Ifafie waohsurufeo. Der eine wird sich mehr
diuch diese, der andere durch jene Abhandlung zu dem Work liingozogen
Millen, soviel aber glauben wir voraussagen zu dürfen: niemand wird das
Buch aus der Hand legen ohne eine Fülle von schätzenswerten Anregungen
in sich aufgenommen zu haben. Die Wirkung dos Buches wird also dem
Oeist entsprechen, in dem es geschrieen ist, es regt dazu an, das Er-
fctschliche zu erforschen und das Unerforschliche ruhig zu verehren.
MSge das ▼ortrefflichö Buch viele Leser finden und so in recht weiten
Krisen dem Geist einer erneuten Reformation, deren Bauschen immer
vflvnehfflbarer wird, den Weg bereiten helfen.
Digilized^y Google
238
UitteiliiiigSD.
6. Über das engUaolie Sclmlweseii
berichtet Professor Dr. Wilh. Dorn in der Beilage sum Jahresbericht der
Oberrealschule in Heidelberg, 1903/04. Da dieser Bericht auf mehr-
jähriger Erfahrung in England und auf verständigem pädagogischem Urteil
beruht, empfehlen wir ihn aufmerksamer Lektüre. Dieser Hinweis wird
um so willkommener sein, je mehr in Deutseliland das Interesse fQr die
Schulen des Auslandes wächst und je mehr wir uns anschicken, eio-
dringende Vergleiche zwiBohen imsereD und fremdeD Schulen anioBtellen,
sowohl nach der Seite der Organisation wie des inneren Betriebes hin.
Es ist eine erfreuliche Tatsache, daß die Zahl der Deutschen wächst,
die im Auslcmd zu beobachten und zu lernen suchen, um die Ergebnisse
dem heimischen Bildungswesen zugute kommen zu lassen. Yor allem sei
auf die beherzigenswerte Schlußbetiachtung des Henn Prot Dorn mit
allem Nachdruck hingewiesen. W. B.
7. Bio >P&dagogi8Glie Gesellsoliaft«»
btt Gelegenheit der Jenaer Ferienkurse im August 1901 von Prof. D. Dr.
Zimmer- Zehlendorf und Prof. Litt. D. Dr. Hein -Jena ins Leben gerofeiit
hat sich als Ziel die theoretische und praktische Fortbildung der Erziehung
gesteckt. Sie darf nicht in den Dienst einer einzelnen pädagogischen,
politischen, sozialen, religiösen oder sonstigen Richtung treten; sie bewahrt
sich den freien, weitblickenden Standpunkt Ihr gehören daher auch schon
jetst angesehene Qelshrte und Sohidmlnner vetsdiiedener Bidttmigea an.
Im ganten ifthlt die Pid. Gea. Ins jetit gegen 1800 Mitglieder.
Als erste Aufgabe hat sie doh vorgenommen, aus der Anzahl der
erschienenen Schriften fQr Schule und Erziehung diejenigen zusammen-
zustellen und knapp zu charakterisiereni die suTerlflssig, branchbar and
wissenschaftlich unanfechtbar sind.
Bisher erschienen zwei Hefte: Verzeichnis von empfehlenswerten Schriften
für den evangelischen Religionsunterricht von Dr. Meitzer-
Zwidna (3. Anfl. in Yorberaitnng) und für den deutschen Unterricht
von Dr. Matthias*Zwlckaa. In Yorbersitang befindet sich: Yeneiehms
▼on empfehlenswerten Schriften fQr den Geschichtsunterricht
Es ist für jedes Jahr ein Heft in Aussicht genommen; von Zeit su
Zeit werden Nachtrüge herausgegeben.
Der Jahresbeitrag beträgt 1 M. DafQr erhält jedes Mitglied die
Drucksachen der Gesellschaft zugeschickt.
Schließen sich Vereine oder größere Kollegien der Fftd. Oes. an,
80 ennilBigt sich der Jahresbeitrag je nach der Zahl der hüuntieleiidea
Penonen für die Person auf etwa 40 bis 60 Pf. Anmeldungen nimmt
der SchriftfQhrer, Rektor Winzer in Jena, sntg^gen. Dieser ist niusii
SU jeder weiteren Auskunft gern bereit
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8. Lehrer-Seminar uod üuiveisit&t — 9. Coedukation
239
8. Lehrer-Seminar nnd Universität
Professor Friedrich Paulsen - Berlin schreibt im Augustheft der
»Deutschen Schulec : »Auf der einen Seite entwickelt sich die Seminar-
bildung in der Richtung, daß sie für ein nachfolgendcR üniversitätsstiidiiira
immer mehr eine ausreichende Vorbildung gibt. Dpp Kursus der nach
dem jüngsten preußischen Seminarplan vom Jalire 1901 eingerichteteu Au-
BteHen zeigt in dieser Abeiobt dnen grofien, ja erataiinlioheii Fortsobritt . . . ^
nun darf wohl sagen, der Absolvent des neuen, secbsjAhrigen Seminar-
knrsus wird im ganzen eine gleichwertige, wenn auch andersartige Ans-
bildiing mitbringen als der Absolvent einer neunklassigen höheren Schule^
dem nnd jenem Minus steht auch mehr als ein Plus gegenüber . . . Und
von der andern Seite kommt die Universität entgegen, vor allem ist sie
im Begriff, den exklusiven Charakter, den ihr früher die bei der Immatri-
kulation geforderte Kenntnis dor beiden alten Sprachen gab, abzulegen.
Nimmt sie Obenealsohfiler auf, so hat sie kaam noch dnen Grand, Absol-
venten des neuen Seminars ansmschliefien.c Professor Rein-Jeoa, urteilt
fthnlich in Lohmeyers deutscher Monatsschrift: »Jedenfalls seht soviel
las^ daß die Seminarbildung auf Grund der neuen preußischen Lehrpläne
twar nicht von gleicher Art wie die Oberrealschulbildung, aber ihr voll-
kommen gleichwertig ist. Deshalb muß das größere Publikum mit den
herrsclienden Kreisen sich nach und nacli daian gewöhnen, die Seminare
in der Reihe der höheren Lehranstalten zu sehen und die in ihnen er»
worbene Bildung Ar gründlich und nmftssend genug sn schStaeni um als
Grundlage für das Univeraititastudium su dienen. 0ie Gegner inneriialb
der ÜniversitAten seien aber vor allem darauf aufmerksam gemachtt daß
die Hoohacbulen durch den Eintritt der Volksschullehrer nur gewinnen
kennen.« Dagegen wendet sich ein üniversitätsprofessor in den »Grenz-
boten« unter der Überschrift »Kultusminister bleibe hart« direkt an die
oberste ünterrichtsbehörde und an die maßgebenden Kreise, um vor dem
Universitätsstudium der Lehrer zu warnen. Ob diese Stimme Eindruck
JBsobeii wild?
9. Coedukation
>E8 gibt auf der weiten Gotteserde nichts so Verlogenes und Un*
wahihaftigee, als unsere heutigen Ofbntliohen Sitten in Besug auf alles,
was mit Liebe susammenbingt, also mit dem höchsten Glflok, mit dem
die Natur ihre Kinder beschenkte. Heißt es da nicht im allerernstesten
Sinne, daß aus dem Ootteshanse eine MArdergrube gemacht ist? Fade, süß-
liche Koketterie auf der einen Seite, in der keine Kraft nnd kein Saft
ist, und eine Prüderie, wie sie Zimmermann nach ihren Ursachen und
Wirkungen so wundervoll in der Emerenzia von Münchhausen schildert,
die arbeiten sich in die Hände bei der Mädchenei Ziehung, um das gut er-
zogene, sittsam unschuldige PQppchen su kneten nnd suzuriohten, wie
die Oeoolloohsft es braucht für die Bedflcfiusse einer faulig sdhiUerndflo,
doppelten Moral und ihrer Minderwertigkeiten ' fOr das gesamte Fnuien-
leben.c ^aiie Martin hi der Ilgl. Bondsobaa, Nr. 298.)
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240
IGttoilu Ilgen
Wir wüßten ein gutes Mittel, um dem geschilderten Cbel kräftig
entgegen zu wirken. Das Mittel heifit: Gemeinsame Erziehung und üiitar>
rieht beider Geeohlecbter in unseren Offentlioben Sohnlen vom Kindeiguten
bis in die ÜniversitSt hinein. (VergL Beins EncyUopidie, Art ton
Palmgren, Gemeinsame Erziehung usw. und Palmgren, Erziehongs-
fragen. Altenburg, Bonde, 1904.) Aber leider gilt es einen Berg von
Vorurteilen za überwinden, ehe man zu diesem Mittel greifen wird.
Kein
10. Der moderne XatexialismuB als Weltansohairaiig
und Gescliiohtsprlnxip
Unter diesem Titel verOlfentliobt Dr. Hermnnn Sohwars, Privit-
dosent der Philosophie in Halle a. 8., in der Dieterichsohen Verlags*
bnohhandlung (Theodor Weicher) Leipzig eine Reihe von Vorträgen.
(Preis 2 M), die er vom 4. — 6. Oktober d. J. in der Berliner Friedrich
Wilhelm - Universität vor den Teilnehmern des apologetischen Inatnik-
tionskursus, veranstaltet vom Verein für innere Mission, gehalten hat.
Die Vorträge wenden sich in klarer, faßlicher Darstellung an das l^ach-
denken aller Gebildeten. In diesen Tagen, wo Häokels neiiM
Werk »Die Lebens wandere von neuem die matmalistiscbs Welt-
und Lebenaanflhssnng für die Religion aller Gelnldeten aosgibt, Itthrt die
Sohrift von Schwarz vornehm, ernst und überzeugend den Kampf um
geistigen Lebensinhalt. Sie ist ein philosophischer Protest gegen eine
bloße Popularphilosophio, die unter dem Schein der Moderne innerlich vot-
altot und unmodern ist. Sie bringt das befreiende und werbende Wort
kiitischer Wissenschaft allen denen dar, deren Denken sich gegen die
unerträgliche Tyrannei jenes naturwissenschaftlichen Dogmatismus sn
wehren wagt
11. Bericht tlber die dreisehnte Herbstvenammlnng
des Vereins fdr wissensehaftliohe Pädagogik, Beilrk
Magdeburg und Anhalt
Von Fr. Förster in Magdeburg:
Unter roger Beteiligung wurde die letzte UerbstversammluQg am
22. Oktober 1904 in Magdeburg abgehalten.
Ans der Ansprache, die der Bevollmächtigte an die Teilnehmer richtete,
seien folgende Gedanken herausgehoben: Wenn wir die widitigsten Er-
eignisse, die sich innerhalb der Herbartscben Pidagogik in der letrten
Zeit abgespielt haben, im Geists an uns ▼orOberaiehen lassen, so mQesen
uns in erster Linie die AngriBe auffallen, die sich gegen diese pAdago-
gischc Richtung wenden. An und für sich ist jede Kritik erwünscht,
weil durch sie Veranlassunc: zur Fortentwickhuig gegeben worden kann.
Leider können wir von den geführton Angriffen nicht behaupten, daß aia
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IL Bericht über die dreizehnte Herbetremmmliiiig d. Yenins 1 wias. FSd. 241
etwifi wissenschaftlich Beachtenswertes zu Tage gslOrdert hAtten, so daß
vir die Kritiker aaf das Dichterwort aufmerkflam machen mflohteo:
»Das ist die beste Kritik von der Welt.
"Wenn neben das, was ihm mißfällt,
Einer was Eig nes, Besseres stellt.«
Sind dieee Tatsachen nicht dazu angetan, uns in freudige Stimmung
zu versetzen, so erwächst mir im Gegensatz hierzu die angenehme Auf-
gabe, ein Ereignis namhaft zu machen, das uns aus mehr als einem Grunde
mit ganz besonderer Freude erfüllen muß: es ist das Erscheinen der
>Hauptpunkte der Pychologie« von Dr. Felscb. Nach meinem Dafürhalten
mnfi ein Lehrbuch der Psychologie drei Bigenschaften besitzen, wenn es
aeiaem Zwecke gani entsprechen soU. Es muß mnlohst einen festen
philosophischen Standpunkt einnehmen, von dem ans die psychologischen
Lehren beleuchtet werden. Es muß femer den verarbeiteten Stoff ein-
wandfrei darstellen, wozu ein nicht geringes Maß philosophischer Bildung
des Verfassers erforderlich ist, und endlich darf die pädagogische An-
wendung an den geeigneten Stollen nicht außer acht gelassen werden,
denn erst hierdurch erlangt die Psychologie für den Erzieher eine prak-
tiaohe Bedeutung. Diesen Anforderangsn entspricht das erwfthnte Werk in
herromigendem Jfaße. Wenn ich mir gestatte, an dieser Stelle auf das-
selbe hinsuweisen, so geechieht dies, um dem Herrn Yerfluser, der sein
henronagendes Wissen und Können seit Jahrzehnten in uneigennfltziger
Weise in den Dienst der Lehrerfortbildung gestellt hat. fiir seine köstliche
Gabe von Herzen zu danken und um unserer gomoinsamon Kreude darüber
Ausdruck zu geben, daß der Autor eines solchen Werkes ein Mitglied
Uüserer Vereinigung ist. —
Kadidem die eingegangenen Zuschriften bekannt gegeben waren und
«inige geschAftticbe Angelegenheiten ihre Brledigung gefunden hatten, trat
man ein in die Besprechung der Arbeit des Rektors Sachse- Magdebuiig
über »Apperzeption und Phantasie in ihrem gegenseitigen YerhftltDis«.
(Pädagogisches Magazin, Heft 243. Sonderabdruck aus den »Deutschen
Blättern für erziehenden Unterricht«, Nr. 50 — 52. Langensalza, Hermann
Beyer & Söhne [Beyer & Mann], 1904.)
1. In der Einleitung entwickelt der. Verfasser folgende Gedanken:
Den Standpunkte des metaphysischen Bealismus gemßß sind die TrSger
des psychischen und physischen Geschehens einftudie, aber individuell Ter-
aefaiedene Weeeo. Eins dieser Wesen, dessen Zustande uns bewußt werden,
hf'int Seele; die Zustände aber, die durch das Zusammen der Seele mit
anderen realen Wesen in ihr erzeugt werden, nennen wir allgemein Vor-
stellungen. Die Seele kann mit vielen realen Wesen ein Zusammen ein-
geben; daher hat sie auch die mannigfachsten Zustände oder Vorstellungen.
IHe Vorstellungen zeigen eine eigentümliche Bewegung und einen be-
stlndigen Wechsel. Die Bewegung der YorsteUcngen ist ffir das gesamte
geistige Leben von großer Wichtigkeit, denn sie bedingt einen großen Teil
denen, was den psychischen Mechanismus ausmacht, wozu auch Apper-
Mption und Phantasie zu zählen sind.
ZritMittttt fSr FhOcMpUe und PMugogik. 12. Jahisai«. 16
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242
Mitteilungen
In der Besprechung wurde von einer den Herbart- Vereinen fem-
stehenden Seite die Psychologie Herbarts als veraltet bekämpft und dafür
diejenige Wundts emplohlen. Man erwiderte hierauf, daß es den Ajahängem
der Herbartsoben P^ohologie fernläge, WondtB Verdienste iiigendwie la
unterscfaatsen, da seine physidogisohen Untersoohangen dasa beigetragsD
hätten, die Kenntnis d»r physiologischen Bedingungen des psychiadieii Ge-
schehens bedeutend su erweitern, indes sei es Wandt nicht gelungen, die
psychischen Prozesse so rein ao&ufassen und so genau m bestimmen, wie
es bei Herbart geschehen ist.
Zur weiteren Begründung des metaphysisolien Kealismus wurde an-
geführt: Diese Lehre ist keine absolute Wahiheit, sondern eine Hypothese.
Eine solche hat Anspruch auf Beachtung, wenn sie dem logischen Denken
entspricht und durch die Erfahrung bestitigt wird. Der metapbysisehe
Realismus erftUIt die erste Bedingung, da nur aus zwei Prämissen eine
Konklusio gezc^n werden kann. Er entspricht auch der Erfahrung, wie
folgendes Beispiel zeigt. Aus einem Atom Sauerstoff läßt sich nichts
Neues herleiten, aus mehreren Atomen auch noch nicht; kommt aber eine
bestimmte Anzahl Atome Wasserstoff hinzu, so entsteht aus der Verbindung
des individuell Verschiedenen ein neuer Körper, das Wasser. Nach dem
Be^ff des Seins sind die sich in «nem Zusammmi b^ndliohen realen
Wesen ihrer Qualitftt nach unveiflnderlich. Das aus dem Zusammen hervor-
gehende Geschehen ist nicht als Qualitätsveränderung der Wesen anzu-
sehen. Auf die Psychologie übertragen läßt sich daher folgendes be-
haupten: Das erste psychische Geschehen ist ein Zustand der Seele, der
durch das Zusammen derselben mit einem oder mehreren anderen Healen
verursacht wird und dessen Qualität bedingt ist durch die Qualität alier
sich im Zusammen befindlichen Realen.
2. Nach der Einleitung bestimmt der Verfasser zunächst den Be-
griff der Apperzeption. Bei diesem psychischen Vorgänge bandeit es sieh
im allgemeinen um das Verhältnis des wahrnehmend«! Subjektes snm
wahrgenommenen Ohjekte. Das Subjekt der Apperzeption wird repiäseo*
ticrt durcli einzelne Vorstellungen und Voretellungsverbindungeu, die durch
eine neue Wahrnehmung veranlaßt werden, in das Bewußtsein zu steigen,
während Objekte der Apperzeption alle Arten von geistigen Zuständeu
sein können. Es findet also immer die Einwirkung eines psychischen
Zustandes oder Vmgaoges auf einen andern statt Der Bsgriff der Apper-
zeption schließt ein: a) den der Veisohmelsung nach vimu^g^gMigener
Hemmung und b) den der Unterordnung einer Vocstdlung unter eine
andere.
In der Debatte erklärte man sich mit diesen Ausführungen einver-
standen und führte aus der Geschichto des großen Kurfürsten und Friedrich
"Wilhelms I. einige Beispiele an, um die Tatsache zu bestätigen, daü der
ApperzeptiuusproieB im ünteiriohte erst dann vollzogen sei, wenn die
neue Wahrnehmung in einer psychologischen Bdhe ihre entsprechende
Stellnng gefunden habe.
3. Im folgenden Teile spridit der Verfasser von der Bedeutung
der Apperzeption für die geistige und sittliche Bildung. Nicht alles, was
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11. Bericht über die dreizehnte Herbetversammloog d. Vereins f. wiss. Päd. 24S
durch die äußere oder innere Wahrnehmung ins Bewußtsein steigt, wird
spperzipiert. Häufig kommt es zu keiner Apperzeption, weil es an den
tppenipierenden Vorsteilongsmassen fehlt Dieser Mangel macht sich bei
KiDdem beaondera in Bemg auf OefaUmmtiade geltend. Wie die neuen
ToESteUnngen dnrob iUere eine Veiflnderang erleiden kOnnen, so kann
auch dss Umgekehrte itattfinden. Auf der Macht der yafinderten Ein-
wirkungen des Neuen auf das Alte beruht die Hoffnung des erziehenden
Lehrers. Wenn eine Änderung der einmal gebildeten Vorstelhmgsmassen
unmöglich wäre, so besäße der Erzielior kt ni Mittel, falsche theoretische
und ethische Urteile des Zöglings zu beseitigen. Die Umwandlung der
iUaran Yoretellangnn dnroh die neuen hat jedoch auch ihre Grenzen. Alle
Hiagel, die der Vorgang der Apperzeption nnt aidi Iwingt, laaeen tioh
Bor dann entfenien, wenn die YenteUnngen klar sind und in ieste^ aber
nullt starre Verbindnngen gebracht werden.
Die Besprechung, welche an den Satz der mangelhaften apper-
fipieronden Vorstellungen bei Kindern in Rücksicht auf Gefühlszustäado
aniinüpfte, drehte sich vorzugsweise um Auswahl und Behandlung der
lyrischen Oedichte. In Bezug auf die Auswahl wurde die Ansicht ver-
traten, daft Oedidite »Sdilfers Sonntageliedc oder »0 lieb, so lang
du lieben kannst!« erst anf den oberen Stufen sur Behandlung kommen
dflrflen, da hinrsicbend appendpierande VontaUungen in den mittleren
Hassen nicht vorausgesetrt wenden kOnnen. Fehlen die erforderlichen
psychologischen Vorbedingungen vollständig, so ist es besser, derartige
Erzeugnisse der lyrischen I^ocsie vom Lehrplan auszuschließen. Veranlaßt
durch die Bestrebungen der Kunsterziehungstagc ist in der letzten Zeit
mehrfach die Ansicht geäußert worden, die lyrischen Gedichte nur vor-
tolssen oder ihnen höchstens eine Vorbersitung voiantknsehioketi, auf eine
eigeatlicfae Behandlung Jedoch su veniohlen. Diessm Vorschlage kann
nicht angestimmt werden, weil man dadurch nicht die erforderliche Klar-
hsit schafft. Man muß vielmehr zunflohst die nOtigen Vorstellungen als
die primären psychischen Erscheinungen klarlegoiy damit dann audk die
davon abhängigen Gefühle entstehen können.
Damit die Vorstellungen in feste, aber nicht zu starre Verbindungen
gebracht werden, ist nicht nur ein beständiger Wechsel von Vertiefung
und Bssiniiung erfordeilioh, sondern es erweist sich auch nOtig, die Wieder-
kohmgen toh Terschiedenen Qesiohtspunkten ans eintreten su lassen.
4. Nach den Darlegungen über Wesen und Bedeutung der Apper-
leiition geht der Verfasser näher auf den Bci^ff der Phantasie ein*
Unter Phantasie versteht er die Verbindungen freisteigender Vorstellungen,
die durch die Wirkungen des psychischen Mechanismus zu stände kommen.
Es liegt im Wesen der Phantasie begründet, daß sie nichts Neues zu
schaffen vermag^ neu sind nur ihre eigenartigen Verbindungen. Wenn
msn die Tttigkeit der Phantasie auf das Gebiet der Areisteigenden Vor-
Mellnngen besohtSnkti so muA die alte Einteilung derselben in eine ab>
strahierende, determinierende und kombinierende aufgegeben werden, denn
die B^iffe der Abstraktion, Determination und Kombination haben zu
ihrer Voraussetzung eine Willenshandlung. Wenn z. B. die dichterische
16*
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244
PbaDtado bettimrata Vertanale der WillkOr anfwdst, so ist sa tiedeiikeii,
daB VM ihre PrcMlnkte nicht in vrsprflnglieher Fenn ▼orliegen, sondern
den Gesetzen der Logik und Ästhetik gemAfi gestaltet wocden sind, ehe
sie der Öffentlichkeit übergeben wurden.
In der Debatte wurden einige hier nur angedeutete Punkte noch
weiter ausgeführt. Es gibt keine allgemeine Phantasie, sondern die Phan-
tasie ist von bestimmten Yorstellungskreisen abhängig. Daher ist die
Phintasie des MatheoBttiken eine anders als die des Hnsikers, und die-
jenige des Malen ist ▼eradiieden von der des Dichten. Uan konnte so
Tide Arten der Phantasie unterscheiden als es verschiedenartige Yor-
stellungsmassen gibt Ba die Vontelliuigeii, die das Kind zu Hause er-
wirbt, vielfach ganz andere sind als diejenigen, welche in der Schule in
Frage kommon, so erklärt sich auch die Tatsache, daß mancher Zögling
an beiden Orten einen durchaus verschiedenen Eindruck macht Während
er im Hause beim Spiel dem Zuge seiner freisteigenden Yorstellungen
fidgt und daher lebhaft und heitsr enoheint, ist er im üntairiohte lanp-
sam, saghaft vnd nnsicher.
5. Der Verfaeser geht eodann auf das Verhältnis von Apperzeption
und Phantasie nfiher ein, indem er zunächst zeigt, daß die Phantasie eine
Begleiterscheinung der Apperzeption ist. Die Phantasie ist auf die Ver-
bindungen der alten Vorstellungen angewiesen. Diese Verbindungen sind
zum Teil ein Produkt der Apperzeption, da sie bewirkt, daß das Wider-
sprechende sieh hemmt und das Gemeinsame sich vereinigt Wenn man
anf der Stufe des Systems eine wohlgeordnete Beihe gebildet hat, dann
kann es wohl gesohehen, dafi sieh bei der Beproduktion neue Glieder nnd
Terknftpfungen leigen, die das, was mit vieler Mflhe geschaffen war, wieder
seretören. Diese Tatsache erklärt sich daraus, daß während des Entstehens
der Reihe die freisteigenden Vorstellungen tätig waren, die sich bald aus
dieser, bald aus jener Gruppe erhoben und sich im Bewußtöein zu Phan-
tasiegebilden vereinigten, die immer den Vorgang der Apperzeption begleiten.
Wenn die Phantasie vielfach auch Ungereimtes schafft, so muß man ihre
Gebilde doch mit Beuden begrOßen, weil dundi sie Leben ond Beweg-
lichkeit in die Yorstellungsmsssen hineinkommt Bs ist an bedanem, dal
die SchlQer dem Unterrichte im allgemeinen nur wenig freisteigende Vor-
stellungen entgegenbringen. Dieser Mangel zeigt sich namentlich auf der
Stufe des methodischen Denkens und bei den Aufsatzübungen. Daß die
schriftlichen Übungen vielfach mangelhaft ausfallen, ist darin begründet,
daß man oft Stofife verarbeiten läßt, für die das Kind keine freisteigenden
Vorstellungen besitzt Daher muß die Vorbereitung solange ausgedehnt
werden, bis Inhalt und Form gelftuflg genug geworden sind. HierdwciL
wild der Sdhfller rar Passivitit verorteilt üm dies m vsrhftteOf sollta
man die schriftlichen Arbeiten solange versohieben, bis die fkeistsigendea
Vorstellungen beim Zöglinge sichtbar werden.
In der Besprochunp Wirde die Richtigkeit des Satzes, daß die
Phantasiegcbilde immer den Vorgang der Äpi)erzeption begleiten, bestritten;
denn es sind Fälle denkbar, bei denen freisteigeude VorsteUungen über-
haupt nicht anftreteo, und selbst wenn sich säche aeigen, so bmndien
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11. Bencht Uhu die droisahnte Herbtfcvenammlang d. Vereins t wies. PVd. 245
sie sich oklit unter aUen Umsttoden sa PlumtMiegelaldett snaammenza-
BchlieBen.
Die weiteren Ausfühninpen bezogen sich auf die Aufsatzflbungen. Man
stimmte den Ansichten des Verfassei-s einerseits zu, andrerseits widersprach
man ihnen. Der Lehrer kann nicht immer bewirken, daü sich freisteigende
VorstelluDgeQ zeigen. Es ist nicht ratsam, die schriftlichen Übimgen so
lange lunauazuachiebeD, bis freistägeDde Yontdlungen veraiugeaetst wer-
den kCooen. Man mnfi zufrieden adn, wenn die Sohfller einen durchge-
arbeiteten Stoff auf ihre Weise "wieder7.ugeben im stände sind. Dies wird
nach der Meinung anderer Redner vielfach nicht erreicht. Der Grund da-
für ist teilweise auch darin zu s\iclieii, daß num auf die formale Seite der
Sprache, die Grammatik \uid Orthographie, seiion in den ersten Schuljahren
ein zu großes Gewicht legt. Um die aus diesen Gebieten vorgeschriebenen
Pensen za erledigen, ist viel Zeit erforderlich, und deshalb wird die Pflege
des mllndlichen Auadrocka venaiamt Es iat den Kindern zu geetatten,
flieh zonSchst in ihrer ihnen eigentflmlichen Sprechweiae auazudrOoken; erat
aUmihlich kann der Gebrauch der hochdeutschen Schriftapracfae aogeatrebt
werden.
6. Im weiteren Verlauf seiner Arbeit (Mörtert der Verfasser die Tat-
sache, daß die Phantasie der Apperzeption wichtif;e Dienste leistet. Soll
es zu einem genauen Apperzipiei'cu kommen, so muii dem in Frage kommen-
den Objekte eine ungeteilte Aufanerkaamkeit zngevendet werden, die un-
irillktlrlioh oder willkOrUch aein kann. Letztere wird ▼ielfaoh durch Er-
mahnungen und Drohungen, durch Lohn und Strafe erzeugt Diese Mittel
nnd jedoch bedenklich, da sie leicht Affekte hervorrufen kOnnen, die den
Apperzeptionsprozeß unterbrechen oder ganz vereiteln. Vorteilhafter ist die
unwillkürliche Aufmerksamkeit, die in eine primitive und eine apperzipierende
zerfällt. Die apperzipierende Aufmerksamkeit verweist uns auf die frei-
Steigenden A'orstellungen und damit auf das Gebiet der riiautasie. "Wollen
wir bei den Zöglingen Aufmerksamkeit erzeugen, so mtlaaen wir dafür
BQEgen, daft una die VorBtellungen freiateigend entgegenkommen. Daher
ffloA anch die jeweilige Apperaeptionsatufe der Schaler genau berQcksichtigt
werden. Dies geschieht, wenn man es sich angelegm aaua Ittti die ver-
wandten Vorstellungen des zur Auffa.«Rung Daigebotenen in der erforder-
Üchen Zalil. Stärke und Klarheit zu erwecken. Die praktische Pädagogik
sucht (las zu erreichen durch die Aufstellung eines Zieles für jede unter-
lichtliche Einheit.
Die Debatte über dieeen Teil drehte aiöh ansaohlieilioh um die ledtte
Bsaofaaflenheit dea Zielee. Es iat Terkehrt, die Lektion mit der Analyae
zu beginnen und das Ziel nachfolgen zu lassen ; letzteres muß vielmehr am
Anfange stehen, da ihm die Au^be zufällt, das Steigen der Vorstellungen
zu bewirken. Die Analyse kann imter Umständen auch fehlen. Es ist
schwer, das Ziel richtig zu formulieren, und die methodischen Werke zeigen,
daß die in ilmeu aufgestellten Ziele den psychologischen Anforderungen
htuiig nicht entsprechen.
7. Am ScUnaae apridit der Verfaaaer Aber die OefOhle, die durch
die Qebilde der PhantMie entatehen, imd ihre Bedeotan; fOr die Appei^
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wefHiiOD. DuictL das Vorherrschen sehr starker Gefühle wild eine genaue
Apperzeption verhindert, wflhrend eitie niliige Gemütslage vorteilhaft ist
Die Wirkung der durch die Phantasie erzeugten Gefülüe ist jedoch nicht
ausschließlich von nachteiligem Einflüsse auf die Lernarbeit. Es ist viel-
mehr allgemein bekannt, daß jede Tätigkeit durch Lustgefühle gefördert
irardoD kami. Daher erwiohst dtm Lehrer die Aufgabe, die Aeode den
pidagogischeo Zwecken dienstbar in madien.
Wegen voigerfickter Zeit konnte in der Beepreohnng aof diese Ans-
fflhrungen nicht mehr genügend eingegaogen werden.
Für die nächstjährige Herbstversammhing wiirde eine Arbeit Ober
folgendes Thema in Aussicht gestellt: »Die methodische Gestaltung des enl-
kundlichen Unterrichts mit besonderer Berücksichtigung der Wirtschafts-
geographie.«
12. Verein för Kinderforschung
Zum ersten Male hielt der Yerein für Kinderforschung seine Ver-
sammlung in Sachsen und zwar in Leipzig ab. Die Beratungen, welche
vom 14. — 16. Oktober v. Js. in den iFestsälen des Centraitheaters statt-
fonden, erfreuten sich eines regen Besuches aus vielen Berufskreis^
Leipzigs, besondeis ans dem Ijehierstande. EKMbiet wurden dieoolben
dnroh Anstsltsdiiektor Trüper-Jena, der in einer Ungeren BegrOBanga-
rede auf die kinderpsyohologisdhe Arbeit Leipziger Professoren — Ziller,
Strümpell und Wundt — wie auch auf das rege Interesse der Stadt
Leipzig für Erziehung und Unterricht hinwies. Nachdem noch Stadtschul-
inspektor Prof. Dr. D. Müller-Leipzig und Anstaltsdirektor Piper- Dall-
dorf die Versammlung begrüßt hatten, hielt der Mitherausgeber dieser Zeit-
schrift Pfarrer Flügel- Wansleben seinen Vortrag: lÜber das Verhältnis
des Öefühla anm Intellekt in der Kindheit des Individauma
wie der Volker.«
Der Vortragende leitete seine interessanten Ausführungen damit ein,
indem er zunächst darlegte, daß man nach Herbart das letzte Einfache
der Seele als »Vorstellung« bezeichne, während Wundt es »Empfindung«
nenne. Herbarts Ausdruck, welcher mit dem Sinn des heute so häulig ge-
brauchten Wortes »Vorstellung« nicht gleichl)edeutend sei, habe nur als Not-
behelf dienen sollen. Darauf zum Verhältnis von Vorstellung nnd GoflUd
im allgemeinen Obecgehend, vertiat er den Heibartaohen Standpunkt, daB
das Gefnhl ohne eüi vorher OeflOhlteB nicht vorhanden eein kOnne^ oiOge
letzteres auch oft bis zur größten Unkenntlichkeit gegeben sein. Die Grenze
zwischen beiden lasse sich nicht bestimmt ansahen; beide seien dah^r
aufs innigste miteinander verbunden. Eins von ihnen sei jedoch stets
vorherrschend. Das gelte im Kindesalter namentlich vom Gefühl. Dies
führte Hedner an vielen Beispielen zuerst weiter aus, um danach das
Analoge in der Kindheit der Volker nachznweiaen. — In der Debatte
•timmte Dr. Brahn-Leipzig den AnsfOhrangen des Vorrednen darin in,
daS daa QefQhl bei den Kindern vorfaerrsehei erklärte sioh aber wie nooli
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12. VereiB fttr nndeifonohang
247
Dr. Spitzner-Leipzig hinsichtlich der Ableitung des QefühU ^agcn dessen
Ansicht imd «teilte dieser die Vondtsebe Auffiusung gegenüber, nsdi
der das GefOhl vor der Vorstellang anftrete.
Am 2. Tag der Verhandlungen sprach znnaohst Geh. Hofrat Prof.
Dr. Binswinger-Jena Aber das Thema: tÜber den Begriff des
moralischen Sch wachsinns.c In einigen einleitonden Worten hob
Redner hervor, daß Lohrer und Arzte beim Studium des Kindes ztisiimraen
arbeiten müßten. Das habe sowohl nach der praktischen wie tiieoretischeii
Seite großen Wert. Im ersten Falle idt an die unge.^echte ßeuiteilung
des Kindes tot Gericht au denken, die nur aas einer mangelhaften Kennt-
nis der Kindesseele herrdhre, nnd im lotsten Falle an die Besnltato der
Kindorforsohnng, die dadurch moJir an Sicherheit gewinnen. Darauf gab
Prof. Binswanger die historische Entwicklung des Begriffs »moralischer«
Schwachsinn. Die ersten Erklärungen desselben kamen in den 80er Jahren
des vorigen Jahrhunderts aus England. Damals sah mau diesen geistigen
Defekt hauptsächlich in der Störung des Gefühls. Dadurch sei aber, be-
merkte Redner f der Begriff zu eng gefaßt worden; man habe daher in
neoerer Zeit auch die inteUektueUe Tfttigkeit in Betracht gezogen und ge-
fimden, dafi diese bei derartigen Individuen infolge erblicher Beeinflussung
bedeutend geschwächt sei Redner schilderte zum Schluß an awd
klinischen Beispielen, wie moralisoher Schwachsinn in der Praxis su er-
kennen und behandeln ist.
Der zweite Kedner des Tages Direktor Polligkeit- Frankfurt a/M.
juristischer Mitleiter der »Centrale für private Fürsorge« in Frank-
furt a/M., behandelte das Thema: »Strafrechtsreform und JugendfQr-
sorgcc Er forderte 1. dafi in der Erziehung neben der intellektuellen
Ausbildung auch der Entwicklung der moralischen Persönlichkeit der ihr
gebührende Baum gewfthrt wird, besonders in Rflcksicht auf die vielfach
vorkommenden Anomalien in sittlicher Beziehung; 2. daß in der Schul-
erziehung eine starke Individualisierung nach sittlichem Empfinden und
nach dem Grade der Empfindlichkeit für sittliche Beeintlussungcn stattfinde,
auf Grund sorgfältiger Ermittelungen von psychologisch und psychiatrisch
geschulten Jir^en und Ijehrem; 3. daB die BegrAndung von Sonderschulen
uad Ersidiungsanstalten fflr die verschiedenen Grade sittlicher Befilhignng
gefordert werde; 4. daß in der Einrichtting einer Berufs Vormundschaft ein
Organ geschaffen werde, das als centrale Beratungs* nnd Auskunftsstolle
der Eitern in der Erziehung ihrer f^ittlich minder veranlagten oder ent-
arteten Kinder ratend zur Seite stehe und dem Yormundscluilisgoricht als
Ermittelungs- und Aufsichtsorgan diene. — Die Debatte über diesen und
den vorigen Vortrag verbreitete sich besonders über die Altersgrenze der
StiafmQndijeen. Diese sei mindestens ins 14.~15. Lebensjahr hinauf zu
sohisben nnd wenn sich herausstelle, dafi ein Kind Aber dieser Altersgrenze
äoh geistig nicht norrosl entwickelt habe, solle man es ebenfalls nicht
W den Strafrichter bringen, sondern einer entsprechenden Anstalt über-
weisen. Nachdem sich noch der Vorsitzende in warmen Worten fflr eine
derartige Behandlung fehlerhafter Kinder ausgesprochen hatte, erhielt Hektur
flemprich-freyburg a/U. das Wort zu seinem Vortrage: »Die Ergeb-
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Mittoilungon
nisse der Kinderforsohiing in ihrer Bedentmicr fflr ünterticht
und Erziehung.«
Redner behandelte vor allem das Verhältnis der pädagogischen znr
physiologischen Kinderpsychologie sowie ihre Bedeutung in der Erforschung
auf psychischem Gebiete und der pädagogischen Nutzbarmachung ihrer
Kesultate. Es stellte sich heraus, daß die physiologische Richtung uns
noch nicht viel Braaohbaree für die Praxis geliefert hat — In der Be-
epreohung dieses Eeferates traten die Gegenafttie swieohen der Herfaart*
sehen nnd physiologiachen F^chologie abermals hervor.
Am 3. Tage der Versammlung stand als erstes Thema der Vortrag
von Rektor Schubert- Alten bürg auf der Tagesordnung. Dieses lautete:
>Einige Aufgaben auf dem Gebiete der künstlerischen Er-
ziehung.« Aus den längeren Ausführungen dos Hedners möchte ich nur
einige Punkte herausgreifen. Der Vortragende stellte dem produktiven
Schaffen das Knnstgenießen gegenüber und betonte, daß letzteres wichtiger
sei als das produktive Schaffen, da nur wenige Ellnstler wlfardea. Dem-
nach folgende Mittel zur Pflege des ftsthetisohen GefQhls: Betrachten von
Bildern, turnerischen Spielen, der e^fnen Körperform (auch aus dem Grunde,
damit die Kinder ihren Körper reinhalten), der Natur sowie die Behand-
lung von Märchen, die auch in späteren Schuljahren dargeboten werden
können. Eine besondere Aufgabe fällt der Kinderforschung dadurch zu,
daÜ sie nachforscht, wann der Zeitpunkt wirklichen ästhetischeu Genießens
eintritt Ob die physiologische Einderpsychologie diese Aufgabe lOsea
werde, sei fraglich, wenn man ihr auch schon mancherlei Anregungen la
verdanken habe.
Oberlehrer Dr. Pappenheim-Grofilichterfelde, welcher den nun
folgenden Voitrag liielt, vertrat in seinem Referate über »Die Beeinflus-
sung d es Kunstsin ncs in der Naturkunde« gleichsam den entg»^c:en-
gesetzten Standpunkt des Vorredners, indem er dem produktiven Schaffen
recht viel Wert beilegte, in der Beziehung, daß das Kind dadurch leichter
an der Anflkssung der Formen gelange, ohne die doch ein wahres Kmist*
geniefien iricht mSglich sei Seine AnsfOhrungen wurden dmroh eine grOflen
Zahl von Lichtbildern nnterstfitct, welche sehr interessante Kinderzeich-
nnngen Tom dritten Lebensjahre ab und Modellierarbeiten aus dem Kinder-
garten und anderen Scliulon vorführten. — In der Debatte wurde die
Verwertung der Zeichenschule für Kleine von Dyk als ein Rückschritt
bezeichnet, da sie zur Stuhlmannscheu Methode hinführe. Sehr lebhaft
wurde die Debatte bei dem Funkte betreifs des Betrachtens des nackten
KGipers. Bine grOBere Zahl der Teilaehmer stimmte jedoch dem Befiareoten
SU, der in dem geheimen Verstecken des Nackten geradein die aller»
emstesten Gefahren erblickt.
Den letzten Vortrag hielt Rektor Dr. MänneUHaUe, welcher Aber:
»Die Gliederung der Schuljugend nach ihrer seelischen Ver-
anlagung und das Mannheimer System« referierte. Rektor Männel
stand auf dem Standpunkte, welcher sich fQr die neue Schulorganisation
ausspricht und deckte denselben durch eine längere geschichtliche Ein-
kitong dieser Inge, Hierzu ist noch zu bemerken, dsA der Yortngende
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13. Bohule und Büoher
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die neue Einrichtung in Mannheim praktisch studiert hat. — In der
Debatte wurden hauptsächlich die Fehler dieses Systems berührt. Rektor
Schubert- Altenburg nahm an, daü durch dasselbe die Lemscbule zu sehr
betont weide. Dun ervthnte er, cUift es kaum mOglioh sei, die Sohfiler
ras den IMerklaaeeii mit ihfem beeooderen Lehrplui in den der Klaesen
mit NormalbeflUiigten hineinzufahren. — Der Unterzeichnete gedachte
des Verhältnisses zwischen Schule uod Elternhaus und fahrte aus, daß
dieses durch die neue Einrichtung noch ungünstiger gestaltet werde. Die
Unzufriedenheit der Eltern habe man durch so manches geweckt, so durch
den heutigen unpsychologischen Lehrplan, der noch in fast allen
Scholen eine Plage des Lehrers und der Schüler sei, und durch die Ein-
richtung der HilfBSchnlen. Non wolle man die Kinder einer Familie
noch weiter Toneinander trennen, nicht nnr in der Schale, aondem anoh
in der Familie und im späteren Leben! Und nach welchem Dlaßstabe
teile man z. B. die 4 — 5 Kinder einer Familie ein, so daß jedes eine be-
sondere Schule nötig habe? Dazu habe man den Mannheimer Lehrplan
gebraucht, den man doch für sehr verixjsserungsbedürltig gehalten habe!
Damit werde die Zufriedenheit der Eltern gewiß nicht erreicht. Und dann
aieherlich erat recht nicht, wenn die Eltern erfahren wOrden, d&fl man in
der Kinderforeohnog selbst noch nicht dahin §;elaogt ist, nm eine gnte
imd snfriedenatellende Einteilang der Kinder nach den ▼eredhiedensten
BeAhigungsgraden vorzunehmen! Darum solle man noch lange warten,
bis man die Mannheimer Schiilorganisation als etwas Musterhaftes einführe.
Nötig sei vor allem, daß man die Eltern erst mit dem Gocrenwärtigen zu-
frieden mache, und dazu gehöre zunächst, daß man .sie pädagogisch auf-
kläre. Da seien die Elternabende eins der bestgeeignetsten Mittel.
Nachdem noch manoheriei GeeohiftlicheB eriedigt, unter anderem auch
der Ort Ittr die nAchate Jahieereraammlung — nimlich f lankf ort a/M. —
bestimmt worden war, schlofi der Voraitiende unter dem Danke an das
Leipziger Ortsoomitö die übci-aus wichtii^n YerhandluDgen, die Ton dem
größten Interesse aller Teilnehmer begleitet waren.
Nordhausen C. Geisel
13. Schule und Bücher
Von 0. Hamdorff-Maichin
Im Beibktte zu Nr. 10 des Bildungsvereins vom 16. Oktober 1901
macht II. Wolgast Yorschläge, wie die SchülerbOcherei für den Unter-
richt besser ausgenutzt werden könne. ^) Die Frage ist wichtig, und es
ßcheint mir darum nicht überflüssig, den Gegenstand noch einmal zu be-
handeln au der Uaud eines Aufsatzes von A. Steenberg, Oberlehrer zu
Honens m JütUDd,^) der dieeen Anbats venendet, mit der Bitte ihm mit-
tnteUen, >waa in den TersdiiedeDen Schulen nnd iBchem geechehen ist
') über Einrichtung und Ausnutzung der ßchülerbihliothek.
*) Skolen og Bögerae in »Vor Ungdom« and »Yaidandi« 1902.
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250
IfitteilttD^en
oder geschehen kann, um die Schuler zu einem verstilndigen Gebrauche
der Bücher zu erziehen und das Lesen zu einem organischen Gliede
des ünterriohts zü maoheihc Letzteres ist ja auch der Gedanto
Wolgasts, deesen Aulsats Steenberg aoch aofOhrt Haaptsidilioh aber
besieht sich d«r dlnische Schulmann auf die Venostaltnngen in den Yflr>
einigten Staaten.
Znn.-ichst ein paar Worte über den g^;eiiwftrtigen Zustand« Auch
bei uns trifft Georg Brandes Wort^) zu:
>eB gibt in luisrer Zeit nur äußerst wenigo, die überhaupt lesen
können, lesen mögen und einen Nutzen vom Lesen liaben. Von 100 Per-
sonen, die lesen kSnnen (in Dlnemark gibt es l&brigens &Bt gar keinen
des Lesens Unkundigen), lesen 90 nichts anderes als Zeitungen: einen
Lesestoff, der keine Anatrengnng kostet, in dem alle die Anfsilae, die
Verstand erfordern, übersprungen werden, t
Ferner lelirt die Erfahrung in Volksbüchereien auch bei uns, daß die
meisten Menschen nur sogenannte schöne Literatur lesen und davon wieder
fast nur Erzälilungen und Romane, selten Schauspiele oder Gedichte. Voll-
ständig fem aber liegt der überwiegenden Mehrzahl, nach einem Buche
zu greifen, nm daraas etwas zu leinen.
Der Ormid hierfür liegt ja zun TeQ darin, daB das Leoen nnc lor
Unterhaltung dienen soll. Aber warum wissen die meisten MffntftM"
nicht, ein Buch als Onmdlage für Denkarbeit zu benutzen oder zu dem
Zwecke, sich Kenntnisse zu erwerben? Antwort: die Schule hat ihre
Zöglinge nicht gelehrt, das Buch als ein Arbeitwerkzeug za
verwenden. Nicht für die Schule, sondern fürs Leben! Dieser Grund-
satz (dem, nebenbei gesagt, unsere Schulen noch lange nicht entsprechen)
sollte auch fOrs Lesen gelten. Denn dnroh das Lesen banptaiflhlich soll
der Erwachsene nadi der Schulzeit in seinen freien Stonden nach der
r^Imäßigen Berufsarbeit sich weiterbilden. Aufgabe der Büchereien,
sagt der Führer der amerikanischen Bibliothekbewegimg Melvil Dewey,
ist: die erforderlichen Bücher zu sohaflen, Sache der Schule
ist es, Leser zu bilden.
Steenberg geht dann auf die l)eideu Arten von Büchern, welche
die Schule benutzt, niher ein: die Lesebficher und die Lehrbücher.
In Betreff der ersteien führt er Ellen Keys Worte an, die auch hier
wiedelgegeben sein mOgen:*)
^Durch die landläufigen Losebßchor wird das Kind von einem zum
andern geführt, nippt flüchtig hier und da, bekommt bald diesen, bald
jenen Ausblick, der ihm aber rasch wieder entrückt wird, ohne daß es
sich an etwas heften kann.
Das war iu alten Tagen anders. Da hatte man eigentlich kein
ander Lssebuch als das ABC-Bnch mit einem kilhenden Hahne. Wson
das dnrcfagearbmtet war, ging man über zu VoUnmflrohen, lor Bibel,
>) Oessmmelte fikduiften. Bd. 12. 8. 29. Kopenhagen 1902.
*) Bamets Arfaundradet, Das Jahihnndert des Kmdas. Stockhoba 1900L
2. AbsohDitt; Bächer statt Lesebücher 1
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13. Sehlde und Bacher
251
znm Rol)inson, zu -weltgeschichtlichen DarstelluDgeo tod Platardi und
(ia SchweKlen) Fn^cell. Diese Bflcher "wiirden immer imd immer ge-
lesen. Man bekam dadurch den Einilniek von etwas Großem, Unver-
geßlichem, was Einbildungskraft und Verstand zu neuer Arbeit, neuer
Freude anregte, wähi^end heute die Kinder nur verlangen, von Stück zu
Stflok weiter m kommen, mn zu leben, ob niobt en^UUoh etwas Ergütz-
Hohes kommt«
Und in diesem der Wirklichkeit entsprechend geschilderten Zustande
findet Steenberg (wie Wolgast) den Grund, daß die meisten Menschen
im Romanlesen nichte suchen als flüchtige Zerstreuung: sie betrachten
das Buch nicht als Ganzes, verfolgen nicht die Entwicklung der
eiuzelneu Charaktere; die Schule hat sie ja nicht gelehrt, mehr aus einem
Buche m sieben. Und die Literaturgesohiobte der Schule? Der
Zweck des üntemohtes in diesem Fache ist doch hanptsloblidb, den
Schfilern für die AbgangsprOfnng eine Art Obeisioht Uber das beimisobe
Schriftentum zu geben, statt sie dabin su bringen, daS sie an den Sobriiten
der Dichter Gefallen finden.
Zweitens die Lohnbücher. Die mündliche Unterweisung allein ge-
Dügt nicht; der Scliüler t)ekoramt dadurch keine Übung, das geschriebene
Wort verstehen zu lernen, um daraus Nutzen zu ziehen. Andrerseits ver-
vnidit das Lehibodi, dessen lobslt der Schiller seinem Gedlebtnisse
einprtgen mnB, ihm Tiele Qualen und unterdrückt oft seine Selb-
Btftndigkeit. Der mfihsam eingelernte Wissensetoff wird bald wieder
vprgessen, mit den Schulbüchern aber, die nur dazu gedient haben, das
Gedächtnis mit solchem Stoffe zn füllen, der fürs T;oben keinen Wort hat,
werden gar leicht auch alle andern Bücher als unnüt/.or Kram verworfen.
(Wem fallen nicht die zahlreichen Aufforderungen besonders in Studenten-
hedem ein, wie jenes:
»Weg mit Büchern und Papieren!
Weg mit jedem ZeitoDgswiaohl«)
Folgerung: die Schule darf nicht Iflnger ihre Aa|gabe yeroaohlässigen,
die Bücher zu Freunden der Schnicr zu machen, yreoD auch nicht in
dpm Maße — und das möchte auch ich besonders betonen — daß wir
Ober sie das Leben vergessen, doch so, daß wir bei ihnen Auskunft
und Hilfe suchen, das Leben reicher und glücklicher zu gestalten.
Hierbei weist Steenberg auch auf den Wert der Bilder als ünter-
riebtsmittel hin: Bilder kdonen selbstrersttaidlioh nicht die Gegenstände
ersetzen (b. B. im natnrknndlicben ünterrichto). Anob müssen die Kinder
erst angeleitet werden, aus Bildern etwas zu lernen. Wer eine Anzahl
Kioder gleichzeitig ein oder mehrere Bilderwerke beschauen läßt, z. B. einen
geschic-htlichen Bilderatlas, wird deutlich bemerken, wie verschieden die
Fähigiceit ist, aus den Bildern etwas horans/tisehen : während einige von
deo Kindern vor dem Bilde sitzen, es studieren, und dabei eine Einzelheit
DMh der andern heraoBfinden, wcUen andeie das Bnch in der kflnesten
Zeit dmehbUttem, denn sie kfkmen den Bildern nichts absehen.
Die Frage ist nnn: wie soU man die Sinder an den Umgang mit
Büchern gewöhnen, wie kann man ihnen aeigen, was die BOdher Chiles
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252
Ifitteilaiigea
enthalten, wio kann man sie lehren, zwischen den Buchern zu wählen
und den größtmöglichen Nutzen aus ihnen zu ziehen; endlich: wie kann
man die Kinder dahin bringen, die BQoher aach gut sa behandeln? AUe
diese Fragen sind wohl nirgends ao eifrig erOrtert wmden wie in den
Vereinigten Staaten von Nord-Araerika.
Im Jahre 1898 setzte die National Educational Association einen Aus-
schuß ein zur Behandlung^ der Frage: wie die öffentlichen Büchereien
und die öffentlichen Schulen zusammenarbeiten können. Daß
nian die Frage so stellte, erklärt sich aus der großen Bedeutung, welche
die öffentlichen Büchereien grade in den Vereinigten Staaten besitzen. Der
AnsschuB nnteisnchte jedoch aooh daa VerfaSltnis der Sohnlen in d»
BQchem im allgemdnen. Ein Bericht übw diese üntersnöhongen findet
dch im Report of the Commissioners of Education for the years 1899 bis
1900 vol. I, Washington 1901. Auch in den amerikanischen Schulzeit-
ßchriften und Biblothekzeitschriften wird die Frage eifrig erörtert. Das
große »Library Journal« gibt in jedem Frühjahre eine besondere >Schul-
nummer« heraus. Wenn auch selbstverständlich bei der Vei'schiedenheit
der SchuleinrichtuDgen und besonders der Bibliothekyerh<nisse die Ycr-
adhUge der amerikanischen Schnlmftnner wid Bibliothekare nicht mimitteUiar
anf andere Länder llbertiagen werden kOonen. so sind sie doch sncfa fflr
nns lehrreich. Stcenberg gibt daher das Widitigste daraus wieder:
1. Sobald das Kind lesen gelernt hat, kann man ihm durch Bilder-
bücher Gefallen (Interesse) an Büchern beibringen. Eün Verzeichnis
guter Bilderbücher ist das erste, wofür die Büchereien zu sorgen
haben; auch müssen die Büchereien sich reichlich mit diesen Büchern
Tenehoii nm sie ins Hans au ldhen.(?) Eine knrae ünteiadirift mter
den BUdem dürfte das erste sein, was das Kind anf mgene Hand liest
Hat das Kind erst die Ennst des Leeens erfaßt, so ist es erfiüunmgagemAft
leicht, daa Kind zum selbstftndigeD Lesen zu bringen. Die Gewohnheit
SU lesen entsteht meistens im Alter von 11 bis 16 Jahren.
2. Wenn die Kinder sich ans Lesen gewöhnt hal)en, gilt es die
besten Bücher für sie zu beschaffen. Es müssen also Bücherver-
zeichnisse hergestellt werden, die nicht nur nach Fächern, soudeni
auch nach dem Alter der Kinder und der Lehranfgabe in den einselaeB
Khwsen geordnet sind. Hieriiei ist ein inniges Znsammenwirfceo m
Ldhrem und Bücberwarten erfoi-derlich. Auch ist zu ennittdn nnd dann
zu berüoksiohügen, wie die Kinder selber Uber die einielnen Bdoher
urteilen.
(Bei uns wirken in dem angegebenen Sinne die aus Yolksschnlehrem
zusammengesetzten »Prüfungsausschüsse für .Tugendschriften«,
deren Organ die »Jugendschriften -Warte« ins 11. Jahr getreten ist DaA
die empfohlenen Bücher immer gut, die anrOckgewieseneQ Bfidier immer
ao spottsehlecht sind, wie einxelne gemacht weiden, mMte ich besweüebL
Unfafibar bleibt mir z. B. das Lob des »Fitzebutze« , das eine Zeitschrift
meines Erachtens treffend als »dehmligen Quatsch« bezeichnet hat; auch
die »Arche Noah« ist nicht einwandfrei. Andrerseits wird der gewiß
etwas viel schreibende Bruno Qarlepp doch gar zu sehr herunteigemacht,
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13. Schule und Bücher
253
QDd nicht viel besvser — aber auch oft mit Unrecht — erj^eht es dem
waokern Tanera. Gern muß man aber anerkennen, daß die vom Hamburger
Prüfungsausschüsse selber herausgegebenen Bändchen gut ausgewählt sind.
Zu groß braucht die Mustenammlung nicht zu sein; denn wir woUeD die
Kinder nicht sa YielleBern enielieDf aondem sa deokenden Lesern,
und wollen sie auch doich das Bflöherlesen nicht absieben Ton der Natnr,
die stets die eindrin^iohste Sprache sprechen soll. Ich finde es darum
ni weitgehend, in Amerika einzelne Büchoreien auch in den öffent-
lichen Anlagen Bücherhallen einrichton, um die in den Aolageo sich auf-
haltenden Kinder mit Lesestoff zu versurgen.)
3. Wie erzieht man nun die Kinder zum richtigen Gebrauche
der Bflcher? Steenberg beginnt mit:
a) Ersähinngen nnd Romane, ffier fieffen die V<ffBchUlge der
Amerikaner ungefBhr mit den Wolgastschen sosammen. Erste Fordening
ist: man beginne mit kürzeren, aber stets mit ganzen EisBhlangen, ganzen
Romanen, gebe keine Bruchstücke. Um einen Üt>ergang von der münd-
lichen Erzählung herzustellen, die beim ersten rnterriclitc stot.s eine große
Rolle spielen wird . erzähle man erst ein Stiic-k von einer Geschichte
und lese dann ein Stück daraus vor. (Eine solche Verbindung von Er-
sttden und Yoileeen hielte eine wichtige Bolle in Kristian Eolde Yolks-
bochaohnle, wobei namentlioh Ingemanns gesohicbtliöhe Romane benntst
worden. Und auf dieselbe Weise läßt Humpbiey Ward in dem viel-
gelesenen Romane »Robert Elsmero« den jungen Geistlichen Shakespeare,
Don Qnixote, Dumas \ind Walter Scott benutzen.) Weiter lasse man die
Kinder etwa eine halbe Stunde lang für sich ein Stück aus einem Buche
lesen und dann wiedererzählen: so gewohnt man sie, über das nachzu-
denken, was sie lesen. Haben alle Kinder dasselbe Buch ausgelesen, so
macfae man es som Qegenstude einer Besprechmig, lasse die Ghaiaktere
dar Persooen nnd deren Handlnngsweise erUiren, die Umgebnog (Soenerie)
sebildem. Dabei belehre man die Kinder über die Yerhftltnisse mit Hilfe
aderer Bücher, Landkarten oder Bilder. Endlich mache man ihnen Mit-
teilungen über den Verfasser. Diese Unterstützung setze der Lehrer auch
später fort, wenn die Schüler Scliauspiele oder Gedichte lesen. Mittels
dieser Hilfe und des Zusammenarbeitens in der Klasse werden die Schüler
weit schwierigere Bücher lesen können, als wenn sie sich yon Anfang an
gus ftberiaaaen sind.
b) Btkdier, weilebe Geschichte, Erdkunde, Naturwissenschaft
bdisndelo. Diese mflseen sich an den Lehrstoff anschließen, der in der
yiiooo durchgenommen wird. Die Bücher sollen dem Schült r weiter
gebende Belehrung bieten über das, was das Lehrbuch bringt. Aber auch
zu ihrer Benutzung muß der Schüler herangebildet, bei uns sogar heran-
gezogen werden. (Wir haben gerade auf diesem Gebiete in den letzten
Jshnehnten eine große Zahl vorzüglicher Bücher erhalten, aber der Nntaen
ist bb jetst sehr gering, weil unsere Jugend nicht mehr selbständig sein
nag. Die Zahl der Schiller einer höheren Lehranstalt, die m der obersten
Klasse Gustav Freytags Bilder aus dor deut.-chen Vergangenheit, Riehls
Land und Leute, die Familie, die bürgerliche Gesellschaft, Daanemanns Ge-
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254
MitteUungea
schichte der Naturwissenschaften u. a. durchgelesen haben, möchte sehr
gering sein. Und dabei kann man tlem Schüler nicht einmal einen so
groüeu VorwuH daraus machen. Er muü ja zur Prüfung t büffeln c, wie
ei is dneoL alten Stadentanliede heifit:
»wie ein Ochs vor seiner Molda
sitst er da vor seiooin Pulte;«
wo bleibt da Zeit zu freier Arbeit, wie sie dem trefflichen Scheibert
Tonehwelylid? In seinem Bache aber das »Wesen te höheren Bfiiger-
sohnlec, das s'war schon 1848 erschienen ist, dessen Gedanken aber noch
der Verwirklichung harren, in diesem anscheinend vergessenen Buche
schlug der damalige Direktor der Friedrich- Wilhelms-Schule zu Stettin als
Stätten pnicher freier wissenschaftlicher Arbeit Schul Vereinigungen
vor, deren Mitglieder sich auf den verschiedenen Gebieten mit Hilfe voo
Büchern und Vorträgen selbsttätig weiterbilden sollten. Aus meiner Ijehrer-
t&tigkeit an einer höheren Schule in Schlesien, wo der alte Scheibert als
Sdiukat waltete, erinneie ich midi eines sohdien Vereins, »litennac
nannte er sich mid bescbSfÜgte sich mit schOner literatorf zog^eich aber
auch und bald fast auBScUießlioh mit dem, was jüngst ein mit dem Zeug-
niese der Reife enthissener junger Mann als das »edelste Lsster des 0«^
manen« bezeichnete, mit Enei|>en, und
»da war es natürlich vorbei, t
Es ist eben bei solchen Veranstaltungen durchaus nötig, daü die Schule
die Obeiaufsicht führt. Dann können sie Großes leisten für die wisseo«
scliaftliche Ausbildung.) Auf eines weisen auch die Amerikaner hin:
Sohfller mnfi gewohnt werden, sich ans den gotooonen BUohem Anf-
seichnnngen zu machen,
o) Wörterbücher und Konvenatioiislezika. Deren richtige Benutzung
erfordert besondere Übung. (Bei nns gibt man viel^Kih anfangs den
Schülern besondere »Prüparationen« in die Hände. Richtiger ist wohl, mit
ihnen in der Klasse mit Hilfe eines nicht zu umfangreichen allgemeinen
Handwörterbuchs den Schriftsteller zu losen, und sie dabei in den Ge-
brauch des Wörterbuches einzuführen.)
4. Die Forderung, die ich vorhin schon in Betreff der freien Schüler-
vereinigungen aufstellte, maohen die Amerikaner ebenfsUs in Bezug auf
das Lesen geltend: die Schule mtifi wissen, was der Sohttler liest Der
Klassenlehrer fahrt über das Lesen seiner Zöglinge Buch.
(Dann wird er freilich um einige Unterrichtsstonden in der JUasse snt'
lastet worden müssen.)
5. Eine weitere Forderung ist: die Schule muß auch die SchQler
daran gewöhnen, die Bücher gut zu behandeln.
in einigen amerikanischen Städten liabeu die öffentlichen BQchereien
Eindervereinigungeu für gute Behandlung der Btlcher gegründet Die IGt-
glieder verpflichten sich, schonend mit den Bfichem rnnzogehen, nnd aooh
andere EÜnder dafür sa gewinnen. Die Mitglieder haben besondere Ab-
zeichen, versammeln sich zu VortrSgen über Bücher (vergl. »Literaria«!),
versenden Buchzeichen, aof denen Hegeln über die Behandlung der
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13. Schale und Bücher
255
Bücher, gntc Kntschhige für das Lesen and kleine fiflohei^
Terzeichnisse gedruckt sind.
{Daß bei uns die Behandlung der Bücher viel zu wünschen läßt, so-
wohl bei Schülern wie bei Erwachsenen, weiß jeder Lehrer und jeder
Leiter «ioer VolkBbOcherei. loh war daher freudig übemacht, ala ich in
der ilfieotUchen Bücherei an Zwickan die aanber gehalteaeo Bücher eah,
deren Schutzumschläge nach amerikanischem Vorbilde attfgedmckle Regeln
enthielten. Das Verfahren scheint naciiahmenswert.)
6. Eine wosentlicho Vorbotlincrnncr für die r«>ehtt-> Benutzung der liuchcr
durch die Kinder ist, daii der lx)hrer selbst ein guter Kenner von Hücliorn
und Freund des Lesens ist. Dafür muß wieder das Seminar sorgen.
Bb muß mit guten Büchern versehen sein und seine Zöglinge unterweisen,
wie eine Bücherei einsoriehten nnd m leiten ist Die Seminarbücherei
mat danim auch Jngendacfariften enthalten. -
7. Wie sollen die nötigen Bücher für die Schulen beschafft werden?
In den Vereinigten Staaten sorgen im allgemeinen die öffentlichen
Büchereien dafür. In seinem trefflichen Buche üKer Volksbüchereien er-
mähnt Stecnberg das Wort des Engländers Green wood: »in den Ver-
einigten Staaten nehmen diese Einrichtungen eine so hervoiTagcnde Stelle
iai Leben des Volkes ein, daB ihr Fehlen in einem Bezirke, besonders in
den alten Staaten, diesen Bezirk als rückstSndig erscheinen IftBt« ^) Diese
WenUiohen Bücheroieo lichten besondere Jugendbüchoeien, oft mit Lsee-
nrnmern ein, senden kleine Büchersammlungen an die Schalen, laden
einzelne Schulklassen zum Besuche in den Büchereien ein, um ihnen Ge-
legenheit zu lieben, einen besonderen Gegenstand eingehend zu studieren.
Sie erleiehtern den Lehrern den Zutritt zu dei Bücheij^minilung luid ge-
statten ihnen, die geliehenen Bücher weiter au die Schulkinder zu ver-
leihsn, irlhrend sonst das Weiterverleih«! strenge verboten ist
ISn groüer Teil der amerikamsohen Schulen besitzt aber auch selbst
BAcbersammlnngen, z. B. Klaasenbüchereien von etwa 50 Binden, die mit
besonderer Rücksicht auf das Alter der Schüler und die Lehraufgabe der
Klasse ausgewählt sind. Ein Teil davon sind Handbücher zum Gebrauche
an Ort und Stelle, andere werden nach Hause verliehen. Der iTciirer be-
nutzt jede Gelegenheit, auf diese Bücher hinzuweisen, verlangt von einem
Schüler eine kurze Inhaltsangabe von dem Buche, das dieser zuletzt ge-
Iseea hat, usw. Si wird mcfat erwartet, daü alle Kinder alle Bücher
lesen, da Geschmack und Neigong verschieden sind. Die Kinder dürfen
viebnehr selbst auswählen, was aie lesen wollen, und ihr Urteil über ein
neaes Buch wird berücksichtigt bei der Entscheidung, ob das Buch der
KlSBaenbücherei einverleibt wenlen soll.
Aus dem Mitgeteilten geht hervor, daß planmäßig geordnetes
Lesen eiu wichtiges Glied im Betriebe der amerikanischen Sch>den ist.
Steenberg vergleicht damit den Zustand in den nordischen Ländern. In
Sehweden hat der Lebrerverein Bficherlisten zuaammeogestellt, auch
0 Andr. Soh. Steenberg, Folkebogsamlioger, deres Historie og lodretaing.
8- 36 a. 37. Kopenhagen 1900.
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266
ICttaaniigeB
Mus torsammlungen eingerichtet und eine Jugendbflcherei >Saga<
(Sage) in Heften herausgegeben. In Norwegen hat ein Verein für Einder-
nnd Ingeiidbflolieraieii eben&Us BQobenreneiohmflse nnd Jogendblldier het-
ansgiQgeben. In Dftnemark ist die I^age oft von Lehrerveranen und in
Lchrerversammlungen erörtert worden , zuletzt auf dem 6. allgemeiiMn
Lehrertage (Skoleraöde) im August 1899 von Steenberg und Petersen.
Aus den Erhebungen zu diesen letzten Verhandlungen ging nach Steen-
bergs Worten hervor, »daß es mit den Jugend bQchereien rocht schlecht
steht« Und es ist demnach aller Grund vorhanden zu erwägen, wie man
am besten eine bessere uod umfassendere Benutzung der BOoher in den
ScfaideD eireichjea kann, und ob diese umfiuseode Yerwendnog siofa mit
dem bestehenden Lehrplane Teieinigen I&fit oder eine Umgestsltong des
letsteren nötig macht, damit der Schulplan diesen widitigen Tal der
Kldungsarlteit (durch BQcbcr) aufnehmen kann.
Da wird — meint Steenberg — sogleich der Einwand gemacht
werden, daß weder die Volksschule noch die höhere Schule Zeit zu dieser
Arbeit hat Und doch muß jeder zugeben: gelingt es der Volksscliule,
die Kinder zum filldhertossD in bringen und zur liohtigen Benutzung der
Blleher, so können sie sieh durch hinsliches Lesen eine grofle Menge m
nfitclichen Kenntnissen selbstt&tig aneignen. Was aber die höheren Sohoko
anbetrifft, so wird auch in Dänemark viel geklagt Ober die bisherige Art,
das Gedächtnis der Schüler mit Wissensstoff zu überladen, der nur bei der
Prüfung gebraucht wird. Eine Umgestaltung der Prüfuut;, meint daiier
Steenberg. ist durchaus notwendig: eine Umgestaltung der Art, daß die
Prüfung mehi- das Auffassungsvermögeu, die Fertigkeit und Reife
zu zeigen hat als das Yorhandeasmn einer gewissen Menge von Kennt-
nissen, die mühsam dem Qedlchtnisse eingeprigt sind und wovon flis
großer Teil schon nach wenigen Monaten vergessen ist Daß Qbrigeas dio
bestehende Prüfungsart (dio in Dänemark nicht anders ist als bei uns)
durchaus keine Gewähr für die wirkliche »Reife« des Prüflings bietet,
sagt sch'tn Scheibert in dem genannten Buche: er schreibt (S, 391), >daß
bei dem vielen positiven Wissen, das die Abiturienten -Instruktion fordert,
auch der Dummkopf sich für ein solches E:>camen reif machen kann, wena
derselbe nur 'WiUeDskxBft und Auadauer genug besitstc Und der weife-
blickende Schulmann schlug daher schon 1847 tot: »reif ist der, welcher
in einer Wissenschaft und einer Kunst Tfichtiges leistet und dabei
durch Darlegung seiner freien Tätigkeit (dargetan durch die selb-
ständigen Arbeiten, die er w.ihrend der letzten beiden Schuljahre auf den
verschiedenen Gebieten geliefert) gezeigt hat, daß er bis zu einer ge-
eigneten und fruchtbringenden Selbstbeschäftigung in einem Gebiete
mindestens vorgedrungen sei, und dabei von der Schule ein gutes Sitten-
zeugnis erhalten hat« (8. 388). FQrs erste ist wohl nicht daran so
denl^n, dafi die BeileprOfung in diesem Sinne umgestaltet werden, ob-
gleich für die ISrteilung des viel begehrten Einjährigenscheioes das Zu-
geständnis gemacht worden ist, daß als Ersatz für die »wissenschafthche
(4huilifikation« hervorragende L(Mstungen auf dem Gebiete doj- Kunst oder
lies Kunstgewerbes treten könneu. Das ist immerhin i^chon etwas, und
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14. StaatUoh oginisierte VoLkssohnlbibliotheken in Uogani
2S7
die lu^ische Prüfungskommiseion hat eich sogar 80 «i^genkommend ge-
zeigt, daß sie einem Knastfiabrer die BeieohtigiiDg zum einjShngen Dienste
erteüt hat. (!)
üm jedoch auf die Fragt? des Lesens zurückzukommen, so sclicint
mir ein Grund für die unrichtige Benutzung der Bücher als Bildungsmittei
TOD sehen der Schflier der su frühe Beginn des Lesens. Mit fiecbt
klagt PeetBloizi, «daß man (durch das FeaeelD der Kinder an den Scbrdb-
tiMdi und das Buch) die ganze Natur vor ihren Augen yereohwinden
madit«. Und ^ie die Volksechule an den sechsjährigen Kindern sündigt,
60 später die höhere Schule an den neunjährigen, die ohne genugendo
Kenntnis ihrer Muttersprache eine fremde Sprache lernen sollen, mag es
nun Latein oder Franzosisch sein. Das rächt sich durch die offenkundige
Unfähigkeit, die Bücher nützlich zu verwenden oder gar durch Oeriog-
adiätgnng dieser BUdungamitteL
Steenberg BchlieBt mit einer kleinen Geechiohte. Ein Scbulinspektor»
60 schreibt er, erzihlte mir einmal: als die SdiulbAder in den Qemeinde-
scholen eingeflUirt worden wasea, da frigtan die Kinder, wie sie von der
Schule abgingen: »wo werden wir denn nun unsere Bäder bekommen?c
Und Steenberg fälirt fort: »Wäre es nicht das Naturgemäße für unsere
Schulen, die jahrelang die Schuler zwingen, Bücher zu benutzen, daß die
Schüler nun auch beim Abgange kommen und fragen: wo werden wir iii
Znkonft etwaa au lesen bekommen?«
14. Btaatlioh organieierte VolkMohiilbibliotliekeii in
Ungarn
Wir woUen in den folgenden Zeilen Uber die Entwicklung einer In-
ititatioa Beriebt erstatten, die, sovfU wir wissen, keine diiekte Vorgingeria
im eoropäischen Bildungsweeen hat, nämlich über die staatliche Organi-
sation der VolksschuUiihliotheken in Ungarn. Das Werk dieser Organisation
ist vor einigen Jahren unter dem vorigen Unterrichtsminister Wlassics
begonnen worden und vor kurzem imter dem jetzigen Unterrichtsminister
Berzeviczy zu einem vorläufigen Abschluß gekommen. Die Kontinuität
der DnrchfQhmng yerbOrgte die Person des Ministerialrates Haläsz, der
adion asit einem Jahraehnt die Angelegenheiten der Volksschule im
vngarisohen Unterriehtaministerium mit killtiger und sielbewufiter Hsad
leitet.
Der Oedanke, die Volksschulen des Landes mit Jugendbibliotheken
auszustatten . deren Inhalt von den Organen des Staates geprQft und
approbiert werden sollte, geht schon auf das Jahr 1899 zurück.
Zuerst dachte das Unterrichtsministerium daran, durch den Landes-
anterrichtsrat eine Liste jener Schriften zusammenstellen lu lassen, die in
den Jogendbibliotheken Platz finden sollten. Die Ausfahrang dieses Ge-
dankens erwies sich aber nicht als zweckentsprechend und da legte
aSMritl fOr FUknphi» vaA Fldagogik. 12. JahiKnag. 17
Digilized by Google
258
Mitteiltm^n
Minister Wlassics, der seine Pläne vor ihrer Verwirklichung^ gerne eiiMr
öffentlichen Besprechung unterwarf, die auf die Angelegenheit der Tneend-
bibliothoken bezüglichen Fragen einer aus vorneiimen Vertretern des Unter-
richtswesens, der Literatur und des Buchhandels bestehende Enq^ucte vor.
Das Bflmdtat der hier gepflogenen Beratung war dann im Jahre 1902 das
Anfetellen eines Gomitte xur Leitung des Volkascbiilbibliotheksweeens
(N4pi8kolai i^üafigi k5ogot&rabka intOzö bizottafig) und das Herausgeben
eines Statutes, das den Wirkungskreis dieses Comitös n&her wa bestimmen
berufen war. Dieses Statut dürfte auf das Interesse weiterer Kreise
rechnen können, und wir wollen dessen wichtigste Punkte hier mitteilen.
Aus § 1. Der Minister für Kultus und T'ntorncht organisiert behufs Be-
gutachtung der Jugendschni'ten und Kialiihruug der uui diese bezüglichen
Angelegenheiten ein Comitö. Dieaee Comitö hat die Aufgabe die Jugend-
literatnr au beobachten, an kontrollieren und zu lenken. Das Gomit6 be-
steht aus einem Vorsitzenden, einem Referenten (Schriftführer) und 12 Mit-
gliedern, die vom Minister auf 5 Jahre ernannt werden. § 2. Für die
Jugendbibliothekeu der unter der Verfügung und Leitung des Ministers
stehenden Volksschulen dürfen nur solche Jugendsehriften angeschafft
werden, die der Minister auf die verantwortliche Empfehlung des Comites
hin in den Katalog der Volksschulbibliotlieken aufgenommen hat. Aus § 3.
Um die Aufoahme einer Jogendschrift in den ministeriellen Katalog hat
der Verleger in einem an den Minister gerichteten und bei dem Comit6
einzureichenden Gesuche einsnkommen. § 5. Die eingereichte Jogend-
schrift wird von dem Comite einem außenstehenden Rezensenten ausgefolgt,
der die Jugendschrift nach folgenden Gesichtspunkten prüft: 1. ist sie
nach Inhalt und Form wertvoll? 2. Ist in ihr nichts von patriotischem
Gesichtspunkte aus zu beanstanden? 3. Ist sie frei von jeder Aufreizung
gegen irgend eine Konfession? 4. Enthält sie nicht Ausdrücke, die dem
Geiste religiOSpaittlicber Ersiehung widersprechen: 0. Entspricht sie in
sprachlich -stilietischer Hinsicht den Anfbiderangen? 6. Taugt sie für
Schüler der eigentlichen Volksschule (mit täglichem Unterrich) oder für
die der Fortbildungsschule? 7. Sind Druck und Preis entsprechend? Zu
bemerken ist, daß wenn die Jugendschrift in Sprache und Stil unzureichend
ist, sie bei allen sonstigen Vorzügen in den Katalog nicht aufgenommen
werden kann. Der Rezensent schickt sein Gutachten an den Vorsitzenden
des Comitos. § 7. Auf Grund der Entscheidung des Comitös verzeichuet
der Minister die empfuhlenen Jugendsehriften und Teröifentlioht das Ver-
zeichnis in dem Amtsbktte des SCinisteriums. Aus § 11. Das mit der
Leitung der auf die Jugendsehriften bezQglichen Angelegenheiten betiante
Görnitz unterbreitet in jedem Jahre dem Minista einen zusammenfassenden
Bericht, in welchem es die im vergangenen Jahre geprüften Jugendschriften
im allgemeinen charakterisiert, auf die wahrgenommenen Milngel hinweist,
die zu befolgenden Riclitungen bezeichnet, und spezielle Voi-schloge dar-
über macht, was zu tun sei. § 12. An den unter der Leitung des
Ministeriums stehenden Volksschulen haben die Lehrer, bezw. die Lduer-
kollQgien aus den auf die oben bezeichnete Weise katalogisierten Werken
mit BerOcksichtigung der lokalen Verhftltnisse das Verzeichnis der anzn-
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14. Staatlich organisierte Yolkäsohulbibliotheken in Ungarn
25^
schaffenden Jugendschriften zusammenzustellen. Diese Yerzeichuisse sind
von den betreffenden Schulen alle Jahre bis zum 1. Juni den Schul-
inspektoren behufs QntheiAuiig SQ anterMten.
Auf Gnmd dieses Statntei^ deesen Hauptpunkte wir hiemiit hervor*
gehoben haben, wirkt nun aeit swei Jahren das beaeiohnete Comit6, das
der Minisler ans hervorragenden Gelehrten, Schulmännern und Schrift-
stellern zusammengesetzt hat, und das Comit«' weiß durch Herbciziehun£^
tüchtiger Rezensenten seine Wirksamkeit zu einer ersprießlichen zu machen.
Der erste gröliore zusammenfassende Bericht des Comitt's un das
MiBiaterium wurde samt dem ersten grundlegenden Verzeichnis zu liogiuu
des ktiten Sommors fertig und vor hunem TorilfliBniltQhto das Uinislsrium
diese Arbeiten. Dieser Bericht ist tot allem ein auefOhrlicher Bseai flbsr
den Zustand der nngarisohen Jugendliteratur ond auch dieser Essai hätte
trotz seines ged&mpfteren Tones den Titel fQhren kOnnen, den der Ham-
burger Wolgast seinem trefflichen Buche vorangesetzt hat: Das Elend
unserer Jugendliteratur.^ Dieser Essai dient zugleich als Einleitimg und
Kommentar zu dorn auf Grund der Arbeit dos Komitees zusammengestellten
Katalogs. Dieser Katalog gibt vor allem ein fortiaufcudee Verzeichnis aller
vom Gomitö geprüften und fOr gut befondenen Jugendsohtiften, dann
aber noch ein zweites Yeneicfanis fOr die bei Nengrflndungen oder Neu»
anschaflfongen in erster Reihe zu berfloksiohtigenden BQcher. Zeigt also
das erste Teradohnis, was die SobOlerbibliotheken der Yolkssohulen ent-
halten dürfen, zeigt das zweite, was sie enthalten sollen oder gar
müssen. Jedes Verzeichnis bt^stoht aus zwei Teilen: einem für die
Elementarklassen (6. — 12. Lebensjahr) und einem für die Fortbildungs-
klassen (13.— 15. Lebensjahr) und die sogenannten Jugendvereino (über
die letstere junge Schöpfung des nngarisohen Bildungswesenst die jetst in
ihrer ersten Entwioklang ist, will iob mit Erlaubnis der Sohriftleitnng
bei einer nflohsten Msgonheit berichten, hier sei zum Verstftndnisse des
Aasdruckes nur soviel wwähnt, daß die aus der Fortbildungsschule — nach
dem 15. Lebensjahre — entlassene Jugend des Volkes sich in freien, aber
Vom Staate unterstützten Vereinen zusammenfindet, in denen sie ihrer
weiteren Solbstbildung lebt). Das zweite Verzeichnis, welches, wie erwähnt
wurde, die unbedingt anzuschaffenden Jugendschrifteu aufzählt, baut sich
in drei, der Wiohtigheit nach abwirtsgebenden Stufen an^ die Typen ge-
Bsont werden. Nnr wenn eine Bibliothek den ersten^ das ist wichtigsten
BiUioHiekstypus schon besitzt, kann sie den zweiten anschaffen, und nur
wenn sie im Besitze beider ist, den dritten. Der erste Typus (der 72
Bände im Gesamtwerte von ungefilhr 110 M umfaßt) soll auch von den
kleinen Volk^^scliulen — mit 1 — 2 Lehrern — angeschafft werden, der
erste und zweite Typus (zum zweiten Typus gehören 81 Bände im Gesamt-
werte vou ungefähr 120 M.) von Schulen mit 3 — 5 Lehrern und alle drei
Typen (der dritte Typus slhlt 101 B&nda im Gesamtwerte von 175 H)
von den grofien Schulen mit 6 oder noch mehr Lehrern. Die Veneicih-
nisse, samt den auf sie bezüglichen Weisungen und einer Instruktion für
d;*? Einrichtung und Verwaltung der Bibliotheken wurden im Juli v. J.
vom Minister Berzeviozy in einer Verordnung den Volksschulinspektoren
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Mittflifauiigw
behufs weiterer Verffigiing mitgeteilt. In diMer Verordiniiig gab der
Minister die Erlaubnis, daß in solchen Schnlen, in welchen die nach deft
bestehenden Vorschriften zu Bihliotheksz wecken bestimmten Einschreibe-
gelder eine ungenügende Summe ergeben, die Kosten der Jugendbibliotheken
in das ordentliche Jahresbudget eingestellt werden dürfen, ja für den Fall,
daß selbst dieaee nicht hinieichen sollte, verspricht der Minister, daß er
bestrebt sein wird fOr die entspieobende Otganiaelioa die notwendige
stMtlmhft UntentÜtinng herbeisnechalliBn. Was der Minister in dieser Te^
Ordnung in Aussicht gestellt hat, wurde von ilun vor einigen Wochen er-
füllt. Nachdem der Minister in den vorhergegangenen Monaten aus den
Meldungen der Schulinspektoren über die auf die Schülerbibliotheken be-
züglichen finanziellen Verhältnisse Daten gesammelt und sich auf di^
Weise über die notwendigen Verfügungen Klarheit verschafft hatte, ver-
ständigte er in einem Erlasse vom 2. Dezember 1904 sämtUohe Sdinl-
inipektoien des Landes, daß er fSr die stantliehen und staatUoh subven-
tionierten Yolkssohalen die betreffenden Bibliothekstypen snoh sehen be-
stellt hat, so daß kurz vor Weihnachten die für die Bildung des Volkes
sich interessierende Presse mit lautem Jubel verkündigen konnte, daß 2196
Volksschulen als Festgabe mit den besten Jugendschrifton ausgestattete
Schülerbibliotheken erhalten haben. Ongefähr die Hälfte der Koston wird
aus den EiDschreibegeldern bestritten, das übrige durch direkte Staatshilie.
So ist das vor Jahren dmoh den Minister Wlnssios angebshnts Weik
von seinem Nachfolger foilgoaotit und tn einem befriedigenden, mit all-
gemeiner Freude b^grOfiten Abschloß gebracht worden.
Wohl dürfte die energische staatliche Bevormundung selbst der litera-
rischen Seite der Volks- und Jugendbildung vielleicht nicht nach jeder-
manns Geschmack sein — lebte Hert^rt Spencer in Ungarn, er würde
gewiß seine Stimme dagegen erheben — aber wer da bedenkt, daß es
mit der Jugendliteratur und der Lektüre des Volkes selbst in Ländern
nUer und einheililioher Knitor nioht sn gnt bestellt ist» wird es gewü nir
mit Anerheonung sehen, daß ein Staat, in desssn Lsnd die Kidtnr joag
-nnd nach verschiedenen Nationalitäten und Zungen vielilltig aericlflftet ist,
mit fester, aber freigiebiger Hand die Bildungsschätze unter dss Volk
streut, die von an Geist und Geschmack hochstehenden Mftnnsn nnnittel-
■bar zu diesem Zwecke gesichtet und geordnet wurden.
Budapest J. WaldapfeL
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Pftdagogisohes
CMrg Schneider, Die Zahl im grundlegenden ReclienuDterricht.
Entstehunp, Entwicklung und Veranschaiilichung derselben »inter Bezug-
nahme auf die physiologische Psychologie. bammluDg von Abhandlungen
■DI dem Gebiete der pftdagogiachen Psychologie und Physiologie, heraua-
gegeben toq H. Schiller und Th. Ziehen. III. Bd. 7. Heft fierlin»
Eeuther & Reichard, 1900.
Eine oberflächliche Betrachtung dieser Abhandlung kOonte zu einem
gflnstigen Urteil über sie führen. » Schon der Platz, an dem sie erscheint,
spricht für ihren wissenschaftliclicn und praktischen Wert.« So urteilt
Fr. Po lack in den »Pädagogischen Brosamenc (1901, 11). Ferner
scheint den Ergebnissen der darin angedeuteten didai^tischen Experimente
(8. 69 — 77) wegen ihrer nhleiinäßigen Qenanigkeit groie Überzeugungs-
baft insokooimen. Prüfen wir die Sefarüt eingehender!
Der 'Verfuaer fordert in der Einleitung (S. 4), das Wesen des Zählens
und Reohnens mOsse auf dem Wege der empirischen Forschung, nicht auf
dem der Spekulation bestimmt werden. Dieser Forderung muß man bei-
ptlichten, wenn man unter Spekulation ein Phantasieren versteht, das
sich vom vernünftigen Denken entfernt. Wir befinden uns also auf
dem Gebiete der empirischen Psychologie. Als empirische Psychologie
beMidinet der Verfamw (S. 4) aber nur die physiologische und experl-
MBtelle Peyohdogie und als die TutSMfae^ die für die empirische Psycho-
logie grundlegend sei, die, dafi »alle geistigen Vorgänge mit einem gerade
beim Menschen am höchsten entwickelten Organ, dem Oehirn, in engem
Zusammenhang stehen«. Der Verfasser übersieht also, daß die empirische
Psychologie auch ohne physiologische Untersuchungen und ohne Experi-
mente zn ganz ansehnlichen und relativ sichern Ergebnissen gelangen
ksan, femer, dafi der Zusammenhang swiscben geistigen Erzeugnissen
«ad Vsrtnderangen im Oehim bis jetzt dorchans ifttsdhaft und fdr die
Besofardbong von asslisdien Yorgingeii gsr nicht so wichtig ist. Denn
wir, wie s. a auch in der
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Besprechoogen
Physik, die der Verfasser zum Vergleich heranzieht, auch in der empi-
rischen Psychologie (physiologische und experimentelle Psychologie einge-
schlossen) nur Tatsachen beschreiben, nicht eigentlich erklären können.
Angabe der empiriaohen Ftaiyishologie ist ee demnach, imBern Bewnßtseäns^
iotaalt SU zergliedern und die >geaet2m&Bigec Anfisimuiderfolge von Bewuft-
seinszustfinden zu beschreiben. Und diese Zergliedemng unseres Bewufit-
fleinsinhaltes zeigt uns keinen ursächlichen Zusammenhang zairischen Gd-
himverändornnp:pn und soelischen Zustünden. Unsere Beschreibung der
Entstehung von Zahlvorstcilungon kann deshalb ganz genau und richtig
sein, auch wenn wir diesen Zusammenhang nicht berücksichtigen.
Und gründet der Verfasser seine Meinung über das Wesen der Zahl
wirUicta auf physiologische Ergebnisse und auf Experimente? NeinI Dens
in allen seinen grandlegendoi ErOrtemngen über »die Zahl in ihren vec^
achiedenen Erscheinungen«, Ober »die Wahrnehmung der ZahleindrQcke«)
über »die Abhängigkeit der Zahlvorstellungen von den Empfindungseigeo-
schaften«, über »die Anschauung als Grundlage des Zählens*' , über »den
Zahlbegriff und das Wesen der Zahl« und wie die Kapitel iU>erscliriften
des ersten Teiles seiner Arbeit alle heißen, in all diesen Erörterungen
geht der Verfasser nicht vom Experiment aus. Erst im zweiten Teil seiner
Arbeit, nachdem er im ersten das Wesen der Zahl dnrdb lein gedanWidie
üntersoohungen festgestellt au haben glaubt, versocht er, dniäi »didak-
tische Ezperimmitec etwas über die »Veranschaulichung der Zahl im Unter*
rieht« zu erfahren. Der Verfasser darf also durchaus nicht den Anspnich
darauf erheben, bei dem wichtigsten Teile seiner Arbeit eine besonders
ausgezeichnete, etwa »naturwissenschaftliche« üntersuchungsmethode an-
gewendet zu haben. Aber der Verfasser scheint tatsächlich sich in diesem
Irrtum zu befinden. Leider ist seine > Bezugnahme auf die physiologische
Psychologie«, die schon auf dem Titel angekündigt wird, nnr eine ober-
faohliöhe, und deshalb kommt er zu oberfliofaliohen BehanpCnngen. Ober-
flAdüioh ist s. B. seine Darlegung, wie Empfindungen an Vorstellungen
w^en. Er schreibt S. 6: »In der Vorstellung sind die von den Objekten
ausgegangenen und vom Gehirn festgehaltenen Reize unser •Toistieas Eigen-
tum geworden.« Wie materielle Reize unser geistiges Eigentum werden
können, ist doch recht merkwürdig. Wie denkt sich der Verfasser diesen
Vorgang? S. 11: »Jeder Reiz läßt . . im Gehirn . . eine Spur zurück, so
dafi er auch nach seinem Aufhören noch gegenwärtig ist und so sur Vor-
stellung wird.c 8. Sl: »Die Vorstellung ist nur der Rest der Empfindung^
der noch vorhanden ist, wenn die Oligdcte nicht m^r einwirken. Daher
kommt auch den Erinnerungsbildern ... bei weitem nicht die Lebhaftig-
keit der Empfindungen zu. Sie sind quantitativ geringer.« Es seien nur
wenige Ergebnisse der physiologisch -psychologischen Forschung (Ziehen,
Leitfaden der physiologischen Psychologie, 4. Aufl., 8. Vorlesimg) angeführt,
die da zeigen, wie oberflächlich die Darlegung des Verhssers ist
psychischer FSiallelTorgang für das sogenannte Niederlegen des Brinnerongs-
biidea im Gehirn fehlt vollkommen. Erst eine neue Ähnliche Empfindnag
oder eine Ideenverbindung können das Residuum der materiellen Erregung
ao ▼erändem, daß zu demselben wieder ein pq^cbischer FtoaUelToigsiigi
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rädogogisches
263
das bewußte Erinnerungsbild, die Vorstellung hinzutritt. Ferner: Sinnliche
Lebhaftigkeit kommt den Vorstellungen nicht in geringerer Intensität als
der Empfindung, sondern überhaupt nicht zu. (Die Vorstellung des leisesten
Biuscfaens und die des lautesten Donners zeigen gar keinen IntenaitSts-
nntendüed.)
In seinen Darlegungen über das Wesen der Zahl verwechselt der
Verfasser ständig Zählobjekt und Zahlbeziehung. (Vgl. auch die Be-
fiprechung einer andern Arbeit des Verfassers von Th. Ooebol, Päda-
gogische Warte, 10U4, Heft 22, S. 1223 f.)
S. 11 behauptet er, die Zahlen würden »nicht unmittelbar, sondern
mittelbar in Verbindung mit Dingen empfunden«. Aber welches ist die
Alt dieser Verbindung? Doch diese: Dinge, bestimoiter: AuBenperzeptionen,
kflnnen ZOhlobjekte, Zftblmittel sein, kOnnen gesählt werden. Genaner:
Dinge oder Bewegungszuständc, die in einer Reihe auftreten, werden ge-
setsmäfiig den Gliedern einer bekannten Zählreihe, zumeist der zeitlichen
Reihe der Zahlwörter, eindeutig zugeordnet. (Vgl. die Arbeit Facks:
»Zählen und Rechnen«, Zeitschr. f. Philos. u. Pädag., 2. Jahrgang, S. 19G
bis 213, 262—275, 346—351.) Daher ist der SchluB berechtigt: Wo
kdne Dmge sind, kOnnen keine Dinge gezählt werden, aber nicht der
Sdüuß des Verfassers: »Wo keine Dinge sind, gibt es auch keine Zahlen.«
(8. 13.) Welche Ansidit hat der Verfuser vom Wesen der Zahl? Die
Zahl ist nach seiner Meinung ^das Verhältnis der Dinge in Bezug auf
ihre Menge«. (S. 55.) Daß die Zahlvorstellung durch irgend eine Be-
ziehung zu Stande kommt, gibt der Verfasser hier zu. Aber was wird
dabei aufeinander bezogen? Aus der angeführten Definition läßt sich das
nicht klar erkennen. An einigen Stellen nähert sich der Verfasser der
vorhin angedeuteten Ansidit vom Wesen der Zahl. Im VII. Abschnitt
(»Dis Zustandekommen der ersten Zahlen«) fOhrt er das bekannte Beispiel
von dem kleinen Knaben an, der s. B. 2 Kugeln hat Es wird ohne sein
Wissen eine Eugel entfernt. Der Knabe sieht dann zu seinen Kugeln
zurück. Er ist sich dessen bewußt, daß die Anzahl eine andere geworden
ist. Man sollte ineinon, dieses einfache Beispiel hätte den Verfasser zu
der Ansicht führen müssen, daß die Zahlvorstellung (hirch Vergleichen,
Beziehen entsteht, hier durch ein Vergleichen der Emptindung des neuen
Bildes mit der Vorstellung des alten Bildes. Aber der Verfasser kommt
SB folgendem Erigebnis: »Zahlen werden im allgemeinen (I) genau so er^
kumt wie die Eigenschalten der Farbe, ChrOie und Ausdehnung« (S. 29),
obwohl sie »nicht eine Qualität der Dinge wie die Farbe« bildm (S. 56).
Oerade das genannte Beispiel zeigt deutlich, daß die Beziehungsvorstellungen '
aDdcTs entstehen als die Vorstellungen der Farbe und so fort. Auch an
andern Stellen üb^^sieht der Verfasser, daß die Zahl zu den Beziehungs-
vorsteUungen geiiürt, daher die ständige Verwechselung zwischen Zähl-
ob[skt und Zahl S. 9 lespn wir: Wir kOnnen die gezählten Dinge sehen,
hlhvn, fühlen. »Die Zahl kann, z. B. beim flinsufOgen einielner Einheiten,
in Sntrtslien begriffen sein oder auch als abgeschlossenes Glanzes auftreten.
Diher hat sie einen zeitlichen und räumlichen Charakter.« Also: weil
die gssählten Dinge in räumlicher oder zeitlicher Reihe auftreten, deshalb
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264
B6^P90hnng8D
ist nach des Verfassers Ansicht die Zahl räumlich und zeitlich. Noch
deutlicher zeigt sudi dieselbe Verwechselung S. 15. Der Verlasser spricht
davon, vie die Schläge der ühr geiSblt werden, und hier identiflsiert er
OehOreeindracke und Zahlen fast Tollständig. Was soll man erst mit
einem Satze wie diesem anfangen: »Die räumliche Darstellung der Zahl
fibertrifft ihre zeitliche ¥o\\;e bei weitem« (S. 23). Und S. 3G red^t
der Verfasser sogar von der zweiten uiul dritten Dimension der Zahl uuJ
läßt diese seine eigene Erkenntnis, daß die Zahl drei Dimensionen habe,
duich gesperrten Druck deutlich hervorheben.
Welches ist die Folge dieser Verweisthselung? Der VerCsaser redet
gar viel von den zu lAhlenden Dingen und verliert sich dabei auf Gebiete^
die nur in losem Zusammenhänge mit dem Thema stehen. 8o redet er
B. B. von musikalischen KombinationstOneo, von der Übertragung kalorischer
Reize (!) auf das Gebiet der Farben, sogar von der Färbung der Lerche
und des Laubfrosches — aber vom Wesen der Zahl zeichnet er leider
kein klare 1 Ild.
Der 11. Teil der Arbeit ist übersduieben: »Die Veranschaulichung
der Zahl im ünterriehtc Wir würden ssgen: Von den Zlhlmitteln im
ersten Bechenunterricht Aus dieser OegenOberstellung geht von von-
herein klar hervor, daß der Veriksser su andern Forderungen komnea
vrird als wir. Da er meint, man könne die Zahl veranschaulichen, so
geht er ans von den »ForJerungen, die bezüglich der Veranschaulichtiiig
der Zahl gestellt werden müssen €. Wer dagegen die Zahl Vorstellung als
Beziehungsvorstellung betrachtet, der wird wie Fack (a. a. 0. S. 270 f.j
nach geeigneten Mitteln suchen, die Kinder auf diese Beziehung von vorn-
herein hinzuweisen. Die Beurteilung irgend eines Unterrichtsmittels riohtft
sich gans nach dem Miaflstab, den man an dieses Mittel anlegt Deshelb
wftre es unnütze Arbeit, auf die nun folgenden AusfQhrungen des Ver-
fassers näher einzugehen, wenn wir seine grundlegende Ansicht Ober das
Wesen der Zahl nicht als richtig anerkennen können. Nur ein paar Worte
zu den »didaktischen Experimenten, c deren Ergebnisse wogen ihrer zahlen-
mäßigen üoniiuigkeit überzeugen könnten. Der Verfasser stellt durch viele
Versuche z. B. fest, daß bei momentaner Betrachtang eine Anzahl von
Kugeln richtiger abgescbAtit wird als eine gleiche Aniahl von Strichen
und so fort. Ist dies aber das Ziel des eisten BeohennnterrichtSi daS die
Schüler momentan — der Verfosser verwendet zu jeder Schätzung eine
halbe Sekunde — Anzahlen schitzen lernen? Nein, wohl auch nicht nach
des Verfassers Ansicht. Aber er meint, solche Experimente könnten ihm
am besten zeigen, "welches Veranschaulichuugsmittel die Zahl am besten
wiedergibt. Ja, wenn die Zahl überhaupt anschaubar -wäre! Die Eiperi-
mente zeigen bloß, an welchen Zählmitteln Kinder, die schon tShlen
können (es waren Kinder des 3. — 8. Schuljahres) gewisse Mengen tm
schneCsten absohfttzen. Sollen solche Experimente nutzbringend sein, se
müssen sie mit Kindern des ersten Schuljahres vorgenommen werdea
und sich folgende Aufgabe stellen: Mit welchem Rechenmittel lernen
die Kinder am leichtesten und sichersten zählen und rechnen? Daß der
Tillicbsche Kechenkasten bei den Ergebnissen der Versuche sehr schlecht
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IldagogüiohM
265
▼egkommen mußte, war von vornherein zu vermuten. Die Anzahl der
Wfirfel, die eine Sfiule ausmachen, ist natürlich viel schwerer abzuschätzen
als eine Ansahl von sjnimetrisoh angeordneten Pnnkten, sQmnl wenn die
Sbüen keine denUidien Teilstriche hahen. Nur ist solches Afasohfttien von
gar nicht so großer Bedeutung für die Bildung der ersten Zahlvorstellungen.
Der Verfasser Obersieht femer manche Fehlerquelle seiner Versuche. Die
Versuchskinder kannten den Tillichschen Kasten vorher noch nicht; wenig-
stens war ihnen die aufrechte Stellung der Säulen unbekannt (S. 70). Sie
wurde ihnen vorher erst »erklärt«. £s ist deshalb durchaus nicht zu ver^
wnndern, dsA die Kinder im Schätzen der ihnen weniger bekannten oder
doch in neoer Weise anfgeetellten Slnlen nierst sehr unsicher waren im
Yeiiglaich snm Schitzen der »Punkte« anf dem Rechenbrett, das sie viel
genaner kannten. Deshalb geben die Zahlen, die sich bei den Versuchen
herausstellen, doch recht unsichere Auskunft, auch dem, der des Yerfassers
Ansicht Ober das Wesen der Zaiil teilt.
Wenn man didaktische Experimente anstellen will, so muß man vor-
her genau feststellen, welche l?'ragen diese Versuche beantworten sollen.
Die genaue Fragestellung wird dabei häufig schwieriger sein als die Be-
antwortung durch den Versnob. Wenn man duroh Experimente i. B. ein
Bedienmittel priUlen will, so muA man sich vorher eine klare AuflMSong
vom Wesen der Zahl bilden. Das p^ychologiache Experiment ergänzt dann
die Üherlegnng, indem es eine gestellte Frage beantwortet oder ein rein
gedanklich gefundenes Ergebnis durch die sinnliche Ei fahrung bestätigt.
Psychologische Experimente sind aber dann gefährlich, wenn die Frage,
die sie beantworten sollen, nicht richtig gestellt ist. Sie werden dann
leicht falsch gedeutet. »Das erfahrungslose Denken nnd die gedanken-
lose Erfahrung sind gleich ohnmächtig« (Wundt).
Jenn Paul Henkler
•le MS Bnisbmg
(8elb9tanzeige)
Die neue Erziehung. Elssays üler die Erziehung zur Kunst und zum
Leben von Dr. Heinrich Pudor. 339 Seiten. Leipzig, Verlas ^
Hermann Seemann Nachfolger. Preis 5 M.
Die Eniehnng ist die Grundlage aller Beformfragen. Fast alles im
Leben des Menschen ist Sache der Erziehung. Fast alle MSngel der
Bildung und Sitte sind auf Rechnung fehlerhafter Erziehung zu setzen,
das gilt nicht nur vom privaten, sondern teilweise sogar vom öffentlichen
Lehen. Deutschland, nicht etwa nur Rußland steht vor schweren inneren
£risen. Es hat zu wählen zwischen Reform und Revolution. Soll erstere
in Frage kommen, so mnfi sie von 0rund aus erfolgen nnd die Eniehnng
hat dabei das wichtigste Wort au sprechen. »Fangt es aber mit der
Jugend an, und es wird gelingende sagt Goethe. Aber man wolle nicht
denken, daB die Erziehung nur fQr die Jugend in Frage kommt. Das ist
gerade der Krebsschaden unserer Zeit, daß die Erziehung der Regel nach
mit dem achtaehoten oder vieiundzwanugsten Lebensjahr ihr Ende nimmt»
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266
Bespredraiigen
während nur das Ijobenseade ihr ein Ziel setzen sollte. Dazu kommt,
dafi die Eniehung heute, wie von immer mebr Seiten sageefeanden wiid,
eine einseitig formalistisohe ist, die sn viel Unterricht (Oediehtnis-Stiofl)
und zu wenig wirkliche den Menschen bildende Eniehung gibt Sie ist
vor allem aber einseitig geistig verstandesmcißig, zu wenig ethisch und
fast gar nicht leiblich. Diese harmonische Erziehung des Mensehen ist
das Programm des vorliegenden Buches »Die neue Erziehung^. Der »Er-
weiteruDg der Erziehung« gc'ten die Kapitel Jugendspiele, Handarbeit, Der
Gartenbau in der Schule, Der Sport in der Erziehung und der ganze
VIL Teil des Buches »Die Endehung des Leibes«. Als AutoritSten, die
eine solche Erziehung in frOheren Jahrhunderten ▼ertreten haben, weiden
im I. Teil Montaigne, Pestaloszi, Gomenius, Bembrandt als ERieher,
Lagarde behandelt.
Eine fernoro, wesentliche, und notwendige Ergänzung der Erziehung
ist >Die Erziehung zur Kunst«, die im IV. Teile behandelt wird. Der
Erziehung zur Musik ist der ganze, dann folgende Teil gewidmet. Daran
sohliefit sich ein Kapitel über Volkserziehung. Als Volkserziehung ist
zwar die ganze nene Erziehung gedacht; hier ist aber im engeren Sinne
▼on Voliraerziehung, wie sie die nordischen YoUnhodhschulen schon ia
fast idealem Sinne repräaentieieD, die Rede. Endlicli behandelt noch ein
Teil verschiedene Lebensfragen und Erziehungsfarben, so die Erziehung
des Weibes, die Selbsterziehung, die Erziehung zur Arbeit, vor allem al>er
den Enthusiasmus als Erziehungsmittel, gerade an dem fehlt es in iiiisoror
modernen großstädtischen bureaukratischen Erziehung, obwohl docii alle
Welt wei£, daß ohne Enthusiasmus noch niemals etwas QroBes geleistet
worden ist
Berlin-Wilmersdorf Dr. Heinrich Pudor
Aithe Kaatzsch, Versuche in der Betrachtung farbiger Wand-
bilder mit Kindern. (Mit einem Beiheft, enthaltend 21 Nach-
bildungen von Künstler- Steinzei&hnungeu). Leipzig, Teubner, 1903.
52 S. Preis?
Es ist gut, daß die Verfasserin in der Vorrede ausdrücklich betont,
dafi ihre Kiedersohrift nur für den Ijehrer, nicht für die Kinder bestimnt
ist, es konnte sonst doch dieser oder jener Lehrer auf den Gedanken
kommen, die 21 Versuche zur Grundlage seiner Betrachtung der Bilder
roit Kindern zu madien, und das wäre weder für die Bilder noch für die
Kinder gut. Denn obwohl die Verfasserin erklärt, »Anschauungsstunden
dürfen nie daraus (aus der Betrachtung der Bilder) gemacht werden*, so
verfäiirt sie docii im Sinne eines Anschauungsunterrichtes trockenster Art
Die Betrachtung der zarten, stimmungsvollen Mondlandschaft von Kamp-
mann wird mit folgenden Fragen angeleitet: »Was stellt dies für Land
dar? Was haben wir für eine Jahreszeit? Woran seht ihr das? Was für
eine Tageszeit? Wieviel Lichtquellen? Welches Licht überwiegt noch?« usw.
Und im Verhuif der weiteren Betrachtung werden Fragen gestellt, wie:
>Wie sielit der Mond aus? Was für Licht gibt er? Wie nennt man diese
Zeit des Kampfes von Sonnen- und Mundlicht? . . . Warum sind weiche
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Pädagogisches
267
verschwommene Linien und Farben besonders reizvoll? . , . "Welche Rolle
spielt der Mond bei diesem 80 starken Eindruck? . . . Wieviel Erdwellen
l^önnt ihr unterscheiden ?& und so fort Das ist nicht mehr das »leitende
Wort«, das die VerfiMseriii fflr die Betnushtiing empfiehlt, sondern ein Krage-
ond Antwortspiel gewOhnlioher Art Dabei fmgt sie ausdrOoklich (8. 6),
daß sie kein Bild su terschOpfen« gesucht habe, obwohl der genannte
Versuch fast swei Draokseiten solcher Fragen umfaßt. Zwar betont die
Verfasserin, der Lehrer möge die Kinder nur durch gelegentlich gestellte
Fragen dieser Art anregen, von den »Versuchen« selbst aber rühmt der
Katalog der Verlagsbuchhandlung bei Empfehlung des Schriftchens, daü
äe >aus praktischen Versuchen mit Kindern« entstanden, also doch wohl
ao angestellt worden sind, wie sie Yorliegen. Dafi sieh die Versuche nioht
anaialen mnstergOltig sn sein, wie die Yer&aserin im Yofwort versusfaert,
ist wohl selbstrerstlndUoli« Wenn gelingt das wohl auf den ersten Warf!
Immerhin wäre es gut gewesen, wenn sie dieselben mit Kindern wieder-
holt und dann erst der Öffentlichkeit übergeben hätte, zugleich mit einer
getreueren Mitteilung über die Erfolge mit den angestellten Versuchen,
die immer wichtiger sind, als letztere. Der Wert des Heftchens liegt eben
nicht in der Darstellung dieser »Versuche«, sondern in der Einfflhrangin
die Technik des httnstleriaohen Sehens und in die EnnstspTbobe, die heate
■ooh sameist anbekannt sind. Diesem Zwecke wird die Schrift gewiB gute
Dienste leisten, und kann jedem Lehrer zur kritischen Benutzung emp*
fohlen werden, wenn auch wesentliche Punkte, wie die Auswahl der Bilder,
die Stellung der Bilderbetrachtung zum Lehrplan, der beste Zeitpunkt der
Betrachtung usw. ganz unberührt geblieben sind. — Interessant wäre es
gewesen zu erfahren, warum die Verfasserin nur die Teubnerschen
Künstler-Steinzeichnungen für ihren Zweck Terwendet hat. Darin war
liohtwark in seinen bekannten »Obungenc weniger inseitig.
POfineok E. Scholz
Keisiig, D., Zeichenlehrer in Mainz, 25 Wandtafeln und 21 Vorlagen für
das elementare Freihandzeichnen. Mainz, Selbstverlag. Preis 12 M
und 6,50 M.
Seitdem der Zeichenunterricht als ein wichtiger Bestandteil der kunst-
lenschen Erziehung angesehen und in ihren Dienst gestellt wird, wendet
sidi ihm fiae erhöhte Au&nerksamkeit zu. Das Zeichnen will nicht mehr
wie Msher eine Uoie Fertigkeit sein, sondern es will vor allen Dingen
Herz und Sinn des SohQlers zur kflnstlerischtti Genußfähigkeit erheben,
tber den Wec: ^.u diesem weit in die Ferne gerückten Ziele gehen die
Ansichten sehr auseinander. Große Unsicherheit herrscht auch in Bezug
auf den Gebrauch von Wandtatoln und Vorlap:on. Im allgomeinen sieht
man jetzt mit Recht von einer mißbräuchlichou Benutzung von Vorlagen
ab oad redet Oberhaupt nicht mehr von Vorlagen im landlftnfigen Sinne.
ISn Zeichenwerk der Neuzdt darf nicht wie seine vieleo Vorgänger zum
Abzeichnen dienen wollen, sondern muß, nach Grundsätzen künstlerischer
Srziehung bearbeitet, in erster Linie für die Hand des Lehrers berechnet
sein. Es moA sich auszeichnen durch FQUe des Stofifes, aus der der
Digilizec: v^gle
268
BospuBohmigai
eiozeluü uach Belieben das für seine Zwecke brauchbare Material scböpfea
kuiD. Oleiöhieitig moA es Lehrer und SöbUkr cuifllhiea in das QebiH
der Farben und Teohniken. Hier gÜt ee durch aohOne Hubenhaimfloie,
glaoUiohe BanmTerteilang, sinngeiu&ße Betonong irgend eines Pflanseo-
. Charakters u. a. m. den Kunstsinn des Schülers zu pflegen nnd ihm ducb
einfache Aneinanderreihungen, Anordnungen zu verschiedenen FflUungen uw.
eine stete Anregung zu künstlerischem Schaffen zu j^eben.
Die uns vorgelegten Wandtafeln und Vorlagen von Heising bieten
von alledem sehr wenig oder gar nichts. Sie mögen wohl wie viele ihres-
gleichen infolge des methodischen Aufbaues einen zeichnerisch unerfahnneik
Lehrer erfoJgreioh anweisen, aber den ▼eitaus grOAeren T«l der Zeiohen-
lebrer Mnnen sie nioht befriedigen, weil sie ihm zu einem knnstkrisobfln
Zeichenbetriebe so gut wie keine Anregung geben. Wir Termis3en die
Vielseitigkeit des Unterrichtsstoffes, die dem Lehrer eine ttr seine V^-
hältnisse entsprechende Auswahl ermöglicht. Wir vermissen vor allem
auch das Zaubermittel Farbe, dem der neuzeitliche Zeichenunterricht mit
Recht eine so hervorragende Stellung anweist u. a. mehr. Wie überflüssig
erscheinen uns dag^en die auf vielen Tafeln beigedruckten VerauschaU'
liofaungsmittel, die den Kindern doch so wie so in natura vorgeführt wentos
mikssen. Unbedingt zu verwerfen sind aber die auf den Wandtafeln an-
gegebenen Hilfsflguren, die die SohOler der Selbeltitigkeit voUstladig «il-
heben. Alles in allem: Heisings Zeichenwerk ist nicht mehr zeitgemift
und kann mit Neuerscheinungen auf dem Gebiete des Zeichenunterriolits
nicht in Wettbewerb treten.
Jena £. Menge
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Aus der philosophischen Fachpresse
Archiv ffir systematische Philo-
sophie. X, 4. 1904.
Chr. D. Pflaum, Die Aufgabe wissen-
schaftlicher Ästhetik. — Richard Skala,
Über die Verwechslung des sinnlich An-
^nehmen mit den Kunsteindrücken und
einige andere Folgen der sogenannten
empirischen Ästhetik. — Bruno Stern,
Gerechtigkeit. — Dr. phil. Hermann Staeps,
Das Problem der Willensfreiheit vom
Standpunkt des Sollens. — Jahresbericht
über sämtliche Erscheinungen auf dem
Gebiete der systematischen Philosophie.
— Rudolf Goldscheid, Jahresbericht über
£rscheiaungen der Soziologie in den Jahren
1899—1904. — Die neuesten Erschei-
nungen auf dem Gebiete der sy.stema-
tischen Philosophie. — Zeitschriften. —
Eingegangene Bücher.
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3. Bd. 4. Heft
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Valdapfel, Grundbegriffe der Pädagogik
in energetischer Beleuchtung. — Hans
Kleinpeter, Die Relativität aller Bewegung
und das Trägheitsgesetz. — B, L. Wieties,
Der Mystizismus and die Klarheit des
Denkens.
Neue Metaphysische Rundschau.
Herausgeg. von Paul Zillmann. 1904.
Band XL Heft 5.
Dr. Rieh. Wedel, Moliah Schah und
der orientalische Spiritualismus. — Hans
Freiniark, Die bewußte Absichtlichkeit im
Schicksale des Einzelnen. — Dr. Heb.
von Lessei, Die metaphysische Grundlage
von Richard Wagners »Der Ring des
Nibelungen« (Kapitel V : Über die Götter-
welt). — Helene Zillniann, Schad-Rossa,
der Interpret der Psyche. — Dr. med.
J. D. Buck, Mystische Maurerei (Kap. VI:
Die Geheimlehre : die siebenfache Natur
des Menschen). — Rundschau. — Bücher-
schau. — Porträt: Goethe.
Revue de M^taphysique et de Mo-
rale. (M. X. Leon.) 12e annee, No. 6.
Novembre 1904.
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mathömatique. — H. Delacroix, Sur la
structure logique du rove. — L. Colonel
Hartmann, Definition physique de la force.
— Xavier L^on, Fichte contre Schelling.
— F. Rauh, Sur la position du probleme
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270
Faohpiease
du libre arbitre. — Comptes Rendas
Critiquos: E. Chartier, Philosophie g6u6-
rale (Seaaces de section et S^ance g6n6-
rale). — L. Contorat et F. Rauh, Logique
et philoMphie des Sotenoee (Stooes de
section et Bianca genersle). — F. Raxih,
Psychologie (Sdances de section et Seance
generale"). — A. Berthod et E. Halevy,
Morale et Sociologie (Seances do section
et Seance generale). — A. Darlu, Histoire
de ]ft lUIoBophie (SeaDoe g6ii&rale).
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Prof G. F. Stoai New Series. No. 52.
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Humanism. — T. K. Abbott. Fresh Light
on 3£olyneux' Problem — Dr. Ramsay's
CSase. — Critical Xotices. — New Books.
— Philosüphical i'eriodicals. — Notes
and CoRespondenoe (Letten by Norman
Smitb, A. Sidgwick and H. Bashdall).
BÖIcseleti Folyöirat Szeiieszti
kiadja Dr. Kisa Jänos. m.Füzet. 1904.
I. Ertekezösek : Dr. Hanauer A. Istvsui,
A termeszettudoniiinyok az ukaratsza-
badsag. — Dr. Werdenich Eadru, A let
teljessege. — Dr. Stackner Jftnos, As
drs^kek megbizhatösiga. — Flodozovios
Zsigmond, A modern kultura es a sdiO-
lastika. — II. Bölcsoloti mozgaluiak, vegy-
esek: Bulcsoleti eloailäsok a budapesti
egyetemeu az 19U4/5-ikiiskola^v I. feieben.
BiUoselettndomAnyi tanfolyam Saiz-
bnigban. — Beodelet a ssentmisdk kece-
lesöröl es a szerkesztö kerelme. — IV.
Irodalmi (' rtcsiti): BanghaBöla, Dr. Pauler
Akos. Az ismeretelmck'ti kategoriük pro-
blemäja. — Kozüry üyula, Dr. Hajos
Endre. Altalänos psyohopathologia. —
Hiidetesi rovat i» elöfisetBk uyugtatäsa
a boritekon. • 1
Meumanns Archiv fflr die gesante
Psychologie. H>03. III 4.
L. Treitel, Haben kleine Kinder Be-
griffe? — Jung, Das hysterisobe Ver>
lesen. — Hahn, Über sinnvolles Yoiieeeo.
— Peters, Die Farbenempfindung der
Notzhautperiphorie bei Dunkeladaptiott
und konstanter subjektiver Helligkeit.
BarthsVierteljahrsschriftfQrwissen-
schaftliche Philosophie und So*
ziologie. 27. Heft 3.
OieBler, Der Einfloß der Donkeflnit
auf das Seelenleben des Menschen. —
Hartmann, Die Orondlage des Wahr*
scheinlichkeitsurteils. — Barth, Die Ge-
. schichte der Erziehung in soziologischer
Beleuchtung.
Qfltberleti PMIotopliiMlies Jah^
buch. 1& Jahig. 1. Heft
1. Abhandlungen! Ad. Dyroff, Das Ich
und der AVülo. — Scherer, Sittlichkeit
und Recht, Naturrecht und richtiges Kecht
(Schluß). — Paul Czaja, Welche Be-
deutung hat bei Aristoteles die siaalidn
Wabnehnning ond dss innere Anadun-
uogsbild für die Bildung des Begriffes?
(Schluß). — A. Neher, Patritius Benedikt
Zimmer. — C. Gutborlot Der erste Kon-
greß für e.xporimentello Psyrhologie. —
II. Rezensionen und Referate. — UL
ZeitschrifteosduHL ~ IV. HisseUea uaA
Naohriohten.
Eo«. YiertaljabneohiiftfürdieBikaaiit-
nis nnd Bffhandinwg jugendlicher Ab-
normer. Wien, Jannar 1905. 1. Jshr*
gang. Heft 1.
Zur Einführung. — Wisseubdiaftliche
Vertreter und Mitarbeiter. — Vonuudge.
— Abhandlungen: Dir. Dr. M. Bronner,
Der Geist des tanbstnnunen Kindes. —
Selbstbeobachtungen von Luigi ÄDsaUti
Das Seelenleben eines Erblindeten. —
Berichte: Die Füreorge f. abuurnia lunder
in Ungarn. 1. Von Sektiousrat Dr. iJei»
vonNiiay-Szabo. II. Von Ludwig Sdilon.
— Aqs der Praxis. — Bsspreohniigsn.
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Nea ebgogangene Böoher und ZaitBohriften
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der Philosophie). Stuttgart, Fromoiaii,
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B. Biohter, Der Skeptuismiu in der
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l^cbopafthisohe M inderwerti^eiten als
Ursache von Gesetzcsverletzongen
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Tilger, Der grajumat Unt Langensalza,
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Junge , Beiträge zur Method. des mtar-
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Bauer, Urgeschichten, Mose und Josua-
geschichte. Leipzig, Wunderlich.
Heyn, Gesoh. Jesu. 2. Avil. Ebenda.
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Seyfert, I^hrplan für den dentscheii
Sprachunt. Ebenda.
Mehnert, Über Sprachstörungen. Dres-
den, Urban.
Oomeniiis, Das einzig Kotwendige.
Jena, Diederiohs.
Katalog von Bibl. für Fortfaildmigs-
schulen. Wittenberg, Herrose.
Theorie u. Praxis des 8ekund. Unt
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A. Fnoha. Beitr. sw F«d. FirilieL Y.
Ofiterdoh, BertelBmann.
A. Bonus. Vom Kulturwert d. dentooh.
Schule. Jena, Diederichs.
31. E. Sadler, Report on second. educ
in Liverpool. London, £yre and Spottis-
woode.
Bnbner, Unsere KahrongamitleL Stutt-
gart, Moritz.
Ort, Auf^-aben, Zweck und Ziele der Ge-
sundheitspflege. Ebenda.
0. Willmann, Aus Hörsaal «Bd Schal-
Stube. Freiburg, Herder.
Charles McMurry, Special Method
usw. New York, Mamillau.
Hoenig, Moderne Organisation d.
j^Mmliildiiiig. Png; Haase.
Becker, Port Arthur anf dem Schnl-
gebiot. Wetzlar, Schnitzler.
Bilharz. Mit Kant — über Eant binaoa
Wiesbaden. Bergmann.
Capesius, Abriß der astron. Erdkunde.
Hermannstadt, Klafft
Zur Erinnerung an E. Kant Hille,
Tiraisenhans.
"Wendt, Studium u. Meth. d. franxöi, a.
engl. Sprache. Leipzig, Dürr.
Spieß. Mosterlektionen f. d. Iiaas. Unt
Ebenda.
Jochen, Theorie und Praxis d. H«mit-
künde. Leipzig, Wondeifidi.
Herrman, Die sittlioheD VetsongBa
Jesu. G&ttingen, Vandeohoeok BÖp-
recht
Troelt.sch, Polit Ethik u. Christentom.
Ebenda.
Viereck, Zwei Jahrhonderte deutschsa
Untexiichti in den Verein. Slmtea.
Bnmnaohweig, Vleweg.
Weit, Rais, Heininger, Zlahao,
Das Sachrechnen. Cannstatt, flopL
Herder, Ideen. Jena, Diederichs.
Schlegel, Fragniente. Ebenda.
Singer, Soziale Försoige. Müncfaeo.
Oldenbuig.
Weininger, OeeoUwdit und Gihfnklsr.
Wien, Branmftller.
Doli, Gesch. a. d. Leben Jeao. 2. Asfl>
I..eipzig, Wundeilich.
Holl er, Andeisen und seine Marcb^i^-
Ebenda.
Eiehler, Stoffe für den Anschaannp-
Untarriöht Ebenda.
Ddll, Ihterirnktiondehra. Ebenda.
Wagner, Ziffemtalel Ebenda.
Traub, Ethik nnd KapitaliSDins. Hefl-
bronn, Saizer.
Druck TOD ilornMuin Beyer L Sütine ^Uoyor 4 Mann) in Languu^aiza.
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Kind xmd Ktuist
Einige experimentelle Untersuchungen zu einigen Grundfragen der Kunst-
erziehung
Von
Marx Lobsien, Kiel
(Fortsetzung)
C. Ergebnisse
I. ürgebnisse, die sich auf das AkuBtiBoh-Sohöne beoiehen
1. Der Rhythmus
Hierher gehören die Antworten auf die Fragen: 16, 17, 18, 19,
21 und 22. Ich beginne mit Frage 22, die auf den Rhythmus sich
bezieht Es handelte sich darum, zu erkunden, ob die Kinder auch
dem von jeglichem Inhalte losgelösten Rhythmus wertend gegenüber
stehen. Allerdings ist zu betonen, daß die Kinder zu solchem Werten
veranlaßt wurden.
Ich ordne zunächst die Gesamtergebnisse ohne Rücksicht auf
Unterschiede des Geschlechts und des Alters. Da ist zunächst auf-
fällig, daß die Schüler sehr selten versagten, fast immer gaben sie
ein Urteil ab. Die Urteile bezeugten, daß der Daktylus dem Jambus
und Trochäus gegenüber stark vorgezogen wurde. Das Maß dieses
Vorziehens und Verwerfens läßt sich bezeichnen durch die Daten:
Trochäus 9 : Jambus : 13, zu Daktylus 18. Deutlich zeigen sich da-
neben Unterschiede, die durch Geschlecht und Altersfortschritt bedingt
erscheinen. Während die Gesamtwerte bei den Knaben bezeichnet
werden durch die Daten:
8 : 8 : 23
berechne ich für die Mädchen:
10 : 17 : 13.
Zoitachiift für Philosophie und PädAKOgik. 12. JahrgAng. 18
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274
Aufs&tse
Die Daten haben keinen absoluten, sondern nur relaÜTen Weit
und besagen, daß bei der Gesamtheit der Knaben, die Neigung, den
bewegteren Daktylus Torzuzieheii ganz wesentlich st&cker war als \m
den ICftdöhen, während Ton den letzteren je und je der Jambus
grSfieres Gefollen fand. Die Altersunterschiede soll die nachstehende
Tabelle aufweisen. Da die SdiOlersahl auf den einzelnen Altersstnfeii
nicht fibereinstimmtei so war notwendig, die prozentualen Werte n
berechnen, mit andern Worten, eine Sunmie von 100 für jede Stufe
anzunehmen und innerhalb dieser Summe anzugeben, wie sich die
Anzahl auf die verschiedenen Bhythmen verteilt
Tabelle 1
Unter 100 Urteilen eatscbieden sich
AltarsstufB
bei den Knaben fOr
bei den Midohen fttr
— ^
I
24
27
49
JI
22
22
56
18
44
38
m
29
16
55
19
19
62
17
17
25
58
24
26
50
V
8
22
70
26
55
19
VI
38
00
2
Ich bitte dio Daten der aufsteigenden Stufen sich als Kur\'en
dargestellt zu denken. Man gewahrt dann deutlich, wie bei den
Knaben das Interesse füi* — >— ^ relativ stark einsetzt und dann
allmählich abnimmt Gerade das umgekehrte ist bei den Mädchen der
Fall. Die unterste Stufe zeigt ein verschwindend geringes Interesse
für den Daktylus, der aber stark im Zunehmen begriffen ist, nur die
oberste Stufe offenbart ein Abnehmen. Entsprechend dieser Zu- und
Abnahme gestaltet sich dann die Kurve für die beiden andern
Rhythmen. Sowohl für den Trochäus wie für den Jambus beobachten
wir bei den Mädchen ein stetig abnehmendes, bei den Knaben ein
im allgemeinen schwach wachsendes Interesse.
Dürfen wir liier von Typen reden? Lay hat nach dem Vorgange
Sterns neuerdings versucht, durch die Methode des Fingerklopfens
nähere Aufschlüsse zu gewinnen über die Periodizität, das Tempo,
dio Geschwindigkeit des Arbeitens. (Die Methode bestand einfach
darin, daß im Optimum mit der Zeigefingerkuppe eine Reihe von Takten
geBcUagen wurden, deren Anzahl bemaob bestimmt wurde.) Leider
Experimentelle Didaktik.
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LoBBDDi: KtoA und EmiBt
27&
erfahren wir nicht, welche Taktart dabei gewählt wurde, ich vermute,
ein Zweiertakt — und doch hätte sich in der freiwilligen Wahl der
Taktart der natürliche Rhythmus der Bewegung, der Arbeit, des
Denkens zweifelsohne ebenso deutlich ausgeprägt, als in dem Optimum
allein. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß Stern recht hat,
wenn er von einem natürlichen Rhythmus redet. Nicht nur ist
der Nordländer darin von dem Südländer gänzlich verschieden, der
Romane von dem Germanen, auch der Städter von dem Be-
wohner des Dorfes, das weibliche (»eschlecht von dem männlichen,
sondern die Erscheinung differenziert sich noch weiter, so daß für
jede Persönlichkeit, mindestens aber für kleinere unter ^ gleichem
Charakteristikum zusammenfaßbare Gruppen, das Tempo als deutlich
zum Wesen derselben gehörig angesprochen werden darf. — Ähnlich
wie bei dem s Fingertupfen« tritt auch in der Wahl des Rhythmus
dieses Wesen zu Tage. Allerdings ist das Tempo gewiesen, doch tritt
der ganz verschiedene Charakter der drei Rhythmen vom ruhigen
Trochäus bis zum belebten Daktylus deutlich hervor. Die Zuhörer
werden den Rhythmus iUs den ihnen am besten gefallenden aus-
wählen, der ihrem natürlichen Tempo am nächsten kommt.
Trüft diese Yoraussetziing zu, so werden wir für die Knaben im
allgemeinen als typisch ansehen, daß ihr natürliches Tempo ein
schnelleres Ist als das der Mädchen, daß es aber mit sonehmendom
Alter sich vermindert^ wShiend bei den Mädchen das umgekehrte ro
beobachten ist
Ob diese Begründung zutrifft oder nicht, auf jeden Fall düifon
wir konstatieren, daß das Kind auch dem leeren Rhythmus gegen-
über nicht teilnahmslos ist, sondern sehr wohl zn werten veistebt
Ob das mit dem erwähnten natürlichen Tempo zusammenhängt, oder
ob man ron naiv-ästhetischem £mpfinden und Wählen reden will^
indert an der TatE»ehe nichts.
2. Versuch mit dem Vortrag von Gedichten
Dieser Yeisoeh bietet bereits größere Schwierigkeiten, als der
eben erwähnte, trotsdem durfte er nicht unterbleiben. Ich hoffte
taeh, durch die Answihl und Besohrinkung mancherlei Fehlem vor-
gobeogt 2u haben. Zwar liefi eine FeUecqueQe sich nicht gänzlich
Tentopfen: die Yortragsart war, da mehrere Tersuchsleiter tätig*
wen, nicht übeieinstimniend. Wenn auch Schwankungen in d«r
Au&sBung bei so einfachen Gedichten nicht gar su ^rofie Bnite
bsben dürften und wenn ich auch im allgemeinen die Gewähr hatte^
276
Atifsätze
daß die Yersaehaleiter bei dem Tortrage nidit YOE ihrer snbjekUvMk
StoUimg dem Gedicht gegenüber sich leiten liefien, sondem lediglich
durch deesen Ghaxekter, so waiea doch Mängel sa befOrchteiL Min
hStte dfeee fielleioht dadurch umifiglich gemacht, daft die ganie As-
Gelegenheit nur einem yerBochsLeiter überlassen wurde, aber nun
hätte 80 den Tenfel mit Beelzebub ausgejagt, denn der fremde Mann
▼or der fremden SSasse bedeutet eine Menge imponderabler Soggeslir*
räkungen, die ehien gleich großen, wenn nicht einen sohwereiea
Nachteil bewirkt haben würden.
Yer^eicht man die Oedichte auf ünen literarischen Wert hm, so
wird man Abseits von Storx und die Rache von ühland als Meistor-
werke ihrer Art bezeichnen: da die meisterhafte Heidestimmung, hier
das anspruchslose von Handlung zu Handlung schnell forteilende er-
zählende Gedicht Dort dagegen haben wir ein Gedicht, wenn man ihm
die Ehre antun will, es so zu nennen, das einfach schauderbar ist Da-
bei ist aber nicht zu leugnen, daß es für das Kind eine gewisse Wort-
und Situationskomik hat, für die namentlich das jüngere gewöhnlich
sehr leicht zu haben ist Die Wahl war aber beabsichtigt Denn es
sollte erkundet werden, ob das Kind trotz dieser Gefahr für das
literarisch Wertvolle sich entscheiden werde, sei es für jenes Stim-
mungsbild, sei es für jenes mit bewegter Handlung, ganz entsprechend
seinem Wesen; ob es naiv oder instinktiv aus sich heraus das minder-
wertige ablehnen werde. Selbstverständlich wäre das unmöglich zu
erkunden, wenn durch den Ycrsuchsleiter mittels irgend einer Be-
merkung, einer Geberde, durch den Ton bei dem Vortrage oder ähn-
lichem das Kind bei seiner Wahl beeinflußt wurde. Das mußte pein-
lich vermieden werden.
Auch hier sollte auf Grund vieler Hunderte von Beobachtungen
lediglich die Tatsache konstatiert werden: Sind Spuren ästhetischen
Geschmacks bei dem Kinde nachweisbar, auch dort, wo es nicht be-
sonders beeinflußt wird? In welchem Alter? Wie entwickeln sie sich?
Jegliches ßäsonnement soUte vermieden werden.
Bevor ich die Ergebnisse, wieder auf 100 verrechnet, hierher
stelle, bemerke ich bezüglich der Frage, die unmittelbar nach dem
Vortrage des SruBMaohen Gedichts gestellt wurde: Wie findest du
das? Wamm? daß sie mancherlei Antworten bekam, die wertlos, kon-
ventionell waren. Stark dominierte die Antwort: schön. Etwas deut-
ücber Stellung nimmt dann die Begründung: sehr schön. Daneben
aber ergeben sich eine Reihe treffender Begründungen, die den Stempel
der Unmittelbarkeit so deutlich an der Stirn trugen, daß ich sie
nicht nnarwfthnt laasen louin. Der Zusammenhang bringt es mit mth.
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Lobsien: Kind und Kunst
277
daß ich die Antworten auf die beiden andern Warumfragen, die die
folgenden Gedichte angingen, gleich mit heranziehe.
Bei den Mädchen las ich folgende Antworten. Stufe II: Ich sah
den Kätner in der Heide. Die Antwort findet sich nicht oft; sie ist
trotzdem bedeutend, weil sie ein eigenes Erleben konstatiert, das erst
das Gedicht mit dem wahren Inhalte füllte und für die Auswahl be-
stimmend ward. 2. Weil es einsam und so ruhig ist. 3. Alles ist
80 zufrieden. 4. Die Heide ist so schön gezeichnet 5. Ein Mädchen
findet, daß es zur Fröhlichkeit aufmuntere — Trauer ist nicht Sache
des Kinderherzens. 6. Eine Kunstbanausin hält es für drollig. Scharfe
Ejitik übt eine fernere (7.), die alle drei Gedichte für gleich schlecht
erklärt Andere verfahren nach dem Rezepte Friedrich Wilhelms I.,
der laut bekannter Anekdote nach der Rede des Anklägers erklärt:
der Kerl hat recht! und von der des Verteidigers so überzeugt ist^
daß er sagt: der Kerl hat auch recht! — sie schreiben: schön, schön,
alle drei schön. Sie greifen mithin nicht wertend ein. Die ab-
weichenden Antworten sind stark in der Minderheit, die positiven
bezeugen jedoch da und hier, daß die Stimmung erfaßt wurde. —
Die Begründung durch die Knaben lehren ähnliches.
Banausische Urteile finden wir nicht selten in Angaben wie: Er-
greifend, still und feierlich, ruhig, eintönig aber doch schön, die Sonne
scheint da so warm, die Zeit vergeht mir schnell (bei dem Vortrag)
— die Begründung für die Wahl der andern Gedichte lehrt nichts
Neues. Obendrein sind sie stark in der Minderzalü vorhanden, weil,
wie wir gleich sehen werden. Abseits weitaus die meisten Liebhaber
fand. Die Begründung bestand zumeist in dem nichtssagenden:
hübsch, fein oder ähnlich. Nur einmal wurde die Rache als: ernst
charakterisiert, Storch und Stier mit der Begründung vorgezogen:
weil die Tiere so fein »schnacken« können, weil die Frösche so quaken.
Welches Gedicht wird bevorzugt?
Tabelle 2.
Knaben
Mädchen
Altersstufe
Abseits
Kache
Storch
Abseits
Rache
Storch
und Stier
und Stier
I
73
25
2
U
72
22
8
90
10
m
53
33
14
80
10
4
IV
53
15
32
79
16
5
V
38
20
42
70
6
24
VI
39
6
55
Digitized by Google ^
278
AniBlIae
Insgesamt wurden mithin durchschnittlich vorgezogen von den
Knaben:
Absdfs 56 : Bache 23 : Storch und Stier : 19,
Ton den Hlddien:
Abseits 72 : Rache 11 : Storch und Stier : ISmaL
Faßt man die Daten für die beiden ersten Gedichte zusammen, sie
dem dritten Gedichte als dem literarisch wertlosen gegenüberstellend,
so darf man sagen, daß kein wesentlicher Unterschied besteht liüben
und drüben, daß naiver Kunstsinn bei Knaben und Mädchen sich ün
Vorziehen wie im Verwerfen annähernd in gleichem Umfange äußert,
daß aber überwiegend, nämlich etwa im Verhältnis 4 : 1 das literarisch
AVertvoile vorgezogen wurde. Tra besonderen zeigt© sich bei den
Iklädchen eine nicht unwesentlich stärkere Neigung für das Stimmungs-
volle (Abseits) als bei den Knaben. Auffällig bleibt das relativ go-
riage Vorziehen der » Rache auch bei den Knaben. Auf den unteren
Stufen gewahrt man, bei Knaben wie Mädchen, deutlich ein Vor-
ziehen des zu dritt genannten Gedichtes, dann aber zeigt sich schnell
ein starkes Frävalieren nach der ästhetischen Seite hin.
Der Altersfortschritt macht sich deutlich in günstigem Sinne be-
merkbar. Ganz besonders stark ist die Entwicklung von der V. zur
rv., bezw. VI. zur V. Altersstufe. Die Mädchen zeigen sich dea
^leichalterigen Knaben gegenüber nicht unwesentlich im Vorteil.
Wir heben för die Beantwortung unserer Fragen als unzweifel-
haftes Ergebnis heraus: Auch dieser Versuch hat gezeigt, daß 1. schon
um das 9. — 10. Lebensjahr herum sich in weiterem Umfange m
Werten in ästhetischem Sinne nachweisen läßt und 2. daß mit steigen*
•dem Alter das Interesse in demselben Sinne wächst — Ob die deut-
liche Neigung nach der Seite der elegischen Stimmung typisch is^
etwa für unsere nordische Landschaft, können definitir nur Yersofilie
entscheiden, die auch in südlicheren Himmelsstrichen Toigenommen
werden. Ein gewisses Beetitigen oder Verwerfen werden wir, so
hoffe ich, aus den Beantwortungen der Frage nach dem Lieblings»
jHedioht herauslesen können.
3. Magst du gern ein Gedieht höien mid lernen?
ISnen weiteren Prüfstein — und das möge Torweg eriedigt
werden — dafür, ob das Kind in gewissem Grade kunstsinnig ist,
haben wir in den Antworten auf die Fragen 17 und 18: Magst da
gerne ein Gedicht hören? Magst du gern ein Gedidit lernen? Bas
Memorieren ist eine Arbeit, die bekanntermaßen im großen und
Hauen der Jugend nicht sonderlich gefiUlt Allerdings kommt sehr
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Lobsi£n: Kind und Kunät 279
hl Pra^, was memoriert wird und wie sie mit Gedächtnis bef^abt
ist Wenn sie aber dieses Unangenehme in den Kauf nimmt oder
bosser noch, wenn die Arbeit unter Einfluß des zu memorierenden
Inhaltes als unangenehm gar nicht empfunden wird, dann darf man
wenigstens ein besonderes Interesse für das Memorierobjekt fest-
stellen, und ist dieses Objekt ästhetisch wertvoll, so ist der weitere
Schluß nur zwingende Notwendigkeit: in der Jugend ist ästhetisch(»s
Interesse zu wecken möglich, es muß in deiselben Kunstsinn im
Keime vorhanden sein.
Ich stelle die Srgebnisse im lOO-Ansschnitt nebeneinander nach
den Altersstofen.
Tabelle 3.
Knabea
Mädchen
Oodiobt hfirsn?
Gedicht lernen?
Gedieht hdran?
Oedidit lernen?
3»
nein j
j»
nein
ja
nein
ja
nein
I
97
3
88
11
n
100
100
93
7
85
15
m
100
64
36
96
4
90
10
IV
93
n
1
95
5
100
1
93
7
T
89
11
46
'A
100
94
4
VI
100
1 100
Ich hebe hier wieder die Gesamtwerte henna und berechne, dafi
96 o/o der Knaben dn Gedicht gern hörten, 4:% nicht, beew. 98%
und 2^0 der ICIdchen. Das Memorieren eines Gedichts treiben
79 7o der Knaben nnd 92 % MUdchen gem. Ich gestehe^ dafi
mieh das nicht wenig ubenaBchte.
Bezüglich des Altersfortschritts darf man ans Tabelle 2 einen
günstigen Einfluß herauslesen.
Einige Bedenken gegen den Yersueh will ich nicht verschweigen.
Zunächst wird hier ja lediglich eine Entscheidung im Sinne von Ja
oder Nein verlangt. Der Kenner der Kindesnatur weiß, daß es auf
neutralem Gebiete, wie doch liier, dann oft leichtfertig sich entscheidet,
es ist schnell einer augenblicklichen Mühe überhoben und zwar gründ-
hch, weil keine näheren Angaben verlangt werden; so bemächtigte
sich seiner schnell das Gefühl der Erleichterung. Ferner : es war
iintwendig, die Fragen ohne Rücksicht auf ein bestimmtes Gedicht zu
stellen. Nun ist aber selbstverständlich, daß nicht jedes Geweht gern
gelernt wird — trotzdem geben nur wenig Kinder ihre Entscheidung
Digitizcd by
280
^ufsätze
bedingt ab: wenn es liübsch ist, wenn es sehr hübsch ist, wenn es
nicht zu lang ist oder älinliches. — Gerade bei ernsterer Beant-
wortung der Fragen wird wahrscheinlich das Lieblingsgedicht oft auf-
treten und im Hinblick auf dieses, das obenein memoriert worden
ist, wird die Entscheidung kurzerhand gefällt. Dieser Umstand fällt
beschwert dadurch ins Gewicht, daß ein vorsuchstechnischer Mangel
ihn begünstigte: die £*nige nach dem Liebling^gedicht ging den hier
erörterten Fragen voraul Dazu kommen dann nodi mancherlei
Lnpondorabilien, Tor allen Dingen Suggestiv Wirkungen durch den
Versuchsleiter, dem zu Liebe man je und je die Frage bejahend be-
antwortet, dann die Art der Behandlung im Unterncht, das Maß der
Anforderungen usw. Die KfingeL sind unbedingt zuzugeben und sie
werden auf den unteren ünteirichtsstnfen schärfer ihre Macht geltend
machen. Die obigen Tabellenwerte mttssen auch als Kelativwerte eine
Korrektur eiAihren, für die eine brauchbare Methode fehlt Dem
gegenüber gebe ich zu bedenken: 1. Die Daten sind Prozentwerte ans
einer großen Zalü von einzehien Beobachtungen; es kann somit nicht
ausbleiben, daB manche Fehler ganz eliminiert, andere auf einen
minimalen Best zurttckrerrechnet werden. 2. Die Berechnungen
dienen ab ünteilage ffir Eragen so alJgemeiner Natur, daß ich toU-
stftndig zufrieden bin, wenn die Tabelle zu einer Bejahung im all-
gemeinen Sinne veranlaßt — und das Yertrauen habe ich.
4* Wdchea Oedicht hast dn besondere gern?
Hier ist freie Auswahl gestattet unter den memorierten, nur ge-
lesenen oder gehörten Gediditen. Da die Schüler zum größten Teüe
wohl durch die Yermittlung der Schule mit wertvolleren Gediditen
bekannt gemacht werden, so wird für die Art der Antworten dieser
Einfluß nicht zum kleinen Teüe stark bestimmend sein. Trotzdem
gestattet das Ergebnis einen Schluß auf vorhandenen Eunstsuin, denn
einerseits ist das, was so vermittelt wird, keineswegs gleich wertvoll,
auch nicht für das Eind, andrerseits sind die Sachen, die man auße^
halb der Sdiulwinde kennen lernte, kdneswegs von der Wahl aus-
geschlossen. Auf mancherlei Mängel braudie ich nicht niber ein-
zugehen, ich verweise auf den vorigen Abschnitt Obgleich diese
Fehlerquellen sich nicht verstopfen lassen, halte ich doch für not-
wendig, die von den Kindern notierten Gedichte, nach Stufen und
Geschlechtem geordnet, aufzuzeichnen. Da eine prozentuale Verrech-
nung sieh aus naheliegenden Gründen erübrigt, so bezeichne ich die-
jenigen Gedichte, die oft, öfter und sehr oft als LiebÜngo genannt
wurden, durch die Zeichen *, **,
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LooBDoi: Kiod und KoDst
281
Tabelle:
Stade
KnalwD
HUohflB
L
ülodke, nm Sdiiller.***
Kraniche des H^yklis, ▼on Schiller.**
Graf von Hal^buTg, von Bohüler.
Abseits, von Storni.
Der Knab vom Berge, von Uhland.
Die Auawanderer, von Freiligrath.
Die Uetle, Ton Sdiiller.
Der Taaoher, JWk Sohiller.
Frühlingsf^laube, von ühland.
Di(? Bür^ohaft. von Schiller.
Gudruns Klii^^e, von Goibel.
Eberhard, der Kauächebart v. Uhland.
Troja, von Sohülur.
PoetfllioB, Ton Leium.
Muttersprache^ Toa Schenkendoil
Johanna Sebus, von Ooethe.
Mein Johann, von (Iroth.
Der Tormann, von üiesebrecht
Jobn Maynvd, ymi Foniaiie.*
ArohÜMld Dooglas, rtm FootMie,
Gönn Orimmef ton Fontane.
Deutscher Rat, von Roinick.
Die Trompete von Haraktoar, Tom
Freiligrath.
Der blinde König, von Uhland.
Wo mtlmt der liebe Oott, wo Hey.
Umns Reise am die Welt, v. Geliert-
L/U.
Onf von Habebugf von Sohiller.
Herr Heiniidi dtst, von TegeL
Wandersmann und Lerdie» ton Hey.
Vogelnest, von IToy.
Die Versuchung, von Heinick.
Der Bauer und sein iSohn, v. Geliert?
Ebeiliiild?
Wandelndo OlooikOf von Goethe.
Die TabakspMIe, von Goethe.
Die Glocke, von Schiller.
Es braust ein Ruf wie DonnerhaU, v.
Arndt.
Der Schatzgräber, von ?
Der Lotee, von Oieeehreoht
Ebelhart, der Baotiohebnrt, Uhland.
Uhland.
Die Olooke, von Bohiller.*
Wmb, von Weber.
Gudruns Klage,** von Oeibel.
Sala y Gomez, von Chamisso.*
Der Mai ist gekommen, von Geibel.
Des büngers Fluch, von Uhland.
Das Sohloi am Meer, von Uhland.
Das Eritonnen, von VogL
Mutterhen, von Kaolisch.
Mädchens Klage, von Kauliaoh.
Der Taucher, von Schiller.
Die Kraniohe des Ibykus, v. Schiller.
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282
AuUtie
I
Stufe
Knallen
Mädchen
Grab im Busento, von Platen.
Der getreue Eckard t, von Goethe.
Wie KBoig Ead SoliiilviBiMion UOt,
Ton ?
Klein Boland, von ühland.
Lef^ende, von Rückert.
JohaDD der muntre Seifensieder, von
Hagedorn.
iL/m.
Die alte Waschfrau, von ChamiUHft.
Der Rabe, von IToy.
Das Erkennen, von Vogl.
Muttersprache, von Schenkendort
Der alte Bulieioesa. von üUaad.
Oloolieqgiift sa BrasUn, von Schiller.
Die Bürgschaft, von Sdiiller.
Es zogen drei Burschen, von Kerner.
Schwäbische Kunde, von Uhlaod.
Das üewitter, von Schwab.
Der Lotse, von Qieeebxedit
Preisend init viel aohfinea Bedeo, von
ühland.
r neanoisgedaniLen.
Über ein Stündlein.
Die Katzen und der Hausherr, von
lichtwer.
Die Bürgschaft, von Schiller.**
Die Glocke, von Schiller.
Jobanna Sobus, von Goethe.
Gudruns Klage, von Otib^*.
Die alt» WaeoihfEaa, von CSbami»).
Die Auswanderer, von nieiligratlu
Das Grab im Busento, von Platen.
Der Graf von Habsbuiig, von SchiUtL
Der blinde König, von Uhland.
Horgenwanderung.
FÜedho&besnfA«
Parabel, ven fiftokert
Der sdÜalende Apfel, von BeinioL
fillliULIIg, \UU vJUcUlU.
Der Tauchor, von Schiller.
Die alte Mühle, von Schüler.*
MvttenpnKdie, von Bohewkflpdoif.
Der uä» Daner.
Der lÜRg von Düppel, von Fontane.
Des Btegera Flno^ von Uhland.
minr.
Kioinii&' stiller Abend, von
Morgenrot, von Hauff.*
Sedan, von Freiligrath
Der Hirtenknab, von Uhland.
Das Bieeenspielzeog, von Ghanüsso.
Tenree Yalniaod.
Der Lotse, von Oiesebrechi*
"Wandersmann und Lerche, von Hey.
Bs braust ein Ruf, von Arndt*
Von den grünen Vögelein, Rückert
Der Löwe zu Florenz, von Schiller.
Lob der Treue, m DndL
Die Xreniöhe dee IbyhUi BoUUer.
Hoffnung,* von OeibeL
Da.s Gewitter, von Schwab.*
Deutsc her Rat, von Reinick.
Schwäbische Kunde, von Uhland.
Zu Cauulottanbug im Qarlen.
Rudolf von Habslraig, von Uhland.*
Die Glocke, von Schiller.
Der Knab vom Beive, von Uhland.
Die Tanne.
Guter Mond.
Das Bublem auf dem £ise, v. Gau.
Der Tnioher, von Schiller.
Üb' immer Treu« von Qandins.
Die alte Waschfrau, von Chaaias.
Der Lotse, von Giesebrecht.
Klein Holend, von Uhland.
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Lobsixn: ikind und Kunst
283
Stufo
Knaben
Der Traeher, Ten SohiOer.
Lütt Matten, von CL Orotti.
Erlkönig, von Goethe.
Der Storch und die Kinder, v. Hey.
Der Bauer und sein bohn, bchellert
Lütt Matten, von GxQftti.
Ich sende dich.
Die Rache, von Uhland.
Die Versuchung, von £einick.
Des fremden JCindes heiliger. Camst,
von Rflfikert
Wandersmann nnd Lerche, von Hey.
Die Rache, von ühland.**
Siegfrieds Schwert von Uhland.
SommerUed. von P. Gerhardt
Yen lehltfaHlen Apfel, von Beiniek
Wem Oott will raohte Onnat enraiseD,
TOD Joseph von Eichendorff.
Die traurige Geschiebte vom dummen
Hänsohen, von Löwenstein.
Deutscher Rat, von Reinick.
Hochzeitsgedicht von Reiniok.*
Lütt Matten, von Groth.
Gudruns Klage, von Geibel.
Die yeiBQQhnqg« ym Beinitft.
Der Lotse, von Gieeebiedhi
Die wandelnde Glocke, von Goethe.
Gänsegeschnatter, von FaUte.**
Heiderose, von Goethe.
Strangelchen, von Bläthgen.
Das Gewitter, von Schwab.
Kletterhabohen, von OiilL
Die alte Waschfrau, von Chamisso.
Und wenn meine Henne legen hano,
von Groth.
V.
Erdbocrlied, von Goethe.
Scl)laf, Weifchen, von LiÜencron.
Gänsegeschnatter, von Falcke.**
Sommeneit
De Mann wtul ligg^n, von Grotii.
Wandorsmann und Lerche, von Hey.
Der Haupr und sein Sohn, v. Rückert
Hund und Katze, von Lichtwer.
Ach , wer das doch könnte , von
Blntfagen.
Bei Ooldhihnobeui, von H. SddeL
£Sn erster Blick bezeugt, dafi zwar der Einfluß des Unterrichts
klar zn Tage tritt, daB er aber nicht in dem Sinne zu nivellieren
vennochte, dafi ledigHch das zuletzt memorierte Gedicht oder gar,
besondere memoriertechnische Schwierigkeiten bestiDunend waren; es
blieb vielmehr noch starke Bewegungsfreiheit, wie die relativ grofie
Zahl der genannten Lieblingsgedichte beweist, die obendrein unter-
einander starke Abweichungen zeigen. Allerdings ist fast nur die
durch die Schule vermittelte Literatur berücksichtigt worden, aber
sif ist ja keineswegs von gleichem literarischem Werte, und so bleibt
noch Baum genüge Besonderheiten eingehender ius Auge zu fassen.
Digitizcd b;
284
Ausätze
Nun ist zwar ein nüfllich Ding, einen literarischen Staffeltarif
an die gewählten Lieblingsgedichte innerhalb einer Altersstufe ann-
legen, denn der Geschmack ist indiskutabel auch bei ästhetisch ge*
sdmltcn Leuten, ich bcscheide mich daher, zwei große Gruppen zu
unterscheiden, die ich bezeichne als wertvoll und minder wertvoll
und dann in Ergänzung der oben angedenteten Angelegenheit, nur
zwei inhaltlich gesonderte Gedichtarten zu unterscheiden, innerhalb
deren die genannte Wertontersoheidang Bedeutung hat, nämlich solche
Gedichte mit stärker ausgeprägtem lyrischen und stärker aus-
geprägtem epischen Charakter. Der Ästhetiker wird vielleicht schwere
Bedenken tragen, das hindert aber nicht, daß eine derartig grobe
Bubriderung gar wohl am Platae ist in der voriiegenden Ange-
legenheit
Einige Bemerkungen vorauf! AuffiUlig ist zunächst der starke
Einfluß der Schule: fast nur aus dem, das sie vermittelte — 2 bis
3 Ausnahmen ungerechnet — wurden als liebling^gedichte beraichnet
Ob durch die Weise des Versuchs, der immerhin in seinem Drum
und Dran etwas schulmäßiges an sich hat, ob überhaupt der Einfluß
des elterlichen Hauses gering ist, und, wenn vorhanden, ee sich den
Bestrebungen der Schule angleicht — das ist unzweifelhaft schwer
zu entscheiden aber daß ein Einfluß der Schule hier nadiwelsbar
ist in seinen IVüchten, ist unzweifelhaft Wie stark dieser iSnfluß
ist (die Ställe wird sidi in erster JAxäe äußern in der Abkehr gegen
SohundliteraturX läßt sich allerdings aus den Daten nicht entnehmen.
Der Skeptiker wird geneigt sein, im Hinblick auf die Toriiebe für
mancherlei Schunderzeugnisse, wie sie besonders während einer be-
stimmten EntwicUungsporiode auffällig ist, diesen Wert sehr gering
einzuschätzen. Er vergißt hier ein Zweifaches: 1. Daß die Immunir
sierung unmöglich durch die Schule allein geschehen kann, daß ge-
waltigere Einflüsse des Hauses, des Umgangs — der ganzen Umwelt
jenseits der Sehulstnbe, sich bemerkbar machen, und endlich, daß die
Schule ans iiiaiiclierlei Gründen versagt, wo es sich um die letzte
Quelle der Lyrik, die Liebeslyrik handelt Sie beschränkt sich auf
einen engeren Kaum, und wenn nicht das Haus verständig einzu-
greifen weiß, in ei-ster Linie die Mutter, so ist das Kind auf sich
selbst angewiesen, steht es selbstratend am Scheidewege, wo die Bahn
des Häßlichen, Unästhetischen, verdeckt durch den trügerischen Schein
erfüllbarer Wünsche, die in dieser Entwicklungspiiase neu und stark
auftreten, ungleich leichter beschritten wird als die andere. Und das
schlimme ist, daß in der Fehlentscheidung ein gefährlich Tröpfchen
Oift liegt, gefährlich, weil es, zumeist für immer, Herz und Sinnen
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Lombk: Kiad nid Kimst
▼ei^diibt für eineo freimütigai Genufi der KnnstBchöpfimgeiL Kiigonds
tritt der Ziuanuneiihang zwischen Bthik und Ästhetik deutlicher la
Tage als wihrend dieser Satwiddiiiigspeiiode. Hag sdn, dafi Heitet
die Ethik ra weit in das Beleh dee Asthetiselien hineingezogen hat,
trotzdem bleibt ihm das weitaus nidit gewürdigte Verdienst, tLber-
haupt Ästhetik und Ethik in enge Beziehung gebracht zu haben.
Seine Erörterungen sind Torwiegend theoretischer Art, aber auch
heute sind wir nicht weiter gekommen, es fehlt ims durchaus un zu-
verlässigem Beobachtungrsraaterial, das uns ermöglichte in ein ratio-
nelles Studium dieser Angelegenheit einzutreten ^) — möglich, daß ich
hernach einiges Material beibringen kann.
Soviel darf aber den obigen Tabellen entnommen werden, daß
die Bestrebungen derjenigen, die eine Erziehung auch in künstlerischer
Hinsicht wollen, in der Voraussetzung zutreffend ist: Es ist möglich,
durch absichtliches Bemiilicn das Kind für edlere Schätze unserer
lyrischen Literatur zu gewinnen und wahi-scheiniich auch — doch
bedarf das der Unterstützung weiterer Kreise — gegen literarische
Schädlinge bis zu einem gewissen Grade zu immunisieren.
Ich will noch auf einige aufßülige Erscheinungen hinweisen: es
wurde kaum ein Psalm, ein für preußische Schulen obligatorischer
geistlicher oder weltlicher Liedertext genannt Bezüglich der Psalmen
ist das leichter verständlich. Sie sind als poetische Erzeugnisse einer
ganz andern AVeit entsprossen, sind in Bau, bildlichen Mitteln u. a.
dem modernen Empfinden, insonderheit dem Kinde, ganz fremd.
Leben vermag diese Literatur nur zu gewinnen in dem, der mit der
Zeit, der Kultur, der Landschaft, der Geschichte des Volkes, dem sie
angehört, innig vertraut ist und — und das ist zweifelsohne das
größere — der mit der Fähigkeit ausgerüstet wurde, kongenial in
seinen Empfindungen nachzu schaffen. Im Kinde wird man beides
nicht wohl voraussetzen dürfen, wenn man nicht über dasselbe weit
hmaus projizieren will, es fehlt hier der reale Hinteignmd. loh habe
begeisterte Freunde der alten Psalmodie vor Kindern stehen sehen,
sie haben in Frage nnd Antwort eine vorzügliche Unterrichtsstunde
gehalten — trotzdem konnte dem Psychologen nicht verborgen bleiben,
daA hier ein Widerspiel herrschte: daß die Distanz zwischen dem,
was in dem Hirne der Katecheten sich abspielte und dem in den
Köpfen der Kinder unendlich groß war nnd im stillen notierte er,
wie die Selbsttftnschnng des begeisterten Mfientikers auf so gebrech-
*) Wie weit umfingHflhe ünterswdrungen, die Siaiost Hall vorhat, dieee An-
galegmheit berfibzea, bkibt absowaiten.
4
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286
AofBltse
liehen Kracken, "wie es einzelne herroigelookto Einderantwoiten nnd,
80 weite Reisen za machen yeratehi Die Psychologie des HineinfOhlens
ist ein Kapitel, das lOr den piaktiBdien XJnteniohtsbetrieb yon eminenter
Bedeutung ist — nnd es liegt nicht einmal in den Windeln eingehender
praktischer Dentnng. Man verzeihe mir die Abschweifong — mag sein,
daB man im stände ist, fttr einzelne äoftere Umstlnde durch Büd imd
Wort bei phantasiekiftftigeren Schfllem den konkreten Hintergnmd
dieses oder jenes Psalms lebendig zu machen, aber das ist ungemein
schwierig. Selbst der beliebte 23. Psalm — um ein Beispiel zu er-
wShnen — stellt hohe Anforderungen: Man muA die Schauerschlncht,
die der Dichter im Sinne hai^ kennen; man muß wissen, wie sie bei
dem Yolke, znmal den schwebenden ffirten, beleumundet war, nim-
lich als die, deren Nennen schon TeranlaBte, daß eine Gfinsehant
ttbeiUel Und dieses Wissen ist noch das Geringere, dazu kommt
eine, dem Kenner zwar kunstroll angeordnete, dem Laien aber plu-
und ziellos angehäufte Bilderreihe und zudem mit so eigenartiger
realer Grundlage, daß — und vor allem bei Kindern — weder für
die formale Anordnung noch fOr die Sonderbilder poetisches Te^
stSndnis und Empfinden erwartet werden darl
Aber die obligatorischen Lieder und Choräle? Warum sind hier
die Erfolge so stark in der Minderzahl? Handelt es sich doch um
einen Stamm von Gedichten, den die Schule nach Kräften bemüht ist,
zu einem Tresor fürs Leben zu gestalten. Liegt die Ursache viel-
leicht gerade in diesem liemühen? Der Kenner weiß, daß große
Mühe und Arbeit erforderlich ist, um der berechtigten oder unberech-
tigten Forderung: 1) präsent! gerecht zu werden. Übertrügt sich diese
ödkultur mit dem inquisitorischen Drum und Dran auch auf die
Wertschätzung der Texte? Oder ist es dieses: Ist endlich das Pauk-
resultat vollkommen; dann ist das Hersagen zu einer mechanischen
Angelegenheit geworden, die funktioniert, ohne je tiefere Ansprüche
an Fühlen und Wollen und Denken zu stellen. Das beweisen zahl-
reiche ^lißverständnisse, wie z. B.: Die hohe Wonnegans, Laß dich
reichlich auf und nieder, Jesu geh voran auf der Lebensbahn u. a. m.,
Beispiele, die deutlicli beweisen, daß man sich an gewissen Klang-
assoziationen genügen ließ, ohne je über den Sachinhalt scharfer
nachzudenken.
Oder darf man zur Erklärung darauf hinweisen, daß manche der
obligatorischen Oodichto das Anlegen eines ernsten poetischen Maß-
stabes nicht vertragen?
FienSnlioli htlto ioh sie nidit anr fflr onbenohtigt, «mdem pMigoghoh in
hSohBtmn HaBe bedenUioh.
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LoMDor; Kud und Kuoak
287
Oder endlich, Ist die Melodie daim schuld? Maa spridit das
Gedieht lediglich als lied an » das soll hemaoh einen Moment er-
wogen weidnL
Doch snrück zn der eingangs dieses Abschnitts au^woifenen
Frage. Wie bereits erwähnt ward, Ist ToUkommen aasreichend, die
baden genannten großen Gruppen zu unterscheiden, im einzelnen be-
darf es dann zwar einer Sonderung. Diese darf nicht geschehen nach
Kterar-ästhetischen, sondern nur nacii psychologischen Gesichtspunkten.
Dabei empfiehlt es sich (ich bezeichne der Kürze werfen die Gruppe
mit stärker betontem epischem Charakter durch h, die audere durch e)
die Gruppe c zu sondern, je uaLlulcni das lyrische Moment an Per-
sonen (j) oder an besondere Landschaften (i. w. S. geheftet ist
Historisch, d. h. nach der Reihenfolge, in der sie dem kiudlichen Ver-
stehen und Würdigen aufgehen, wird man sie ordnen: Oj und Cp
Die Gnippe h läßt sicli am zuverlässigsten zerlegen im Hinblick auf
die »kulturhistorischen Stufen«. Allerdings muß je eine starke Zu-
sammenziehung stattfinden. Icli bescheide mich mit folgenden auf-
stei^a^nden Gruppen: Märchen, Robinson, Sage, Biblische Gescliichte,
Profangeschichte. Die Stufen sind im ganzen charakterisiert durch
ein immer stärkeres Hervortreten des Objektiven, des Tatsäcli liehen
und dementsprecliend ein gleiclischrittliches Zurücktreten subjektiver
Momente, phantiistisclier Ausdeutungen. Das erste Glied kommt hier
nicht in Frage. "Wohl aber ist zu bedenken, daß es sich um lyrische
Stoffe handelt, so daß das subjektive Moment eine stärkere Betonung
von vornherein erfährt. In der Gruppe h unterscheide ich Stoffe
mit sagenhaftem, mit religiösem und profanhistorischem Chantkter.
Man mag bedenklich finden, daß diese Einteilung nur mit Rücksicht
auf den Stoff getroffen worden ist Demgegenüber ist zu erwägen,
daß der Stoff in erster Linie der Dichtungsart den Charakter auf-
drückt, daß er in starkem Maße die fonnale Gestaltung vorschreibt,
daß es nicht wobl angängig ist, hier eine speziellere Einteilung zu
Gründe zu legen and endUch, daß trotzdem die Slögliohkelt offen
bleibt, solche Gedichte innerhalb der einzelnen Gruppen zusammen-
zufassen, die einen ausgeprägten Charakter (Ballade, Romanze oder
ähnliches) tragen — sofern sich die Notwendigkeit zu solchem Vor-
haben ans dem Beobachtungsmatenal ergibt Yorab nnteischeLde
ich nur: e^ nnd e^ h^, h, and b,.
Ich werfe zunächst — unbekümmert um den Inhalt der Ge-
dichte -~ einen Blick auf die Zahl der als Lieblingsgedichte bezeich,
neten weitvollen lyrischen Erzeugnisse. (Ich bemerke zwischenein,
daß ich die oben angeregte Sonderang in wertrolle nnd minder wert-
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288
AufsätM
ToUe aus praktischen Gründen hier fallen lasse.) Ich berechnete auf
den einielnen Altenstufea &>]gende absolute Daten:
Zahl der lieblingsgedichte
Stufe
bei
Gesamt
Knaben
liädcheu
I
26
26
n
20
12
16
m
13
20
16
IV
13
21
17
V
12
14
13
VI
10
10
Gesamt
B4
77
Es offenbart aiöb mitiim eine Zonahme ron unten bis oben hin,
wie besonders deutlioh herroxgeht ans den Oesamtefgebnissen in dar
leliten BobriL AnffiOüg ist das geringe Ergebnis fOr die Obentnb
der ICIdohen. ffier dominiert die vierte Stofe, yon da ans liftt ach
beiderseits ein Absteigen der Eure konstatieren. !bots der groiea
Ansahl von FrQllingen lasse iob doch dahingestellt sein, ob hier ob
allgemeingültiges Yeriialteii Toiliegt oder niöht^ ob in der Tat ein
Kaddassen des Interesses für lyiisdhe Bnengnisse durch eneuto
Versnobe wird naehweisbsr sein. Insgesamt kommt eine AuswaU
▼on 84^ besw. 77 Gedichten in I^age nnd swar bei £aaben 79, \m
Midchen 72 Terschiedene. Genanere ünteradiiQde sind erst naob-
-wMmiy wenn die genannten Gedidite in die erörterten S(lnde^
gruppen serlegt werden. Bemerken will ich aber noch einmal, diS
der durch die Schule ausgeübte Zwang nicht immer dentliche Greni^
linien wird bestimmen lassen.
Eine genauere Durchsicht des Materials ließ als notwendig e^
scheinen — unbeschadet der iül^araemen Natur der Grenzlinien —
nach drei Seiten hin eine Erg^änzung des Schemas vorzunehmen. Die
Neigung zu Märclien und Fabel in gebundener Form erwies sich
keineswegs als abgeschlossen vor der Altersstufe V/VI. Neben der
Neigung zu historischen Stoffen fand sich jeweils eine solche zu
patriotischen Stoffen (wenngleich hierunter keineswegs die obliga-
torischen Lieder verstanden werden dürfen). Diese bezogen sich auf
die Muttei-sprache, die deutsche Redlichkeit imd so fort. Endlich
mußte eine ganz neue Kolonne eingerichtet werden für die so-
genannten poetischen Erzählungen, die ihren Stoff dem tiiglichen
Leben mit seinen niaimigfachen heiteren und tiaurigen Wechselfälleii
entnehmen. Ich bezeichne die Kolonne durcli bez. h^a, h^a und b«.
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Lobrikn: Kind und Kunst 289
Xnr eines wollte sich dem genannten Schema nicht fOgen: Das
Lied Ton der (Hocke. Ich will daher kurz Torwegnebmen, was in
diesem Zasammenhiinge darflber zn sagen ist Natürlich ist von dem
Laluphm der Schnle abhängig, wann, und von der Art der Behand-
loDg, wie staik das Interesse ffir dieses Gedicht geweckt wird. Wenn
aber eine grofie Zahl Yon Selbstzengnissen, von Beobaohtongen vor^
liegen, die eben durch diesen ümfimg den letztraen Eaktor stark
eliminieren, so mnfi etwas mehr im Spiele sein als dieae änfieren
Teranlassungen. Nun zeigte sich bei den Mädchen von der 3. Stole
an steigendes Interesse bis zur ersten hin, wo ich, entsprechend dem
verabredeten Berechnungsmodus, zwei Kreuze beifügen konnte. Bei
den Knaben dominierte auf Stufe V das Interesse für die Glocke so
stark, daß alle andern Gedichte dagegen weit in den Schatten
traten.
Ich lege die gleiche Schätzung zu Grunde und berechne: die
einzelnen Gruppen kommen vor in dem Verhältnis:
Stufe
Orappe I
Ofiippe n
K
b.a
K
K
. Kn.
* M.
1
4
6
1
4
7
11^
2
1
2
4
4
6
1
1
6
3
2
1
1
5
7
1
4
1
4
5
vr ^
IL
1
3
4
2
1
4
1
4
3
1
1
6
y Kn.
M.
2
1
5
4
1
1
3
7
71 M.
6
1
2
Orappe I steht der II. gegenüber stark im Nachteil. Faßt man
die Gesamtwerte zusammen, so offenbart sich — ohne Sonderwertung
der Häufigkeit des Vorkommens im einzelnen — als Verhältnis Ton
18 1 3*^
I: IIs= — = 1,8 : = 13,2. Das Interesse für lyrische Gedichte
mit epischer Betonung ist der Stimmungslyrik gegenüber um mehr
als das sechsfache überlegen. Der UnterscÄiied der Geschlechter ist
auch nachweisbar:
UtKhrift Nr IVkwopUe and Fldi^oglk. 12. iahiB»«. 19
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290
Aufsätze
Knaben e = 4- • Mädchen e = ^
o 0
Knaben h = ^ : Mädchen h = ^
O 0
Die Mädchen aeigen sieh den Knaben in der Wertung toh e
übeilegen in dem Yeihältnia : 6 : 4, dag^n halten sie sich gegni-
t&ber h nngefiihr die Stange. Bei beiden Geschlechtem ist das Int»
esse für h stark vorhenschend g^nfiber e. Das Ergebnis scheint
in stsikem Widersprach zu stehen mit der anffiUligen Bevonngniig
Yon Storhs Abseits den andern beiden Gedichten g^genllber, doch
nur der Schein ist hier wirksam, worOber hernach ein mehierBS.
Bs sei korz ein Vergleich der Gesamteigebnisse gestattet, sofern
sie sich besiehen auf die einseinen Dichtimgsgruppun:
Diclituug "Wert
ei 7
e, 10
hl 35 \
hia 20 1
h, 6
hs 24
bja 3
44
Die sagen- und miircbenluiften, dann die histori^ichen und vor
allen Dingen die poetischen Ei7:älüiiugen, die ihren Stoff dem täg-
lichen Leben entnehmen, stehen stark im Vordergründe.
Im besonderen ist dann noch zu bemerken (Tabelle umseitig), daß e
unten sporadisch nur bei den Mädchen gewünscht wird, sonst nicht
Nach den oberen Stufen hin steigt die "Wertschätzung auch bei den
Knaben beträchtlich, h^ und haia werden auf den unteren Stufen
stark bevorzugt, dann schwindet schnell das Interesse für die h,a-
Stoffe, auf Stufe I — III werden sie nicht erwähnt. Hier stehen der
Sage und Geschichte angehörige Stoffe im Vordergrunde. Sehr stark
im Kückstande sind Oediclite religiösen und patriotischen Inhalts.
(Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen, bemerke ich, daß
die Daten der erwähnten Tabelle relative kleinste Werte bedeuten;
sie sind aus den absoluten Gesamtdaten derart berechnet worden, daß
die geringste Angabe jeweils nicht = der gefundenen Absoluten,
sondern =s 1 gesetst wurde im Interesse einer bequemeren Übersicht)
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BiSHTBcai: H. St Ghamberiaias YmtktOmgtia fOm die BeUgion usw. 291
H. St. Chambarlains Vont«llii]ig«ii über die Beligioa
der Semiten spei, der laraeliten
Prafenor D. BaentMh-Jena
(Schluß)
Ein weiterer Yarwni^ dem Cbamberiaiii spesieU g^gen die. isne-
JittBohe Religion eiliebt, war der, daß sie einen bo ausgesproofaen ge-
scbichtlichen Ghankter trSgt nnd anstatt auf Brhhnwgen des
Gemfltes auf Ereignisse der Gesidüohte ond awar spesieU auf die
matedeUe historische Tatsache der Befreinng ans Igypten gegründet
sei Wir sind hier einmal in der lüge, Chamberlain nicht' bloß
hinsicbtlioh der Eonstatiening der Tatsache, sondern bis za einem
gewissen Giade auch hinsichtlich ihrer Benrteilnng beisnstimmen.
TMsiohHch ist Israels Beligion im prinzipiellen Unterschiede Ton den
Katar- nnd Astrakeligionen des alten Orients eine im eminenten Sinne
gesehichtiiclie Beligion, sofern sie ihren Oott nicht nur rar Geschichte
des Yolkes Israel in sehr intensiye Beraehung setzt, sondern geradeau
auf ein geschichtliches Ereignis, eine geschichtliche Großtat des
Gottes Israels, gegründet ist Denn wie man auch Uber die Exodus»
Legende (Ex. 14 1) denken mag, es darf als gesichert gelten, daß
die mosaische Religionsstiftung im innem Zusammenhang mit einer
▼on Erfolg gokrönten Erhebung der Israelstämme gegen die ägyptische
Herrschaft stand. Es soll nun auch keineswegs geleugnet werden,
daß die emphatische Begründung der Religion auf ein einmaliges ge-
schichtliches Ereignis eine gewisse Einseitigkeit und Unzulänglich-
keit bedeutet, die nicht geringe Gefahren für die Innerlichkeit der
Rehgion in sich birgt Denn einem geschichtlichen Ereignisse als
solchem haftet, auch wenn es sich für die Betrachtung der folgenden
Generationen als providentiell erweist, doch zu leicht der Charakter
des Zufälligen an; eine Rehgion aber will am letzten Ende auf einem
ewigen, unerschütterlichen Grunde ruhen, der durch keine geschicht-
hchen Ereignisse irgend welcher Art tangiert oder erschüttert werden
kann. Von diesem Standpunkte aus können wir uns auch mit jener
auf dem Boden rein geschichtlicher Betrachtung der Religion er-
wachsenen, von Chamberlain meisterhaft charakterisierten, jüdischen
Geschichtskonstruktion, die das jüdische Volk in prätentiöser Weise
in den Mittelpunkt der Weltgeschichte stellt, nicht recht befreunden.
Mag mau darin auch den Ansatz zu einer wirklich großartigen welt-
geschichtlichen Betrachtung be wundem , mag man selbst zugeben^
19»
Digitizcd by Güöglc
292
daB diese Beteohtang nidit ohne eine gewisse innere Beiechtigmig
sei, so erscheint hier doch alles so sehr auf die Oeschichte und swar
in nationaljüdischem Interesse angespitzt, dafi der inneriiohe Cha-
rakter der Religion gefittndet emeheint
Aber man wird, ehe man schilt, auch hier sich om ein ge-
schicfatiiches YerstfindiniB der Tatsache an bemühen haben. Da8 Inad
seine Religion ttt)eihaapt zu seiner Geschichte in Beziehnng setzte,
war doch schliefilioh nnr eine notwendige Folge davon, dafi dieses
Volk tiberhanpt eine Geschichte hatte. Direkt yerorteilen kann das
nnr derjenige, der es überhaupt für nneriaubt hilt, die Gottheit m
der Menschheitsgeschichte wirksam zn sehen. Aber gerade dieser
Standpunkt widerstreitet ichter Rümmigkeit Auch eine Universal-
religion wird nicht darauf verzichten können den Spuren des gött-
lichen Waltens in der Uenschheitsgeschichte nachzugehen. Wenn sich
bei den arischen htäm. nichts dergleichen findet, so liegt das zom
guten Teile wohl nur daran, wdl sie es überhaupt nicht zn einem
nationalen Leben und zu einer Geschichte gebracht haben. Fär eine
Nation sind geschichtliche Erfahrungen dasselbe, was die Erfahrungen
des Gemüts für das Individuum sind. Aber es stände freilich schlimm
um eile Religion Israels, wenn sie tatsächlich nur an dem einen
dünnen Faden eines einmaligen historischen Ereignisses gehangen
hätte. Ein wie wankendes Fundament für die Religion Israels jene
Befreiung aus Ägypten zeitweise gewesen ist, zeigt zur Genüge der
Umstand, daß die Israeliten in Zeiten der Not, in denen die Rechnung
nicht recht stimmen wollte, so überaus leicht den Glauben an Jahve
verloren und sich den Göttern der gerade über sie herrschenden
Völker, wie der Assyrer und der Babylonier, in die Arme warfen
oder den Kult der alten über Jahve vergessenen Landesgottheiten
wieder aufleben ließen. Und das war nicht nur in Israel, sondern
auch in Juda der Fall. ^lan denke an ^lanasse, an Jojakim. Und
wenn nun die Religion Israels aus all diesen Krisen immer von neuem
erstand, wenn sie den Zusammenbruch des nationalen Staates, der
die ägyptische Großtat Jahves ja geradezu annullierte, glücklich über-
stand, müssen da nicht doch noch ganz andre Faktoren in ihr lebendig
gewesen sein als jene mit einer allen Erfahrungen trotzenden Zähig-
keit des Willens festgehaltenen Erinnerungen an die Großtaten Jahves
in einer schöneren Vergangenheit? Es nicht sich hier wieder, daß
Chamberlain die Tätigkeit der Propheten für die Gesamtbeurteihmg
der israelitischen Religion so gut wie gar nicht heranzieht. Die
Frömmigkeit der Propheten lebte wahrlich nicht allein von jon»'ni
Ereignisse einer fernen Vergangenheit, wenn sie überhaupt von ihm
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Baxnisch: H. St Cbamberlaios VoisteUangea über die Religion usw. 293^
in ixgend einer Weise gelebt hat Die ältesten von ihnen argu-
mentieren überhaupt nicht viel ans dei Geschichte. Ihr Gottes-
glaube ankerte in einem ganz andern Grunde, in dem Gnindc persön-
lichster religiöser Erfahrungen des innersten Gemütes. Die Propheten
haben ihren Gott innerlich erlebt Sie stehen in einem fortwährenden
Eontakte mit dem überweltliohen Gott Sie fühlen die Hand ihres
Gottes t&ber sich, sie spüren das Wehen seines Odems in ihrem
Herzen. Und diese Propheten sind es eben gewesen, die der Religion
ihres Volkes von Zeit zu Zeit neue LebensstrSme zuführten und sie
dadurch Tor dem Eingehen bewahrten. Und sie standen nicht allein.
Sie hatten ihren Kreis Ton Gesinnnngsgenossen nnd von Nachfolgern
bis weit in die nachexilische Zeit hinein. Ich erinnere nur an
Männer wie den Dichter des 73. oder des 90. Psalms, oder den
Dichter des Hiobbnches* Gerade solche llfinner sind aber doch die
eigentlichen TriSger des religidsen Gedankens in Israel gewesen nnd
haben die Beligion Israels dorch alle WechselfiQle nnd Krisen hin-
dnrchgerettet Die grofie Hasse ist von diesen grollen Peraönlich-
keiten immer nnr mitgezogen. Wftren sie nicht gewesen, so hätten
alle historischen Erinnenmgen der Beligion nicht über den Bnin
hinweghelfen können. So trifit Chamberiains Yorwnrf auch hier mehr
die Schale als den Kern. Er trifft die nationale Yolksreligion in
ihrem Durchschnitt nnd znm gnten Teile die theokntische Priester-
religioii, ans deren Weisen ja gerade jene prätentiösen, an roh nationaler
mid mechanisch-ntUitaristischer AnfCsssung der Religion kanm zu
(Kbeibietenden Gescfaichtskonstraktioneii henrorgegangen sind, aber er
trifft nicht die eigentliche Seele der Jahveieligion, wie sie in der
prophetischen Frömmigkeit lebendig war.
Mit ähnlich gemischten Empfindungen stehen wir dem, was-
Chamberlain über den Glauben Israels ausführt, gegenüber. Er hat
über den Glauben, wie er in der Religion Israels lebendig ist, viel
Treffendes, sogar sehr Treffliches gesagt, aber ilin doch in einer Weise
beurteilt, die gerade vom religiösen Standpunkt aus beanstandet
werden muß. Er wirft ihm einmal vor, daß er Tatsachengl aubo
sei. In der Tat spielen ja historische Daten, materielle Tatsachen, vor
allem die grundlegende Tatsache der Befreiung aus Ägypten fiir den
Glauben Israels, wenn auch nicht als sein Objekt, so doch als seine-
Grundlage^) eine sehr hervorragende Rolle. Wie sehr hier die Ge-
Chamberlain hält bddflS nicht scharf genug auseinandar. Der Israelit kennt
lern Credo, das ihn zwänge, an bestimmte Tatsachen zu glauben. Er glaubt nicht
>a die Aasfäbiuog aus Ägypten, vie der Giuist an Gott den Yater usw. im.
Digitizcd by Göügle
294
Aafaätze
fahr einer YeräußiM-lichung vorliefet iiaben wir im vorigen Abschnitt
ja selbst anerkannt. Wenn nun Cliamberlain an einer andern Stelle
diesen Glanben Israels als das unerschütterliche Vertrauen
zu einem persönlichen, unmittelbar gegenwärtigen, all-
niächtif^en Gott charakterisiert, und ihn aus einem mächtigen
Willen zum Leben und zur Selbstbehauptung ableitet, so können wir
uns kaum eine bessere Charakterisienuig dieses Glaubens rorstellen
und wüßten überhaapt nicht, "wie man den spezifisch religiösen
Glauben, wie wir ihn veisteben, und wie ihn vor allem auch ein
Luther, diese Verkörperung germanischen Geistes, verstand on hat,
besser definieren könnte. Gewiß hat dieser Glaube in Israel unter
mancherlei Entstellungen, die in dem nationalen Charakter seiner
Reügion und dessen Nachwirinmgon ihren Grund haben, vielfach zu
leiden gehabt Es ist z. B. eine Entstellung, wenn dieser Glaube
Jahve in eine zu ausschließliche Beziehung zum Zion setzt, ihn
geradezu auf den Zion herabzwingt, oder wenn er Jahres IQlfe sn
ausschliefilich fOr Israel in Beschlag nimmt und darüber die aadem
Yölker und Menschen Tergifit Yon solchen Bintstellungen, die übi^ens
hin und wieder eine sehr bemerkenswerte Korrektor im Alten Tesfci-
mente selbst erfahren (yeigL z. B. Jer. 7, 4), muß man natflilich ab-
sehen können und den Glaubensakt als solchen zu wQrdigen wissen.
Aber freilich hfilt ja nun Chamberlain einen Glauben, der sich ab
Yertrauen zu Gott Snßert, ttberhaupt fOr minderwertig. Was er etwa
»Glauben« nennt, das ist vielmehr jenes ahnende Eifusen tnnsoen-
•denter Geheimnisse, unaussprechbarer Wahrheiten und unausdenk-
barer Mysterien, in dem Chamberlain ja überhaupt den eigenilicheD
Nerv der Religiosität sieht Je mehr der Mensch von diesen Dmgen
eifaßt und sich symbdisch vorstellig zu machen vermag, desto mehr
bat er Religion. Der arische Inder glaubt viel mehr als der Semit,
•danun ist er nach Chamberlain auch viel religiöser als dieser. Er htt
eben eine viel reichere religiöse Yorstellungswelt Ihm kommt es
also außer auf die Intensivitftt, mit der der Mensch üi eme tnms-
apoetdlischeD Symboliim, sondern er glaubt, daß, weil Jahve bnel lat Ägypten
herausgeführt hat, er seinem Volke auch fürderhin helfen werde. Darum ist es
üborhaupt schief, von einem israelitischen Credo zu reden (S. 4()9) und dieses
Credo dann zu dem apostolischen Credo in einen Gegensatz zu setzen. Wenn
übrigens Chamberlain 8. 409 sagt dafi die Hälfte der Sätze des Apostolikums keine
Tiitttdiaii, soDdem imvonleinitn Hysterien heseo^
hier doch darohsns als Tatsachen aolgefafit und mit den von der andein Hilfte
seiner Sätze bezeugten Tatsachen auf eine Dnie gestellt werden. Wenn irgendwo,
80 wird gerade vom Apostolikum ein Tatsacheoglsabe gefordert, vie ihn die
israelitische Religion überhaapt nicht kennt.
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BiLKNTSGB: H. st Chamberkins Vorstellungen über die Heügion usw. 295
oendente Welt einzudringen vermag, vor allem auch auf die Menge
der vom Geiste geahnten und erfaßten transcendenten Wahrheiten,
auf den Reichtum des Giaubensstoffes (S. 406) für die Beurteilung des
Glaubens an. Faßt man dagegen den Glauben als vertnnensvoUe
Bezogenheit auf einen Gott, der helfen kann, so wird man viel-
mehr in der EnfTirio, mit der sich diese Bezogenheit auf Gott
geltend macht, sich auf diesen Gott konzentriert, einzig und allein
den Gradmesser für die Höhe und den Wert des Glaubens zu sehen
haben. Wir sehen auch hier wieder, wie es Cbamberlains eigentüm-
hdie Aof&ssang Yon der Religion ist, die uns den Schlüssel zu
seiner Benrteilnng des israelitischen Glaubensbegriifes (der übrigens
■ach ganz der christliche ist) liefert
Wie steht es nnn endlich mit dem »Dogma von der Frei-
heit des Willens«, in dem Ghamberlain ein besondeis charak>
teiiBtiBches Meilanal ffir den Tiefstand der israelitischen nnd jüdischen
Frömmigkeit sieht? Es wird Ghamberlain ohne weiteres zuzugeben
sein, daß er in diesem Funkte, der namentlich tOr die Anffossnng der
Sünde Ton schwerwiegender Bedeutung ist, eine sehr schwache
Seite der israelitischen Beligion und Sittlichkeit berührt hat Der
Israelit und Jude ist im allgemeiuen von der absoluten Freiheit
seines Willens zum Guten wie zum Bösen fest überzeugt »Liehet
das Oute und hasset das Böse« sagt selbst ein Amos (5, 15), als ob
liebe und Haß sich so einfach befehlen ließe. Yon der Gebunden-
heit des menschlichen Willens, tou der Macht des Einflusses der Um-
gebung und äußeren UmstSnde, von der Macht der Gewohnheit, der
Macht der Yererbung hat er im allgemeinen keine lebhafte Empfindung.
Darin liegt auf der einen Seite eine Wurzel seiner Größe. Er ver-
liert nie den Glauben an sich selbst Mag er sich noch so oft ver^
fehlt haben und gefallen sein, er erhebt immer wieder das Haupt
mit dem festen Torsatz nicht nur, sondern such in der Zuversicht^
kfinftig nicht wieder zu fallen. Aus diesem Glauben an seine
moralische Kraft erklärt es sich ja auch zu einem guten Teil mit,
dafi das israelitische Volk alle Katastrophen, die über es hereinbrachen
und in denen es Strafen für seine Sünden sah, überdauerte und sich
immer wieder daraus erhob. ^) Aber in jenem Glauben liegt auch ein
erheblicher Maupel, denn er verspen't dem, der damit ausgestattet ist,
die so nötige Einsicht, daß die Sünde eine furchtbare Macht be-
deutet, vou der er aus sich selbst heraus nicht wieder loskommt Der
') Daft das HanptTerdieiist hieiaa den Piopheten gebfühxle, haben wir oben
g^ehen.
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296
Aufsätze
Israelit und auch der Jude kennt eigentlich bloß einzelne Sünden
"Und Übertretungen, die für ihn abgetan sind, wenn er die Stra/e
dafür erlitten oder sie durch eine kultische Handlung abgebüßt hat,
aber er kennt nicht die Sünde. ^) Darum hat sich die jüdische BeMgion
auch nicht zur ESrlösungsFeiigion entwickein können, sondern ist
Gesetzesroligion geblieben, oder yieLraehr je länger je mehr geworden,
eine Oesetzesreligion die sich mit ihren zahlreichen VoiBchrifteii und
Oesetzen an den Willen des Menschen wendet und seiner Schwach-
heit nur insoweit entgegenkommt, als sie ihm für seine unTeimeid-
lichen Einzelübertretungen in üuem Kultus einen bequemen Sfibn-
iq»parat zur Verfügung stellt, dessen korrekte Handhabung alles wieder
ins richtige Geleise bringt Und wenn die Urkunden der israelitisebea
und jüdischen Religion auch die Onade Jahyes vielfach in den
höchsten Tönen zu preisen wissen, so handelt es sich dabei doch
immer um die Qnade, die izgendwelche Sünde vecgibt und die Schuld
dafür nicht anrechnet, aber nicht um die erlösende Gnade, die ans
dem sündigen Menschen eine neue Kreatur macht, indem sie seinen
Willen aus der Sündenkneohtschaft befreit und dem also befreiteii
Willen eine krSftige Richtung auf das sittlich Gute, auf die sittücbe
YoUkommenheit hin gibt
Aber die Sache hat auch hier wieder ihre bedeutsame Kehrseite,
die Ton Chamberlain gar nicht gewürdigt ist Es dürfen nimlich
nicht die gewichtigen Aussagen im Alten Testamente übersehen werden,
die ein sehr deutliches Bewußtsein yon der Unfreiheit des mensch-
lichen Willens und zwar speziell von seiner Gebundenheit durch
die Macht der Sünde verraten. Schon die Sintflutgeschichte, and
zwar in ihrer älteren jahvistischen Gestaltung, betont Gen. 6, 5 and
8, 21 sehr geflissentlich, daß das Dichten und Trachten des mensch-
lichen Herzens böse sei von Jugend auf. Indem sie freilich die
mit der menschlichen Nutui gesetzte Siindhafiigkeit als eine uiiab-
finderliche Tatsache hinstellt, der gegenüber selbst Jahve ohnmächtig
sei, verrät sie eine pessimistische Denkweise, die religiös unfruchtbar
bleibt. Aber, wie dem auch sein möge, es verrät sicli hier doch eine
Auffassungsweise, die unendlich viel tiefer geht als der oberflächüche
Glaube an eine unbeschränkte Willensfi'eiheit. Nun ist ja freilich die
Sintflutgeschichte kein Prudukt des spezifisch israelitischen Geistes,
und wir müssen daher mit der hoheu Walirscheiniichkeit rechnen,
*) Dem entspricht es, dat die DnndieohiiitlBreligion eigeatlioh anoh nur
einzelne gute Werke und verdienstliche Handlungen, aber nicht >das Oute« iMUii
Anders steht es jedoch bei den Propheten , bei denen sich Annittlft sa einer ptil-
zipiellen Ethik finden, cf. Am. 5, 15, Mich. 6, 8, Hoe. 6, 6.
Digitizcd by Gopgl
Bakntsch: H. St. Cbamberlains Yorbteiiimgen über die Religion usw. 297
daß die darin Tertietene Ansohaanng von der Unireiheit des mensch-
lichen Willens nicht auf israelitischem Boden gewachsen ist Aher
wir besitzen im Alten Testament und swar speziell in seinen pro-
phetischen Schziften noch ganz andre, aus tie&ter Erfahrung hervor-
gegangene Äußerungen über das Unvermögen des menschlichen Willens
zum Guten. So hat der Prophet Hosea (7, 2 nach der Übersetzung
bei Kautzsch) eine lebhafte Empfindung daför, daß Israel aus dem
Banne seiner Sünden nicht so ohne weiteres wieder herauskann. Ein
Jeremias, der ein Leben lang veigeblich an der reUgids-aittliohen
Erneuerung seines Volkes gearbeitet hat, spricht unumwunden aus
»Kann wohl ein Mohr seine Haut verwandehi oder ein Tstdei seine
Becken? Dann würdet auch ihr gut zu handehi Termögen, die ihr
gewohnt seid, fi^toes zu tunc (13, 23). Und wie Jeremias hier die
Macht der Gewohnheit betont, so der Terbsser Ton Hieb 14, 4
die Macht der Yererbung, wenn er Hieb sprechen l&fit: »Wie
könnte wohl ein Beiner vom Unreinen kommen? Nicht einer!« Auf
denselben Oedanken kommt Ftelm 51, 7 hinaus, wo es heißt: »Bin ich
doch in Verschuldung geboien und in Sünde hat mich meine Mutter
smpfiuigen.« Man veigleiche dazu auch Stelleif wie Hieb 15, 4, 25,
5. 6. Und zwar bleibt ee im Kreise dieser Zeugen meist nicht etwa
bei diesen pessimistjschen Bekenntnissen, sondern die Überzeugung
▼on der Ohnmacht des menschlichen Willens zum Outen drSngt hier
weiter zu der Erwartung, daß Oott selbst hier helfend eingreifen
und ein Neues schaffen müsse. So heißt es^Jer. 31, 33: »Ich will
mein Oesetz in ihr Inneres legen und es ihnen ins Herz schreiben.«
Und noch bezeichnender spricht der Prophet EzEomsL (U, 19 1 36
261): »Und ich (Jahre) werde euch ein neues Herz verieihen und
einen neuen Oeist in euer Inneres legen und werde das steinerne
Herz atis eurem Leibe entfernen und euch ein fleischernes Herz ver-
leihen, daß ihr nach meinen Satzangen wandelt und meine Ver-
ordnungen beobachtet und danach tuetc Und der Dichter des schon
oben zitierten 51, Psalms schwingt sich in Y. 12 zu der innigen Bitte
auf: »Schaffe mir, Gott, ein reines Herz, und lege in mich einen
neuen, gewissen Geist.t Kann die Sehnsucht lu^cli einer Pirlösung
noch deutlicher zum Ausdruck gebnicht werden als in diesen Stellen?
Haben wir hier nicht Ansätze, die über das allgemeine Niveau der
israelitischen und jüdischen Keligiun weit hinausweisen und mit aller
Macht auf eine E rlös ungsreligion hindrängen? Daß die israelitische
und jüdische Religion diesem Erlösunfrsbediii-fnisse nicht genügt hat,
ist eine Tatsache, die uns zwar ihre Miuderwertigkeit bezeugt, die
uuä aber nicht Uber das üewicht jener Zeugnisse einer über das
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298
Judentum Ii inausreichenden Frömmigkeit liin wegtäuschen und zu
ihrer Ignorierung veranlassen darf. Und es handelt sich hier nicht
etwa nur um ganz vereinzelte Stimmen, sondern um Außenmgen
jener acht prophetischen Frömmigkeit, die sich wie ein nie ver-
siechender Strom seit der Mitte des 8. Jahrhunderts — das ist
wenigstens ihr für uns erkennbarer Ausgangspunkt — bis in das
Judentum hineinzieht, und die dann endlich in der Erlösungsrplii:i'>n
dos Christentums ihre volle Befriedigung findet. Damit }uii)en wir
zugleich die historische Verbindung, in der das Christentum mit der
Religion Israels und des Judentums steht, und die bei Chamberlain
so gar nicht zu ihrem Rechte kommt, angedeutet. Das Christentum
ist ganz gewiß nicht die Vollendung des Judentums als solchen,
sondern, wie Chamberlain sehr mit Recht sagt, eher dessen Über-
windung. Aber es ist Vollendung jener höheren Ansätze, die sich
innerhalb der israelitischen und älteren jüdischen Keligion finden, und
Erfüllung der Sehnsucht, die in ihnen zum Ausdruck kommt Also
nicht erst das Chiistentam hat gegen das Judentum reagiert, sondern
die Reaktion gegen das, was allmählich als Judentum in die ge-
schichtliche Erscheinung getreten ist, hat bereits innerhalb des auf
das Judentum hinauslaufenden Entwicklungsprozesses selbst eingesetzt
Unser Urteil über das Judentum kann sich deshalb nicht ändern, aber
um so mehr verdient jene höhere Frömmigkeit, die eine Überwindung
des Judentums innerhalb des Judentums selbst bedeutet, gebührende
Hervorhebung als Beweis dafür, daß auf semitischem Boden nicht
bloß eine minderwertige Religiosität gedeihen konnte, weil etwa das
Gehirn des Semiten bloß für eine solche oiganisiert war.
Wir stehen damit am Ende unserer Auseinanderaetsnng mit
Chamberlain, soweit es sich um seme Beurteilung der Betigion der
Semiten und speziell der Israeliten handelt Noch lügen uns viele
einzelne, und darunter nicht unwichtige Punkte am Herzen, über die
wir uns gern mit ihm auseinandersetzen möchten. Aber sollte unsere
Abhandlung nicht an Umfang den Ausführungen, die Ghamberiain
flpez. den Semiten gewidmet hat, mindestens g^chlrommen, so mußten
wir uns schon auf die wichtigsten prinzipiellen Punkte beechrinken.')
Aber ich hoffe, unsere Auseinandersetzung mit Ghamberiain hat
Immerhin genügt, um uns ein einigennaBen sieheres Urteil über
Zur Ei^?änzung meiner AoBfOhrimgen sei auf den inhaltreichen Artikel von
Eberhard Nestle: Das religiöse Problem in II. St. Chamberlains Grundlagen des
19. Jahrhundei-ts, i^rotestautenblatt 1903, Nr. 26—29, und auf die Abhandlung von
Friedrich Otto Hertz, Das religiöse Leben bei Ariern und Semiten in der
politisch -anthropologischen Bevue 1903, Bd. II, Nr. 7 u. folgende hingewiesen.
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Baihtsch: U. St Chambeilams Voistellaagen aber die Eeligion usw. 299
seine Stellung za der Kelip:ion der Semiten und speziell der Israeiitea
zu emiöcrlichen. Und da können wir mit voller Sicherheit sagen,'
daß Chamberlain dieser Religion nicht gerecht geworden ist. Er
hat ein überaus scharfes Auge mehr für die mancherlei Schwächen
und Unzulänglichkeiten dieser Religion als für ihre guten Seiten.
Und was das Bedenklichste ist, er sieht diese Schwächen mit einem
durch die ausgesprochene Empfindung des Kassen gegen satzes^)
noch ganz besonders geschfiiftem Ange an. Während er allen andern
Beligionen der Welt, selbst den am tie&ten stehenden, mit dem
Ange der liebe gegenübersteht und jede auch noch so leise Begnng
echtsr, höherer Beligiositttt, ich möchte oft sagen, aus ihnen heraos-
fOhlt und mit einer Art fireudiger Oenngtaung begrOfit^ nimmt er die
Religion Israels unter eine überaus scharfe Lupe, die ihre Schwächen
in oft geradeza karikiertor Weise herrortreträi läßt Eben dadurch
bringt er die semitische und speziell die israelitische Religion in eine
künstliche Isolierung gegenüber den übrigen Beligionen, die doch
alle mehr oder weniger dieselben Schwächen, wenn vielleicht auch in
etwas andrer Tonart, zeigen, hinein. Unterschiede wachsen sich ihm
so zu unüberbrückbaren Gegensätzen, blofie Nuancen zu wesentlichen
Unterschieden aus. Der Hauptfehler aber ist, daß er seine Beurteilung
Tie! zu sehr auf die Äußerungen der Volk»- und Friesterreligion stützt
und den prophetischen Strang der Beligion viel zu wenig zu seinem
Rechte kommen läßt Er ignoriert ihn nicht ganz, er kommt Öfter,
zuweilen sogar unter dem Ausdruck einer unverhohlenen Bewunderung,
anf ihn zu sprechen, aber für sein Oesamturteil läßt er ihn doch viel
zu wenig ins Gewicht fallen. Die Flrophetie erscheint ihm fast nur
wie eine flüchtige Episode, die mit dem Ganzen der Beligion in keinem
Olganischen Zusammenhange steht Und doch handelt es sich hier
am eine Strömung, die zwar eine kräftige Reaktion gegen die Durch-
schnittsreligion bedeutet, die aber doch mit dem innersten Wesen
des mosaischen Jahvisraus, der bei aller nationalen Beschränktheit
einen energischen, auf die Durchbrechung der nationalen Schranken
tendierenden ethischen Zug in sich trug, in wesenüichem Zusammen-
Gbamberlain ist kein Antisemit in dem gewöhnlichen Snne, daB er etwa
die Juden zum Sündenbock für alle Laster unserer Zeit machte. Er nennt eine
derartige Neigung sogar direkt >Iächerlich und empörend« (S. 17). Alicr es finden
«idi bei ihm doch Äußerungen, die auf jeder antiseniiti.schen Radau- Versammlung
Furore machen würden, so z. B., wenn er sagt: »und wir hinken als verkrüppelte
Jndeokneokto hinter Jahves Bnndeelade her« (8. 18) oder: »Die FMtxe des Lesten
stellt ekran «ob ibraf (der braelitan) Oeaohiohte mit anveihtUUer Nackheit an«
8. 47 Q. a. m. Wir httten in Chamheilalns eigenstem Interane derartige Bnt>
^etamgin gen vermiSt.
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300
Aufsätze
hange steht. Denn daran, daß es sich bei allen Äußerungen einet
höheren Frömmigkeit und einer tieferen religiösen Binsicht etwi um
arische Infiltrationen handeln solle, ist nach unserer Übeizeagong
nicht 8U denken. Jeder Versuch, sie etwa als solche in Ansprach
zu nehmen, würde nicht für Israels Religion, sondern für die Rassen-
mischnngstheorie, deren relatives Recht wir nicht bestreiten, wohl
aber ihre tendenddse Terwertnng, gefilhrlidi werdeii.^)
Aber freilich, wir dürfen uns nicht verhehlen, daß schliefilich
auch die Religion der Propheten als Ganses genommen, vor Chamber-
lains Augen keine rechte Gnade finden würde. Denn auch diese
Religionsform entspricht ja bei weitem nicht dem Ideale, das
Chambeilain sich von der Religion nun einmal gebildet hat
IV.
Das führt uns nun endlich zum letzten Teile unserer Aufgabe,
nämlich, das Chamborlainsche Keligionsideal selbst d. h. den Maßstab,
mit dem er die Keligion der Semiten und speziell der Israeliten
und Juden in so strenger Weise gemessen hat, vom allgemnn reli-
gionswissenschaftlichen Standpunkte aus einer kurzen Beurteilung la
unterziehen.
Ist Chamberlains pantheisüscher Mystizismus, wie wir ihn im
ersten Teile unserer Abhandlung zu charakterisieren versucht haben,
denn überhaupt Religion? Dürfen wir es wirklich schon oder noch
Religion nennen, dieses bloße Ahnen eines Unendlichen, dieses
Schwelgen in dem Gedanken daran, dieses unausprechliche Sehnen,
das den Geist in weite dämmernde Femen zieht und ihn zu der
Sisjphus-Arbeit zwingt, ünfaßbaree fassen, IJnausdenkbaree denken
zu wollen, Symbole zu schaffen, in denen er die geahnte Wahrhdt
festzuhalten sucht, um diese Symbole doch immer wieder zu zer-
brechen, weil sie doch nicht ausdrücken und nicht ausdrOcken
können, was das Gemüt von ferne ahnt? Ja, ist es wirklich Rdigion
dieses bloße Abgestimmtsein des Oemütee auf die Unendlichkeit?
Gewiß ist ein solches Gefühl für das Unendliche, das Bewußt-
sein einer TeUhaberschaft an ihm, dem Chamberlain in so beredter
Weise Ausdruck gegeben hat, die Yonussetzung für eine Religion,
') Die Oenohtigkeit veriangt, anadrfidUioh sv aagen, da8 ich eine deofUche
dahingdieiide Bemerkung bei Cbamberinin nioht gefunden habe. Er bezeii^net die
Propheten sogar aiLsdrücklich als Jnden vom Scheitel bis zur Sohle. Um so mehr
hätte er die i>ropheti8che Religion dann freilich heranziehen müssen. Andrerseits
lieguu aber Aotichaaungea, wie sie oben skizziert sind, bei Chamberlain in der Luft.
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BABmoi: H. St Ghambedainfl YonMlnngeii Aber die BeUgum luw. 301
der Boden, anf dem wirklich religidses Leben erstehen kann. Aber
MD. sich ist es noch nicht Religion, denn Beligion entsteht immer
und dbenli erst da, wo der Mensch — nnd der liensch ist uns
nicht nur der Arier, auch nicht etwa der Semi^ soudem der hinter
den Bassen stehende homo sapiens, dessen Homogenitit uns nicht nur
emen Thium bedeutet — dem Unendlichen nicht nur nachjagt, ob er
es erfassen und begreifen könne, sondern wo er das TTnendliohe,
Ton dem er sich abhingig ffihlt^ 2U sieh selbst, bu seinen per-
sönlichsten Bedürfnissen, su seines Lebens Nöten und
seines Hersens Fragen in eine lebendige, klare und deut-
liche Besiehung setzt Erst, wenn er das tut, tritt aus dem
Unendlichen ihm der Gott entgegen, nach dem seine Seele sich
sehnt, und der, im Glauben er&At, seinem Leben Halt und Kraft
▼erleiht und auf die Tieien Fragen, die aus seiner Brust emporsteigen,
eme befriedigende Antwort gibt
Aber Chambeilain meidet es fast ftngstlich, semem Unendlichen
eine sdehe pnktisdie Bedehnng au geben. Br setzt es nicht in
Beziehung zu dem menschlichen Eausalitfttsdrang, der den
]f<aisdieit nun einmal zwingt, für alles, was er wahrnimmt, nach
einer letzten Ursache zu fragen, und Aber die Mannigfaltigkeit der
Ersdieinungen zu einem letzten Weltgrund durchzudringen. Denn
allzulebhaftc Frage nach der Ursache, so belehrt uns Charaberlain
unter Berufung auf einen Ausspruch Goethes (S. 407 Anm. 1) nach-
drücklich, ist für die Religion d. Ii. für das, was er Religion nennt,
sciiädiich. Er set^t sein Unendliches auch nicht in Beziehung zu den
Tatsachen des sittlichen Bewußtseins, des Gewissens, die
den Menschen überall auf Erden mit psychologischer Notwendigkeit
zwingen, das Gebiet des Sittlichen in Beziehung zu setzen zu einem
höchsten Wesen, das über die Erfüllung der sittlichen Forderungen
(wie verschieden sie auch auf den verschiedenen Kulturstufen sein
mögen) wacht, und dessen mahnende, warnende und strafende Stimme
er in seinem Gewissen vernimmt. Denn nach Charaberlain (S. 222)
hat Religion d. h., was er Religion nennt, zunächst weder mit Aber-
glauben noch mit Moral etwas zu tun. Vor allem aber — und das
ist der bei weitem wichtigste Punk - setzt Charaberlain sein Unend-
liches nicht in Beziehung zu dem tiefeingewurzelton, aus dem kräf-
tigen Bewußtsein seines Rechtes aufs Dasein quellenden Bedürfnis
des Menschen, den vielerlei ihn unigel)cnden Machten gegenüber,
die sein AVohlerirehen und seine Existenz fortwährend hedrohen, in
gläubigem Vertrauen bei einer liöchsten Macht Hilfe zu
üuchen, die über diese Machte schlechthin erhaben ist und des
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302
Aufsätze
Menschen Wohl und Wehe in ihrer Hand hält Denn nach Chaniber-
lain entspringt dieses Glaubensbediirfnis ja dem brutalen »Willen
zum Lebent (ä. 246), der ihm den Tod aller wahren Religion d. h.
dessen, was er darunter versteht, bedeutet
Daß nun freilich eine Keligion, die das Bedürfnis des mensch-
lichen Hei*zens nach dieser dieifachen Beziehung hin befriedigt, den
Menschen in oft schwere Konflikte mit seinem Natorerkennen bringt,
ist sweifellos richtig. Über diesen Zwiespalt kommen wir auch mit
allen Künsten nicht hinaus. Aber das bedeutet nicht den Tod dsr
Beügion. Der religiöse Mensch wird diesen Zwiespalt immer in dsn
Bewußtsein, daß unser Welterkennen doch nur Stückwerk ist und
bleibt» innerlich überwinden. Doch hiervon ist in diesem Zosammeii-
hange nicht weiter m reden. Worauf es hier ankommt, ist ledigUoh,
2u betonen, daß, wo wirkliche Beligion auf Erden voiiianden ist,
immer der menschliche Eausalitätsdrang, der Trieb nach Settnt-
behanptnng gegentlber dem blinden Ungefthr oder dem toten Natnr-
mecbanismus und das sittliche Bewnfitseui bei ihrer Geburt betaüigt
sind, und daß damit auch die dreifache Beziehung gegeben is^ m
der der Mensch dauernd in der Religion seine Befinedigung sacht
Man schneide der Beligion diese dreifache Bemehung ab, und sie
leistet nidit mehr, was sie soll, d. h. sie hört aui^ Beligion zu sein.
Eben, weil Chamberlain, um die Beligion ttber alle Konflikt»
mit dem Weiterkennen hinaus zu heben, es untezlassen zu müSBen
glaubt, sein Unendliches zu den eben gekennzeichneten menschlichen
Bedflifnissen in Beziehung zu setzen, kommt er auch nicht zu den
Glauben an einen Gott, der dem Mensdien etwas seui kann. Br
kennt wohl Götter, aber nur als Symbole kosmischer MIcfate, die
nach ewig unvetSnderliohen Gesetzen wirken und darum jenseits von
gut und böse stehen. Er kennt wM ein Göttliches, aber dieees
Göttlidie ist ihm doch immer nur die abgrundtiefe Unendlichkeit,
jenes unendliche All mit seinen nach ewigen Gesetzen wiikend«
kosmischen Mächten und seinen geheininisTollen Stimmen, jenes alles
gebärende und alles wieder verschlingende All, in das der Mensch
sich mystisch versenken soll, um so an dem Unendlichen teil zu
haben, sich als einen Teil des G«jttlichen fühlen zu lernen und sich
dann selbst ui allen Dingen wieder zu finden. Mit dieser mystischen
Versenkung verwisclien sich dann auch noch die letzten Schranken
zwischen dem Goschupf und dem Göttlichen, mit deren Anerkennung
alle wirkliche Religion steht und fällt.
Wir können demnach Chamberlains »pantheistischen Mystizismus i
überhaupt nicht als iieiigion gelten lassen. Er stellt vielmehr eine
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IV\^v'-r:r: TT. ChamV-orlain«; Vorste]!iin£:'MT ül»pr dip Kt>!ipinn usw. 303
poetisch- speknlatire Weltansohauang dar, oder, wie er siob
lelbst einmal (ä 100) ausdrückt, »ein der Phantasie vorschweben-
des Gesamtbild der Weltordnungc. Wir wollen dieser Welt-
anachaaimg weder eine gewisse Eiliabenheit noch jeden moralischen
Wert abqnechen, aber »Beligionc ist sie deshalb noch nicht Höchstens
ein Surrogat der Beligion fOr solche, die an jeder wirklichen Religion
Schifftroch gelitten habeo. Damit yerbietet es sich aber Ton sdbst,
dieses Chambeilainsche Beligionsideal als Ifiafistab aar Betimmong
des Wertes irgend einer wirklichen Beligion benutzen zu wollen.
Als blofies Surrogat der Religion aber kann diese »Religion»
auch dem Menschen nicht leisten, was er überall auf Erden von
der Religion erwartet Sie kann vielleicht wie eine stille Musik sein
Denken und Tun begleiten, aber sie wird nie und nimmer eine
Macht für sein Leben bedeuten. Den besten Beweis dafür liefert
uns der arische Inder selbst. Denn imv^ seine Religion ihn auch zu
den tiefsten Spekulationen angereiht mag sie für seine Poesie, IMiilo-
logie, Mathematik und für, wer weiß, was für Dinge noch, die mit
der Religion nicht das mindeste zu tun haben, den fruchtbarsten
Mutterboden abgegeben haben, in Wahrheit hat sie ihm, indem sie
ihn vom wirklichen Leben abzog und in das stille Dämmerland süßer
und lichter Traume führte, das Mark aus den Knochen gesogen, seine
"Willenskraft gelähmt und ihn so fürs Leben unbrauchbar, für die
Weltgeschichte bedeutungslos gemacht. Dariun mülite jede Religion
in dem Maße, als sie dem Chamberlain sehen Ideale angenähert wird,
an innerer Kraft einbüßen und für den Menschen eher zum fluche
statt zum Segen werden.
Wieviel mehr trägt da doch die Religion der Semiten und speziell
die der Israeliten die Merkmale wirklicher Religion an sich! Wir
glauben deutlich genug gezeiy-t zu haben, daß wir keine rückhaltlosen
Bewunderer dieser Religion sind. Wir erkennen ihre Schattenseiten^
ihre Unvollkommen hei ten offen an, gestehen Chamberlain auch gern
zu, daß sie namentlich in ihrer Ausprägung: als Volksreligion und
Priesteneligion rohe, brutale, materialistisch-egoistische Züge trägt,
die wir um des Himmels willen nicht in der Religion, die unserem
Leben Kraft geben soll, wiederfinden möchten. Auch die oft über-
triebene, im Gefühl der Scheu wurzelnde Art, wie hier (wie im
echten Semitentume überhaupt) die für den wirklich religiösen
Standpunkt im Gegensatz zu jeder pantheistischen Weltanschauung
allerdings als Axiom feststehende Überweltlichkeit Gottes als abso-
lute Weltferne vorgestellt wird, halten wir nicht etwa nur mit
jedem Natnr- nnd WeLterkennen onyertifiglich, sondern anoh dem
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304
AnMtze
relip:iösen Bedürfnis wenig entsprechend. Wir bedürfen eines Gottes,
i n dem wir leben, weben und sind. Wir wollen Gott nicht von
außen her in magischer Weise in diese Welt und in unser Leben
hineinagieren sehen, sondern sein Walten vor allem in dem gesetz-
mäßigen Verlauf der Dinge selbst, in dem Gang der Geschichte, in
dem Wirken großer Persönlichkeiten, die uns geschenkt sind, sehen,
in der Art etwa, wie es das neutostamentliche Wort so schön z\ira
Ausdruck bringt: »Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit
ihm selberc II. Cor. 5, 19. So sind wir also keineswegs blmd für
die Schwächen und Einseitigkeiten der israelitischen und jüdischen
Religion. Aber die Merkmale einer wirklichen Religion, das müssen
wir trotz alledem betonen, treffen selbst auf die altisraelitische Volks-
religion mehr zu als auf das »der Phantasie vorschwebende Bild einer
Weltordnung«, das Chamberlain als Religion in Anspruch nimmt
Und wieviel mehr nun gar erst auf die prophetische Religion des
alten Israel, die wir für die höchste Ausprägung der Religion in
der antiken Welt überhaupt halten, und der ja auch Chamberlain,
. wenn auch nur mit einiger Reserve, einen bleibenden Wert zu-
gestehen will! Daß diese prophetische Religion sich nicht auf tief-
sinnige Spekulationen über das unerfoischiiche Wesen der Gottheit
eingelassen hat, halten wir gerade vom religiösen Standpunkte aus,
wie wir ihn verstehen, nicht fflr einen Mangel, wie das ChamberiaiB
tut^ sondern für einen nicht genug zu schätzenden Yorsog. Denn
was ist in Wahrheit religiöser: daß der Mensch sich in veigelilichsr
Mtthe aufreibt, in das ewige, unerforBchliohe Wesen der Gotflieit ein-
zudringen und sich mit einem wenn auch noch so reichen, so doch
ewig unnülnglichen religiösen Yorstellungsmaterial ToUsoladen, oder
dafi er anbetend ror der uneiforschliofaen Gottheit stehen Ueib^ sicfa
an den Schauem ihrer heiligen Kihe, die er in seinem Henen emp-
findet, gentigen ULBt, und, wenn er doch von ihr reden muß, weil sein
Inneres ihn dasu treibt, sich mit Jesaias begnügt, Ycm dem goldenen
Saume ihres Eönigsmantels sn reden? (of. Je& 6). Oder was ist fOr
den religiösen Mensdien wichtiger: daß er sich Uber die Allgegenwait
der Gottheit den Eopf zeibricht und sich durch phantastische Sym-
bole dieses Mysterium voisteUig su madien sucht, oder daß er die
Allgegenwart seines Gottes alleaeit in seinem Gewissen empfindet,
sich auf Schritt und Tritt, im Gehen, Stehen und liegen von dem
allgegenwärtigen, Hers und Nieren prOfenden, Gotte umgeben weiß
(wie es der Dichter von Psalm 139 so unveigleichlich schön und
tief zum Ausdruck bringt) und in der Enft dieser Gewißheit ein
Leben vor seinem Gotte führt? Kann da für einen wirklich gesund
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Bakbtsgh: H. St Ghamberhuns YorsteUaDgen über die Religion usw. 305
empfindenden religiösen Menschen die Antwort auch nar noch einen
Augenblick zweifelhaft sein? Kann man da wirklich noch im Ernste
Ton einer Bettelannut der israelitischen Beligion reden? Wenn aber
nicht) Bittfi da, wenn Chamberlain von seiner Auffassung der Religion
nun einmal notwendig zu diesem Urteil kommt, der Fehler nicht
Bow<^ in der Religion Israels, ü]9. vielmehr in dieser seiner Auf-
fassung der Religion, in seinem Religionsideal liegen? In der Tat
haben wir damit den springenden Punkt getroffen, der recht eigentp
lieh den Gegensatz maridert, in dem wir uns zu Chamberlain wissen.
Wir gUmbea unsere g^nsätzliohe Stellung in dieser Beziehung oben
genUgend begründet zu haben und halten damit unsere Angabe für
eriedigt
Zum SeUufi können wir es uns nicht versagen, noch auf ein
Wort des tou Chamberlain so oft zitierten und als GewShrsmann in
Anspruch genommenen Gokibb hinzuweisen, das uns Torzfig^ch ge-
eignet erscheint, in dieser so wichtigen Frage klärend zu wirken.^)
Bb findet sich in einem vom 6. Januar 1813 datierten Briefe Goethes
an Jacob! und lautet: »Ich für mich kann bei den mannigfachen
Bicfatungen meines Wesens nicht an einer Denkweise genug haben.
Als Dichter und Eflnstler bin ich Polytfaeist, PanOidst als Natur-
forscher und emes so entsddeden wie das andere. Bedarf es eines
Gottes für meine Persdnlichkeit als sittlicher Mensch« so
ist dafür schon gesorgt*) Die himmlischen und irdischen Dinge
sind ein so weites Reich, daß nur die Organe aller Wesen zusammen
es erfusen m6gen.c Nun wohl, wir können nicht alle Dichter, Eflnstler,
Naturforscher und Philosophen sein, aber ntÜiche Persönlichkeiten
SU sein oder zu werden, das ist unser aller höchstes Lebensziel, auch
dann, wenn wir etwa daneben noch Dichter und Kflnstler, Natnr-
forsdier und Philosophen sdn sollten. Zur Eireidiung dieses Zides
kann uns aber weder homerischer Polytheismus noch Ghamberlains
pantheiBtlscher Mystizismus etwas sein. Es ist in dieser Beziehung
auch für uns schon gesorgt Das Christentum leistet uns hierfür
einen Dienst wie ihn keine andere Religion der Welt uns zu leisten
vermag. Hüten wir uns nur, es durch eine alJzureiche Infiltration
spezifisch arischen Geistes im Chambeilainschcn Sinne zu schwächen
und es dadui'ch für uns unbrauchbar zu machen.
Die Bekaontsohaft mit diesem Worte verdanke ioh dem ToitreffKohen Auf-
satie Ton LeopoM von Schröder über Wesen und ürspning der Religion in den
»Beitragen zur Weiteientirickhing der ohiistUchen Religion«. Mflncfaen, Lehmann,
1905. S. 27 f.
^) Von uns gesiu,'irt.
20
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306
Aufsätze
Dem kritiklosen und eigensinnigen Festhalten an ererbtem Bnits
soll damit nutürlich nicht das Wort geredet sein. Ais eine ge-
schichtliehe Erscheinung muß auch das Christentum mit dem Strom
der Zeiten gehen. Es ist unendlich anpassungsfähig. Eben dsiin
und nicht etwa in einem absoluten Stabilitätscharakter, den man ihm
so gern zusprechen möchte, liegt sein Ewigkeitswert Seine nnver-
ginglichen Grundgedanken immer deutlicher heranszustellen, sie toh
zeitgeschichtlichen jüdischen und sjnkretistischan Elementen und tou
Entstellungen, die sie im Terlaufe des dogmatischen Ftoiesses er*
fahren haben, su reinigen, sie in uns Leben werden zu lassen und
ihnen immer neue Anwendung auf die immer neu und immer
mannigfacher sich gestaltenden Yerhfiltnisse des Lebens su geben,
das ist die Au%;abe, die heute gerade von den ernstesten Oeistam
auf das dringendste empfunden wird. In diesem Sinne redet man
heute (in freilich etwas mifiTerstftndlicher und für manches Ohr unfinmun
klingender Weise) von einer »Weiterbildung der christlichen
Religio nc. In diesem, aber auch nur in diesem Sinne, der eme
Yerieugnung und Yeiftlschung der Frindpien der Religion Jesu tqU-
kommen ausschließt, wollen wir gern das von Chamberiain als Motto
gebrauchte Wort Zoroasters (S. 543) auch uns gesagt sein lassen: »Be-
greifet wohl das Yorwfirtsdiiiogen der Religion, tut, was an endi ist,
es EU fSrdem, und suchet hierin eure Pflicht au eif(lllen.c
Schulmonopol und ReligionBunternoht
Von
Dr. Thrindoff-Anexbaoh L S.
»Ißf^ch, daß die Leluw den Vo-
fasser fär einen hassenswerten Feind er-
klären, möglich, daß sie etwas sehr an-
deres im Hintergrunde dieser Erwägungen
erkennen , als Feindschaft gegen Ihne
fitaiML loh möchte nu'« 4aB aie, ob feind-
lich oder freondlidi« sich mügliohst inten-
mr mit der Sache besohlftigten« die hier
vertreten wird.« A. Bonns
Staatsschiilc, das ist jetzt das Zauberwort, von dem man in ,£;e-
wissea Lelirerk reisen alles Heil für die Schule erwartet. Der Staat
mit seinen großen Geldmitteln soll über die Not hinwcjj^lielfen. dio
vielerorts die Schuluntcrhaltuug macht; der Staat soll die Schule dem
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Ihbähdobt: Sohnlmonopoi und Baligionsonterricbt
307
Kampfe der religiösen Konfessionen und politischen Parteien entrücken
und ihr eine stetige, dem wissenschaftlichen Fortschritte der Zeit ent«
q>recbende Entwicklung sichern ; der Staat soll in das bunte Vielerlei
der Lehrpläae und Lehrmittel, das beim Übergang von einer Schule
zur andern oft so störend ist, Einheit und Gleichförmigkeit bringen,
und der Staat soll endlich auch den Lehrern eine der Wichtigkeit
ihres Berufes angemessene soziale und gesellschaftliche Stellung ver-
schaffen. Das alles kann und wird er aber nnr tun, wenn die Schule
▼ölüg Staatsschule wird, was sie bis jetzt noch nicht ist Damm
nmA die Lehrerschaft — so meint man — mit allen Kriiften dahin
wirken, daß das Schulschiff möglichst bald in den ersehnten Hafen
des staatlichen Sohulmonopols einläuft Ein Haupthindernis für die
strikte Durchführung der staatlichen Einheitsschule ist der Religions-
unterricht So oft man es auch seit der Zeit der Kirohenyisitationen
Yorsucht hat, das religiöse Leben durch staatliche Behörden in eine
einheiüiche Schablone zu zwingen, es ist stets mifilungen, und wir
sind jetzt bereits soweit daß man es au%ibt, den Laien eine be-
stimmte Beligion mit staatlichen Mitteln aufzunötigen, nur bei Geist-
Mofaen und Lehrern wird noch dann und wann der Versuch gemacht,
der Beligion des »Kirohenregiments« mit Zwangsmitteln Anerkennung
zu verschaffen. Wenn aber von Staatszwang auf religiösem Gebiete
im allgemeinen nicht mehr die Bede sein kann, so paßt entweder der
Belieionsunterricht nicht in die einheitliche Staatsschule, oder der
Stsatszwang paßt nicht für das Schulwesen.
Ein Teil der Lehrer und zwar besonders der, der noch unter der
sogenannten > geistlichen Schulaufsicht« seufzt, ist rasch entschlossen
und will, um die lastige Pastorenherrschaft los zu werden, lieber ganz
auf Beligionsunterricht verachten oder ihn wenigstens zum &kultar
tifen Siedle machen. Aber daneben gibt es doch auch noch weite
Kreise in der Lehrerschaft, die sich den Beligionsunterricht nicht
wollen rauben lassen. Es ist für sie Herzensbedürfnis, der Jugend,
die man ihnen zur Kiterziehimg anvertraut hat, bei der fürs Leben
wichtigsten, folgenschwersten Entscheidung ein väterlicher Führer und
Berater zu sein. Wer solchen Lehrern den Religionsunterricht aus
der Schule nimmt, der raubt ihnen die Sonne, die bisher leuchtend
und wärmend über dem ganzen Schulleben strahlte. Diese Leute
können natürlich nicht für staatliche Schablonisienmg des Schul-
wesens sein. Ist ilmen aber deshalb der Weg zur Hebung der finan-
ziellen Schwierigkeiten mid zur Besserung des Unterrichtsbetriebes
versperrt? Ich glaube nicht Es gilt nur, sich klar zu machen, daß
die Frage nach der Schulunterhaltung und die andere Frage nach
20*
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308
AofsätM
^em Schulgeist nicht vermengt und in ein i&lsches Ahhängigkeits-
▼echältnis gebracht werden dürfen.
»Wer die Gelder aufbringt — so heißt es auf der einen Seite — ,
der hat auch den Geist zu bestimmen, in dem erzogen werden muß.
Der Staat erhält die Schulen, also hat er den Geist zu bestimmen,
der in ihnen walten muß.« Nun ist aber der moderne Staat nicht
mehr konfessioiieU, daher darf auch die Schule nicht konfesBumeil sein.
Bas scheint zwingeade Logik und ist doch nichts als ein ganz fauler
Trugschluß, der nur den überzeugen kann, der sich das Wesen des
Staates noch nicht klar gemacht hat Der Staat ist kein selbständig
existierendes Wesen, das Geldmittel aufbringen und besondere Rechte
ffir sich in Ansprach nehmen kann, vielmehr ist er eine zum Wohls
der Untertanen geschaffene Sinriohtang, die durch Steuern er-
halten wird. Diese Steuern werden aber dorohans nicht nur Ton
denen ausbracht, die sie direkt bezahlen müssen, sondern das Steue^
zahlen wird nur möglich dnroh die Gesamtarbeit des ganaen Volkes.
Der yenunnte Erfinder, der wegen seines minimalen Einkommens viel-
leicht steneifrei ist, hat zur Anfhringong der Steuern sicher mehr
beigetragen als der reiche Müfiigginger, der dnroh seine üntefgebenen
die Sifindongen anderer aosnntEen lifit^ nm dann Ton dem Gewimi
drei bis Tier Bment Stenern m aahlen. Der Staat bnngt also kerne
Gelder anf, daher kOnnen ihm anofa ans den Znsohfissen, die er atmea
Gemeinden für ihr Schulwesen gewährt, keine besondeien Beohte er-
wachsen. Eine snne Yorortsgemeinde, in der lanter EsbrikaibeilBr
wohnen, kann natürlich nicht soviel Stenem anftnngen wie die
Stadt^ die die giöBten Kapitalisten an ihren Steoenahlem rechnet^
soll dadnrdi etwa ein Bechtsunterschied begründet werden?
Der Staat ist aber weiter anch seinem ganaen Wesen nach weder
konfessionell noch konfessionslos. Von euier Konfession kann der
Natur der Sache nach nnr bei Peisonen die Bede sein. Ein EOnig^
ein Hinister, ein Bürger oder Baner kann also eine Kontalon haben.
Der Staat aber ist eine Eimichtnng, gleichsam eine Maschme, die
wohl einer Konfession dienstbar gemacht weiden, s^t aber ksine
Konfession haben kann. Wenn man früher Ton konfessioneUen
Staaten spiedhen konnte, so war das nnr so wo. verstehen, dafi das
ganse Volk oder wenigstens seine Leiter desselben Konfession an-
gehörten und daß infolgedessen die StaatBmasohine in den Dienst
dieser Konfession gestellt werden konnte. S^tdem aber infolge der
MischuDg der Konfessionen dieser Fall nidit mehr möglich ist, kann
man anch in diesem vreiteren Sinne von einem konfessionellen Staate
nicht mehr reden. Man sollte aber auch nicht von einem konfessions-
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Trba5doef: Schnlmonopol and Beligionsonterrioht
30»
loeen Stute leden, denn die Leate, die frOher konteionell waxen«
smd es heute noofa ebenso; also htben wir auch keinen konfessions-
losen Stut, sondern Tidmebr emen Staat mit k<»iies8ioiie]l gemischter
BevOlkernng.
Wie soll mm dieser moderne Staat mit konfesstonell gemischter
BeTölkenmg sich der Schule gegenüber yeriialtea? Mit der alten
Phrase: »Der Staat unterhält die Schale, also hat er auch den Geist
der Sdiule wbl bestimmen,€ ist, wie wir sehen, nichts sa machen.
Denn nadidem wir den Staat als Maschine, als Werkzeug kennen ge-
lernt haben, kann auch von einem Geiste nicht mehr die Bede sein,,
denn WeAaeage haben keinen Geist^ können also andi keinen Geist
geben, wohl aber können sie in einem bestimmten Geiste benntst
werden. In alten Zeiten gehörten in der Regel Regierende nnd
Begierte sämtlich derselben Eonfession an, dämm war es nur natür-
lich, wenn die Staatsmaschine ganz im Dienste dieser Eonfession be-
nutzt wurde. Jetst ist das nicht mehr möglich, denn wenn man die
Staatsmittel in den Dienst der einen Konfession stellen wollte, würden
andere sich mit vollem Recht über Zurücksetzung beschweren. Was
ist da zu tun?
Hören wir zunächst den, der den radikalsten Vorschlag macht,
es ist Arthuh Bonus. In seinem sehr beherzigenswerten Schriftchen
»Vom Kulturwert der deutschen Schule« ^) sagt er (S. G): Kach unserer
Auffassung: ist es lächerlich, Kunst, d. h. Geschmacksunterricht unter
Staatszwanr^2^ zu stellen, aber einfach unsittlich, den Zwang auf
den Gesinnungsunterricht auszudehnen . . . Am seltsamsten dünkt
uns die Lahinlioit der l^arteion, wolchc mr-iiicn, mit ein bischen Ab-
schleifen und Vt'i-simultanieron sei es getan ... (S. 70). Die Schule
als Massen iint^'rrichtsanstalt unter Staatszwang mit unifor-
mierten Lehrplänen, deren Inhalt also von Individualität, Begabung,
Gesinnung des Lohrers — und erst recht des Schülers — losgelöst
i^t, kann diesem ihren Wesen nach lediglich technisches Können über-
liefern. Sie soll sich damit begnügen. In erster Linie also — und
das könnte für die Volksschule überhaupt genügen — Rechnen, Tjosen,
Schreiben. Dazu kfinnte Turnen und Handfertigkeitsunterricht kommen
und, wenn es durchaus sein muß, Begriff-sbildung, d. h. logisch deut-
liches Sprechen, Auf den iKiheren Schulen fremde Sprachen. Diese
technischen Fälligkeiten sollen an derben Stoffen geübt werden, welche
die onTermeidlich etwas herbe Behandlung im Schulzinuner gai über-
>) Veriegt bei Engan Diedaiklia. Jena und Leipsig 1904.
*) AH« Spammgan itthian tob mir her.
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310
Aufsätze
stehen, also vor allem an Aufgaben des geschäftlichen Lebens und
allenfalls technisch -wissenschaftiichen Dingen, nie aber und unter
keinen Umständen an religiösen, moralischen, ästhetischen Stoffen.
Sätze wie des ewig weisen PlOtz »Meine Mutter hat einen FingeriuU,
aber dein Bruder hat keinen Begenschiim,« sind vorzugsweise ge-
eignet um nach Subjekten und Prädikaten darin zu fischen, nie aber
und unter keinen Ümstindeii Ifitoshen oder Stücke mit Gemüts-
werten. ^) ÜbergangsTorschUlge: Sollen oder mUssen Stoffe dery|ftB^
landsknnde^ Beligion, Kunst geboten werden, so soll jeder QesinnnngB-
unterricht dabei vermieden und im höchsten Fall ein freier Yoitnf
zugebssen werden. Wird er nicht yerstanden, um so besser! Bleibt
eimsehieSi das die Phantasie besdiiftigt, gut! Wer aber das Geeinnuiic^
bilden und Seelerieohen nicht lassen kann, der sei yerfiucfatc
Yon dem in unsem Sdiulen herrschenden BeUgionsuntsriidit
imd semen Früchten entwirft Bonus folgendes Bild: Der offiiielle
Beligionsuntenicht treibt unauslöschlich den Abeij^uben in uns
hinein, daß Beligion Lehre sei, die man für wahr halten mösse,
wenn möglich auf Grund von Beweisen (K. 37*). »Bewufitec Ghnsten
beifien die^ welche sich der theologischen Denkweise und der kirch-
liehen Sprechweise bewußt sind, und »lebendige« die, weldie sich mit
Anstand in diesen Dingen au bewegen wissen (R^) 7). Es gibt filr
uns keuie Beligion als eine, welche gelernt wird, bis sie »sitstc (& IVj.
Das Christentum ist für uns nicht mehr, was es in seiner Heimit
war, Erlösungsreligion, aus schweren Entwicklungskämpfen e^
wachsen, von schweren Köten beMend, sondern es ist für unser
Tolk ein Gesetz (R 9). Das eigentliche religiöse Leben besteht in
den Bewegungen eines gewissen Abhängigkeitsgefühls von im Grunde
etwas willkürlichen Mächten, mit denen man sich um so besser steht,
je bescheidener man durchs Leben schleicht, sich sozusagen darunter
durchdrückt, und je mehr man sich versagt. Erlösung besteht in
der gehorsamen Annahme des Erlüsungsmythos (R 12). Wenn
aber die Religion Lehre ist und man Erlösung nur erlangen kann
durch Beugung unter das Lehrgesetz, so muß der Schulunterricht
seinem Wesen nach Begriffsbildungsdrill sein (K. 41). Denn
wenn er für das Annehmen des Lehrgesetzes vorbereiten will, muß
er die Lehren, die angenommen werden sollen, vor allem klar machen.
*) Den lebten Oedanken hat Zilleb schon vor vielen Jahren tusgesproohan.
indem er forderte, deft gnunmatiBohe und etiUetiMhe Übungen atets an SobiUer-
arbdteo» nie an Dichtungen angeschlossen werden sollten.
») K. = Vom Kulturwert der Schule (Leipzig 19(M)b
') B. B Aeligion als Sohöpfong (Leipzig 1902)l
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IksSaDosr: Soünilnioiiopol und Beligioiisiinteiriolit
811
Zwin^ er aber die Menschen, acht bis zwölf empfäng^iiehe Jugend-
jahre lang die Begriffe einzuprägen, so müssen die Gefühle, die man
gern erweckt sähe, kommen, sie mögen wollen oder nicht (K. 4()).
Nun liegt aber dem Staat viel daran, daß seine Bürger zur »Gut-
p'>iuntheit« erzogen werden, daher ist ihm ein Unterricht der die
Erreichung dieses Zieles zu verbürgen scheint, sehr willkommen, und
er gibt ihm durch die Gewalt der Gesetze die Möglichkeit, sich aus-
zuwirken (K. 51). Der Kreisschiüinspektor kommt dann in regel-
mäßigen Absätzen, um das Wachsen der guten Gesinnung abzulKuen.
Die Seele des Volkes liegt dann da, wie das Griff- und Pfiffwerk der
Lokomotive, und sobald Königliches Ministerium Reskript (M'läßt, so
werden die Schrauben angezogen oder gelöst und wir fahren mit
Dampf in die sonnenhelle Zukunft reinster »Gutgesinntheit« (K. 55).
Die Rechnung — meint Bonus — sei hübsch, fast verschmitzt.
Nur schade, daß sie falsch ist Alle starken Gefühle polarisieren
nänilich in Lust und Unlust Derselbe »Vorstellungskomplcx«, der
freiwillig und natürlich aufgerufen, die Seele in die lebhaftesten
Schwingungen der Begeisterung versetzt, reagiert, zwangsweise herbei-
gerufen, mit ebenso lebhaften entsprechend polarisierten Gefühlen des
Abscbeos, des Widerwillens, des Gelangweiltseins (K. 40 u. 47). Und
zwar wirkt die Polarisation desto stärker, je feiner der Zwang ver-
stockt und eingewickelt ist Gerade dieses unaufhörliche innere
Biegen, das in der neueren Pädagogik den geradeaus gehenden Zwang
ersetzt macht die Seele müde imd überdrüssig (K. 5()). Aus dem
fülen folgt der Schluß: Die deutsche Schule ist als Staatsschulo
ZwangBanstalt, daher muß man in der Auswahl der Gegenstände, die
man ihr zur Anzüchtung übergibt, mit diesem ihrem Charakter rechnen
und dail ihr nicht Dinge anyertrauen, die wie die Religion unter
dem Zwang nur verkOmmem können.^)
Es hat keinen Zweck, zu untersuchen, ob das Bild, das Bonds
Tom Beligionsnntenieht entwirft^ heute noch den tatsächlichen Ter*
hiltnissen durchweg entspricht Bin solober Beligionsuntenicht war
— das ist unbestreitbar — noch Tor nicht gar zu langer Zeit der
allgeniein herrschende, und er heiischt noch heute überall da, wo
Katechismus und Olaubens- und Sittenlehre im Lehrplan die Haupt-
rolle spielen. Darum ist es besser, die Beligionslelüer nehmen das
^) Noch härter als bei Bonus ist das Urteil über den Religionsunterricht bei
Elle« Key. Sie beginnt in ihrem Buche »Da« .lalirhundort des Kindes« (7. Aufl.
Berlin 1905) den Abschnitt über Religionsunterricht mit den Worten: »Das im
jetzigen Augenblick demoraiisierendste Moment der Erziehung ist der christliche
lUi|^oo8imtsniöht<
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312
Aufsätze
Laienzengius über den Erfolg ihres UntoiTichts emstlich zu Herzea
und prüfen ihr Yerfahren gewissenhaft auf seine Berechtigung hin.
Dabei wird es gut sein, wenn man nicht bei Bonus stehen bleibt,
denn seine Kritik könnte leicht verbitternd wirken und so das Urteil
trüben. Yiel besser ist es, man wendet sich an die Geschichte unsere«
Unterrichtsfaches und sacht aus der Entwicklung, die der R< li^nni«-
unterricht bisher genommen hat, die Richtung herauszufinden, in der
der weitere Fortschritt voraussichtlich erfolgen muß.^) In einer
solchen geschichtlichen Betrachtung liegt zugleich das beste Gegen-
gewicht gegen den BoNusschen Radikalismus, der das Kind mit dem
Bade ausschütten möchte.
Luäier war in seiner ersten Feiiode von allem Staatsswang ia
Beligionssachen so fem wie nur irgend mO^ch. Das »Wort« aUein,
die Macht der im Evangelium liegenden Wahrheit, sollte alles aus-
richten. »Denn — so heifit es in der Schrift ,Ton weltlicher Uber-
keif — über die Seele kann und will Gott niemand lassen regieren
denn sich selbe alleine. Darumb, wo weltlich Gewalt sich Tenniaset
der Seelen Gesetz au geben, do greift sie Gott in sein Regiment and
yerfOhret und verderbet nur die Seelen. Das wollen wir so Uar
machen, daß mans greifen solle, auf daß unser Junker, Fürsten und
Bischöfe sehen, was sie für Narren sind, wenn sie die Leate mit
ihren Gesetzen und Geboten zwingen wollen, sonst oder so sn
gruben.« — Trotzdem hat derselbe Luther in der zweiten Periode
seines Wirkens die Yisitationsordnung gebilligt und veriangt, daß der
Katechismus emg^leut würde. Er war eben, wie man ans der Ein-
leitung zum Kleinen Katechismus errieht, durch trübe Erfrimmgen
zu der Einriebt gekommen, daß ohne aJle religiöse Erdehung der
Jugend auch von religiöser Freiheit nicht die Rede sein kann, und
daß religiös ungebildete Leute die äußerlich -rechtliche Freiheit, sich
selbst auszuleben, wohl mißbrauchen, aber nun und nimmermehr sidi
dadurch zu wahrer Freiheit entwickeln koinitn. Darum hielt er es
für unverantwortlich, diese Bauerjungen und Bauermadciien ganz mit
ihren »eigenen Gedanken und Phantasien, mit ihren eigenen Instinkten
und mit ilirem eigenen Streben und Wollen aufwachsen und sich
selbst eine Gesinnung erkämpfen« zu lassen. Vielmehr wollte er sie
von den natürlichen niedeni Instinkten, kraft deren sie dahinlebten
»wie das liebe Vieh und die unvernünftigen Säue«, frei machen, in-
dem er ihnen Kenntnis und Verständnis des Evangeliums vermittelte.
*) Vergl. dazu des Verfassers Allgoineine Methodik des Religion suntenioht*
(Langeiibalza, flexmaDn Beyer & Sohne (Beyer k üann]. 1903) S. 9—31.
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ItaBiMsow: Sohnlmonopol und Baügiomsantamobt 313
Wenn er dabei, weil ungebildete Mtem ilne Pflicht Toxatissiobtlich
vers&amt hfttten, die staatlicfae HiUe in Ansprach nahm, wenn er 8ich
in der Methode reigriff nnd vom Binpaoken fertiger Beikenntnisse
einen Erfolg erwartete, so darf man ihm das weiter nicht zum Yor-
wuif machen. Dafi er den Staat sn Hilfe rief, war eine geschidit-
liche Notirendigkeit, nnd dafi er Ton der Eriöeangstheorie des
Panlns alles Heil erwartete, war in seiner persönlichen Heilsei&hrung
begründet An eine Hensohaffc des Staates Aber die Gewissen hat
Luther nicht im Traome gedacht För ihn ist der Staat nnr der
unter dem Worte Gottes stehende Diener, der dem Tolke die
SegenskiSfte des E7angelimii8 Yennittelt^)
Im Laufe der Zeiten stellte sich aber herans, dafi das eingebleute
Bekenntnis doch die MoÜTkxaft nicht besaß, die »den alten Adam
tötet nnd machet uns ganz andere Menschen Yon Herzen, Mut, Sinn
nnd allen Kräften«. Darum suchten die pietistischen Methodiker nach
neuen Wegen, um die im Worte Gottes schlummernden KrSfte aus-
zulösen und wirksam werden zu lassen. Wenn sie dabei auf die G^e-
schiclite verfielen, so waren sie sicliei auf einem ganz richtigen Wege,
denn nicht in ein für allemai fertigen Glaubensfonneln offenbart sich
Gott, sondern durch »privilegierte Seelen« erzieht und entwickelt er
die Menschen aufwärts. Der einzelne aber kann zu seiner indivi-
duellen Vollendung und zur Ausgestaltung des Göttlichen, das in ihm
schlummert^ nur kommen, wenn er die großen Führer, die Gott der
Welt gesciienkt hat, lebenweckend auf sich wirken läßt.-) Freilich
zur vollen Klarheit ist dieser Gedanke im Pietismus nocii nicht ge-
k(»mmen, den Abei glauben, der in aufgezwungenen Bekenntnisfonneln
und allgemeinen Lehrsätzen das Heil gefunden zu haben meinte, hat
er nicht unschädlich machen kennen. Und so hat denn der Katechis-
musunterricht seine verhängnisvolle Kolle weitergespielt, und die Ge-
schichten sind von Aufklärern und Kunstkatecheten zu Illustrations-
beispielen und Induktionsquellen verwandt worden und haben so die
Frische des Lebens ebenso verloren wie die Pflanzen im Herbarium.
Die letzte Entwicklungsstufe des Religionsunterrichtes, auf der
wir jetzt noch stehen, beginnt mit Pestalozzi und Schleiermacher, ihr
jüngster Bußprediger ist A. Bonus. — Keligion ist überhaupt nicht
lehrbar! — Mit diesem Satze scheint Schleiermaclier dem Beligions-
*) Jahrb. 28 des V. f. w. P. S, 62 ff.
*) »Jeder Meoscb, wenige Aoserwäblte ausgeDommen, bedarf eines leitenden
und aofregepden AnfBhren, der seinen Sinn ffir BeUgion ans dem Sdüunmer
fPMke nnd ihm seine eiste Kichtung gebe.c Schleiennaohsr (Elroliengesohiohtiiohes
liSMbiioh von übbahdobt nnd MB.mB III, 57).
r
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314
Aufsätze
unterrichte ein für allemiil das Todesurteil ^^esprochen zu haben . und
alles, was Boxrs in seinen Schriften vorbringt, ist eigentlich bloß eine
ernste ^lahnung. dieses Wort des großen Theologen aus dem Anfang
des vorigen Jahrhunderts besser zu beheraigen, als es bisher in <] -n
Staatsschiilen geschehen ist. Wie notwendig diese Mahnung ist, zeigt
ein Blick auf die Reügionslehrpläne unserer Gymnasien, Realschulen
und Seminare. Sie nihen sämtlich auf dem verhängnisvollen Aber-
glauben, der den Begriffen eine gewisse ZauberJa:!aft zuschreibt und
nifMTit man könne religiöses Leben eixeugen oder wenigstens der Ent-
stehung des religiösen Lebens einen wesentlichen Dienst tun, wenn
man den Zöglingen ein System der Glaubens- und Sittenlehre bei-
bringt Aber das Wesen der Religion besteht nicht in der Aneignung
und dem Fürwahrhalten staatlich voigesohriebener Glaubenssätze. Daher
sagt Bonus mit Recht: »Wer das, wms er in Religion lernt, für
Religion hält, wird nie erloben, was Beligion ist«*)
Religion ist nicht eine Theorie sondern das fortgesetzte schöpfe»
Tische Wirken Gottes in der Menschenseele und das Bewußtsein von
diesem Wirken (B. 26, Bl, 47, 61). In jedem Hauptwendeponkt der
BeligionsgesQhichte hat Gott die Menschheit gleidisam auf eine höhere
Stufe der Schdpfong erhoben, er hat ihrem Geisteeleben neae Oigaiie
und neue Erüfte gegeben. Darum heißt es auch im «weiten Korintfae^
biiele (5, 17): Ist jemand in Christo, so ist er eme neue Kreator.
Diese Schöpfongsakte Tolhdehen sich sunSohst m einaelnen yon Oott
erwihJten und besonders begnadigten Persönlichkeiten, und von da
greifen sie tiber in alle, die steh liebend und glaubend von den neuen
Lebenskiiften ergreifen lassen. Der Glaube ist eben nach dem be-
kannten Worte Luthers ein göttliidi Werk an uns, das uns wanddt
und neu gebiert und macht ganz andere Menschen aus uns nadi
Herz, Mut und Sinn und allen Krüften.
Was folgt nun aus dem allen fOr die Brziehung zur Beligion? —
Ganz gewiß das Eine, daß Beligion nur da entstehen kann, wo die
in religiösen Persönlichkeiten wirkende Schöpferkraft Gtottes lebeo^
weckend, werbend und gewinnend auf andere Indifidneii ftbeigieift-
Darum sagt Schleiermacher mit Becht: »Nur durdi die natOriiehen
Begungen des dgenen Lebens will der Fromme das Ahnliche anf-
regen, und wo ihm das nicht gelingt, Tsradmiiht er Tomehm jeden
>) »Unzählige geben ridi der TKoschiing hin, daß die Ejnder durch den Reli-
gionBunterrlcht erlebten, was sie im Katechismus lernten. Eigentlich sollte man
eine solche Absurdität nur an den Pranger stellen, statt sie zu widoilei^eii.« (Job.
Müller, Blatter zur Pflege persönlichen Lebens. V. S. 153.)
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ThhXmwrf: Schnlmonopol und Religionsunterricht
315
fremden Beiz, jedes gewalttfttige Yei&hTen, beruhigt bei der Obeiv
seogang, die Stande sei noch nicht da, wo sich hier etwas ihm Ver-
schwistertes regen könnac^)
Wenn aber schon der Rronune, der doch Religion besitzt, es yot-
sdimiht^ diese seine Religion andern anfiBnzwingen, wie viel mehr
sollte der erst anf jeden Zwang vemchten, der Ton eigenem religiösem
Leben gar nichts weiß! Hierans scheint sich nun ohne weiteres der
ScblnB zu eigeben: Die Sdrale als Massenimtenichtsanstalt mit Staat fr-
zwang mnß am dieses ihres Charakters willen anf Beligionsnntmicht
Tsrzlchten. l^ehmen wir zunächst einmal an, der Schlafi sei richtig,
nnd Tergegenwärtigen wir ans, welche praktischen Folgen sich ans
einem solchen Verzicht ergeben würden.
Ängstliche (iemüter werden vielleicht fürchten, die Kirche könnte
dadurch Schaden erleiden; aber das Beispiel Nordamerikas lehrt uns»
(l;iß gerade das Gegenteil der Fall ist; denn nirgends blüht das kirch-
hche Leben mehr als in diesem Lande, das in seinen Staatsschulen
auf Zwangsreligionsunterricht verzichtet Ob aber auch das religiöse
Leben durch die Isolierung des Religionsunterrichtes gewonnen hat,
durfte fraglich sein, denn kirchliche Yielgeschiiftigkeit ist durchaus
noch kein Zeichen gesunden religiösen Lebens, und bekehrungseifrige
8ektenleute sind nicht immer Persönlichkeiten, in denen Gottes Geist
wirksam ist Auch darf man nicht wähnen, der Glaubenszwang und
die Schablonenhaftigkeit sei in Freikirclien weniger zu Hause als in
Staatskirchen. Im Geirenteil! Die Laienorthodoxie ist meistens noch
unduldsainer als die der Theologen, und in den Schulen der Sekten
wird den Kindern wenigstens genau soviel unverstandene alte Theo-
logie beigebracht wie in den Staatsschulen. Also gebessert ist da-
mit nichts.
Wollte man nun — und auf diesem radikalen Standpunkte
scheint Bonus zu stehen — allen gemeinsamen Religionsuntemcht
abschaffen und dem Elternhause und dem Zufall die religi<jse Er-
ziehung überlassen, so würden die meisten Kinder ohne alle Be-
rührung mit Religion bleiben, denn religiöse Persönlichkeiten von
wahrhaft werbender, gewinnender Kraft sind ziemlich selten und
wirken, wo sie sind, meist nur auf sehr kleine Kreise. Es fragt sich
also nur, ob man es verantworten kann, die große Masse der Jugend
unseres Volkes ohne alle Berührung mit Religion aufwachsen zu
lassen und es Gott anheimzustellen, ob er Yielieicht einzelne durch
besondere Führungen für sein Reich gewinnen will Luther hat, wie
0 dolieogeBdiiohtl. LMobooh. 2. Aufl., & 68,
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316
Aofsätse
wir bereits sahen, die Pflicht, etwas für die religiöse fiiidimg der
heranwachsenden Generation zu tun, gefühlt und ihr nach bestea
Kräften zu genügen gesucht Dafi der Staat, dem er das Erzieher-
amt ülicrtriig, den rechten Weg zum Herzen der Jugend nicht fand,
war weder seine noch der ausführenden Organe Schuld, sondern
hatte seinen Grund in dem Mangel an pädagogischer Einsicht Aua
demselben Gnmde wird auch in den vor Laien eingerichtetea Sonn-
tagsschttlen Amerikas und den »Kindelgottesdiensten« unserer »Er-
weckten« die Sache nicht wesentiich besser gemacht Die InstitatioiL
ist eben nicht das Entscheidende, sondern der Geist, in dem sie ge-
handhabt wird. Ob man also den BeUgionsnntemöht in den Staate-
sohnlen beibehält oder ihn besonderen Yereinigimgeii übedäBt^ das
ist für den Charakter des Unteirichtsbetriebes Ton untergeordneter
Bedeutung. Auch im Bahmen der Staateschule kann eüie leligifise
Persönlichkeit lebenweckend wirken, sobald man ihr nidit mmdtige^
dem Geiste des modernen Staates widersprechende Fessebi anlegt
Im Mittelalter war der Staat in allen religiGsen Angelegenheiten
der Büttel der ffieraiohie, und da die einsige religiöee Tagend im
blinden Gehorsam gegen die Kirche bestand, so hatte er die Auf-
gabe, wenn Himmel und Hdlle nicht ausreichten, mit seinen Gewalt-
mitteln dieeen Gehorsam su erzwingen. Der moderne, aus dem Gaste
der Beformation geborene Staat hat in der Hieorie auf diese Bflttel-
rolle yerzichtet, in der Praxis aber spielt er sie in der Schale ruhig
weiter, indem er den Schulzwang dazu benutzt, die Kinder zum Ge-
horsam gegenfiber den Lehrgesetzen der Qlerarc^ abzuiicfateD. 3fit
diesem Beste kalliolischen Sauerteiges muß entschieden aufgeräumt
werden, wenn dem Beligionsuntenichte der Öffentlichen Schulen die
sittliche Berechtigung erhalten bleiben solL Der moderne Staat hat
nidit die Pflicht, das Tolk in religiöser Beziehung auf einer früheren
Stufe der Entwicklung festzuhalten; aber ebensowenig ist es seine
Aufgabe, neuen Richtungen zum Siege zu verhelfen; vielmehr muÄ
er seinen Untertanen die Freiheit der geistigen Entwicklung gewähr-
leisten und die Jugend in stand setzen, sich selbst im Leben zu-
rechtzuhelfen (K. 68).
Diese Freiheit der Entwicklung und dieses Instandsetzeii, sich
^) Es ist zn hoffen, dafi der Staat »die Idee des modernen Staates verwiit-
liofat, der nicht mehr die FestBohinbiing des YoIfcM in ebe beatÜBmte wflnsohens-
wert eiioheinende Kultur betreibt, wie es die Eiioh« für ihn Aviig*be hieU;
sondern . . . der für die einzige Todsünde, in die er verfallen kann, die Sünde wider
das keitnt ndn I^ben Mit, die also, die er jetst systematieoh doroli seine 8ohale be-
treibt« (K. ü3).
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ImuNDOur: SchnlmoDopol und Beligionsontemcht
317
Mlbst zu helfen, iviid aber nicht schon dadurch gewährleistet, dafi
man aieh aller gewaltsamen Eingriffe enthält, sondern dazu bedarf es
auch positiver Veranstaltungen. Wenn das bloße Nichteingreifen an
aich schon die wahre Freiheit verbürgte, dann müßten doch die Kinder,
um die sich niemand kümmert nnd in deren Entwicklang niemand
»Phantasie und Gedankenbewegong hemmend und umbiegende ein-
greift, die freisten Menseben werden. Das ist bekanntlich nicht der
Fall; darum tritt aach Bonus nicht fOr ein gSnslich unbeeinflußtes
»Sudiaiisleben« ein, sendem er weiA — offenbar sostimmend — toh -
Ettem IQ enShlen, die den Wunsch haben, »das, was sie in schweren
Jahren, nachdem sie den Schott weggerftnmt hatten, sich enangen,
mit aller der Zartheit und dem Ernste, von denen sie beseelt
sind ihren Kindern . gegenflber, in deren Geist hinüber-
saleitenc (E. 64). Wäre es nun so ganx ungereimt, anzunehmen,
SS gibe Bltnn, die sich dieser Angabe nicht ganz gewachsen fflblten,
und die daher geneigt wSren, die Hilfe der Schule anzunehmen und
ihr enien Teil der Eräehung ansuverfanmen? Und sdlte es nicht
Lehrer geben, die wiiUich bereit wiren, ihren Beruf in dieeem Sume
aofiofassen lüs eine verstindnisvolle Erginzong der hftuslichen Er-
Ziehung? Und wenn das beides der IUI wSie. könnte dann nicht
der Staat dieser Geneigtheit auf der einen und dieser BereitwQli^eit
anf der andern Seite entgegenkommen? Liegt es wirklich im Inter-
ease des Staates, die Schule zu einer Dressieranstalt zu machen, in
der »die uniforme Lehrmaschine ttber jede Generation von neuem
hinwalzt und ihre Abweichungen zurechlpiftttet, so daß nichts Eigenes
aufkommen kann«? Ich glaube, solche Eltern, solche Lehrer und ein
soldier Staat sind recht wohl denkbar, und ich hoffe, dafi ans ihrem
Zusammenwirken die Schule der Zukunft hervoigeht, die keimendes
Leben nicht sertritt, sondern pflegt und entwickelt
Im Dienste dieser Schule der Zukunft steht schon heute die
»moderne Pädagogik«. Von dieser hat Bonus freilich eine sehr schlechte
Meimmg, er behauptet (K. 51): Sie läßt kein Plätzchen, kein Häkchen
für eigene bedanken und Gefühle frei. Ihr ganzer Unterricht ver-
läuft gerade in einem fortwährenden Zurückholen und Einstarapfen
der freien Gedanken und Gefühle . . . Wo sie gewesen ist, da singt
kern Vogel mehr, da wächst kein Gras mehr ... Alles ist bofxrifflich
zerkaute (K. 57). Ob diese Beschreibung der modernen Pildai^ogik
zutrifft. können nur die entscheiden, die unter ihren Einwirk unireu
aufgewachsen sind, denn mit Hecht Bonus (K. 7): ^\Vai> die
Laienschaft nicht nur beiuteilLii kann, sondern sogar allein beurteilen
kann, das ist, wie ihr diu zu ihrem Besten angestellten Bemühungen
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318
Au&atze
bekommen sind,« und (K. 18): »Wenn man uns zwölf Jahro lang
malträtiert iiat, so sind wir die Sachvci"ständigon in der Fraire. '»H
wir uns malträtiert fühlen.« Da aber Bonus meines Wissens nicht
zu denen gehört, die während ihrer Schulzeit von Vertretern der
modernen Pädagogik malträtiert worden sind, so dürfte er auch nicht
Sachverständiger sem in der frage, ob sioh die Zöglinge moderner
Pädagogen malträtiert fühlen.
Bei der Kritik der modernen Pädagogik wird (K. 45) eine Stelle
meiner Allgemeinen Methodik des ReUgionsunteniGhtes^) wörtlich
zitiert also darf ich mich wohl zu denen rechnen, über die Boxus
(K. 71) sein Anathema ausspricht, weil sie das Qesinnimgsbilden nidit
lassen können. Ks wird mir also nicht reraiigt werden können, wenn
ich vom Rechte der Notwehr Gebrauch mache und neben das Zerr-
bild, das BoNTs zu stände bringt, indem er Jesuitenpädagogik, Sokra-
tik, Kimstkatechese und ähnüoheB mit modemer Pädagogik in einen
Topf wirft, das wahre Bild setse.
Vor allem muß man Staatssohnle und StaatspSdagogik wohl ans-
. einander halten. StaatsBchnlen sind Schulen, die vom Staate entweder
ganz unterhalten oder wenigstens unterstützt und überwacht werden.
Von einer Staatspädagogik würde man aber nur da reden können, wo
den Schalen Geist und Methode aufgezwungen wird. Daß Staats-
schule und Staatspidagogik nicht untrennbar zusammengehören, wird
ohne weiteres klar, wenn man z. R das Gebiet der öffentliohen Ge-
sundheitspflege zur Yergleiohung heranzi^t Auch hier hat es der
Staat schon längst als seine Pflicht eockannt, fürsoigend einzugreifen;
aber über das Wie? dieses Eingreifens entscheidet nicht der Stasts-
mann als solcher, sondern hier wendet er sich an den Medizmer ab
den Fachmann. Eine Staatsmedizui gibt es nicht, obwohl die Ana-
bildung der Mediziner nur auf den vom Staate nntnbaltanen Uni-
versitäten erfolgen kann. Wie mit der Medizin, so ist es anch mü
den übrigen Wissenschaften. FOr alle sorgt der Staat, aber er hfUet
sich wohl, ihnen den Gang ihrer Untersuchungen oder die Besoltite,
za denen sie kommen müssen, vorzuschreiben.
Die moderne Pädagogik nimmt für sich dasselbe Becht in An-
spruch, was der Staat den übrigen Wissenschaften anstandslos ge-
währt; dafür ist sie auch bereit, mit dem Maße der Einsicht, das ibr
im Laufe der Zeit zu teil geworden ist, zu dienen und sich den
ihrer Hilfe Bedürftigen nützlich zu erweisen. Wie es aber dem
*) Allgemeino Methodik des Keligionsuntemohtes (Langensalza* Qeimanxi ß^ypr
& SQhne [Beyer & Mann], 1903). S. Ö7.
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Thrakdort: Sohulmonopol und Beligionsunternoht
819
FMienten, der die Hilfe des Antes in Anspruch nimmt» nicht ein-
fillt, diesem Vorschriften sn maioihflii, welche Medizin er verordnen
oder welches HeÜTef&hren er einznsdilageQ hat^ so sollten auch die
Anftnggeber der Pfidagogen sich begnügen, die An4;aben und Ziele
in beieiohneii ond die Wahl der Wege nnd des Yerfahrens der
Wissenschaft nnd den Ikohleaten ttberiassen.
Wer sind aber die eigentlichen Anftraggeber der Schule, wer hat
das moralische Becht, ihre Ziele leetsnaeteen? Nnn sicher der in
SESter Linie, der am Gelingen des pidagogischen Experiments das
grtAte Interesse hat Das ist unstreitig der ZO^^iag. Kann er auch
ab ünmfindiger juristisch sein Becht noch nicht selbst geltend machen,
sondern muß das seinen Yormttndem und Yertretem ttberiassen, so
legt er doch moralisch seinen Endehem die schwerste Verantwortung
aof (Matth. 18, 6). Jeder Lehrer, der nicht gana ohne sittliches Oe-
fBU ist, weiß es aus eigener EifBhrang, daß er für sein Einseifen
in den geistigen Werdeprozeß des Schttlers diesem moralisch yerant-
wortlich ist Darum wird er jede Verkümmerung und Verbildung,
die der Zögling nachweisbar durch die Schule und den üntendcht
eifihrt, als sdne Sdiuld fohlen. Diese Schuld kann ebensowohl in
Untedassungen, wie in Tei^ehrten Maßregeln bestehen. Wenn also
auf irgend einem Gebiete dem jugendlichen Geist die Nahrung nicht
geboten wird, deren er zu seinem rechten, gesunden Gedeihen bedarf,
80 ist das ebenso verwerflich, wie wenn man ihm falsche Nahrung
rdcht Das bloß Gehenlassen befreit keineswegs von der Verantwort-
lichkeit, vielmehr kann es unter Umständen zu einer ganz unver-
aatwurtlichen Versündigung an der Seele des Zöglings werden. ^)
Das zweitgrößte Interesse am Kesultat der Erzielmng haben selbst-
verständlich die Eltern. Sie dürfen von der Schule fordern, daß die-
selbe als Ergänzimg der häuslichen Erziehung dem Zögling das bietet,
was für sein geistliches Wohl notwendig ist und doch der Natur der
Sache nach von den Eltern nicht geboten werden kann. Auf dem
Boden des Gesinnungsuntemchtes würde das meines Erachtens be-
sonders auf höheren Scliulen eine möglichst gründliche Einführung
in die Geschichte des geistigen ijebens sein; denn nur aus der Ge-
') »Die Missions- und Erziehungsaufgabe der Kirche wird erschwert, wo . . .
der oblii^jitorische Religionsunterricht in der Sta;itsschulü ah^^etaii wird. Es wird
(iann wohl noch einzelne Bekehraogen ja entschiedene Erkluniugen zu Christus
geben; aber wer mag veientworten, des Cadern vnaerer Froletaiier nnd OebOdelen
10 nuht mehr aUmlhUehee HineinmoliBen, anr noch Bmoh nnd Bekahrang von
endemischem Heidentum offen za iMsen?« (BAUMOARZSir, Monatssohrift für die
loxchliche Fnuüe, 1905. 8. 48.)
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820
Aufsätze
schichte ist die Gegenwart zu verstehen; darum muß jeder, der sich
in dieser zurechtfinden und an der Lösung ihrer Au%abea beteiligen
wül, mit jener vertraut sein.
Neben dem Zögling und dem Eltemhause haben Staat und Kirche
an der Schule nur ein sehr beschränktes, einseitiges Interesse. Dem
Staate ist es um einen Zuwachs an guten Bürgern, der Kirche um
lebendige Glieder zu tun. Wollte man daher die Interessen des
Staates oder der Kirche aUein für den Geist der Schule den
Ausschlag geben lass^ so müßte notwendig das Geistesleben des
Zöglings dabei verkünunem. Darum ist es richtiger, die Schule läfit
sich vom Zögling und Tom Eltemhause die umfassendere Au%abe
stellen und sieht dann zu, wie sie dabei auch den Anq^rüchen des
Staates und der Kirche gerecht werden kann. Wenn man dabei be-
denkt, daß Staat und Kirche doch nichts neben und außer den f amilien
Bestehendes sind, sondern sich aus Familien zusammensetzen and
eigentlich nur Institutionen sind, die zum Wohle der Familie ge-
schaffen wurden, so kann der Ausgleich nicht allsuschwer sein. Staat
und Kirche kdnnen ja, wenn sie ihrem eigenüicfaeii Zwecke nicht
entgegenarbeiten wollen, nichts foidem, was mit dem wahren Wohl
der Familie und des einzelnen imyereinbar ist
Wendet man das eben Baigelegte auf die Stellung des Beligions-
ontemohteB in der Staatsschule an, so eigibt sich, dafi auch, wenn
der Staat aus ZweckmftfiigkeitqgrOnden die Leitang und Yenraitang
der Schule in die Hand nimm^ er doch daraas nidit das Bedit ab-
leiten daE^ aosscfaließUcfa toq seinen Interessen aus Zweck und Auf-
gabe der Schule zu bestimmen. Yielmehr bat er sich als Beauftragter der
Eemilien und Yertreter der Beobte des Zöglings anmaehenf und mnfl
daher seines Amtes so walten, daß die Interessen dieser beiden niebt
gesobidigt weiden. Nun haben aber cbiisdicbe Familien sweilellos eis
hohes Interesse daran, daß das religiöse Leben ihrer heranwaobsendfln
Glieder durch den Schulunterricht gefördert wird, und noch mehr
liegt es im Interesse des Zöglings, daft eme der wichtigsten SeHsn
seines Geisteslebens nicht Tericfimmert Damm iU>eniimmt der Staat
mit der Leitang des Schulwesens auch die Pflicht, fOr rechte Ffl^
der religiösen Entwicklung der ihm anrertrauten Jugend au sorgen.
Dieser Pflicht des Staates kann weder durch bureaukratiscbe^ noch
durch hierarqhische Leitung des Beligionsuntemchtee genügt werden.
In beiden Billen würde die Bücksicht auf die Haupti>eteiligten dem
Trachten nach sohablonenmäßiger Gleichförmigkeit zum Opfur gebracht
und der eigentliche Hauptzweck des Unterrichts verfehlt werden.
Bo5us hat sicher nicht ganz unrecht, wenn er der Staatsschule in
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321
ihrer jettigen Gestalt Torwiif^ sie tOte das keimende Leben, and eine
Methode^ die sich Lebhaftigkeit des Fohlens, Eneigie des Willens,
Tlflfe des Empfindens und Sdifiife des Denkens zum Ziel sets^ alle
bestimmte Tendenz aber vermeiden wollte, wfirde in ihr einfach ver-
boten werden (E. 51). Der gleiche Vorwurf, den hier Bo5üs der
finreankratie macht, könnte ancfa gegen die Hierarchie ertioben werden,
die nnter Benutzung der Staatsgewalt in ihren Zwangskonfessions-
sohulen allen Zöglingen dieselbe Art, religiös zu fahlen und zu denken,
au&wingen möchte. Insoweit solche Yorwftife sich auf Tatsachen
stfitsen, kann man ihnen nur zostimmen. Aber das Verfahren, das
nach Bomis jetzt in den Staatsschulen herrscht, gehört doch nicht so
«un Wesen der Staatssehule, dafi es da immer herrschen mtißte. Die
üniveisitftten sind doch auch Staatsanstalten; aber es fiült den Staats-
minnem nicht ein, das geistige Leben, das dort herrscht^ durch Oe-
vattmittel zu töten. JLhnlidi könnte sich der Staat doch auch den
Schulen gegenüber verhalten. Es wäre recht wohl denkbar, dafi den
vom Staate beauftragten Leitern der Schale die Einsicht aufginge,
dafi der Untenicht nicht zur Unterdrückung, sondern zur Weckung
des geistigen Lebens da ist. Wenn diese Zeit gekommen sein wird
— und sie wird sicher kommen — , dann braucht man nicht mehr,
wie es Boxrs jetzt tun zu müssen glaubt, im Interesse der Reli-
gion Beseitigung des Religionsunterricii tes aus den Schulen
zu fordern; sondern dann werden Elternhaus und Schule sich die
Hand reichen, nm gemeinsam religiöses Leben zu wecken und zu
pflegen. Dsm Eltenihaus wird seine Aufgabe lösen, indem es die
Jugend ohne Zwang unter den Einfluß des religiösen Familienlebens
stellt, und die Sehlde wird unterstützend mitwirken durch lebensvolle
Vorführung der »Heroen« der Religionsgeschichte. ^) Diesen Weg hat
die moderne Pädagogik — und das verkennt leider Bonus vollständig
— bereits beschritten. Sie will nicht Gesinnungen aufzwingen, son-
dern sie will Interesse — und das heißt docii wohl geistiges Leben
— wecken. 2) Wo ihr das gelingt, wo sie also ihr Ziel erreicht, da
müssen Vorwürfe, wie sie Bomis erhebt, verstummen. Wo es ihr
') »Der Unterricht muß ein strenf; historifscher sein, d. h. sich auf das be-
schränken, was flurch die Geschichtswissenschaft jedem Forscher zupiinglich ist.
Vüu AüttüiluDg einer Glaubenslehre irgend welcher Richtung anders aU m historisch
bmchtender Weise faum ntoht die Rede sein« (Stimmen rar Beform des Beligioiis-
nnteniditeB, Lingenaalza, Hermaim Beyer ft Söhne (Beyer ft Mann], 1904. S. 34).
*) Veigl. des Verfa-ssers Allg. Methodik des ReIi|^nonsuntorriditiB8 (Langensalza»
Heimann Beyer & Söhne [Beyer & Mann], 1903). S. 41 ff.
ZetocUft nr fhiloMilii« und FUigocik. 12. Jahqwg. 21
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322
Aufsätze
aber nicht gelingt, da liegt es nicht am gaten Willen, sondern an
der mangelnden Einsicht in die Bedingungen der Entstehung und
Entwicklung geistigen Iiobens, darum sollte man die moderne Päda-
gogik nicht durch ungerechte Vorwürfe in ihrem Streben hindern
ond entmutigen, sondern durch verständige Mitarbeit unteistOtieiL
Die staatlichen Leiter der Schule aber sollten bedenken, dafi der
Staat nur dann ein moralisches Recht auf Beibehaltung des Beligioiis-
nnteriohtes hat^ wenn er darauf verzichtet» fertige Systeme aa&n-
zwingen, und wenn er statt dessen dem Beiigionslehrer den Auftiag
gibt, für das religiöse Leben, wie es tatsächlich in den Yerschiedenaa
EreiBen des Yolkes voriianden ist, bei der Jagend Inttnofloo n
wecken.
Leitsätze für den biologischen Unterricht
Von
O. Pffannttiel, HUdburghaosen
1. Büdogi« md Bdbnlblldiuig im aUg^mtiim
Die Einführune: des biologisclion Uuterricht^s in die Schulen ist
aus Rücksichten realer Sahir erfolgt. Es lag im Interesse des Staates,
daß einerseits das Volk über die Gesetze des Lebeus und seiner Er-
haltung bis zu einem prewissen Grade aufgeklärt, und daß es zu einem
erfolgreichen Kampfe um das Dasein mit nützlichen Kenntnissen besser
ausgerüstet werde.
Andrerseits hat die zunehmende industrielle Beschäftigung und
die Konzentrierung der Menschen in Großstädten eine Entfremdimg
von der Natur zur Folge gehabt, die der Lebenskraft eines Volkt.'S
auf die Dauer gefährlich zu werden droht Dem gegenüber galt es,
den Sinn für die Natur als einer unerschöpflichen Qaelie für die
edlere Seite des Gemütslebens wieder zu wecken.
Endlich liefert die Natur die Vorbilder für die veredelte Be-
tätigung des schaffenden Menschen. Die ei-folgreiche Aaswertung
ibrer Kunstformen, Yor allem die freie Verfügung über die-
selben setzt ein gewisses Interesse an den Trägem der Formen
imd eine Kenntnis des inneren Baues als der Ursache derselben
Tonns. Die großen Plastikcr und Maler des Altertums und der
Renaissance haben beispielsweiee das Staditun der mensohliohen Aoft*
tomie eifiig betiieben.
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Pfannsukl: Leitsätze für den biologischen UDterricht
32S
2. Biologie imd £!r2lalllingHl«l
Ziel der £i-ziehimg ist der zum sittlichen Handeln tüchtige
Mensch. Die Sittlichkeit wurzelt in der Weltanschauung.
Die A»<*''^ft""""g und Befolgung der ethischen Ideen genügt nur be-
dingungsweise. Denn sie sind mehr oder weniger formaler Natur.
Ihr Inhalt ist nicht absolut; er ist yielmehr durch die fortschreitende
Vertiefung der Natoierkenntnis nnd der Entwicklung des soiialea
Lebens der Wandlung unterworfen. Wahrhaft sittlich kann nar
derjenige handeln, der mit seinen gran^sätalichen Ansichten
nicht hinter der Zeit snrücksteht Em Wille, Ton rückstündigen
Ideen geleitet, hat schon sehr oft großes Unheil angerichtet Beweise
difOr liegen ans der Geschichte der Staaten und der religiösen Ge-
meinschaften genügend aof der Hand.
Die sittlichen Prinzipien sind die obeisten aas dem gegen-
seitigen Yeihfiltnis der Lebewesen abstrahierten Bemehongsvoistel-
limgen (Begnffe). Sie sind somit der Ausdruck des jeweiligen
Standes der Erkenntnis der Weltordnung. Fd^^ich ist die
Lohre von den organisierten Lebewesen als den Erscheinungsformen
des höchsten Weltgeschehens auf der Erde eine unentbehrlicfae Grund-
lage der echten Sittlichkeit Das »Erkenne dich selbst« schließt die
Iiikenntnis der Besiehungen zur ganzen Natur, insbesondere der
lebendigen »beseelten« ein.
Neben dieser idealen Beziehung zum Erziehungszwedc steht noch
eine andere, welche mehr realer Art ist Die erziehende Arbeit
am Einzelwesen ist um so wertToUer, je mehr der Erfolg
sich bewähren kann, d. h. je länger die Lebenszeit dea
Zöglings dauert und je besser sein Körper sich zu tat-
kräftigem Handeln eignet. Die hierüber möglichen Belehrungen
zu geben, ist ebenfalls eine Aufgabe des biologischen Unterrichts.
9» y^'^}^>§fi9 und UiitoralohtMlal
Au^be des üntenichts ist es, die zur EiftUlung des Endehungs-
zweckes nötigen psychischen Grundlagen zu schaffen, nämlich Kennt-
nisse derart zu übennitteln, daß ehi lebendiges Interesse als Dauer»
anstand der Faycfae aus ihnen henroigehe. Nach den Lehren der
•Ugemeinfln Didaktik müssen die Yorstellungen zu diesem Zwecke
im einzehien möglichst klar und in ftm Gesamtheit nach einem
bestimmten Plane wohlasacziiert sein. Diesen Bedingungea
hat der Mologisohe TTnteffricht zu entsprechen.
21»
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324
AnfBÜse
Die daioh den biologiscfaen üiiteni<dit wo. yemuttehidea in-
sofaaamigen sollen klar sem, d. h. der Wahrheit möglichst ent-
sprechen. Diese Bedingong wd im allgemeinen nur dann exfüllt,
wenn der Unterricht die Dinge der Natur im Sinne der wahren
inneren Ih^eiheit ohne je^ches Yororteil ansdumen l&fit
Im besonderen gehört zum Eildiren die Aufspaltung des 2nr
sammengesetaten bis zu seinen Elementen, seinem besonderen Abc
der Anschauung. Die Elemente stellen das relatiy ein&chsie^ die
AnfsDgsglieder von Reihen dar. Sie sind deshalb einer weiteren
Erklärung solange nicht fittug, als nicht einfachere Glieder gelondeii
werden, auf welche sie bezogen werden können. Die ein&chsten
Lebewesen aber sind die freilebenden Zellen. Die Lehre von den-
selben ist demnach die einfsche Besdirdbung der beobachteten Ttt-
Sachen und die Herausbildung der elementaren Begriffe durch Vsf
gleiche, z, B. die Begriffe Tier, Pflanze, Leben, Tod, Wachstnm,
Yennehrung, Ernährung, Verdauung, Atmung, Bewegung, Ruhe, Fan-
Sohema der Sntwioklang des Wirbeltierauges.
sitismus usw. Bei den liühLien Organismen sind alle diese Begriffe
verwickelter Natur und der Erklärung, d. h. der Beziehung auf das
Einfache bedürftig. Ja die Beobachtung zeigt, daß der höhere Orga-
nismus in allen seinen Teilen und Funktionen das Produkt einer
umbildenden Entwicklung ist, die in jedem einzelnen Falle von dem
lebendigen Elementanvesen, der Zelle, ihren Ausgang nimmt
Zur Erläuterung und zur Übcrleitunfr zum folirendon Punkte
mögen zwei Beispiele aus rlcm (lebiet*» der Sinnesujirane ilieiien.
Auge: Nachdem beim Embryo des Wirbeltieres am vorderen Ende
des Rückennuirkrohres die drei Urgehirnblaschon hintereinander ent-
standen sind, wachsen aus dem äuUersten Bläschen zwei Paar sekun-
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F^AKNBim: Leitsätze föi den biologischen Untenüdit
325
Üie Ausstülpungen beiror. Das eine Paar entwickelt sich am
vorderen Pole und wiid zum Großhirn. Das andere Paar dringt
hinter dem ersten hervor und wächst schlauchförmig g^n die Ober-
haut Unter dieser erweitem sich diese Ausstülpungen kugelig. Die
Oberhaut antwortet ihrerseits mit je einer bläschenförmigen Gegen-
einstülpung. Diese treibt die dem Gehirn entstammenden Bläschen
ifickwfirts ein, so daß doppelbecher-ähn liehe Gebilde entstehen. Die
zorückgestfUpte Schicht wird zur Netzhaut des Aoges, der zum Ge-
hirn fahrende Schlauch mm Sehnerren, das Ton der Oberhaut her
eingedriingene Bläschen nun linsenkdrper und die sich darüber
wieder schließende Oberiiant sor dozchsichtigen Hornhaut Da das
Bfickenmaik selbst der Oberhaut entstammt, so ist das Auge in
allen seinen Hauptteüen ein Abkömmling derselben. Der Oberhaut
ist aber ron Anbeginn ihrer Bntstehung an die Rolle des reizemp-
finglichen Yermittlers swiscfaen der Innenwelt und Aufienwelt dea
Tieiköipers sugeMen.
In andern Fällen finden sich di^ in der Entwicklung nur vor-
übergehend auftretenden Zustände bei gewissen tiefer stehenden Oig»-
nismen als dauernde Ausbildungsformen. Hierzu ein Beispiel aus dem
Entwiddungsgange des Ohres: Die Gehörknöehelohen Hammer und
Ambofi der Säugetiere sind bis zu einem gewissen EntwicUtmgs-
Stadium des Embryos Teile des noch knorpeligen Unterkiefers. Dieser
aber war vorher bei demselben Embryo ecSter Kiemenbogen. Dieser
letztere Zustand ist der dauernde bei den Bundmftulem (z. B. Neun-
auge), der erstere bei den Amphibien; ein Übergangszustand besteht
bei den Fischen.
0. Ontogvni« und Ptiylog«iüe
Alle Teile des tierischen und pflanzlichei! Körpers höherer Ent-
wicklung zeigen im Verlaufe ihrer Entstehung von einfachen Zellen
aus ^eichsinnige Metamorphosen wie Auge und Gehörknöchel der
Wirbeltiere bezw. Saugetiere. Solche Reihen von Umwandlungen
möglichst lückenlos von ihren Anfangen bis zu einem liestirninten
Endgliede darstellen, heißt, den kausalen Zusammenhang zeigen.
Diese ilethode ist die vollkommenste Form des Natur-
erklärens.
Beobachtung und Vergleich ergeben — wie das Beispiel vom
Obre deutlich zeigt — zwei Reihen von Metamorphosen:
1. die ontogenetische, d. h. die Umwandlungen eines be-
stimmten Lebewesens von der Eizelle bis zu seinem Dauerzustand
(Zoologie u. Botanik);
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326
AnfUttM
2. die phylogenetische, d. h. die Entwicklung des gesamten
Tier- und Pflanzenreiches, die zu den Klassen, Ordniing^ und Arten
der Gegenwart geführt hat (Paläontologie).
Beide Reihen, die ontogenetische und die phylogenetische, sind
^eich bedeutungSToll für die Erid&ning eines Lebewesens oder dnes
Oiganes desselben.
Ans alledem ergibt sich aber, dafi das gegenwärtige Welt-
bild nur erklärt und yerstanden werden kann auf Grund
seiner Sntstehungsgeschichte.
6. Die Biologie, ein Zweig der Kultargeschichte der Natur
Die physikalischen und chemischen Verhältnisse der Erde und
deren Beeinflussung durch die Sonne sind die allein nachweisbaren
Erzeuger und Gesetzgeber des Lebens auf der Erde. Beide sind in
einem langsamen Erkaltungsprozeß he^niffen. der einei'seits die ge-
samte Lebensenergie liefert, aiuirerseits die Existenzbedinf^ungen füi
die Organismen beständig langsam verändert. Während iiifulge davon
die Geschlechter mit mangelnder Anpassungsfähigkeit sowie du: der
Entartung verfallenen ausstarben, entstanden aus den zur Variation
neigenden Arten durch Veränderung einzelner Organe immer neue
Formen. Unter diesen hatten nur die den veränderten Verhältnissen
entsprechenden Bestand. Die Arten der Lebewesen erscheinen somit
als das Produkt einer gesetzmäßig schaffenden Natur, und man kann
in diesem Sinne von einer Kulturarbeit der Natur reden. Der
Verlauf und die Gesetze derselben bilden die Kulturgeschichte
der Natur. Die Biologie ist ein wesentlicher Zweig derselben.
7. Biologischer Unterricht und kulturhistoriBche Sttifen
Aus alledem geht, hervor, daß die klarsten und am meisten ver-
tieften Anschauungen nur ein saldier biologischer Unterricht geben
kann, der dem Schaffensgange der Natur folgt und die kausalen Be-
ziehungen in historiscli -systematischer Reüionfolge darlegt Der Be-
' griff t Systematisch« bezieht sich hier auf das methodologische Prinzip,
daß immer das vorhergehende Einfachere die apperzipierenden Vor-
stellungen für das naclifolgende Verwickeitere liefere. Die Befolgung
dieses Grundsatzes fillirt in letzter Linie auf die wesentlichen Züge
dos natürlichen Systems der Lebewesen. Dies, ist ein Beweis für
seine Richtigkeit; denn die Natur selbst schafft nach diesem Plane.
Für die Ordnung des Lehrplanes folgt daraus, daß das
didaktische Grundgeset» von den kulturhistorischen Stufen
auch für den biologischen Unterricht das einzige natur-
gemäße ist und somit unumschränkte Geltung hat
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Ptankbuxl: Leitsätze für den biologifichea Unterricht
327
8. KattarlitotoriMlM Btaftn und Zögling
Der TTnterricht hat aber nicht nur den Lehrstoff ziini Gegen-
stand, sondern auch den Zögling. Dieser ist selbst der Entwicklung
unterworfen, woraus für die Ordnung des Lehrplanes ein zweites
Prinzip entspringt, nämlich das psychogenetische Grundgesetz:
Der einzelne Mensch wiederholt im, Verlaufe seiner Ent-
wicklung kurz die Hauptzüge der psychischen Bntwick-
lang der Menschheit
Das psychische Leben des Einzelwesens hebt an mit dem Selb-
ständigwerden der nervösen Zentralorgane, d. h« mit der
leiblichen Lostrennnng von der Mutter. £s erhebt sich ans einer
gSnzlioh ichiosen Zeit allmählich bis zum klaren Ichbewußtsein.
Von hier aus schreitet es durch Kindheit und Jugendseit der y ollen
Mündigkeit entgegen.
Dementsprechend sind die psychischen Yoigfinge zu Anfang sehr
einfacher Art Die Beisempfib^chkeit der Sinnesorgane und die
Beattionsflthigkeit der zentralen Gan^enzellen sind ftußerst gering,
weil diese Gewebselemente noch unfertig sind. Nur sehr starke
physikaUscbe oder chemische Beize TormOgen die Empfindungsschwelie
Ba überschreiten.
Mit der zunehmenden anatomischen und physiologischen Aus-
reifung beginnt ein der Beobachtung zugiingliches Torstellungsleben.
Bs erscheinen zunächst zusammenhangslose Erinnerungsbilder, die
Ton starken oder oft wiederiiolten Sinneseindrücken herrühren. Als
Ursache der Assoziationen macht sich zuerst die Ähnlich-
keit der Beize geltend.
Alhnählicfa Termag die Psyche auch auf sinnliche Eindrücke
mitflerer Stttrke zu antworten, Üs schliefilich selbst schwache Beize
die Empfind ungsschweUe überschreiten. Je mehr dieser Prozeß fort-
schreitet, um so mehr ist die FSyche im stände, auch zusanmien-
hängende Beihen aufEU&ssen und innerhalb derselben durch die er-
kannten Einzelheiten den kausalen Znsammenhang herzustellen. Die
zeitliche Assoziation, d. i das psychogenetische Grundprinzip
der geschichtlidien Darstellung, ist somit die spätere.
Je mehr mit zunehmender körperlicher Reife das gesetzmäßige
Spiel der Reproduktionen und Assoziationen ein von den sinnlichen
Eindrücken unabhängiges psychisches Leben mit einer zentralen Ich-
vorstellung entstehen läßt, um so mehr Zusammenhang kommt unter
die psychischen Elemente. Komplexe und Reihen. Die geistige
Beife bedeutet im formalen Sinne: die relativ vollendete asso-
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328
AnfB&tse
ziatiye Darohbildung der Psyche, welche nunmehr ein
sentralisiertee einheitliches Ganze darstellt
9» FianJUtantwieklaiiff d«r bto]ogiBob«n Wlseanaqiutt
Parallel zu dieser kurz umrissenen Psychogenese des Indin-
dumns ist der Entfaltong^gaog der Mologischen Wissenschaft tot-
laufen.
Der ichlosen Zeit des IndiTiduums entspricht die
Periode der absieht- und systemlosen Urbeobaohtang. Sie
hat zwischen organisierten und nichtorganisierfcen Dingen keinea
Unterschied gemacht, wie auch das kleine Kind seine Spielgeiile Hbr
beseelt hält
Dem erwachenden Ichbewußtsein des Individuams ent-
spricht die Periode der ersten bewußten Abgrenzung des
biologischen Gebietes gegen die »tote« Natur. Dies hatte
zur Folge eine einseitige, spezialisierte, systematische Beobachtong
der Lebewesen, soweit dieselben sinnfällige Merkmaie an sich hatten.
Das Ergebnis dieser Arbeit bestand im wesentlichen in der Zusammen-
stellong dw fihnlichen Fonnen zu Gruppen, und der Gruppen nach
ihrem Ähnlichkeitsgrade zu einem Systeme.
Der Periode der Vertiefung der rohen Vorstellungs-
reihen durch die Beobachtung auch der feineren Merkmale
und Vorgänge, die zur Erkennung kausaler Beziehungen und der
schließlichen Zentralisation derselben führen, entspricht in der
Biologie die Entdeckung der nicht aiigenf älli^^en, ja der
Makroskopie verborgenen Dingo und Veränderungen. Dieser
Teil der Forschung hat endlich zur Aufliellung der inneren Ver-
wandtschaft der Lebewesen und zur Aufrichtung des historisch-
kausalen Lehrgebäudes geführt. So ist der zälileuden und niesseuden
Einzelbeobachtung eine zusammenhängende (beschichte der lebendigen
Natur entsprungen.
10. IMe natflrliofaen Stufen des Mologisohen UnterriohteB
Der biologische Unterricht, auch wenn er sich nicht auf die
ganze Entwicklungszeit des jugendlichen Menschen ersti'eckoü kann,
muß diese parallelen Entwicklungsstufen der Psyche einerseits und
der Wissenschaft andrerseits beachten. Sie bezeichnen den einzigen
vorhandenen naturgemäßen Weg, der zum Verständnis der Einzel- ^
wesen und schließlich des Ganzen führt.
Die Zeit der unwillkürlichen und systemlosen Beobachtung und
Sammlung der sinniäiligsten Eisckeinungen ohne Unteisdued iaU^
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TfA/mmL: Leitsätze für den biologischen Unterricht
329
größtenteils in das vorschulpflichtige Alter. Sie findet ihren Abschluß
in den ersten Schuljahren. Ohne den £influß des Unteirichtes würde
a» weit länger dauern.
Alsdann folgt die Periode des ersten selbständigen • biologischen
Unterrichtes, die Parallelstufe des jugendlichen, noch unmündigen
Ichbewußtseins. Die Beobachtung ist noch rein makroskopisch, aber
sachlich sich vertiefend, so daß aus den Ähnlicbkeits- und Zeitasso-
oationen die Hauptzüge des natürlichen Systems und die Prinzipien
der örtlichen Lebensgemeinschaften gewonnen werden.
Die Oberstufe ist berufen, auch die jenseits der ein&chen sinn-
lichen Wahmehmbaikeit liegenden Dinge und Erscheinungen mit in
den Kreis der Beobachtung £u ziehen, namentlich mit Hilfe des
Hikroskopes. Auf diese Weise werden störende Lücken in den.
makroskopiscb gewonnenen Gruppen und Reihen der YorsteUungen
ausgefüllt Die Hauptzüge des kausalen Zusammenhanges werden
deutlich. Der große Oedanke von der Einheit des organischen Lebens
auf der Erde leuchtet hervor. Nur insofern diese Lehrstufe, d. L
die der Einführung in das Verständnis des Naturganzen in
Betracht kommen kann, ist der Lehrgang auf genetischer Grund-
lage am Platze. Ja, er ist alsdann, wie oben (§g 4 — 7) gezeigt,
der einzige pädagogisch mögliche, indem er, dem Wege der
Natur folgend, auf die kürzeste und sicherste Weise zum
Ziele führt 1) Oofaloß folgt)
') Yeigl Basxuh ScBMmr, »Ein Beitiag mi Bebandliiiig der wirbeUoBOD Tiere,«
in ÜDterriohteUltter fttr Math. u. Natorw. 1901. — 0. Pfannstirl, »Der InoL Lehr-
plan auf genet. Grundlage,« in Natar iL Schule, III, 253 ff. — J. RrsKA, »Die
Wirbeltiere,« Stattirart. Vorl. von Nä^rMe. — A. \.\sr,, »Zum Programm des zool.
and anthropol. rntfriii hts an den oberen Mittelschulen, Vortrag auf der Züricher
Schulsyaode 19ü3. — Tknkhoff, »Zum zool. Unterricht,« Ö5. Jahresber. d. K. 0.
Pieodorianmn ni Paderborn 1880.
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1. Sache nnd Angelegenheit
Ein Überblick über die logikalischon Probleme. Von Dr. Ernst Friedrick za
Stolp in Pommern.
Schon die Vergleichung sinnverwandter Wörter in Büchern der Syno-
symik weist manchmal auf den Unterschied zwischen Sache (chrema) und
Angelegenlieit (metema) hin. Da ^rerden bisweOfln reiDsaoMiche imd aoge-
legentliohe BeoenniiDgeii aaseiiiaDder gehalten. Entere deuten auf allee
hin, was Dasein hat, besondere ab ein Staok imLaofeder Welt besteht
oder geschieht; letztere dagegen deuten auf einen Gegenstand der Sorge
hin, wolchor obon die Seelen lebendiger Wesen, auch den lieben Gott be-
schäftigt. ; Nötig und überflüssig« z. B. sind reinsaehliche Benennungen
(hajilüchrematibche Vokabeln), »erforderlich und entbelirlich* aber antre-
legentliche Bcneouuugen (melematische Vokabeln) derselben Gegeusati-
glieder. »HOglioh und notwendige sind reinsachliche Beiwörter, aber >^enk-
bar, tunlicfa nnd unausweichlich, unvenneidlichc angelogentlicihe Behrttrler.
Ebenso unteraoheiden sich: widitig und beMohtlich, grofiartig und be-
wundernswert, erklecklich und ansehnlich, genOgend und befriedigend, miß-
raten und erbärmlich, Zweck und Absicht, Betreff und Hinsicht, geschehen
und sieh ereignen, Begegnis und Vorfall, Eigenheit und Merkmal, Tatsache
und Wahrheit, Gesetz und Grundsatz, machen und handeln, dasein und
vorliandeu sein, allerlei und allerhand, jeder einzige und jeder beliebige,
ebendasselbe nnd das nämliche, verschieden uud unterscheidbar, zufäUig
und von ungefähr, Unwesen und Leidwesen, »Gelbflhiend« unfOgUoh und
statthafte sind haplochrematisohe VokabeUi, aber »befohlen, wboten und
erlaubt« melematische Vokabeln. tOedeihlich und verderbliche sbd rein-
sachliche Benennuogen, aber »erquüdEsod und Ubel tutichtendc angelegent-
liche Benennungen.
Logiker oder Vernuuftlehrer nun tun wohl daran, die Vernunft der
Sache, die denkende Vernunft und den Gemeingeist aller Gelehrten zu
unterscheiden. Denn die ontologische Tendenz der realen Logik, die
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1. Sache und Angelegeuhttit
3
p^yoliologiBche Tendenz der formalen Logik und die methodologische Ten-
denz der induktiven Logik gehen auseinander. Offenbar Bind Sach-
verminft. Denken und Kundigkeit Untersuchungs- Vorlagen, welche
zwar ziisaramenhängeD, jedoch ihres abweichenden Irjlialtes wegen auch
einer abgesonderten Fassung und Erforschung Ixjchirfen. So stellen sich
denn Sachvernunftwissenscbaft, Donkungstheorie und Xundigkeitslehre als
3 diBpante Beginnen in der Geesmtwiaeensohaft dar. loh habe sie so be-
feiohnet in meinem Werk: »Beitrige zur Forderung der Logik, NoOtik und
Wisseaschaftslehre«, Leipzig 1864. Der Doktrintitel »Noötikc fQr die
Theorie des Denkens war längst bekannt; ich schlug dort noch Utar die
Wissenschaft von der Sachvernunft den Doktrintitel »Taonomik« vor,
d. h. "Wissenschaft vom Gesetztuni des Laufes der Welt, weil chinesische
Philosophen den Weltkuf Tao = Großweg nennen, und für die Lehre von
der Knndigkeit den Doktrintitel »Idmik«, weil das griechische Hauptwort
idme Kenntnis, Kunde bedeutet Hier will ich, kurz gesagt, taonomische,
noetiBche und idmiscdie Probleme sondern, jedooh dabei nur die Namen der
HanptBtfloke angeben, was wohl zum Oberblick Ober die Vorlagen ge«
ndg^on wird.
Die ontologischen Kategori* en Prädikamente oder Aussagepunkte sind
leineachliche Benennungen und bedeuten nicht Eigenm?lchte , sondern
Wesenheiten, welche weder dem Xaturgebiet, noch dem Geistgebiet ange-
hören uud doch beiden zugleich innewohnen, immanente Entitäton. Die
allmählich anschwellende Reihe solcher Wesenheiten von der einfachsten
bis lEur mwickeltsten zu entdecken und darzustellen, ist Aufgabe der
Taonoroik oder Sachvemunftwissensobaft (sdentia de ratione guebus remm).
Die KatBgorieen der realen Logik sind riso der KOrperwelt und der Per-
sonen weit gemdnaam und keinem der beiden Oelnete eigentümlich; darum
habe ich sie kom mnn-neutrale Prädikamcnte genannt. Ihre sillmählich
anschwellende Reihe beginnt mit der Beschaffenheit (Qualität) \md endet
mit dem All (Universum). An die Beschaffenheit reihen sich zunliclist
Großheit (Quantität) und Maß (Moduius), fernerhin Wesensgrund, Erschei-
nung und Wirklichkeit, sodann Behuf, Werkzeug und Erzielung, hierauf
Ding, YeriiUtnis und Vorgang, auch Btwas, Stattfinden und Stelle, end-
lich Erzanfuig (Bealprinzip), Verfolg (Konteztsequel) und AU. Damit habe
ich aber Uofi gleichsam die Spitzen gestreift; denn eine Menge ontologischer
Kategorieen, zu denen auch die im Eingang erwähnten gehören, umgibt die
soeben horvorgehobenen Entitäten. Näheres findet man darüber in meinem
oben angeführten Werk, S. 280 bis 405. Dem chinesischen Hauj>twort
Tao entspricht der deutsche Ausdiuck: Lauf der Welt, der lateinische:
cursus rerura, der französische: le cours des choses oder auch: le rapport
entre tous les objets = das Einvernehmea unter allen Qegenst&nden
und der neben wMiche Ausdruck im Englischen: of coursee=wie es der
WeK Lauf mit sieh bringt, oder auch: wie es das Einvernehmen im
groBen Weltgetüromel mit sich bringt, der Rapport im megakosmiselien
Homados. Das ist die Vernunft der Sache, die unpersOnliobe Vernunft,
la raison impersonnelle.
Dagegen sind die psychologischen und die methodologischen Kate-
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332
MitteiloDgen
gorieen angelegentliche Benennungen, weil sie in der Gemütskunde (Aniini-
prudeaz) und in der Kundigkeitslehre (doctrina gnahtatis) ihre Heimat
haben, mithin 'Wesenheiten des Geistgebietes oder der Personenwelt be-
deuteD.
VaB nnn die Nofitik oder Theorie dee Deokeas (theoria oogitandi) be-
trifft, BO ist sie unstreitig ein Teil der Psychologie und zwar dci-jenige,
welcher den betrachtenden Geist als Verstand, Bedacht und Zaaamt-
bot rächt darzustellen hat. Intellekt, Konsideranii und Spekulation sind
Funktionen des kontemplativen Nous. Was diese Verrichtungeu zu stanäe
bringen, das sind: Begriffe, Urteile, Schlußfolgerungen u n d Über-
denkungen; soll fehlerhaftes Denken vermieden werden, dann müSv-eü
alle 4 Gebilde den Gronds&tzen des richtigen Denkens Rechnung trageo.
Die Eategorieen der formalen Logik lauten daher: Denkgesetz (noma
oogitandi), Begriff (notio), ürteü (jndidnniX Schloßfolgening (illatio vd
inferentia) und Oberdenken (synkephalaeoeiasssccnicapitulatio). Unter einen
»Überdenken« verstehen wir eine Zusammenfassung der Hauptpunkte von
Gedankengruppen. Mithin umfaßt dio Xor-tik außer Eif>rtening der Funk-
tionen des kontemplativen Nous 5 Kapitel, nämlich: OithouoStik, Eunoßtik,
Dianoi'tik, Syllogiötik und Synkephaläotik.
Das richtige Denken eines sich selbst überlassenen Gemütes schQtit
aber nicht vor Irrtum, Tänschung und Wahn; die denkende Vernunft eine*
Menschen (ratio oogitana) ist nicht unfehlbar. Wenn er sich dagegen ym
Gemeingeist aller Gelehrten, wddien ich kurzweg Kundigkeh nenne^ teilen
läßt, dann wird er die Walirheit nicht so leicht verfehlen. Denn der
wahrheitsheflisseno Gemeingeist versteht sich auf die Kunst des Wis-
sens und beaclitot die Geschichte der Wissenschaften. Die Kunditrkeit
ist eine «"ffentliche Angelegenheit (melema publicum), wie Sittlichkeit, l^o-
habigkeit, Sinnigkeit und Frömmigkeit. Hier kommt es darauf au, die
Idee des Wahren zu realisieren; dort kommt es darauf an, die Ide^ des
Guten, der Glflcksioherung, des SchOnen und der Heiligung zu realisieren,
ffier haben wir es nur mit einer von den 5 Humamtita-Ideen zu toi.
Methodologie nun heißt die Lehre von den Veiiahrungsweisen zur Selbst-
überzengung und Nächsten Qberzeugimg, in weldien IfethodMi eben die Kirnst
des Wissens Itosteht. Um die Selbst uberzeugimg zu gewinnen, ra(l.«seD
wir uns vergewissern, enttäuschen und foi-schen ; um die Näehstenüberzeugung
fertig zu bekommen, müssen wir beweisknlftige Grundsätze aufstellen^
unsere Mitmenschen tiberführen und Lehrgebäu liefern. Dies sind die
methodologisdien Eategorieen; aber die induktive Logik d. h. die sor
Kundigkeit anleitende Yemunftlehre geht noch wter, mdem sie aoUieft»
lieh mit allen Wissenschaften und mit deren Qesdiichte obenhin Tettraot
macht. Denn in der Idmik oder Kundigkeitslehre (doctrina gnaritatis)
handelt es sich überhaupt um Erwerbung und Mitteilung der
Kenntnisse, folglich nicht bloß um Wißkunst, sondern auch um Wissen-
schaften, welche ja doch eben Schätze von Kenntnissen als Gemeingnt der
Mensdiheit enthalten. Die Idmik umfaßt daher 3 Disziplinen, nämlich:
1. Aletliiologie oder Wahrheitslehre mit den Kategorieen: Gewißheit, Irrtum
und Foraohung. — 2. Apodeiktik oder BeireiafUiningaiehie mit den Eete-
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2. Ein Kapitel xur Enieiiaiig auf den höheien Sotmlen
333
fwieen: Gnindsatz, Überführung und Lehrgebäu. — 3. Epistemik oder
"Wissenschaftskunde d. h. Encyklopädie und Historiographie der Lehrfächer,
beides zur allgemeineQ wissenschaftlichen Bildung. Konversations-Lexika,
was sind sie anderes, als Lehrbücher der Epistemik iu alphabetischer
Beihenfolge? Wir werden der Wahrheit habhaft, wenn wir aus 3 Erkenntni»-
qaeDen schöpfen; sie hdfien: Erleben, Erdenken und Erlernen; ge-
wOhnlieh nennt man sie: Empirie, Spefailation nnd Tndiüon d. h. EMah-
nmg, Hatterwits und Überlieferung. Jeder tüchtige Forscher erstrebt
g^nseitige Bewährung zwischen den Ausflüssen aller 3 Erkenntnisquellen;
Tomehmlich muß das Ergebnis der Schlußfolgerung dusch das Ergebnis
der Beobachtung bestätigt werden nach der Versregel:
Erfahrung und Ziisamtbetracht.
Wo beide eins, da Wissensmacht
Das richtige Denlran eines sidi selbst Uberiassenen Gemtttes kann
leidit die Wahrhdt Terfshlen; daher mnfi sich jeder Denker Gewißheit
darüber TSischalfen, ob seine Urteile mit der Erfahrung übereinstimmen.
Ist sein Ansatz falsch, dann wird sooh das Eigebnis seiner scharfsinnigstsn
Anareofanoog ein falsches sein. —
2. Ein Kapitel zur Erziehnng auf den höheren Scholen
Von Oberlehrer Dr. Willibald Kiatt, StegUtz-Bedin
Im aUgemeinen soll die Schule kein Kampfplatz sein. Den Tages-
fragen entrückt, soll sie die gesicherten Elemente der Hauptwissenschaften
der Jupend übermitteln, und oft wird sie ihr mit Bewußtsein manches
▼orenthalten, was die »neuesten Forschungen« bringen, eben weil sie auf
der Vergangenheit, auf dem Historischen im weitesten Sinne des Wortes
fußt Aber die erweiterte Teilnahme unseres Volkes au deu Welthäudeln,
die IndostriaHsierang DeatsohlandSf die Forladiritte der Natorwissenachalten
und die Notwendigkeit ihrer Kenntnis fOr nniSblige Bemfsarten haben
BchoD längst daffir gesorgt, daB die hShere Schule immer mehr den An-
forderungen der Gegenwart gerecht zu werden suchen muA» nnd ihr Lehr-
plan ist heute übervollgepfropft mit allen möglichen Dingen, die die alte
Lateinschule nicht gekannt hat. Und wenn auch der Kampf um den ^^'ert
der verschiedenen Schulgattungen durch Einfühnmg der Gleichberechtigung
an Schärfe verloren und die Zahl der Mitkämj>fer aus der Laienwelt
wesentlich abgenommen hat, so ergibt sich doch die Notwendigkeit neuer
Kämpfe soboo ans der blofien Tatsache, dafi das Gebiet des Wissenswerten
sich liglieh enreitert nnd msn immer wieder yerlangsn wird, die höhere
Schale solle ihren ZOglingen einen Grad von »allgemeiner« Bildung ins
Leben mitgeben, die ihnen den Eintritt in jedes Fachstudium ermöglicht,
map auch fQr die Gelt>lirton das Ideal der allgemeinen Bildung längst ein
unem-eichltarcs Phantom gewoixlen sein. Trotzdem also der Lehrplan der
höheren Schule schon längst einem vollgepfropften Sacke ploiclit, m fordert
nian doch mit Kecht von verschiedenen Seiten, daß in ihm noch irgeud-
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334
Mittailungen
wie die Forderung einiger Belehningen üljor Hygiene eingefüg-t -werden
soll; auch ist das ein Gebiet, auf dem die Sehlde einmal in der ange-
nehmen Lage wäre, einen Sameo za streuen, der unmittelbar greifbare
Frflohte bei alleD tragen konnte, die ihn gutwillig aofbihmeD, ganz gleich,
ob es im Hbrigen begabte oder unbegabte Sohfller ivtien. Frälieh bliebe
dabei Tonauasittetzen, daß die »verboi^enen Miterzieherc , d. h. die un-
kcmtroUierbaren , aofierhalb der Schule auf die Jugend einwirkendem Ein»
flflsse nicht bereits eine unheilvolle Macht über sie gewonnen haben.
Aber gerade die Wahrscheinlichkeit, daß bei allen Schülern mehr oder
minder stark solche verborgenen Miterzieher am Werke sind, erschwert
hier die Aufgabe gewaltig, macht sie allerdings auch besonders reizvolL
Wie schwer und zugleich wie dankbar sie ist, kann man sich am besten
an der Alkoholfrage Uannachen, die wistieitig ein hoehemstea Stflck
der sonalen IVage ist, an deren LOsnng doch gende die ans der bfiherai
Schule hervorgehenden Männer hoffeoüioh einst die tflchtigaten, fracht-
barsten Kräfte liefern sollen.
Wie soll sich nun aber die höhere Schule zur Alkoholfrage stellen?
Was kann sie tun, um Keime zu legen, die den kommenden Geschlechtem
mehr und mehr zur Befreiung von der furchtbaren Sklaverei des Alkohols
verhelfen sollen?
Hit ein paar Standen Hygiene im NatudnmdennteRioht isf s aieher
nioht getan, wenn aaoh die Darstellnngen der gesunden Organe (Leber,
Herz, Niere) neben den durch AlkoholmiBbrauch entarteten, sowie einige
besonders erschreckende statistische Angaben gewiß ihre Torfibezgehende
Wirkung nicht verfehlen würden. Auch der Religionsunterricht wird nicht
immer die passende Gelegenheit bieten; wollte man sie an den Haaren
herbeiziehen, so wäre die Gefahr des »Salbadems« nicht ganz leicht zu
vermeiden, und mancher Schiller würde nur einen neuen Beweis zu haben
g^ben, daß der Religionslebrer eben »alles« für Sünde erklärt, auch das,
was der Vater und tausend andere, sonst ganz >gute€ Menschen duoh
ihr Beispiel als baimloa erweissiL Lnrneihm gibt die Beligionstande snoh
ungezwungen manchen Anlaß, die Älkohcdsfinde nnd ihre mensdienDnwtlrdigeB
Folgen zu betrachten.
Fruchtbar für unseren Zweck könnte auch der Geschichtslehrer wirken,
wenn er, selbstverständlich ohne in tisum delphini die Geschichte zu
fälschen, an einzelnen Persönlichkeiten und ganzen Ständen, z. B. im
kaiserlichen Rom, oder an den durch Alkoholismus vernichteten N^Uur*
Tfllknn die mheerende Macht des Alkohols su zeigen wflßte. Bei weitem
vielseitiger denke ich mir die Möglichkeit, das dentaohe Lesebnoli anf den
verschiedenen Ekssenstofen diesem Oedankeii dienstbar in maohen. Diesen
verbreitetsten I^esebücher enthaltoi so viele Dinge, für die das Interesse
mühsam erkämpft wonlen muß, warum sollte nicht auch hier und da ein
packendes Ivesestück eingefügt werden können, das ohne aufdringlichem
Moralisieren in einer der Altersstufe entsprechenden Form, d. h. unteu in
Gestalt einer einfachen Erzählung (etwa in Roseggers Art), weiter oben in
mehr wiBsenschaftlichem Cbwande die Folgen des Alkoholmißbrauchei
fOr Leib wid Seele^ Vamilienglück, Staatawohl recht eindringlich darzusteUeo
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2. Eia Kapitel zur Erziehung auf den boheien Sdnihni
335
vtUHie. Ein geBöhiokter Leluer bnmdite Mi gewlA «och nidit sn sdieiieD»
im YeilsBfe der BespreohoDg etwa too Uhlands »Glflck tod Edenhallc
oder von Heines »Belsazar« ein kraftig-ernstes Wort über jenes I^aster
anzubringen, ja, er würde hier auch im Sinne der Dichter handeln, da doch
in beiden Fällen erst die Trunkenheit den Frevlem die Zunge löst und
den Mut zur I^sterung gibt. Selbstverständlich — das kann nicht genug
betont -werden — müssen die Schüler immer den Eindruck liaben, daß es
dem Lehrer Ernst mit seinen Bemerkungen ist; wer sich also nicht zu-
tnnt, hier den richtigen Ton za treffen, der sollte es lieber ganz lassen.
Und das fOhrt midi auf einen zweiten Punkt, der sehr wiolitig ffir
die ganze Angelegenheit ist, — die Persönlichkeit des Lehrern. ist
gsviB nicht wünschenswert, daß man die Lehrer offiziell kontrolliert wie
sie persönlich in Theorie \md Praxis zur Alkoholfrage stehen. Es ist auch
gar nicht einmal nötig, daß ein Lehrer sich selbst durch Wort und Tat
den Schülern als ein Muster absoluter Enthaltiiamkeit hinstelle und sie zur
Nachahmung auffordere. Aber das ist selbvstvei-ständhch zu verlangen, daß
Theorie und Praxis sich nicht allzu stark widersprechen; denn wenn am
ibsnd nadi dem Xsiserdiner oder gar auf SchidausflCIgiMi hier nnd da
Schfllsr ihre Lehrer Tertranlieh-geringsohltzig grOAen oder siöh Ober Enrs-
Bchwankungen derer, die ihnen Führer sein WoUen, begründete Bemerkungen
erlauben dtürlen, dann ist noch nicht alle.<^ ganz, wie es sein soll.
"Wenn nun aber, wie gesagt, den Lehi-cm zwar nicht völlige Entlialt-
Bamkeit um des guten Beispiels willen, aber doch Vorbildlichkeit im Maß-
halten zugemutet werden darf, so wii-d immer noch die Frage zu lösen
sein, was die Schule tun soll, wenn ihr bei einzelneu Schülern eine ge-
wisse Freundschaft zum Alkohol bekannt ist Ganz machtlos sind wir
Bstfirlieh, wo wir sehen, wie Eltem ihre halbwfichsigen Kinder bis in die
tiefe Nadit in heifieD, dami^igen Kneipen neben sidi sttnn nnd ein Olas
nach dem andern trinken lassen, selbst wenn wir die Schlaffheit und Zer-
streutheit am nächsten Tage mit aller Bestimmtheit auf diese Torheiten
zurückführen können; und wenn Schüler gewöhnt sind, auf Spaziergängen
und zu Hause täglich mit ihren Eltern Bier zu trinken, so rauben wir
ihnen einen großen Teil des Vergnügens, wenn wir es ihnen auf Schul-
tosflügen yerbieteo, natürlich weniger durch die Eutziehung des (Genusses
als duoh das Yeibot selbBt Ter bieten wiid hier flberhaapt daa soUecfateste
IGttsl smn Erfolge sein, wenn AnfUBmng, freondliofae Wamnng nnd gutes
Beispiel keinen Segen stiften. Bis an einem gewissen Grade mflssen wir
also den Verhältnissen Reohnnng tragen, um so mehr, als ja bis jetzt nur
ganz vereinzelt einmal zu einem geringen Preise alkoholfreie Getränke zu
haben sind und wir auf Schulausflügen immer wieder von den Schülern
die Klage hören müssen, es sei keine Milch mehr zu haben, und die
Fruchtwässer seien zu teuer. Cbrigens braucht ja auch gar nicht immer
die Keigung zum Alkohol schuld zu sein, wenn ein paar Sohttler sidL
biim Biere rasammeofinden, sondern yieiieioht — nach gemeinsamem
Spaziergang — nur Dunt und Hftdi^eit, oder ein&oh das Bedürfois nach
Oeseiligkeit. Und da die Schüler unserer Oberklassen &st alle so alt
fiind wie riete Ungst der Schule entronnene junge Leute ihrer Bekannt^
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336 Mitteilungen
Schaft, so mu£ es ihDen unendlich hart erscheinen, daß sie sich in der
Öffentlichkeit noch nicht als Erwachsene bewegen dürfen. Freilich, eine
scharfe Grenzlinie wird die Schule immer ziehen müssen, denn außer
harmlosen Wirtshäusern gibt es noch Orte, die sich gerade bei den jungea
Hemn der »Lebeweltc grote Beliebtheit etbenea tmd toq denen irir
imaere Schüler unter allen Umstanden fernzuhalten wünachen mtaeo.
Ab&t sie ist auch sehr leicht zu ziehen : Geht mir an Orte, wo es an-
stSndig heigeht, und wo ihr euch vor den Augen euer Mtam und Lehnr
m<^t SU RohSmen braucht!
Ganz anders ist es jedoch zu beurteilen, wenn Schüler sich heimlich
zu Verbindungen nach studentischem Muster zusammentun, denn diese
haben, soweit die Erfahrung reicht, immer nur dem Zwecke gedient, ödeste
Kommeotreiterei und Wettrinkerei ku pflegen; in Berlin und anderen
grofien üniversiUttBalfldteD kommt gelegeafUofa anch noch der Tecsnch hin-
sn, mit Mütaen mnd BRndem nicht bloA im Sjieiplokal, aoodern nneh anf
der StraBe mid sonstwo vor ünkondigen za paradieren. Auch Über
studentisches Verbindungswesen denkt man heute glücklicherweiae
schon viel küUer uud ablehnender als früher, und zum Idealbild des
deutschen Studenten des 20. Jahrhunderts gehört zwar hoffentlich noch
lange frisches, flottes Wesen, aber die ganze Bierseligkeit mit ihrem
Stumpfsinn und ihrem merkwürdig äußerlichen, unter der Wirkung des
Alkohols beeondeis reizbaren EhigefOhl wird sich wohl bald flberiebt
haben. Und non sollten wir mit ansehen, wie unsere SdhfUer, die vir
am liebsten auch in ihrer künftigen Studienzeit vor diesen BierduseldeB
bewahren möchten, 1 — 2 mal wöchentlich nach solchen Kneipabenden schon
am frühen Morgen apathisch und schlaftrunken erscheinen, sollten die Pflege
dieses törichtsten aller Ideale, des Bierstudentenideals, nicht nach Kräften
unterbinden, sollten die Mitglieder solcher Verbindimgen nicht energisch
zur Ordnung rufen dürfen? Wieviel alberne Äußerungen gegen die rück-
ständigen Freiheitstöter, die Schulphilister usw. hat ein solches Vorkommna
noch jüngst in der Presse hervoigerofenl Der Humor der Qeaohichts war
freilich der, daß die Mehrzahl der EUem ihre Beetflrzung und EntiMug
über die Teilnahme ihrer Söhne an der Verbindtmg und ihren warmoa
Dank für die humane Beurteilung dieser Kinderei ausgesprochen haben.
Wo bliebe auch das so oft erstrebte Zusammengehen von Schule und Haus,
wenn das Haus es hier an Verständnis fehlen ließe? Dabei also sollte es
bloiben: Vereinigungen, die nur dem Bacchus dienen, kann die Schule nicht
dulden. Dagegen mag sie gestatten, daß einzelne, bestiiumi namhaft ge-
nuusbts^ anständige Lokale von Sohfllem der Oberldasssn bis zu einer gs-
wissen Stunde besucht werden. Im flbrigen aber weiden wir darauf nuiea
müssen, die künftigen Studenten auf jede mögliche Weise Aber die Schid-
lichkeit des Alkohols zu belehren. Dies kann gelegentlich auch praktifldi
geschehen, z. B. da, wo längere Schülerfahrten in den Ferien unter Leitung
von Lehrern üblich sind. Schweizer Studenten haben vor einiger Zeit
einmal auf einer Watiderfahrt die Wirkung de.s Alkohols experimentell
verfolgt: ein Teil lebte abstinent, der andere trank, und am nöoiisten Tage
wurde abgewechselt, während die MarschleiatungeD , Herztätigkeit nsw.
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3. «Die neue Sohnle«
337
genau registriert wurden. In yereinfechter Form würde diese Methode auch
den Sohulern einleuchten, wenn man sie einmal kneif)on ließe, ein ander-
mal ihnen die Gelegenheit zum Biertrinken den ganzen Tag über durch
Vermeidung der »Quellen*^ entzöge und dieses Ex]>eriment mehrfach
ikiederholte. Vielleicht würden sie von selbst heraueünden, was ihnen au
einem Tage milde Beine gegeben nnd ikt Inteiene fOr die Lmdscliaft
aligeetampft hat, irfthreod sie am niofaaten Tage »moht toCsoknegenc
waren, ünd ymaa auch die begleitBnden Lehrer mit gutem Beiapele Voran-
giogen und ihren jungen Wandergenosaen aeigteo, daS ea rar Erzeugong
von Stimmung und Gemütlichkeit durchaus nicht eines größeren Quantums
Alkohol bedarf und daß nicht Bruder Straubinger, ja auch nicht einmal
Viktor V. Scheffel die höchsten Muster des deutschen Wanderers sind, so
dürfte auch hiervon mehr zu erwarten sein als von einem strengen Para-
graphen in der Schulordnung.
lütt alao mit dem gedanhanloeen Hinnehmen der beetehenden Znatlnde
imd Inacbaonngmi, fort mit der TeriMrriidiang der deotaefaen Trinkfeetig-
kot! Biehten wir Elternabende mit freier Aussprache ein, und erörtern
wir gemeinsam diesen und andere Punkte der Hygiene des Schülerlebens!
Vermehren wir die Zahl der Turnfahrten und der Ausflüge zu natur-
wissenschaftlichen, geographischen oder ästhetischen Zwecken! Begünstigen
■»ir, wo die Nei^run^ dazu besteht, die Bildung von Zusammenkünften der
Schüler (in Schuii-äumeu), damit sie sich gegenseitig kleine wissenschaft-
Me^ mmdkaliache eder deUamatoiiaohe Vertilge halten oder mit TerteUteo
Böllen Sceoen ana guten Lost- nnd Tranerquelen einübenl Dann inrd
vieUeioht daa heianwaehaeode Qeaohleoht mit anderen, geefinderen Idealen
in die Studentenzeit hineintreten, als es heute notSi vielfach der Fall ia^
ohne daß dabei Jogendlust und fiOhliohkeit im geringaten Einbuße ra
leiden hrsuchen.
3. »Die neue Schule <
Bb Beitrag zur Geschichte der neuesten l'uturrichts- und Erziehungsmethoden in
Fi'atikreich
Von P. Thiry-Vemeuil
Die Anagestaltung des Schulwesens in Frankreich, im Gegensatz zu
den modernen Fordenmgen: »Fortschritt und Ausbildung des Individuums«,
die in England und Amerika bereits so glänzende Erfolge zu verzeichnen
haben, ist größtenteils noch heutzutage eine sehr veraltete und rückständige.
Was bei näherer Betrachtung unseres Unterrichts- und ISnrf^iuigssystema
am meinten anfBÜlt^ was geradezu befremdet, ist der geringe, dem körper-
lichen, geistigen und aittlichen EntwieUnngegange dea Kindee ragewieaene ^
AntdL
Sehen vor einigen Jahren gab sich in Fraukrcicli eine Widorstands-
b»e\vcgung gegen dieses alte Verfahren kund, und in fachmännischen Kreisen
war iiiciit seiteu die Äußenuig zu vernehmen: * Warum könnten wir uns
die englischen Erziehungs-, Untenicht.s- und Fortbildungsmcthoden nicht
ZflitKhriit (Or FhUoaophio aad Pldi^(ogil[. 12. Jahrgang.
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338
MitteiloDgen
aneignen, insofern sie xinserm nationalen Charakter, nnsern angeborenen
Freiheits- und Selbständigkeitsgefühlen nicht widersprechen? Wanim wären
wir nicht im Staude, uns jene wohleriin)bten Systeme anzueignen, die.
ohne den intellektuellen Entwicklungsprozeß des Kindes, des Knabeu
und des Jünglings zu beontiftchtigen, demselben eine allgemeine physische,
intellektueUe und moraliaohe Bildung anzueignen vermOgeo, die ihn, eben*
BQgut wie unter andern HimmelaBtrichen geeolneht, cum allein riohtigeB
Endziel der jugendlichen Tätigkeit, d. h. zum Kampf uma Daaein vor-
bereiten (qui le fasse bien armö ponr la vie)? —
Geleitet von dieser Gnmdidee, die heutzutage in Frankreich zur all-
gemeinen Losung geworden, und die noch folgendennaßen formuliert werden
kann : »laisser une i^art plus grande a l'initiativc de l enfant et le preparer
k la vie«, hat ein in pädagogischeu Ki'eisen vielbekannter und um die
Sache der Einbflrgerung der modemsteo engliaohen Ernehungsmethoden ia
VnxiSmick hocfavndienter Denker und Söhriftateller, Herr Edmond Demo-
Ii ds, vor etwa sechs Jahren ein Buch^) verÜEJt, daa ykü Aufsehen e^
regte, das einem früher etachienenen Werke*) gezollte Lob noch übertraf, ja
dem Verfasser einen geradezu riesigen Erfolg einbrachte. Ungeachtet des
heftigen Widerspruches, den er bei den Anhängern der alten Unterriclits-
und Erzieliungsmethodo, der sogenannten »metlKxle universitaire«, faul,
führte Herr Demolius mit unerschütterlichem Eifer und ungemeiner Be-
hairiiofakeit aeinen Kampf gegen das morsche, schablonenhafte Yocfdina
weiter, und vor einigen Jahren (im Oktober 1899) gelang ea ihm endüdi,
unteratfitst yon einer gr&fieien Anzahl von EunilienTilem, die Saofae Toa
der theoretischen Seite in eine praktische und realiatiache umzugestalten,
durch Gründung einer unweit von Paris, dem Brennpunkte des geistigen
Lebens in Frankreich gelegenen Schule, die den Namen »Eoole üouTdlec
oder >Ecolo des Koches« erhielt
Es mag nun vielleicht auch für deutsche Leserkreise von einigon
Literesse sein, diese Schulorganisation näher kennen zu lernen; darom
mochten wir in kunen ümriaaen jenea hOohat xntereaaante SMahoagB-
experiment^ duroh Schilderung «inea dem adhSiien Sehulheime »lea Botkm
abgeatatteten Beauchee, dem gaoeigten Leaer genaner Uadegen.^
•
In der Nähe von Vemeuil, einem in der Normandie gelegenen Städt-
chen, vnmle die Schule errichtet Die Absicht bei der Wahl dieser
Gegend war eine zwiefache: ea aoilte ein Landerziehungsbeim gegründet
Rdmond Demolins, L'Ednoation Nouveile. L'Eoole des Bochm. Pkrii»
Firmin-Didot.
') Edmond Demolins, >A quoi tient la supöhohte des Anglo-SaxöOä?c
Paria, Hmün-Didot
^ Im Laub des Jahna haft Herr Bt Leroux, in einer lllr Kinder be-
stimmten volkstümlichen Zeitaohrift »le Jomnal de la Jeonesse«, eme f^ibe Skizzen
über die »Ecole des Rochesc erscheinen, unter dem Titel: »Une visite ä TEcole des
Soohesc. Diesen Aofs&tzen verdanken wir den größten Teil dee Stoffes zu onseier
Arbeit
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3. «Die neue Sohulec
339
werden, das ziemlkdi weit von Paris (etwa 2^/^ Stunden) gelegen sei, um
den Nachteilen vorzubeugen, welche die Nähe einer Großstadt mit sich
bringt, und umgekehrt eine Stätte gewählt werden, die den Eltern, hin-
sichtlich der Besuche ihrer Kinder, schoelle und leichte Verkehrsmittel er-
möglichen könnte. Die Landschaft ist reizend und naturfrisch und bietet
ia ihrem Charakter ein abwechselndes Bild beider Regionen »Beauce und
KormaDdie«: Getreideföhler mit WleBeo, swd Fiafiohea, kvn und Iton;
hier üppige FiehtenwOlder, dort lange Aplelbttiimereihen: aUee dies verleiht
der Landschaft ein eigenartiges, malerisches Gepräge. In jener weiten^
Tom Seewind gefegten, und dadurch in hygienischer Hinsicht höchst ge-
sunden Ebene, 3 km weit vom StAdtoheo, erstreckt sich das ca. 50 ha>
zählende Gut >les Koches«.
Was dem Reisenden am meisten auffällt, bei flüchtiger Besichtigimg
dieses Gutes, ist die vollständige Abwesenheit jedweder UmsAunung. Die
Hecken, welche die lange und breite Nationalstiaße Ton »Paris nach Gran-
TÜle« abgrensen, bUden keineBwegs eine fortwlhrende, nnimtsrbioobene Ein-
friedigung: kein Eintaittstor, kein Portal, kein Gehege zeigt dem Ein-
tretenden, daß er in ein den ZOglingen (den sogenannten »gar^ons«, nach
dem Englischen »boys«) reserviertes Eigentum eindringt Hier nämlich^
ganz wie in England, herrscht überall das Regiment der unumschränkten
Freiheit, ohne jegliche Schranke, außer derjenigen der Verantwortlichkeit,
die der Schüler gegenOer dem Lehrer und gegenüber seinem Gewissen
f füllen solL An Wochentagen ist die Straße leer; keiner der 150 Knaben^
die odi mitten in der nahen Ebene hemmtammeln, wagt sich auf diesen.
Weg; an Sonn- und Festtagen hingegen, bietet das muntere Hin- und Her-
fahren der Jangen im Tomehmen, praktischen Radfahrerkostflm (der Schul-
uniform) ein ganz eigentümliches Bild dar; einige gehen zu Fuß, die
meisten fahren mit dem Rad (kaum eine Schule in Frankreich zählt so
viele Faiuräder!), um in dem nalieliegenden Yerneuil ihre Eltern abzu-
holen oder irgendwelche Einkäufe zu besorgen; sämtliche Knaben haben
ein sehr korrektes Äußere, grüßen freundlich im Vorbeigehen oder -fahren^
und alles dies gesddefat ohne iigendwslehe merkenswerte Au&ioht eines
Lehrers.
Bsohts, am Beginne eines Weges, der zwischen einer Hedkenreihe'
dahinführt, tritt man in das eigentliche Gut »lee Roches« ; der grOAte Teil
der Schul baulichkeiten läßt sich bald mit einem Blicke übersehen. An
einem Abhänge des Plateaus erhebt sich ein räumiges Gebäude mit zwei
TOrmchen in orientalischem Stil: es ist das sogenannte »bätiment des
classes« (the coUege), der Mittelpunkt des geistigen Lebens der Schule,,
der Ort des Zusammenlebens der Schüler, die sich hier alle einfinden, um
gemeinsnhsfüicih mit ihren Lehrern m arbeiten, lu singen oder sn beiea
(dem im Gebinde ist eine kleine KapeUe angebracht mäen). Bingsfaerum,
in eii^ Entfernung von ungefähr 100 m bezw. 1 km befinden sich
die verschiedenen Häuser (les maisoDs): links, mitten im Park des alten
Schlosses »les Roches«, das Haus >le Yallon«; rechts »le Cotean« und
*les Sablons« ; hinter letzteren > les Pins«, ein am Rand eines Fichtenhaines
liegender eleganter Pavillon; weiter nördlich, längs der Bahnlinie »Paris-
22*
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lüttaifautgeii
OianviUe«, mitten in einem Wäldchen geborgOD, »la Guichadidre«, ein Lind-
gat des Gründers und Oberleiters der Schule, H. E. Demo lins.
Jede dieser l&ndlichen Baulichkeiten bildet sozusagen ein selbständiges
Ganzes, einen vollständigen Organismus mit eigener Einrichtung und Ver-
waltung, Trotz seiner Abhängigkeit vom allgemeinen »reglement de
l'öcole«, besitzt ein jedes von diesen Häusern «eine Eigentümlichkeiten, seine
Traditioueu, seioen Korpsgeist. Der Vergleich mit unsem alten Intemata-
IwbMn, die ilixe ZOgiinge (alumni) ins I^yoeom sohjohen, wSre, mdiwr
^IVeii, hier wohl nioht nitreffend, denn hier za Hmue ist das Peoaonit
an einem angenehmen Heime geworden, wo die Knaben eelten die Zthl
35 oder 30 überschreiten (was zur Folge hat, daA der >m)gesunden< Za*
sammenpferchung der Kinder und Knaben, wie es die fiegel ist, mit Er-
lolg vorgebeugt wird).
In jedem dieser »Häuser« hat der Direktor oder Leiter die Rolle
eines selbständigen Verwalters inne, mit Hilfe seiner Gattin. Seine Pflicht
besteht nämlich darin, angesichts der ihm von den Eltern anvertraiitea
Kinder die Stelle eines Seelsorgers und Pflegevaters zu versehen. Zwar
ist diese Aufgabe eine schwere, verantwortungsvolle, und fordert, seiteoB
des Ebepeaies, eine unanfhOiliohe Anfopferong; denn sa jeder Stmide
mflseen »ohef und maitresse de maison« den »gar<7X)nsc zur VezfOgm^
stehen; aber auch grofie Befriedigung kann die iBtigkeit des Leiters und
seuier Frau gewähren : man bedenke dabei nur der ausgeübten wohltuenden
Einflüsse, der erzielten Fortscliritte und guten Wirkungen auf Körper,
Geist und Seele des Knaben! Die Aufgabe, fürwahr, ist eine anziehende,
eine für jeden der sich diesem Beruf gewachsen fühlt, fesselnde; die
Arbdt, unter solchen Umständen, ist ein ideales Werk förmlicher Entaagnng,
bei weldier der Bireiklor Öfters, den »boysc za Inebei snf sein msterisDei
Wohl, md die ihm nsheBegenden Eunilienfisudeo veniohten soll und ver»
nohten mußl
In jedem Haus, wo zwei bis diei sogeosmite »professeurs assistantsc
dem Leiter zur Seite und Verfügung stehen, wohnen, wie bereits angedeutet,
25 bis 30 Schüler, die ohne iVlters-, Standes- und Bekenntnisunterschied
ein friedliches Zusammenleben fülircn. Die ältesten und besten, seit
mehreren Jahren geprüften und von den verschiedenen iiausleitern er-
wählten Schüler spielen im Hause die Rolle und bekleiden die Würde
eines »capitaine« (Näheres darüber weiter unten).
In geseiliger, froher, trauter Gemeinschaft mit des Hausleiters Famihe,
leben 8(Mler ond Lehrer mmter, efCeii vsA frei dm Momto huog xa-
sammen. Die Mshlxeitsn werden an swei oder drei Tafeln (den sogenannten
englischen, deutschen und fraasOeisohen Tafeln) eingenommen. Als Schlaf-
säle dienen helle, luftige Bäume, die selten mil mehr als 10 besw. 12
Schülern belegt sind. Die Aufsicht über Schlaf- sowie Studierzimmer liegt
dem »capitaine« ob, im Gegensatz zu der Einrichtung in den »lyceos« und
»collt-gcs«, wo noch immer die öfters mit Becht verschrieenen und be-
rüchtigten »pions«^ das üegimeut führen.
Da nmi die Einfflhmng der Capitains-Charge eine ganz spezielle, neoe,
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3. »Di« neue Sohule«
341
in Frankraich nooh nie clagewenoiio ist, bo irlien Tielleicilit einige nlhefe
Bemerkungen vonnOten.
Die Einrichtung ist eine englische, den berühmten »College wie
Eton. Betlales und Abbotsholme entnommene; sie beruht auf folgendem, in
Anwendung gebrachten Prinzip. Einige ausgewählte, auf ihren physischen,
inteUektuelleii Eigenadurften und sittlichem Wandel l&ogst streng geprOfte
SohlUer, die beraitB mf ihn Söhnlkamenden einen gewiaeen momliadieii
BnflnA amsQflben Tennfigm, kon und gut, kemgeminde, stzebaune und
diarakterfeete Schüler sind ohne jeden Zweifel im stände, vermOge eines
eigenartigen »stillen« Konti-akts, eine Art Suggestion, eine Macht auszuüben^
die ihnen ermöglicht, im Falle der Abwesenheit oder Krankheit des Leiters
oder Professors dessen Stelle zu vertreten. Ihr Wirkimgskreis kann ein
vielseitiger sein, und sich, für die ältesten (die »capitaines genßraux«) nicht
nur auf die innere Hausverwaltung, sondern auch auf die ganze Schul-
oiguuaition eratredken. Sei ee wihrend der^reettmea«, der Sportsübungeo,
dei Aasflüge, sei es im SpoBe-, Stadier- oder Sehleftwel: fiberall kann ein
»tttflhtigei« Capitame mit Erfolg wirken.
Zwar stoßt man, bei nur fiachtigem Etnblidi in diese Eiorichtong,
auf etwas Seltsames, Befremdendes. »Alles das, sagen die Gegner der
Methode, widerspricht gänzlich der alten, herkömmlichen, mütterlichen
französischen Erziehungsweise, »anscheinlich« auch den bereits angedeuteten
demokratischen, freiheitlichen, gleichheitsdurchdrungenen Prinzipien, die bei
1108 seit so langen Jahien die aonalen VerhSltnisee behenschea« — Zwar
bedingt die Idee, imd am so mehr der Titel eines »capitainsc eine Überiegen-
hflit, eine YonugssteUe Iflr denjenigen, irelcfaer derkl Amt nnd Wltode
bekleidet: Der Titel räumt dem Tßtularen eine gewisse aristokratische-
Stellung ein, die derjenigen eines gewöhnlichen Schulknabon nicht gleicht,
nicht entspricht — Die Frage ist aber, unserer Ansicht nach, folgende:
Soll es ein Nachteil sein, daß die geistig- und sittlichül>orl« g. nt ii Knaben
ihren Schulfreunden mit liat und Tat beistehen, ihnen behilflich seien,
falls jene den guten Weg veilassen, und auf Irrwege gehen, oder den
richtigen Weg einsasohlagen lOgem? — Die Antwort wird gewiß eine
Tsneinende sein. Übrigens, »in fMto«, nach fOnQBhrigen El^ierimenteD-
ist man in der Schule »las Roches« zu fdgendem Resultat gekommen r
Des Capitains Eingreifen in eines Schfilers Handeln ist von allen
Zöglingen grundsätzlich gebilligt worden (und doch sind ungefähr 80 '^/q
derselben Franzosen!), ja, man darf sogar behaupten, daß eine vom
Capitaine getroffene Maßregel (guter Rat, Rüge, selbst Strafe usw.)
in der R^el ohne jede Einwendung (geschweige denn Dag^nsträuben)
angenommen wird; aus eigener persOnficiier dreijähriger Erhhrong darf
Verbsaer dieser Zeilen behaupten, daB der gemaAiegelta ZOgling daa Ein-
greifen eines Alteren Kamemden in sein Oebahren besser duldet, eich
weniger sträubt, wie wenn letzteres von selten eines Lehrers käme. AfK^
wurde beol>achtet daß die Knaben don Capitaine sehr gern um Rat fragen,
und umgekehrt daß jene sich gerne um das materielle, geistige imd sitt-
liche Wohl des Mitschülers kümmern. Auch darf die dem Capitaine auf-
erl^te Rolle nicht mit der eines gewöhnlichen Aufsehers (surveillant) Ter-
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342
Ifitteilungea
wechselt werden; die Auffassung ist eine davon ganz verschiedene, viel
idealere. Der Capitaiue ist vor allem ein Ratgeber, ein Führer; falls er
«inschreiten muß, so geschieht das nicht durch großes Schelten und Toben,
soDdern durch ein paar rahige Worte, durch eine gesetste und zagleiG]i
kameradüdie AnftnuDterang zur Arbdt oder zur Besaemiig: dank der
Altersgleichheit, der Ebenbflrtigkeit, der Lebensgemeinscliaft wird ihm dieee
Aufgabe leicht gom.K lit, dank auch des fortwährenden Kontaktes mit Letler
lind Lehrer. Falls clor Schüler schlecht goliandelt, so ist es dem Capitaine
nicht schwer, ihm einen Verweis zu gcl>cn, der nicht soviel Demütigende
mit sich bringt, als seitens eines Direktors oder Professors. Vielmelu-, die
O^^enwart des Capitaines im Hause ist für beide letztere ein sicherer
Stutzpunkt, denn, falls jener bevorzugte Schüler eine offene Natur beaitit,
falls er MmUtiig^ spricht und handelt, kaiz, Irils er das Herz am riohtlgen
Fledk hat, so ist es ihm asAa leicht, ohne sich den Anaohffl'n eines Auf-
sehers au geben, den Direktor oder Frofessor zu unterstfltaen, vermitteb
Andeutungen, Bemerkimgen, zuweilen sogar Vorschläge.
Wns wird aber geschehen, wenn der Capitaine selbst sich ir^sn'l
eines leichten oder schweren Vergehens schuldig gemacht (was natürlicli
bei 14 — 18 jährigen Knaben auch manchmal vorkommen kann). In diesem
Falle stehen dem >chef de maison« zwei Maßregeln zur YerfOgung: Kas-
sierung, im Falle eines sohwerea Vergehens; Suspensierang anf beliebige
Daner, im Falle eines leichten Vergehens. Ofteis beugt der Capitaine
«elbst der Strafe vor, indem er die Schuld anerkennt und sein Amt in
die Hände des Direktors niederlegt, oder sioh bereitwillig irgendwelche
•Strafe unterwirft. —
Vielleicht hätte diese Abschweifung das Thema zu einem eiger.oa
Aufsatze liefern kennen, so wichtig ist die Frage. Für diesmal sei nur
angedeutet, daß >la question des capitaines« auf das weitere Gedeihen d^
Schule, auf die noch zu erzielenden Erfolge dar »6duoation nourellec m
stark bereits wirkt und wdter nooh wirken wird, daft die »UmTersitt«
dies Verfahren mit regem Interesse verfolgt (die Schule steht, wie alle
»Ötablisst monts libres« unter staatlicher Au&icht); übrigens sind in vier
oder fünf Anstalten dergleichen Experimente fortgeführt worden seitens
ehemaliger Leiter oder Professoren der Schule und weisen selbe gute £r-
lolge auf.^)
*
Prtlfen wir nun die eigeuartige (rcsamtschulorganisation in Hinsicht
auf ihre materielle Einrichtung, nehmen wir z. B. eines der wichtigsten
»Hftnserc (mit ca. 4 Lehrern und 30 SchtUem) als Typus, so merken wir
*) Die Schale des Boches« hat den äUersssten AnatoB zu ihnliohea AnaHllBa
gegeben, und nohon sind, im Laufe der f&nf leisten Jahre 4 solohe Tjadewiehaag»'
heimo gegründet worden: ao z. B. das »College de Normandie«, tmweit Konen;
»1 Ecxjle de rile-de-Franoe«, im Departement Oise; »l'Ecole du Sud-Este, im Departe-
ment Rhone; »rR^ole de l'Esterel«, nahe bei Cannes;. Alle erfreuen sich eines
blühenden Gedeihens, und sind meistens von ehemaligen ächulkraftea der >£oo1a
des Boohaat geleitet oder nntenüttst
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3. »Die neue Schule«
343
folgendes: Gleich beim Eintritt in das nach dem Englischen »hall« be-
zeichnete Vorzimmer, unrd mau durch die überall herrschende Bequem-
lichkeit, durch das -comfortable« angeiiohm überrascht. Das Mittagessen
ist zu Ende, und durch die großen Glastüren betrachten wir ein Speise-
zimmer» das uns mit seinen hoben, hellen Fenstern, in ein »milieu« ver-
setzt, das an das engUaohe »home« erinnert Anf allen Tischen stehen
BlameoTasen; die Tischdecken sind sehneeweiA: Geschirr, Bestecke, alles
gibt den Eindruck eines tadellosen Hauswesens. Die Schüler strOmen aus
der »Salle a manger« (den in >lyc^s« und »ooU^s« üblichen Ausdruck
»r^fectoire« kennt liier niemand) lärmend heraus. Zum Stil]s(;hweip:en im
Sp>eisesaal ist niemand gezwungen; auch ist die herkömmliche klötiterliche
Einrichtung der »lecture au n'feetoiref entschieden abgeschafft worden.
Die Kinder tummeln sich im »hall« herum in buntem Durcheinander mit
lehiem, Lehfarinnen und Haosleiterin; eine jede der letzteren sfädt die
Bolle einer Matter nnd sorgt unter dem Regiment der »maitreese de maison«
fOr das materielle Wohl der ZOgünge (sie besorgt die WAsche, fdhrt Anfaioht
Uber Schlaf-, Speise-, Ankleide- und Badozimmer u. d. m.). Es sei bei
dieser Gelegenheit noch bemerkt, daß in allen »Hausem« englisch- und
deiitschsprochondo Ivchrknlfte vorhanden sind, und daß die meisten Unter-
haltungen englisch o^ier deutsch geführt weiden.
Aus dem Speisezimmer treten wir in das Empfangszimmer des »chef
de maison«, wo alles praktisch und einfach möbliert ist, dann in den
»Salles d*6t]ide«, wo etwa 25 Schiller (die Capitaines wohnen in nahe-
liegenden, eleganten, von ihnen selbst mOUierten nnd tapezierten Zimmern)
an hölzernen Palten sitzen; es wird unter der ausschließlichen Aufsicht
des Capitaines gearbeitet; nur selten mischt sich der Lehrer in die Arbeit
des Schülers ein; falls letzterer einer näheren Erklärung über einen wich-
tif^en Tunkt seiner Arbeit bedarf, so steht ihm der lychrer in .«leinem
Ziramer zur Verfüguntr; tjowuhnlich werden die Lelirer in die vorschie-
deaea Häuser derart einlogiert, daß jeder Schüler in allen i'öchern prompt©
und meliefe Auskunft eihaäen kann; ein sehr gutes Uttel, das Zeitersparnis
snr Folge hat — Im erstsn Stockwerk befinden sich 2 oder S Schlaf-
ihnmer, geiftumig, hell und luftig, mit Warmwasserheizung; neben jedem
Schlafraum ein Lehrerzimmer. Falls sich während der Nacht ein Schüler
"onwohl fühlt, so wendet er sich an den Lehrer; auch hat jode Hausleitorin
eine kleine Hilfsapotheke; bei schwereren Krankheitsfällen nimmt ein un-
weit des »Haus Valien«, in einem eleganten cottage» wohnender ^infir-
mier« (Krankenwärter) mit seiner Frau die Pflege; jeden Tag, um halb
zwei, kommt der Arzt des naheliegenden Verneuil mit dem Automobil ge-
fahren, nnd behandelt die im Eiankenhanse befindlichen Knaben. — Im
Sohlafadmmer besitzt jeder SchtOer einen Wssohtisch mit mehreren Sdinb-
laden und I1k;hem; das Bettgestell ist aus Eisen, das Bett selbst einfadl
und ohne Federdecke; unten ein kleiner Fußteppich; über dem Bett hängen
die Lichtbilder der Eltern und Angehörigen; jedem Schüler stoht die Wahl
der Bilder frei; einige, die eine besondere Vorliebe für Iiadfalu*en und
Automobilsport besitzen, klcl)cn große Plakate an die Wand; andere, die
für Kunstsachen Interesse liabeu, errichten sich eine Ansichtspostkarten-
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344
MitteiluDgen
galerie; alles das gibt der sonst so nfichtern aussehenden ScklafsUtte ein
frisches, originelles Gepräge. Über dem Schlafziinnior liegt gewöhnlieh
das Badezimmer mit den Wäscheräumen, wo jeder Junge seinen sftezielleü
Wandadnink mit Kleidern und Schuhen besitzt (Forts, folgt.)
4* De oonpionklijke »Ventjes«^) der AntwwpMbe
Bohoolkinderen
Unter diesem Titel TerBffentlioht der Leiter des » padologisoliMi
Labmatoriume der Stadt Antwerpen in dem eben emohieaen 6. iBhibadh
aufierordentlioh soTgwme nnd omfueeDde experimentelle üntennchiiiiign
Ober das kindliche Zeichnen. Er kommt zu bedeotsamen BesuItateOt die
zweifelsohne das Interesse weiterer Kreise verdienen. — Ich mfidits io
aller Kürze seine Methode und seine Ergebnisse hier darstellen.
1. Methode. Ende Februar und Anfang März 1901 besuchte Schuvteo
eine Anzahl Schulen und Klassen, um insgesamt 40 Serien von jö
100 ZeichiiuDgen meuschlicher Figuren nach freier Erfindung verfertigen za
lassen. Es handelte sich nm Kinder (Knaben und lüdohen) im Aller tob
8— IS Jahren. Jedes Kind bekam ein rechteckiges StOck Zeiobenpspier,
^laßstab 16 X 10,6 und nun muBten sie vGllig nach freier Wahl eia»
Zeichnung entwerfen. Die Untersuchungen fanden meist YormittagSi n*
weilen auch Nachmittags statt im Lauf von 2 Wochen.
Die gewonnenen Zeichnungen wurden zunächst einer qualitativen
Analyse unterworfen. Aufgal»o (iorselhen ist ein dopjM3ltes: 1. zu unter-
suchen, üb alle Glieder des meosclilichen Leibes tatsächlich daigeöiellt
waren und 2. ob anch die richtigen Lageverbfiltnisse uid Anfaeftungs-
punkte beachtet worden waren. Der qualitstiTen Analyse iolgts die
quantitative: die Zeichnungen wurden bis in ihre kleinsten Beeonde^
heiten gemessen. Das geschah mittels einer besonderen MeB Vorrichtung.
Bei allen diesen Messungen bestand die Hanptabsicht darin, Größe und
Breite der dargestellten Figuren zu bestimmen im Verhältnis zu ihren
Unterabteilungen, dann ferner den millinietrische Proportionen zwischen den
eiuzeineu Körperteilen unter sich nachzugeheu.
Der dritte Teil erörtert auf Grund dioöei' Messungen die EntwioklimK
des Schönheitssinnes. Er behandelt: 1. Das YerhSUma too Kopf n
Gestalt Terglicben mit dem idealen Yerhftltnis, das die meisten Sohfla»
heitskanoos annehmen (1 : 8). 2. Das Verhältnis der versdiiedencD Kopf*
teile untereinander (Kinn : Nasenbasis, Nasenbasis : Nasenwurzel , Nasen-
wurzel: Beginu des Haarwuchses) und vergleicht sie mit der Typenziffer
0,333 (1:3). 3. Das Verhältnis zwischen der Länge der Arme und der
ganzen Gestalt; Vergleichsziffer 0,375 (3:8). 4. Das VerhiUtnis zwischen
Fuß und Gestalt : 0,lüG (1 : 1). 5. Verhältnis zwischeu Hand und FuÄ:
Vergleiohazifier 0,666 (2 : 3). 6. Yerhiltnis swisöhai HNid und Angesicht:
*) lieblingsfigur.
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4. De oonpionkUike »VenQee« dar Antverpeche sohooUdndexea 945
Veigleichsziffer 1 (1 : 1). Die übrigen Koqierteile sa nifloseii erwies sich
als unmOgliolL Die Wertung der Ergebnisse geschah nun so, daß die-
jenigen Zeichnungen als die wertvolleren und zugleich als Zeugnisse ent-
wickelteren Schönheitssinnes angesehen •wurden, die den von den Künstlern
angenommenen Proportionen am nächsten kommen. — Der 4. Teil zeichnet
verschiedene Typen, der 5. vergleicht mit Untersuchungen an den SchOleni
der Antweipeiier Anstalt fOr BcbwaohbeOlugte Kinder, der 6. Teil zieht
•Ugemeine ErgeboiBBe und ScUflsBe.
VerenchsergebniBBe: Sie finden sich in einer großen Zahl na*
gemein mühsame Arbeit verratenden Tabellen. loh beschade mich, die
Hauptcrtrohnis-e kurz herzustellen.
I. Anfantrs wurden Vorderansichten des Konfes gezeichnet, dann kamen
»gemengde koppen-^ an die Reihe, d. h. solche in Profil und Vorderan-
sicht zu gleicher Zeit, endlich Profiltypen allein. Diese di-ei Formen, die
auf den folgenden Altersstufen sich mehifKh kveuieii, sind trotadem ganz
deutlich voneunnder zu sondera nnd es ist keineswegs gewagt, zn be-
iHrapteD, daS sie drei EntwieUnngspsiioden bedeuten: eine erste, da die
betreffenden Kinder alles zeichnerisch darstellen, was ihnen geffillt und
doch ihre Eigenart in der Darstellung insofern bekunden, daß sie nicht
alles darstellen, was die Wirklichkeit bietet, mit ihr sorglich über-
einstimmt, sondern was »ihnen besonders zusagt'-. Eine zweite Gruppe
ist die, in der die Kinder Nase und Mund in Profil zwar haben kennen
lernen, die aber doch bei dem Zeichnen die gewohnte Sonderansicht schwer
terlassen kann — und die beiden DsrsteUongsweisen oft auf sehr ge-
wandte Weise zu vereinigen trachtet. ISne dritte und letzte Gruppe ist
dadurch charakterisiert, daß sie nahezu ausschließlich von dem Profil
Gebrauch macht. Die Ifftdcfaen bleiben durchweg länger in der 1. und
2. PericKle stecken und errsichsn sooh in der dritten niefat die Ent-
wicklungshöhe der Knaben.
n. Die quantitativen Messuntren lehrtn zunächst, daß die Maße
des Leibes und seiner Glieder mit sioigeuUeui Alter auch in den Kiuder-
seidmuDgeo wachsen. AufbUend ist eine bedeutsame Abweichung von
dieser Begel: zwischen dem 6. und 7. Lebensjahr finden wir einen starken
KurTenrflckschritt, dem dann eme weitere Steigerung folgt Dieser
BOokschritt ftilt zusammen mit dem Aufenthalt iu der Schule während
der ersten ftlnf Monate. Schuyten hält dieses Ergebnis ernsten Nachdenk^'ns
wert gegenüber der durch seine Untersuchungen bekannten Veränderlichkeit
der physischen Entwicklung — allem Anscheine nach eine Wirkung der
Schule.
Die Zeichnungen der Knaben waren im allgemeinen länger, die-
jenigen der Madchen breiter.
Wnr dtfarüBn annehmen, dafi die Kinder denjenigen Leibesgliedem die
größere Bedeutung beilegen, die sie im Bilde entsprechend am grr^ßten
gezeichnet haben, und kOnnen dann feigende Ordnung in absteigender Linie
herstellen :
L&nge: Knaben: Beine, Rumpf, Arme, Kopf, Füße, Hände.
M&dchen: Beine, Arme, liiunpf, Kopf, Füße, U&ade.
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346
llitteflnngen
Breite: Knaben: Kopf, Rumpf, Hände, Beine, Füße, Arme.
Mädchen: Kopf, Eumpf, Hände, FOße, Beine, Arme.
In aoatomiacher Wertung sieht die Folge so ans:
Lange: Beine, Arme, Romp^ FQfie, Eopf, HBnde»
Breite: Rumpf, Kopf, Beine, Hände, Arme, Füße.
Man sieht also» daß unsere KJeinen im allgemeinen öne aflmliok
richtige Darstellung von dem Bau unsere« Leibes haben.
ni. Die Künstler haben sich von jeher eine Idealgestalt des mensch-
lichen Leibes geformt und in bestimmten Proportionalzalüen das Verhältnis
der einzelnen Teile desselben angegeben. Diese Verhältniszahlen habe ich
eben sdion angegeben. Die ffindeneiefammgen offenbarten nun, daß das
Verbaltnis von Kopf : Oestalt ss l : 8 von den Knaben mehr annibemd
eneidht wnrde als von den Mädohen; die letzteren zeichneten durchweg
größere Kopfe und kleinere Gestalt. Ebenso näherten sich die Knaben bei
der Darstellung der Nase dem Verhältnis 0,333 mehr als die Mädchen,
Das Verhältnis : Gestalt = 3:8 ward übereinstimmend bei beiden Ge-
schlechtern nahezu erreicht, wenngleich die Mädchen oft kleinere Arme
zeichnen als die Knaben. Bezüglich Fuß: Gestalt ist zu bemerken, dafi
die Knaben näher an das Verhältnis 0,166 herankamen als die Ifidohen,
"«tttaend aie bei dem Verhiltnia Hand : Fofi beinahe um ZehnüM^ mehr
▼on der Zahl 0,666 abweichen als die Knaben. Die Midohen zeiflhoen
größere Hände und Gesichter, aber das Verh<nia Hand : Angesicht = 1
zeigt Übereinstimmende Beachtung. — Veifolgt man diese Angelegenheit auf
den verschiedenen Altersstufen, dann gewahrt man, daß im 6. Lebensjahre
die Abweichung von dem theoretischen Quotienten am größten war, woraus
Schnyten schließt^ daß auch die Entwicklung des Schonheitsgefühls einem
störenden Einfluß unterworfen ist von dem Augenblick an, da das Kiud
seinen eisten Gang in die Schule macht — Im allgemelneii lelgen die
aufeinander folgenden Alterastnfen eine allmählich steigende Annähenmg la
die ideale Fh>portioo.
IV. Schuyten hebt jetzt einige typische Momente heraus, die ein
sorgsamer Vergleich der Zeichnungen an die Hand gab: der Kopf ist im
allgemeinen oval gezeichnet, kann aber alle möglichen Formen haben. Die
Augen präsentieren sich als »krabbeis«. Striche oder Punkte, die entweder
allein stehen oder umgeben sind von halben oder ganzen Kreisen, schwane
Bälle, mit oder ohne Brauen. Die Nasen sind bei den Yorderaoeichtea
senkrechte oder wageieehte Striche, Kraozeb Dreiecke, Bechteoke, Kreise Q.ai
Bei den piofil geieichnelen KOpfen sind sie kreisfOnnige Anhängsel m
verschiedener Größe, horizontal ausgestreckt oder herabhängend, nicht selten
in eine scharfe Spitze auslaufend. Der Mund ist bei Vorderansicht dar-
gestellt in 2 oder mehreren horizontalen Strichen, als rund oder Rechleck,
in dem senkrechte Striche die Zähne andeuten ; die wunderlichsten Formen
beobachtet man bei den Profilköpfen und den Mischformen. Die Ohren
sind liakeülörmig, mitimter auch rund und mit einem Funkt in der Mitte
daigeetellt, ihre Fonn variierte nnr iranig. Der Rumpf wurde daigesleUt
sls fiediteck, bsllfOnnig, dreieokig, oval, Brost nnd Baooh iratden wM
getrennt, oft beobachtet man sonderbare Yersohmelzongen von Leib nnd
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5. Fädagogischer Koogrefi in Athen
347
Beinen. Die Qliedmaßen bestehen zuerst aus einfachen, später aus doppelten
Linien und sind anfanglich nicht, doch später gegliedert; eigentümlich sind
oft Kniee und Elienbop^en angebracht worden. Die FQße sind dargestellt
in einzelnen Linien als Verlängeriuig des Beins, mitunter auch i-echtwinklich
umgebogen, Dreiecke, Vierecke, Bälle, unregelmäßige Figuren. Wohlge-
fonnte Fttfie finden eioli in spMeren Jahien an den doppelUnigen Beben.
Die Zellen Bitzen in Terschiedensten Richtungen. Bei den Händen befindet
sich das Sind in der größten Verlegenheit Sie werden Tielfdoh ganz fort-
gelassen. Die jQngsten wie die ältesten Kinder fühlen am wenigsten sioh
verpfhchtet, die ILlude mit der richtigen Anzahl Finger zu versehen, die
enteren zeichnen zumeist z\i wenicr, die letzteren zu viele.
V. Von vornherein beal»sichtigte Schuyten Zeichnungen schwach-
befähigter Schüler mit denen der normalen zu vergleichen. Das Ergebnis
ist folgendes: Vom qualitativen Gesichtspunkte aus waren hQben und
drtlben bei dem Zeichnen der lieblingsfigur wenig Unteraohiede zu spüren.
Quantitativ zeichneten die normalen Knaben ftberali grOfier und breiter
als die k orrespondierten schwachen. Merkwürdigerweise näherten sie sidl
aber den Kimstproportionen mehr als die normalen Schüler, schienen also
bezüglich der Kunstentwicklung höher zu stehen als diese.
Kiel Marx Lobsien
5. Pädagogischer Kongress in Athen
1. TIqiöxw tKkrivutov lunatötvxixc» ^i n\)Qioy . . . IgyMUtu SitV^
dvi^nr^g ^ EjiiTQonrjg-IlQaxTtxu xüiy ^vi'td()iunK0f-2/nXixr} ^'Ex&tatg. Athen
(Verlag des dirigierenden Komitees) 1904, S. 300. Frcs (Drachmen) 6.
2. 0*.M. /. Mt/uloTto ih)v /If^i Ti]g iiQVT^QUQ dtudoaKog rtjg dr^uo-
Ttx^g ixTiatSnoftitg xai jjtoi /uudttnuog rdif vTitQßt^riy.oT(oy Ti]y a/ohx^y
^Xuuay dyQuiijiiaKoy. Athen (Druck von Hestia) 1904, S. 58. Fr. 1.
3. K(jt,uxii RoXiTila: '^ymfya JiU^yaig xrfi IlmStia^ xal t%
JotoMo^ytig: *H iv Kg/,rri ixTttäSitfOts, Canea (Druck der kretensisohea Ba-
gienmg) 1904. 8. 32.
Ein sehr erfreuliches Ereignis fand voriges Jahr in Athen statt
Zum erstenmal kamen Vertreter des gesamten Griechenturas vereinigt, um
über das griorhischo T'nterrichtswcsen zu verhandeln. Das erste 'Ekki]yix6y
hnaiön Ti/Mv ^vyti)oi(n' (Griechischer Kongreß für Unterrichtswesen) tagte
in Athen vom 31. März bis 4. April (a. S.) und jetzt liegen vor uns die Proto-
kolle der Sitzungen mit einer kurzen Beschreibung der Schulausstellung.
Letztere bezweckte den Griechen die Fortschritte des Abendlandes in Lehr-
mitteln nsw. zu vetansohanliohen; deshalb wurden auch Fremde zur TeQ-
nahme zugelassen.
Der Gedanke ist ausgegangen von dem »Verein für Verbreitung nütz-
Hcher Bücher«, der in Verbindung mit zwei älteren Vereinen (des »Ver-
eins ftlr Verbreitung der griechischen Bildung- und des »Pliilologischen
Vereins ,Parnassos'«) die Einladungen erlioü. Das Ministerium des König-
reichSf wie dasjenige der autonomen Kreta, schenkteu dem Werke ihre
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348
Mitteilungen
Gunst. Der König der Helleneu eröffnete, in Anwesenheit der Könid.
Familie, die Sitzungen des Kongresses; der Kultusminister, als Ehren-
vorsitzender, begrüßte die Erschienenen durch eine lange und tschüne Rede;
der loefensifldie DepartementBohef dm Kultus und te Rechtspflege
(SififtovXos) wurde ate ordentiiciier Mndeiit erwihlt Die andeieii Mit-
glieder des Yorstaades waren die Yertraler von KooBtantiiiopd, Qypem,
XooaBtir (Macedonion), Chios, Smyma USW.
Der Kongreß wurde in 4 Abteiloogeo eingeteilt: 1. Das elementare
Schulwesen, 2. das mittlere Unterrichtswesen, 3. die weibliche Erziehung
und 4. die Benifsbiklung. Sie sollten über folgende Themata diskutieren:
1. Größere Verbreitung der elementaren Bildung und Verminderung der
Zahl der erwachsenen Ungebildeten. 2. Pädagogische Bildung der Gymnasial«
lehier. 8. Befarm des Lehiplaaes der Hldoheoadiuleii, duiit sie eine Er*
nehung verbreitflii gem&B dar griedaadien TraditioD und dec Beatimmvig
der Flau in der Familie und in der GeseUflobaft i. Tedmleohe Yo^
bilduDg und Fortbildung.
Als 5. Thema, bestimmt zur allgemeinen Beratung des Kongresses,
wurde die Verbesserung der Schulbücher, sowohl was den Inhalt wie was
die äußere Form betrifft, in Aussicht genommen.
Beferent der ersten Sektion war Dr. Themibtocles Mi chalopuloB,
der in DeatBcliland — beeonders in Jena — seine pldagogische Ajb-
bildung erhielt, wie flbrigens auob die swei folgenden Beferenten. Yen
seinem ausfOhrlichen Referat liegt uns auch ein besonderer Abdruck lot.
Dr. Hichalopulos bestreitet vor aUem, daß das einfache Lernen von
Lesen und Schreiben von irgend einer erzieherischen Bedeutung sei und
infolgedessen will er durchaus nicht zugeben, daß andere als in Lehrer-
seminaren vorgebildete Pei-sonen Erwachsenen irgend einen Unterricht er-
teilen dürfen. — Es wurde nämlich den Mitgliedern des Kongresses vor-
geschlagen, da£ für die vollständig ungebildeten Erwachsenen (Analpbf
beten) in Dörfern, wo es keinen Lehrer aber einen Fsstor gibt, von den
letsteren wenigstens das Lesen und Schreiben erteilt wird, und in der
Armee von Unteroffizieren. Das will Michalopulos durchaos nicht nh
geben; er vergißt aber dabei, daß das Lesen und Schreiben eine zu groSe
praktische Bedeutung hat, die man nicht unterschätzen kam. Die ok'^>no-
mischen Verhältnisse in Griechenland aiuliorseits, die eine äußere Sparsim-
keit gebieten und der Mangel an I berscluili von Lehrern sollten ihn zu
der Überzeugung bringen, daß jedentails eine Abhilfe goscliaffeu werdeo
muA. Wie wire es übrigens mit den GiiedMD, wenn sie, vor hundert
Jahren noch Tondeben sollten, ihren Kindern keinen Unterricht erteilen n
lassen, weil es damals keine Lehrerseminare geben konnte? Gysis« der
berühmte griechische Maler, der als Professor der Kunstakademie in Mös-
chen gestorben ist, hat die -geheime Schule« verewigt, in der Nachts in
der Kirche der Geistliche den jungen Griechen Unterricht erteilte. Und
doch konnte dieser Lelu*er nicht einmal orthographisch schreiben! Wenn er
aber das nicht tun durfte, mußte Lesen und Schreiben aus Ghechenlaud
veriMunt seini
Die Sektion hat sich indessen im Sinne seines Yomdüi^ geäuleit
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b, FUMfogmku KongreA in Athen
349
Sie empfahl außerdem u. a. 1. die von Seite von Vereine BegrOndimg
Ton Fortbildungsschulen, deren Beench aber, womfiglich, verplichtend sein
soll. 2. Die Koestitiiiening von Schiilgemeinden. 3. Verbesserung der
Lehrerseminare, indem u. a auch eine fremde Sprache obligatorisch ein-
geführt wird und Begründung von ^h^odiduaxuXuu (F'ostor- Lehrerseminare)
im türkischen Griechenland für die ärmeren Gemeinden, damit es iimen
gelingen wird, gebildete Flwtoien, die g^doliieitig Lehier lind, la bekommeii.
4. ZntaaBOD^ der AtdtuiienteD denelben mm UnhcnHtlaBtiidhiiii. 6. Er»
weiterang der Sohnlpflicht 6. Begrttndimg von Schulen für TMibetiimmen,
BMndeo, Idioten und schwach Begabten. 7. Obersetzung der besten päda-
gogischen Werke des Abendlandes. 8. Besondere Berücksichtigung der
praktischen Aufgabe der Schule, durch Erweitenmg des naturkundlichen
Unterrichts usw. und schließlich 9. Beauisichtigung der fremden (von der
Propaganda unterhalteneu) Schulen.
Die zweite Sektion, deren Referent Dr. Eapetanakis war, iofierte
dfo Vnnflch, da8 die GjmiMfliaUefaier auch eine basondefe pSdagogischa
YMSämig gemefien mOofaten, indem dem LehntaU der Fidagogik ein
Normalgymnasiam angegliedert werde, in welchem die schon ihre wissen-
schaftliche Prüfung bestandenen ein Jahr hindurch praktisch sich üben
sollen. Für die auf Grund des jetzigen Gesetzes Angestellten aber soll
ein hervorragendes pädagogisches Werk übersetzt, ein möglichst ausführ-
liches Programm vei-faßt und eine pädagogische Zeitschrift vom Ministerium
herausgegeben werden. Auch die Einbenifiiug von Konferenzen wurde
«DipfoUen, wihrend der Yorschlag des Referenten, daß w&hrend der Ferien
praktische pftdagogisohe Übungen in Athen so veraiMtelten seien, abgelehnt
wordel Vor allem aber mai der Wimaoh Iftr die Stlndig^nit der Lehrer
betont werden gegenüber dem überaus schädUehen allzn hiafigen Wediaell
Aoch die Anstellung von G^mnasialinspektoren wurde empfohlen.
Aus den Wünschen der Sektion für das Mädchen Schulwesen ist zu
erwähnen, daß die Begründung von Kindergärten unterstützt wunle, daß die
Mädchenschulen einen praktischeren Charakter annehmen und daß besondere
Schulinspektorinnen angestellt werden sollen, die unter der Oberleitung
einer Obersdralinspektorin eteben. Befeieot war Br. Ariatotelea Kur-
tidea. Ea sei erwibnt, daB aeift Jakren adum dne periodieohe Sohiil-
iaspektion von Damen stattfindet
Die IV. Abteilung wiederholte und ferallgemeinerte den Wunsch, daß
den Schulen eine praktischere Richtung zu geben ist und daß der Hand-
fertigkeitsunterriciit eingeführt werden solL Qkiohzeitig empfahl sie die
Begründung von technischen Schulen.
Zu der Frage der Lehrbücher — deren Za\A in Griechenland sehr
groß iat — winde toq der Qeneraldtzung dea Kongreaaee angeooiameii,
dal wahrend der errtan drei Jahra keiB Lehrbuch in den Volkaechalen
zu gebcanohen iat, mit Auaoahme dea Leaebiiohea. Die Lehrbücher sollen
für 3 Jahre voo dmr Regierung geneluniirt werden und für jedes Fach sollen 3
aein; die Bevorzugung eines von den 3 soll den Lehrern ül)crlassen bleiben.
Schließlich wurde die Konstituierung eines Bundes beschioBsen. Seine
Aufgabe ist das Werk des Kongresses weiter zu verfolgen.
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350
MitteiloDgan
Der Kongreß wurde mit einem Gastmahl beendigt, was die Regierang
den eifrigsten Mitgliedern des Kongresses angeboten hatte. Es fand dieses
in Phaleron statt; der Kronprinz, der an ihm teilnahm, begeisterte die
Anwesenden durch einen schönen Trinkspruch. Darauf folgte die Bekräa-
zong des vor dem üniTenit&tsgebtede stehendea DenkmilB AdammtiM
Eoiais, doB grofiea FMaoten und OelehiteD.
Dem Boreau d«8 Kongrogooc waten aofier Denkschriften anoh Be-
richte von dem numerischen und sadilichen Zustand der Sdinlen ver-
schiedener griechischer Länder zugegangen. Es ist zu bedauern, daß sie
im vorliegenden Buche nicht mit aufgenommen sind. Einige von den
erstereu wuixien in der *E&yi>crj uyioyri (Nationalerziehung) ver(3ffentlicht und
andere in der Jr^^oxixi] 'Exnaidtvatg (Volksbildung). Von den Berichten
aber wurde der Cypem betreffende in der Zeitung To K^dxo^ (Der Staat)
▼erClIentlioht, und der Aber lonien naw. in der Zeitsobriit 'J9üIi;kio/i/^
Dagegen lieft die kratiaobe Bagiemng ihren Bericht besondeta draden.
Er wurde mit den Protokollen zosammen verteilt Mit Freude liest maa
die kleine BroschQre, die ein so deutliches Bild der großen kulturellen
Fortschritte bietet, die Kreta seit der Befreiung gemacht hat. Mit voll
berechtigtem Stolz wird der Prozentsatz der die Schulen besuchenden Be-
völkerung schon im ersten Jahr der Befreiung mit demjenigt^i au^l-'rer
zivilisierter Länder verglichen: 35077 also ungefähr 11% gesamten
BeviSkerung besochten die ünterriditaBnatalten ; ein Prosentaats» der lllNr
dem Ton Italien und Foftagal steht nnd derselbe wie in Bdgiea ist Ei
ist schade, daft die wiitschaftlichen Verhältnisse es nicht gestatten, dai
Erfolge noch weiter geschritten sind. Aber Kreta erfreut sich oner
väterlichen Regierung und allmählich wird sie w^ohl auch diese Schwierig-
keiten überwinden! »Die Kretenser haben das Ehrgefühl, so schließt der
Bericht, kulturell nicht hinter ihren Brüdern im griechischen Königreiche
zu stehen, bis die göttliche Vorsehung ihre politische Einigkeit mit diesen
gewähren wird, indem sie den heißesten Wunsch jedes Kretensers erfOlltc
Jena S. P. Stamulia
6. Znr KanBtpflege
in unseren Schulen veröffentlicht Herr Ernst Samter, Oberlehrer am
Sophien-Gymnasium in Berlin, eine lesenswerte Studie in der Zeitschrift
für das Gymnasialwesen (LIX. Jahrg. 1. Berlin, Weidmann, 1905), die
in praktischen Vorsdüflgen gipfelt anf Onmd Ton Yenoohen, welche der
Veifssser in Berlin aagesteUt hat Bs ist interessant ra hOren, daft er,
wie aeineneit H. Qrimm, hierbei nicht den streng dnondcgischen Oaag
eingehalten hat, sondern von Ilöhepunkten ausgegangen ist, ein Gedanke)
der innerhalb der Herbartischen Pädagogik bekanntlich in numnigfadier Weise
schon lange benutzt worden ist. Auch sonst ist der Aufsatz reich an guteo
Bemerkungen, wenn auch einzelne Aussprüche den Widerspruch heraas-
fordern, wie z. B. der Satz: »Daß in der Schule die intellektuelle Bildung
stets die Hauptsache sein und bleiben wird, iat meine feste Überzeugoo^.«
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7. Verein für wissenschaftliche Pädagogik
351
Bb entsprioht dies zwar dem gegenwirtigen Steod imseier Sohiileii, aber
als Ideal muß doch die PersSnlichkeits-Bildung angesehen werden. Des-
halb EuDstpfiege, deshalb Zeichnen, Modellieren, Spiel und Sport und all
das, was einer einseitigen Verstandespflege entgegenarljeiten kann. Weniger
Unterrichtsdrill, weniger intellektuelle formale Schulung, dagegen mehr
Ausbildung eines frischen und fiöhlicheD Schullobeos; das ist's, was unsere
deutschen Schulen brauciieu.
Jena W. Bein
7« Verein für wissenschaftliche P&dagogik
Inhalt dM 37. Jahrlniohs (1905)
1. Schmidt, Wae iat'e ma Herberte Zucht?
2. Jetter, Zur Volksschulmethodik (Schluß).
3. Hemprich, Zur modernen Kinderforschung (Schluß).
4. Bitthaler, Die schulmfU^ige Entwicklung der Qruiidzahleabegnffe»
5. Fack, Lays Exjwrimeutclle Didaktik.
6. Fritsch, Briefe Heibarts an Drobisch (Schluß).
7. Wiik, Das Werden der Zahlen und des Rechnens im Menschen
imd in der Meesohheit auf Qrand von Psychologie und Geechicfate.
8. Jnet, IfiATenOodoieBe und &Ieoher Gebiwich der Formaletafen
des UntBiriohtB.
9. Hemprich, Rüdes Yolksschulmethodik.
10. Vogt, Die Konzentration des Unterrichts.
Die Haupt-Yereammlung dee YeieiDe findet zu Pfingsten in
Weimar statt Th. Vogt
8« Verein der Freunde Herbartisoher Pädagogik in
Thüringen
Die diesjährige Hauptversammlung wird am 24. und 25. April im
Preußischen Hof zu Erfurt abgehalten werden. Zm Besprechung gelangen
folgende Themen: Der gemeinsame UnteiTicht von Knaben und Mädchen;
das Mannheimer Schulsystem.^) Eeferenten sind; Direktor Trüper-Sophien-
hBhe bei Jena und Dirdrtor Soholi-FQtBneok.
*) & No. 250 dflB »ndim^ M^SMiiie«. LugeoMda, Hemnmi Bejer SQhne
(Beyer * Mann).
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I PhilosophischeB
Nablowsky, Joseph W., weiland o. Prof. a. d. Universität Graz, Aligemeine
Ethik. Mit Bezugnahrae auf die realen Lebensverhältnisse prag-
matisch bearbeitet. 3. Auflage besorgt von 0. Flügel, Veit & Co., Leipzig
1903. 281 S. 3 M, geb. 3,60 M.
An Bearbeitern der Herbartschen Ethik ist kein Mangel Die Namen
Hartenstein, Allihn, Strümpell, Steinthal, Ziller, Rein, Felsch, Flügel sind
bekannt. Neuerdings hat Flügel auch die dritte Auflage der Allgemeinen
Ethik Nahlowskys besorgt Worin besteht nun das Charakteristische
dieser Ethik, das eine neue Herausgabe wünschenswert erscheinen ließ?
Während die ältere idealistische Schule sich lediglich auf das Ethos
des Individuums beschränkte, zog Herbart in seiner »Allgemeinen prak-
tischen Philosophie« vom Jahre 1808 das Ethos der Gesellschaft mit
herein in den Kreis seiner Untersuchungen. So steht Herbart in einer
Zeit, in der sich der ethische Individualismus, die Ethik der autonomen
Menschenwürde, zum Siege durchrang, schon gleichsam da als Prophet
unserer Zeit, in deren Mittelpunkt die soziale Frage steht, und in der in
allen Disziplinen das soziale Element betont wird. So wird auch mit Recht
an eine moderne Ethik vor allem der Maßstab angelegt, ob sie im stände
ist, den sozialen Problemen der Gegenwart gerecht zu werden. Da wir
den ethischen Ideen allgemeine Gültigkeit zuschreiben, so müssen sich
dieselben auch an allen Fragen des modernen wirtschaftlichen Lebens aus-
weisen. Eine Ethik, die hier versagt, ist eben veraltet und kann nur noch
liistorischen Wert für sich beanspruchen. Ja, sie beweist, daß ihre Fun-
dierung von vornherein zu kurz geraten ist. Hier ist z. B. der
schwache Punkt der biblisch-theologisch basierten Ethik: daß sie uns in
so vielen Fragen des modernen Wirtschaftslebens einfach im Stiche läßt
Zu welch' bedenklichen Konsequenzen aber eine solche ungenögend be-
gründete ethische Anschauung führen kann, zeigen die Essays eines be-
kannten Theologen uüd Politikers. Naumann kommt in seinen »Briefen
über Religion < , die allerdings auf philosophische Begriffsschärfe keinen
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I FhikMopliiaoheft
B53
Ansprach machen, zu dem Schlüsse, dat die Ethik Jesu (die er zudem
noch sehr einseitig auffaßt), im modernen Betriebaleben fiberliaapt leeiiie
Stätte mehr habe; m. a. W. , daß es unvereinbar miteinander sei, ein
moderner Mensch und ein rechter Christ zu sein. So proklamiert
er geradezu eine doppelte Ethik, eine fürs Gescliäft und die Politik,
die andere fürs Privatleben. Die erstcre ziert er mit dem modernen
Namen: »SüÜidikeit (I) des EampfeB ums DaMÜK (warom nicht lieber
noch etwBB daatiaolier: »die Ethik der gepanzerten FanstPc) oder ügois-
mos und IntereesenpoUtik. Hier haben -wir wieder einmal ein graases
Beispiel, auf welche Abwege die unselige Begründung der Moxml anf
Religion und Offenbarungsbuch führen kann. Denn Naumanns Ausführungen
kommen doch auf nichts anderes hinaus, als auf eine Bankerott-Erklärung
i]er Ethik Oberhaupt und damit auch der christlichen Religion! Es ist
wirklich betrübend: Ein evangelischer Theologe, weiß sich, weil er zugleich
(und mit Recht) nicht darauf verzichten will, ein moderner Mensch zu
eel&y nicht enden sa helfen als daduoh, dafi er die Ethik teilweiae Aber
Bofrd -wirft nnd ihr nur ein flbenuiB dfliftigee Vegetieren nnd dne Winkel-
enstenz innerhalb der vierPfiUiIe anweist und an ihre Stelle die nackte,
brutalste Selbstsucht als »ethisches« Prinzip auf den Weltenthron
setzt! In Wirklichkeit ist natürlich durchaus nicht die Unzulänglichkeit des
Christentums für die moderne Zeit schuld, sondern die mangelhafte Funda-
mentierung der Ethik auf biblisch-theologischem Fundament, das sich eben
als zu schmal für die sozialen Verhältnisse der Gegenwart erwies.
Wiederam hat der »alte« DOrfilBld recdit bekommen, der solche imzul&ng-
liche Fbrschnngamethode anf dem monüiaohen Gebiete als schweree Obel
beklagte. 1)
1) En seien hier einige der pilguantesten Aasspi-iiche Naumanns angeführt:
Eb gibt aüeigTSfite xaA aUeraohwerBto mensddiQhe Probleme, die dorob das
Neae Testament nicht wesentlieh berfikit werden. — Nicht unsere «anxe SittUobkeit
wurzelt im Evaogeliam, sondern nur ein Teil derselben, allerdings ein äußerst wich-
i'igQT und leicht mißachteter Bestandteil. Neben dorn Evangelium gibt es Forde-
run<:;en der Macht und des Kechts, ohne die die mensohlidie <iesellsr-haft nicht
existieren kann. — Die Nachfolge des Weltgottes ergibt die Sittlichkeit des
Kampfes ams Dasein, und der Dienst des Ysten Jesu Ohristi ergibt die Sitt-
liehkeit der BsnnhendglEeii — DaB der Ansdroek: »Esmpf uns Dssein« ohne Ab-
schwSchung verstanden werden soll, ergibt sieh aus folgenden Worten: Im Wort
Kampf nms Dasein liegt eine Weltanschauung. Der Kampf wird als Prinzip des
Fortschritts gefaßt und zwar der ganz brutale egoistische Kampf. — Das
L.eben braucht beides, die gepanzerte Faust und die Hand Jesu,
beides je nach Zeit und Ort Und sn wtaSB mid so fühlen, wann das eine
und wann dss andere nötig ist, das ist die KnnsU aa der wir slle lernen. Theors-
üadL bsbsn wir sile immer unrecht, denn theofetiseh müßten wir alle entweder
ganz dem Cäsar oder gans dem Nazarener folgen. — Ein theoretisch reiner
Christ ist innerhalb der Welt nicht möglich. (Naumann, Briefe über
Keligion, »Hilfe«, Berlin-J>cb6ueborg 1904, S. 31 — 55.) Man vergleiche demgegen-
über 0. Flügel, Sittenlehre Jesu, 4. Aufl., Langensaka, Uerinann Beyer & Söhne
(Beyer k JCsan), 1807 uid Dörpfeld, Zar Sthik, Gatefdoh 1885, 8. SOff.» 95 fL,
250 iL
ZAwhrUl fb FUloMvIue wid Fidacogik. 12. Jabisng. 23
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354
BaspreobuDgea
Wieviel besser besteht demc:of^enübcr Herl>arts Ethik die Probe aiife
Ebcempel! Nahlowskj also greift die soziale Grundtendenz Herbarts aiif
und läßt äicb, ^vie sclion der Titel besagt, uäher auf das Detail der sozial-
ethischen Fragen ein, sucht die sittliche Bedeutung des Kultur^ und Wirt-
schaftslebens allentbalbeD herronoheben, prOft die Tefsehiedenea fieckts-
oidnüDgen und StiafkategorieDf widmet eadlich auch der Aibeiter- imi
Frauenfrage die gebührende Aufmerksamkeit.
Nahlowsk ys Ethik zerfällt in drei Teile: der erste Teil befaßt sich
mit der Gnmdlegung der praktischen Philosophie durch die Vorbegriffe
der allgemeinen Ästhetik, der zweite mit der Lehre und Ableitung der
ursprünglichen Ideen, der dritte mit der Lehre von den abgeleiteten
oder gesellschaftlichen Ideen. Ihnen voraugesetzt ist eine Einleitung
(8. 1 — 34) Ober Philosophie überhaupt, ihre Angabe und ihre Einteiluiig:
in Logik, die es mit der bloBen Form der Begriffe zu tun hat, in Meto-
physik (theoretische PhilosophieK die sich mit der spekulatitreD Beaibeitaiig
der Be^iffe vom Seienden (dem Realen) beEafit und untersucht, wie die-
selben widerspruchslos gedacht werden müssen, und in Ästhetik (jjraktische,
Philoso]>hie), der die .sjvekulativt.' Bearbeitung des Seinsollenden (des
Idealen) zufällt. Die Etliik ist letzterer unterzuordnen. Diese beiden \Viss*:'n-
schaften gehen unabhängig voneinander ihre eigenen Wege. Die Meta-
physik fragt wenig darnach, ob das, was ist, gefällt oder nicht gefillt,
die Ästhetik, und damit auch die Ethik, hat nichts su schaffen mit der
Frage nach dem Sein imd Niditsein dessen, was sie als sohleohthin bei-
fiiiUenswert anerkannt hat Die £thik hat nun zuenfc die Aufgal)e, alle
jene Verhältnisse, venn6ge deren das Wollen gefällt oder mi 15 fallt, voll-
ständig zu konstruieren und daraus die ethischen MusterbogrifVe oder die
ethischeu Ideen abzuleiten. Dieser allgemeine Teil heißt Ideeulehre. Der
speziellen Ethik kommt es dann wieder zu, die allgemeiuen Muster-
begriffe auf die besondereu Lebeusverhältnisse anzuwenden. Wälu^end nuQ
zuerst gegenfiber falschem ISuheitssti^ben die fnndamentale ünabhlngigkeit
der allgemeinen Ethik g^n&ber jeglicher Art von theoratiacher Phito-
Bophie erwiesen wird, sei es der allgemeinen Metaphysik oder der besoa-
sonderen mit ihren ünteiabteilungen : Psychologie, Naturpliilosophie und
Bebgionsphilosophie (Theologie), weist darnach Nahlowsky die engen Be-
ziehungspunkte und die Wechselwirkung der speziellen oder angewandten
Ethik mit diesen Disziplinen auf. liier kommt auch die große Bedeutunsr
der Religion als einer von anderer Seite schlechthin nicht zu ersetzeodeii
Ergänzung der Moral zur Sprache, während vorher die. Begründung
der Ethik auf dem Ootteeglauben ebenso scharf abgewiesen wird. Im
letiton Einkitungakapitel wird auf den danligieilanden BUiflnS der
Ethik als FOhnrin im wirklichen, konkreten Einzel- oder Staatdebeo hin-
gewiesen, ferner auf alle die Wissenschaften, die mit dem praktischen
Leben in engster Beziehimg stehen, wie Pädagogik, Rechtsphilosophie, Oe»
schichtswisponscliaft, Theologie, auch auf die wahre Kunst, welche der sitt-
lichen Weltanschauung, des Idealen, nicht entbehren kann.
Wie die Philosophie überiiaupt, so muß auch die Ethik von dem in
der Erfahrung G^benen ausgehen. Sofadie Ikfahrangstatsachcn sind dia
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I PliiloflophisohaB
355
WertnrteUa. Diese werden nun des näheren untersucht und miteinander
verglichen. Als Grundlage der Ästhetik und Ethik bleiben die Urteile
des unparteiischen, absohiten Vorzieheus und Verwerfens bestehen, welche
nun auf ihre Grundtypen oder Grundformen zurückzuführen sind. Denn
nur diesen Stammurteiieu kommt absolute Gewißheit oder Evidenz und
AllgcmelDgQltigkeit zo. Aiutett nirn noch -weiter anf diese Grondfragen
und epiterfain an! die Koostniktion der Ideen einzugeheD, . wodaroh nur
bekannte Gedankengänge wiederholt werden müßten, will ich mich danuil
beaduftnlten, kurz die Darstellungsweise Nahlowskys zu charakterisieren.
Vor allem hat Nahlowsky die Gabe, mit unübertrefflicher logischer
Schärte sein System aufzubauen. Alle Möp^liclikeiten werden erwogen, die Un-
möglichkeiten ausgeschieden, alle sich einstellenden P^inwände berücksichtigt
und erledigt und die Ergebnisse gegen falsche oder einseitige Auffassuugeu
sicher gestellt. Eine scharfe Disposition kennzeichnet das Buch. Wertvoll
mnä auch besonders die kurzen Solilnfibetrachtangen, welche den oozelnen,
entwickelten Ideen angefOgt * werden. Hier weist Nahlowsky das Vov^
handraBein letzterer in bekannteo Moralsystemen nach, in denen die be-
treffende Idee gerade ^ne besondere Rolle quelt oder bringt Beispiele aus
der Poesie und dem praktischen Leben , wo sie besonders anschaulich
hervortritt. Aurh die Bemerkungen sämtliche fünf Ideen betreffend, in
denen er einmal die Selbständigkeit jeder einzelnen Idee betont, andier-
seits auf die Wechselwirkimg hinweist, in welche sie miteinander treten,
sobald es sich um ihre Anwendung auf konkrete Lebensverhältnisse handelt,
sind sehr beachtenswert An dieser Stelle mag auch auf die Udne, Uber-
ans lehrreiche Schrift Nahlowskys aufmerksam gemacht werden, in wel-
cher er gleichsam die Stichprobe anf die piaktisohe Brauchbai-keit der
Ideen zur sittlichen Beurteilung gewisser Spezialfragen und Einzelfälle der
angewandten Ethik macht. Sie ist betitelt: »Die ethischen Ideen als die
walt4?nden Mächte im Einzel- wie im Staatslebcn, nach ihren verschiedenen
Beziehungen beleuchtet.« (Langensalza, Hermann Beyer & Sühne [Beyer &
MannJ, 1904. 2. Aufl.).
Von Teil m, der die Lehre von den geseltachaftlichen Ideen ent-
halt, mochte ich besonders noch auf den Anhang des Verwaltungssysiems
aufmerksam machen, welcher Andeutungen enthftlt über die Bedehungen,
die zwischen dem Yerwaltoogssystem einerseits und der Rechtsgesellschaft
und. dem Lohusystem andrerseits stattfinden. Hier nimmt als Zusatz die
Erörterung Ober die soziale Frage einigen Raum ein. Selbstverständlich
mußte sich Nahlowsky damit begütigen, auf dieselbe einige Streiflichter zu
werfen und die wesentlichsten Gesichtspunkte, aus welchen sie aufzufassen
ist, hervorzuheben. Er betrschtet sie vorwiegend von drei Gesichtspunkten
aus: von dem des Arbeiters, der seine Kraft so günstig als mO^ich zu
ver werten suchte von dem des Arbeitgebers ans, der seinen üntenehmer-
gewinn im Auge hat und von dem der Regierung aus, welche auf die Gesamt-
heit zu blicken hat und deshalb keine Vergewaltigung des einen gesell-
schaftlichen Faktors durch den andern dulden darf. Die hier entwickelten
Grundsätze sind bei dem gehässigen Partei- und Interessentreiben der
Gegenwart wohl der Beherzigung wert Von selten der Ethik kann in
28*
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356
jDMpfBflkmiigBii
der Tat nioht entschieden genng betont iracden, was Nahlowsky als
Leitsatz yoranstellt: 9 Man hflte sieh nur vor jeder Einseitigkeit, nehme
nicht ausschließlich in dem oder jenen Heerlager Stellung, halte nicht aus-
schließlich bloß an der Forderung der einen oder der andern von den ge-
nannten Ideen fest, sondern trachte, den berechtigten Interessen aller jener
gesellschaftlichen Faktoren möglichst Kechnung zu tragen und die Forde-
ningen aller eingcWftgigen gesellscfaaftliohen Ideen miteinMider in Buüdaiig
m bEiogen« (8. 246). Auch die Kapitel: »Zur Befoim dm irdUicheo
ünteniohftB- und Brziehnngawaaensc nnd »WaobadbesiehiiogeD swisoImd
dem Kultursystem imd den übrigen gesellschaftlichen Syatenifln« enthalten
•wertvolle Winke für die Sozialreform. Bei der Darlegnnp dos Kultm^
Systems selbst, welches das ganze Innenleben des Volkes auf den Gebieten
der Wissenschaft, der Kunst, der sozialen Sitte und der Religion umfaßt,
wird das Augenmerk auf vier Hauptpunkte gerichtet: 1. auf die intellek-
tuelle, 2. auf die ftsthetisehe) 3. auf die moralische, 4. auf die religiöse
Auabildmig dea YolkeB in alian aainaD Scahidtten.
Dem Yeriage ist es nodh sa danken, daft er durch bedeutende Henb-
aetznng des nnprBngliohen Fkeiaee eine weitece Yertneitung dea BndieB
ennfiglicht hat.
Auerbach i. V. Dr. G. Burk
n P&dagogisolLes
Seifert, Dr. Bkhari, Die Unterrioktalektion als didaktische Knnst-
form. Fkaktiacfae Batoobllge und Fkoben für die AUtagaaibeit und fBr
Lehrpfoben. Leipsig 1904. 341 a VreiB 2^0 M.
Das Buch zerfSUt, ine achon der Titel erkennen ULfit, in einen
theoretischen (»Allgemeines« — S. 1 — 97) und einen praktischen Teil
(»Praktische Versuchec — S. 98 — 241). Unsere Besprechung soll sich
auf den ersten, den gnmdlegenden Teil beschränken. Derselbe bietet in
seiner ersten Hälfte eine allgemeine und spezielle Didaktik, und diesen
prinzipiellen Darlegungen sind in den folgenden Kapiteln einige unter-
geordnete, ja mm läl recht nebenaMofaHche Punkte Salerlich ganz gleioh-
wertig angereiht Die AuafOhrungen adbat i^eiehen Aphoriamea. Aas
dieaem Grunde mofi ein näheres Eingehen auf manche grundlegenden £^
Qrterungen hier unterbleiben, da letztere daiu nicht ansfOhrlich und tief
genug sind. Andrerseits sind die darin zu Grunde gelegten Toraas-
setzungen zu wenig bekannt und anerkannt, um so kurz und fragmentarisch
behandelt zu werden. Das gilt u. a. von den » psychogenetischen Gesetzen«
(S. 5) und von der B^ündung der 4 Lernstufen (S. 17 ff.), die im aÜ-
gemeinen den Fennaiaiufea Herbarts entsprechen. Der Herr Verliuser lia>
nennt die Stufen ala Binatininiung, Erarbeitung (dea Kenen), Binaibettaag
(ina BewufitBeuugann) und (formale) Verarbeitung. Wcsn dieee asae
Terminologie, die keineswegs zu grOfierer Klarheit beitragen dürfte; ist
doch z. B. die Zielangabe, die in den nachfolgenden Lehrproben vorhanden
ist, unter Einstimmung einbegrißfen? Auf S. 4 wird das Erziehungsziel
bestimmt als Bildung einer »durchgeistigten Persönlichkeit«. Mag nuui
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n PidagogiHohea
357
auch den Auadruok »PeraOnh'chkriU gelten Umb, das Attiflmt khiroii-
geiitigtc ist doob auf den ersten Anblick zu unbestimmt und lelgt bei
weiterer Überlegung eine stark intellektualistische Richtung. Eine über-
m&ßigc Betonung der Verstandeebildung ist auch an anderen Stellen nicht
zu verkennen; so wird S. 14 gefordert, »auf der Unterstuto gewisse mecha-
nische Fertigkeiten zum Abschluß zu bringen: das mechanische Lesen,
das Schünscbreibeo, das Rechtsc hroiben, die gebundeneu Aufsatzformen,
die QnmdreohniiqgBarten mit ganien ZaUen iL m.c Und von der
UDtantnfe hdAt ea anaditloUioh: »Aeilich muA anoh hier die Zeit vor
allem den Formfächern zur Verfllgung atefaeii.« Bei einem solchen Lehr-
betrieb kommt die Schule doch in Gefahr, zur bloßen Unterrichts-, ja zur
Dressuranstalt zu werden. Wenn S. 15 gar verlangt wird, daß »der
Sachunterricht der Unterstufe geradezu gelegentliche Erzähl- und
Plauderstunden (a. a. 0. gesperrt gedruckt) enthalten müsse, in denen
die Kinder in ihrer Weise über Seibsterlebtes berichten, oder in denen
der Lehrer enählt«, 80 möchte man darin eine bewußte oder onbewoAte
Beaktion gegen den Intellektualiamiia mid den DiiU nnaerer Schalen er-
Uieken. Wollen irlr nicht lieber inneihalb dea iJanmüBigen Ünteiriohts
die Kinder in ihrer Weise über Selbsterlebtes berichten lassen? Über ö»
Einteilung der Lehrf&cher in Religion, Realien und Formalien (S. 12) ge-
nüge es zu bemerken, daß dieselbe weder tief genug gefaßt, noch in
streng logischer Weise begründet ist. Die Bemerkungen zur speziellen
Didaktik (S. 26 ff.) enthalten im großen und ganzen bekannte Forderungen.
Fragt man nun, was der eigentliche Zweck des Buches ist, so läßt
lioh ana dem Vorwort vnd den AnafOhrongeD der eraten Blitter ent-
nehmen, daB die Schrift auf Herrorhebong dea kflnatleriachen Homenta der
Lehrtfttigkeit hinzielt : »Die Unterrichtslektion ist das Erzeugnis einer fM-
schafTenden und freigestaltenden Tätigkeit, ein kleines Eunstwerk.c Auf
S. 7 heißt es sehr richtig: »Das Künstlerische ist das Subjektive, das jeder
Individualität Eigentümliche. Da der Unterricht ein lebensvoller geistiger
Verkehr von Person zu Person ist, ist dem Künstlerischen ein breiter
Kaum gelassen« — wenn, so möchten wir hinzufügen, das freie Schaffen
nicht in Fesseln gelegt wird. Aber S. 11 leaen wir zu unserer Ver-
wuiderung: »Wenn aelbat der Stoff Ina aufis Tfipfdcfaen ▼orgeaohrieben
wäre, auch dann bliebe noch ein weiter Raum für freiee persBnliofaee, alao
künstleiiaohes Lehrverfahron«, und kurz vorher: »Wenn jeder sich darauf
beschränkte, hierin seine Künstleraohaft zu betätigen, dann würden die
Klagen über das übermäßige Normieren und Reglementieren bald ver-
Btummen.« Also mit andern Worten: Wenn jeder mit der ihm gelassenen
Freiheit sich begnügte, dann würden die Klagen über bürokratische Ein-
zwängung aufhören! Alierdings würde schließlich alle Unzufriedenheit aus
der Weh venohwunden sein, wenn jeder mit aeiner Lige sich zufrieden
gibel Nein, wer daa kflnatleriaehe Moment der Lehrtitigkeit pflegen will^
muß in erster Linie fQr Freiheit dea Lehren eintreten, gegen daa fiber-
mäßige Normieren und Beglemeotieren Front machen. Denn zweifeUo»
leidet unser Schulwesen sehr unter dem immer üppiger wuchernden
BürokratiMnus, der nicht lum wenigsten genährt wird durch kleinliche^
Digitizcd by Go(^lc^
358
Btiepreohaogen
kurzsichtige, engherzige Schulbeamte, die alles in ihre Schablone zwangen
wollen; aber »sie spinnen Luftgespinste und suchen viele Könste — und
kommen weiter von dem Ziel«. Mit diesem bürokratischen Zuge hängt
es auch zusammen, wenn manche Schulen zu bloßen Lern- und DriU-
anstalteu werden. Dem Lehrer muß das freie Schaffen im Großen uad
im Qaasen gewahrt Udbeii, natflrlioli innerlialb eines grofizOgigen Lehiphnei
tmd gemftft dem feetbeetimmten Lehniele. Bb geoUgt nicht, wenn nur die
Gestaltung dee Kleinen, der blofien einselnen Lektion oder Lehcetonde te
Lehrer noch belaseen ist; dann hat er wohl die Teile in seiner Hand, es
fehlet aber das geistige Band. Ein Haftenbleiben im Kleinen führt nicht
zu wirklich kOnstlerischom Schaffen, nur zu Künstelei. Kann z. B. der
Maler ein echtes Kunstwerk schaffen, wenn ihm alle Gegenstftnde saint
ihrer Anordnung vorgeschrieoen werden?
Über die im 2. Teile des Buobes gebotenen Lektionen sei nur ge-
sagt, dafi der denkende Lehrer msnebiBS daraus sich cunntn meohes
kann, aber anderes für seine Person abweisen wird, ohne es sa vemrieiks,
wenn ein anderer sich dafür entschddet. Denn nur, was der Lehrer siok
selbst erarbeitet, selbst durchdacht hat, weckt Leben und macht das Lehren
zum künstlerischen Tun, nicht aber das, was kritiklos übernommen oder
gar reglementmäßig aufgezwungen wurde.
Jena Zahrenhusen
Shlger, Dr. Karl, München, Soziale Fürsorge der Weg zum Wohltun.
München und Berlin, R Oldenbourg, 1904.
Es ist ein Terdienstliohes Unternehmen bei der grofien Zersplitteniqg
der WoUlitigkeitsbeBtTebmagen eine ZnssmmensteUong aUer der Eb-
richtungen mit den betreffooden Literatur -Nachweisen zu geben, die in
das Gebiet der sozialen Fflrsoiige gehören. Dabei wird aooh auf wichtige
Organisationen des Auslandes, von denen wir lernen können, hincr--''vrio<:en.
Der Stoff ist so grujipiort, daß in den ersten Abschnitten die allgenieinec
Fragen, dann die Schaffung der zentralen Organisiitionon erörtert werlen,
während die weiteren Kapitel sich au die Hauptalterästufeu und die sozialen
BedOrfnisse anschließen.
Wir kennen kein Werk, das eine Shnüohe, umfassende Überseht
bOle. Diese ist aber deshalb wichtig, um die Zusammenhinge und Auf-
gaben in ihrer inneren und änSereo Yersohlingong zu überschauen and
auf eine systematieohe Omppienmg su gegeoseitiger Unterstatsong hinm-
arbeiten.
Daß die einzelnen Abschnitte in ihrer Kürze nur summarische Be-
trachtungen darbieten können, liegt in der Anlage des Buches begründet.
Immerhin dürfte bei einer neuen Auflage eine Erweiterung desselben be-
hnfs gründlicher Mitteilungen angestrebt weiden. Hierbei kOonen die
EoqjrUopftdien von W. Bein (Langensaka» Hermann Beyer SOhne [09er
A Hann]) und das Staatslexikon von Conrad u. a. (Jeoj^ fisdher) in dnai
neoeD Auflagen gute Dienste leisten.
Jena W. Reis
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n PMugoginehee
S59
liisch, Dr. A., Rektor der liatina in Halle, Schfilervereine, ESrfiUiruiigeD
und Grundsätze. Halie, Waisenhaus, 1904. 112 S. 1,50 M.
Wenn man immer ^neder hier und da von Auflösung lieiiulicher
Schulerverbindungen mit den obligaten Bcstrahnigen hört, fragt man sich
verwundert, ob denn die Direktoren und Ijolirerkollegien nicht <lie Schrift
des Herrn Dr. Rausch studiert halben. Nicht als ob hier ein Allheil-
mittel gegeben seif um derartige Dinge ein für aDemal «i verhüten, aber
vortreffliche AoBfOhrongen rar Qefltaltnng eioeB frisoheii, ofifonen, gesnodea
SchnUebens kann man in der Tat hier finden. Wo geheime Verbindungen
ßich einnisten können, ist sicher etwas nicht in Ordnung. Eine Erziehungs-
schule, in der Lehrer und Schüler kameradschaftlich verkehren und im
Spiel, auf Spaziergängen, Schulreisen usw. einander näher kommen, kennt
solche Verimingcn nicht Aber leider sind unsor»:^ liöheren Schulen oft von
dem Ideal einer Erziehungsschule sehr weit entfernt. Sie brüsten sich nicht
selten mit dem Wissen ihrer Schaler und wie weit sie daiin z. B. über
englische Schulen erhaben seien — sehr mit Unrechti da sie der Bildung der
irerdenden Schfller-PersOnliohkeit gleichsam nur von weitem zusehen und
sidi honlidh wenig darum bemflhen. Ei-zieher brauchen wir in unseren
höheren Schulen heute mehr als ja Solange wir nur Stundenhalter haben,
werden die heimlichen Verbindungen mit all' ihren schweren Ifacliteilen
nicht aufhören, die beste Kraft unserer Jugend zu verzehren.
Jena W. Bein
01^, Chr., Die Ergebnisse und Anregungen des Kunsterziehungs-
tags in Weimar. Altenbug; Bonde, 1905.
Der Yer&sser unterwirft die Verhandlungen des zweiten »Ennst-
erriehungstages« einer eingehenden, sachlichen, scharfen Kiitik. Man liest
sie mit Gewinn; der »Kunsterziehungstag" aber kann sich l)eglflckwflnschen,
daß er mit solcher Aufmerksamkeit von einem Fachmann, der in diesen
Dingen zu ILiuse ist und sich auf Orund seiner Erfahrung mancherlei Ge-
danken darüber gemacht hat, auf seinen inneren Gehalt hin geprüft
wird. Kritisch betrachtet erscheint er dem Fachmann sehr gering. Er
mag recht haben. Aber iriac sehen die Bedeutung der »Kunsterziäiungs-
tsge« nach einer ganz anderen Sate hin. Wir betrachten sie unter dem
Lichte der DOrpfaldschen '»Schulsynoden«: Erziehungs- und Unterrichts-
fragen sollen auch vom lAienelement aufgenommen und beraten werd^
Denn sie sind eine gemeinsame Angelegenhr»it. nicht dio [)o!tijlne eines
fachmännischen Kreises allein. Bei solchen Veriiandlungen tritt natürlicli viel
Verkehrhcit, Halbheit und Oberflächlichkeit zu Tage, wie es aucli bei den
Beratungen der Schulvorstände — und der Parlamente unvermeidlich zu
Sehl scheint Was z. B. gegen die »Formalstufen-Theorie« gelegentlich in
Weimar vorgebracht wurde» konnte dem Kenner der Sache nur ein mit-
leidiges Uk^ehi entlocken. Aber das mufi man mit in den Kauf nehmen,
wenn man pädagogische Dinge einem weiteren Kreis vorzulegen und sie
dafür zu interessieren, prinzipiell für eine notwendige Aufgal^e h<. Einige
Vorzüge mögen besonders noch hervorgehoben wenlen z. B. : Auf welcher
Versammlung sind denn so eneiigische imd gute AVorte gegen das büro-
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360
Bespreohongen
kratische Schulsystem, das jaDorpfekl auch so verhalk war, gesprochen worden?
Wo hat man GtTentlich die Reform des Lelirplans für das erste Schuljahr
kräftiger betont? Wo sonst finden sich Männer und Frauen der verschiedenälea
LebeDsaoBoluMiuDgeQ und Berufe nuammeD, um Aber Bnieliiiiig und Ullte^
ridit Gedankeu auaiutBaBolieD? Die Arbeit der »Eunsteniehuogstag»« ist
weniger eine adiOpferische, als eine aufkllnode fOr Kreise, die anfierhalb
der Wissenden liegen. Dafi von letzteren eine scharfe Kontrolle geübt wird,
ist notwendig und ersprießlich. Damm muA die Arbeit des Herrn Rektor
XJtei dankbar begiüfit werden. W. Bein
Stektager, Dr. A., Der ünterrichtsbetriob in großen Volksschul-
kOrpern sei nicht schematisch-einheitlich, sondern diffe-
rensiert-einheitlich. ZuaammenfiMseade Darstellung der MannhaBier
TolksBchubefonn. — Mannheim, J. Bensheimer, 1904. 8^. Tm und
172 Seiten. — Preis 3,20 M.
Der recht umstftndich klingende Titel der neuesten Schrift des durch
seine Organ isationsvorschl.^e in den letzten Jahren rasch bekannt gewordeoea
Mannheimer Stadts^chulrates Dr. Sickinger hat insofern sein Gutes, als
er Ober das Wesen des hier zu besprechenden Buclies keinen Zweifel läßt
Der Haupttitel kennzeichnet kurz den Grundgedanken des Inhaltes, der
Nebentitel die Form des Buches. Der erstere ist insofern nicht gans la-
treffeDd, als der Untenichts-Be trieb wmt mehr um&fit als die bloße
Organisation großer VolksschulkOrper, auf die es dem Yeiftsser m
allem ankommt. Doch ist das ohne Belang gegenüber der großen Be-
deutting des durch den Titel angedeuteten Inhalts des Buches. Auf diesen
hier kritisch einzugehen, verbietet der Zweck einer Buchbesprechung.
Will man den zwar nicht neuen, aber vom Verfasser mit viel Geschick
neu begründeten und mit großer Energie vertretenen und in die Wirklicb-
keit umgesetzten organisatorischen Ansichten gerecht werden, so erforderte
daa ane neue Abhandlung.^) Diese nach der Ansidit des YerfMsom is
pidagogischer, hygienischer und socialer Hinsieht tief emsdmeideodea
Pläne sind zudem den Leeern dieser Blätter seit der DnicklegUDg des
Vortrages »Organisation großer VolksschulkOfp» nach der natürlichen
Leistungsfähigkeit der Kinder, < den Dr. Sickinger auf dem I. intemation.
Kongreß für Sciiulhygiene in Nürnberg gehalten hat, bekannt. Das Wert-
volle des Buches ist in seiner Form zu suchen. Es Vinngt nämlich außer
dem eben zitierten Vortrag alle bisherigen Arbeiten des Verfassers, aoA
dto noch nicht im Druck erschienenen, in chronologischer Beihoiiolgi^
seigt zum enrfenmal saUeomäßig die Erfolge seiner bisherigen BemfUnmgeBi
die man sonst aus den einzelnen Jshresberiohtsn der Mannheimer Tolks*
schulen zusammenzutragen gezwungen ist, und bringt auf nicht weniger
als 11 Druckseiten ein Verzeichnis der über die hier vertretene Or^-
nisationsfrage bereits erschienenen literatur. So wird man in stand geseut,
') Diese ist niittlerweilo unter dem Titel: E. Scholz, Darstellung und Be-
urteilung doH Mannheimer Schalsystems ab Nr. 256 des Pädag. Magw"»«! heraus*
gegeben tob Fr. Mann^Iaageamlaa, ersohienen.
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II Pidagoguiches
361
die Bewegung von ihren Anfängen an im Zusammenhange zu verfolgen.
Besonders wertvoll ist die erste Arbeit des I. Teils, die Denkschrift »Zur
Frage der Organisation der Volksschule in Mannheim« vom 1. Jan. 1899,
welche Stadtscimlrat Dr. S. den städtischen Behörden überreichte. Sie
bat die wichtige Angelegenheit in FluB gebracht. Besonders interessant
Bind dum die AuseiiiMideEMfkzangen des YerCMsen mit aeinen Oegnern n. a.
in dem Anfeats »Ein pidagogiBohes GntachteD HerbartB mid der tfann-
heimer Schulorganisationsplan « und endlich die MitteiluQgra über die
»StellungnahiDe des Mannheimer LehrerkoUegiumB« usw., welche die
»Modifizierten Reformvorschläge des Schulleiters« zur Folfro hatten. Diese
sind so verschieden von den ersten Absichten des Yerfassers, daß durch
sie selbst heftige Gegner der Sache für dieselbe ^ewonueu wonlen sind.
Diese Wandlungen zu verfolgen gewährt großes Interesse, wie es nicht
minder interoosant ist, acli in die ersten Veisaohe, beaoiidece Stonden-
nnd LehipÜLne fOr die Sonderi[]a88en abmfassen, zn vertiefen. Die bel-
gegebenen Lasten, Erhebangsbogen, tabeHaiisohe Übersichten usw. werden
besoDders denen gute Dienste leisten, die einen Verroch mit der neuen
Organisation machen wollen. Aus den kurz hier zusammengestellten Gründen
ist die Arbeit des Verfassers eine verdienstvolle, das Buch für jeden, der
sieh über die einschlägigen Fragen ein sachliches Urteil bilden will, un-
entbehrlich. Es behält auch dann noch seinen Wert, wenn der Verfasser
seine im Yorwott kurz angedeutete Absicht — vielleicht nach Jaliren der
Erfahrung * znr AnafOhroog bringt, eine »snsammen&BBende Beaibeitung
aller snf die innere nnd ftnfiere Orgamsation grofier Ydlnaohnlkfirper be-
iQgliclien Fragenc m pnbliaeren.
POAneck i. Th. E. Scholz
GiBweatz, Prof. Dr., Die Hei m;it künde in der Schule. Grundlagen und
Vorschläge zur Forderung der naturgeschichtlithen und geographisclien
HeioQatkunde in der Schule. Berlin, Gebr. Bornträger, 1904. X und
139 S. 8<». Oeb. 2,40 M.
Der YerfiBBer geh<irt nicht dem Sohnlfaohe an. Er ist Direktor des
westpreoAiBofaen Pnmnrialmnseams in Dansig. Seine Yorstodien hat er
aus freiem Antriebe in Lehrerkonferenzen, heÄ Sdralbesuchen im In- nnd
Auslande, in der Literatur gemacht. Die Ansichten von Nichtfachmännern
zu hören, ist interessant; sie enthalten Vorzüge und Fehler, aus denen
man manches lernen kann. Zu den Vorzügen des Buches gehört die
Frische, mit der es geschrieben ist. Ohne langes Theoretisieren bespricht
der Verfasser auf Grund eigenei Anschauung das, was er in Schulen ver«
sohiedenstar Art: YdkaBchnlen, PrAparanden» Senünaron nnd höheren
Sohnlen in Besag anf die Behandloitg der naturkundlichen nnd geogra-
phischen Seite der Heimat Torgehmden hat Leeebflcher nnd Lehrmittel-
sammlungen, Bilder und Karten, Schulgarten nnd Sohulmuaeen, Schulans-
flOge und Schulreisen unterzieht der Verfasser einer sachlichen, aber ziem-
lich scharfen Kritik, die sic h besonders die Verfasser weitverbreiteter Lese-
bOcber und Herausgeber von geographischen Bildwerken genau ansehen
sollten. Den Maßstab hierfOr gibt ihm seine hohe Meinung von der
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362
Bespreohongen
Ueimatkenntnis, die zur Heimatliebe führt und die Forderung: »Eb
mofi bei uns darohaus angestrebt werden, da£ der gesamte Dntenielit
«in heimtlicbee Gepräge erhftltc (S. 3). Du ist meiaeB 'Vtoeos das Neoe
an dem Booh, dafi es eine kritisdie DaistsUmu: dm gmmim ÜBtemolilS'
betliebes von den Anfingen der Volksschule bis an die Schwelle der
Universität — Rowoit es sich um die Heimatkunde handelt — gibt
Weil nach dem Urteile des Verfassers bei uns die Heimatkunde nicht
überall in dem Maße gepflegt wird, wie es wünschenswert und notwendig
ist (Vorwort), macht er praktische Vorschläge, die z. T. sehr zu beachten
sind: den SohtUern sind ansgewflhlte heimatliöbe Bilder etwa in Oktav-
giQle und Heimatkarten, womOglidi Absflge der Oeneralstabskarta in di»
Hand zu geben; Aufsätze aus der engeren nnd weiteren Hdmat sollen
den Grundstock der I^sobücher bilden; letztere sollen also landschaftliches
Gepräge erhalten, so daß besondere heimatkundliche »Anhänge« nicht er-
forderlich sind ; die Naturaliensammlungen sollen in erster Linie heimat-
liche Naturkürper enthalten; für LehrausflOge und Schulreisen sind, wo
nötig, Kosten beidt so stdleo; die Sdralwanderongen sind in den Lahr-
plan anftnnehmen und sollen vor allem die Heimat snm Ziel haben; die
Ortsohronik soll anoh eine Sehildemng der »nisprflngliöhen Natur« des
Ortes enthalten; Lefarerkonferenzen konnten, mit entsprechenden Vorträgen
verbunden, auch im Freien gehalten werden; die Fortbildungskurse für
Lehrer müßten auch Vorträge über dio Heimat in ihr Programm auf-
nehmen, wie für Neuphilologen sollten auch für die Lehrer der Geographie
Beisestipendien, und zwar zur BrforBchung der Heimat, bereit gestellt «eidea;
bei Neubanten ist für bOhere Schulen ein besonderes Lehnimmer Ar
Naturgeschichte und Erdkunde einzurichten und dn »Aussiohtsturm« ania-
bringen, fQr Naturgeschichte und Erdkunde wäre ein besonderer Oberauf-
sichtsbeamter anzustellen und so fort. Und diese Vorschläge sind sehr oft
mit charakteristischen Wendungen, wie ;^es ist darauf hinzuweisen;« »es
ist in keiner Weise zu billigen«; »es müßte allgemein angeordnet werden«
eingeleitet In der Tat hat auch bereits das Danziger Provinzialsobul-
koUegium, und seinem Beispiele folgend der preuBisohe Unterriofatsminiiter
eine Verfügung fiber Sohulreisen im Sinne des vom Verliussr snf dea
S. 90 — 92 gemachten Vorschlages erlassen. VorsofaUge von Faohmlaaen
pflegen in der Regel nicht so rasch zu wirken.
Schon aus den genannten Vorzügen ergeben sich für den Kenner
aber eine Reihe von Mängeln, die das Buch an sich trägt Die Theorie
wird soweit außer acht gelassen, daü jede Erklärung dafür fehlt, was
llberbanpt unter »Htimatkonde« zu verstellen ist UmfiiJt sie die beimst-
liehe Flur, den Besirk, die Provinz, dss Vaterland? Auf Ghrnnd der wth
atrsüten Andeutungen kann man den Umfang des Begriffee ganz beliebig
fap55en. — Der Verfasser scheint — wieder mnß man das aus Andeutungen
schließen — der Auffassung zuzuneigen, daß die Heimatkunde Prinzip,
nicht Fach sein soll. Warum wird dann aber der historischen, wirtschaft-
liohen, ästhetischen Seite der Heimat so gut wie gar nicht gedacht? Was
soll in jeder Klasse In der »bestimmten Anzahl von Stunden fOr da»
Heimatknndec behandelt werden? — Die oben an^oHttirten praHisebes
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n Päda^ogiscbefi
363
Torschläge des Verfassers sind bis auf wenige alt Warum sind ihre
geistigen Urheber oder doch wenigstens die Arbeiten nicht genannt, in
denen sie ausführlich begründet zu finden sind? Neu sind meines Wissens
die Vorschläge, daß die Direktoren und Lehrer höherer Anstalten ihre
Pttne fOr FerienrnseD erat dem FkovinsuüaoluilkoUegiiim tnr Frflfüng vor-
sulegen haben nnd daS fOr geogpnphisfdie und natnrknndliohe Heimatkunde
ein besonderer Inspektor anzustellen sei! Sind unsere Direktoren, unsere
Schnlinspektoren zu den Arbeiten nicht fllhig, die da kontrolliert %vorden
sollen? Hier ist das Neuo nicht zugleich das Bessere. Reizt so das Buch
stellenweise zum Widerspruch, so regt es doch auch wieder an und scheint
an »mafigebender Stelle« beachtet zu werden. Bedeutet es also für die
Didaktik auch keinen Fortachritt, so iriid ee innerhalb der Flut dar
heunatkundliohea Literatur immerhin eine besondere Stellung behanptea
und öfter genannt werden. (Die Auaatattuig des Buohea iat einftoh, aber
voniehm).
Pösneck i Th. B. Sohola
rirster, Dr. Fr. W., Jugend lehre. Berlin, Verlag von Georg Reimer, 1904.
Dr. Förster ist uns als ein hervonagender Vertreter »der Gesell-
sohaft für ethisohe Kultur« bekannt; er hat aioh als soloher in dem vor^
liegenden Werk in umfassender Weise um die Lösung sozial-ethischer
Probleme verdient gemacht. Es ist als eine besonders verdienstliche Auf-
gabe anzusehen, die allein wirksamen Hobel an die sittliche Erziehung
der Kindheit und Jugend anzusetzen. Vorerst ist natürlich die richtige
Art der Ziele sittlicher Erziehung festzustellen, dazu bietet sich den Einen
der auf religiöser Orumüage gewonnene Sittenkodez, den Anderen die auf
anthropologischen Studien und p^chologieohen ßr&hrungen beruhende
Mensdienkenntnis. Irren wir nicht, so haben wir bereits unter anderem
von Döring eine umfassende Arbeit über die Notwendigkeit, statt des
herrschenden religiösen Prinzips als der alleinigen Quelle sittlicher Wert-
urteile ein in sich ruhendes anthroiX)logisches zu fordern und davon aus-
zugehen. Weil entweder unvollkommene religiöse Vorstellungen auch
falsche moralische Begriffe und Ideen mit sidi Idingen, oder weil es in
weiten Kreiaen des Volkes an jedem religiösen Bekenntnis, an jeder be-
wußten Stellnng sur Religion mangelt und somit die OeAüir vorliegt, daB
es SU gar k» iiier Normierung sittlichen Lebens kommen werde, hat man
eine lediglich psychologisch begründete Ethik aufgestellt. Der Verfasser
der Jugend lehre verwahrt sich zwar gegen den Vorwurf persönlicher
Ablehnung jeglicher Religion: nur will er innerhalb der Jugend weit sitt-
liche Wertuiteile und Forderungen zur Geltung bringen helfen, die su-
Dicfast noch ganz unabh&ngig von einem religiösen Bekenntnis dastehen
s^leo. Der Verfasser will grandsltslicfa eine Moral ffQr die Jugend bieten,
die auch wirklich das qiezifisch von den Unmündigen zu Fordemde dar-
legt und zwar den mannigfachen Lebenslagen und Verhältnissen gemUß,
in welche Jugendliche gestellt sein können. Er hat es sich zu einer be-
sonderen Aufgabe gemacht, Jugendmoral nicht etwa in der üblichen kirch-
lich-katecheüschen Weise zu lehren. Wir begrüben die ins Einzelne kind*
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364
Besprechongea
lich-jugendlicher Pflichtgebote eindringenden und zumeist überzeugenden
Ausführungen. Was der Verfasser dieser Anzeige seit Jahren von der
moralischen Erziehung forderte: an die Stelle ganz allgemein gehaltener
etfaiacher Yorscfariften eine den titBttohlichen LebeoBlagen der Jogwd ao-
gepafite, mOglidiBl sadiliolie Belehnuig to Ineteii, du ist, nur ausführliohert
in Försters Budi som Ausdruck gebracht Besonders sympAthisch berühren
seine Ausführungen auf S. 642, wo unter anderem die sexueUe Pädagogik
vom Standpunkt einer im besten Sinne vornehmen Gesinnung aus b>
handelt wird. Försters Untersuchungen über die psychologische Behand-
lung ethischer Aufgaben erinnert nicht wenig an Spiuozistische Dar-
legungen psychologisch -pädagogisdiflr Probleme, indem er imter aadeMi
Xnft gogen Kraft, Neignng gegen Neigung, Leidensohaft gegen LeidM-
aobaft aufruft. — Lebenskunde sollte der eigentliche Namo für M(»«l sein,
da es ja gilt, dio heranwachsende Generation in die sdlseitige rechte
Lebenshaltung und Führung einzuweihen. Wohl zn beachten sind die Auft-
führuDgen über das vermeintliche Lernen durchs Leben und Beispiel (S. 6G9).
Ob zwar der konfessionelle Standpunkt im Moralunterricht abzulehnen
ist, so will doch der Ymtnm die ettisoiie Belehnrng dnich eine tiefe
xeUgiOee Bildung ergSast wiesen (8. 666).
Nächst der hfiobst beachtenswerten Begrandung der moralischen flda-
gogik ist das ungemein reichhaltige (vielleicht nur hier und da etwas zu
breite und an das Triviale streifende) Material an Beispielen lOr die Ib-
dividualisierung der Jugendlehre rOhmlichst hervorzuheben.
Kelerstein
OMlig, Ftof. Dr., Didaktische Ketsereien. Leipzig u. Berlin, Yeriag fw
Teabner, 1904.
Gaudigs »didaktische Eetzereienc haben wir schon wegen dr
Frische und Eigenartigkeit ihrer Konzeption mit lebhaftem Interesse ge-
lesen. In kurzen bündigen Sätzen bewegt sich die Darstellung; nichts
von ermüdender steifleinener Paragraphenweisheit. In oft überraschende,
meist treffende Beleuchtung werden die aufgeworfenen methodisch-didtk*
tischen Probleme gestallt; flbenll olfenbart sich der scharfe siohsre Bliok,
die Selbständigkeit des Urteils, sowie das auf vieliachen Erfhhrungea be-
mhende Verlangen nach neuen wichtigeren Wegen hinsichtlich alles des-
jenigen, worauf es gerade im Madchenunterricht ankommt. Als vorzüglich
beachtenswert begrüßen wir die in großen Zügen dargelegten Anschauungen
des Verfassers über die Hauptziele des Mädchenuntorrichts, sowie über
die noch viel zu wenig erkannten und beobachteten Hauptaufgaben der
Frauen und Jungfrauen auf sittlichem Oebiet, siehe besonders die Ksptal:
der praktische Zweck B. 188. Der WOIe aur Arbeit 8. 126. Der ittt-
liohe und teligiDse Zweck; die Bildung dss Gemfits 8. 127.
ILeferstein
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Aus der philosoph
Neue Metaphysische Rundschau.
Heraosgeg. von Paul ZUlmann. 1905-
Band XII. Heft 1.
P. Z., Der Mistelzweig als Symbol der
"Weihnacht und seine Legende. — Baronin
Helene von Schewitsch, Das Seelchen,
eine Geschichte von der Refnkamation.
W. Andreas, Die Fremde, Gedicht —
H. H. Phelps, Der Meister von Akka. —
Bundschau: Geleitwort. — Die Radio-
aktivität und die Alchemisten. — Homco-
path. Krankenhaus. — Der magnetische
Mensch. — Beilagen. — Literatur: Die
neue Paracelsusausgabe. — Rosenthal-
Katalog. — Diederichs Katalog. — Ro-
segger, J. N. R. J. — Die Schriften des
Neuen Testaments. — Textbibel des Alten
und Neuen Testaments, Kautzsch - Weiz-
säckar. — Bleibtreu, H. P. Blavatsky und
die Geheimlehre. — Kerst, Beethoven im
eigenen Wort — Pfungst, neue Gedichte.
PortrÄt: Paraoelsus.
Com mers Jahrbuch fflr Philosophie
und spekulative Theologie. XIX.
3. Heft 1904.
Dr. Michael Gloßner, Zum Kantjubi-
läum. — P. Josephus a Leonissa, Seoti-
stische Theologie. — Dr. Franz ^igon,
Zur Lehre des hl. Thomas von Wesenheit
und Sein. — Dr. Geoi^ Demku, Die
ischen Fachpresse
menschliche Freiheit und die Freiheit der
Wissenschaft Aus dem Ungarischen über-
setzt von Fr. Paul Paluscsäk. — Litera-
rische Besprechungen.
Glauben und Wissen. VonDr.Dennert
UI. 2. Heft 1905.
Prof. Dr. 0. Bertling, Das Wesen der
Religion (Schluß). — Sem. -Dir. Lic. G.
Steude, Glauben und Wissen nach Hebt.
11, 1. — E. Bruhn, Zum zweihuudert-
jährigen Todestage Philipp Jakob Speners.
— Umschau in Zeit u. Welt — Notizen.
— Apologetische Rundschau.
m. 3. Heft 1905.
A. W. Fürer, Brot — Dr. med. J.
Fröhlich , Zweckmäßigkeit , Selbstzweck
und Endzweck im Lichte der Entwicklungs-
lehre. ~ Dr. E. Donnert, Die Stellung
des Menschen *im Weltall. — G. Petroff,
Gedanken vor Leonardos »Abendmahl«.
— Zeugen Gottes aus Wissenschaft und
Kunst — Umschau in Zeit und Welt.
— Antworten auf Zweifelsfragen. — Apolo-
getische Rund.schau.
Mind A Quarterly Review of Psycho-
logy and Philosophy. Edited by
Prof. 0. F. Stout New Series. No. 53.
January 190'».
n. n. Joachim, Absolute and Relative
Truth. — J. H. Leuba, On the Psycho-
Digitized i^y Google
366
Fachpresse
logy of a Group of Christian Mystics. — [
H. W. h. JosepU, Prof. Jaines on Huma-
oiam uul Iknth. — Alfred Sidgwickf
AppBad Axioms. ~ B. A. P. B&gon,
Ihe Mcaning of the Time - Direction. —
H. MacColl, Symbolic KeasoninE^. — Dis-
cu&«?ions: .T. Rolomon. The Paradox of
Psyuhologj'. — Criticai Notioes. — New
Books. Fbiioaophioal Ffiriodkuda. —
Notes.
Revue de AUtephysique et de Mo-
nle. (M. X. lAaa.) 13e snnde, No. 1.
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Leibniz . Trois dialogues mystiques
inetlits. Fragments publies avec une in-
troductioa par Jeau Baruzi. — G. Belot,
Ea qnete d'nne moiale positiTe. — F.
l^Uin, La raisou etlesantinomies (Saite).
— Stüdes Critiqups: J. Weber, Les
theories biologicjiies de M. Ben6 Quinton.
— (^uestioüs Pratiques: P. Lacombe, La
leprteMitation proportionnelle ä propos du
livie de M. P. Lachesosis. — ^pple-
ment: Ndcrologie. — livres noaveanx.
— Revues et Periodiqoes. — ongres de
Psychologie.
Die Kinderfehler. Zeitschrift für
Kinderforschung mit besonderer Be-
rücksichtigung der püdagogischeu l'atlio-
logie. Herausgegeben von J. Trüper,
IHiektor des ünnslnmgihiiimes und
Emdenanatorinms auf der SophieahBhe
bei Jena und Chr. Ufer, Rektor der
Madchonmittelschule in Elberfeld. X, 2.
A. Abhandlungen: Schubert, Einige
Aufgaben der Kinderforschung auf dem
Gebiete der Enieluiiif . ^ B. Mitteflongen :
W. Strohmayer und W. Stnkenbei^, Be-
richt über die VL Versammlung des Ver-
eins für Kinderforschung am 14. — 16, Ok-
tober in Leipzig. — 0. Fischer, Der
XL BUndenlefazer-XongreS in Halle t. 8.
Tom 1.— 6. August 1904 (SehloB). — Die
Oründung eines Hilf sschul verband es in
Eoglaiid (SohioA). — Frans Frensel, £e-
[ rieht über die Verhandlungen der XL
Konferenz für das £rziehungs- und BU-
dangswesen GeiateeachwaoliBr am 6. Us
9. September 1904 in Stettin. — Yer-
einigong für Kinderfcrschung in Mann-
heim. — Weiteras sor Xongreifn^se. —
C. Literatur.
Kantstudien. Philosophische Zeitschrift.
Herausgegoben von Dr. Han.«? Vaihinger
und Dr. Bruno i^uch. Band X. Heft
1 n. 8. 1905.
O. Oerisnd, Lnrnsnesl Esnt. ssine
geographieolien und anthropologischen
Arlieiten. — Franz Staudiuger , Der
Gegenstand der AVahrnehmung. — Ha^jo
Kenner, Der Begriff der sittlichen Er-
fahruDg. Dr. Tim Klein, Eamlet and
der Melancholiker in Kants »Beobeähtungea
über das Gefühl des Schönen und Er-
habeneut. — Bruno Baurh . Euckens
philosophische Aufsätze. — M. Ascher,
Benouvier and der inrnsSsieohe Knti-
lismas. — Emst von Aster, Der IV. Bind
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Mitteilungen der Oesellschnft fflr
dentodie Eniehungs- imd Schid-
geMhichte. Jahiiang 190SL 1.
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Handschriften in ihrer Bedeutung für die
Geschichte des Untorrichtsbetriebs. —
Ludwig Weniger, Ein Schulbild aus der
Zeit nadh dem Dreit^gilirigen Kriege^ —
Friediioli Wagner (f), Die lateiniiohe
Grammatik von Johann Greußer aus
Rothenburg ob d. Tauber, mitgeteilt von
Oeoig Schuster. — Außerdem Jahies-
berioiitB «ler die IdsloiiBoh-pädagogisdMo
Bnolieinangen ans der Zeit des Mittel-
alters (Rieh. Galle), des Gbmanismus (Rad.
WoUtan) and der Beformstion (0. Mertt).
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E. Zeißig, Forraenkunde. Ebenda.
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Hichel, Sprachübungen. Ebenda.
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wissenschaftlich-padiu^ogischer AhhaDd«
lungen. Leipzig, Teubuer.
Draok TW Hflnona Bqror * SOhoe {fiagm k Mna) la hmtmtOm.
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Kind und Kunst
Einige experimentelle Untersuchungen zu einigen Grundfragen der Kunst>
erziehung
Von
Marx Lobsien, Kiel
(Fortsetzung)
5. Melodie und obligatorische Texte
Man muß von vornheroin zu^^cbon, daß die Schüler, auch in
unserm engeren Vaterlande, von dem zu Unrecht das Wort kur-
siert: Holsatia non cantat, in viel weiterem Uinfango mit der sing-
baron Lyrik in Berührung kommen als mit der nicht singbaren. In
manchen Landstrichen, besonders hei den Nordfriesen, ist der Ein-
fluß des Hauses groß. Daneben ist der Leierkastenmann, der die ent-
legensten Dörfer und (iohöfte aufsucht, der gegebene Triiger und
Vermittler neuer Lieder. Ob freilich der Einfluß hüben wie drüben
immer ein wünschenswerter ist, bleibt abzuwarten. Ich denke dabei
natürlich nicht an obskure zweideutige Gassenhauer, sondern an jene
Erzeugnisse breiter .Sentimentalität, aufdringlicher Geschwätzigkeit,
oder wie man sie sonst charakterisieren will, die in gewissen Stim-
mungen und Neigungen der breiten Äfasse einen günstigen Käsonanz-
bodcn finden. Auf jeden Fall: kommt das Kind mit dem Liedc in
reichere Bei-ührung, so bietet sich ihm für die Bestimmung seines
Lieblingsliedes eine reichere Auswahl. Wenn es sicli für die Lieder
mit obligatorischem Texte entscheidet, so wissen wir zwar auf Grund
der Ergebnisse der vorigen Untersuchung, daß solches geschieht zumeist
nicht um des Textes, sonduni um der Melodie willen, aber zugleich
Zeitschrift flLr Philosophie und PBdAfi^oi^'iU. IJ. Jiüir(r∋. 24
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370
AufBStse
dürfen ^vir darin einen Beweis dafür erblicken, daß trotz reioherait
Einflusses in ungünstigem Sinne, danemde Übung gar wohl g^gea
Schädlingo zu immuni>ioren vermag.
Natürlicii fehlt uicbt hier und da die Vorliebe für den berühmt'
berüchtigten »kleinen Eohnc und: Bort auf dem Baume, da hing ne
Pflaume und was derartige Sachen mehr sind, im allgemeinen aber
finden sich die eben ausgesprochenen Vermutungen bestätigt. Das
möge die nachfolgende Tabelle zeigen. Sie gibt in Prozentualwerten
an, wieviele minderwertige Lieder auf 100 insgesamt ausgewählte
kommen, wieviele obligatorisch vorgeschriebene und wieviele religiösen
und patriotischen Charakters. Die prozentuale Verrechnung ist not-
wendig, weil naturgemäß auf den niederen Altersstufen die Aiusahi
der bekannten Lieder geringer ist als bei älteren Schülern.
1
2
3
4
5
stufe
gesamt
minder-
wertig
oUigar
toriecli
religiös
patriotisch
l
Ku.
W)
9
22
8
9
n
Kn.
M.
100
100
2
9
7
5
5
5
2
m
Kn.
M.
100
100
10
7
29
3
6
6
6
IV
£n.
M.
100
100
8
31
12
11
5
8
V
Kq.
M.
100
100
4
11
24
24
VI
M.
100
6
19
Vergleicht man zunfiehst das Veriiältnis der Anzahl mind0^
wertiger Gedichte zu der Gesamtanzahl, so jBndet man das erfreuliche
Ergebnis:
100 : ^ o. 100 : 8.
Durclnve^' ist da.<^ Verliältuis für Mädchen günstiger als für
Knaben; ich bereciuic Kiuibin: 100 : 6,6, Mädchen: 100 : vS,2. Aus
naheliegenden Gründen sind die niederen Altersstufen den älteren
gegenüber stark begünstigt. Der Einfluß der Schule tritt besonders
deutJicli zu Tage, wenn man folfrendos erwägt: Ks ist selbstverständhch,
daß die Schule für die in Kolonne 2 aufgeführten Daten für mmder-
wertige Lieder nicht verantwortlich gemacht werden darf, hier wiri^en
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Lobsien: Kind und Knnst
371
andere Einflüsse, aber von den wertvollen Liodern fallen nicht 1%
auf die Einwirkung des Hauses; so stark ist die Macht der Schule.
Das lehrt auch ein Blick auf die Kolonne 3; nur ist hier zu be-
denken; daß die Auswahl ungleich geringer ist Unter 100 Liedern
fanden sich insgesamt 157o obligatorische Lieder, im einzelnen be-
rechnete ich für Knaben 20^ oi ^ür Mädchen 10%. Das günstio:ere
Ergebnis für Knaben mag wohl damit zusammenhängen, daß die
obUgatorischon Texte fast ziu" Hälfte patriotischen Inhalts sind und
eine dementsprechende seh wuug\ oll-kräftige ]\Ielodie tragen; wie aber
Kolonne 5 belehrt, ist der Knabe dafür — die Stufe V ftUlt aus —
bedeutend empfän^^cher. Ich berechne die Werte:
25
Knabto: » 6,2 : Mftdchen — 0.
Die Mädchen haben nicht ein einzig mal ein patriotisches Lied
als lieblingslied bezeichnet. Anders ist das mit den feierlicheren
getragneren religiösen Lietlern. Hier stehen die Knaben den Mädchen
gegenüber in dem Verhältnis 6:14; währond der von den
Knaben genannten Lieblingslieder religiösen Inhalts waren, fanden
sich bei den Mädchen 14%.
So belehrt aueh diese Betrachtuni: darüber, daß auch mit den
heutif4:»'n ^[itteln niancht'rlei in der Kielitiinü: des Outen und Schönen
eiTcicht wird, daß nicht unbedeutsame Immunisierungskriifte darinnen
enthalten sind — d. h. solanp' die Einflüsse wirksam sind. Hernach
allerdings, wenn die steten Einflüsse aufhören, bemerkt man leider
oft ein ersclircckendes Überwuchein widerwärtiger Literatur. Mau
muß aber bedenken, daß hier Momente eingreifen, die einer Unkultur
entstammen, für die solche Lieder nur sympti iniatisch sind. Nur wo
(las ganze Sinnen und Denken des .Menschen unter stetem p]influß
veredelnder Erziehung steht, kann solcher Abfall verinieden werden.
Wir haben hier erneut einen Beleg für den engen wohl\ eistaiid-'uen
Za>sanimenhang zwischen Kunst und Ethik. Der eciite Kunsisinn,
diLS %\ahre Kunstgenießen ist nur in einer ethischen Persönlichkeit
reinlich möglich.
6. Das Lieblingsbuch
Die Frage habe ich sciion vordem gestellt in der eingangs er-
wähnten Abhandlung: Kinderideale.*) Dort geschah die Fragestellung
unter einem allgemeineren (resichtspunkte. Weil sich mir bei dem
vorliegenden Versuch willkommene Gelegenheit bot, eine dort in
0 S. 465 ff.
24»
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372
Allbitze
Aussicht gestellte notwendige und umfängliche Ergänzung vom*
nebmen, 80 will ich zunächst in aller Kttize die dort gefundenen
Resultate resummieren.
Diese Untersuchung mußte, sofern sie sich auf Volksschüler
bezog, mit dem Umstände rechnen, daß numche Kinder für Bücher
nichts oder doch nur wenig »ansulegenc yermögen. Die Schäle^
bibliothek enthält keineswegs immer, was die Jugend besonders m-
zieht 1) und die Leihbibliotheken, die manche jngendliche Finanzgenies
aufzutun wissen, sind schwerlich geeignet, das In toresse für einzehie
> Werke« zu fesseln. Man muß das Kind fragen, will man zu-
verlässige Antwort erfahren auf die Frage : Wie heißt dein Lieblings-
buch, nicht den Theoretiker allein, der, ich gebe das gern zu, mit
psychologischem und starkem Uteraiisch- kritischen Verständnis am
grünen "Ksche auswälüt
Ich verlang-to dort zunächst eine schätzungsweise Angabe über
die Zahl der Bücher, die die Prüflinge gelosen liatten. AVeil ver-
säumt wurde, unerwartet hornacli die Titel aufschreiheu zu lassen,
so hatten die Angaben Weit weniger innerhalb der durch das Thema
gewieseneu Aufgabe, als insofern sie zeigten, wie poß oder klein di'^
Schüler zu sciuitzen wußten. Während mancher Bube eine so gr^ße
Anzahl gelesen hatte, daß keine Zahl ihm groß geuuir seinen, sie an-
geben zu k(»uneu, waren die Mädchen groß im Untei-scliätzen: ihn.'
Anpibtni waren nach unten ungenau, wenngleich nicht in dem Maß«
wie die ins (Iroße hiueinprojizierteu Anjjaben der Knaben.
Bei der vorliegenden Untei"suehunjj: bot sich mir Gelegenheit,
die oV)eu erwähnten Fehler zu vermeiden.
Zum fenieren Vergleich wiederhole ich hier folgende Tabellen.
Sie ludx'u je ein Beobachtimgsmaterial von 250, insgesamt von
500 iSchülern zur (h*uiidlage.
(Siehe f.)l,-en(le Tabellen auf S. 373.)
Blickt man auf die ( iesamtAverte der letzten Kolonne (es handelt
sich hier um absolute Werte) so erkennt man, daß MärclieulnichiT
allen andern wesentlich vorgezoiren wi'rden. Bezeichnend aber ist.
was sich aus dem Vergleich d^r Sonderkolonnen eriribt daß di-^
Literesse für .Märchen stetig: abnimmt. Bei den Mädeiien wuil das
angedeutet durch die Zalileu: 2S, 28, 33, 17, 12, bei Knaben durch
die Werte: 22, 25, 18, 13. 3. Die eigentlichen Märchenjahre lieiron
also in der Zeit vom 9. bis zum 12. Lebensjahre. Dann erwacht
deutlich das Bedürfnis zu kritisieren. Die eingehendere Beschäftigung
^) Selbstredend denke ich nicht au SchundUterator!
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LoMDor: £iiid und Kmisl
373
Knaben:
Stnfe
Name des Baches
Sornme
I
II
ni
IV
V
2
10
3
4
1
20
IndianeTgeschkihtB . .
16
11
7
3
2
39
Beclienlmch von Eahn-
meyer u. Schulze .
2
5
3
5
15
Naturkuodlichea Buch.
2
„ 1
2
Bibel
1
3
2!
1!
4
Jiuruheubuch ....
3
13
lö
25
22
81
Nansen: Im ewigen Eise
1
1
3
1
4
Burenkrieg ....
1
2
—
—
3
fiopa KpnfonAr
9
O
A
"Weltgescbichtsbuch. .
1
'i
—
2
Schullese buch . . .
4
7
1
—
1
2
1
X
Bnlenapiegel ....
1
1
Xfindhlunsen. . . .
1
1
Emhliingeii y. Sohmid
—
1
—
1
1
Mädchen:
Stofe
U ame des Boches
Somme
► im.
I
lU
IV
V
Robinson
6
7
b
28
Bibel
12
12
l)RlMi^a(p|iiiok • . . .
12
17
33
28
28
118
w etigeMiiionniioD
2
2
Pciiullcsobooll*) . . .
2
1
r,
9
Bi!it'rbuch ....
2
1
■
3
' ' ' •
1
1
mit der objektiven Welt diszipliniert die kindliche schweifende
Phantasietätigkeit und macht dem Marchenglauben ein Ende, in-
bonderheit bei den Knaben. Die Distauü zwischen Bild und Wirk-
'j Eb kauieu hier iu i^ragu: 1. Dor Kindorü'eund von K. F. Tu. Scukudkr
lad 2. Das Vatoritodisehe Lesebaeh von Kacx und JcBAunna.
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374
Aufsitze
iichkeit wird geringer; der Drang zum Finden und Foracdien greift
ein. Dabei bleibt aber das alte Kraftbewußtsein. So erwacht der
Drang in die Ferne, wo die Phantasie noch walten kann: das ist
die Periode des Robinson und seiner Kehrseite, der erbäimlichea
Indianergeschichte. Der Burenkrieg interessier^ Nansens Fahrt ins
nördliche Eismeer und mancherlei Seeabenteuer. Die eigentliche
Robinsonperiode ist die Zeit vom 12. bis zum 13. Lebensjahre. Da-
neben erwacht dann naturwüchsig das Bedürfnis einer objektiven
Weitbeobachtimg: naturkundliche, weUgeschichtliche u. ä. Bücher er-
regen ernsteres Interesse.
Noch will ich kurz erwähnen, daß das eingefühlte Schiillesebuch
— man vergleiche die letzte Fußnote — und die durch die Anstalten
ernstlich unterstützten Bestrebungen der Jugendschriftenbeurteiler aal
wenig günstige Beurteilung rechnen mußten. Ich nahm Gelegenheit
eine Reihe von lieblingsbüchem einzusehen: elende Warenhausliteratur
— und nur 8 von den Prüfungsausschüssen empfohlene Bücher
wurden als Lieblingsbücher bezeichnet, 8 von 359! das soll meiner-
seits kein Vorwurf sein gegenüber jenen Bestrebungen; man sieht
aber wieder, wie schwer beste Absichten den Kampf mit 1 bis 2 FL,
die man ersparen könnte, aufzunehmen vermögen.
Und nun die neuen Yoi*sucho und Beobachtungen! Ich gebe
zum Vergleich zunächst die Ergebnisse, die sich beziehen auf die
Frage nach der Anzahl der gelesenen Bücher, ohne Nennung d«
Titels.
Das oben erwähnte Ergebnis bezüglich der Schiitzungsungenauig-
keit konnte ich im allfrenieiiipn nur bestiitigen. Die Bestätigung i>t
zuverlässiger, weil sie geschah im Hinblick auf die der ei*sten folgende
genauere Angabe des Titels der gelesenen Werke. Allerdinirs hat
auch diese ihre Mängel, weil gewiß nicht alle Bücher genannt ^\o^len
sind, das (iedächtnis im Stiche ließ (das beweisen die nicht selten
angefügten Bemerkungen: usw., und viele andere, o. ä., und man
weiß nicht, ob diese einen tatsächlichen Gedächtnisniangel kon-
statieren sollte, oder sich mit der eben vorher genannten Anzahl
auszusöhnen bemüht war; sicher ist soviel, daß oft eine rückläufige
Korrektur vorgenommen wurde und zwar in viel weiterem Umfange
durch die Knaben als durcli die Mädchen). In einem Punkte war
aber der Vergleich mit d(m vorigen Versuchsergebnissen stark er-
schwert. Die Zahlenangaben waren bei den Knaben stark \erall-
gemeinert; auf den oberen Stufen waren 7, — ^4 ik'samtaiigaben
charakterisiert: viele, sehr viele, o. ä. Bei dem Vergleich der
Schätzungsdaten mit den betitelten gelesenen Schriften blieb mir
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Lobsibn: Kind und Kunst 375
daher nur übri^, durcligehcnds, den Durchschnittswert der be-
stimmteren Schätzungen als Vergleiclisniaßstal) zu Mrunde zu legen.
Ich fand:i) die Distanz zwischen Schätzungs- und WirkJiehkeit'^daten
(c. gT. s.) bei Knaben weitaus gritßer als bei den Mädchon. Die
Distanz war bei den Knaben um dtus 12. bis 13. Lebensjalir herum
sehr groß; das späten' Alter machte vorsichtiger, auch kamen reich-
hcher nachträgliehe Korrekturen vnr.
Wesentliciier sind die Antu orten auf Frage 14 nach dem Lieb-
lingsbuch und eine Zusammenstellung aller Hücher, die für die ein-
zelnen Geschlechter auf den besonderen AlteiNstufen als solche be-
zeichnet wurden, die gelesen worden waren. Die letzte Zusammen-
stellung erfolgte auf Grundlage der Antworten auf Frage 14c. Die
erste Angelegenheit gestattet wieder einen Vergleich mit den Resul-
taten der früheren Untersuchung. Ich stelle die Ergebnisse zunäciist
ohne Rücksicht auf die früheren Beobachtungen hier zusammen.
Ich glaube am kürzesten verfahren zu können, indem ich zu-
nächst die Titel der genannten Bücher verzeichne; im allgemeinen
darf man sie mit einem Pluszeichen versehen, weil das Gedächtnis
sie wertbetonte. (Zwischenein möchte ich nur noch bemerken, daß
in sehr vielen Fällen unmöglich war, den Verfasser des Buches fest-
zustellen, doch charakterisiert der Titel desselben den Inhalt mit hin-
länglicher Deutlichkeit.)
Knaben
Stufe I
Schillers Werke, (foethes Werke, Im wild*Mi Westen, Die (ieier-
Wally, Die Rose von Tannenberg. Sigismund Rüstig, Chaf Moltke,
Waldferien, Ut Ilenhek, Reise um die Welt. Kapitän Jack. Hauffs
Märchen, In der Wildnis, Odyssee, Lessings Werke, Märclien von
Anderson, Grimm und Bechstein, Heidi (Bd. I u. II). Aus dem
Leben eines Taugenichts. Marschall Vorwärts. Reuters Werke. Am
Kongo, (refiederte Baukünstler. Tausend und i.'ine Nacht. Kriegs-
novellen. Die Ahnen. Siegfiiedsage. Jägers Weltgeschichte. Der
trojanische Krieg, i^lutterliebe der Tiere. Aus großer Zeit. Nil)e-
lungen. üt Ilenbek. Schleswig-holst. Sagen. Fischeln Jugendgrüße.
Ein deutscher Ritter. Die Kapelle bei Wolfsbühl. Das beste Erl)teil.
Willielni Teil. George Wa.shingt(jn. Gudrun. Pole Poppenspiüer.
Entdeckungen in Haus und Hof. Till Eulenspiegel. Wilhelm der
Große. Brehms Tierlebeu. Onkel Toms Hütte. Münchhausen. Her-
loh gebe keine speziellen Daten.
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376
AviBltEe
mann und Dorothea. Als ich noch der Waldbauerabub war. Der
Sohneider von Gastein. Das Knabenbuch. Die Fröschweiler Chronik.
Babinson. Heimgarten. Erzählungen eines alten Hannes. Ledei^
strumpf. Eriminalroman. Vom Matrosen nun KflnsÜer. Enzt Jansens
Abenteuer. Der Wildtötor. Lustige Oescbiohten. Der alte Dessauer.
Bozen&milie. Nettelbeclc Auf der Pniiie. Wifimanns Beisen.
Kapitän Hotteras (?). Quo yadis. Otoli, das Folenmidchen. Der
kleine Oraf. Sine gefangene Nachtigall. Die Sohloßmutter. Im
Dschungel. Eiautschau. Die Ditmaischer. Brave Leute. DasScheosai
von la Orange. Entdeckungsreisen in Feld und Flur. Das Oeheimms
* des Schreibtisches. Der Pfadfinder. Die Einder des Auswanderen^
Der Drache am gelben Heer. Emin Pascha. Hans Stazck. Der
ietate Hohenstaufe. Die Bärenjagd. Der Ural. Die starke Hand.
Eckehard. Verwehte Spuren. Das Yermächtnis des Inka. Auf dem
Eriegsp&de. Die Diamanten des Peruaners. Ereua und quer durch
Indien. Indianergeschichten. Das Giücksschift Wallenstein. Jugend-
streiche. Die Waise 7on Lowood. Strandl&ufer. Yogelbuch. Ost-
seesagen. Heinrich von Flauen. Im Feuer. Orkan auf Euba. Savo-
jaidenbalL Das Erdbeben von Lissabon. Ein Flug ins Zauberreich.
Der Skalpjäger. Der Rattenfänger. Der dentsch-finuuösische Erieg.
Im Ooldlande. Tierschutzkalender. Die letKten Tage von Pompeji
Gründung von Buffado. Die FrithjofB-Sage. Es war einmaL Heut»
mir, morgen dir. Was Gott tut, das ist wohlgetan. Schwarze Galeeren
(Babe). Die Ostindien&hrer. Die Belagerung von Eolbeig. Die
Bache des Indianers. Vaterländisches Ehrenbuch. Eii^gsdironik
1870/71. Utmine Stromtid. Der Spion. Der Waldläufer. DerHensoh
und seine Basse. Im Osten Asiens. Die Harine am Eongo. Der
letzte Hohikaner. Heinz Treuaug. Onkel Titn& Im dunkeln AMa,
Der Geizhals. Schloß Wildenstein. Friedrich der Qrofie und sein
Bekrut Frösohweiler Chronik. Der Leuchtturm. Erzählungen eines
alten Seemannes. Der kleine Lord. Gefunden. Marks Biff: Der
Mulatte. Am Wegesrand. Geschichte eines Bekruten anno 13/14.
Wilhelm Teil Götz von Berlichingen. Das edle Blut Träumeruea
an fisnzösischen Eaminen. Amerikas (?) Befreiungskrieg. Die fnui-
zdeische Bevolution. Schweizer Geschiditen. Geschichte der Erde
Der Eampf in China (?). Prinz Heinrichs Heise um die Welt Das
Volk steht auf. Die Entdeckung Amerikas. Das Volk steht aa£
Der gestiefelte Eater. Ein nordischer Held. Gefunden. 18 Jahre
in Südafrika. Der weiße Häuptling. Deutsche Charakterköpfe.
Allerlei Märlein und Schwänke. Tiermäichen. Die Hosen des Herrn
V. Bredow. Lohn einer guten Tat Glückskindle. Deutsche Lands^
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Lobsien: Riad uad Kuost
377
knechte. Der kleine W alüsciiiunger. Der Elefautenjäger. Der ßatten-
fiinger von Hameln.
Stufe II
Jack. Die Bärenklaiie. Der Goldsh-iimpf. Kurt Jansens Aben-
teuer. Onkel Toms Hütte. Ein Seesturm. Der weiße Häuptling.
Robinson. ImliaiuTbuch. Der Trapper. Inlichter. Der flie^rende
Koffer. Waldnioisters Brautfalirt. Der Untergang der l^iraton. Der
weiße Biber. Zt liu Jahre auf dem Eise. Eine Reise um die Welt.
Indianergeschichten (viele!). Heinrich von Plauen. Robinson. Der
Reiter ohne Kopf. Der Pfadfinder. Der Waldläufer. In der Wildnis. '
Unter deutscher Flagge. Der Wildtöter. Treu bis in den Tod. Kloin
und groß. Aus dem deutsch -französischen Kriege. Die Woche.
Deutsche Helden. »Ein ]ilärchenbuch c — (sehr oft). Ziethen.
J. Wullen Wewer. Atolle, die kühne — (?). Der Sohn des Paschas.
Rübezahls Streiche. Bechsteins Märchen. Der Wildtöter. Gauner-
leben. Gespenstergeschichten. Hänsel und Grethel. Bobinson. Die
Wilden Afrikas. Märchenbücher.
Stufe in
Faust ISÜi Eulenspiegel. Fiesko von Genua. Die Bäuber.
Erichs Eerien. Heidi Ehre und Pflicht Mein ist die Rache*
Bobinson. Ledeistmmpf. Der Skalpjäger. Sigismund Blistig. Unsere
Karine. Max und Moritz. Ben Hör. Bheinlands Wunderiiom. Der
Krieg in Transvaal Hauffo Mfirchen. Der Skalpjäger. Der Eährten-
raeher. £arl Maj. GenoTeva. Heldenmut Die Goldgräber in Kali-
fornien. Bismarck. Der rote IVeibeuter. Unschuldig zum Tode ver-
urteilt
Stufe IV
Der rote Freibeuter. Kiibezahl. Tausend und eine Nacht. Schillers
Werke (!) Das Flottonbuch. Münehhaiison. Till Eulenspie^el. Der
Schneider von Jiiterbo^^ Gartenlaube. Rcinecke Fuclis. Die
Zeitung (?). (nülivei-s Reisen. Rübezahl. Die Ody.ssee. Prinzeß
Elisabeth. Das Knabenbuch. Der Waldläufer. Der weiße Falcke.
Ka.spar Ohm und ick. Der kleine (iraf. l'iratenschiffe. ]\lüneli-
hausen. Kämpfe mit den Rebellen. Ostindienfahrer. Miinchhausen.
Volldampf voraus!
Stufe V
Kriegsbuoh 1870/71. Die Woche. Märchenbücher. Chinafeld-
zug. Dentsch-Sadwestafrika.
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378
Mädchen
Stufe I
Tküteköpfchen. Töchtenlbum. Atis Pension und Leben. lichten-
stein. Susanne. Elthe. KmdSimationsjahr. Böse v. Higenow. WÜd-
fang. Stiefanütteidien. Weite, weite Welt Goldelse. Backfischcheos
Leid und Ireud.
Stufe ü
Kleeblatt Heidi. Irotaköpfohen. Was das Leben bringt Töchte^
Album. Pole Poppenspttler. Käthe. Märchen. Rosen und Domen.
Maibliimon. Trostblümchen. In der Pension. Silberblicke. Die
Jugend. Trotzköpf chen. Goethes Werke. Kriegshelden. Andersens
Märchen. Bechsteins Märchon. Grimms Märchen. Kinderlust
Robinson. Märchen. Bibel. Wat Giotmatter verteilt Geisha.
Kinderwelt Die Rose von Tannenberg. Ans eigner Kraft. Kulen-
spiegeL Schillers Werke. Irmgaid von Treuenstein. Bealienbach
(Kahnmejer u. Schulae). Quickbom.
Rtufo III
Elisabeth. Im Mai des Lebens. Küthe. Prinzeß ürethe. Priiiz.'ß
Ilse. Dalli. Lottchens Ponsionsbriefe. Ruth und ihre FreuDde.
Provinzniädül. 50 Sonntage. Rose von Taunenberg. Robinson. Aus
Nah und Fern. Der Arme und der Reiche. Klaus der Traunior.
Hansel und Grethel. Als ich noch der Waldbauernbub war. Fritz
und Franz. Kulenspie;j:el. Ta^^ebueh dreier Kiuder. Kathcliens Schick-
sale. Seimas Unfall. Aus sonnigen Taften. Max und Moritz. LilÜ
und Erna. Der .jugendheinigarten. Die zelin Gebote. Ein DraniÄ
auf dem Meere. Mädcheugescliichten. Theresens Tagebuch. Henriette
Köhler. Trostblümchen. Die schwarze und die weißo Braut Die
Ostereier. Aus eigener Kraft Indianergescliichten. Das Häuschen
am See. Wilhelm der iSiegreiche. Heldensagen. Tausend und eine
Nacht Klein Maitlia. Das Erdbeben von Lissabon.
Stufe IV
Selige Zeit. Die kleine Wilde. Fräulein Dr. Die Heideiwe.
In der Pension. Eva v. Rosenberg. Rose von Tannenbeig. Oiiaeldis.
M ä r c h e n q u e 1 1. G ri nuns Mäichen. Bechsteins Märchen. BobinWi»
Heinzelmännchen. Sagen.
Stufe 7
Einderreime. Bobinson. Struwelpeter. BoseuhÜtte.
Digltized by Google
Loobiem: Kind uud Kunst
379
Die Stufen T und 11 der Mädchen enthalten lodifj^licli die ver-
zeichneten Lieblin^biicher, das ausführliche Verzeiclmis hat ein un-
glückliclier Zufall vernichtet. Hintenacli erwies sich als unpraktisch,
die verzeichneten Liehliiit;shücher in der ohij^en Anj^ahe zu unter-
streichen; zunäclist wegen der ^rrößeren Anzahl der «renannten Büclier
und danu weil — wohl veranlaßt durch die gewiesene Reihe der
Fragen — nicht immer die Lieblingsbücher in der allgemeinen Auf-
zählung erwähnt wunlen. Ich sehe mich daher genötigt, bevor ich
allgemeinere Schlüsse ziehe, die Bücher, die besonders bevorzugt
wurden, hier anzumerken. Natürlich fallen Stufe I und II der Mäd-
chen aus. Die Wertbezeichnung geschieht in derselben Weise duich
Unterstreichen.
Lieblingsbücher
1. der Knaben
Stufe 1. Kampf um Rom. liliade. £ckehard. Zriny. Schillers
Werke. Deutsches Knabenbuch. Seeromane, Im höchsten N(«iden.
Himmelsknnde. Der Jugend üeimgarten. Sagen. Brehms Tierleben.
Odyssee. Flottenbuch. Koblnson. Heiz. Der alte Fritz. Welt-
geediichte. Waldbauernbub. Nibelungen. Burggraf und sein Schild-
knappe. Fiiedrich II. und sein Rekrut. Der alte Derfflinger. Die
deutsche Ruhmeshalle. Reuters Gedichte. Prinz Heinrichs Reise um
die Welt. Grimms Märchen. Wat Grotmutter verteilt. Jöre ÜhL
Teil. Die schwarze Galeere (Rabe). Schleswig-holsteinische Sagen.
Lederstnimpf. Tausend und eine Nacht Der Seekadett Ein Kapitän
von 15 Jahren.
Stufe II. Märehen. Indianergeschichten. Kaiser Wil-
helm I. Leben. Höllenfcuer (Rosegger). Tausend und eine Nacht.
Sigismund Rüstig. Gullivers Reisen. Heinz der Lateiner. Der Buren-
krieg. Robinson. Das edle Blut. Kriegserlebtiisse eines Freiwilligen.
Bibel SchuUesebuch (IX). Chinafeldzog. Teil
Stufe in. Urelieii. Indianergesohichten., Skalpjiger.
Sigismund Rüstig. Max und Moritss. Entdeckungsreisen. Bobinson.
Prinz Heiniichs Beise. Hanff. Witzbuch. EnlenspiogeL Jugend.
Slottenbooh.
Stafe IV. Heinzehnlinnchen. Flottenbuoh zu 3,50 M. Nutzen
der Geflügebsuchi Bobinson. Jugend-Gartenlaube. Kaspar Ohm und
ick. Ledentarumpf. Ureheii. BttbezabL Der kleine Gral Tanzend
und eine Nacht Httnsel nnd GreteL Gullivers Beizen. MOncfa-
hanseii.
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380 AuMtze
Stufe Y. Märchen. Abenteuer. Onkel Toms Hütte. Der ge-
stiefelte Kater. Der tapfere Schneider. Tausend und eine Xacht
Emin Faschab. Die eiserne Hand.
2. Miidchon
Stufe in. MSrehen. Herzblättchens Zeitvertreib. Heimatlos.
Töchteralbum. Heidi. Jugend- Gartenlaube. Wat Orotmatter ver-
telit Erdbeben von Lissabon.
Stufe IV. Märchen. Max und Moiits. Märchenquell (Blütfa^).
Schwanke und Schnurren.
Stufe V. Märchen. Robinson. Goethes Werke (!).
Rein äußerlich betrachtet, zeigen sich schon charakterisri>che
Unterschiede der boidon (leschlechter sowohl bezüglich der Auzakl
der ausgewählton Licbluigsbücher wie der Anzahl der genannten
Bücher überhaupt. Unliorechnet die Häufigkeit einzelner Titelanpiben
konnte ich folgende Anzahl verschiedener Titel der Lieblingslektüre
auf den einzelnen Altersstufen verzeichnen:
Stufe JKnab«! Mttdobea
T 36 —
II 16 13
m 13 35
IV 14 8
V 8 4
VI — 3
Insgesamt: ^ — 17,4 ~ « 12,6.
n 5
Die Gesanittitel berechnete ich für die einzelnen Stufen:
Stufe Knabea Mftdohen
I 179 —
XI • • • • • •
m 28 -
IV 26 9
T 5 4
VI — 3
Insgesamt: ^ — 66,6 ^ — 5,0.
Im allgemeinen sind die Knaben den Häddien nicht nnireeent-
lieh überlegen m der Mannigfiedtigkeit der Gesamt- sowohl als der
gewählten lieblingslektOre. Leider fehlen die Daten fflr Stöfs I and II
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Lobsuk: Kind und Kunst
381
der Miidchen über die Zahl der insc^csamt f^elesenen Bücher. Für
Knaben läßt sich jedenfalls ein starkes Wachsen der Literatur-
kenntnis von Stufe Y — I knusratiiMeii in dem VerhiütnLs l : 16.
Ganz besoudei^ stark beteiligt an dem Aufscliwung ist die Alters-
stufe I.
Das p]ri;ebnis über die Auswahl der Lieblinirsbücher wird noch
stärker beeinflußt durch die Wertbeton unir einztlner Schriften durch
eine eri'ößere Schüleranzahl; darum mochte ich bei dor qualitativen
Sonderwertune: arst näher darauf eingehen. Sie deuten an, welche
Art Lektüre der Mehrzahl der ScliiUer besonders zusasrt. Im all-
gemeinen zei'splittert sich das Interesse der Mädchen nicht über eine
ei'iWjere Anzahl einzelner Schriften, man beobachtet bei ihnen viel-
mehr weit größere l.'ljeremstimmung in der Wahl besonderer Lek-
türe, zahlreiche Interessen vereinii;(»n sich auf ein Buch, eine Art
Literaturerzeugnis. Das Interesse der Knaben geht auf das Viele,
ganz besonders auf der Altei'sstufe vom 13.-15. Lebensjahre. Ich
schließe daraus, daß die ^Krankheit«, fiie man selii' bezeichnend Lese-
wut genannt hat, bei den Knaben natürlich auf den hier in Frage
kommenden Altei"sstufen wesentlich häufiger vorhanden ist, als bei
den Mädchen, ein Ergebnis, das auch durch meine sonstigen Beob-
achtungen im großen und ganzen bestätigt wird.
Wie hat man sich diese Ei'scheinung zu erklären? Zunächst
dai-f man darauf hinweisen, daß der Drang des Knaben ül)erhaupt
ins Große und Viele hinausgeht, während das Mädchen mehr sinnend
bei dem Einzelnen zurückbleibt. Ich erinnere an die Sammi^lwut des
Jungen, die zumeist charakterisiert ist durch dio au.--gesj)i-ocheno Ab-
sicht, es dem andeni zuvor zu tun ; ich erinnere zum Beleg ferner
an zahlreiche Ergebnisse tius meiner ersten Untersuchung über Kinder-
ideale. Dann muß erinnert werden an die ungleich grt>ßere Be-
deutung .schweifender Phantasie in gewissen Knabeiijalireu, die in
mancherlei Lektüre N\il!kommene Unterstützung erfährt. Vor allen
Dingen darf man niiht vergessen, daß Mädchen ungleich stärker
suggerierbar sind als Buben. In dieser größeren Suggestibilität liegt
begiündet, daß sie vielmehr der Mode, dem ürteile der Umgebung^
auch seiner Genossinnen unterworfen sind. Der Knabe hingegen fühlt
in sich den Drang jeweils diesen Umweltszwang zu durchbrechen, er
ist auch im ganzen freier in seinen Entschließungen, findet keineB-
wegs dies oder jenes Buch »schön«, weil sein Nachbar so darftber
urteilt Der Knabe ist urteilsweiter, urteilsfähiger als das Mädchen
in der Wahl seiner Lektüre — das geht mit genügender Deutlichkeit
aus den obigen Zahlangaben herror.
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882
AnlBitse
Freilich wurde nur die quantitative Seite des Ergebnisses m
Auge gefafit Was man von diesem Gesichtspunkte aus bereohtigt
ist als größere Urteilsfiihigkeit anzusprechen, ist keineswegs immer
asuzugeben, wenn man qualitativ wertend herantritt Die ürteUs-
filhigkeit ist nicht sowohl abh&ngig von der Urteilsweite als von der
ürteüsqnalitfit Es ist also notwendig, die au4gewihlte LektOie auf
ihren Wert hin au pröfen. Das ist deshalb nicht gerade einfsch,
weil das Urteil ttber den Wert eines Buches stark variabel ist je
nach dem literazästhetischen Standpunkte des Urteilenden und swar
derart, daß die Anaahl der Bücher, die einstimmig als wertvoll be-
zeichnet werden, verschwindend klein ist Es empfiehlt sich daher,
nur eine Grenzlinie zu ziehen zwischen dem Wertlosen and WerU
vollen und diese linie nicht gar zu hoch zu veriegen. In der Tit
ist die linie, die das schlechterdings als ungeeignet zu Bezeichnende
abgrenzt, ungleich leichter zu ziehen als jene. Wir ziehen diese Linie
also so, daß oberhalb derselbcSn die mannigfachsten Werturteile mdgUch
sind, die vielleicht oft nahe an die GrenzHnie herankommen in ihrer
negativen Fassung, aber doch in der Gesamtfossung sie nicht nach
unten zu überschreiten vermögen. Das auf die Gefahr hin, diß
manchem der Maßstab zu niedrig bemessen scheint
In erster Linie konmien die bezeichneten Lieblingsbücher ia
Frage, denn es kann keinem Zweifel unterliegen, daß unter den nU-
reichen vordem genannten Büchern, von denen nicht wenige dea
Eindem zufillig in die Hftnde kamen, manch minderwertiges enthaltea
sein muß. Wenn trotzdem, wie bereits erwähnt wurde, schon in
dem Umstände, daß der Titel des Buches vom QedSofatnis aufbewahrt
wurde, eine gewisse Wertbetonung zu konstatieren ist, so sei ge-
stattet, aus der Angabe dieser Bücher ein doppeltes zu konstatieron:
1. sie sind durch den Schüler erst in zweiter und dritter linie weit-
betont; 2. wir lesen aus ihnen heraus, wenigstens zum Teil den be-
stimmenden Einfluß interessierter Kreise, nicht zuletzt der Schule
und des Hauses. Allerdings dürfte gewagt erscheinen, einen ge-
naueron Maßstab anzulegen, ich bescheide miiJh daher, den Einfloß
allgeniein zu behaupten oder zu verneinen.
Vorab jedoch noch eine Bemerkung. Nur in den seltensten
F8Uen nannten die Schüler den Ver&sser des Buches und diese
seltenen Fälle fanden sich nur bei der Angabe des Lieblingsbuches.
Man wird offenbar daran erinnert, daß ein solches Verhalten volks-
tümlich scheint £s gibt mancherlei volkstümliche literatnr in Poesie
und Prosa, deren Verfasser bis auf den heutigen Tag unbekannt ge^
blieben ist Das Volk interessiert das Werk und nicht der VeifMser.
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Lmm: Kind und KoDst
38a
Aber für sehr bedenklich halte ich, wenn die Schule aus dieser Tat-^
Sache für sich das Recht lierloiten wollte, in gleicher Weise za ver-
fahren. Sie hat die ernste Pflicht, hier ein übriges sa ton; sie muA
Ton Tomheiein, wie zum Respekt vor dem Werk, so auch zum
Bespekt Tor seinem Schöpfer erziehen. Das ist ein gutes Recht der
Verfasser. Ich lese aus den obigen Angaben heraus, daß Haus und
Schule ihre Pflicht in dieser Angelegenheit nicht in wtUischenswertem
Maße erfüllen.
Blickt man die Reihe der verzeichneten Lieblingsbücher durch,.
80 kann man konstatieren, daB die erwähnte Grenzlinie nach oben
stark überschritten ist — besonders bei den Knaben. Jo weiter nach
oben, desto günstiger ist das Besoltat Auf Stufe I der Knaben
findet sich keine Angabe, die der Schondliteratar entnommen ist
Auf Stufe n und HI beobachten wir zwar ein weit verbreitetes
Interesse für die berüchtigten Indianerbücher. Daneben aber auf
Stufe II — V ein bedeutend stärkeres Interesse für Märchen. Auf
Stufe I wird Robinson am häufigsten bevoizogt, ein neuer Beweis
dafür, daß man auch auf . diesem Wege eine Märchen- und eine
Robinsonstufe feststeilen kann; sie erstreckt sich aber weit über den
Umfang eines Jahres hinaus. Die von den Mädchen genannten
Lieblingsbücher tragen einen wrirbpren > mädchenhaften c Charakter,
stehen auch an Wert den durch die Knaben gewählten oft nicht un-
bedeutend nach. Da führt der Weg über »Seimas Unfall« zu »Back-
fischchcns Leid und Freud«, da hören wir vom »Trotzköpfchen«, von
Lottchens Pensionsbriefen, von Herzblüttcliens Zeitvertreib, auch die
»Geisha« und das »Provinzmädel« darf niclit fehlen. Schon der Titol
verrät hier, Mache, Absieht, wollte Kindlichkeit, die voranlassen,
daß die Wahl sich sehr viel niihcr der (irenzzone bewc^;t und öfter
über dieselbe himinterr.i^t. Dem Kimbon (liiifto man mit dieser süß-
lichen Absichtliclikeit nicht kofnmen, sie widerstrebt ihm, während
das Mädchen dadurch su<:^oriort wird.
In Snnima dürfen wir behaupten, daß das Gesamtergebnis der
Erhebung durchaus als günstig l)ezeichiiet werden muß, daß diejenigen,
die von großem Verderb und irroller Barbarei reden, keineswegs recht
haben, soweit es sich um die vorliegenden Altersstufen handelt —
allerdings — wie es dann femer ausschaut, wie weit die Kiiitiüsse
der Schule und des Hauses dauernd wirken, ob und welchen Ein-
fluß die kritische Zeit ausübt — das liegt jenseits vorheizender Be-
trachtung. Die traurigen Verirrungen mancherlei Art, die (Joschmacks-
verderhnis aber — das geht aus obiger Betrachtung!: auch für jene
Zeit hervor — hängt eng zusammen mit den veräuderteu ümwelts-
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384
Aufsätze
einflüssen. Berecliti^te erziehliche Maßnahmen kunstpädagogischer
Art würden zweifelsohne eine starke Prophylaxis bedeuten.
Schiller ist Lieblingsdichter der älteren Knaben, die Miidchen
neip:en zumeist zu r;o('tlu\ den sie vorwiegend aus seinen Gedichtet
und den ersten Ürami'n kennen.
Die vcin den deutschen Prüfungsausschüssen für die Jugend
insbesondere empfohlenen Bücher sind auch hier nicht zahlreich zu
finden.
Das Schiülesebuch wird ganz vereinzelt als Lieblingsbuch be-
zeichnet; etwa 5 mal unter den vielen tausend Angaben. Das Er-
gebnis meiner ei'sten Uiitersuchung ist also erneut bestätigt worden.
Ich kann erneut meine Verwunderung darüber aussprechen, daß das
Lesebuch, diis Schulbuch, an dessen Verbesserung 100 tüchtige Köpfe
arbeiten und gearbeitet haben, so geringer AVertschiitzung begegnet;
das Krstaunen ist um so berechtigter als zu den dort in Frage
kommenden Büchern: Schneiders Kinderfreund und Vaterländisches
Lesebuch von Keck und Joha.nnsen hier die FECHNEKschen Bücher
hinzukommen. Liegt die Ursache dieser Erscheinung in dem Lese-
buch oder an der Behandlung? — betrübend ist sie jedenfalls.
Auch das Verzeichnis der Bücher, die angeblicli insgesamt ge-
lesen worden waren, zeigt deutlich eine Neigung zum Märchen in
den Alti'i-sstufen II — V. Weit stärker als bei den Märchen — der
Vorgang ist an der Hand des Verzeichni.sses sehr interessant zu ver-
folgen — setzt die Neigung ein. in die Ferne hiiu\uszuschweifen:
das Kol)insoninteresse — es sei gestattet — erwacht und wächst be-
ständig. Die sehweifende Phantasie erfreut sich an den Indianer-
geschichten, am Lederstrumpf, Sigismund Küstig. Doch sehen wir
die Phantasie auch diszipliniert und ein nicht geringes Interesse an
historischen Dingen greift ein. Daß den Kieler Kindern das Meer
und die Kriegsflotte es angetan hat, ist ja nur sell>stvorständlich.
Naturwissenschaftliche, geographische u. ä. Bücher finden kaam
Erwähnung: die Handlung packt den Schüler, nicht die Beschreibung
und sei sie noch so lebendig. Krieg und Kampf fesselt den Knaben:
die kriegerischen Ereignisse zur Zeit Friedrichs des Großen, 1870/71?
im Osten, in Afrika, einzelne kriegerische Helden begeistern ihn.
Dieser kindlichen Eigentümlichkeit muß der Unterricht Rechnung
tragen. Das Vorhaben jeuer Neuerer, die Weltgeschichte ganz oder
nahezu ganz in Kulturgeschichte aufgellen lassen wollen, ist Tom
Standpunkte der Eindeeseele als unpsjchologisch zu verwerfen. ISn
solches Verfahren teüt mit so vielen andern den schweren Naohieil,
4laß es das Kind als solches nicht wertet, daß es in demselben den
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LoBBODi: Eiiid and Kunst
385
kleinen Erwachsenen sieht. Solange die Psychologie des Kindes nicht
auf einwandfreiere Beobaclitiing, d. h. solche, die durch subjektives
Meinen ungetrübt ist, gegründet wird, solange wird die gefährlichste
Eigenschaft des Routiners, sich selbst, wenn auch hier und da mit
etlichen Subtraktionen in den vor ihm sitzenden Zögling liineinzu-
projizieren und dementsprechend Unterricht, Regierung und Zucht
zu gestalten nicht als solche erkannt und verurteilt werden. Hier
ruhen der experimentellen pädagogischen Psychologie meines Er-
achtens die wichtigsten Aufgaben — und der Kundige weiß, wieviel
ernste Arbeit heute schon in dieser Richtung geleistet worden ist,
allerdings auch, wieviel Mühe es auch offensichtlichen Walirheiten
kostet, (las Trägheitsmoment gewohnter und bequemer Anschauungen
zu überwinden.
Im Gegensatze zu den Knal)en, weist bei den Miidchon die Titel-
anerabe — mit Ausnahme der unteren Stufen — nahezu immer ins
Haus hinein oder in dessen nächste Umgehung, sie weist auf eine
Neigung zu stilien, geordneten, dem Zufall entrückten Verhältnissen.
7. Welche biblische Geschichte ist dir die liebste?
Die Frage steht m. dem Thema ansoheinend in lockerem Yer-
bande, doch hoffe ich, zu der kurz voiher erörterten Angelegenheit
mancheilei Ergänzung za finden. Ich ordnete die Antworten nach
folgenden Gesichtspunkten: Jede Antwort erhielt eine Kennziffer, die
die lelative Häufigkeit des Vorkommens andeuten sollte; Antworten
die sporadisch auftraten, habe ich ander Rechnung gelassen.
Knaben
Stufe I
Geburt Christi (6). Einzug in Jerusalem (1). Jüngling zu Nain (1).
Gleichnis vom verlornen Sohn (1). Die Kreuzigung (2). SamueL
Sturm auf dem Meere (1). Bergpredigt (1). Simsen (1). Geth-
semane (1). Der Fischzug. Pauli Reisen (1). Daniel in der Löwen-
grube. Die Schöpfimg. Die Himmelfahrt
Stufe n
Geburt Christi (5). David und Goliath (1). Kreuzigung (4).
Bergpredigt (2). Jesus der Einderfrennd. Daniel in der Löwengrube.
Joseph bei Jericho. Durchzug durchs rote Meer. Schöpfung. Sturm
auf dem Meere. Joseph wird yerkauft
ZlitNlvUt f&r Fbik)«)phie and Ftdacogik. 12. Jahrgang. 26
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386
Anfaätse
Stufe m
Kreuzigung (9). Geburt Christi (6). Joseph wird verkauft (5).
Jesus in Gethsemane (3). Der zwölfjährige Jesus im. Tempel
Stufe IV
Die Kreuzigung (5). Geburt Christi (4). Bergpredigt (6). Jesus
segnet die Kinder (2). Petri Fischzug (7). Himmelfahrt, Hochz^-'it
zu Kunu. Der Hauptmann zu Kapemaum. Jakob und £sau. Abrams
Verheißung.
Stufe V
Geburt Christi (2). Kreuzigung (7). Mose Berufung. Naboth.
Sauls Salbung. Schöpfung (2). Jakob und Esau (2). Die Sündflut (2).
David und Goliath (3). Kain und Abel. Das Paradies. Adam und
Eva. (Bern.: Die biblische Geschichte war hier nur bis Joseph be-
handelt worden.)
Madchen
Stufe I
Christi Geburt (4). leiden Christi (10). Joseph im Gefängnis (5l
Kuth (3). Hochzeit zu Kana. Der zwölfährige Jesus im Tempel
Paradies. Jesus segnet die Kinder. Der Jüngling zu Nain.
Stufe II
Christi Geburt (2). Christi Leiden (6). Auferstehung (1). Hoch-
zeit zu Kana. Jüngling zu Nain. Schöpfung. Der barmherzige
Samariter. Die Waisen aus dem Morgenlande. Abram und Lot
Speisung der Fünftausend. Die Jünger in Emmuus.
Stufe in
Geburt Chiuti (10). Beigpiedigt (1). Kain und Abel Tom
▼edomen Sohn. Hoohselt zu Kana. Speigiuig der 6000 Hann. Bio
Sohdpfang. Die Kieuzigung. Der Sturm auf dem Heeie. Elias anf
Horeb.
Stufe IV
Geburt Christi (7). Kreuzigung (3). Joseph wird TeEfanift (9).
Hauptmann au Eapemanm. Die drei lünner im feurigen Ofen.
Stufe V
. Speisnng der 6000 Mum. Hoehaeit zu Eana. Jakob und Bnn.
Johannes der Tftuler. Die Ezeoaigong. Die Schöpfung. Der Stom
auf dem Meere. Der Jtbig^ing zu Nein. Eain und Abel
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LomiN: Kind and Kunst
387
Man könnte tlie Erwartung hegen, daß das jeweiLß gewiesene
Pensum für die Wahl der bevorzugten biblischen Geschichten maß-
gebend gewesen sei. Der Eimvand darf nicht ganz von der Hand
gewiesen werden. Aber doch belelirte eine Durchsicht der Pensen,
daß dieser Einfluß nur gering eingeschätzt werden darf.
Ich vemachliLssige vor der Hand die Angaben, die keine Nummer
erhalten haben und berechne aus den übrigen folgende Gesamtwerte:
Sonderwertbetont sind folgende Geschichten:
1. Christi Geburt,
2. Christi Leiden,
['). Bergpredigt
4. Joseph wird verkauft,
5. Petri Pischzug,
6. Joseph im Gefängnis,
7. Ruth,
und z^ar durch folgende Gesamtdaten: 1 = 5, 2 = 6, 3 = 1, 4 2,
5 » 1, 6 — Y,, 7 — 0,3. Christi Leiden begegnet dem stärksten
Interesse, wohl wegen der lebendigen dramatischen Vorgänge, in
denen es sich abspielt.
Achten wir auf den Unterschied der Geschlechter:
Knaben
Clmsti Geburt ....
5
5
Chzisti Leiden ....
7
5
2
0,2
Joseph inid Terkunft
2
2
Petri lüsohzug ....
M
0
Joseph in Gefangenschaft
0
1,5
Rath
0
0,8
Eb offenbaren sich keine bedeutsameren Unterschiede.
Ein Blick über die Gesamtheit der genannten biblischen Ge-
schichten bezeugt, daß sie überwiegend dem neuen Testamente und
nur in wenigen Fällen dem alten angehören. Wir dtirfen daraus
entnehmen, daß das neue Testament dem kindlichen Geiste nfiher
liegt, als die Kulturwelt des alten Bundes und femer — daß die-
jenigen recht haben, die da yerlangeu, daß das nene Testament nnd
das Leben des Heilandes weit mehr in den Yordergmnd des Beli-
gionsuntenjehtes gestellt werden müßte als das bisher m geschehen
pflegt
Für nnsere yorUegende Anlgabe aber entnehmen wir der Auf-
zühliiDg: das Belebte^ das dramatisch Bewegte zieht die Kinder an
25»
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388
AofrttM
und öffnot ihnen Herz und Sinn auck für schwierigere Gedanken-
gänge.
Nicht unerwähnt will ich hier zum Schluß lassen, daß auf die
Frage nach dem liebsten Unterrichtsfache von 500 Schülern nur 7
den Religionsunterricht nannten und zwar von den Knaben 2, von
den empfänglicheren Mädchen 5 — offenbar ein zähienraäßiger Nach-
weis, daß trotz der ungeheuren Arbeit, die gerade diesem Unterrichts-
zweige seit Jahrhunderten gewidmet worden ist, man immer noch
nicht die verläßlichsten »neuen Bahnen« f^efunden hat. Denn — dem
Einwände gleich zu begegnen — nicht etwa maugelhaftem Eifer der
Lehrenden ist das in die Schuhe zu schieben: es hatten 10 Lelir-
personen sich mir dankenswert zur Verfügung gestellt für die Samm-
lung des Materials und ich weiß, daß die meisten von ihnen den
Religionsunterricht mit Eifer und Wärme erteilten.
(SohhA fol^.)
Leitsätze für den biologisohen Unterricht
Von
O. Pfannstiel, Uüdburghauä6n
(Sohlaft)
H, iPnitnffiiiitffrigfti^ HtiiftiB uBil BöobMiitmgvttlQStDlMtt
Der biologische Unterricht ist in erster Linie ein ünte^
rieht der Anschauung. Nur auf ihrer Grundlage darf das
Lehrgebäude aufgerichtet werden. Die Technik des Qafal^
histoiisohen ünterrichtee ist aber nicht im stände, jede Oelegenheit
zur Beobacfatong willkürlich in der Natur oder in Form Ton Ve^
suchen oder FMiparaten zu schaffen. In allen diesen EUlen mSam
die Anschauungen in der freien Natur gelegentlich gewonnen
werden. Die Objekte sind zeitlich und räumlich sehr sevstrent^ und
die Gelegenheit ist oft sehr vom Zufidl abhängig. Bin mit Yoisiolit
geleiteter Unterricht wird deshalb eine auf der Mittelstufe duroh d«i
günstigen Zufiül gebotene Beobaditungsgclegenheit anch dann woU
ausnutzen, wenn der Gegenstand derselben eist auf der ObentofB
Terwertet werden kann. So wird umgekehrt der höhere Untsniolit
das Material und die Eigebnisse der Mittelstufe bei jeder giknstigw
Gelegenheit ergänzen. Die Natnr ist nirgends pedantisch; deshilb
kann es auch die Naturbeobachtung nicht sein.
Für alle lUle gilt bezfiglich der Unterrichtstoohnik als oberster
Grundsatz, daß Tor jedem andern Schritte ftli ein brauob-
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TwAxaiBnEL: Leitsätze tax dea biologüchen Untomoht
389
bares und hinlängliches Anschauungsmaterial zn sorgen ist.
Mit ihm steht und fällt der Erfolg, ja zum Teil sogar die Möglich-
keit des naturgeschichtlichen Unterrichts. Eine besondere Sorgfalt
ist den technischen Hüfemitteln auf der Oberstufe zuzuwenden, weil
ihre Objekte wegen ihrer Kleinheit vielfach der Wahmehnibarkeit
durch die freie Beobachtung entzogen sind, oder weil das für den
Unterricht Wertvolle erst von einer Last von Beiwerk befreit werden
maß. Mikroskopisches Pr¶t, plastische Nachbildung, schematische
und naturgetreue Zeichnung und Experiment sind Dinge, ohne welche
sich der Unterricht in einem beständigen YerhungernngsEnstande
befindet.
12. BidogiMhar Untanloht and Koai— ntratioin*)
In den Abschnitten 4 bis 10 ist dargelegt worden, weiches
Prinzip dem biologisohen Lehrgänge zu Grunde liegen muA, wenn
klare Begriffe erzeugt werden sollen. Aber die sichere Fundamen-
tierang des sittlichen Charakters yerlangt mehr: es kommt auch dar-
aaf an, daß diese Begriffe untereinander planmäßig verbunden und
fest auf die Ideengruppe Ton der sittliohen Tüchtigkeit des Menschen
bezogen sind. Der Gedankenkreis einer Person muß ein durch und
durch einheitlicher sein.
Daraus entspringt für die Lehiplantheorie em merkwürdiger Zwie-
spalt Die Erzeugung klarer Anschauungen und sauberer Begriffe
macht ihrerseits eine Spaltang des bunigearteten Lehrstoffes nach
den inneren Verwandtschaften notwendig. Ja der Grad dieser Arbeits-
teilung gilt als ein äußerlicher Maßstab für die Eulturhöhe eines
Schulsystems. Somit wirkt die Terfeinerung der Unterrichtsarbeit
an sich der Yereinheitiichung des Gedankenkreises gerade entgegen:
denn sie birgt die Gefahr in sich, daß in dem Zöglinge ebenso viele
Sondergewissen geschaffen werden, als Unterrichtsfiicher vorhanden sind.
Andrerseits fordert die Idee von der sittlichen Persönlichkeit, daß
aller Unterricht auf ein Zentrum gerichtet sei, und daß alle Lehre
nur eine Lehre seL Dem wäre am sichersten zu entsprechen, wenn
es nur ein einziges, kosmologisches Unterrichtsfech gäbe. Dies kann
in der Tat im ersten elementaren Unterricht bis zu einem hohen
Grad erfüllt werden. Die Begriffebildung ist auf dieser Stafe noch
') YeigL BoniiiL, Über Beformbestr. anf dem Oeb. des natOri. Unteir., Statt-
gart, Nägele, S. 76 fl — Koblmeter, Dae Mol. Frinap, Dresden, Bleyi Kämmerer,
6. 37 ff — PARTHm a. Frobsz, Die neuen Babneii dee natürl. Unterr., Deaam,
Kahles Verl., Ö. 32 ff.
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390
Aufsätze
80 einlach, daß umfangreichere Vorstoll ungsgnippen nicht nötig sind.
Auf dieser Idee von dem einen Fache benilien die Lösnngs versuche
Zillers und Relns. Sie gestehen prinzipiell uui- einer einzigen Materie
Selbständigkeit zu, und diese ist mit Rücksicht auf den Erziehungs-
zweck der Stoff des »Gesinnungsuntorrichtos«, d. h. rehgiöser und
geschichtiiclier Lehi-stoff. Die Notwendigkeit des naturkundlichen
Unterrichts ist dadurch bedingt, daß er die Mittel und Wege zei^rt,
von deren Kenntnis die Realisierung des sif fliehen Wollens abhäugL
Dieser enger umgrenzten Aufgabe entsprechend, hat die Naturkunde
den religiös-historischen Unterricht auf iSchritt und Tritt zu begloiieu.
Der Lehrgang aller realistischen Fächer ist durch den Stoff des
Gesinnungsunterrichts in nuce gegeben. Sie dienen der Er-
ziehung zum sittlichen Wollen nur unmittelbar, als Hilfsstoffe des
Oesinnungsunterrichts. Diese Stellung im Lehrplane ist aber nur
dann gerechtfertigt, wenn in dem Stoffe des Realfaehcs Werte, die
in unmittelbarer Beziehimg zu den Grundsätzen der sittlichen Tüchtig-
keit stehen, nicht vorhanden sind. In Betreff der Naturkunde
spricht gegen diese Annahme schon die einfache Tatsache, daß pow .lil
die Naturereignisse in ihrer stillen oder erschütternden Erhabenheit
als auch jede ernstlich forschende Beschäftigimg mit der Natur von
jeher den nachhaltigsten Einfluß auf das menschliche Gemüt hervor-
gebracht haben. Diese Ereignisse sind es sogar, die den alles unter-
jochenden Menschengeist seine schließliche Ohnmacht nachdrücküchst
haben erkennen lassen und in seiner bangenden oder zu Dankes-
äußening drängenden Seele das Bedürfnis nach einem Gottesglauben
entfacht haben. Sind aber derart in die Augen springende,
unmittelbar auf den Erziehungszweck abzielende Werte
in einem Lehrstoffe vorhanden, so müssen dieselben er-
schlossen und ausgebeutet werden. Das »Realfachc bekommt
dadurch seine eigene gesinnungbildondo Aufgabe und muß.
wie oben dargelegt worden ist, denjenigen Weg gehen, der
in der eigenartigen Natur seines Stoffes begründet ist Es
muß freie Bahn haben, so gut wie der ßeiigions- und Ge-
schichtsunterricht.^)
M VergL E. ScHKLLKR, »Naturk. Exkursioneoc, in Deutsche Bl. f. erz. U. 1879,
neu herausgeg. im l'ädag. Magazin (Langensalza, Hermann Beyer k Söhne [Beyer
& Mann], 1905), Heft 205 (S. 12—16). — Benelbe, »Über die Onodtendens d«
nitQiigeeoli. V.«, Fttd. Stodhim Bein, 1883, HL — Dereelbe, IV. fklniliilir, 3. n>
4. Aufl. — Dr. H. ScHan), »Der Hildiiugswort dpr Xaturw. i. d. Realschule«, in Z«it-
schrift f. lat- inli>.e höhere Schulen, XÜ. 161—160. - Derselbe, »Wert n. Zifii das
natorwissenschafü. U. in der Sexta«, daselbst, 7. Heft, 201—204.
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Pfannstikl: Leitsätze für den biologiädien Untenioht
391
So ist der Lehiplan in der Tat auf swei sich widerstreitende
Ftinzipien angewiesen, die, wenn sie einander unter allen Umständen
ansschüeßen, jede gedeihliche Unterrichtsarbeit im Sinne des einen
oder des andern unmöglich machen. Soll daher der Unterricht seine
gewichtige Mission im Erziehungsplane erfüllen, so müssen Maßnahmen
getroffen werden, welche die Gefahren der Arbeitsteilung beseitigen,
ohne dieselbe im Prinzip illusorisch zu machen. Diese Vorkehrungen
werden von der Didaktik unter dem Namen der Konzentration
des Unterrichts zusammengefaßt Je weiter die Arbeitsteilung
geht um so notwendiger ist sie. Spezialisierung und kon-
zentrierende ^laßnahmen müssen zueinander in geradem
Verhältnis stehen.
Den Versuch, den beiden zweischneidifreu Schwertern die gegen-
einander gekehrten Schärfen zu nehmen, ist von der Herbart-Ziller-
schen Didaktik ernstlich und zum großen Teile mit Erfolg unter-
nommen worden. Der enge Anschluß des Fomienunterrichtes an den
Sachunterricht dürfte keinen emsthaften Widersacher mehr finden.
Das Ideal der Konzentration, nämlich das gänzliclio Aufgehen des
einen in dem andern, muß aber im Interesse der Sauberkeit der Arbeit
dem Teilungsprinzipe weichen, aber nur äußerlich ! Ebenso ist das
Verhältnis dos religiös-etliischen zum natioiuil-historischon Untemchte
im Sinne beider Lehrplanfi'agen sichergestellt: beide Fächer liaiion
äußerlieh getrennte Marschrouton, um innerlich vereint zu schlagen.
Den realistischen Fächern dagegen ist nur eine Trabantenrolle ein-
geräumt. Es ist aber schon dargelegt worden, daß diese Stellung
eine unzulängliche ist; daß sie das Prinzip der kulturhistorischen
Stufen nicht zur Geltung kommen läßt und somit die Vorteile der
Arbeitsteilung wesentlich herabsetzt. Es ist deshalb zu erörtern, auf
welcher (irundlago die Konzentration des biologischen Unterrichtes
(und weiterhin aller Realfächer) mit dem >Gesinnungsunterrichte€
durchgeführt werden kann.
Zuvörderst ist klar, daß die Konzentration der bezeichneten
Fächer aus psychologischen Gründen nur mit Hilfe ihrer gleich-
artigen Bestandteile erfolgen kann. Der gesamte Stoff ist der ein-
heitlichen Erdenwelt entnommen. Er ist nur zum Zwecke der sauberen
Begriffsbildung nach der inneren Verwandtschaft der Dinge rubriziert,
indem dieselben aus ihrem natürlichen Zusammenhange herausgehoben
worden sind. Mag daher auch die Differenzierung des Stoffes
noch so weit gehen, es sind immer natürliche Berührungs-
punkte zwischen den Fächern vorhanden.
Dieselben köimen von einzelnen Gegenständen, die in vef-
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392
Aufsätze
schiedenü Sachgebiete hineinreichen, gebildet werden. 80 tritt z. B.
das Krokodil in der jüdischea, der ägyptischen und der Natur-
geschichte Ulli.
Die Verwandtschaft kann aber auch durch den wesentlichen In-
halt höherer und höchster Begriffe hergestellt werden, die aus den
verschiedenen Lehi-stoffen frei zu machen sind. >>o kann der Segen
eines geordneten Staatswesens und der imponierende Erfolg gemein-
samer Arbeit sowohl aus der ägyptischen Geschichte, als auch
aus der Biologie der Ameisen und Bienen gewonnen werden.
Diese beiden typischen Beispiele sind auf ihre Konzentratiüns-
fahigkeit zu untei'suchen.
DiLS Krokodil tiitt bei der Entwicklung der ägyptischen Kultur-
geschichte als ein Punkt in dem großen Bilde auf. Nicht dieses Tier,
sondern der altägyptische Genius soll zum Verständnis gebracht
werden. Das Reptil ist gefährlich und deshalb vermuteten die Ägypter,
daß unter seiner Maske feindliche Mächte ihr T\ esen trieben. Von
dem, was heutzutage die wesentliche Aufgabe des naturgeschichtüchen
Unterrichts ist, war dem Altertum so gut wie nichts bekannt. Die histo-
rische Rolle des Krokodils ist daher ohne die moderne naturwissen-
schaftliche Aufklänmg vollständig zu verstehen. Es bedarf dazu nur
einer einfachen sachlichen Erläuterung, etwa unter Benutzung eines
Bildes, wie eine solche jeder andere im Geschichtsunterrichte auf-
tretende unbekannte Gegensümd auch erfährt. Ein besonderer Unter-
richtszweig ist dazu so wenig nötig, wie die Technologie zur Erkläninir
der Werkzeuge, die von den Ägyptern bei ihren Bauarbeiten gebrauclit
worden sind.
Die Aufgabe, welche im Gegensaü^ zum liistorischon der biologische
Unterricht mit Hilfe des Krokodils zu erfüllen hat, ist ganz anderer
Art. Das Tier erscheint hier als ein hoch kompliziertes Gebilde der
Natur, das in morphologischer, physiologischer und entwicklungs-
geschichtlicher Hinsicht zu analysieren ist. Daraus soll der Genius
der schaffenden Xatur erkannt werden, der sich in Fonn dieses
Geschöpfes eine für die gegenwärtige Welt charakteristische Variante
seines einheitlichen Bauplanes erlaubt hat Der altägyptische Aber-
glaube, der die Denkweise des großen Nilvolkes so vortrefflich UlH-
striert, liefert seinerseits zur Lösung dieser biologischen Aufgabe
keinerlei belangreiches Material. Das Krokodil im ägyptischen Kultof-
hilde und als Gegenstand naturwissenschaftlicher Analyse bedeatea
nicht denselben Stof^ sondern zwei relativ verschiedene Dinge. Ans
alledem folgt, daß weder das Auftreten des Krokodils in der Ge-
schichte dem biologischen Unterrichte, noch die biologische Betowli-
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FFAirasoEL: Leitsätze für den biologischen Unteiiicht
393
tung dem historischen Unterrichte Veranlassung geben kann, daß
jeder sich in seiner Weise mit dem Gegenstand des andern befasse.
Aber es ist auch gar nicht die Aufgabe der Konzen-
tration, die Wege für die Erweiterung des Anschauungs-
materials zu zeigen. Diese Absicht befolgt vielmehr das anta-
gonistische Prinzip, nämlich die Arbeitsteilung. Sie will dahin führen,
daß der Genius der lebendigen Natur erkannt werde, und erst in
Verfolgung dieses Sonderzieles muß das Tier eine erweiterte Betrach-
tung erfahren. Aufgabe der Konzentration ist es dann, dafür
zu sorgen, daß bei dieser notwendigen Spezialisierung des
Aus^rangsmaterials die innere P^inheitlichkeit der gesamten
Unterrichtsarbeit voll gewahrt bleibe. Dazu reichen aber
unwesentliche Berührungspunkte, die durch einzelne Gegenstände der
Darbietung gegeben sind, nicht aus, Sie geben wohl Gelegenheit zu
Assoziationen innerhalb der Ausgangsmaterialien, die der Unterricht
selbstverständlich nicht übersehen darf; für die Herstellung der
höheren und höclisteu Einheit müssen aber umfadseudere Gesichts-
punkte die Führung übernehmen.
Nach dem zweiten Beispiele können aus der ägyptisclien Ge-
schichte der Segen eines wohlgeordneten Staatswesens und die alle
Schwierigkeiten überwindende Kraft gemeinsamer Arbeit erkannt
werden. Das sind wesentliche Faktoren: nicht einzelne Tunkte des
Bildes, sondern sein tiefster Gehalt, die Ideen, die es am sinnlicher
Erschoinuno: bringt.
Dieselben Uberbeiz:riffe ergeben sich aus gewissen biologischen
Betrachtungen, z. B. des Ameisen- und Bienenstaates, Es liegt somit
hier und zwar in den wertvollsten, unmittelbar auf das Erziehungs-
ziel gerichteten Bestandteilen zweier Fächer eine wesentliche
Deckung, eine Kongruenz vor. Durch dieso drei Eigenschaften:
ihren hohen uineren Wert, ihre gerade Kiehtung auf die sittUcho
Charakterbildung und die durch ihre Kongruenz bewirkte Ver-
schmelzung des Mehreren zu Einem, zeigen die Ideen, daß
sie die wahren, natürlichen Träger der Konzentration sind.
Dies führt auf einen allgemeinen (Gesichtspunkt: die Unterrichts-
fächer sind am meisten voneinander unterschieden in ihrem Aus-
gangsmateriale. Dies eben hat zur Trennung der Kosmologie in die
verschiedenen Fächer geführt. Auch dasselbe Objekt, wenn es in
mehreren Disziplinen auftaucht, zeigt sich von ganz verschiedenen
Seiten, als ob es nicht derselbe Gegenstand wäre, ^tithin ist das
Anschauungsmaterial am wenigsten geeignet^ konzentrierende
Gesichtspunkte abzugeben. Die Associatiuneu, zu denen es reichlich
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394
AvfBttn
Material liefert, sind rein psychomechasische Vorgänge. Die £00-
zentration hingegen ist eine der pädagogischen Theorie entsprongene
Maßnahme zur Sicherung der einheitlichen Persönlichkeit. Sie hat
ihren Angelpunkt in der Begriffewelt Je weiter sich daher der
ünterrichtsgang von der Stufe der Darbietung entfernt und
zu allgemeineren Gesichtspunkten gelangt, um so mehr
stimmt das Material des einen Faches zu dem des andern,
bis auf ihren Höhepunkten alle ineinander fließen. So
haben selbst der Religions- und der Geschichtsunterricht in ihran
Anschauungsmateriale kaum einen unmittelbaren Berülirungspimkt —
etwa den Kaiser Au;]fustus; Zeit, örtlichkeit, Personen und Taten
decken sicli in beiden Reihen fast nirgends. Aber der Geist, der
aus beiden atmet, ist derselbe, nämlich die Entwicklung der
Menschheit von der Brutalität zur Humanität. Auf der
Grundlage dieses Gleichsinnes ist die Konzentration beider
Stoffe gelungen und in den »Scli uljahren « von Kein auch
durchgeführt. Es ^rilt jetzt nur, die ganze Tragweite die.ses
Prinzipes auszunutzen, um die noch beiseite stehenden
Fäclier des erziehenden Unterrichts in den iireis der Kon-
zentration einzuschließen.
In Betreff de.-^ biologischen Unterriclits wäre demnach zu-
nächst die tYafi^e zu beantworten, ob er im stände ist. Ideen von
universeller Bedeutung und insbesondere die Fundameufal-
gesetzo von der sittlichen Tüchtigkeit des Menschen in
zwingender Form zu entwickeln.
Die Biologie ist dazu nicht im stände gewesen, solange sie nur
eine äußerlich beschreibende und systematisierende Wissenschaft w;ir;
solange die Tier- und Pflanzenwelt nur als ein Museum von in-
variablen IVpen galt, die durch ihre Mannigfaltigkeit oder Absonder-
lichkeit unterhielten und deshalb gesammelt wurden. Ei'st als die
äußere Beschreibung der schier zahllosen Formen sich zu erschöpfen
begami und die WLssenschaft vergleichend anatomisch, physiolnirisoli
und genetisch wurde, zeigte sich, daß in der Mannigfaltigkeit Methode
steckt, und daß auch das Leben, das innere wie das äußere, sich
nach »ewigen, ehernen, großen Gesetzen« bewegt Solche Lebons-
gesetze sind z. B.:
1. Jedes Lebewesen wird und vergeht wieder.
2. Kein Lebewesen wird fertig in die Welt gestellt; jedes ent-
wickelt sich.
3. Die Natur baut jedes Lebewesen von vom an auf: sie be-
ginnt mit dem einfachsten Organismus, der Zelle.
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TräJxmraBL: Leitsätze lür den biologisohen Unterricht
395
4. Das bedeutet für alles Leben eine beständige Verjüngung.
5. Auch das gesamte oi^nische Leben auf der Erde hat sich
vom Einfachen zum Vollkommenen entwickelt. Die gegenwärtigen
Lebensformen sind allmählich geworden und weiterhin der Verände-
rung unterworfen.
6. Weder innerlich, noch äußerlich sind zwei Wesen einander
vollkommen gleich (Variation).
7. Weder innerlich, noch äußerlich .sind zwei Wesen vollkommen
verschieden (Vererbung).
8. Jedes Lebewesen kann sich durch die Fortpflanzung verjüngen.
9. Die Nachkommen steilen innerlich und äußwUch eine Mischung
der stärksten elterlichen Charaktere dar.
10. Der natürliche Charakter der Völker, Geschlechter, Familien
und Individuen kann durch Auslese {gezüchtet werden.
11. In der Variation liegt der Keim zur Entstehung neuer Arten
und neuer Charaktere.
12. In der \^ersclüedenheit der Individuen liegt die Mögächkeit
sozialer Gemeinschaften.
13. Alle Vervollkonimnuntr beruht auf den Prinzipien der An-
passung und der Arbeitsteilung.
14. Jedes Lebewesen durchläuft die Beihe seiner Ahnen in ab-
gekürzter Weise.
15. Die Natur unterläßt nidits, was zur p]rreichung ihres Zweckes
nötig ist, schaltet aber alles lJhi'rfiiissi<!:o aus.
16. Die Natur geht immer auf ^^eradciii \V<\i;e zum Ziele.
17. Jedes Wesen muß sich den unabänderlichen Verhältnissen
fleiner Existenz anpassen; sonst geht es zu Grunde.
IS. Die dauernde Abweichung von der j^aturgemäUheit führt
zur Entartung und zum ünter^rang.
19. Die höchste Gesetzlichkeit ist die höchste Freiheit.
20. Jedes Lebewesen liat seine Konkurrenten und i'einde.
21. ^ht diesen muß es um das Dasein kämpfen.
22. Jedes Wesen braucht Verteidiirungsmittel.
23. Je besser dieselben im stände sind, um so größer die
Sicherheit.
24. Geistii^o Tüchti«;keit liefert die besten Waffen: Voraussicht,
Umsicht und Wachsamkeit.
25. Diese Eigenschaften haben ursprünglich die Form von
Instinkten.
26. Der geistig und zugleich körperlich Tüchtigste hat die meiste
Aussicht auf Erlolg.
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396
AuMtze
27. Die Sorge füi* eine kr>rperlich und geistig tüchtige Kach-
kommenschaft ist der höcliste Zweck aller Lebewesen.
28. Mit der Arbeitsteilung und V^ermebrung der Oigane geht
die Zentralisation durch das Xervensystem Hand in liand.
29. Das Interesse des Ganzen stellt die Natur immer über das
des einzelnen.
30. Der Wert einer Gesamtheit beruht iu der Anzahl und Tüch-
tigkeit der Individuen.
31. Die Natur fordert vom Individuum Aufopferung um der
Erhaltung des (Janzen willen.
32. In allen Wesen lebt als stärkster Instinkt der Selbst»
erhaltungstrieb oder Egoismus.
33. Er äußert sich am reinsten als Hunger, Liebe und Ver-
abscheuung des Schmerzgefühls.
34. Aus der Liebe und der Verabscheuung des Schmerzgefühls
entspringt der Altruismus.
35. Der ^Lensch ist mit den übrigen Lebewesen, insbesondere
mit der höheren Tierwelt durch drei Bande verknüpft: den Körper-
bau, die psychischen Funktionen und die ethischen Instinkte.
36. Die psychischen Funktionen stehen in Parallelabhängigkeit
vom anatomischen Bau und den physiologischen Prozessen des zen-
tralen Nervensystems.
37. Die ethischen Instinkte beruhen in den individuellen Be-
ziehungen der vegetativen zu den animaien Nervenzentren. Sie werden
in ihrer (Jesamtheit als das (iemüt bezeichnet.
38. Die wichtigsten ethischen Instinkte sind: Liebe, Haß, Eifer-
sucht, Familionsinn. GeseUigkeitstrieb. Dankbarkeit, Mtgefühl, Edel-
mut, Reclitssinn, Rachsucht, Kampf begier, Furcht, Stolz, Schönheits-
sinn, Aufopferung.
39. Da.s zentrale Nervensystem ist ein Bild des Kosmos.
40. AUes Glück und alles Unglück sind relativ.
•4L Je größer die Gabe der Vernunft, um so größer die Fähig-
keit zum Guten wie zum Bosen.
42. Die Natur erforschen, heißt: das Wahre, das Gute und das
Schöne ergründen.
43. Die ganze Natur zeigt den Segen gemeinsamer Arbeit
44. Alle Lebewesen sind blutsverwandt. Das Leben stamm:
immer vom Leben ab, und es ist nur ein einziges Leben auf der
Erde.
45. Alle irdische Lebensenergie strahlt von der Sonne aus; jeder
Pulssclüag, jeder Atemzug, jede iservenfunktion stammt von dort
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PrAKNSiXEL: Leitsätze für den biologisohen Unterricht
397
46. Wenn auch alle Lebewesen entstehen und yeigehen, so geht
doch nichts weder vom t Stoff«, noch von der »Energie« veiloren.
47. Alles Organische ist aus Anorganischem aufgebaut.
48. Es ist nur ein Gesetz, ein Plan, ein Oeist, der im Welt-
ganzen lebt
49. Die Natur in ihrer Gesamtheit wie in ihren Einzelheiten
ist der menschlichen Erkenntnis nur als Vor stellang Tatsache,
und aaBer den Vorstcllnngeu ist nichts gewiß.
.50. Der Werdegaiifj: des Lebens in der Erdgeschichte zeigt, daß
der Genius der Natur und der des Menschen insbesondere ein und
derselbe ist. Seine Wirkung ist: Entwicklung Ton der lirutalitSt
zur Humanität. Denn wir sehen die Erde, indem sie in unahsehhar
langer, wechselvoller Arbeit sich selbst und ihre Lebewesen umge-
staltet, einem großen Ziele zustreben ; Aus der niederen Tierwelt,
deren üaseiu ausschließlich den vegetativen Pol umkreist, geht eine
höhere, durch psychische rrozesso beeinflußte hervor, und dieser ent-
springt endlich infolge der Mutation ein Geschlecht, dessen Leben
sich gleichmäßig um den vegetativen und aninialen Schweri)unkt
bewegt: Der Mensch. Er hat sich in der Folge von der ererbten,
instinktiven Moral ität des Tieres aus eigener Kraft emporgearbeitet
zur pflichtbewußten, den Egoismus und Altruismus ausgleichenden
sittlichen Persönlichkeit.
Die Abstraktion der angeführten Gesetze und Ideen aus dem
Materiale der Biologie bedeutet nichts anderes, als daß auch in der
Wissenschaft die Arheitstcihing schließlich zur Konzentration führt
Auf die Isolierung des Stoffes aus seinem empirischen Zusammen-
hang und die spezialisiorte rntei"suchun,ir folgt der Wiederanschluß
an das Allehen im höheren .Sinne. Dieselbe Entwicklung sehen wir
im ünteiTichte vor sich crehen. Solange die Naturgeschichte nur
artbestimmend und artbeschroibend war, hat sie sich nicht zu univer-
sellen Gesichtspunkten erheben können. Sie hat sich nur eine unter-
geordnete, dienende Stellung zu erringen vermocht Denn der er-
ziehende Wert eines Unterrichtsfaches beruht in der G^ewichtig-
Iteit der leitenden Ideen, die aus seinem Stoffe frei zu machen
sind. Durch die oben gegebene Auslese von Gesetzen ist dar-jetau,
daß die in zeitgemäßen Bahnen sich bewegende Biologie reich an
bedeutungsvollen erzieherischen Momenten ist. Ja sie schließt sich
durch ihren idealen Gehalt aufs engste an den historischen Unter-
richt an, dessen Ideen sie zu Weltgesetzeu erweitert. Indem so der
Weg, der den naturgeschichtlichen Unterricht zur Loslösung vom
Ganzen geführt hat, auf domiuiereuder Hohe wieder zu ihm zurück-
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398
AoMtM
lührt, wild den Anbrachen der Eonzentralion Genüge geleistet
ffierndt ist miuSk für die andern »Beolfidier« das Prinzip ge-
geben, von dessen Erfflllong ihre Kongentrationafthigkeit abhSngen
wird.
Kaoh alledem haben die bisherigen EonMntrationsTersadie in
Besag anf den Saohnnteirioht scheitem müssen, insofern sie an
Stelle der nnmittelbazen Biohtimg des UntemchtB anf das Bisiehnngs-
ael eine konzentrische Anordnung des Stoffes nm die historische
Gruppe gesetzt haben. Zweifellos hat dieser Gedanke viel Bestechendes.
Aber die Harmonie, welche er heimstellen im stände ist, fßadA
derjenigen des Helotenstaates: die »BealjBtoher« mflasen auf das selb-
stSndige Denken nnd somit aaf das Beste Tersichten, was sie an er-
jBtehHöhen SU^ren hervorbringen können; sie müssen ihre lebendige
Einheit zeneiBen lassen,, ohne doch, wie gezeigt worden ist, dem zur
yormnndschaft emgesetzten Vaobß wirklich zn nttteen.
Es ergibt sich aber anch aus diesen ErwSgongen, dafi die bis-
herige Besohrinkung des B^griiKes »Gesiunungsuntemöht« nicht anf-
recht eriuüten werden kann. In der Erziehungsschule mufi jedes
Sachgebiet das zwanglos in denBahmen derselben passen soll, sich
unmittelbar auf das Er^hungs^el richten und kann es auch. Bi
darf nur nicht auf dem abseits fahrenden Wegb der Aibeitsteilang
• Halt machen, darf nicht bei dem sogenannten objeiktiTen Tatbestuid
stehen bleiben; Tiehnehr muß der Unterricht bis zum wieder eneichten
Anscfalufi an das Ganze, d. h. bis zu den Ideen fortschreiten. Als-
dann wird der Unteiridit beiden Eordemngen der Didaktik gerecht:
er beseitigt die Ge&hren der Aifoeitsteilnng ohne ihre Yorteile auf-
zuheben oder auch nur einzusohiSnken. Aller Unterricht ist nun-
mehr wieder ein Unterricht, eine einzige Eosmologie, und alle Lehre
ist in letzter Linie nur eine Lehre: die von der sitdidien Tftcihtig^t
des Menschen. Erst dann ist es möglich, Ton allen Punkten
des Gedankenkreises aus in gerader Elchtung zum domir
nierenden Zentrum zu gelangen. Es ist nicht nötige Tom natnr-
wissenschafüichen Yorstellungskreise erst den Umweg Uber den
historischen zu suchen. So aber wird die erziehende Wirkung
des Unterrichts erst auf ihren Höhepunkt gebracht Der
Gegensatz zwischen Arbeitsteilung und Eonzentration be-
steht nicht mehr. Bs ist der kulturhistorische Gang selbst,
der tLber die Spezialisierung zum Ganzen zurückfahrt, d.h.
konzentriert
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Ffannütikl: Leits&tze für den biologischen Unterricht
399
18. Fmia d«r KooMatratiim
Es könnte nun versucht werden, ein System von Ideen in
den Mittelpunkt des Unterrichts zu stellen und den gesamten
Lehrstoff um diese zu gruppieren. Diis wäre Katechismus-
unterricht, Dogmatismus, Systematik. Ein solches Verfaliren würde
ge^ren Psychologie, Logik und Ethik verstoßen; denn es achtet nicht
der Entwicklung dos Kindes, zerreißt allen natürlichen Zusammenhang
des Stoffes und erzieht nicht zur Unbefaugeuheit gegenüber der
Wahrheit, sondern zum Vorurteil.
Auch der religiöse und der historische Unterricht bieten nicht
alle gleichsinnigen Beispiele auf einmal dar (z. B. von der Treue,
von der Elternliebe), sondern wie der historische Verlauf dieselben
bringt. Infolgedessen kann auch an den biologischen Unterricht nicht
die Anforderung gestellt werden, daß er zu jeglicher Zeit immer die
qualitativ gleichen Ideen entwickle, wie die historischen Fächer. Die
Konzentration ist schon genügend gesichert durch die Überein-
stimmung in der Grundrichtung: den Weg von der Tier-
heit zur modernen Menschlichkeit zu zeigen.
Da die Konzentrationsidee einen bestimmenden Einfluß auf die
Stoffanordnung des einzelnen Faches nicht beansprucht so muß sie
Sache eines besonderen Unterrichtsaktes, und bei weitergehender
Arbeitsteilung eines besonderen Faches sein: der elementaren
Philosophie. Diese Disziplin kann in jeglicher Schule ein-
geführt werden, die auf sittlich untadeliger Grundlage
steht, d.h. in der vorurteilsloses, vernünftiges, wahrhaftiges
Denken eine Stätte der Wertschätzung und der Pflege ge-
funden hat. Alsdann dürfen die einzehien Fächer auf ihrem engeren
Felde stehen bleiben. Die Fortführung der Begriffe des religiösen,
historischen und realistischen Unterrichtes bis zur harmonischen Ein-
heit, d. h. die Konzentration, übernimmt der philosophische Unterricht
Wo dieser fehlt, da muß dieselbe von Fall zu Fall durch einen be-
sonderen Unterrichtsakt gesichert werden. Die Theorie der for-
malen Stufen hat alle nötigen Vorkeii niugen dazu getroffen.
Denn für jede methodische Einheit ist die Herausbildung von Ge-
setzen und Ideen, sowie die organische Verflechtung derselben mit
allen venvandten Teilen des Gedankenkreises zur Pflicht gemacht.
Diese reduzierende und assoziierende Arbeit fiült den Stufen der Ver-
knüpfung, des Systems und der Anwendung zu. Somit trägt die
Theorie von den formalen Stufen die Lösung des Konzen-
trationsproblems schon in sich. Denn auch der philosophische
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400
Aufsätze
Unterricht würde nur eine umfassende Asso^iatioas-,
System- und Methodenstuie sein.
lAk B8KlliBkfllflilitisiiiiK dMP MlfBriffthiwi BoluuniiiSHi
Aus der einheitlichen Wurzel der Dinge erwächst die Möglich-
keit der Kunzentration unbeschadet der Arbeitsteilung. Aus der
schier unendlichen Verzweigung des Stammes infolge der Tariationen
erwachsen die Schar ungen der Dinge und Kräfte zu Gruppen,
innerhalb deren bestimmte feste Beziehungen bestehen.
So heri-scht zwischen der Pflanzen-, Tier- und Menschen weit und
den orograpliisehen, klimatischen und geologischen Verhältnissmi
eines Landstriches eine streng gesetzmäßige Abhängigkeit;
oder zwischen dem physikalisch -chemischen Wert der Kohlehydrate
und der Lebensenergie der Pflanzen und Tiere.
Die Bearbeitung dieser Scharungen fällt je nach der Arbeits-
teilung entweder ebenfalls besonderen Unterrichtsfachern zu oder
bestimmten Abteilungen von solchen. Sie liefern den Lehrstoff
fiir die Heimatkunde, die Geographie, die Geologie und die
Physiologie.
Die biologischen Scharungeii werden als Lebensgemein-
schaften bezeichnet. Der unmittelbaren Beobachtung zueuiiirhch
sind nur diejenigen der Heimat Deshalb bildet der Anfangs-
unterricht über die Scharungen der lebendigen Dinge einen
Teil der Heimatkunde. Weiterhin aber werden sie zu verbinden-
den Gliedern zwischen Biologie und Geographie bezüglich Geo-
logie. Die liierher gehörigen Momente sind die charakteristischeil
Besiedelungen der Meere und Länder mit Lobewesen, sowie die merk-
würdigen Floren und Faunen der Vergangenheit einerseits, und dar
variierende Einfluß der geographischen Lokalitaten sowie der allmih-
lichen Oberflächen Veränderungen auf die Lebewesen andreiseitK. INe
Physiologie verknüpft die morphologische, systematisohe und wt'
wioUungsgeschichtlicbe Biologie mit Physik und Chemie.
In den Volks- und Mittolschnlen können Pflanxen- and Tie^
geographie, Geologie (mit Palftonto logie) und Physiologie
gegenwärtig nur Unterabteiiangen der Geographie und Biologie bilden.
Al>er schon auf den Ifittelsohnlen soJiten ihnen beeondeie Mi-
stnnden in gewissem XFmfuige zugeteilt werden. Diese die SchanmgeB
analysierenden Disziplinen werden anoh mit dem Namen der 9aa80-
ziierenden Eteher« beselclmei
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Pfjlnnsxbl: Leitsätze für den biologischea ÜDterhcht
401
16. Zur Praxis des biologischen Lehrplans
Der Lehrplan der Erziehungssehiilo hat nach dea voisteheuden
Erörterungen dreierlei erkennen zu lassen:
1. die Stoffverteilung,
2. die konzentrierenden Gesichtspunkte,
3. die Beziehungen z^vischen den spezialisierenden fächern einer-
seits und den assoziierenden andrerseits.
Für die Stoffanordnung des biologischen Unterrichtes sind
die kulturhistorischen Stufen maßgebend. Sie bezeichnen den
Weg der Erkenntnis, den die Forschung genommen hat, und der
zugleich der Entwicklung des Kindes kongenial ist.
Die Geschichte der biologischea Wissenschaften läßt schon äußer-
lich drei Perioden unterscheiden:
1. die Periode der noch nicht gesonderten Beobachtung,
2. die Periode der zu einem Fache gewordenen makroskopischen
Beobachtung uufl Forschung,
3. die Periode der Beobachtung und Forschung mit Hille des
Mikroskopes.
Der ersten Periode entspricht der Anfangsunterricht
Er enthält die Biologie noch nicht als gesondertes Fach. Sie be-
schränkt sich vielmehr auf die notwendigen sachlichen Erläute-
rungen des biologischen Materials, das in den Märchen,
Sagen und dem sogenannten Anschauungsunterricht vor-
kommt. (S. »Schuijalire« von Kein usw.)
Die zweite Periode beginnt mit der systemativSchen Durch-
forschung der Heimat in der Heimatkunde, von der sich die
Biologie bald als selbständiges Fach lostrennt Die Heimat
bildet immer den Schauplatz für mind^'stons eine wohl charakterisierte
Lebensgemeinschaft, Je nachdem der Beobachtungskreis ein Flußtal,
ein Plateau, eine Gebirgslandschaft, der Strand, das Flachland, der
Wald, das bebaute Land, die Stadt, das Dorf, eine Saudscholle, eine
Kalkzone usw. i.st und je nachdem die orographischen, klimatischen
und auch die politischen Verhältnisse mehr oder weniger günstige sind.
Die noch überwiegende frische Sinnlichkeit der Zöglinge ist
leicht auf die bunte Mannigfaltigkeit der lebendigen Objekte zu lenken
und findet in ihr volle Befriedigung. Das psychologisch Nächste
sind solche Pflanzen und Tiere, mit denen das Kind in
einen gewissen persönlichen Verkehr treten kann.^) Hierher
. —
Eine sehr empfehlenswert« Anlfitung findet der LolirtT in >M<)rsk, Anfangs-
gründe der allgemeinen Zuolügie«. Berlin, A. Ötubenxauch. Die Methode
ist leicht auf die Botanik zu übertragen.
irilHidtt Or fUtaMfUt wd fldagogik. 12. Jahig»«. 26
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402
AofBMse
gehören neben den Haustieren soldie Fflanaen und Here, wekshe daB
Kind in Haue- oder Zimmerglrtea und in Aquarien und Temrien
selbst züchten und beobachten kann (Insekten, Schnecken, Hoscheb,
Krebee. kleine Fische, Amphibien) Eidechsen, die Maus). Weiteihin
gehören zum p^chologisch nahen Ifateriale dieser Stufe solche
Naturobjekie, mit denen das Kind infolge gewisser herYor-
ragenden Eigenschaften sympathisiert, also die staiken, mutigen,
fubenpiftohtigen oder gigantischen Tiere bezw. Pflanzen. Bs sind
also das empirische und das sympathetische Interesse, mit
deren Pflege der Anfang gemacht wird. Ihnen gesellen
sich infolge der zusammenhingenden Beobachtungen an den ge-
züchteten Lidividuen und den natfirlichen Scharungm das speko-
latiTC und das soziale Interesse zu. Bas istfaeäsche und religiös-
ethische Interesse erscheinen in den gröbsten Zügen.
Was die Erweiterung des Wissens auf dieser Stufe betrifft, so
gewührt sie eine elementare Orientierung in der lebendigen Nator
der Gegenwart sowohl bezOgUch des Systems als auch der aus dea
Lebensgemeinschaften sich ergebenden Gesetze.
Bie zweite Periode schlieft damit ab, dafi der Zögling
mit noch unbewaffnetem Auge die freilebenden Zellen ent-
deckt Dieses Ereignis ist in der Geechiohte der Wissenschaft un-
gefiUiT mit der Erfindung des Mikroskopes zusammengefadlen.
Basselbe bildet von nun an em unentbehrliches Hilfsmittel für
den weiteren biologischen Unterricht Gleichwie mit dem Mikroskope
die an Erfolgen so reiche Epoche der neueren, zellularen Biologie
anhebt, so beginnt auch mit seiner Einführung in den Unterricht
der dritte Kursus. Er soll die Einheitlichkeit des Lebens auf der
Erde begreiflich machen; infolgedessen muß seine Stoffanordnung
die genetische, sein erklärendes Prinzip der Gang der Snt>
Wicklung sein. Die durch denselben gegebenen Deutungsmomente
lassen eimesk so tiefen und eindrucksvollen Blick in das geheinmi^
▼olle Schaffen der Natur tun, daß ihr Bildungswert in jeder Be-
ziehung hervonagend ist Auch die Volksschule darf an diesen
durch die neuere Forschung gehobenen Schätzen nicht
vorübergehen! Die allgemeinen Begriffe, mit denen die neneie
Biologie ständig arbeitet, wie Pflanze, Tier, Leben. Tod, Em&hnui^
Verdauung, Ausscheidung, Vermehrung, Teilung, Konjugation osv^
sind Yon den einzellebenden Zellen unschwer zu beobachten^) und
') Weil diese Begriffe aa den niederen Tieren am leiehteaten m «r-
arbeitco sind, wollen Vbxbkm und Liiowas» merkwfiiiiiicef weise die Behaadtug dtf*
seihen in die Oberklassen veriegt wissen. Veij^ »Natur nnd 8ohnle«, nt
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Ptannsukl: Leitsätze für den biologischeu Unterricht
403
bilden den Grundstock für die Erklärangsweise des <?anzen dritten
Kurses. Rhizopoden, Paraniäcien, Vorticellen, Euglenen, Chroococcaeeen,
Yolvocineen sind durch Schöpfen aus einem schlammigen Teiche
leicht zu beschaffen. 1) Ferner eignen sich gut zur dauernden Be-
obachtung die Metamorphosen der Fadenaigeu, der Moose, der Gefäß-
krj'ptogamen, der Insekten, Krebse, Schnecken und einiger Wirbel-
tiere (Forelle, Salamander, Frosch, Hühnchen). Z\V()lfjähnge Zöglinge
können im Yeriaiife des Jahres sehr wohl feststellen, daß z. B. die
Haarnioospflanze aus ihrer Sporenkapsel nicht etwa junge Moos-
pflänzchen, sondern einfache Zellen streut; daß aus diesen Organismen
hervorgehen, die den Fadenalgen gleichen; daß dieselben schließlich
Moosstäramchon entwickeln, deren Gipfelblätter Eizellen und geißel-
tragende Teilungszellen hervorbringen; daß aus der Vereinigiing beider
ein neues, auf der Mutterpflanze schmarotzendes Stämmchen hervor-
geht, welches wieder eine Sporenkapsel entwickelt; oder daß beim
sehr jungen Vogelembryo am Vordereade des Flügels ein wohlerkenn-
bares Handskelett vorhanden ist, usw.
Das Material muß für die dritte Stufe des biologischen Unter-
richts so ausgewählt werden, daß sich die »Hauptgedanken des
Schöpfungsplanes« aus ihm entwickeln lassen. Insbesondere ist immer
dasjenige zu bevorzugen, das der sinnlichen Anschauung zugänglich
gemacht werden kann und sich dem einfachen Schema am meisten
annähert.
Eine Stoffauswahl für mittlere Verhältnisse ist folgende (für
Volksschulen nur das gesperrt Gedruckte):
I» Zdlen und Monlen:
A. Pflansen:
eine einzellige Alge (im Ansohlnfi: KieeeUdgenX
Spiralalge,
Yauoheria,
ein Schimmelpilz 1 ^.chiießend: System der Pilze,
ein Hautpilz |
B. Tiere:
eine Amöbe (anschließend: BhizopodenX
Bnglena viridis (Oeifielzellen, Protisten^
eine Pantoffelzelle (Paramaeeinm)
eine Olockenzelle (Yortioeile)
^) Es muß Schlamm raitfjeschöpft werden, und es müäüen einige grüDe Wasser-
pflanzen im Glase sein.
26*
Wimperzellen.
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404
Auäätze
IL Niedere Zelienstaaton:
A. Pflanzen:
Chan oder Nitella,
Haarmoos, Folvtrichum (Moose).
B. Die zweikeimblättrigen Tiore:
Süßwasserpoljp, Hydra (QuaUenpolTpenX
Korallenpoljpen, Schwämme.
HL E9km ZeUenstMiteB:
A. Pflansen:
1. ohne Samenhildnng:
ein Lanbfarn (BlaiienX %
ein Schachtelhalm (Schachtelhalme),
ein Wasserfiun, SalTinia nataas,
eine Selaginelle (Blilappe);
2. mit Samenhildnng:
eine gymnosperme Blütenpflanze (Gymnospermen),
eine einfache angiosperme Blütenpflaaze, (s. E
nngef üUte Pf ingstroae), Hanptzüge derTariation
der Angiospermen nnd System.
R Die (drei- nnd) yierkeimblättrigen Tiere:
1. ohne reale Eörperachse:
ein Bingelwurm (im Binnenlande der Begenwnrm;
bei demselben sind aber infolge des Landlebens die
Fortpflanzongs- nnd EntwicUnngsrerhÜlausse so sivk
indiTidualisiert, daß sie sich nicht znr Behandlnng
eignen. Weitaus instrakÜTer sind diese YoigiDge bei
Polygordins oder Sagitta zn beschreiben),
schmarotzende Faden- nnd Plattwürmer,
eine Muschel (Metamoiphooe nach der AnsterX
eine Schnecke,
ein EopffOßler,
ein Erebs mit Naupliusstadinm, z. B. Daphnia,
ein Insekt mit vollkommener Yerwandlang (System
der tracheaten Arthropoden, Spinnen),
Stachelhäuter: Seestem, Seeigel, System;
2. mit realer Edrperachse:
ein Haifisch (Ganoiden, Enochenfisohe, System)^
Frosch (Salamander, Amphibien),
Eidechse (Eeptilien, Saurier der Jurazei^
Huhn (Ydgel),
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PrAKNBZiKL: Leitatttsa für den biologisohen Untenioht
405
J?*""^ . ] (Säugetiere).
Mensch |
Das gesamte Material der zweiten Stufe wird auf der dritten in
immanenter Weise wiederholt In den Yolksechalen sind ihr die
beiden letzten Schuljahre sn widmen.
Die relativ größere geistige Reife, welche die Zöglinge dieses
dritten Kurses haben, gestattet auch entsprechende Erörterungen
über Form- und Farbenverhältnisse, sowie die Entwicklung
ethischer Universalgesetze (v? 12). Es ist also eine nachdrück-
liche Pflege des ästhetischen und des ethisch-religösen Intei^
esses gesichert.
Die konzentrierenden Gesichtspunkte läßt der Lehrpkn
erkennen, indem er dieselben in besonderer Reilie neben der
Stoff anordnung enthält Sie müssen mit Hinweisen auf die
verwandten Stellen des iilirigon Unterrichtes versehen sein,
z. B. bei Insekten: Lockwirkung der Farben und des Duftes, Schön-
heitssinn, Wirkung der Massen, Förderung der Intelligenz durch
Arbeit. Verminderung derselben durch Schmarotzerleben, Erhaltung
der Art als höchstes Lebensprinzip, Kulturwert der Arbeitsteilung usw.,
wobei hinter jedem Begriffe Verweisungen in form von Buchstaben
und Zahlen zu denken sind.
Dasselbe gilt bezüglich der spezialisierenden Fächer einerseits
und den assoziierenden andrerseits, z. B. bei Farren: heiße Zone
(Geographie), Steinkohlenformation (Geologie), Wurmfarn und Ein-
geweidewürmer (Zoologie), gefiederte Blätter und Bosetten (Zeichnen).
16l Bor Staxls dM hiologifihm nnftanriolitM
ISne mOgliohst nmfangreiohe and grftndliche sinnliche An-
Bchaanng ist die nnerläBliche Toraussetsang des Gelingens
der biologisehen Unterrichtsarbeit Dafi die Schulen in der
Begel nur nngentlgend mit YeEBnsohaiüichnngsmittehi ausgestattet
sind, hat schien Haoplgnind im Gymnasialontemcht: er hat die Ge>
set^geber nnd Regenten des Schnlwesens vcrbereitet und dieselben
systematisch daaa ezzogen, alle Kenntnisse nnr ans Bflchem an hden.
Das biologische Experiment ist in den Ersiehnngsscfanlen
anf die Züchtung gewisser Lebewesen und die Herstellung
einfacher Präparate beschrSnkt Diese Arbeit ist möglichst Ton
den Zflglmgen au leisten. tMan lernt selbst beim einfachsten Ex-
Za vergleiclien: V>:rworx, »Beiträge ZHT Frage des natarwissen-
8chaitlichen Cnteriiohtsc. 8. 6.
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406
AufBäts»
penment erst omsichtig, logisch und kritisch beobachten and bandeüi,
wenn man es selbst ausführen muß.«*)
Die Schulen, in denen der gesamte Unterricht einer
Klasse in einer Hand liegt, haben den nicht zu unter-
schätzenden Yortoil, daß die Beobachtungen täglich, ja
teilweise stündlich oder in uocli kleinereu Pausen an-
gestellt und registriert werden können.
»Die Notwendif!;keit, daß die Schüler die Figuren (wenn auch
noch so unvollkommen) auf Schiefertafel oder Papier nachzeichneUf
kann nicht dringend genug hervorgehoben werden.« 2)
Auf der dritten Lehrplanstiife hat sich die Darbietung zu er-
strecken auf äußere Gestalt, Anatomie, Physiologie, Ent-
wicklungsgeschichte des Individuums und des Stammes,
geographische und geologische Beziehungen und Kunst-
formen.
Der neue Abschnitt beginnt immer mit der Monographie eines
geeigneten Individuums (vorgl. »Höhepunkte« in der Geschichte).
Aus diesem Materiale wird das Schema abstrahiert, und durch
Variation desselben werden die Hauptfonnen der ganzen Gruppe ent-
wickelt.
Was die Naturbeobachtung dem Lehrer als solchen sein kann
und muß, hat der große Comenius in seiner Didactica magna
gezeigt Dort hat er den Versuch unternommen (Kap. 13 — 18), die
Gesetze des erziehenden Unterrichtes der Natur abzulauschen. Die
Forschung in derselben gewöhnt daran, alles Geschehene als Ausfluß
einer gleichwertigen Ursache aufzufassen, und alle Gebilde als nach
bestimmten Gesetzen entstanden zu betrachten. Etwaige Mißerfolge
werden den so Unterrichteten nicht verwirren oder erzürnen oder
mutlos machen, sondern zum Nachdenken über die Quellen derselben
veranlassen. Die beste Methode, die Natur eines Dinges zu
erklären, besteht darin, daß der Arbeitsgang der Natur er-
forscht und dieser durch den Unterricht rekonstruiert wird
Damit ist das kulturhistorische Prinzip auch den methodisichen Ein-
heiten zu Grunde gelegt.
Durch Absti'aktionen alsdann immer umfassendere Ideen ableiten,
bis die Einheit der Natur im Mikrokosmus der Psyche zur Wirküch-
keit geworden ist, heißt: die Konzentration zum beherrschenden Ge-
setze des Gesamtunterrichtes erheben.
*) Ebendttelbek S. 11 und Him, »Zoologie an Seminarioa«, in An
Encyklopädie.
*) MoBsi, Aufangsgründe uäw. S. 1: Vorwort
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1. Ferienkurse in Jena Angnst 1905
(Sekretariat- Oartenstraße 2)
I. Naturwi88en8Chafliche Kuree
1. thtr Bas aid Leben der Pflaizei
mit besonderer Berücksichtigaog der für den botanischen Schulunterricht wichtigen
Zweckmäßigkeitseinrichtungen in der Organisation der Gewächse
Professor Dr. Detmcr
Einleitiuig
Der botanische Schulunterricht früher und jetzt. Aufgabe der Bio-
logie. Typische, rudimentäre, reduzierte und metamorphisierte Pflaozen-
organe. Goethes Metamorphosenlehre.
I. Ott BIttt
1. Funktionen des Laubblattes: Wasserkultur. Bau des Blattes.
Neuere Forschungen auf dem Gebiete der Zellenlehre. Nachweis der Assi-
milate. Wesen der Assimilation. Biologie der Assimilationsorgane. Be-
deutung der Assimilation für den Haushalt der Natur.
2. Wesen der Transpiration des Blattes. Methodisches. Bedeutung
der Verdunstung. Äußere Einflüsse. Biologisches. Xerophyten, Hygro-
phyten, Tropophyten, Erfahningen des Vortragenden über diese Pflanzen-
formen auf seinen Reisen im tropischen Brasilien, in Lappland, Turkestan
und der Sahara.
3. Eiweißbildung im Blatt. Synthese der Proteinstoffe. Theorie des
Prozesses.
4. Metamorphisierte Blätter. Blätter der insektenfressenden Pflanren,
der Succulenten usw.
II. Die Wurzel
Bau der Wurzel. Wasseraufnahme derselben. Thorie des Turgors.
Wurzeldruck. Metamorphisierte Wurzeln. (Luftwurzeln, Säulenwurzeln,
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408
Mitteilungen
Atemwiirzeln, die Knöllchen der Papilionacoenwnrzoln und die pticketoK-
sammeiudeBBaktehea derselbeo, neuere forschungea über dieMycorrhizausw.)
^ III. Die StaiiMBebllde
Bau des Stammes. Mechanisches Gewebe. Neuere Theorien über
Wasserleitung im Stamm. Metamorphoeierte Stammgebüde. (Cacteeo,
AmeisenpflaDzea, RaakeD iisw.)
DanoB, Das Ueiiie pfUmsenphyriologieolM MMiknni. 2. Aofl. Jana 1906.
H*anLAin»t, Fhysiolö|^che Pflanzenanatomie. 3. Aufl. Leipitg 1004.
Kernkr, Pflanzenleben. 2. Aufl. Leipzig.
SciiiMi'Kn. l'flanzengeographio auf physiologischer Grundlage. Jena 1898.
&TUAhBüKO£it, Lehrbuch der Butanik. G. Aufl. Jena 1904.
1 Ailcttug n ttttriMh ■nrrtifctiiiilii AiMtM nl HMMVfe|iMHlMh«
faptilMitei
Prof. Dr. Dctner
Tersadie über AsrimilatioD, PflanzenatmuDg und TtirgorerscheLnungen,
Filzkultiireo, Experimeote mit dem Klinostaten, üntamoGhungeo überBeia-
TorgftDge und Wachstam usw.
3. Popol&re Astroioale
Prof. Dr. Knopf
Einleitang: Praktischer und ethischer Wert der Astronomie. FrOh-
sdtiges BedQifiiiB der MeDsohhöt nach Beaotwortiiiig astioiioiniadher Fhigen.
Das Sonnen^tem: Die SoDoe, ihre GiQBe, Miusa und mittlero Didite;
ihre chemische und physikalische Konstitutioa. Die Erscheinungen auf
ihrer OberflJlche; die Reiskonistruktnr der Photosphäre, die Fleckon, Fackeln,
Protuberanzen. Die Korona und diis Zodiakallicht. Die verschiedeneu
Hypothesen zur Erklärung der Erscheinungen auf der Sonne. Die An-
sichten von W. Herechel, Kirclihoff, Zöllner, Schmidt u. a.
Die Planeten, ihre BeTdution und BMation. Titius-Bodeeches Oooote.
Ebteihing in grofie und kleine Planeten. Wahle und scheinbare Bdmen.
Lücken im System bei rationalem YorUtttnis der mittleren Bew^ungen.
Die Penlung der auf den Oberflächen von Morkur, Venus, Mars. Jupiter
und Saturu sichtbaren Gobilde. Der Streit über die Kotatiouszeit von
Merkur und Venus. Sehiaparelli, Brenner, Belopolski. Die Bewohnbarkeit
der Planeten. Die Frage nach dem Leben auf anderen UimmelskOrpenL
— Der Erdmood mit seinen Ringgehirgen, TieEsbeDeii, Kistem, Streifn
und Billett. Stellung des Mondes hei^SonnsD- und Mondfinstemissen. —
Die Monde der andern Planeten. Die Bestimmung der Lichtgeschwindig-
keit aus den Verfinsterungen des ersten Jupiterraondcs. Der Satiimring
aus lauter Monden bestehend; Teilungen des Ringes. Die starke Neigung
der Bahnen der Uranusmonde und die Hückläufigkeit des Neptonmondes
schwer mit der Kaut-Laplacescheu Kosmogonie vereinbar.
Die Kometen: ihre Balinen; ihre chemische Beschaffenheit; ihr Ur-
sprungs ob kosmisch oder nicht; die Entstehung ihrer Schwelle» entweder
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t
1. Ferienkurse in Jena August 1905 409
durch elektrische Kräfte (Olbers) oder durch Lichtdruck (Lebedew) ; Richtung
der Schweife, mehrfache Schweife, ob von stofflicher Natur oder bloße
optische Erscheinungeu , drei Schweiitypeo nach Bredichiu. Kometco-
Kystome; die gtofleo Kometeo ^ 1680» 1843, 1880 und 1882 früher
jedenfidb einen eindgen Kometen bfldend. Zer&U der Kometen, besonder '
im Peiihel; ihre AufUJeung in Sternschnupponschwrirme. Bidiaiiten der
letiteren. Die Meteore. Ihr zweifellos kosmischer Ursprung.
Das Newtonsche Oravitationsp^csetz. Zweifel an seiner Richtigkeit
und universelleQ Gültigkeit. Über Naturgesetze überluiupt; sie dienen zur
Beächreibiuig der Vorgänge in der Natur. Die Fulger uogen aus dem New>
toDsoiien Chwvitaiioii^geaets bilden den OegeoalMid der Himmelumenhftnik.
Die Keplereohen Ooootee. Die Librationsgeeetse bei den Jupiter- nnd
Sntarnmonden.
Der Fixstemhimmel : Stemsysteme, Milchstraße, Nebelflecken, Stern-
haufen. Doppelsteme, veränderliche Sterne, neue Sterne, Eigenbewegung
und Entfernung der Sterne. Die Stellung unseres Sonnensystems in der
fixstemwelt und seine Bewegungsrichtung. Besseische und Airysche
Mettiode rar Bestimmimg dieser Richtung. — Kosmogonie.
Besuch der Stemwaxte rar BetraohtoDg der Sonne, des Mondes, der
zur Zeit gerade sichtbaren Planeten, ferner von Doppelatenien, Stemhanfea
and Nebellleoken.
Llteratar
Ijttbow, Die Wunder des Himmels, bearbeitet von E. Wnss. Berlin, Dümmler.
NswtxniB, Popul&re Astronomie, bearbeitet von H. C Vooel. Leipzig, Engelmann.
W. Msm, Das WeMgebiods. Lslpsig, BibliogiapUsohes Institut.
Blochmavn, Die Stornkurult'. Stuttgart, Strecker & Moser.
MöBTüs. Die Hauptsätze der Astronomie, bearbeitet von CSbaux. 11. B&ndchan der
Sammlung. Stuttgart, Göscheu. *
J. ScHKiNKR, Der Bau des Weltaiiü. («Aus Natur ond Geistes weit«. 24. Bändcheu.)
Leipzig, Teabner, 1901.
K. KosnBsiiz, Die Spektralanaljas der ffimmslakSiper. Salbstveilag des Yereina
rar Yerbrciluqg natorwissenBdiaftlioher Kenntnisse. (^« Jshig., Heft 10.)
Wien 1902.
4. Zeit- aad OrtsbestiBsmag aiit praktlsehea Ohiagen
Prof Dr. Knopf
Die scheinbare Drehunf^ dos HiramelspewOlbes. Die Himmelspole,
der Himmclääquator. Zirkumpuiaisterne. Htiktaszension und Deklination.
StondenwinkeL Asimnt nnd l^e. Db Sonnenbahn oder Ekliptik. Yer-
aduedeoe Bedentang der Worte »LSnge« nnd »Brsitec in der Astronomie
nnd Geographie. Die Beziehungen zwischen wahrer Sonnenzeit, mittlerer
Bonnenzeit, mitteletux)p&i8cher Zeit, Stenizeit, Zeitgleichung. Datumwechsel
in 180^ Länge von Greenwich. — Unterweisung im Gebrauch des Spiegel-
sextanten, des Spiegelprismonkrei.ses und des Theodoliten. Bestimmung
der Zeit aus Sonnen- oder Stemhöhen bei bekannter geographischer Breit^
oder aus korrespondierenden Sonnenhöhen (sogenannte Mittaga- nnd Mittel^
naditsverbeaaernng), wenn die geographiacbe Rreite nicht bekannt ist. Be>
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410
MitteiloDgeD
Stimmung des Azimutes der Sonne und somit auch von irdischen Ob-
jekten bei gegebener Zeit Bestimmung der geographischen Breite aus
ZirkommeiidianhöheD der Sonne und aus der Hohe des Polarstems. Be-
«timmung der Zeit und der geographiacheD Breite ans swei BObea dea-
flelbeo Qestimes iD verschiedeDem StaDdenwinkel. BestiminiiDg der geo-
graphischen Lange durch Monddiatangen oder dmdi Moodhöhen. Bednktioa
der Beobachtungen. Besprechung weiterer, im Kursus nicht zur prak-
tischen Ausführuog gelangeoder Methoden der Zeit- und Ortsbestünmuiig.
Literatar
W. JoKDAN, Gnindzüge der astronomischen Zeit- und Ortsbestimmung. Berlin. Springer.
W. WiäucRNus , Handbuch der gec^raphischen Ortsbestimoiungea auf Reisen.
Leipzig, Engehnann.
fioiBaüB-OaLoicB, Naatiaoha Aatrononiie. Wiaa, Cl OeroMs Bohii.
^» Zaelfglai mit ProjektionsbUdern lebender und konservierter Tiere auttela
des Epidiaskops und des Projektionsmikroekops
Prof. Dr. H. E. Ziegler
Betrachtung der vnchtigsten Abteilungen der wirbellosen Tiere und
einiger Wirbeltiere, unter Vorweisung von lebenden und konservierten
Tieron mittels der Zeiß sehen Projektionsapparate. Die Beihenfolge geht
im zoologischen System von unten nach oben;
I. IL 2. Protozoen (Kanuneriinge, Strabltieroheo und Bodere Wund-
fflfior; An^oAtieroheo).
3. Sflßwasse r polyp und andere Ey droidpolypeOt Quallen, KönUentien.
4. Strudelwtirmer, BaadwOrmer, BondwOmier, Begonwurm ond
■andere Ringelwürmer.
5. Flußkrebs und andere Krebstiere.
6. u. 7. Tausendfüßer, Spinnen und Insekten.
8. Q. 9. Knaoheln, Sohneoken und aaden WeidiliBre.
10. Stachelhäuter (Seeigel, Seeatenie uadr.).
II. Amphioxua und Flache.
12. Amphibien.
Literatar
R. Ukrtwio, Lehrbuch der Zoologie. 7. Aufl. Jena 1905.
O. ScHMXU., Leturbach der Zoologie. Stuttgart o. Leipzig 1904.
C Ihyiialagle Im MIns
mt Oemonatiationeii FkinMoieot Di. Noll
1. Ausbildung des Qehnna in der Tieneih& Ikitwiddnng dea nanaohp
liehen Hirns.
2. Das entwickelte menschliche Oehim. Bedeutung aeiner etiueinen
Teile. Zusammensetzung der Gehimsubstanz.
3. B^rÜf des Neuion.s. Verknüpfung des Gehirns mit den Be-
▼egungs- und Empfindungsorgauen.
4. Physiologie der Nervenielle und NervenfiBer.
6. Die Befleze.
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411
6. Das Zustandekominen willküriidier Bew^:aiigeD.
7. BenehoDgeD iwiachen Beiz und fimpfiadoDg. Dm WebeiBGh«
Gesetz.
8. Die Haut- uod OigaDempfindungen. Geruchs- und (ieschmacks-
empfiodiugeD.
9. OehiOi»- und Gesiohtsenipfittdungen.
10. LokalisatioDeD io der Oioihlnrindeu
11. Sprache und Sprachstönn^feD.
12. Der seiflkdie Yerlaaf der psychischen Promsae.
Utaratar
Die Abschnitte über Gehirn und Sinnesorgane in:
Johannes Rajocb, Der Mensch (I. Band). 2. Aufl. Leipzig u. Wien 1893/94.
SiEiNEBf Grundriß der Physiologie des Meni^üheu. 8. Aufl. ii^8.
TtaannM, LahilnHli der Physiologie des Meosoiien. 8. Aufl. 1006.
Fbmsr:
Hklmholtz, Vorträge und Reden. Braunschweig 1884.
Flechsig, Gehirn uiid Socio. I^ipzig 1896.
ZoEHXN, Leitfaden der physiologischen Fsycholc^e. 6. Aufl. Jena 1902. 5 M.
Dnaelbe, Über die aUgem. Beitehimgen swisohen Oehim- a. Seelenleben. 2. Aufl.
IMS. l^M.
Kacb, Die Analyse der Empfindongen and das TexfailbiiB des Physisohen warn Bqr-
chiflchen. 4. Aufl. 1903. 5 M.
Flügel. Die Seeleafrage mit Rücksicht auf die neueren Wandlungen gewisser nator»
wissensch. Begriffe. 3. Aufl. 1902.
7. SMiigto !■ Mde
Prot Dr. JobMiiict WaHher
Nadini. 6—6 abweohsehid (je nach der Witterung) mit kleinen KxkoisioneQ
Ton 5—7. Ek)nntag, den 6. und 13. August tagesexknrsionen
An (lor Hand von Beobachttiiißt}n im Gelände und einfachen Schul-
versucheu solltm die wichtigsten g;eologischen Erscheinungen, die sich fast
fiberall beobachten lassen, erläuteii: werden. Zur Besprechung kommen
folgende Tatsacheogruppen (die Reihenfolge wird durch den Verlauf der
Ausflüge bestimmt): Aufaohlflaae, Oeete^Dsnntenohiede, FoesOien, lüge-
rangsformea, Scfaichtong, Elflfte, Tenrecfnngen, FalleOf Streicfaeii.
Verwitterung, BodenbUdung, Absinken des Oehftngeschuttes, Abhlng^
keit der Landschaftsform on vom geologischen Bau der Erdrinde.
Schichtenfolge, Profil. Lfitfossilien, topographische und geologische
Karten (praktische Übung im Kartieren), Signaturen.
Queileo, Wasserhaushalt, Quollabsätzeu, Sinterbild ung, Tätigkeit des
flieBenden WasBen, Taibildung, nnfitemasen, Auaiiiimung dee Lmdee,
alte Ilnfilaafo.
Abtragende Tätigkeit des Windes, Deflation, Sandgebläse, Steppen und
Wüstengebiete (an der Hand von Lichtbildern), Dflnen, Löß, Klimawechsel.
Discordante Lagerungi Schieferungf Abrasion des Zechsteinmeeresi Biff-
bildung.
Schichtenbau, Profile, Verwei-fungen, Faltung.
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412
Mitteilongeii
Vei-^sandhing der Schichteofoige in eine Zeitfolge, Oeologische Epochal,
FormatioDsoameD, Zeitbegriff.
Uteratur
J. Walibxr, Vorschule der Geologie. Eine gemeinverständlichü iuufuliruDg
und Aniaitaiiig la BeolMKditiuigen in dtr EaittoL Jena 1006.
8. Aiwtiing fpflNhfr taitnmite zum Zvooke ohendsoher üntaisiioluiiigeD:
SpektEilaiudyse, MUcroBkopie, PolariBatioii, Befaaktioa
Dr. Olnfe
1. Spektralanalyse. Weeen und Zweck deEselbea. Die Appnale
und ihre Handhabimg. Zubereitung der Stoffe, a) BmitBioDsspektra.
Diejenigen der anorganischen Stoffe, welche in Gasflammen, solcher, welche
im elektrischen Lichte erkennbar sind. V») Absorptionsspektra. Die-
jenigen der anorganischen Stoffe in allen drei Aggregat zuständen. Die
Absorption durch organische Stoffe, insonderheit die Farbstoffe, die Hot-
irteine^ das gesunde und Tergiftefte Blut
2. Mikroskopie zur Erkennung aoleber Struktucformen anoEgamBolMr
nnd OEganisdier Gebilde, aus welchen die chemische Natur derselben be-
stimmt werdeu kann. Das PolarisationsmikroBkop. Das Spektralokular.
B. Pnlariaation, "Wesen derselben. Erkennung der Kristallsysteme.
Interfcrenzfdrben. Achscnbilder. Cirkularc Polarisation als Mittel zur
quantitativen Bestimmung lichtdrehender Stoffe. Saccharimetrie.
4. Befraktometer nnd ihre Verwendung, um ans dem Giade der
lidhtbrechnng und FarbeoasKstreunng die Beinheit oder dem Oebalt an be-
stimmten Stoffen KU ermitteln.
LHeiwIir
QIm>B, Angowandte Optik in der Chemie. Braonadiweig 18M.
Ders., Anleitung zur Spektralanalyse. I^ipzig 1888.
Ders., Polarisation des Lichtes. Leipzig 1894.
Kbübs, Golorimetrie und quantitative Spekralanalyse. Hambuig u. Leipzig 189L
LftimAiTER, SpektndansfyBe. BrMunohwdg 1806.
FondooK, Qualitative SpektzabnalyBe aaoigMiisoher KBiper. Bedin 1900.
II. Pldagooltciie Kam
f. Ms LekSMaaicktaaDgeo der grettea PIdagogM seit 4m ImIhimi
Bivildonat Br. H. Leser-Briingen
Einleitung
1. Bedeutung anseres im Zosammenhang mit der je-
weiligen Welt- und Leben sanschannng zu gebenden Durokp
blicks darch die Geschichte der pädagogischen Bewegungen
— für die gerechte Würdigung ihrer charakteristischen Ansj^mgiingen im
allgemeinen und für ihre gegenwärtige Lage im besonderen. Emanzipation
des ünterrichtswesens zu einem selbständigen Zweig der Kulturarbeit (ia
Praxis uud Theorie) eine moderne Leistung; mit immer entschiedenerem
Vorgang der Ideen, der Theorie: Selbstandi^mt der Fidagogik als Wissea-
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1. Ferienkurse in Jena Au£;uät 1906
413
8chaft. Gründe für die Wichtigkeit des ZuflamineiiliaDgs mit der Lebens-
aasohauimg. Bestimmung der Aufgabe.
2. Die allgemeiue geistige Situation der neuereu Zeit und
ihre p&dagogisohe Bedeutung im GegenBats snm Hittelalter.
Passiyitftt, Fertigsein, blofi BtofOiohes ÜBtecoBse — Aktivitftt^ Uikrokosmoe-
gedanke (formale Bildung). Begriff der »Bildung«.
Erste Periode. Die Übun^zeit: Renaisaaooe ^amaniamus) und fiefor-
mation. 15. bis Anfang des 17. Jahrb.
I. Humanismus
AllgemeitaeB. Positive Charakteristik seines Wesens im
Verhält nis zum Mittelalter und zur Reformation. Wesentliche
Merkmale des Bildungsideals: eigene Tätigkeit und Tendenz auf die rein
meusohliche Seite unseres Wesens. Jedoch Abhängigkeit von fremder
KüItDr (der Uassischen) und damit Scheidung zwischen Gebildeten und
üngebOdelen. Wursel des gelehrten Schulweeens von heute. QegenBBti
snr Befonnation.
Persönlichkeiten. Petrarca und Erasmus. Einseitige, sprach-
lich-diditerifiche Auspr&gung dee Bildungsideals. Darstellung und Kritik.
II. ReKomation
Allgemeines. Fragen der Weltanschauung. Bedeutung und
Schwäche tnr die Pädagogik, beleuclitet am Verhältnis und Gegensatz zum
Humanismus: Abzweigung vom bisherigen weltgeschichtlichen Gang durch
Aukettung ans Moralisch -Religiöse. Pädagogische Konsequenzen.
Kulturau^be des Christentums; Erziehung eines jeden zur Selbständig-
keit; Sinn f&r Yolksuntennoht Doch zuvial Spiachbildniig und religiSBeB,
nicht allgwnein menBoUiches BildungsideaL •
Persönlichkeiten. Luther. Entwicklung und Kritik BBiner |»äda-
gogiBobcn Ideen. Historische, nicht psychologische Orientienmg ; Beispiel
sein Katechismus. Melanchthon. Moderne Verschmelzung des Kiassi-
ßchen mit dem Keformatoriscli-Christlichcn. Gnmdlage des modernen Gym-
nasiums; Verhältnis zur moderneu Universität.
III. Anhang
Die Zeit nach der Reformation. Einiges über Schuiorganisation und
Persönlichkeiten. Pädagogik der Jesuiten.
Zweite Periode. Die Aufklärung. Erziehung auf reine Vernuufterkenntnis
und reale Bildung. 17. bis tief ins 18. Jahrh.
Binleitung. Allgemeine geistige Art. Die neuen Oedanken
über den Ifenschen, sein Wesen die Vernunft; Konflikt swisohen Yeraunft-
Natur und Geschichte. Das spezifisch Moderne in der Emanzipation des
persönlichen Individuums: Unabhängigkeit, Autonomie, Selbsttätigkeit nicht
nur gegenüber der mittelalterlicht n Autorität, soudein auch gegenüber der
geschichtlich-gesellschaftlichen Lebensführung (Frankreich) und Einsetzen
einer eignen, selbst aufgebrachten — realen — Kultur (England). Hierfür
swel ohankteristiBche AnfaogsfTpen: Montaigne und Bacon in ihrer
geistifen und pidagogiBchen Bedeutung.
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414
MitteilfiDgOT
L Beginnende Bewegung
Ratichins. IntezeBsante und bedeutende PereOnfioUrait, in den aU-
gemeinen modernen Konzeptionen (absolute! Konzentration, »Vemonftgemift«,
»nach der Ordnung der Natiir«) tiefer und origiAeller als Comeniua.
Dieser proßer in der systematischen Durclifühning und Organisation. —
Modern ist die Methode (Anschauung, Konzentration, Kontinuität der
Erziehung wie der natürlichen Entwicklung), nicht so der Stoff (Sprache
und Gehalt). Schola materna! Schriften. — Organisationadaten.
II. Höhepunkt der Bewegung
Sinken des klassischen Geistes im 17. Jahrh. im gelehrten Unterricht
UDtercitützt das siegreiche Vordringen neuer Ideen. Die neue geistige und
sosaale Atmo^lre und die Umeo entspreohenden charakteristiBoiiea Aua-
pilgungen sn bestimmten BildnngsideaieD in England (der Me Bttiger)
und Frankieich (der elegante Hofmann).
1. Locke. Die neuen Faktoren. Erste, wesentlich psychologiaclie
Orientiening; Tndividualpsychogenese in ihrer geschichtlich -bedeutsamen
Vereiüiginig mit den pädagogischen Fragen ; Individualerziehung. Beginn
der Emanzipation der Pädagogik zu einer selbständigen wissenschaftlichen
(Gedankenwelt Die pädagogischen Konsequenzen in ihrem Wert end
in ihrer Schwache der Aofldftrnng.
2. Oer Zeitraum bis Bousseau: Pietismus, BealsdiulveBoii und Wieder-
erwachen des Humanismus.
3. Wendepunkt in Rousseau. Geistiger nnd sozialer Hintergrund
auf dem Rousseau steht, und von dem er sich abhebt: Frankreich und der
moderne Kulturstaat. Leben, Schriften und Allgemeines seiner Lebens-
anschauuDg. Worin liegt das Neue der mit Bousseau anhebenden Be-
wegung? — Beziehungen und Gegensatz snr AulUlmiig, Ilataroptimismus
— radikaler Qeeellschaftspesumismus. Zentrale Stellung der Fidagogik
als der Seele der Lebensarbeit zur Entwicklung des rein menschlichen
Wesens im persönlichen, antisozialen Sinne. Schriften, besonders Emiif^.
etwas genauer analysieren. Laisser faire la nature. Würdigung und Kritik.
Was versteht Rousseau unter Natur?
4. Ausläufer der AufUftmng. (Basedow.)
Dritte Periode. Überwindung der Aufklärung; neues großes Uumanitäts-
ideaL Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrit *
1. (Einleitang.) Orofie Benaissanoe des ElassisoheB, Nett-
humanismus. Besonders Fr. Aug. Wolf und Goethe. Allgemeine
Lebeneanschauung und ihre pädagogische Bedeutung als charakteristische
Zeichen der neuen Zeit. Schiller und die Kunst in ihrer Bedeutung f&r
die Erziehung.
2. Pestalozzi. Leben. Geistige Fassung der Welt und des
Lebens (»Abendstunden eines Einsiedlers«) im Zusammenhang mit dem
nenklassischen Geist beleuchtet Natur imd Geist, Notwendigkeit md
Freiheit. Stufen der Seele. »Entwicklung der reinen Menschlichkeit«
Charakteristik dieses neuen Humanitiltsideals und kritische Würdigung der
daraus sich ergebenden pädagogischen Ideen (»Lienhard und (}ertnid«>
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1. FnienJcnrse in Jena August 1905
41&
i^Naohforschungenc, >Wie Oertmd ihre Kinder lehrt«). FaTnilienorziehtinig.
Methfxlel Elementar-, formale, Herzens-Bildung. Dynamische Fassung —
dienende Tädagogik. Mißverhältnis zwischen seiner tiefen Intuitiün und
dem Mangel an systematischer Kraft der Aoeffibniag. Verhftltiiis zu
Rousseau einer^ und BertMurt andrwseits.
3. Herbart Der giofie plülosophische Pädagog. Prinzipielle wisBen-
sohftftliche Inangriffnahme des Gebietes der Pädagogik und damit die-
prinzipielle Entwicklung eines vom pädagogischen Gesichtspunkt gegebenen
psychologischen Durchblicks durch die Wirklichkeit und das Leb<?n, einer
eignen pädagogischen Gedankenwelt. In dieser pädagogischen Wendung,,
welche hier die Philosophie (speziell die Psychologie) nimmt, liegen einer-
seits die SohwAofaeii seiner Philosophie vom Stwidpuiürt der TendeDs
auf eine abaddietoide Ansicht der Dinge (I^iilosophie ss pldagogische-
Wissenschaft!), andrerseits die Gröfle seuier Fftdagogik vom Standpunkt
ihrer weltgeschichtlichen Entwicklung zur "wissenschaftlichen Selbständig-
keit Darstellung seiner Metaphysik und Psychologie, soweit sie in dieser
Hinsicht in Betracht kommen. Problem der organischen oder mechanistisch-
inteilektualistischen Auffassung. Worin besteht hiernach Freiheit? Begriff
der »BUdsamkiitc. Veifatttnis sor Elthik, Weg md Ziel der Elndehnng«
Dreiteilang der pidagogischen Aufgaben. »Erziehender Unteirichtc HOg>
liehst ausführliche Analysis nod kritische Würdigung seiner Theorie des-
>ünterrichts«.
4. Fröbel. Lebensanschauuug und pädagogische Bedeutung (»Menschen-
erziehung«): Pädagogik des Spiels im histori.schen Zusammenhangs
und sachlichen Wert Kindeigarten, Mutter- und Koselieder. Kritik.
SchluA. Ergebnisse und Emuigeosohaften im Kampf mit den Hem-
mungen der Zeit (Diesterweg und Stephani). Yertiefong und methodisobe-
Weiterentwiddung der wissenschaftlichen Pidagogik bis lur O^n-
wart (besonders Ziller und Reiti). Konflikte in der heutigen geistigen
Lage und entsprechende entgegengesetzte pädagogische iüchtungen der
Gegenwart.
Literatur
Zuerst kommt es auf die an den betreffenden Stellen zu iienneuden Werke
(sowohl diejenigen theoretischen IniuJts aiä auch die Schulbücher, Fibeln usw.) der
großen FUÄgogen aelbsi an (vor aUem von Bafl», Oomenhu, Bouasean, FMtdoni,
Heriiait, fittbel). ünaar hiatorisoher DordhUidt baaierC vie auf der Kenntnis der
Oonnhinhtn der Pidagogik auch auf der der allgemeinen geistigen und sozialen Be-
wegungen, wie sie die Philosophie und Kulturgeschichte erforscht. In letzterer
Hinsicht — es fehlt an größeren, guten (lesanitdarstellungen — seien nur beispiels-
weise genannt: Jakob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Itahen, und ia
pluloao|ilii8oher HJnaioht das güniende und tiefe Werk von Bnoiken, Die Lebens-
aasohauangen der groBen Denker (bis zur Gegenwart). 5. Aufl. 1904.
Auch in der Geschichte der Pädagogik sehe ich YOn der sahlreiohMlf SUn
Teil sehr guten Speziall iteratur ab und nenne nur:
K. V. Raumes, Geschichte der Pädagogik vom Wideraufbliiheu klassischer Studien
bis auf unsre Zeit. 4 Bde. 5. Aufl. 1877. (Wenn auch teilweise etwas ver-
altet, so doch für die groAen Persönlichkeiten [RousBean, Pestalosii] gut)
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41G
IfittttluDgeu
Karl Schmidt, Oesohichte der Pädagogik iu weltgeschiohilioher EotwuMmig und im
oigiDiMhen ZoBammeidiaiige mit dem Eultulebeii der YfSkat. 4. Aufl. ediert
von Lange. Bd. III und IV. 1890 Ä
S.. A. BtiiHii), Geschichte der Erziehung vom Anfang bis auf unsere Zeit. 1884 ff.
Bd. U, 2— V, 3. (Sehr eiogebend uad besonders für die Üiganisatioa des
Schulwesens gut.)
Th. ZnsuB, Lehibooh der [nenexen] FUagogit Mit beeonderer BfleiMioht auf du
hfihAi» üntericii(Mroa<m. Iii Bmmeistaxs Himdlmdh deor ErwithwiigiWire.
2. Aufl. 1903.
H. Schiller, Lehrbuch der Qeschichte der Pädagogik. (Für Gomeoius and Fhilan*
thropin gut, neuere Zeit zu kurz.) 3. Aufl. 1Ö94.
Fb. Paulsen, Geschichte des gelehrtea Unterrichts auf den deutschen Schulen und
ünivenitftten vom Anagang dee Ifittdatteis bis zur O^genwatt Mit beeonderar
Bäcksicht auf den idasaisohen üntraxioht 3 Bde. 2. Aufl. 1896. (Aoqgneioh-
netes Werk.)
Ders., Die deutschen Universitäten und das Universitätastudiom. 1902, (Popolir
geechriebea.)
fimr, Bncyklopädisohea Handbuoh der Pädagogik. 2. Aufl. 1902. (Kat-
h< öber eine Reihe von PecBönHohkeiten gute Abhandlungen und ausffihifiohe
litefatamngabe.) Lngenaalaa. Hwmatm Bayer Söhiw (Beyer k Miim).
2. Pidftgogik ond DidakUk
Prof. Ut. D. Dr W. Rein
lüiileltende Betrachtungen
1. Die Bedeutung der Erziehung imd dos UaterrichtB für die Kultur-
Arbeit des Volkes.
2. Aüflian der Sohnl^OigaiÜBatioii.
3. Die DidaktUE ein Teil der Fidagogik. Ihre SteUmig im Qyateai;
ihr YerhSltniB siir Hodegetik.
I Teil
Grundlinien sor Ijohre vom Ziel der EndahiUip
1. Welches Erziehungsziel soll maßgel)en(l sein?
a) Die Geschichte der Erziehung zeigt .sieiien Hauptziele auf.
b) Die Analyse des Eiziehuugäbegriffs gibt keine bestiuiiute Antwort,
o) Das Enidraogsael wird von der Btfaik bestimmt
d) Weldie Ethik soll fOr den Brneher maBgebend sein?
2. Formulierung des Erziehongs-Zielee: BUdmig dee sitütohai Chir
rakters auf religiöser Onuadlage.
H. Tdl
Orrmdlinien mar Lehre vom TTnteniflbfc
1. Vom Unterrichtsziel
1. Das Unterrichtsziel muß abgeleitet werden aus dem Erziehungsziel.
2. Was kann der Unterricht zur Erreichung dieses Zieles beitrugen?
Problem: Die Erziehung zielt auf die Bildung des sittlichen WillenSi
der ÜDtenicht auf Überlieferung dee Wisaens.
kaim der Unterricht dnroh ÜberUefaning des Wiaeens
znr'Kultivierong fißß Willens beitragen?
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1. FerieDkurse in Jeiu August 1906
417
3. Psychologischer Exkurs: Unter welchen Bedingungen geBtaltet sidl
das Wissen zum Wollen? Der Begriff des Interesses.
4. Formulierung des Unterrichts-Zieles: Bildung eines immittelbareo,
Tielseitigen Latorcooco.
2. Lehre von den Mitteln des «ziehenden Unterrichts
(Die Theorie des TohrplMB und die Theorie des Lehrreifabrans)
XSnlätoDg: Begriff der Methode. IfsÜiode und FMnUohkeit Go-
Bchichtlidher ROekblick.
A. Di« Theorie dee LehrpUns
£ Fbf» Ar ÄMtmM der Xhiimfwkl%iUfffk
1. Die Nonnalitit dee Lehiplans.
2. Die gruppenweise Anordnung der Lehifleher.
3. Die Auswahl der Bildungselcraente.
a) nach dem Formal -Prinzip (Entwicklungs- Stufen des Kindflili
Psychologie des Kindes: Organisch-genetischer Aufbau).
b) nach dem Material-Prinzip (Historisch-genetischer Aufbau, Kui-
tmgeeohiohte).
4. Beispiel eines Lehrplans fdr eine aehtUasBige Thilringiaohe Y<d]w>
söhnle. (Entwurf fOr die ubungB8(^ttle des FSdag. ünivezsitttB-Seminais
SU Jena.)
5. Steilnng zu der Auswahl nach »koiueiitrischen Kreiaen«.
XL r<M» «tor Verhimiung dn- UMrfäeiur
(Koniceutratiou)
1. Geschichtliche Darstelliuig der Konzentrations- Versuche.
2. Die Fortbildung der Ziüerschen Konzentrations-Idee mit Beziehung
auf den vorliegenden Lehrplan -Ekitwurf . (Konzentrations-Tabellen.)
3. IMerungen and Hindemisse bei der Durehfllhning,
B. Die Theorie des Lelirverf ahrens
1. Die psychologisohen Grundlagen: Appeneption und Abetaiktion.
2. Der Begriff der metbodisdien Binheit
3. Die Ziel-Angabe.
4. Besprechung der einzelnen Ünterrichts-Stufen : VorbereitUDg, Dar-
bietung, Verknüpfung, Zusammenfassung, Anwendung.
5. Hinweis auf einzelne Beispiele (Fr¶tions-Entwürfe).
6. Schlui^beti'achtung.
Utsratar
Zur EOiflc:
Kahlowbkt, AJBig. VMk. 8. Anfl. Leipiig, 1903. Ö IL
Hütt, Glück. 3 Bdo. a 3 M. Fraaenfold-Leipzig 1899.
Bebt, GznndriA der EthiL 2. Aull Osterwieok 1905.
Zw P^ydioiogie:
Lanok, Apperzeption. 7. Aufl. Leipzig 1902. 3 M.
DöHi'FKLD, Denken und Gedächtnis. 5. Aufl. Gütersloh. 3 M.
Diioiii.scii, Empir. Psychol. 2. Aufl. Leipzig 1898. 6 M.
ZuBSN, FhysioL Psychologie. 6. Aufl. Jona 1902. 5 M.
SriMMil Hv FhOoMfU* nA FUitgogik. 12. Mogaar. 27
Digitized
418
IfitteOungeo
Pretkk, Die Seele des Kindes. 5. Aufl. Leipzig 1900. 8 M._
CoMPATBi-ÜFEB, Die EatwickluBg der Kiudesseele. Alteaboiig 1900. 8 M.
YouDtum, HaDdbaoh der Psychologie. 2 Bde. OStlien*
Zur Pädagogik und Didaktik:
Ziller, Allf^emeino Püdiigogik. 3. Aufl. Leipzig 1892. 6 M.
Dero., Grundleg\mg zur Lehre vom erz. Unterricht 2. AoiL Leipzig 1874. 8 M.
WnuuNN, Didaktik als Bfldimgslelute. 3. AjüL Bmusohwe^ 1903. 2 Bde. 14 IL
DoBFRLD, Oes. Sohriftan. Gflteidoii, BwManami.
"WiGCT, Die Fonnaistufen. 7. Aufl. Chur 1901. 2 M.
Bein, VicKzt, Schkllf.r, Tlieorie and Fnxis des VoUcseohulanteinolits. 1. Band.
7. Aufl. Leipzig 1903. 4 M.
Bjos, Enoyklopäd. Handb. der Pädag. 2. Aufl. 8 Bände. Langanaalza, Hermaan
Beyer 9t Söhne (Beyer k Kann). 1901 ff. 120 X.
Rew, Pädagogik. 1. Bd. Ebenda. 1901. 10 M.
Flügel-Rein, Zeitschr. für Philos. u. Päd. Ebenda. 6 M.
Lay, Experimentelle Didaktik. Wiesbaden 1903.
LiY-M£UiiAN.N, Die experimentelle Pädagogik. Wiesbaden 1905.
t. SpMielto BMakttk
Vorlesungen, Probelektionen, Oebatte
Seminar-(3berlehrer Lehmensick- Fraukenberg i. Sa. und Landmann-Jena
1. Das Problem der Aneignung des Lehrstoffes: Er soll ein Teil der
FersöDlichkeit des Schülers werden. Geschichtiicke Stoffe. Politische
und Knltnrgesobidite. WlxtscbaflQgeaoliiohid in der YoUnBohDleu J3m
FtoUem der Aneignung von YeiUnogenem und VeigaDgenem. Gewinnung
des Neuen durch Entwicklung des konkreten StoiEM aas dem Gedanken-
kreise des ZGglings. Wesen und Zweck des entwickelnd - darstellenden
Unterrichtsverfahrens. B«Mlin^ingen und FöideruDgen. Schwierigkeiten
und Gefahren. Geltungsgebiet und Vorteile.
2. Die Dichtung als Bild des Lebens. Ihre realen Werte. Wirk-
liche nnd gedachte Welt Die Dichtung als Spiegel dos Berxens. Duo
idealen Werte. Die Literatnrknnde. Das Problem des Lehrplans. Auf-
gabe. Auswahl Das Problem des Lehrveifthiene. Ausnutzung der an-
schaulichen Knft des Dichtwerkes. Weckung seines individuellen Lebens.
Anknüpfung an innerlich und äußerlich Erlebtes. Wege zur Verraittlnng
des Inhaltes. Maß der Beachtung der innorn und äußern Formen der
Dichtung. Das Dichtwerk als Bild des Dichterlebens und als Spiegel des
Dichterherzens. Dichterschicksal und Dichterpersönlichkeit als Spiegel des
ZeifgeiBtes.
3. IHe swei Hanirigedankengruppen: Menschenleben nnd Natorleben.
Die Hauptformen des Unterrichts. SiunenfälUge Unterrichtsstoffe. Heimat-
ausflüge als Unterrichtsgrundlage. Die Anschaimngsstnfe. Eigentümliche
Schwierigkeit der ErrcguDg von Interesse und der Erzeugung fnichtbarer
Erkenntnisse bei Behandlung konkreter Objekte. Welche Veranstaltungen
sind zu treffen, damit die das Neue verdeutlichenden Yorstellungen mit
einem Schlage ine BewaAtsein dee ZOgUngs kommen? Die Ziehngri».
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1. Ferienlniree in Jena August 1905
419
Der "wnagmAib Untemoht Seine beiden HatqDtloiteDngen: Denken nnd
AnechaueD.
4. Anschauun^n ohne Begriffe sind blind. Denkende Naturbetrachtung.
Die Vertiefung des Anschauuugsbegriffes durch die neuere Psychologie.
Vorbereitungen der Begriffsbildung in den unteren drei Schuljahren.
GeneÜBche Stufenfolge in den Begriffen des Zöglings: Typen, Individual-
begnifo nnd YerdiohtongsBfttee, allgeineine Qeeetie. Notwendigkeit eineB
TiBihrptanit der Begriffe. Der Weg, «nf dem Begriffe gebildet irercIeD:
Entwickeln des Abstrakten. Bei^iele^ Vergleich, Verknüpfung, Heraus-
stellung des Allgemeinen. Wie wild die begriff! inhe Arbeit eingeleitet?
Das Abstraktionsziel.
5. Warum ist mit der Einprägung des anschaulichen Stoffes und der
begrifflichen Ergebnisse die Unterrichtsarbeit noch nicht abgeschlossen?
Die zwei Haaptziele: Wieeea nnd Können, Umwandlung des Wiesens in
Können. Hacqpt-Formen der Anwendnqg: DnrahUnifen, Übertragen, pbanta-
sierendes Handeln, Darstellen, Selbstfinden und Produzieren. Die drei
Hoaptstufen des Unterrichts: Anschauung, Begriff sbildung, Anwendung.
6. Das "Wesen der Kunst. Psychologische Grundlage des Kunst-
genusses. Kunst und Volk. Kunst und Jugend. Künstlerische Erziehung.
Kunst und Schule. Die Kunst der Didaktik und die Didaktik der Kuust
BQdeofamnok nnd Bildbetmobtang. Natmgennfi nnd KnnstgennA. Eflnat-
lerieobee BmpfindeD nnd Eonslfertig^t Ennstontenioht nnd UntamcbtB-
stofen. Der beste Dienst der Ennst.
Übersicht
Deonentsg
fieitag
Sonnabend
Montag
Mittwooh
10^-11
Vor.
leeong:
Bnt-
wickelnd-
darstellen-
der Ünter-
rioht
Debatte
Probe-
lektion:
Dar-
bietender
Unttfriöht
Gedicht-
behand-
luüg
Vor-
lesung:
Theorie
dorllaupt-
formen des
Unter-
richts und
Lehre
von der
Bildung
der
Begriffe
Debatte
Probe-
lektion:
Anwen-
dongsstofe
(Bild-Be-
traohtimg)
11—12
Probe-
lektion:
Anschau-
UDgsstufe
(Ge-
Boaiohte)
Vor-
leeoog:
Problem
der
Literator-
konde
Debatte
Probe-
lektion :
An-
sohaonngs-
und
Begriffs-
biUnogB-
stofe
(Natur-
konde)
Vor-
lesong:
Tlieorie
der An-
wendung
und
Problem
der Kunst-
erriehong
Debatte
27*
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420
liittaUiu^Mi
Binse lad Unten iohtsgebiete
1. Religion:
TVymftw m Mtj— ^ PiiptntBonen nm RBÜginnBimterriohi L Unterstufe: Jesus»
geechichten und Leben dnr Erzväter. 1,20 M. II. Mittelstufe: Moses bis Elias
und Prophetismus. 2,10 M. III. Oberstufe: Leben Jesu. 2^ M* Apostel-
geschichte. 2,50 M. Dresden, Bleyl & Kämmerer.
Bevkaut u. ükyv. Piäparationen für den ey. Eeligionsontemoht Untexstale III:
JeBiii«esoliioliian u. BTsyMeigesehiehten. 2 M. lOttelstide DT: UigescIiiclitM,
Moses, Josua. 3,20 M. V: Richter- u. Königsgeschichten. 3,60 M. VI: Leben
Jesn. 4 M. Oberstufe YU: Gesch. Israels. 5 iL YIU: Oesofa. Jeso. 4 IL
IX: Apostelgeschichte. Leipzig, Wunderlich.
DrämcLO, Enohiridion der bibl. Oesohichte. Zosammeniassende Fragen. Gütersloh,
BsrtBlsmsiiB. 4011.
IQsK, ])er fambete ffinteigcnd SB 100 KsiB^siai^ DiisiMi, BIsaa* Ki— wwg.
2 K.
JrsT, Abschließender K^echismus-Uni Altenbnrg, Pierer. 1: 0,90 M. II: 1,35 M.
MiLTZEB, Verzeichnis empfehlenswerter Bücher zum ev. Religionsunterrioht 1. Heft
der Sohriften der Päd. Gesellächaft Dresden, Bleyl & Kämmeier. 0,70 M.
2. Gesokiolite:
Jmmma, DtolMlie OesohioUa. FÜptntioDan nad Mirflcfe. 2 Bde. Altabbm;
FieMT.
Wboam) u. Tecelenbobs, DentBohe Oesohiohte ffic Sohnie uid Asna. Hsono««^
Prior. 1,20 M.
liBTTAO, Bilder aus dor deutschen Yürgaugenheit. Iieipzig, fiirzeL
Dbtkb, Deotoohe Eottuigesoliiahte. Lsogensslss, Giesder.
B3bB, Wirtsdhsltqgeschichte und Wirtschaftalehze. Gotha, Thieneosan.
Jukob, Quellen md Hilfamittel snr duteehen Oesoliiolite. Beriin, Yahlsn.
3. Singen:
SzDEHLKB, Das Lied als GefälüsaaedmcL Altenbiu|^ Fieier.
4. Zeichnen:
InoBRiB, Ober kttasUsnisoha Bnwilinng. Langensalza, Hermann Beyer k Söhne
(Beyer 4 Msan).
Kunsterziehung. Ergebnisse und Anregungen des ecstsn KlwntBfiiflhBngllt^plll '
Bildende Kunst. Leipzig, Voigtländer. 1 M.
Götze, Zur Reform des Zeichen-Unterrichts. Hamburg, Boysen & Maasoh.
SoEWARTz, Neue Bahnen für den Kunst-Unterricht Ebenda. 1,20 M.
5. Deutsch:
EaauBumi, Ym. Msohsn SpnduUnilatiiefat Lsipsig» EKnUitidi % IL
LOmi, Bettrilee siir Iheozie n. PtniB des Spuok-UnteRkdiiB. Leonis, Vonderiieh.
Ders., Der stilistische Anschauungs-Unt Ebenda. I: 1,60 M. II: 2,40 M.
SoBiLLEs, Der Aufssts in der Knttetagpitohe. Berlin, Beather k Bekshanlt I: 1,50 IL
ü: 1,80 M.
ScHMncDEit, Der Anfsats auf psychologischer Grundlage. Leipzig, lenbner. 1 M.
LiT, mUiTCi dnreli te BeehisQlireilranteRiclii 'WissbsdSB, Neniiidh. 4 IL
FoLxz, Anleitung soi Behsndtmig dentooher Gediofats. 6 Pfr'Affhr Bnsdfls,
Bleyl & Kämmerer.
Aimats, Dichter und Sohuimeister. Leipsig, Yoigtltader. 0^ M.
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1. lerieakune in Jena Aogost 1906 421
Konsterziehnng. Ei^bnisse und Anregangen des zweiten KnnataxiiehiuigBtilgeB:
Deutsche Sprache und Dichtung. Ebenda. 1 H.
Marbu», Verzeichnis empfehlenswerter Bücher zum dentsohen Unterricht. 2. Heft
<l«r SdhiifliM HU. eweÜBoiiBft Dmdw, Bleyl k KlmiBeror. 1 IL
6. Geographie:
ItezscHE, Handbuch für den erdkondüfllieo üntaiidbt LmgeiiMlni Hemaini
Beyer & Söhne (Beyer & Mann).
fiiBMS, Vaterländische Erdkunde. Hannover.
IracBHiB, Lehrproben zur Landeskunde von Europa. Leipzig, Tenbner.
FMix,H6jiiMttiuidel,20]L SMiisea 1,40 M. DenlSGUapd 1.00 X. liiNpal.MIL
Himmels- ond IsaMmüM. Die anlemmplieoliflii IMIiile 2 U. Loipiig^
Wunderlich.
Kebp. MethodiHches Hapdbach einer begründend -Tergleichenden £nUronde. 4 Bde.
Trier, Lint.
IbeuiBUKiitf, PräparatioDeii fSat den geogr. Unterridii Sadieeii 1,60 M. Denlsdh-
lMidI2 1L ni3>]L liirapa2^1L AitorauoplMe BidMle 2.80 M.
Rlfeiitf Anweisong zum Unterricht in der Heimtllniiide. gegeben an den Beiapol
von TVkinhkim. Berlin, "Weidmann. 3 M.
Xippi.no, Das Sy.stem im geogr. Unterricht. Berlin, Genies & HödeL
WaLTUEa, Vorschale der Geologie. Jena, Fischer. 3 M.
7. Natmkiinde:
SoBOOt Lehrlmdh der Bolaiiik. Stellgert, Nigele. 4^ IL
Ders., Lehrbuch der Zoologie. Ebenda. 4,20 M.
GonuD, Präparationen für den PJtyeik-UntBRioht Dreedeii. Bleyl k Kttmmerer.
I: 3 M. II: 4 M.
SKTnai, Der gesamte Lehrstoff des naturkundL Unterr. Leipzig, Wunderlicli. 3 M.
'WiLBBB. Der Untoniolit in der NetafkiuidB. Leipzig, Halm. 3 Bindoheii.
SiüBKB. Biologie der Pflaiiieii. Leipil^ Vimderiieh.
Pabtheil n. Pbobst, Natozkonde. Leipzig, Oerdes & HödeL I: 1 M. II: 1.20 M.
Sktfert, Arbeitsktinde. Leipzig, "Wunderlich. 3,f>0 M.
LaY, Mothodik dos naturkundlichen Unterrichts. Karlsruhe, Nemnich. 2.60 IL
8. Geometrie:
Uaxbk und Scdiii», Baomlehie nach Fcurmengemeinsohaften. Deeeao.
Bnm-Wnx, Oeonetiie der TeUaBohiile. Dreeden, Blejl & XXmmeier. L Fonnen-
kunde 0,80 M. IL Formenlehre 1,80 M.
Zmao, Präparationen für Fomienkunde. Langensalza. Hermann Beyer k Söhne
(Beyer & Mann). 1; 1,4Ü M. H: 2 M.
9. Kechuon:
Inmi^ HethodiBolie Lehrgänge für den Beehennnteniohi
Ders^ Anleitong zur BQdong heimatlioher Bechenaofgaben.
HAHMamr. Rechen-Untemicht Hildbnrghausen.
EmuKo , Die natoigeniäfte Methode des Beohen-Unteniohts. Minden. OUenbonq;.
2 Teile 9 M.
DaxicK, Rechnen im ersten Schuljahre. Dresden, Huhle.
10. Turnen:
Iteiunne, Handbuch für Tnnlehrer. 2 Teile. Leipzig.
KoBLRAüscn, Bewegungsspiele. Leipzig, OSsohen. 0,80 H.
11. Praktische Beschäftigungen:
Bajoh u. NiXDKBLBr, Des deutschen Knaben Handwerksbuoh. Bielefeld.
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422
IDttefliwgBn
12. Sohnlgarten:
UnsBME, Der SohvJgazton im Difliute dm YoUnaohnla. DeaM» 1800.
B. Das Gesamtgobiet:
Bbx, Picekl, Schellkr, IIiMzie null Fnads des VoHwohnl -Unteirichta. 8 Sdiiil-
jähre. Leipzig, Bredt,
C. Zeitschriften:
Praxis der Erziehuiigsschole. Altenbaig.
Lahiproben vaaA Lehr^ge. Halle.
Sehvlpraxis. Leipzig.
Fädaf^ogischo Studien. Dresden.
Philosophie und Pädagogik. Langennalta, Hermaan Beyer & Söhne (Beyei & lUim).
Deutsche Blätter. £beuda.
D. Bnoyklop&die:
BandlHMli der FUagOKik. Ebeoda.
4. FMagtgiMhe MMtoig and Bebaidlojig der Hitbeagwebtobte
Ttol ht, Thfftndorf-AnezbaolL
L Offflad« und Volgen der BnrflokMtaiiqv
a) 0rflnde: 1. ÜberschAtzung des pftdagogisohea Wertes fertiger Be-
keuDtiüsse. 2. Falsche Vorstellung von SchulMrchengeschichte. 3. Uli-
geschichtliche Stellopg zur BibeL 4. VeckaniuiDg dea QeisteBlflhenB uuenr
Gebildeten.
b) Folgen: 1. Kein im eigenen Geistesleben wurzelnder religKiser
Gedankenkreis. 2. Keine Vorbereitung fOr den Kampf um die Welt-
aiiBohanpng und den Lebensinhalt 3. Kein Einleben in den geeohiohtliofa
gewoidenen leligiOaen der Gegenwart
n. Bedeutting
a) Für die Gebildeten im allgemeinen: 1. Beweis des Greistes
und der Kraft. 2. Fortsetzung der Offenbarung Gottes. 3. Scheidung das
Weeenfliohen vom Unweaentlicben. 4. Ehitfaltang des Weeens in der Be-
wiltigimg neuer Aufgaben. 6. Yecsnndnis der Gcgenirart 6. Bewahiung
TW orOiodoxem und radikalem Dogmatisniufl. 7. ESngliedening in den
Organismus des Geisteslebens der Gegenwart
b) Für die Lehrer an allen Schulen: 1. Rechte Begeisterung
für die eigene Untorrichtsarbeit. 2. Gerechte Würdigung der verschiedenen
Richtungen. 3. Bc\N'ahrung vor Überächützung der Systeme. 4. ErmOg-
lichung rechter Konzentration.
m. Aui^be
1. Vorhält nis zum allgemeinen Ziele der Erziehung und zum Haupt-
ziele des Religionsunterrichtes. 2. Besondere Aufgabe des Religionsunter-
richtes in den Obcrklassen höherer Schulen, den Fortbildungsschulen und
sonstigen kirchlichen Veranstaltungen zur religiösen WeitaveniehuDg der
Jugend. 3. Nicht erschöpfendes, encyklopAdisdies Wissen über InBere Er-
eignisse und zufiOUge Einzelheiten, sondern EinfQhrung in den inneren
Werdegang und damit Weokung des Interssses fOr das Gettaeioli in
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1. Ferieukurse iu Jena August 1905
423
seiner geschichtlichen Entwicklung und gegenwärtigen BetAtigung. Nicht
ÜbersätüguDg, Boodero Aoi^gimg zum WeiterstrebeD.
rv. Behandlung
a) Kritik des frowohnlichen Verfahrens: Leitfaden, Diktat,
Vortrag, Urteile Btatt Eiufühning iu das Verständnis der Tatsachen.
b) Psychologisches Verfahren: Anleitung zum Versenken in den
Geist der Vorzeit an der Hand einer guten Auswahl charakteristischer
QaeUeoflohnfleD. Weekung eigenen Lebens durah VorfOhnmg des fremden.
V. Stofifauswahl
a) Allgemeine Grundsätze: Typische Vertreter der Hauptwende-
punkte in größeren Abechnitten der Hauptschrifteo mit Ausscheidung alles
üpwoocntlicben. Nioht naoh theolegiBchen Oeeiobtsponkleo, sondeni mit
Bilcksidit auf die geistige (Jesamtentwicklang.
b) Anwendung: 1. Gymnaden und Seminaie. 2. Beatoohulen.
3. Volks- und Fortbildongssohulen.
TL Miffpln
Nidii konzentrische Kreise, sondern Fortschreiten nach Apperzeptions-
stnfen. Im allgemeinen historisch genetischer Gang, mit Profangeschichte
und Literaturkunde verbunden. Dogmengeschichtliches höchstens Kot der
letzten Stufe im AnschluB an philosophische Propädeutik.
Vn. Iiehrverfahren und Iiahrproben
a) Grundsätze: Weder Schablone, noch Willkür. Anleitung zur
Selbsttätigkeit. Herstellung der Verbindung mit dem persönlichen Werden.
Bedeutung des Systems.
b) Lehrproben: Katholische Kirche (Augustiu, Fi-auziskus), ßefor-
mation (Luther), Anfkllnmg (Lessing), Romantik (SöUeiermaioherX Neoseit
(Widiem, sosiide Gesetzgebung).
IteSinwBr, Allgemeine Methodik des BeligionBimteniohts. Uqgensslsa, Heimann
Beyer & Söhne (BLver &. Mann), 1&03.
Sohriftf n der PädagogisQhen Geseilaohaft 1. Heft: Zom BeUgionsanteRioht 2. AufL
Dre.sdün 1905.
BouBSKi, Das Weben der Ueligiou, Uaigcstullt au ihrer Geschichte. Halle 1903-
HuouflK, Dis Wesen des Ghristeatoms. I^ipzig, 45—50. Tanseod.
Hamb vok SQHinna, Die heutige Aufteong und Behandlung der KirohengeBobiohte.
Tübingen 1902.
"WETMiX, Jesus im 19. Jahrhundert. Tiihin^'on 1903.
Hans \os Schubert, Grundzügo der Kircboiigoschichte. Tübingen 1902.
Fb. Naümamn, Briefe über BeUgion. Berliu-Schöneberg 1903.
Jahilmdher des Yetefais für wissensohafüiche Fldsgogik. Bd. 20-30, 34 und 36.
Dresden 1888-98, 1902 u. 1904.
MlLTZF.R, Die Hehandlung dos Pieti'^mus, Methodismus und Quäkertums in höheren
Schulen. Zeitschrift für den ev. Religionsunterricht. Bd. 15. S. 227 ff.
THBÄNDOBf, Die soziale Frage in Prima. Dresden, Bieyl 4 Kämmerer, 1905.
Baas und JOms^ Xiiehengeschichlliches Leeebnoh. SobtUezansgabe. Tübingen 1904.
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424 Mitteflimgm
LUF und HiTN, Lesebuoh £ar lurchengeschichte. 1. Bd.: Bis 2ur HefonnAOon.
Leipzig 1904.
ÜBBiMiNnr IL Mmam, TRwhaiigBBflhiohtlichflB LeMbaoh. HL Ibil: Ncaiaii Dmte
1003.
Ik Mb ni ft^Uwe 4m BflligiiMnteiitaUi Im ftflaiilik
IS Yortrige mit DidtiiaiioiMn von D. Bnuncb
1. Altes Testameot. a) Allgemeine Schwierigkeitea und Fofdetaiigen.
b) Spezielle Stoffe: 1. Moa. 1 — 4, Psalmen, Propheten.
2. Neues Testament, a) Behandiunp: des Lebens Jesu. Schwierig-
keiten. Aufgabe. Lösungsversuche, b) Behandlung der apoetoliscben Zeit
Briefe und Apostelgeschichte.
8. KatoohkorasiwobleDie. a) Ika SohtüpenBiiBi (im YeriiUbiis
EonfiiiDMidmiiiiteEnoht). b) Bdhandlanc^ eiueliier KateoliiBaMMtolfeb
4. Udbode und Lehrplan.
LüeratBT
Sdiziften der Pldi^ QeseUsohaft 1. Heft. 2. Aufl. Dreeden 1005.
t. Ukn ff ■ im WUmg 4m rfMHckw
IMr. Prof. Dr. K. JiMt>Attaiibaig
1. Dm Zid der Erddiiing
Die verschiedenen Ziele der Erziehung, die das Leben stellt. Welches
Verhältnis unter ihnen ist herzustellen? Der sittliche Charakter als hfichfll«
Ziel der Erziehung. Ist seine Bildung möglich?
YezgL ILküXf (jhrondlegimg zur Metaphysik der Sitten. Fkim, Ihe fizsehoog
doB Willens.
2. Dm Wesen des sittUdien Chankien
Worin besteht der sittliche Charakter?
a) Das Bestimmbare: Der Wille und die Vorstellung»- und Gemüta-
zustäude, aus denen er hcrvorwlkli.st. Wie muß er beschaffen sein?
b) Das Bestimmende. Was soll es sein? Die praktischen Ideen für
die Eiczelpersou und die QeselUchaft.
Znsanmienfiusung der aitlJiofaen Chaiakterttige io einer IdealpeitiBQ-
lichkeit Kglnsong der SitÜichkeit durch die Bdigioo.
Yeim^. Hmr^bt, AUgememe praklisdlie Hiiloaophie. HjJUUHiaut^ Die Orand-
begxiffe der ethischen Wissenschaften. Zihxr, iiigemeine philoeophische EdiiL
FAmanr, System der Ethik. Iats, Die ethisohen Orondingon. Hbbkaiik. EttiL
3. Die Stafen der sittHchen Chanhtedifldnng
a) hinsichtlich der Bildung dM WUlena, \ obiektiven Charaktere,
b) hinsichtlich des Sittlichen im Chnmkter, j
c) hinsichtlich des subjektiven Cluirakters.
Veigl. ÜEitBAiiT. Allgemeine Padaijo'^ik. IIkrbart, Umriß iiädagopischer Ver-
lesungen. Waitz, Ailgemeiue Pädagogik, herausgegeben von W'ujjia>.n. Ziu^iu,
AUgemeine FUsgogik. Itttan., Das Idi nnd die sitHiohen Ideen.
4. Mittelbare und unmittelbare Charakterbildung. E)as Schulleben im allgemeinen
Anteil des Unterrichts an der Charakterbildung. Vollendung durch
die Zuoht Oeetattnng einM reehten SehnllebeDB.
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1. Feiienituxse in Jena August 1905
425
Vergl. ZiLi.F.R, Gnuidlaf^en zimi erziehenden ünterricht. Ders., Die Begienuig
der Kinder. I-aiigcusaka, Hermann Beyer & Süline (Boyer k Mann).
5. Besondere Formen des Schullebens als Veranstaltungen der Charakterbildung
T. Gruppe. Formen des Schullebens, welche als Ei'gäazuug des
Unterrichts die Arbeit als Prinzip haben:
I. Sobnhranderungen und Schulreisen. 2. Tierpflege nnd TierschiitL
3. Sdholgarteo. 4. Sdralwerkstatt SohuUaboratariiim.
II. Gruppe. Formen des Schullebens, welche als Yeranstaltungeii
der Zucht die Erhohing und Erhebung als Prinzip in sich tragen:
1. Das Spiel. 2. SchulaudAchten. 3. Nationale Sohulfeste. 4. Schui-
feete individueller Art.
Vergl. Beybr, Die Naturwissenschaften in der Erzifhuugsschule. Leipzig.
Rur, EncyUopädie der Pädagogik. 2. Aufl. Langenbaka, Hermann Beyer k Söhne
(Beyer k Maim).
7. Sag MaaDkelaer SehiisytteB
Stadtsehulnt Dr. A. SkfciwgtivMMinhifai
3 Yoxtiiee Tom ia->12. Augnit; Jikkmkia: Sonnabend, den 12. Alraft
L Yorgesohiohte der Mannheimer YolkBSchiilreform.
Die ifiohtigsteo Daten der iuoeien und Sufieren Entwicklung der
Mamiheimer Yolksschule in der zweiten Hälfte des vorigeD Jahrhundc f .
Abgangsstatistik der Mannheimer Volksschule in den Jahren 1877 — 1897.
Die bisherige Organisation im Lichte der amtlichen Inspektionsberiehte.
Vergleiche mit den Verhältnissen anderer größerer Volksschulen (Exkurs
über Wesen und Bedeutung der üblichen Volksschulsysteme). Keform-
TonchUge des SdniUeiters vom Jahre 1890.
n. Die Mannheimer Yolkseohnlreform in den Jahren 1899
bis 1905.
1. Behandlung der Reformvorschlage des Schulleiters seitens der
lokalen Schulbehurdo. Schulreise nach Basel und Zürich. Gutachten über
den Wert und Fortbestand der Bürgerschule im Rahmen der Gesaintvnlks-
schule. Ein pädagogisches Gutachten Herbarts und der Mannheimer Schul-
erganisstionsplao. läeillungnahme der Mannheimer BeviOlkenmg, der Lehrer-
Bcbaft, der Geeeltechaft der Irste, der etaatliohen ObersditdbehOide snr
angeregten Frage.
2. Modifizierte Eeformvorschläge des Schulleiters betreffend: a) Die
ünterrichtsverhältnisse der Gesamtschule, b) Sondereinrichtungen: Ililfs-
klasseu, Fürderklassen (Wiederholungsklassen, Abscbluttklassen), französische
Klassen, Sprachheilkurse.
3. Durchführung der beechlossenea Beformen in den Jahien 1901
hiB 1905.
4. Die Mannheimer Schuloiganisation auf dem 1. Internationalen Kon-
greß für Schulhygiene in Nürnberg Ostern 1904. Erörterungen in der
II. Kammer der badischen Kindstniide im April 1904. Aufnahme der
durch die Mannheimer Volksschulreform angeregten Idee der Organisation
großer Volksschulkorper nach der individuellen Leistungsfähigkeit der
Kinder bei auswärtigen Behörden, LehrenereiniguDgen und in der Freese.
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426
Ibttoiliio^Ett
IIL Die wichtigsten gegen das Grundprinzip des Mano-
heimer Solmlsystems erhobenen Einwendungen und Bedenken
nnd deren kritische Würdigung.
1. Die Oruppiening der Schüler nach der individuelien Leistnnge-
fShigkeit ist zu einseitig auf dem IntellektualisiDus aufgebaut
2. Sie ist mangels exakter Maßstäbe nicht durchführbar.
3. Sie heftet den betroffenen Schülern und Lehrern einen Makel an
und führt zu Mißhelligkeiten zwischen Elternhaus und Schule.
4. Sie beseitigt die wertivoUen Wechselbeziehungen zwischen Beeser-
begabten und IGnderbegabten.
5. Die vom BsUast befreiten Ncnnalkkssen wecden in in nadm
Tempo fortschreiten.
6. Die neue Klassenor^nisation ist wegen der verschieden gesrt^en
lokalen und gesetzlichen Schulvcrhältnisse nicht überall durchführbar.
7. Sie verursacht zu hohe Kosten.
8. Die Vorteile des FSrderklassensystems lassen sich besser und
aioherer eneicfaen dnrdh mflglicfaste Besdhiftnkung des üntenicfatastolfeB,
Dorcdifmining der Elassen nnd Herabsetzung der Klasaenfrequens.
9. Durch die vorgeschlagene Differenzierung des Unterriclitsbetriflbs
wird dem Prinzip der allgemeinen Volksschule entgegengearbeitet.
Zusammenfassende "Würdigung der nicht bloß durch
vertikale, sondern auch durch horizontale Gliederung größerer
Volksschulkörper bewirkten Individualisierung des Massen-
unterriohts
1. vom pSdagogisdi-scfanlteehnischen Standpunkte!
2. vom hygienischen Standpunkte,
3. vom sozialen Standpunkte,
4. vom volkswirtschaftlichen Standpunkte,
5. vom politisch-nationalen Staudpunkte.
Litsrattir
Dr. A. SicDNOXR, Organisation großer VoU£S8chulköri)er nach der nalftiSolm
Leistungsfähigkeit der Kinder. Mannheim, J. liensheimer, 1904.
Ders., Der Ilntenichtsbetrieb in großen Yolkssoholkörpem sei nicht schematisch-
einheitlich, sondern differensiert-dnheitlioh. Znsamnienfasseade Dar-
stellnng der Mannheimer YolksBohnlreform. Ebenda 1904.
Ders.^ Mehr Licht und Wärme den Sorgenkindern unserer VoikBeohnlel Bin Ver-
mächtnis Heinrich Pestalozzis. Zürich. 0. Füßli, lOOfi.
Dr. med. J. Mosks, Da.s Sonderklassensystom der Maunlioimcr VolLsschule. Ein
Beitrag zur Hygiene des Unterrichts. Mannheim, J. Bensheimer, 1901.
U. Lins, Wie die Usanheiner Sehnloiganisation auigcnommen vmde. JBa. FBhier
dnrdh die literatar der Uannheimer Oigsnisatiensfrigs. Bbends 1005.
Die wichtigsten Einzelaufsätze fiber Hia Uatmliaimai» Bnliiilftt|pti8^^
frage sind in nachfolgenden Fachzeitschriften eiaohiensn:
Badiscbe Schulzeitung. Bühl, Konkordia, 1899 ff.
Neue Badische Scbulzeitung. Hannheim, J. Bensheimer, 1899 ff-
AUf^meine BeatBohe Lehrexaeitnng. Leipzig, J. KlinkhsnU« 1800 ff.
Pidaeggiadhe Zeitimg. Bedin, B. Scheibe, 1809 ff.
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]. Feiienkarae in Jena August 1905
427
Deutsche Schulo. Leipzig, J. Kliukliardt, 1899 ff.
Zeilsciirift für Scholgesundlieitüpflege. Hamburg, L. Voß, 1897 ff.
Fidagogisch-peyohologisoiie Studien. Leipzig, E. Wondetliidi* 1903 ff.
8. Im PMagtgiei siIimi
ProfeSBOr Dr. Guex-LBUsanne
1. Les «'coles suisses avant la Keforraation. Ecoles latiues. Lea
ccoles aprOs la Keformation, La Reforme dans la Suisse allemande. Zwingli.
Les premieres ordoonanocs scolaires. La K^forme dans la Suisse frau9aiäe:
a Geoeve, a Lausauue, ä Neuchätel.
2. Les procanears de Bonaaemi: X P. de Cronsu, J. (}. Salier.
BonoooQii et r»Emile«. Les disoiiilee de Bonaseen od SoisBe, ä HaldeD-
stein et k MarschJioB. A. 0. ChavanneB et eon EsBai aar Pöduoatioii
intellectuelle.
3. Pestalozzi et sori infliieace 8ur le developpement de IN'KJole [»opulaire
suisse. Le Kre Girard et s ni Cours 6duoatif de laogue maternelle.
Fellenberg, a Berne, Iseiiu, u Bäle.
4. L'teole ndne aons la B6pnUiqiie helf^tique, l'Aete de MfidiatioQ
et la BeBtanimtiGiL P. A. Stapler. Progrte de Tteole smsBe an XIX^.
flidde. Le mouvement liberal L'6cole de 1830 k noe jeuiB. Le num*
TemeDt froebelien et les jardins d'ea&nts.
5. L'6cole suisse eontemporaine. Les trois ordres de l'enseignement.
Les Universites. L'enscignemeüt secondaire. classique et röaL Lea aub-
veuliouö fedurales ä r6cole piimaire. GoDclusion.
IlL Psychologie und pädagonische Pathologio
1. Pfeyehtlagle des Hades
Dr. Alfred SpitaacivLeipsig
I
A. EkriiHnde allHMiie OrMtami
1. Begriff and Aufgaben
a) Die Psychologie des Kindes als Wissenschaft von dessen geistiger
BatwickluDg. Handelt es sich nur um die Erforschung des kleinen Kindes?
b) Das Verhäitni.s der Psychologie des Kindes zu den analytischen
und synthetischen Autgaljen der allgemeinen Psychologie.
c) Der Anteil der Psychologie des Kindes am wissenschaftlichen Anf-
hm der Pädagogik.
2. Methode
a) Beobachtung und Experiment der PayoliegeDeee als wiaeensohaft-
liohe Forschung und als praktische Untersuchung.
b) Gibt es eine aeibatftadige pftdagogiache Forschung auf psycho-
genetischem Gebiete?
c) Verschiedenheit und gegenseitige Ergänzung der pädagogischen
und der medisinisoben Foreohungs- und üntenoohungsmethoden auf einem
^emeinBamen (binooiüaren) Aibeitefald.
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428
Mitteilungen
Lfteratnr
Spitzxer, Natur und Naturgemäßheit boi Eousslaü. Leipzig 1892.
TiKnuMAWK, Beobacht. über die EntwiokL der Seeleofähigkeiten bei Kindern. Ausg.
Um. lÜMibiuig 1897.
Fmaumo, SduiftBii, Gott Aiugabe. 7. Bd. 8. 90 ff.
BiRBAST, Berichte an Herrn ton Oman nnd Ümnß pädag. Vorlesungen. Herbacts
pädag. Schriften. Ausg. von WiujCAim. 1. Bd. 8. 11 2. Bd. & S68 £L
Fröbel, pädag. Schriften. Ausg. v. Seidel. 1 Bd. S. 27 f.
Dabwin, Lebeusgeschichte eines Kindee, in der Zeitschrift Mind 1877.
BmainniD, Kind und Welt Aiug. t. üfu. BUMinsohiralg 1807.
Pbetkr, Die Seele des Kindes. 5. Aufl. von Eabl L. SobShb. Leipng 1900.
Strümpell, Erziehnngsfragen. Leipzig 1869.
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denicen gegen Dabwikb Ansicht über denselben Gegenstand. Iieipzig 1878.
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Leipzig 1884.
Hall, Kinderforschung: Die Grundlage der exakten Pädagogik. Übersetzt von
SmiPFL. Interuationalo Bibliothek für Pädagogik und deren fiilfswiasensohaften.
Bd. IV. S. 150 ff. 1902.
AnsfGhitiohe YerseichniBse der kinderpsychologisohen Literfttur &
Beiks Encyklopädie, in üfbrs Xledemenn-Anegebe, in der Zeitaohxifk fax pld.
Psychologie u. Pathologie von Kemsies. 1. Jahrg. 3. Heft ff. Vei]^ iBner:
Ament, Fortschritte der Kinderseelenkunde 1S95 — 1903. Leipzig 1904.
Über die amerik. und englische Forschung vergL Tragt, Zeitschrift »Die
Snderfehlerc, herausgeg. von Tbüfkb, Ufer u. Koch. 2. Jahig. S. 33.
Sininn., Zsitaofar. 1 pSd. Feyoh. o. Feth. 1. Jahxg. a Heft.
Uao Donald, Ebenda. 2. Jidiig. 2. Heft
Rftn, »Aus dem päd. Univ.-Serainar zu .Jena«. VI. Heft. S. 138.
B&AHN, Fädag.-psychoL Studien. Beiblatt 2ar deutschen Scholpiaxis in Leipxi|(.
n
B. Dar Verluf der gelstr^eR Entwieklueg des Kindel uoh Art, ChriMligh mi
kausalen ZosaMMihaH der EalmMüaageersoheiniageB
1. Die Epoche des entstehenden psyehiseiien Mecfaanlmu
Erstes Kindheitsalter (bis zum 4. Lebensjahre)
a) Der angeborene psychophysiologische Reflexmechanismos als Aus-
gangspunkt der geistigen Entwicklung des Kindes.
b) Der auf gesunder Vegetation, Sensation und Motation beruhende
AQftmi einer Vorstallimgs-, Stimmungs- nnd StrebuDg8meoliaD& im Beraidh
«) der Bewegungen,
ß) der Sprache,
y) des Selbstbewußtseins des Kindes.
c) Die Geeetze, welche bei diesen Entwicklnngsvoig&ngen wirksam sind.
Literatur
Hart.hann, Psychische Alterstypoo, Ru.vs Encyklopädie. IL Aufl. 1. Bd. S. 50 iL
Strümpell, Psychol. Pädagogik. Anhang. Leipzig 1880.
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Päjstbr, Die Seele des Kindes. 5. Aufl. Leipzig 1900.
lüiDKXB, Aus dem Natoigarten der luiidüräprache. Leipzig 1898.
AiiBir, Die Bntir. m Spiwliai vdA Denkaa Iwim Kiiid«, Leipzig 18M.
in
2. Die Spoche der erwachenden BUdoiigstrlebe. Zweites Kindheitsalter
(5.-8. Lebensjahr)
a) Du auf Grundlage des aoflgebildeten Selbstbewofitsdna des Emdes
fiidi entwickelnde BUdnngsbedflifnis des Kindes im Berskihe seiner Triebe
und Interessen.
b) Differenzierung 5 fundamentaler BUdungstriebe.
o) Die Orondtataachen und die Grundgesetze ihrar Bildssmkait
Utiratn-
Fröbex, Pädag, Schriften. Au.sgabe von Seidbt-. Leipzig 1883.
HiRBART, Ailgem. Pädag. und Umriß pädag. Vorlesongea.
Stbümfxll, E^ehungsfrageu. Leipzig 1869.
T. Oousu, BByvbol. n. FUig. des ffindenpieh. Anqgibe t. Um. Altenbug 1000.
Sollt, Untersuchungen Über die Kindheit 2. AnfL Ldpsig 1904.
Isvonrani, KindenMwohnnngen. Leipsig 1905.
IV
3. Die Epoche der Namdstaa« der MldiBgtfaMa. Drittes Eindheits-
altev (9.— 12. Lebensjahr)
a) Die Oberginge vom mechanischen zum normierten Vorstellen und
Handeln des Kindes, bezogen auf die Zwecke der jSrziehung, Das Qe-
jfühlsbewußtsein als Entwicklungspotenz.
b) Die Differenzierung der Normierungsprozesse.
c) Die Grundtateachen und die Grundgesetze ihrer Biildaamkeit
LItaratw
aiBflni'UJ., Psych. Hdi^pigflL Leipzig 1880.
Ders., I^yofaoL als Lahrs ▼. d. Kbtw. d. Beeleiilebens im Manseheo. Leipsig 1884,
flcMMiDT, Anflisn und Entwicklimg des menschlichen Geisteslebens. Zugleich eine
DarsteUnng der Psychologie Strümpells nach ihrer historischen Stellung und
ihrem wissenschaftlichen und pädagogisohaii Werte. Langensalza, Hermana
Beyer k Söhne (Beyer & Mann), 1905.
Jahn, PsyohoL als Onmdlage der PUag. IV. Aufl. Leipzig 1904.
WusBt, OrondiiJI der Fayolud. V. Anfl. Leipsig 1903.
V
4 Die Epoche der beginnenden aonaiertea SelbstbesUmmang. Viertes
Eind&eitsalter (18.— 15. Lebensjahr)
a) Die Ausgestaltung des Weitt)ewu8t8eios und dessen Verknüpfong
mit dem Selbstbewußtsein des Kindes. Zuiadmung, MsximeiiWidung, ob«
jektive und subjektive Charakterbildung.
b) Die Znsammenwiikung der Normieningsproseaee in Form tteier
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430
Ifitteüaugea
c) Die harmonisch normierte freie Selbstbestimmung auf allen Ge-
bieten der Hildungstriebe. Ihr Einfluß auf die Bildsamkeit des Xindes.
Abschluß des KLadheitsalters, Überg:aDg zum Jugendaltei.
UteratHf
Veij^. die Angaiben tintor IV. Dtiu: HkRRiBx, Allgom. Pädag. und ümxü pädag.
VodeBongeii.
FlDoil, Du loh vod die aittliöhen Ideen.
Yl
C. Dto VirioMiiiiüiH iir Uiiinilmi
1. Klamifikutifm d« EindeniatiiraQ nacb den Ketkmüai der nonialeD
Bildsamkeit.
2. Doppelsinnigkeit dos pädagogischen Fehlerbegriffs. Ihre Bedeutung
für die Auf&88ung des P&dagt^giecti-Nonnaleii und des Pfidagogisch-Patho-
logischeu.
Utoratar
HbubSi Briefe Aber die Anwendung der FbydioL ani die FUi^. Angßh& von
WüMIANN. S. 277 ff.
Strümpell, Die Verschicdpnheit der Kindornaturon. Leipzig 1894.
HüTHKR, Psycho]. Erziehungslehre. Anhang: Charakterologie. Bedin 189&
KicH. Bäbwald, Theorie der B^abung. Leipzig 1896.
QaßMPmj, o. SpRsiin, Die FIdag. FMihoIogie. 3^ Aufl. Leipzig 1899.
Bassm, Die pideg, Bedentong der Lelm yw. den peyohopttbiadhen ICndenrarllg-
keiten. Leim 1894.
Ders., Die psychogenen Störungen der Sfhulkindor. Leipzig 1899.
Ders., Die pädagogische Pathologie im Somiaanmtorrichte. Gotha 1902.
D. GeeoWoirtlioher RMMIoli
a) auf die ältere philosophisch-pädagogiBdie,
b) auf die biologisch-medizinische,
c) auf die neuere exakt-pädagogische Kinderforschuog.
Das Verbfiltnis der drei Bichtangen.
unranr
Yei|^ die Angaben nnter A.
2. Ober die Irsackea, die ErseheiniDgei und die Weekselwirkiuig vea kirper-
Uahcr ud (»yebepAtklMker MiiderwerUgkeit Mm iiade
6 Vertiige mit DemonstrationeD Dr. FieMfJeui
LebenedgonHohaften und allgemeinfi FaUiologie d«8 ZeUorganiamas.
Ernahnmgsfehler imd Vergiftong. Btwliitia (Schldel, ZShne, Sbolioee,
Übeiemgbarkeitsnenrosen, Einnässen usw.). Skrophulose (adenoide Vega*
tltionen usw.). Chronische und akute Infektionskrankheiten (Tuberkulose,
S3rphi]is, Keuchhusten usw.). Endogene und exogene IntoxilLatioD (Base-
dowsche Krankheit, Alkohol).
Mam, VortBchzitte der Kindexaeeleiikiinde. Leipiig, igngaimmii
Die betr. Artikel in XbOheb n. üm, Zeitschrift 1 Einderfnaoliiing. Langaasda»
Hermann Beyer k Söhne (Beyer & Mann).
In EmsiuifN, Zeitschrift f. Schulgesondheitspilege. fiamboxs, YoB.
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1. Ferieolnine in Jena Angnat 1906
431
In Retx, Encyklopädisches Handbuch der Pädagogik.
Nkümaxn, Über die funktionellen Nervenkrankheiten des Eindesalteis. DentBoha
Klinik. Bd. YII. Berlin u. Wien, Urban & Schwarzenbeiig.
HoEU, ImbezUlitSt Bd. VL Ebenda.
ScooBR» AUg. DiagnoBlik der OeistaabiiiUietten. Ebenda.
Ckmbfy, Über Einderernälirung. Bd. VIL B?bendnf
Zappkkt, Rachitis. Bd. VII. Ebenda.
HocHsiNotR, Krämpfe bei Kindern. Ebenda.
Solimann, ijkrophulose u. Tuberkulose bei Kindern. Ebenda.
ZoPFBCt, Über einige, dem Kintomlter ejgenüunliohe Erkmkangen der Naae nnd
des Eachens. Bd. VIL Ebenda.
ftiMnmiiwe, Über Psychosen im Zittammenhaiig mit ak. n. ohion. Lifektionflkrtnk-
heiten. Bd. VT. ElM-nda.
Neisskr, Die Diagnose der Syphilis. Bd. VI. Etieuda.
FufKELSTELN, Hereditäre Syphilis. Bd. VII. Ebenda.
Iabbb, Die Teverbinq; der Syphilis. Bd. Z. Ebenda.
EoumBVBG, Die Basedowsche Krankheit Bd. VI. Ebenda.
Jhyaa, Über den Einflafi des Alkohols anf den Oiganismua des Kindes. Stattgart^
Enke.
KiuKPULLs, Über die Beeinflussung einfacher psjdh. Vorgänge darch einige Arznei-
mittel. Jena, 0. Fieoher.
Smhh, Alkoihol nnd geistige Arbeit Leipzig, Henken.
Hebt, Über den EinfhB des Alkohols auf das Nerven- xl Seelenleben. Wiesbaden»
Bergmann.
3. Des Riades Sprache aod Sprsehstörnngei
6 Vorträge von Dr. med. Hermann Outzmann, Fn vatdozent a. d. Universität
Berlin
1. Das Seelenleben des Neugeboreoen. EntwicUnng, Übung
der Sinne. SpiaoheDtwiekliiog: a) Sohiden, b) Lallen, c) Nachahmen,
d) spontanes Sprechen. Die Kindersprache.
2. Kurzer Überblick über die Anatomie und Physiologie
der Sprache des Kindes, a) Das Atmungsorgan. Physiologie der
Atmung. Unterschiede zwischen der autonomischen Huiicatmung und der
willkürlichen Änderung des Atemt^us beim Sprechen. Entwicklung
dieser Sprechatmung beim Kinde. Änderung der Atmung zur Zeit der
gesdileobtliohen Entwicklung (Pubertät), b) Aufbau des Stimmoigans.
Physiologie der Stimme. Der Stimmumfang des Kindes. Die Hfihe der
Sprechstimme. Uotmaohiede zwischen Brust- und Fistelstimme. Stimm-
einsatz und Stimmansatz. Unterschiede zwischen der Stimme des Kindes
und der des Erwachsenen. Worin besteht der Stimmwechsel? c) Das
Artikulationsorgan, sein Bau, seine sjirachüchen Funktionen. Die Yer-
findemngen des Artikulationsorgans während des kindlichen Wiachstoiiui:
MnDdhllhle, Zunge, Ztime (Zalmwechsel), Nasen- und BaeheiiliOhle, Die
BUdnog der Vokale (Formanten dee IQndes) und Konsonanten.
3. Aufbau der Kindersprache. Einzelheiten der Sprachentwick-
lung. Bedeutung der Pubertät für die Si)rache. Kurzer Abriß der
Psychologie der Sprache: a) Peripher-impressiTe Bahnen: Hören,
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432
Sehen, lierühriuigs- und Beweg^ungsempfindungen der Sprachwerkzeuge,
b) Zentrale Bahnen und Zentren: sensorisches und motorisches Zentrum,
ZnsMuneiihaDg dieser Zeatren mit den TeilToretelluDgen der B^riffe,
AaeogSationflbahnen. c) Föripher-expreeeiTe Bthnen, ceDtrifugale und notri-
petBle Leitung der Iimeratioa dieser Babneo. EDtwkliiiiig der «inaebfln
Zentren und Bahnen beim Kinde.
4. Die Hemmungen der Sprachentwicklnng. Hemmung in
den einzelnen unter 3 genannten Bahnen und Zentren. Parallelismus
zwischen den sprachlichen Erscheinungen des Kindes und den Sprach-
fehlern der Erwachsenen. Die Übergänge zwischen normalen Erscheinungen
der SpiaofaeDtwioUiiiig und bleibenden SpiadifdilOTn. Exakte Begrfindung
der prophylaktischen Ifafinahmen : Hygiene der Sprache im allgemeinen,
Hygiene der Stimme (StOnmgen des StimmwechaelB). Erster Lese- nnd
Oeeangsunterrichf .
5. Die liäufigsten Sprachstörungen des Kindesalters: Die
verschiedenen Arten der Stummheit: Hörstummheit, Taubstummheit, Sprach-
verlust (Aphasie) des £äudeti, psychische Taubheit. Stammeln und Stottern,
üntersoheidimg dieser Spiaohlebier. Die h&nfigsten Arten des Stsrnmebs:
Lispeln (Sigmatismus), E- Stammeln (Faragammaoismns) R- Stammeln
(Pararhotaoismus). Das Stottern: Entstehung, YeiMtang, Wesen, Be-
handlung. Der Agrammatismus. Die SpcaohstfiraqgeD eohwaohiBnniger und
idiotischer Kinder.
6. Die Aufgaben der Mutter bei der sprachlichen Erziehung und
Überwachung ilures iiindes. Die Aufgaben der Schule. Die Tätigkeit
deg Lebra» nnd des SdfanlantaB: Knise für spraoligebmohlidis Xindw in
Dentoohland. ISnriditnng, Oberwaobmig mid Besnliate der Kmm Die
soziale Bedeutung der SpraohstiSrangen: Emflnfi auf die BembwaU, Ab-
leiBtung der Dieantpfliobt,
Zor Yorbareitong anf die Voriesangeii, aowie snm Naohlflomi wid aar Yer-
vollstäudigung des Gehörten verweise ich auf:
n. GüTZMAiw, Des Kindes Sprache und Sprachfehler. Leipzig IS94.
Ders., Vorioöungen über die Störungen der Sprache. Für Ärzte und Lehrer. Verlag
voa FiscHEBS med. Bachhaudluog H. Kornfeld. Berlin 1893. (Hierin findet sich
ein aehr aaafBhiÜobn litexatmrrerzeiohnia.)
DeiB., Die praktisdie Anwendung der SpnobphysMogie beim enten Jjmnntmktt
Sammlung ScmmcR-ZmHEy I, 2. Berlin, Reuther & Reidiard, 1857.
I>en^ Die aosiale fiedeotimg der Spnwhatttnugen. Jana, Onstanr FiaoiMr, 1904.
IV. Kim» am dMi Mist dar FnuianMIdt
1 VaBaalMa
(mit besonderem Being anf Franenbildnng nnd Frauenarbeit)
18 Terieaaiigeii tod "Pnt Dr. theo!, et pbiL Zfflifliar-Beiün-ZaUeBdorf
Einleitung: Yolkspflege als Yolkserziehung und Wohlfahrtspflege.
Ihre Bedeatnng fOr die Franenfrage nnd die der Franenfrage für sfeai
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1. Ferieakone in Jeua Augoät 1905
433
1. Die Organisation der Yolkspfleijo.
A. 1. Ihre Träger, a) MittelUir. Die Kulturgemeioschaften: Familie
(soziale Aufgabe der Frau), Gemeiiido (Sozialpolitik der Gemeiude), Staat
(Heimat und VoUffitam als Natuignindlage Volkspflcge; der Heom-
dienst als MiUelt die konstitatioiielle Staatseinnohtiing als Antrieb, das
Wohl des eigenen Volkes als Ziel der staatlichen Volkspflege; öffentlicher
Dienst der Frau in der Wohlfahrtspflege? Die Stellung des Staats zur
Frauenemanzipation), Kirche (Aufgabe der Kirche; Kirche und Fniuenfrage).
— b) Unraittelliar: 1. Der Beruf. Beruf und Geschäft; pci-süidiohe und
allgemeioe Bedeutung des Berufs. Was sind Frauenberufe? 2. Zweck-
gemeinsobafteD, untenchieden nadi Zweck (ErweibB-, gemeinnfitziger und
WohitBtigkeitszweck), Yerwaltang (hensohaftliclie und genoflsensohirfUiche),
Wirksamkeit (FQraoige oder Selbsthilfe), Subjekt (Barsonen, Yerbinde,
Kapitale).
2. Ihre Mittel: Amtliche und freie. Anstalten und Einrichtungen, Ge-
setze und Belülirungj gegeuseitiger Ausgleich der auieinauder augewiesenen
Bedürfuiöse.
B. Soziale Fiaueabildung im ganzen (sosiale Fraueoschulen und
soziales Element in der allgemeinen IWiuenbildung). Allgemeine soziale
Ftanenorganisationen.
II. Volksgesundheitspflege.
A. Die AufgaWn der Volksge>undheitspflege.
I. Erhaltung der Gesundheit: Volkshygiene. Hygienische Ge-
wöhnung und Erziehuug. Gesuudheits-Gesetzgebiuig und -Polizei. Hygienische
Maßnahmen der Städte. Sdmlhygiene. Oewerbehygiene. Verdne für
öffentliche Gesundheitspflege.
Maßnalimen , je nachdem die Oesundheitsstörungen hervorgerufen
woden durch:
a") Tbertragung: 1. Entaitung durch Vererbung. Entartung als Vr-
saobe wirtschaftlichen und ^ittlicile^ Niedergangs. Krankheit oder Sünde V
Die hygienische Bedeutung der Eliegesetzgebuug. Wohlfahrtspflege und
Yeibenerung d«r Rasse. 2. Ansteckung: Der Kampf gegen die Ver-
breitung der Volksseucben durch Isolierung. Tnberknloeenheime ; Regle-
mentierung der Prostitution. Deutsche Gesdlsohaft zur Bekftmpfmig der
Geschlechtskrankheiten. Desinfektionsanstalten.
b) Gefahren: Goburts- und Wuchenbetthygiene.
c) Lebensweise: 1. Wohnung: Wohnungspflogo durch Gesetz, Ge-
meiniki, i'rivatliirsorge. Selbsthilfe. Wohuuugsiuspektiou. 2. Ernährung:
Einderernährung und Säuglingssterblichkeit; Cnterernfihrung und Trunk-
sucht Volksküchen und SpeisehSuser. Schulspeisungen. Speisentraosport
Kochkiste. 3. Hautpflege: Volks- und Schulbftder. 4. Arbeit und Er-
holung: Arbeits- und Ziellosigkeit als Ursache von Krankheiten. Der
Militärdienst und ein Freiwilligenjahr für Frauen in ihrer hygienischen
Bwleutung. Nnrnialarbeitstag. Beschäftigung und Unterhaltung. Volks-
und .Jugendspi**le, Sport. Garten- und Blumenpflego. Schrebergärten.
Volksparks. Schülerwanderuugeu uud üeidefahrten. Walderholuugsstätteu.
rerieDkolonien. Stadtkolonien. ErholungshAuser.
ZaltMhiUt fir FbHoNpU» and ndigaglk. 13. Jahiguf . 28
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MitteiluDgen
2. Wiederhersteliuag der Oeeandheit: Kiaakenpilege uod Samahter-
dienst.
a) Ki-aiikenpüege: Krankenhäuser. Volks- und Kindel heilstätteii.
N€irfeii- imd TrioketheOslittien. Ineohdlanstalten. — Hauskiaiikenpflege.
BispensaireB. — Oememdekiaiikenpflege. — FQnoüge für Geoesende.
b) SamariteidieDSt: UnfiJi - BBttnogsdienst Rettnog SdnfftnUoluger.
Kri^krankenpflege.
c) Ergauzende Ffliaoige bei Knuikkeit und Unfall: Kiankenkflcheo.
Sanitätskästen.
3. Hilfe für Gebrechen. Bedeutung und Gionzo dieser Ililfe.
Bildung und Pflege Bresthafter (Gebrechliche, Sieche, Krüppel), Viersinniger
(Taubstummer, Blinder) und geistig Defekter (Idioten, Geiste^nrnker, Epi-
leptischer).
B. Die VolkBgeBiuidlieitspflege und die Fnni.
1. Die IVaneobenife im Lidite der Hygiena Qenchtspankte; An-
wendung.
2. Frauentätigkeit in der Gesundheitspflege. Die stillende Mutter
und die Amtne. Die Wohnim^spflegeriii. Gesundheitspflegoriu, Fleisch-
beschauerin, Zalintechnikerin , Kloinkinderpflegerin , Turnlehrerin, Taub-
stummen- und Bliudenlehi-eriu, Hebamme und Wochenpflegerin, Ärztin,
Enmkenpflegerin, Erankenbesudberin, Eriegskranken-Helfeiin und -Pflegerin,
Samariterin, Heilgehilfinf Heilgymnastin, Masseaae, ApotMerin.
3. Organisationen für Krankenpflege- Ausbildung und -Dienst: Mattei^
häuser, Berufsgenosaenschaften, ErankenliAiiser mit eigenen Pflegerinnen-
Bchulen.
III. Volksbildung.
A. Die Bildungsmittel:
1. Schulen: a) Der Kindertrarton , sein Verhältnis zu Kindei-stube
und Sehlde, zu Bewahranstalt und Kleinkinderschiüe. b) Die Volksschule,
c) Die höheren Schulen: Mittelschulen, Gymnasien, Realschulen, Real-
gymnasien, ?ortbildung88ohalen. d) Die Fachsohnlen, UnivenitStieD and
Institnte^ Oewerbesohnteo, Tedmiken, Technische Hodisohnlen. e) Hilf»-
Bchulen für Schwachsinnige, BIMenanstalten, Hagged Sobods. — Ziir
Schulorganisation: Neue Erziehungsziele (Einheitsschule, gemeinsame Schul-
erziehung beider Geschlechter. s«jziale und stiuilsbürgerliche Erziehung).
2. Die Weiterbildung Erv,achsener : Volksliochschulwesen. Ferien-
kurse. Wissenschaftliche Vorträge. Bildungs vereine.
3. Volksbibliotheken, Lesehallen, SchriflenTertreibnng, Die Tsgea-
leitong. Kdeen als Bildungsmittel.
fi. 1. lYanenbildnng. Das Hflddiensohnlwesen und seine Befonn.
Höhere Mädchenschulen. Fortbildnngs- und Fachschulen für MAdcl^n.
Gymnasial- und Realschulbildung und UniveiBitfltSBtiidiam der Vom.
"Wissenschaftliche Vm-lcsunt^en fflr Damen.
2. Frauen Inji-ufc in der VolksbiMnng nebst Vorbildung dafür: Kinder-
gärtnerin und Kinderpflegerin; Erzieheriu und Lehrerin; Fachlehrerinnen;
die Bibliothekarin.
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1. Ferienkaree in Jena August 1905
436
IV. Volkskii nstpflege.
A. Grundsatzliches: Spiel und Kunst; Kunst und Natur; Kunst-
empfinden, Kunstmittel und Kunstwerk; Kunsttätigkoit und Kunstgenuß;
Kunst und Handwerk; Kunst und Dilettantismus; Kunst uud Beha^n, Go-
seUigkeit, ]n:otseiitiim. ünmittelbare und mittolbaiie Kfinsta KudbI-
MtCfQhrangiQn und KuDstsammluDgen.
Die Kunst im Hause. Eunstbildung und EiuistAbiiDg durch die
Schule. I^unlsf'hafts- und Gartenpflege. Verschonerungsvcreine. Denk-
mäler. Volksunterhaltuugsabende mit künstlerischen Darbietungen, Volks-
konzerte und Volkstheater. Yolkfimuseen und Museumsfühiungeu. Die
Kirche und die Kunst.
B. KflngtlflriiKthe VmamhmdB: SchaoBpieleriu, Openis&Dgeriu, Tans-
kUDBÜeriii (Bfibnenschnlen). SBngerin und Instnunentalkfinstlerin, Musik-
lebrerin, BiMhauerin, Musterzeiohnerin und Photograpbin (Kunstachulen
und Kunstgewerbescbulen). Zeichen- und Kunslgewerbelehierin.
V. Wirtschaftliehe Volkspflege.
Zentrale Organisationen dafür. Arbeit und Kapital als Quellen des
Wohlstandes; ihr Verhältnis zueinander.
A. 1. Bewahrung vor Not durch -wirtacfaaftliohe Votsorge.
a) Die Sicherung der Arbeit: 1. Schutz vor Aiibeitsunfthigkeit:
Forderung der Erwerbstfttigkeit durch höhere Bildung. Arbeiterversiche-
mng. Arbeiterschutz. 2. Schutz vor Arbeitslosigkeit: Auskunftsstellen
und Arbeitsnachweis. Arbeitsbeschaffung. Notstandsarbeiten. Ateliers
nationaux. Auswandenmg. Äußere und innere Kolonisation. Arheits-
losenfürsorge und -Versichei-ung. Beschaffung von Hilfskräften. Uaus-
pflege. 3. Steigerung der Arbeitsleistung: Wettarbeit um Prämien und
in Akkord; Yerbesserung der Arbeitsmittel und -Methoden, Herandehung
der Arbeiter dazu. Entlastung von hftuslichen Pflichten durch Krippen,
Bewahranstallen, Kinderhorte. Ferienhcwte; Unterkunftsräume an der Arbeits-
stfitte. 1. SiflKTung des Arbeitslohnes und des Arbeitsverhältnisses: Ge-
winnbeteiligung. Tarif gemeinschaften. Arbeitsordnungen. Arbeiterorgani-
sationen und - Vertretungen, ßeciitsschutzstellen. Volksbüros und Arbeiter-
Sekretariate. Gewerbegerichte, Einigungsämter.
b) Die Sicherung des Vermögens: 1. Lebens- und Todesfall- und
Kapital -Veraichenmg. Volksversicherung. Spsrwesen; Scherls FrRmien-
Sparsystem. Darlehnskassen und Yolksbs&ken. Hilfskassen für ver-
schiedene Zwecke. Loilihäuser. Kampf gegon den Wucher. 2. Ver-
billigung der LebenslM-dru Inisse: aj Die Wohnungsgenossenschaft, b) Ali-
gemeines über Wohnuugspflege. Wohnungsgesetzgebtmg , Erbbaurecht,
Bodenreform. Wohnungsfürsorge durch Arbeitgeber, durch Selbsthilfe,
durch gemeinnatzige Vereine, durch die Frivitindustrie. Herbergen und
Hospixs, Gewerksohaftshinser. Pendonate. Heime fOr Alleinstehende:
Schjafgängerwesen. Ledigenheime für Männer, Frauen, Lehrlinge und Qe-
sellen, Mägde. H'^imaten für Stoll'-iisMchende. Altenheirae. c) Nahrung
und Gebraiichsgegenstäude: Volksküchen. Konsumvereine und sonstige
< "renossenseliafteii. Brockensanindungon. Einkaufserleichtenmgen. d) Ver-
wertung der Arbeit durdi Genossenschaften und gemeinnützige Vereine.
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AnfBfttM
2. Hilfe in der Not durch Armenpflege.
a) Orc:anisationen der Armenpflege: öffentliche und private, pcrfiön-
lichc und amtliche, freie und g-enossenscliaftliche, bfirgerliche und kirch-
liche Armenpflege. ZeutTdlorganisationen.
b) Formen der Armenpflege: Offene: Oemeindearmenpfl^ ; Elber-
felder System. GeBcfaksseoe: ArmeD- und AibdtBhftnBer. Arbetterkolo-
meuL Asylo für ObdaoUose^ Wltomestiibeii, Aimenspeianng.
B. Wirtschaftliche Frauentätigkeit:
1. Die privat- und Volkswirtschaft] iclio Hcdcutimf^ der Hausfrauenarbeit.
2. Die Ausbildung zur Hausfrau: Der wirtscliaftlicho rntorricht in
Haus, Kindergarten und Schule. Hau.slialtungsschulen. Wirtschaftliche
Frauenschulen. Zimmersche T6chterheime und Mädchenheime. Wander-
kochkorse. HMidarbeitBnntewidit
8. Die fibUobfirao selbsttodigeii wirtsohafQiohfln FnmenbenifB unter
Abgabe ihrer Vorbildung:, und ihres wirtschaftlichen Wertes (Arbeits-
verhältnis, -ertrag, Überfüllung) in hauswirtscliaftlichen Diensten, in r.,and-
wirtschaft und Gartenbau, in der Industrie, im Handel, im Verkehrswesen,
in der Verwaltung.
4. Frauenberufe in der wirtschaftlichen Volkspflege: Haudai'beita-,
IndnstDe-^ Zeidhen-, Hanshalt-, GartenbauleliieiiiL Annenpflegeiin.
VL Sittliche und religiöse Yolkspflega
Verhältnis von SitÜichkeit und IMmmigkeit Sittlichkeit und Aifaeit
und Gemeinschaft.
A. 1. Die Familie, iln- Ersatz und ihre Ergänzung.
a) Die Familie, der Mutterschoü der Sittlichkeit Ihre Gefährdung
und ihre Jilriialtuug.
b) Ersats der Familie: FindelhftDser. Sftuglingsheime. Hsltekinder-
-weseo. Waisenpflfige, offene und geeohloesene. KinderBchtttz.
c) Ergänzung der Familie: VersoigimgsbiDser. Qeneralvormundschalt,
Jugendschutz. Lehrlingswesen. FQrsorge für die weibliche Jugend; Für-
sorge- und Zwanirserzielumg. Rettungshäuser. Erziehungsvereine. — Für-
sorge für Erw.K hsi no: für Ledige, für Gefallene, für entlassene Gefangene.
— Gemeiusciiaftspfiege ; Brüder- und Sachwestemschaften als Eraiehungs-
und Gednnungsgemeinaidiaften: (Studmtenverbindungen. Frefantnverlogen.
Der Heimgarten). SchwestemsehafHiohe BemfiBgftmflinBnhaften (Oiden,
Mutterhäuser, Ev. DiakonieTerttn und Fraoendienstgenoaeensdiaft). Ober-
wiegend gesellige Vereinigungen (Jünglings- u. Jungfranenyereine, Lehr-
lings- u. Gesellenvereine, Arbeiter- u. Arbeiterinnenvereine, Fabrikvereine).
Familienabende. Volksfeste. Jugend- und Frauenklubs. Gemeindehäuser.
Volksheime und Vereinshäuser.
2. Kampf gegen Volkslaster.
a) Gegen Trunksocht: Entbaltsamkeitsbevegang. Trinkerheilgtälten
Das Uaue Kreuz. Der GuttempleEOiden. MMigknitsbeiregang. Beform-
gasttiäuser, Volkskaffeehallcn.
b) Gegeu ün/.ucht: Sittlichkeitsvereine. Weißes Kreuz, Bund Ethos,
Föderation abolitionniste. Internationale Bekämpfung des Mädchenhandels.
3. Die religiöse Volkspflege.
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1. Ferienkurse in Jena August 190,') 4M7
a) Die Kirche als religiOee Gemeiiuohalt und als YoDneczieliiinge-
anstalt
b) Die Pflege der religi(5sen Gemeiuscliaft durch gemeinsame Be-
tätigung des Glaubens im Kultus (auch im Kindergottosdienst) und der
Liebe im bürgerlichen Ijeben. Religiöse LebensgeuK iiischaften (Klöster,
Gtenosseuscliafteu). Gomeiuschaftäbewcgung. Heilsarmee.
c) Die Mission an anderen BeHgions- und EonfeesionsangehOrigen;
die Evangetieation (direkte innere Hission) aa den nnlebendigen oder leinen
Qemeindegliedem (StadtmiBsicm, Mission an EellDem, Soldaten, Wandernden,
Schü&hrendon, Auswanderern, Reisondon). SchrippenkiiQfae. Veraamm*
lungen. Bibel-, Predigt- und Scliriftenverbreitung.
d) R« ligiüsc Beeinflussung des Yolkslebeus: Kleiukinderschulen. Er-
haltung der christlichen Volksschule. Konfirmandenaostalten ; kirchlich ge-
leitete höhere Sohnlen und Alamnate. ESnfliift auf Presse und Qeeete-
gebnng.
e) Diakonie als indirekte innere Mission.
B. Frauenarbeit in der sittlichen und religiösen Volkspflege.
1. Säuglingspflegerin. Gefangenaufseherin. Waisenpflegerin. Kirch-
liche Gemeindepflegerin. Pastoralf^ohilfiii. Frauen im Missionsdienst.
2. Organisation und Ausbildung: Schwostemscliaften. Ev.-kirchiicher
HillBverein. Instroktionakane fOr weibliche Ldebestätigkeit imd innere
ICedon.
2. Iraft lad Schwaehhfit der Gesehleehter und deren Wirkoog ia 4er iiltar
() Vortrüge von Fräulein N. v. Milde-Weimar
2* I liOgik und Oemflt
3. OennA und Arbeit
4. Haus und Welt
5. Die Frau in der Literatur.
6. Die Fian in der Wissenschaft
V. Thaologitclie^ geicliiGhtlielis lüd pMlotopliische Kurta
i Im BfMg*B km !■ Uten der allgwulwi Um^usmOMt»
6 Vertilge von Prot lio. Dr. Wdnel
1. Die Quellen des Lebens Jesu. Niohtchiistliohe Quellen: TacituB.
Sneton, PUnius: Josephus. Christliche Quellen: Paulus, die Evangelien:
apokryphe und kanonische Evangelien, Johannes und die drei ersten Evan-
gelien, Methode und Resultate synoptischer Vergleichung: die Quellen
unserer drei ersten Evangelien, Markus und die Spruchquelle, Sonderstücke.
Sicherheit und Unsicherheit der Oberlieferung von Jesus, üm die 6e-
dentong des EvangeUams richtig su wHidigen^ mnA man es Tergleidben
mit der Entwicklung der Beligtonen, die vor ihm gewesen und tqo ihm
Uberwunden \\'orden sind.
2. Jede Religion ist charakterisiert 1. durch ihren Oottos-
glauben (sehr selten durch die Ausschaltung des Oottesgiaubens),
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ICtteüongeii
2. dmoh die fligentflmUohe Stellung, die aie den Mensdhen sar Welt
gibt, 3. durch die Art der sie b^leitenden Sittlichkeit und ihrer
VerbinduDg mit der Religion. An dem Gottesglaiiben insbesondere ist
wieder ins Awv^ zu fassen der Weß^, auf «lern Gott mit dem Jfenschen
uod der Mensch mit Gott verkehrt: die Gottheit offenbart sich dem
Menschen, das ist die Grundüberzeugung und das Gnmderlebnis aller
Beligion, wodurch sie eich von jeder andern Erkenntniaweise nnteEwIiiedfln
fohlt Umgekehrt spricht der Mensch mit der Gottheit im G-ebet Die
Gotthdt teilt sich den Meoaehen mit in geheimnisvoller Weise (Sakra-
ment) und er bringt ihr als Dank und Mittel, sie für sich zu gewinnen,
Opfer dar. In allen Gestaltungen und Entwicklungen der Religion sind
diese Grundlinien des Aufbaues wieder zu erkennen und je nach ihrer
Art sind die Religionen zu gnippieren in eine aufsteigende Entwicklimg
von einem primitiven Geister- und Seelenglauben za den großen
polytheistischen Religionen der Staaten, innerhalb deren dann
wieder die hfthere Entwicklung zu sittlichen und zu ErlOsnngs-
Beligionen anhebt. Diese smd in der Tendena Qemeinsohafts- nnd Welt-
leligionen und lösen die Staatsrcligionen auf.
3. Aus der eic:enartigen Entwicklung des israelitischen Jahvekultus
zu einer sittlichen Gesetzesreligion, die aber im Judentum nie zur Voll-
endung kam, ist die sittliche Erlösungsreligion Jesu entsprungen.
Sie seheint znnfichst nnr die Vollendung der sittlichen Religion
des Judentums sa sein, indem sie endgOltig alles Natmliafte (Knltiadi-
Heilige) ans der Religion ausschaltet, für heilig nur das Innerliche, das
Fromme und sittlich Gute erklärt (Sabbath, Reinheitsgebot«; u. ä.) und das
Tun des Gesetzes durch die Fordening einer einheitlichen reinen rit>
sinnung vertieft. Dabei bleibt Jesus scheinbar vollständig in dem Seiiema
der Gesetzesreligion von Lohn und Strafe befangen, wie denn die Erwartung
des Weltendes und des Anbrechens eines Büches Gottes so stark ist, daft
eine Sozialethik nur in gsns geringen Anfingen ausgebildet ist
4. In der Erwartung dies^ Herrschaft Gottes auf Erden drückt
sich die Erlösnngssehnsucht und die Wertung der Welt charakte-
ristisch aus. Die Erde ist keine Gottesherrschaft, sondern Herrschaft der
Dämonen (Krankheit), der Gewalttätige im Staat, Rechts- und Wiitscliafts-
leben und der blinden Blindenführer in det Religion. Von dem allen ist
das Gottesreioh das Gegenteil, die Edfiaimg, und darum Seligkeit — Dennooh
kein lemer Pessimismtis und keine blofie ZukunftaieUgion: Gott der Vater,
seine Fürsorge für alle.
5. Von hier aus winl das Chriatentnm als Erlösungsreligion deutlich
wie von der sittlichen Fonlcnmg aus als sittliche Erlösungsreligion.
Nicht durch » Werke c verdient man Gottes Liebe, sie ist da. Die Sitt-
lichkeit als innere Reinheit und Liebesgesinnung kann nicht durch
sittlichen Willen hergestellt werden: sie erwftchst aus dem Glauben, daS
Gott liebe ist, »Yaterc, und vergeben wilL Schuld, Leid und Sorse
verschwinden aus dem Leben dessen, der diesen Vater gefunden hat. Das
Wunder als Offen1>aruug macht diesem Erleben Platz und das Gebet als
Andacht bleibt allein als Mittel des Verkehrs mit dem »Vaterc.
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1. Ferieakurse iu Jeua Auguüt 1005
439
<J. Man kommt zu diesem Erlebnis durch den Eindruck,
den das Wesen Jesu aus der Fülle seines Lebenss mit Gott heraus
macht (Jünger, >8lliid«rc). Denn wie in allen ErlOeungsreUgionen ist auch
im ErBDgeliiim nicht die Lehre das Wichtige, Boodern die Gewalt der
PevsOnUchkeit ihres ersten Trägers und der Eindruck seines Lebens
(SuiTOLTiit : ein Idealbild). Nur aus diesem Eindruck werden erst allmäh-
lieh die tragenden Ge^laiiken herausgearbeitet. Aus seinen Wirkungen auf
andere erwächst das Problem, swer« der erlösende Mensch war; eine
Legende, die ihn über die Menschheit erhebt, bildet sich. Hat Jesus selbst
seine >Gotte8solmschaft« schon in diesem Sinne aufge&ßt? Hat er sich
fQr den MensohenBohn « Messias gehalten? Jeden&lls ist sein SeLbst-
bewnßtsdn nadi die drei ersten Evangelien noch ein menschliches.
Die Frage ist aus verschiedenen Qrflnden ncb«i8|ohlicher Art; an! den
überragenden Eindruck seiner Person und auf seine Kraft, immer noch
selbst in seinen wenigen erhalteneu ^\'ol•ten andern ein j Erlöser « zu
'«erden in dem genannten Sinn, darauf ist aller Nachdruck zu legen.
Uteratar
Teztbibel des Alten und Neuen Testaments, herausgegeben von D. E. Kaütisoh
nnd D. E. WibsXokbi, (mit den Apokryphen des A. T.). (KOige Ansgshe.)
1904.
HKVNFrKE, Die Apokryphen des Neuen Testaments.
"SV. ßoussET, Was ^^iSvSen wir von Jesus? (Heft) l'J03.
P. Wekkle, Die Quollen des Lebens Jesu. (Heft) 1904.
P. D. GsAMBna ob S&main, Lehrbnoh der BeligionsgescbJdite. 8 Bde. 3. Aufl.
1906.
C. P. TiELE, Kompendium der Keligionsgescbichte. 1903.
W. BorssKT, Das Wesen der Roliuion. 1903.
0. l'KLKiifKiiKR. l\.eligionsphilosü|)lue auf geschichtlicher Grundlage. 3. Aufl. 189Ü.
J. WiixuiAusEiN, Israelitische und Jüdischü Geschichte. 4. AufL 1897.
W. BoüBBcr, Die BeUgion des Judentnms im neateetamentl. Zeitaltar. 1902.
W. Baldknspehgkr, Das Selbstbewußtsein Jesu im Lichte der messian. Hoffnungen
seiner Zeit I. Die roewianiach-apokalyptiaohe Hoffnung des Judentums. 3. Aufl.
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H. J. Hoi,TZM.\KN, liiliüsrhe Theologie des Neuen Testaments. 2 Bde. 1897.
DeiB., Die £ntstehuug des Neuen Testaments, (üeft)
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440
Mitteilungen
6 Vortilige von Adolf Damaidike-Beiiiii
1. Die liberale Schale.
Die wirtsohafüiche EntwicklaDg der Neuzeit Smiths »Untersuchungen
über die Natur und die Ursachen des Reichtums der Völker«. Seine
Stellung zur Grundrente. Die freie wirtsrliaftliche Entwicklung und ihre
Grenzen. Smiths SteUung zu den Kaufleuten und Fabrikanton. Von s;e-
rechter Besteuerung. Vom Gebrauchs- und Tauschwert Die Bedeutung
der ArbeitsteiluDg. Das Bevölkerungsgesetz von Malthus. Seioe EoDse-
quenzen. Seine BegrQndiing durch das Geeeti der aboefamendeD ErMgeu
Das »Maoofaestertam«.
2. Das nationale System.
Die Kontinentalsperre und ihro Wirkung. Friedrich Li.'Jt. Seine
Tätigkeit in Württemberg und Amerika. Der Kampf um die Entwicklung
des Eisenbahnbaus in Deutschland. Erfolge und Enttäuschungen. Seio
Tod. Die Stufen der Nationalwirtschaft. Forderungen für die deutsche
Volkswirtsohsft
3. Der Eommonisrnns.
Der Weg der Dampfmaschine. Die Utopisten in England, Frankreich
und Deutschland. Karl Marx. Das kommunistische Manifest. Der
Ausgang des Kommunistenbundes. Die » Internationale FerdiniUid
Lassalic. Das Arbeiterprogiainm. Das »offene Antwortschreiben«. Die
Gründung des »aligemeinen deutschen Aibeitervereins*. Lassalles Ende.
Sana Naofafolger. Bebel, Liebkoecht und der Verband deotsdier Aibeiter>-
Terein& Die »Eisenacherc Der Gothaer ISnigungskongreA. Das Fh^gramm
der sozialistischen Ärbeiter|iartei Deutschlands. Das tSosialistengeaetz«
und seine Wirkung. Das P>fnrt6r Programm.
4. Die Anarchisten.
Die namhaften Vertreter. Ihre Lehre vom Staat. Die Verwerflich-
keit des rarlamentarismus. Die Wertlosigkeit der Gesetzgebung. Die
^yereule von E^goisten«. Die freiheitBfBindliohe Tendenz des Kommoni»-
mus. Der Weg sum Ziel. Die »Fkepaganda der Täte. Der paasiTe
Widerstand.
5. Die Bodenreform.
Hegels dialektische Methode. Der erste Vorläufer der engli.^hen
Bodenreform. Die Bodenfrago in der Chartistenbeweguug. Englische
Philosophen und Theologen über die Bodenfrage. Henry George und sein
Werk. Yen der pieufitsoheD Banembebeiung. Die OemeinheitBteüuDgeo.
. Die Bedeutung der Allmende^ Die irachsende Not und das Werk von
Raiffcisen. Der unteilbare Stiftungsftmd als modexses Allmend. »Rodbertua«
Rentenprinzip. Deutsche Staatsmänner zur Frage der Bodenverschuldnng.
Preußens Ilypothekarbewegnng. Die Wohnungfsnot in den Städtou. Miets-
steigerung und Arbeitslohn. Die Steuer nach dem gemeinen Wert. Die
Zuwachssteuer. Gemeindegrundeigentum und Erbbaurecht. Vom Hyi-o-
thekenweaen. Die Bauhandwerkeiftsgew Die ünteritonBomtion. Bergwerke
und fliefiende Geiiteer. Die BodenAage in den Kolonien. Bodaueform
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1. Ferienkane in Jena Aogost 1905
44t
imd Parteipolitik. Die eisten OrganisationsTersuche. Die Afribie:qpedition.
Der QnmdigedaDke der deatschen Bewegung.
unnrar
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von Prof. WAjumo. Jena, G. Fischer, 1904. 6 M.
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Yexlag >y<HirirtB€, 1892. 11^ H.
K. Mabx, >Das Kapital«. Kritik der politischen Ökonomie. Bd. 1. 4. Anfl. 188(h
Bd. 2. 2. Aufl. 180.i B<i. 3. 1891. 27 M.
Max Stirxkh, »Der Einzige und .sein Eigentum«. I>eipzig, Reclam. 20 Pf.
Henry Geobob, > Fortschritt und Armut«. 5. Aufl. Berlin, £. Staude. 3 M.
DaKAflomOi »Die Bodenieformc. 3. Aufl. Berlin, Johannes BUe. 3,50 M.
Dexa., »Oeacdiiehte der Nationalökonomie«. ESne erste TOnlühning. Zwdte duroh-
geeebene Auflage. Jena, 0. üspfaer, 1905. 2,50 IL
d. Dcntsehe Wirtsehansgeschichte
Prof. Dr. O. Mentz
1. Einleitung: Begrenzung und Eiuteiluug des Stoffes. Be-
grÜfsbeBtiiiimuDg. Keine Eisehöpfimg des Themas möglich, nm Behand-
hng germsBoe Hanpigebieie. Obersicht über diese. Frage mwh einem
BSoteilungsprinrip. Periodisierungsversuche von List, Ilildebrand, Bücher^
Sohmoller, Lampceoht, Sombart, ihre Widerlegung doroh Below.
Uteratar
Fr. List, Das nationale System der politischen Ökonomie. 1843.
Bb. Hildebrand, Natural-, Geld- und Jireditwirtschaft Jahrbücher f. Nationaiök.
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(Viele dies» Sdiiiften konmien andi f&r die folgenden Vorlesungen in BetrMht>
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442
MitteanDgen
2. Die Wirtschaft der Urzeit, Geiuei ueigeutum und Sonder-
« igen tum. Die QueUen. Naohriohten des CBsar und TMUtos. Vieh-
suoht Die GrandeigwtumsTerhftItmBse. Die Art der Benedelong. Die
'GewnnndSifer. Die PM>diikte des Ackeibause. Handwerk tmd Handel
Literatur
O. Uanssen, Auäichteu über das Agranvesen der Vorzeit (in seinen agrarlüstoriächdn
AbhandliQgeD. 2 Bde.). Leipzig 1880. 84.
"W. Amwuif Anaiedelniigeii und Wandeningeii deatsohar Sttnu&a. 2. Aufl. 1881.
An». UKDBKf TTanderangen, Anbau und Agiaireoht der Völker Eun^pas nSidlich
der Alpen. I. Abteilung: Siedelung und Agrarwesen der Wostgermanen und
Ostgeruiaueu, der Kelten, Kömor, Finnen und Slaven, 3 Bde. Berlin 1S9Ö.
JoH. Ricu. MucKJC, Urgeschichte des Ackerbaues und der Viehzucht. Greifswald 18ÜS.
B. HnjnDKAiiD, Beoht und ffitta auf den vexadiiedanaD wirteoliafüiehan Eidtanlnfeii.
Bratar Band. Jana 1896.
Bachfahi., Zur Geschichte des Grunddgantima. (Jahibüohar fär Nationalofaniomie
und Statistik. Bd. 74. 1900.)
KxAi'P. Gruudherrschaft und Rittergut Leipzig 1897.
3. Die großen Grundherrschaften. Streit über die Entstehung
<ier ^oßen Gruudherrschaftcn. l^ewoiso für die herrschende An.sicht,
-Charakterisierung der grolien Gnindherrscliafton. Ihre Organisation durch
Karl d. Gr. Wirtschaftliche Bedeutung der großen Gruudhern>chafleD.
Ihre Anflteang.
Utaratar
K. Tb. T. iRAiu-SiKBNaaQ^ Dia Analiüdnng der groBeo Onmdhanaoliaftan in Daataoli-
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früheren Mittelalter. (Abhandl. d. sächs. Oes. d. Wissensch. XXII. I. 19<»3.)
L. V. Maureb, Einleitung zur Geschichte der Mark-, Hof-, Dorf- and Stadtverfassung
und der öffentlichen Gewalt 2. Aufl. Wien 1896.
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land. 4 Bde. Erlangen 1862/63.
Fr. Sekboh«, Die englische Dorfgemeinde, übers, von Tn. v. Büxpkn. Hoilolbort: IJ^sö.
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W. WmiaB, Die Omndhanaohaft in NoidwaetdanfaoUand. Leipzig 1884.
K&nsoHxXf Die Gliederung der GaaaHaohaft bei den alten Deutaohen. (Dantaehe
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K. Oabbu, Dia Landg&terordnnng Keila d. Or. Bailhi 1886.
-O. Wiiia, DeutBofae Verfasanngagaaoh. Bd. lY.
4. Rodung und EoloniBation. Die Quellen: OrtsnameD und Orte-
«nlage. Die Rodung im Mutterlande; Die Eolonieation dee Ostens, ihze
-virtschaftlicbe Bedeutung.
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1. Ferieokune in Jena Angnst 1906
443
LNmtar
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K. 0. iScHULZK, Die Kolon iäiei-uug und Genuanisierong der Gebiete zwi^cheu Saale
und Elbe. Leipzig 1896.
5. Naturalwirtschaft und Geldwirtschaft. Dio Entfltehuog
der Stftdte. Das Geld bei den Deataoheii in der Uaher behandelten Zeit
Die »▼olkswirtsohaMche Beyolutiont Kwischen 1150 und 1800. Streit
Uber die Entstehung der Städte. Dire wirtschaftlicho l^« deiitung. Schilde-
mog der Stadtwirtachaft und der stftdtiachen Wirtsohaftspolitik.
Literatur
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£. BücuEK, siehe unter I.
6. Handel und Gewerbe. Der Handel in der älteren Zeit, die
Märkte. Die Entwicklung der Gewerbe. Büchers Theorie und Belows
Einwände gegen äie. Das Handwerk in den Städten, die ZOnfte. Ge-
Bellen- und Oeweri^everbbide. Der städtische Handel Die Eaufinanna-
güden. StatistisoheB. Der afiddeatsohe Handel
Uüratir
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2. .\ufl. 1902.
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6. BiLow, OfoAhindler und EleinhSndlw im deutsohen IGttelalter. (Jahrbftoher
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deutschland und Italien mit AussuhiuÜ von Venedig. 2 Bde. Leipzig 1900.
H. SmoHsnu), Der Eondaoo dei IMeaohl in Tensdig nnd die daniaeh-Tenetianisohen
Handelabasiehnngett. 2 Bde. Stuttgart 18B7.
7. Die Hanaet Der Niedergang der Stadtvirtachaft Der
norddentache Handel Die Entatehnng der Hanse. Lire Politik vor allem
Wirtschaftspolitik. Charakterisierung des hanaeattachen Handels. Der
YerfoU der Hansa Die Ursachen des Niedergänge der Stadtwirtsohaft
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444
Mitteilungen
Die großen Gcldmächto des IG. Ja)u*huiiderts. Die FreisrevolutioD. Wirt-
schaftliche StagoatioQ in Deutschland.
Literatnr
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Ders., Die deutsche Hanse. (Monographien rar Weltgesch. XEL) Bidefeld ond
Leipiig 1908.
In. LiKDKKR, Die deutsche Hanse, ihre Qeoohidite und Bedeutung. Leipzig 1899.
0. T. Bblow, Der Untergang der mittelalterlichen Btadtwirtadiaft (Jahrböchei für
Nationalök. und Statist. Bd. 76. 1901.)
R. Ehrkxberg, Das Zeitalter der Fugger. Geldkapital und üi-editverkehr im 16. Jahih.
2 Bde. Jeot 1899.
0. Wim, Zur Oeaeh. der Pzdsrevoliition des 16. und- 17. Jthih. Lnpiig 1886.
J. Hartit.n'o, Die direikton Stenern und die Yemiögensentwicklung in Augsburg roa
der Mitte dos 16. bis zum 18. Jahrhundert. (Jahrbuch für Gesetzgebung, Ver-
waltung und Volkswirtschaft. N. F. XXII. 181)8.)
8. Der Osten und der Westen. Die Entstehung der Guts-
herrschaft, Verschiedene Entwicklung der agrarischen Verlüütnisse im
Sfuhvesten, im Noidwesten \md im Osten Deutschlands. Ghiindherrschaft
und Gutsherrscliaft. Die Ursachen der verschiedenen Entwicklung.
Literanir
G. V. Bklow, Territorium und Stvlt (8. unter V.).
W, "Wimm (8. unter HL).
0. F. EiTAFF (8. unter II). '
Tb. Knapp, Gesammeitc Beiträge zur Rechts- und Wiitsdiaflqgesohiolite Tomehmlich.
des deutschen Bauenistandos. Tübingen 1902.
C. JoH. FucH.s, Der Untergang des Bauemstandes und das Aufkommeo der Guts-
henschaften. Nach archivalischen Quellen aus Neu- Yorpommem und Bogen
StraBbuxg 1888.
Den., Die Epoohen der denlsoheii Agraigesdhidite mid AgrupoUHk. Jena 1886b
9. Die Eotwioklang der bftnerlichen YerhiltiiiBseL RQck-
Uiok. Einfliifi der agiaziBohen DreitoUuiig DeiitB6h]aDd& SohUdeniiig dm
bäuerlichen Verhältnisse in den drei Gebieten. Die Aufgaben der fimen-
befreiung, ihre Durchfühznqg. Die Gemeinheit&teilaDg und die ZosamineB-
legODg der QrandstOcke.
Literatur
Tu. LuDwiu, Der badische Bauer im 18. Jahrhundert Straßburg 1896.
0. F. Knapp, Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den
ilteren Men FteoBens. 2 Bde. Leipiig 1887.
Ders., Die Landarbeiter in Knechtschaft und Freiheit Leipiig 1881.
M. Lamuat, Freiherr vom Stein. Bd. II. Leip^g 1903.
10. Die Territorien, der Merkantilismus. Stadtische und teni-
tonalo Wirtschaftspolitik. Versuche, territoriale Wirtschaftseinheiten ru
schaffen. Wirtschaftspolitik der anderen eurofväischen Staaten, das Mcr-
kantilsy.stein. Schä<llicho Wirkung der Zersplitterung Deutschlands, seine
■wirtöchaftiiclien Verhältnisse im 17. Jahrhundert. Die preußische Wirt-
achaftapolitik.
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1. Feriflidrane in Jena August 1905
445
Literatir
O. ScimuLLEu, Das Merkautüsyätem (siehe unter I).
DenL, Über die irirtBohafflidie Politik Friediiohs d. Gr. und Preofieiis übeihanpt
1680—1786. (Jahilmdh für OmetMg^ Yenndtmig und VoUenriitMliift. Bd. VIII,
X, XI.)
Acta Borussica. Denkmäler der preufi. Staatsverwaltung im 18. Jahrii. Berlin
1892 ff. Bis jetzt 1 1 Bde.
11. Freier Vorkehr und Kapitalismus. Die Gründung dos Zoll-
verems. Der Liberalismus. Freihandel und Oewerbefreiheit. Aufschwung
Ton Industrie und Technik. Streit über die Entstehung des Kapitalismus.
Seine Wirkungen.
Uteratir
A. Zimmermann, Geschichte der preußisch-deutschen Handelspolitik. Oldenburg 1R02.
H. V. Tkkitschxe, Die Aufaugo des deutschon Zollvereins. (Preufi, Jahrb. XXJL)
W. SoMBAüT, Der moderne Kapitalismus. 2 Bde. Leipzig 1902.
Den., Die denisolie Tolknrirteelitft im 19. Jahiit Beriia 1903.
E. LAmanD, Dentsohe OMohiohte. 2. Ergänwngsband. L Hftlfte. BexUn I90ß.
T. Bbow, Die Entstehung des modernen Eapitahsmiie. Histor. Zeitschr. Bd. 91.
Jacob Strisdks, Zur Genesis des modenien Eapitalismtis. Leipzig 1904.
12. Nationalwirtschaft und Weltwirtschaft. Deutachhmds
gegenwärtige wirtschaftliche Lage. Die Exportindustrie. Vorteile der
WeltvN'irtscIiaft: Die Arbeitsteilung unter den Nationen, die damit ver-
bundene Bereicherung des Lebens. Wirkliche und angebliche Nachteile
der Weltwirtschaft: Die passive Handelsbilanz, die Abhängigkeit vom Aus-
k&de, settweiliger und dauernder Rflokgang des AnfienhaodeU, Yer-
addebungen in den wiitachaftliehen YerbSltnieseii in den NationalslMAen,
Kot der Landwirtoohaft. Die Angaben der deutschen Wirtsohaftspolitik.
H. DmzEL, Weltwirtschaft uad Volkswirtschaft. Dreeden 1900.
K. HKLrvKRicH, Handelspolitik. Leipzig 1901.
F. C. lIi HJiK, Doutscldand als Industriestaat. Stuttgart 1901.
Die HaudelspoUtik des deutschen Reichs. Berlin 1899.
Handels- nnd Maofatpolitik. 2 Bde. Stattgart 1900.
Oldkxberg, Deutschland als Industriestaat. 1807.
JvL. "Woi.F, Das doutsciio Reich und der "Weltmarkt. Jena 1901.
Pom.K. Deut.schlaiid am Scheidewege. Leipzig 1902.
Verhandlungen und iSuhrifteu des Vereins (ur äoziaipuiitik. Leipzig 1Ö73 ff.
An. Wamhb, Agrar- und IndnstriestMt Jena 1901.
Yenehiedene Sohxiften Bukuikm.
d. Oom, Yorleeongen über Agrarweeen nnd Agrarpolitik. Jena 1899.
4. WlUclie Literaturgeschichte seit üoeClies Ted
Privatdozent iJr. M. Scheler
1. Einleitung, Cber.'?iclit über den Gang der deiitscheu Literatur
von Luther bis zu ihrer klassischen Blüte in Goethe und Schiller. Die
allgemeine geistesgeschichtliche Situation bei Goethes Tod: Gemeinsames
und innerer Gegensata in den UasaiBchen und lomanfiBoben Kunst-
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446
Hitteilungea
anschainingen. Was an der Romantik für die pewimte folgende Literator-
entwicklnng typisch ist: a) Fortwahrende Revolution der Form, b) Reflexion,
c) Individualismus. Die Stufen der Romantik: Altere, jüngere. Die
schwäbische Schule: ühhind.
2. Die groAe InteresseDwendiing des deutschen Yolkes
TOD Theorie und Spekulation zu Praxis und Tatsache. Der
realistische Lebenstypus: Die exp^mentelle Natnrfinrschang; der politisdi«
militärische Geist in Zusammenhang und im Gegensatz zu den inter-
nationalen Mächten des Kapitalismus. Der Materialismus als Staatskirchea-
tum und als Revolution: Feuerbach, Stiraer, Gutzkows Wally, Laube,
Strauß. Annette von Droste^Haishoff. Heine als das lyrische Genie der
Zeit Heines StU als Vorbild der Feniileto&istdn. Die neue literarische
Form als Ausdruck eines gesteigerten Lebenstsinpoe. Jonmalist nnd Dichter,
Tendenz und Kunst. Was dieser Epoche fehlt: Vomehniheit, Buhe, geistiger
Oehalt, Universalität.
3. Die zwei großen Dramatiker der Zeit: Friedrich Hebbel urÄ
Otto Ludwig. Charakteristik der Personen und Werke. Otto Ludwigs
Shakespearestudien und sein Angriff auf Schillers Wallenstein.
4. Epigonen der Klassiker: IVatsg, Geibel, Heyse, Graf Schack,
Bben, Bodenstedt Verdienst dieser Gruppe um Kontinnitflt und Aushan
der Form. Das Professorale ihrer Art. Schwächung durch die Historie.
Ihr Verhältnis zu Goethe. Goethe, falsch vei-standen als Gefahr. Scheffel
und seine Freuudo: Die Poesie des Bummelns. Der ältere (romantiscbej
und der neuere Begriff des »Philisters«. Scheffel und der deutsche
Student
5. Vier bedeutende Ersähler: Gottfried EeUsr, Frits Banter,
Marie ron Ebner. Fontanes Bedentoog;
C. Der Pessimismus gegen Ende der 50er Jahre: Der be-
herrschende Geist: Schopenliaucr. Literarische Spielformen von verschie-
denem Wert; Bobert Uamerling, W. HaabOi £. Qriesebach, H. Lonn,
W. Busch.
7. Der Pessimismus als stärkster Xuustmotor der Epoche:
Richard Wagner und Friedrich Nletasehe. Faiadozie dieser Tatsache und
Versuch ihrer LOsung. Nietzsche als Stilist, Künstler und Denker. Was
hedeutet das "Wort: »»Decadeuce«.
8. Das neue Reich: Stimmung der großen deutschen Bii-
dungsträtrcr. Freude und EnttÄuschung. Treitschkes und Wilden!>riehs
Kunstvitrstflhingcn. Wildonbruch al.s Dramatiker und Erzillilor. Ixr.m
als literarisches Zentrum. Literarisches Unternehmeitum : Lindau, Blumen»
thal usw. Berlin mOehte Faria timeln. Beriiner und Pariser LustspieL
Berliner uod Pariser Publikum. Berliner Literatnrkritik. liteiarisohe
SpanuuDg zwischen Sflden und Korden. Die Zeitschrift »Gesellschaft«.
9. Fremde Einflüsse und Passivität des deutschen Geistes
bei größter politischer Aktivität. Literarische Ohnmacht und Bni-
talität des l>ewul5ton, reflektierten Nationalgefühls. Zola und andere
Franzosen, die Norweger und Russen werden gelesea. Der Einfluß Ibsens,
Doetoijewskys und Tolstois im besonderen*
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1. Ferienkoise in Jena August 1905.
447
10. Grflnde des Versuches, alle historischen Voraus-
setzniif^en im Natiiralifimii s abzubrechen. Das relative Recht
dieser Bewegung. Die Bewegung selb.st : Die Oebrüder Hart als Kritiker.
Holz und Sclüaf; Max Kretzer. Die oeuo Lyrik: von Liiienkron. Be-
dfifutoDg. Eklnere Leata
11. Hauptmann nnd Sudermann. Oemmere ChaiakteiiBtik der
Pereonen und Werke.
12. Die Neuromantik als Symbolismus. Pan und Simplioissi-
muB. HoffmaoQstbal und Stefan George. Die HeimsÜnustbestrebungen»
Literatur
P. M. Metbb, »Die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts«. Berlin 1900.
5. Eiafihnug io die histortecben GrundlageD und die f^egenwirtigea ttaipt-
riclitiuigeD der Ethik; Kritik ond Forderangei
Privatdozent Dr. M. Scheler
1. Begriff der iihiIosophi^;ehen Etliik (das Problem dos f?otrates). Be-
streitung der Existenzbereclitigung derselben in älterer und gogoiiwärtiger
Zeit a) durch den ethischen Skeptizismus; seine aggressive und quietistische
Fonn nnd die Ufeaehen adner EncheinnDg. b) Durch die reinen Formen
der Antoritllsethik. Ihre genetische Abhftngiglceit vom franzfidschen Skepti-
zisrnns. Ein neaere^ Beieinel: J. Balfour nnd F. Bnmeti* ro. c) Dorch die
populäre Gewissensraoral. d) Durch den radikalen Individualismus F.
Nietzsches. Das VerfaAItnis des sittlichen Beformators zur Ethik als
Wissenschaft.
2. Aufgaben und Methoden der Ethik. Verhältnis der sittliciien Normen
zn den dttHchen Zwecken nnd Gütern. Kants Methode nnd die teleologische
Ethik (Lotze, Fteolsen). Kann das Sittengesetz ans der »menschlichen c Natur
oder aus der Natur des »Lebens« entwidwlt werden? Entfaltung der sittlichen
Probleme: 1. Verhältnis des Menschen zu sich selbst. 2. Zu ilem Göttlichen.
3. Zum Kosmos. 4. Zur Gemoinsrhaft. 5. Zur objektiven Kultur. Ist eines
dieser Verhältnisse das grundiepv'ndp, so daß die anderen abgeleitet sind
nnd welcheb? Die typischen Ant weiten der großen Ethiker auf diese Frage.
Die SteQnng der EUük im System der Philosophie, besonders ihr Veili<-
nis inr Logik, Ästhetik, P^hologie nnd Metaphysik: Der Primat der
praktischen Vernunft in der gegenwärtigen PhÜOBoj)hie (Chr. Sigwart, W.
Windelband, H. Biokert); der Psychologismus in der Ethik; Herbarts Ver-
such, die Ethik zu einem Teil der Ästhetik au machen. Theoretisches,,
praktisches und ästhetisches Urteil.
3. Die ethischen Richtungen der G^nwart. llir allgemeines Ver-
hältnis zur antiken und christlichen Ethik. Ihre Wurzeln in der Eultnr
der Nenzmi a) Der ütilitarismns nnd seine Entwicklung; Bacon, Hobbes,
Loohek Hume, J. Bentham, J. St MiU, Vr. Ftaüsen. Kritik des Ütilitaris-
mns. b) Der ethische Evolutionismus im allgemeinen, c) Der Evolutio-
nismus in seiner individualistischen und spiritualistisclion Form (Leibniz).
d) Der Evolutionismus in seiner universnlistischen, spiritualisti sehen Form
(Hegel; Wundt). e) Der Evolutiomsmus in seiner universalistischen.
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448
Mitteiluugea
naturalistischen Form (Cli, Darwin, H. Si>eiicer). Die Verschiedenheit der
Kulturbegriffe iu der Ethik des KulturevoiutioDismus.
4. Emgehendera Kritik a) des EvolutioDogedankeDS in te EtMk
übeifaaapt, b) der TerscfaiedoDdii ergiqtionigtiaofaen Systenw.
5. F. Nietz8(dies Kritik des ütUitarisnrafi imd der obigen Eonnen deB
JEiTolutiouismus.
G. Die rationale Gewissensethik und ihre gegenwärtigen Fortbildungen.
Eingehende Entwicklung und Kritik der Ethik Kants und Horbarts. Ihr
Verhältnis zur gcgcuwiii-ügeu Kultur. Cohen, Windelband, Natorp als For^
bildner der Kanttsobeii EÜiik.
7. Fotdenmg und kune BogirOndong des ntiooaleii, obfektiven Ideali»'
muB als erkenntnistheoretische Qrandlage der Ethik.
8. Was folgt aus dieser Grundlegung für das Verhältnis von: Ethi-
schem Emj)insmus und Aprioiismus; Gedonuugs- und ErfoJgsethik; Altruis-
mus-Egoismus?
9. Die objektiven Formen des sittlichen Ijebens und der Wert der
Persönlichkeit
10. Ethik und QeBdiiohtaphiloaophie.
11. Ethik und Beligioa in ihrer tiieistisohen und pantheiatiaoheo Fonn.
Utiratv
F. Jgdl, Geschichte der Etliik iu der neueren PhiioBOphia«. 2. Bd. Stuttgart 1882.
W. WuxDT, Ethik. 2, Aufl. 2. Bd. 1892.
F. Paülsen, System der Ethik. 6. Aufl. Berün 1903.
«H. OoHKN, System der Philosophie. Bd. II: Ethik des reinen WOlana. Berlin 1906.
SooiiL. Eänleitang in die Moralinsseasohaft 2. Bd. (Anastatisoher Kendmol.)
Berlin 1905.
W. WiNDKLBAND, Piühidien. 2. Aufl. Tübingen. Mohr, 1905.
Zur ersten Einführung g\it geeignet:
Paul Hk-n-sjo., llauptprobleme der Ethik. Leipzig, B. G. Teubaer, 1903.
A. MnsBB, Kants Bthiki seine Binfühning in ihre Hauptprobleme und Beitiige n
deren LBsnng. Lsips^^ Yeit k Go., 1904.
Th. tan. Die ethiaohen Oiundfrsgmi. Hambaig u. Jjeipng 1899.
6. lorlatti Pijikaliiie ui Ihn flegier
6 Voriesungen von O* Flflgel-Wandehen
1. Herfaarts Seelenbegriff im Qegensats sa Materialiamiifl^ Monismos»
Dualismus, Idealismus.
2. Die Vorstellungen als Kräfte im Gegensata zur VarmdgeDslehieL
Mathematische Psychologie und ihre Gegner.
3. Vorstollen, Fühlen und Wollen. Intellektualismus und Voluntaris-
mus, ludividuai- und Öuzialpsychologie.
Literatur
O. Ittton» Die Seelenfiage mit Raoksicht auf die neuem WandluDgcn gewteer
natorwissenschaftlicher Begriffe. 3. Aufl. Göthen, Schuhe, 1902. 158 8.
Ders., Über das Verhältnis des Gefühls zum Intellekt in der Kindheit des lodi*
viduums und der Völker. Langensalza, fiermann Beyer & Söhne {ßejv
& Mann), 1905. 0,75 M.
Deis., Der Philosoph J. F. Herbart Leipzig, W. Wdoher, 1905. 1 M.
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1. Fbxieiüauw in Jena Augast 1906
4-49
VL Karte im dm fiaUele dar Kintt
1 ItlMflnItv
6 YorMge mit UehttdUam Fnf. Schaltee-Nannbarg in Suleok M KSmh
1. Hdmatlidie BuiwdM
1. Die Bedentoog der TMUtion in der Kirnst
2. Die bürgerliche Bauweise.
3. Die ländliche Bauweise
4. Ziele und Wege.
Literatar
Das Bauernbaas im deutschen Reiche, herausgegeben vom Verbände Deutsoher
Anbüelcten- und Ingenienr-Yereine.
O. Fano und L. Lvck, Augen auf! Schweizer Btiuzt alter und nener Zeit
Gro-ek, Die Doi-fkin liu im Königreich Saofaaen.
GuRLiTT, Über Baukunst.
MuTHSsius, Stilarchitektur und Baokiinst
Mild, Volkakust
Busow, Hefinatwchnti»
SoBMBiT, Die Kunst auf dem Lande.
ScHrLTZE-XArMBüRO, Kulturarbeiten, bis jetzt erschienen: Band I, Hauabao« Band II,
Gürten. Iknd III, Dörfer und Kulonien. Band IV, Städtebau.
Ders., Die Entütellung uiihere.s Leindes. Flugschrift des Bundes Heimatschatz.
2. Fraueaideidang
1. Die aDatomiachea Bedingungen des KOrpers, in Beeonderbeit des
Frauenkörpers.
2. Die sich aus ihoeu ergebendi ti Kuusequenzen für die Xieidong.
Literatur
ScuuLTze-NAUHBURQ, Die Kultur des weiblichen Körpers als Grundlage der li'raueu-
Ueidung. ^
MidbxSdxiBi Die Befoim der Fnneiildeidaiig «of gewmdhflHüoiieit Onindlsgen.
2. Rifhard Wagner, sela Lehes «ad seia Werk
6 Vorträge mit Demonstrationen Superintendent Rieh. BQrkner-Auma
1. Das Leben. Jugendjahre 1813—1833. Waudeningen 1833 bis
1843. Kapellraeisterleiäcn 1843 — 1853. Irrfahrten 1853—1864. Von
Münclieu über Triebschon nach Bayreuth 1864—1876. Der Sieger 1876
bis 1883.
2. Das Werk. Erster Zeitramn: Jngendwerka, Biena, Fliegender
HollAnder. Zweiter Zeitraum: Tanntaftuser, Lohengrin. Dritter Zeitraum:
Tristan und Isolde, Ring des Nibelungen, Meistorsinger, Parsifal. — Der
Musiker, Der Diciiter, Der rtiilosoph, Der Politiker, Das Oesamtkunst-
werk. Der Gedanke von Bayreuth.
Uttratsr
Wfike und Briefe:
Kicimid Waguerb gesammelte Schriften und Dichtungen. 10 Baude. Geb. 25 2L
Biohiid Wagners inohgel— sene Werke.
UtMliriR Hr FküOMfU« u4 FMieotlk. 12. Jahigu«. 29
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450
Mitteiloogom
Briefwechsel zwischen W. und Liszt
R. W. an Mathilde Wesendoni, TagebndiliUtler nad Briefe.
Briefe yon W. an Otto Wesendonk.
Briefe von W. an EmU Heofcel, «D EliM Wille, an Aqgnsfe BSokel, aa Uh%
Fischer und Heine. .
Biographien:
Cabl Fu. GLAaENAPP, Das Leben Richard Wagners, in sechs B&ofaeni. Leipzig,
Breitkopf k BSrteL
HovsiOR StBWASD GBUnmLAiR, Biohaid Wagner. Zwei Ausgaben, eine grate mit
saUreidien Abbildungen und «ne wohlfeile nur mit Text. München, Bmcbnann.
WiLüKLM KrrNZT l^ichard Wagner. Die Oesamtkonst des 19. Jahrhonderin. Jlön-
chon, Kirchhoim.
Ocmo Adlkh, Richard Wagner. Vorlesongon gehalten au der Universität zu Wien.
Leipzig, Breitkopf & Hirtel.
VN. SpracUamo
1. ieitiche SprMke
1. Sptaddaimia fiir Anfinger: Oberiehxer H. Landfliaiia
Der Spraoh-EarBus stellt sich ab Anllgabe: lIQndliche und sdhrift-
lidbe DaisteUnng der Oedanken. Zahlreiche nnd plaomStigr angeordnete
Sprechübungen sind das Hauptmittel. Alle Stunden tragen daher den
Charakter der ausschließlich deutschen Unterhaltung. Grammatische
Übimgcn schließen sich den gelesenen und besprochenen Stoff an.
Gelegenheit zu schriftlichen Übungen. (( bungsstoff : Jena imd Umgebung.)
Der Kursus umfaiit 18 Stunden (vom 3. — 9. August : 8 — 9, vom 10.
bis 16. Angost: 8 — 9 und 10 — 11) und sechs Spaziergänge, die m dem
ünteirioht in enger Beiiehnng stehen. (8. die WoehentafeL)
2. Sprachkursus für Fortgeschrittene: Seminar-Oberlehrer Fr. Lehmenaick
Die deutsche Sprache der Gegenwart
18 Standen Tom 8. — 12. August: 9^10 nnd 4 — 5
GrondzOge der deutschen Grammatik nnd des deutscheo Stiks
abgeleitet aus deutschen Schriftwerken
VorleBnngBn, Lektflie, Unterweisungen, Übungen
1. Deutsches Mttr<^n.
2. Deutsche Sage.
3. Deutsche Frzählung.
4. Deutsche Poesie.
5. Deutsche Kunst.
Anzuschaffen sind nnd benatzt werden: Ihälinger Sagen. Leipiig, Heinxidi
Biedt, 1902.
Beiofae literatorangaben siehe in dem Hefte von HAxna&a, Zorn dratBoliaii
Unterricht (Verzeichnis empfehlenswerter Bacher für Lehrer und Lohrerinnen zur
Vorbereitung für ihren Beruf wie zu ihrer wissenschaftlichen Fortbildung), das als
2. Heft der Schriften der Päd. Gesellschaft erschienen ist bei Bleyl & Kämmerer
Dresden. 1 M.
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1. Fehenlnurse in Jena Angost 1906
451
2. Eiglisehe Sprtehe
Pngtish Convenation and Literature Classes: Miss. Catherine J. Dodd, Ihe
Victoria Uuiversity of Manchester
1. Elementary Claas for begiouers
ThiB ooime indadeB rery easy oouverBaftioa, the zeadiag of easy
proee and poetiy, fhe writing of easy oompositioii and dioCatioD.
Subject Matter, a) Prosa 1. A Fairy Tale The Sleeping
Beatity. 2. Fables. The Town and Conntry Mouse. The fox and the
Crow. Mercury and the Woodmao. The Goantry Maid and the Alilkpail.
b) Poetzy for Children.
He was a rat
I oooe had a aweet litüe doli Kingsley
Hie Chfld and tlie Lamb Blake
Lady Moon Loid HoughioD
The Violet Jane Taylor
Lullaby Sir Walter Soott
The Mountain and Squirrel Emerson
The Montlis S. Coleridge
The YiUage Blacksmifh Loogfellow
Hethod. Simple nanative, spoken dowly and distinotly, interapersed
with many queetionB and recapitnlations. Dictation and otfaer written
exercises will bo given daily, also exercises in reading and pronunciation.
Not less than two English walks will be arranged.
Bocks lequired. 1. Fairy tales. 2. Aesop's Fablee. 3. Selectioo
of Children 's poems. 4. Selection of Sehool poems.
2. Advanced Class for members who can speak and understand
ea^y Engliah. Simple lectares on topioa ooimeoted irith litentme with
psoses for oonvenation. Beading alond. Subjeot Matter. Seteetfons from
Tennyson. Browning. Bunyans Pilgrims Progress. Shakespeare As you
likc it. (All liookR will be providcd. Two English walke will beamngedi
and a Shakesperiau reading in tho forest.)
Books required. 1, Pied Piper of Hamolin. Bro\sTiing. 2. Selec-
tioüs from Browning. 3. Sclectioas from Teunysou. 4. As you iike it.
Shakespeare. (Stead*s editions of the above books).
8. IlMniilachs 8|iMcks
MoBSieiir Jules Dietz, de Oeneve. Lehrer der französischen Spnohe am
Großherzogl. Sophienstift in Weimar
1*^ Revue genüiale de l'histoire de la litt6rature frau9aise,
12 Conferences.
Ddreloppement de la littfaatore fean^aise, du moyen age jusqu'A mos
joora Les rapporls areo l'histoire de la oiviliSBtion. Oonp d'<Bil sor la
formation et la transfonnation des genres: ^popte, loman, trag^diei
oom6die, po6sie lyriqne.
Ouvrages recommandös:
Gaston Paris, Histoire de la litterature fran<;^ise au moyen Ige.
Maurice Bouchor, La Chanson de Koland, traduite en vers (1 franc).
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452
Mitteilongen
Le Bidois. La vio dans la trag^ie de Racino,
Lenieat, La satire en France au moycn äge.
„ La Com6die aux 18e et 19e si^es.
Rambaad, Histoire de k dTfliaiKtkHi fnm^aifle.
Le Breton, Le Boman anx 17e, ISe^ 19e BiddeB.
Branetidre. Evolution des f^tires.
„ Epoquos du Thöätro frantjais.
„ Evolution de la poesie lyrique.
„ Manuel de rHistoire de la iitt6rature feangaise.
Lanson, Histoire do ia Utt6rature fraoQaise.
2* Bxeroioes pratiques (aoasi poor las oommeDpants) 12 con-
f6renoes.
Lecture, tEaduotioii, convanalioD, imptoviaation, rUaotioiL Sujets
TBiies, ohoses vues ou lu^.
Lccturo et traduction: Le Monde oü Ton s'ennuie pai* E. Pailleroa
(Velhagon et Klaaing). Un choix de contcs et röcits faciles sera rais h
la dispositioD des j|[>articipaiits. Des promenades dans les environs de Jena
Bont adapt^ k oes amzs.
Ire promeiiade: Jeudi, 4 aoüt, SohwdierilBlie. Bende^-TOfna, Yolks-
hsoB, 0 heuQB.
2. »Die nene Sohtilec
£ia Beitiag nur Oeadiiohte der neuesten Untemohts- und BnielHingiMnethodea ta
Frankreich
Von P. Thiry-yexneafl
(Fortsetzung)
Werfen wir jetzt einen flüchtigen Blick auf den in der Schule be-
folgten Stunden- und Studienplan, so merken wir, daß manches vom neuer-
dings in die »lyotee« und »odli^« eiiigefOhrtan Ftagramm abweiolit
Ek> wedieelt z. B. der Stundenplaii mit jeder JahresMit; die Scbola beutst
einen »boi&irc d'hivers »horaire do printemps« imd »horaire d'6t6« . M
TTm sechs oder halb sieben läutet die Glocke zum Aufstehen. Gleich
macht sich der Capitaino geltend, der die Schlaf lustigen zu sofortigem Auf-
stehen aufmuntert; gleich nach dem Morgcngobet (das joder Scluller frei
für Bich verrichtet) zieht der Junge seineu Bademantel au und läuft zum
Badesimmer, wo er eine BehnBekondeidange Dondie nimmt (dies geBohiebk
sa jeder JahresMit); Bad mit Toiletbe nimmt hOdiateiiB eine halbe Stande
in Ansprach. Darauf folgt eine halbe Stunde Vorbereitungsarbeit (sie be-
trägt täglich, je nach dem Alter und der Klasse des Schülers 2 V, bis
das Vesperbrot (das je nach der Jahreszeit aus Schokoladetftfelohea, aus
*) Das Schuljahr serfiült in drei »trimeetreec oder >tennes< ; »trimeatn
d'hiver«, vom 1. Oktober bis ziim 20. Dezember: »trirncstrc de printemps« vom
18. Januar bis Ostern: »triiuestre d'et^c, der nach 24tägigea Ferien aaülagt; die
Heriatfeiien danem 2 Monate; aoBer der drei Trimesteiterien gibt es keiiM sck
genannton ipctites vacanoes«, wie also zu Pfingsten, zu Fastnacht, am 14. Juli usw.
Diese £inrichtiui£ hat zur Folge, daß der Schüler während 12 — 14 Wochen »on-
untaibroohenc aneitai kann.
^ V
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2. »Die neue Schule«
}.-,:>,
6 Standea). üm 7** Iftntet inederam die Glooike; dann wird das
englische »breakfast« eingenommen (aus Eiern, kaltem Fleisch, Schokolade,
Milchkaffee oder Tee und ^pornd^c -Suppe bestehend). 20 Minuten vor
acht worden, immer unter Aufsicht des Capitains, die Betten von den
Schüleni selbst gemivclit. Dann werden die für die Klassen nötigen Schul-
bücher oder »hefte gepackt Funkt 8 Uhr strOmeu s^imtliche »gar9ons«
(die in der 1 km entfanrteo »Gnichaidi^« wohnenden benntaen meialai-
teils das Fahnad) ins »BIftiment des oHasses«, wo mit respeIrtiTen Fensen
von 5,20 und 5 Minuten die Elasaensfamden gilben werden. Also 4
Schulstunden nacheinander, was vom alten zweistündigen Ijehrsystem
wesentlich abweicht. Die dem Unterricht gewidmete Zeit nimmt den
ganzen Moriron ein (von acht bis halb eins). Den Rest des Tages füllen
die S[)ortübungeu oder bogenaunteu vtravaux pratic^uos« aus. ^) Selbat-
versttndHofa gilt diese anacheinKoh freie Zeit als Arbeitsseit — Üm
12*^ kehrt jeder Schiller in sein Heim, mn das lüttageesen (das ans
3 Gingen und einem Nachtisch besteht und 30— 40 Minuten daniwt) ein-
zunehmen. An diesem Mittagstisch nehmen alle im Hanse anwesenden
Lehrkräfte teil; jetlermann darf frei roden: nur muß am Ilaupttisch
französisch, am zweiten englisch, am dritten deutsch gesprochen werden;
jeden Monat befinden sich die Jungen au einem dieser 3 Tische, was zur
Folge hat, d&ß die Teradhiedenen »öhefis de table« d. h. Lehrer, den Zög-
ling ebensogut wie in ihrem ZimmeTi in der Kkisse oder anf dem Sport*
feldo kennen lernen und erproben kOnnra. Zwanglos herrscht die mimtere
Unterhaltimg (an der öfters fremde Besuclier oder ehemalige Schüler teil-
nehmen) imd natürlich wird auf korrekte Haltung des Schfllen sehr viel
Gewicht gelegt.
Nach dem Mittagessen, während des darauffolgenden ^teraps iibi"e«,
rflsten sitiii die Knaben zum Sportspiel; die gewöhnlichen ArbeltaUeider
werden gegen die SportUdder gewechselt Punkt 2 Uhr fangen die
Sportspiele an; diese Übungen werden von englischen, musterhaft dazu
befiUiigten Lehrern geleitet; im Winter wird Fußball (»nigby« oder
»aasociation ' ) gespielt; an regnerischen Tagen findet ein Rennen oder ein
»rally-paper« statt; im Sommer spielt man >cricketf, »lawn-tennis« oder
»hockey«. Während eine j>6qui[)e« derart beschäftigt ist, nehmen andere
Boxe-, Fecht- oder Musikstunden. 2)
Üm 3'^ nach Beendigung der Spiele, kehren alle SchQler in ihr
HfMis, um nadi einer Angenommenen Doudie sidi umzukleiden; dann folgt
Konfekt (aus Nüssen, ÄpfeLi oder Birnen mit Brötchen bestehend); zwei- oder
dreimal wöchentlich wird der englische »five o'clock tea« eingenommen;
*) CHiemie, Physik, geologische und botanische Ausflüge, Schreinerei, Buch-
binderei, Bearbeitung des Holz^ mid des EiseiiB, Gärtnerei, Besuche von Bauoru-
hüfen und Fabriken aller Art usw. — In einem folf^cnilnn Aufsalze gedenkt der
Verfa.sser über diese originelle Einrichtung des praktischen Studiums, sowie über
spezielle 8]*ortül>ungen, Hasik, literarische oder wiasensohitfttiohe Yortrige und
Abendversammlungen ein weiteres Wort zu sagen.
') Die Schule besitzt ein etwa 20 — 2ö Schüler und Lehrer zählendes Streidl-
orohester, das von einem in Paris wohnenden und einmal wöohentiioh rar Schule
kommenden ber&hmten VioUnTiitaosen geleitet wird.
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4Ö4
MitteilangOB
jeden Tag nehmen die Capitains an der table ä the< mit Leiter, Lehrern
und sonstigen llerron und Damen Platz. — Um halb fünf treten die
Knaben in den Studicrsaal , um unuutcrbnjchen 2 Ys Stunden lang zu
arbeiten; die Oberleitung der »etude« liegt dem Capitaiue ub; streogeä
SfiUaohireigflD inid beobachtet; taOa «in Sohfllfir & allgfwnmiw Stille
unterbricht oder döh auf iigeod welche Weise sdiledht beoiinmt, ao wird
Bein Name in das sogenannte »cahior d'6tade< geschrieben ; das Heft wird
jeden Abend dem Hausleiter gezeigt und es erfolgt eine sofortige Maß-
regelung. •) Um 7 Uhr klingelt es zum Händewaschon ; dann beginnt das
Abendessen; eine hali)-tündige »r^'cr^'ation«: ; dann eme lialbe Stunde oder
eine Stunde Vorbereit ungsarbeit; um 9 Uhr (resp. S^t Ulu* für die
Kleioeren) wnd zun SoUafeDgehen geUntet; um 9 V4 Uhr, naoh eiAdgtem
Lesen der Zensuren des Tages, nach kurzer Anrede über einen beUebigeo,
wichtigen Punkt dos »r^glementc, und Lesung einiger Zeilen aus den
alten oder neuen Testament, mit Kommentar, oder aus einem moralischen
Werke, geht der Schüler, nach krj|ffip:em >f;hake-hands«, unter Anwesenheit
des Leiters, seiner Uattin und der verschiedonen Lehrer, allein zu fiette.
Um halb zehn ist alles still im Hause.
So nimmt der Schultag sein Bnde. Bb Bohfliut m» »tmmfiglichs den
Schüler einen besser ausgefüllten und abwechBelungsreidieren Tageskuf la
bieten, besonders wenn man ins Auge faßt, daß hier, Sonn- und Feiertage
ausgenommen, von keinen Ferientagen (wie Donnerstag in den übrigen
staatlichen und freien Anstalten) die Rede ist. Wahrlich, hier scheint mir
die Frage der »Maximalarbeitc mit der »Maximalfreiheitc aufs glücklichste
gelüst zu seini
*
Werfen wir nun einen weiteren raschen Blick in das ünteiriöhtaweaeii
der Schule. Zunichst sei bemokt, dafi sämtliche Lehrer (der ftlteste aSUt
34 Jahre), mit Ausnahme der Ausländer, dem staatlichen I>ehr&ch an>
gehören ; alle, mit Ausnahrae des katholischen und ]>rotestanti5chen Seel-
sorgers, sind Laien (etwa 70 ''4 der Schüler gehören zum katholii^-hen
Bekenntnisse, ca. 28^0 dem calvinistischen , lutheranischen oder angU-
kaniscben, und ungefähr 2 % orthodoxen Eirohe an). Alle Lehrer be-
sitzen die im Sekundaannterricht meistens eocforderliohe lioenoe-da-kttrea
oder ds-sdenöes, oder das im Primanntevrioht nolwendige brevet &&-
mentnire oder snjx'rionr. In gewissen Klassenabteilungen wird auf das
bei den französischen Familien so beliebte »baccalanivat* vorbereitet: jenes
baccalaurrat ist bekanntlich, kraft eines vor 2 Jahren erschienenen miui-
sterieUen Erlasses, in 4 Sektionen eingeteilt worden, nämlich: >>latin-gTec«;
>latin-sciences€ ; latin-hmgues« und »scienceb-iangues«. £s wird uiemaud
Wunder nehmen, daB in einer nach gana modenen Begriffen eingerichteten
Schule, mehr Gewicht auf die Praads als auf die Theorie gelegt wiid;
auch sind demzufolge die beiden letzten Sektionen die von den Zöglingen
bevorzugten; ja die eiste Sektion: die »kitin-greo Gombinationc (ein Über-
' ) t'her die vcrs( hiedeticu in der Schule verliängteu Strafen wird im späteren
Auföatzo gesprochen werden.
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2. »Die neue Schule«
455
rost des streng klassischen, d. h. ia mancher Hinsicht ganz unpraktischen
früheren Untcmchtsvcrfahrens) existiert gar nicht in der Schule, was die
> Abscliaffung des Griechischen« und das Aufblühen und (iedeihen des
ueusprachüclieu Unterrichts zur glücklichen Folge hat
Bei nflherar Betrachtung des UntamchtssysteiiiB wird dem fremden
Beeoeher am Bieisten auffallen, dafi der Eriemimg der Sprachen
der Hauptanteil zufallt: in dieser ffindöht bietet die »Ecole des Roches<
ein in Fi-ankreich noch nie dagewesenes und ganz eigentümliches Bild und
führt zu ganz ausgezeichneten Ergebnissen. Dieses Resultat verdankt die
Anstalt dem sogenannten >stage eu Angletene et on Allemagne«, d. h.
der den Schülern, vom 8. bis zum 14. Jahie auferlegten, in England und
Dentsohland aasubriDgendeD FlrobationBaeit; dieeer Aufenthalt im Aoalande
dauert 0e nach den geistigen Befthigangen dee Knaben) drei, aechs, neim
Monate oder ein Jahr, und findet in Eraehnngaheimen statt, die mit der
Schalbehörde in direkter Verbindung stehen, und womöglich über eine der »Eoole
des Rochesf ähnliche Organisation vei-fugen. Das Endresultat dieses Systems
ist, wie gesagt, ein auffallend günstiges und in jeder Beziehung erfolgreiches.
Freilich, mit der Annahme dieses Prinzips des Aufenthaltes im Aus-
lände hat die Schule eigentlich nichts Neues geleistet, insofern dieses ja
schon in manchen »ljc6eac nnd »coUdgesc dnrchgefOhrt ist Aber Hot
Demolins' Verdienst» bei seinem 96ystemati0ohen« Yerfshien, liegt darin:
In Frankreichs meiaten Erziehungs- und Bildungsanstalten ist nämlich diese
Maßregel nur eine ausnahmsweise, eine außerordentliche ; auch bleiben die
meisten Schüler »lyceensc oder »collegiens« höchstens während der llorbst-
ferien im Auslande, was ihnen, bei oft unüberlegter Walü des fremden
Heimes, beinahe unmöglich macht, in so beschränkter Zeitfrist das fremde
Idiom auch nur teilweise beherrschen su lernen. Hier dagegen Terfafllt
flieh die Sache gans anders, und daa Endeigebnia ist darum auch ein gans
TOESchiedenee. Die Schüler erwerben sich auf diesem Wege einen
gewissen Fond soliden Wissens, der ihnen später das I^esen moderner und
klassischer Werke ermöglicht und sie zur Konvorsation in der betreffenden
fremden Sprache befähigt. Dieser erste einiri lirachte Fond bildet nun ein
nachlialtig kräftiges »substratumi, das sich dem Uedächtnisse desto fester
und dcberar Mnprägt, je mehr die Kenntnisse bei jungen Jahren erworben
worden sind. Bevor man in einer fremden Sprache schreiben lernt, kann
man in derselben zunächst sprechen, eine Unterhaltung im Gange lialten
und beinahe >fremdsi>rachlich denken«^. Und siehe! dies ist eben der
Endzweck der olien erwähnten, vor zwei Jahren in Frankreich so glück-
lich eingebürgerten und verfolgten Methode, genannt »methodo directe«,
oder »muthode intuitive«. — Aber, was bis jetzt in den »milieux universi-
tairee« mit so großer Mfihe und dmeh S oder Satfindigen wöchentlichen
Unterricht TerwirUicht worden, mit Hilfe der sogenannten »Glaasea de
Converaationc, dies erzielt, auf tganz natQrlichem Wegec, ohne jedweden
Zwang, und nur mit Hilfe >naturgemäßer« Mittel die Schule >les Roches«. ^
Übrigens beeint räelitigt diese Pmbationszeit im Auslande keineswegs
den normalen Gang des nousprachlichen rnterrichts, der im l'ntemchts-
zjkius immer eine kapitale, auf der unbedingten Notwendigkeit der Er-
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456
lliiteiliiDgeD
lemuog freuidtir Spraclieu beriüieude Holle spielt Auch hat jede KlaasQ
swa Sektionen, die eine fOr die achirfldieren, die andere für die tfiohtigerai
Schiller; wie in allen andem ünterriohtsfikäieni, seigt die Schule andi in
diesem Fache ihre spezielle Eigenart: denn im Zusammenhaag mit den
Klassen, die hier seit »fünf« Jahren (in den übrigen Anstalten erst seit
»zwei« Jahren) immer im fremdländischen Idiom gelialten werden, wobei
des Lehrers Augenmerk besonders auf die Erlernung des Vocabiilars, der
Biegungen iukI der einlachsteD Hegeln des Satzbaues gerichtet ist, müssen
sidi die Zöglinge der »Eoole Nonvelle« anoh aafier der Klaflaenwit speziell
in der Konversation flbeo. Und damit das beidts angeeignete Spndi^
material nicht verloren gehe, stehen den Schülern dentsche und englische
Lehrer fortwahrend zur Seite; bei Spaziergängen, wie während der Sport-
flbungen, während des Essens und während der Spielstunde, überall bietet
sich da dem Knaben Oclegeulieit, das schon Erlernte zu vervollständigen
bezw. zu vervollkommnen in iTorm leutseliger, zwangloser Unterhaltungen
in fremder Sprache.
moht lange hat das Enderg^m'a dieser stieogen Schnlmig im neo-
sprachlichen ünterrlcht auf sich warten lassen nnd die Folgen des Systems
sind bei verschiedenen Prüfungen von unerwartet glänzenden Erfolgen ge-
krönt worden. Im Abituriontenexamen , bei der »mündlichen« Prüfung,
sind die meisten Schüler »des Koches < glänzend durchgekommen; einige
haben, z. B. im Englischen die Zensur »sehi- gut' erhalten. Alles dies
▼erdanken sie ihrer Beherrschung der fremden Spmche (etwa 70%
Schiller haben schon mit ihrem 12. Jahre einen mehrmonatigen Anientliatt
in EngUmd zu verzeichnen). Für die meisten ist diese Obcädegenlieit von
entscheidender Bedeutung beim Endresultate des Hauptezamens gewesen;
nicht selten sogar wurden manche Schüler »cum laude« angenommen, dank
ihrer Meisterschaft im Englischen oder Deutschen. Bedenkt man nun,
daß sich etwa 90^0 ^^i' Schüler später verschiedenen Zweigen des
Handels, der Industrie oder der Kolonisation widmen werden, so sieht man
gleich, dn, von welcher Wichtigkeit fOr das wettere Leben diese Sprach-
kenntnisse sein werden, und wie, dem Wahlspraoh der Schule entspraeheod.
Jene Knaben in späteren Jahren wohlgerüstet sdn werden fOr das Leben
(bien arm^s pour la vio !).
Soviel über dieäuüere und innere Ausgestaltung der Schule »les Boches«.
• ^ ♦
Werfen wir nun nochmals einen ROokUick auf das oben in den
Orundrisseo und HaupÜinien Skiziierte, so kommen wir sn folgender
Schlußfolgerung: Was die Schule »les Bodbes« von allen andem französi-
schen Erziehnngs- und Tlntemchtsanstalten unterscheidet, was ihr das Ge-
präge der Neuheit vcrleilit, kann in drei, von Ilerru D. in dem schon
oben erwähnten Werke (»Tilducation Kouveile«) trefllich zusammengeiaüteo
Hauptpunkten klai-gclegt werden:^)
^ 1. Das Leben im Freien: das eine geiadesn eEstannliche Wirkung
auf die Knaben ansDbt, insofom es als natuigemftfles, eoeigisofaes Ab-
leitungsmittel gegen alles BOse und Lasterhafte in Oedanken und Tat dient:
>) r^auoaüon Noavelle, Chap. II et IQ.
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2. »Die neue Sohnle«
457
die Handarbeiten (Tischlerei, OärtDerei, Buchbinderei, Bearbeitung: des
Holzes und Eisens), dio S|>ielo unter freiem Himmel, die verschiedenen
Sportübungen, die gt'sundheitlichen Hilfsmittel (wie kalte und warme
Bäder, tubs, Douchen): alles das übt einen ebenso kräftigendeu Einfluß
«nf das Bändee Seele ans» wie die erteHten atüicheii fiateohUge (die
UbrigeDS bei uns ebeneogat als moralieoher Faktor gebfandit -werdeo wie
in ükn sich doee guten Bnfee erfreuendra andcn n Anstalten).
2. Das gemeinsame Arbeiten und Zusammenleben des
Lehrers mit den Schülern: Dank dieser Gemeinschaft des Lehrers
mit dem Zögling im Handeln und "Wandeln, erblicken die Knaben im
Lehrer nicht (wie leider so oft geschieht), einen Hemi, der bloß da ist,
tun Stunden zu geben, Arbeiten zu korrigieren, Zensoren zu erteilen,
Stiafen m diktieren, sondern ▼ielmebr einen Freund, einen Batgeber, der
alles mit ihnen gemeinschaftlich teilt und mitfühlt, der an ihren Freuden
und Leiden innigen und uneigennütsigen Anteil nimmt. Der Lehrer ist
es auch, der mit den lieben Eltern in regem Briefwechsel stellt, der sie
gerne bei Schulbesuchen empfängt, mit ihnen über den ^jungen Wildfang«
spricht ; kurz, der, soweit es ihm seine Kräfte erlauben, für das gemeinsame
Vöhl des Kindes und der Familie mitarbeitet : mit einem Wort, »der Lehrer ist
dem Sdifller ein Fiennd, d^ Eltera ein Mitarbeiter im Era^nngsgeechftft«.
3. Die Gegenwart des Weibes im Hanse resp. in der
Schule. Die Idee, welche leider bis tot ^nigen Jahren als Grundlage
des Erziehungssystems obwaltete, war diese: völlige Abwesenheit des
Weibes von der Schule! In der »Ecole des Koches« dagegen führt die
Frau (sei es die Gattin der Hausleiter oder Professoren, sei es die in
niederen Klassen von den meisten Erziehern mit Recht bevorzugte Pro-
fessorin) ihr mUtterlicfaes, mildes, wohltuendes Regiment; dank der Gegen-
wart des Weibes in der Anstalt, dank seiner mütterlich eingreifenden
"Wirkung wird das Schulheim zu eiiior wahren »Filiale« des eigenen
Familienheime.^, des väterlichen Herde.s. Viehnohr: die Gegenwart des
Weites gewöhnt den Knaben an bessere äußere Haltung, an höfliches,
sittliches Reden ; sie bürgert in die Schule soziale Lebensverhältnisse ein,
die denjenigen des späteren »offiziellen« Lebens gleichkommen; sie macht
ans der Schule ein trautes Duniliennest^ verleiht derselben ein heimisches
Aussehen, und widerspricht dem so sehr Tersehrieenen Gleichnisse der
Internalsschule mit der »Kaserne • ; sie beugt endlich einem wichtigen,
dem Kinde beim Eintritt in das Ijeben vorkommenden 1 bei vor ; d^-r
plötzlichen Entdeckung des Weibes, welch lefztf^re in moralischer Hinsicht
SO schwere Folgen für den lebensuneriahrenen Knaben mit sich bringen kann!
So Tersteht man hier in der »Ecole des Boohesc die Aufgabe der
Erziehung; so versteht man das ideale Werk des Lehrens und Lernens;
so versteht man die Wirkung des Lebens im Fr^en auf Körper, Geist
und Seele; so endlich sucht Unterricht und Erziehung auf die soziale Zu-
kunft des Kin<les Einfluß auszuüben, so bildet man vorurteilsfreie, stark
individualisierte, charakterfeste und sitthch vollkommene Weltbürger.
(Ecole des fioches, Verneuil [Eure] Ende Dezember 1904).
(Schluß folgt).
Digitizedbyt^OOgle
I Philosophisches
Partsch, Dr. J., Mitteleuropa. Gotha, Justus Perthes, 1904. 463 Seiten.
Die Eigenart dieses vortreölichen Buches und der Reichtum seines
Inhalts sind so groß, daß ich zweifle, dem Werke in nachstehender Be-
sprechung voll gerecht zu werden; und gleichwohl meinte ich, die Leser
dieser Zeitschrift und namentlich die Pädagogen auf dasselbe aufmerksam
macheu zu dürfen, als auf ein vorzQglich geeignetes Hilfsmittel zur Be-
lebung des geographischen (auch geschichtlichen) Unterrichts.
In uusenn Buche sollen *die Länder und Völker von den Westalpea
und dem Balkan bis zu dem Kanal und Kurischen Haff« dargestellt
werden. Ui-sprünglich als Einzelband eines großen Werkes gedacht
welches unter der Leitimg von John Mackinder (Oxford) um die Jahr-
hundertswende erschienen ist, und welches in 12 Bänden die Länder des
ganzen Erdkreises dai-stellt, konnte die Arbeit des Verfassers in diesem
Rahmen nur verkürzt aufgenommen werden; so erscheint sie nun tm-
verkür/t und den Bedürfnissen des heimischen Leserkreises entsprechend
neu bearbeitet; luid hierbei sind die Veränderungen berücksichtigt, welche
der seit erster Abfassung verronnene fünfjährige Zeitraiun erforderte.
»Mitteleuropa« umfaßt nach unserm Buch das Deutsche Reich und
Österreich - Ungarn , femer Bosnien, Serbion, Bnlgarien, Rumänien und
Holland, Belgien, Schweiz. Die Orenze nach Osten liegt passend da, wo
Ostsee und Pontus sich am meisten nähern (Königsberg — Odessa) wnd
hiermit fällt ja die Grenze Rußlands zusammen. Die Ausscliließung der
drei großen sfldeuropäischen Halbinseln ist gleichfalls selbstverständlich.
Bezüglich der Abtrennung FrankTeichs war dessen ganz abgesonderte Ge-
staltung des Stromnetzes bestimmend. Es liegt wolü aber noch ein innerer
wesentlicher Gnmd für diese ganze Begrenzung Mitteleuropas vor, welcher
die Umschließung so verscliiedener Völkerteile rechtfertigt. Der Verfasser
gibt ihm an anderer Stelle folgenden Ausdnick: »Wird der Kampf, der
heute Mitteleuropa tief bewegt, sich beruhigen? ... 0 nein! Das Selbst-
gefühl der Nationalitäten ist tiefer begründet. Die Zeit verschärft es. in-
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I Pliilo80i)hisches
459
dem sie die Eigenart je<les Volkes zu voller Durchbildung brint^t. . . In
dem Wettstreit so vieler Kulturen, die auf seinem Boden sich begegnen,
liegt der Reichtum des geisligeu Lebens von Mitteleui-opa begründet, aber
gleidueitig auch dio emsteBfee Gefahr für die Sidierheit seineB BestaDdes.
BornblgeDd wirkt indes eioe Tatsache, weiche keine nfttfonftk LeidfiOBcbaft
aua der Welt schaffen kann: das praktische Bedüifnis aller Lünder Mittel-
europas nach einer dem Verkehr vermittelnden gemeinsamen Sprache. Ver-
gebens gibt madjarisches Selbstbewußtsein oder rumänische Koketterie, die
mit dem Fi-anzösischen liebäugelt, sich den Ausclieiu, als sei über die
Wahl dieser Spnushe noch ein Zweifel möglich. Diese gemeinsame, von
Galats und Sophia, von Triest nnd Antwerpen bis tief nach Rnfiland
liiii i:i im Verkehrsloben heimische Sprache ist tatsächlich bereitB vor-
banden: es ist das Deutsche. Nur die zurQckgebliebenen Länder, Monte*
negro und Sorhion mögen jetzt noch eine Ausnahme machen. Das ganze
übrige Mittelt'urupa gehOrt bewußt oder unbewußt, gern oder widerstrebend
zum germauischeu Kulturkreis.«
Was greift doch alles in die Gestaltung des Relief eines so weiten
Gebietes ein. — Umlte VorgSnge und neues Geschehen bestimmen das-
selbe: geologische Ablagenmgcn, Faltungen, Senkungen, plutonischo Erup-
tionen, Erosionen vom Einfres!<en eines einzelnen Wassorlaufs bis zur Ab-
rasierung eines ganzen, eiiiat hoch aufgericlitetfn Gebirges; da/.u das
Wiiken des Meeres iu Zerstörung und Aufbau, und die tief eingreifende
Wirkung der Gletscher und Bisseit ünd nicht nur das Belief imd die
Geognode des Landes wird damit bestinunt, sond^ mit ihnoi zuglddh
alle Lebensbedingungen der Bevßlkenmg: Fnichtbarkeit. Schätze des Berg-
baues, Zugänglichkoit, materieller und g*^istigor Verkehr über Wege, Flüsse
und Meer. — In diesem weiten Zusammeuliange bespricht der Verfasser
im ersten Drittel des Werkes cmgohend Relief und Landscluiftsbild der
drei Abteilungen des Gebietes : Kettengebirge des Alpinen Systems, SclioUen-
gebirge Mittelearopas, Norddeutsches Tiefland und Deutsche Heeie. Da
sehen wir die großen teUweiae schon wieder abiasierten al^nen Faltungen
aus der Tertiärzeit, reichend von den Seealpen bis Wien, sich fortsetzeud
in den Karpaten und in Schleifenform zum Balkan, an dosson Ostraiul das
Faltengel)irge, im Pontus versinkend, in Krim und Kaukasus wieder auf-
taucht. Diese im allgemeinen nordwärts geschobene Faltung der vor-
tertiliea SohiditeiL hat die gleichartigen nördlichen Schichten nur wenig
berflhrt Zwischen den alten, teilweise bis zum Sockel abrasierten Oe-
birgsmassiven Rohmens, des Ober^ und Niederrfaeins und Harzes gelagert,
haben sie der Faltung halt geboten. Diese vortertiären Schichten sind in
Mitteldeutschland stufenweise zum Teil bis zur Kohl>'nfoniiatirin bloßgelegt,
in Norddeutschland aber von jüugerea Ablagerungen verschleiert
Wie in diesem Tsile des Buches ohne ROcksicht auf poUtische
GrenieD, aber immer die Beriehungeo auf VolkawirtschafI, Yerkehr usw.
im Auge, Belief und Geognosie duich das ganze Gebiet hindurch im Zu-
sammeobange behandelt wurde, so werden wir auf weitem 120 Seiten
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460
Besprechungen
durch, das ganze Gebiet umfassende Darstellungen über naehstohenlo
Wissenszweige unterrichtet: über das Klima, die Völker, die Staaten-
bildung, das wirtschaftliehe Leben. — Da sehen wir die Sttae der
TUker vor and nadi der YOIkerwanderong nnd deren heutige Yetteihmg.
Wir erhalten einen kurzen Überblick über die Staatenentwicklmigeii und
bis in die neue Zeit hinein Einblick in die politischen Stellungen der
Einzelteile unseres Gebietes. Wir übersehen die Gaben der Pflanzenwelt,
den Wald- und Ackerbau, die Viehzucht, die Schätze des Bodens an
Erzen, Brennstofteu, Salzen und in Verbiodung mit dem allen das Wirken
nnd den Erfolg menschlichen Fleißes.
Es folgt ein, dem dritten *M des BnclieB einnehmender Abschnitt
fibersohiieben: tEnltnigeographiec Obgleidh hier die poUtisdien Ab-
grenzungen nach GebQhr hervorgehoben werden, sind doch die Staaten ni-
nächst zu 10 Hanptgruppen (Alpenländer, österreichische Sudetenländer usw.)
zusammong-efaßt und in weiterer Teilung nach geog:raphischer Zugehörig-
keit behandelt: sn z. B. zerfällt die eine liauptijruiipe Das mitteldeutsche
Berg- und Hügelland c in 4 Eiuzelgebiete : Bergland des Niederrheins;
Hessen, das Weserbergland und Wesiphalens Tleflandbodit; das Gebiet
der mittleren Mbe; die Oberlansits nnd Südhftlfte Schlesiens. — So er-
hält man Aber jeden Gebietsteil einen kurzen kulturgeographisch^ Über*
blick, in welchem namentlich auch die Verkehrslagen, Bedeutungen, teil-
weise auch geschichtlichen Beziehungen der Landeshauptstadt und einiger
anderer wichtiger Städte besprochen werden.
Der Verfasser hatte unsern Blick schon in früheren Abschnitten Niel-
fach auf das Kulturelle gericlitct, deslialb möchte ich zur Unterscheidimg
die Übeischrift dieses Kapitels in: »Enltoigeographie der Einaelgebiete«
ergfinst wissen; vidleicht aber kennseiobne ich den &ihalt dieses Kapüsls
am besten durch wörtliche, etwas abgekürzte Mitteilung eines Beispiels,
dnes kleinen unter den zahlreichen gleich lesenswerten:
Sfldhälfte Schlesiens: »Diese Provinz des preußischen Staates <lriTi_'^
wie eine Halbinsel zwischen Böhmen und Polen ein. Die Umfassung dim:h
fremde Zollin'enzou erschwert die Entwicklung vieler Zweige ihres auf-
strebenden wirtschaftlichen Lebens und gibt der erst in den letzten Jahr-
zehnten su ansehnlicher LeistongsfiUiigkeit verbesserten Wasserstrafie der
Oder . . erhöhte Bedentang. Dsa «ildxmdie^ aber keine grölten Erzlager-
stätten bergende Gebirge ist der Sit« einer Industrie, welche an der Trirfh
kraft der Gobirgsbächo eine Hilfe von wechselndem Werte gewinnt, solange
nicht Sammelbecken ihnen eine stetigere Wasserführung sichern. Glas-
hütten, Sägemüiilen und Holzstofffabriken zehren an der Waldung. Die Hand-
ireberei fristet immer noch ihr Dasein. . . Aber unwiderstehlich volldeht
sich in der ganzen Textilmdnstrie der Übergang su Msschinenbetiieb in
großen Fabribsn. Ihre Entwicklung gehorcht der Anziehungskraft des
Kohlenbeckens von Waldenburg, das einen Gürtel dicht b^iedelter Dörfer
und rührig-er Werkstätten zwischen steile waldige Berge einflicht. . . Der
Groiiverkehr hält sich seit alter Zeit an den Außenrand des Gebirges und
I PhflOMplliSOhBB
461
emioht von Görlitz^) aus bei Lieguitz (57 000 Eiuw.) die fruchtbaren
nuttelBoliMBolie Bbene bei Brodau die Oder. . . .
Im 14. und 15. Jidirliiiiidait lag Brealaii an der Oienae der euo-
pSischen Kultur. Auf seinem Markte begegneten flioh die Warenzüge aus
den Niederlanden und Süddeutschland mit denen aus T"^n,t,'ani , Rußland,
Poleu und Preußen. Mit den Erzengnissen des Westens und der eignen
Industrie drangen die Kaufleute der Stadt weit nach Osteiux)pa vor und
hatten andreneits Fühlung mit Venedig und Brügge. Die selbständige
EntwiokliiDg Pdens entwertete im 16. Jahrhimderto die alten Handels-
Tarrechtei . . Der neue Au&chwung der Stadt im 19. Jahrhondert Qetat
438800 Einw.) beruhte auf anderer Grundlage. Breslau war nmi det
Mittelpunkt des Handelslebens einer großen erzeng'nisreichen Provinz. . . .
Neuerdings aber beginnt sich mit steigernder Entwicklung der Verkehrs-
mittel die Abhängigkeit der Provinz von diesem Zentrum zu lockern.
Bio TTanaliBieruDg der Oder Ua anMrte nach Koeel verlegt dorthin den
Hafen OberechleeienB ond Telegraph mid Telephon knüpfen immittelbar
an das Zentrum des Belcbs den oberschlesisohen Indnstriebezirk.
Mitten in einem weiten Waldgebiet, das unter wenig große Grund-
herron verteilt war . . . hat sich seit ErschlioBung der Kolüenlager, die
selbst die westphälischen an Reichtum übertreffen, hart an den Grenzen
des Beichs eine mächtige Industrie erhoben, welche die selteue Vereinigung
-ven Kohlen, Eiaenefaen, Zink- und fileienen an achneller nnd vielaeitiger
Entwioklnng beAhigta Die Zinkgewinnimg dieees Bevieia iat die stftrksto
Europas. Der Eisenindustrie genügen die geringwertigen heimischen Ene
nicht, aber der billige Kohlenpreis setzt sie ... instand, bessere Erze aus
der FeiTie heran zu ziehen. ... In den Kreisen Tarnowitz, Beuthen, Konigs-
hütte. Kattowitz, Zabrze, Gleivntz trägt ein Gebiet von 485 r|km 486000
Mensclieu. . . . Dicht nebeu diesem Gewimmel arbeitsamer Menschen liegen
"weite Waldimgen, in denen — anf Kohlenfeldeni dea Berghanea der Zn-
knnft — Magnaten ihre Wildparke abgrenaen.c
Noch einmal zum Schluß wird in zwei kleinen Abschnitten des Buchs
das ganze Gebiet Mitteleuropas nach zwei Gesichtspunkten: »Verkehrsleben«
und »Bedingungen der Landesveiteidigungc zusammenhängend bespmcheu.
Ich kann auf diesen letzten, sehr interessanten Abschnitt nicht näher ein-
gehen. Im allgemeinen sind diejenigen BefestigungaanJagen, welche frOher
die Staaten Mitteleuropaa gegeneinander errichtet hatten, aSrntUoh gefallen.
Nor Serbien und Bulgarien kehren Sicherheitsmaßregdn gegeneinander,
und Österreich sichert sich die Bewachung Montenegros. Im übrigen
liegen die wesentlichen Befestigungslinien an den Grenzen des Gesamt-
gebietes nach Osten und Westen. Auch hierin zeigt sich das dunkle Ge-
fOhl einer inneren Zusammengehörigkeit Mitteleuropaa*
Dem Werke iat eine grOfiere Ansahl ferbiger Karten beigegeben und
auch dem Texte aud mancherlei Abbüdongen ebgedmckt: fXbm Oebirgs-
^) Der Verfasser führt uns von Westen her über Bautzen naoh Sohlesien.
462
Besprechangen
bau, TalnetiB^ rßmiscbe Grenzlagcn, Festungen, Fixichtarten, Kalisalze xisw.
— So oft man das Buch zur Hand nimmt, wird man durch den Beichtnm
<los Inhalts, die manigfalti^^en Beziehimgen und die Darstellungsart ge-
fesselt. Man hat stets die Empfindung, als ob der Verfasser das Be-
schriebene selbst gesehen habe und genießt dazu den Vorteil der fort-
fQhraQg dar DamteUmig bis in die alleitetzten Jahzen.
Boppard Julius Bedlich
II P&dagogiBohes
Ikyer-Markao u. Holdschmidt, Duisburg, die jüngste Großstadt des deutschen
Heiches. Eine lieimatskunde als Volks- und Jugendschrift. Duisburg,
Steinkampf; 1904. 100 &
Ea iat immer eise mi Wiche 8aohe, wenn man mit wenig ICtteln
allzuviel erreichen will. Vorliegende Schrift will eine »Heimatkunde« sdn,
die in der Regel für die Hand des Lehrers bestimmt zu sein pflegt. Sie
soll aber auch als * Volksschrift« das reifere Alter interessieren und als
»Jugendschrift •< durch Form und Inhalt die Kinder fesseln. Endlich ist
das Buch auch als »Festschrift« zum 4. Februar d. J., an welchem Tage
die Einwohnenabl Duisburgs auf 100000 gestiegen ist, gedaolit Daa iflt
viel verlangt und konnte nidit gnt gelingen.
Dem Lehrer wird die Söhale, ans der er sich nach Bedarf den Kern
herausholen soll — denn es ist wohl selbstverständlich, daß er den Stoff
nicht in der vorliegenden Form, einer Erzählung, verwendet — wenig
angenehm sein. Dem Erwachsenen dürfte die fingierte Handlung — der
aus Amerika zurückgekehrte Onkel Fritz durchwandert mit seinem Neffen
Hein die einaelnen Teile Dniabnrga nnd bei dieaer Gelegenheit beapreohen
Me aioh Uber Vergangenheii nnd Gegenwart der Vaterstadt — anf die
Dauer auch recht eintOnig werden. FQr die Kinder endlidi ist vieles
interessant, vieles aber geht durchaus über ihr Fassungsvermögen, wie ja
die Verfasser selbst ab und zu bemerken, daß Hein »von alledem wiederum
nichts verstand« (S. 61, 67). Hoffentlich geht es darum den kleine
Leeem nicht auch ao wie Hein, der zum Onkel, naohdem dieeer eben eise
wobigesetale llogere Belehrung beendigt hatte, die denkwftrdigen Worte
eagt: »Onkel, du kohlst, daß man es fühlen kann« (8. 10). Das wiie
um 80 bedauerlicher, als die Denkschrift zur Erinnerung an den 4. Febrair
1904 von der Stadt an 11000 Volksschüler vorteilt worden ist!
Einen Gewinn für die Didaktik bedeutet diese erzählende Darstellung
der Heimatkunde nicht; sie dürfte sich auch zur Nachahmung kaum
empfdilen. Die BHkhrnng bat gelehrt, dai dsnrtig bdelmDde EnBhlnagen,
wie sie beeondera aeit Campe nnd flalamann eine Zeitlang ala Jqgend-
•fdniften aebr verbreitet waren, einen tieferen Einfluß auf die Jugend
nicht anaflben, und Herbart hat mit seinem Worte: : Schon die Absiebt
zu bilden verdirbt die Jugendschrift« recht behalten. Ob in Jem vor-
liegenden Falle der heimatliche Stoff den Nachteil etwas abechw&cht, muß
die Erfahrung lehreu.
Indea soll nicht unenvihnt bleiben, daft daa SehriftebflB auf grflnd-
U Pädagogisches
463
]icher Sachkenntnis beruht, und der lohalt so geschickt angeordnet und
dargestellt erocbeint, wie dies bei dem sprOden Stoffe nur mOgUch ist und
stellenweise anob eines poetischen Anfluges nicht entbehrt. Nur soJlt»
mit Ausdrücken wie >]^umenwdche (statt flaumweiche) Erumec, S. 61»
»die Ene sohmilzen« (statt schmelzen), S. 68, vorsichtiger umgegangen
werden. — Ob wohl die Verfasser selbst die Schwierigkeit ihres eigen-
artigen Unternehmens eingeselien haben, weil sie sich über dessen eigent-
liche Absichten gar nicht äuüem?
PöBneok E. SohoU
Teufel . S., Lateinisohe Stilübungen aus dem Nachlasse des W.
S. Teuffei herausgegeben. 2. Auflage bearbeitet von C. John. Tübingen
und Leipzig, J. Mohr, 1903. 8o VIU, 147 S. 3,60 M, geb. 4,G0 M.
Die vorliegende Sammlung ist zum größten Teile für die ent-
sprechenden Übungen des philologischen Seminars zu Tübingen entstanden.
IXe sm Sofalnsse beigegebensn AnmerkiuigeD bieten
frQohten« und Hinweise auf Nlgelsbaohs Stilistik. Der Xhabag der litenr-
geechichtlichen Studien von W. S. Teuf fei erkl&rt es, daft wir niobt etwa
ausschließlich ciceronischem Latein und langatmigen Satzgefügen begegnen;
sind die Übungen doch für angehende Philologen bestimmt, die sie nicht
urteilslos benutzen worden ! Der Herausgeber der 2. Auflage hat sich be-
müht, die Hauptmerkmale der Teuffelschen Übersetzungskunut, die scharfe
FsssQSg und Ansscböpfung des Gedankens und die in(SgIiohst nnsweideutige,
einfsehe und snsohlieiende Wiedergabe, unangetastet ta lassen, ebne
jedoch darauf zu verzichten, den »öfter zu vennissenden Einklang mit
Grammatik, Wörterbuch und den andern seither so namhaft verbesserten
stilistischen Hilfsmitteln im Texte selbst vollends herzustellen«. Das Buch
ist 80 gedruckt, daß wir auf der linken Seite die deutsche Vorlage, auf
der rechten die Teuf fei sehe Übersetzung lesen. Die Proben sind zum
grofien Teile Oesohichtssdhreibem wie Momnisen, Feter, Sofawegler usw.
entnommen ; andere bieten Abrisse aus den LebenibUdem deutscher Fhilo>
logen, wie G. Hermanns, Bfl^s u. s. f. Auch fehlt es nicht sn der
"Wiedergabe von Briefen, Reden und philosophischen Abhandlungen.
Bei dem großen Gewichte, das infolge der geringen Anforderungen
auf der Schule jetzt der Ausbildung des lateinischen Stils auf den Hoch-
schulen soAllt, wird das Buch vielen Studierenden ein willkommener
rauer sein. Glücklich, wer an der Hand eines solchen Meisters
windeln kannl
Pforta Menge
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484
Neu dngegangtne BQoher und Zeitaohriften
Neu eingegangene Bücher and Zeitsohnften
B. Lhotzky, Religion oder Reich Gottes.
Eine Geschichte. Leipzig, Hiniioh,
1904. 402 S.
J. Pokorny, Die AoBfolgeroag und Ans-
doatnng «Ugeiii^iier üzteile. LBOgm-
salsa, Hennann Beyer & SShiie ^Beyer
k Mann), 1905. 27 S.
J. Kedlich, Ein Einblick in das Gebiet
der hSlieven Geodäsie. Ebenda 1905.
0. 8ie1»ert, Der Ifenadi in seiner Be-
ziehung auf ein göttUdLea Frinaip.
Ebenda 1904.
V. Rein, Stimmen zur Koform dos
Beligioas-Ünterrichte. Heft I. Ebenda
1904.
Benrubi, J. J. Bouaaeanu elliiadieB UeaL
Ebenda 1905. 141 S.
J. Bahnsen, Wie ich wurde und was
ich ward. Herausgeg. von Ii. Louis.
Mfindiea u. Leipzig, 0. Mfiüer, 1906.
274 S.
A. Leicht, Lazarus, der Begründer der
Völkerpsychologie. Laipqg, Dfiir, 1904.
111 S.
Rolfe 8, Aristoteles MetaphysiL Über-
aetst und mit BiDleitiuig imd Anmei^
Iningen versehen. IL Hälfte. Philo-
sophische Bibliothek. Bd. 3. Ebenda
1901. 2W S.
Kunze, Metaphysik. Webers illustrierte
Katechiamen. Bd. 249. Weber 1905.
424 S.
H. Gottschalk, "Weltwesen und Wahr-
heitswille. Stuttgart, Streoker&Sohröber,
1905. 4G4 S.
X. Witte, Daa FioUam das Tragischen
bei Nietaaohe. HaUe, Eaemmeier, 1904.
126 S.
A. Bichl, Philosophie der Gegenwart.
2. Auflage. Leipzig, leubuer, 1904.
274 S.
Kretsaohmar, Leaatng und die Auf-
klärung. Leipzig, Richter, 1905. 172 S.
IL. Heim, Das Weltbild der Zukunft!
Berlin, Sohwetzschke, 1904. 298 8.
'Jul. Ziehen, Der Frankfurter Lehrj^lai:
u. die Art seiner Verbreitung. Leipzig.
Kesselring.
F. Lehmhaua. Moderner Zeiobeniutar-
richt Langenaalaa, Hermann Beyer
& Söhne (Beyer & Mann).
C. Schubort, Einige Aufgaben der
Kinderforsühung. Ebenda.
F. Stande, PiSpar. t d. Relig.-Unt L
4. AnfL Ebenda.
Baentsch. II. St Chamberlains Yoiit
über die Religion der Semiten osw.
Ebenda.
Thrändorf, Ein Wort zur Simultan-
aohnifrage. Dresden, Bohambeeh.
Barchewitz, Neue Bahnen im haimit*
kund!. Unterricht Ebenda.
Auffarth, Die religiöse Frage und die
Schule. 2 Bde. Tübingen, Mohr.
Oehrig, Methodik dea Yolks- o. WM-
echulunt Leipzig, Teubner.
Hahne, Präpar. f. d. Katechiamnsnnt
Osterwieck, Zickfeldt
Sickinger, Mehr Licht u. Wärme usw.
Zürich, Fü£U.
Wohlrabe, Der Lehrer in der LUMätn:
2. Aufl. Osterwieck, Zickfeldt
Agahd- Schulz, Gesetz betr. Kinder-
arbeit in gewerbl. Betrieben. 3. AufL
Jena, Fischer.
Bitthaler, Zur Iheorie und Praxia des
gmndleg. Rechenunt. München, Gerber.
Fick, Erdkunde. I. Teil. 2. Anfll^
Dresden, Kaeninierer.
Aus Natur und üeisteswelt Leipzig,
6. Teobner.
Bnaae, Die Waitanaohaanngen dar
großen Philo.sophen der Neuzeit.
Martin, Die höhere Midohenachoie
in Deutschland.
Ziegler, Allgemeine Pädagogik,
ünold. Anljgaben nnd Ziele das
Menschenlebens.
Schirmaoher^ Die moderne Fman»
I bewegnng*
Dwok VW HwMin Bift 4 SWm ifiym k Mmm) fn LmgiMilii
Mitteilung
Mit dem nSchsten Jahiigang soll die »Zeitsdirift ffir Philo-
sophie und Pädagogik« eine Umänderung erfahren. Nicht dem
Geiste und dem Inlialte nach, wohl aber in Bezug auf die äussere
Foim und die Art ihres Erscheinens. Die Zeitschrift soll in eine
Monatschrift umgewandelt werden. Dies hat den grossen Vor-
zugs dass »Mitteilungenc und »Beurteilungenc zeitiger gebracht
werden können als bisher. Auch ist dne grössere Oldchmässig-
keit der Ausgabe damit gewährleistet und der Zusammenhang der
Zeitschrift mit ihren Lesern wird dadurch dn engerer
Trotz des erweiterten Umfanges soll der Abonnementprds
derselbe bleiben wie bisher.
So hoffen wir, dass die Zdischrift hi ihrer neuen Form die
alten Freunde festhalten und recht viele neue Leser dazu ge-
winnen wird.
Herau$gd)er und Verlagsbuchhandlung
UtMtatft Mr FUlowfU« vaA Ftä»togik. 12. Jakifu«. 30
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Kind nnd Ennst
Einige experimentelle Untersuchungen zu einigen Grundfragen der Kunst»
erziehung
Von
Marx Lobslen, Kiel
(Schluß)
n. Ergebnisse, die sich auf das BUdschöne beaiehen
Die Fragen sind in zwei Hauptgruppen zu sondern: Haupt- und
Nebenfragen. Zu den Hauptfragen rechne ich: 1, 2, 3, 4, 12 u. 13;
Nebenfragen sind die Nr. 5 — 11. Die letzteren können eine wesent-
lich kürzere Behandlung erfahren.
1. Welche Farbe ist dir die liebste?
Zunächst sollen uns die Hauptfragen beschäftigen, die sich auf
elementare ästhetische Dinge beziehen, die Farbe als solche und eine
Auswahl einfacher linearer Formen. Über Farbenkenntnis bei Schul-
kindem habe ich umlängst eine Untersuchung angestellt, M sie unter-
scheidet sicli aber von der vorliegenden dadurch, daß dort bestimmte
Farbenkreise der Benennung und Wahl geboten wurden, während
hier vollkommene Freiheit herrschte; ich hoffe aber, daß beide sich
in vollkommener Weise ergänzen werden.
Die Werte berechne ich wieder prozentualiter.
Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane. Bd 34
Leipzig, Barth.
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LoHimr: JBad xaä Kongk
467
Unter 100 Angaben entfielen auf:
Tabelle
Q
1.
r»-
^^-^ , . — ,
Altersstufü
Farbe
3
<-»-
blau
grau
orange
gelb
braun
weiß
violett
schwarz
I
24
52
14
3
1
100
U
30
62
17
1
6
4
2
100
m
37
52
2
2
2
5
100
IV
46
38
5
4
7
100>
V
30
33
7
18
12
100'
Mädchen
i
13
70
10
100
n
46
39
2
3
7
2
1
100'
m
42
39
4
4
4
6
1
lOO-
IV
54
27
4
4
8
3
100
V
60
20
15
5
lOO*
Da sich auf den ersten Blick deutliche Unterschiede in dem
Verhalten der Geschlechter offenbaren, will ich die Geeamtwerte für
beide zunächst gesondert berechnen. Ich finde
blau
grau
orange
gelb
braun
weiß
violett
schwarz
Knaben
33
47
8
0,4
6
0,3
1
0,3
4
100
Hidoben
43
39
1,3
4,6
1.4
6.8
3
1
100
Bemerkung. Kleinere Uagenanfj^ten Tutehen ridi Tom MÜwt, ich habe-
■ie dem Sinne nach korrigiert.
Meine früheren Untersuchungen habe ich lediglich mit Mädchen
angestellt Ich konnte konstatieren: die verschiedenen Regenbogen-
iarben sind den Kindern in sehr verschiedenem Maße interessant und
bekannt Am höchsten steht in der Wertung da das Rot. Es wurde
auf allen Altersstufen immer richtig aufj2:efaßt und benannt. Ilini fast
gleich steht da das Blau, dann folgen Gelb und Grün, während Orange,.
Violett und Indigo sehr ungünstig da.stehou (a, a. 0. S. 35 f.). —
Diese Untersuchungen erfahren hier zunächst insofern eine Er-
gänzung, als sie auch auf Knaben ausgedehnt wurden. Eine weitere
Ergänzung erfahren sie dadurch, daß auch Schwarz und "Weiß, die
dort unberücksichtigt blieben, bei der freien Wahl eingefügt wurden^
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inMte
«ndlidi war mir hfer Megenhelt gegeben, eitie JJtersstafe obendzanf
wa seten. Siebt maa won diaaeii Umsttnden ab, so beobachtet maii
ToUe Beatstigang des eben veraeichneten BeanltatB. Für Bot und
Blan eEjgeben aiob (unter Auaschlnfi Ton Stufe I) die prozentoalea
Werte: 51% ™^ ^^-Vo* ^ daroh I beaeichneten Alteis-
«tole findet ein Dmaäiwnng atatt, die Yediebe ffir Blaii übem^
ganz weaentlioh die fOr Bot
Bei den Knaben finden wir ebenfalla ein starkes FtftTalierai
•des üntereaae ffir Bot und Blau, hier aber überwiegt, steigend mit
mehmendem Alter, das Interesse ffir Blaxt.
Bern. 1. So erUftrt aioh anch Tenunffich der Gegensaia iwiachea
jneinen XJnteisaohimgseigebnisBen imd denen Aabs^) auf, wiewohl
Mer ancb etwa Unteiaehiede YoUdsefaer Art bestimmend sein kSnnen.
$ehr inieresBani wftre ein Terg^eioh mit ihnlichen TTnteisachangsD,
•die aber unter andern Qunmelsstriolien angestellt aein müBten. Bb
ist wenigstens denkbar, dafi die in der umgebenden Natur ▼o^
bensdhende Faibe bestimmend wiifce in positlTem, wie negaÜTem
Sinne. So beeteht sweifdlos ein ünteisohied der Binwiikang^ wenn
•der Holländer unter seinem nebel- und regenschweren Hinumel be-
müht isl^ in schreienden Farben Fenster und Türen zu streichen, die
-Gartenbeete mit bunten Steinen einzufassen, als wenn der sorglose
'Südländer zwar in Lumpen aber gleichwohl in graziöser malerischer
Anordnung sich kleidet Doch darüber l&fit sich füglich ein mehreres
nur sagen, wenn weitere Versuche der angedeuteten Art vorliegen.
2. Interessant ist in diesem Zusammenhange auch die Beob-
4Uifatung, daß im allgemeinen das Blau die Farbe des Knaben, Bot
die der ^lädchen ist: jenes bekommt als Wickelkind blaue Bändchen,
blaue Schleifen, blaue Mütze usw. — hier muß alles rot sein. Ob
dann ein Zusammenhang mit dem obigen Ergebnis erblickt werden
darf? Oder handelt es sich lediglich um Willkür oder Mode? Soweit
meine Kenntnis reicht, ist die Weise sehr alt
Weitere Bemerkungen brauche ich den obigen Tabellen meines
Erachtens nicht hinzuzufügen; Ei"«^^>*ftit^ lassen aioh aus denselhen
mit gennger Mühe herauslesen.
2. Wahl unter ehdidien geometrisdiea Fonnea
Du der nachfolgenden Übersicht bezeichne ich die Figuren der
Ktbae wegen mit diemelbeii Nummer, die sie oben edialtsn haben.
'} Ztsohr. t FsycL o. Path. Bexlin, Walth«r. Bd. L
LoBsmr: Und ond Kunst
Geschlecht
-
State
Form
1
2
3
4
0
6
aIhHMII
T
X
81
64
6
6
2
1
u
86
19
19
5
5
16
TTT
11
33
29
3
24
IV
6
13
30
3
8
45
T
38
31
31
I
10
40
7
7
S6
10
n
28
48
8
4
12
m
25
21
41
9
2
2
IV
16
20
40
12
12
V
20
10
35
25
10
Aus dieser Übersicht berechne ich folgende Gesamtwerte:
1
2
3
4
6
6
Knaben . . .
24
30
17
9
3
17
100
Mädchon . .
20
28
26
6
9
100
0«Bamt . . .
22
29
21
10 i 5 1 13
100
UÜhm beromgai die Kmil«r an emlaoheii geometrischeii Vigaieit
hervoncagend; Ereis, Oral und f^eushaeitiges Iheleoik:, am wendgaten
Schöll finden sie daa Beohteok, ea handelte aich hier aUerdinga nm
ein fidobee^ daa doppelt ao lang wie bieit wsr. Überiunipt worden
die kmnunUnjgen lügozen den gendlinigen gegenüber TOigeiogeii
«ntapreohend den Tecfafiltnianhlen:
kranunlinig 25: genuDinig 12,
oder rund wie 2:1. In welchem Mafia rein iattiettaehe TJmattnde
die Wahl beetimmien, bleibt hier fOgUoh nnbegrflndet; aioher aber
iat nur, daß nicht lediglich daa Auge entsdheidety aondem — mmal
bei dem Hotoiiker — anöh der komplex Idnetiaeher und kiniathe'
tiacher Empfindungen nnd Yoiaiellnngen, der, ana mandieilei Be-
wegnnga-, Spannungen Brodk-^ Beibangaempfindangen in Hand nnd
Arm xeaiiltierand, die ala kinetischee Initial — einen Aoadrock
SwuoBHa an modifisieren die Angenbewegmigen mehr oder minder
ataik betont b^g^eiten. Erwflgt man daan, dafi die nach- nnd mit*
achafienden Bewegnngsempfindimgen in Hand nnd Ann alle mit*
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470
Aufsätze
«dnander xesnHiereii ans Helid-, d. b. ihrem Erfolge nach KreiB-
bewegangen und fluen Konrekturatt an die ToirgeBobaäebeiie Bogai>
«duM bd Soliieiben<) und Zeichnen, so wird ohne wetteres em.-
lenohtend, dafi nicht ^e gende, aondeni die krumme IMe die natnr-
gemftfiere isl^ die lekfaieve nnd deiom aneh die ieiöhter gefiülige nnd
iuispreohende.
Demnach sind diejenigen Zeichenmeätodiker sweüelsohne im
Unrecht, die, geometrisch konetroiennd, von gemdr sa krnmmlinigai
lüguren fortschreiten wollen.
Unter den übrigen Hauptfragen stelle ich zunächt diejenige
hierher (13), die sich auf das Zeigen bestimmter Bilder beiieht:
Ans der Sammlung Eshr-Pfeiffeb wurden gezeigt: »Wandersmann
und Lerchec und »Enabe und Yogelnest«. Die angehingten Engen
Janteten: Welches Bild findest dn sohOner? Warum?
3. a) Welches Bild ist dir das liebste?
Ich gebe zunächst das rein quantitative Ergebnis, d. h. ohne
Kücksicht auf die Antwort auf die Frage: Warum? geordnet nach
(Geschlecht und Altersstufe und bemerke vorweg, 1. daß ich für über-
flüssig halte an diesem Orte eine Reproduktion der genannten Bilder
zu bieten, die künstlerisch hervorragend ausgestatteten Kehb-Pfeifpkii-
sehen Bilder sind den Losem dieser Zeitschrift durchweg bekannt;
2. mit Fleiß wählte ich die genannten Bilder, weil beide durch einen
bekannten Text gestützt wurden, das eine femer durch ein stark
ausgeprägtes Stinmiungsmoment, das andere durch eine zwar einfache,
aber den Kindern bekannte und spannende Handlung charakterisiert
wird. In technischer Vollendung stimmen beide überein.
Knaben
HSdchen
Wandersmasn mid
Enabe nnd
Wandersmann nnd
Enabe und
Leiohe
Yogehi68t
Leioha
Vogelnest
%
•/.
•/.
•/.
68
48
68
48
M
06
48
61
46
65
65
85
37
es
60
40
e?
38
85
66
*) Ich bitte meine umfänglicheren Ilntersnchongen über »Schreiben«, dem-
nSehst in »Deutsche Blätter f. erz. üaterrichtc (Hermann Beyer & Söhne [Bejar
4 Mann] in Lao^nsalza) zu vergleichen.
LoBsmi: Xind und Exaudt
471
Ah Gesamtwerte berechnete ich:
Knaben
Midohen
'Waadersmann und
Knabe und
Wandersmann und
Knabe und
Lerche
Vogelnest
Lerche
YogebuBt
%
%
•/o
48
62
52
48
Oesamt: WaademnanQ und Lerdhe Smibe and Vogelnest
50 Vt Ö0%
Man beobachtet mithin zwar auf den einzehien Altersstofen oft
nicht unwesentliche Unterschiede in der Wertschätzung beider Bilder,
im Geeamtresultat aber sehen wir die Unteiscliiede stark ausgeglichen.
Man kann höchstens sagen, daß ein etwas größerer Prozentsatz der
Knaben das Bild: Knabe und Yogelnest boTOtzugt, während bei den
Madchen das Stimmungsbild: Wandeismann und Lerche stirker ge-
wertet wurde. Man darf aber nicht Teiges&en — und dazu verleitet
eine solche rein quantitative Betrachtung — daß immerhin annähernd
die Hälfte aller Schüler für das eine, die andere Hälfte sich fürs
andere Bild entscheidet. Die Zahl als solche offenbart nicht, welche
Gesichtspunkte für die Wahl entscheidend waren, ob lediglich der
durch das Gedicht gestützte Bildinhalt, oder die Farbengebung oder
die äußere Anordnung, oder die Beziehung zu der eigenen Erfahrung
oder wie immer. Das näher zu erkunden bedarf es einer ein-
gehenderen Wertung der Antworten auf die Frage: Warum?
b) Wamm?
Nun ist allerdings die Beantwortung disser Frage niofat leiidit
und man wird von Tomheretn die nicht gana unbegründete Ter-
rnntoDg hegen, daft sidi viele oberflfiddiclie, nichtssagende Antworten
einstellen werden. Bs ist bekaimte Eifahnmgstatsaohe, daB in vielen
raien auch der srastear yeranlagte Beobachter sich sohwezüöh aas
sich heraus eingehend Bechensohaft darüber gibt, warum ihm dieses
Bild gefidle, jenes aber nicht, er begnügt sich mit dem nicht nihsr
m ehaxakterisierenden allgemeinen mehr gefOhlsmftfiig anftanchenden
BewuBtsein: das gefiUlt mir — jenes aber nicht Wie sollte man
da erwarten, daß Kinder brauchbare Antworten geben werden. Ich
selber hegte ähnliche Befürchtungen — imi so mehr war ich über-
rascht nicht nur durch die Mannigfaltigkeit der Antworten, sondern
oft sehr bezeichnenden, treffenden Begründungen. Ich kann mir
nicht ▼erssgen, emen BlmnenstraoA solcher Antworten herEUSteUen.
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472
i.a£aitze
Ich sondere sie wieder nach Geschlecht und Altersstufen. Selbst-
verständlich yeizeichne ich die Antworten nur einmal
Knaben:
'WandnBmann und Lerche
Ibabe nnd Vogel
Staf e L
ireü ^9 Soul» ausgeht
Vta die Lnohe ilir LoUied singt
Die Landschaft ist schön.
Man lauscht dem Gesänge der Leiche.
Es ist so naturgetreu.
Sie Moi]genwanderang hah ich so gem.
Die Stille der Tanriiwheffc
Ei tat knnstreioher.
Der schöne Gesang.
Beiigen.
Die Kttor ist so piiiditig.
Es ist einfacher.
Die Farben sind >passend«.
Die Lerche fesselt durch ihren Qesang.
£b herrscht freudige Stimmung.
Die Gegend ist lemanCsdi.
Wefl der Knabe dem Vogel niohis tat
Weil der Knsbe sbitst, als er den Yopl
sieht
Weil der Knabe besser herroxthtt als
der Wanderer.
Der geängstigte Bliolc der Hutfesr hindSEt
den Xjiaben (dem Yogel sin Loid sn
tun).
Weil der Knabe unartig sn nein aohsinL
Difl Muttpr hif+ftt ro
Das Bild ist schöner ausgestaltet als dm
andere.
Der kleine Vogel verteidigt sich gegen den
starken Knaben und läuft nicht davon.
Dos andere ist zu einförmig, hier int der
Vogel so dreist
Die Hotieiüebe.
Das Erstannen des Kiaaben und die Angrt
der Mutter ist sehr hübsch gemalt
Der Vogel schützt dreist seine Jungen.
Es ist lebhafter.
Stufe U.
Weil ich so gerne wandern mag.
Muk hört den sohSnen Gesang,
El ist »feiner« als das andere.
Die Wiesen sind grttn.
Die Blumen blühen.
Weil >er< Oott dankt
Wegen der jungen VögeL
Weil er ao toH ist
Wen der Xnsbs fieUicli tat
Weil er die Jnngen nicht wegnimmt
Weil er so verwundert guckt.
Weil das Nest so spaßig aussieht
Weil das Gedicht so hübsch ist
(dl hab die Vögel so gem.
Stufe HL
Der ITandexanann istfiShlioL
Besser, weil (dorQ der Jungs die ¥5gel
nimmt.
Es ist »schön«, so früh zu wandeln.
Der Vogel singt »schöne.
Dae andere ist nieht deaüieh.
Er hat sofaSne flarben.
leli mag gern wanden.
WtSi der Yogel niofat fttttlliaet
Die niedlichen Vögel!
Der Vof,'el schimpft ihn aus.
Es ist schön, ein Nest zu betrachten.
»Weil die Alte nicht für den Koabm
bange istc
Bi ist sohSn bont
Der Yogel ist so aohwaoh.
LoBsns: Kind and Kunst
473
Wandexsmana und Laxohe
Knabe und Vogel
Stufe IV.
"Wegen des Gesangs.
Ei aiiid aohfiM BliuiMn am Wegi.
Der Wanderar ist entMni
Das Korn »blüht«.
Es ist bunter.
Die Jungen sind so niedJiolL
Der Knabe tat UmeD mohli sa leidei.
Es sind Eier drin (im Nee^L
Das Gedicht ist so hübsch.
Der Knabe Uioktäe (die Jungen) liebend an.
Stufe V.
Die Korubiumen blühen.
Sb lind sohfin« fitnmsa dimt
Dw Vogel rii^ tolifin.
£b ist ein Junge »drin«.
Be iet hUMh gemali
XiMfvalNint
h 0 n :
Wandemnann und Lerobe
Stufe I.
Es ist einfach und anmutig.
Die Landschaft ist schön.
Wefl der Wanderer mit »fiegeiaterang
die Lerche sieht«.
Es hat einen tiefen Sinn.
Es macht einen tiefereu Eindruck,
Das Lob Gottes ist darin enthalten.
Weil der Wanderer bei dem Anblick der
Lerche so frohe Züge erhält
Die Angst der Yogeimotter mag ich
nicht sehen.
Knabe und Vogelnest
Der Knabe hat treuherzige Augen.
Die liebe der Vogelmutter.
Die Yonioikt dee Knaben.
Der Knabe tut den Vögeln nichts zu leide.
Weil es einen tiefen Sindraak auf mioli
macht.
Die Umgebung ist so niedlich.
Weil der Knabe so drollig anasiebi
Weil der Knabe in seiner Fraodo ao
rührend aussieht
Weil es so fein ausgeführt ist
Weil der Knabe so klug dreinschaut,
^v, gen der Borge trai <fie Jtragen.
stufe IL
Der Wanderer lauscht so andiobtig.
Es ist so »natürUch gemacht«.
Weil er sein Dankgebet verrichtet
Weil er dankbar nach dem Himmel
aiekt
Weil ich! selbst schon sinnud ao ge-
gangen bin.
Er ist lustiger.
£b ist hübsch gemalt
Das Oedioht iat aUeiUebat
Weü ioh gern waodem mag and die
Oegend ao Uebiioh ist
Es ist so schön dargestellt
Weil das Gedicht so hübsch ist.
Weil der alte Vogel so nach dem Knshen
schaut
Der Ycgel sohaat den Ibrnben so lagst-
lieh an.
Die »Alte« ist so besorgt.
Der Dichter hat's una näher vor die
Augen gestellt
Weil der Knabe die Jungen nebmsn
wollt», es aber doch nioht toi
Weil man die liebe an den Joagen aiabt
Digitizeo Uy v^üogle
474
AnfiBltw
Wandersinami und Lerche.
Xnabe und Togelnest
Dtt 0«dioht ist ldilMh«r.
»Weil es sovisl Fnihfltt Int«
Er ist so fröhlich.
H^l* Of\ Qnr) a1i ^ifT
Xu lol oU aOUaCUui^.
Der »QiDsi ist hübeoher«.
Um Vndanr iit to Teignügt
Br iil duUar.
Die Muttsr soUttrt die Jungen.
Der Knaibe eo gut
>WeiI ich V5gel gen mg,«
iüB ist SO naturiicu.
Das Gesicht des Knaben ist aohöner.
WtSi der Knabe gehorcht
Weil die MiitfcBr trau engt;
Weil der Vogel spricht
Die Jungen sind so niedlicL
Der Knabe ist so niedliob.
Stufe in.
Das Kornfeld ist hübsch.
Im suKi Boiioiio ninnien.
Der Wanderer (1) singt SQii5n.
Er ist fröhlich.
Er ist frisch und mutig.
£8 ist hübsoh.
Weil »er« BChoD so fi^Blh auf ist.
Der Knabe ist sorgsam.
Der JunM im fiOniiOB.
stuf« IV«
Es ist ein altes hübsohss BOd.
Da sind hübsche Blumen.
Das Korn ist so schön.
Der Wanderer singt.
Die Zweige sind hübsch genatt.
Der Junge hat schlaue AqgeB.
Weil der Vogel so bittet
Der Knabe ist hübeoh.
Stufe V.
Das KonfeU ist sohSn.
Das Feld lenditet
Weü da kleine Vögel sind.
Der Bhuh ist htttsflh.
Xoli mag gerne VOgel Isldas.
Schon ein oberflächlicher Blick belehrt, daß die qualitatlTe
"Wertung der Angaben ungleich ergiebiger ist als die quantative
Schätzung. Selbstv^erständllch erfolgte sehr oft ein Yersagen oder
die Antwort: Ich weiß nicht, doch nicht in dem Maße, wie ich er-
wartet hatte. Ich zähle dieser Art Angaben auf etwa 1/3 aller Ant-'
Worten. Die in der Übersicht gegebenen Antworten kamen in ver^
schiedener Häufigkeit vor. Ich verzichte jedoch darauf sie mit einer
entsprechenden Kennziffer zu versehen und begnüge mich, sie nach
Gruppen zu ordnen und für die einzelnen Stufen prozentualiter «u
charakterisieren, wieviel dieser Gruppen. Selbstredend verbot sich
ein fertiges logisclies oder ästhetisches System von vornherein anzu-
nehmen und nun das gefundene Tatsachenmaterial, so gut oder so
schlecht es geht, dem einzuschachtehiL Ich schlug deu entgegeo-
LoBsmi: Kind und Konsi
475
fgeaeMsa. Weg ein, ordnete eine Obeatoiht auf Gnmd der iroriumdeiLea
Antworten. Ifan daif somit keine Yoltetfadigfceit in dieser oder
jener Hinsicht erwarten.
Ich unterschied wieder zunächst zwei Hauptgnqppen: oberfläcfa-
fiehe und wertbetonte Urteile. Zu der ersteren Gruppe redinete ich
Aassagen wie: Weil es schöner ist; weil es httbscher ist usw. Die
"wertbetontcn Angaben sind dann solche, die in einzelnen oder
häufigeren Momenten yeiiaten, daß sie mehr sind als eine landläufige
Bedensart NatttiUch ist eine scharfe Grenze nicht immer festzuhalten;
die Angaben lassen sidi werten als besondere und allgemeine. Diese
Einteilnng trägt cwir mechanischen Charakter, trotzdem halte ich sie
in diesem Zusammenhange für ausreichend. Die erste Gruppe zer-
legte ich in] 4 ünterabteilnngen: 1. Urteile die technische ümständCi
2. einzelne Schönheiten angehen, seien es solche der Stimmung
oder der Landschaft, 3. solche, die sich auf moralische Qualitäten
stützen, die angeblich oder sicher im Bilde zum Ausdruck gelangen,
4. Bevorzugung der zu Grunde liegenden HEYSchen Texte. Die all-
gemeinen Urteile entstammen entweder 1. unmittelbarer eigener Er-
fahrung, die durch das Bild wieder lebendig wird und es mit frischem
Inhalte füllt, oder 2. sie gehen die Stimmung als solche, also die
Innenseite des Bildes, oder 3. dessen Außenseite als Ganzes an.
Somit erp:ibt sich folgende Übersicht der Urteile rücksichtUch
ihrer Veranlassungen:
I. Oberflächliche Urteile.
IL Wertbetonte Urteile.
A. Besondere in Bezug auf
1. die Technik,
2. einzelne Schönheiten
a) der Stimmung,
b) der landschaftlichen und persönlichen Staffierung;
3. einzelne moralische Momente,
4. den zu Grunde liegenden Text
B. Allgemeine;
1. aus eigner Erfahrung,
2. die Staffierung als Ganzes,
3. die Stimmung als Ganzes.
An der Hand dieses Schemas will ich die Übersicht durchgehen
in der angedeuteten Weise: für die oberflächlichen Antworten habe
es sein Bewenden mit der Bemerkung, dafi ihre Zaiil, die Yemeinungeii
oder das Versagen mit eingerechnet, anf der Unteistiile etwa Vs be-
Üiffif daB abo dss letite Drittel in irgend einer Weise wertbetont
Digitized'by Google
476
Aufsätze
ist Je weiter nacli oben, desto günstiger wird im allgemeineiL das
Zahlenverhältiiis für die wertbetonten Angaben.
Im besonderen gestaltete sich das Verhältnis der wertbetontea
zu ledip:lich den oberflächlichen Antworten folucndcrmaßen :
fiiJd
Knaben
Madchen
Stufe
Stufe
I
n
in
IV
V
I
n
UI
IV
V
^1 1
25
15
20
16
16
33
20
20
11
10
75
85
80
84
84
67
80
80
89
90
3?
% ^ ^
25
20
13
16
10
40
23
15
15
15
oberfl.
Q und
Inest
72
80
87
84
90
60
77
85
85
85
Diese Ptoaentaiigabeii belehren, dafi alierdiiigB ein Steigen in der
AncaU der wertbetonten Angaben an erbUokea ist IKeses ist immev-
bin gering; Keben dem Sünflnfi des Gesoblechts aeigt aidi dne
interessante Büdwirknng. Im allgemeinen ist der Zuwachs bei den
Mfidoben größer als bei den Knaben. Wihrend bei den Knaben sieh
die grSßere Anzahl wertbetonter Angaben findet besü^^ch des enten
Bildes finden wir ein deutliches Prä^alieren bei den Mädchen dem
aweiten gegenüber, offenbar weil jenes den Knaben mehr an sagen
und zu mehr Antworten anzuregen yermag.
Greifen wir nun die aliein wertbetonten Urteile heraus, um sie
nach ihrem Sonderobarakter — entsprechend der oben angedeuteten
Einteilung — zu ordnen. Die Werte rersteben sich wieder pio-
zentuaiiter. (Die Numerierung bitte ich aus der Torauilgegnngenen
Übeisicht zu deuten.)
(Siehe Tabelle a 477.)
Wir finden hier wieder bestätigt, daB nicht nur Unteisefaiefc
des GeschlechtB, sondern innerhalb desselben auch XTntersoluede der
Bildforderung nachweisbar sind. Im allgemeinen ist nach oben lim
ein Waohstom der Interessen zu konstatieren; das Bild spricht viel-
seitiger an, es weckt mannigfaltigere Gedankenkreise. Dabei sind
diejenigen Urteile dünn gesät, die auf die G^samtwirknng des Bildes
gegründet sind, weitaus die meisten gehen Ain«Ain^ wohl oft duroh
Lobsdcn: laod und Eonst
477
Knaben:
Bild
Qualität des Urteils
AI
A2b
A3
A4
Bl
B2
B3
I
w.
19
20
19
24
HO
od
—
6
19
20
13
7
n
w.
14
20
13
40
37
19
25
11
21
in
w.
IL
14
43
44
14
56
29
IT
w.
K.
20
80
40
40
20
V
V.
S.
100
100
Mädchen:
Stufe
Bild
Qadiat des ürteOs
AI
A2a
A2b
A3
A4
Bl
B2
B3
I
w.
E.
9
10
27
40
45
10
50
9
n
W.
K.
18
25
60
25
33
8
11
17
7
ni
W.
E.
100
100
IV
V.
K.
100
100
V
w.
iL
100
100
den Zufall wertbetonte Bildelemente an. Dabei ist ferner deutlich
ersichtlich, daß die Haupttendenz des Bildes — der Ausdruck sei
erlaubt — auch in den Teilurteilen deutlich hervortritt: wir finden
TL a. eine stärkere Betonung von A3 dort, wo durch das Bild eine
stärkere Veranlassung geboten wird. Auf den unteren Stufen domi-
niert A2b, d. h. es werden einzelne Momente, wie etwa: Kolorit
(»fein bunte, grüne Wiese, hübsches Kornfeld usw.) zu Kriterien
des Bildes gemacht. Die Mädchen zeigen sich den Knaben gegenüber
rückständig) denn diese immerbin sehr äußerliche Seite der Bild-
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478
Wertung dauert bei jenen an bis zur Altersstufe III, bei den Knaben
beschränkt sie sich auf Stufe V".
Die auf die Technik gehenden Urteile habe ich sehr |minder-
wertig eingeschätzt — sie tragen die Signatur AI — . Die Stimmung
femd im allgemeinen bei den Mädchen staikeres Entgegenkommen als
bei den Knaben. Wo es sicli aber um einzelne »moniische IComentec
bandelt, zeigte sich der Knabe den Mädchen gegentüber In der Weit-
fidhitaung nicht nnwesenfliöh übeilegen. NatoigeiDifi mt in dieser
Hinsicht das Bild: Knabe nnd Yogobiefit ataift betont Die Ifildehen
kehrten nabeni ansnahmsloa das aentimentele Moment hervor. Sie
sind gerCkhrt, weil der Knabe den Ydglein nichts m leide tat^ iwefl
er sie so rfihrend anguckt, weil die Yogelmntter »so sehrc Uttels
wegen des armen Jnngen, weQ sie »die Angst der Tcgelmntter nicht
sehen mOgen«. Die Knaben begeistert mehr, daß der Ueme Vogel
Mnt hat, daß er seine Jimgen dem großen Bnben gegenüber [reF-
teidigt, daß er nicht »wegfliegte, daß er sogar wagt, den Angreifer
»ansEosohimpfenc. Hier spricht sich die Eigenart der beiden Ge-
schlechter nnd die dieser entsprechende BQdwirknng mit nnverkenn-
barer Denflicfakeit ans.
Anffiülig ist, daß der sngehSnlge Text so ungleich gewertet
wurde: nur Stufe H der Mädchen nnd Stofe H nnd 17 der Knaben
kommen Uberbanpt in Srage — mSg^idi, daß die Akostiker hier be-
sonders stark betont erscheinen.
Die eigene Er&hrong wurde nur betont gegenftber dem ersten
Bilde. Das ist auffällig, weil zweifelsohne auch das Bild: Knabe
und Yogelnest in reichlichem Maße persönlicher Erfahrung begegnet
Hier aber beschränken sich dio Urteile auf Einaelerscheinungen,
Einzelwertungen, die zumeist das Verhältnis: »großer, starker Knabe
— kleiner, schwacher Vogel mit niedlichen Jungen, c in verschiedener
Beleuchtung angehen, ^vährend dort aus der persönlichen Erfahrong
und Erinnerung eines Morgenspavdergangs die Stimmiinj:: als Ganzes
er&ßt und erlebt wird. Wie weit die Sonderwerte des Bildes durch
diese Stunmung ergriffen werden, entzieht sicli allerdings nßherer
Wertung. — Kachzutragen ist noch, daß Bl bei den Knaben un-
gleich häufiger sich wirksam erwies als bei den Mädchen.
32 und B3 ließen sich naturgemäß seltener feststellen und dann
lediglich auf der Oberstufe. B3 steht bei den Mädchen ongleidi
Vena mau demgegeoIHMr an die giößern Btaik eiiimam woOta^ w int
man; denn snnlohst bedeutet der Soontagaaasfhig, yor allen Diogeai hier aber die
reichliche Anfschließang städtischen Oel&ndes fttr Paobigirten anoh an mhider to>
güterte Familien, eine heilsame fiexeiobeniiig.
Lobbiik: Kind und Kanst
47»
günstiger da und beschränkt sich für beide Geschlechter überwiegend
auf die Wertung des Bildes: "Wandersmann und Lerche. Im be-
sonderen berechnete ich die Häufigkeit von B2 gegenüber B3 auf
das Terhältnis:
B2 : B3
Knaben 20 : 10
Mädchen 3 : 22.
Rückblickend dürfen wir festhalten, daß das Bildschöne in der
Wertung gegenüber dem Wortschöuen, nicht unwesentlich zurücksteht.
Das mag zur Hauptsache wohl darin begründet sein, daß das Bild
höhere Anforderungen stellt, daß es sich stumm passiv dem Be-
schauer gegenüber verhält, während dort reichlicjier gegeben wird.
Eine wesentliche Ergänzung erfahrca diese Beobachtungen durch
die Antworten auf die Fragen 1, 2 und 12, da die Kinder aus freier
WaU
4. Das UebUngiUld, da* Ueblingsgebiwle md das UabUogadenkiiial
angeben. Die Jfngem sind insofern mangelhaft^ als did Antwoiten
gebunden sind an den jeweiligen EkfaluningslawiB der Kinder. Dieser
ist nidit nur xeöht ungleich groß, sondeni inid im allgemeinen be-
scheidene Grenzen nicht fiberschniten, trotsdem liegt in der Wahl-
freiheit immer such ein Moment der Bewegungsfreiheit, die nns einen
Einblick in das Verhalten des Kindes dort gestattet, wo jeder schnl-
mäSige Zwang anfhört
Die zweite Frage habe ich schon früher gestellt, die Antwort
würde in diesem Zusammenhange mit einem lünnszeichen yersehen
werden mtlssen, d. h. beweisen, daß das Eind bei der Wahl sich im
allgemeinen nidit durch isthetische Badksiohten bestimmen IKßt Ich
fand die Auswahl bei den Knaben gr5ßer als bei den Mfidchen. Das
Auge der Mfidchen schien bei der Wahl etwas mehr durch Gesichts-
punlrte der Schönheit geleitet zu werden; die Knaben wählen mehr
das GioAe, das Übenagende. Tor allen Dingen schätzten sie das alte
Kieler Schlofi. Es ist ein altes, graues, einförmiges Gebäude, soweit
es sich dem Beschauer nach den Straßen hin präsentiert, kann es
auch nicht den leisesten Anspruch auf irgendwelche Schönheit er-
heben, — aber daß es die Wohnung des Prinzen Heinrich und zeit-
weilig der Aufenthaltsort dee Kaisers ist, das macht es dem Knaben
zum Ideal aller Gebäude. Nach dem Schloß folgt in der Wert-
schätzung eine Kirche, hinter der die Schule weit zurückstehen muß
— auch bei den Mädchen, die dem Yexsnch unterworfen wurden,
trotzdem ihr Schulhaus ein durchaus elegantee, modernes und schönes
»
480
Gebiade ist Hier nuseheii aicih offenbar hemmende GedenkenreiheiL
anderar Art ein.
IGt diesem SrgebmSi das einer Untersnohnng von SOO Schfileni
und Schalerinnen entnommen worden ist, wollte ich mioh fOr den
gegenwirtigen Znsammenhaiig nicht begnügen; ich stellte erneut eine
nmfibi^che Nachprüfung an.
Welches Bild ist dir das liebste?
Wie btt den Bflchem, so bereitete es aodi hier giOfite Sohwieiig-
keiten, den Namen des Maleis oder Zdohnera m edahren, auch die
Titel erwiesen sich sehr oft nngenan; trotidem erachte ich das
ICateiial für die vorliegende Angelegenheit ansreichend. Ich beaohside
mich, auch hier jinr allgemein ein Bild dessen sn geben,
Kind interessiert ohne genauere aahlenmfiffige Sonderan^
Stufe I.
Photographie. Sixtioiscbe Madonna.
WilitntiaiidMiiaft Abendmahl Jagd nach
dem OlüdE. Wilhelm H Sohlaoht bei
T^'örth. Wilhelm! Friedrich II. Buchen-
wald (Roß). Kaiserproklamation (Werner).
Schlacht bei Bau. Bismarck (Lonbach).
Morgenandacht (Jessen). Waid(Juhannsen).
Oebngene Ttnloe. Teatobniiger WaM
(Lohmeyer). Hagen an der Bahre Sieg-
frieds. Hähoengrab (Bjeae). KMgia
Laiso.
Stufe II.
Wilhelm II. Mutter Gottea. Sommer-
landsdialt fimg Hohenzollem. Schiller
und Ooetfae. FhotoKnplii& Königin
Loise. YesieiUlder.
Photographie. Ostermoigen. Abend-
mahl (L. d. V.}. Rodolfa Bitt zum Grabe.
Königiii lAiae. Die drei Ptosen. Heide>
röslein. H^rmanmiimhlefiM Jean iüBi
den Stonm
Photographie. Germaniscbos Bauem-
gehöft Jerusalem. Kuichbtag zu Worms.
Jesu Oebnit Sofawaigeii im Walde.
Wilhelm IL Ootfaensohlaoht Jeeoa am
Mer-r. Karl der Or. Jesus am Kreui.
Frühling. Domrt^schens Erwachen. Abend-
mahl. HohenzoUern. Schneewittchen. Der
Tod als Freund (Bethel). BoofaenwahL
Seeroaen. flchntaeagel. BheinftJl. Jeane
eegnet die Kinder. Kfthe an derTMnk».
Stufe III.
Abendmahl. Photographie. Eaiser-
proklamation. Burg Hohenzollem. Her-
mannadenknuL Gennaai ta the front
Wahelmll. KyefhSnaerdenkmaL Über-
schwemmung in Schleeien. Seeadiladit
8tarm auf lako.
Königin Luise. Die scböae Melusine
(Schwind). Befiehl d. tn Herrn deine
Wege (Richter). Waldkapelle. Die sieben
Beben (Biohtei). Friedrich n. Fhoio-
graphie. Jesu am Kreuz. Hanaaegen.
Landschaft Der zufriedene Spiefibfuger.
Lobboh: Kind and Kmiat
4SI
Knaben
Midohen
Stnfe 17.
DomrOeohen. HMMwmhun. Winter-
landschaft KjrffhäaserdenkiiiaL Wil-
helm IL Bergpredigt f!hin«Wi^, gtoU.
verkbildex. Vogelbild.
Heimohen am Hera, wimalin II. Dia
sieben Raben. Die schöne MelasiDe.
Knabe und Vogel. Der Vesuv. Der See
Genezareth. Nordsee. Schwanwald
(Jagend). SduMawittobea dtotstain).
UlidMMnilileiui (Bwaa^ OiDsahiit
(Voli-marin). Jesus segnet die Kinder (St.).
BtuU Y.
Ffexd an der Enppe (Lehinaiin). Enegs-
bnd. Drachentöter. Ileimkchr aus dem
Chiiiakrieg. Hünengrab. Kaiser Wil-
helm II. Kittäiborg. lAndschaft Krea-
slgug. HlDsel und OietiieL SohifL
von dar Briae. Kube und Toge^
aast
Schneewittchen. Jesus. Wilhelm U,
Bismarok (Leabaoh). BildTonderSoliwalbe.
Die Photographie eines Anverwandten wurde nahezu zur Hälfte
aller Fälle als Lieblingsbild bezeichnet, sei es die eigene oder die
des Vaters oder der Mutter.
Bilder bekannter Meister — natürlich lernen die Kinder diese
sumeist als Reproduktion kennen — sind sehr stark in der Minder-
zahl Trotidflin ist ein gtinstiger EinJElafi der Schale in der oben
gegebenen Obersioht je nnd je deafjieh naohweisbar. Das gilt be-
eondeis ron den lfäd<Äien, wo bier nnd da ein beoonderes^ aber Ter-
stindnisYoIlee Bemühen, anoh edlere Ennst den Kindern vor Augen
m bringen, wie ich beetimmt weiß, statt hattOe Man ist bereebtigt
der Tatsache an entnehmen, daß beaonderes Bemüben auf Brfolg
sBUen dari^ wenn es sich in TemOnftigen Bahnen bewegt Dasn
gehört Tor allen Dingen, daß es sich mit feinem Takte dem jeweiligen
Stande der kindlichen Entwicklung anpasse. Die Fordenmg: dem
Kinde das Beste ist stark abgegriffene Mttnae geworden, matf Teigißt
das eiste Dingwort stark sn unterstreichen und projiziert nur in zu
Tiden Forderungen weit über den OesiohtBkreis des Kindes hinaus.
Denn — und das mdge hier erneut betont werden — das Hinein-
passen in die kindliche Gedanken- und Interessenwelt ist nicht zu-
nftchst Sache absichtlicher ErwSgung oder logischen BisonnementS)
sondern des Taktes.
Stark gleichgültig gegen künstlerische Ausstattung ist nach .'der
Übersicht das jugendliche Alter, aber auch auf den oberen Stufen
ZiltMlBift Mb FUtoMplit* aad Pidivogik. 12. JakgtQs. 31
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488
AoMln
interessiert in erster Linie der Stoff, der Yorwurf des Bildes und
zwar, entsprechend der stets regen kindlichen Neugier, der Vorwurf
erzählenden Inhalts, entstamme er nun weitgeschichtlichen oder den
kleinen Yorgäugen des alltäglichen Lebens. Das Stimmungsbild findet
nur selten Erwähnung.
Nicht unerwähnt will ich lassen, daß nahezu anasohliftMich kolo-
zierte Bilder als Lieblinge bezeichnet wurden.
Ein Altersfortschritt zeigt sich insofern als auf die völlige Wahl-
und Kritiklosigkeit der unteren Stufen wie immerhin nicht undeut-
liches "Wählen nach Seite des Besseren auf den späteren Altersstufen
einsetzt; im großen und ganzen aber finden wir das Ergebnis der
voraufgegaugenen Untersuchung bestätigt, daß das Kind der Büd-
kunst gegenüber ungleich ungünstiger dasteht, (d. L hier ungleich
hilfsbedürftiger ist) als gegenüber der Kunst im Worte.
Welches Gebäude unserer Stadt hast da besonders
gern?
Bas Ergebnis der NaohuntmiGliung kann ich knis reneiehnea:
im grofien und ganzen Mtigte siidi Obereinstimmung mit dem ein-
gangs des Abschnitts gezeiehnelen Ergebnis frfiherer ünteisaöhnngen.
Nur in einem bedaxf es einer Biginznng, — sowohl bei Knaben wie
bei UMehen leigte sich neben der starken Betonung des KOni|^ichen
Schlosses, ein deutliehes SQnneigen des Urteils zn solchen Gebinden
der Stadt Eiel, die durch herFomgende architd[tonische Sdhdnheit
charakterisiert sind. Ich ▼endchte darauf die Daten hier au geben,
bemeike nur noch, daß das Ergebnis gezogen wurde unter anadrfltck-
lichem Teiadcht auf diejenigen Werturteile^ die ledic^ich znfiUigen
Umstanden entsprangen, etwa der sufiOligen Neigung oder der Tigee-
nenheit
Welches Denkmal ist dir das liebste?
Kiel ist an DenkmSlem keineswegs reich, somit ist die Wahl-
möglichkeit beschrankt Tiotsdem bot sich Gelegenheit, Tocnehen
und Yetwerfen der Kinder au beobachten, weil diese Denkmäler von
sehr ungleichem künstlerischen Werte sind.
(Siehe TU>elle S. 483.)
Das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I. von Brütt nimmt den
Löwenanteil des Interesse in Anspruch. Es ist ein Standbild, das
dem Laien — und zu denen gehört zweifelsohne auch das Kind —
nicht sonderlich verschieden erscheint von den besseren i^eioh-
betitelten Denkmälern anderer Städte. Der Übersicht I kann man
nicht entnehmen, welche Momente dem Kinde für die Bevorzugung
insonderheit wertvoll waren. EsAt man aber die Gesamtdaten ins
Loasm: find wd Kunst
48»
Knaben:
ORIIIS
I
ü
m
IV
V
Kaiser inihelm I . .
76
84
60
67
70
71
4
6
10
16
7
8
Henog Friedrich . .
4
3
6
3
Kösfsitieuknial .
A
O
o
Q
O
Q
O
3
Der große Xurfiirst .
2
7
4
6
A
\
9
7
17
10
7
10
—
—
—
—
4
0,8
2
—
—
—
—
0^
Mädch
en:
Stufe
2s&me des Deaknialt>
Souuue
— —
I
n
HI
iV
V
Kter Wilhelm I . .
89
66
68
46
80
BSsmarck
16
10
19
5
13
Herzog Friedrich . .
8
6
4
5
6
Kriegerdenkmal • , .
3
2
10
5
Der große Kurfürst .
5
1
8
26
32
33
2
JflSBB am Xieu. . .
1
o;8
Auge, 80 begegnet sweifeUoSi daß niöht sowohl kflnsflerisdheB Emp-
findeo, als die EOUe OeschehniBse, die an diese Perafinlichkeit ge-
heftet ist, das Kotiy des Yomehens beigibt Dem widerapdoht
durdunis nidbt^ daß das Xroppdenkmal an sweiier Stelle gewertet
wnxde. Znnficihst war die Binweibiuig desselben Tsgeseraigiiis» dann
aber bedeutet der Umstand, dafi es ein Denkmal von stai^ betonten
Ifinnsqnslititten kfinstierischen Schaffens darstellt, einen erneuten Be--
weis, dafi nicht beschauliches, passives Aufbissen künstlerische Kom-
plexionen, sondern das Interesse am Leben, am Stoff des Bildes zum
Yoniehen reiat Mithin werden alle diejenigen Bilder bevorzugt, di&
erzählen, zumal aus der Gegenwart, ganz unbekümmert darum, ob
sie künstlerisch besonders wertvoll sind oder nicht
£ine weitere £iginznng erfährt diese Angelegenheit durch dia
Beantwortung Ton mancherlei Sonderfrsgen. Da sie nur Neben-
31*
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484
AulBitM
Interesse tragen, kann ich nur eine knue Behandlang derselben ge-
statte n.
Die Sonderfragen beabsichtigen, einige Nebengebiete in dem
Sinne zu beleachten, ob hier eine »Schönheitskonkoirras« oder Inter-
essen anderer Art bestimmend waien.
5. Welche Blume hast du besonders gern?
Es erübrigt sich, hier genauere und umfängliche Zahlangaben zu
"machen, einige allgemeinere Bemerkungen genügen. Erneut fand ich
bestätigt, daß die Rose die ausgesprochene Lieblingsblume der Kinder
ist, sowohl der Knaben wie der Mädchen. Erst auf den oberen
Stufen konnte eine reichere Auswahl konstatiert werden. Zwar läßt
sich — für diesen Zusammenhang — nicht ohne weiteres feststellen,
ob der Duft, die Farbe oder die Gestalt der Rose für ihre Bevor-
zugung bestimmend war, die Art der andern genannten Blumen läßt
aber wahrscheinlich erscheinen, daß nicht der Duft, sondern in erster
Linie Form und Farbe verantwortlich zu machen sind imd zwar mit
starker Unterstreichung der letzteren. Denn die duftenden Blumen,
die keineswegs immer die farbenreichsten sind, werden sehr viel
seltener genannt als die andern.
Die größere Mannigfaltigkeit der von den Mädchen genannten
Blumen läßt auf ihre stärkere Neigung schließen, sich mit Blumen zu
beschäftigen.
& Wdcbet Tier, imbetondae wekben Vogel hatt dn beaoadcra fem?
Die Anzahl der genannten Lieblingstiere ist yerfailliiisiiiiSig
gering, \ni den Eneben etwas grOAer als bei den Mldehen, bei
Uteron Kfndem giOSer ab bei den jungem. Man moB aber be-
denken, da0 die Stadtjugend den ]>(xifl>ewohneni gegentttier im Kaub-
teile ist Sie leint nnr wenig Tieie kennen. So luid ich anoh nur
Tiere genannt, die im Hanse äoh anihalten, sehr selten solohe, die
draofien leben. Bs fehlt an der Gelegenheit xn nnmittelbarar Beob-
aditong: Ich fand, wie in der frttheien XTnteisachnng, bei den
Knaben Yoiliebe filr das Grofie und Staika Seine Lieblingstiere
smd: der Hund nnd das Ffacd. Die Neigung der Uidcfaen geht
mehr auf das Kleine, Zieiliche, Ißedlic^: das HUnddhen nnd die
Katee. Im allgemeinen, so schließe ich unter Yeigleich dieser Tat>
Sache mit den andern genannten Tteien — läßt sich das Kind bei
der Wahl seine Lieblingstiere oft weniger durch instinktiF wiikende
ästhetische Momente bestimmen (obgleich kein hftfiliohes Her genannt
wnrde), als durch TTmstinde, die entweder der Zufall bedingt^ der
LoBsnat: Kind und Kunat
485
ihm eben nur eine beschränkte Anzahl von Tieren zur Auswahl zu-
weist, oder es greifen "Wünsche ein; so denkt sich der Knabe das
Pferd zumeist als Reitpferd und als den Reiter niemand anders als
sich selber, oder er denkt an das Vergnügen, das ihm der possiei-
liehe Affe oder das drollige Eichhörnchen bereitet.
Bei den Mädchen fand ich durchweg eine größere Hinneigung
zu den Yögeln. Bei ihnen dominiert wesentlich das Interesse für
die Nachtigall, dann folgen Papagei nnd Kanarienvogel. Auf Stufe I
bis ni beherrscht die Nachtigall, auf der IV. der Kanarienvogel und
auf der V. der Papagei das Interesse. Hier kann nicht zweifelhaft
sein, daß der Papagei seines Sprechens, der Kanarienvogel seiner
Farbe und munteren Bewegungen, die Nachtigall aber ihres Gesanges
wegen vorgezogen wird. Es ist interessant zu beobachten, wie die
Vorliebe für den Gesang so stark ist, daß Vögel, die durch Gostalt
und Farbe sich auszeichnen, kaum genannt werden. Interessant ist
die Beobachtung besonders eines doppelten Umstandes wegen: 1. haben
die Kinder eine ganze Reihe Vögel letztgenannter Art durch Ver-
mittlung des Unterrichts im Bilde und in aasgestopftem Zustande
kennen gelernt, 8. bin ich fibeneugt, dafi kaum die Hftlfke der ESndfir^
welcSie die NaolitigaU als üebüngsvogel beMiahneten, (trot> dat fOr
unsere Stadt yeriiiltusmäßig günstigen Terbältnisse: gablreichfr
stfidtisdie Paditgftrten) den Gesang des TogeLs gehört haben. Aber
der Vogel ist nun einmal der erste Singer unserer bemiisdhea Vogel*
welt^ alle Welt beaeiohnet ihn als solöhen — und das wizkt sugge-
xierend auf das Kind ein und zwar in dem eben genannten Msfie. — ,
Bei den Knaben aeigen sich nicht unwesentlidhe üntersohiede. Zu-
Hiebst beobaohtea wir keineswegs ein Yorhenscben der Neigung ffir
die NabhtigaU — mOglioh, dafi das damit susammenhingt, dafi der
Knabe weniger suggestibel ist als das IQdcben — , ferner finden wir
eine bedeutend giöfiere Anzahl toh Vögeln genannt, endlich sind da»
oahesn ausnahmslos Vdgel, die durch ihre Bubeniaacht ansgeaeiofanet
sind: Pfau, Stiei^^ Paiadiesrogel, Buntspecht, Kolibri, BotkehlcheD,
KanarieuTogel, Buchfink, Zeisig^ Gdd&san, oder solche, die dundi
Oröfie und Stiiike ausgezeichnet sind» wie Stnnfi, Adler und Sdiwan.
Der Fiqpagei hat auch Tiele Liebhaber. Daneben q;»ielt natoigemlß
auch der Zufall in der Wahl eine Bolle, jenaehdem er diesen oder
jenen Vogel in den Besitz des Kindes bringt
Wir erfahren mithin, dafi auch in der Auswahl der Lieblings-
tiere Vorziehen und Verweifen der Kinder durch ästhetische Um*
stfinde mitbestinmit werden.
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48«
iiiMHiii
7. Welchen Atmig wünschst du dir?
Die Ausbeute für die vorliegende Aufgabe ist gering. ISnerseits
regen sich Wunschideale, die hier und da den elementarsten Bedürf-
nissen entspringen. Die Zahl und Mannigfaltigkeit der Wünsche ist
bei den Mädchen ungleich größer als bei den Knaben. Dort
finden sich alle erdenklichen Farben und Modefoniien veraeichnet
Bei den Knaben ist das anders. Da überwiegt der »Matrosenanzug<.
Hancher wünscht sich einen Prinzen- oder einen Galaanzug, mancher
modeme Quertaschen. Später kommt die Periode, da die langen
Hosen mit Inbrunst gewünscht werden, sie absorbieren einen großen
Teil des Interesse für die Kleidung.
A.nf den oberen Stolen kommt aadi der »junge Herrc in dem
Vunscfae je tmd je snm Ansdrndt Bas Interesse daran, Mi so.
pntaen tmd ra sduntloken finden wir bei Sindern allgemein, doch
stUer bei den MSdchen.
8. Wohia möditeat da efaien kadtug nadiaa?
Einen AnsfLng machen, der das Eineiiel der tSgüchen Be-
-sohlftigimg onteibricht, gehOrt sa den Wonnen des Emderiebens.
In diesem Zusammenhang soll erwogen werden, ob das Kind in
«dnen Wünschen sich bestimmen läßt durch die Schönheit der er-
wählten Gegend. Das Ergebnis der Umfrage bestätigte das in dnieh-
■ans befriedigendem MaBe sowohl für Knaben wie für Mädchen, so-
wohl für die niederen wie für die höheren Altersstufen. Wo nicht
Bedsenele gewünsdit wurden, die durch landschaftUohe Heise aus-
:gefleiohnet sind, da griffen bei den Knaben Wünsche ein, die dem
Drang in die Feme entspringen, da will der eine nach Afrika, der
andere in die Schweiz, jener nach Frankreich, dieser nach Jerusalem,
•der eine in die Rlviera, der andere nach Rußland, dieser nach Däne-
mark, jener in den Harz, der eine nach China, der andere nach
Mecklenburg usw. CBiarakteristisch ist, daß in diesen Wünschen dem
Knaben keine Reise zu weit ist, während die Mädchen sich — mit
Ausnahme der unteren Stufe — innerhalb der Grenzen der Heimat»
provinz halten.
Wir dürfen dieser kurzen Betrachtimg entnehmen, daß die Jagend
in reichlichem Maße auch für das Schöne in der Katar Hers und
-Sinn haben.
9. Liebh'ng;sspiel und Ueblingsturnübung
Diese letzte Fragestellung hatte sich zur Aufgabe gestellt, zu er-
knnden, ob auch in Spielen und Tomen ästhetische Neigungen nach-
Loon: B&i «d Kamt
467
"wsaalicli aoiin, ob die Toiliebe ging auf solche Übungen and Spiele,
die dnreh Hdtong und Ordxnmg, oder anf soldie die Gesdnok, Krafi
und Gewandtheit in erster Linie Yedangen.
Hinsidhtliflli dee lieUingsspiels kaim ieh iManm Terweiflen auf
meine Abhandfamg Über Ehiderideale, deren Brgefanis idi hier tqII-
kommen bestttigt &nd. Die Liebliiigsspiele der mästen Kaaben sind
FreUnft-, die der meisten HIddien Snunerspide. Weitaiis am
hidfigsten wsd Ton beiden Gescfaleditfim das Ballspifil als Ide^^^
beseichnet Den Knaben ehttnücterisieren die Lanf- nnd Banfspiele,
die Hnt^ Lnsi^ Gewandtheit nnd Eiaft eif ordern, das Hidchen die
säaberiidi geordneten, wie Eieisba]], Fbngeball, Lottospiel nnd die
Fnppe. Der Enabe will mit seinem Spiel hinans in I^eiheit nnd
UngebnttdeBheit) das Hidchen mag ins Hm, snr Ordnung nnd Ge-
sittung. Wenn wir also Ton tB&eliBdien Elementen reden wollten,
so kann dies nnr beefigüöh derlttdchen geschehen, die sof Ordnung
nnd Anmut bei ihren Spielen halten.
Ähnlichem begegnen wir bei dem Tumen. "Weil ich in »Kindeiv
ideale« diese Angelegenheit nicht berührt habe, gebe ich hier die
prozentualen Werte wieder, geordnet nach Alter nnd G^eschlecht der
Kinder.
(Siehe TabeUe S. 488.)
Ein Blick auf die beiden TabeDen belehrt wa^^ daß die Anzahl
der beliebten Turnübungen bei den Knaben bedeotend größer ist als
bei den Mädchen.
Scheidet man alle aus, die einen "Wert in der TabcUe unter
haben, so kommen für die Mädchen nur zwei Übun^ren in Frage, der
Kimdlauf und das Schweben in den Ringen. Für das Reck und die
Kletterübung fand sich keine einzige Stimme. Bei den Knaben finden
wir das Klettern durch den höchsten Gesamtwert ausgezeichnet, dann
Sprungseil und Reck; die den Mädchen liebsten Turnübungen, Rund-
lauf und Ringe finden bei den Knaben eine gerin^re "Wertschätzimg.
Auch im Verhalten auf den einzelnen Altersstufen zeigen sich
bezeichnende Unterschiede: das Interesse der Mädchen bleibt während
der ganzen Zeit annähernd auf gleicher Höhe, nicht so bei den
Knaben. Deutlich fällt mit steigendem Alter das Interesse für Klettern,
dagegen steigt das für Reckübungen und Spiingen. Der Umscliwimg
in der Neigung findet auf det dritten Altersstufe statt, wie em Ver-
nich.
Flu- die Aufgabe, die uns hier beschäftigt, ist wieder die Ans-
beute sehr gering, die eingangs gestellte Präge läßt sich ans dem Tor»
handeneu Material weder bejahen noch verneinen. Man mnß sdion
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488
AUWIB
Knaben:
Stafe
Name dar Tanfiboiig
I
n
m
IV
V
Beok
26
38
18
18
iv
SpringaeU
32
80
64
29
8
32
FoMlitftf .... *
7
11
8
11
20
11
Barrea
8
8
2
Tie J
rfcrd ......
3
Laufen
7
1
Klettern
7
19
16
32
44
BiDge
10
12
18
8
Summe
100
100
100
100
100
M&dchen:
#
Stufe
XIWDO Uw XllIllttDIIIIg
1
n
nr
IV
TT
V
Keck
~
Sprungseil
1
BUOdlMlf • • ■ a «
38
29
28
40
Ott
31
fifexven
8
2
1
Heid
1
—
—
lAiifpn ......
7
*
4
2
Klettern
Bioge
50
65
68
60
75
63
Beigen
8
•
2
StaUUmiig
1
KralensclLwiiigen . .
1
Summe
100
100
100
100
xoo
«rwfigen, wie die Übungen von Knaben und Mädchen ausgeführt
werden, dann allerdings wird man geneigt sein, den Ringangsgedanken
zuzugeben.
D. Schluas
Wir abid am Ende ennes redit mflheroUen Weges angelangt
Mancher wird geneigt sein, den Vnob fOr die Axbett sehr gering n
nennen, jener gar behaupten, sie sei gani nnntttz gewesen, denn es
seien grofienleilB Dinge sa Tige gefSidert worden, die nidit nea seifln.
Lmn: Kind und Emist
489
DemgegenUbfir möchte ich, scfaUfifiend, gans kon Stelluig nehmeiL
1. Der Sänwmf zeigt von starker üiünniitmB Yom Wesen des päda-
gogisch-psychologischen Ei^»erimeni8. Es gehört za dessen Wesen,
daß es ungemein mühselig und auch za. dessen Wesen, d&B der Er-
folg oft nur bescheiden ist ISneiseitB eifoidert diese Arbeit^ die un-
beikünmiert nm äußeren Eifolg, ledi^ich ans wissensohafflichem Inter-
esse geleistet "wird, als solche sdion ihre Anerkennnng, andierseitB ist
aber ein ganz fidscher Standpunkt^ nnr in der Erwartung, etwas
dnichaiis Neues zu hören, an die ünteisudinngen heranzutreten. Das
Experiment ist eine besondere Fonn der Erfahrung, das ist schon oft
ansgeführt worden — aber darin liegt doch zugleich ausgesprochen,
daß es sehr oft la ahnttchen Ikgebnissen wie jene kommen muß.
Aber — und darin steckt der Wert dieser Beobaditungsweise — die
-Qbereinstimmenden Ergebnisse sind jetzt ganz anders fundiert, als das
durch die bloße Beobachtung möglich war. Sie sind dem zufälligen
Meinen und Scheinen entrückt und auf wissenschaftlichen Boden ge-
stellt worden. — Für das Experiment selbst aber bedeutet diese Über-
einstimmung mancher Ergebnisse ebenso oft eine Bewährung, einen
Beweis, daß es sich auf richtiger JB^ihrte befindet Sie gibt ihm das
Bechl) nachdrücklich seine Stimme auch dann geltend za machen,
wenn es zu abweichenden Reeoltaten konunt und Irrtümer nachweist
Ich möchte sehen, wie diejenigen, die jetzt über die Unfruchtbarkeit
des Experiments ereifern, dem Experimentieren zu Leibe gehen würden,
wenn es tatsächlich nur Neues bringen würde.
In der vorliegenden Frage aber glaube ich, unter AVahrung mög-
lichst großer Vorsicht und auf breitester Grundlage, nachgewiesen zu
haben, daß allerdings im Kinde ästhetische Qualitäten schlummern
und daß treffende Maßnahmen geeignet sind, diese zu entfalten und
gegen unedle Einflüsse zu immunisieren. Das Wortschöne liegt dem
Kinde ungleich näher als das Bildschöne. Femer: Die Voraussetzungen,
welche die Förderer auf dem Gebiete der Kunsterziehung ohne weiteres
vorwegnehmen, sind somit experimentell erwiesen: eine Kunsterziehung
ist möglich.
Freilich: wie hoch die Ziele zu stecken sind, welche Sondermaß-
nahmen notwendig sind, ob die gegenwärtigen Bestrebungen in ihrer
Methode berechtigt sind — das sind Fragen, die hier, wo die Absicht
auf die Voraussetzung allein gelenkt war, nicht beantwortet werden
sollen. Ich hoffe jedoch, daß Fingerzeige hier und da den vorliegenden
Untersuchungen entnommen werden können.
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m
BUmmma ssr Rrtkmn des Beligioiifr¥niii(Hiinliti
(FortsetsiuDg)
XIV
UtttUn zn IMI|iMt>UMin1olt
1. IMe Sohwierigkeit, mift dar der BeligionsnntBRiofat der Sokide
— dar Tolkssdrale wie der Meran Sdiole — in gegenwirtiser Zeit
an Umpfca hat, liegt mehi hloB dariiii daft es das Üssnetsto und HiBdoto
dto Menachenlebeps isi^ wonim ea sich dabei handett; andi mclil bloft
darin, daA die religideen Überaeugungen heute weiter anaemandeigehen
vnd mehr in IhiB afaid, ala vielleicht' je aoror; aandeni darin, daft
daa ganae YeihflltDis der Religion aa den llbrigen Ghfandb wtan dfaflen
der durch die S<dnile dem jttaigeren Geaohlecht an ttberiiefamdsn
natlonaleD nnd meDSofaheittiohea Kultur maoher geworden; daft die
Taisache einea tiefgehenden Konflikte awiaefaen der ^betkommenan
Jenaetterdigion nnd der homanen Wiaaenaohaft^ Sitlitol^it nnd Kunst
vorliegt nnd ädä ttnger nicht verbergen 1SM\ einee KonflildB) der
nodi weit entfernt ist von einer solchen Lösung, welche hotkn, dfirito
zur gemetnsamen Überzeugung aach nur derer zu werden, die g^
willt und befiOiigt sind die Snige mit airf»elBngetter Wahriieitriiebe iaa
Ange zu fassen.
2. Bei dieser Lage ist nur einer von zwei Wegen möglich. Das
Eine wäre: völliger Vendoht auf irgend welche (Gemeinsamkeit leü-
giliaer Unterweisung; strenge Ausschließung also der Religion aus dem
gemeinsamen Unterricht der Schule, und Freigebung desselben aa die
einzelnen Bekenntnisse, nnd zwar alle ohne Unterschied; denn keine
einzige religiöse Überzeugung darf vergewaltigt werden, nicht die der
kleinsten Minderheit, ja nicht die eines einzelnen; nicht die positiTe,
aber auch nicht die ncG:ative. So erhielte die Kelipon eine ganz ab-
gesonderte Stf'lhinfr nohon dem übrigen, durch den gemeinsamen
Unterricht zu überliefernden Kniturinhalt; aus dem auf diesen ge-
richteten Unterricht dag^en wäre das religiöse £lement ganz anaaa*
scheiden.
3. Aber diese Losreißung der Religion vom Zusammenhange des
Kulturlebens ist an sich nicht sachgemäß und würde nach vielen
Seiten geradezu gefährlich wirken. Der Partikularismus des Bekenntnis-
glaubens würde dadurch nur gefördert Bewiese dann die Reügion
in dieser von der Kultur losgelösten Stellung überhaupt noch eine
stimmen zur Befoim des Beligioos-UntdrriohtB 491
-wirkliche Macht, m würde sie geradesn bedrohlich werden für die
gemeinsame Eultorarbeit, deren Erhaltung und Fördemng die Schale
dient: zoigte sie sich in solcher Absonderung ohnmächtig, so bliebe
nur eine auch um den wertvollen Gehalt der Religion verkürzte, also
eine verstümmelte Kultur übrig. In jedem Fall wäre der Konflikt
Ä¥rischen Religion und humaner Kultur auf diese "Weise nicht be-
Mltigt oder auch nur gemildert, sondern unabsehbar verschärft.
4. Und dabei wäre das, was man auf diesem gewagten "Wege
retten wollte, die Freiheit der Gewissen, gerade so nicht gewahrt Der
Staat zwar und die bürgerliehe Gemeinde würden aufhören einen Be-
kenntniszwan^r zu üben; aber die Kirche würde ihn um so schärfer
anspannen. Seilest wenn Dörpfelds Yorschlag Hoffnimg auf Verwirk-
lichung hätte, nach welchem die Schule hinsichtlich des Inhalts des
Unterrichts, besonders des religiösen, freien Verbänden religiös gleich-
gestimmter Hausväter (»Schulgemeinden«) an erster Stelle verantwort-
lich wäre, so wäre in Hinsicht der Gewissensfreiheit nicht mehr ge-
wonnen, als daß an die Stelle einer oder zweier großer Rehgions-
gemeinschaften ungezählte kleine träten, die in der so gewonnenen
Freiheit ihre Sonderrichtung nur um so schärfer betonen und sich
jeder Verständigung verschließen würden. Dem Gewissen der Eltern
geschShe kein Zwang mehr; aber sie selbst würden ihn mit um so
ummiBcliiinkterer Gewalt auf die Einder ausüben können, und ifaa
auf ae anseattbeii dardi eine sololie Bfairielitung geradera angewiesen
werden. Die walure Oewimensbeilieit iei aber die des Bidividnnms,
nidit die irgend welcher, gleidkTiel ob weit oder eng Teistandenen
KoiporaticiL Be daif tttierhaopt kein Tozmimdschafi^cheB OewisseD
geben, aneh sieht der Ettem fOr die Einder.
Ik Ist also dieser Weg bedingongslos absnlehnen, mnfi Tiehnehr
der leligidee ünteniöht gemeinsam mtd in Yerimulang mit dem
gannu Unteniobt der Sehlde Teibleiben, so bleibt nnr eines ftbrig:
die Sehnle bat nicht iigend welche, sei es alte oder neae, aOgemeine
oder besondere, podtiTe oder gar n^gatire religiöse Übersengong, nidit
irgend welches »Bekenntnisc als feststehend anrnmehmen nnd dem
nachkommenden Gesddecht an flbeiliflieni, sondern sie hat allem die
Tiilaacbe der BeUgion nnd ihre wiiUiche Bedentang im Oanaen der
mcpashhsBtfiehsn nnd nationalen Enltar anaaerkennen und dem Ter-
attndnis nahe zu bringen. Sie hat also enien inhaltlich allgemeinen,
streng nndogmatischen Unterricht, für alle gemeinsam, zu erteilen,
einen Unterricht nicht in, sondern über Reügion; das heißt einen
Unterricht, der nicht bezweckt, iigend eine gegebene Religion dem
Einde einsiipIlaDaeii, oder anch mir ihre hanptsttdilioh dnröh andere^
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492
AvfBlftie
Ürchliche oder EamilieiirSiiiflfisse bedingte BuUaltmig in üim an ihrem
Teil sa befördern; sondem siofa streng darauf beechifinkt, diejenige
Kenntnis nnd dasjenige Teistilndnis Ton Beligion mitEUteilen, welches
ZOT Kenntnis und mm Terstündnis der ganaen, dem jüngeren Ge-
schlecht doroh die Sohnle za Ubeiüelemden menschheitlichen nnd
nationalen Enltor erforderlich ist Sie soll also ihren Zögling tot die
Kage der Beligioa swar stellen, aber nicht irgend eine bestimmte
Antwort auf diese Ebrage ihm aiitoritetiy aufdringen oder aiudi nur
nahelegen. Die Antwort soll em jeder nach edangtsr Beife, also
jenseite des Schnlalters, selbstBndig, rein nach dem eigenen Gewissen
— womfiglioh finden; er soll aber auch, wenn er kerne findet^ dordi
den ünteniöht dayon einen Begaff bekommen haben, dafi es Beligioii
fpb% und was sie im Gesamtleben der meosdilichen Kultur bidier be-
deutet hat und noch bedeutet
6. Angabe des Eeligionsunterrichts der Schule ist also keines-
falls »Aneignung der Heilstatsachent, wie z. B. die preußischen Lehr^
pläne für die höheren Schulen sagen. Eine solche Forderung ist an
sich sinnlos in einer Zeit, wo die Übeaengcmgen der redlichsten und
religiösesten Mensclien darüber, wo das »Heil« liege^ so weit ausein-
andergehen wie heute: Aber selbst wenn hierüber gar kein Zweifel
bestände, so würde es nicht die Aufgabe der Schule sein, die An-
eignung dieses Heils in ihrem Zögling zu bewirken. Der Lehrer soll
nicht den Seelsorger spielen müssen, der Schule nicht die Verant-
wortung für das Seelenheil (im religiösen Sinne) aufgebürdet werden.
Dagegen liegt in ihrem Bereich und gehört 2:u ihrer natürlichen Auf-
gabe die Erschließung der Welt der religiösen Yorstellungen, als oin^
eigenen und "wichtigen Gebietes des seelischen Lebens der Menschheit;
und zwar dieser Vorstellungen, soweit sie für unsere Nation liistorisch
bedeutend gewesen und gegenwärtig noch in ihr wirksam sind; mit
Verzicht jedoch auf jeden dogmatischen Anspruch. Es soll vielmehr
der Religionslehrer bis zum tiefsten durchdrungen sein von der Ge-
wissenhaftigkeit gegen die ihm anveitraute Seele des Zöglings, daß er
nicht seine besondere religiöse Überzeugung ihm aufdringe, nicht bloß
nicht durch äußeren Zwang, sondern auch nicht durch die Mittel
einer feineren Suggestion, wie viele Geistiiche sie in der Gewalt haben.
7. So allein entspricht es dem allgemeinen pädagogischen Grund-
satz: daß Bildung auf Selbsttätigkeit beruhen muß, die durch die Mit-
tätigkeit des Erziehenden nur entbunden, gegen hemmende oder ab-
lenkende Einflüsse geschützt und in ihrer eigenen, natürlichen Bahn
gehalten werden, nicht aber unterbunden oder in eine ihr nicht
natOrüche Bahn künstlich eingelenkt wecden soU. Selbst wer statt
Stimmoi sor Balona des Baljgkms-Uiitsniolifs
493
der Autonomie die Theonomie behauptet, daif doch nicht im Unter-
richt dem Zögling gegenüber den Gott spielen wollen, sondern muß
vielmehr streben, die ihm anvertraute Seele aller menschlichen Autf)rität
gp^eiiühor frei zu machen, damit sie der alleinigen Einwirkung »Gottesc
offen stehe. Vollends ist es so gefordert, wenn und solango der frag^
liehe UnteiTicht — wie es nach obigem auch sachlich bep^ndet ist
— im Auftrag: und unter der Verantwortlichkeit des Staats oder der
bürgerlichf ii Gemeinde erteilt wird. Denn der Staat hat als solcher
keine Konfession, noch darf er eine solche seinen Bürirem aufzwin^^cen,
weder eine einzige, noch mehrere zur Auswahl; weder eine allgemeine
noch eine besondere. Dagegen ist er, als berufener Ti-äger und Pfleger
der nationalen Kultur, ohne jeden Zweifel befugt und verpflichtet,
Religion, sofern und solange sie ein tatsächlich wirksamer Kulturfaktor
ist, im Zusammenhang mit dem Ganzen der bis dahin errungenen
Kultur der Kenntnis und dem Verständnis des jüngeren Geschlechts
durch die Schule nahezubringen.
8. Man hat bisweilen gezweifelt, ob überhaupt ein Unterricht
über Religion möglich sei, der nicht, auch ungewollt, zum Unterricht
in Religion werde; weil in der religiösen Vorstellungs- und Gefühls-
welt die suggestive Wirkimg an sich liege. Aber so sicher es mög-
lich ist, die Tatsachen des religiösen Lebens imd Glaubens der Ver-
gangenheit und Gegenwart, zwar nicht ohne persönlichen Anteil, aber
doch ohne parteiliche Voreingenommenheit historisch festzosteUen und
psycholegisch za ergründen, muß es auch möglidi sein, eben diese
Iktsachen nach ihiem bistoriedieii und p^ohologischen Zusammen-
hang dem YersiSndnis des Hemawaduenden scfarittweiBe näher an
bringen, ohne dafi damit zugleich die Aneignung einer bestimmten
leligiösen Übeneagong oder Gemütshaltuig sei es absichtlich ihm
angemntet oder auch nnbeabsichtigterwease in ihm herrorgemfen
wird. Hat schon Ungst die "Wissensdiaft diese freie Stellang aar
Religion eingenommen, so wird die Fldagogik daraus die Eonseqnenaen
za sehen haben, da sie doch, hier wie in allem, sich auf den Grund
der 'Wissenschaft m. stellen die nnabweisbare Pflicht hat Damit
würden die Schwiedgkeiten TüUig wegfallen, nnter denen die Schule
in Hinsicht der religiasen Frage zor Zai leidet Diese Schwierig
keiten bestehen in der TSat gar nicht für die UniTersität, soweit
wenigstens sie die freie Foisdinng und eigene Übenengong als Prinzip
aneitomt; sie würden ebenso wen^ für die Schule bestehen, wenn
sie sich mit Entschiedenheit aof den gleichen Grund stellen würde,
wie sie doch will nnd soll Eine Pädagogik jedenfalls, die nach den
Prinzipien Pestalozzis xmd £aiits Entwicklang Ton innen, nicht
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Hinelnbfldimg von anfien als Angabe ^Aeant, darf tkh auch in dar
religiSMm Frage nur im £^fii«di6n Sinne der llceiheit und unbedingten
Achtung der Gewissen entscheiden.
9. Man fOrchtet Tielfaoh mit dem «oioritativen BeUgionsonter-
rieht der Sittlichkeit eme unentiiehriidie Stütae an nahen. Aller-
dings wflxde der antoritatire Beligionsonterricht» Toraiugesetaty daA er
seine Absicht wiiUich erreifihie, allgemein den Geist der Aatorititt
' stütsen. Doch irird, wer sich nicht g^gen ofienkimdige Tatsachen
TesBohliefit) angeben müssen, daft er diese Absicht schon lange nicht
mehr und immer weniger, ja sehr oft das ToUe Gegenteil dayon erreioht
Echte Sittlichkeit aber inzui überhaapt nicht auf Autorität, sondern
nur auf Freiheit ruhen; eine Stütze der freien Sittlichkeit aber ist
nicht eine Beligion, welche selbst in unfreier Weise beigebracht wird,
sondern, wenn überhaupt eine^ dann allein eine solche, die in voller
Ereiheit eigener Überzeugung erwächst Übrigens muß festgehalten
werden, daß Sittlichkeit und Religion, bei aller innigen Berühnmg,
doch dem wesentlichen Grande nach voneinander yerschieden und
unabhängig' sind.
10. Der Stoff des Religionsunterrichts brauchte bei gedachter
Zielbestininiung nicht ein wesentlich anderer zu sein als bisher. Denn
natürlich hat auch der bisherige Religionsunterricht die für unsere
Nation und die gegenwärtige Kulturstufe bedeutsamsten Daten der
religiösen Überliefening in den Vordergrund gestellt Doch wäre
eine sti'enge Sichtung auf der einen Seite, eine Ergänzung auf der
andern durch freieren und weiteren Umblick auch auf andere als die
traditionellen Stoffe geboten. Es wäi-en besonders die biblischen Stoffe,
die eine gewisse Klassizität mit vollem Reclit erlangt haben und be-
hiüten sollen, zu ergänzen durch Dai'steilungen des reÜgiösen Lebens
der deutschen Vergangenheit und Gegenwart Es sei hier besonders
auf ScHiELES gutes Buch »Deutsclier Glaube. Ein Lesebuch religiöser
Prosa zimi Schulgebrauch im deutschen Unterricht« (Dürrs Deut^sche
Bibliothek für Seminare, Bd. XII, T^eipzig 1905) hingewiesen; welches
zwar der uliit^on Absicht insofern nicht entspricht, als es, mit Rück-
sicht auf tlio tatsaciilich vorliegende religiöse Spaltung, das prote-
stantische Deutschland ausschließlich berücksichtigt, und auch nicht
für den Religionsunterricht, sondern für den deutscheu Uuterncht
bestimmt ist; welches aber doch, schon durch seine bloße Existenz,
hinreichen sollte, jeden noch Zweifelnden zu überzeugen, daß der
Bruch mit der bisherigen ausschließlichen Bibel-, Katechismus- imd
Kirchenlied-Tradition nicht den Bruch mit Religion und Ghriatentom
zu bedeuten biaucht
StimoMD rar Beftm im Beligioiii-iriiiinioliig
11. Einer radikalen Änderung dagegen bedürfte die Behandlungs-
weise. Schon längst hat Pestalozzi die Anknüpfung der religiösen
Unterweisung an die immittelbaren Erfahrungen des Menschenlebens,
an die »Anschauung« desselben gefordert Durch sie können dem
Einde schon von der untersten Stufe des Schulunterrichts an die
schlichten Orondgefühle und Grundvorstellungen, auf denen alle
BeUgion beruht, nahegebracht werden, nicht in irgend einer kliT-
lüilQii Farm, sondern rein als EE&hningen, ab Edfibmfiae menfioli^
IklHrter Art und Bedeatong, daam, der XJntenidit nnr das ebenso
Bofalidite, dem Kind mid Volk versttiMUidie Wort hinxiuiifQgen bat
Damit wird aber sugiaieh die Qnmdlage gewonnen fOr die weitere
Testiafung, die, wie in jedem andam Gebie^ die eigene Eifidirung
ergänzen muß durch die Sr&ifarangen anderer, der Mitlebenden so-
wohl, ab derer, die eise Spur ihzea Lebens in der Oesdddite hinter-
Jasaen haben. Hierbei ist in strenger Stufanfolge das den eigenen
BrEahnrngen Terwandteate, also Ton ihnen ans Yeistindliofaste Tozanr-
anstellen, und nur in stetigem Übergang zu dem femer und hoher
Junanf liegendsn fartamschieiten; moht aber, wie jetrt vielfach, gleich
anfimgs mit schwer läßlichem, dem eigenen TorsteUungskreise nnd
eigenen Edeben des Kindes ganz Bemstehendem einzosetaen. Haben
die biblischen Stoffe, wie ananeilrannen, fOr daa reUgiSse Oebi^ eine
gewisse KhoslaLtflt mit Qnmd eriangt, so haben sie es nnr dadurch
und nur insoweit, als sie wiiMich eio&che, elementare Formen reli-
giösen Lebens in entsprechend elementarer Fassung zum Ausdruck
bringen. Erst auf höherer Stufe tritt zum Selbsterlcbten und ge-
schichtlich bekannt Gewordenen der religiöse Begriff; nicht als dog-
matisch abschließend, sondern streng nur als Versuch, den Inhalt d^
Erlebten auf einen möglichst scharfen Ausdruck zu bringen; stets
mit dem bestimmten Vorbehalt, daß kein solcher Ausdruck je als
endgültig zu betrachten, sondern, wie dem religiösen Erleben selbst,
so der begrifflichen Prägung des Erlebten der Spielraum unbegrenzt
offen an halten seL
XV
TIMM8 fibar daa RaUiiaaaaBterriobt aa hötaeraa Soiiaita')
Oymnasialoberlehier Dr. F. Heuck in Berlin
1. Relif^ion ist das innere Verhältnis des Mensclien zu Gott,
nach christlicher Auffassung das Kindschaftsverluiltnis. Wie der
1) Die AnafOhrangaa meiner Theaaa findeB sich in meiner Bnachfin »Zorn
BaUgknsontexxioht an bfiliemn Sebnlanc. (Bariin, Aleiaader Danoker, 1904.)
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496
einzelne zu Gott steht, ob er sich als Gotteskind fühlt oder nicht, ob
er Christ ist oder nicht, darüber entscheidet das Leben, nicht die
Schule. Wohl kann die Schule durch Klärung des Denkens maochen
Anstoß aus dem "Wege räumen und dadurch den Weg zu Gott viel-
leicht hier und da ebnen, aber nicht kann sie es sich zum Ziel
setzen, den einzelnen in das richtige Verhältnis zu Gott zu bringen;
d. h. mit andern Worten: Religion ist nicht lehrbar.
2. So gewiß Religion selbst Sache des Gemüts — oder trie nun
sich nun ausdrücken wiU — ist, so gewiß ist Beligion8imi0Eridit
etwas anderes als Religion, und swar iHe jeder andere ünteDidit
Sache des Teistaades. Indem der Beligionsimteiricht — irie jeder
andere IJntenidht — sich zanlchst ansschlieflliöh an das logische
Denken richtet,- wirkt er mittelbar auch a^ das Gemttb Das
ist der einzige, durch die P^ofaologie gewiesene Weg^ Aufierdem
ist es tSricht, Yerstandesbildnng als ethisch wertlos anzusehen: Gemttt
ohne Yerstand ist genau ebenso nnmoralisoh wie Terstand ohne
Gemüt!
8. Ebensowenig wie Religion kann der RaHgionsontemeht den
Sdifilem Moral beibringen. Ob die ^der HebeToU, gehorsam, ver-
trSg^lich usw. smd, hängt von der Behandlung ab, d&e ihnen sq teil
wird, nnd von der Umgebung^ in der sie anfwadisen nnd ans der
sie sich nnbewoflt ihre Yoriiilder wfiUen. Bs IfiAt sich keine Ge-
dfinwiig in die Kinder hindnreden.
4. Klirung des Denkens — darauf alelt der BeBgiottsnnterricht,
wenn er nicht wertlos oder gar geOQiriidh sein soll, einzig nnd allein
ab. Damit ist ihm eine sehr schwere, aber auch sehr dankbare
gäbe gestellt; eine schwere, weil die Unklarheit in religiösen Fragen,
durch die Jahrhunderte hindurch kirchlich sanktioniert, auch heute
noch weiten Kreisen als der eigentliche Kern der Frömmigkeit er-
scheint; eine dankbare, weil nur durch Aufklärung die Schüler die
Fähigkeit erlangen können, dereinst dem Stormlaufen g^n die Religion
einerseits wie dem angleich gefährlicheren scheinheiligen Pharisäertum
andrerseits wirksam zu begegnen, zu eigenem sowohl wie zu der All-
gemeinheit Nutz und Frommen. Der Religionsunterricht hat zu diesem
Zweck dann einzusetzen, wenn die Reflexion erwacht ist; das ist der
Fall in den oberen Klassen, hier ist der systematische Beligiona»
Unterricht am Platze.
5, Die Frap:e, ob auch schon in den mittleren und unteren
Klassen I{oli*j:ionsunterricht erteilt werden kann, will ich nicht rund-
weg mit nein beantworten (ven^i. meine Broschüre S. S9 u. 40). Es
handelt sich meiner Ansicht nach aber lüer um ein Problem, das
Stimmen zur Befonn des Religions-UnteniGhts
497
noch erst seiner Lösung'- liurrt Daß der landliiufif^e Untcniclit ;nif
der mittleren und unteren Stiife ein Nonsens ist, das allerdings
scheint mir niclit mehr zweifeUuift zu sein.
6. Der Ridi^ionsunterricht in den oberen Klassen soll historischen
Charakter tragen; darunter verstehe ich nicht eine trockene ^Mitteilung
Ton einzelnen Tatsachen, sondern eine Einführunt; in das geschicht-
liche Verständnis der christlichen Keligion und der Kirche. Eine
Diskussion der allgemeinen großen Welt- und Lebensfragen kann
dabei gar nicht umgangen werden.
7. Die Stoffverteilung auf die Tier oberen Klassen denke ich
mir folgendermaßen:
1. Geschichte des israelitischen Gottesglaubens (Uli).
2. Jesus (OH).
3. Paulus und Johannes (ÜI).
4. Kirchengeschichte (Ol).
Bei Nr. 1 wäre die Babel- Bibel- Frage heranzuziehen, bei Nr. 2
ans der allgemeinen Religionsgeschichte Buddha und Mohammed, bei
Nr. 3 griechische Philosophie und Philo, bei Nr. 4 Confessio Augostana
und der LafheiBche Eatechismos ans der alten Zeit, ans der neaen
Zeit Hamacks Wesen dee Cauristentiims und Aluiliolie&
8. Der Seligionsmitenicht an höheren Schalen ist ein wissen-
schaftlicher Unterricht wie jeder andere, keine konfessionelle
Unterweisung! Er dient — nnd darin besteht seine Hauptaufgabe
— der allgemeinen Bildung. Daß aas konfessionellen Bflcksiohten
nach den geltenden Bestinunongen aaf wissenschaftlichen Beligions-
onterricht verzichtet werden kann, daft dadundi der ünbildang weit-
gehende Eomsesslonen geoiaoht werden nnd der Denk-Eaolheit and
Feiert Yorschab geleistet wird, mfissen wir — wie die TerhSltnisse
nun etomal liegen — als ein Übel ertragen, nicht dürfen wir das
aber als ein gates Becht Terteidigen. Im Frincip mofi Ton jedem
Gebildeten, ganz gleich wie er persönlich au der Sache steh^ Ter-
langt werden, dafi er ein Yerständnis für religiöse Fragen beeitat
XV
LiluTlaB-Ealwirf fir slae Mwr üiaHsIwli
Von
Dr. H. Lieti» Leiter des I^Anderziehungsbeims Schloß ßieberstoin (Ilaenbii]ig,Haabiiida)
Religionsgeschichte und ReUgioiislehre
I. Kursus (Rexta, Quinta, Quarta).
VI. Stufe der naiven kindlichen Vorstellunc:, df^r Freude an
fischen Persönlichkeiten und charakteristischen Begebenheiten. Das
ZailMittift Mr lIiDoMiiU« lud FURfOgOc. 12. MiiRDg. 33
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498
AafB&tze
religiös-sittliche Leben der Yergaageuheit» Yeranschaulicht an leichen
die Phantasie fesselnden Stoffen.
Ausgang vom religiös-sittlichen und kirchlichen Leben der Gegen-
wart — Rückgang auf seinen Begi'ünder: Jesus. Erzählungen über
Jesu Geburt, Kindheit, Taten (Wunder), Tod, Auferstehung. 2. Die
ältesten Zeiten des israelitischen Volkes (Patnarchen, Moses).
2 Std.
Y. Die wertvollsten Erzählungen aus der israelitischen Richter-,
Königs- und Prophetenzeit. (Josua, Deborah, (iideon, Jephta, Simsen,
Saul.) Einiges von David. Ahab und Elias. Elisa. Arnos. Bilder
aus dem Leben Jeremias. Bilder aus dem Exil (PsaUn). Nach der
Bückkehr (Haggai). 2 Std.
IV. Die einfachsten Bestandteile der Verkündigung Jesus (Berg-
predigt, Gleichnisse). Die Schicksale seiner Jünger in der ürgenieinde.
Charakteristisches aus dem Leben Paulus und wenige Bilder aus der
Geschichte der altchristlichen Kirche. 2 Std.
IL Kursus (Unter-, Ober-Tertia, Unter-Sekunda).
Anbahnung zum geschichtlichen Verständnis der Entwicklmig
der israeUtischeu Beligiou und der Eutstehung der christUchen Reli-
gion aus ihr.
mb. Entwiclduug der isnelitisclieu Beligion im ZuBammenhang
mit der Entstehung des alten Testamentes. Die Phasen der £nt-
widdung: 1. israelitische Volksreligion, ältestes aus Pentatench,
Bichtem, Königsblidieiii. 2. Prophet Religion (Propheten, einige
FlBalmeu). — 3. Gesetsesreligiou (Priesterkodex, Ssra, Nehemia).
2 Sti
nia. Ton Esras Tode bis zur AVirksamkeit Jesus: Ausbildung
und Erstarrung der Gesetzesreligion und immer erneuter Kampf gegen
sie bis zu ihrer schließlichen Überwindung durch Jesus. 1. Sb-enger
Standpunkt der Gesetzesreligion. Vernichtung der lebendigen Pro-
phetie (Sacharja II, Maleachi). 2. Reaktion gegen die Ausschließlich-
keit und Härte der Gesetzesreligion (Ruth, Jona). 3, Der Kampf um
die rehgiöse Eigenart unter Führerschaft der Makkabäer. 4. Die Ent-
stehung der Weisheitsliteratur (Hiob, Spmche usw.). 5. Die Apoka-
lyptik. 6. Die Wiedererstohung des Prophotismus (Johannes der
Täufer). 7. Das Leben Jesu bis zum Einzug in Jerusalem. 2 Ötd.
üb. Der weitere Verlauf der Wirksamkeit Jesu, sein Kampf
gegen die Gesetzesreligion und sein Tod. Der Sieg seiner Ver-
kündigung nach dem Tode in der urchristlichen Gemeinde. Paulus.
~ Gründung der christlichen Kirche. Ihr Abfall vom fivangehuin
Stimmen zur Beform des Beli^ons-Unterzichts
Jesu. Versuche einer Erneuerung des Evangeliums Jesu in der Auf-
fassung Pauli durch Luther. Die christlichen Konfessionen. 2 StcU
HL £ar8U8 (Ober-Sekunda, Unter-, Ober-Ftinia).
na. Allgemeine BeligiouBfeMdiiQhte. Tiefeies Yeisttndnis der
ESgenart der toraelitiflchen und eiukdichen BeligioD, ihres ürsprong»
und Weeens gefordert durch das Stadium der hanptslofaliobston ftbrigen
Religionen.
IIa. Allgemeine Religionsgeschichte bis zum Aufkommen des
Chnstentums. Die indischen Religionen, die altbabjlonische und
altSgyptische Hcli^non, die persische Religion, die griechische Religion,
die germanische Religion. 2 Std..
Ib. IJrspnmg nnd Wesen des Christentums. (Die Quellen auf-
gefaßt in iiuer religionsgeschichtlichen Bedingtheit, z. B. Der Zu-
sammenhang zwischen der israelitischen und der babylonischen Ur-
geschichte usw. Israelit Prophetismus und griechische Philosophie.
Christus und Buddha. Die schmerigeren Teile aus dem Alten und
Neuen Testament) 2 Std,
la. Die Entwicklung der christlichen Relip^ion: Ent-^tehunn^ der
Kirche, des Dogmas, des Papsttums, sein Höhepunkt, Kampf gegen
das Papsttum, Reformation. Die lutherische Orthodoxie, der Pietismus,
der Kationalismus. Die neuere Theologie seit Schleiermacher. Ketzer
und Sf kticier, die Teischiedene Auffassung des Christentums. Reli-
gionsphiiosophie. 2 Std»
82»
Digitizeo Uy v^oogle
L Zwei Pfingstversammlangen in Weimar
Von Hermann Itschner-Weimar
Verein für wissenschaftliche Pädagogik — Allgemeiner
Tag für deutsche Erziehung.
Ein tiefgreifender Gegensatz zwischen den beiden: Der eine erprobt
in jahrzehntelanger emster Arbeit, der andere Repräsentant einer vor
wenig Jahren zusammengefaßten geistigen Bewegung, die erst noch zum
vollen Bewußtsein ihrer Ziele erwachen muß, deshalb sich noch im Pathos
überstürzt, ihre Stärke in der Kritik findet, aber ebenfalls Großes gebären
könnte, wenn — ja wenn ihre Kraft durchhält und sie im Aufbauen ihre
Mission vollendet
Der Berichterstatter befand sich in keiner beneidenswerten Lage:
wollte er doch das Wichtigste sich sichern aus beiden Tagungen. Da
pendelte er denn hin und her, immer im Zustand höchster Anspannung
seiner Aufmerksamkeit Aber die Gegensätze machten auch sein Urteil
unbefangener.
Im Verein für wissenschaftliche Pädagogik hörte ich die Ver-
handlimgen über die Arbeiten von Wilk und Ritthaler, von Just und Vogt
(Jahrbuch XXXVÜ, No. 4. 7. 8. 10). Die Verhandlungen über die beiden
ersten Arbeiten, die zusammen besprochen wurden, drehten sich in der
Hauptsache um das Wesen der Zahl. Prof. Vogt vertrat dabei den Stand-
punkt, die Zahl sei ihrem Begriff nach eine Wiederholung des Identischen.
Für die erste Auffassung der Zahl seien die zeitlichen Erscheinungen den
räumlichen vorzuziehen, weil bei zeitlichen Erscheinungen leichter von der
Qualität abgesehen werden könne: also die Identität von 5 Glockenschlägen
oder Böllerschüssen sei leichter zu erfassen als von 5 Katzen oder Hühnern.
Zuerst handle es sich auch immer nur lun die Auffassung einer un-
bestinmiten Vielheit, die Einheit folge aus deren Negation. Pastor Flügel
wies darauf hin, daß das Volk für die unbestimmte Vielheit sogar be-
sondere Namen geprägt habe, man spreche von einer Koppel Pferde, von
einem Volk Hühner, von einem Rudel Hirsche, von einer Herde Schafe,
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1. Zwei Pfingstversammlangen in Weimar
501
von einer Schar Kinder usw. Fack warnt vor voreiliger Zustimmung zu
diesen scheinbar so einleuchtenden Ausführungen über daa Weeea der
Zahl, da bis heate nodi keine ÜbeieiiiBtimmimg bei den Fhiloeophen er-
zielt sei Eb Beiern aaioh in der eiben stattfindenden Besprechung nur die
Bedingungen ins Auge gefaßt worden, unter neu die Bildung des Zahl*
begriffs erfolgen kann. Der Vorgang selbst fonlere ein Beziehen von
Voretellungen, wie er es 1895 in Heft B — ö dieser Zeitschrift dargelegt
habe. Bei den großen Schwierigkeiten, welche sich der Darlegung solcher
Aufibssungen sowohl dem Redner wie dem BOrer gegenüber «uftun, sei
es ftberiumpt geraten, sidi duioli LektOre geeigneter Sohriften zu in-
formieren. Faok hat darin zweifellos das Biditige getroffen, nur werden
viele tlavor zurückgeschreckt, da, um zu einer solchen Walirheit vor-
zudringen, meist ganze Bergo philosophischer Spitzfindigkeiten hinweg-
geräumt werden müssen. Desluüb hat auch die, man möchte sagen
elementare Auseinandersetzung des Prüf. Vogt solchen Eindruck auf die
HSrer gemacht, und es ersdieint mir in dem AugenUick, wo idi dies-
niederschreibe, ausgemacht, daB in der Eonstatierung, die Zahl sei ihrem
'Wesen nach eine Wiederholung des Identischen, schon auflgeq>rochen ist^
daß die Beziehung auf die erste Vorstelliuig eVven der Vorgang ist, der zu
der Erkenntnis führt; es liegt eine Wiederholung vor. Nicht vergessen
sei, daß Prof. Just seiner Genugtuung darüber Ausdruck gab, wie durch
die Forschungen Wilks nele praktische Maßnahmen, wie Benutzung der
Finger, Darstellung der ZaUen erst durch litanische Ziffern, Sachieohnen usw»
eine Begründung er&hren h&tten.
In den Verhandlungen über die Formalstuf entheorie gab Fack einige
wertvolle Erläuterungen zur Gestaltung der Analyse, da meist nicht genau
genug ins Auge gefivßt wurde, in welchem Umfang oder ob überhaupt
Altes herangezogen werden müsse; sogar B^riffliches gehöre unter Um-
Sünden anl die 1. Stufe, etwa als LnperatiTe, die die AufmedBaaikett auf
das Wesentliche des neuen Stofb eansteUten. Das IHedediolen und Ein-
prägen gehöre aber entschieden nicht auf die letzte, sondern auf difr
2. Stufe, da es zur Klänmg des Neuen diene. — Es wäre vielleicht er-
wünscht gewesen, wenn die sonst so treffliche Arbeit Justs sich noch
mehr auf Einzelfragen eingelassen hätte, vielleicht könnte ein andermal
auch die Fi-age der künstlerischen Gestaltung des Stoffs innerhalb der
formalen Stufen behandelt werden, eines der ersten Erfordernisse, um
den alten Vorwurf, sie seien ein Mechanismus, zu beseitigen.
Konzentration als Lehrplanfrage ist eines der schwierigsten Oebieta^
der gesamten Pädagogik, hier gingen immer schon die Meinungen am meisten
auseinander. Auch auf der Weimarer Tagung. Schmidt (Raguhn) vertrat
den Standi)unkt, die Frage könne nur gelöst werden, wenn man sich rein
Ton psychologischen Erwägtmgen leiten Ueße, die Ethik habe nicht mit-
xusprechen, so hoch er auch von der Bildung des sittlidien Chaiakters als-
dem Ziel der Erziehimg denke. Psychologische Erwflgungen aber zwflngen
ihn, den Unterricht nicht sowohl auf realistischer Grundlage anfambanen,.
als auch das Kultnrbild der Gegenwart zum Knnzentrationsstoff zu machen,
also nicht die Gesinnungsstoffe. Diese seien dort einzustellen, wo das»
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■502
Mittailnngen
Kulturbild der G^petnvart zu seiner Aufhellung: ihrer bedürfe, wcidurch
natürlich der chronologische Gang aufgelöst wüi-de. Die Befürchtung, er
würde durch einen so angelegten Lekrplan Materialisten erziehen statt
nttüiche ChaiaiUero, er znrtlök, er sorge sogar nodli besser, da «
^ dtüidie Geshmiing nicht als ansreixdieod ansaerkennea vennllge snr
Ausführung einer Handlung, dazu gehörten als integrierende Bestandteile
Verständnis für die gegebenen Verhältnisse und die Beherrschung der
zur Ausführung notwendigen technischen Mittel. Er ist gegen die
Jächerung und alle systematische Anordnung, im Leben gäbe es ja doch
4raoh nur Eausalmben. — Daß eine Entscheidung über die Schmidt schal
Anregongeii nicht Inmeriisiid gebüffsn worden klhmo, empfmdcn alls
und begrüßten deshalb den Vorschlag mit Freuden, Schmidt wolle fflis
nächste Jahrbuch eine eingehende Darstellung seiner Gedanken geben.
Sicherlich ist es noch viel schwieriger, die Gesinnungsstoffe den realistischen
einzuordnen als umgekehrt. Immerhin würde der Versuch, einen solchen
Lehxplan zu entwerfen, interessant sein, noch interessanter freüich die
Begrflndmig dazu; sie wird sich suspitsen mUssen auf die Frage: Ssmi
man im ReTigtons- und OeschichtBimteRicht die chronologisdie Reih» anf-
.geben ohne der Ent^^-icklung des Charakters wesentliche Bildungsmomente
entzogen zu liaVien? Die Frage der Konzentration -vs-ird noch viel Arbeit
machen; aber maiichcs kann in dieser Frage heute schon in der PVaiis
getan werden, ob man sich prinzipiell nun so oder anders entscheide. Prof.
•Just faßte diese Gedanken dahin zusammen: 1. räumlich und zeitlich zu-
sammenhängende Stoffe nidit durch EnisteUmig in Tersdhiedeae Bohiil-
jahro auseinandersoreifiea; 2. die verschiedenen Zweige emer DisapUn
(in Religion, Deutsch, Naturwissenschaften) nicht zu trennen; 3. Sachen
und Zeichen zu verbinden; 4. beim Fachlehrersystem für Konzentrations-
tabellen einzutreten; 5. dieselbe Elasso wenigstens einige Jahre dorch-
zuführen.
Die Tersammlung war Ton etwa 60 Mitgliedern und einigen Gästen
besncht Ahl Ort der nichsten Tagung wurde Nanmburg a/S. ins Auge
Nun die andere Versammlung: Ein Tag für deutsche Erziehung!
Arthur Schulz, der Herausgeber der »Blätter für deutsche Erziohuiitr«,
erläuterte im ersten der acht Vorträge, welche gehalten wurden, was man
•danmter zu versteheoi habe. Er drQokte dies negatir so aus: Los tob
Born, los von OriedieDland, los tqu Jndal Podtir forderte er: Dentsehe
-Oes hif hte, deutsche Sprache, deutsche Kunst Hauptfeiude im Kampl
um diese Güter sind die klassischen Philologen, die schwer belastet sind
mit ILichmut und Stiunpfsinn, anderseits aber auch der Staat, der jede
freie Regung im Erziehungswesen niederhält, statt geradezu hineiuzurufen
ins Volk: Willkommen, wer neue Wege zeigt! willkommen, wer uns vom
Joch der geistigen Kramdhemöhaft beCreitI Gefordert mufi weiden: eme
Einhdtssdiule mit volhstOmHdiem ünterban. — Es kostete mich t)ber>
Windung, diese Ausführungen bis zum Sdilnfi anzuhören. Ghnade uns Oott»
wenn wir einmal Männer dieses Schlages als Baonertriger deatsoher
\
1. Zwai Ffingsbrenammlungen in Weimar 503
Kultur anerkennen müßten! Nicht wegen der Sache, die er vertrat, aber
w^;en der Form, in der er es tat Wo war da die Würde des Mannes,
der um heilige GHlter klmpftl Eb mr die Sprache emes UuineB, der
einer senfiationslüstemen Menge za geEallen strebt
Berthold Otto, der Herausgeber des »Hauslehrers«, spndi flodana
über den »geistigen Verkehr mit Kindern«. Er Weidete seine prinzipiellen
Ausführungen in die Geschichte seines Lohrerl n^nifs. Sachlich ertrah sich:
Kindern soll man nichts aufnötigen, man soll warten, bis sie fragen; denn
dann eest Ist der Augenblick gekommesi, wo geistige Befmohtung sich
'ToDaieht Biese Angenblioke bleiben nicht ans, sobald die Hemmimgen
beseitigt sind, zu denen in erster Linie die Schule mit ihrem üntenichts-
zwanp gehört. — Diese Fonlemng Ottos -^-ürde selKstverstftndlich eine
völlige Umwälzung in der Stellung des Lehrers mit sich bringen. Kla.ssen
mit 60 — 80 Schülern, die ja lientc solion kein Ideal sind. wRi-en nicht
mehr möglich, ja nicht einmal äolchc mit 15 — 20. £s müßten nati'u-lich
dann anch iBoUeniome erstellt Verden, damit ja von den ein Kind be-
flchlftigenden Fragen die andern nichts yemShmen, oder es m Wen Yeroohlafi-
stücke fBr die GehQig8nge der Kinder erfunden werden, damit ja keine
Belehnmg aufgefangen werden könnte, um die sie nicht gebeten; denn das
wäre Vergewaltigung. N(X.h besser, der Lehrer setzte, um keine Kivalität
imter den Kindern aufkommen zu lassen, Sprechstimdo an. Dann wäre
es aber denkbar, daß die geistige Spannung, welche eine Frage im Kinde
tevofmft, abgeflant -wSTe, bevor der Lehier infolge seiner Tielseitigea
Praxis sor Beantwortimg kSme; so bliebe als Endziel nur eine Ein-
liditung wie die des Leibarstes bei einer Fürstlichkeit, Aber Scherz
beiseite! Was Otto will, ist im Kern eine der hochston Angelegenheiten
des Erziehoi"s: der Oetlanke von der geistigen Zeugung ist die letzte
Triebfeder aller derer, die je Über Pädagogik nachgedacht haben, sogar
solcher MBnner, die nun einmal sicfa damit abgefunden haben, daft man
mit MBSsenerodiung einfach rechnen muB. Es ist eine gar einfedie Art
zu korieren, wenn man sa?t: AV« mit der Schule! Bei Licht beeeheUf
ist es aber ein Zeugnis der Ohnmacht. Gerade dort, wo aus dem Ge-
gebenen heraus die Wandlimg angebahnt wird, dort stehen die Holden: es
sind die Männer, welche rufen: Dennoch! Otto aber vei-schiebt die Sach-
lage, für ihn ist die Lösung ein Abonnement auf den »Hauslehrer^, dem
Organ seiner grundsteigenden Fidagogik.
Infolge der oben geschilderten Inanspruchnahme mofite ich anf die
Vorträge 3 — 6, die dem Gymnaflinm, der Ausbildung des Leibes und der
Erziehung zur dontsclieü Frau und Mutter goA\'idmet waren, verzichten.
Um so gifȧer war die Spannung, mit der ich dem Vortrag von Hermann
Obrist entgegensah. Hatte doch Obrist schon auf dem Dresdener Kimst-
erziehungstag Protest eingelegt gegen das, was geschehen war auf dem
Gebiet der Eunstenddrang. Ldder hatte er damals sich nidit so an»-
gedrückt, daS man wußte, welche Wahrnehmungen ihn eigentlich so
bedrilct hatten. Nun schien er es nachholen zu wollen. Sein Thema
hieß: »Falsche und richtige Wege in der Kunsterziehung.« Er ftlhrto aus:
Wir bildenden Künstler konnten eine instinktive Angst von vornherein
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504
Uittsilimgtii
nickt los werden. Wie imsei-er Generation die Werke der Dichtkunst ver-
ekelt wurden, so, fürditeten wir, werde es nun mit den Werken der
fafldenden Eunst gehen. Unsere Furcht war nur zn. sehr begr&ndet: Die
Bilder werden »beliandelt«, pädagogisdi ausgebeutet. Das Beispiel einer
Fühnmg in einer Münchener Gralerie stehe ihm für viele. Nim xs-ird den
Kindern die subjektive Moinimg des Lehrcrs aufgedrängt, und diese
Meinung wird fiist durchweg vom saclüichen Interesse bestimmt, nicht
vom künstlerischen, wovon der Lehrer eben nichts versteht, seinem ganzen
BÜdungsgang nach einfKh nichts Terstehen kann. Hat doch die Kunst
selbst eben erst m. erwachen begonnen ans einem Bann, der Jahriranderte
auf uns gelastet! Und nun, wo die Pfadfinder auf dem Gebiet der Kunst
sagen koniit»-'ii: Hu' Jimgen, jetzt kommt, svir haben die ganze Tradition
lünweggci äumt , die euch befangen machen könnte, — jetzt kommt
der Schulmeister mid stellt die ganze Entwicklung aufs neue in Frage,
weil er nun die Stile durchhastet und darein das selbständige Sehen und
Schaffen erstickt So seien die Lehrer die Sigsten Feinde der Efbustler.
Non wolle er aber das Kind keineswegs mit dem Bade ausschütten, er
wolle es baden. Das erste sei ihm: Anscluuung der Wirklichkeit, der Natur,
der Dinge. Das zweite: Keine Rechenschaft verlangen über das Empfundene,
denn das hieße die Keime des Erlebnisses tüten. Das dritte: Fini^er-
übungen, Naturzcichuen, Schreinern, mit einem Wort — Entwicklung des
Technischen. Glflcklidi die Musik, die ihre Lehre abschlieBt mit der Lehre
vom Kontraponktl Sie hat Vertrauen zur schöpferischen Kraft der Jungen.
Die Kunsterzieliung von heute hat kein Voititmen. Früher hatte man'sl
Da lernte der junge Künstler das Handwerkliclie beim Kleister, und damit
war's getan. Deshalb: »Weniger, weniger, weniger!« Daß der Beethoven
der bildenden Kunst einst komme, dafür lasse man den deutschen Genius
sorgen! Soweit Obiist
Wer wollte nicht zugeben, daA diese ganze Kunateniehnngsbewegung
die Schule Abenaacht hat, und wer kfinnte nicht die Gewissensnot disses
ernsten Künstlers nachfühlen? Aber ist sie denn so ganz und gar be-
rechtiu-t? Wii-d nicht, sobald die Mode eine andere Welle -wirft, der Lehrer,
den Hermann 0 brist in der Münchener Galerie sich quälen sah, sofort
ablassen von seinem Tim: hat er doch sicherüch mehr der Not gehorcht
als dem eigenen Triebe. Alles, was so von außen kommt, trägt den Keim
des Todes m sich. Ich g^be» Obrist bnnoht den KremBzog, den er für
das Jahr 1910 ankflndigte, nSmlich um mit seinen 4 Gesinnimgsgenossen
unter den bildenden Künstlern durch Deutschland zu ziehen und alle tot-
zuschlagen, welche noch Kun?t ti-aktieren<', nicht zu unternelimen. Aber
dessen können wir Obrist gleichfalls versichern: Das Problem der Kunst-
erziehung ist damit nicht ausgerottet. Es gibt Köpfe bei uns, denen das
ProUem mehr ist als em Wunsch von oben, und sie werden lüttel und
Wege eigrilnden, die der Sache zum Heil geraiohen; sie werden aich trotz
aUem Protest die Fahne der Kunsterziehung nicht aus den Händen winden
lassen. Ahar allei-dinq^ wenlen sie diese Aufgabe, die Jugend genußfähig zu
macheu, in die zweite Linie rücken, besser gesagt, sie werden dem Begriff
»künstlerische Erziehung« den rechte Inhalt geben. Vorsicht, weiseste Vor-
1. Zwvi PIlugBtfoiBiiiiiiiiloDgea in y^thuu
505
Bidit gebietet das Haranfülireu der luiider aus Kunstwerk, aber früiiiicher
Eifer tieibe uns, die kflnstlerisohaa Tinebe im Siiid zum SchafEea eiTiwilaitffln.
Freilioh an die Form kOmien wir dabei nor geringe Ansprüche stellen, um
so mehr •werden wir aber überrascht weiden von der Kraft der Anscjhauung,
die flas Kind uns in seinem Schaffen offenbaren wird. Und das müßte
Christ fordeiTi, nicht bloß imgerübimgen, Natnrzeichnen. Schroinorn, nein
viel, xiel mehr: Allenthalben im Unterricht Gelegenheit, die schüpferischen
Kräfte zu betätigen. Allerdings heißt's auch hier: vom Keim noch nicht
die Fracht Terlaogenl Bis diese Erkeimtiiis lebendig gewoiden ist, bat's
noch gute Weile, aber unsere junge pBdagogisohe Qeneration drängt nadi,
sie, die mit dem Gei5;t der Zeit getränkt ist Sie erkennt keine Fessdn
mehr an. Es -winl noch wenden. Al»er auch hier Vertrauen, Hermann
Ob r ist! Es kommt die Generation, die dazu ausgerüstet ist, die Warnung
Nietzsches zu entkräften: »Alles fertige, Vollkommene wird angestaunt,
allee Werdende irird unteischätit.«
Nun noch Fsstor Steudel (Bremen): »Unser Beligionsontemchtc
Er lehnt den Religionsunterricht ab. ^) Oder lehnt er ihn nicht ab? Genau
weiß man's nämlich nicht Es ist ebenso oft von Reformen die Rede ge-
wesen, wenn auch von radikalen. Jedenfalls ist der Satz ausgesprochen
worden: Das Wissen von religi«*jsen Persönlichkeiten kaim keine Religion er-
zeugen. Das stimmt Aber wir können uns nicht denken, daß für Steudel
die religUJee PenOnHchkeit überiiaapt irgend einmal Wert hat. Denn seine
Auffassung rm Beligifln ist jedenfsUs eine solche, wie irir sie Ton den
klassischen Helden auf dem Gebiete des religiösen Lebens nicht kennen.
Er definiert nämlich: Religion ist jenes tiefe Ergriffeusein von der Un-
endlichkeit der Welt nach Raum und Zeit. D'^nmach ist Religion also
Stimmung, rein ästhetischer Natur. AVir danken. Uns ist die Religion
das Organ der unstillbaren Sehnsucht nach Heiligung. Die »Ge-
rechten« bedürfen dieses Organs freilioh nicht, wenn sie sich's auch
hin und wieder einmal leisten, eich an der Unendlichkeit zu berauschen.
Wir gelben Steudel darin recht, daß der Verbalismus gerade im Reli-
gionsunterricht die größten Orgien gefeiert hat AV)er woran liegt das?
Entweder ist der betreffende Stoff verfi-iilit aufgetreten oder fidsch
behandelt woi-den. Dann darf man ihn selber aber keinesfalls ver-
dächtigen. Steudel jedoch winnt die aUen SpiBe Uber die »Lügen« der
alten Juden anüB neue snf — das seist doch viele Uatsdiende HBnde in
Bewegung — und macht Front gegen sie: »Livius hat viel geschwindelt,
aber er war noch ein exakter Geschichtsforscher gegenüber den alten
Juden.« Wozu auch diese Geschichten! »Die Relit,'ion entzündet sich
an der Wirklichkeit, am Leben.« Ja, sind denn diese alten Geschichten
im 1. Buch Mose keine Wiikiichkeiten? 0, diese Neunmal weisen! Dort
also sind sie gelandet^ wo man dichterisohe WirUiohkeit fObr »Lflgen« ver*
sollt? Und, fthrt Steudel fort, es ist doch zum mindesten so »umständ-
lich«, wenn man aus diesen Geschiofalan Religion gewinnen will, ja selbst
durch die Person Jesu: Da muß man wissen, was Fhaiisäer, Sadduofter,
*) Siehe die Aosfilhmngen Steudeis in der »Christi Welt«
506
BeaeBBCoe und was H&nner smd, dSe Heuadbreolm und wüden Honig
essea (II) 80 mgt Steudel. Deshalb sdikskt Stendel die Jugend hinaus auf
^ Flur, in den Wald, hier in Weimar etw» ins Steri»ezimmer SohilleES,
und da sagt er dann: Ziehe Deine Schuhe aus, denn das Land, -worauf
Du stehst, ist heiliges Land! Mit Verlaub, das ist ja ein Imperativ!
Imperative gibt's doch im Religionsunterricht der Zukunft gar nicht, da
gilt dodi: Jede Wahrheit hat nur dann Wert, wenn sie gesucht wiid?
Und wie kann man von einem Sjnd verlangen, das in den Wald tritt: Sei
ergriffen! Ich habe rechte Kinder immer nur jauchzen hören im Wald.
Doch mit 14 Jahren kOnnte nach Steudels Meinung allenfalls religions-
geschichtlich an die Gestalt Jesu heran getreten werden. So peführt wimle
dann der junge Mann mit 18 Jahren, vielleicht auch spilter, dazu kommen.
Bich ein neues Testament zu kaufen; dann würde es ihm zur Quelle der
Beligiop. Diflse letetoXonseqnens winde tb&c wa gns fificihtig angedeutet
Dafi Steudel aioli damit widospEidit, kttmmert ihn nicfat Oder
meint er vielleicht: Bis zum 18. Jahr erzieht die Wirklichkeit zur Religion
nnd von da an die Lektilrc des Neuen Testaments (?!) — Nein, Steudel
hat dieser hochbedeut&amen Frage einen schbxhten Dienst erwiesen, zumal
auch er seinen Voi-trag auf einen Ton gestimmt hatte, der einfach un-
erüüghch war im Hinblick auf die Würde seines Gegenstandes. Wäre
loh orthodox, ich wHide seine Bede als ülngblatt analle diejenigen aendeD,
die sich vor der AnfrdUang dieser Sache ffliohten: Sie vllrdien dann be*
inhigt schlafen.
Eine Diskusaion Ober die beiden letzten Vorträge wurde abgelehnt
Die Hauptge<lankcn, welche die Tagung herausgestellt hat, sollen in
einer Petition verarbeitet und diese den Regierungen eingereicht werden.
Schade, daB man im ganzen nicht mehr Selbstzucht geQbt hat Ich
wurde aOsiisehr an sosialdeniflikiatiache Taktik erinnert Im flbrigen: W«
hatte wohl Ellen Key zu diesen Aufzügen gesagt? Es wurde gegeben
»Die Anbetimg des Kindes« in 8 Bildern. Wäre nur das Kind ein
IIoili£7erI Aber lassen wir einmal diese Auffassung gelten: Mit trinen<lon
Phrasen und Kokettieren mit dem Publikum kommen die um Schulz
nicht weit Im Gegonteü: Was an ihrer Sache gut ist, das wird mit der
Verarteümig ihres Gebahrens fallen. Deshalb wire es ein Segen, wenn
lOoner aofettOnden, die diese FtoUeme angreifen und sie vor der 6Kent>
lichkeit mit Emst und Würde bespfeehen wollten. Sonst bshilt die
Schiü<nihodoaae recht, auf lange Zeit
2. Haaptversammlung des Vereins deutscher Zeichen-
lehrer
Von Karl ElssBor-Dvesdea
Am 12. — 14. Juni d. J. tagte in Dresden die 32. Hauptversammlung
des Vereins deutscher Zeichenlehrer,^) wohl die besuchteste aller UsherigeD.
') Der Verein deutscher Zeichenlehrer nimmt auch I^ahrer, die eine besondeie
Fachbildung nicht genosseo, auf.
2. HiQptfwiiiminlmig dm Tsniae dflatodnr Zdohanlehreg
607
Gegen 600 TeOndmier iiu aQtt TtOm Deatsolikncifl, Osterreidi-Ungamt
Fhmland vsw, liatten sudi m die Listen angeieiohnet Die Tagesoidniing
der yersammlung und der aie b^leitenden Ycranstaltungen kann anBer»
oxdentlich reich genannt werden, fast zu reich für einen Zeitraum von
nur 3 Tagen. In Gecronwart zahlreicher Vertreter der staatlichen und
etad tischen Behörden begannen am 13. Juni die Yeihandhmgen. Be-
deutungsvolle Worte richtete Stadtschulrat Prof. Dr. Lyon an die Ver-
sammlung. Hb mttase^ betonte der mit umsdhendem BdfaH bogittfite
Redner, «neAannt ireiden, dafi der Zeiohenimtemcfat in kuner Zeit sidi
an emer erstaunlichen Hohe und Bedeutung durchgerungen habe. Binat
sei die abstrakte, -wesenlopc Linie das Aljiha uud Om^a des ganzen
ünterrichtos gewesen, jetzt aber sei die bloße Korrektheit und mechanische
Technik hinweggefegt ^^^e von einem Sturmwinde. Auch der bloße
Naturalismus könne als überwunden bezeichnet werden. Das Zeiciinen
sei der Trilger der Eanateraiehimg mid EnnstUMung geworden, ein Ans-
dmekamittel für das Empfinden der Ktodeaaeele, gleichberechtigt mit Schrift
tmd SpsBOhe. Man solle die Worte Knnstbildung und Kunsterziehung
allerdings nur in beschränktem Sinne, als Geschmacksbildung und Ghe-
schmackserziehung, gebrauclicu. Der Begriff sei zu hoch, so daß er durch
zu weitherzigen Gebrauch leicht zur erblassenden Phrase herabsinken
kannte. Die Tergaogene Zeit habe als Banptfoiderangen an die Bildung
»Denken nnd Bedenc aufgestellt, die neue Zeit habe die Begriffe »Sehen
imd Handeln« hinzugefügt. Die Sprache der Hand sei heute von ^eiober
Bedeutimg wie die des Mundes. Der Schüler müsse erzählen lernen mit
Stift und Pinsel. Alles Gezeichnete sei inneres Erlebnis. Der Blick nach
außen, den mflsse miser A^olk lernen, nachdem es solangf den Blick mehr
nach innen gerichtet Dies zu fördern, dazu sei der deutsche Zeichen-
lehrer berufte. Wer davon flberseugt sei, dafi die Artieit am Tempel der
Sonst gleichwertig aet mit der Axbeit im Dome der THaaensdiiit, der
milssc aber auch bedenken, daß das Wesen der Kunst die FrcMheit sei
Dem L(.'hrer soll diese Fn:»iheit, die Wahnmg der individuellen Persönlich,*
keit im Zeichennnterricht gewahrt bleiben.
Über »Auffassung und Technik« sprach Paul Hermann -Dresden.
Er -mea den inneren Zusammenhang zwischen der Auf&tssung des Kindes
and ihres Ansdrocksmittels, der Tedmik nach, um su zeigen, wie efaie
liditige Auffassung eigentUdi mit Notwendigkeit auch eine richtige Technik .
bedinge» Nach einer Zeit starken naturwissenschaftlichen Yor^^ärtsdrängens
sei nun eine Zeit gekommen, in der die Men9fiiheit Ruhe und Sammlung
sucht in dem Reiche der Kunst Unsere moderne Zeit sei aber arm an
Eigenkunst, die innere Wahrheit widerspiegelt Hier wie immer rufe
man in erster Linie nach der Schule^ nach kOnstlerisoher Endehung. Sie
will ja nidits anderes, als die schöpferischen Eritfte, die in jedem Mensdhen
schlummern, wecken, sie will selbstlndig empfinden und schaffen lehren,
vor allem aber eins vermitteln, was erste Vorbedingimg dafür sei: Die
selbständige Auffassung. Das Kind stellt aber nur das dar, wa«! es inter-
essiert und ist von seint^r nnvollkommenen Darstellung befriedigt. Die
Klage, daß die heutige Jugend, mcht sehen könne, sei vollberechtigt Das
508
Ifittanmigan
liege au der von dor Beobachtung losgeUSsten Bildung, die meist durch
BOoher vennittelt veictoi decen Äjakftm Tletfuh nioiit ehunal aäEbet an
der QueUe aller Erkenntnu, der Natur geacbOpft liaben. Dorbh Seliea
muß sich der Mensch belehren. Die Kinderzeichnung bestätigt einerseits
das Interesse, bestimmt den Umfang der Beobachtung und andrersoit> die
Lust am Scliaffeu. Um mm das Zeichnen als Au.^drucksmittel zu erhalten,
Lst es nötig, daß der ZeichenuntoiTicht von Anfang an die Kinder zu
selbständiger Auffassung anhält Keine feston Formen, keine Typen, kein
meohanischea Naohbüdenl — das vHide za EMdilnldimg^ nidit za all-
gemeiner BQdong ffihren. Sdhm yor Beginn der Sdudseit eignet sicii
das Kind gewisse Formen an, die es beinahe gebrauchen lernt wie die
Sprache. Diese heißt es in der Schule fortzubilden, indem man die Kinder
zum freien und sicheren Gcl>raneh dieses Ausdrucksmittels erzieht. Die
Zeichnung soll den Grad der Auffassung und die Stärke des Ausdruckes
nachweisen. Ist der Wille geweckt, so wird die Darstellung von selbst
▼erhAltnismftfiig gut werden. Besondere technische Übungen sind deshalb
höchstens als Willensübungen soiaeaig. Technisdie Eartigkeiten sa er-
zielen hat zwar et-^-as ungemein Bestechendes, gereicht aber nur zum
Schaden des Gesamtbildungszieles. Es ist nicht die Aufgabe allgemein
bildender Schiüen, sondern die der Berufslehre. Zeichnen als Ausdrncks-
mittcl des selbständig Beobachteten, des eigenen Innenlebens nicht nur
anerkannti sondem aadi benutet zu sehen, das ist des Zeiohenlehieis Ziel
Er kann es aber nicht allein erreichen, der gesamte ünterriolit mnB akdi
seiner bedienen. Das mnfi Überzeugimg werden oben und unten und
tll>erall. Dann ^v^rd man auch dafür Sorge tragen, daß der Zeichenunter-
richt nicht abschließt mit wenigen Jahren; dann wird das Z&cbneD. als
fester Bei>tandteil der ganzen Unterrichtszeit gelten.
Architekt Gabler-Halle behandelte in formgewandter Bede das Thema:
»Der gnte Geschmack im Dienste des Eultuifertsofarittesc mit Blloksioht
auf die FOiderang aDgemeiuer Qeistesknltnr und anf die Yeibesserang
unserer wirtschaftlichen Yerhflltnisse.
Eine treffliche Paiullele zu dem ersten Vortrage bildeten die Aus-
führungen von Fr. "Weißenborn-Leipzig: »Das Formen im Zeicheniuiter-
richt.« Seine Thesen lauteten: »Das Nachbilden köqjerlicher Dinge in
körperlicher Fonu (das Formen) ist das wichtigste Hilfsmittel zur Er-
ziehung klarer und tiefer FormvorBtellmigen. Es legt den Grand za
denjenigen ästhetischen Empfindungen, die durch Körpeifonnen ausgeltet
werden.« Die Aussprache gestaltete sich besonders lebhaft Die Vorträge
nebst den sii Ii daran anschließenden Debatten werden als Sonderbericht
erscheinen. Derselbe wird auch die Verhandlungen aus der Deli'c-io rten-
versammlung enthalten. Von fast allen Zeichenlehrerverbäudeu waren Ab-
geordnete erschienen, um tiber den ZusammeosolduB der einselneD Ver-
eine zn einem großen Verbände zu beiaten. Als Obmann fOr die Vor-
arbeiten wurde Seminaroberleliier E. SlAner-Dresden geiwihlt Bereits
im nächsten Jalire hofft man zu einem greifbaren Resultate zu gelangen.
Auch 25 Lehrervereine mid gegen 75 Ortschaften hatten für die
Tagung Delegierte entsendet, ein Beweis, daß iu Sach£en auch in weiteren
8. Über das Waohstam der HoBkelknft bei Sohülem
509
Kreisen ein tiefgehendes IntoitWDO an der Entwicklimg des Zdchenunter»
lichts vorhanden ist
Eine besondere Bedeutung dürfte der Zeichenausstellung, bei der die
versdiiedeasten Schulgattongen vertietea waren, zuzuschreiben sein. Sie
fiefi die lebhafte Bewegung im Zdoheniinterncht der Gegenirart deatlidi
erkennen und imterschied sich von gleichartigen Veranstaltungen haupt-
sfichlich diu*ch die strengen Bedingungen, die man den Beteiligten auf-
erlegt hatte. Es durften nur Arbeiten aus dem Jahre 1904/5 zni- Ans-
ßtellunp gelangen. Gefordert wimle ein Lehrgang, der die vollständige
Jahresarbeit mindestens einer Klasse (nur Arbeiten aus dem Massen- oder
GrappenuBterridit) zeigte, und ans jeder Khase mindestens drei vollBttadige
iniMiiHii1n!nlniigffli Anfieidem konnte jeder Aassteller noch ein von ihm
besonders gepfl^ites Gebiet veranschaulichen. Zur leichten Orientierung
in der Zeichen- und Lehnnittelausstellung diente ein mit hünstlerisohem
Bnchschmuck vornehm ausgestatteter Führer.^)
Im engsten Zusammenhange mit der Tagung des Ycreins deutscher
Zeichenlehrer stand eine Ausstellung »Einderkunst«, veianstaltet von
dem Lehrerrereinsaiisedmß ffir Knnstpflego m Dresden. Sie nmfaBt roc
allem freie, d. h. ohne den Zwang lehrender Beeinflussung entstandener
Zeichnungen aus Schule imd Haus, die von Kindern versduedenen AlteiB
gefertigt worden 9\n(\: außerdem ist eine kleine Sammhmg von Spielzeug
und Bilderbüchern aufgenommen worden, die nur einige charakteristische
Beispiele zeigen und den Vergleich der den Erwachsenen oft fremd an-
mutenden Erzeugnisse mit der freien Kinderzeichnung und ihrer reichen
Phantasie ennQgBoiieii soiD. Audi für diese AnssteUang ist ein Fahrer
erschienen, der mehr ist als ein blofier Katalog. Es besteht die Absicht
die AusstcJlimg ^wandern zu lassen. Anfragen sind an richten an: Lehrer
B. Bfirckner, Dresden-A^ Hassestr. 7.
8. Über das Waohstom der Hnakelkraft bei Schülem
wfthxend eines SohiUJalireB^
Von Iftrx Lobsien-Kiel
Li seiner ersten Mitteilung über diese Angelegenheit im 1. Bnd.
Jaaitmek lud Sohnyten- Antwerpen, dafi die MoskelkEBft der Sdiflkr
wihrend eines Sohnljahres nicht st^ag wachsend, sondern im Monat M&n
einem Bückgange miterworfen ist Die damaligen Experimente wurden
unter Anwendung von Stimulanz imd nur in zwei, den höheren, Volks-
schulen für Knaben und Mädchen zu Antwerpen ausgeführt. Jedes Kind
wurde um den 15. eines jeden Monats herum vom Oktober 1898 bis Juli
1899 swischen 2 und 3 Uhr nachmittags und immer unter denselben
ümstlDden geprOft Die aUgemeinen Ergebnisse waren folgende:
*) Beide Föhzer sind ersohienen im KommissionsTeriag von A MüUer, Fröbel-
hana-Dreedea.
*) Over de toeoame der Spierkracht bej kinderea gedurendel hat Sohooljaar.
Iwaede nededeeling. Paed. Jaarb. 1904. Antweipen.
Digitizec uy ^^oogle
510
UitteiloDgen
Oktober
(1898)
Novembor
Dezember
Januar
(1899) !
Februar
S
April
Juni
C-i
46,9
48,7
49,1
51,0
49,0
51,5
53,4
55.8
58,2
Mädchen ....
4.3,4
43,6
45,2
45,3
48,6
48,1
48,1
48,3
48,8 j5'J,6
43,6
45,4
46,9
47^
49,7
48,6
49,9
50,9
52,4154,7»)
Schily ton hat die üntersuchungen erneut angesteUi Sr nnteisuchte
Kinder, die zu Beginn der Untei-suchungen im Oktober 1901 genau 1 0 Jahre
9 Monate (1, VersuchsK-ihe), 10 Jahre 8 Monate (2. Reihe), 10 Jahre
7 Monate (3. ßeihej ait und über alle Schulen der Stadt verteilt waren.
Hon aibeitete er aber ohne Stimulanz und suchte zu erkunden, ob andi
jetzt unter den so verRnderten Bedingungen die frflheoren Besnltate Be-
stätigung finden würden.
Er fmd folgeade aUgemeino Worte:
Oktober
(1901)
November
Dezember
Januar
(1903)
Februar
März
April
e.
Juni
Knaben . . .
56,0
53,5
53,2
53,9
52,8
52,6
533
54,7
lOdohen . . .
46,2
43.3
42,8
43,4
44,1
4M
43,8
433
Oeatmt . . .
513
48,2
47,9
48,4
48,3
47^
4I»,2
Mithin ist der Monat März immer noch der niedrigste geblieben.
Doch offenbaren sich anstatt der legdmftfiig anfsteigenden Kirre des
Sduüjaliies 1899—1900 jetzt did »tansende« Kurven, die oCEeobar auf
die neoeii Stimalosbedingniigen zurOckzuführen sind. Das frOhere Ergeb-
nis aber ist im großen und ganzen bestätigt wonlen.
Die frülicren Vcrsnehc Schuytcns ergaben für beide Hände, wenn
R — 10 angenommen wiixl, als Yerliältniswerte für £inder von ö Jahren
und 9 Monaten und von 9 Jahi'en 9 Monaten:
Knaben Mfidchen
10 : 9,2 10 : 7^
mit Stimulans, ebne aber fOr Eüader, die dem neuen Yenocli onter-
irorfen worden:
Knaben Mfidchen
10 : 9,18 10 : 9,11
Es Hchcint somit, daß die Bedingimgen der neuen Yersuche keinen
Einfluß goli;vl)t haben auf die Proportionalität zwischen den Zugkräften
rechts imd links, auch reagierten jetzt beide Geschlechter übereinstimmend.
Für Kinder ärmerer Eltern verlaufen die Kiurven zwar übei-eiustimmend,
1) Die Daten geben aa, wieriel Kilogramm der 601 noter 100 Sodem an d«i
bekannten elyptisohen Dynamometer gedittokti benr, gengm hat
4. Die sdüeswig-lidateiDisolie llndliohe Voltohoohaohale
511
doch zeigt sich sehr Idar, daft die aoaiil gut gestellten Eltern die kräftigeren
Kinder habcu. — Im allgemeinen verfflgen auch die iuteliektueli reicher
bedachten Kinder Über eine größere Muskelkraft
4. Die sohleswig-liolsteinisclie ländUohe Volkshooli-
schnle ^)
Ton Fr. Lembke, Heide i. H.
Bio Anrpgimi? zn der BowcpiTig, die sich als Ziel gesetzt hat, eine
ländliche Volkslioehschiüe in Schlos\\-ig--Holstein ins Leben zu rufen, kommt
aus Dänemark. Aus dem Studium der dänischen Volkshoch^ichulen ist
der Plan entstanden.
Die Idee, die Emricshtnng der Dliien nachzuahmen, ist seit dem
Artikel in der »Gegenwart« 1895, 13 und 43, mohrfach in der deutschen
Literatur mrogen worden, aber bisher mit negativem Erfolg. Wir halwn
in Deutschland ja schon seit langer Zeit Yolkshochschulon ; sie befinden
sich aber in den Städten und gleichen mehr oiler woniger don Einrich-
tungen der englischen university extension, die mit der dänischen Ein-
ricfatong venig gemein hat
Als idi TOT etwa swd Jahren mich Utaigere Zeit an den dftnisdien
YoQDBhodhsdiulen aufhielt, wurde gesprächsweise mehrfach der Gedanke
erwogen, ob in Deutschland eine Volkshochscluile ntich dänischem Muster
möglicli sei. In meiner Schrift »Die dänische VoIkshtH-hschule« ^) habe
ich den Gedanken etwas weiter erörtert und bin zu dem Ergebnis ge-
kommen, daß die Möglichkeit vorhanden sei. Di^elbe Ansicht vertrat ich
dann auch in mehreren Aufefttzen.
Unser kr&ftig au&trebender Yextand landwirtschaftlicher Genossen-
schaften nahm den Gedanken auf. Er hatte erkannt, daß ein auch nur
einigennaßoii vollständiger Ausbau dos ländlichen Genossenschaftswesens
nur möglich sei, wenn tlie Volksbikhuig auf dem Lande gt^hoben wünle.
Er setzte daher auf die Tagesordnung der vorjähiigen VerUmdsversammlung
das Thema: »Genossenschaft nnd Bfldungsstreben anf dem Lande.« Die
Yeiliandlungen fOhrten dahin, daß man allgemem anerkannte, daft die Oe-
nossonschaften oiiistlich an der Volksbildung interessiert seien. Ein Aus-
schuß wurde eingesetzt, der die Sache weiter verfolgen sollte.
Die ganze Lage der Sache brachte es mit sich, daß ich sowohl in
meinem Vortrage als auch in der Vorlage für die erste Ausschußsitzmig
die allgemeinen Gesichtspunkte in den Vordergrund stellte, ohne den Volks-
hochschulplan ganz zu nnterdrOcken. Um so größer war meuie Freude,
daß man mir in meiner ersten Sitzung alles andere stridi nnd nnr den
Plan der Volkshochschule stehen ließ.
Dies Eigcbnis verpflichtete mich, emsthaft den Plan der kindlichen
YolkBhochschule weiter zu verfolgen und einen genaueren Plan zu ent-
>) Yei^ die Zettnhiifk 1.
*) Zeitsohiift XL Kifli und Leipäg, lipaiv k aSsohar, 1904.
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512
MitteilaiigMi
werfen. Dabei war Rücksicht zu nehmen niclit nur auf den EntNvicklung»-
gaDg, der eine eingehende Berücksichtiguiig der Verhältnisse des praktischen
Lebens verlangte, aondem wach, auf die bereits bestehendeii landwiii-
fichafüioihen Haobscihiilea und die ländlichen FertbÜdmigsBGhiileiL^)
Den Fachschulen konnte man nicht leicht zu nalie treten, wenn man
allen Fachunterricht aus dem Spiele ließ, und somit die Schule zu einer
Anstalt machte, die allen Schichten der ländlichen Bevölkerung zu dienen
hat, die dalicr absieht von allem speziellen Fachwissen und dafür wirt-
schaitliche und bürgerkuudliche Verhältnisse in den Vordergrund rückt,
die alle in gleicber Weise inteiessieren.
l^t so leidit "war es, sieh mit der ländlichen Fortlnldangssdrale
auseinander zu setzen. Vir haben in miseter Provinz beretts Uber 150
solcher Schulen, und es wÄre nicht nur unhistorisch gewesen, solche
einfach zu übersehen, sondern es wäre bei solchem Vorgehen auch die
Mithilfe aller Kräfte verloren g^;augen, die im Dienst der Fortbildongs-
sdiule stehen.
Ein Ausgleich wnide gefunden, indem man eiDmal feetstelite, dsft
Ijei der viel&ch recht zerstreut wohnenden BevOlkenmg in unserer Pro-
vinz nicht alle G^nden lebensfiüiige Fortbildungssohiilen heben konnten,
und sodann, daß es den Schulen an Lehrkräften mangeln raüsse^ wenn
man die Schulen nicht als einfache Fortsetzung der Volksschule gelten
lassen wollte. (Jerade die Versorgung der ländlichen Fortbildungsschulen
mit geeigneten LehrkrSftea erfordert, dafi ein Weg gefunden wezde, der
es znlftfit, daS sich HXnner anssdhlieilich mit den emschligigen Aagen
besehlftigen, und daß dann Anstalten erstehen, die eine besondere Schulung
der nebenamtlich beschäftigten Lehrer besorgen können. Diese beiden
FoiTlerimgeu können erfüllt werden, wenn ^viT ländliche Volkshochschulen
haben. Ilire Lehrer leben ständig in den Fragen, die die ländlichen Fort-
bildungsschulen beschäftigen müssen, und deshalb sind diese Anstalten
auch wohl geeignet, dafi an ihnen Korse m Ansbfldmig von Lehrern an
Fortbildangrachnlen abgehalten werden.
Können somit die Volkshochsdnilen enkeneits als eine gewisse Er-
gänzung der Fortbildungsschulen angesehen werden, so lassen sie doch
auch andrei-i^eits den Fortbildimgsschiden genügend Raum für ihre be-
sondere Tätigkeit Selbst bei günstigster Entwicklung werden ^ir in
absehbarer Zeit nicht dahin kommen, dafi wir alle BedQifnisse nach Fort-
Inldnng auf den Yolkshoohsöhalen werden befriedigen kOnnen, und immer
wird die Kostenfrage einen solchen ESnflnfi ansfiben, dafi nioht alle die
Volkshochschule werden besuchen können.
Unsere Losung heißt danim Yolkshochschiüe und Fortbildungsschule.
Nach dem Vorhergehenden ist der Unterrichtsstoff aus der V^Iks-
mid rrivatwirtschaftslehre und aus der Gesetzes- uud Bürgerkunde zu
entnehmen, soweit dieselben fOr die breite Hasse der isnii^ow BenKSke-
nmg Literesse haben. Übungen im Deotsohen und Beofanen sind an-
*) Yergl. »I^ndlicho ForlbildoogsBöhiils and ifr»<n*«>»a Yolkahoohaohids«. Siel
TL Leipzig, läpaiiis & Xischer, 1905.
4. Die schleswig-holsteinische l&Ddlicbe Volkshochschule
513
zuschließen. Der Unterricht ist anf keinen Fall in abstrakter systematischer
Weise, sondern als eine Art Anschauungsimterricht zu erteilen. Nur auf
solche Weise, iudem man sicli immerfort an Erscheinungen hält, die den
Schfllem belaamt smd, dflrfte es geUngen, soweit Yentfndnis sa eniden,
als erforderlich ist
Es kommt aber nicht allem danmf an, den Schülern ein bestimmtes
Maß von Wissen und Können zu übermitteln, vielleicht durfte das nicht
einmal in ei-stor Linie stehen, sondern die Schiller sollen vor allen Dinf^n
Lust gewinnen, sich weiter zu bilden, weiter zu aibeiten in der Schule
tmd vor allen Dingen auch im Leben. Wenn man die Arbeitsweise der
dfinifiK^en Schulen betrachtet, so dürfte man Tom metiiodischen Standpuiikt
an mehreren Stellen erhebliche Bedenken haben, die aber alle verschwinden»
■wenn man sieht, wie es ihnen gelingt, ihre Schüler zur ArbeitswiUig^nit
und Arl-eitsfi-eudicrkeit zu erzielien. Dies aber dürfte sich durch einen
yachuntt'irii ht reinster Fom nicht erreichen lassen. Will man lioi reinem
Fachunterricht sich eine gewisse Gi-oßzügigkeit, die auch in kleinen Ver-
h<nisseo nicht zn entbehren ist, bewahren, so muß man versuchen, dem
rein Praktischen etwas Ideales an die Seite sa stellen.
Von diesem Gesichtspunkt betrachtet, erh< der mystisch nationale
Grundtvigianismus in den dänischen Schulen eine ungeheuere Bedeutung.
Wollen wir die d,lTiischen Schulen nachbilden, so wciTlen wir versuchen
müssen, die Schulen iiielit allein zu Vorbereitungsanstalten für die Praxis
des Berufslebens zu miichen, sondern wir müssen üinen einen volkstüm-
lichen idealen Inhalt geben. Das dflrfto doppelt notwendig sein, wo die
Schalen nicht allein ffir einen Beraf arbeiten soUen, sondern allein Sehichten
der ländlichen Bevölkerung in gleicher Weise dienen wollen, "Wir glanben
dies ideale Moment in der Heimat gefimden zn haben. Allgemein ver-
langt heute die Heimat ihr besonderes Recht; in imserer Nordmark, die
bis vor wenigen Jahrzehnten noch ilire eipene Gescliichte hatte, die auch
in Kultur, in Handel und Wandel dalier manche Eigentümlichkeit aufzu-
weisen hat, ist nicht nur das Heimatgefllhl besonders lebendig, sondern
andL von hervomgender Bedeutung fOr die Yolhserziehnng. änd diese
Yoranssetzungen richtig, so dürfte mit der Einfügung des Heimatunter-
richts in weitester Form auch dem ganzen rnterriclitsbetriebe die erforder-
liche Einheit ge,sichei-t sein, da ja auch Wirt^^chaftslehre und Bürgerkuude
als Anschauungsunterricht l)etiieben wenlen sollen.
Nadi den vorstehenden Ausführungen dürfte die nachstehende Stunden-
verteilung verstftndlidh sein:
Geschichte und Heimatkunde
Deutsche Sprache und Literaturkunde
Qeographie
Natorkonde
Gesetzes- und Bürgerkraide
Reehnen und Buchführung
Leibesübungen
Zusammen 42 Stunden wOdhentlich.
ZaltMduUt fOr FliUowpUe and Pldigogik. 12. JahigM«. 83
6 Stunden wAohenthch,
10
2
4
6
8 „ „und
6
n n
n n
n n
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5U
Mitteilimgen
Die Dauer der Kurse ist vorläufig nach dänischem Muster auf ö Monate
fOr Jünglinge und auf 3 Mcmato fdr Jongfiaaen angenomman. Bgm
Erfahnuigen werden uns lehren mflaoon, ob es bei dieser Festsetsmig
bleiben kann.
Die Volkshochschule ist als ein Internat gedacht. Diese Form ist
nicht nur deswegen erewählt. um allen Gegenden der ProNinz den Besuch
in wenigstens annäliornd gleicher Weise zu enuOglichen, und imi die
Kosten niedrig zu halteu, sondern vor allem um des erziehlichen Zweckes
irillen. Wir vodea das gesteckte Ziel nur dann voUstftndig eiradm,
irann wir eben nadihaltigen EinflnB auf die SdilUer ansllben klinnen.
Darum milfi uns laran golegen sein, alle fremden Einflüsse nach M3g-
lichkeit fem zu halten, imd zugleich die Schüler an ein (resollitTkeitsleben
zu gewöhnen, das in ländlicher Einfachheit gesimde, den Geist kräftigoade
Genüsse bringt. Das al)er ist nur dui'ch em Inteniat zu erreichen.
Es erscheint ferner notwendig, die ländliche Volkshochschule so ein-
xoiiditen, daft sie in mfSglioliat enge Bedehnng zmn Volke ateht Des-
halb ist wohl auf einen eriidblidien Znachuss dee Staates gerechnet^ dock
soll die Sduüe keine Staataanstalt sein. Ein Verein, der die Sache fordern
und den allgemeinen Balunen für die Organisation abgeben soU, ist bereits
gegründet, imd schon zeigen sich die ei-sten Ansätze der Lokalvereine,
die als Träger der Schulen auftreten sollen. Vereine, die die ehemab'gen
Schüler sammeln, und in denen auch die Freunde der Yolkshochschnle
ein Feld an lokaler Arbeit finden k(tainen, seUsn mdgliolist bald ina Leben
gerufen weiden.
Die entstehenden Kosten werden nicht gering sein. Wir werden
etwa 50 000 M für ein entsprechendes Gebäude anwenden müssen, werden
auch jälirlicli zwischen 11000 imd 12 000 M aufzubringen lialieu. Die
bisher gepflogenen Verhandlungen lassen uns aber frohen Muts in die
Zukunft sdianen. Ist das Bedflifnia im Volke auch nur annlhemd so
grofi, wie wir annehmen dürfen, und werden uns die Behörden ihr Wohl-
wollen erhalten, so weixlen wir der Kostenfrage w^en nicht von unserem
Plane abzustdien brauchen. Wir rechnen dabei nur mit den Beiträgen
uns(:'rer ontreren T^andsleute, hoffen al)er aucli. daß ims aus dem großen
deutsrlicn Vateriande Unterstützungon zugelieii wenlen. winl doch die
Arbeit dem ganzen deutschen Volke zu gute komineu, wenn sie gelingt
Außer den Gesamfkosten för die Unterhaltung der Schule fiülen aber
auch noch die Kosten wesoitBch ins Gewicht, die der Besuch der Schule
dem Schider venu-sacht. Die Gesamtkosten, die der Schüler aufzubringen
liat, sind auf 40 M im Monat voranselilagt, so daß ein Fünfmonatskursus
auf 200 und ein Dreimonatskursus auf 120 M zu stellen k«ninnt. Diese
Kosten sind im Voi-liältnis zu dem Aufwand, den andere Anstalten ver-
ursachen, entschieden recht gering; sie werden auch von weniger be-
mittelten Leuten sich erschwingen lassen. Wir halten aber dafOr, daS
sie noch weiter enn&fiigt werdoi müssen, wenn der Besuch allen ermög-
licht werden soll, wenn es wixkUch eine Volkshochschule werden solL
Um eine weitere Ermäßigimg zu erzielen, ist beabsichtigt Mittel flüssig
zu machen, die zu Unterstützungen für Schüler vervi'eudet werden sollen.
Das Frinxip der fieiirillj^att in dar Arbeit der hSheraii Sohnlen 515>
Ich nehme an, daß wir in der glücklidieii Lage sind, dabei nicht allein
aiif öffentliche Nüttel angepriesen zu sein. Wir haben anf dem Lande-
eine jranzc Reihe gut funtlierter Sparkassen und Genossenschaften, die
alljührück eine sehr erhebliche Summe für gemeinnützige Zwecke aus-
vafen, die anch zur Untentttteiiiig von joogea Lentan ans ihien Beiirlnn.
gern ihre Beüstener geben weiden. "^eUetelrt wird es allein mit diesen
Mitteln sich schon erreichen lassen, daß wir eine Summe zusammenbringen,
die eine i-echt kräftige Unterstützung der Schüler ermöglicht. Wir lialten
das Ziel für erreicht, wenn wir — von Ausnahmefrillen abgesehen — für
die Hälfte (h^r Schüler die Kosten um Zweiilrittel ennäßigen können.
VoUbtäüdig unentgeltlicher Untenicht erscheint nicht erwünscht, da das
leicht die Wertsdiitzung der Sdudaibeit beeintrtiQhtigen kOmite.
Seher ist noch Tiele AAeit ro kistai, die nMiste vieHeidit ent
dann, wenn die Schularbeit ndt all ihren Fehlem und kleinen Mißerfolgen
einsetzt; der Anfang ist aber so, daß er zu der Hoffnung berechtigt, da^
^ir bald die erste schleswig-holsteinische ländliche VolkshochRchule er-
stehen sehen werden. —
Nadtwofft
Nachdem der üntenelchnete vor etwa 10 Jahren wob. von dem aofier-
oidentlichen ESufhüt^ den die dBnisohen YollEBhoGliscfaiilea auf die Ent-
wicklung des dänischen Volkes ausgeübt haben und noch ausüben, sich
durch den Besuch Dänemarks selbst ültor^cngt liatte, schrieb er einen
Artikel in die » Gegen wai-t« und schloß ihn mit der Frage: »Ob die Zu-
kunft uns ähnliche Einrichtimgen in imserem Vaterlande bringen wird,,
die wir es angeblich so herrlich weit in aller Bildung gebracht haben?
Wir hoffen es, wenn diese Anregung auf froohtbaren Boden fUlt; wenn
sieh Leute bei uns finden, die Hfihe mid Opfer nicht sdienen, um die
dänischen Volkshochschulen zu studieren imd dann etwa mit Hilfe einiger
Besitzenden, die die Zeichen der Zeit verstehen, den Versuch auf
deutschem Boden wagen.« Nun, endlich ist die Zeit gekommen. Der
Versuch wii-d in der Koulmai-k imtemommen. Das erfüllt uns mit großer
Freude. UOgen die übrigen Landschaften, vor aUeni die Ostmark bald
nachlolgenl Das ist wichtiger, als der Bau einer Bjdserpldz imd einer
Bibliothek, so gute Dinge dies an sich sdn mögen. In der Gründimg
von ländlichen Volkshochschulen liegt eine grolle^ für unser Volk höchst
segensreiche Aufgabel W. Bein
6. Das Prinzip der Freiwilligkeit in der Arbeit der
höheren Schnlen
Mitgeteilt von Conrad Schubert- Altenburg
Das humanistische Gymnasiinn liat durch die Anfordenmgen, die
Naturwissenschafton, GcrmanisLik und neuere Philologie erhoben und dozcib»
gesetzt haben, ems Tedoien, das in den Zeiten FEiediieh Aogost WoUb,
Gottfried Hermanns und Bitsdüs als ihr Chaiaktoristiknm gelten konnte^
83«
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•die Geschlossenheits seines Lehq^lans, die Gruppierung allen Cnterrichts um
^inen Konzentrationsstoff, die Antike. Das ist aus psychologischer Er-
wägung heraus zu beklagen. Die Lelirpläne, sagt man, sind mit üirem
^cyklopSdiaolieii Streben inuiMr eddecditer geworden, der Dmok auf die
•Schlllergeihinie iriid isimer grOAer, und gdienit -wirl in Snmmn immer
Aveniger etwas Bechtee. Die klassischen Philologen rufen triumphierend:
^So mußte es kommen, daß ihr den einheitlichen Bau des alten humani-
stischen Gymnasiums durch falsche Einbauten zei-stört und gelockert habt!
Wir liaben gar nicht klassische Philologie und Altertumskunde deshalb
getrieben, weil wir das Wissen von diesen Dingen für das Höchste und
einzig Wichtige hielten. "Wir haben sie getiieben, um an eineni Xbcempel
zur Methode m erziehen, aar idealistisdien HeHiode. Das Wissen ist vuH
zu groß. Das kOnnen wir gar nicht übermitteln. So haben wir nns auf
ein Symbol beschränkt, um an dem Methode beizubringen. Diesen Weg
habt ihr aber leichtsinnig ganz verloren. Ihr stopft das Wissen selber
heuschobeihaft in die Schule und erreicht nur, daß alle Methode darüber
ziun Teufel geht und der Stoff doch nicht bewältigt wirdl«
Dagegen eadiebt nim ein Katoiforsoher seine Stimme nnd fragt: Haben
wir im Jagendunterricht heute wiiUicih die Zeit, eine ganze lange Reihe
der ftisdiefiten Jahre blofl einer Vorschule für Methode zuzuweisen?
Wilhelm Bolsche^) ist es, der neue, beachtenswerte Vorschläge bringt,
imi den Gymnasialjahren den Charakter schwerer Belastungsjahie, den sie
•ohne Zweifel für viele jetzt haben, zu nehmen.
Er argumentiert so: Beim Lebensbenif wird der am meisten nnd am
leichtesten etwas kästen, bei dem sich natfiriiohe Beanlagang und Berafs-
Arbeit decken. Die Gabe erzeugt den Fleiß in logischem Zusammenhang.
Es ist ein himmelgroßer sanitärer T'ntcrschit^d, ob ich eine schwere Arbeit
gern tue oder ob ich sie als Zwang empfinde. Und dieses große geistige
Gesundheitsprinzip, das Prinzip der Freiwilligkeit, muß in irgend
•einer Form auch schon auf den Gymnasien zur Geltung gebracht werden.
Denn auch hier gilt der Sats, dafi, wenn Schulstoff nnd Begabung
zusammenfallen, gern und frsodig md imi^blidi intensiv ohne geistige
SohAdigung gearbeitet vdrd. Die ▼ersohiedenen B^bungstypen werden
je zur Philologie, zur Mathematik, zum deutschen Aufsatz die Galn? der
Veranlagimg imd damit die Frei\\illigkeit hineinbringen. Wenn mm das
alte humanistische Gymnasium bloß auf das philologische Feld eingestellt
war, so konnte nur der Sdiüler mit keimender philologischer Anlage^ mit
intmÜTem Sinn für das äbstiaikt Logische der Grammatik jenes geheimms-
volle, geistig gesund haltende Plus empfinden, das aus der EongeniaÜllt
des Schulstoffes und der Begabung hervorwftchst. Wenn aber das moderne
Gymnasium in seinem falschen encyklopädischen Streben und mit seinem
Ideal des Eklektischen von allem gleichmäßig etwas erstrebt, so leiden
alle unter dem Zwang und leisten nichts Erhebliches.
fiisoism hat B9lsohe recht, daB in der Bntwiddnng des Jünglings
Welt blick, Gedanken sn Katar und Ennat Dvasdsn, Geil Baifiner, 190L
6. Bas Pmaof der nniwilUgkaifc in dei Aibeit dar hj&hM«n SobnUii 517
ein Zeitpunkt eintritt, in dem sich rin starkos Interesse nach irgend einer
Kichtung, entweder der historischen oder der naturwissenschaftlichen cxler
der tochuischeu, geltend macht. Da, wo eine Galx? ist, stellt sich auch
ein unglaublicher Fleiß ein. »Was leisten Jungen mit technischer Ver-
anlagung in dieser Hinsicht freiwillig Ton früh auf! Mit welchem FleiB
bricht, wo de da ist, die Künstlergabe daiGh! Soll dieses migeheaie ge-
gebene Kapital uibeniitKt Ueiben, bloß weQ IVeode darin ist?«
Auf diesen allgemeinen hier nur kniv. skizzierten Erwägungen baut
Bölsche seinen die bisherige Organisation der höheren Schulen voll-
ständig lungestaltenden Reform Vorschlag auf. Da sclion der Sextaner die
Gnmdlagen der Hauptrichtimgstalente oder Methodeuunterschiede, die im
intnitiTen Spiel der Aufmerksamkeit und der Assoaation liegen, mitbringt,
80 muß die Sdiule mit diesen Begabnngsdifferaiueii rechnen. Irgend eine-
(Übe zeigt sich als eouditio sine qua non bei jedem Menschen, und in
dieser Gabe liegt seine Lebenschance. Was nottut, ist, daß diese Gabe
erkannt und entwickelt wnrd und daß alle übrigen Fähigkeiten nur um
sie als den Seh werjj unkt gruppiert werden. B Öls dies höherc Sehlde soll
jene finden. Die erste, unterste Klasse bildet die Klasse der Taleutpi-obe,
Der Lehrer versnobt, durch adilichte Proben die Masse der ihm gegebenen
Indhidnalititen auf gtOtere Bubriken nach dem Tilent an ordnen. BOlsckie
denkt sich das meines Erachtens zu einfach. Selbst ein psychologisch,
eminent geschiüter Pädagog würde hier dio größten Soliwici-igkeiten haben.
Auch die einfachste Artgrnppierung dürfte nx-ht schwierig sein. Bölsche
meint^ in zwei Jaliren wäre es möglich, die Schüler unter die immer
wiederkehrenden Rubriken aufzuteilen. Er nennt als solche das mathe-
matiscfae Talent, das Talent fttr den deutschen Aufsatz, das Talent für
Zeichnen, das Talent für rein tedmisohe Fertigkeiten, das Spraefatalent.
Wenn man sich mit der B^gabiiiigBliheorie genauer beschäftigen würde —
es ist das ein noch sehr wenig wissenschaftlicti V>oliainloltes Gebiet — ,
dürften sich sehr bald große Schwierigkeiten in der rielitigen Klassifizierung
herausstellen. Erst recht, wenn man diese so früh vornimmt, wie
Bölsche wilL
Für alle, die mit Professor Zillera Sdiriftaa vertrant sind, ist der
BOlschesche Vorschlag nicht überraschend. Auch Zill er meinte,^) dafi*
adum in der allgemeinen Erziehungsschule (als solche sah er auch die
hf^here Schule an) die individueUo Seite des Zöglings, die dem Benife zu-
gewendet ist, berücksichtigt werden müsse. Von dem Zeitprmkt an. wo
der Zögling anfängt, sich seiner Individualität deutlich bewußt zu werden,
woDte Ziller Nebenklassen fftr die Spesialriohtangen, denen jeder
zuneigt, einfOhren. In den h(9ieren Sobnlen soDe dies aber spit ge»
schehen, denn eine je reichere BOdoDg ein jeder in sich ansammele, desto
spftter schüefie er ab^ desto langsamer reife er einem bestimmten Berufe
') Vergl. Dr. Biirwald, Tlieorie dor Begabung, psycholop.-päd. üntersuchuDg
über Existenz, Elas.sifikation, Ursachen, Bildsamkeit, Wert and Erziehung mensch-
licher Begabungen. Leipzig, Rei^land, 1S90.
>> AUg. PM. 8. Aufl. 1802. (Just) & 1B&
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S18
JCittoümiigos
•entgegen. »Die Einrichttmg' ist aber deshalb allgemem notwendig: mn
€0 weniger wiitl ciaiiu die Fa-hhildimg in die der Allgemeinbildung ge-
widmeten Uaaptklassen der Erziehimgsscliule übergreifen und ihr Abbruch
ton, um flo hem» tmd aber dort die sp&tere EMshbildiing ▼oiteteitotc
Auoh Ziller hatte, wie BOlsohe eEtaumt» dafi die Last üntemoiili
^bdurch nicht vermehrt würde, weil die Individualität für ihre Tendeniai
gar ieiner großen Nachhilfe bedarf. Es werden schon Anleitungen zur
Betätigung der eigenen Kraft genügen. Der Unterricht auf diesen höchsten
•Stufen der höheren Schulen soll überhaujit die erweckte und nach allen
Seiten regsame Selbsttätigkeit dee Zöglings nur leiten, und damit ist auch
der Baum und die Zeit fftr die KebrnMiiwen gfftcMhm. Ziller hat i. S.
mskif mm er dieae BerOokakditignng der Begabaag im Ihtereaae der AB»
Ipemembildung möglichst weit hmaoBiilBQllieben wünschte.
Bölsche gibt auch ein genauer ansgeführtes Beispiel, wie er sich
Allgemein- und Talentbildung vereinigt denkt Bei ihm ist es umgekehrt
^ie bei Ziller. Die Tjüeutklasse ist die Hauptklasse, die Allgemeinbildung
geht nebenher; in jener liegt der Schwerpunkt Aus der ProbekJasse
<Seacte and Quinta) werden aehn KiOpfe anf die Gabe dee deotBohen Alf-
«atzes gewählt, das aind die kftnftigen SoiuillBteiDer aUer Art, mit Bb-
schluB der Poeten. Es ist die bevorzugte »deatsche Klasse«; sie bleibt
-es bis hinauf zur Prima. Sie erhalten ihren deutschen Unterricht für
sich, ihr deutscher Lehrer ist ihr Ordinarius, von dem alle Entscheidungen
über Ansti^ in höhere Klassen abhängen. Hier könnte nuu das Vorzüg-
Hohste geleiatet werden, weil die Begabung und der logisch aus ihr eQt>
springende MwUIige Fleü Toriianden aind. Keben den Xfileatanden, die
kontinuierlich durch alle Klassenstufen das eigentliche Lemaentram bflden,
gehen die andern Lehrstunden, die aber jetzt ausgesprochen nur der All-
gemeinbildung dienen. Also der künftige Benifsschriftsteller , Benifs-
philologe, Benifszeichner haben auch gemeinsame Matheniatikstnnden nach
einem Lehrplan mit geringeren Zielen, als die et^'a ausgesondert«3n zehn
Begabongamaliiematiker; es aind mdir Anregungsstonden, aie aind von
aekondärar Bedeatong. In diesen es kein Überhören, keine An»>
wendiglenerai, keine Übersetzungen, keine HausanlgabeD, aondem viel
Anschauung, yki gomsinaBme LektOie^ viel Anleitwig som TerstindigOB
Lesen u. s. f.
Einen weiteren Vorteil hätte dies, meint Bölsche, weil dadurch
auch solche Lehrer zu einer echten Ordinariusstelle kämen, deren Berufs-
liflle jetat nur ein gednktetes Anhflngsel im Tiehrplan waren, s. B. der
Zeiehwilehrer. »Was ist Zeicbnen für eine eminente Brofknnstt üad wie
hat das humanistiaoihe Gymnasium sie und ihren Vertreter stets behandelt !c
Als l'T)ergang zu dieser höheren Schule der Zuk^inft könnte das
schon jetzt durchgefühi-t werden, daß das Fach bei allen Zeugnissen imd
Versotzmigen als das entscheidende Fach g^t, zu dem einer besondere
Begabung hat Ausgezeichnete Leistungen in der Mathematik müBten alle
spracUkhen Uankos kompensieren. In den Fbten, fOr die einar
keine Begabang hat, mflßte einer mehr als HbepitMit gelteD, bei dem ge>
nllgt» wenn er nnr vaHOigi und allgamem folgt JedenbUa kOnnto
5. Das Prinzip der Preiwilli^ttt in der Arbeit der höheren Scholen 5X9
aber nur vegon der Sch\neric:koit des gleichmÄßigen Fortschreitens des
Gros der Schüler mit den Eliteschülem ein Übergangsexperiraeut sein
\md würde in logischer Konsequenz zu Eliteklassen der einzelnen Fftcher
fOhraiL
Die skizzierte Idee hat nach BOlsche zwei Yorteilei, einen fOr das
ganz Reale, den Exiatenskampf, die BenilB- und Brotfrage, indem sie die
vorhandenen Bogabimgen zeitig nutzbar macht. Andrerseits hebt sie das
ethische Niveau der Lernarbeit, indem sie eine ewige Quelle des Mißlichen.
Unfrohen, Widerwärtigen verstopft. »Von den besten, edelsten Männern
im späteren Leben hört man die ewige Klage: es hat miB nlolits genüM
— und es hat uns aufierdem so gequllt, dafi wir heute noch in der Bp-
innenmg den Dingen von damals fluchen wie ein ohnmäditiger Sklave;
das ist denn doch keine nüchtom-praktische — und es ist ganz gewiß
noch weniger eine ethische "Wirkimg. Nur wer an beiden Stellen bessern
könnte, der dürfte hoffen, einen branclil lai^en Vorschlag l)€'igebracht zu
haben. Öchliüßlich muß auch der kom>ervativste klassische Philologe zu-
giebea: im Stadium des HienimdokleRis sind wir heute doch einmal, hier
drucken wir uns nicht mehr voihei. So mag ein YotscUag mehr auf aUe
EUle ohne Schaden m die Masse eingehen.«
So schließt Bö Ische seine gewiß interessanten Vorscliläge. Wir
sind weit entfernt davon zu glauben, daß dieselben schon reif wären, in
die Pmxis umgesetzt zu werden. Al)er ein gesmider Geilanke liegt ihnen
zu Grunde. Wie jetzt in der Volksschulorgauisation das Mannheimer
System mit seinen mhigkeitHklafwen zu vielseitigen Überlegimgen in der
Achtung geClUiit hat, daB man sidi emstlich ingte, wie man die biadi-
liegenden Kräfte der Begabten besser molnl macban könne, so muß man
auch auf dem Gebiet der höheren Schulen es nur mit Freude liegrüßen,
wenn man den Gedanken des Prinzips der Freiwilligkeit ernstlich V>espricht.
In Nordamerika kennt man bereits tlas Organisatiousprinzip der wahlfreien
Fächer. Alan kann Bölsche darin beistimmen, dafi es fOr den FhiMogen
wie fflr den Malhematiker eine Qual ist, mit unbegabten Sdhflleni zu
arbeiten. Beide bedauern, mit denen das Ziel nicht erreichen zu können.
Abel' e<5 erheben sich Frasr^^n aller Art, die so leicht nicht bcant«'ortet
wenlen können. Zuerst die Hauptfrage: Ist wirklich eine einheitliche
allirt iueine Bildung nicht mehr möglich und muß die Differenzierung schon
auf der Schule beginnen? Diese Frage hat bekanntlich der fi-ühere Ein-
heitsschulveiein (Homemann, Uhlig, Friek, EL Schiller, Ghistay Richter,
Lothar Meyer u. a.) vemeini Dunsh die Bewegung der Beformschulen
ist diese Frage wiederum lebhaft in den Vordergnmd gerückt und bejaht
worden. Durch die Dreiteilimg der höhei-en Schiden in humanistische
Gymnasien, T?'^a.lgyranasien und < )l.errealschulen soll den verschiedenartigen
Begabimgen R'-clmung getiugen wei'den. Bölsche ist der Meinung, daß
dies durch diese Organisation nicht in genügendem Mafie g^hieht
Übrigens war auch hn Einheitssohulverein bereits vorgeschlagen worden,
die Schüler später in ▼erschiedene dmch fakultativen ünterricht gebildete
Abteilungen zu trennen, welcher Yoischlag aber als dem Einheitsschul-
gedanken zuwiderlaufend iaUen gelassen wuide. (Yergl Bein, Encyklopfidie
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520
Mitteilungen
I, 779 und V, 777.) Dor pomoinsame Unterbau der 3 Schulgattimgen
würde, wenn allgemein eiiigefülirl, eiue Artgruppierung iin Sinne Bölsches
ennöglichen, aber nicht in der speziellen Alt, in& dieser will, sondem in
einer mehr allgemeinea Bilferenaenmg. Soweit daxf die Saohe doch wohl
kaum getrieben Verden, daß schon auf der höheren Schule für einen gani
bestimmten Benif vorbereitet wird. "NVinl abor nicht bei dem Verfahren
Bülsches das Niveau der Allgemeinbildung herabgedrüokt woixlenV Eher
scheinen uns die Bestrebungen in der Bewegung der Refonuschulen dem
gesunden Xern in Bölsches Vorschlag Rechnung zu tragen, die darauf
hinansgelien, den gemeinsamen ünterbaa anf 6 Jahre anssndehnen. Dann
würde nur der Oberbau sich gliedern in 3 Richtungen durch Aufnahme
des Griechischen oder des Englischen oder duidi stirkere Betommg der
mathematisch - naturwissenschaftlichen Fächer.
Bölsche genügt aber offenbar diese dreifache Abzweigung nicht, er
verlangt Berücksichtigung der historischen, technischen, der scliriftstelle-
lischen, der kflnstienschai ^eate. War liegen noch schwierige Probleme^
die aadi erst gelOst werden kOnnen, wenn die WertsohitKang der BfldangB-
elemente eine andere geworden sein wnd. Vorerst sind wir noch sa
sehr in den Vonirteilen befangen, die wir dnroh unsere eigene Aas-
bildung aberkommen biUien.
6. Der euglisclie Unterricht in den Volksschulen
Hambargs
Von A. Schwieker
Als im Jalu-e 1870 der hamburgische Staat die Schulpflicht einführte
und seine ersten Vollisschulen einzurichten hatte, bestimmte er durch das
Uutenichtsgesetz, daJi in den Lehrphm der tnaljonschuleu auch die eng-
Ii sehe Sprache als obligatorischer ünteEiichtsgegenstsnd an%€noiiimen
weide. Durch diese Einiiehtong wollte er wohl in erster liafe die Be-
dfirfnisse des Berufslebens berlldodchtigai, das in einer so bedeutenden
Handelsstadt wie Hamburg auch von den aus der Volksschule abgehenden
Schfiloni Kenntnisse im Englischen fonleit. Seit der Einfühnmg des
englischen Unterrichts sind bei-eits Jalirzchnte vergangen. Wohl liat die
Oberschulbehörde es für nötig beftmden, den Lehrplan der Volksschulen
KU revidieren, dodi übenengt yon dem Werte des enc^isdhen üntemchts,
hat sie dieses Each im Plane beibehalten.
Unsere Ejiabensohulen beginnen mit dem Erlemen des Englisdien
im fönften Schuljahre und verwenden darauf in der dritten, zweiten,
ersten Klasse imd der Sclckta je vier Stunden wöchentlich. Als Ziel
des Unterrichts bestimmt der amtliche Lehi'plan: »Die Schüler sollea
bef&higt werden, englische Lesestücke ins Deutsciie zu Qbeisetien, leiditere
Sprachstoffe aas dem Dentschen ins Englische zn Obertragen nnd sich
über naheliegende Dinge in englischer Sprache auszudrCkshen.« Was die
Lehr weise anhingt, so hat seit einem Jahrzehnt an die Stelle der grara-
matisierenden Methode die Anschauungsmethode treten dfiifen. Auch
6. Der englische Uutemoht in den Yolksschuleu iiauiburgs
521
für den fremdsin-achlichen Unterricht ist der Oninds<atz niaßfz^ebond ge-
worden: -»Alles Wissen wurzelt iii der Auscliauuiig.* AVälueud jene
Methode tqh grammatiscben Hegeln ausging, werden jetzt, besondeis im
eraten und zweiten üntemohtejalue, SpcaGhstHoke (BeBGhreibiuigen) anf-
gebant Diee geschieht unter kräftiger Beihilfe der Ansohammg dnroh
Bezeichnen der Teile imd Eic:cnscliaften eines Pin,c:es am •wirklichen
Getjenstande fxler au einem Bilde oder einer Zeiclmimg und durch An-
deuten der Iliindlungen nüttels Darstellung der Bewegungen, wenn nötig,
unter Zuhilfenahme der Muttersprache.
Nach der EntwieUnng des SpraohatfloikeB werden die Benennungen
fflr die TSti^eiten, die I^ge, die Eigenscthaften UBW. an die Wandtefel
geedirieben nnd bei dieser Darbietung in Reihen gebracht d. h. nach den
Woi-tarten geordnet. Erst nach diesen Vorbereitungen wird das Lehrbuch
zui' Hand genommen mid das Stück gelesen und übersetzt.
Nachdem die Schüler im Lesen und Übersetzen völlig sicher sind,
beginnen die Übungen, die auf ein grOndüohes Yeiurbeit^ des Stoffes
a])nelen: RaokObersetzenf Abfragen des Inhalts, Wiedererzählen und Um-
wandeln nach Person und Zahl und spftter nach Zeit.
Den Schluß bildet die ans dem bekannten Lesestoffe — dem letzten
und den finiheren Stdcken — herauBgearbeitete grammatische Belehrung
und ÜViung.
Eine erfrischende Abwechslung in den Sprachstoff bringen die Er-
sählungen. Auch bei ihrer Beihandlung heiAt es, nicht vom Fertigen, wie
das Buch es bringt, ausgehen, sondern den Stoff unter Anwendung der
entwickelnden Gesprächsform anfbauen. Neu auftretende Wörter sucht
der Lehrer durch bekannte zu erkUren oder übermittelt nOtigeofsUs ihre
Bedeutimg durch Verdeutschung.
Dem Unterrichte wird fast an allen Knabenschulen das von dem Ver-
fasser dieses Artikels herausgegebene Lehr- und Lesebuch der eng-
üsdien Sprache^) zu Onmde gelegt, ein Lehibuoh, das ans der Praxis an
unseren Schulen hervorgegangen ist
Bd der Behandlung der Sprachstoffe wird auch dem Gnmdsatz
Rechnung getragen: »Die Klarheit stammt aus dem Vergleich.« So
oft wie möglich wird die sich häufig bietende Gelegenheit benutzt, auf
die Verwandtschaft des Englischen mit dem Deutschen näher ein-
zugehen. Dies geschieht, denn eine Yergleichung vermittelt ein tieferes
Verständnis der Erscheinungen der fremden Spraohe, weckt im Sc&Hler
ein lebendiges Interesse an denselben und untnstfttet in hohem Qiade
das Gedächtnis für den erlangten Wortschatz.
Ein zweites Mittel, das sehr häufig Veranlassung zur Yergleichung
gibt, wii-d von den meisten Kitllegen auch jetzt noch ziu- Anwendimg ge-
bracht, es ist das Übersetzen aus der Mutterspiache. Wenn der Schüler
Lehr- uod Lesebuch der englischen Sprache naoh der direkten
Ibtiiode. Mit mehieren Abbikhmgen und einem liedeianhaage. 14. AulL Him-
bozg. Yerlag von Otto Meißner. 1,0011. — > Hferm: »Methodische Anleitung«
(die unent^tUch abgegeben wird).
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522
Mitteilungen
sowohl im Erkennen der grammatisrheii Können, als auch im selbständigen
Bilden einzelner Formen nach durchgenummeucn Regeln geQbt woiilen ist,
tritt das Übersetzen auf und rwar die Übertragung von Stöcken, die aiSff-
Hchst sasBnmieiihBiigend and, aioli fluem Inhidte nach an die gegebensQ
Stücke anschließen und den wa edemendea granmiatischen Stoff zur
manniL''farhon Anwendnng bringen. Diese Übung ist ein sicheres Mittel
zur EinüTnmg und Befustigimg der grammatischen Fonnen und Konstnik-
tionen, wie auch dos Wortschatzes. Sic bietet eine sichere Kontrolle
darüber, ob tlas zu Eiiernende richtig vei-stauden und sicher angeeignet
wotdm ist und ist dämm als Prü&tetn zn echitawn.
»Die Ifeistenohaft entstellt diiroh Übung.« Dem Ziraeke der Übung
dienen die schriftlichen Arbeiten. In der Klasse wird fMfiig naoh
Diktat und aus dem Gedächtnis niedergeschrieben. Während man anfangs
den Sprachätoff in der vorüegenden Fassung diktiert, bietet man ihn später
in mannigfach veränderter Form. Als eine passende schriftliche Übung
in der Klasse hat sich auch das Diktieren von Questions und das
antworten deraelben erwiesen. Die hfaaliolien sduiftUohen Aibeiten sind
recht mannigbcher Art Sie bestohsn in Abechreiben, Bilden von Wor^
reihen, kkintti Umgestaltungen nach Person imd Zeit, Beant^'orten von
Fragen, Bilden von Fragen, Anfertigen leichtor Aufsätze nach Angaben,
in in>ersetzen und grammatLschen Cbungen. Fih- die Uljei-stufe hat sich
besonders das selbständige Bilden von Fragen im Anschluß an den be-
luindeltea Lesestoff als wertvoll erwiesen. Die Schüler lernen die fremde
Spiaohe fOr das Leben pzaktisch handhaben.
Da es sich bei dem in Anwendung gebraohtan Unternohtsver&Lhreii
häufig um ein Aufbauen imd mn ein Mittim von seiten der Schüler
handelt, so ilarf gesagt werden, daß sie mit Lust imd Liebe bei der Sache
sind. Sie lernen hüivn und verstehen, wie auch die fremde Sprache
selbst sprechen. Da der Stoff aus dem gesamten Anschauungsgebiet ge>
wflUt ist, so werden sie mit dem fQr das pmktiaoiie Leben Notwendigen
ansgerflstet. Wie anch andere EoUegen haben erfshran dflifen, nimmt
ein Schüler von dniohschnitäicher Begabung, der es an dem nötigm FleiS
niclit liat felilen lassen, ein gut Teil Englisch mit ins Leben hinaus. Er
win-de befähigt, leichte Spnichstücke, z.B. Briefe, in denen es sich um
die Mitteilimg eines Wimsches oder um die Darstellung eines Vorganges
handelt, zu lesen und zu übersetzen und sich der fremden Sprache münd-
lich und sdiriftlioh su bedienen, wobei es sich natOrlidi nur um be-
scheidene Leistungen handeln kann. EaUs das Leben hOhers Anforderangen
an ihn stellt, so kann er leicht aeme weitere Ausbildung veranlasse
Hinsichtlich der Anforderungen, die das Unterrichtsverfahren an
den Lehrer stellt, ist zu bemerken, daß die Behandlung der Spcaohsfeoiffe
eine gründliche Vorbereitung erfordert
Zu den wesentlichen Bedingungen für den Erfolg des ünter>
ridits gehören, wie die ürfshiung gelehrt hat, die siohere Aneignung der
behandelten Sprachstficke, femer die häufige Wiederhohmg des durch-
gearbeiteten Stoffes und endlich die regelmäßige Übung in der schrift-
lichen Darstellung, die wonLOglich am Schlüsse einer jeden UntenichtB>
6b Der en^isoho Unterzioiit in dea VidkasolralMi HambiugB
523
sümde anznstellen ist. Es gilt, alte ErfahnrngssÄtze zn behor^it^n \m<\
fleißig zu befolgen: Eile mit Weile! — Ropetitio mater est stadionim
und NuUa dies sine linea! (Kein Tag ohne Federstrich!)
Der Erfolg des Untcnichts wird gänzlich in Frage gestellt, wenn die
Klasse ans minderwertigen Scfafllem «wamtMingesetrt ist Darum sollte
an einer Schule, die obtigstonsdiea üntemdii in einer fremden Spiaohe
liat, von Klitöse za Basse scharf versetzt werden.
Es soll nicht unerwähnt bleiben, daß einige Kollegen auch die von
dem Professor Gouin enlachte »Serienmethodo« in Anwendung bringen
und bei ihrem Unterrichte die von dem hiesigen Koliken Höft heraus-
gegebenen »Englischen Serien« benutzen. Bekanntlich handelt es sich
bei der SenemneChode nm die Daiateillimg von Yorgftngen. Sie ledflgt
einen Vorgang in EinzeUumdlmigen, reiht sie mit Rücksicht auf die zei^
liehe Folge aneinander und begleitet die T&tigkeiten mit subjektiTen Äuße-
rungen des Wohlgefallens oder Mißfallens, der Zustimmung o<Ier Ab-
neigimg usw. Auch bei dem Unterricht nach der Anschauungsmethode
handelt es sich neben Beschreiben von wirklichen Gegenständen und
Bildem manfhmal vm die Darstellung eines Vorganges. Für die Daiv
Uetong eines soldien dOifte es sich empfehlen, naoh der Weise 0oninB
Reihen zu bilden. Jedoch einng und allein Serien zu behandeln, dürfte
nicht gut zu heißen sein ; denn auch in Bezug auf das Unterrichtsver&diren
heißt es: Variatio dolectat. Die ganze Grammatik in fremder Sprache
zu lehren, wcnleu gewiß die meisten Kollegen mit mir nicht für ratsam
halten. Abgesehen davon, daß eine derartige Übermittelung zeitraubend
und schwierig sein wflrde, hat andh die Kenntnis der fremden grun-
madsofaen Boeiöhnangen für das praktische Leben gfr keinen Wert
(Vg^ meinen Artikel an der Serienmethode: Pädagogische Befonn Nr. 2, 1901.)
Bisher ist nur von dem englischen Unterricht an unseren Knaben-
schulen die Rede gewesen. Es gereicht mir zur großen Freude, mitteilen
zu können, daß auch an manchen unserer Mädchenschulen die eng-
lische Sprache gelehrt wird und zwar fakultativ. In einer Beurteilung
meiner »Methodischen Anleitung« zu dem von mir herausgegebenen Lehr-
bnche äufiertsich ein HiaapÜehrer einer hiesigen Mädchenschule: . . . »Isäi
bedaure, daß das Englische dem Lchrplan der Midchenschulen fehlt Wenn
auch die Resultate im Englischen bescheiden sind und sein müssen, so
ist dabei nicht zu übersehen, daß einerseits dieser bescheidene Anfang
sich später oft als recht nützlich erweist, daß andrerseits die geistige
Schulung sowie der Gewinn für das Deutsche sehr wertvoll ist . . .
(Hambnrgisdie Schnlaeitang Nr. 61, 1903.) In nSchster Zeit wird anoh
die OberschalbehOrde sieh mit der Frage der EinfQhnmg des «ngliBAhnn
Unterrichts an unseren Mädchenschulen beschäftigen.
Einige unserer Knal>enschulen bieten ihren guten Schülern in den
It'tztt^n beiden Schuljahren auch noch französischen Unterricht. Tn
uiiücrm Lehrplan heißt es: »Soweit es die Verhältnisse gestatten, hum
anoh ünterrioht in der franaOsischen SpcMhe erteAt trecden, jedoch vi
in jedem einaelnen EUle die aaadrfiokliQlie Oepehmignng der Obeiscliiil-
behArde^ Sektion für daa Volkssohnlweeen, «rCoiderlioh.«
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524
Ifitteaviigea
Fragen wir uns, wius die AuinaJime tlieser Bestimmung in den Lehr-
plfltt TenuüaSt bftben mag, so haben irir -wohl nicht aUein an den Kirtieii
für das BeruÜBlebea zu denken, sondern auch an die andern grofien Vor«
teile, die jeder fremd spi achliche Unterricht gewährt. Das Er-
lernen einer fromtlcn Sprache fördert in hohem Maße die Verstandes- \hkI
die Willensbilihmg und ist darum ein hervorragendes Mittel formaler
Bildunpr. Es entsprielit auch dem lu^sonderen Cliaiukter der i^ehobenen
Volkssclude j denn es hilft deren wichtige Aufgabe lösen, die Muttersprache
za pflegen. Der Yorwnif, daft die Eilemong der fremden Sprache den
ttbrigen Untenrioht beeintrfiahtige, mnfi sarOökgewiesea ireiden. Dmoh
sie winl \-ielmehr ein Gleichmaß formaler und mateiialer Bildung herW-
gefrdirt. Ziu- Bestätigimg des Gesagten mögen einige Urteüe dienen.
Aug. Horm. Niemeyer sagt in seinen »Giimdsätzen der Erziehimg und
des Unterrichts:« »Nichts beföi-dert und konzentriert die anhaltende Auf-
merksamkeit und den unermüdlichen Fleiß so sehr und gibt soviel Ge-
legenheit, scharf anzumerken und Schwierigkettsn dnroh Anadaner m
fiberwinden, als die zur Erlernung emer fremden Sprache erforderlichea
Übungen.« In seiner »Allgemeinen Pädagogik« führt Waitz aus: »Bei
der Eilommig der fremden Sprache wird das Fremde fortlaufend an das
angekni'nift imd mit dem verglichen, was die Muttersprache bietet. Da-
durch tritt erst die Muttei-sprache selbst in ihre einzelnen Teile mit aller
Dentlichhfiit aoaemander. IMeaer 6ewinn für die Hntterspracba ist nicht
gering ansnacfalagen. Sie wird in ihrer EigentOmlichlrait erst durch das
soigfältige Vergleichen richtig erkannt.« Und deshalb geht Palmers
Meinung in seiner »Evangelischen Pädagogik« dahin: »"Wir halten es für
unentliolirlicli. daß eine fremde Sprache gelehrt wird, weil an einer fremden
Si)raciie am besten sich der Sprachverstand, am Übersetzen auch der Aus-
di-uck in der Muttersprache bildet«
HOge dämm sich der Wimsoh TerwirUiGhen, dafi recht vieto ToÜDi-
sdinlen gehohener Art eine fremde Sprache je nadi den YeriiUtniasen als
ohligatorischen oder als &kultativcn Untenichtsgegenstand in ihren Lehr-
püan einreiheD und sie mit gatem £rfo]g tarn Segen der Schfller khrenl
7. Bericht über die talgarisohen Lehrersemiiiare
(staatspfidagogisolieii Sohnlen) fflr das SohiUjalir
1908A904
Von Dr. W. Nikoltschoff, Sofia
AVio ich in meiner Abhandlung über das bulgarische Schidwesen
(Encyklopädisches Handbuch der Pädagogik, 2. Bd^ 2. Hälfte) ausführlich
dargestellt habe, sorgen fOr die AnshOdnng der Volkssehnllehier in Bol*
garien hanptsflchlich die seit Jahren besteh^den Lehreneminare (aMs-
pldagogischen Schalen)^ Solche gibt es in dem ganzen Lande 5, und
zwar 4 in Xord-BulLTirien (Küstendil, Schumen, Lom und Süistra) und
1 in Süd- Bulgarien (Kasanlik). Jedem Lehrerseminar ist angegliedert:
7. Bericht über die bulgarischen Lehrerseminare usw. 525
1. Eine Yolksschiile mit 4 jährigem Kursus, welche gewöhnlich
»Übungsschule« genannt wird, da in ihr die Seminaristen hosjjitien^n und
unterrichten. Jede Xlasse dieser Schule wird von einem besondci-en Lehrer
geleitet
2. Eme daiaoffolgende dreiklassige Bürgerschule, welche als gemein-
flame Gnmdlage aller höheren Sdhulen, also aodi dee Lehrerseminars, gilt
Für die Schüler der Bfligerschnle besteht kerne Verpflichtung, imbedingt
in das Seminar oiir/utreten; dieses rekrutiert aeme Zöglinge ans allen
Bürgerschulen lU's Landes.
Die Angaben für «las Schuljahr 1903/04, die ich den liCsem dieser
Zeitschrift vorzulegen beabsichtige, beziehen sich wie auf das Seminar
ebenso anch auf den Unterbau (die Volks- und BOigerschule), der mit ihm
eine organisch verbindende ESnhdt darstellt
A. Nach dem Verlauf der grofien, zweimonatlißhen Sommerferien
(Juli und August) hat das neue Sdiuljahr (1903/04) dem Gesetze gemflB
am 25. August (alt. St) begonnen. Vom 25. August bis zum I.September
fanden die Anmeldimgen, um] die Aufnahme- und Wi(]^lorholimgs-(Besse-
mnp>-)Pn'ifimgen statt. WiUiivnd dos ganzen Schidjalire^> ist dvr Tnlcr-
richt in allen Lehrerseminaren regelmäßig und ohne jede Störung ge-
gangen, und mit Hitie Juni abgeschlossen.
B. Am £nde des Schuljahres irirkten in allen LehreFseminaren
136 Lehrer, von denen 116 den üntemoht in der dreUdassigen Schule
und in dem Seminar selbst erteilten und 20 die Klassen der Übungs-
schulen leiteten« Dem Alter nach verteilen sich alle Lehrer, ^e folgt:
Jm Alter von 20 — 25 Jahren ... 4 Lehrer,
„ „ „ 26 — 30 „ ... 36 „
II » » 3^ n ... 4.3 „
n n »1 n ... 26 „
„ „ „ 40-45 „ ... 20 „
» jt 1» 45 50 „ ... 4 „
„ „ über 50 p . . . 3 „
136 Lehrer.
Daraus ist ersichtlicli, daß die Mehrzalü der Lehrer sich in dem Alti^r
vom 25. — 45. Lebensjahi-e l^efindet imd mit einer frischen Tatkraft aua-
gerüstet sind, die der Schularbeit zu gute kommt.
Als ordenüidie Lehrer an den Lehrerseminaren und den dazu-
gehörenden Bfirgerschulen werden, wie auch an den Gymnasien, nur
solche Personen ernannt, die eine höhere Schule (Gymnasium oder Lehrer-
seminar) imd dann die Univei-sitüt absolviert, und nach einjUhnt^'ein Dienst
das Staatsexamen abgelegt hal>en. Die onlentliclien Lehrer werden auf
Gnmd der Dienstdauer in drei Stufen oder Hassen eingeteilt. Die Kandi-
daten für ordentliche Lehrer, d. h. solche, welche das Staatsexamen noch
nicht bestanden haben, heifien »neuemannte Lehrer«. Auflerdem gibt es
nodi eine Aniahl »provisorische oder aufierofdenttichc Lehrer«, die ent-
weder Obeibldbsel frOherer Einrichtung der höheren Schulen smd, oder
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die geforderte Vorbildung nicht besitzen. Nacii dieser Teilung ordnen
flioh die Lohrer: 1. OzdentUche: a) L (die hiOGliflto) Stofe: 28 IL St:
32 L., nL St: 15 L.; b) Neoeniaiinte 29 L; 2. FtomniBdie: 42 L.
Ca. 13G L. DcrBüdung nach Btellen die Lehrer an den Lehieraenmiven.
folgendes Bdd dar:
1. YoUsttndige ahadomiBfihe and vollständige hdheie BQduag. . 53
2. „ „ unvollständige „ „ . . 9 „
3. Unvollständige „ „ vollständige „ „ . . 8 „
4. Vollständige „ „ imvoUständigo „ „ . . 3 „
6. M höhere (GymnaBiBl- oder Seminai^) „ . . 83 „
6. ünvQUsttadige höhere „ „ „ . . 5 „
7. Itehlehrer (Zeiofanen, Hooiidazbeit) Turnen) . 25 „
136 L.
Zirni Verständnis dieser Zusammenstellung mflssen inr bemerken,
daß in ihr alle Lehrer, also auch diejoniiron an der Übiuigs- und Bürgep-
Bchule inbegriffen sind, Cranz andern Eindruck bekommen wii-, wenn vnr
nur die Tichi-cr an dem Seminar ins Auge fassen; dann treffen wir in
der Regel niu- akademisch ausgebildete Lchi-er.
Die Mehnahl der Lehrer ecfreoen sich einer guten Schulpraxis, vie
dies aus den iolgenden Zifiecn zn enMthen ist:
Unter 5 Diensfjahze haben. ... 29 Lehrer,
5—10 „ „ .... 35 „
10—15 „ „ .... 43 „
15—20 „ „ .... 20 „
20~~25 ,f )j • . • • 8
Über 25 „ » • • • • 1 „
13G Lehrer.
Dem Gesetze nach muB jeder Lehrer 18 — 24, die Dii-ektoren 6 bis
12 üntenichtsstanden wöchentlich erteilen; doch finden oft Abweichungen
davon (es werden gewisse Erleichterungen den Spiaohlehreni, den Auf-
sehen und den Klassenlehrern gemacht), so daß die Duiubschnittszahl der
w5chcnthchQn Unterrichtsstunden, die jedem Lehrer zufallen, 17,6 Stunden
beträgt. Trotzdem ist der Beruf m\cs bulgarischen Seminarlchrei"s nicht
allzu leicht zu bezeichnen und deshalb hört man von allen Seiton
Beschwerden und Verlangen nach einer Minderung der obligatorischen
Unterrichtsstunden, die jeder Lehrer wöchentlich erteOen muA.
G. Über die I^uenz der SchiUer wShrend des Schuljahres 1903/04
in den bul tjmrischonTiohrprscminaren läßt sich folgende Tabelle zusammenstellen:
Ansahl der SdiQler
in der
Übungs-
sohule
in der
drei-
klassigen
Sohnla
in dem
Semin&r
Zu-
sammen
1. im Anfange des Schuljahres . . .
2. «m Ende des Sohnljahies ....
633
691
1316
1161
752
728
2701
2475
7. Bsriolit fibw dto UlgHiMlMii Lahranoninare usw.
527
Ana dieser TabeiDe eigibt sich, dsfi:
1. die Zahl der his znni Ekide des Sdraljahres geiblieibenen Sdilller
2475 oder 91,63% beträgt;
2. die Zalü der wShrend des Sohuljahies ansgeferotaneii Sohfllar
226 oder 8.37 7o beträgt.
Beti-achten wir von die^^er Seite die drei verseliiedenen Schnl-
gattungen (Abteilungen) des Lehrerseminars gesondert voneinander, so be-
kommen vir folgende Angahen:
1. Die Anzahl der Us som Ende des Schuljahres gebMebepen. Sdifller
beträgt: a) in der Übiingsschule 591 (93,37%); b) in der dreiUaflsigeQ
Schule 1161 (88,22%); c) in dem Seminar 723 (96.14%).
2. Die Anxahl der während des Schiüjahres ausgetretenen SchflJer
beträgt: a) in der Cbungsschule 42 {6,33%); b) in der dreiklassigen
Schule 155 (11,78); c) in dem Seminar 29 (3,86%). Die Ursachen,
irdohe die erwähnten 226 Schüler Tecanlafit hieben, die Schule frahseitig
za Terbasen, sind: Aimnt 68 Schiller (2y62%\ JütaoikbiÄt 27 Schiller
(1%), ansgewif^sen aas der Sehlde wegen Übertretung der Schidoninimg
12 Schüler (0,44 7o)i versetzt in andere Sohulon 65 Sdinior (2,41%),
gestorben 2 S<^'hnler (0,07%), unbekannte Ursachen 52 Schiller (1,93 7o)-
Aus der Vergleichung der An?iahl der Schüler mit denen der Klasseu
und der Lehrer ergibt sich:
1. Die Dorchsdinittszahl der Schfiler in jeder Klasse beMgt 80,55.
2. Auf jeden Lehrer kommen 18,20 SchfUer.
Als Schüler in den Lehrerseminaren kutanen nur bulgarische Unter-
tanen aufgenommen werden ohne Rücksicht auf ihre Nationalität und
Konfes.sion. Doch bilden die Bulgaren, welche in der Rccrt-'l dor criechisch-
kathoiischen Konfession angehören, die überwiegende MujuiiUit und geben
diesen Sehnlen eän echt nationales Gepräge. Der Naticmalittt nadi verteilen
sich die SohOler folgendermafien: Bnlgaren 2602 (96,84 7o); ^^^den 61
(2,26 7o); Armenier 16 (0,59 »/o): Türken 6 (0,22%); ariechen 6 (0,22%);
Rumänen 2 (0,07%); andere Nationalitäten 8 (0,30%). Nach der Kon-
fession: Griechisch-katholisch 2601 (96,30 »/o); römLsch - katholi.^ch 5
(0,18 7o); Protestanten 11 (0.41%): Juden 61 (2,26%); Gregorianer
(Armenier) 16 (0,59 7o); Moliammc^laiicr 7 (0,26%).
Die QffentUchen PrOfungen am Ende des Sänljahres sind in Bal-
garien beseitigt, doch spielen die Zensoren immer mehr eine viohtige Bolle
bei der Bestimmung und Feststellmig der Endergebnisse von der Arbeit
des Schülers. T'm dies zu erreichen, ist jeder Lehrer verpflichtet, im
Laufe des Schuljahres mindestens 4 Zensuren zu stellen, von denen tliö
arithmetische Mittclzalil als cntlgültige Zensui' gilt Hat der Schfller in
jedem Fache genügend, wird er ohne weiteres in die nächste höhere
Klasse Tersetzt, sonst muß er dieselbe Kiasse noch ein Jahr wiedelholen.
Ansnahme wird gestattet, wenn der SchiUer höchstens in zwei Fächern
luigenflgend hat; dann muß er nach den Ferien sich der Wiederholungs-
(Bessenmgs-)Prüfimg unterziehen, deren Erfolg entscheidet, ob der Schüler
in die nächste IQasse versetzt wei-den muß, oder nicht. Diese Klassi-
fikation der Schüler kann uns als Maßstab zur Beurteilung des Erfolges
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lOttoflongm
und des lleiBeB der SdilUer dienen. In dieser Beiieluing weist das
Sohiiljihr 1903/04 folgende Eiigelniisse anf : 65,67% veiden dme wettareB
in die nächste Klasse veisetzt; 2 7,36 % mflsaen nach den Forion sich
der Wie(lerholimgs-(Bessenmg8-)Pr0fung imterzichen, niid 1G,97° (, bleiben
in derselben Klasse. Der Kursus des Seminars winl mit einer Reife-
prilfuüg, die unabhängig von dem Staatsexamen ist, geschlossen. Die Er-
gebniase von dieser PrQfusg für 1903/04 sind: 153 SchQIer (62,45%)
haben die PrOfong j^OcUich bestanden; 47 Schfller (19,18 7o) müssen
Wiederholungsprüfung machen, und 45 Schüler (18,37%) sind durch-
gefollen. Es wäre für manche Leser vielleicht interessant, wenn wir hier
die Themata iiV>or Bidgarisch und Pädagogik angeben, welche die Abi-
torienten seliriftlieh ausarbeiten müssen.
L Bulgarische Sprache und Literatur: 1. Iwan Wasoff^)
als Lyriker nnd Iknelier der Hennwaehaenden (Lehierseminar in Ktetendil);
2. Chavalcteristik der periodiseihen Literator vShrend unserer National-
kämpfe (Kasanlik); 3. Wir erziehen nnd lernen ims auch nach der Schule
(Lom); 4. Cliarakteristik des Lehrers Tscliakaloff in dem Roman »Die
Königin von Kasalar* von Iwan "Was off (Schumen); 5. Die Bedeutung
Lüben Karaweloffs^) für die buljtrarisclie Literatur (Silistra).
iL. Pädagogik: 1. Das Beispiel als Erziehungsmittel (Kibteudü);
2. Der Lehrer ist ver^lklitet, inuner auf seine Selbstbilduug zu arbeite,
welche Mittel nnd Wege stehen ilim aar Verffigung, und wie soll er sie
ausnutzen (Kasanlik); 3. Vor- und Nachteile der privaten und QffenÜichen
Erziehung (Tjom) ; 4. Mein Ideal als künftiger Lehrer (Schumen);
5. Cliarakterbildung durch Schule und Gesollsrhaft (Silistra).
Die Ordnimg in allen Lehrerseminaren i.>t \välireud des ganzen Schui-
jalu-es aufrechterhalten, ohne jede Störung des Cuterrichts imd ohne
wichtiges Übertreten der Soihulreglemeints seitens der Schflier. Die Lehrer
und die Direktoren aber sind davon nicht ganz snirieden, denn es beziefat
sich bloß auf das Betragen in der Schule, nicht aber auf die Gesinnung
dt r Schüler und auf das Betragen außer der Schule, wo die ungünstige
Einwirkung der rmpebnng immer fühlljaicr winl. Als Hilfe dazu
wird von vielen Seiten, auch von manchen Direktoren, die Gründung der
Internate und die Besserung des Lehrerpersonals empfohlen.
Alle Lehrerseminare samt den dazugehörenden Ubungs- und BQrger*
schulen werden von dem Staate unterhalten; die Gemeinden beteiUgoi
sich daran nur mit einem geringen TeiL Die Ausgaben für die Unter-
haltung der Lehterseminare während des berichtenden Schuljahres be-
ti^agen:
1. Für Gehälter der Lehrer und der Bedienung 342 754,70 Fr.;
2. fttr Beleochtong, Heizung usw. 6968 Fr.; 3. fOr M(Sbel usw. 4322,72 Fr.;
4. für Lehrmittel, Bflcher und Zeitschriften 6087,08 Fr.; 5. fOr Miete
der Privatgebäude 3000 Fr.; 6. für Schullandwirtschaft 1000 Fr.: 7. für
Unteriialtung der meteorologischen Stationen 690 Fr.; insgesamt364812,50Fr.
') Der angesohcndsto heutzutage bulgarische Schriftsteller und Dichter.
*) Schhftstoller uad Dichter zur Zeit der Befreiungskämpfe.
8. Dritter Knosterziefaniigstag in flambaig
529
Vergleichen wir diese Summe mit der Anzahl der bis zum Ende des
Schidjalu-es gebliebenen Schüler (2475), so ergibt sich, daß für jeden
Schüler 147,40 Fr. ausgegeben werden.
Der Besodi der ubungssdnild und des Seminais ist nnentgeltUcli,
die beniittolten Schüler der dreiklaSBigen Schule aber besahlen jfihilich
8 Fr. Schidtaxe, von der ein Drittel zur Unterstützung anner Schiller,
ein Drittel für Bücher und ZoitsdiHften und oin Drittel zur Fnrdenmg
der Lehrer in ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit und für Schulreisen ver-
"Ä'endet wird.
8. Dritter Ennsterziehnngstag^) in Hamburg
am 13., 14. und 15. Oktober 1905
Musik und Gymnastik
Zur Beratung gelangen folgende Punkte:
Erster Tag: Freitag, den 13. Oktober 1905.
1. Musik und QjmDaslSk. Direktor TtoL Dr. Lichtwark-HiBmbiirg.
2. Musikpflege im Hansa Dr. Richard Batka-Prag.
3. Der Schnlgesang alB Bildungamittel des kOnBtteneohffli Geechmackea.
ITeinr. Johannsen-Kiel.
4. I>i ' Jutr. nd im Konzert und in der Oper. Prof, Dr. Richard
Barth-JJamburg.
5. Das musikalische Genießen. Prof. Dr. Karl Groos-Giellen.
Zweiter Tag: Sonnabend, den 14. Oktober 1906.
1. Der Einfluß der Gymnaetik auf die Entwiddung des KOrpers.
SanitÄtsrat Dr. F. Schmidt -Bonn.
2. Spiele und Tolkstflmliche Übungen. Lehrer Julias Sparbier*
Hamburg.
3. Schwimmunterricht in der Schule. Schuliuspektor H. Fricke-
Eamburg.
4. Der Tanz. Referent noch unbestimmt
Dritter Tag: Sonntag, den 16. Oktober 1906.
öffentliche Vorträge:
1. Musikalische Kultur. Prof. Dr. H. Cornelius-München*
2. Bedeutung der Leibesflbung in der tefhetisohen Erziehung. Tum*
Inspektor Karl HGller-Altona.
3. Unsere Kunsterziehungstage. Lehrer und Redakteur des »Sfte-
mann« Carl Götze-I^mbuig.
^) Über don ersten Kunsterziehungstag berichtet das "Werk: >Knnsterziehung;
Ergebnisse und Anre^nin^en des Kunstorziehungstages in Dresden 1901,* Preis 1 M,
über den zweiten Kuuäterziebungstag: >Kausterziehaug; Ergebnisse des zweiten
Ennstorsiehiuigstages in Weimar 1903«. Ptetg 1,25 M. Leipzig, B. YoigUBnden
Verlag.
ZrftMhilft fOr FhOoMplii« ud FIdNgogik. 12. Jikignff. 34
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530
Mitteilangen
9. Pftdagogisoher FMloiikiin in KlTolihnfm-Teok
7. Ut 12. ingut 1905
I. Die Selbst- und WiaUanschaiiimg des Emdes erwdtert und ver-
edelt durch den Religionsunterricht, Pfarrer Jung in Olbronn.
n. Die Teclmik des Sprechens und deren Bedeutung fOr deaSdml-
unterricht. Mittelschullehrer Wagner in Eßlincren.
HI. Die Naturgeschichte und die Pflege deü ISatursimis in der Vdks-
«dudA. Sohnlldm Werner in TObingoii.
IV. Die Grondlagen eines entwickebid-eroeliflnden üntenidits. Sohid;-
lehrer Jetter in Kirchheim.
V. Zur Methodik einiger Unterrichtsfächer (Geschichte, Rechnen,
Aufsatz, Schflnschreiben) mit Lehiproben. Schullehrer Jetter.
J. L. Jetter
10. Der evaageüBche Religioiunmteniolit in den
VolkisohiilaiL
Ein liarfcee, aber beachtenswertae Urteil fiber den evangdioidien BeM-
gionsunterricht in den Volksschulen fällt ein Mitglied des badischen Ober-
schulrats, Geh. Hofrat Dr. Weygoldt, in einer Broschüre, die jüngst
unter dem Titel: »Die Katecliismusfrage in der evangelisch-protestantischen
Kirche Badens« im Verlag von Gutsch in LöiTach erschienen ist. »Unsere
Kirche,« so schreibt Weygoldt, »leidet an einer Art ünterrichtswut imd
hat sich die Tatsache, dafi die Religion in entoc Beihe Sache des Ge-
müt 8, nicht des Deiü^ena ist, piaktiadh anoh nicht im mindesten an-
geeignet. Den Erfolg ihres Unterrichts schätzt sie, so feierlich sie offiziell
vielleicht das Gegenteil versichert, tatsächlich nicht nach der Tiefe, sondern
nach der Breite und dem Umfang; denn die einfache Wahrheit, ilaß
der Mensch fi-omm leben müsse, um Gott wohlgefällig zu sein, läßt sie
das Kind mit einer Anzahl von Gesangbuchversen, mit 300 BÜielaprflchen,
mit 157 dogmatischen Thesen nnd mit einem didkeo Oeechichtsboohe er-
kaufen, in welchem alle Details des Judentums und selbst moralisch an-
rüchige Gestalten, wie ein Jakob, ein Simson, ein David, auf Kosten des
Kindes sich der ausgiebigsten Berücksichtigung erfreuen. Sie packt eine
Menge religin.ser Begriffe in die Köpfe sclion auf Ältersstnfeti, auf denen
sie schlechterdings nicht geistig voll erfaßt werden können. Sie übt
anch nicht die pädagogische Regel, daft man den Unteciicht mit Ab-
veohselung interessant nnd spannend machen mttee; sie qnftlt das Kind
vielmehr vom 6. bis 14. Jahr Tag für Tag mit dem gjeidien Katechismus,
zieht ihre höchsten und heiligsten Aufschlüsse entgegengesetzt den alten
Griechen und den ereteu Christen, welche dai-aus ein Mysterium, ein Arka-
num machten, zum alltäghchen Geschwätz herunter und ist dann noch
mehr erstaunt, wenn das Kind sich mit der gleichen Sache nicht noch
weitere vier Jahre in der Chiistenlehie abqu&len will, oder wenn es von
religiösen Yorstellnngen nicht hoch denkt, welche die Kirche selbst Ihm
trivial gemacht hatc
531
Xhnliclw Uitnle lind berats hAufig von nchTontiiMUger Seite ge-
fiült worden, ohne daß es so ejner Inderung der bestefaenden Htfistände'
im Relij^onsnnterricht gekommen wftre. Die Enth«mdang namentlich, der
arbeitenden Bevölkening vom christlichen Glauben und christlicher Ge-
sinnung und die großen Erfolge der Sozialdemokratie in ihrer Hetzarbeit
gegen die Religion sind zweifellos wesentlich darauf zurückzuführen, daß
nur wenige Eioder in den TolkasdhTilen in ein TerhUltniiHnltffg innere»
Yerlilttnis la den dnisüiolien HeUitatMMshen gelangen.
Innerhalb der Herbartlschen Pftdagogik ist seit Jahren auf die Heform
des Religionsunterrichts mit allen Kräften hingearbeitet worden, aber die
Machthaber in Kirche und Schule, und die Vertreter der Katechetik an
den üniversiäten wollten auf sie nicht hören. Möchte es nicht zu spät
sein, wenn man eich endlich auf eine durchgreifende Reform besinnt.
(VergL Bein, Religion vnd Solinle. Mflnofaen, Tiehmann. Feiner die
tStimmen zum Religiensuntemoht«. Langeoaaln, Hennann Beyer Söhne
[B^yer 4 Mann].)
11. JMeWirkimgdmrFflnorge-OeBetigelniiiginFmis^
Der Statistik über die Fflrsorgeerziehang Minderjfthriger und über die
Zirangeernelinng Jngendlioher, die im kOni^oh prenBisohen Minislennm
dee Innern bearbeitet ist, ^tndimen irir die Angabe, daß 20040 Zdg^ge
und eine jährliche Ausgabe von 5089683 M das I^gebnis des Fürsorge-
erziehungs-Qesetzee (vom 2. Juli 1900) am Ende des dritten Jahres seiner
Wirksamkeit ist. »Von denen, die es auszufüiireu haben, keine Klage
über die Lagt und den Um&ng der Arbeit, die es mit sich bringt, keine
Hagen über die Koalen, die es vemi8aoht,c heitt ee in dem amflioheii
YoiAeriöht »Die Sehiden, unfar der Ingend nnaerea YoUnSi die es ent-
hüllt, dringen mehr dazu, eine Brweitemng, als eine Ebechrftokmig seiner
Anwendung zu fordern.« "Wenn anch nach so kurzer Zeit noch keine
großen Erfolge aufzuweisen sind, so wächst doch die Zahl derer, denen
das Gesetz zum Segen gereicht, und die, wenn auch geringe Abnahme der
Zahl der jugendlichen Verbrecher scheint auf die Wirkungen dieses Ge-
aetiee larfldkgefflhit ^werden an kOnnen. JSb mnden in Fleoflen 1899:
27820 JügeodliefaeTerarteat, 1900: 28908,1901: 30007, 1902: .31002
und 1903: 30088 (vorläufige Mitteilung des kaiserl. Statistisohen Amtes).
Die Abnahme gegen das Vorjjüir beträgt zwar nur 914, aber sie beweist
doch zum mindesten, daß von einem ununterbrochenen Steigen der Ver-
urteilungen Jugendlicher zunächst nicht mehr die Rede sein kann. Auch
in den Gefängnissen hat sich eine Abnahme der Jugendlichen beoierkbar
gemaoht.
Nach einer Zvsammenatellnng der eingangs erwähnten Statistik wurden
der Fflrsorgeerziehusg überwiesen: 1901: 4949 männliche und 2838 weib-
liche Personen, 1902: 4133 bezw. 2063 und 1903: 4359 bezw. 2164;
d. h. auf 10 000 0—18 Jahre alte Personen entfallen Fflrsorgezögliuge
1901: 6,9 männliche und 4,0 weibliche, 1902: 5,8 männliche und 2,^
▼eibliohe und endlich 1903: 6,1 mftnnliohe und 3,1 mihlioheb
34*
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532
12. Demokratie nnd Kaisertum
ist der Titel eines Werkes von D. Fr. Naumann, das zum geleeensten
politischen Buche der Gegenwart geworden ist Es ist soeben in 4. Auflage
(15.— 25. TBiueDd) eredhieoea und findet nnn seinen We^ dnroh alle Teile
DeutscUanda. Besonders von der gebildeten Jugend wird dieses Werk als
ihr poUtisohfia Lehrbuch angesehen. Es ist für jedermann verständlich,
in allen seinen Teilen interessant und für den Staatsbürgor, dor nicht blind
durch seine Zeit gehen will, unentbehrlich. Auch entpcliiedene Gegner
achten den von aller gewöhnlichen Polemik weit entfernten vornehmea
Ton. (Der Preis von »Demokrrtia und XaiasKtomc iat sehr billig: Qe-
brniden 2 nogebunden 1,20 M. Jede Bodih&ndliing nimmt BesteümigeB
«ntgOgeo.)
IB. Preiwinfgabe der »EantgeseUsohftft«
Kants Begriff der Eilcenninls veigUdien mit dem des Aristotdet
BestimmiingeB: 1. AbHefianrngshist: 1. Oktober 1906. — 2. Die
Aibeitsn sind, als »FNiasn^be der fiuitgeBeUaQhsftc beieklmet, einzu-
senden an das »Kuratorium der Universität HaUe«. — 3. Die Verkündigung
der Preisverteilung findet statt am 22. April (Kants Gleburtstag) des Jahres
1907 in der Generalversammlung der » Kantgesellschaf t « in Halle.—
4. Die gekrönte Arbeit erliält den Preis von 500 M. Wenn es die im
Jahre 1907 verfOgbareo Mittel der »Kantgesellächaft« gestatten, kauu der
Fkeia tob 500 H emtoell erbfllit veiden; auch kann dann eratnell ein
sweiter nnd dritter Ptais gewlhrt irardeo. ^ 5. Jede Arbeit iet mit einem
Motto zu yersehen. Der Name des Verfassers ist in geschlossenem Couvcrt
l)eizufügen, das mit dem gleichen Motto zu überschreiben ist. — 6. Jeder
Arbeit ist ein genaues Verzeichnis der benützten Literatur, sowie eine
detaillierte In iialtsan gäbe beizufügen. — 7. Nur deutlich geschriebene
Manuskripte werden berücksichtigt Es empfiehlt sich Herstellung
dea MannslniptB doicii Kopisten oder dnroh Schreihmsanhine. — 8. Die
Arbeiten können in Deotsoher» EngUscher, EnnsOsisoher oder Italienisctw
Sprache abgefaßt sein. — 2. Als Preiariohter fungieren: Geheimer Rat Pro-
fessor Dr. Max Heinz e in Leipzig, Hofrat Professor Dr. Alois Riehl
und Professor Dr. Hans Vaihinger in Halle. — 10. Die Retlaktiou der
»Kantstudieuc ist berechtigt, aber nicht verpflichtet, preisgekrönte Arbdten
in ibrer Zeitschrift zu dem bei deieelben übUoheo Honorar abzudrucken. —
Bewerber nm den Preis branohen nicht Mitglieder der QeseUsdiaft an sein.
Halle tL den 22. Februar 1905.
Der Cteachftftsf Qhrer der »Eantgesell schalt«.
Professor Dr. H. Vaihinger.
I Philosophisches
ToBbaeh, A. H., Rektor der höheren Stadtschule zu Cochem a. d. Mosel.
Neue Beitrüge zur Fundamental-Philosophie. Buch II: Untersuchungen
über das Wesen des Outen. Bonn, Hanstein, 1899. 1,50 M.
Eigentlich hatte ich die wohlwollende Absicht, dem Herrn Terfasser
sowie unsern Lesern eine Besprechung dieses Buches zu ersparen. In-
dessen, da ich es in dem trefflichen »Führer im Lehramtec von Beetz
(VI. Band des »BQcherschatzes des Lehrers«, Ostenvieck, Zickfeldt, 1902.
S. 317) unter dem Verzeichnisse empfehlenswerter Bücher für die Fort-
bildung des Lehrers erblickte, in das es durch, wer weiß welches Ver-
sehen geraten sein mag, halte ich es doch für notwendig, das Buch zu
charakterisieren.
Außer dem vielversprechenden Titel, der in der Tat manchen ver-
anlassen kannte, sich das Buch zu beschaffen, findet sich kaum etwas
Brauchbares in demselben. Vertrautheit mit den Problemen der Ethik,
das Mindeste, was man eigentlich wohl erwarten dürfte, zeigt der Ver-
fasser nicht. Die Sprache ist unerträglich durch die endlos langen
Perioden, welche im Buche die Regel bilden. An Stelle philosophisch
scharf ausgeprägter Begriffe treten bilderreiche Ausdrücke, um nicht zu
sagen Phrasen, bei denen man sich wenig denken kann. Aus diesem
Grunde ist es auch völlig unmöglich, sich Rechenschaft über die Grund-
gedanken, die den Verfasser beherrscht haben mögen, zu geben. Einige
Proben aus dem Buche werden dieses Urteil bestätigen. Über das mora-
lische Gefühl läßt sich der Verfasser folgendermaßen aus:
»Demnach wohnt das moralische Gefühl in derjenigen Zone der Seele,
wo das Licht des Verstandes und die Anmutimgen des Willens das Wacht-
feuer erglimmen und auflodern lassen, das genährt ist von dem Herdfeuer
der Königin, ich meine der Tugeifd, und darum fähig und stark genug,
den Menschen für den Brennpunkt, das Gute selbst, anzufachen und zu
"begeistern und die Liebe zum Guten zu bewahren, rein zu erhalten und
immer mehr zu durchglühen. (!!) — Das fein und zartbesaitete Gefühl für
oiyi i^uj Ly Google
534
Beipxeohimgen
das Gute im Menschenwesen ist von Natur aus darauf angelegt, das
HeraDDahea der Tugead zu vermeldeo und rasch in die Wege su leit^
waoD die HohdisvoUe auf dem Gefilde der Berabarbeit oder des gesell-
sdiaftliolMii Verkeh» überhaupt die Hegge hiaeen oder anoh bloi lUwr
die inoein EntschlÜBse der Seele das alte Szepter von neuem hochhtÜan
inll: man vergleicht wohl die Menschenseele mit einem tiefen Gebirgssee:
nun wohl, dann kräuseln sich noch am Ufer die mit dem Sande spielenden
Wellen, die heranzuschweben scheinen aus der milchtig bewein Mitte,
und tragen ebenso vom Ufersande die dort empfangenen lieblichen £&mme
txtm Zentram lurOok: je im Zeotnui der Seele, in deo mmmneBbeieD
Tiefen dee WUlene, da wohnt die Falle des Guten nas^siQadiioh, und
euch am Bande nodi ist das Yibfierea der Tagend der Beflex ihfer Hoheit
und Lebenskraft. €
In diesem Stile geht es 105 Seiten lang fort! Auch, um die zu-
sammenfassenden Schlußresultate wiederzugeben, ziehe ich es vor, den
Verfasser selbst sprechen zu lassen:
»Fassen vir nunmehr die gewonnenen Besnltete zusammen, so
bietet lidi nns dae Veeen des Guten in Gestalt der geordneten SsIIn*-
liebe als der Inhalt einer innerlichen, Teraehmbaren, Gehorsam heischenden
Proklamation dar, welche nicht nur uns unabweisbar nahe legt, daß der
Mensch sein individuelles Ich wollen, also lieben soll, sondern auch, wie
er es lieben soll, n&mlich so, daß er, iu ersprießlicher Wechselwirkung
mit seineu Mitbrüdem, sich anstrengt, dasselbe auszustatten, zu erfüllen,
eossugestalten mit all den kostbaien Vorzügen, welche dem Meosobeotom
als dem vornehmsten sichtbaten 86h0pfung8g]iede die Xzone nnfaelaen,
namentlich ui Erkenntnis, Herzensfriede, Willsnagitok mit dem Geprfige
des hohen Seelenadels, dessen Ideal, dem Geiste vor- und voranschwebend,
ihn mächtig zieht, in den Normen, auf welchen, wie auf ihren natur-
gemäßen Bahnen, des Menschen Anlagen und Kräfte zu besagtem Ideale
hinstreben. Indem aber die wohlgeordnete Selbstliebe, so anljBeiifit und
xidhtig erseliaiit^ notwendig, wie oben dargetan, binwelBt anf den al^
miohtigen Spender der Existenz an das Ich, Denselben, der deehalb in
don Ich und für das Ich Richtimg und Ziel markierte, erhält jene, so
eben genannte, innerlich sehr deutliche, nie gänzlich verstummende Prokla-
mation eine hehre Auktorität, bekommt die Stimme des Gewissens eine
göttliche Sanktion. Wenn ich nicht irre, so befaßt diese Erklärung den
berCLhmten jkategorieohen ImperatiT* des EOnigsberger Fhilosoplien
schon in sich, (1 1) und — wenn der Ruf den Bofer beaengt, wenn Esnt
mit Hecht aus dem vernommenen Herrschenrcnt die Existenz des Herrschers,
das Dasein Gottes, folgert, wenn er femer — ganz richtig — die Zeit als
unzulänglich bezeichnet für die zu vollendende Realisiernng der Menschen-
würde im Diesseits, die vornehmste Aufgabe, die der Lösung harret,
und darum die endgültige Lösung ins Jenseits verweist, also die Unsterb-
lichkeit des Gdirtes konstatiert: so gewinnt ja dnioh diese Gedanken die
Eigenart des Gnten, die ta eothlUlen wir nns vorgosotit, eine neoe, kSst-
liflbe Knanoe, (1) neu für die Betrachtung, köstlich für das Herz: nämlich:
Das Wesen dee Gaten, als geordnete Selbstliebe, hat seine Basis in Gott,
n Pädagogische«
535
stammt also von dem unwandelbar Ewigen, hat sein Ziel jenseits des
Grabes, also bei dem Ewigen, hat, ob notwendiger Verwandtschaft seiner
Bewegung zu seinem Ziele Ideal und Weihe aus dem Ewigen, aus Gott.«
Das Bind abo die Terspcoohflnea »Neaeo Beiträge sor Fandaauntal-
FhiloBoipliielc npienti 9Bt\
Auerbach i Y. Dr. 0. Burk
Eitler, Dr. Radoir, W. 'Wundts Philosophie und Psychologie. Leipzig
1902. YI u. 210 S. Preis uügeb. 3,20 M.
Der Yerfeisser will allen denen einen Dienst erweisen, die durch
innere oder ftuAere YeihlltniBae nicht in die Lage Irommen, die Sohriflen
Vundts selbst zu atodieren, aber doch ein Gesamtbild von dem Schaffen
und Denken dieses Philosophen haben machten, ferner für jene, die nicht
dazu kommen, alles zu lesen, was Wundt geschrieben hat, endlich als
YorbereituEg und Erleichterung für das Studium der Werke Wundts. Der
Yer&isser hofft femer, manche Miüverständnisse, denen die Philosophie
Wundta auBgesetzt ist, und die großenteila aus der unameicliendan und
unvollattodigen Kenntnis der Lehren des Leipziger FhUosophen entefnlngeii,
durch sein Buch zu beaeitigen.
Yon der bei Frommann eradiienenen Darstellung der Wundt sehen
Philosophie durch E. König unterscheidet sich die vorliegende haupt-
sächlich dadurch, daß sie sich enger an die Originaldarstellung anlehnt
und genauere Details jribt. Besonders gilt das von der Erkenntnistheorie
Vundta, die bei KOnig an knia gekoSmnen ist Daa vorliegende Buch
urill daa EOnige «i^ien. lufiere YerhSltmaae swangen den Yerfasser,
seine Handschrift um etwa ein Drittel zu kürzen. Deshalb zog er die
Ethik Wundts nur soweit heran, ala aum Yerotändnia des phikaophiaohen
Systems unbedingt nötig war.
Die Einleitung erörtert Aufgaben und Methoden der Philosophie. Die
drei Hauptkapitel behandeln: 1. Psychologische, 2. erkeuDtnistheoretische,
3. metaphysische Prinzipien. Daa Sehhifikapltel enthalt eine sehr Uaie
wiBammenfjwBcndo Darstellung der Philosophie Wundts.
Die DarsteUung ist nicht tiberall, den Absichten des Yerfassers ent-
sprechend, gelungen, oft stört ein Zuviel der Details, mitunter ist die Dar-
stellung so lapidarisch, daß ein eingehenderes Studium des Abschnitts im
Origioal Yorbeilingung zu dessen Yerständnis ist. Gern hätte ich durch-
gehende eine größere Popularität dee Auadraoks gesehen — deren Schwierig-
keit ich keinen Augenblick verkenne — ea wSre damit anch einem
giOfieren fttr Philosophie interessierten Ptthlikmn ein Dienst erwiesen
worden. Im übrigen iat das Buch Eialera nur su empfehlen.
Kiel Marx Lobsien
II P&dsgogisolieB
WM, Wllhela, Zukunftapftdagogik. Berlin, Yerlag von G. Reimer, 1904.
Der hochgeschätzte Yerfasser hat uns mit einer neuen willkom-
menen Arbeit beschenkt Seine Zukunftopftdagogik bietet auf varhUtnia-
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536
Begprechongen
mäßig kleinem Kaum des Anregenden und Belehrenden eine solche Fülle,
daß wir uns durch dieselbe in reichem Maße gefördert fühlen. Während
der 1. Teil seines Boolies sdiarf gezeicbiiete Einblicke in den beeonden
ohankteristisohen Inhalt pftdagogiscfaer Schriften n. a. von Ellen E^, Paol
Laoombe} Pierre de Coubertin, Edouard Demolins, John Dewey, Faul QAfi-
feldt, Hugo Göring, Ludwig Gurlitt, Hermann Liotz, Julius Baumann,
Fritz Schnitze, Paul Natrup bietet, crofTnot uns der 2. Toil praktische Aus-
blicke in die ihm wesentlich erscheinoinion Grundideen und Probloine für
eine äicli nach verschiedenen Richtungen hin ausbauende theoretische wie
piaktiBohe Fidagogik. Der mit der dentsohen wie ftemdlftndiachen Be-
formpSdagogik wohlvertrante Verfasser ▼ersteht es vortrefflich, uns mit
dem weeentlichen Inhalt der von ihm vorgeführten Reformschriften bekannt
zu machon, nicht minder aber nits das Auge für die anzubahnenden Fort-
schritte auf dem Gebiet grundlegender Erziehungsideen zu öflfnen. Wie
geneigt er ist, starre historische Standpunkte im Gebiete des Cnterricbts-
und Erziehungswesens zu Gunsten einer weitherzigen und dehnbaren
Jngendbildung mehr oder weniger auftugeben, sehen wir unter anderem
an seinen Eoosessioneii im Interesse wie der gymnastischen Ertdohtigtmg
so der technischen Geschicklichkeiten.
Das hygienische Element kommt bei Münch zu unserer lebhaften
Genugtiuini; zu vollem Recht. Aber auch: was der Verfasser über weib-
liche Bildung und die darauf gerichteten Forderungen der Frauen l)emerkt
(S. 238), ist uns aus der Seele gesprochen. Auch wir haben uns unter
anderem in der Schrift ^Fnaenbernf und Franenbildong« fttr das Fest-
halten der dnroli die GesohleohtsdUfiBrens gebotenen natOrliofaen Orenseu
erklären zu müssen gemeint und uns namentlich gegen das unbeseheue
Horübemehmen der altklassischen Sprachen in die Mädchenschule erkl.irt.
Besonders auch leuchtet uns ein, w^as Münch (S. 247) mit andeien
Autoritäten über die neuerdings von vielen befürwortete akademische Bil-
dung der Yolksschullehrer urteilt; wir sehen ihn auf Seite derjenigen, die
auch mit Bücksicht auf das keineawegs in allen Stöchen musterglUtige
ünivernt&tswesen — abgesehen von manchem anderen auch hier Beform*
bedürftigen — auf den Universitäten kaum die besonders geeigneten
Bildungsstätten für Volksschullehrer finden können. Im hohen Grade vor-
bildlich aber ist auch dos Veif;xssers Urteil über dio wahren Berufs-
aufgaben von Schulverwaitungsbeamteu (S. 260). Ilicr offenbart derselbe
eine seltne und hOohst wohltuende Weite des Blickes und des Hsnemk
Eeferstein
irltte nnd vierte Scbwind-llappe. Herausgeg. vom Eunstwart München,
Georg D. W. Caihvoy. Preis je: 1,50 M.
Dio vom Kuuötwart bis jetzt herausgegebenen Schwind-MapiKjn I u. II
haben in weiten Kreiseu eine freundliche Aufuahme gefunden, deshalb
sollen sie durch drei weitere Mappen fortgeeetzt werden. Zunächst liegen
uns die dritte und vierte Schwind -Mappe mit folgenden 14 Bildern vor.
in. Mapi^e: 1. Die Symphonie. 2. Das Konzert. 3. Die Schöpfung.
4. Des Knaben Wunderhom. 5. Nächtliche Erscheinung. 6. Der Trsom
n Pädagogiscbes
537
des Gefangenen. 7. Die sieben Schwaben. — IV. Mappe: 1. Ritter Kiirts
Brautfahi-t. 2. Dos Falkensteiners Ritt. 3. Hero und Leander. 4. König
Krokus. 5. Endyinion. 6. Der wunderliche Heilige. 7. Die Schifferin.
Das Gemälde »Die Symphonie« (vollendet 1852), ist einer gefeierten
Xflnohener Sängerin bei ihrer Yeriieintung gewidmet, als sie die Bfihne
verliefi. ESb hat die Tier Teile einer Symphonie: unten die Probe eines
Stückes auf einem Haustheater, darüber als Andante »ein Begegnen ohne
Annäherung«, höher als »Scherzo ein Maskenball,« in seiner Mitte das Pärchen,
das sich ausspricht; krönend als AUegro und Sclduß der Augenblick der
H'X'hzoitsreise, \vo die Jungverniählten in der Ferne ihr Schlößchen schauen.
Ornamente mit kleineren heiteren Darstellungen fassen diese Bilder in
pompejanischer Weise znsammeii. Das »Eoniert« stellt noch einmal groB
das untere Bild »Die Frobec dar. »Die SchOpInng« entstammt dem
Fresken-Zyklus im Wiener Opemhause (1866). Adam nnd Eva, stark,
keusch und schön wie der Morgen, erblicken wir inmitten der erscliaffenen
Welt; Tiere spielen zu ihren Füßen, und die Chöre der Engel singen oben
das Lob des Schöpfers. Auf dem Blatt: »Des Knaben Wunderhom«
herrscht Sonunerwaldesherrlichkeit; in all dem Blühen und Grünen liegt
der Siegfriedsknabe. »Und wie er das Horn an die Lippen hob, verstand
er aller YOglein Gesang.« Das kleine, bisher wenig beaditete Bild aus
der Schack-Galerio : »Nächtliche Erscheinung« versinnbildlicht das Locken
des nächtlichen Waldes. Eine verführerische Elfengestalt lockt ein junges
Menschenkind: »Komm tiefer hinein, daß du all die Waldes -Geheinmisso
siehst, ehe der abnehmende Mond im Tagesdämmern erbleicht!« Ein feines
Blatt ist »Der Traum des Gefangenen« (Schack-Galerie). Der Zwergkonig
hilft ihm tren, er hAlt seinen wackoen kleinen Leuten selber die Sdiolter
hin, daß sie einer auf den andern klettern und hinaufreichen und das
Gitter durchsägen können, indes seine Tochter den Armen stärkt und ein
anderer ausschaut, ob keiner stört — ach, da weckt ihn der erste Strahl
der Morgensonne! Ein an Charakteristik im einzelnen wie im ganzen
köstlich humoristisches Blatt ist das von den »sieben Schwaben« (Original
eine BOtelaeichnnng). Das Heer ist gerflstst, die Waffe gerichtet — nun
zittere da Ungetüm! Aber es verhUt sich beleidigend gelassen. — Das
Original von Ritter Kurts Brautfahrt (1839) wird jetzt in der Earlsmher
Galerie aufbewahrt^ des Falkensteiners Ritt (1843/44) im Leipziger Museum.
Die nächsten beiden Bilder »Hero und Leander« und »König Krokus«
stammen aus der Schack-Galerie in München; das letztere zeigt tiefste
Waldeinsamkeit, Weltentrücktheit Im »Wunderlichen Heiligen« (1828)
hat Schwind ohne Zweifel die Leiden einer Jugendliebe ans sioh heraus-
gemalt »Die Schifferinc stsUt eine junge Frau dar, wie sie stehend auf
dem Gmundener See rudert
Es ist eine reine, deutsche und dabei im besten Sinne volkstümliche
Kunst, die uns hier in den Bildern von Schwind geboten wird. Es ist
darum zu wünschen, daß diese Schätze im deutschen Volk soweit als
möglich verbreitet werden. Hoch erfeenlioh ist es, daß der Kunstwart
jetst auch die sofaSnstsn der gröfieien Olgemtide Schwinde in Kaoh-
bilduogen den minder Bemittelteo mgflagUch macht Schwiads Be-
538
BMprechungen
deutung beruht nicht nur in seinen gefeierten Märchenzyklen, sondern in
seinen selbstÄndigen Bildern, von denen manche wertvolle bisher n'»ch
nicht einmal photographiert worden sind. Seine höchste künstlerische
Kialt nigt aick tot alten in einidiieD »Bieiaelfaildeni« xmd aoostigen Ueiiien
SadieD, mit denen der Meister unberührt Ten allen Xnnattlieorien aeiner-
zeit ganz anapnudialoa und swan^oa niaderadhiiel», iraa in aeiner Fhantaaie
entatandeD war.
Halle a. & H. Groaae
HeUager, Dr. L, Kehr Lieht nnd Wirme den Sorgenkindern
nnaerer Volksschule! Ein Yerm&chtnia Heimieh Feataloisia. Zürioii,
Oren POßU, 1905. 30 S. 0,50 M.
Ober daa vorstehende Thema hat der Verfasser gelegentlich einer in
Zürich am 8. Januar d. J. von der PestalozzigoseDsclmft und dem Lehrer^
verein veranstalteten Pestalozzifeier gesprochen. Die Gedanken sind be-
btont OOS aeinem in Nflznberg Uber die Organisation grofler Schnlkfiiper
gehaltenen Vortrag nnd ana aeiner Sdhiift: »Der ünterriehtabetrieb in
großen Volksschulkörpem sei nicht schematisch einheitlich, sondern diffe-
.xenziert einheitlich« (Mannheim, J. Bensheimer, 1904).^) Neu ist der
Versuch des Verfassers den Nachweis zu führen, daß der Geist, aus
welchem die sogenannte Mannheimer Schulorganisation geboren ist, ein
Vermfichtnis Pestalozzis sei. Wie Dr. Sickinger in seinem Vortrage
»län pädagogischea Gutachten Herbaita nnd der Mannheimer Sohnlorgani-
aationqplan« Herbart für seine Plftoe ins Feld ftlhrt, ao diesmal Peetaloza
(a. S, 21^26). Die Zitate sind sehr gesohiokt gewihlt und verwertet
Die zuletzt angefügten "Worte eines Augenzeugen über die Organisation
der Anstalt Pestalozzis in Burgdorf: »Eine bestimmte Klasseneinteilung
gab es nicht; dafür aber 5 — 6 Gruppen von Kindern, welche sich nach
jeder Stunde auflösten und anders bildeten, je nachdem es ihre verschie>
denen GetsteabedfiifDiaae erfordertenc aind indea weit mehr eine Wafie
gegen als ffir Siokinger; man unteistreiohe nur, nicht wie der Ver-
fasser den letzten, sondern die beiden ereten Sitae dieser charakteristi-
schen Mitteilung. Diese Art der SchOlergruppierung kommt dem Grund-
satz »jedem das Seine« sehr nahe, eine Lösung der schweren Frage ist
sie auch noch nicht Wie weit davon entfernt ist die blo^ Zusammen-
luBung von Repetenten an beaoodeien Klasaenl
PöBneck i. Thür. B. Scholz
Mlach, W., Geist des Lehramts. Eine Hodegetik für Lehrer hfihenr
Schulen. Berlin, G. Reimer, 1903.
Das vorliegende Buch ist in erster Linie für Kandidaten des Gym-
nasial-Seminars und Probejahres berechnet, um sie mit dem Wesen ihrer
fiernfsaufgabe vertraut an machen; aber naoh der Vonede hofft der Ver-
feaaer, dal anch fitere Eacfagenoaeen ana den daigebotenen Betrachtungen
Gewinn ziehen werden. Die HoCbraqg iat keine trfigeriadie. Denn waa
') Letsteie ist im 4 Heft des XII. Jahig. dieser ZeitMhnft beiproohea.
n FSdagQgisclias
539
Münch schreibt, trSgt den Stempel reicher Erfahrung und reifer Über-
legung. Das Buch umspannt, ohne systematisch angelegt zu sein, den
ganzen Umkreis der pädagogischen Probleme, die fragen der tlieoretischen
tmd pzaktisolMD Pädagogik, die Aoigilwii um Zvdit und üntenkiit DiS
die AnbiQger der PUiJgogik Herlierte niobt eetteii ein FrageieiGliea an
den Baad schreiben, kann nnr an erneuter Überlegosg anregen. Das Buch
ist eines eingehenden Studiums wert Für eine neue Auflage dürfte es
sich empfehlen, einen sehr wunden Punkt, die Lehrplantheorie für höhere
Schulen, eingehend zu behandeln. Hier könnte sich der Verfasser ein
großes Verdienst erwerben. Freilich müßte er an die vorhaudeueu
Ldstnngen — ich nenne mv Hertiait, ZlUer, Vogt, Wlllmann, Ttixk,
Kinnin — anknüpfen und eine Aibeit lorlBeInn, die noch in den An-
föngen liegt, aber dringend der FoltflUilxing bedarf, und zwar nicht vom
Standpunkt der Tradition, sondern von prinzipiellen Erwägungen aus. Daß
der Unterricht an unseren höheren Schulen nach den Kämpfen von äußerer
Gleichstellung dringend einer inneren Reform bedarf, bestreitet heute kein
Bintichtiger. Um so willkommener müssen Schriften sein, die hierauf ihr
Angenmeik richten, mit TomrleikMeai Blick die vorhandenen tiefen
Mingel des Lehrplana aufdecken nnd die lechten Wege aeigen. V. Mfincli
wiro hiena berttlen.
Jen« W. Rein
Witthill; Dr. A, Geh. Oberregierungsrat, Die soziale und politische
Bedeutung der Schulreform Tom Jahre 1900. Berlin, A. Danoker,
190&
Das vorliegende Schriftchen gibt einen klaren Überblick über die
Entwicklung der Schulverhältnisse in Preußen während des 19. Jahr-
hunderts und gipfelt in der Darlegung der letzten Schulreform nach ihrer
individuellen, sozialen, nationalen und weltpolitischen Rodentung hin. Es
durchzieht das Ganze der üeist einer freien, vorurteilslosen Auffassung.
Man schOpH wieder Mut, daß unsere höheren Schulen, nachdem sie den
Tiefstand ihrer Arbeit nonn^ flberschrittsn haben, mit giOfierer IMheit
an der Erziehung der Jugend azbeiten werden. Ich betone mit Nachdruck
die erzieherische Seite. Denn an Unterricht haben unsere Schulen über-
genug geleistet. Hier liegt ihre Stärke, aber auch ihre Schwäche. Was
liabeu sie getan zur Entwicklung eines regen, fröhlichen Schullebens? Wie
weit stehen sie darin hinter den englischen höhereu Schulen zurück!
Nachdem wir zu einem erwünschten AbechluA der Reförmbewegung ge-
langt sind, gilt es jetzt alle Erifte anzo^annen, um den inneien Betrieb
nach (lädagogischen Grundsätzen einaariditen. Diesem muß zunächst durch
zwei Verbote freie Bahn geschaffen werden: 1. Vertreibung der Extempo-
ralien aus der bisherigen Herrschaft; 2. Abschaffung der Abiturienten-
Prüfung. Solange beides beibehalten wird, k§mi man trotz der bessern
Oiganiaation auf innere Gesundung nicht ho^. Mochte Herr Dr. Matthias
seinem wertveUen Sdhriftidien ein noch wectvoUerae in dem angegebenen
Sinne bald folgen lassenl
Jena W. Bein
540
Bespxeobiutgen
Treeltseh, E., Politir^cho Ethik und ChristeDtum. OOttingen, Yandeii-
htieck & Ruprecht, 1904. 1 M.
Die vorliegende Studie kann das Interesse unserer Leser um so mehr
in Anspruch nehmen, als das Problem »Ethik und Politik« forfigesetKt die
Geister in der Gegenwart besohSftigt Die LOsong dieses Problems sehm
w darin, dafi die Ethik ein PersOnlichkeitB- und ein Qemeinsohaftsidesl
zu zeidinen versacht, an dem sich alles menschliche Handeln, das politische
eintresclilnfisen, zu orientieren bat. Zwischen Ethik und Politik klafft ein
großer und tiefer Riß, wie zwischen Ideal und Wirküclikeit. Der Fort-
schritt in der Welt der Tatsachen bewegt sich durch Kompromisse hin-
dnich, die swischen beiden gesolilOBsen werden. Aber das Ideal als solehea
bleibt davon nnberflhrt und miiA als lestor Wegweiser dnrdi alle Schwan-
kungen, Widersprüche and Yemeinungen bestehen bleiben. ÜB hat aUe
Enlturvölker gleichmäßig nach und nach zu erfassen nnd m beseelen;
dann wird die Zeit kommen, wo die Kluft zwischen Ethik und Politik
sich schließt. Ein einzelnes Yolk kann diesen Schritt nicht vollziehen,
ohne sein Dasein zu gefährden; nur die Verbindung der Völker kann ein
'VilSkeRedit auf etbisdiar Grundlage schaffen nnd durchsetsen. 8o wirft
die Ethik weite Blicke in die Znkunft; dis Fditflc hfllt nns in der Gegen-
wart fest Aber sie ist doch schon soweit gekommen, daß sie ohne Be-
ziehung zur Ethik fürchtet^ auf Abwege zu geraten. Insofern kann be-
reits von politischer Ethik gesprochen werden. Wenn dann die Wandlung
in ethische Politik vollzogeu ist, können die beiden Faktoren des Völker-
lebens, Recht und flacht, einen friedlichen Bund eingehen.
Jena W. Rein
UDIg, Peter, Welches sind die pidagogisohen Anforderungen an
einen Lehrplan für die bayrischen stftdtischen Yolkssohnlen?
ISiürnberg, Korn, 1904. 0,60 M.
Das vorliegende Schriftchen ist ein Abdnick der Vorträge, die von
dem bekannten Würzburger Pädagogen gehalten worden sind. Es entbehrt
darum nicht der Frische, Unmittelbarkeit und Eiudriuglichkeit Nach und
nach scheint die »Lehiidanfrage« mehr in RnB za kommen. Seit D5rp-
felds »Grundlinien einer Theorie des Lehiplansc war ja anf diesem Ge-
biet wenig genug geleistet worden. Aus den höheren Schulen hörte man
so gut wie nichts, weil eben in Dingen des Lehrplans alles höheren An-
ordnungen anheim gestellt ist. Nun aber beginnt es sich zu regen. Und
es ist hohe Zeit! Über Lehrverfaliren ist genug geredet und gedruckt
w<nden. Aber ffir den Lebrplan gibt es noch viel zu tun. Deshalb mu£
die Schrift von Zillig willkommen geheiAen mid allen warm empfohlen
werden, die sich mit der Ijehiplanfrage bezeita besdUfligen oder be-
Bch&ftigen wollen.
Jena W. Bein
Aus dor philosophischen Fachpresse
Kantstudien. Philosophische Zeitschrift
Herausgegeben von Dr. Hans Vaihioger
und Dr. Bruno Bauch. Band X. 3.
Festheft zu Schillers 100. Todestage.
Gedicht von 0. Liebenau, In Schillers
Garten. — Eucken, Was können wir heute
aus Schiller gewinnen. — F. Ä. Schmid,
Schiller als theoretischer Philosoph. —
J. Cohn, Das Kantischc Element in Goethes
Weltanschauung. — Bauch, Schiller und
die Idee der Freiheit. — Vaihinger, Zwei
Quellenfuude zu Schillers philosophischer
Entwicklung. — Kunze, Karl Rosenkranz
über Schiller. — Windelband, Schillers
letztos Bildnis und Schillers transzenden-
taler Idealismus. — Klein, Kant und
Schiller. — Mitteilungen.
Commers Jahrbuch ffir Philosophie
und spekulative Theologie. XIX.
4. Heft 1904.
Dr. Michael Gloßner, Das zweite Dezen-
nium des Jahrbuchs. — P. Joseph Gredt,
Gleichartigkeit und Ungleichartigkeit der
Teile in der belebten und unbelebten
Substanz und die Wiederkehr der Ele-
mente in der chemischen Auflösung. —
P. Fr. Gundisalv Feldner, Das »Werden«
im Sinne der Scholastik. — Fr. Norbertus
del Prado, De Concordia Molinao. —
Literarische Besprechungen.
Qutberlets Philosophisches Jahr-
buch. 18. Band. 3. Heft
I. Abhandlungen : A. Dyroff, Der Ich-
gedanke. — Beda Adlhoch, Zur wissen-
schaftlichen Erklärung des Atheismus. —
J. Schmidlin, Die Philosophie Ottos von
Freising (Forts.). — ü. Rezensionen und
Referate. — III. Zeitschriftenschau. —
IV. Miszellen und Nachrichten: Die Ent-
faltung der Seele durch Lebenskunst. —
Eine neue Lösung dos Wolträtsels.
Kritische Blätter für die gesamten
Sozialwissenschaften. Herau.sgeg.
von Beck, Dom und Spann. I. Jahrg.
1. Heft Januar 1905.
Geleitwort der Herausgeber. — I. Teil.
Besprechungen: I. Encyklopüdien, Lehr-
bücher und Bibliographien. — Encyclo-
pedies, Trait^s, Bibliographies. — Cyclo-
pedias, Compends, Bibliographies. — II.
Geschichte der sozialen Wissenchaf ten ;
Biographien. — Histoire de sciences soci-
ales; Biographies. — History of social
sciences: Biographies. — HL Allgemeine
Soziologie. — Sociologie generale. —
General sociology. — IV. Soziologie der
einzelnen Sozialgübilde (spezielle Sozial-
wissenschaften) und allgemeine Ziistands-
schilderuog. — Sociologie speciale et
Sociographie. — Special sociology and
Google
642
iMlipraiie
polygraphy. — V. Theoretische Sozial-
ökonomie. — Tböorio d'öconomie politique
et sociale. — Theory of political and
■ocial eoonotny. — YL PnliiBdlie SosU-
Skonomie (Spezielle WirtsduftBkonde n.
-Politik der einzeloen Wirtschaftszweige).
— Les parties speciales d'econoniie natio-
nationale et leurs politique. — Ihe special
ptili cf tt» naSiiHiil mimmj and fteir
pditioi. — m Sorialpolitik. — Politique
sodele. — Social poHtioa. — TDL Finanz-
wisseosohaft u. Finanzpolitik. — Finances
publique». — Public finance. — IX. Sta-
üstiL — Statistiqae. — Statistios. —
X. Bevittkenuigalalue und BevStkenrngs-
Politik. — Demographie. — Demography.
XI. Sozialgeschichte, insonderheit "Wirt-
schaftsgeschichte. — Histoire sociale. —
Social Hystory. — XII. Hechtswissen-
Bohait— Droü — Law.— XIILHandel»-
iriMaaaobaften und Yanmidtes. — Seien-
oes commerciales, — Comercial Science.
— XIV. Völkerkunde und Anthropogeo-
graphie. — Ethnographie. — EthnQgraphy.
— ZY. Wiitnhaft^eograpliie. — XYL.
PUloeophiadieDinipliBMi. — Phfloeopliie.
— Philosophy. — XYIL YMSchiedenes.
— Various. — IMveiMi. — IL leiL
Bibliographie.
Archiv für vyteauMukt Philo-
•opU«. XL 1. i90A.
Kurt OeiBIer, Über Notwendigkeit,
Wirklichkeit, Möglichkeit und die Grund-
lagen der Mathematik. — A. Gure witsch^
Bewußtsein und Wirklichkeit — Dr. B.
Lemoka, De lege motu. — Frani Oraf
Uaranid, Dar eoezgetiaalie MutaaUamus.
— Dr. James Lindsay, Theistic Idealism.
— Jahresbericht über sämtliche Erschei-
nungen auf dem Gebiete der systemati-
schen Philosophie. — C. Bos, La philo-
BOphio an I^oe 1904. — Die neoaeten
Encheinungen auf dem Gebiete der syste-
matischen Philosophie. — Zeitaoludfton.
Eingegangene Bücher.
Vlertcljahrsschrift für wissenschaft-
liche Philosophie und Soziologie.
XXYIU. Jahrg. 4. H.
Job. Kteibig» Oter ein Paradoxon in
dar Lo|pk BftliaBflai
Archiv für die gyiiiiffi Pqrchologle.
4. Bd. 3. H.
Henry J. Watt, Experimentelle Bei-
träge zu einer Theorie des Denkens.
Revue philotophlque. Janvier.
A. FouUl^ La raison pure pratiqno
dolt^Ue Htn flritiqiida? — O. S^iOor, De
la methode dana loa reoiiawiiea doa kia
de l'ethique.
Annalen der Natnrpliiloeopliie.
4. Bd. 1. Heft
Wilh. Ostwald, Zur Theorie derWissen-
aohaft
ZeÜMlirifl für PUloeepirie nad
philoM>piiiMiie Kritik. Baad 12S.
Heft 2.
Julius Bergmann, Das Verhältnis des
Fühlens, des Begehrens und des WoUens
sam Yoxatellni und BewoStBeiii.
Neue Metaplijtiache RundadM».
Haratttgeg. iwi FSanl 1905.
Band XU Heft 2.
Geheime Figuren der Rosenkreuzer
aus dem 16. u. 17. Jahrhundert (Sen-
druok 1. I.j — Dr. med. J. D. Buok,
Mystiaehe Hanxeni (foita. Kapitel VI:
Die Gehnmlehxe: die aiebenfache Natur
des Menschen. Schluß). — Dr. Heb.
V. Lessei, Die metaphysische Grundlage
von Richard Wagners »Der Bing des
Nlbalnqgen« (Forts. Kapiiel Y: Über dia
Göttarwelt). » Ivy Hooper, Zwtl Btear
(Kapitel IV). — Rundschau: Der Sieben-
sortenflegel. — Radiumentdeckun«;, ein
Produkt der Homoeopathie ? — Vedanta*
Universität. — Boscggers J. £. J. —
Eünatliohe IGfigeataltoa durah Badfim.
— Literatur: Coli;-, Flita. — CoUina,
durch das goldene Tor. — Oodliaa, die
Qaaohiohte des Jahiea.
543
Aqb der pftdagogischen Fachpresse
Scheibihuber, A. Cl^ £in pädago-
gischer Konflikt Mg. D. Leluers.
1905, Nr. 13. 14.
Der Konflikt entsteht im Gocchichts-
unterrioht, besonders im elementaren, und
zwar auf folgende Weise: 1. Manche
historiaohe Tataxdien weiden in den
Qnellen niobt e&BohHilioh mid tnsKihrlich
flberliefert; folgt der Lehrer genau diesen
Quellen, so verletzt er die methodischen
Anforderungen. 2. Andere Tatsachen
weite mB eueohaaUoh xnA meflUtilioh
beriobtet, aber die QueilMikritik findet
viele Einzelheiten unsicher usw.; folgt
der Lehrer diesen Quellen, so ist seine
Darstellung nicht historisch getreu. Und
gerade die mangelhaftesten Berichte —
so oder so — fallen »regelmUig« in die
erste Zeit des Geschichtsunterrichts, wo
Anschaulichkeit und Ausführlichkeit dem
Schüler am nötigsten sind. (Von den-
jenigen Queiieu, weiche an sich nicht
Ififlkenhaft in dem obigen Sinne, wohl
aber ffir das Kind sa hoch sind, ist hier
niobt die Bede.) <— Verfasser hält nnn
die anschauliche, nach Dörpfeld auch
»detaillierte« Darbietung als methodische
Forderung fest and lehnt zunächst zwei
Auswege 9b: 1. Die Schüler schaffen im
darstellenden Unterricht gemeinsam ein
anschauliches Bild. 2. Der Lehrer bietet
den lückenhaften Quellenbericht und ge-
winnt dazu im entwickelnd -darsteliendeu
Unterricht mit den Sohttiem die lebens-
vollen Einzelzüge. Denn in jedem ge-
schichtlichen Vorgange liegen zweierlei
Gedankenschichteu : das, was nur der be-
treffenden Zeit eigentümlich ist, und das,
was diese Zeit mit der Gegenwart gemein
hat; nur ans dem letzteren kann das
Kind Beitiflge geben« nnd znr Anschau-
iickeit fehlen dann doch noch die »Zeit-
und Lokalfarben der Vergangenheit«.
(Trotzdem könnte es aber doch oft zweok-
m&8ig sein, erst das der Jetzigen oder
aooh einer irfibeien oder anderen be-
kannten Sphäre Gemäße angeben zu
lassen und ihm dann das der betvaOeadea
Zeit Eigentümliche entgegensustellen.) Zar
wirklichen Lösung des Konflikts weist
Verfa.s.ser hin auf die Entwicklung unserer
Geschichtsschreibung: Sie hat mit poe-
tischer Anffnwmng begonnen nnd Ist
allnilhUoh cur kritischen Anflaiaang
fortgesohiitten. Diesen Weg muB der
Lehrer nachahmen und in einer Lektion
mit mangelhaften Quellen beides bieten:
zuerst die melxr poetische Ausfuiiruag
der Details, »bald ersShlend, bald ent-
wickelnd .. in behaglicher epischer Breite;«
und dann die kritische Sichtung dessen,
was historisch feststeht und was nicht
überliefert ist; — so durctigefuiirt in des
Yezteen Booh: »Dentaobe Oeaobiohtek
Bnihlnngen nach QoeUeiLc Ntbmbeig,
Korn. — Um diese methodischen Ge-
danken näherzulegen , führt Verfasser
Aussprüche an, weiche besagen, daß auch
die kritiaehe Gaaobiidito die Uelneo Be-
atimmungen^ wekbe an eingehender Dar-
stellung nötig sind, niemals alle belegen
kann (Lessing), daß sie also »immer eine
wenn auch noch so spät geborene Enkelin
der Sage« sein wird (Lamprecht), und da£
dem Volke andi »eigentHoh niohta an-
gebracht werden kann, als was sich ihm
auf dem "Wege der Sago vermittelt«
(Grimm). Zum letzten Punkte vergl.
Jahrg. 1 dieser Zeitschr. S. 217. in dem
St&cke, welehea YerCueer aoa Leasings
Duplik (II) anfährt, nennt er den Oe-
schicht.sschreiber Vopiscus >einen von
den alJergriindlichsten«, bei Lessing aber
heißt er »einer von den allerpünktlichstenc,
und ao paBt es beeaer anf die »Id^en
Beatimuiangenc, welehe die ganse Arbeit
im Auge hat ; denn zu Itessings Zeit hieß
»pünktlich« punktweise, Schritt für Schritt
— hier: von einem psychischen Element zu
dem nächsten, sich daran anschließenden!
Digitizec uy v^oogle
R44
Neu «izkgegangtne Bttohsr «od Zataofariftaa
Neu eingegangene Bacher and Zelteohriften
P. Courbet, Das Dasein Gottes, ein
Postulat der Wissenschaft Aus dem
Französisohen. Straßbarg i/E., LeBoox.
02 a
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Güther.
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Reukauf-Heyn, Ev. Relig.-Untenicht
3. u. 5. Bd. 3. Anfl. Ebenda.
Draok TOD Haonann Boyci
& MaoB} in Iiiingw>»»laL
UNIVERSITY OF CALIFORNIA LIBRARY
BERKELEY
Retum to desk from which borrowed.
This book is DUE on the last date stamped below.
OC.7.
>y LOAN
4
LD 21-100in-9,'48(B809il6)476
YC 323 ! 3