Skip to main content

Full text of "Erläuterungen z. latein. Schulgrammatik"

See other formats


Erläuterungen 
z. latein. 



Schulgramm... 




Joseph Hermann 
Schmalz 



Erläuterungen zu meiner lateinischen Schulgrammatik. 



Im Laufe dieses Jahres erscheint im Verlage von Velhagen und Klasing (Biele- 
feld und Leipzig 1X90) eine neue lateinische Schulgrammatik. Dieselbe ist in ihrem ersten 
Teile (Formenlehre) verfässt von Dr. C. Wagen er in Bremen, im zweiten Teile (Syntax und 
stilistischer Anhang) von dem Unterzeichneten. Es scheint, dass trotz der ziemlich grossen 
Anzahl lat. Schulgrammatiken, welche in den letzten Iahren erschienen sind. Raum für eine 
neue sich findet; wenigstens wuiv'e der Verlagshandlung von hervorragenden Schulmännern Nord- 
deutschlands nahegelegt, das Erscheinen einer neuen lat. Schulgrammatik zu veranlassen, welche 
der derzeitigen Lage des lat Unterrichts entspreche, d. h. in möglichster, aber nicht 
übertriebener Kürze die 1 1 ;i u p t r e g e In biete, wissenschaftlich gut begründet 
sei und den Anforderungen an ein gutes Schulbuch in Anordnung und Fas- 
sung des Lehrstoffs, sowie auch in äusserer Ausstattung entgegenkomme. 

Der Verfasser der Formenlehre der neuen Grammatik ist auf dem Gebiete, dessen 
schulmässige Behandlung er hier übernommen, wie kaum ein anderer Gelehrter unserer Zeit 
orientiert. Zum Beweis diene seine Neubearbeitung von Friedrich Neues Formenlehre der 
lat. Sprache, Berlin 1888, Calvary & Cic ; die bis jetzt erschienenen zehn Liderungen zeigen 
eine so umfängliche und eingehende Kenntnis der römischen Littcratur, dass man im Inlandc 
wie im Auslande (vgl. z. B. Z f. Gymn. 1888 S. 345, Woch. f. klass. Philo!. 188S S. 374. 
Revue de philologie XIII S. 90^ gleichmässig der Helesenhcit und Sachkenntnis des Bearbei- 
ters die höchste Bewunderung zollte. Dass aber Wagener aus dem grossen und reichen Stoff 
das für die Schule Notwendige wohl auszuwählen versteht, hat er in seinem Buche „Haupt- 
schwierigkeiten der lateinischen Formenlehre, Gotha, Perthes 1888" gezeigt. Was die Bearbei- 
tung der Syntax und Stilistik anbelangt, so glaubt der Unterzeichnete durch seine wissen- 
schaftlichen Arbeiten auf diesem Gebiete und eine Erfahrung von zwei Jahrzehnten zu dem 
Versuch, eine schulmässig bearbeitete Syntax herauszugeben, einige Berechtigung zu haben 

Die folgenden Zeilen haben den Zweck, allgemeine Gesichtspunkt!) festzustellen, 
die bei Ablassung der Grammatik massgebend waren, namentlich aber Anlage und Aus- 
führung der Syulax zu begründen. 

Ivnrze Grammatiken verlangt unsere Zeit; dies tönt uns aus allen Zeitschrif- 
ten, aus allen Versammlungen und aus den Vorreden der neuesten Grammatiken entgegen. 
Gewiss ist der Ruf nach Kürze und Kürzung berechtigt; diese Berechtigung ergiebt sich aus 
der Verringerung der Stundenzahl Tür den lat. Unterricht, aus den gesteigerten Anforderungen 
an die Lektüre und aus dem sich vollziehenden Umschwung im Betrieb der klassischen Sprachen 
überhaupt. Doch die Kürzung darf keine prinziplose sein, sie darf aber auch nicht aus- 
schliesslich auf dem statistischen Prinzip beruhen, sie darf Wesentliches nicht beseitigen, weil 
es selten ist, und darf namentlich nie und nimmer der Hauptforderung, dass die lateinische 
Grammatik eine Schule der Logik sei, hindernd entgegentreten. Ich will an einem Beispiel 
zeigen, dass die einseitige Betonung der Statistik uns das ganze System über den Haufen 
werfen kann. Bei der Darstellung der Bedingungssätze ist die Frage, wie der Nachsatz sich 
als Konjunktionalsatz oder in der Konstruktion des Acc. c. inf. gestalte, eine sehr wichtige 
und, so viel ich sehe, hat keine der auf Kürze ausgehenden neueren Grammatiken den Mut 
gehabt, den irrealen Bedingungssatz der Gegenwart im Acc. c. inf. zu streichen 1 ): und doch 



i ' 



. » * t 




» 



2 



suche ich seit langer Zeit vergebens nach Beispielen und nunmehr finde ich, dass auch Priem*) 
im ganzen aus Cicero und Caesar vier Beispiele aufzuweisen hat, wovon noch Tusc. 1,50 
nicht ganz sicher und Caes b. Gall. 5,29 , 2 bestritten ist (doch halte ich an letzter Stelle 
an venturos esse = direktem venirent fest). Somit ist der Irrealis im Acc. c. inf eine höchst seltene, 
ja geradezu ganz vereinzelt vorkommende syntaktische Erscheinung und sollte daher in der 
gekürzten Grammatik keine Stelle finden, um so weniger, als auch der von einer Konjunktion 
abhangige Irrealis in seiner Existenzberechtigung angegriffen wurde und der energischen Ver- 
teidigung Keppels (Neue Jahrb. 1886 S. 190) bedurfte, um sich gegenüber den Kürzern zu 
halten. Allein die systematische Behandlung der Bedingungssätze kann den Nachsatz im Acc. 
c. inf. oder in Abhängigkeit von einer Konjunktion nicht entbehren, und zudem ist bekanntlich 
gerade die Umsetzung des Irrealis in die genannten Konstruktionen ein beliebtes (doch leitler 
oft übertrieben gebrauchtes) Mittel der grammatischen Schulung Ich folge daher der Sta 
tistik da, wo sie eine wirkliche für Entlastung der Schüler erhebliche Verein fachu n g 
ermöglicht und keinen hofieren Gesichtspunkt verletzt; wo aber letzteres der Fall wäre, da 
habe ich z. B. bei timkl, beim Inhaltsakkusativ, bei der Behandlung des Dativs, beim Separativ 
und beim Lokativ, in Beibehaltung des Praes. hist , des Inf. hist. Sa ) u. ä. dem höheren Gesichts- 
punkt den Vorzug eingeräumt. Immerhin wird man finden, dass ich den Lehrstoff bedeutend 
gekürzt, da die Syntax trotz der im Prinzip durchgeführten Begründung der Regeln und 
der viel Raum hinwegnehmenden Uebersichtlichkeit des Lehrstoffs doch an Umfang 
gegenüber den modernen gekürzten Grammatiken kein Mehr beansprucht. 

Psychologische Auffassung der Spracherscheinnng heisst ein zweites Postulat 
an die Schulgrammatik unserer Zeit.') Dieser Anforderung stehe ich sehr sympathisch 
gegenüber, und wer meine mit Landgraf gemeinschaftlich besorgte Neuherausgabe von 
Reisig- Ha as e 4 ), meinen Abriss der historischen Syntax in Iwan Müllers Handbuch •'') 
und meine Neubearbeitung des Antibarbarus s ) kennt, wird mir zugestehen müssen, dass 
ich möglichst der psychologischen Auffassung der syntaktischen Erscheinungen vorzuarbeiten 
bestrebt war. Allein die Hauptaufgabe hierin fällt dem Lehrer zu; die Schulgrammatik 
muss sich mit Andeutungen, mit Schlagwörtern (Angleichung, Ausgleichung, Ana- 
logie) begnügen ') und die nähere Ausführung dem Lehrer überlassen , um so mehr , als ja 
die psychologische Spracherklärung mehr mit den „Entgleisungen" als den im richtigen 
Geleise sich bewegenden sprachlichen Erscheinungen sich zu beschäftigen hat. Doch die An- 
gleichung des Prädikats an die bei Sachnamen stehende Apposition (z. B. Corintbum tolius 
Gnicäiic Imnat Komaii: exil inet tun vohicrtail), den Ausgleich des Genus verbi bei oratioius hgi sunt 

') Iben -.die ich aus von Kobilinski in /.. f. Gymn. 1886 S. 70S, dass Weber in seinen Ltementcn 
der 1;«. Syntax, (iotf.i, l'erlhes 18*6, die Streichung vorgenommen hat 

J ) Priem Jo-,tl, die irrealen Bedingungssätze bei Cicero und Caesar; Pliilologus 1XS5, Suppl. V, Heft 

1 S. 2r.j-3.16. 

s») Wahrend beispielsweise Koziol mit besonderer Vorliebe in fast allen Besprechungen grammatischer 
Arbeiten die Vernachlässigung des Int. hist. beklagt, will ihn Wal deck Lehrproben iS S. ij geradezu aus der 
Grammatik streichen. Die Wahrheit liegt in der Mitte; für die Lektüre brauchen wir den Inf. hist., er ist zudem 
in der historischen I.iueratur sehr h.uilig, also gehört er in die Schulgrammatik; nachzuahmen haben ihn die Schüler 
nicht, daher genügt lirw.ilmuitg mii Charakterisierung und Beispiel. 

') Vgl. hierüber besonders Ziemer, lunggramnutische Streifzüge auf dem Gebiete der Syntax. Colberg 
i.SH; un.l nieine Besprechung in Berl. Phil. Woch. iHJij S. :y6. 

') Lateinische Syntax nach den Vorlesungen über lat. Sprachwissenschaft von Ch. K. Reisig und den 
Anmerkungen von b'r. Ilaase, neu bearbeitet von I. H. Schmalz und Dr. G. Landgraf. Berlin, Calvary 

) Lateinische Syntax und Stilistik (in historischer Darstellung) von I. H. Sc h m a 1 /.. Nordlingcn (Mun - 
eben) 1NH0, /weite Aullage. 

*) Antibarbarus der lateinischen Sprache von I. Ph. Krebs. Sechste Autlage in vollständiger Um- 
arbeitung von I H. Schmalz. Basel i.SXX. 

'.) Vgl. Peez in Kgyetemes Philologiai Kö/lüny iSXj, VI, 7 (Berl. Phil. Woch. 1SK2 S. i6.|;-i6.|8) 
..Sobald wir che systematische Syntax bieten wollen, muss auch unsere Basis eine andere, breitere sein, auf welcher 
die psychologischen Moni. -nie im' Satz hl.» gelegentlich zu erklaren sind 



Digitized by 



de sitae, die Modusangleichung in Nebensätzen, die sich an einen konjunktivischen Nebensatz, na- 
mentlich mit einem Irrealis, anschlicssen, der Ausgleich in den Komparationsgraden, z. B. audacius 
quam verius dixisti, die Angleichung des Prädikativums an den Dativ bei licet, z.B. mihi licet 
esse bealo, die Macht der Analogie beim adverbialen Akkusativ, bei propitis und proximc, sowie 
proximus mit Akkusativ, die Genus- und Numerusausgleichung in der Kongruenz in der nach- 
klassischen Sprache u. a. sind ausdrücklich von mir mit Rücksicht auf psychologische Erklärung 
behandelt worden. Die nähere Ausführung der sog. Ko mbi nationsausglci chung *) (auch 
Kontamination zweier Konstruktionen genannt), wie z. B. unser vulgäres das Buch gehört mein aus 

Das Buch ist mein und 

Das Buch gehört mir 

entstanden ist, muss ich dem Lehrer überlassen, z. B. bei interdico alicui foro, das nach Zie- 
mer aus interdico alicui forum, 

iuterclttdo aliquem foro 

durch Kombinationsausgleichung hervorgegangen ist. Ich verweise bezüglich des nähe- 
ren auf Faul fl ( und Ziemer. Einer höheren Stufe des Unterrichts ist es vorzubehalten, die 
psychologischen Momente in der Gestaltung der Syntax unter Leitung des Lehrers im einzelnen 
aufzusuchen und dann zusammenzustellen , sowie aus den Ergebnissen der Zusammenstellung 
Schlüsse zu ziehen. An manchen Stellen der Grammatik, z. B. bei vtnit mihi in meutern mit Genetiv 
= reminiscor oder memini mit Genetiv, wird der psychologische Grund vom Schüler leicht gefunden, 
und es bedarf daher keines ausdrücklichen Hinweises im Lehrbuche 

Wissenschaftlicher Charakter ist das dritte Erfordernis, welches bei einer Schulgram- 
matik als unerlässlich bezeichnet wird. Viele verbinden damit zugleich die Meinung, auch die Ge- 
schichte der Sprache und die Ergebnisse der Sprachvergleichung seien bei Ausarbeitung eines 
auf der Höhe der Zeit stehenden Schulbuches notwendig zu berücksichtigen. Die Forderung 
scheint in ihrem vollen Umfang berechtigt, wenn diskret verfahren und nicht zuviel Sprach- 
wissenschaftliches in das Schulbuch hineingeheimnist wird. Ich möchte tast sagen, der Kun- 
dige muss dem Buch förmlich anriechen, dass sein Verfasser ein Kenner des Standes der 
wissenschaftlichen Forschung ist, er muss es aus der ganzen Art der Behandlung des Lehr- 
stoffs herausfühlen, dass hinter dem Buch mehr steckt, als die elementare Behandlung eigent- 
lich auf der Oberfläche blicken lässt. Doch halte ich — wenn die Schulgrammatik liir alle 
Klassen ausreichen soll — für unumgänglich notwendig, an manchen Orten, namentlich. zur 
Einführung in ein neues Kapitel, andeutungsweise über die Geschichte der Konstruktion zu 
orientieren. So mag der Lehrer in Quarta oder Tertia die einleitenden Worte zum Ablativ, 
zum Infinitiv, zur Satzunterordnung weglassen, er mag die Bemerkung, dass im zweiten Supi- 
num Dativ und Ablativ des Verbalnomens zusammengeflossen sind, übergehen, er mag beim 
Ablativ, comparativ. den unzweifelhaft ursprünglichen Vergleichungskasus erst aus quam mit 
Nominativ oder Akkusativ bilden lassen : aber dem Schüler der Oberklassen dürfen die sprach- 
gcschichtlichen Hinweise nicht vorenthalten werden, und wenn der Lehrer der Prima es versteht, 
meine Andeutungen im Anschluss an die Lektüre des Livius und Tacitus noch weiterzuspinnen und 
die Schüler aus ihrer Lektüre Glied an Glied reihen zu lassen: dann ist es möglich, ein ziemlich 
umfängliches Stück sprachlichen Lebens — Cicero bis Tacitus — dem Schüler vorzuführen 
und ihn so in die lebende lateinische Sprache hineinzuführen. — Wie ich im einzelnen in An- 
lage und Ausführung dem Buche einen wissenschaftlichen Charakter zu geben versucht, ersieht 
man aus den Ausführungen S. 7 ff. 

Im Mittelpunkt unseres heutigen Betriebes alles sprachlichen Unterrichts steht die 
Lektüre; ihr zu dienen ist die Grammatik in erster Reih« berufen. Sie muss also 
den Schüler befähigen, die Schwierigkeiten, welche sich durch Verschiedenheit der gramrm 

") Vgl. Ziemer Junggr. Streifzüge S. 6$. 

H 'Paul, l'riticipien der Sprachgeschichte, Halle |SS6, /weite Aurhge. 



tischen Auflassung und Konstruktion in Muttersprache und Fremdsprache ergeben, hinweg- 
zuräumen und so immer schwierigere Texte richtig anzugreifen, zu durchdringen, zu verstehen 
und in gutem Deutsch wiederzugeben. Von diesem Standpunkt aus erklärt sich auch, dass 
die Scluilgraminatik bei der Auswahl und bei der Einschränkung des Lehrstoffes von den 
Schulsctiriftstellern und ihrem Sprachgebrauch auszugehen hat. Es ist daher vor allem 
Cäsar 10 ), dann Cicero in seinen zum Schulkanon gehörenden Reden, philosophischen, rhe- 
torischen Schriften und Briefen zu berücksichtigen, ferner Cornelius Nepos, insofern er mit 
dem klassischen Sprachgebrauch übereinstimmt. Mit der Beschränkung auf diese Schriftsteller 
ist zugleich ausgesprochen, dass die grundlegende Grammatik nur den klassischen 
Sprachgebrauch berücksichtigt, alles aber, was darüber hinausgeht, und auffallende Er- 
scheinungen bei Cicero und Cäsar selbst (/.. B. in potestatem esse bei Cic Pomp. 33, Verr. 
5,9s und mihi persuasum liabco bei Caes. Gall. 4, 2, 5) ausschliesst. Diese Erscheinungen 
können sich sogar sehr zahlreich bei den Klassikern finden Die Auslassung des Subjekts- 
akkusativs beim Infinitiv z. B. t retten wir bei Cicero sehr häufig (vgl. meine Abh. über As. 
Pollio S. 3j f), und doch wird kein Lehrer einen Satz wie is omnia pollicitus est, quae tibi opus 
essent; facturum puto zur Nachahmung empfehlen. Wir müssen auf Setzung des Subjekts- 
akkusativs dringen trotz vieler entgegenstehenden Beispiele, gerade wie wir auf tr'unuio pest 
(nicht posier) trotz Cic. inv. 2, 154 und p Clu. 130 und auf iwcnc im indirekten Fragesatz trotz 
Cic. inv. 1,17 und 2,60 bestehen müssen Hierin linde ich mich in Übereinstimmung mit Steg- 
mann in Neue Jahrb. 1S87 S. 262. Jedoch ist grösste Vorsicht nötig bei der Entscheidung 
über Ausschliessung oder Beibehaltung einer Konstruktion, weil die Schulgrammatik sonst den 
Sprachgebrauch zu sehr einengen und somit syntaktische Erscheinungen ausschliessen kann, 
welche gut klassisch sind und sich vielleicht nur zufällig seltener finden. Gerade hier wirkt 
die Kürzung oft recht nachteilig und giebt ein falsches Bild des Sprachgebrauchs. Hierin 
wird man es also mit von Kobilinski und Gerstenecker halten und somit zwischen 
Stegmann einerseits, und den genannten Schulmännern anderseits vermitteln müssen. — Was 
bei Nepos gegen die gute Sprache sich findet, gehört gleichfalls nicht in d e Schulgrammatik; 
es sind dies übrigens nur vereinzelte Erscheinungen"), und diese kann der Lehrer schon vor der 
l'räparation rasch durch kurze Erklärung abthun; so ist dem Verständnis der Stelle Erleichterung 
verschafft, ohne dass der Schüler die weniger feine Konstruktion sich einprägt und so sein eigenes 
Latein verdirbt. Bis man zur Lektüre des Livius kommt, muss die grundlegende Syntax im 
grossen und ganzen durchgenommen sein; damit ist gesagt, dass die Konstruktionen der klassi- 
schen l.atinitat dem Schüler auf dieser Stufe geläufig sein sollen. Er wird daher auf dem Wege der 
Fortbildung einer Konstruktion leicht sich livianische Eigentümlichkeiten selbst erklären können 
Bei Nepos muss schon die Analogie zur Hille beigezogen werden, z. B. Agcsil. 8,7 amici tum cera 
cii cuiiifiulti unl. Alcib. 3,6 aspeigt butur el'uwi iiifniitiit ; beide Konstruktionen sind aus Jono aliqucm 
iilii/mi ix unschwer herzuleiten, gerade wie sich ticijitipcro in Alcib. 11,3 ohne weitet es mit adattjuo 
verbinden lässt (vgl. noch unten über spontane Thätigkeit der Schüler). Bei Livius und in der 
nachklassischen Sprache überhaupt ist diese Macht der Analogie ganz bedeutend; ich habe 
in Anmerkungen, welche in Klammern gesetzt sind, Andeutungen gegeben, wie sich die Kon 
struktionen fortbilden und wie der Schüler ohne grosse Mühe diese Fortbildung vci folgen und sich 
selbst konstruieren kann. Natürlich wollen diese Fingerzeige nicht erschöplend sein. So habe 
ich es unterlassen, eine im nachklassischen Latein so häufige Konstruktion, die im klassischen 
Sprachgebrauch nur in sehr bescheidenen Anfängen sich zeigt, nämlich Abi. abs. mit einem 

"'I Vgl. A ndresen in Wach. 1. Kl. Philo!. i8,S.| S. iikm „M im k.tim drei* den Sau aufstellen , Jjss 
die Sehulgr.mm1.1tik der Zukunft sich hauptsächlich jul dem Sprachgebrauch Casars .mt/ubaucn hat." 

""> Vorausgesetzt dass die Ausgabe des Nepos von Ortmann (Teubner. Leipzig) oder ein anderer ge- 
reinigter Text benüt/t wird. Sons.: findet sich, wie Lupus in der Vorrede zu seinem Buch ,,der Sprachgebrauch 
des Cornelius Nepos, Berlin S. V. j».<gt , ..«»r manche Abweichung von dem in den Grammatiken gelehrten 

klassischen Latein vvn- Cicero oder Ij-ji". 




5 

Acc. c. int. oder einem ganzen Satze als Subjekt, zu erwähnen; der Schüler, der eine solche 
Konstruktion im Livius findet, hat vorher schon oft gehört und gesehen, dass der Infinitiv oder der Acc. 
c. inf. gleich dem Subjekt gebraucht werden kann, ferner dass Sätze für Satzteile und Satzteile für Sätze 
eintreten, so dass ihm neben audito consulis adventu die Fügung audito consulem advenisse 
u. ä. nicht verwunderlich erscheint (vgl. C. F. W. Müller zu Cic. off. 2.42 1 . Gerade so ist 
es mit dem Gebrauch des Partie. Futuri activi. In der Formenlehre hat der Schüler dies 
Partizip bilden lernen und seine Bedeutung erfahren. Weder beim attributiven , noch beim 
prädikativen Gebrauch des Partizips hat er aber von einer Verwendung desselben gehört, 
und der Lehrer wird gut thun, wenn er bei dieser Gelegenheit oder schon früher bei Ein- 
übung der Coniugatio periphrastica ihm sagt: „Das Part. Fut. activi kommt nur in Verbin- 
dung mit esse vor." '») Wenn nun schon Cic. Q. fr. 2, 5, 2 exiturus sponsalia Crassipedi praebui 
sei. reibt, so hat er damit den selbständigen Gebrauch des Partie. Fut. begonnen, der im nach- 
klass. Latein sich immer mehr verbreitet. Nun ist aber dem Schüler, der exiens praebui 
kennt, exiturus praebui leicht zu erklären; daran reiht sich ulturus profectus est, und damit ist 
auch der finale Gebrauch des Part. Fut. act. dargelegt Es genügt somit eine gute Darstellung 
des klass. Sprachgebrauches mit einigen Fingerzeigen über dessen Entstehung und Weiterbil- 
dung, um die Schüler zu befähigen, auch mit Livius, Sallust und Tacitus fertig zu werden. Dass 
die Dichter vielfach ihre eigenen Wege gehen, weiss der Schüler aus dem Deutschen; kurze 
Bemerkungen, oft anlehnend an das Griechische, genügen daher zur Beseitigung von Schwierig- 
keiten dichterischer Konstruktion. ") Nach diesen Darlegungen wird man begreifen, warum ich 

1) Die fundamentale Syntax auf den klassischen Sprachgebrauch Casars und Ciceros 
beschränkte, aber 

2) doch nicht auf Beiziehung der nachklass. Latinität ganz verzichten konnte, 

3) die Anmerkungen darüber, als über unmittelbare Weiterbildungen, auch unmittelbar 
an die Hauptregel anfügen wollte. 

Es ist erfahrungsgemäss nicht möglich, eine fremde Sprache ganz zu beherrschen, 
wenn man nicht imstande ist, auch deutsch Gedachtes richtig in dieselbe zu übertragen. Es 
hat somit die Grammatik auch die Aufgabe, dem Schüler die nötige Anleitung 
zum Hinübe>I*8etzen zu geben. Dieser Punkt hängt aufs engste mit dem soeben behandelten 
zusammen: das Herübersetzen und das Hinübersetzen ordnen sich unter die höhere 
Einheit der Sprachvergleichung. Natürlich verstehe ich hier SpracHvergleichung nicht 
in dem üblichen Sinne der Wissenschaft, sondern in dem von Nägelsbach u ) eingeführten, 
wonach der Schüler unter Führung des Lehrers fortwährend die Kräfte und Mittel der einen 
Sprache mit denen der anderen vergleicht und so gutem Latein gutes Deutsch oder umgekehrt 
entsprechen lässt. Hat somit die Grammatik beispielsweise dargelegt, dass das lateinisch durch 
ein Partizip gegebene Attribut von uns vielfach durch einen Relativsatz übersetzt wird, ferner 
dass das prädikative Partizip einem deutschen Konjunktionalsatz entspricht, so hat sie die 
weitere Aufgabe, umgekehrt zu zeigen, welche deutschen Relativsätze im Lateinischen attri- 
butiv gegeben werden können und wie man bei Umwandlung des Relativsatzes in einen 
einfachen attributiven Satzteil zu verfahren hat, ferner welche deutschen Konjunktionalsätze 
durch lateinische Partizipialkonstruktionen übersetzt werden und wie hier bei der Übersetzung 
vorzugehen ist. Dieses Beispiel, welches zeigt, dass 

1) vom lateinischen Satz auszugehen ist, 

") Die wenigen Ausnahmen von dieser Regel, welche indes als erste Vorzeichen eines im nachklassischen 
Latein sehr verbreiteten Sprachgebrauchs wichtig sind, findet man bei Hoppe „Zu den Fragmenten und der Sprache 
Ciceros"; Gumbinnen 1875 Frogr. S. 12 

u ) Dem Lehrer empfehle ich für seinen Gebrauch: Schäflcr, die sog. syntaktischen Gräzismen bei 
den augusteischen Dichtern, Amberg 1884. 

") Nagclsbach-Müllcr, I.at. Stilistik für Deutsche, Nürnberg 18S8. achte Auflage, S XIII der Vor- 
rede u S. 26. 



Digitized by Google 



2) dessen Verständnis in erster Reihe erstrebt werden muss, 

3) da7.11 die Vergleichung mit dem Deutschen kommt, 

4) die Rückbildung eines deutschen Satzes in einen entsprechenden lateinischen 
nach der gewonnenen Regel erst zuletzt verlangt wird, 

ist gewissermassen typisch für unsern Lateinbetrieb von Sexta bis Oberprima. Ich halte es für 
einen grossen Vorzug der Übungsbücher für Sexta und Quinta, wenn sie so angelegt sind, 
dass für jede Regel zuerst die lateinischen Stücke kommen und daran sich dann deutsche 
Stücke schliessen, welche geschickt den Inhalt und den Sprachstofif der entsprechenden latein. 
Nummern variieren. Lieber ist es mir freilich, wenn der Lehrer der Unterklassen gar keine 
deutschen Übungsstücke braucht, sondern sich selbst eingearbeitet hat, in einer ansprechenden, 
die Schüler vielseitig anregenden Weise die Lektüre, unmittelbar anschliesend an dieselbe, für 
das Hinübersetzen auszunützen. Mit dem Eintritt der Schriftstellcrlektüre versteht es sich 
wohl von selbst, dass der Lehrer allen Übungsstoff, sowohl für die mündlichen Übungen zur 
Befestigung der grammatischen Regeln, als auch für die Extemporalien sich selbst aus der 
Lektüre herausarbeite. Alle Vorlagen, wie die von Schultess, Gidionsen, Müller, Hau- 
ler, Netzker-Rademann, Rosenberg, von Jan und mir haben in erster Reihe die Bedeu- 
tung, den Lehrer auf die Gesichtspunkte aufmerksam zu machen, welche bei Ausarbeitung der 
Übungstexte wichtig sind; denn man wird gar gerne einseitig, wenn man nicht recht viele ver- 
schiedene Muster vornimmt und die Eigenart jedes einzelnen prüft und das Brauchbare sich merkt. 

Die Schulgrammatik also hat neben anderen die Aulgabe, die Schüler im Anschlüsse an 
die Lehre vom Herübersetzen auch für das Hinübersetzen richtig anzuleiten, ihnen 
in schwierigen Fällen die durchaus notigen Fingerzeige zu geben und namentlich auf die Unter- 
schiede in der Auffassung der Konstruktionen in beiden Sprachen und in der Verwendung 
der sprachlichen Mittel aufmerksam zu machen. Ganz verkehrt aber und heute gar nicht 
mehr zu entschuldigen ist es, wenn eine Schulgrammatik nicht von der fremden Sprache und 
ihrem Verständnis ausgeht und immer nur das Extemporale im Auge hat. lh ) Es ist ein 
Glück, dass die unbeschränkte Herrschaft des Extemporale gebrochen ist, hoffentlich für immer; 
so segensreich die richtige und massvoli betriebene Übung im Hinübersetzen wirkt, so nach- 
teilig ist ein lateinischer Sprachunterricht, in dem sich alles um das Extemporale dreht. 
Wir werden in unseren Anforderungen an das Lateinschreiben etwas heruntergehen müssen; 
dies wird nicht zum Schaden der Schüler ausfallen, wenn der Gewinn an Zeit und Mühe der 
Lektüre zu gute kommt. Also auch hier ist Kürze und Kürzung am Platze; die kurze Fassung 
der Grammatik weist unmittelbar auch auf Vereinfachung der Extemporalien, und das Ausgehen 
der Schulßrammatik von der fremden Sprache zeigt ai^ch den richtigen Weg für Verbindung 
von Lektüre und grammatischer Übung. 

Die als brennend hingestellte Frage, wie weit der Lehrer in Zulassung der Eigen- 
tümlichkeiten livianischer oder sallustianischer Darstellung gehen darf, kommt mir 
gar nicht so brennend vor. Kiihnast spricht sich hierüber in folgender Weise aus (Livia- 
nische Syntax S. 8j: „Die Praxis der Schule wird nur dann in ihren Forderungen konsequent 
bleiben kiinnen, wenn sie, um nicht eine Mischsprache aus verschiedenen Kulturphasen der 
Entwicklung des Latein zu dulden, für den schriftlichen Ausdruck das Zeitalter der glänzendsten 
Ausbildung der Prosa zu gründe legt, markierte Eigentümlichkeiten selbst von Schriftstellern dieser 
Periode ausschliesst und aus den angrenzenden Zeitaltern nur solche Ausdrücke gestattet, bei welchen 
sichere Analogien uns überzeugt sein lassen, dass sie auch im Zeitalter der Muster zulässig 
gewesen sind." Daraus geht hervor: Wer wirklich lateinischen Stil lehren will, der kann nicht 
dulden, dass Konstruktionen verschiedener sprachlicher Perioden durch einander gemengt 

'*) -uicli Latinum) jun. in Neue Jahrbb. iSSj S. \12 „Hs ist ein Saun, da» Hxtempor.ile! 

Selbst wenn nun seine fehlerhafte Ubers-liat/um; richtig ei keimt, britii-ot) wir ihm unbewußt d<v:h wieder seinen 

Tribut - 



Digitized by Google 



7 



werden; er muss sich demnach an die Sprache einer Periode halten und die Typen dieses 
Sprachgebrauchs zur Nachahmung empfehlen. Die Spracherschcinungcn bei Sallust und Livius 
treten indes an den Schüler auf einer Stufe heran, wo er die grundlegende Syntax bereits 
absolviert hat. Feststellung des Unterschieds der klassischen Ausdrucksweise und der nach- 
klassischen oder archaisierend vulgären bildet das Sprachgefühl sehr und lehrt zugleich, was 
nachzuahmen sei und was zu meiden. Schreibt ein Schüler aber doch bellum oriturum iam 
reprimi non poterat oder Caesar occisus summae laetitiae erat Ciceroni, so wird man dies 
nicht gerade loben, aber entschuldigen und darauf aufmerksam machen, wie solche Sät/.e 
streng klassisch zu bilden sind. Man wird also — • und diesen Standpunkt nehme ich in Prima 
bei Beurteilung der lat. Stilübungen ein — die klassische Sprache als Grundlage des lat. Stils 
betrachten, den Schülern aber doch in den Oberklassen die Freiheit lassen müssen, aus der Lektüre 
geschöpfte Weiterbildungen, die sich unmittelbar aus der Entwicklung der Sprache ergeben, 
in ihrem Latein zu verwenden. Damit ist auch ausgesprochen, dass ich Konstruktionen wie 
medio diei, per adversa montium, excedere modum, dignus ut, quamvis mit Indikativ, u. ä., was 
mehr einer Verirrung als einer Fortbildung gleichsieht, ausschliesse, aber Objektsakkusat ive 
beim Gerundium, wie sectando pecora, unter das tolerari posse rechne. 

Die lat. Grammatik soll »»ine Sehnte der Logik sein 19 ). Sie muss daher schon 
in ihrer ganzen Anlage eine saubere Methode, überall eine klare Disposition, scharfe Abgren- 
zung nach einleuchtenden Gesichtspunkten zeigen und, wenn thunlich, die grammatische Erschei- 
nung herleiten"); wo eine allmähliche Entwicklung zu Tage tritt, muss sie diese erkennen 
lassen; jedenfalls darf sie nicht das fertige Gesetz der Sprache unvermittelt hinstellen 1 "), so 
dass dem Schüler nichts übrig bleibt, als auf Treu und Glauben anzunehmen, was ihm gebo- 
ten wird. 

Nach diesem Gesichtspunkte wird sich erklären: 

I. Die ganze Anlage der Syntax, und zwar zunächst, dass ich vom einfachen Satz 
aus- und bei diesem wieder auf das satzbildende Element, das Verbum finitum, zurückging. 
Das Verbum finitum enthält das Subjekt, es kann aber auch das Subjekt durch ein Subjektswort 
ausgedrückt werden, ja es können mehrere Subjektswörter zu ebendemselben Prädikat gehören, 
dies ist die Grundlage zur Lehre von der Kongruenz. Nachdem so Prädikat und Subjekt erkannt 
und in ihrer Beziehung festgestellt sind, kann man die Bestimmungen zum Prädikat zuerst neh- 
men, oder die zum Subjekt. Das erstere hat Fr. Kern"* ) vorgezogen, und es entsprichtauch 
der Wichtigkeit der beiden Satzteile, zuerst das Prädikat näher zu bestimmen. Allein hier 
Hessen mich praktische Gründe, so namentlich, dass die Lehre von Apposition und Attribut 
sich sehr kurz abmachen lässt, während die Behandlung der Prädikatsbestimmungen viel mehr Raum 
beansprucht, im einzelnen aber, weil der prädikative Gebrauch des Gen. (und Abi.) qual. doch 
wohl nicht gut dem attributiven vorausgeht u. ä. die andere Anordnung vorziehen, um so 
mehr, als damit der Logik des Systems kein Abbruch geschieht. Die Behandlung der Prä- 
dikatsbestimmungen liess mich im dritten Teil (Prädikativum) all das zusammenfassen, was in 
dieses wichtige Kapitel 80 ) gehört. So wird man mancherlei hier beisammen finden, was in andern 

In diesem wichtigen Punkte weiss ich mich einig mit dem Nestor der Scluilgr.imm.itik, Direktor 
Latt mann; vgl. besonders dessen Abhandlung „Die Grundsätze für die Gestaltung der lat. Schulgrammatik, Claus- 
thal iX8;" und dazu die Rezension von Hellwig in Berl. Philol. Woch. 1885 S. 1595. 

") Vgl. Prümers in W. f. klass. Philol. 1885 S. 945 („dem Schüler nicht nur zu sagen, wi c der La- 
teiner sich ausdrückt, sondern auch zugleich, warum er sich so ausdrücken muss"). 

'") Vgl. besonders, was Huemer in Z. f. ö. G. 1888 S. 735 an der Grammatik von Ilolzweissig 
tadelt ; ich kann es mit ihm nur als eine sehr unfruchtbare Methode bezeichnen, wenn der Lernstoff als ein 
fertiger auf den Schüler übertragen, eine tiefere Erkenntnis grammatischer Gesetze aber nicht erreicht wird. 

") Fr. Kern, Grundriss der deutschen Saulehre, Berlin 1884 S. 29. 

!0 ) Vgl. auch Lattmann im Progr. von Clausthal 1882 S. 21. — Auch die figura ctymologica im Jet 
sich, was selbst Landgraf entgangen ist, im prädikativen Verhältnis, z. R. Cic. Söst 1; ne isii quidem, quos 
leg.itos tun 1 tibi lega.sti. Sehr reichhaltig an Pradik.iiiva ist besonders die fünfte Verrinc 



Digitized by Google 



Grammatiken da oder dort aufgeführt ist. Allein man wird mir zugeben, dass nur auf 
diese Weise 

1. der Schüler eine vollständige Übersicht über alles, was prädikativ ist, und eine 
klare Einsicht in das Wesen der prädikativen Kasus bekommt, und 

2. die Syntax als die Lehre vom Satze (und nicht von einzelnen Wortarten oder 
Kasus) richtig behandelt ist. 

Mir scheint es ganz verwunderlich für einen Schüler, wenn er nach der Lehre von der 
Kongruenz ohne weiteres die Überschrift „Kasuslehre" findet! Und der so notwendige Auf- 
bau der Syntax durch die Schüler in Sekunda nach Abschluss der Einzeldurchnahme der syn- 
taktischen Partien ist nur möglich und nur logisch forderlich, wenn eine gute, im Wesen der 
Sache begründete Disposition zu gründe liegt, die dem Schüler überall entgegentritt und ihn 
keinen Augenblick ausserhalb des Systems weilen lässt! So erklärt sich auch, dass ich die 
Lehre vom Partizip nicht besonders behandelte; das Partizip ist ein Satzteil, die Lehre 
von seinem Gebrauch gehört also in den Abschnitt vom einfachen Satz. Ebenso gehört auch 
die Darstellung der Verwendbarkeit des Infinitivs und des Acc. c. in f. in den einfachen 
Satz 21 ). Freilich so leicht lassen sich die Infmitivkonstruktionen nicht unterbringen wie die 
Partizipien, weil Subjekt und Objekt gleichmässig daran Anteil nehmen, es aber doch nicht 
rätlich ist, den Infinitiv und Acc. c. inf. in Partien zu trennen, da sonst die Übersicht über die 
Entwicklung dieser Spracherscheinung verloren ginge. Der Nom. c. inf. darf aber auch nicht 
vom Acc c. inf. getrennt werden, sonst ist ja seine Entstehung und sein Gebrauch ganz un- 
begreiflich; es muss daher notwendiger Weise die ganze Lehre vom Infinitiv — Acc. c. inf. 
— Nom. c. inf. in einem Zusammenhang behandelt werden. Zudem wäre es pädagogisch 
unmöglich, sofort bei der Lehre vom Subjekt und Objekt die Lehre vom Infinitiv, die gar 
mancherlei erst später kommende Kenntnisse voraussetzt, durchzunehmen. Es erscheint mir 
daher das Richtige: 

1. Durch Anfügung an die Lehre von den Prädikatsbestimmungen die Lehre vom In- 
finitiv dem einfachen Satze zuzuweisen, wohin er syntaktisch gehört; 

2. durch Stellung des Infinitivs an den Schluss des Kapitels über den einfachen Satz 
der Schwierigkeit des ganzen Abschnitts Rechnung zu tragen. 

Dass die Supina keinen besonderen Hauptplatz verdienen, ist selbstverständlich. Als 
Kasus formen eines Substantivs sind sie da zu behandeln, wo die entsprechenden Prädikats- 
bestimmungen zur Darstellung gelangen, also beim Akkusativ auf die Frage wohin ? und beim 
Abi. respectus 22 ). Das Gleiche gilt für die Kasus des Gerundiums (bezw. Gerundivums). 

An den einfachen Satz schliesst sich die Beiordnung, an diese die Unterordnung 
an. In der Behandlung der Unterordnung habe ich, natürlich so weit die praktische Rück- 
sicht es erlaubte, den gleichen Weg eingeschlagen, wie in der wissenschaftlichen Syntax. Be- 
stärkt wurde ich in dem Plane, die Resultate der Forschung hier zu verwerten, durch eine 
Kundgebung aus dem Lande der überwiegend praktischen Leute, aus Württemberg. In einem 
Vortrage, den Prof. Rösch am 25. Mai 1889 in Heilbronn 23 ) hielt, hat er geradezu ausgespro- 
chen, dass die Lehrer sich ein Verdienst erwerben werden, wenn sie die Syntax mehr und 
mehr auf die geschichtliche Sprachforschung gründen. So habe ich denn an die Spitze der 
Unterordnung die Lehre von den Modi und Tempora gestellt, weil beide Kapitel viel dem 
einfachen Satz und der Unterordnung gemeinschaftliches haben und so gewissermassen das 

") Mit Recht tadelt Schmidt in seiner Kritik der Scheindlerschcn Grammatik (Wien t8i>o S, , dass 
Schein dl er die Infinitivkonstruktinnen bald als Satzteil, bald als Satz behandelt. Durch die Kinreihunj» in 
die Lehre vom „einlachen Satze'' ist der Charakter der Konstruktion als eines Satzteils am besten erwiesen. 

") Wer sich für die eigentliche Kasusnatur des Supinunts auf u interessiert, findet das nähere in meiner 
Anm. 598 zu Rcisig-Haase S. 799. 

") Man findet den Hauptinhalt desselben im Korrespnndenzhlatt l'Or die (jelehrtcnschulen Württembergs 
1SS9 S 271- ^70 



Digitized by Google 



Bindeglied der beiden Hauptteile der Syntax bilden. 23 ») Die Reihenfolge Modi und Tempora habe 
ich gewählt, weil die Tempora in die Modi einzureihen sind und somit schon der Fundamental - 
satz angedeutet ist, dass die Tempora des Konjunktivs denen des Indikativs wesensgleich sind !4 ). 
Weil aus dem Fragepronomen das Relativum hervorgegangen"") ist und aus dem Relativum die 
meisten unterordnenden Konjunktionen sich herleiten, ergiebt sich die Reihenfolge a. Frage- 
nebensätze; b. Relativsätze; c. Konjunktionalsätze. Der Übergang aus der Bei- 
ordnung in die Unterordnung ist bei den Fragesätzen und Konjunktionalsätzen so überaus leicht 
zu erkennen, dass diese Entwicklungspläne des lat. Satzbaues Tertianern nicht vorenthalten 
werden darf. Gerade so verhält es sich mit dem Gebrauche der Konjunktionen selbst, ihrer 
Entstehung, ihrem Verhältnis zum Modus des Nebensatzes u. ä. Ich habe deshalb überall, wo 
die Herleitung der Konjunktion wissenschaftlich sicher steht und das Verständnis der Kon- 
struktion unterstützt, auf sie zurückgegriffen. — So erschliesst sich schon dem Tertianer ein 
Verständnis für die durchsichtige Anlage der Gesamtsyntax und ihrer Teile; der Sekundaner 
aber, der nach unserer Ansicht eine klare Einsicht in den ganzen Aufbau der Syntax vom 
finiten Verbum bis zur komplizierten Oratio obliqua bekommen soll, kann sich am Schlüsse 
sein grammatisches System selbst konstruieren. Ferner wird er die mannigfachen Winke 
sprachgeschichtlicher Natur, wie z. B über Genesis der Infinitivkonstruktion, über die Doppel- 
natur des Supins auf u, über die präteritale Bedeutung des Irrealis Praesens u. a., die früher 
beiseite blieben, für seine Zwecke aufgreifen. Der Primaner aber wird ohne viel Schwierigkeit 
sich in die Eigentümlichkeit der taciteischen Diktion einleben, wenn er von unten herauf gewöhnt 
worden, bei allen Konstruktionen nach der Herkunft und Entwicklung zu fragen. 

II. Dass ich, wo thunlich, scharf abgrenzte und schematisierte 2 »''), selbst auf die Ge- 
fahr hin, mit irgend einer anderen Forderung von pädagogischer Seite in Widerstreit zu ge- 
raten. So habe ich entgegen Fügners 25 ) Ansicht den Separativus ziemlich ausführlich be- 
handelt, weil mir die scharfe Abgrenzung der Konstruktionen I. Ablativus ohne Präposition, 

2. mit oder ohne Präposition 3. mit Präp. logisch wichtig genug schien, um ihr zuliebe 
über den engen Rahmen einer kurzen Grammatik hinauszugehen. Das gleiche gilt für 1. nur 
inire consilium, 2. nur incidere in hostes, aber 3 ad te adeunt und te adeunt; ferner für den 
Ablat. compar., der je nach Umständen r. ausschlieslich gebraucht, 2. vorgezogen, 

3. gemieden, 4. gar nicht gebraucht wird, ebenso für den Ablat. modi, wo 1. nur cum 
virtute, 2. ebenso magna cum virtute als magna virtute, 3. nur silentio, mente pura üblich 
ist. In der Consecutio temporum wurde geschieden: 1 nur bezogener Gebrauch der Zeiten. 
2. bezogener und selbständiger Gebrauch, 3. nur selbständiger Gebrauch. Beim selbständigen 
Konjunktiv ist genau nach a. Gewünschtem, b. als möglich oder nicht wirklich Gedachtem, 
bei quin zwischen fragendem und relativem, bei den Fragen nach Bestätigungs- und Verdeut- 
lichungs-, einfachen und Gegenfragen die Einteilung und Ubersicht gemacht, u. s. w. 

III. Die Behandlung folgender Einzelheiten, z. B. dass ich nicht refert in eine An- 
merkung verwiesen, sondern zum Ausgangspunkt genommen habe. Die Dreiteilung 1. wem ist 

Es erschien mir durchaus unthunlich, in einer Schulgrammatik die Lehre von den MoJi und 
Tempora so auseinander zu reissen. dass ich im einfachen Satze Uber Modi und Tempora im Hauptsätze und in 
der Satzlinterordnung üher den Gebrauch derselben im Nebensatze gehandelt hatte. Nur durch die zusammen 
hängende Behandlung lassen sich Wiederholungen vermeiden und ist namentlich die Krreichung der Hinsicht möglich, 
dass Modi und Tempora im Nebe1ts.1t/e im selbständigen Gebrauche mit der Verwendung im Hauptsat/e überein- 
stimmen, und dass die bezogene Zeitgebutig durch die Unterordnung (zunächst Gedanken-, dann Satzumerordnung) 
bedingt ist. 

") Dies kann nicht genug betont werden, vgl. z. B. Eichner, Zur Umgestaltung des lateinischen Unter 
richts, Berlin iSKS, S. 57. 

«») Vgl. hierüber S 2)7 IT. meiner Syntax in Müllers Handbuch IP S. 494, sowie Deecke, Die griechischen 
und lateinischen Nebensitze auf wissenschaftlicher Grundlage neu geordnet, Colmar tK8>. «»>) Vgl. auch Schir- 
mer in Z f. Gymn. 1882 .S. 160. 

**) Fügncr, Livius XX1-X.KHI für die Bedürfnisse der Schule grammmatisch untersucht, Berlin 1888 S. 17. 

2 



Digitized by Google 



10 



daran gelegen, 2. woran ist gelegen, 3. wie viel ist daran gelegen, kann zur Re- 
petition verwendet werden und ist deshalb am Schlüsse beigefu iber ihr zuliebe konnte ich 
die so einleuchtende Entstehung der Konstruktion von referl l . . jitercst nicht aufgeben. Es 
ist so überaus einfach mea aus re—ferl zu erklären, dann nach dem früher Gelernten, wonach 
dem Gen et. poss. das Pronom. possess. entspricht, durch Rückschluss patris mietest neben mea 
interest zu verstehen und daran das beiden Verben gemeinschaftliche anzureihen, dass es kaum zu 
entschuldigen wäre, etwa mit Rücksicht auf das seltenere Vorkommen von referl auf eine so 
vorzügliche Gelegenheit zur logischen Schulung zu verzichten. — Die gleiche Rücksicht be- 
stimmte mich bei Behandlung der Orts- und Zeitbestimmungen. Die Reihe 1. Lokativ, 2. 
lokativischer Ablativ, 3. lokativischer Ablativ mit der Präposition in, ferner 
I. temporaler Lokativ, 2. remporaler Ablativ, 3. temporaler Ablativ mit der 
Präpos. in drängen sich aus der wissenschaftlichen Grammatik förmlich auf: und warum sollten 
wir sie zurückweisen, wenn durch sie das sprachliche Verständnis gefördert, der Unterricht 
selbst aber erleichtert wird? — Auch bei Erklärung der Konstruktion amans patriae war für 
mich die Herleitung der Verbindung viel wichtiger, als die Häufigkeit des Vorkommens, denn 
die Reihe liberalor patriae — amans patriae — cupidns glariae ist an sich so klar und prägt sich 
so leicht dem Gedächtnis ein, dass dem gegenüber statistische Gründe gar kein Gewicht haben. 
— Mit der Reihenfolge 1. Infinitiv als Objekt, 2. als Subjekt bin ich der wissenschaft- 
lichen Richtigkeit und dem Verständnis des Gewordenen durch Einblick in das Werden gleich- 
falls entgegengekommen. — Die Konstruktion des doppelten Akkusativ 2 *), sowie des 
doppelten Dativ pflegte man bisher als etwas Fertiges den Schülern vorzulegen: und doch 
ist das Durchdringen des Wesens dieser sprachlichen Erscheinung äusserst leicht und der Ge- 
winn für das allgemeine Sprachverständnis durch richtige Erklärung sehr gross. Dass aus 
Latein lehren (Objekt und Verbum) ein Begriff Lalcinkbren entsteht, begreift jeder Quartaner; 
dass dieser Begriff Laleinlehen ein persönliches*) Objekt zu sich nehmen kann, macht ebenso 
wenig Schwierigkeit. Beim prädikativen Verhältnis ist es gerade so : aus blutig schlagen wird 
ein Begriff bluligschlageu, und dieser verbindet ein Objekt mit sich, also Jen Sklaven blutig schlagen. 
Dass usni est ^ utilis est ist, liegt auf der Hand ; wie man nun sagt exercitatio mihi uiilis est, so 
auch mihi usni est, und damit ist der doppelte Dativ erklärt und ebenso die Unzulässigkeit 
von meae laudi est statt mihi laudt est nahegelegt. Es ist daher ganz falsch, beim doppelten 
Akkusativ (oder Dativ) vom persönlichen Objekt auszugehen, also von pueras docere und dann 
pueros liuguam latinatn docere anzureihen. Ohne weiteres macht sich der Nutzen der richtigen 
Auffassungsweise dieser Konstruktion bei der Erklärung des Acc. c. inf. geltend; denn linguani 
latinant te doceo und Inline loqui te doceo sind auls engste verwandt; von Inline loijni le doceo 
oder iubeo oder audio ist dann die Brücke zum Acc. c. inf. — einem Substantivsatz mit dass, 
also ich höre dich Latein sprechen = ich höre, dass du Latein sprichst leicht herge- 
stellt. Der verständige Lehrer wird daher bei der ersten Einübung streng sich an die Ent- 
wicklung der Konstruktion linguam doceo — linguam te doceo — loqili te doceo — 
loqui disco (doeeor) halten, und am Schlüsse wiederholungsweise die Reihen von den 
Schülern selbst bilden und durch ähnliche Fälle erweitern lassen. — Wenn ich es seiner Zeit 
bei einer Besprechung ■'•) der lat. .Schulgrammatik von Scheindler als wenig glücklich be- 
zeichnen musste, dass Scheindler misereor alieuius — tnisericordiam alieuius misereor auffasste, so 
habe ich damit das Prinzip der Erklärung keineswegs getadelt, sondern nur das verunglückte 
Beispiel Ich bin in meiner Grammatik von der Stelle Scneca suasor. 6, 17 (Tod des Cicero) 

**) Kein Lehrer möge versäumen, die Schrift von Piger, die sogenannten ( »rammen im Gebrauch des 
lateinischen Akkusativs, Iglau 1X79 I'ro^r. einzusehen. 

") Vgl. Jüdische Scbulblättcr 1SS0 S. 
*) Hier wie sonst fasse ich „pe 1 s o n i i c h" im weiteren Sinne, wodurch auch der kürjlich von J 11 n wirt h 
Gymu 188a S. 619 Remachte länwand, was heisst denn „einem Hunde dis Animieren lehren" beseitig wird. 
Die lebenden Wesen reihen sich hier dem Menschen an, weshalb auch clip.i a murihus J.ivsi stml selbstverständlich ist. 




11 



cum modo venti adver si cum rettulissent, modo ipse iactationcm ttavis pati non possei, tatdium t andern 
cum et fugae et vitae cepit ausgegangen und konnte daher unbedenklich laedet nie vitae mit 
Medium tue vitae capil gleichsetzen, um so mehr, als auch ein klassisches Beispiel zur Verfügung 
steht, nämlich Cic. off. i, 26 Pierique adduatntur, tit eos iustilitae capial oblivio, cum in imptrh' 
rum, bonorum, gloriae cupiditatetn incidtrunt; hier ist ul eos iustitiae capial oblivio = ut instiliae obli- 
viscantur. Wenn also obliviscor = tue capit oblivio, so ist misereor = nie capit misericordia = nie 
miseret. Daher wird der Lehrer mit Recht von taedium me capit = laedet nie ausgehen und 
so den Genetiv vitae bei laedet leicht erklären. So wird man auch begreiflich finden, dass ich 
laedet trotz seines relativ seltenen Vorkommens nicht gestrichen habe; ich konnte es als sicheren, 
durch ein recht praktisches Beispiel belegten Ausgangspunkt nicht entbehren zum Verständnis 
eines sonst auffallenden sprachlichen Vorganges. Verständnis und bildender Wert steht mir 
aber höher als der statistische Wert. — Bei der Darstellung des Gen. partitivus habe ich 
Waldecks Forderung 88 ), gleich von vorne herein das wirkliche vom scheinbaren Teil- 
verhältnis scharf zu scheiden und so einen soliden Grund für die Regel zu legen, wohl beach- 
tet und deshalb entgegen der sonstigen Übung, die scheinbaren Teilverhältnisse in eine An- 
merkung zu verweisen, diese vorausgeschickt. Es bleibt natürlich dem Lehrer überlassen, den 
Unterschied zwischen pauci familiäres nwi und pauci de familiaribus nieis an mehreren Beispielen 
genau zum Bewusstsein zu bringen, — Verweisen will ich auch darauf, wie einfach sich der 
adverbiale Akkusativ aus dem sog. Inhaltsakkusativ entwickelt. Ich würdige recht wohl die 
Gründe, welche G oll in g 29 ) veranlassten, die Ausscheidung des Inhaltsakkusativs aus der Schul- 
gramniatik zu verlangen, und Landgraf' 10 ), diesem Verlangen Gollings beizustimmen. Allein 
die überaus einfache und durchsichtige Herleitung des sonst merkwürdigen adverbialen Ge- 
brauches des Akkusativs aus dem Inhaltsakkusativ lässt mich ihnen nicht folgen. Zudem halte 
ich es für eine Hauptaufgabe unseres grammatischen Unterrichts, den Schülern von frühe auf, ent- 
sprechend natürlich ihrem Alter und Fassungsvermögen, Einblick in das Leben der Sprache 
zu gewähren. Ein solcher Blick eröffnet sich hier, und die Schüler sehen, wie eine Wendung 
die andere nach sich zieht und wie die Analogie im Leben der Sprache eine so bedeutende 
Macht ist. Mit ganz anderen Augen betrachten sie nun ihr partim^ palam, alias, ciretim, und es 
dämmert ihnen von selbst, was man in der Wissenschaft Isolierung nennt. Später in Ober- 
sekunda und Prima trage ich gelegentlich grammatischer Repetitionen kein Bedenken, den 
Schülern auch den Namen Isolierung mitzuteilen und sie zur Sprachbeobachtung im Leben der 
Muttersprache (wozu Rudolf Hildebrand so treffliche, nicht genug zu beherzigende Winke 
giebt) anzuleiten. — Es sind über 12 Jahre verflossen, dass ich Neue Jahrbb. (1878 S. 597) 
über den Nutzen einer Vergleichung des deutschen Satzbaues (einschliesslich der syntak- 
tischen Form) mit dem lateinischen gehandelt habe, und ein Mann, vor dessen feiner Auffas- 
sung aller sprachlichen Dinge, Beherrschung der klassischen Latinität und praktischem Blick 
ich unbegrenzte Hochachtung habe, Direktor J. Lattmann in Clausthal, hat in einer sehr 
anregenden Abhandlung darauf Bezug genommen" ) und in einem höchst wichtigen Punkt, der 
Lehre vom Gebrauche der Tempora und Modi, auf die logische Schulung, die sich mit der 
richtigen Behandlung derselben verbinden lässt, hingewiesen. Die Lehre von dem Satzbau in 
der Stilistik in Verbindung mit der Satzuntcr Ordnung in der Syntax regt fast an jeder Stelle 
zur denkenden Betrachtung der Satzverhältnisse an; aus der richtigen Erkenntnis der im Deut- 
schen obwaltenden logischen Beziehungen folgt dann die Aufgabe, die dem logischen Ver- 
hältnisse entsprechende lateinische Form zu wählen. Hier bedingen sich jeweils eine ganze 

*") Vgl. A. Waldeck, Die didaktische Formgebung in der altsprachlichen Grammatik, Lehrproben ' und 
Lehrgänge 17 Hott, S. 17. 

s ») In Gymnasium 1884 S. 406. 

»") In Woch. f. klass. Philo]. 1886 S. 1264. 

3 ') In der bereits Anmerkung 20 erwähnten Progranimabhandlung, die .Kombination der methodischen 
Prinzipien in dem lateinischen Unterricht der unteren und mittleren Klassen', Clausthal 1882 S. 32. 



Digitized by Google 



12 



Reihe logischer Operationen ; diese richtig zu leiten, ist Aufgabe des Lehrers; die Schulgram- 
matik muss jedoch die Andeutung und Anweisung dazu geben, wenn auch die ins einzelne ge 
hende Ausführung dem mündlichen Verfahren zu überlassen ist. 

Ein sehr wichtiger Punkt in einer lat. Schulgrammatik für Deutsche ist das stete 
Ausgehen vom Deutschen oder das Zurückgehen auf das Deutsche""). 

Es ist in neuerer Zeit von verschiedenen Seiten betont worden, dass diejenigen syn- 
taktischen Punkte, welche keine Verschiedenheit in beiden Sprachen hinsichtlich der Auffassung 
oder der Behandlung zeigen, übergangen M ) oder nur kurz berührt werden sollen. Das erstere 
ist manchmal unmöglich, wenn wir eine vollständige Syntax und nicht etwa einen Torso ha- 
ben wollen. So z. B. stimmt der Gebrauch des Dativs als indirekten Objekts im Lateinischen 
mit dem Deutschen überein, wenn wir faveo ich begünstige etwa ausnehmen. Gleichwohl kann 
derselbe nicht unerwähnt bleiben, weil wir den Begriff ,, indirektes Objekt" brauchen und nur 
hier gewinnen und weil sonst ein vollständiges Bild von den beiden grundlegenden Bedeu- 
tungen des Dativs (wie ich sie in der Grammatik mit I und II hervorgehoben) und ihrer Er- 
scheinung im einzelnen nicht zu gewinnen ist. Dagegen habe ich berechtigten Mahnungen 
in Punkten, die das System nicht berühren, gerne mich gefügt. So wird man vergeblich bei 
mir nach einer Kongruenzregel für das Prädikat nach den mittels auf — mit, et — et zusam- 
mengestellten Subjektswörtern suchen si aut Socratcs aitt Antisthenes diceret hat für uns 
nichts Auffallendes, der Schüler wird den Satz leicht verstehen und ebenso bei der Übertra- 
gung eines entsprechenden deutschen Satzes ins lateinische unbedenklich den Singular setzen; 
wozu also eine Regel? 

Vom Deutschen ausgegangen bin ich: 

1. Bei der wichtigen Regel, dass Verba, die sonst kein sachliches Objekt annehmen, 
ein neutrales Pronomen oder Zahladjektiv als inneres Objekt zu sich nehmen. Der Schüler, 
der eben vitam vivo gelernt hat und nun den Satz hört „was ich lebte, was ich strebte", ist sich 
sofort über zweierlei klar; 

1) dass was in beiden Phrasen inneres Objekt ist; 

2) dass man wohl was ich strebte, doch nur „nach Erkenntnis strebte ich' sagen kann. 
Mit dieser Einsicht ist nun auch das Verständnis für id studeo, id operam do neben lit- 
ten* stndeo oder valetudini operam do gegeben; 

2. bei der Frage, wie es kommt , dass bei ebendemselben Verbum ein persönliches 
und ein sachliches Objekt zugleich stehen können, vgl. auch oben S. 10; 

3. bei der Konstruktion der Verba des Erinnerns und Vergessens. Hier genügt 
es vollständig, an dem Beispiel „gedenket der Armen" das gleichmässige Verfahren beider 
Sprachen zu zeigen. Dass nach venit mihi in meutern auch der Genetiv folgt, ist lediglich 
Macht der Analogie, indem sinnverwandte Wörter oder Phrasen auch hinsichtlich der Kon- 
struktion sich beeinflussen; vgl. oben S. 3. Der Lehrer mag noch beifügen, dass auch wir 
im Deutschen sagen: „wie könnt ich Dein vergessen", doch nur „wie könnt ich dies vergessen!" Über 
oi'liviscor — nie capit oblivio, vgl. S. 11; 

4. bei der Regel über den Gebrauch der Verba iudicialia. Hier deckt sich der 
lateinische mit dem deutschen Ausdruck bei den Verba beschuldigen und nberßtbt en ; sobald die 
Konstruktion an diesen beiden Verba erkannt ist, macht die Übertragung auf die andern Verba 
der gerichtlichen Handlung keine Schwierigkeit mehr. Wenn neuerdings — um dies gleich 
zu erledigen — daraufhingewiesen wurde 31 ), dass ja in Sätzen wie convinco le non inhumanitatis 

31») \\.|, die wichtige Abhandlung von Vogt, Das Deutsche als Ausgangspunkt im fremdsprachlichen 
Unterricht. Neuwied, Programm 1886. 

31 ) Vgl. Waldcck, Lehrproben und Lehrgänge Heft 17 S. 15: .Alles, was mit dem Deutschen überein- 
stimmt oder leicht sich aus der Analogie desselben entwickeln lässt, darf nicht Gegenstand einer Regel sein*. 

") Vgl. Wal deck 1. I. S. 12. 

*') Von Marg im Programm von Meseritz 1878 S. 16. 



Digitized by Google 



VA 



solum, sed etititti amentiae (Cic. Phil. 2, <?) an gar keine gerichtliche Handlung zu denken sei. 
so genügt dem gegenüber der Hinweis, dass für den Romer die Sprache des Gerichtes eine 
Menge von Phrasen auch für das gewöhnliche Leben lieferte. Ich habe vor 10 Jahren 
schon an der Sprache des Ser. Sulpicius Rufus (Cic. Farn. 4, 5) und des P. Vatinius (bei 
Cic. Farn. 5, 9 und 10) nachgewiesen 3: '), dass der juristische Sinn des römischen Volkes sich 
auch in vielen Übertragungen von Redensarten und Konstruktionen aus dem Gerichtssaal ins 
Privatleben äussert. Dies ist dem Schüler schon frühe klar zu machen, sonst entgeht ihm 
das V erständnis für viele Phrasen, und er steht ratlos da, wenn er später bei Tacitus ann. 3,25 
perieli lautes — die Angeklagten findet. Zugleich hat hier der Lehrer eine vorzügliche Gelegen- 
heit, dem Schüler einen Blick in „das Leben der Wörter" zu gestatten 3 "). Periculum ist 
ursprünglich Versuch, dann gefährlicher Versuch (Gefahr), dann gefährlicher Versuch vor Gericht — 
Proras, somit pcriclitantes = welche die gefährliche Probe vor Gericht bestehen haben — 
Angeklagte ; 

5. bei der Erklärung des Akkusativs auf die Frage wohin? da auch wir vom 
„Markt gehen, Kirche gehen, heim gehen" sprechen und daran domum und rus, sowie 
Romain ire sich leicht anschliessen ; 

6. beim Nachweis, dass der sog. Abi. absolutus nichts anderes ist, als ein mit 
einem Subjektsprädikativum versehener Ablativ; 

7. zur Darlegung des Grundes, warum lateinisches Futurum steht, wo wir das 
Praesens, und Acc. c. inf. Futuri, wo wir den Infinitiv des Präsens setzen; 

8. zum Beweis der genauen Einhaltung der consecutio temporum im Lateini- 
schen, wo wir die Bezeichnung der Vorzeitigkeit unterlassen oder zum Konditionalis greifen. 
Über die Vorbereitung der Schüler durch den Lehrer auf diesen höchst wichtigen Unterschied 
der deutschen und der lateinischen Modus- und Tempusfolge vgl. Lattmann, Progr. Clausthal 
1882 S. 32. Ausserdem wird man noch an anderen Stellen der Grammatik das Deutsche als 
Ausgangspunkt der Erklärung finden. 

Aufs Deutsche zurückgegriffen habe ich bei der Regel: 

1. dass der Gen. oder Abi. qualitatis stets mit einem Attribut verbunden ist 3 '); das 
Beispiel aus Unlands „Schwäbische Kunde" (ein Herr aus Schwahenland, von Ijohem Wuchs und 
starker Hand) ist sehr bezeichnend und allen Schülern bekannt; 

2. dass ftigio, invo etc. ein Akkusativobjekt zu sich nehmen; der Hinweis aul bedeu- 
tungsgleiche, im Deutschen gleichfalls transitiv gebrauchte Verba, wie scheue, meide, unterstütze 
erleichtert die Einübung der Konstruktion ausserordentlich, namentlich im Passiv, wo die Um- 
wandlung des Satzes 

mir wird geholfen \ ... , 

oder man hilft mir' \ m ,ch werde 

dem Quartaner die I Iauptschwierigkeit für die Übersetzung aus dem Wege räumt ; 

3. dass parco, maleor etc. mit dem Dativ verbunden werden. Hier gehen wir den um- 
kehrten Weg, wie bei adittvo. Persuadeo ist mit Erfolg (vgl. über per Nägelsbach -Müller 
Stil.» S. 322) raten, somit 

... . f mir wird mit Erfolg geraten 1 . , .... . . , 

mihi per suadetnr J man rät mir mit Bfolg j— ich werde überredet, uberzeugt ; 

4. dass utor, fruor, etc. mit dem instrumentalen Ablativ konstruiert werden. Ausgehen 

*-') In Z. f. Gyirm. 188t S. 88— i|i und im Programm von Mannheim 1881. 

: '*) Für den Lehrer verweise ich auf Heerdegen, Untersuchungen *ur lat. Semasiologie, Erlangen t87>; 
dess. Neubearbeitung des scmasinlogischen Teiles der Reisig'schen Vorlesungen über lat. Sprachwissenschaft, Berlin 
1X8.N; Darm est et er, la vie des mots etudiee dans leurs significatious, Paris 1887; Breal, l'histoire des niots, in 
Revue des deux mondes 1 887 S. 187 — 212; Wölf f 1 i 11, Über Bedeutungswandel, Verhandlungen der $9. Phil.-Vcr- 
sanimtung S. 61—70. 

") Vgl. dazu He um ann im Programm des Max-Gymuasiums in München 1871 S. 10 



Digitized by Google 



wird der Lehrer am besten von dem Beispiel aus Caes. b. Gall 5, 14 Britanni carne et lade 
vivunt; hier ist der Instrumentalis jedem Kind einleuchtend. Von vivo carne gehe ich über zu 
vescor carne, damit ist auch fruor, ntor atme et hiete gegeben und das Verständnis der Kon- 
struktion hergestellt. Unentbehrlich aber ist die Bemerkung, dass der Instrumentalis bei ntor, 
fruor etc. wie ein Objektskasus gebraucht sei. Diese Bemerkung ist wissenschaftlich durch- 
aus unanfechtbar, man vergl. nur !$ 99 Anm. 2 meiner wissenschaftlichen Syntax, wo die ursprüng- 
lich transitive Konstruktion der betr. Verba nachgewiesen ist; sie ist aber geradezu unent- 
behrlich wegen der Lehre vom Prädikativum, da ntor sich mit einem Objektsprädikativum 
verbindet und so schon bei Cäsar dem Schüler begegnet; vgl. abgesehen von tili alit/no teste, 
ditee, adiutorc u.a. 7, 77; 2, 7; 6, 35; 5, 41 namentlich b. Gall. 1, 47 lingiia Gallica multa tarn 
Arioviüns ulebatttr . Auf den ursprünglich transitiven Gebrauch von ntor muss man sich übri- 
gens auch bei der Erklärung des Gerundivs uteiidui berufen; 

5. bei der Darlegung, wie es kommt, dass neben dem Objekt noch ein Objekts- 
prädikativum stehen kann, da liebhaben — carum habere — ein Begriff ist, der dann ein 
direktes Objekt zu sich nimmt; 

6. zur Erklärung der Entstehung des Acc. c. inf. ; 

7. zur richtigen Unterscheidung des Perf. praesens und des Perf. historicum; 

8. zum genauen Verständnis der umfassenden Bedeutung des selbständigen Kon- 
junktivs ; 

9. zur Erklärung der Konstruktion von memini mit Inf. praes. 

Die Grammatik muss bei aller Deutlichkeit dem Schüler Gelegenheit Zill' sponta- 
nen ThKtigkeit geben. Wie im übrigen Unterricht ist es auch in Behandlung der lat. Gram- 
matik Hauptaufgabe des Lehrers, in richtiger Abwechslung den Schüler rezeptiv und dann 
wieder spontan thätig sein zu lassen. Nichts ermüdet mehr, als dauernde Rczeptivität ; 
manche Lehrer sprechen mit Entsetzen über eine lange Rede, die sie anhören müssen, denken 
aber nicht daran , dass sie fast täglich ihren Schülern eine noch unerträglichere Qual 
auferlegen. Solche Punkte in der Behandlung der lat. Grammatik, welche dem Schüler Ge- 
legenheit zur Erprobung spontanen Eingreifens unter Führung des Lehrers geben, sind : 

1. die Auffindung derjenigen Konstruktionen, denen ein neutrales Pronomen oder 
Zahladjektiv als inneres Objekt entspricht; also dass mau zwar sagt: 

id sttideo, aber nur stndeo arli, 

cetera tibi assenliorj aber nur assentior tibi in hac re, 

id nos admonet amiens, aber de officio nos adntonet anticus, 

id mihi persnadetur, aber peruadeo tibi 11t (oder Acc. c. inf. ) u. ä. 

2. das Aufsuchen, welche Art von Prädikatsbestimmung im Deutschen dem lat. In- 
strumentalis in den Beispielen § 48, z. B. pila ludere, fidibns canerc , hospitio aeeipere u. a. 
entspricht. Ich habe deshalb absichtlich nur gesagt „der Abi. instrumenti wird vielfach ge- 
braucht, wo wir eine andere Auffassung der Prädikatsbestimmung haben; festzustellen, 
welches jeweils im Deutschen die an der e Auffassung sei, ist eine ausgezeichnete Übung spon- 
taner Thätigkeit; 

3. die Feststellung des logischen Verhältnisses beim Asyndeton. Ich habe deshalb 
das Asyndeton etwas eingehender behandelt, um den Lehrer auf den ausserordentlich bildenden 
Wert, der in Untersuchung der logischen Beziehungen asyndetisch zusammengestellter Sätze 
sich zeigt, aufmerksam zu machen. Die von mir beigebrachten Sätze sind hinsichtlich ihres 
Zusammenhanges höchst einfach; es ist Sache des Lehrers, daran schwierigere Beispiele zu 
knüpfen und namentlich aus der Lektüre die Schüler selbst anreihen zu lassen; 

4. die oben besprochene Einreihung in der Grammatik nicht behandelter Fälle 
unter die richtige Kategorie. Der Lehrer wird gelegentlich der Lektüre Veranlassung nehmen, 
die Einzelerscheinungen, welche in einer kurzen Grammatik keinen Platz finden können, von 



Digitized by Google 



15 



den Schülern selbst charakterisieren und in dem System unterbringen zu lassen. Ich greife 
ein Beispiel heraus: Caes. b. Call. 2, 8 proelio supet setlere slatuil. Der Schüler wird geneigt 
sein, in proelio einen Dativ zu erkennen nach 55 29; thatsächlich findet sich auch im b. Afr. 
75. 2 supersedere pugnae, vgl. Wölfflin zur Stelle. Der Lehrer wird aber auf die Bedeutung 
des Wortes hinweisen mit Beiziehung etwa von Cic. Farn. 4, 2 supersedeas cemeo Ihk itinere -- 
absehen von, Umgang nehmen von, und so wird der Schüler schliesslich auf den separativen Ab- 
lativ kommen. Ähnlich verhält es sich mit veritus navibus bei Caes b. Gall. 5, 9, 1, wo vereri 
alicui ■ liniere alicni besorgt sein für, mit hos Stiebi nuillo injirmiores ndegerunt, wo redigere 
wie reddere, facere mit Objektsprädikativum verbunden ist u. s. w. 

5. die Zusammenstellung dessen, was an verschiedenen Orten über das 
Partizip und seinen Gebrauch gelehrt worden, was über Gerundium und Gerundivum sich 
findet; die Vereinigung der Erscheinungsformen im syntaktischen Gebrauch des Akkusativ, fer- 
ner des Dativ, des Genetiv, des Ablativ unter einem Hauptgesichtspunkte; die Nebeneinander- 
stellung der Konstruktion der zusammengesetzten Verba mit Akkusativ, Dativ, Ablativ; die 
Auffindung aller Regeln, die sich auf Temporalsätze, Kausalsätze, Konzessivsätze beziehen und 
die Anordnung nach diesen Prinzipien ; die Vergleichung von Satzteil mit Nebensatz, wo sich 
solche auffällig entsprechen, wie z. B. Abi. causae und Kausalsatz, Abi. temporis und Tem- 
poralsatz; die Vergleichung aller Konstruktionen von facere, nämlich 1. facio ut, 2. bene facis, 
quod, 3. facio te saltantem und mundum aedificari, 4. fac venias, 5. fac me posse, vgl. Radtke 
Progr. Wohlau 1884 S. 13 u. ä. Hierher rechne ich auch, was Waldeck in den Lehrproben 
Heft 19 S. s über die Verwendung des Gegensatzes in der Grammatik sagt. Für die 
systematische Grammatik wird davon wenig verwendbar sein ; um so mehr aber lässt sich 
damit bei der Wiederholung und Einprägung des Gelernten machen. Der Lehrer wird 
selbst noch mancherlei Gruppicrungsarten finden, damit er bei den Repetitionen in Sekunda 
immer wieder neue Gesichtspunkte angeben kann, welche dem Schüler die Wiederholung an- 
nehmbar machen ; denn eine Rcpctition ohne jegliche Anregung und ohne den geringsten neuen 
Sporn muss abschreckend wirken, und Wal deck mag Recht haben, dass nichts dem Schü- 
ler die alten Sprachen verhasster macht, als das ewige Wiederkäuen halbverstandener Regeln. 

Die Frage nach den Beispielen spielt in einer Schulgrammatik eine grosse Rolle. 
Genügt es für die historische Syntax, zur Charakterisierung einer syntaktischen Erscheinung 
einen beliebigen Satz, in dem dieselbe deutlich zu Tage tritt, aus einem Schriftsteller der betr. 
Sprachperiode herauszunehmen, oder für eine wissenschaftliche Grammatik der klassischen 
Sprache ein recht bezeichnendes Beispiel aus Cicero oder Cäsar für die betr. Regel gefun- 
den zu haben, so befindet sich der Verfasser einer Schulgrammatik in einer viel ungünstigeren 
Lage; Zillgenz hat Recht, 3 *) dass ein Satz aus Cicero entnommen, deshalb noch lange kein 
brauchbares Beispiel für die Schule sei; hier werden viele und oft kaum zu vereinende An- 
forderungen an die Musterbeispiele gestellt. 

Zunächst soll das Beispiel kurz sein. Ein kurzes Beispiel wird rasch aufgefasst, leicht 
verstanden und ohne Mühe dem Gedächtnis eingeprägt. Ein langer Mustersatz dagegen 
macht es dem Schüler oft unendlich schwer, die Sache, um die es sich handelt, herauszufin- 
den, und die Arbeit des Auswendiglernens steht in keinem Verhältnis zum Gewinn an geisti- 
gem Besitze. 

Das Beispiel darf nicht vorgreifen, d. h. nichts bringen, was erst in einer spä- 
teren Regel behandelt wird. Es soll das Musterbeispiel demnach nur eine ungelöste Frage 
für den Schüler enthalten, d. h. alles, was der Satz enthält, soll ihm an sich klar sein, ausser 
der Spracherscheinung, für welche der Satz ausgewählt ist. Es wird somit überaus schwierig 
sein, in den ersten Partien der Syntax gute Beispiele beizubringen, weil hier das syntaktische 
Wissensgebiet des Schülers noch sehr begrenzt und die Schranken sehr eng gezogen sind. 



J ') 1d W. f. kl. PhiloL 1887 S. .102. 




in 



Mit dem Fortschreiten des Werkes treten diese Schwierigkeiten zurück, doch kommen hier 
freilich andere, gewichtigere dazu. 

Die Musterbeispiele sollen thunlichst auf das bereits Gelernte zurückgreifen 
und somit der steten Wiederholung dienen. Das was früher erkannt und geübt worden, kann 
dem Schüler in der Erkenntnis des neuen nicht hinderlich sein. So wird bei Behandlung der 
Ortsbestimmungen im Satze quidquid datur otii, in studiis consumamus die partitive Verbin- 
dung quid quid otii nicht aufhalten; im Satze Di nulla re egentes et inter se diligunt et homi 
nibus consulunt stört die Konstruktion hominibus consulunt nicht, wiederholt und befestigt 
aber bereits Gelerntes. Das Gleiche gilt Tür Sätze wie Qui pace diutina volunt frui, bello 
exercitati esse debent; Alcibiades dorn um ad causam dicendam redire iussus est; Mise- 
randa est vita eorum, qui se metui quam amari malunt; Ptolomaeus a filio vita privatus 
esse dicitur; Tempus in agrorum cultu consumere dulce est; Ncc metuam quidquam et 
cavebo omnia u. s. w. (wo überall das Gesperrte Wiederholungsstoff ist). 

Der Mustersatz soll so beschaffen sein, dass der geistige Besitz des Schülers da- 
durch vermehrt werde. Diese Forderung ist alt, neuerdings aber von Burger im Programm 
von Freising 1880 mit Recht hervorgehoben werden. Ich sehe zwar, dass Theobald Zieg- 
ler gelegentlich der Besprechung der griechischen Schulgrammatik von Wendt (Württemb. 
Korrespondenzblatt 1888 S 494.) aul Grund seiner Erfahrungen behauptet, dass „der Schüler 
dem Inhalt der grammatischen Beispiele sehr wenig Wert beilegt". ^ Dem entgegen kann ich 
auf Grund meiner Erfahrungen sagen, dass die Schüler, wenn anders der Lehrer es versteht, 
mit dem Interesse für das Formale das für die Sache zu wecken und richtig zu verbinden, sich 
darauf freuen, auch in den Inhalt des Mustersatzes eingeführt zu werden. Ich habe des- 
halb oft nur durch ein Wort oder einen Namen in Klammer dem Lehrer angedeutet, dass 
er hier auf den Inhalt eingehen und dem Schüler den Zusammenhang naher darlegen soll. 
Dies Verfahren ist psychologisch wohl begründet. Eine grammatische Lehrstunde, die eben 
gar nichts als Grammatisches bringt, ermüdet den Schüler zu sehr; versteht es aber der Lehrer, 
an richtiger Stelle durch den Inhalt der Beispiele die Schüler auf eine Minute aus dem Formalen 
herauszubringen, so sind dies kostbare Ruhepunkte, welche auf die geistige Erfrischung der 
Schüler eine überaus wohlthätige Wirkung haben. Namentlich wird der Schüler uns 
dafür dankbar sein, der weniger Sinn für das Formale hat und deshalb nur mit grosser 
Mühe und Anstrengung dem grammatischen Unterrichte folgt. So wird beim Satze Ex me 
natam relinquo pugnam Leuctricam (Epaminondas), ferner Qualis artifex pereo (ruft Nero 
sterbend aus), Ciceronum alter eget frenis, alter calcaribus (Cicero von Sohn und Neffen); 
Salvum te advenisse gaudeo (Begrüssung eines Kommenden) ; Certis rebus certa signa prae- 
currere solent (glaubten die Romer) ; Oblivisci nihil soles nisi iniurias (Cicero zu Casar); 
Dcsperans victoriam coepi suadere pacem (Cicero bei Beginn des Bürgerkrieges) der Lehrer 
mit Leichtigkeit die inhaltliche Bedeutung der Musterbeispiele klar legen Ja, ich gehe noch 
weiter und behaupte geradezu, dass der Inhalt des Beispiels oftmals den Ausgangspunkt 
für die Erklärung einer grammatischen Regel abgiebt. Man vgl. den Satz hu, tibi itiiin- Jörn 
sunt, Untres errart videres: der Lehrer geht aus vom Begriff forum, lasst sich sagen, was jora 
sind, wo dieselben gesucht werden müssen, was früher an diesen Stellen Roms sich befand, 
was man also damals dort sehen konnte oder hiitte sehen könnt*». Dadurch, dass er 
sich direkt an den Schüler wendet: „was hättest du da sehen können"? ist auch die zweite 
Person erklärt: „gerade wie ich mich an dich allein wende, aber jeden von euch meine, so 
sagt auch der Dichter videres, meint aber jedermann damit." Ein vortreffliches Beispiel für 
diese Art, vom Inhalt auszugehen, bietet W. Müller in seiner Probelektion „Der unabhängige 
Konjunktiv im Lateinischen" in Lehrproben 4 S. 16 —24. Er hat den Beweis geliefert, dass 
Waldeck mit Unrecht die Möglichkeit bestreitet, „dem Schüler zugleich das Wesen einer 



') Auch vou Kobilinski spricht sich in 7„ f. Gymn. 1KS6 S. 71} ähnlich wie Ziegler aus. 




17 



einer Satzform und den Inhalt einer geistreichen Sentenz einzuprägen, ohne dass das eine 
durch das andere beeinträchtigt wird" (Lehrproben 15 S. 49). Gerade in diesen Senten- 
zen aber wie Fortunam citius reperias quam retineas, oder Homo probus otficii cupidior 
est quam pecuniae, ferner in passend gewählten Sätzen aus Geschichte oder Sage, aus Wahr- 
heit und Dichtung, in einem geflügelten Worte u. ä. nimmt der Schüler fürs praktische Leben 
einen ethisch wichtigen Schatz mit. — Dass die Schüler schliesslich einen Satz, der für sie 
inhaltliches Interesse hat, viel leichter und viel lieber dem Gedächtnis einprägen, als einen 
inhaltslosen, ist selbstverständlich. 

Damit kommen wir auf die Forderung, dass das Beispiel leicht lernbar sei. Ks 
muss deshalb möglichst abgerundet, in sich inhaltlich abgeschlossen und der Form nach nicht 
schwerfällig sein. Naturlich eignen sich dichterische Heispiele ganz besonders zum Auswen- 
diglernen, weil sie meistens aui den engen Raum eines Verses sich beschränken und durch das 
Metrum sich leicht einprägen. In der Wertschätzung solcher Mustersätze befinde ich mich 
in einem gewissen Gegensatze zu Draheim, welcher wenig von Stellen aus Dichtern, die 
dem Schüler noch lerne liegen, wissen will, dagegen eigene Zusammenstellung von geeig- 
neten Beispielen aus Ovid durch den Schüler selbst billigt. 4 ") Letzteres Verfahren halte ich 
gleichfalls lür sehr erspnesshch, wie ja überhaupt die Lektüre nicht genug ausgebeutet werden 
kann. Allein Satze- allgemein verständlichen Inhalts, namentlich Sentenzen, die mit der Kürze 
Prägnanz verbinden und die Regel rasch veranschaulichen, habe ich mich nicht gescheut, 
sogar aus entlegenen Dichtern zu entnehmen, z. B. für das Perf. praes. aus Auson. epigr. XIII, 
4 iion revocare poles, qui peritre dies (fwricre = dahin sind). 

Leider bietet die lat. Poesie im grossen und ganzen wenig geeigneten Memoi ierstoff. 
Greifen wir auf Plautus und Terenz zurück, so sind wir stets in Gefahr archaische Konstruk- 
tionen oder veraltete Worter in die Schulgrammatik cinzuluhren, die doch nur den Sprach- 
gebrauch der besten Zeit der Prosa lehren soll. Das goldene Zeitalter der römischen Dich- 
tung hat sich aber in so vielen Punkten vom mustergiltigcn Gebrauch des ciceronischen Stils 
entfernt, dass wir hier Gelahr laufen, Gräzismen und Erscheinungen der bereits sinkenden 
Sprache aufzunehmen. Zudem ist die römische Dichtung viel ärmer an kurzen, passenden Sen- 
tenzen als die griechische Poesie. Immerhin aber haben mir die Sammlungen von Mogk 
( Programm von Tilsit 1882 und [884), sowie die eigene Lektüre manches Beispiel geliefert, 
welches an sich schon oder mit geringer Änderung sich verwenden liess; so h;*be ich z. B, 
Cato dist. 1, j quae punire soles statt quae culpare soles geschrieben, (vgl. Antibarbarus 
s. v. culpare). Freilich Beispiele mit ausgesprochen poetischer Syntax oder nur poetischem 
Wortschatz habe ich nie aufgenommen; solche Sätze können nur verwirren und hindern das 
sichere Erlernen. 

Die eben angedeutete Abänderung der Beispiele und das Zustutzen derselben zum 
schulmässigen Gebrauch muss jedoch sehr vorsichtig geübt werden, und namentlich dürfen „geflü- 
gelte Worte" nicht willkürlich geändert werden; deshalb habe ich in meiner Besprechung 
von Scheindlers Grammatik auch die Entstellung des Satzes Qtiintili Ytire, legiones mldt (Suet. 
Aug. 23) rügen müssen. Die Fehler, welche sich manchmal durch Generationen hindurch 
vererben, ohne dass man darauf aufmerksam wird, verdanken ihre Entstehung oft ganz guter 
Autorität. Wenn z. B. Hartz in Neue Jahrbb. 1888 S. 25 das Beispiel hividtlio alioriwi o>m- 
modis als unlogisch tadelt, so muss ich bemerken, dass Nizolius genau so die Stelle Cic. de 
or. 2, 207 zitiert; von dem sonst trefflichen und wohl brauchbaren lexicon Ciceronianum Nizolii 
scheint der Satz in die Grammatiken gekommen zu sein. 

Die Hauptfundgrube für die Musterbeispiele sind die Schriften Ciceros und Casars, 
denn alle Mustersätze sollen klassisch sein, d. h. durchaus dem besten Sprachgebrauch ent- 

*") Vgl. Herl. Wiilol. Woch. 18X2 S. 1 $87. Dagegen wünscht ebendaselbst S. 117: ein Anonymus 
metrische Beispiele unter Berufung auf die ^rieohiKlan Grammatiken von Krüger und A. v. Bamberg. 




18 



sprechen. Ganz verfehlt aber ist die einseitige Durchführung eines an sich richtigen Grundsatzes, dass 
nämlich die Beispiele der Grammatik- der jeweiligen Lektüre entnommen werden sollen. Damit 
würde die Kasuslehre auf den Sprachschatz des Cornelius Nepos, der zusammengesetzte Satz 
auf Casars bellum Gallicum angewiesen sein. Allein unsere Schulgrammatik soll lür alle 
Klassen ausreichen, sie soll auch dem Sekundaner Beispiele bieten, die seiner Lektüre ent- 
sprechen, auch der Primaner hat Anspruch darauf, dass er Neues und Anregendes und Sol- 
ches finde, was seinem Gesichtskreis nicht zu fern liegt "). Und bei aller Hochachtung vor 
Casars Kommentarien und bei aller Anerkennung des Genusses, den ihre Lektüre auch dem 
gereiften Manne bietet, ist es doch unpädagogisch, dem Schüler toujours perdrix vorzusetzen. 
Ich habe mich daher bemüht, Cornelius Nepos und Casar für meine Schulgrammatik auszubeuten, 
ich habe aber auch mit grossem Nutzen ciceronische Schriften, so namentlich die libri de repu- 
blica ausgezogen und Sätze aus der römischen Geschichte und solche, die antikes Leben. 
Sitten, Gebräuche, Anschauungen darstellen, verwendet. So ist es möglich, mit der Grammatik 
auch das praktische Leben zu verbinden und im klassischen Musterbeispiel ein Stück antiken 
Lebens zu bieten. 4S ) 

Wiclrtig ist, dass für alle Hauptregeln ein Beispiel bezeichnet werde, welches unbedingt 
zu memorieren ist, damit der Lehrer in den folgenden Klassen mit Sicherheit auf das Muster- 
beispiel sich berufen kann. Oftmals genügt es bei der Lektüre oder dem Extemporale, nur das 
Beispiel rasch hersagen zu lassen, um dem Schüler sofort die Regel ins Gedächtnis zurückzurufen. 
Wo in einer Regel zwei AufFassungsweisen als gleichberechtigt angegeben sind, müssen natür- 
lich auch beide durch Musterbeispiele belegt werden; daher habe ich z. B. Magna juit </«(>//- 
dam capitis reverentia cani und Quid es) pietas nisi voluntas grata in parmtes gleichmässig als 
Musterbeispiele kursiv drucken lassen. 

Das wären im allgemeinen die Grundsätze, die mich bei der Auswahl der Stellen zum 
Belege der syntaktischen Regeln leiteten. Allein die Schwierigkeiten, allen Anforderungen 
überall nachzukommen, sind zu gross, und es dürfte gerade auf dem Gebiete der Beispiele keine 
Schulgrammatik sämtlichen Erfordernissen entsprechen. Ich habe auf manches schöne Beispiel 
verzichten müssen, weil es irgend einem meiner aufgestellten Hauptgrundsätze nicht entsprach, 
und gleichwohl ist es mir nicht gelungen, mich selbst in allen Punkten hinsichtlich der Mustersätze 
zu befriedigen. Zum Schlüsse spreche ich den Wunsch aus, es möge in einer Programm- 
abhandlung von einem erfahrenen Lehrer die Frage der Beispiele hinsichtlich Art, Herkunft, 
Inhalt, Form (poetisch oder prosaisch^, Umfang etc. etc. eingehend geprüft und zugleich erwo- 
gen werden, ob sich nicht bei den einzelnen Regeln Beispiele für die erstmalige Einübung, für 
die Repetitton in der nächst höheren Klasse und für die allgemeinen Wiederholungen in den 
Oberklassen vereinen Hessen. Damit käme man vielleicht der Forderung, dass immer der 
Schriftsteller den grammatischen Stoff zu liefern habe, entgegen. 

Wenn Direktor H. J. Müller in Z. f. Gymn. 1885 S. 437 als sein Ideal eine Grammatik 
bezeichnet, die aus Beispielen mit angehängten Regeln besteht, so hat Kollege Roth in 
Freiburg i. B. mit seiner vortrefflichen griechischen Grammatik (Leipzig, Teubner 1877) den 
Versuch einer solchen Anlage gemacht, die, wie er in der Vorrede richtig bemerkt 43 ), der 
mündlichen Durchnahme in der Schule entspricht. Aber bis jetzt ist ihm keine Schulgram- 
matik gefolgt; wenn auch jedermann den Weg billigt, dass man vom signifikanten Beispiel 
hei der Durchnahme der Regel ausgeht und den Schüler anleitet, daraus sich das Gesetz selbst 
herzuleiten und an den übrigen Beispielen die gewonnene Erkenntnis zu befestigen, so ist doch, 

4I ) Vgl. auch hiezu die Bemerkungen von Ko hilin s k i's in Z. f. Gymn. 1SK0, S. 712. 

") Vgl. liiezu H Meier in Z. f. Gymn. 18S4 S. 652, welcher für Jen Geschichtsunterricht der Quarta 
als naturgemissen Mittelpunkt den Cornelius Nepos verlangt. Auch die lat. Grammatik hilft der Geschichte aus 
und lehnt sich unigekehrt wieder an sie an, wenn man passende Beispiele aus der griechischen und römischen 
Geschichte als Mustersatze verwendet. 

") Vi;l auch von Kobilinski in Z. l. «vmn. 1SS6 S. 71t. 



Digitized by Google 



19 



wie von Kobilinski richtig bemerkt, die eigene Abstraktion des Schülers zu Hause eine viel 
zu schwere Arbeit; der Schüler wird daher zu Hause den umgekehrten Weg einschlagen, 
als ihn der Lehrer gegangen. Man wird somit an der bisherigen Übung auch ferner fest- 
halten, um so mehr als die Gewohnheit in Schulsachen eine grosse Macht zeigt. Eine Gram- 
matik ohne Regeln, wie sie in dem sonst trefflichen und recht übersichtlich angelegten 
Buche von Meissner ") gegeben ist, mutet dem Schüler zu viel zu; die 'notwendige Folge wird 
ein Regelheft zur Grammatik sein, und was dies sagen will, weiss jeder Schulmann von selbst. 

Zum wichtigsten , was der Verfasser einer Schulgrammatik zu beachten hat, 
gehört die Fassung der Regeln. Die Ellendt-SeyfTert'sche Grammatik hat in dieser Bezie- 
hung sich sehr viel sagen lassen müssen; ich sehe von den zahllosen Rezensionen in den ver- 
schiedensten Zeitschriften ab und verweise nur auf die beiden Programme von Marg (Meseritz 
1878) und von Golenski (Rogasen 1878). Unzweifelhaft ist vieles berechtigt, was in beiden 
Programmen an dem Seyffertschen Buche getadelt wird. Allein unwillkürlich hat der eine 
Verfasser (Marg) durch die That gezeigt, dass tadeln leichter ist als besser machen, und dass er, 
was er getadelt, selbst nicht entbehren kann. Auf S. 8 werden die Zusätze „gewöhnlich, 
in der Regel, im allgemeinen, zunächst, zunächst nur etc." bemängelt, weil durch 
sie das, was eben aufgestellt worden, immer wieder halb aufgehoben werde; aber auf S. \y 
wird von Marg selbst als „bessere" Fassung vorgeschlagen: ,,ln der Regel steht daneben 
noch ein Dativ der Person." Nach meiner Ansicht sind derartige Zusätze gar nicht zu ent- 
behren, wenn anders der Grammatiker dem Sprachgebrauch gerecht werden will. So steht bei 
mihi est nomen der Name selbst gewöhnlich im Nominativ, selten im Dativ; wie will man 
entsprechend dem Ergebnis der Beobachtung über das Vorkommen von Nominativ und Dativ die 
Fassung anders und doch richtig gestalten? Doch gebe ich Marg recht, dass im allgemeinen 
die von ihm gerügten Phrasen zu rreiden sind, und ich habe in diesem wie in vielen anderen 
Punkten seinen verständigen Bemerkungen viel zu danken. — Bezüglich der in der Schule sich 
fortpflanzenden Sprachsünden spricht auch S c h e i n d I e 1 von der Notwendigkeit einer Besse- 
rung und behauptet in seiner Vorrede, dass er den Jargon der Schillsprache bekämpft habe ; 
allein sein Rezensent Schmidt 45 ) lässt ihm dies nicht gelten und versucht auch den Beweis 
für seine Behauptung zu erbringen. Sicher ist, dass Scheindler nicht beherzigt, was Marg an 
SeyfTert gerügt hat; sonst wäre ihm der Ausdruck „Nachzeitigkeit mit der Haupthandlung" u. ä. 
nicht entschlüpft. — Es ist ungemein schwer, eine Fassung für eine Regel zu finden, welche 
logisch scharf, in gutem Deutsch, ohne Anklang an die traditionellen Schulsprachsünden, in ein- 
fachem ungekünstelten Satzbau das Resultat aus den Beispielen zieht. Brevis esse laboro, 
obscurus fio ist ein alter, immernoch richtiger Satz, und doch ist die ,, Kürze der Regel Würze." 
Es wird daher eine Regel der häufigen Umarbeitung bedürfen, bis sie in allen Punkten ent- 
spricht, zumal wenn der Sprachgebrauch nicht über allem Zweifel erhaben ist. Die Kon- 
gruenz bei mehreren Subjekten gehört hierher. Der alte Wahn, dass bei mehreren Subjekten 
das Verbuni im Plural stehe, ist zwar längst beseitigt 41 '); aber man sehe nur in die Beispiel- 
sammlung von Anz im Programm von Quedlinburg 1884, und man wird geradezu an der 
Möglichkeit verzweifeln, in dieses Chaos eine solche Ordnung zu bringen, dass eine kurze Schul- 
regel dem wirklichen Sprachgebrauch gerecht wird. Daher denn die Polemik gegen die 
Fassung dieser Regel in den verschiedenen Grammatiken, vgl neuestens Harre gegen 
Scheindler in Z. f Gymn. 1889, S. 664. — Eine Folge des Strebens nach Kürze ist auch 
die vielfach sich findende Verwechsl un g der grammatischen Bezeichnung mit der 
von ihr bezeichneten Sache. So tadelt Marg an SeyfTert, dass er sage „ijnacso diene 
zur Milderung des Imperativ des Präsens;" offenbar meinte SeyfTert „zur Milderung des durch 

'*) Kur/ucfasste lateinische Sciiulgramtnatik von Dr. Karl Meissner, Leipzig Teubner iKScv 
Vgl. S. 18 in der oben Atim 21 zitiertet) Schrift von Schmidt. 
**) V»l. SeylYert. Müller zu Cic. I.aclius S. 78. 



Digitized by Google 



20 



den Imper. Praes. ausgedrückten Befehls"; aber der Wunsch, sich möglichst kurz auszudrücken, 
bewirkte, dass er sich gegen die Logik verging. — Wir sehen somit, dass der Verfasser einer 
Schulgrammatik sich in einer fortwahrenden Konkurrenz der Pflichten befindet, und dass es 
grosse Umsicht erfordert, nirgends anzustossen. Das Schwierigste aber ist, dass wir uns in 
vielen Punkten von einer jahrelangen, von der Schulbank sich herleitenden Gewöhnung los- 
machen müssen. Wenn wir auch die fehlerhafte Fassung vieler Regeln, die wir früher gelernt, 
langst eingesehen und verbessert haben; quo semel est imbuta recens servabit odorem testa diu, 
ganz können wir uns nie von der Amme „Gewohnheit" lossagen, und sogar jahrelange wis- 
senschaftliche Beschäftigung mit einem Gegenstand, ja eigene Forschung mit die Wissenschaft 
fördernden Ergebnissen vermag nicht, uns ganz aus der umstrickenden Umarmung der ersten 
Gewohnheit zu befreien. So weiss ich denn nicht, ob nicht auch in der Fassung der Regeln 
meiner Grammatik da oder dort etwas vom alten Schulzopf geblieben ist: wer ein solches Über- 
bleibsel bemerkt, verpflichtet mich sehr, wenn er sofort die Schere ansetzt und das Abgeschnit- 
tene mir schickt. 

Auf Grund vielfacher Beobachtung und Erfahrung habe ich mich sehr gehütet, in der 
Fassung der Regel vor dem Unrichtigen durch Hinsetzung desselben zu warnen. 
Ich habe die psychologisch wohl begründete Wahrnehmung gemacht, dass die Schüler, welche 
vor maioris aestimo durch die Fassung „plnris (nicht maioris) aestimo" gewarnt wurden, sehr 
häufig maioris geschrieben haben. In ihrem Bewusstsein waren nebeneinander (Juris und maioris; 
da sie den innern Grund für Huris nicht kennen, so waren sie auch nicht sicher, ob das „nicht" 
vor plitns oder vor maioris steht und schrieben daher maioris. So ging es mit potius nach tautum 
ahest, mit mea (nicht patris, tri publicac) refert, mit granJis (nicht magiius) aatii, mit ma*no (nicht mullo) 
s/ar,' und vielen andern Beispielen. Ich habe mich gewohnt, in der Schule niemals das Unrichtige 
zu sagen, damit die Schuler kein falsches Tonbild ins Ohr bekommen, ebenso darf der Schuler 
das Unrichtige niemals gedruckt vor sich sehen. Wenn ich bei der Korrektur des Extem- 
porale warne, so geschieht dies damit, dass ich sage „plnris aestimo, nicht anders". In 
einem Buche für Anlanger, wie z. B. von Netzker und Rademann 41 ) für Quart», sollten sich 
gar keine gedruckten Verwarnungen mit Beifügung des Unrichtigen finden, so wenig als man 
dem Schüler, der in Orthographie unsicher ist, unrichtige Wortbilder zur Selbstkorrektur vor- 
legen darf Noch weniger aber darf man das Falsche gar voranstellen, wie dies z. B. S. 52 
bei Netzker und Rademann sich findet; denn dies heisst geradezu das Unrichtige lehren. Ich 
habe mich mit diesem Punkte deshalb eingehender beschäftigt, weil er praktisch ausserordentlich 
wichtig ist und weil er zeigt, dass unsere Lehrmethode immer noch sehr der Verbesserung 
nach psycholouischen Grundsätzen bedarf. — Sosehr ich auch mit Wal deck in vielen Punk- 
ten teils grundsatzlich, teils in Einzeldarstellungen einverstanden bin, so wenig kann 
ich mich mit seiner Ansicht befreunden. d;iss die Regel der mathematischen Formel ähnlich 
sein soll. Im Gegenteil scheint es mir richtig, wenn die Regel bei aller Kürze dass Kürze 
Hauptpostulat an eine Regel ist, wird nicht bestritten - doch einen Einblick in ihre Begrün- 
dung oder in ihr Verhältnis zum Gebrauche der deutschen Muttersp räche giebt. 
Abgesehen davon, dass so jeden Augenblick die Berechtigung der Regel vom Schuler auf 
Grund des in ihr gegebenen Anhaltspunktes naher ausgeführt werden kann, lernt man leichter 
das, was in sich logisch gegliedert ist, als was der Prämissen entbehrend nur die Conclusio 
vorfuhrt. Ich verweise auf die Regel § 24 meiner Grammatik „Wie wir sagen, ivas ich 
lebte, was ich strebte oder ich ruhe wenig, ich schlafe viel, so kann auch der Lateiner die 
Neutra der Pronomina und Zahladjektiva als inneres Objekt zu Verben setzen, 
welche 1. intransitiv gebraucht, oder 2. mit persönlichem Objekt verbunden 
werden." Diese Regel im unmittelbaren Anschluss an die vom Gebrauch des substantivischen 

Nct-tkcr 11 *i d Rade mann. Deuts^iLuehisehes Cbutn^inuh tur (luart.i. Im Anschluß .«1 die Lektüre 

des C.inielbs N'cp.» Cioüu, Perthes. 



21 



inneren Objekts enthält in gedrängtester Kürze alles, was zum Verständnis der Entstehung und 
zum Vergleich mit der Muttersprache wichtig ist, und sie wird, glaube ich, durch ihre Gliederung 
als Vergleichsat/, „wie — so", wo also dem Vordersatz genau der Nachsjtz entspricht, sich sehr der 
Einprägung empfehlen. Im übrigen scheint mir eine Grammatik nach den Waldeckschen An- 
forderungen kaum möglich ; seine Sätze sind zumeist an sich richtig, aber die vorgeschlagene 
Behandlungswetse lässt nicht immer erkennen, dass die Sätze sich auch zu harmonischer Aus- 
fuhrung vereinen lassen, abgesehen von nicht ganz unberechtigten wissenschaftlichen Aussetzungen, 
wie sie beispielsweise Latt mann jun. in Neue jahrb 1880 S. 422 Ii", beigebracht hat. 4h ) 

Die Reformvorschläge, welche Fr. Kern w ) für die Gestaltung des grammati- 
schen Unterrichtes in der deutschen Sprache gemacht hat, sind im grossen und 
ganzen so einleuchtend und zur Vereinfachung des grammatischen Betriebes so nützlich, dass 
auch der lateinische Grammatiker sie nicht ignorieren darf. Ich habe die Überzeugung, dass 
die Kcrnschen Grundgedanken zur allgemeinen Geltung gelangen werden und dass seine Vor- 
schläge, wenn sie die läuternde Kritik durchgemacht haben und durch die praktische Probe an 
vielen Schulen durchgegangen sind, in der gereinigten und erprobten Fassung im elementaren 
grammatischen Unterricht der höheren Schulen herrschen werden. 

Für mich waren von praktischer Bedeutung und wurden deshalb angenommen 

1. Die Lehre von der satzbildenden Kraft des Verbum finitum; damit ist die 
Grundlage zu einem richtigen, eindringenden Konstruieren gegeben. Das Subjekt tritt gerade 
beim Konstruieren des fremdsprachlichen Satzes so in den Hintergrund, dass man neuerdings 
im Anschlnss an das Verbum finitum zuerst nach den Prädikatsbestimmungen fragen und das 
Suchen des Subjekts aufs Ende aufsparen wollte. 

2. Die Verwerfung der subjektsloscn Sätze. Gerade die lateinische Sprache 
ist besonders dazu angethan, zu zeigen, dass jedes Verbum finitum mit der Verbalperson zu- 
gleich sein Subjekt hat; was Kern an der deutschen Sprache in längerer Ausführung zeigen 
musste, ergiebt sich aus der Anschauung jeder lat. finiten Verbalform. 

3 Die Scheidung des Subjekts wortes vom Subjekte. Damit ist die unglück- 
liche Erklärung aus der Welt geschafft, dass in Sätzen wie Thcmisloclcs irni, Hamtibul fvlo paum 
die Eigennamen als Apposition auf/.ufisscn seien. Ferner erklart sich einfach, wie betonte 
Personalpronomina als Subjektswörter auftreten, da ja die besondere Anfügung eines Subjekts- 
worts immer aus Gründen der Deutlichkeit oder der Hervorhebung erfolgt. Der Einwand, 
dass das Verständnis hiefur dem Quartaner abgehe, erscheint nicht stichhaltig, denn die Lo- 
gik pdo — pt-to — llaimibal pdo ist einfach und auch dem kindlichen Verstände eiiv 
leuchtend. 

4. Die Zurückweisung eines logischen Subjektes. Für die Erklärung des Re- 
flexivs in Sätzen wie Lim ab irilio J'diislnlo 5/v.v finral reg i am stirpt'in aptui sc edncivi ist die 
Lehre vom logischen Subjekt überaus praktisch, und wir sehen auch, dass Eichner in seinen 
beiden Programmen über den Gebrauch des lat. Reflexivs (G. Glogau 1868/69) v ' e l myt t,ein 
logischen Subjekte operiert. Aber mit Recht bekämpft Kern die „aus Verwirrung des 
Sachlichen mit dem Sprachlichen entstehenden Skrupel" und „wünscht sie aus dem 
syntaktischen Unterricht verbannt." Daher muss mit dem präpositionalen Objekte 
auch das logische Subjekt fallen, weil beide Begriffe nur dazu dienen, das einfachste gramma- 



•**) So ist durchaus unrichtig, wenn Wald eck Lehrproben [S S. 14 sagt, „die Begrilie Gleichzeitigkeit 



und Vorzeitigkeit sind ganz verschieden von demjenigen Verhältnis zweier Handlungen, welches durch die 
(Ions, tetnp. ausgedruckt wird." Hier konnte ich W.ildeck gar nicht folgen; ich glaube, dass nieine Darstellung, 
wie wissenschaftlich korrekt, so auch übersichtlich, einlach und leicht tasslich ist. 

*'••) Die Schrillet) von Kern sind so bekannt, dass ich die grundlegenden wohl kaum aufzuzahlen brauche, 
rirschienen sind sie in Hertin bei Nicolai. 




22 



tische Verhältnis von Prädikat, Subjekt und Objekt zu verwirren. Sauberkeit der Methode 
ist aber das erste Erfordernis des grammatischen Unterrichts. 

5. Die Beseitigung der Kopula. Kerns Verdienst in diesem Punkte ist kaum 
bestritten, und wenn man alles Andere an seinen Vorschlägen auch bekämpft (meint ein nord- 
deutscher Schulmann\ anzuerkennen ist, dass er uns von der Kopula befreit hat. Gerade die 
lateinische Sprache mit ihrem überaus reich entwickelten Prädikativum zeigt, dass von einer 
Kopula keine Rede sein kann, oder der Begriff Kopula bekäme einen Umfang, dass die ganze 
Satzlehre dadurch in Frage gestellt würde. Ich verweise nur auf Sätze wie Lo tempore Ros- 
aus mit Romae Iret/ucns ; fm/uais te andivi, ratio in senatum frajnais, satatus frequats convenit. 

Näher hier auf Kerns Reformvorschlage einzugehen als die unmittelbare Rücksicht auf 
meine lat. Schulgrammatik verlangt, kann ich mir um so eher versagen, als ich bei der fünf- 
ten badischen Direktorenkonferenz im Oktober 1. J. als Referent über den dritten Beratungs- 
gegenstand — „die Verteilung und Methode des grammatischen Unterrichts im 
Deutschen, wobei auch die von Fr. Kern neuerdings gemachten Vorschläge zu 
berücksicht igen sein werden" — Gelegenheit habe mich eingehend zu äussern. Einstwei- 
len genüge der Hinweis, dass ich mich mit Herrn Obcrschulrat Dr. v. Sallwflrk ganz einig weiss 
in dem Urteil, dass Fr. Kern sich grosse Verdienste erworben hat, durch „die Loslösung 
der sprachlichen Anschauung von dem Zwange einer scholastischen Logik.' 



Einzelbemerkungen. 

§ l u. 2. Hier habe ich mich an Fr. Kern angeschlossen; die Definition vom Satz 
nach Kern ist für den Schüler grundlegend und genügend. 

i? 3. Diese Vorbemerkung genügt; dass die Satzunterordnung sich durch a. den sub 
jektiven Modus, b. einleitende Wörter kenntlich macht, zeigen die beiden Beispiele. 

5; 7. Bei Fassung dieser Regel (man) sind die Bemerkungen von Hartz '°) und 
Waldeck '•<) namentlich berücksichtigt. 

§ 10. Entgegen Waldeck ' J -) habe ich diese Regel aufgenommen, da auf meinen 
Versuch, einen Schüler übersetzen zu lassen, „ich und meine Freunde sind gekommen" ego 
et amici mei venerunt erfolgte. Die Fassung der Regel ist einfach und prägt sich leicht ein; 
Waldecks „Unterordnung von pater und mater unter die höhere Einheit Menschen" ist zu 
umständlich und vielleicht zu schwer. 

§ 11 u. 12 Die subtile Unterscheidung zwischen substantivischem Attribut (rex Phi- 
lippus)!!. Apposition (Philippus, rex Macedonum) ist unpraktisch und daher nicht berücksichtigt. *•*) 
Im folgenden habe ich die Reihenfolge der Disposition von § Ii verlassen, weil das adjek- 
tivische Attribut als das einfachste am besten die Behandlung der Attribute eröffnet. 

§ 13 Anm 2. Nach Riemanns Untersuchungen in Revue de philo!. 1881, 9 ist die 
Regel über die Stellung von medius u. a. durch den Sprachgebrauch Casars bestätigt, wenn 
auch sonst manche widerstrebende Stellen sich finden. 

§ 16,5. Die Unterscheidung zwischen partitivem und Quantitätsverhältnis, wie sie 
Marg Progr. Mcseritz 1878 will, habe ich nicht berücksichtigt, da auch das Französische nach 
den substantifs de quantite den Teilungsgenetiv setzt und der Quantitätsgenetiv die partitive 
Auffassung leicht zulässt; denn in frumenti magna vis ist doch frumenti das Ganze, magna 
vis ein Teil davon. 

• v ) V s l. Neue Jahrbb. iXSS S. 
ftI ) Vgl. Lehrproben 17 S. 10 
J *) Vgl. Lehrproben 17 S. 11. 

»*») Vgl auch Richter in 7. I (iynin 1SS7 S. )3 o 



Digitized by Google 



23 



§ l6, 5. b. Es ist mir wohl bekannt, dass hoc consilii, quid opis u. a. Verbindun- 
gen von manchen, so z. B. von Ziemer in W. f. klass. Philol 1888 S. 914 und den dort 
zitierten Grammatiken, nicht partitiv, sondern definitiv aufgefasst werden. Allein Sätze wie 
Tac. ann. 3, 28 quod usquam civium corripuerant, 1, 48 quod castrorum sincerum erat lassen 
nur partitive Frklärung zu, und diese Konstruktion ist als die ursprüngliche anzusehen. Ana- 
logiebildungen, wie quid hominis, id cognominis, quid propositi u. a. hat Haas e (vgl. S. 566 
unserer Ausgabe) sehr feinsinnig erklärt. 

§ 16, 5. Anm. i. Zur Erläuterung des Unterschiedes zwischen nihil altum und nihil 
aki benütze der Lehrer Seyffert-Müller z. Lael. S. 227. 

§ 17. Von den attributiven präpositionalen Wendungen habe ich nur die 
gebräuchlichsten beigezogen; dass dieser Gebrauch im klassischen Latein viel häufiger ist. als man 
meinte, darüber habe ich mich § 44 meiner wissenschaftlichen Syntax ausgesprochen ; zur 
Litteratur füge bei: Fröhlich, de gramm. lat. locis aliquot controversis, Hagenau 1889 Progr. 

§ 19. Mit Rücksicht auf die sehr verständige Auseinandersetzung von Gersten- 
ecker in Bayr. Gymn. 1890 S. 7 habe ich (ad]aequo drucken lassen und damit aequare 
neben adaequare mit Akkusativ anerkannt. 

§ 19. Anm. Die Ergänzung der Anm. durch ,,decet me is ornatus steht mir wohl an" 
ist für diejenigen Lehrer, welchen an der Erwähnung der personlichen Konstruktion von deceo 
gelegen ist. 

§ 22. Die Lehrer, welche wegen Caes. b. Gall. 1, 35, 3 eine Anmerkung 
über transducere trans bei Angabe des Zieles der Bewegung erwarten, verweise ich auf Eich- 
ler in Z. f. Gymn. 1887 S. 427; demnach ist diese Konstruktion ein Einzelfall und gehört 
nicht in die grundlegende Grammatik, um so weniger, als Eichler wohl mit Recht Kraners 
Erklärung der Cäsarstelle bestreitet. 

§ 26. Die Konstruktion flagitor Stipendium ist selten, z. B. Caes. b. civ. 1,87 (u. hier 
nicht sicher, vgl Meusel lex. Caes. s v. flagito); ich habe sie deshalb unbeachtet gelassen 
und nur flagitatur a me officium angegeben. 

§27. Wie bereits Prümers in Philol. Woch. 1882 S. 174 festgestellt, ist ad mit 
Akkusativ bei utilis, aptus, idoneus, necessarius entsprechend dem Abi. respectus gebraucht. 
Da utilis ad bei Cäsar nicht vorkommt, wohl aber öfters idoneus ad, auch aptus ad , neces- 
sarius ad, so schien es mir genügend, in der Anm. zu $ 42 ein entsprechendes Beispiel auf 
zunehmen, an welches dann bei der Lektüre die vorkommenden Fälle angereiht werden. 
Der Lehrer hat bei der Lektüre des Cäsar auch Gelegenheit, den Unterschied der Kon- 
struktion zwischen locus castris idoneus und ad aciem instruendam idoneus zu erklären. 

§ 27. An n i. Die Regel über similis, dissimilis, welche in den verschiedenen Gram- 
matiken ein sehr wechselndes Geschick gehabt, dürfte durch Zurückführung auf das Vorwie- 
gen des in den genannten Wörtern liegenden substantivischen Begriffs am einfachsten sich 
fassen lassen. Ein recht signifikantes Beispiel findet der Lehrer in Cic. Marc 8, das sich 
nur wegen seiner Länge nicht für die Schulgrammatik eignet: non ego eum cum summis viris 
comparo, sed simillimum deo iudico: hier weist comparo auf die richtige Bedeutung von 
simillimus hin = %t vergleichen mit, daher der Dativ. 

§ 29. Bei dem Beispiel aetas succedit aetati ist dem voraussichtlichen Einwand, dass 
ja cedo als Simplex sich schon mit Dativ verbinde, entgegenzuhalten, dass cedo ursprüng- 
lich = gehen, treten, also succedo nahend herantreten, eintreten fnr, folgen ist. Von cedo weichen, 
darf man bei Herleitung der Komposita nicht ausgehen, z. B. decedo xvegtrelen, excedo heraus- 
gehen, accedo herantreten u. ä. 

§ 29. Das beliebte communico habe ich nicht aufgenommen, weil der Lehrer auf 
die Frage des Schülers, welches denn das Simplex zu communico sei, doch in einige Ver- 
legenheit geraten könnte. 




24 



§ 30 Anm. !. Wenn Drygas Z. f. Gymn 18S7 S. 117 pro avich = für bei Bezah- 
lungen angeführt wissen will, so halte ich dies fur eine unnötige Erweiterung, da Bezahlung 
für sich leicht unter Vergellumr fur einbegreift. 

§ 31. Zillgenz will' (W. f. klass. Philol. 1887 S. 499) es für kaum möglich halten, 
dem Schüler begreiflich zu machen, dass der sog. Dativus auctoris ein üativ des Interesses 
sei. Dem entgegen verweise ich auf die grundlegende Arbeit von Till mann, De dativo 
Graeco, in Act. sem. philol. Erlang. II S. 72 AT. Das von mir aufgenommene Beispiel Tibi 
consulatus quaerebatur, Metello paternus honor spernebatur (Cic Verr. 3, 43) weist darauf 
hin, wie sehr Madvig Recht hat, wenn er zu Cic. Fin. 1, 11 sagt, dieser Dativ bezeichne 
non solum ab aliquo, sed etiam alicui rem fieri. 

55 31 Anm. Die Fassung dieser Anm. soll den Irrtum verhüten, als ob der Abi. mit 
ab beim Gerundium nur zur Vermeidung der Zweideutigkeit gebraucht wiirJe. Vgl. Gersten- 
eck er in Bayr. Gymn 1890 S. 4. 

5? 32 Anm. In der Gestaltung dieser Anm. wird man ebenso wohl Margs Aus 
setzung an SeyfTert, als auch Priimers in W. f. klass. Philol. 1887 S. 1335 Tadel gegenüber 
Neitzert, der Mortensio erat tanta memoria lehrt, berücksichtigt finden. 

§ 35 Eichler hat Recht N * 1 "), dass man streng genommen, d. h. vom Lat. aus- 
gehend, nicht sagen könne, bei interest stehe der Acc. c. inf. bei verschiedenem Subjekt. 
Um aber eine weitläufige Umschreihung zu vermeiden, habe ich diese Fassung beibehalten, 
jedoch durch Beifügung des deutschen Satzes „ich habe ein Interesse daran, dass du in Rom 
bist", klar angedeutet, wie ich die Verschiedenheit des Subjekts vom deutschen Standpunkt 
aus aufgefasst wissen will. 

§ 37. Die Gestaltung der Lehre vom Ablativ beruht auf Erwägungen verschiedener 
Art. Zunächst bedarf es wohl keiner Rechtfertigung, dass ich im Anschluss an Delbrück-''') 
und Ebrard r ' 4 ) die Dreiteilung in 1. eigentlichen Ablativ, 2. Instrumentalis und 3. Lokativ 
aufgenommen habe; dieselbe empfiehlt sich für eine Schulgrammatik durch die saubere Me- 
thode und einleuchtende Disposition; meine Bedenken, die sich vielfach mit denen von Vo- 
grinz :,i ) berühren, mussten gegenüber den praktischen Gründen zurücktreten, wenn ich auch 
ungern hier einen anderen Weg ging, als in meiner wissenschaftlichen Syntax. Dagegen wird 
man den soziativen Ablativ vielleicht mit Verwunderung an erster Stelle seilen. Allein vom 
Standpunkte der gegebenen Sprache aus betrachtet überwiegt im Lateinischen so sehr der 
Ablativus causa e, den ich als Soziativus und nicht als Separativus betrachte, dass Eic hn e r ") 
mit Recht ihn, wo äusserst thunlich, zu Grunde gelegt wissen will. Daher habe ich diese wich- 
tigste Erscheinungsform des Ablativ an den Anfang gestellt. Den Lokativ aber liess ich den 
Schluss bilden, weil sich an seine Darstellung naturgemäss die Behandlung der Orts- und Zeit- 
bestimmungen anschliesst. Unvermeidlich ist es, den Separativus an zwei Stellen zu behandeln ; 
denn die Ortsbestimmungen aul die Frage woher? müssen in Zusammenhang mit den Orts- 
bestimmungen überhaupt gebracht werden, und doch kann man den Separativus bei levarc, 
liberare u. ä. nicht unter die Ortsbestimmungen einreihen. 

Wenn ich more, voluntate, ratione, iure u. ä. unter dem kausalen Ablativ unterbrachte, 
so bin ich damit einer Inkonsequenz ausgewichen, die sich in vielen Schulgrammatiken findet. 
Schon Gustafsson sagte in Phil. Woch 1S81 S. 45 „wie aber iure kausal und more modal auf- 

Mi»! In 7. f. Gymn. 1882 S. 154. 

: 'f l>cl brück, Ablativ l.nkalis Instrumentalis im Altiiulischen, Litt/mischen, Griechischen und Deutschen, 
Berlin 1.N67. 

'"') FbrarJ, De Ablativi l.ncativi Instrumentalis apiul priv-^s scriptmvs l.ttinos usn. Leipzig 1S71) 

''•'') Die Arbeiten von Vogrinz sind: Gedanken zu ein^r Geschichte des Kauissy.iems. I citmeritz tSS| 

und Zur Kasustheinie, l.eitmeritz 1.SS1. Vgl. noch: Vngrin/, Itemcrkungen zur lat. Schulgrammatik. / I. o 

Gymn tS<>ti S. |f>i. 

'-') Zur Umgestaltung des lat. Unterrichts, Herlin tSSS, S 2H Anm. 27 und S. 51 mit Anm. ;o 



Digitized by Google 



2f> 

zufassen sein soll, will uns nicht recht einleuchten." Das kausale Verhältnis bei allen die- 
sen Ablativen ist auch dem Schüler leicht fasslich; man darf nur darauf hinweisen, dass Sitte, 
Gewohnheit, Gesetz etc. bestimmend wirken. Übrigens darf dem Schüler nicht vorenthalten 
weiden, dass Instrumentalis und Lokativ, ferner die einzelnen Erscheinungsformen des Ablativs 
überhaupt manchmal kaum zu trennen sind. Denn in dem lat. Ablativ sind die verschiedenen 
Kasus zu einem einheitlichen adverbialen Kasus so verschmolzen, das« man ohne die 
Sprachvergleichung auf die Art seiner Entstehung aus so heterogenen Bestandteilen nicht ge- 
kommen wäre. 

§ 46 Es hat etwas Bedenkliches, den Abi. pretii so ohne weiteres als Instrumentalis 
hinzustellen, indem man sagt „der Preis ist das Mittel des Erwerbs"; damit ist denn doch nur 
die eine Richtung der Verba, bei denen der Abi. pretii steht, berücksichtigt. Ich habe durch 
die Fassung ,,der Abi. pretii giebt die Bezeichnung des Preises, unter dem sich ein Vorgang, 
besonders aus dem Geschäftsleben vollzieht" den Abi. pretii als soziativen Kasus charakteri- 
siert. Aus dem Beispiel Eriphyla auro vitam viri vendidit ist die Unhaltbarkeit der Annahme 
des eigentlichen Instrumentalis deutlich zu erkennen; wir haben den Soziativ hier in engster 
Verwandtschaft mit dem Abi. causae und respectus, daher ist er auch mit ihnen zusammen- 
gestellt. — Die Entlehnung der Formen pluris, minoris etc. aus dem Gebiet des Gen pretii muss 
der Quartaner als Thatsache hinnehmen; der gereiftere Schüler wird den Ausgleichsversuch der 
beiden Gruppen Abi. pretii und Gen. pretii leicht verstehen. 

§ 50. Alluo und nicht affluo schreibe ich mit Dombart in Neue Jahrb. 1877 S. 341, 
weil ab— und— o und a — flu— o zu deutlich auf gemeinsame Auffassung hinweisen. Wie ich aus 
S.Brandts kritischer Anm. zu Lactanz div. inst. 5, 6, 1 sehe, stimmt auch Brandt der 
Schreibung Dombarts bei. 

S 50. Auf den Genetiv bei potiri habe ich keinen grossen Wert gelegt, we 'l nach 
R. Schneider in Z. f Gymn. 1886 S. 429 in Caes. b. Gall. 1, 3, 8 wohl totius Galliae imperin 
sese potiri posse zu lesen sei, somit der Gen. für Caes. wegfalle. Allein mit Rücksicht aul 
Nepos (vgl. Lupus S. 71) darf eine Erwähnung von potiri mit Genetiv nicht unterbleiben, 
und die Phrase rerum potiri kann dem Schüler nicht vorenthalten werden (vgl Cic Sex. Rose. 
70, Cat. 2, 19, Sest. 141, lauter Schulrcdcn). Wer wie Gerstenecker Bayr. Gymn. 1S90 
S. S, eine Gleichberechtigung von potior c. Ablat. und c. Gen. in der Schule will, kann die 
Anm. sofort mitlernen lassen. 

§ 55. Hier habe ich mich auf die Adj. Über und vaeuus beschränkt, aber durch die 
Fassung „nach den hierher gehörigen Adjektiven, wie z. B. über frei, vaeuus frei, leer" an- 
gedeutet, dass auch noch andere bedeutungsver wandte Adjektive an der Konstruktion teilnehmen. 
Mit orbus fiel auch orbo. So ist die Regel auf die wichtigsten Verba und Adjektiva zurück - 
gefuhrt, der Primaner aber, der in Cic. Sest. 37 ne multis civibus rem publicam orbaret »der 
off. i, 32 Thcseus Hippolyto filio non esset orbatus liest, weiss, das orbo eine Spezies von 
privo ist und somit auch an der Konstruktion der Gattung teilnimmt. 

£ 56 Anm. 1. Die von v. Kobilinski in Z. f. Gymn. 1885 vertretene Ansicht, dass 
humili loco bei natus eher ein Ablativ des Orts zu sein scheine, hat viel für sich Aber l'e- 
lopc bei natus ist sicher Separativus, und so scheint es angezeigt, eine einheitliche separative 
Auffassung für den Ablativ bei natus anzunehmen. Übrigens ist auch hier wieder ersichtlich, 
wie sogar Lokativ und Separativ trotz ihrer verschiedenen Auffassung des Ortsverhältnisses 
in einem einheitlichen adverbialen Kasus aulgehen konnten. 

§ 57. Anm. Der Vorwurf, dass libero und über mit vaeuus eigentlich unter g 56 
einzureihen seien, hat seine Berechtigung, denn dieselben werden mit oder ohne Präposition 
beim Separativus konstruiert. Allein libero gehört seiner Bedeutung nach zu § 55 und darf 
daher nicht von solvo, levo u. den andern getrennt werden; sein Gebrauch mit Abi. und ab ist 
daher in einer Anm. zu berühren. 

4 



26 



§ 6o. Anm. 2. Gräber verlangt in Festgabe für W. Crecelius, Klberfeld 1881, X, dass 
zu der Apposition, die auf Städtenamen folgt, bei Ortsbestimmungen immer die Präposition 
gesetzt werde. Ich habe dies auch in der Regel ausgesprochen, aber wegen der Stelle Cic. 
Aren. 4, wo schon Stürenburg die Parenthese (nam ibi natus est loco nobili) richtig herge- 
stellt hat, setzte ich in vor oppido in Klammern. 

£ 60. Anm. Üie Anmerkung über tota Sicilia und in tota Sicilia beruht auf Rie- 
mann, Revue philol. 1888 S. 184 (il est clair, que sparseranl in tolo campo, dimittit mmlios in Iota 
civiliite serait absolument barbare). 

§ 62. Anm. 2. Diese Anm. ist das Resultat meiner Untersuchung in Z. f. Gymn. 
1881 S. 100 f. 

In den §§ 77 bis 79 sind die Resultate der Forschung Hildebrandts"), Stegmanns 1 *) 
und Thielmanns-"*) verwendet. 

§ 75. Die Regel, dass das Subjektsprädikativum im Akkusativ stehen muss, wenn 
der Infinitiv Subjekt ist, gehört zu den sichersten in der lat Syntax. Der Schüler kann nicht 
entschieden genug angehalten werden, den Nominativ nur dann zu setzen, wenn dieser Kasus 
eine Stütze hat, an die er sich anlehnt, also nolo esse emax , aber mihi turpe est esse emacem ; 
ferner Cicero noluit P. Clodii esse inimicus, aber Ciceroni non libebat P. Qodii esse inimicum. 
Wenn Plautus schreibt Mil. gl. I, l. 68 nimiast miseria nimis pulcrum esse hominem. so er- 
sehen wir, dass miseriast nimis pulcrum esse, wie man auch sagen könnte, seine Ergänzung 
durch hominem erhält. Daraus dass mihi turpe est dicerc in der Volkssprache auch mihi 
turpe est me dicere heissen kann, geht hervor, dass mihi turpe est esse emacem sich erklärt 
aus mihi turpe est me esse emacem. Der Satz des Horaz mihi turpe est relinqui (ars p. 417) 
könnte mit dem Perfekt nur heissen mihi turpe est esse relictum. 

§ 8r. Während beim Akkusativ des Ausrufs bis jetzt die Bestimmung als eine 
attributive galt, sehe ich in ihr ein Prädikativum. Man vgl. Cic. Att. 10, 14 , 1 o vitam 
miseram! maiusque malum tarn diu timere, quam est illud ipsum, quod timetur! Hier ist doch so 
zu konstruieren: vitam (dico) miseram maiusque malum (dico) tarn diu timere; dabei sind vitam 
und timere Objekte, miseram und maius malum Prädikativa. Sehr deutlich ist auch Hör. 
sat. I, 9, 11 o te, Bolane, felicem, wo Fritzsche richtig felicem prädikativ übersetzt: „wie glück- 
lich bist du, Bolanus" 1 Ebenso Cic. Deiot. 2 crudelem Castorem, ne dicam sceleratum, wo rich- 
tig cnidelem dico Castorem, ne dicam sceleratum konstruiert wird. Aus dieser Auflassung 
erklärt sich einfach, was Wetzel im „Gymnasium" 1884 S. 759 über die Consecutio tem- 
porum nach Ausrufen lehrt, z. B. Cic. off. 2, 25 o miserum, qui fideliorem barbarum putaret 
quam coniugem ; hier ist o miserum zu vervollständigen in miserum dico eum fnisse und putaret 
ist bezogenes Tempus zu fuisse. Stellen wie Cic. Verr. 5, 62 huncine hominem! hancine 
impudentiam, hanc audaciam, enthalten gewissermassen das Rohmaterial zum Satze, ohne 
dass jedoch der Sprechende dasselbe verarbeitete: die Aufregung hindert ihn, die Begriffe, 
die sich ihm bieten, im Satze zu ordnen. Ein Beweis für die attributive Auffassung des Ad- 
jektivs kann aber damit nicht geliefert werden, weil diese Stellen ganz anders geartet sind, 
wie schon das ne in huncine zeigt. Auch Cic. Verr. 5, 100 o spectaculum miserum atque acer- 
bum ! ludibrio esse urbis gloriam spricht nicht gegen mich. Ich sehe in miserum atque aecr- 
bum Attribute zu spectaculum ; aber der ganze Aasruf spectaculum miserum atque acerbum ist 
Prädikativum zu ludibrio esse urbis gloriam, welches selbst wieder Objekt zu einem zu denkenden 
dico ist. Daraus ergiebt sich der naturgemäss häufige Gebrauch des Prädikativums im Ausruf mit 
der ebenso naheliegenden Ellipse von dico (vgl. hierüber Näg. — Müller N S. 684). 

S 84 Anm. Der Unterschied zwischen esse mit Gen. und esse mit Dat. hat sich 
mancherlei Darstellungen gefallen lassen müssen, vgl. z. B. Hempel in den Lchrproben 2 S. 

:: ) Vgl. Pro^r. von Dnrtmuntl lKj| S. 7, 

*") In Neue jalirbb. 1.S90. 

: *V In Wölfilins Archiv 11 S. 572 ff. 



Digitized by Google 



27 



26. Der Vergleich mit § 32 macht dem Schüler klar, dass esse mit Gen. gehören, esse mit 
Dativ haben heisst, und zeigt ihm zugleich, wann er haben nicht mit esse übersetzen darf. 
Mehr aber braucht er nicht. 

§ 85. Gollings Forderung, den Abi. qual. nicht als Appendix beim Gen. qual. zu 
behandeln (Gymnasium 1888, 1), konnte ich mit Rücksicht auf die Anordnung meiner Grammatik 
nicht berücksichtigen. Übrigens ist es für den Lehrer ein leichtes, die Entstehung des adno- 
minalcn Abi. qual. aus dem adverbialen Abi. dem Schüler begreiflich zu machen, vgl. auch meine 
wissensch. Syntax § 98. 

§ 86. Dass habere nauci sich in Cc. div. 1, 132 non habeo nauci Marsum augurem 
findet, habe ich schon vor Stegmanns Mahnung in Neue Jahrbb. 1890 S, 30 Anm. 6 gewusst, 
wie § 74 meiner wissenschaftlichen Syntax zeigt. Allein der ganze Charakter der Stelle lässt 
mich vermuten, dass Cicero hier zitiert; das Wort naueum findet sich nirgends in klassischer 
Zeit, und Cicero, der Att. 1, 17, 13 flocci facere braucht, hat sogar in den Briefen ad Att. 
nicht auf nauci gegriffen. 

§ 87. Die Untersuchungen von Nieländer* 0 )-, auf welchen meine Darstellung des 
prädikativen Dativ beruht, verdienen vom Lehrer genau studiert zu werden. — Auch hier 
zeigt sich die Macht der Gewohnheit in Beibehaltung von Redensarten wie dono dare, das 
sich weder bei Cicero noch bei Cäsar findet. Durch Klammersetzung wollte ich dono dare als 
selten kennzeichnen; vielleicht wird man dazu kommen, es ganz fallen zu lassen. 

§ 87. Anm. 2. Diese Anmerkung wird dem Lehrer bei der Lektüre des Livius und 
Tacitus Gelegenheit geben, den Gebrauch des finalen Dativus Gerundivi aus der klassischen 
Sprache entwickeln zu lassen. 

§ 90. Anm. In der Definition des Gerundivs habe ich mich den Ausfuhrungen von 
Weis weiler 81 ) angeschlossen. 

§ 91. Anm. 3. Entsprechend dem Grundsatz, dass nur der regelmässige Gebrauch 
der klass. Sprache für die Schulgrammatik grundlegend sein darf, musste die Setzung des Ge- 
rundivs an Stelle des Gen. oder Abi. Gerundii mit Akkusativobjekt verlangt werden 62 ). Die 
Anm. 3 zeigt aber, dass der nachklass. Gebrauch schon in klass. Zeit vorhanden war, und 
dürfte so zur Anknüpfung des livianischen und taciteischen Sprachgebrauchs einen genügenden 
Anhaltspunkt geben. Dies gegen Fügner S. 123 und Gerstenecker S. 6. 

§ 93. Anm. 1. Ich habe mit gutem Bedacht videor abirt man siebt, dass ich weggehe in 
der eigentlichen Bedeutung des Passivs von video zum Unterschied von videor ich scheine auf 
geführt. Viele Stellen erhalten einen ganz schiefen Sinn, wenn nicht videor = man siebt, dass 
ich aufgefasst wird. Man vergl. Cic. Pomp. 10 De Lucullo ita dicam, ut neque vera laus ci 
detracta oratione mea neque falsa adficta esse videatur; dies kann doch nur heissen: ich werde 
in einer Weise sprechen, dass man siebt, dass ich . . Der Lehrer wird sich nicht entgehen lassen, 
daraui hinzuweisen, dass somit videor dicere ebenso = <paivouai \£rujv als = qxrivoucti Acterv ist. 
Vgl. noch Kraner zu Caes. b. Gall. 2, 28,3. 

§ 132. Anm. Die Gerechtigkeit verlangt, dass ich die Priorität der Erklärung des 
Plusquamperfekts in koinzidenten Sätzen, z. B. scripserunt ad Caesarem amici, quidquid lecis- 
sein, tue de sua sententia fecisse Herrn Oberlehrer Dr. Wetzel und nicht Herrn Dr. Latt- 
mann zuweise. Letzteres habe ich aus Versehen in Deutsch. Litt. Zeitung 1888 Nr. 47 
gethan. Fecisse ist vorzeitig zu scripserunt, somit entsprechend einem Plusquamperfekt, kann 
somit als koinzidenten Satz nur quidquid fecissem neben sich haben. 

§ 137, Dem Lehrer muss überlassen bleiben, auf die Entwertung des Wortes titrum 
hinzuweisen. Streng genommen kann es nur in einer Doppclfrage stehen. Nun aber finden 

"*) In den Programmen von Krotoschin 1874 und Schncidemühl 1S77. 
*') Der finale Genetivus Gerundii. Köln 181)0 S. 5. 

<") Vgl. tür Cäsar Schwenke im Frogr. von Fr.inkcnberg 18K2 S. 16 und S. $2; darnach h.n Cisar 
kein Beispiel für den Ab!, gerund, mit Objektskasus. 




2S 



uir es sogar in einer einfachen Frage mit Unterdrückung des zweiten Teiles der Doppclfragc 
(vgl. wissenschaftliche Syntax i$ 100), und so auch in einer mehr als zweigliedrigen Gegen- 
frage, z B Cic. inv i, 7 utium Carthugo diruatur an Carthaginiensibus reddatur an eo colonia 
deducatur. Wenn auch solche Beispiele sehr selten sind, so zeigen sie immerhin die Verfas- 
sung der ursprunglichen Bedeutung des Wortes und sind sprachgeschichtlich belehrend. 

§ 138. Die Ansicht, dass an in der einfachen Frage sich aus seinem Gebrauche in der 
Doppclfrage herausgebildet hat, hege ich trotz Probst (Beiträge zur lat Gramm., Leipzig 
t88S; III. S. 241) immer noch. Für die Schule ist die Hcrleitung des nachklassischen quae- 
sivit an audisset durch Beiziehung des klassischen dnbito an Caesar per Sardiniam veniat, 
das nur durch Unterdrückung des ersten Teils der Doppelfrage (du — bito — zwei— lein) ent- 
standen sein kann, zu erklaren; wir haben hier die einfache Kntwicklung 11 an in vollständi- 
ger Doppelfrage, 2) an in unvollständiger Doppelfrage, 3) an in einfacher Frage. 

§ 139. Kine wesentliche Vereinfachung glaube ich damit erreicht zu haben, dass 
ich alle Verba und Phrasen, von welchen ein indirekter Fragesat/, abhängig sein kann, auf 
wissen (nicht whsen), wiss<'ll wollen und wissen lassen zurückführte. Darunter sind nun 
einbegriffen die V sentiendi, quacrendi und dicendi; aber auch Sätze, wie Caes. b. Gall. 6, 21 
Ambiorix copias iudicione non conduxerit, dubium est; 7, 6, 2 magna difficultate afficiebatur, 
qua ratione ad exe/citum pervenire posset lassen sich einfach erklären: dubium est man weiss 
nicht gewiss, magna difficultate die darin bestand, dass er nicht wusste (Kraner). 

In der F.rklärung des indirekten Fragesatzes wird man wohl am besten von den Sätzen 
in Anm. 3 ausgehen, welche vortrefflich den Unterschied zwischen Fragesatz und Relativ- 
satz veranschaulichen. Auch Hinweise, wie sie Kraner zu Caes. b. Gall. 7, 3, 3 giebt, sind 
praktisch verwendbar. 

§ 143. Anm. Quamquam ist wie quisquis entstanden, der Indikativ ist nach quamquam 
der gleiche wie nach quisquis. Der Konjunktiv bei Tacitus wird dem Schüler klar, wenn man 
ihm sagt, dass im nachklass Latein das Gefühl, dass die Verallgemeinerung im Pronomen oder 
in der Konjunktion liege, verblasste und so das Bedürfnis nach dem verallgemeinernden 
Modus entstand. 

4; 145. Hier konnte ich den Ausführungen von Fisch im Programm von Bonn 1882 S. 
10 f , der behauptet, coniunetio „da" vertenda est pronomine relativo, si rei vel personae antecc- 
denti qualitas est tributa eaque enuntiato relativo quomodo appanierit significatur nur teil- 
weise beistimmen. Der Satz aus Cäsar zeigt, dass Fisch die Regel zu eng fasst. Übrigens 
waren die Untersuchungen von Fisch für mich sehr lehrreich, ihnen verdanke ich auch § 122, 
6, Anm. und § 143 Anm. 2. 

§ 161 Anm. Die Konstruktionen von dubito sind so breitgetreten, dass ich wegen 
F.ichler in Z. f. Gymn. 1887 S 427 nur auf Cic. Att 15. y dubitabam tu has litteras es- 
sesne aeeepturus, Farn 2, 17 dubitabam venturaene essent legiones verweisen (vgl. auch Hoppe 
l'rogr. Gumbinnen 1879 S. 2) will. Mit angehängtem ne wird ja auch der erste Teil einer 
Gegenfrage eingeleitet, also ist es nach dubito nicht zu beanstanden. 

£ 162. Mit Recht tadelt Schmidt S. 59 an Schein dl er, dass er das relative quin nicht 
vom fragenden geschieden hat. 

«; 162. Anm. Die dem Deutschen ohne diiss entsprechenden lateinischen Wendungen sind 
genau nach der Anlage der ganzen Syntax geordnet und so übersichtlicher und leichter zu 
behalten als bisher. 

§ 178 Die Behandlung von quom (cum), in der ich ganz eigene Wege gegangen, em- 
pfehle ich besonders der Beachtung. Die Kntwicklung des Gebrauchs von quom aus dem re- 
lativen Lokativ zeigt sich namentlich auch im cum identicum, da unser injan ja auch — in- 
Jan — lokativ ist. So bildet «las anderwärts in die Anm. verschobene identische cum hier 
ein wichtiges Glied der Kntwicklung Die Unterscheidung nach dem Modus bei quom ist auch 




20 



hier leicht zu machen, indem i, 2, I mit »lern Indikativ, 2, II, 3 und 4 mit Konjunktiv verbunden 
werden. 

In der Moduslohre ist sehr wichtig die Frage, wo der konzessive und der delibera- 
tive (dubitative) Konjunktiv einzureihen sind, ob sie dem Gebiete des Wunsches oder 
dem der Möglichkeit angehören. VValdeck ist rasch entschieden und verweist (Lehrpro- 
ben 19 S. 12) beide in das Kapitel vom „Begehren". Vorsichtiger ist Lattmann (Progr. 1882 
S. 14), indem er die Bedeutung des konzessiven Konjunktivs als schwankend bezeichnet und beide 
Seiten, das Potentiale und das Imperativische, in dem Konjunktiv der dubitativen Frage 
findet. Bezüglich des Concessivus wird die Verweisung in das Gebiet des Begehrens wohl 
berechtigt sein ; die Beifügung von licet, z. B. Cic. Att. 14, 4, 2 omnia licet coneurrant, Idus 
Martiae consolantur, die Negation ne, z. B. Cic. Tusc. 2, 4 ne sit.summum malum dolor, malum 
certe est, und der Gebrauch des Imperativs an Stelle eines Konzessivsatzes, z. B. Ter. Phor- 
mio 66H sescentas iam mihi scribito dicas, nihil do mag er auch schreiben, ich gebe doch nichts 
(vgl. Loch Progr. Memel 1871 S. 12) sind deutliche Fingerzeige. Anders steht es mit der de- 
hberativen Frage. Hier muss ich zunächst mit G. Muller (Progr Görlitz 1875 S. V Anm.) 
auch jetzt noch als eine zu lösende Aufgabe bezeichnen : Die Vergleichung der verschie- 
denen direkten Konjunktivfragen unter einander. Ich finde, dass bei Grammatikern 
und Interpreten vielfach Dinge zusammenbehandelt werden, die nicht eng zusammengehören, 
so z. B. der Potentialis im Fragesatz und die deliberative Frage. Bezüglich der letzteren habe 
ich die von Lattmann angedeutete Ansicht in der Weise modifiziert, dass ich die deliberative 
Frage dem Potentialis im weiteren Sinn unterordne, aber ein Begehrungsmoment doch in ihr 
finde und sie deshalb gewissermassen als Vermittlung zwischen dem Konjunktiv des Begehrens 
und dem reinen Potentialis in die Mitte zwischen beiden treten lasse. Als deliberative Frage 
erkenne ich nur diejenige an, welche wirklich ein Überlegen, ein Schwanken zwischen zwei 
oder mehreren Entschlüssen enthält; wo dies Moment fehlt, ist reiner Potentialis anzunehmen, 
z. B. Cic. Pomp 31 quis unquam arbitraretur, oder Cic. de or. 3, 87 quid faceret aliud. Beide Fra- 
gen sind oratorisch, also blosse Formfragen, enthalten somit potentialen Konjunktiv. Vgl. 
auch Eichler in Z. f. Gymn. 1882 S. 156. 

Die Negation non beim Deliberativus kennzeichnet ihn als Potentialis, z. B. Caesaremnc 
non interficerem, ferner quid dem, quid non dem, ebenso die beiden gemeinschaftliche Verwendung 
des Imperfekts für die Vergangenheit, z. B. videres da hätte man sehen können, quid res- 
ponderem was hätte ich anworten sollen? Im ganzen ist der deliberative Konjunktiv selten, na- 
mentlich im Verhältnis zum rein potentialen. Entschieden zu bekämpfen ist die Ansicht von 
Ohlenschlagcr in Bayr. Gymn, 1890 S. 239 ..Deliberativ heisst eine Frage, aufweiche der 
Fragende eine brauchbare Antwoit für unmöglich hält." Also wenn ich frage quid dem? quid 
non dem. 5 maneam an abeam? quo nunc me vortamr quod iter ineipiam ingredi? quem te 
deum nominenv non patrem ego te nominem? quo sequar? u ä , halte ich da eine brauchbare 
Antwort für unmöglich? Übrigens genügt für den Schüler vollständig „der Konjunktiv giebt 
an einen Zweifel, eine Überlegung (Dubitativus, Deliberativus, Negation = non) in der Frage 
(deliberative Frage/." Mit mehr Recht hätte sich Ohlenschlager gegen die Zusammenwerfung 
der deliberativen mit der unwilligen Frage bei Englmann gewendet. Gegen Waldeck sei 
schliesslich bemerkt, dass aus dem Gebrauch des Hilfsvcrbums sollen noch nicht auf die Bc 
deutung des Begehrens geschlossen werden kann, vgl. auch Lattmann I. 1. S. 14. 

Für die ganze Darstellung des selbständigen Konjunktivs war mir die Lehrprobe von 
W. Müller im IV Heft der Frickschen Lehrproben massgebend, wenn ich auch im einzelnen 
von ihm abgewichen bfn. Ohlcnschlagers Betlenken gegenüber der besonderen Aufführung des 
Hortativus und Jussivus, die ja mit zum Optativus gehörten, teile ich nicht. Es bleibt dem 
Lehrer anheim gegeben, dem Schüler das Gemeinsame dieser Konjunktive durch schliessliche 
Zusammenfassung zum Bcwusstsein zu bringen, und ich habe auch durch die Disposition genau 




30 



angegeben, wie ich mir die Abgrenzung des Optativus vom Potentialis denke. Den Imperativ 
im Optativ aufgehen zu lassen, hat schon Schirmer in Z. f. Gymn 1882 S. 160 angeraten. 
Nach den Untersuchungen von Riem an n M ) kennt die klassische Sprache kein hoc ne facito, 
so wenig als ein hoc ne fac; klassisch ist nur hoc ne feceris, wie Cic. div. 2, 127 und Mur. 
65 zeigt; nihil ignoscito ist verwerflich Weil aber in der Gesetzessprache, in Verträgen bei 
Livius und sonst ne facito sich findet, habe ich dies in Anm. beigefügt. 

In der Lehre vom Gebrauch der Zeiten habe ich den Unterschied zwischen selb 
standigem und bezogenem Gebrauch genau durchgeführt und bestätigt gefunden, was 
I.attmann jun. in Neue Jahrbb. 1889 S. 425 sagt, dass der Grund für weitaus die meisten 
Abweichungen des lat. Tempusgebrauchs vom deutschen darin beruht, dass die eine Sprache 
ein selbständiges, die andere ein bezogenes Tempus setzt. Ergänzen möchte ich diese Worte 
Lattmanns durch die seines Vaters im Programm von Clausthal 1882 S. 32, wonach die 
eigentümlich freie Verwendung unseres Präsens und Präteritum, sowie der Mangel potentialer 
Hedeutung bei unserem Konjunktiv und Ersatz des Potentialis durch die Konditionalform 
weitere Unterschiede im Tempusgebrauch bedingen. Ferner trägt auch Wetzel in seinen 
bekannten Untersuchungen zur Consecutio temporum, so namentlich in seinen Beiträgen S. 62 
bis 66 viel bei zur Klarlegung des Unterschiedes zwischen der deutschen und lateinischen Dar- 
stellung der Zeitverhältnisse des Verbums. Hier müssen ganz feste Grundsätze aufgestellt 
werden, von denen nicht abgegangen werden darf. Mit Recht tadelt daher Lattmann jun. au 
Waldeck, dass er das Perf. nach postquam daraus erklärt, dass der Zeitunterschied als ver- 
schwindend gedacht wird. Postquam venit ist = inii fjAGev, also historisches Perfekt in selb- 
ständiger Zeitgebung. Dass aber im Satze quinto anno post, quam expulsus erat, rediit das 
Plusquamperfekt steht, erklärt sich daraus, dass hier gar nicht die Konjunktion postquam vor- 
liegt, sondern ein Vergleichsatz, wo der Zusatz quinto anno die Vorzeitigkeit schon voraus 
ankündet. Es müsste daher gerade so gut heissen quinto anno post, quam Numantiam expug- 
naveris, morieris. 

Man wird es hoffentlich als eine wesentliche Vereinfachung empfinden, dass ich die 
vielbesprochene und vielkritisierte Regel über den Unterschied zwischen Umschreibung und 
Ersatz des fehlenden Coniunctivus Euturi beseitigt habe. Ich gehe von den beiden 
Sätzen Waldecks (Lehrproben 18 S. 18) aus: 

1. Ich hoffe, wenn ich aufs Land gehe, mich mit Jagen zu ergötzen, und 

2. Ich zweifle nicht, dass du dies leicht vollenden wirst, und füge dazu 

3. Ich fürchte, dass du dein Ziel nicht erreichen wirst. 

Hierin hat man Sätze der verschiedensten Art unter einen Mut gebracht. Zunächst 
sind auszuscheiden alle diejenigen Nebensätze, welche Wunschsätze sind oder durch Fortbildung 
der Konstruktion der Wunschsätze zu erklären sind, d. h. alle Satze nach den Verba timendi, 
alle Aufforderungs- und Absichtssätze. Hier ist der Konjunktiv durchaus entsprechend dein 
Optativ, und wenn wir auch sagen ,,ich fürchte, dass er kommen wird", so darf uns das 
deutsche Futurum über den ursprünglichen Charakter des lateinischen Nebensatzes nicht hin- 
wegsehen lassen. Der Schüler aber lernt gelegentlich des Übergangs aus der Satzbeiordnung 
in die Satzunterordnung den Charakter dieser Nebensätze kennen und kann daher nicht in Ver- 
suchung kommen timeo ne venturus sit zu schreiben. Dass nach exspecto dum der Konjunktiv 
im Praesens folgt, erklärt sich aus der Bedeutung von dum, z. B. Ter. Eun. 535 apud nos 
hie mane, dum redeat ipsa: bleibe bei uns eine Weile: die weilen möge sie kommen; es ist 
somit redeat der Optativ, dessen Herleitung in der gegebenen Sprache freilich manchmal 
schwer fällt; aber die Entstehung der Konstruktion lässt nur Optativ annehmen. Zwei- 
tens sind auszuscheiden alle diejenigen Nebensätze, welche im Verhältnisse der Gleichzeitig- 

Uiem.nni, La qucsti^ii de I im|K-r.uil laiin eu M; Revue de pliüol. iXXfc S. H>i — 1.S7. 



Digitized by Google 




keit oder Vorzeitigkeit zu einem futurischen Satze stehen. Hier gilt die Regel der consecm lo 
temporum über den Gebrauch der bezogenen Tempora; denn dem bezogenen Tempus des In- 
dikativs entspricht durchaus das bezogene Tempus des Konjunktivs. Daher ist eine 
Anmerkung, wie sie Deuerling zu Cic. Pomp. 10 ita dicam ut non videatur giebt „Der Kon- 
junktiv im Praesens stellvertretend für den mangelnden Konjunktiv des Futurs'* ganz unnötig; es 
steht bezogenes Tempus des Konjunktivs, und dies kann im Verhältnisse der Gleichzeitigkeit zu 
einem Haupttempus nur das Praesens des Konjunktivs sein. Ferner finde ich in dem Satze 
Cic Farn. 13, 17 spondeo eos esse Curii mores, ut eum tarn accurata commendatione, si tibi sit 
cognitus, dignum sis existimaturus an cognitus sit gar nichts Verwunderliches; die Vorzeitig- 
keit zu existimaturus sis konnte im Konjunktiv gar nicht anders gegeben werden. Somit blei- 
ben nur noch die Fälle mit der sog. Umschreibung des Konjunktivs der Futura. Diese 
Umschreibung wird mittels der Coniug. periphr. gegeben. Nun aber haben wir bei der Con- 
iug. periphr. in Nebensätzen zweierlei zu unterscheiden: 1) sie hat die ursprüngliche Bedeu- 
tung der Bestimmung beibehalten ■ 2) sie hat sich derselben entäussert und dient lediglich 
als bezogenes Tempus der Nachzeitigkeit. Als letzteres nun ist es überall da anzusehen, wo 
es, wie man sagt, zur Umschreibung des fehlenden Konjunktivs des Futurs verwendet wird. That- 
sächlich wird aber die Nachzeitigkeit schon im indikativischen Satze durch die Coniug. periphr. 
ausgedrückt: wir werden daher von der Bezeichnung „Umschreibung des fehlenden Konjunk- 
tivs des Futurums" mit Recht Umgang nehmen und lediglich vom bezogenen Tem- 
pus der Nachzeitigkeit sprechen. Sehr bezeichnend für den Schüler und deshalb von 
mir vorangestellt ist in § 118c das Beispiel Impetret oratio, quod dies est impetratura; hier 
wäre impetrabit bezogenes Futurum der Gleichzeitigkeit, da impetret ein Wunschsatz ist, somit 
einen futurischen Begriff enthält. Ks kann also die Nachzeitigkeit nur auf dem Wege 
der Umschreibung zum Ausdruck gelangen. Ebenso deutlich ist die Nachzeitigkeit 
in den Sätzen Antonius permovit oratione eos, qui erant iudicaturi , und Antonius cognoverat, 
qui essent iudicaturi. Man halte mir die Beispiele Caes. b. Gall. 3, 24, 1 quid hostes consilii 
caperent exspectabat und 6, 39, 2 quid ab Iiis praeeipiatur exspectat nicht entgegen. An letzter 
Stelle ist — vgl. S? 125 Anm. — nur praeeipiatur möglich, da eine Umschreibung im Passiv ausge- 
schlossen ist; quid hostes caperent aber ist entstanden aus dem dubitativen Konjunktiv quid consilii 
hostes capiant? was für einen Kntschluss mögen wohl die Feinde fassen? Sobald Cäsar die Nach- 
zeitigkeit ausdrücken wollte, musste er quid capturi essent schreiben, gerade wie Cicero prov. 
cons. 1 si quis exspectat, quas sim provincias decreturus, Verr. 5, 161 exspectabant omnes, quid 
acturus esset. Man vgl. die Stellen aus Ciceros Reden bei Merguet II. S. 281; man wird überall 
den Konjunktiv des Präs. oder Imperf. einfach aus dem selbständigen Gebrauch desselben 
herleiten können. Ich finde mich daher in vielen Punkten nicht einig mit dem sonst verdienstlichen 
Artikel Hartmanns in Wölfflins Archiv Iii S 337—355. Wenn auch Hartmann mit Recht auf den 
selbständigen oder bezogenen Gebrauch der Tempora grosses Gewicht legt, so ist doch viel zu 
wenig betont, dass die Coniug. periphr. die Bedeutung der Bestimmung, also futurus sum 
ich bin bestimmt %u t es steht TU erwarten, dass ich, auch im Nebensatze bewahren kann. So 
z. B. ist der Satz in Cic. Fat. 18 id enim lore diceretur, quod esset futurum nichts anderes 
als die oratio obliqua von fiet quod est futurum, wie Cicero de div. 2, 21 sich ausdrückt; 
quod est futurum oder indirekt quod esset futurum ist aber das absolute Tempus der bevorste- 
henden Handlung. Ebenso erkläre ich Cic. Quinct. 77 sie cogitabam, cum contra dicturus 
esset Hortensius, fore ut permultis in rebus timore prolaberer; hier würde diceret die Gleich- 
zeitigkeit zu fore ut prolaberer bezeichnen, dicturus esset aber ist = wenn, wie erwarten stand, 
Hortensius entgegnete. Manchmal kann beides in der periphrastischen Form liegen, die Bestimmung 
und die Nachzeitigkeit; so lässt sich Cic. off. 3, 39 quaero, si nemo sciturus, si id dis hominibusque 
futurum sit semper ignotum, sisne facturus sehr einfach erklären; „ich frage, ob dn dies auch Ihnn 
wirst, wenn ^11 erivarten sieht, dass es niemand erfährt oder dass es immer unbekannt bleibt," 




Google 



Doch ist auch die Auffassung, dass si nemo sciturus sit sich nachzeitig zu sis facturus verhalt, 
nicht Ausgeschlossen. Gar nicht zustimmen kann ich Hartmann in seiner Auffassung von Cc. 
Guent 158 uon enim debeo dubitare, quin, si qua ad vos eins modi causa delata sit eius, qui lege 
non teneatur, etiamsi is invidiosus esse videatur, etiamsi cum od-.ritis, ctiam si inviti absoluturi sitis, 
tarnen absolvatis et religioni potius vestr.ie quam oeiin pareatis. Ich kann in absolvatis schlech- 
terdings keine Futurbedeutung und in der ganzen consecutio temporum nichts Besonderes 
entdecken. Der potentiale Bedingungssatz si causa delata sit, absolvatis et pareatis wird in 
der Abhängigkeit von non dubito quin nicht verändert und (etiamsi) videatur, oderitis, absolu- 
turi is sind gleichfalls potentiale Konjunktive, letzteres von absoluturus sum es fleht ^11 erwarten, 
Jass ich freispieche, also „auch wenn eine freiwillige Lossprccbung von euch nicht erwarten wäre"; 
etiamsi absolvatis inviti wäre — ,rfass, auch wenn euere Lossprechung eine unfreitvillige wäre, ihr 
ihn immerhin freisprechen it/unicl." 

Im ganzen bekomme ich 'den Kindruck, als ob über die Begriffe selbständiges und 
bezogenes Tempus keine gleichmassige Auffassung durch die Arbeiten der Grammatiker 
gehe; dies ist aber vor allem notwendig, wenn greifbare Ergebnisse aus der Forschung her- 
vorgehen sollen. 

Für die Schule ergeben sich folgende Satze, von denen der Lehrer nicht abgehen darf: 

1) Alle Wunsch-, Auffordcrungs- und Absichtssatze enthalten einen Optativ, könnet) 
also nur im Praesens oder Imperf. des Konjunktivs stehen, mag auch im Deutschen ein Futurum 
vorliegen ; 

2) Die periphrastische Konjugation behalt im Nebensatze ihre Grundbedeutung bei 
oder enthussert sich derselben; im letzteren Falle dient sie als bezogene Form der Nach- 
zeitigkeit; 

3) Bezogenem Tempus des Indikativs entspricht die bezogene Form des Konjunktivs. 
Der grammatisch • stilistische Anhang zur Syntax enthält das Notwendigste, 

was der Schüler aus diesem Gebiete biaucht; die Disposition ist die gleiche, wie in meiner 
(historischen) Stilistik. Dass ich den Satzbau etwas genauer behandelt, entspricht der Be- 
deutung, welche gerade dieses Kapitel für die logische Schulung der Schuler besitzt (vgl. S. 11). 

Zum Schlüsse sage ich den Herren, welche meine Arbeit mit Rat und That unterstützt 
haben, meinen besten Dank. Fs sind dies Herr Oberschulrat Dr. v. Sallwürk in Karlsruhe. 
Gymnasialdirektor Dr. Franz Kern in Berlin, die Professoren und Oberlehrer Dr. Bachof 
in Bremen, Breunig hier, Dr. Bockel in Karlsruhe, Dr. Fichler in Frankfurt a. O., 
Dr. Gerstenecker in München. Dr. v Jän in Strassburg i. F., Keim in Karlsruhe, 
Dr. v. Kobilinski in Königsberg, Dr. Landgraf in Munclien, Dr. Sitzler hier, Dr. O. Wcis- 
senfels in Berlin und Dr. Ziegelcr in Breiren. 

So möge denn die neue Schulgrammatik suchen sich Freunde zu erwerben. Allen zu 
gefallen ist unmöglich, dies wird also auch meiner Grammatik nicht gelingen; zudem stehen so 
viele Wünsche auf dem Gebiete der Schulgrammatik einander gegenüber, dass mir bei der 
Durchsicht der schulgrammatischen Litteratur es manchmal kaum glaublich erschien, dass so 
auseinandergehende Ansichten auf einem immerhin eng begrenzten Gebiet entstehen konnten. 
So weit es möglich war, wurden alle mir bekannt gewordenen Wünsche früherer und neuerer 
Zeit berücksichtigt, manchmal auch eine Versöhnung und Verbindung entgegenstehender An- 
schauungen versucht. Mit welchem Frfolge. mögen andere beurteilen. 

Xauberbutch-ofcheim. im Juli 1S90 



J H Schmäh