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Full text of "Ausgewählte Schriften"

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Ausgewählte 
Schriften: Aus 
meiner 

Studienzeit, 
Erinnerungen 




Heinrich 



Hansjakob 




Xibrar^ 

of tbc 

TUniversits of UCUeconsin 




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Xtbran» 

of tbe 

TOnivereiti? of WUsconsfn 




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Ijttotid) ^nnsjnkob. 



2. 3Sanö. 

$hts meiner 6fu5icn?cif. 



KapL 

C&curg H>*i8, 0?rla0 

(fröfjtr tu f ttbttt«*) 
1902. 



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it* meiner i?fat6iett?eif. 



<Srinnerun<jett 

f einriß j$an0ja&0&. 



(Sin Knabe gar ntel lernen tnnfo 
Bt» aus ifnu rotrb ein $ominu» 
löogumil «olfr. 



3fttnffe ver&efferfe Änffa^e, 



<&*xr*a H>*i8, 0?tlag 

(Jrfi&er in ^eibetörra). 
1902. 



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2>ru* bor ^offmannftl/en 93ucl;bruderei in ©tutiflart. 



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X41T 



Vorwort 



@djon feit 3fef)t unb 2äg tft bie In'et *otlicgenbe 
gfottfetjung meinet „3fagenb3eit" fertig in meinem ©cfyteib* 
tifdje gelegen. %cß Ufingen meinet wenigen, abet auf- 
nötigen Jteunbe Ijat nud) enblid) beffonmt, fie „an§ £icf)t 
gu geben". 

9lu3 bet ßinbeä* unb ßnabenjeit I&^t fld^ leicht er- 
&äl)len; alle 9Belt batf von ben Xugenben unb $ef)Iem 
jenet,3ett miffen; niemanb fdjämt fid) batob, unb feinet 
geljt mit iljnen tn3 ©eridjt SBenn wir älter roetben, 
fommt bie fttenge SJtotal, unb unfet Seben uetfädt bem 
Uttljeile bet 9ttitmenfd)en. ©obalb man e3 abet in 
biefet ©mftdjt mit feinem lieben 9W$ften 31t tftmt Ijat, 
batf man auf alles eljet tedjnen als auf ©Tönung, ©o 
(am e3, bafc e8 miebet^olten fttängenS bebutfte, bis id) 
mtd) entfdjlofc, ba3 twtltegenbe, offen unb eljtüd} ge* 
fdjrtebene $Büd>lein in ben %xnd geben. 

©igentlid) roat e$ ntdjt ted)t gefdjeibt oon mit, mt$ 
lange &u beftnnen, ba id) ja fd)on langft nriffen tonnte, 
bajj gemiffe Seute mtd) nid)t fronen, felbft roenn tdj ein 
(SebetBudj fdjtetben roütbe. 



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- VI - 

Ob ich berechtigt bin, meine ^Biographie &u fd)retben, 
barüber laffe id) ©oethe rebetu ©r fagt: „%k 3*age, 
ob einet feine eigene ^Biographie fchreiben bürfe, ift höchft 
ungefchieft. 3$ ^alte ben, ber e§ thut, für ben IjöfUdjften 
aller Sftenfchen." (SineS „höflichen 9Jcanne§* Bnct) aber 
wirb man nicht weiter empfehlen brausen. 

greiburg, ©nbe 9Gooember 1884. 

3>er 3fferfa(Jer. 



HJorre&e ?nr jtpeifen Hitffage. 



©in babifdjer ^P^ilologe hat in einem babifdjen blatte 
bie (Säuberung metner <Stubien$eit als eines ber fchlcchteften 
SBficher nnferer Qtxt bezeichnet. $>a aber bekanntlich bie 
f$led)ten SBücher oiel lieber gelefen werben al§ bie guten, 
fo fam e$, bafc, auch infolge ber genannten (Empfehlung, 
mein ^Büchlein eine aweite Auflage erlebte. 3$ fehtcf e 
biefelbe in bie Sefewelt, ohne mir ein ©ewiffen barauS 
ju machen, ein fo fchlechteS SBud) gefchrieben $u haben, 
freue mich vielmehr ber oielen ßef er meiner Schlechtigkeiten. 

r ei bürg, im September 1893. 

3>er ^erfaf]Ter. 



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6rite 

3)ie (gmtftfreibwtfl , , . . 1 

SBeim Kaplan 16 

%)et Duartanet in fltoftatt » . . 46 

$)et CLuintancr . . , . . . . . . . a . 96 

3)er ©egtanet 143 

g)et 9ftaulefel 202 

Unioerfttät imb flonpüt 213 

Qm ©cminar 282 

g)gg ©taatgegamen 305 

mdblxd 324 



■ 



jogle 



$)te ©ntfttffttwng, 

9Jiit bcm weisen Sonntag beS QatjreS 1861 ^atte 
ftd) für un§ #aSlad)er ©rfttommunifanten „ber Äinber* 
fyimmel" gefd)loffen. ftxoax fanben mix uns an ©onntag- 
9tocf)tnittagen noef} mit ben älteren 9$olt§fd)ülem au* 
fammen, um auf ©ttafje unb ©äffe, in gelb unb äBalb 
ben ®eniu§ ber Äinb^eit frei leben ju laffetu Mein bie 
meiften oon un§ mufften fdfjon ju erjagen oon ber 9Mf)e 
unb Arbeit in ben Sßertftätten tfper SBater unb 2Heiftcr. 
©in&elne hielten fief) aud) ftolj gän^lid) ferne oon ben 
jüngeren (5di>ulfameraben, bie nod) unter bem ©cepter 
beS Oberlehrers ftanben, unb gingen nad) ber fonntäg« 
liefen SBeSper in3 $ierljau8. 

3$ mar in jenen erften Monaten nadj bem SluSjug 
au§ bem $inberi)immel 5lmp^ibium unb tonnte ebenfo 
oergnügt mit ben „©djulbuben" fpielen als mit ben ©ecef* 
ftoniften unb Sttannbaren brunten am ftlofterbad) beim 
„füjjen ßang" ftijen, mo jeber einen ©poppen SBter „um 
groei ßreuaer" tranf unb für fed)§ ßreujer SBrob baju afj. 

%oö) tief mid) oon allen ange^enben £ef>rjungen ber 
(Sonntag 9lbenb guerft fjeim. 34 mußte in bie oäterltd)c 
SBarfftube unb ben „SBorteig" anmachen für bie näd)tlid)e 
S&robbereitung. $enn feitbem bie ®4ule mtd) entlaffen, 
tyatte td> mit unferm Seljr jungen, bem *ßeter, alle ein* 

$anäiaiob, ©tublenjtlt. 1 



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fdjlägigen Arbeiten ju teilen, unb weil id) ber jüngere 
mar, mußte tdj ben SSortctg Juristen unb fo einige 
Stunben efjer ans ©efdjäft als mein Vorlege. 

liefet mar ber 9ßacf)folger beS in meinen Qugenb* 
(Erinnerungen ermähnten „Sepp", ©r fam aus bem %ofy 
bacl), einem emfamen ©c^öftc auf ber ,£öl)e hinter bem 
©trief erroalb, mar ein ftider 2Balbburfef)e mit fraufem 
SRoHentopf unb gutmütig fdnelenben klugen, aber ein Genfer 
bittigfter Slrt. 211S id) ifmt baS erfte SJtal oon ben bitter* 
gefeitesten fprael), bie ©epp, £ug unb ie^ in ber 23acfftube 
gelefen, fe^ielte er mie^ an, als märe er eben frtfcf) uom 
Gimmel gefallen. 9Lud) ftunb er mit bem Sefen unb 
©ef)reiben auf gefpannteftem ftujs. $0$ burfte ilnn bieS 
aUeS nic^t oerargt werben; benn feine £eimat() liegt fo 
oerfteeft unb abgefdjieben oon SBelt unb 9ttenfd)en, baß 
bort „bie f^üc^fe unb #afen einanber gute Stacht fagen", 
unb ber 3&eg jur Schule im 3$al brunten mar gar ju 
befcl)roerUd>, um mUnfm nod» meleS lernen au fönnen. 

$ugo, ber Aneckt, mar auc$ nidfjt meljr ba, unb 
feinem ©teUoettreter, bem Wtatt, galt ein aSiertele Kartoffel* 
fcfcnapS mefjr als eine ganje Labung ood SJttttergefctjicfiten. 
3ftatt mar ein um fein ©ütcfjen gekommener SBauer aus 
bem „^Jtüttibae!) 4 ', ber im ©täbtle taglitfmerte, meift bei 
meinem SBater, ein luftiges, burjtigeS £auS, an bem beS 
SBeltaflS ©orgen fpurloS vorübergingen, fo baß er fjeute, 
1896, no$, ein ^tjiger, lebt, arbeitet unb trinft. 

Sälit bem ©rfefyeinen t*on s $eter unb 3Ratt Ratten ^ßoefte 
unb ^Hittert^um ftd) au§ unf erer 33aef ftube entfernt, unb baf ür 
roaren für mic^ bie erflen, quälenben begriffe oom „Staat" 
eingesogen. 3n jenen Sagen fpielte nämlie^ bie SanbeS* 
regierung noclj in einer *on mir jefct Wfylid) gebilligten 5lrt 
bie SRoHe „beS öffentlichen ©croiffenS" für $äcfer, SJccfcger 



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— 3 — 

unb ^Bierbrauer. %a mußten ber ßroei^reujcr-SOßccf unb 
baS ^©rofc^cnlaiblc 4 ' fo itnb fo siel wiegen, unb bog 
oterpfünbige ©chwar&brob burfte nicht teurer oerfauft 
werben, als ber Slmtmann befretirt ^atte. Sehnlich beim 
$Mer unb beim ftleifch. Qebe äöorfje tarn „unoerhofft* ber 
(£enbamerie«2Bachtmeifter mit ber ftäbtifdjen „Sicherheit", 
welch' letztere bie offizielle StaatSwage trug, unb eS 
würben bte Saaten ber SSäcfer abgewogen. 

%a pochte mir jeweils baS ©er& ; benn ich mar ber Der* 
antroortUdje tflebatteur. 3$) M** * n nächtlichen Stunben 
beu $eig gewogen unb *ßeter tf»t geformt. SBenn bte SÖaare 
ju leicht befunben unb mein SBater beftraft worben wäre, 
hätte bie Schulb fleh an meine 3*rfen geheftet. 2)od) 
mein 2Bägen warb in attweg als treu anerkannt, unb eä 
freut mich jefct noch, baß ich bamalS, in meinem erften 
$)tenft für baS öffentliche 3Bohl, ehrlich gebient unb ben 
©aSlacher Untertanen mährhafteS SBrob geliefert fyabt. 

@S waren jene SBochen meiner SEBirffamteit als 
93äcferjunge mehr werth für bie Sttenfchheit meines ©et* 
matt>©täbtchenS, als gar manches ©efefc ber -fteuaeit, 
baS bem armen 93olt Steine ftatt guten SBrobeS gibt 

2lber eine Qual war eS mir, ©unberte oon ©alb* 
ba^enlaibchen unb SBterpfünbern nach ber ©ewichtStage 
iu normiren, unb fo fehr ich h cu * c no $ oe « gewtnnfüch* 
ttgen 9Jceiftern ben Staat mit ber $rob* unb ©ewufftS* 
Saje auf ben ©als wünfehte, ebenfofehr gönne ich ben 
armen SBäcferjungen bie neue Freiheit. Sieber arbeitete 
ich an SBregeln unb „©ipfeln", benn bie burfte ich nicht 
bloß wägen, fonbern auch mobein unb mit bem obligaten 
(giweif* beftreichen. 

©atten *ßeter unb ich *>te oerfdnebenen SBrobforten 
auf ben Brettern jutn „(Sehen* fertiggefteUt unb ben Ofen 

1* 



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gehest, fo roecften roir meinen SBater, bet ba§ „<5Hn* 
fließen" beforgte unb ba3 eigentliche SBacfen überwachte. 
Um 9ftttternad)t tarn baS $8rob au§ bem Dfen, <ßeter 
unb idfc) erhielten jeber ein ©läSrfjen „•ftußroaffer 4 ' unb 
jmei „oerg'rathene* ®ipfel, bie mir „(uhroarm* oerfpeiften, 
unb beten ©enuß fammt bem ßiqueur und einigermaßen 
entfehäbtgte für bie geopferten ©tunben be3 ©chlafeä. 

$>er ©aftenalife, ber Sftachtrocuhter, rief auf feiner 
SRunbe gewöhnlich bie jroölfte ©tunbe an unferer £au§ec(e, 
ba mir Iangfam bie (Stiege Ijinaufmanberten in unfere 
Cammer, roahrenb berSBater, noch feine $fetfeau§rauchenb, 
bie ^^üren fchloß unb im 6tatt „umsüubete", ehe auch er 
jich iwc Sftuhe legte. 9Jlein letztes 2öort an $eter lautete 
gar oft : „D Hölter, menn i no a mal roißt, roa§ i märe 
muaß; benn beg SBache ifch m'r in ber ©aT j'roiber!" 

Unb in ber $t)at mar meine Söacfftubenarbett nur 
ein ^rooiforium, ba SSater unb 9Jcutter fid) noch nicht 
geeinigt Ratten , roa§ au§ mir roerben fottte. ©o otel 
ftunb in meinem großen Sroffe beim SSater feft, baß 
(einer oon feinen Stoben Söäcfer roerben bürfe, weil bie 
$ä<f erei „ba§ lumpigfte ©anbmerf auf bem gangen @rb* 
boben fei". @r mar hierin ba8 gerabe ©egenttjeil oou 
feinem SBater unb meinem ©roßoater, bem „(SfelgbecC 
Dulgo „SBecfenpeter". $)er ^atte oier ©ityne unb &roei 
Töchter; bie erfteren mußten aHe SBädfer roerben, unb bic 
lederen t>erhetrathete er fämmtlich ju biefem ©anbroerf. 

$>er ältefte SBruber meinet 38ater§, Sofef, roar fo 
ftolj auf feinen <§>tanb, baß er „gegen alle SBäcf crregel" 
einen mächtigen (Schnurrbart trug unb beßhalb nur ber 
„©ehnausbeef" genannt rourbe. ®r f)atit fleh fcuerft in 
Dffenburg niebergelaffen unb hier al§ ©acfftuben^lebejer 
eine (leine Sfreootution unter ben ©albbürgem gegen bie 



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- 5 - 

93oUbütget in ©cene gefetjt, meftyalb bicfc nadf) etlangtem 
@ieg bcn „©djuaugbect" oetttieben, motauf et mit einem 
äroetten trüber tauföte unb fein 93tob in £a§lad) buef. 
(£t ftarb — mit #ülfc feinet g=tau — als fftentiet, ein 
feltene§ (ämbe füt Demagogen unb Älembäcfet. 

£ätte mein SBatet ben „Äaftengeift" be§ ©tofjoaterS 
gehabt , fo märe id) Ijeute audf) SBäcfetmeiftet in $a§te 
unb ttttge, ba bei ben $a3lad)etn ntrfjt leidet einet oljne 
„©pt^namen" roegfommt, bei meinet ßötpetlänge nmfjt* 
fdjeinltdf) ben tarnen „©totcf)enbecf" obet „bet lang SBccf* 
unb weite {ebenfalls liberal, fdjon beftroegen, roetl bie 3Belt 
ben liberalen bie 9lbfdjaffung bet SBtobtaje oetbanft. 

$ucf) bie ©tofjmuttet !>atte Ujten ^ßlan, mid) jum 
Kaufmann gu machen, &u meinet l)öd)ften 93eruf)igung auf* 
gegeben. Jföre jüngfte fcod&ter Ijatte oot futjem einen 
Kaufmann ge^eitat^et unb ba§ t)äterltd)e ®efd)äft über* 
nommen, unb fo roatb bie ©rojjmutter bet gitfunft tfjreS 
$tamlaben§ fielet oljne mic^. 2lbet „roa§ foHte nun 
au3 bem ftinbe roetben"? £)iefe fjtage bet fjL @dt)rtft 
fiellte mein SBatet auety öftet§ an bie SJluttet, nut etroaS 
betber. Vtcm$mal, wenn bie galjlteidje ftamtlie beim 
SDttttageffen fafj unb ba§ unt>etmeibüd}e ©erid&t jebeS 
§a§lacf)et ©äcfettifdjeä, SBaffetf Quitten *), net$ef)tte, fjub 
bet Sßater, jut Sftuttet geroenbet, an: „2Ba§ fange met 
(mit) au mit bem $ärle a?" S)ie Sttuttet mußte unter 
obroaltenben SBerfyältntffen audE) !einen SRaty, unb id& wagte 
meinen feit SOßod&en fettigen $lan nod& nidf)t &u Der* 
öffentlichen. 

•3JUr roaten nämlicf) immet unb immet miebet bic 
in meinen „Sugenberinnerungen" genannten (Stubenten 



*) (Sitte SRe^lfpeife, gefertigt au§ bem ni$t oerfauften »cobe. 



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aus ber SBucffdjen ^Bierbrauerei &u greiburg nor ber 
jungen SBäcferfeele aufgelegen, unb td) mäfjnte, ein 
©tubent mttffe baS fd)önfte ßeben tyaberu Dft fpra<$ tcty 
mit *ßeter in ber SBatffiube bamm, unb ber mar ntd)t 
abgeneigt, an bie 9ttöglid)feit ju glauben, baf$ idj „auf 
Pfarrer" ftubiren tönnte; benn ber Pfarrer in ©teinad), 
feiner $trd>fpielSgemeinbe, fei früher aud) ©d^reiner gc* 
roefen unb bod) nod) „ein £err" geworben. 

%a$x traten noc§ bie ©d)ilberungen auS bem SJtunbe 
beS Soreng 9flauS l ), wneS Neffen unfereS ©tabtpfarrerS, 
ber bereits in £>ff enburg auf ber ©djule mar unb bie Serien 
bei un§ ©a8lad^ern jubradjte. 3)er £oren$, fonft ein fetyr 
mittleres latent, impontrte mir bamalS mädjtig, unb irf) 
Ijabe tjeute vor bem großen §umaniften (SraSmuS oon 
SHotterbam md)t me^r Sfafpeft als in jener $eit nor bem 
©tubiofuS 9ftauS non ©futtern, ber bereits non ©tjrefto* 
matfjte, t>on ©tgl unb Sttatyematif fprad), nmfjrenb id) 
©rofdjenlaible fabrijirte. 

3BaS midj aber genirte, meine ftitte Siebe jum ©tu« 
biren nor ben ©Item $u protlamiren, baS mar bie fjurcfyt, 
ber SBater möchte ein entfd&tebener (Segner banon fein. 
<£r Ijatte fdjon gar oft gcau&ert, bafe Sefen unb ©djret* 
ben bem gemeinen Sflann nid)t oiel Reifen f (hinten, unb 
oom (Srofcoater erjä^lt, ber feine SBuben utc^t einmal in 
bie ©djule tyttte fcfyicfcn motten, roeil Sefen, ©treiben 
unb Steinen ©adje „ber $erren" fei unb er feine Herren 
aufriefen roottte. $0$ $atte ber „SBecfe^ßeter" einen 
trüber gehabt, ber ©riftlidjer mar, unb autfj oon btefem 
unb feinem „frönen 93ermögen" f>atte ber SSater nrieber* 
fjolt gu berieten gemußt. $>iefe Üljatf ad>e gab mir je« 

J ) 9)tein guter <yreunb £orena ftarb ffym in ben fieser 
Sauren alö Dberförfter au ßotf. 



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— 7 - 

roeil§ einige Hoffnung beim Sftachbenfen über ben jufunf* 
ttgen UrtheilSfprudj be§ 23ater§. 

$)ie erfte ©röffnung machte ich ber ©rofimutter, bie 
für 2lu§btlbung ©w« ^atte unb an meinem erften ^il* 
bung§au§flug in bie »oltefchule nach gretburg fchulb ge= 
roefen mar. 3$re Antwort ift mir tyutt noch fo gegen- 
roärtig, al§ ob ich fte erft cor jroei Sagen gehört ^ätte. 
9luf meine 3*age: ^SSBaS meine 3^r, ©rofjmuatter, wenn 
i au fchtubiere ttjätV* nicfte fie beifällig mit ihrer ©olb* 
haube unb fprach: „ftrili roaYS fchö, wenn be a rächte 
©eifchtliche thätfch märe, benn be* ifch ber fchönfät 
©djtanb, unn wenn ainer tranf morbt, ifch er oerforgt 
unn ^et ji fiabtag 'S SohrS 300 ©ulbi.* 

3$ mufj lächeln, fo oft t$ an biefe 9Borte benfe. 
Srte 300 ©ulben „Sifchtttelgelb", bie ein bienftunfähiger 
^ßriefter befam, fdnenen oor oierjig fahren meiner ©rojj* 
mutter eine SBerforgung erften 9tange3. 3Bie naio unb 
genügfam waren bie -äftenfchen noch oor roemgen $ahr* 
ahnten! £eute !ann einer mit bem „Sifchtitel* oerhun* 
gern, wenn ihn nicht eine öffentliche Slnftalt aufnimmt. 

(Stubiren unb ©eiftlidjer werben mar bamalS in ben 
bürgerlichen unb bäuerlichen Greifen e in 3ßort ; nur bie ©öfjne 
ber „£erren", b. i. ber ^Beamten, backte man ftch als ju= 
fünftige ©taatSbtener. ^)eg^alb ging bie £Rebe meiner 
©rofjmutter f of ort auf ben „geiftlidjen (Staub" t)faau§. Sötir 
fchtoebte aber etwaS ganj anbereS oor als ber „Sßfarrer". 
$)ie Pchftc ©tufe im SKang ber ©tubtrten fdfien mir ba* 
malS — ein SKentmetfter einzunehmen. $er alte 9ient* 
meifter ftifcher, welcher im zweiten ©tocfe be§ oäterlichen 
$aufe$ wohnte, mar mein Qbeal oon einem „^perm". ©r 
fa£ ben größten RtyH ° e § $<*ge3 in feinem fchönen ©e* 
mach am JJenfter unb rauchte ans einer langen pfeife, 



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- 8 - 

unb wenn er bog ©aug ©erließ, fo gefd^a^ eg meift im 
eigenen, von atoet glänjenben Traunen gezogenen Söagen. 
$>en Dberatntmann Pilger fal) id& nur $u §uß, son feinen 
^ü^ner^unben begleitet, auf bie JJagb gelten, aber ber Stent* 
meifter fuf)r fpajieren nrie ein gfütft. Stoß id) aber „auf 
föentmeifter* fhtbiren wollte, oerrtetl) id) feinem 5ttenfd)en 
unb war aufrieben, alg id) bie ©roßmutter fürg @tubiren 
gewonnen unb oon ifjr bag SBerfpredjen fjatte, baß ße 
mit SSater unb 9Jlutter bag äBettere bereben wollte. 

Steine Butter pflegte regelmäßig ifjr 9fttttag§fd)lafdjen 
$u machen, aber md)t in unferm unruhigen ©aufe, fonbem 
broben bei ber ©roßmutter. %a faßen bann beibe auf 
bem (leinen <5ofa in bem ©djlafjimmer ber ledern, bie 
Slrme übereinanber gelegt, unb fdjltefen. 33or bem ©in* 
fd)lummern würben in ber Olegel bie $age3fragen erlebtgt, 
unb fo aud) txxtmal mein ©tubirplan. bereinigt rücf ten 
bie ©d&läferinnen in einer frönen 9?ad>mittaggftunbe in 
meiner 9lbwefenl)eit oor ben SSater unb fälligen ifyn 
nor, mid) fhtbiren &u laffen. ®ag töefultat mar ein 
Überaug günftigeg. $)er SSater wollte fid^ nur erft Der* 
gemtffern, ob icf) audf) Talent fyätte, unb entließ bie swei 
weiblidfjen SBefen mit bem $8efd)luß, er werbe in näd^fter 
Seit mit bem Oberlehrer ©djerle reben unb beffen Sftei* 

nung über meine ffä^igfett frören. 

3ttein 2Sater mar in mannen fingen bag gerabe 
©egentfjetl oon feinem ©olme. SB&^renb bei biefem Kenten 
unb £anbeln immer möglidtft fdmeU bei einanber pnb, in 
$olge beffen er fdjon jaljllofe Stftale übereilte ©treibe 
gemacht f)at, (onnte eg nic^t leidet einen ruhiger über* 
legenben 9Rann geben alg meinen SBater. $)rum prefftrte 
eg tlrat gar md)t, fdjon am gleiten ober am folgenben 
Sage jum Sefyrer $u gefjen, unb jebeg drängen märe ing 



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— 9 — 

©egentyeil umgefdtfagen. 3$ mugte barauf gefaxt fein, 
nod) einige 2Bo$en ofyte (Enburtljetl mit $etcr in bet 
SBacfftube unb auf bem Jelbe Ijanttren ju muffen, unb 
tf)at e3, von Hoffnung getragen, aieralid) unoerbroffen. 

©ine§ $age§ nun arbeiteten ^ßcter, ßuügarbe, bie 
3Jlagb, unb td) in „ber Seimettgrube" *). 2Btr Ijacften bie 
Kartoffeln; e8 war <$nbe 3Jlai. Um ae&n Ufjr beg SJtor* 
genS fam bet SBater ben #ol)lroeg beim „©djinberljäuSle 4 ' 
herauf, um, rote er $u tfjun pflegte, nad) feinen ftzVb* 
arfcettem $u fefjen. Qn gerooljnter 2Beifc fein Sieb pfet* 
fenb, nafjte er fid) un§ unb rief, nad) einigen gefdjäft* 
lid&en fragen an bie ßuitgarbe, mir &u: „So fd>aff jeg 
nur reicht uff'm ^älb; benn mit bem ©rfjtubiere tfdj e3 
bo (bod)) nij; i bin ben Sflorge bim Saurer gfi, unb ber 
Ijet g'fait, bu feifd) j'bumm bepa!" (Sprados unb ging 
pfeifenb oon bannen, „be§ ©anbl>afen*§alben" hinunter. 

2Bie com Gimmel gefallen ftunb id) auf bem Kar* 
toffelacfer anrifcfjen ü&tagb unb Sefjrjunge. <Sd)am unb 
30m fdmpften in mir, bis ber lefctere ftd) in ©Wimpfen 
über ben Sefjrer Suft machte. Unb bod) ^atte, roie idj 
fjeute flar einfelje, ber 9ftann nad) beftem SBiffen unb ©e* 
roiffen geurtfyeilt. Qd) roar in ber ©djule ein jtemlid) 
au§gelaffener 9ta>olution§bube geroefen, fjatte bem guten 
Oberlehrer, wenn er öfters oor SJlübigfeit in ber ©djute 
fdjlief, mit ber ftreibe ben Sftüdfen bemalt unb i^m gar 
mand)e§ „SJUtUarbenfapperntent" ausgepreßt S)aju leiftete 
td) geiftig garroentg; im Rechnen roar tdjnutt, im (Betreiben 
feljr mittelmäßig unb nur hn ßefen gut. 2ßa§ foü nun 
ein ©djulmeijter anberS fagen, roenn man ilnt fragt, ob 
ein foldjer <Sd)üler &um (Stubiren fäfjig fei? — 



') ©in ©eroenn-^ame ber §aölad)er ©emarfung. 



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— 10 — 

2113 tdj mit ©Wimpfen ju ©übe mar, oljne baß mein 
3orn fid) gelegt, warf ic$ meine #acfe auf bieSJlutter ®rbc 
unb ging ingrimmig fjinauf jum na^en SBalb. S)ort, bei 
„€>etler§ Tobel", in ben idj fo manchmal mit meinen 
Äameraben, ©eibelbeeren ober SBogelnefter fuefjenb, unter 
#atti*#aOo eingebogen mar, fefcte id) mid) unter eine 
Tanne nieber unb meinte tiefbettübten £erjen§, baß ber 
Traum oom jufünftigen SRentmeifter fo plöfclid) mir ger* 
riffen morben mar burd) be§ JÖeljrerS 2lu3fprud). 

2lm grünen, grünen 2öalb, fo ooU oon Erinnerungen 
an ben ßinberljunmel, faß, wenige SRonate nad) bem 
2lbfcf>ieb oon ber flinbtyeit, ber fonft fo Weitere tfnabe 
unb meinte — au§ (Sorge für feine 3 u ^ un ft uno f e * uc 
(Srjftenj im Seben. $>ie Tannenbäume grünten unb min!« 
ten rote efjebem, bie SBögelein fangen in alter Suft, unb 
nur bie f leine 3Jtenfd)eufeele mußte füllen, baß fte oer* 
ftoßen fei au£ bem Sßarabiefe. ©d>on begann ber oer* 
tyängnißoofle SBorljang ftd> gu lüften, üon bem <5d>open* 
^auer fo fdjön fagt: 

„!$n früher Qugenb fifcen mir oor unferm beoor* 
fte^enben Lebenslauf, mie ftinber oor bem Ttyeatcroorfjang 
in froher Erwartung ber $)inge, bie ba fommen foflen. 
©in ©lücf, baßftenidjtroiffen, mag roirflid) fommen mirb. 
$enn roer e§ weiß, bem tonnen ju fetten bie ftinber oor* 
fommen mie unfcf)ulbige Delinquenten, bie sroar mdjt jum 
Tobe, hingegen jum Leben oerurtfjetlt finb, jebod) ben 
'jnljalt i^reS UrtfyeiB nod) nictyt oernommen Ifaben." 

5115 bie amttagäglocfe oom ©täbtdjen fjerauftönte, 
rief mir ber ^eter jum ©einigeren. %n ftummer SBer* 
jroeiflung naljm id) meine £acfe auf bie 6cf)ulter unb roam 
berte bem 93aterf>au§ ju. §ier ftratylte gleich ein £off nung§* 
ftern, unb ber entfprang bem ßopfe ber 9ttutter. 6ie 



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- 11 — 

felbft mar ebenfalls erboft auf ben Setter ; e§ mochte fte 
ärgern, baft thr ftltefter ©ohn ein bummer &erl fein fottte, 
unb flc oerftel auf ben richtigen (Bebanten. S)er SBater, 
meinte fie, foHe ben Kaplan *) fragen, ob er eS nicht mit 
mir probtren wolle im lateinifchen Unterricht. £)er werbe 
bann balb ^erau^finben, ob ber £et)rer recht ^abe; flc 
tönne e$ nicht glauben. 

$)er Machbar ©chmieber, ber ©trumpf fhrief er, unb 
unfer Detter Fachmann, oer Uhrmacher unb ©chroärmer 
für bie $)ottoren ber fechte, mürben, nach bem 9Jlittag< 
effen oor bem ©aufe ftehenb, oon ber Sttutter ebenfalls 
interpellirt. S3eibe tootlten an mir „QntetUgenj* bemeitt 
haben. %a$ tleine ©tricferlein fd)lo& biefelbe namentlich 
au§ ber 9lufmertfamteit, bie ich l^ben ©onntag ben poli* 
tifd)en unb gefdjichtlichen ©efprächen geroibmet, bie er unb 
ber #afner £aberftroh „auf bem Söäntle" oor feinem 
#aufe loSltefjen. 

■Jtod) ber ©rf)lafftunbe tarn noch bie ©rofjmutter her« 
unter unb beftürmte ben SBater, ber ob beS erften 3?et)l* 
gangeS faft bie £uft oerloren hatte, bem föath ber 2ftutter 
$u folgen unb noch sunt Kaplan su gehen. 

2)er Süeiber Slath ift nicht »iel roerth, 
Stodj ift ein 9latv, rotv nid)t brauf hört, 

mochte mit ©eroanteS ber „SBecfe^h^W von $a%k" 
beuten, unb fo fagte er biefen ®ang, aber al« ben un* 
umftöfjlich legten, gu. 

©3 ging abermals einige Sage bie ©onne über meiner 
©ehnfucht auf, ehe ber Sßater feine ©dritte bem <ßfarr* 
häufe julentte, um bie ©ntf Reibung über meine «Bufunft 
ju hotai» ©in Freitag borgen, roelcher mir untierge&lich 

*) Kaplan ^ei^t im ümaigt^al öei- &ifai- beö ^faiwrd. 



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- 12 — 

uor ber ©eele fteht, war e§, ber bie frohe Votfchaft brachte. 
<ßeter unb ich fpalteten uor bcm #aufe £>olj für ben 
Vacfofen, al§ wir ben Vater bic „norbere ©äffe" f)in* 
auffchreiten fahen. ©r hatte ben blauen SHocf an, unb 
ber verriet!) mir fofort, baß e§ jutn Kaplan gehe. 

SJlein Vater jog nur bei feierlichen 3lnläffen einen 
9toef an, unb er tfjat e§ jeweils pdjft ungern, ©r befaß 
auch ttwt einen einigen, unb ber war blau, tum einer 
Färbung, wie ich fte nur noch einmal wteber gefunben, 
im Speere ^wifchen Neapel unb Palermo. Nichtig bog er 
feine Schritte in bie „hwtere ©äffe" beim 9tbler ein, ber 
nächfte 2Beg jur Wohnung x>on Pfarrer unb Kaplan. SJlir 
flopfte ba8 §ers oor banger ©r Wartung, bie ber *ßeter 
noch fteigerte, inbem er in feinem SDochbacher S)ialeft an* 
hub: *£ainr, wa3 mainfeh, menn'g jej bim Kaplan au 
ni£ ifch, noa muafch boch no a Vecf märe?" „$o, *ßäter," 
antwortete ich grimmig, „no wor i a Vecf , unn no gemm'r *) 
mitnanber in b* Jrembi!" boJ SBeinen ftunb mir 
bei biefen entfchloffenen 2öorten näher al8 ba§ Sachen. 
Von jeijt ab wanbte ich weine 9tugen mehr auf bie ©efe 
be§ 9lblem)irth§hawfe§ «13 auf bie „Vacffcheiter", um 
ba§ SBieberfommen be3 Vater§ $u erfpähen. 

Söenn ein Verliebter einen brüten jur gufänftigen 
unb ju beren Vater fehieft, um für ihn ba§ entfeheibenbe 
Qawort &u holen, fann er nicht unruhiger fein, bis ber 
greunb wieber ba ift, al§ ich, ba ich auf ben Vater wartete. 
•Dtech einer halben ©tunbe fam feine gro&e ©eftalt um bie 
©efe, unb emft, wie immer, t>or fleh hiufchftuenb, nahte er 
unb ging Dornen, abfeit§ oon un§, in§ $au3. fragen 
hätte nid)t§ genügt, unb ich mufcte wohl, bajj ich falb 



') geljen wir. 



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- 13 - 



mürbe berietet »erben. 9tod)bem er ben blauen SRod ab* 
gelegt, pfiff er burd) ben £auSgang bal)er, fteUte ftd) unter 
bie Wintere £auStf)üre" unb fdjaute unS eine äBeile ju. 
üMn £er$ flopfte rote ein ©ifentyammer, unb idf) roagtc 
nidjt, ben 33ater audf) nur anjufefjen, fo grofj war bie 
2lngft, eS möd)te abermals nichts fein. $>a rief er mxd) 
5u ftcf), langte auS feiner 2Beftentafd>e ein ©tücfdjen Rapier 
unb fpracf): „Wim 2flöntig foUfd) pem äaplan tumme 
unb bia $Büad)er mitbringe, roo uf bem 3äbel flenn! 4 ' 

©in SBettler, bem ein reifer Sttann einen fcaufenb* 
matfföem fdjenft, fann benfelben unmöglich mit feligeru 
©efü^len empfangen als td) ben 3ettel auS beS SBaterS 
£anb. ©r erfdjien mir als bie ooUe Quittung, bafc mein 
©tubtum geraten roerbe unb alle weiteren $>tnberniffe 

befeitigt feien. Unb roaS ftunb auf bem Rapier? 

,3felbbaufd), Sateinifdje ©rammatif, nebft UebungSbud)." 

ftreubtg las id> bem $eter biefe 2Borte w>r, warf 
meine Sljt auf 3 £olj, rief: „<So, *ßäter, je* ifd>'S uS mit'm 
SBecf märe!" unb eilte bat>on, hinauf jur ©rofjmutter, 
meinen >Jettel fjodf) in ber £anb fdfjroingenb roie eine 
Siegesfahne. 3)ie ©rofjmutter freute fid) ob ber ßunbe, 
bie „SenebaS" betete, unb id) fprang jubelnb abermals 
von bannen, um beim Detter „$Bad>fepp", ber jeben greitag 
9tad)t gum grut^tmarft nad) Dffenburg fuljr, bie SBüdjer 
&u befteHen. ©tolj roie ein 9lbjutant, ber bem fomman* 
birenben ©eneral ben ©ieg melbet, gab id) bem $8ad)fepp 
ben 3ettel unb fpradj: „Detter, 3ftr folle mir au bia 
©d)tubentebüad)er morgen mitbringe; id) berf jej fd)tu; 
biere!" „<&u roorfd) mer a fuoere 1 ) ©cf)tubent ge 2 )", 
meinte trocfen lädjelnb ber Detter 3*utf)tf)cmbler. 



*) fauberer. *) geben. 



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— 14 — 

2lm folgenben (Samftag^benb ftunb ich cor bem 
©tcibtchen braußen auf ber „Gfrottlittbmd" unb wartete 
auf ben JJntdjtroagen, ber ba§ tyal herauf fommen follte, 
mit einer Ungebulb, aB brächte er mir alle ©chäije $n* 
btcnS. @nblich äc^te er baher. $)er biete Sötfhelm, ber 
@ofm be§ 93etter§ unb fpätere „SBterfrctmer 4 ' in £a§lc, 
lenfte föofc unb 2Bagen. 2luf ben gruchtfäcfen faß ber 
Detter unb holte, als er meiner anftchttg geworben, au§ 
einem ©acf ein Sßacfet. (5§ war ber ^elbbaufc^ fammt 
UebungSbud), fauber gebunbcn. 

SJttt melier 2Bonne unb mit welcher (Sfjrfurcht habe 
ich biefe «ücher, bie ©chlüffel pr ftafpfctjen 2Belt, an 
jenem 5lbenb betrachtet, unb wie glücflich Ijat mich ber 
s 2lnblicf ber erften lateimfdjcn ©rammatif gemalt! 

2Bie ein ftleinob mürben am anbem Sag, (Sonntag, 
bie !öü<f)er bei ^ameraben unb S^ac^barn herumgetragen 
unb gezeigt 2113 ich jum JJärber SBaftl tarn, wo fein ge* 
färbter ©unb, ber 2Mac, ^eute befonberS feierlich mir 
auwebelte, erhob SBaftl einen bunfeln $8Ucf in bie >$ufunf t 
unb fprach: *$ör, SBürfchle, i will bir ebbte fage: bu gifch 
entwäber an #auptfchtubent ober an ©auptlump!" SJlit 
biefen SBorten gab er mir bie ©rammatif mieber &ur 
£>anb, ber alte Machbar, ber feit fahren mich unb meine 
guten unb föled&ten ßnabenfetten (annte. S)a3 SRefultat 
feiner Prophezeiung fyat er nicht mehr erlebt, obwohl ein 
£t)eil berfelben, roie mir fefjen werben, beinahe eintraf. 

2113 ich „auSftubirt" hatte, waren meine getftig be* 
beutenbften Nachbarn, ber ©trumpf ftriefer unb ber gärber* 
metfter, tobt. 

3ttit 2Behmuth erfüllte meine greube ben britten 
ber Nachbarn, ben 2Bagner JJürft; er fehimpfte über fein 
©chicffal, ba§ ihn, ben „ju etwas höherem ©eboreuen", 



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— 15 — 

gum Söagner gemacht, roett mefyr al3 fonft unb gratultrtc 
mir mit blutenbem $er&en. 

3Benn id) $eute an bic ftreube jurMbenfe, roelrfje 
td) beim ctftcn Iatcintf^cn $Bud) empfanb, fo ergreift mid) 
eine eigene SBeljmutl). $)en Knaben, eben au£ feinem 
Äinber^immel gefommen, IjtmmeU gleich roteber aUe3 an, 
nnb er oerfprid)t ftcfy golbeue $age. $d) afate ntdjt, 
meld)' traurige ©tunben td) in ben erften $af)ren meines 
©gmnafialftubiumS mit biefer ©rammatif erleben unb 
wie oieler £fcänen 3euge ^ werben foHte. — 

@o mar benn bie (£ntfd)etbung getroffen. 9laü) 
langem fangen unb SBangen ging'§ am beftimmten Sage, 
e3 mar ber jroeitc ober britte Quni 1851, ^offnung§ooU 
jum Kaplan. 



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"I)aS s $fartf)auS mar mir, bcm Knaben, eine unfyeim* 
lidje ©rfdjeinung, weil alle genfter beS alten, fcofjen ®e* 
bäubeS bid&t mit Vorgängen oerbeeft waren, eine Sttobe, 
bie, mir f)öd)ft rotberwärtig, fjeute no$ an jaljlreidjen 
älmlid)en Käufern grafftrt. ftcf) Ijatte eS in meinem bis* 
fyerigen £eben nur jwet 3ftal betreten, guerft anno 1849, 
al§ wir Vuben für bie §üte ber grei^eitSmänner bie 
©älme unb Rennen beS (s>täbtd)en$ rupfen mußten. $)a 
fliegen wir in giftiger Verfolgung jweier ,©ütler" uon 
hinten in3 $farrI)auS unb fingen bie atmen Spiere im 
„©olsfdjopf". 3 um Breiten SKale fam td) baljtn, als 
wir am $age ber erften ^eiligen Kommunion beim 
„$)efan* bie ©ebäd)tnijjbttber polten. 2113 ©tubenten* 
afptrant aber wanbelte id) fedföefjn Monate lang, ©onn« 
unb geiertage ausgenommen, täglich inS <ßfarrl>auS, unb 
eS ift mir ein Vergnügen, ^eute bie (Erinnerungen an 
baSfetbe ju Rapier bringen p fönnen. 

Das £aupt beS £aufeS war felbftoerftänblid) ber 
$)efan, baS *8ilb beS freunbüdjen ^ßfarrljerrn, wie eS 
im SBudje ftef)t Dirne tiefe tfjeologtfdje ober fonftige SBil* 
bung befaß ber gute £err eine ^ein^eit in äußeren formen, 
bie alle biefe Jefjler oerbeefte unb oerftärte. <5r war 
SBeffenbergianer. 3Jtan mag mir aber oon biefen ©eift* 



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— 17 — 

lidjen, bic eben ftinber tyrer 3«t waren, fagen, was man 
will, eine§ ftef)t feft: flc befaften alle, fo oiele td) bereit 
gefannt, eine SBouljomie unb ftonoemenj, welche i^nen un= 
gemein anftunb unb um bie i<$ flc beneibe. ®te waren 
bie Diplomaten in ber ©utane, ftuge, weit* unb form* 
gewanbte ßeute. ©o aud) unfer £a§lad)er Pfarrer. 

Äurj oor ber SReoolutton von 1849 ins ©täbtd)en 
gef ommen unb ein ©tubienf reunb be$ DberamtmannS Pilger, 
galten beibe al$ bie $dupter ber qnttsrepubltfanifdjen 
Partei. Der Pfarrer mar befftalb ben meiften fo oer^agt 
wie ber Slmtmann. ©ie nannten ilm bamals nur ben 
„ßrutfepp", weil er Qofef ^ieg unb oon ©djuttern im 
SBretögau gebürtig mar, im ©ebtete ber „ftrautbauern*. 
SRadj bem ©türm war er aber ber Detern hinten unb ber 
$)efan ooroen, unb felbft in ber gefätyrlicfrften Qtit unb 
trotj ftafcenmujif f)atte er burd) feine charmante $reunb= 
lid)feit einen gü^rer ber 3reifd)ärler, ben $afner „hinter 
ber Sttrdj", fo für ftd) eingenommen, bafc berfelbe jebe 
üftadjt bewaffnet al§ „©auoegarbe" im Sßfarrf)au8 lag. 

Der Defan wohnte im erften ©toef, ber Äaplan im 
weiten, wäljrenb im parterre ber Heller unb bie ©cfjeuer 
fid) befanben. ©o oft \<S) nun an be§ erfteren ftiüer 
Sßotmung oorübergmg, um jum Kaplan au gelangen, f)atte 
er ftet§ einige liebeoolle, ermunternbe Söorte für ben an* 
gefyenben ©tubio. Qn jeber Sßafanj lub er midj fpäter 
an feinen gaftlicfyen £tfdj, unb al§ idj Sßrtefter geworben 
war, jog er midj gang in fein SBertrauen. @r liefc, jum 
©ret§ geworben, mid) oft in feiner ©eele lefen, wenn wir 
äufammen einen Spaziergang matten, wobei er ftetä ben 
©toef unterm 9lrme trug unb einen uralten ©glinber 
auffjatte. 

Set) l)abe feitbem fdjon manchmal an feine ©efpräc^e 

$angjatob, etwbtcnjeit 2 



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— 18 — 

gebaut unb fte, je älter idj geroorben, um fo wahrer ge* 
funben. ©r ftarb in ben erften SJlonaten be§ 3al>re§ 1872 - 

$er Kaplan (Scheie, mein &ufünftiger Sekret, mar 
mit eine gang frembe $erfönlidjfeit. ©in ©cfjroabe, au§ 
bem Mgäu eben etft in unfere EMjefe eingetreten unb 
nad) §a§laclj oerf e^t , Ijatte td) tf)n faum ein ober ba§ 
onbere 5Jtal flüchtig gefefjen, ba be§ 93ifar§ £aupttf)ätig* 
feit nicfyt auf bie @tabt, fonbern auf bie eine falbe 6tunbe 
non biefer entfernte S)orfgemeinbe ©offtetten fid) erftreefte. 
$)aß er meine DoUe @nmpatf)ie befaß, ef)e idj i^n in ber 
Sfltyz gefefjen, ©erficht ftrf) roo^l oon felbft. $)enn ^atte 
er e§ abgelehnt, mir ©tunben %u geben, fo märe id) aller 
2öa^rfd)eiultd)f ett nadj in ber SBadfftube untergegangen. 

©ben famen bie fieute au§ ber >}ef)n>Uf)rs2fteffe, al3 
id) an jenem SJlontag mit meinen jroei SBü^ern in ber 
,£anb über ben SJtarftplat} fcf)ritt, too td) glaubte, alle 
dauern be§ eben uerfammelten aBodjenmarfte§ müßten e3 
mir anfeljen, baß id) jetjt nicf>t meljr 58äcfer*£el}r junge fein, 
fonbern ©tubent roerben motte. $)ie 3Jhttter fjatte mir bie 
Toilette gemacht unb befonber§ angefünbigt, ja aud) oor 
ber $f)ür anjuflopfen unb erft auf „§erein!" einzutreten. 

©ar fanftmütig, roie ein SBettelbube, lautete id) am 
sßfarrfjof, greube unb SBangigfeit wogten in mir auf unb 
ab. träte id> in ein £eiltgtf)um, fo betreiben fd)Ud) 
id) bie treppe hinauf. %a ftunb oben eine ber beiben 
$öd)innen be§ *ßfarrer§, mit einem mitbgiftigen SBltd, roie 
td) if>n in biefer Sftüancirung nur bei Sßfarrer§föd)innen 
fenne, unb flaute auf ben 9lnfömmling fjerab. Unb unter 
ber $üdjentf)üre jeigte ftd) bie ©eftalt eines magren £ünen< 
roeibeS, bie fc^njarjen £aare nad> JMtenart über ben ftopf 



') 2lu3 bem Sorfe (Sglop bei äßangen. 



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— 19 — 

jurücf geftrcthlt. 3Hir fiel ba3 £era in bie £>ofen, al§ ich 
merfte, baß bet SBeg &um Kaplan an fo „zauberhaften" 
#tnberniffen norbeiführe. ©rft als ich S^eb' unb Antwort 
geftanben über wohin unb warum, burfte ich pafftren unb 
würbe bie Heine treppe Innaufgewiefen junt ^weiten ©toct. 

$ie jwet SBetbSbtlber, jwei ©chweftern 9ttarie unb 
•SJcagbalene, welche mir anfänglich fo unheimlich oorfamen, 
ff eilten fich fpäter als bie treueften *ßerfonen ber 2Belt 
heraus. 2ßir würben balb gut JJreunb, unb ich Iciftcte 
ihnen manchmal ©efeUfchaft in ber ftüche unb fanb, baß 
bie Sttarie fo unheimlich unb hünenhaft nur bann auSfah, 
wenn fle weinfelig mar. &eibe ftammten oom ©chmarj* 
walb, auS ber $o$engegenb, wo ber Pfarrer ehemals 
paftortrt unb oon roo er fxe mit fich genommen hatte. $)ie 
•äflagbalena ftarb noch vot bem ftefan, unb bie 9ttarie 
tehrte auf ben SBalb jurücf. $ort lebte fte oor wenigen 
Sahren noch/ ^od^betagt. 

Qitt 2ötnter§3eit, wenn ber Kaplan noch ^ a nox 
oon £of ftetten, wartete ich oft bei ber 9ttarie in bem f leinen 
©emach fnnterm ©peife$immer, wahrenb fte am ©pinnrab 
faß. SBenn bann bie SJcagbalene in ber ßüche war, fing 
bie Spinnerin an &u f lagen über bie ©infamfeit unb Sange* 
weile in bem Pfarrhaus, unb wie fchön eS bagegen in 
ihrer $etmath gcwefen. Obwohl eine SSteraigerm, fyattz 
fte noch Heimweh, unb ba fic eS ungeftiHt in ihrem einför- 
migen Alltagsleben herumtragen mußte, „beweinte" fte eS 
bisweilen im ßeller, unb bann leuchteten ihre bunfeln 
fleltenaugen wie Äarfunfelfteine. 

£)er 9flagbalene war eS auch ™ e rec $t uwS Sachen; 
eS fah, wenn fle eS je that, gezwungen auS. Aber fie 
flagte nie ; gemeff en unb freunblich war ihre Unterhaltung 
in ber #üd)e. @ie gab mir, fo oft irgenb ein ©jtragebäcf 

2* 



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— 20 - 

gemalt umrbe, booon &u toften. 3$ flaute tyrer Kod)* 
fünft mit SBergnügen unb ©taunen $u unb erinnere mtd) 
lebhaft metner SBernmnberung, als fte einmal auS ©iroetfc 
„©djnee fd&lug" unb mir, nad£>bem fie eS mit «ßueter unb 
Sflefyt »ermiföt hatte, non bem „$>tng" gu foften gab. 
2US id) fpäter uon ber ©ötterfpcife „Slmbrofta" hörte, 
backte idf} an bie &üd)e beS hetmathlidfjen *ßfarrl)aufe§, 
an bie Sttagbalena unb an ben füfjen „©cfntee". 

Seidjt auf athmete idf), als an jenem borgen bie 
gmei ^farrerSfödunnen pafftrt waren, unb rafd) ging'S bie 
roeifjtannene ©ttege hinauf $um Kaplan. (Sine fanfte 
©timme rief „£erein!", nadfjbem ich an ber erften Xpre, 
an melier gu lefen mar: „Slnton ©djele, Kaplan*, an* 
geflopft hatte. — 

$tan ^at mir fdf>on mele Bosheiten unb fjfeljler nach* 
gefagt, aber als Komplhnentenmacher bin td) bis jetjt noch 
nicht t>erfd)rieen roorben. S)aS fd&önfte unb tntenftofte 
Kompliment meines ÄebenS aber habe ich t>or bem Kaplan 
(Scheie gemalt. $ie Sötutter hatte eS mir eingelernt, unb 
jubem befeelte mid) ein fold) T gewaltiger Sftefpelt not bem 
fdfjroäbifcijen „SBtfari", bafc ich in jener ©tunbe uor ihm 
auf bie Kniee gefallen märe, ©o fehr glaubte ich, ba£ 
meine gange latemifche gufunft t>on ihm abhänge! 

$)och balb mar meine Befangenheit gefchwunben. geh 
ftunb nor einem jungen $erm, ber fo lieblich auSfah wie ein 
fdjüchterneS Sftorgenroth. ©chwarge, fraufe ©aare, grojje, 
bmrfle klugen unb ein gefunbeS, frifch*rotheS ©eficht, wie 
man eS in biefer ftötlje gang fpegtftfd) nur bei fdjwäbifchen 
SReuprieftern unb rottrttembergifchen 3faf<wterie*©olbaten 
finbet, matten baS ©auptbilb meines erfken ©tubienlehrerS 
auS. ®r fpradf) mir fo freunblidh 2ftuth gu unb fteUte 
baS Satein*Sernen fo leidet ^in, ba& id) nach furgem Unter* 



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— 21 — 

rieht übet bie erfte fteflination üon tgm mtt bem feiten 
SScrougtfein fdjtcb, baß mein Stubium nun auf felfenfcftem 
gunbamentc gcgvünbet fei. 

3n metner Seele war fetter, aufunftSfreubiger Son« 
nenfchein. Selig eilte ich f)eimn>ärt8, überall meinen erften 
©rfolg beim Kaplan erjählenb. deutlich erinnere ich mich 
jefet, baß eigentlich an jenem Sage anfing, ein „flinbS* 
fonf* ju werben, wa§ ich bis jut Stunbe geblieben bin. 
3Bcnn fjreube ober 9lerger, 8ujt ober Schmer} mein Qn* 
nereS bewegen, fo bin ich heute noch fo nain wie ein ftinb 
unb meine, ich müßte & allen Seuten erzählen. (£3 ift 
biefe S^aioität aber gar oft eine große Stammet unb 
ttnnorftchtigfeit. 

So mußten benn auch ade meine Gerannten unter 
ben heute, als am Sage be3 2Bochenmarfte3, in ber netter* 
liehen ffiirthsftube anroefenben dauern meine lateinifchen 
Bücher fehen unb fuh erzählen laffen, baß ich jefct ftubiren 
bürfe. SBon einem Sifch jum anbem manberte ich unb 
ließ meine JJreube lo§. Unb fte freuten ftch mit mir, jene 
lüacfcrn %%ab unb SBergburen, bie norfünfjtg fahren ein* 
f ehrten in be3 93ater§ ^>au§: $)er ÜRUjocf, ber SBergetSgori, 
ber föemlerbafche, ber Qlgebafche, ber SRamfteinerjocf, ber 
Sterbur, ber SttartiSbur, ber Söchlebur, ber ftoftbur, ber 
23ogel3bur, unb wie flc aHe hießen, bie jefct längft tobt 
finb. 9htr einer lebte noch btöt-or wenig ^fahren auf feiner 
luftigen, einfamen $8erge§h3H gegenüber bem büftern 
ßojtroalb, ber 93ogel3bur, unb führte aU rüftiger ©reis 

noch feinen Setbfpruch: 

$atben unr. bia äßätt, 
©<$ulbe unn fei ©älb! 

9ßad) ber zweiten Stunbe" beim Äaplan tonnte ich 
fchon im UebungSbwh «erbeutfehen: „Mensa est longa, 



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— 22 — 

viola est pulchra." Unb al§ id) bem Sßeter in ber Stock 
ftube biefen ftortfdjritt nerfünbete unb i^m meine ßunft 
uormad&te, ba fdf)ielte er mid) mit großen klugen an unb 
fprad): „$amr, jejt glaunri, baß be a tädjtex £err roorfd)!" 
©in fold)' taflet (Sprung nom £eigmägen bi§ jur Sati* 
nitdt fd)ten bem guten Sßeter ein Dftefenroert. 

UebrtgenS blieb mix bie SBacfjhtbe nidjt *öUig er* 
fpart. 3ln ©arnftagen unb Sonntagen, unb wenn ber 
33ater ben „2lbertag" *) f)atte, mußte tdf) nod) mithelfen in 
ber 93robfabrifation, roetl ba meljr gebaefen mürbe, 
fyabe id) benn in jenen erften ©tubienmonaten beflinirt, 
fcmjugirt unb ttberfe^t unb nebenher „ba§ 9Jlarf ber 
SHänner" mit $eter fabrijirt. (Statt non buftigen bitter* 
gefdjid)ten aus 6epp3 unb #ugo$ Sagen fällte jet^t 
bie bunt le, manne SBacfftube von latetnifcfyer $rofa roieber. 
©o gerne id) aber aud) meine Aufgaben ftubirte, fo füllte 
idf) bod), baß eS etroa3 anbereS fei, SftittergefdjtdEjten ju 
lauften, unb etmaS anbereS, lateinifd) gu lernen. (£3 (am 
mir aum SBewußtfein, baß ein Unterfd&ieb fei snnfdjen 
Semen unb Unterhalten, snnfd&en $flid)t unb Siebfjaberet. 

2ln gen>öf)nlidf)en Slbenben burfte td& ins SBett, unb 
ber SBater mirfte mit $eter in ber SBadftube. 5lm $age 
bagegen mußte in mancher freien ©tunbe nod) jebe Arbeit 
im %dbt mitgemacht werben, (Srnten unb ©äen, pflügen 
unb ©raben, aUeS roarb im fommenben ©ommer unb 
©erbft no$ getrieben unb mancher SRitt getrau auf§ „<ßeter* 
SBenbelS Söläß". Nebenbei aber fd&lug bei mir allein nodt) 
ber &inberf>hnmel biSroeilen burd). SBä^renb meine $ame* 

J ) 2>ie alten Sunfibädfer waren praftiföe Beute. Söeil in 
$a8lat$ u)re 3a$l Segion war, fo burften je nur aroei an einem 
Sage SBeifc unb 3Rild)orob batfen, bamit bie ßonhurena nidjt 511 
fe$r fä;abete. SDiefcr Xag $iejj „2U>ertag". 



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— 23 - 

raben in ben SBertftätten bett $ag ©erbrachten ober bureh* 
roeg ber gelbarbeit fid) wibmen mu&ten, blieb mir f)üi 
unb roieber Sttufje, um auf ber ©äffe ju fpielen unb bem 
©eniuS ber ßinbljcit bie JJlügel loSjubinben. 3)a würben 
bann mit jüngeren Knaben ade bie alten (Spiele wieber 
gemacht, unb ich hätte oft meine ©tubenten* unb SBäctcrg- 
Pflichten in btefemäinbertaumel ganj oergeffen, mennmtd) 
SBater ober 3ttutter nicht oon ber ©äffe weggerufen Ratten 
mit ben SBorten: „ftomm heim, bu alter ftinbäfopf!" 

2luch mit Detter Äarl, ber jefct üööig in ber Stte^gerei 
aufging, warb noch ^ie unb ba ein ftalb ober ein Riegen* 
boef geholt auf ben bergen beS $)orfe§ 3Jlü^lenbac^. 2lber 
bie reine ÄinbeSfreube mürbe fd)on getrübt, inbem mir, 
ftatt, wie früher, aufrieben mit bem, was bie dauern uns 
oorgefe^t, jeweils nod) unten im $)orfe „einteerten", baS 
Xljter an einen ^ßfoften banben unb im £öwen ober im 
Dd)fen einen ©poppen tränten, ben felbftoerftänblich ber 
Detter begaste, ©ein Sßater ^atte uns einen ©edjfer 
3ehrgelb mitgegeben, unb ber warb reblich »erthan. SBir 
wollten bamit beweif en, baß mir feine Keinen Buben 
meh* mären. 

$n ber erften Seit beim ftaplan gelangte ich ju einer 
mir hochwichtigen Erwerbung. %tx *ßater Seopolb war ge* 
ftorben, bie beliebtere ^ßerfönlichfeit be§ ©täbtchenS, ein 
Stann, wie biefiaSlacher ihn brauchen tonnten. $)er fiepte 
au§ bem in meinen Qugenberinnerungen erwähnten auf* 
gehobenen föapujinerflöfterlein, ein geborener ©trafrburger, 
hatte er feit 3<*h*en bie Qeüt oerlaffen unb lebte oon feiner 
geringen Sßenfton im ©aufe meines Detters, beS haften* 
oogteS ©buarb. ©r war allgemein beliebt bei grauen, 
SJlännern unb ßinbern. $ie SBeiber hatten ihn gern, weil 
er an ben Namenstagen ber befferen Bürgerinnen in ihre 



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— 24 — 

£>äufer fam, ihnen gratulirte unb mit ihnen bctt ftaffee 
tarn!. S)ie 9ttännermelt fah in ihm ihren angenehmften 
@eelf orger; benn er laS an Sonntagen bie JJrühmeffe fehr 
furj unb machte in berDfteraritbenSeichtt-ater. 9115 folget 
warb et nicht blofc t>on ben lebensluftigen Sürgern faft 
ausnahmslos benü|t, fonbem auch 0011 jenen Sauern ber 
ganjen Umgegenb, bie einen feinhörenben Sßriefter nicht 
brausen tonnten, $ater Seopolb war nämlich in ben 
legten fahren feines SebenS fiocftaub. 9Rit fetner £aub* 
heit hatte aber alljährlich ber ßulauf ber 9ttann8leute ju 
feinem Seichtfhthle zugenommen. 

3$ erinnere mich noch gar lebhaft , wie bamalS in 
ben legten Sagen ber Sufc unb ftaftenjeit baS #auS beS 
SßetterS ©buarb oon „armen (Säubern* förmlich umlagert 
mar; benn ber $ater nahm bie Seichte auf feinem 
3immer ab. 

Atteln wenn ber greife Stapujtner auch nichts mehr 
hörte , fo rannte er feine Klienten boch aUermeift unb 
muffte, in welchem (Spital fie fxanf lägen, £atte er auch 
oon ber Seichte beS ©ünberS wenig ober nichts oerftanben, 
fo machte et gleichwohl bem einen ober anbern einen gatQ 
paffenben, fcharfen ftapuatnersgufpruch, ober wegen feiner 
Taubheit fo laut bafj bie oor ber äimmerthüre unb im 
§auSgang (Stehenben aUeS hören fonnten unb fiel) höchlich 
barüber freuten. SBochenlang nachher gingen bann biefe 
„ßufprüche" beS ^aterS unter ben ©aSlachern um, bie 
bei ihrem angeborenen $umot eS nicht laffen fonnten, 
auch biefe emfte Angelegenheit fleh erheiternb bar^ufteden. 

$)en ftiubern war ber ^ßater eine ftetS willfommene 
©tfcheinung. @r trug in ber Siefe feiner Äapuje nicht 
blof* bie obligate ©chnupftabafSbofe eines jebenftapu&inetS, 
fonbem auch eine Sittel Heinet, bemalter gingerringe 



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- 25 - 

von SBtei. Jtoum erbfictten nun bie Steinen bot Wen 
auf bet ©trage, fo umfprangen fie ityi mit ber von jebem 
roieberl)olten $Htte: „*ßater Sepolb, gemm'r 1 ) a IHtngle!* 
9JUt feinen lunttn SRinglein Ijat et ©unberte t)on ßmber* 
fersen glücfli$ gemalt. 

3 roat WÖ unb breiig 3faf)re früher, als id) mein 
©tubium begann, war ber $ater fieopolb aud) ber fiatein« 
leerer geroefen in meiner S&aterftabt. <8r Ijat meutere fürs 
©tjmnaftum vorbereitet, fo aud) ben burd) feiuen^mmor 
etnft roeitbefannten Pfarrer *ßfaff, ben 2fbra$am a ©ancta 
ßlara unter ben ©eiftlidjen ber (grjbiöjefe ftreiburg. 3fn 
il>m ljatte ftd) ber £>a§ladjer $wnor atr^fcrjlicßlic^ §um 
SBitj auSgebtlbet, unb er mar ein Raupte jempel für biefe 
SRaturanlage aller $a§lad)er. Oft nod) in feinen alten 
Sagen $at ber Pfarrer ^ßfaff mir ergäbt oon ben „©tun* 
ben* Beim *ßater Seopolb. 

Der *ßater ftarb anno 1852 $am großen Seibroefen 
aller feiner Beidjtfinber üttb roarb begraben. SBalb nad) 
feinem $obe mürben feine 2Büd)er unb SRobilien oer* 
fteigert. Qd) mofjnte ber SBerfteigerung bei au8 einer be* 
fonberen £iebl)aberet &u biefer ^ßrojebur. (Sine fold)e fyat 
für ßtnber unb Knaben gar oiel 2lnaiel)cnbe3 , roeil ein 
reicher 2Bed)fel an fingen unb allerlei ©cenen unter ben 
3Jlenf$en bei berfelben jtd) a6fpiclcn. 

($3 mürbe aud) ein bietet, alteS lateinifdjeS 2ö5rter* 
bud) ausgerufen. $)er ©d)ufnuad)er iHäpple, roeldjer 
nebenbei mit ©pect unb SBtftualten hn Heuten Rubelte, 
bot einen ©rofdjen barauf. ßreujerroeife Weigerten er unb 
id) un8 nun fjinauf, bis ber „Sergftoele" bem ©d>ubmadjer 
$alt gebot mit ben Sßorten: „Soft beS 33uad) bem 93ecfe* 

*) gebt mir. 



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— 26 — 

ptyilipple, er brudjt'S iuam ©djtubiere!* 3$ l)öre fyeute 
nod) ben Päpple mit feiner langfamen Q\m$t antmorten: 
„Woa ifdj'S ebbte anberä, fod er'3 fja, i fcätt nu ©päct 
bri g'miggelt." SUSbalb warb mir ba£ SBud) um 13 
SJreujer jugef erlagen. <§& mar: „Adami Kirschii cornu 
copiae linguae romanae", mein erfteS unb bis Ijeute mein 
einziges lateütifdjeS Se^ifon. 

3$ Ijatte eine gewaltige greube an bem „alten 
©d)unfen" unb vergaß e§ bem SBergfibele nie, bafc er ju 
meinen fünften beim ©peef Ijänbler Sftäpple interoenirt fjatte. 
3etjt befaft td) brei lateinifdje SBüd&er, mir ein breifadjeS 
Unterpfanb für glücflidjeS ©tubium. ©ar oft aber brauche 
id> nod) ben Slbam förfd) in meinen alten $agen unb 
erinnere mtd) faft bei jebem ©ebraud) an bie SBerfteigerung 
ber ©interlaffenfdjaft be3 *ßater3 Seopolb. 

S3eim Kaplan ging'S tägtid) beffer. SBalb mar td) 
im ^ßfarr^aufe bafjeün, unb fo erfdjroden td) am erften 
£ag bie Stiege f)tnaufgefd)ltd}en mar, ebenfo luftig ging'3 
jefct bie treppen auf unb ab. Qu ber Sftegel gab mir ber 
Kaplan feine Mtton am9iad)mittag, um^albjmeiU^r. Oft 
tarn e§ nun cor, bajj idj märten mußte, bis er oom ©ffen 
fjerauffam. $)enn beim alten ©tabtpfarrer fturj Ratten 
bie SBifare, mag ©ffen unb Xrinfen anbelangt, ein matyreS 
„©errenleben". $d) fenne fein gafttidjere§ $farrl)au8, al§ 
in Jenen Sagen ba§ ©aSladjer mar, tro^bem bie *ßfrünbe 
eine ber armfeligften ift. SBemt ein ©aft am ^ifd^ fag, 
mag oft oorfam, fo mürbe lange getafelt unb bie Ijerr* 
liefen 3$alroetne beS $)efang, ber SBermerSbadjer, Klingel* 
berger unb $)urbadjer, nadj £er&en3luft getarnten. (Sr mar 
für ftdj fparfam, ber alte £err, meil er feine anbere 2Bal)l 
f)atte, aber feine ©äfte unb $ifare Ijtelt er nobel, unb 
ba§ jeugt oon feinem trefflichen (£f)arafter. 



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— 27 — 

So oft id> nun warten mußte, oertrieb id) mir im 
grüf) jal)r unb im Sommer bie Seit meift auf bem „Grippel" *), 
ber unmittelbar neben bem Kaplang Limmer feinen ©in* 
gang tyatte unb eine gar liebliche 2lu3ftd)t bot 93or mir 
Ijatte id) ben Unoalb unb ben 33&d)leroalb unb unter mir 
ben 9ftül)lenbad) unb ben ftlofterbad), rote fte au3 ityrcn 
3ß&albtt)älern fd)längelnb i^ren SBeg fugten in§ Stäbtdjen. 
Stunbenlang fonnte td) nun, über meinen SBüdjem auf 
bem ©eftm§ ber „SBeranba" liegenb, ^ineinträumen in 
S3erg unb %fyal, blatten unb $äd)lein. Unb e3 mar 
mir fo toof)ltg mie ber ©ibedtfe, bie in ber Sonne ftd) 
babet auf trodenem ©eftein. 

9lber ftol&, wie ein ftönig auf feines Sd)loff e3 Rinnen, 
ftunb tdj au$ jeweils auf meinem Stolton; benn unten 
50g bie ©rabengaffe l)in, unb auf iljr roanbelten £a3lad>er, 
jung unb alt. 2öenn fte nun &u mir aufbauten, meinte 
id), jebermann müffe mid) beneiben um mein Satein unb 
mein Stubium. @an$ in ber ^äbe lag bie niebrige $ütte 
meines greunbeS au3 ber ßtuberjett, be$ „Stubenmtrtt)§ 
2Uife", ben id) nur feiten nod) befugen fonnte in biefen 
Monaten, oon benen Stubium, 93acfftube unb gelbarbett 
bie metfte .Qeit oerjeljrten. 3$ felje tyn aber, mie wenn 
erft oier 2Bod)en feitbem oergangen, nod) lebhaft oor mir, 
roie er oft unter bem Grippel oorüberroanbelte, feiner 
£ütte p, bie Tabakpfeife au3 bem Sttunb natym unb 
mir gurtet : „3Ba3 ifd>, »ttetle? Qej Ijefd) fei Qit me 
juam -äJtaife^Jange; jej muafdj tbreune*) mit'mSdjtubiere!" 
Unb felbftberoufct ladjte id) bem SSogelfreunbe &u. 



*) Grippel §eijjt im ämjtgtyal ein gebecfter ®ang, eine $51* 
gerne ©aterie, ein Suftgänslein, baä au^crijalb beä £aufeä §tn* 
läuft. *) Einbrennen = mit ©tfer an etwas ge§en. 



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- 28 - 

3$ f>abe im §erbfte 1882 bcn 2lltfe &um Ickten Sttale 
mtebergefetyen. ©§ bunfeltc bereits, als idj in fein £au3* 
lein trat, beffen 3ie$d jefct meitt £aupt berühren, fo flein 
ift eS. Irinnen faß er an jenem g-enfter, burcl) baS ber 
©roßmutter einfiiger ©arten noch &ereinfci)aute, wie etyebem. 
2WeS mar nod) nrie uor breiig Sauren: ©tube, Dfen, 
nnb Stühle; felbft bie alten, gleiten «ogelMftge 
Ijingen nod^ an ben SÖBänben. ©arten unb ©artenljauS 
ber ©roßmutter faljen auS nrie einft. 9lux 9lüfe unb icfy 
Ratten uns ueränbert; er mar ein gebrochener ©reis ge* 
rootben, unb id) ftunb groar baumlang nor tf)m, aber mübe 
unb franf non ben 2flüf)en, Äämpfen unb Arbeiten beS 
£ebenS. $udj feine unb meine ftreube, feine Menagerie, 
mar batym. $>a, mo in meiner ßnaben&eit S)u$enbe non 
SBögeln tyre Steber fangen, Ijerrfdjte EobtenftiHe. S)ie 
$ä jtge maren alle leer, |te trauerten finfter über vergangene 
fetten, unb tein SBögelem fang me^r bem greifen SBogel* 
mann. 93erlaffen oon feinen eigenen ßinbem, bie in 
Slmerifa fmb, oerlaffen von ben Knaben beS ©tdbtd&enS, 
lebte er einfam in feiner §ütte mit feinem ebenfalls ftetn* 
alt gemorbenen 2öeibe. 9lur eines mar iljm treu geblieben, 
fein SabafSpf eifdjen, baS bem melfen Gilten bie langen 
©tunben in feiner bunfeln ©tube oerfüßte. 

3fticf) ergriff namenlofe SBel)mutl), unb td> mußte mit 
Sfjränen fämpfen über bie unheimliche 9lrt, mit ber bie 
33ergänglicf)feit mir f)ier x>or bie ©eele trat. Qd) brücf te 
bem über meinen Söefud) hocherfreuten ©reis ein ©tücf 
©clb in bie £anb unb ging tion bannen, tiefes 2Sef) im 
^erjen. — 

3$ f omme uid>t ebenfo oft in baS Pfarrhaus meiner 
$eimaih als in biefe felbft, aber icf> fomme jebeSmal buref) 
bie ©rabengaffe unb nerfäume eS uie, bem Bemutterten 



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— 29 — 

„Srippel" unb ber unfern Darunter gelegenen £>ütte 
meines $reunbeS 9llife, ber längfi heimgegangen, banfbar 
grüfsenbe SBlicfe ju fenben unb beS äufsern unb tnnerit 
SonneufchetttS ju gebenfen, ben ich bei ihnen »erlebt. — 

93on ber fonnigen SBarte meine« Grippels vertrieben 
mich jeweils bie (Stritte beS Kaplans, ber, je länger eS 
bei ber $afel gegangen, um fo fchnetter bie treppe herauf* 
fprang. SRanchmal mar aber ber ©runb meine« Sparten* 
müffenS ein ernfter. 2Benn ein SBerfehgang ju einem <5ter« 
benben ber ftilialgemetnbe $offtetten ben SSitar in bie 
entlegenen SBerge gerufen hatte, burfte ich t>iel länger auf 
meiner Altane roeilen unb träumen. 3 war fagte bann bie 
5Jcagbalena mir oft fdt)on beim heraufgehen, eS mürbe 
heute mohl steine Shmbe fein", ba man nicht roüfjte, 
mann ber $>err Kaplan h«mfäme. Allein ich wich 
nicht abtreiben, f onbem ftieg roohlgemutb auf meine SBeranba, 
roo mir bie Qdt beffer »erging im „dolce far Diente" 
als, menn ich heimgegangen märe, bei ber Sirbett, bie bort 
meiner geroartet hätte. @o harrte ich benn in füfcem 
träumen unb ©thauen auf ben Sehrer, bis er bei 'S $ter< 
främerS ÄeUer aus bem $halmeg herausbog unb über ben 
„(Schaffteg* bem *ßfarrhaufe peilte. 

SBenn eS fpät am Nachmittag mar, hatte er fdmn ge» 
geffen in $offtetten. 3>aS ßeben ehteS ©aSlacher $tf atS 
ift ein mühfameS, angeflehte ber oielen Serge unb %tyxltt, 
bie er $u paftoriren hat. SÄber bafür hat er eine brave 
©emeinbe, unb unter ben SBräoften ber Söraoen glän&t bie 
SBirthin $t „ben brei Schneebällen*. teme lein roabr* 
haft reltgiöfereS weibliches SBefen, als bie „£ek»e" in 
„ben Schneebällen" eS ift, eine SBUtroe, fromm wie bie 
Prophetin 2lnna. Unb ba ein richtiger <£h*if* auch gern 
anbereSttenfchen erheitert, fo führt bie<3chneebaKenroirthtn 



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— 30 — 

bic qualüatu) befte 3Birt()f$aft auf bem gangen untern 
©djroargroalb. ^ERan ißt bei iljr billiger uub bcffcr al§ 
in ben metfiten ©tabttyotelS. 3för nrirb kommet unb 
hinter gebeät für arme ^anbroerfSburfdjen, roeldje narf) 
mübfamer SBanberung über bie ßbd" l ) brunten im&mgip/ 
tf)al „bie brei ©djneebaaen" erreichen. $)er SÖSirt^in $)ienft* 
boten laffen mef)r an ©petfe unb Sranf nad) bem ®ffen 
fielen, als mondf)' anbere gu effen Ijaben. $)er Unterleder 
be§ Dorfes fpeijt als tl)r Stoftgänger für 50 *ßf. pro Sag 
rote ein £anbrid)ter. Unb roenn an ©odjgeitS* unb fjcft* 
tagen ober fonft einmal ber £err Kaplan bei iljr binirt, 
fo werben bie bunf ein ftoreUdjen geholt au§ bem Brunnen* 
trog, unb in allen formen, gebämpft, gebacfen unb blau 
abgefottcn, erfdjeint biefe S)elifateffe be8 ©diroar^roatbeS 
aor bem fpeifenben 93tfartu§. 

©o tarn „mein Kaplan" bisweilen aud) au§ „ben 
(Schneebällen" tyim unb ftatt, wie id) in feiner Sage ge= 
tljan Ijaben mürbe, mid) fortgufd&icfen unb nad) ber langen 
SBcrgroanberung ©iefta gu matym, naljm er in feiner un* 
erfd)öpflid)en ©ebulb meine Seition oor. Qa er lobte 
mid) nod>: „§einridj, %u bift bod) brao, baß $u fo lange 
ßeroartet fjaft!" @r l)atte leine Stynung baoon, baß ber 
Grippel mein „Sorgenlos" mar, unb td) lieber auf ifnn 
mid) fonnte, als htS gelb ging ober in bie SBacfftube. ©S 
tarn mefyr benn einmal oor, baß oon meinen ©djulfame* 
raben ber eine ober anbere unten vorbeiging, fei eS in 
£anbn>erfS* ober JJelbgefdtfften, unb mir bie richtigen 
Sößorte hinauf rief: „S)u r)cfct> eS guat bert boroe, $)u 
fannfdj fulenge!" — 

3d) tarne feinen Sttann, ber bemütlnger unb befäeibener 



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— 31 — 

fein fönnte, als mein etfter ©tubienlelper e£ mar. Sciu 
gange§ SBefen beftanb au8 üftübe unb ©anftmutlj. Sflan 
pflegt gu fagen, in ben klugen bet SWenfdfjen liege ifpc 
©erg. $>a§ trifft gor oft gu, afletn e8 giebt 9ttenfd()en, 
bei benen bie ©timme ba§ ©d)o be§ ©ergenS ift, unb gu 
benen gehörte mein Kaplan, ©eine ©timme tönte fo meid) 
unb roofjlroollenb, fo fHtte unb geräufdjloS, bafj jeber nacf) 
ben erften 9Borten merfen fonnte, mef*' ©eiftcS #inb er 
oor ftd& fjabe. 

Leiber Ijabe idf) in biefer Sftidjtung nichts von iljm 
gelernt unb beftye in gar oieler ©infid&t bie feinen $u* 
genben gegenüberftefjenben geiler. 

$)abei roar er ein SJtonn ooU luftigen ©emütfieg, 
ber gerne unter bie Sttenfd&en ging unb in ©efeflfc^aft 
üetfe^rte. 8$ erinnere midf) gar rooljl, baß id) if>n eines 
*Hbenb§ im ©df>roanen fal), roo er, auf bem $angboben 
ftefjenb, Reitern 2fagefid)t§ ben $angenben gufdjaute. 3$ 
felbft hatte midf) mit einigen ^ameraben unter bie ©aal* 
tljüre be§ 2Btrtlj§I)aufe§ gefeilteren unb ttyat roie mein 
Seljrer. 

©ein Limmer, in meinem bie Iateinifc^en ©tunben 
abgehalten mürben, lag in ber gleiten 3*ont roie mein 
„Grippel" unb befaß fomit audf) bie lieblid&e ©d&au auf 
SBerg unb %a$ SJleublement befhtnb au§ haften, 

58ett / ©dfjreibttfdf) unb einem fleinen SBü^ergeftett. 3lm 
©djreibtifd) faß ber ©dfjüler unb trug fein Sßenfum cor, 
roäljrenb ber Selker im fleinen ®emadf) Iangfam auf unb 
ab ging. 

©cfyon nad) roenig Söod^en gab er mir ein 33riefd>en 
an ben SBater mit, worin e3 hieß, ber ©einriß fei fleißig 
unb brao, geige Siebe unb Anlagen gum &ateinifdE)«£ernen 
unb fei beßfjalb gum fernem ©tubium empfehlenswert!). 



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Qch hatte vom etften £age, ba ich jutn Kaplan ging, nie 
mefjr ge^tDeifett.; aber bet SBatet wollte bie ©ewißbeit 
fchwar& auf weiß haben, et)e et SB ertrauen faßte. Qetjt 
30g et abermals eines SttorgenS ben blauen 9to& an unb 
ging bem Pfarrhaus ju, unt mit bem Kaplan eins &u 
werben Übet baS „£ebrgelb". tiefer wollte anfänglich 
gar nichts für ben Unterricht unb oerwieS ben Sßater auf 
©otteSlohn. £)a ber SBäcfermeifter aber auf einer SBe* 
jahlung beftunb, f orber te ber eble Sßriefter einen ganjen 
©rofehen für bie ©tunbe! 

3$ weiß nicht, wie arm ber Kaplan bamalS war, 
jebenfaUS gebe ich nicht fehl, wenn ich annehme, baß et 
noch weniget fein eigen nannte als ich heute. Unb boch 
hat et füt einen ©rofehen mir eine ßettton gegeben, mä> 
tenb ich eS jefct nicht um $efnt 9Karf thäte, wenn ich eS 
täglich unb fo lange thun müßte, als er eS gethan. Qu 
metner (Sntfchulbigung aber fei gefagt, baß bieS nicht 
©igemutfc wäre, fonbern lebiglich Antipathie gegen jebeS 
„©tunbengeben". @S täme mit %u fiörenb in meinen 
gewohnten täglichen ©ebanfen* unb ArbettSfreiS. ©in 
wahteS ©lücf abet ift eS, baß nicht alle geiftlichen Herren 
fo egotftifch, fo launifch unb eigenartig finb, wie ich 
etnft als Pfarrer *on Hagnau am SBobenf ee, unb fo t ann 
manches talentooHe SBauernbüblein noch feinen $)urft nach 
äßiffenfchaft befriebigen bei feinem Kaplan ober Sßfarr* 
oerwefer. $)ie betteffenben fetten aber, welche ba$u ftch 
hergeben, haben meine ootte SBewunbetung. 

9cut foUten biefe fetten bei bet Auswahl vielfach 
etwas ootftchtiget fein. @ie flauen in bet Siegel meht 
auf baS „SBtaofein" als auf baS Talent S)te btaoen 
»üben finb abet feht feiten bie „talentooHen*. — 

SRachbem ich einmal beim Kaplan feften JJuß gefaßt 



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unb bic etften ©cfjroietigteiten bcr lateinifdjcn (Stammatif 
übetnmnben f)atte, fd)icfte man mid) nocf) in bic ©jtra* 
ftunbc &um Dbetlefpcet, bcm icfy fein fo ungünfttgeJ Uttf)eü 
übet mid) balb gerne oergie^. befam von \i)\n 
Untetttyt im ßlatriet auf 2Bunfd) ber ©tognwttet, unb 
im beutfdjen ©tnl unb 2Cuffa§ nad> beS SSatetS 2BiCt<rit. 
3[n beiben fingen machte id) fd)led)te ©efcfyäfte. $)tum 
bab' id^S meinet £ebtag nie ju einem aud) nut balb* 
roegS otbentlidjen ©tnl gebtadjt unb nod) roett weniger 
jum älaoietfpielen, bag id), wie mit fefjen roetben, in 
Btaftatt balb gan$ aufgab. 

©ei bet ffamilic beS Se^tetä oerlebte id) aber in 
jenen $agen noc§ manche vergnügte ©tunbe. %tx QuliuS 
mar jroat fott / in ßaljt bei einem Kaufmann, abet id) 
blieb nad) bet abenblid>en ©tunbe, wenn bet bebtet jum 
SBiet gegangen, bei ber Softer 9JHna unb bei ber $rau 
Severin unb plaubertc mit iljnen, aB märe id) p einem 
SBeibe geboren geroefen. 

Qn bet ^weiten 3a!)te$^älfte meinet ©tubien im 
*ßfatrbau§ begann bei mit aud) ba3 ffranjöflfd^c. %it 
©rammattt lieferte abet bieSmal nidjt bet bettet SBadjfepo 
auS Dffenbutg, fonbetn bet $ob einet jungen £a§lad)erin, 
bie eben au3 bcm ftloftet^nftitut Millingen Ijeimgefebrt 
unb geftorben mar. ©ie fjiefj be8 „®reber§ £§ere3\ 
2lu8 iljrem SRadjlafj erfteigerte idj bie ©rammattf tjon ©irjel 
unb ben „Telemaque" par FSnelon, jroei weitere $leinobe 
meiner anfänglichen 3Biffenfd|aft. Unb ber £efjrer? 3ttein 
erfter ^ßräjeptor in ber gattifdjen Sprache mar fein SJtenfd) 
ineljr unb feiner weniger als ein alter, broblofer ©djau* 
fpieler, ben junger unb SRotl) na$ $a§lad) oerfdjlagen 
Ratten, wo et im ©ngel £ogi§ naljm unb fitf) als Sehtet 
bet franjöflfdjen ©pradje annoncirte. ©oroeit id) muf> 

^anaiatob, etubienjeü. 3 



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erinnere, melbeten fidf) aber oon Knaben nur tdf) unb mein 
Detter Äarl gran j, ber neben ben blutigen ©tubten in beS 
93aterS9Jlet}ig nod) bie ©pradje ber dl o t^ofen erlernen wollte. 

3$ fann mir ben armen , alten Sftann ^eute nod) 
wofyl oorfietten. 9lbrafjam a ©ancta (£lara tyat gemeint, 
QubaS, ber ©rsfc^elm, f)abe auSgefel)en wie eine „abge* 
brannte SiegeUjütte". Söenn id) ein ähnliches $tlb ge* 
brauchen wollte, fo fönnte id) fagen, ber 9Jlcnfc^ fal) auS 
wie eine im ^euer aufgegangene 2Bad)Sbleid)e. Unb fo 
oft td) im ©eifte in jenes oon allen ©türmen beS Söelt« 
lebcnS unb ber Seibenfdjaften burd)furd)te, blaffe, faltige 
©eftdjt meines „granaofenlefjrerS", rote wir i&n nannten, 
jurücffdjaue, fo fommt mir ber ©ebanfe, ein mittellofer, 
oerbummelter, alter ©d)aufpieler muffe einer ber unglücf* 
Haften 5ftenfd)en fein, bie eS auf (Srben geben tönne. 

Sßöir Ratten eS faum fo weit gebracht, bafj mir auf 
Imnbert franjofifd) sohlen tonnten, als ber Selker eines 
frönen $age3 oerfd&wunben mar. $)ie ©jiftengloftgfeit 
hatte ilm oon bannen getrieben, otyne baß er im ©taube 
gewefen märe, ben (Sngelwirtl) $u befriebigen, ber unS 
in ber ©auSflur bie ®rflärung gab, ber ftranjoS fei fort, 
unb er motte oiel lieber feine banertfd)en ©aul>finbler be* 
Verbergen als foldje ^ranjofenlehrer*. Detter ftarl liefj 
jefct feine ©tubien fallen, unb mid) unterrichtete fortan 
ber Kaplan aud) im ^rangöftfc^en, inbem er jroei ©tunben 
Satein in ber 2Bocf)e abjog. 

■üJlein ftreunb ^ßeter mürbe, wie man im ^injigt^al 
3U fagen pflegt, ganj jipfelftnnig, als id) in ber 33acf ftube 
nun auch meine frangöfifchen SBrocfen loSlicfc. ©ein SHcfpeft 
oor meiner ©elehrfamfeit wwc^S inS SÄicfen^aftc. ©ineS 
$ageS befugte ifpt feine ©djwefter, eine fleine, ebenfalls 
fc^ielenbe Bäuerin mit einer 9tttene, frieblidj wie bie 



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^üitbnadjt auf bet einfamen $)od)bad)et #ölje, unb t$ 
J)öte iljn jcfet nod), tote er mid) ifjt oorftcllte als „bcS 
s JMf(erS Rainer*, ber fdjon fo gut lateinifd) unb frau* 
äöfifd) tonne als bet Pfarrer oon 6teinad). 3$ mar ftolj, 
als ob id) oon einet Königin belobigt toürbe. 

$n meinem latcinifdjen UebungSbudj ftunb audj ein 
furzet 2lbri& bet ältern römifdjen ©efdudjte, ben id) im 
SBintet 1851 beim Kaplan überfefcte. Untet ftetgcnbem 
Qntereffe sogen bic fagcufjaften Anfänge beS römtfdjen 
SßolfeS in meine ©eele ein. Unb id) unterlief* eS md)t, and) 
einmal meinem Sßadjbat, bem ©trumpfftriefer, ju beridjten 
oon SttomuluS unb SftemuS. Slbet toie ftaunte id) befd)ämt, 
als baS fleine Sttännlein baS alles fd)on toujjte unb mir 
nod) toeit mef)t etilen tonnte, als id) bis je£t gelernt 
Ijatte! kleinlaut ging id) oon bannen, beftegt oon SRottedS 
2Beltgefd)id)te, meiere bet Sßalfet fo gut loS ^atte toie 
baS ©triefen wollener ©trumpfe unb Unterhofen. — 

$)et Kaplan mar ein ootjüglidjet Sehtet , unb baS 
Sateinifdje flog bei U)tn fo leidjt toie SDßaffcr. 3lber et 
toar ja ein 2öürttembergcr, unb bei benen ift, bant ifjren 
oortreffüdjen 3Rittelfd)ulen, bet einfad)fte S)orfoifar in 
flafftfdjen ©prägen beffet baljeim als im SBabifdjen ein 
mittelmäßiger Sßrofeffor. ©o machte id^ benn bei meinem 
fdpäbifdjen Mgäuet fpradjltdj rafd&e ffortfe^rittc. ©djon 
im SJrüfjiafjr 1852 befam id) ben Kornelius 9tepoS. SJtan 
fagt fonft gerne, biefet fei füt Knaben langmeilig; allein 
id) empfanb baoon nidjtS. 3$ oerfdjlang begierig bie 
SebenSbefdjreibungen bet großen JJelbfjerren unb ©taatS* 
mannet beS grtedjiföen SSolfeS. ©ie ftellten ftd) mit jtoat 
nid)t bat mit bem Raubet bet föittergefdnd)ten; abet bet 
Umftanb / bafc id) tfjre Saaten aus einet ftemben ©prad)e 
tennen lernte, ^atte füt mid) einen eigentümlichen SÄeig, 

3* 



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— 36 — 

unb eS machte mir jeweils grojje ftreube, wenn idt), an 
gafifreien Nachmittagen in ber Bitterlichen SBirt^Sftubc 
fitjenb, wieber ein Kapitel aus bem Satein entziffert hatte. 

Qm 3»uli 1852 trat ein für mid) ^od^toic^tigeS <§r* 
etgnijj unb bamit eine achttägige *ßaufe im ÄaplanS* 
Unterricht ein. S)ie ©rofjmutter unternahm mit mir eine 
Wallfahrt nach (Sinpebeln. ©in £aSlacher, feit Dielen 
fahren in SftichterSmgl am .ßürtcherfee, unweit beS ge* 
nannten unb weit Betannten SBaHfahrtSorteS, als ©chreiner 
anfäffig, ©chulfamerab meiner 9tyne, war in feine ©eimatb 
gekommen mit feiner ©^e^ölfte, einer greifen ©chwetsertn. 
2luf feiner Metreife begleiteten wir baS ^Saar, bie ©rofc 
mutterunbidt). Q^re^römmigfeit jog fte nach bem berühmten 
©nabenort, unb mich wollte fte bort fammt meinem ©tubium 
ber SUluttergotteS weisen. 9Jlir war eS, offen gefagt, ganz 
gleichgiltig, waS bie gute grau mit mir in ©infkbeln an* 
fangen wollte, mein ©auptoergnügen war bie weite 9teife. 

3n einer milben Sommernacht um bie zwölfte ©tunbe 
traten wir mer Sfteifegefährten in bie ©tube bei „^eter* 
fepp", eine§ Fuhrmannes, ber am „©raben" wohnte, in 
ber Sftäfye meines s 43aterhaufeS, unb mit feinem Frucht* unb 
S5otenwagen regelmäßig am Jfreitag S^ad^t feine £our narf) 
£ahr machte, fieute non £aSle, bie nicht gerne ju Fu& 
nach £al)r gingen unb gerne billig reifen wollten, gingen 
in ber Sflegel mit bem ^ßeterfepp. SBei bem foftete eS 
höchftenS einen ©poppen bei ber 9lnfunft, unb bafür 
burftc man unter baS fchüfcenbe 3elttuch feines 3öa*genS, 
unter bie flache", liegen unb tonnte auf leeren ftrudjt* 
fäcfen fdjlafen bis in bie ©tabt, in welker ber Diel 
gcfchnupfte „Sotjbect 4 ' fabriftirt wirb. 

Um 6 Uhr waren wir am ^Bahnhof m ^inöüngen, 
unb fchon Dor Wittag pilgerte bie Keine Karawane in 



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_ 37 - 

bet fdjönen 6tabt SBafel ein. 3>et ©djteinetmeiftet ge* 
leitete und in eine jiemlid) atmfelige 3Sittf)fd)aft, in enget 
©äffe gelegen, wo roit aber jum ©lücf einen ftutfdjet 
trafen, bet mit feinem änrnfpänner leer nad) SBaben im 
Slatgau futyt unb um billiges ©elb un8 baljm mitnahm. 
Uebet Sieftal unb ©tugg, butd) IjettlidfjeS ßanb, ging*« 
bct SBäbetftabt ju. 9lug' unb £et$ fd)roelgten bei mit, 
roäfjtenb bic btei alten ^ßetfonen meift f erliefen; benn e3 
roat ein geiget ©ommettag unb bie gtaljtt eine gat 
lange. — 

(Spät in bet SRadjt langten mit in SSaben an. $>ct 
guljtmann fetftc uns in „bet SBaage" ober „im 3lnfer", 
id) roeifj ben tarnen ni$t mefjt genau, ab. 9lHe8 roat 
tum gfremben Übetfütft, unb mit niet mußten in ein 
.gimmet, auS bem man bie fdjon gu SBett gegangenen 
SJtägbe netttieben Ijatte. 

2lm anbetn Sttotgen bentifcte id> not Abgang beS 
3uge§ na$ QüTtä) bie #ett, um in ben ©ttafjen von 
Saben gu luftroanbeln. ©8 lam mit aUeS fo fremb unb 
metfroütbtg not, bat oie 2lbteife balb Detgeffen fjätte 
unb bet ©d)teinetmeiftet midf) fudjen mufjte unb enblicfy 
ttaf, roie id) gan& in $ettadjtung netfunfen an bet Slate 
ftunb. (£8 mufj bamalS fd)on bet fpätete SReifebefdjteibet 
in mit gefteeft fein! SDic jroei Sttattonen roaten beteits am 
58af)nl)of, als id) mit bem Reiftet Seim baljetgaloppitte 
unb oon bet ©tofjmuttet gehörig gekauft routbe, roeil id) 
ein gebanfenlofet „SBunbetfo" fei unb feinen „2BaUfal)tt3* 
geift" Ijätte. $)a§ ©insige, roa§ bie ©tofjmuttet im Sluge 
Ijatte, roat eben ©inftebeln, unb ba§<Sd)teinet'(Sl)epaatbad)tc 
nut an§ ^eimfommen. $)tum fptengte bet Srijteinetmeiftet 
un§ in Qwcxd) audj möglidjfi fd^neU butd) Sttafien nnb 
©äffen bet Stampf fdjiffftation &u, unb id) tonnte, mit unfetm 



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— 38 — 

IHcifefocf beloben unb mit ben jwet ©reifinnen hinten* 
brein hintenb, nur im $lug bie fdjöne ©tabt anftaunen. 

äBenn einem Sterblichen ftch einmal ber Gimmel 
öffnet, fann er unmöglich mehr ftaunen al§ ich ^ilgrim, 
ba ba§ erfte $)ampffchiff mich über ben 3üricl)erfee trug. 
$)er ©chreinermeifter aber mujjte fernere 9Jott) leiben, bt§ 
er alle meine 3*&8 cn beantwortet ^atte. 3Ber mir bamalS 
gefaßt hätte, baß id) in meinem Seben aud) nod) jähre* 
lang an einem folgen frönen @ee wohnen bürfte, ben 
würbe ich als einen ©ngel ©otteg nerehrt haben. 

3ft 9tichter§wul nahm un§ ber £a§lad)er in fein ©au§ 
auf, wo idj Äaffee befam nach ©efjrocijerart, mit SButter 
unb ©orup; unb biefer noroel)ine Kaffee ift bie einjige, 
lebhafte Erinnerung, bie mir non meinem Aufenthalt im 
$aufe beS ©chreinerS blieb. 

©egen 9lbenb jog bie ©ro&mutter mit mir weiter 
gen ©inftebeln, aber gu gujj. 5)ie fromme $rau fyatU 
ftch f eitler betlagt, bajj man immer gefahren fei, eine foldjc 
SBaUfahrt habe fein großes SSerbienft ©o mujste ich benn 
ben mühfamen, breiftünbigen 2Beg über bie „(Schinbellegt* 
neben ber 9l^nc herlaufen unb, ma§ mir noch ^rter nor* 
tarn, beten, ftaum t>or bem £)orfe brausen, hatte fte ihren 
9tof entrang au§ ber $afdje genommen unb gum ©ebet 
fommanbirt. Qd) h^^e fo gerne über 93erg unb 'Hfydl mit 
ber ©rojhnutter gebrochen unb £anb unb Seute in aller 
©emütSruhe betrachtet, unb jefct mugte ich °cn $Rofenfran& 
beten mit feinem für ftinber unb ftnaben fo langmeiligen 
Einerlei. Unb fo oft ich <*u§ ber Sftolle fiel unb ber 
©rofjmutter bieS ober jenes am 2Beg hin jeigen wollte, 
ba würbe ich abgetakelt unb jur 2fabad)t ^unici* 
getrieben. 

Offen gefagt, h<*t mir bamalg ber 9fa>fenfran$, ben 



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- 39 - 

wir noch oft gebetet bis mir heimfamen, bie gange SHetfe* 
freube getrübt. 3$ f)abe bann be|f)atb biefcS herrliche 
©ebet mele ^afjre nicht mehr gebetet unb fo grünblich 
oerlcrnt, bafj ich eS als 9InfangS*$heologe gar nicht mehr 
beten fonnte. ©rfi bie 5Rotl) hat mich im fpätern Hilter 
ben 9tofenfrang roieber beten unb Heben gelehrt. Unb 
beute fann ich aus eben fo offenem ®ergen fagen: 935er 
ben SHofenfrang nicht liebt, ber fennt ihn nicht. 

<£S bunlelte fchon ftarf, als mir in ©inftebeln ein* 
rügten unb in ben „bret $ergen" einfetten , aber ber 
oielen piger wegen, bie alle 2BirthSc)äufer füllten, unS mit 
einer Cammer ttnb mit einem SBett begnügen mufjten, 
mährenb in einem gmeiten Sager ein ©Ifäffer SBauer unb 
feine #tau *ßlatj genommen Ratten. 3$ weigerte mich 
jtonbhaft, als faft fünfzehnjähriger baumlanger Qunge, gu 
ber ©rofcmutter gu fchlafen unb gab nicht nach, bis biefe 
ben fchon fchlafenben ©Ifäffer meefte unb ihn beftimmte, 
mich in fein Sager aufnehmen unb bie grauen gu* 
fammen gu thun. 

$ch fchlief roie ein ßöntg neben bem Ueberrheiner, 
aber fchon um trier Uhr Borgens meefte mich meine SBe* 
gleiterin, bie bereits marfchfertig mar für bie ©naben* 
lapeUe. Züchtern unb fchlaftrunfen ftieg ich gum Tempel 
hinan. SBoH ber heiligften Slnbadjt unb Verehrung warf 
ftch bie ©rofjmutter r-or baS SJtabonnenbtlb, an bem ich 
teinen grojjen Unterfchieb fanb, menn ich eS mit jenem in 
ber heimatlichen fiorettofapeHe verglich. ÜRur baS reichere 
©eroanb unb bie gahllofen SBottogefchenfe in ber bunfeln 
Capelle reigten meine Slufmerffamfett. %\t ©rojsmutter 
hörte unb fah nichts t>or Qnbrunft, unb fo bemerfte fte 
eS nicht, als ich/ ba gubem immer mehr Seute vor bem 
©nabenort ftch fammelten, mich erhob unb mir baS grofje, 



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— 40 - 



herrlicfje ©otte§f)<m§ oon Altar au Altar mufterte. Stonn 
betrachtete ich aber audj bie Sßilger. @o Diele mit in 
SHeibung unb 9Jlienen frembarttge 3ttenfd)en tyatte id) im 
Seben nodh nie gefehen, unb jie nahmen mic^ befchalb ganj 
in Anfprudf). 

$a|s bie ©eele eines fötaben, in oXV ba§ äußere 
Geljen unb betrachten oerfunfen, nid)t jum beten aufgelegt 
ift, begriff bie gute ©rofjmutter nidjt. Sie fahnbete auf 
mich, nad)bem flc tfjr langet ©ebet beenbigt, fd^Ieppte 
beu leidjtfmnigen (Smfel in bie SBeidjtfapelle, roo er, wie 
fte, beizten unb bann bie heilige Kommunion empfangen 
mufjte. tt)at e§, aber flc modjte mir angefehen haben, 
bag bie rechte (Stimmung fehlte. ®ie fpradj mir auf 
bem 2Beg gum 2Birth3h<w§ unb grühftücf gar fcharf ju 
unb meinte, fie mürbe mid) nie mehr mitnehmen auf eine 
SBallfahrt, man habe md)t§ als Qotn unb Aerger mit mir, 
roetl icf) nicf)t beten motte. 3$ folle oon nun an in ©in* 
ficbeln laufen, mo td) wolle, fie merbe in ihrer Anbaut 
nur geftört burdh mein benehmen, 

Qetjt mar mir aufgeholfen, unb bie jroei $age unfereS 
iöcrroetlenS am ©nabenorte boten mir jetjt außerhalb ber 
$ird)e Diele ©tunben großen ©enuffeS. 3$ fölenberte 
in ben ©tragen umher, befah bie ärämerftfinbe unb Au§* 
lagefenfter, fajj ftunbenlang auf ben fteiuemen treppen 
oor bem @otte§^au§ unb lie| bie Pilger an mir oorbei 
paffiren ober manberte cor ben Rieden hwauS, roo mir 
namentlich ba§ beinhau§ auf bem ©otteSacfer mit ben 
jahllofen Sobtenfchäbeln mächtig imponirte. Um bie 
2ftittag§* unb Abenbjeit fuchte td) bie ©rojjmutter auf in 
ber ftirdje, au§ ber fle ben ganjen $ag nicht h^auSfam 
auger &um <£ffen. 

ÜRod) ift mir oon jenem erften Aufenthalt in (Sin* 



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— 41 — 

pcbctn roohl erinnerli*, bafj ber 9ca*troä*ter fo f*ön 
feine ©tunben gefunden ^at 

•3 U 5 U 6 öittö'S am brttten Sage, abermals unter 
Stofentranagebet, über bie ©*inbellegi jurücf na* 9ti*ter§* 
rogl £ier warb bem ©*remermeifier &bteu gefaßt unb 
in $üri* ün ,©*roert" übernachtet 3tt§ roh am anbem 
SJlorgen bur* bie ©tragen ber ©tabt ^inau^ogen gen 
Schaff Raufen, mürben mir al§ Pilger erfannt unb von 
böfen SBuben oerfoottet. Empört rooUte t* mt* mit 
meinem bünnen 2tteerrohrfiöcf*en auf bie ©*Ungel ftür&en, 
allein bie ©rofjmutter mehrte bringenb ab. 

<S£ ging un§ no* öfters fo in ben Dörfern , bur* 
bie mir an biefem unb am folgenben $age betenb pilgerten, 
unb ^eute no* f ollen bie SBattf ahrer dh^i* infultirt 
roerben. SBenn eS Quben mären, bie na* ©inftebetn gum 
©rabe irgenb eines Patriarchen jögen, mürbe man fte 
natürlich mit ber größten Soleranj behanbeln! 

3u flöten im „Seuen" fanben roir am erfien SIbenb 
oon Zürich roeg unfer Nachtquartier unb trafen bort ben 
„93af*e", einen ff uhrmann au§ £a§la*, ber in jener eifen- 
baljuarmen Qtxt jebe 2Bo*e mit ©al^, ba§ er in S)ürr* 
heim bei S)onauef*ingen geholt, na* $üri* fuhr. 

Saufen unb SBeten mar au* bie £age§orbnung für 
ben fommenben Sütorgen, attein bie ©onne brannte fo 
heifc, bafj i* um 9ttittag — mir hatten eben bei ©glifau 
ben dttyin pafftrt — erklärte, &u $u§ ni** wehr roeiter 
&u fönnen. Qe^t oerfpra* mir bie 9lf)ne, im nä*ften 
SDotfe, Sftafe, ein fttthrraerf ju nehmen; bie§ gcf*ah, unb 
unter ihrem beftänbigen ^rebigen über meinen f*Ie*ten 
SBaflfahrtSgeift famen mir na* ©*affhaufen. 

$ier aber rä*te mi* ein 2öirtt) unb -äJletjger, bei 
bem mir eintehrten unb SJlittag ma*teu, am „2Bafl* 



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42 — 

faljrtSgeift" meiner ^Begleiterin. S)er SBirtl), welker ge= 
fragt Ijatte, wofyer bie 9teife fäme, fteßte un§ einige ©tücfe 
$letfd) oor, bie jiemltd) fd)ledjt fid) präfentirten, aber md)t 
fdjledjt waren. 

3tteine ©roßmutter, eine beffere ^Bürgerin, war im* 
gehalten über bie „Wl'ödtl" unb fagte ba3 bem SBtrtl). 
%et aber meinte, SBaUfafjrtSleute follten nid)t fo wctfjlertfd) 
fein, benn sunt SBaflfaljren gehöre nid)t nnr ©ebet, fonbern 
audj Slbtöbtung. 

fetymteg au§ SHefpeft oor ber ©rofjmutter; aber 
innerlidj freute e§ mid), bajj aud) il)r SQBaHfaljrtSgeift feinen 
Gabler gefunben. 

3n ©cfyafffjaufen natym un§ 9lbenb§ um 8 Ufjr ber (Sil* 
wagen auf unb, oon einer *ßoftfiatton auf bie anbere burd)* 
fatpenb, langten mir am nädjftenSKadjmittag in ber £eimat!) 
an. 2tber f)ter ging ber Sana erft redijt log. $)ie ©rofjmutter 
fyatte nichts (SiligereS ju tyun, als jtd) bei SBater unb 2ftutter 
$u betlagen über meine trreltgöfe Sluffüljrung: 3$ ^ tie 
nur fjerunroagiren, aber ntd)t beten wollen ; au$ mir werbe 
„f einer Sebtag" fein ©eifilidjer, weil id) oiel lieber auf 
ber ©trafje al§ in ber fünften &ird)e fei u. f. w. 

3Jlein braoer Söater mit feinem praftifdjen SBerftanb 
ergriff meine Partei unb fertigte bie übereifrige grau ab 
mit ben mir f>eute nod) präfenten SBorten: „©o amma 
33ua muaß mer nit a'tnel juamuatfye im SBette!" 3>ic 
erften Zweifel, ob je ein Sßriefter au§ mir werben würbe, 
fonnte er jebodj ber ©rofjmutter md)t meljr nehmen. $)er 
Delinquent aber ging, nod> ganj erfüllt t>on alT bem 
«Bielen, baS er gefefjen, wieber ju feinem Kaplan unb 
fe^te eifrig feine ©tubien fort 

©o fd)wanbber©ommer, unb e§ warb$erbft, ber mid) 
oon ber $eimatl) weg auf bie ©taatSfdjule bringen follte. 



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— 43 — 

gatte aud) bic 3«t ber „(Stunben" beim Kaplan bem 
©eniu§ ber feltgen $inbf)eit fcfyon bebeutenb bic f^lügct 
gefcljnitten unb midj belehrt, bajj id> (ein forgenlofeS fttnb 
meljr fet, fo rainften mir bod) immer nod) bie füge £et* 
matlj unb ba§ liebe SBaterfyauS. 9Iu§ biefem Greife oer< 
bannt, lernte td), nriber Erwarten, erft red)t bie 9?otf) 
be§ jungen 9Jlenfd)enleben§ fennen unb füllen , bajj id) 
au§ bem ^ßarabiefe ber Qugenbjeit oerftojjen fei. 

SBenn td) aber fjeute gurüefbenfe an bie $age unb 
9Jtonate beim Kaplan, fo erfdjeinen fie mir immer nod) 
nerflärt oom ©Ianje ber fdjeibenben (sonne be§ fttnber* 
glücfe§. £)te reinften ftreubeu meiner ©tubienjeit fallen 
in jene Sage, ba td) oom „Grippel* be§ SßfarrfjaufeS 
Ijerabfdjaute ober in bem ftttten ßimmerdjen be§ Kaplans 
meine latetnifdjen unb franjöftfc^en (öätje fjerfagte, ba ein 
milber, fanfter, eroig lädjelnber *ßriefter mein Seljrer unb 
bie Sftarie unb bie SJtagbalena meine erften aufrichtigen 
JJreunbinnen waren. 

9Hit ber ©tunbe, ba id) ba§ fjeimatfjltdje Sßfarrl)au§ 
al§ $aplan§fd)üler für immer oerlteft, fjabe id), n>a§ ftete 
SRufje unb $eiterfeit betrifft, bie (SJlangpertobe meiner 
<5tubien$eit begraben. $er alte Grippel am $farrf)aufe 
mar bie lefcte ©ölje, oon ber id), nod) mit einem gufj in 
ber ßinberjeit ftefjenb, ungetrübten $erjen3 aurücf Miefen 
tonnte in bie SSergangenfjeit. — 

$)er Kaplan fdn'eb balb nadj mir au§ bem 6täbtd)en 
unb roirfte al§ ^ßfarroerroefer balb ba balb bort im fianbe, 
bi§ er al§ Pfarrer im ßinjgau auf einer *ßfrünbe, bie 
ebenfo befcfyctben mar al§ er felbft, jahrelang fid) nieberließ. 
$ier befugte td) ilm einmal im Qafyre 1878, nadjbem mir 
un§ feit 17 Qaljren nidjt mefyr gefeljen. mar ein 
regnender ^rfcjftadpnittag, al§ iti) mit ber eleganten 



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— 44 — 

tequipage eines benachbarten MeichStagSabgeorbneten unb 
©rojjinbuftrteHen, beS £erm ©eilig uon *PfuUenborf, oor 
bem einfamen, armfeligen ^ßfarrhaufe in Sftaft oorfuhr unb 
nach bem Pfarrer mich erftmbigte. Qu einem trüben ©e* 
mac^ traf ich thu, wie er eben, aufgefchrecft burd) baS 
Vorfahren einer (Shatfe, feinen gauSroct mit ber (Sutane 
wedjfeln wollte. 3$ gab mich nicht &u erfennen; er fchaute 
einige Qtxt prüfenb in beS g rem ^^ n Ö g Slntlitj, unb bann 
fprach er baS eine 2Bort: Heinrich". ®r hotte feinen 
Schüler erfannt unb eine lebhafte greube, ihn, ber feitbem 
fo manchen ©türm erlebt, einmal &u fehen. SBclche 33er» 
änberungen waren aber an unS beiben vorgegangen ! ? $)er 
ßnabe oom „Grippel" mar jum grauwerbenben tarnte 
herangeroachfen, unb ber rothbaefige fehwäbtfehe SSifar bem 
©reifenalter jugefchritten. Seine fangen waren gebleicht, 
fein ootteS ©eftdjt eingefallen unb feine fchwarjen Socfen 
faft weijj geworben. 

3lber feelifch hatte er ftch nicht ge&nbert S)er gleiche 
milbe Sölicf, bie fanfte Stimme, bie anfpruchSlofe 53c* 
fehetbenheit fprachen aus bem alten Pfarrer, wie aus bem 
jungen Kaplan. Unb ber Schüler? $)er blaffe ftnabe, 
ber einft ftiUoergnügt auf bem „Grippel" beS *ßfarrhaufeS 
geträumt hatte unb jeweils bemütlng in beS ßehrerS Qim* 
mer getreten war, ging heute fchweren Schrittes, unruhig, 
lebhaft rebenb unb geftitulirenb im ^Pfarrhaufe feines 
fiehrerS auf unb ab. Unb ber ftitte 9Jtonn ftaunte unb 
fchaute, ohne ein SBort gu fprechen, an bem SRuhelofen 
hinauf unb bachte wohl: „2lber ber hat ftch oeränbert!* — 
Unb warum fo oeränbert? 2Bcil er feine jener ©igen* 
fcfjaften befi^t, bie beS SehrerS $ugenben waren unb finb. 
SBärc ich fo fanft unb bemüthig burch bie SBelt unb bie 
SNenfchen gewanbelt wie mein erfter Stubtenlehrer, fo 



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— 45 - 

Ijätte id) uieleä nid)t erfaßten unb erleben muffen. Mein 
wenn e§ nitf)t „im $ol$ liegte fo gibt e§ feine pfeifen 4 '. 
Sei mir lag eben ba§ ©egentfjeil von bem im £ol$, 
mag meinem £eljrer bic Sftatur gegeben, unb ba id) leiber 
nidjt aScetifd) unb felbftoerläugnenb genug bin, um au§ 
meinem #ol} beffere pfeifen &u fdjneiben, fo pfeife id) 
eben aüermeift au§ bem fdjledjten 9iaturI)ol$. 

Qd) nal)m ben lieben $errn in meiner Equipage mit 
bi§ Älofterroalb, im Sanbe ©igmaringen, roo wir nod) 
einige fd^roäbif^preufeif^e ©eiftlidje trafen unb „ein gutes 
93icr" trauten. $>en ganjen 9lbenb aber tonnte id) midj 
nidjt fatt feljen an meinem „Staplan" unb nidjt genug 
jurüetbenfen an ba£ erfte, felige ^afjr metner ©tubiengeit. 

Qu Anfang ber adliger Qa^re Ijat er bie umotrtf)* 
fame ©odjebene, auf roeld)er er gegen 20 ^afjre oerlebt, 
oerlaffen unb im fdjönen 93rei§gau eine rooljloerbicnte 
sßfrünbe belogen, oon ber ifjn Hilter unb $ranff)ett nad) 
get)n Sauren abriefen, (Sr gog als *ßenftonär l)inab in§ 
SRendjtfyal, nad) bem €>täbtd)en Dbertircf), in beffen 5Wär)c 
et einft ^farroerroefer geroefen mar. ©r ftarb rjier 1894, 
unb id) bebauerte fer)r, bajj eigene« ftrantfein mid) oer* 
Ijtnberte, iljn au ©rab $u geleiten. Sftöge tfjm bie (Srbe 
lcid)t fein, id) aber roerbe tr)n nie oergeffen. 



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f ex %flrtnttfr in $UJtott 



©o grofje $mberniffe, mie bcm ^Beginn meinet ©tu* 
bien, fteUten ftd) ber ftortfefcnng bcrfcttcti entgegen. SJton 
roujjte lange nid)t, wot)in id) auf§ ©gmnafmm, bamal§ 
Srjceum genannt fommen foUtc. (Srft frug bie Butter in 
greiburg Bei ifcer <&dt)iuefter an, roo td> ja früher fd)on 
einige 3eit „ftubitt" hatte 1 ). $a I)ie& e§, man neljme 
bort ntd)t gerne auswärtige ©d)üler auf, weil ba§ Sgcemu 
überfüllt fei; aud) gäbe e§ (einen *ßla$ mefjr am Siföe 
be3 ftrciburger DnteB für und), e3 feien au oiel „Saben* 

bienet* im $aufe. 

gefet nmnbte ic| mtd) an meinen in bem benachbarten 
Dffenburg ftubirenben greunb Soxen* Wlauä. ®er machte 
Sunäd)ft ein Quartier auSfinbig beim 6attlermeifter £ugeU 
manu, worauf id) eine§ £age§ bie 3Jlutter mit be§ ©tabt* 
mülterS „Sudrfen" f)inunterfutfd)irte. ©ie mürbe aber 
mit ben beuten im *ßrei£ nidjt einig, fanb (eine anbere 
2Bof)nung, unb amSlbenb fuhren mir trübfelig unb refultat* 
lo§ roieber ba§ Styal hinauf. 

$te ^iotl) mar grofj. Sftod) am Slbenb roarb Familien» 
rat!) gehalten, in meinem bie ©rofjmutter ba§ 2Bort führte 
unb meinte, e§ fei eben fein Segen mit bem „$8ua", ber 
feinen „guten ©eift" ^ e unb nic W bctcn roollc - 

*) ©tefje „2lu§ meinet 3ugenbseit". 



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— 47 — 

S)a jünbete mir, ba id) roeinenb neben ber Butter 
ftunb, ber 93ater ba3 le&te £offnung§lid)tleht an. 

Q^m fiel ein £a3ladjer in Sftaftatt ein, mit bem er 
in ben $n>anjiger Qfabren bafelbft beim 9ttilitär geroefen, 
ber aber bort geblieben mar unb ftd) als ©djutymacfjer 
niebergelaffen t^atte. Bei biefem, feinem alten greunb unb 
&rieg§fameraben, mürbe i$ ftct)cr Slufnafjme finben. 

Qn aller JJrüfje am anbern 2Jtorgen fcf)rieb bie 9ttutter 
bem ©d)ul)macf)er einen Brief. Unb nun Inng mein ©djtcf* 
fal von ber (Smtfdjeibung etneS ©d)ul)mad£)er3 ab. Stenn, 
fo marb am Slbenb befdjtoffen, raenn'S in SKaftatt aud) 
tüd)t3 tft, bann t^ut man ben „ftärle" eben bo$ in bie 
Bacfftube. 3Jtan begreift, mit roddjer ©pannung idO ber 
Söfung Ijarrte. 2flein Kaplan tröftete midf) mit bem 93er* 
fprecfyen, im ©d&roabenlanb mid) unterjubringen, wenn id) 
im Babifdfjen md)t anfomme, unb ^eter, mein Batfftuben* 
freunb, ermunterte jum 2Bibetftanb gegen bie s Jiütft'el)r in 
bie Bacfftube. „£>ain T r," fpiad) er, „wenn i fd)o fo oiel 
latinifd) fönnt' roie £)u, tl)ät i umg &äbe fei Becf meljr 
märe (werben)." 

Briefträger in £a3le mar bamal§ ber ^ßoliseibiener 
unb ©djuljmadjer ©dfjmieber, ber mit bem ©äbel um- 
gürtet oon &au3 &u $au§ bie Neuigkeiten trug. 

SJlit gittern unb Beben faf) icf) ben birten ©djufier 
bie nädfjften £age bie „oorbere ©äffe* f>erabfd)reitcn mit 
feiner großen Brief tafdfje, unb öngftlid) frug idf) ifyn je* 
toetlS, ob er feinen Brief oon Sftaftatt „für un3" f)abe. 
©nblid^ am fünften ober fechten Sage fam bie Antwort, 
©in SufaU gab eine günftige ©ntfdjeibung. 

S)e§ 6d)ulnna(f)er§ ©olnt 9lbolf, 1893 als Pfarrer 
geftorben, wollte, um ber „fturannei be§ S)ireftor§" p ent= 
gel)en, ba3 lefcte ©nmnafialjaljr in Äonftanj mad&en. ©o 



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— 48 — 

bcfam fein SBater $lafc für mid) unb (Mb für tyn oon 
mir. ^ür t>ter$el)n ©ulben monatlich bot er fiel) an, mid) 
in „ftoft unb SogiS uebft golg, £id)t unb aBafch'" ju 
nehmen. 

<$r hatte fchon mit bem $>irector be§ SnceumS gc* 
fprodjen unb lub uns auf ben legten ©eptember nach 
IRaftatt ein, ba am 1. Dftober bie 9lufnahm§prüfung 
ftattfmben foQte. 

S)er ftamiltenrath genehmigte einstimmig be$ ®chut> 
macher§ Antrag, unb ich mar in jener ©tunbe ftcherltch 
ba§ glücf üd^fte 3ttenfchenfinb in #a§le. 2Ba3 mein ©lücf 
noch er^ö^te, mar bie neue 2lu§ftafftrung, bie ich befam. 
®er „©dniiberfepp* fam in§ £>au§ unb ^olger* 
*ßeter3 Sttagbalene* unb richteten mir Kleiber unb £emben 
ju, unb an einen alten nufcbaumenen ftoffer meinet 
©rojfraterg, be3 „SBälber^aoeri", mußte ber ©djloffer 
©afjl ein neue§ Schloß machen, bamit er meine §abe 
aufnehmen unb bewahren lönne. 

9Bie eine SBraut glüeflich ift in ben Sagen, ba ihre 
5lu§ftattung gemacht wirb, unb nicht ahnt, borg flc mtU 
leicht in turpem meint über ihr (£lenb unb ftch jurüd;* 
fc^nt tnS SSaterfjauS, fo ging e$ mir. 

S)er Gimmel ^ing mir buchftäblich DoHer ^Baßgeigen, 
unb aUe§, roa§ ich fa^ unb ^örte unb hoffte, mar mir 
SJcujtt. 3$ fah lauter golbene Serge in ber gufunft unb 
oerließ, als ber erfehnte Sag gefommen mar, leisten 
£ergen3 baS SBaterhauS, ben Äaplan unb bie trauten 
tannengrünen SBerge ber $etmath. 

6o marfchtren mir SRenfchenfmber ade mit „^fetfen 
unb brummen" au§ bem ^ßarabieS ber erften 3ugenb§fit 
hinein ins feinblidje j&ben unb in ben ftampf umS Stafrin. 



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— 49 — 

Unb erft,roenn wir tüchtig ©djlögeunb SBunben empfangen 
Ijaben, fommen wir wieber ju un8 unb fagen un3: 

D feiig, ein Äinb nodj gu fein. 

%xt Butter begleitete mid>. 2U8 mir an einem nebcl* 
feudjten £erbfhnorgen t>or bem 93aterf)au§ in ben „$riüat* 
DmmbuS", ber von 2Bolfad) nad) Dffenburg fuf)r, ein* 
fliegen, fam mit ber alte, f lapperige ftaften auf »ier SRäbem 
vox nrie ein „©onnenmagen", ber junt Gimmel fä^rt. 

Qn Sftaftatt empfing un3 bet @d)uf)mad)er SBraun, ber 
einem Dberamtmann ftfjnlicljer falj al§ einem ©cfiuljmadjer 
unb mir bef$f)alb gewaltig imponirte. <£r mar gubem Behaftet 
mit großer eines $a§lad)erg würbigen ttebenbigfeit. Ünfer 
erfter offizieller ©ang galt bem $)ireftor be§ SgceumS, 
meinem bie 3 cu 8 n *ff c ttc &ft ©eimatf)§* unb Qmpffcfjetn, 
oljne weldf)' letztem bamalS fein fteutfd&er ftobienfäfyig mar, 
übergeben würben. 9loti) fe^e i$ ben änaben lebhaft im 
©eiftc nor mir, wie er mit großen Singen ba3 Sgceum, feine 
altefjrmürbigen fimbenbäume unb ben geftrengen £erm an« 
flaute, ben ber ©djutymadjermetfter in feinem SRaftatter 
S)ialett immer wteber *$err £fyärrefber* tttulirte, unb 
ber in einem befonberen £aufe neben ber (Stijule wofjnte. 

%tx %xxtttox meinte, als er gefragt fjatte, wie alt 
ber „lange ^unge" fei, ber fei $war etwas alt, aber 
wenn er Talent Ijabe, Wune er e§ bod) nodj) ju etwas? 
bringen. S)ann fttjte er ben <5d)ufjmacl)er, weil biefer 
feinen ©oljn non ber 3lnftalt wegnehme. Stteifter SBraun 
lief? fld& auf feine 2)i3fuffion ein, ba er bie ©eftigfeit 
be3 S)ireftor§ fannte, erwiberte aber mit £a3lad)er 
©umor, „er bringe ja in mir ber Slnftalt einen ®rfa^ 
für feinen ©olin." — 

SRacl) biefer SSorftellung warb im ©aftl)au§ „jum 
$flug", wo bie Sttutter ben morgigen ©yamenStag abwarten 

$ an diatob, etubienjelt. 4 



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— 50 



wollte, Ijcrremnäßig $u Wittag gefpeift, unb unfer £a§- 
lachet, nebenbei audf> ©tabtratl), ergäbe wä&renb beS 
5Jfaf)le§ feine nod(j frifd&en ©rlebniffe au§ bet Sfteoolu* 
tionSjeit. 3$ faß ba wie ber £erfule§ atn ©d&cibcwcge; 
icf> wußte ntd&t, ob id) surren unb nid&t effen, ober effen 
unb nid&t juljören fodte; fo fpannenb war bie ®r$äljlung, 
aber ebenfo reijenb aud) ba§ Sftenu ber JJrau ^ßflugwirtf>tn. 
3lm 3ßacf)mtttag bejog icfy mein Quartier. $>a3 £>äu§d)en 
be§ ©dfjuIjmacfjermetjterS ftunb an ber Stturg, unmittel« 
bar am Eingang gum „9tof)rerfteg", oom ftluffe nur ge* 
trennt burdf) ben Stamm, ber bie ©ewäffer oon ben 
SOSo^nungen ber 9Jlenfd^en abgalten foU. 9luf ber ftlufa 
feite geigte baS I leine, jmeiftöcftge .JpauS eine 23ombe, bie 
wäfyrenb ber S8efd)teßung burdfj bie Greußen ba einge* 
fcfylagen f)atte unb mir neuen SHefpett oor benfelben ein* 
flößte su bem alten, ben uf) in ©aSladj gewonnen 1 ). 

$a3 freunblidfrfte .ßtmmer beS @aufc§, im ^weiten 
©tocf , warb mir angemiefen. Qd) mußte e§ aber mit 
einem Jüngern ©oljne ber JJamUie, ber ebenfalls baS 
Sqceum befugte, teilen. @r ift fyeute ber 9tad)f olger 
feines SBaterS in SBeftfc unb ©emerb. $)ie grau »raun, 
eine bicfe, richtige Ütaftatterin, fjatte in bem #äu§djen ba§ 
£idf)t ber SBelt erbtieft unb nebenbei oollauf baS 3eug, 
mir bisweilen eine ©tanbrebe ju galten, wa3 balb oon 
nützen würbe. %it Xodfjter Amalie, ein Sttäbcfyen in 
meinem 9Uter, fonnte nie meine ©qmpattyie gewinnen, weil 
ftc mir ftetS fefyr flehte ©tücfdjen SBrob um oier Ufjr 
fdjmtt unb faft ftänbig eine fogenannte „SRo^nafe" trug. 
Gie ftarb oor wenig Sauren a ^ wacfere SBäcferSfrau in 
£taben=93aben. ©ine 9Jkgb au§ bem 9tturgtl)al, „£anne" 

*) eiefje f^ioiübcr bie ©rinnetungen „SluS meiner ^«öenbjoit". 



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51 - 



genannt, &roet ©chutnnachergefcUen unb brei £ehrjungen 
bitbeten bie weitere £au§gefellfchaft , in bie jetjt ber 
„?8tdz* ( $tylvwU" oon $a3le eintrat 

$)er 1. Dttober tarn. (Segen bie neunte borgen* 
ftunbe $og ich jum erften Sttal in bie Ratten beS SuccumS 
ein, 100 eS oon&fpiranten unb ^achejamtnanben wimmelte, 
bitten au§ biefem ßnabengerotmmel ragte bie fabrif* 
fd)lottge ©eftalt be§ £gceum$biener$ ©chill h*roor, orb* 
nenb unb jurechtmeifenb. ftein SRefrut fann ängfilicher 
•unb wilbfrember am erften Sage im ^afernenfjof oor 
feinem Jtorporal fielen als ich heute oor bem alten 
©chill. ©ein prafttfdjcr SBlicf fannte aber fofort unter 
ben „bleuen" bie länblich (Einfältigen, unb als ehemaliger 
^auernbub' nahm er ftd^ berfelben junäc^ft an. 

3lu{jerbem mochte ihn meine lange ©eftalt reiben, 
unb fo fd)ritt er benn alsbalb auf mich $u unb fragte, 
rooher ich fäme unb in welche ftlaffe ich aufgenommen 
werben roollte. „3$ möcht' 'S ©jrame mache in b' Unter* 
quarta unb bin oon 4)aSle", lautete meine Antwort. „<3o, 
DO)t ,£>aSlad), auS bem ^reifdjärlerneft, wo fle bie ©en* 
barmen fo oerfolgt haben \" meinte ber 9lltc, melier in 
ber SReoolutionSjeit noch SSrigabier bei ber ©enbarmerie 
geroefen mar. 3$ erfdjraf nicht wenig, bachte au meinen 
£>ecferhut mit feiner ßofarbe unb feinen ©ennenfebem 
unb gab baS ©janten fchon oerloren, falls meine £>etfet; 
traten begannt mären. 

@S follte noch beffer fommen. 3n baS Limmer, 
welches ber ehemalige ©enbarm mir unb einigen jur 
Nachprüfung SSeftimmten angewiefen, ftampfte alsbalb 
juefenben Schrittes ber ^ßrofeffor Honsbach, Älaffenlehrer 
oon Unterquarta, ©r mar ber etjte ^ßrofeffor, ben ich * m 
£eben fah, unb ich ^ielt bamatS einen *ßrofeffor für baS, 

4* 



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— 52 — 

wofür ein richtiger lateimfd)cr ©djulmcifter fid) fetber 
Ijält, für einen 3ttann , ber alles weifj. (So benahm ftd) 
audj mein gufünftiger ®laffenlefyrer. 

(Seine gange 9lnrebe an mid) jittembeS SBauembübcfyen 
war eincSSer^errlid^ungbeSfgftematif^enUnterri^tS burd) 
afabemtfdj unb pf)Uologif<$ gebilbete Sebrer unb eine $er* 
urtfjeilung jeber ftaplanSfhtbien. „$jn feine klaffe fönne 
idj ntdjt aufgenommen werben, ba bei ifrni nur tüdjttg 
gebilbete ©djüler stritt fänben*, fo lautete ber ©djlujj 
feines ©elbftlobS. Qd) weinte unb t>erwünfd)te im ©tiden 
mein ganjeS ©tubium. $)od), wie eS ^ßra^Hjanfen eigen 
ift, nadjbem ber *ßrofeffor fid) in feiner ganjen 2Bi<$tig* 
feit oorgefteUt fyatte, mürbe er oernünfttg unb btfttrte 
mir unb einem Sftitafpiranten au§ Ettlingen , LamenS 
(Sifele, ein Sßenfum $u lateinifdjer Ueberfejjung. 

2Benn einer fein eigenes SobeSurtljeil f ^reiben foll, 
fann er unmöglich befangener fein, als id) e§ mar bei JJer* 
tigung biefer Ueberfeijung. (Sine ©tunbe fpäter unb unter 
allerlei midjtigtljuenben Lebensarten erf lärte unS S)on§bad) 
für aufgenommen in feine klaffe, ©onft rourbe id) in 
ntdtfS geprüft; baS Satein mußte bie (Signatur fürs 
©anje abgeben. Seru^igt feljrte bie 9Jlutter am Lad)* 
mittag tyeim, unb td) begann am anbern borgen ba§ 
Sagemert eines UnterquartanerS am ßqceum ju Laftatt. 

$or oterjig Qafjren mar bie babifdje SBelt nod) md>t 
fo oerfefyrt rote Ijeute, wo man ben Greußen alles, aud) 
bie ^ummfieiten, nadraiadjt unb nad) preufjifdjer 3lrt bei 
ber ftlaffeneintyeilung an ben ©qmnaften mit @in§, b. i. 
mit *ßrima, &u jaulen aufhört unb mit ©ejeta gu jaulen 
anfängt damals mar ^rirna bie unterfte klaffe unb 
Dberfejta bie f)öd)fte unb le£te, fo nrie e§ nad) 5lbam Liefe 
unb nad) beut gefunben SJtenfdjenoerftanb richtig ift; jetjt 



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— 53 - 

jäumt man ben ©aul beim ©djroana auf, wie in vielen 
fingen ber s $äbagogit unb be§ 93olf3roohl3, unb nennt 
^rirna bie oberfte unb ©e^ta bic unterftc klaffe. Unter* 
quarta mar alfo ju meiner Qzit bie werte ftlaffe unterer 
Slbtfjeitung, unb auf biefer ©ci)an$e fing mein Seiben an. 

©cfjon in ber erfteu SBodje jetgte ftet), bafj ict) meinen 
SJUtfdjülern, ba§ Satein aufgenommen, roett Ijintennad) 
ftunb. %aiu fameu als neue £et)rfäd)er ©rted)ifct), @eo* 
metrie, <5tefd)tct)te, 92aturgefct)tc{)te unb ©eograplne: lauter 
fpanifdje Dörfer für mict). Qfm 3)eutfd)en Ratten mir 
beu £nceum§lel)rer SHauct), einen Sttann, ber einen äffet* 
tirtcu preu^ifd)4°^ eui f^)^ $)taleft fpraef), bem mein 
^insigt^äler 3llemannifch ein ©reuel mar unb ber mit 
ber rüdftd)t§lofeften $)erbt)eit bem eingeflüsterten ftnaben 
begegnete. Um, id) fann e§ md)t anberS nennen, feinen 
£>a{j gegen mid; $u fd)tlbern, mirb ftet) fpäter reidjlid) 
(Gelegenheit finben. 

$en franjöfifc^cn Unterricht gab ein junger Sehr* 
amtäprafttfant ftorfter, melier fc^on in ber jroeiten 2Boct)e 
ein großem SBort gelaffen ju mir fpract), unb ba3 lautete: 
„<3tf) %u roteber heim, mit Qix ift e§ boct) nichts!" 3Jlir, 
ber ich allejeit roeic^tjerjig geroefen unb geblieben bin, 
liefen bie ^eUen 2:^ränen aus ben 5lugen. £ro^bem 
fügte ber £>err, raeil ict) größer unb älter mar als meine 
9Jhtfct)üler, unter beren £ohngeläd)ter feinem falomo; 
nif d)en Urtheit als 2öiö ton ©tubentenoerS bei: 

GJelj 3)u lieber in ein Äloftcr 

Unb f*eV brettaufenb Sßatentofter, 

2)u alter §aölad)er 2)u! — 

Qch bin natürlich roeit entfernt, t)eule btefem noch 
lebenben £errn $u jümen; benn Unterleder unb SehramtSs 
prattifanten haben ja ju allen 3etten gemiffe jugenbüct> 



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— 54 — 



fnabenhafte SBorredjte gehabt, allein, roaS id) bamalS gc* 
füf)lt, tft nicht ju bef ^reiben. Sßon ©chroiertgfeiten aller 
5ltt umgeben, in ein förmliches &l)ao§ mir gang frember 
Schrgegenfiänbc eingetaucht, oon einzelnen Sehrcrn mal* 
trätirt, oon anberen oerfpottet, r-on ben Sftitfcplcm oer* 
lacht, ju allebem, gleich nad) ber Slbreife ber ÜUhttter, 
oon namenlofem £eimroeh geplagt, erfuhr id) junt erften 
9Jtale jene £age,in ber bieSftenfchenfeele nur noch einen 
2Bmtfd) ^at, nicht mehr $u erjftiren. 

Qd) mar fpäter auch jahrelang babifdjer Sehramts* 
praftifant; aber ich habe bie fchüchternen SBauernbubeu 
in ber erften 3eit mit ber größten 9tücfftcht behanbelt, 
eingeben! meines eigenen (SlenbS als angehenber Unter* 
quartana. 

9lur ein atabemifrf) gebübeter Sehrer h&t in jenen 
©chmeraenStagen mit Sttitbe mich behanbelt, unb baS mar 
ber ebenfalls blutjunge SehramtSpraftif ant ©tephan, roelcher 
uns ben Unterricht in ber grtechifdjcn Sprache unb in ber 
©efchichte erthcilte. $>afj aus ihm fpäter ein fo milber 
^oütifer unb Sourualtft merben mürbe, ber feinen ehe* 
maligen ©chüler als 9teid)StagStanbibaten mehr benn ein* 
mal fcharf befetmpf te, hatte ich bamalS nicht geahnt, ©o oft 
ich ^wte, ba er als greifer *ßenftonär in ftreiburg lebt, 
ihm begegne, grüße ich ihn, obmohl erbte römifd)cn ^ßriefter 
nicht liebt, freunblich — in Erinnerung an fein mir in ben 
elenbeften ©tunben meines SebcnS gezeigtes Sßohlmollcn. 

SReallehrer ©anto, ber 3ttathemattfer unb 3 00 ^°9 ß 
ber Älaffe, welcher mich mit feinen ©tegtjofen au ben 
©aSlacher Unterlehrer erinnerte, mar ein braoer, gut* 
müthiger Statin, ®af$ mir oon feiner Mechnerei ntdjtS 
in meinen, jebem mathematifchen ®en(en abholben Ropf 
rooUte, bafür tonnte er nichts. 



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- 55 - 

2Bic oft faß ich in ben crftcn 2öod)en meinet iKaftattet 
©tubienjeit am 2lbenb nach ber ©chule im füllen ^erbft* 
routb auf bem 2ftutgbamm, rote bie Israeliten an ben 
glüffen SabelS, unb weinte. 3)te S^räuen benetjten meiu 
bünngeftrichene§ SJutterbrob, ba§ ich eben erhalten hatte, 
unb übet baSfelbe lunau§ in bie flüchtigen 2BeHen fefjenb, 
träumte td) t>on bet £etmath, von Sater unb 9ttuttcr, oon 
Serg unb$h°l unb oon ben fticblicfjen Reiten beim Kaplan. 

D, wie hatte ftd> aße§ geänbert in fo fut^er fyitl 
Sttit meld)' füfjen Hoffnungen roar ich nach SRaftatt ge* 
Sogen, unb rote roarb ich enttäufd)t! Söenn ich wich nicht 
gefrfjämt hatte, ich roäre auf unb baoon gelaufen unb heim 
$um Sater unb hätte ihn auf ben ftnieen angefleht, uudj 
bod) füt eroige Reiten * n Sacfftube &u laffen. So 
entfetjlich entleibet roar mit ba§ „©tubtren", ba3 Seben 
in bet g-rembe unb bie Sehanbhmg am Snceum. 

Unb wo fanb ich <*Uein füt Siugenbltcfe Sroft? Qd) 
5ögetc feine ©efunbe, e§ offen gu fagen: Sei ben ©efellen 
unb Sehtbuben in bet ©chuhmacherroerfftätte meinet 

ßau^hettn. Unb ich f u S c «Honny soit qui mal y 

punse! tt ©ie roaren bie etnjigen •jfflenfchen, welche, aud) 
fremb, mich ftagten unb felbft erzählten übet bie ©eimatl) 
unb oon allem, roa§ ba8 $enfen an fte herootruft. Son 
meinen ßinbeStagen her noch eingenommen füt ©chuh* 
mageret, oergaß idt)/ ir)ncn jufdjauenb, füt futje ,3eU 
mein <£lenb. Salb griff ich au $ 8 ur &um Rammet 
unb &um „$)tahtfpit)" unb fing 31t fchuftetn an. Qch habe 
e§ in ben btei fahren, ba ich im ©djufterhaufc roeüte, 
fo roeit gebracht, baß ich meine ©tiefei „flecfen" unb einen 
„tieftet" anfe^en tonnte, ©elbft ©oj)len h<*b' ich 
roeilen aufgenäht. Unb baS allc§ ftohen $etsen§, roo* 
bei mnudjc§ „©d)ul* unb Jpeunroeh" oergeffen rourbc. 



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— 56 — 

3$ mar oft fo oertteft in bie ©d)uljmad)erei unb 
bie ©efprö^e mit bcn ©dndnnacfyern, bag mit Sfleifter 
SBraun, ber nie mefjr auf bem ©tuftfe fa^ fonbern in 
ber ©tube aufdjnitt, roieberljolt burd) ba§ f leine Jenfter, 
mel^ed oon ber Söoljnftube in bie SBerfftätte ging, rufen 
mugte, e8 fei Qtit ftum Semen. 

©o babe id> mit unjäblige fernere ©tunben bei biefen 
fieuten oertrieben unb abfolut nid)t§ $8öfe§ oon ifjnen ge* 
lernt. ©3 ift mir md)t ba§ ©cringfte ber 9lrt aud) nur 
nod) in bet blaff eften (Erinnerung. $>ie ©ef eilen arbeiteten 
„auf ©tüd* unb oerföftigten ftd) begf)alb Borgens unb 
$lbenb3 felbft. Qfyr tägliches 33rob liegen fie beim Söder* 
meifter ©reil im „^örfl", jenfeitS ber 3fturg, fyolzn, unb 
manchmal mugte bet jüngfte Sefyr junge, ©eroaftuS, ein 
bider, guter ßerl aus £id)tentljal bei SBaben unb ber 
©efeöen Liener, aud) mir ein frifd)gebadene§ „®rofd)en> 
laibdjen" mitbringen , ba§ td) bann unter meinen ^ßed)* 
freunben mit föntglidjer ©lüdfeligfeit oerjeljrte. 

Q;d) miß Ijier gleich nod) eines geroöfynlidjen 9ftannc3 
gebenfen au§ meiner Ctuartanerjeit, ber mir in jenen 
fdjlimmen Sagen mannen 3eitoertreib gemährte. Qmi 
Raufet untet bem unfrigen wohnte am JJlugbamm ein 
SBeber unb bei biefem ein £>ormft oon ben babiftijeu 
Gruppen, SftamenS £oren$. Qu feinen freien ©tunben 
ftopfte er Sögel au3, toobet icf) tym fefyr oft ©efeüfdjaft 
leiftete. 9lud) blieS er mir bisweilen ein ©tüdc^en auf 
feiner trompete, (Sr fjat fo bem trübfeligen Quartaner 
oiele ©tunben oerfügt. 9ßod) oor mir oerlieg er aber 
feine 2Bof)nung an ber 9Jlurg, unb id> faf) if)n md)t 
toieber, bi§ er mir fünf unb jmanjig Qa^re fpäter al§ alter 
^oftfdjaffner auf einem $ampffd)iff be8 Sobenfeeä toieber 
unter bie klugen (am. 3$ ijatte U)n fofort erfannt, aber 



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— 57 — 

aüc SSftülje, ifjm ba3 abgehärmte ©tubentletn nrieber in3 
©ebädjtnifj &u rufen. 

„2Bo bic Sftoty am größten, ba ift bic £ilfe ©otteS 
am näd)ften." s 3ln einem !iJioöember*-ftad)nuttag be§3af)re§ 
1852 roanbelte id) bie <3d)lofjftraj$e fyerab unb weinte. 2$) 
(am eben au§ ber Schule, roo SuceumSlefjrer SRaud) mid) 
armen jungen roieber malträtirt fyatte als ben „bümmften 
unb [überliefen ©cfeUen" ') ber Klaffe. SJUr mar ba3 
ßeben entleibet. 9113 id) nun in biefer Stimmung an bie 
(Me be§ ^ßflugnurtfjSfjaufcS gefommen mar, rief mir eine 
roofjlbefannte Stimme oou roeitem ju: „£>ainr, £ainr!" 
3Scr roar'S? ftein anberer teufet) ate ber „*peter" 
roetetyer freubigen ©djriüeS ben „ftapettenberg" f)crab auf 
mid) sutam. @r hatte ein getteifen auf beut föüden unb 
befanb fid) aud) „in ber fjrcmbc - '. Seit m'er Sagen liatte 
er mein (£Uernf)au3 oerlaffen unb ben 2Beg ju JJufj W** 
ljer gemacht. (Sr brachte ©rüfje oon Sßater unb 9Jtutter, 
jog fein leberneS Beutetdjen unb gab mir einen „Sed)3* 
bä^ner", ben i^m ber 33ater für mid) mitgegeben. Qefct 
traten ^reubent^ränen in meine klugen, unb ber gute 
$eter erfdjien mir rote ein Bote be3 Rimmels. mein 
Sammer mar oergeffen, aud) ba£ Verbot be§ SBirtfy*; 
bau§befud)§ ftörte mid) feine Sefttnbe. filuaß roarb mit 
Sßetcr in bie uädjfte Bierbrauerei „Blaff gesogen, roo 
id) i()m Bier unb „SMfebrob", rote bie föaftatter fagen, 
bejahte unb nad) ber £eimatf) fragte, al§ ob id) biefelbe 
fd)on groanjig Qjafyre oerlaffen. 

9ll§ aber ^ßeter enblid) fragte, roie e3 mir gefje, ba 
trat mein @lenb roieber tteffcfyroara oor bie Seele. Qa e§ 



l ) (Sin SieblingSausbrutf biefes „alabemija) ge&Ubeten" 



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— 58 - 

tfjat mir nod) roeljer alä Borger. Qd) badjte an ben 
<5ed)§bä$ner be§ 93ater§, ber offenbar ein geilen feiner 
uciterUdjen Siebe fein foHte — benn fo oiel ©elb tyatte er 
mir nie juoor gegeben — unb an ba§, roa§ td) bem guten 
Sßater bagegen bieten fonnte: bie feljr roafyrfdjehüicfyc 
2Iu§fid)t3loftgfett meiner Stubien. *ßetcr fonnte e3 faft 
nicfjt glauben, bafc tdj, bafjetm fo gefdjeibt, jefct fo bumm 
geworben fein foUte. „®u buurfd) mi in b'r ©äl 1 ), 
$ainr!" fprad) er, unb at§ abermals bie fronen mid) 
ergriffen, meinte ber gute SJtenfd) mit mir. Xvüb unb 
ftitt gingen mir jufammen an ben 33al)nl)of ; ^ßeter wollte 
nod) mit bem Slbcufyug nad) fötrlSrufye. 

D, roie beneibete id) ben armen Säcfergcfellen, al§ er 
nad) treufjerjtgem 9lbfd)teb baoonfufyr! 3Bie gerne märe 
id) bamal§ mit tfym al§ ©anbmerfSburfffje burd) bie 2Belt 
gebogen, ftatt &u meinem ©tubienelenb jurücfaufefjren. 

3d) tyabe ben guten $eter feit jener traurigen Stunbe 
nie meb^r gefcfjen. (S§ ging aud) if)tn fdjledjt auf ber 
SBanberfdjaft. ®er unfdjeinbare, fdjieleube, fdjüdjtcrnc 
93urfd)e mod)te an oiclen Spüren oerädjtlid) abgeroiefen 
morben fein. 3)a fefjrte er jurücf auf ben $)od)bacf), 
padte feine £abfeligfetten in einen Koffer unb fufjr übers 
SKccr. 

waren mcfjr benn brcifjig 3<*l)re burd> bie s Äelt 
gegangen, al§ id) eines $age§ einen SBrtef unb ßeitungen 
aus 9Imerifa erhielt. SBeibe roaren oom „$eter", ber 
©Triften oon mir in amerifamfdjen Leitungen befprodjen 
gefunben unb biefclben ftd) oerfdjafft fjatte. ($r freute fid) 
t)oä), bafi td) e§ bod) nod) „ju etroaS gebraut f)ätte" unb 
erinnerte an unfern ferneren 5lbfd)ieb am SBafa&of in 



') 2^ Dcbaure 2>id) in ber 6eele. 



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— 59 — 



föaftatt. @r lebt als SBädermeifter in einem ©täbtrfjen 
beS ©taateS Dfjto, unb eS gefjt bem brauen 9ftenfd)en, 
wie id) Ijöre, gut. — 

3n ber iHaftatter Unterquarta beS ^faljreS 1852/63 
fanb fid) unter ben ftebjelm ©djülern genrifc feiner, ber 
mefjr gearbeitet fjätte als id), unb bieS unter erfdjroeren* 
ben Umftänben. 9ftein ßimmerdjen mürbe jur SBinterS* 
■^cit beS 9lbenbS roeber gezeigt, nod) befam id) eigenes 
ßid)t. 3$ mufjte mit ben SBeibSleuten ber ftamilic am 
gleichen Sifd) fi^en unb, roä^renb fte nähten, fpannen unb 
fdjwafcten, meine Aufgaben machen, von 7 bis 10 Ufjr. 
9fleifter SBraun ging regelmäßig w 8um SBtcr", unb bie 
6d>ufter arbeiteten MS 8 Ufjr in tfjrcr „93outique". 

SBenn aber bann bie fyit ber Sftutye für ben ge* 
plagten Quartaner fam, fo fanb er fte bod) ntebt, roetl 
baS Keine ©äuSdjen im SBinter uotl mar tum Käufen, 
bie id) fürchtete roie'S $euer, unb bie in ber 9ßad)t ifjr 
ftörenbeS Unroefen im 3^ mmer trieben unb fclbft mein 
Sager nid)t t)erfd)onten. 

%k gute ©rofjmutter fjatte mir beim alten 5lttcr* 
roeltSfünftler ©lüder, ben id) in ben Sugcnberinnerungen 
ermähnt, ein ^lam'er gefauft unb gefdjtcft, nid)t atyneub, 
bafj eS mir nidjt umS ftlamerfpiclen fei. 5luf biefem 
Ätauier braute td) manchmal, auf ber ^lnä)t cor ben 
Käufen, bie üftadjt ju. 9iod) tönen mir bei biefer (£r* 
innerung bie nädjtltdjen 9htfe ber öfterretdjifdjen (Solba* 
ten auf ben SBällen unb SJaftionen jenfeitS ber Sflurg im 
Dljrc; benn ifjr „©alt, wer ba!" fjörte id) in gar fielen 
fd)laflofen @tunben jenes SöinterS. 

®S fam SBeifjnadjten unb bamit bie erften gerien. 
Sag unb ^ad)t l>atte id), je n8f)er biefe Qtit rücfte, feinen 
aubern ©ebanfen meljr als ba§ ©eimtommen, troljbcin 



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— 60 — 



id> auf ein fölcd)te§ Seugmfc su ^ffen fatte, nid)t blo& 
oom Suceum, f onbevit aud) oon meinen <ßflegeleuten. Qd) 
tarn, roie faft immer in meinem Seben, mit ben „tarnen 1 ' 
be3 £aufe3 nid)t au§, roeil meine #a§lad)er 3unge f° 
roenig fdjnrieg at§ bie 2öeiberjungen; jubem fdjmcrfte mir 
nic^t alle§, roa§ bie SBeiber fönten. 9ttetfter 23raun aber 
Ijatte $u ^9™, i<$ 8« » ie * Safdjengelb oon \l)in 
forbere. 2)a§ ging aber fo 51t: 

Qeber ©aSladjer, n>enigften§ jeber normale, e§ gibt 
aud) „oerg'ratfjene", l)at ba§ SBebürfnijj, für feine irbtfd)c 
Srübfal im 9Birtt)sf)au3 ©cilunß &u fudjen. tiefem #ug 
bc§ ©rWjerjenS folgte td) bei Betten, unb meil bie Qal)l 
meiner Srübfal Segion mar, tranf id) nidjt feiten einen 
„©djoppen". %a toofjnte ein SJtitfdjüler, ber rjeuttßc Sipo* 
• t^eter Sdjod) oon £id)tenau, Qa^re lang ein Softem am 
Gimmel ber liberalen Sanbboten SBabenS, bei bem föeftaura* 
teur 9?ußer, wffl&venb ein anberer 9RUfdjütet ber ®ol)n 
be§ „(öternennrirtf)^ mar. SKefe beiben befudjte id) öf* 
terS unb tranf mit ifjnen befdjeibeu ein <5d)öpplein, wer* 
Seilte eine „ftarl§ruf)er SBurft" unb oergajj meine elenbc 
Sage, roenigftenS fo lange id) aft unb tranf. 

9tfle biefc geiler unb (sdnodcfyen ftunben in einem 
Uriasbrtef, ben mein $>au3l)err mir mitgab an ben 9ktcr. 
^aju fam mein &)ceum§aeugnife, ba§, furj gefagt, bafjtn 
lautete, ba& id) ber jrocitlc^te in ber klaffe fei unb e§ 
mir an allen ©den fe^le. 9ttit biefem „<£f)riftfmble" für 
bie l)offnung§ooUen ©Item fam id) fyetm. Qd) roetft ba§ 
Jyolgenbe nod) fo genau, al§ märe e§ erft geftern pafftrt. 
Sn ber Stube ftunben ber 93ater unb ber 9iad)bar SBaftliuS, 
ber Färber, unb flauten bem alten Stte^ger ßröpple ju, 
nrie er eben oon bem für§ 93aterf)au§ geblatteten (Sc^roein 
Scbcrmürfte machte. $>ie 3Jlutter trat gleich barauf au§ 



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- 61 — 

ber ßüdje herein unb braute bem SOSurftler nod) einige 
guttaten. 

91l§ efyrlidjer S un Ö e fl a & id) fofovt alle meine Rapiere 
Inn; bie 3ftutter la3, bet 33ater la§ unb ber SBafil la§. 
$er bvad) ba§ ©d^roeigen $uerft mit benQßorten an meinen 
Sßater : „©alt', i t)ab ber'3 g'f ait, ber Rärle roorb nint bo 
bunte. SB'ljalt'n beweint un nemme in $Bad)fd)tub, fonfd) 
t>cfc^ in q paar Qoljr a £ump!" SBergeblid) erjäljlte 
id) unter £fjrdnen oon meinem fleißigen ©tubtren, oon 
ber „©d&inberei" burdj bie Seljrer, oon ben melen, mir 
fremben £eljrgegenfiänben. %k $r.oftfd)oppen Ratten ben 
Stab über mid> gebrochen. ©o tarn gum alten <£lenb 
in ber ftrembe neues im 93aterf)au§. Qd) Mte traurige 
Serien; ber SSater roürbigte mid) feines 2Borte3 roetyrenb 
ber ganjen 93afanj. 

$)er liebe ©ort tyat e§ bod) gut gemeint mit bem 
jungen "üJlenfdjen&eraen, bafj er e§ fo jtarf gemalt Ijat in 
©rtragung von SBiberroärttgfeiten. ©in Üinber* unb 
Änabenfyerj bricht nidjt, unb an gebrochenem ^erjen ftirbt 
fein Äinb unb fein normaler ftnabe. ©rft bie erroad)fenen 
9Jlenfdjen greift Stotl) unb ©lenb, Äummer unb ©ram 
auf geben unb £ob an. ©o mar aud) mein £ers in 
jenen Sagen unb Monaten ftarf unb blieb e§. 2öenn 
id) nod) fo feljr bie 3lrmfeligfeit meiner Sage füllte unb 
in Momenten gerne geftorben roäre, fo gab td^ mid) bod) 
nie ganj auf unb trug mein Seib rüftig weiter. 

©8 märe mir lieb geroefen, wenn id) nadj biefem 
troftlofen 9lnfang§erfolg mein ©tubium Ijätte auffteefen 
müffen; allein im „©djlaftollegium" bei ber ©rofjmutter 
raarb anberS befdjloffen. 9He beiben ^öuen glaubten tyren 
©tolj beleibigt, wenn e§ im ©täbtdjen gereiften fyatte: 
„©djtabtnrirtl)§ ©einriß l)et mer nit brücke fenne auam 



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— 62 — 



6d)ttibiere!" %k ®rofemutter vorab Ijatte ftarfen „<£orp§* 
ßcift". S)rum warb verfügt, bajj td) abermals nac^ 9laftatt 
Söge, unb bem ©dfjeibenben mürben entf predjenbe fHat^fc^läge 
in 9ftenge eingepacft; unter anbem aud) ber, Sßrioat* 
ftunben $u nehmen, um bod) ja mit (Sfyren fortkommen. 

60 trat id) benn nadf) 9teujal)r toicber in bie alten 
©orgen ein. ©in Dberfejtaner, ©teinbrenner, au§ bem 
fp&ter fclbft nichts geworben, unb ber nad) Slmertfa ging, 
gab mir ©jtraftunben. ©r molntte in ber „©augaffe*, 
bem $aupt*@tubenten*Biertel, unb im gleichen ©aufe mit 
tfym, in einem elenben 3hmnercf)en im £jof, ber Tertianer 
#irn, ©ofnt eines SefjrcrS aus bem $)orfe SBeiler bei 
£a§lad). 60 oft nun meine ©tunbe &u ®nbe mar, bc* 
fudjte tdf) meinen fianbSmann, bem eS beffer ging als 
mir, beffen ganjeS ©dfntlelenb meift ba^er fam, bafj er 
fid) ntd)t aud) für Tertia gemelbet Jjatte, mo er mit 
feinem fdjlcdjten BolfSfd&ulfacf eljer gu ©treid) getommen 
märe. $>ie ^^ilifterin beS ©qrtanerS unb beS ßinjig* 
tyälerS mar eine alte SBtttme mit U)rer ebenfalls bejaljr* 
ten £od)ter. $)te letztere Ijolte unS jungen jeweils auS 
ber nafjen Bierbrauerei #olb eine ftlafcije Bier. 3Bir 
beibe plauberten babei von ber £eimatf) unb von ben 
Bauern beS Dorfes SBeiler, bie id) alle fannte. ©0 mar 
id) für eine ©tunbe roieber feiig. £)ann roanbelte td) 
bem Sftoljrerfteg su, fafj anrifd)en „Sag unb £id)t" bei 
meinen ©cfjuftew, bis bie Seit tarn, neben ben 2£eibS* 
leuten meine ©tubien ju beginnen. 

$)er SBinter ging, baS Stiifjjaljt fam, of)ne bafi id) 
an Dftern bebeutenbe #ortfd)rttte gemadjt Ijätte; id) mar 
nur com groett* jum $rittlefcten anancirt unb brachte fo 
einen fdfjlcdjten „Öfteres" nad) £aufe. Qdj felbft roar'S 
je^t gewohnt, einer ber bümmften in ber klaffe ju fein, 



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— 63 — 

währenb Watet, SJtutter unb ©ro&mutter fld^ tröfteten 
mit bem ©Limmer von ©offnung, ber in bem einen 
(Beritt lag, mit meinem ich mich vorn Seiten entfernt 
hatte, im 2lt>anciren ober noch ntd)t bei ©ieg liegt, 
foUte ftch fpäter nut ju tlar etroeijen. 

Sßom ©ommer 1853 ftnb mir noch groei S)inge, bie 
außerhalb ber ©cfjule fpielten, lebhaft in ber Erinnerung : 
£)te ©rünbung einet (leinen Äneipgefettfchaft Don Unter* 
quartanern unb mein erfter SBefuch in ber3Beltftabt SBaben* 
SBaben. 2BaS ein orbentlicheS SBicr* unb ftneipgenie roer* 
ben roitt, muß fid) bei Qtittn entrotcfeln. Unb fo fjatte 
ich tjon ben erften Sagen meines SRaftatter Aufenthaltes 
an einen uwt>iberftd)[id)en $>rang nach SBier unb nach 
SBierhäufern. S n Wefcm ©inne gewann id> einige 9Kit* 
gtieber jur Errichtung einer SBerbinbung. <5S waren bar« 
unter von ben beften unb von ben fchlechteften ©Sutern 
ber klaffe. Unter ben erftern ©djoch unb £olber, ber 
jefctge ©ofbibliothetar in Karlsruhe, beibe burch i^re 
Seiftungen in ber ©chule mich um fo t>iel übertreffend als 
ich langer mar benn fle. 2ln Körpergröße aber übertraf id) 
faft bie p>ei kleinen, wenn man fte auf einanber gefteUt 
hätte. Unter ben letjtern, ben fchlechteften, mar ein -äflujel aus 
SSaben, ein griebmann ou § gfaftatt unb meine Söentgfeit 
3ßenn ich mich recht erinnere, Ijäfelte uns eine ©chroefter 
beS ftriebmann °* c „EorpSbänber" aus gefärbter S3aum* 
motte, baS ©tücf &u fecf)S Kreuzer. 

Unfere Kneipe fähigen mir im ©ahnen auf, brunten 
an ber SJlurg, am (Eingang in baS ©ebiet ber „©djroaben* 
gaffe". %xz ©almenroirthin hatte am SBerftag blutroemg 
©äfte unb räumte uns gerne in ber Sftücffcite beS £aufeS 
ein geräumiges Limmer cin 3 U unferen heimlichen 3 Us 
fammentünften an ben freien Nachmittagen beS SJtittrooch 



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— 64 — 

unb ©amftag. %a fdjlidj bann einer um ben anbern, 
menn bie (Spaziergänger auf bem SJturgbamm ftd) t>er* 
laufen, Ijerbet, unb balb faß ba§ Kollegium beifammen. 
2)ie (£orp§bänber würben „anzogen", bie ©igarren an* 
gejünbet unb geraupt, gefungen unb getrunfen, als ob 
rciir baS größte £fted)t baju Ratten. „2Bir füllten unS \" 

$öie an lauen ©ommerabenben in fliüen £etd)en bie 
gröftfje befyaglid) iljr monotones Sieb quafen unb ber 
£inbenbaum am Ufer l)tn mit ben Steigen bagu nicft 
im 2lbenbnnnb, fo freuten mir »$tdfc$e" un§ in bem 
tum ber Slußenmelt abgetoanbten ©emadfj; ber £inben* 
bäum aber mar bie ©almennnrtljtn, meldte roof)lroottenb 
ntäenb unter ben luftigen gfräföen 1 ) ftunb. 

%dbt\ maren mir „minbere SBrüber* au§ ber ©djule 
roeit fibeler als jene, meldte in ber klaffe profperirten, 
unb mir fangen aus ooUfter ßeljle: 

Unb be§ SöeltaEö Kummer uttb Sorgen, 
(Sie gingen an tfjnen oor&ei. 

S8ei mir fing in jenen Sagen ber Galgenhumor ju 
feimen an. SBenn tcfy aud) am Jorgen in ber ©cfyule 
geroeint f)atte, im ©almen roarb gejubelt unb gefd)er$t, 
al§ roäre id) ber erfte in ber klaffe. Dft ging idj bann 
gen Slbenb mit bem Meinen #olber Ijeim, fdjrteb ilpn feine 
elegant gefertigten „^ßräparatiotten 4 ' ab unb ließ mir oon 
iljm eine Ueberfctjung oorfonftruiren ; aber eS wollte eben 
nicf)t Sag werben in meinem ßopf. 2lm anberu Sftorgen, 
trotj allnäd)tltd>en ©tubirenS unb frühen 2lufftef)enJ, mar 
id) eben mieber ber „bumme £anJjafob". (Sbenfo Ijat 

0 Siofa) wirb befanntlta) ber ©tubent beS ©omnaftumS 
(StyceumS) oon ben Slfabemifem genannt; ba$ ©omnafhim aber 
t;ei&t fceia). 



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- 65 — 

(Bdjod) mir manchmal begriffe aus ber 9lrithmetif uub 
Geometrie beibringen mallen, aber ba mar erft recht nichts. 
Qd) ^abe in meinem £ebeu nie auch nur beu erftcu uub 
einfachften SBeroeiS auS ber ©eometrie serffanben. 

mit bem ©bluffe beS ©chuljahreS warb unfer „(SorpS* 
aufgelöst. 3ftu£el unb griebmann, bie baS gleite unten 
ju befprechenbe ©chicffal traf wie mich, wanbten ftd) bem 
föanbwerf p; ©djoch ging in eine 3lpothefe unb benen, 
bie nach Dberquarta famen, «erging balb jebe ^reube. 
SDßarum, werbe ich fpäter melben, wenn bie SBürbc eines 
Oberquartaners einmal an mich gelangt fein wirb. — 

2ln *ßftngften 1853 machte ich meinen erften SluSflug 
nach S3aben auf ©inlabung meinet SeibenSgef äfjrten 3Jlujel # 
ber XagS $uoor fd)on heüngereift mar. 2)en Begleiter unb 
Führer auf biefer gufjpartie über (Sberfteinburg unb baS 
alte 8a)lo& machte mein $>auSfreunb, ber ©chufterjunge 
©eroaftuS, melier nach feiner $eimath Sichtenthai rooüte. 

Um 4 Uhr beS Borgens warb aufgebrochen. $or 
bem „9tteberbül)ler %\)ox" gefeilte ftd) ju uns ber ftuedjt 
beS $ofapotr)eferS, ber mit bemfelben Sßlan, nrie mir, um« 
ging. 3$ bin alT mein Sebtag mit „gemeinen Seuteu" 
gerne umgegangen, bejiwegen haben meine (Schriften, um 
mit bem „SBürttembergifd&en ©taatSanjeiger" ju reben, 
auc^ eine „fo ftarf bemofratifche SöafiS", unb fo roanbelte 
ich mit bem SlpotheterSfnecht unb bem ©chufnnacher au f 
„al pari« luftig bergan. 

$)er erftere war ein f öftücher $erl. 2öeil fein SBcruf 
ihm auferlegte, bie Slpotheferwaaren feines §erm in einem 
Dörfer guftojjen, mußte er eine Menge latetnif eher tarnen, 
bie mir roilbfremb (langen, fo baß ich ju bem©lauben (am, 
ber Unecht gäbe einen befferen Quartaner ab als ich. 
fprad) mir beharrlich gu, „SUlcbijüi" ju ftubiren, wähmib 

^oiiöjalob, etubicnjctt. 5 



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- 66 - 

t$ mftuSd&en jtitt roat übet meine ßufunft; benn e§ butcb* 
Sogen mid) Atmungen, e3 fönnte md)t§ ©tubirteS au§ ber* 
felben IjerauSfommett roar gut, bafc roir bolb in bcr 
„SRofe" ju ©berftetnburg anlangten, roo un§ ©ffen unb 
Srinfen auf anbere ©ebanfen braute; benn mir ging e3 
in jenen Sagen, fo oft td) vom Jadrftubium tjörte, roie 
bem ©efjenften, bem man com #aufe be§ ©etlerS ergäbt 

S&eber bie SRuine ©betftein nod) ba§ alte ©d>lojj im» 
ponirte mit, fonbern oorab bet fjerrlidje 2Balb, bet uon 
(Sberfteinburg nad) Sßaben fü&rt, unb bie ©id)t t)on jenem 
$)otfe in bie Sanbe roettbin. ®ie Statut Ijat oon meinen 
SfrnbeStagen an ftets mein #er$ gehabt unb bot e§ in 
meinen alten Sagen nod); ja fte befommt e§ täglidj mebr, 
roeil fte allein oon allem Qrbifdjen eroig treu unb eroig 
fd)ön mitten im SBecbfel, in bet $lrmfeligteit unb in ben 
Säufebungen be8 SJlenfdjenlebeng ftd) un8 prä'fentirt. 

Sludb r-on 93aben gefiel mir lebigltd) feine rounberbare 
Sage; bie ©tabt felbft, ifjre SBrunnen, $äber unb ©oft* 
Käufer tonnten mid) niebt begeiftem. s Jiur p>et $)inge 
machten einen bleibenben ©inbruef auf meine ftnabenfeele. 
S)a3 eine roar ba§ berühmte ftruaifir. auf bem alten ^trd)- 
bofe unb ba§ anbere bie ©öttin ber ©eredjtigfeit auf bem 
Slmtbaufe bet ©tabt. Sößarum leitete, bie td) fjier jum 
erften 3ttale faf), folgen ©ffeft auf mid) machte, ift mir 
beute nod) unerflärlid). 2Bar e3 eine ^Ib^ung meines 
(SetfteS, bafj icb im ßeben mit ber ©eredjtigfeit fo ftarf 
in Äonfüft fommen unb bereinjt tfjr „■äftärtgrer" werben 
fottte? ©idjer ift, bafj id) in mir bie erfte Erinnerung 
an SBabensSBaben nie roeefen fann, olme im Söorbergrunbe 
jene ^inge $u flauen. 

9ttit meinem Kollegen 3fturel, beffen SBater, mein* id), 
$upfctfd)mteb roar, bummelte td) ben Sag über in ben 



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— 67 - 

©tragen bei: ©tabt herum unb r-cr^ehrte jroifdjen hinein 
meine paar ^reujer lern in ben SBierhäuferu. 3)cu oielen oor* 
nehmen 9ttenf djen gegenüber, bie an mir d orüberwaubeltcn, 
tarn ich mir x>or roie ber arme £a$aru3 an ben Pforten 
be§ reiben v £raffer3. $)ie§ füllte ich beim Scheiben 
noch mehr. 3)a mein £tuartaner**8eutelchen nicht auf bie 
Söabener greife eingerichtet mar, hatte ich am Slbenb (ein 
(Selb mehr, auch nur um von Do3 nach IRaftatt fahren 
ju (önnen, unb e3 mugte ber weite SBeg ju gufi gemacht 
werben. 3JUt einer ftaftatter 3flaurer£famüte, meiere ich 
üor Do3 brausen traf, trabte td) über ba§ öbe $)orf 
Sanbroeier jiemltch abgehärmt ber Seftung ju. 

SÖBer mir an jenem ^fingftabenb gefagt hätte, e3 tarne 
bie Seit, tdo ich i» eiuem ber fchönften Käufer ber ©tabt 
iBaben, bei meinem greunb 3ftaj Reichert, mahnen, <£h<"it* 
pagner traten unb S)eli(ateffen genießen bürfte, ben hätte 
ich für einen 2ttärcheneraähler au3 „Saufeub unb eine 
Üflacht" gehalten. — 

3u ben Hintermännern meiner ftlaffe gehörten auch 
ber fcfjon genannte ©ifclc au§ (Ettlingen unb ein Seicf 
au3 ftretburg. -3JUt ihnen mufjte ich einmal im ©ommer 
oon 12—1 Uhr in ber ©djule bleiben. 2öir hatten beim 
SnccumSlehrer Stauch ein ©ebicht gmar auSroenbig gelernt, 
aber nicht in bem r»on biefem $erra bamalS fchon fcharf 
accentuirten preufjifchen S)talett h^tfagen (önnen, weil 
biefe (Sprache ben babifchen 3Jtenfchen in jenen Sagen 
noch nicht fo geläufig mar wie heute. 

3113 ber SuceumSbiener un§ eingefchloffen unb in 
feinem (ratjbürftigen ftaiferftühler ^biom 1 ) oa 3 obligate 
JBo, höb* ich wieber einige Sßögel" — angerufen h a ^e, 
beriethen mir brei, n>a§ mir anfangen wollten, wenn ber 

*) ©d)itt mar auä Dber&ergen am Äaiferftufjl. 



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— 68 — 

naljcnbe ©djlufj beS ©djuljafaeS un3 juni „SHepettren" 
oerurt^eileu foOte. ©ifele, ein alter, breitet $nabe mit 
einem ©ofrateSfopf unb fcfylotternben änieen, eutf^ieb fity 
für Eintritt in bie SQSeberet unb ©pinncrei feiner $8ater* 
ftabt, unb Söeicf, ein fcfjlanfer, blaff er Jüngling, ber mit 
ber 3unge etwaS anfttejj, fprad) bie Wtcf)t au3, &u ben 
Dragonern ft$ wenben &u wollen. 3$ getraute mir nidjt, 
otjne 2ßiffen ber @ltern einen $lan su madjen, unb er* 
Härte: „3$ gefje Ijeim, unb bann fotten fic mit mir machen, 
wa§ fle motten." 2llle brei Ijaben, als bie ßataftroplje 
eintrat, if)re (Sntfdpffe $ur 2lu§füf>rung gebraut 1 ). 

©dfjon mehrere Sage cor ber offiziellen Sßertfyeilung 
ber ^eugniffe ging in ber klaffe ba§ ©erüdjt, e§ müßten 
fed)§ Sttann ft^en bleiben. ©o mar id) fd)on etwas oor* 
bereitet, als ber 23. Sluguft beS ^aljrcS 1853 Ijeranfam. 
3ln biefem Sage, einem S)ienftag, fanb in ber ©d&lojtfircH 
meiere, bem Sqceum gegenüber liegenb, unfer fiänbtgeS 
©Ottenaus war, ber feierliche ©dt)lufjgotteSbtenft ftatt. 
%tt geiftli^e $rofeffor Nicolai ftimmte baS Sebeum an; 
mir aber war'S nidjt umS ©tngen, benn nad) bem Sebeum 
fottten bie ßeugniffe tiertljetlt werben. 2Bie ein armer 
©ünber fdjritt id) aus ber ftirdtje meinem ftlaffenaimmer 
ju. ©leid) barauf juefte ^rofeffor S)onSbad& ba^er mit 
— ben ©nburtljeilen. „2BaS bumme unb faule SBuwe a> 
wefen ftnb, bie müffen fttjen bleiben." SJcit biefen 2Borten 
fing er bie SSert^eilung an. S3eim breije^nten begann baS 
ftepetiren, unb i$ mar ber meraefjnte, abermals um einen 
aoancirt, aber baS ©d)icffal hatte mich bodj erreicht. „§an^ 
jafob", fprad) ber ^rofeffor, inbem er mir mein ^eugniu 
gab, „bu tonnft baS ©tubiren auffteefen, fonft mu&t bu 

>) SBetcl ftarb cor Sauren fd^ott a(S 3a$lmei1ier Beim SWü 
tdr; oon <$ifele §ab' id) fpäter nie me§r etroaS gehört. 



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— 69 — 

nod) heiraten auf bem figceum, fo alt wirft bu!* $te 
9Jtitfd)üler Iahten, unb idj ftarrte metnenb in mein %ob&* 
urtyeil, ba3 ba lautete: ,3Ruß repettren." 

(£§ gibt 9lugenblicfe im 9ttenfc$enleben, in benen mir 
unfern ganzen Scelenauftanb, getrennt r-om Setbe, als 
Dbjeft oor un§ haben, unb p folgen Momenten gehört 
jener, ba ein fleißiger unb ftrebfamer Sd)ülcr e§ fdt)rift* 
lidj oor ftd) hat, baß er unfähig fei jum SÖBeiterfommcn. 
Süßem oolleS feelifche§ ©lenb lag, mä^renb ich in mein 
^eugniß flaute, gleidtfam in bem Sttaum jroifc^en bem 
t-erhängnißoollen Rapier unb mir Unglücfltchem. 

D ihr alle, bie ihr fdjon oon bem Soofc beS „Dtcpc* 
tiren3" betroffen roorben feib ober e3 noch werbet, id) 
fenne eure Situation unb oerftehere euch als duftiger 
SeibenSbruber meiner ooUjten Sympathie! 

3h* ©Item aber, benen ein Repetent am Schliffe bc§ 
Schuljahre^ ^eimfommt, t>erurtt)etlt ben armen ftnaben 
nicht, nehmt il)m nicht burch (Schimpfen unb ©gelten alle§ 
©^rgefü^l unb alle Hoffnung; benn auch au§ einem „Sitjen* 
bleiber* fann noch etroaS 9techte§ auf erflehen! 

9Jian hüte ftd) überhaupt in ben Greifen ber Altern 
unb Selker, einen Knaben nach feinen erftjährtgen Stiftungen 
in beurteilen. 3ftand)en SftenfchenfmbeS Talent liegt tief 
in ber Seele ©runb ; e§ miß unb muß fttit haben, bi§ e§ 
an bie Oberfläche tommt. (£§ gleicht einem ©amenfom, 
ba§ lange in ber <£rbe rul)t, bt§ e§ fetmt. Hnbere fließen 
früh in§' ßraut unb fterben frühe ab. 2Ber treffe fäet, 
hat in acht Sagen roaS ©rüneS, aber bi§ eine <£idt)el jum 
93oben ^erau§fc^aut, get)f3 lange. $)tc erftere gibt nur 
einen Salat, bic letjtere aber einen <£id)baum. 

;Qch ^abe mele Stubenten gefannt, bie in ben unteren 
klaffen ejcellirtcn unb in ben oberen, roo e§ an§ Kenten 



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- 70 — 

ging, al§ ©fei parabtrten unb eS fürs ganje Seben ge* 
biteben ftnb. — 

©ed)S ©tunbett nad) SSerfünbigung beS UrtfjeilS lag 
an ber frönen, weißen Sanbftraße, weld)e von Dffenburg 
auS baS Shnjigt^al burd)jiel)t, oberhalb beS S)orfe§ unb 
©cfyloffeS Ortenberg ein junger Sflenfd) weinenb im ©Ratten 
etne§ SlpfelbaumeS, fein £aupt auf baS „Ständen",.™ 
bem einige £abfeligfeiten waren, in tiefer Trauer nieber* 
gelegt. 3)te9luguftfonne brannte glitfjenbfyeif* auf baS&mb 
ringsum, aber geiget nod) fengte baS 2ßef) im bergen beS 
armen Quartaners unb Repetenten, ber ermattet t)on<£lenb 
unb #i£e auf ber £eimretfe luer nieb er gefüllten mar. 

5)a tarn beS SBegeS ein junger, blonber ©err unb faf) 
baS ©tubentlein, weldjeS bei fetner Slnnäfjerung ftd) er* 
fjoben unb, fo gut eS ging, bie 9lugen auSgewtfdjt ^atte, 
um ntd)t nad) bem ©runbe feiner tränen gefragt ju 
werben. S)aS SBofyer unb SBojn'n ^atte fi$ balb ergeben, 
unb weil ber £err bis ©eugenbad) ben gleiten 2Beg 
machen mußte, lub er mid) ein, ifm ju begleiten. 

9US er bemerfte, baß id) mübe unb elenb fei, nalmt 
er mir mein 9tättydj)en ab unb trug eS felbft. Qm SBeiter* 
gefjcn frug er mid) über mein ©tubium, in melier klaffe 
id) fei, maS id) ftubiren wolle u. f. w. <£r fteUte feine 
grageu fo milbe unb fyatte burd) feine freunblidje £ilfe* 
leiftuttg bereits mein £>er$ fo gewonnen, baß id) nid)t 
umfytn fonnte, ifrat meine ganje £age unter grauen ju 
fd)übern. 

3ltleS twm Anfang an, von ben ®aptanStagen unb 
uom 9ientmeifter*werben*wotten bis gur ftataftropfye beS 
SRepettrennnttffenS entquoll meinem IjoffnungSlofett Qnnern. 
©djließlid) jog id) mein ,3 e ugniß auS ber Safere unb 
präfentirte eS bem tfyeilnetjmenben Planne, unb ba er in 



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— 71 — 

bemfelben meinen fjlcig als gut be^et^net la$, mochte et 
mir ade Hoffnung, munterte mich auf, nicht abjuftetjen, 
e§ roerbe fieser noch gelingen , ich fähe feineSroegS auS 
roie ein 9Jlenfch ot)ne Talent. 

©o rücften mir in ba$ ©täbtehen ©engenbach ein, 
roo mein ^Begleiter al§ 2lr$t roirfte. <£r verliefe mich aber 
auch ^ier nicht fofort, fonbern führte mich in ben „93abi* 
fchen #of" jum 23ter unb erquiefte mich nicht bloß mit 
troftreichen SBorten, fonbern auch mit ©erftenfaft unb 
©chmeijerfcB. ©ertlichen $)anfe8 noU nahm ich 9lbfchieb 
oon meinem 5Bohltf)äter — ber fein anberer mar als ber 
oor fahren in ßonftauj geftorbene DberftabSarjt a. %. 
$?laig — unb roanbelte in ben^Ibenb hinein, thalaufroärtS. 

Qe näher ich aber, jurifchen ben lieblichen Sergen an 
ber ßinjig hi« oorroärtS fchreitenb, ber £>eimath fam, um 
fo fummerhafter roarb idr) roieber. Oberhalb ©teinad) 
tönten bie Slbenbgtocfen ber Sßaterftabt baS %\)dl herunter 
unb griffen in mein ^erg fo ooll ber SBelnnuth, bafj idt) 
abermals p meinen anfing unb roeinenb roeiterroanfte. 

93or bem ©täbtehen, am Kirchhof, lief mir mein jetjt 
längft tobter ©chulfamerab SRubolf ©oljer entgegen. ©r 
liatte oon ber SJtuttet erfahren, ich mürbe heute eintreffen, 
unb ba er, unter $ag§ al§ ©Treiber beim 2lmt3reoifor 
fungirenb, 9lbenb§ gerne luftmanbelte, wollte er nud) auf 
ber ©trage roittfommen heiftfn» ©ein erfte§ SBort, nach* 
bem er mich gegrüßt, mar eine Srauerbotfchaft. ©§ !ommt 
ja feiten ein Unglücf allein. „SDetn SBater*, fprad) er, 
„ift ferner Iranf, man $at einen ^rofeffor oon ftreiburg 
lommen laffen." 93on biefer trüben ßunbe roeiter rebenb, 
gelangten mir gum $aterhau§ in buntler 9tod)t. 

S)ie Sttutter mar beim SSater, ben ich nicht fehen burfte; 
er lag in^ßhantaften. Qn ber©tube führte bie ©rofjmutter 



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— 72 - 

ba§ ©aeptcr. 8ein 9Jlenf* ^attc am crftcn Slbcnb £eit, 
na* bem SKefultat meiner ©tubien $u fragen; aUeS war 
nm ben tobfranfen SBater bef*äftigt. 

©eitbem tcf> „©tubent" geworben, tyatte mir bic ©roß* 
mutter ein eigenes Qxmmtx^n in ityrem $au3 eingeräumt, 
in meinem t* roetyrenb ber erften ©tubienjaljre in ben 
Serien f*Uef. 9lm SJtorgen na* meiner SInfunft trat bie 
2lt)ne bei .gelten in mein ©ema* unb erjäfylte, bafj ber 
93ater eine f*le*te ÜJla*t gehabt unb fte balb an feinem 
2luffommen jroeifle. ©te fügte bei: „Qctjt roär'S am ©nb* 
bo beffer gft, $)u warf* 93ecf roore; V Sttuatter $ätt' bemo 
a ©*tüfc!" „©ro&mutter," erroiberte freubig ber Ctuar* 
taner, „t* fann no* SBäcfer werben; benn mit bem ©tu* 
biren tft'S bo* ni*t$. 3* mufj repetiren.* 9118 i* it>r 
ba£2Bort#tepetiren erflärte, f*lug fte bie^änbe gufammen 
unb fpra* — i* f)öre fie f)eute no* — •: „UmS Rimmels 
miUe, 93ua, Ijet $i b'r ©aif*t ®ottc§ ganj nerloffe, unn 
if* atT miS3ättc umfonf*t gft! 2)i ©ro&x>atter tf* b'r 
g'f*eibf*t 3Jtann gfi im ganje^injigbaal unn$u f*le*f* l ) 
fo u& b'r 2Iart!" — 

3* beroieS tfjr meine Unf*ulb unb geigte i^r im 
«Beugnijj, bafc 3* c i& wnb betragen gut mären, roaS weitere 
perfönlt*e Vorwürfe abhielt ©emeinfam wallten mir bem 
$aterl)au§ ju, wo ber Butter bie £iob8poft mitgeteilt 
mürbe. SBenn ein ÜUlenf* re*t tiefen, tiefen Kummer 
bereits f)at, fo fommfS itjm ni*t barauf an, wenn au* 
no* ein jweiteS Unglücf tfnt ergreift, ©o na^m au* bie 
3Jlutter meine 9iieberlagc mit 5iemlt*er 2lpatl)ie auf. <£tnfi* 
weilen befam i* $efet)l, in bie 93atfftube au wanbern. 
£>ier Fjantiite an bc£ SSaterS ©teae ber alte „£ufa*er* 



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— 78 — 

33ecf", bem felbft boS SHefyl längft ausgegangen unb ber 
non $ufen nad) $a§le gebogen war. 3$ warb jefct fein 
SBäcfcrfnedjt in mand)' langer SRactyt. 

$>er 9ttann war ba§ <ßl)legma unb btc Sangroeilc &u 
<Pferb. Seine Siebe trod) im Sdjnecfengang Dom ÜUtunbe 
roeg, unb ebenfo laljm n>at feine Sirbett, ^atte trau* 
rtge Sage in jenen Serien. S)er Sßater fortroäljrenb be* 
roufjtloS, tobfranf, meine 3^ un f^ büftet, bie SBacfftube 
bunfel unb freubeloS, im £>aufe aüc§ roie tobt unb neben 
mir bie meifte 3eit be3 SageS unb ber 9fad)t bie trüb* 
felige ©eftalt be§ #ufad)er*$Becf$. Steine ßameraben flol) 
id); benn fte rebeten nom „Stubtren*, unb banon roollte 
id) nichts bören au§ guten ©rünben. 

Sftttten in biefer Situation begegnete mir, um ba§ 
ÜDtafj be£ ©lenb§ Dottgumadjen, nod) ein leidjtfmniger 
Streif, ben td) im Seben nie r-ergcffen werbe. <£ine§ 
SageS erfdjien in meiner Utoterftabt ein SRaftatter Sttit* 
fcfyüler, ©ramüd) aus 3ftuggenfiurnt. (£r war glücf ltdjer 
Oberquartaner unb machte eine Heine Serienreife. .Jjd) 
lub Ujn ein, ben Sag bei mir gu oerbringen, unb mit if)m 
unb mit be§ §a§lad>er SlcciforS $eter, ber in (Ettlingen im 
&fyrerfemmar profperirte, warb etn3lu3flug unternommen 
auf baS „£>ufad)er Sdjlofj". 3>ie3, eine SRuine au§ alter 
3eit, eine Stunbe oberhalb $a$le gelegen, bietet prädj* 
tigen SBlicf auf SBerg unb Sfjal; ju feinen ftüfjen liec^t 
baS ftille, graue Stäbtdjen ©aufadj, nad) bem bie gürften 
r-on gürftenberg f)eute nod) ben Xitel führen Herren non 
£ufen im Sftnsigtyal". 

©S mar ein lieblicher September^ac^mittag, als mir 
brei Stubiofl, b. f). ein Dberquartaner, ein Seminarift unb 
ein SHepetent unb $albbacfer, non bem nerroitterten ©e* 
mäuer be£ einftigen Schloff e§ Ijerabfcfyauten auf bie fonnen* 



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— 74 — 

beglänjten ^luren unb SIBälbcr. %oty bie Sage ber ftnaben« 
jcit waren niti^t mehr. SBenn ich bamal§ auf bergen unb 
Burgen umhergetlettert war, erquicften ein ©tücf 33rob, 
einige Slcpfel ober eine ©djüffel SUlild^ ben genügfamen 
Knaben. £eute muffte im 2öirtl)3f)au3 bic ^ßoefte begraben 
werben, bie td) oben in§ ^erj aufgenommen. 

Stief brunten, unter ber SBurgruine, lag bic 33ier* 
brauerei be§ „©pecfenhanS". S)er ©pecfenhanS aber war 
in ben fünfziger fahren berühmt im ganzen %t)al als 
ber befte SBiererjeugcr. §erren unb dauern fangen fein 
Sob unb tränten fein SBier. 93ei ihm teerten bie brei 
„2luch*©tubenten" ein unb wollten bie Stubenten fpielen 
im Printen. Suftige ©efeUfchaft war fcl)on ba. ßochjeitS* 
mufifanten, bie geftern im benachbarten SBergborf ©inbad) 
aufgefpielt, uerfoffen unter Einführung thrcSftapetlmeifterS, 
be§ ©cheerenfchleiferg r-on $a§le, ihren ©piellofnt unb 
matten SJhtftt baju. 

SBenn ein Stflenfch ferneren ©ram I)at unb biefen für 
Slugenbltcfe oergifjt, fo wirb berfelbe alSbalb mit 9Jtad)t 
wieber h^'oortreten, wenn er ^eitere 3Hufiü l)ört. 60 
fähigen auch bie ©pielleute bei mir bie bünue SBanb burch, 
welche ftch jwifcheu meine (Seele unb beu Hummer um 
meine ©jriftenj gelegt. Qch fah jefct bie jwei glüctlicbcn 
ftameraben t>or mir unb mich in meiner ganjen Unfähig* 
feit, etwa§ 9ted)te§ ju werben. $n biefer ©timmung griff 
ich — ba§ erfte unb ba§ letjte Sflal im fieben — jum 
*8iergla§ tu ber Elbfuht, meine ©orgen ju betäuben. 3)ie 
anbern trauten auS ßuft unb ich au§ Unluft, unb fehlte^ 
lieh waren alle brei fdjön betrunfen. ^ch ^ a ^ c oent ® am * 
brinu§ al§ ©tubent tnele unb fchwere £)pfer gebracht aber 
nie, wie bamal§ beim ©pecfenhan§ unter ber Burgruine 
non „$mfen" — au§ Verzweiflung. 



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— 75 — 

93on ber abenblichcn Sierftube bt§ gum frühen borgen 
im .ßtmmerchen bei ber ©rofjmutter roujite ich nichts mehr. 
(£ift fpätcr erfuhr ich, bafj bcr „(Sichenroirth 4 ' oon Baufach, 
bet meine ^erfunft burd) ben ©cheerenfchletfer crfal>ren r 
un§ brei, unfähig jum ®ehen, fjabe heimführen laffen. 
JJreunb ©ramlich, bet noch einige ^ohllidjter non ber SSer^ 
gangenheit ^atte unb bei mir übernachtet mar, nahm in 
aller 3*ühe „SHetöauS", ohne ftcfj bei ber ©rofjmutter ju 
uerabfehieben deiner allein ^arrte ein ftreng ©erid)t, 
obroohl e§ in meinem ^nnern f chon genug richtete ; beim 
e§ mar mir am anbern borgen noch oiel elenber ju 9fluth, 
al3 ba ich au§ Unmuth ju trinfen angefangen ^attc. 

Qrf) ging hinab in3 Vaterhaus* unb bat um ein gfrüfj* 
ftücf. warb mir dou ber ©rojjmutter uerroeigert; fie 
fammelte oielmehr alle meine jüngeren ©efdjnrifter, an ber 
#ai)l fed)§, um mich, ber id) an einer $ifd)ecfe mich nieber* 
gelaffen hatte, unb $lafc ftnb heute noch unoer* 

änbert, roie in jener ferneren ©tunbe. £)ie braoe 9Jtuhme 
aber begann r-or biefen ©efchroorenen: „$0 b'fdjaut ben 
©dmnbpfohl non unferer Familie, ©efdjterb Dbe 2 ) 
|etm fte en ^eimbroc^t im gräfdjte*) 9tufch. $)er Vater 
ifdj uf ben $ob franf, unb ber Vua a 8ump. @r ifd) a 
Stomp unb blibt a fiuinp, foufd)t tönnt er in benne Um* 
ftänbe fei fo Schanbftreid) mache!" 

Verhüllten Angeflehtem lieg ich atteS über mich er« 
gehen; benn ich fühlte meine ©d)ulb fo fehr, bafj id) nid)t 
mehr meinen, fonbem nur au§ tief fter ©eele ftöhnen tonnte. 
9lu§ ihren 5lugen t>erroic§ mich fobann bie ©rofemutter, 



*) SBetbc GJcfäfyrten jenes SageS fmb fett melen 3«^en tobt, 
©ramlid) ftar& a(3 Pfarrer unb *ßeter als @tfenbaf>nbeantter, 
*) Slbenb. ») arö&ten. 



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— 76 — 

unb nüd)tcm mufjte id) mit bem „^ufadfer^ecf auf bett 
„Sörüel* l ), um DefjmbgraS bürr gu machen. 9Jtem SJtit* 
arbeitet, in JJigur unb Sftebe ein falber ^alftaff, fam aud) 
auf mein geftrigeä Unglücf gu fpredjen unb fud^te mid) mit 
folgenben Söorten gu tröften: „3)efj muß ®i nit tränte; 
bim ©pecfefanS fjet fd)o mancher a SHufd) g'fjolt.* 

$)ie nädE)ft fommenben $age meines jungen Sebent 
mürben immer trüber. %a& <§htbe ber Serien nafytc. 
SBäcfer gu werben fdf)ämte idj mid) eigentlich bod), weil td) 
im gangen „©täbtle" r»on meinem ©tubiren gu mel SRumor 
gemalt fjatte in ben $aplan§tagen, unb nad) Dtaftatt gu 
getjen unb in meiner gangen Sänge gu nodj fleineren 
(Schülern gu fttjen al§ im vergangenen ©dfjuljafyr, fdiämtc 
ic$ midj abermals. Qu allebem mußte td) nid)t, roie SHutter 
unb ©roßmutter, bie midO jetjt feines 2Borte§ mefjr roertl) 
gelten, ftdfj entfdjeiben mürben. 

$)er SBater lag immer nodf) bejhtnung§lo§, unb bie 
Slergte umftanben fnlf lo£ fein Sager. 5)a nafrni bie SJcuttcr 
ifjre gufluc^t g ur „9Utenljetmer SBunberboftorin", einer 
proteftantifdjen Bäuerin, roeldje jeben ©amftag gu Offene 
bürg in ber „SBieben", einem SBirtl^auS, gu fprect)eit 
mar. $)iefe t>erf)ieß, ifyre „(srnnpatfjie 4 ' fpielcn gu Iaffen ; 
aber bie gange Familie foflte mitroirfen, unb biefe 9Jlit* 
roirtung beftunb barin, baß mir ocr)t $age lang bei SBaffer 
unb S3rob jlrenge faften unb bagu eine beftimmte 9lngaf)l 
(lebete nerricfyten mußten. 

9Btr ftinber tljaten'S alle mit ftreuben, bem SBater gu 
lieb. 3$ erinnere mid) aber nod) lebhaft, roie ftavfcn 
$unger id& litt unb mit meiner 53cgierbe icfy ba§ Gtücf 
Gdiroargbrob 9Jlittag§ unb 5lbenb§ oergefyrte. SJteine gute 



*) (Sin ©eroannname. 



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- 77 — 

Haltung roäfjtenb bicfer SBufmbung h<*tte mir baS fetri 
von 9Jtutter unb ©rofjmutter wieber gewonnen. 3)ie9Mucrtn 
oon 3lltenheim hatte, waS richtig eintraf prophezeit, ber 
23ater werbe nicht fterben, aber auch nie mehr ganj gefunb 
werben. ^Daraufhin befchloji bie Butter, bie ©äderet auf* 
jußeben unb mich nicht ©äefer werben $u laffen. 3$ fei 
au&erbem noch jung, um ihre ©tüfce ju fein; man 
probire am beften nochmals baS ©tubiren. 2ftir war's 
eigentlich auch recht; benn icf) ftf)ämte mich weniger, wieber 
in tftaftatt ju erfcheinen, als bat)eim bleiben &u muffen. 
3<h 50g bie Heinere ©chanbe ber größeren oor. 

$te fromme ©rojjmutter moUte aber noch überaatür* 
liehe Littel anwenben, bamit ein „befferer ©etfi" in mich 
tarne. Qch mufjte, trofc ihrer früheren 23erficherung, mid) 
nicht mehr mitzunehmen, eine Wallfahrt mit ihr machen 
nach frem zwei ©tunben oon ber ©eimath entfernten Stäbt- 
chen 3cU am Sarmersbach/ wo bie 2ttuttergottcS ^ur 
Letten" oerehrt wirb. Unter SBeten unb ^rebtgen ber 
guten Slimfrau langten wir in ber SßallfahrtSfirche an, 
unb ich betete fo lange unb fo anbächtig, als es mir mög* 
lieh war. %it ©roftmutter war aufrieben unb l ehrte oolier 
Hoffnung für mich oon ber SBkUfahrt heim. SBenige Sage 
barauf rücfte ich wieber gar fleinlaut in föaftatt ein. 

3llS mich ^rofeffor Honsbach am erften borgen in 
ber klaffe fah, wo ich 25 n *ue Schüler unb brei 3ttit* 
repetenten getroffen hatte, rief er hellauf: „©idjff be, ber 
£>anSjatob ifch e wibber bo, ber lagt fich nit abtreiwe!" 
$d) mufjte auch liefen ©pott hinnehmen oon bem alten 
(Secfen. Sttehr benn awanjtg Qahre fpäter, er war fd>on 
penftonirt, humpelte er einmal nach einer ©tfcung beS Sanb* 
tagS auf einer ©trage Karlsruhes auf mich ju unb gratu* 
lirte mir, bajj id), fein ©djüler, eS jum 3lbgeorbneten unb 



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- 78 — 

©djriftfteUer gebraut f)ätte. ift eben bod) f)ie unb 

ba gut, £err <ßvofcffor," meinte id), „wenn man ftdj nidjt 
fo leid)t »abtrciroC lä'fct", unb erinnerte ifjn mit allem 
$ttmor an obige 9lcben§art. — 

3>od) je^t ging'3 in ber Schule balb anberS. (£§ be- 
gann aUmäl)Ud) ju tagen in meinem äopfe, bie ©egeu* 
ftänbe maren mir nid)t mef)r fo roitbfremb, unb mein größter 
©egner unter ben Seljrern, ber Snceum§lef)rer Ütaudj, mar 
au§ ber klaffe genntfjen unb fyatte bem ebenfo jungfräulid) 
fdjöneu al§ milben £ef)ramt§pratttfanten SJlaier *ßlat> ge* 
mad)t. ©d)on an SBeifmadjten mar id) ber fcc3t)ftc unter 
28 ©djüleru, unb froren 3Jtutf)e§ faß id) ben SBtnter über 
miebec unter benSBeibern be§ £aufe3 Söraun unb bei feineu 
Scfyufteru. $lber „bie ßa^e lägt ba§ Staufen nid)t, menu 
fie e§ einmal angefangen", unb fo rourbe aud) im ©tiüen 
roteber öfter§ „getneipt". $)ie S3tergenie§ oom oorigen 
Qaf)re maren aber nid)t me!)r in ber klaffe. Steine Kollegen 
in ber Bierbrauerei ©iebert im „$)örf el" mürben jetjt einige • 
©olbaten au§ berSBaterfiabt unb ben umliegenben £f)älern. 

W\t meinen 9Jtitfd)ülem t)atte id) feinen ftänbigen Um* 
gang, unb roenn id) aud) Öfters mit einzelnen oerfefjrte, 
fo maren e8 meift bie „minberen SBrüber" unb meift ge* 
borene föaftatter. #u btefen gehörten mein luftiger ftreunb 
£etnrid) £irfrf)mann, je^t SWafirer in fetner Sßaterftabt, 
unb 8arl SBeber, fpäter ©dmeiber, tyeute aberSBillenbeftfcer 
unb Rentier in JJrciburg. 9lud) einige <5öfme $3rael£ 
fanben ftcr) unter ifmen, fo ber ftille fieopolb ©belfdnlb, 
immer oor ftd) f)tnträumenb roie ein ©elcfyrter beS %aU 
mub, unb ber gefunbe, ImubelSfräftige 3)aoib 3Jlaier, beibe 
au£ ber ©djmabengaffe. ©ie führten mtd) aud) gum 
erften SJtal in eine 6unagoge. 

©3 fjat mid), obrooljl fojial 2lnttfemit, nityt roeuig 



- 



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— 79 — 

gefreut, al§ im ©ommer 1892 ein ftarfer, großer, frember 
9Jtann in mein £au§ trat unb fia) mir oorftetlte als $>aoib 
s U}aier, jetjt Seberhänbler in Strasburg. 

S)er @rfte unter un3 in ber klaffe unb in ber 
©leganj be3 Auftretens war ber 1882 ocrftorbcne 9k-- 
gierungSrath ^efenbecfh, ©olm eines 9Hüitärbeamten. (Sr 
roolmte unroeit von mir an ber 9tturg in einem fdjönen 
§aufe. $ch fah ifm bisweilen auf bem SJturgbamm, aber 
ber blaff e, feine Storl paßte ju mir roic ein Slanarienoogel 
ju einer SBalbfrähe. 

SJkin ©eimroeh ^atte ftch mehr unb mehr oerloren. 
5(ber gleid)n>ohl fdjaute id) an ben Stonncrftagen, roo 9ia> 
ftatt SBochenmarft hat, fleißig nach, ob feine £a3lad)er 
JJrucfytfjänbler ba mären. 2ln ber nörblichen, rechten (£cfc 
ber ^ßfarrfirche Ijatte fkt§ SDkifter SBraun feine ©dmhe 
feil, unb ilm fragte ich juerft, wenn um elf Ufjr bie ©chule 
au§ mar, ob er feine £a§lad)er gefehen; bann falmbete id) 
auf fte im „Karpfen" ober in ben „brei Königen". 9lm 
meiften traf id) bie JJrud)tf)änblerin s Jkumaier oulgo „bic 
müfte Ukumaierin", ein Sttanmoetb, ba§ mir manchen ©djop* 
pen bejahlt unb manche 9kuigfeit auS bem „©täbtle" ge- 
bracht hat in jenen Sagen, unb ba§ id) beßhalb gar f d)ön fanb. 

$ie Serien biefe§ (Schuljahres 1853—54 mürben burri) 
meine günftige (Stellung in ber Sdjule jefct auch beffer. 
3tf) fam aber roährenb berfelben in einen fußen ©djlen* 
brian, ben felbft bie anbauernbe $ranfheit be§ SBaterS unb 
ber baburd) bebingte Sftücfgang unferer Jamilie nietjt roe* 
fentlid) ju ftören oermochten. S)er SSater fonnte jroar 
mieber fteljen unb gehen, aber er mar unb blieb für im* 
mer ein gebrochener Sftann. 3)ie ganje Saft be§ £au£* 
toefenS ruhte auf ber Sttutter. $)iefe prebigte jebod) tauben 
Of)ren, wenn pe mir oon ihrem Kummer fprad). ^dj 



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— 80 — 

wanberte ben gangen Sag über in fjclb unb SBalb, lag 
im£crbfi \)albt%a$e lang auf beu Slcpfel* unb »Jmetfchgen* 
bäumen unb lieg fünfe g'rab fein. 2ln ©onntagen aber 
warb mit meinen alten ©dutlfameraben in bie SBterhäufer 
gebogen unb Siegel gefpielt. $)ie Söäcferei war im $8ater* 
fyaufe eingegangen, unb fo hatte ich feine 9Gebengefchäfte 
mehr. — 

3$ mujj fner ein &>b beS weiblichen ©eföledjteS ein* 
fdjalten. SJleine ©chmeftern, fämmtlich jünger als ich, 
halfen ber 3Jluttcr ihre ©orgen tragen mit ad* tf)rcn 
fchwachen $räf ten, unb währenb ich in afteroeg ben^SBruber 
Seic^tfmn 4 ' fpielte, Ratten fie tiefet SBerftänbnifj für bie 
Sage ber Familie, ©3 fränfte fxe befftalb jeweils fehr, 
wenn bie Sftutter bei meinem Weggang noch bie fchön* 
ften Slepfel be§ ©artend in eine ßifte paefte unb mir mit* 
gab. ©te glaubten, biefelben eher oerbient ju höben al§ ich. 

3a) war unb blieb eben, trotj aU 7 meines SeichtftnnS, 
ber ©tolj unb bie ©offnung meiner braoen 3Jtutter. Unb 
gar oft baute idt) unferm Herrgott bafür, bajj er mir ge* 
Rolfen hat, bie Hoffnung ber Schwergeprüften nicht &u 
täufchen. — 

S3eim ©djluffe be§ jweiten CLuartaner'QahreS war io) 
ber dritte gewefen, unb bod) trat ich mit trüben Slfjmmgen 
in bie Dberquarta; benn tytx war ber mbefc jum Sßrofeffor 
aoancirte SuceumSlehrer SRauch ©hef *>er klaffe. 

3Jtem Vorgefühl ^atte mich nicht getauft: baS jetjt 
fommenbe Qahr würbe für mich ba§ troftlofefte meiner 
gangen ©tubienjeit. Stauch war ein £urann gegen alle 
feine ©chüler; er hatte feit fahren manchen oerswetflungS* 
oott au§ feiner klaffe unb auS bem ßoceum oertrieben, 
manchen, ber heute ein tüchtiger Beamter oberßirchenbiener 
wäre, fo aber unterging im Seben. <£§ waren bamalS bie 



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— 81 — 

§ahre bet politifchen IReattioti in aßen ßroeigen bc3 
öffcntli^cn Sebent unb beßhalb fonnte ftch jener ßefjrer 
alles erlauben gegen feine 6d)üler; Älagen oerhaUten 
»ttfungSloS. 

SÖBie ein fcataren^äuptling unter feine ^einbe, fo 
ftürmte er jeweils in ba§ ftlaffensimmer, roo nnr alle, fammt 
unb fonberS, ihn erwarteten , al§ ob er töme, um unfer 
£obe§urtheil ju fällen. 2luf feine ©tunben Ratten wir eine 
2lngft, als ob ein genfer fäme, um un3 jur Jolterban! 
%w führen, ©iner con un§, jefct babifcher 9flebijinalrath, 
ein ebenfo fleißiger al§ begabter ©djüler, befam oor 
3lengften jeweils ba§ „£ergroaffer" unb mußte ba§ 3immer 
cerlaffen. ©r erhielt be^albbenSereoiS^amen^Sßäfferle*. 

eine ©efunbe ließ 9taucf> einem Stüter £eit, 
um ftd) auf eine oon ihm geftellte grage ju beftnnen. ©o* 
fort brüllte ber tieine, ftämmige, fahttöpftge, wilbäugige 
^ßrofeffor unter feinem (Schnurrbart heroor: „3)er JJolgenbe, 
lüberlidjer ©efette!" unb fo faufte e§ burch alle Söanfe 
Innburch, wobei er jebem einen ©trid) in feinem S^oten* 
buc^ machte. 2öenn er aber jeben ©chüler malträtittev 
fo befam ich bie CLuinteffenj feiner fcurannei. 

3Jlan !ann im £eben oft bie (Erfahrung machen, baß 
fleingemachfene 3Jlenfa)en bie großen nicht leiben fönnen. 
60 hatte auch ber furje Stauch auf mich lang aufgefchoffe« 
nen Jüngling einen £aupthaß. 3$ mochte meine beutfdje 
ober lateinifche Aufgabe noch fo gut gelernt ha&en, ich 
mar unb blieb eben immer ber faule, lüberliche ©efette. 
Qa e§ fam nor, baß er mir am (Smbe ber ©tunbe 9trreft 
bif tirte, tro^bem bie fämmtlichen 3Jtitfchüler bezeugten, ich 
hätte ja feine fragen alle richtig beantwortet ober boJ 
ju Sftemorirenbe buchftäblich ^ergefagt. 

2Bir mußten alles, wa3 mir au§ ©äfar unb Dmb 

$on*ia*ob, ©tubienjett. 6 



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— 82 — 

überfetjten, mörtlidjauSroenbig lernen, eineunftnmge^dn'n* 
beret, bie jefct nod) grafftren foCL SBenn bie römifdjen 
^tafftfcr müßten, wie bie jungen ©ermanen, ftatt ben 
©eift unb bie ©djönljeit ber Gilten fennen ju lernen, mit 
gormcnfram unb SBudjftabenbienft geplagt werben, fte 
mürben fid) im ©rabe umbrefyen über bie barbarifdje ©cfyul* 
meifterei, ber tfyre SBerfe oerfallen fmb. 9luf biefe s 2lrt 
werben §unberten bie »Iafjlfet entleibet; fte ftnb frof), 
menn fte ntd)t§ metjr baoon frören unb feljen müffen, unb 
üerfaufen bei tyrem SBeggang oom ©omnaftum felbft bie 
53üd>er, roeld)e fte ja nur an Dual unb Holter erinnern. 

S)em Gimmel fei 3)anf, bafc er mir menigften§ groet 
ober brei oernünfttge ^ßlnlologen auf meinen ©tubtenrocg 
\anbte, fo bafe td) Ijeute nod) ber flafftfdjen ©tubien im 
grofjen unb ganjen mit Jreuben gebenfen fann. 

3Jlein einziger Sroft in jenen Sagen alSDberquartaner 
mar ein Sttann, ber fonft bei feinen ©djülem ob fetner 
Strenge unb feiner garten formen oerfyifit mar, etnSJtonn, 
ber allein bie Urfadje mürbe, bafj ntdjt aucf) id), mie oiele 
oor mir, bem ©tubium £eberoof)l gefagt Ijabe, um ben 
Quälereien beSgenannten Se^rerS ju entgegen, ftiefer £>err 
aber mar fein anberer als ber gefürdjtete £uceum3bireftor 
Getraut, oon ben Sncetften bamalS allgemein „©fcel" ge- 
nannt. $)ie ©cpler ber oberen Klaffen Ratten ifmt biefen 
tarnen gegeben, inbem fte feine ©arte mitberbe8£unnen* 
fönigS Sittila (©fcel) oergltdjen. <5djon um biefeS einen, 
von mir in ©ollem 9ftaße oeretyrten SJlanneS miUen follte 
td) bie *ßreufjen lieben; benn er mar ein SRfyeinpreujje, im 
3al)re 1850 oon Wcnfa roo er SHeftor be§ *ßrogumnaftum3 
geroefen, nad^ OTaftatt berufen. 

Sdjraut mar ein <pinlologe oon ©otte§ ©naben, unb 
menn aud) nidjt frei oon rl)einpreufjifd)*pf)ilologtfd)er 



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— 83 — 

©ilbenftecherei, fo trieb er biefelbe boch im hödjften ©rabe 
geiftreid) ttnb originell unb rourbe bcmeben ber innem 
©chönt)eit ber lateinifchen unb gric^ifc^cn ©prache ooU» 
auf gerecht. 

31B er nach SKaftatt tarn, traf er oon feinem SBor* 
gSnger unb oon ber eben beenbigten Dfaoolution ^er an 
ber 9Inftalt mannen ©d)lenbrtan, bem er fdjarf ju #eibe 
ging, moburch er fid) bei Sehrern unb ©chülem unbeliebt 
machte. ($r ^atte babei einen JJefjler, ben ich mit ihm 
theile: er mar fefyr fanguimfchen Temperaments, barum 
jähzornig, unb in biefem .guftanb majj er namentlich feine 
SBorte nicht recht ab. ©r fd) impfte in ben fräftigften Süßen 
unb rebete babei ben Delinquenten nur per „®r" an. 

°$d) habe ben 9ftann gu lieb unb Ijalte, im ©egen* 
fafc &u faft allen feinen iftaftatter (Schülern, fein $ln* 
benfen gu ^od) in &fyxm, fonft mürbe id) eine ©ammlung 
feiner originellen Schimpfereien anfügen. ©te mürben 
©hatefpeare§ gleichartigen 9leben§arten nahe fommen. 
Dag er ©ageftolj mar unb blieb, trug jebenfalB oiel gu 
feinem menfcljenfeinbüdjen SSefen bei. 

2lber abgefetyen oon biefen berechtigten unb unberech* 
tigten ©igenthümlichfeiten mar ber Direktor ©chraut ein 
SKann oon eminentem ©eifte, oon tiefftcm philologifchem 
SBiffen unb für ben gelehrigen unb aufmerffamen ©chüler 
ein ganj oorjüglicher Sehrer. ©o fchlimm manchmal feine 
gunge häufte, fo gut mar fein £er$, wenn e8 ©rnft galt 
Qch fyaht mit manchem talentarmen Äameraben baSSnccum 
abfoloirt, feinen oon ihnen hat ber Direftor in ben oberen 
Klaffen oom ©tubium oertrieben, fte aUe mürben promooirt 
unb gelangten gu einer ©jifteng. ©ierin mar ber *ßrofeffor 
föaud) gerabe fein SBiberfpiel. SBei biefem Fant atte§ 

aus böfem £erjen, bei ©chraut aber au§ gutem. 

6* 



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— 84 - 

$er $)ireftor hatte befchloffen, mit Beginn be§ (schul* 
jahreS 1854/55 einmal oon Dberquarta an bi§ jur Ober* 
fertaein unb berfelben klaffe ben grtechifchen Unterricht 51t 
erteilen, gum ©lücf bei allem Unglücf traf mich jene§ 
Qahr al§ Dberquartaner. D^ne biefen ©ntfchlufc be§ %\t& 
tor§ rocire id) fidjer ju einem ^anbmerf ^eimgefe^rt. Schon 
nac^ bcn erften ©tunben hatte er mich lieb geroonnen nnb 
blieb mir, trofc meiner fpateren ©treibe, ftet§ geroogen, 
folange ich am Snceum meilte. Manchmal, wenn er Stach* 
mittag^ com „ßreus", roo er fpetfte, junt Suceum hinauf* 
fchrttt, roä'hrenb ich bangen £er$en§ ben gleichen 2Beg in 
bie klaffe be§ ^rofefforS föauch machte, legte er mir feinen 
2lrm auf bie ©chulter unb ging fo mit mir bi§ jum erften 
ber alten Sinbenbäume oor ber 9lnftatt, mich tröftcnb 
unb ermunternb. <£r wollte ober tonnte ben Suranneicn 
unfereS SUaffenlehrerS nicht entgegentreten; aber mehr al§ 
einmal Itejj er mir burch ben alten ©chiU ©petfe anbieten, 
tocnn ich über Wittag Sttrreft hatte ober er befuchte mich 
unb trocfnete mit freunblichen SBorten meine Shtönw« 

2113 ich im Frühjahr 1855, überfatt ber fteten (Sujo* 
nagen, ben Stteifter »raun juni SHreftor fchicfte, um ihm 
meinen Abgang oon ber Slnftalt unb meine SRücftehr in 
bie ^eimath anjutünben, ba mar ©djraut e§, ber mit 
aller Sttacht gegen biefen ©ntfchlufc auftrat. „«Der Sunge 
hat entfchiebeneS Talent, unb roenn e§ erft fpäter fommt. 
Schreiben Sie feinen (Sltern, feinem SBitten ja nicht nach* 
augeben*, fo fprach er unter anberm &u meinem 
lifter". SJlich fclbft brachte er burch bie 9tu§ftcht auf eine 
bcffere gutunft unb baburch, bafc er mir bie Befürchtung 
nahm, noch einmal repetiren ju müffen, jum Bleiben. 
2lber e§ mar noch eine ^ci^c, tränenreiche geit, bi§ ba§ 
Qualjahr p ©übe ging. 



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— 85 — 



Qn bcr neueften >$tit pflegen ©dniler, bie nom Setjrer 
fid) malträtitt glauben, gut Sßiftole gu greifen. 2Benn 
id) feinen anbern SBeweiS bafür f)ätte, wie fcfjr feit breiig 
Sauren unfere Qugenb an moralifcrjem JJonb oerloren fjat, 
fo märe btefe eine Xfyatfacfye SBeroeiä genug. Qd) bin bet 
feften Uebergeugung, baß fyeute fein ©cfjüler mein; traftirt 
roirb wie wir bamalS in ber Dberquarta, aber an ©elbft* 
morb aud) nur gu benfen, wäre feinem oon un3 einge* 
fallen. ©in foldjer ©ebanfe lag uns unenblid) ferner 
al§ bem £ergen unfereS £laffenlef)rer§ bie 93ttlbe, unb 
bie war fjimmelwett tum ifjm n>eg. 2öir Ratten un£ nid)t 
einmal getraut, bem 2Bütf)eritf) aud) nur bie Jenftcr ein* 
gumerfen, fo große Stoiber waren mir. 

ÜNoa) einen Sefyrcr muß itfj erwähnen, ben id) in 
Dberquarta befam unb behielt bi§ gu ©nbe meiner ®nm* 
nafiatftubien. ©§ mar ber ^ßrofeffor ©iftnger. ©Sebent 
SSolföfdjullefjrer, hatte er fpät bie afabemifdfen ©tubien 
ergriffen unb ftcf) gum fyöfjern fief)rfad> f)eraufgemad)t. 
©r gab tum Dberquarta an in allen klaffen ben 
naturroiffenf^aftlic^en unb matf)emattfd)en Unterricht in 
befter 3lrt. 

ßein Sefjrer an ber gangen SKnftalt wußte flcf» fo burd)* 
weg, oljne jebe SBlöße, bie 2ldjtung ber <5d)üler gu oer* 
fcfyaffen, wie ©ifinger. ©in großer, fdjmaler 9ftann mit 
unfrf)önen, eruften ©eftdjtöjügen, machte er nidjt ben ge* 
wmnenbften ©tnbruef. ©in Anflug non £eiterfett übertam 
ilm nur, wenn er bt§wetlen einen troefenen, in ber SRegel 
etroa§ berben SBitj losließ. 93or feinen ©djülern ftunb er 
n>ie ein ©arbef elbwebel oor 9lefruten ; aber e§ mar nicfjt 
bie 2lngft oor bem Zuraunen, ba8 jene erfaßte, fonbern 
ber Sftefpeft oor bem tüchtigen Sefjrer. Selber waren unb 
blieben bie meifteu feiner ftäfyx meine größte <Sd)wäcf)e; 



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— 86 — 

id) lernte feine Aufgaben nur medjanifd), beut ®ebärf)tniffc 
nadj, tfym ju lieb, aber olme jebe§ innere SSerftäubniß. 
%n ben oberften klaffen, mo id) unter bie erften &äl)ltc, 
brachte id) e§ nie jur -ftote gut in Sttatfjcmatit unb 
tftoturlcfjre. ©ut ging'3 nur in ber -ftaturgefd)id)te. 

6<$on in ben jroci erften ftlaffeu be§ £nccum§ mar 
befftalb meine SBorliebe für ben aufünftigen „tflentmeifter" 
gejdjrounben, als id) gelegentlich einmal uernommen, baft 
beffen Hauptberuf nidjt ba§ (£l)aifcnfaf)ren fei, foubern 
ba3 ^Hec^nen, meine £auptfd)mäd)e. 

Qn biefem Gomiuer ber Dberquarta tarn id) jum 
jroeiten s JJlale nad) $8aben*33aben. 9Jlein SBater f)telt fid) 
einige ,3cit oor t au h um Heilung ju fudjen. ($r mofjnte 
bei einem $8ud)btnber £aile, beffen §äu5d)en td) jetjt nodj 
jebeSmal mit SBefjmutt) anfdjaue, fo oft id) in bie 33äber~ 
ftabt fontme. 2lud) biefer mein jroeiter SBefud) mar teiu 
freubiger. Qd) traf ben SSater al§ eine SHutue beffen, maSer 
geroefen, unb aud)99aben§ Spermen tonnten tfmt ntdjtfjelfen. 
<£r tonnte ntdjt einmal nad) Dtaftatt tommen, um jtd) nad) 
meinen Sßerfyältmffen umjufefjen, roa§ mir übrigeng lieb mar. 

3d) n>ol)iite nun balb brei Qaljre iubem tkinm £aufc 
am SHofjrcrfteg unb mar ein Ijimmellauger $8urfd)e oou 
adjtje^n (Sommern gemorben, ^atte au $örperlchtge ge* 
wältig, an 3Bei3l)eit unb StebenSmürbigteit aber gar roenig 
zugenommen 3$ tarn uuu mit ben SBcibsleuten be3 
Haufeg gar nidjt mefjr au3, rooUte 2lbenb§ nidjt meljr in 
ifyrer dfcfellfcfyaft ftubiren, mir oon ber Sodjter ntd)t meljr 
ba3 SBeSperbrob oorfdjneiben unb oon ber SJtutter nidjt 
mel)r prebigen laffeu. -äfleifter *8raun nafjm ftd) jroar als 
trefflicher £anb3mann unb $a3lad)er oft meiner an ben 
iBeibem gegenüber, aber bei fetner regelmäßigen abenbltdjen 
5lbmcfeuljeit brad) ebeu bog <ycuer immer mieber au3. 



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— 87 — 



3ubcm war eS cinf am geworben auf bemSJlurgbamm: 
ber trompetet t^atte feine SBofjnung längft geroechfelt, unb 
üon meinen Schufterjungen unb greunbeninber SBerfftätte 
mar ein unb ber anbere ebenfalls oon bannen gegangen. 

°$n bem 9ßachbarhäuSchen f)erbergte jetjt ein alter, 
geifteSfranter SBauerSmann auS ber ©egenb von SBrudjfal 
mit feinen fttllen Töchtern. $)er 33ater ^atte beimJJeftungS* 
bau fein Vermögen üerfpefulirt unb ftch „fjinterbenft* ; 
trübfmnig unb unheimlich faß er tagelang am fjenfler, 
unb auS ben feiner #inber laS man nichts als 

Kummer unb Sorge. ®achftübchen über biefer 
milientrauer aber trieb bie ganj närrifch geworbene 
Sdjioefter meiner ©auSfrau ihr Söefen. Sie fdjrie unb 
fchtmpfte buchftäblich unaufhörlich $ag unb -Wacht gu ihrem 
$enfter hinaus über ©Ott unb bie SBelt. 5)aS aUeS trug 
noch weiter baju bei, mir ben Aufenthalt am SRohrerfteg 
$u entleiben. Unb fo befd)loJ? ich *>enn, nächften 
Schuljahr an ein anbereS Quartier p fuchen. 

2)ie £erbftferien tarnen. Qch mar unter jroölf Sdjü* 
lern ber fiebente, ^atte in ber griedjifchen Sprache beim 
$)treftor bie Sftote gut, in ber lateinifchen beim Zuraunen 
mittelmäßig unb beßhalb in ber letzteren Sprache eine s Jtoch* 
Prüfung „tm Stnl" ju machen. Qch bin feft überjeugt, 
ohne bie Vermittlung beS $)treftorS hätte ich abermals 
repetiren müffen. Aber noch mar eS möglich, mich im 
üftacheramen burchfaflen ju laffen. 2öer roeifj, bachte idj, 
ben untern ©ang beS ßgceumS mit meinem äeuguijj 
burchnmnbernb, roaS ber ftalmücfenhäuptling im Schilbe 
führt? %a tarn oom sroeiten Stocf herunter ber $)ireftor 
auf mich gu unb fprach: „Qunge, baß $>u mir mieber 
lömmft; überfetje rofthtenb ber gierten täglich ein *ßenfum 
auS Strebs, uub bann garauttre ich 3)ir für Uutcrqutnta." 



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- 88 - 

©etroft ging id) bet #eimat!) gu unb befolgte getreulich 
feine 9ftaf)nung. Qeben $ag warb ein „Styl* gemalt 
9Jiorgen§ in ber gfritye. $)te übrige 3 e ü gehörte fjelb 
unb SBalb, ben SBerfftätten ber Mafybam unb alter 
©d^ulfameraben unb — bem SJierbauS. 

Sitte gerten meiner ©tubienjeit t)ab' id) einen grofjen 
$ljeil beS XageS in ©otteS freier Üftatur jugebrac^t unb, - 
nrie einft als ftnabe, bie SBerge unb Söälber burc^fheift. 
3ln Regentagen unb in ben erften ©tunben beS SWa^mtt* 
tag§ weilte i$, folange bie unteren klaffen be§ SqceumS 
mid> ifycen ©fixier nannten, gerne in ben SBerfftötten 
ber alten 9ßad)bam ober älterer Qugenbfreunbe, bie be* 
reitS SJleifter ifyreS $anbraerf§ roaren. ©o fajj td) na* 
mentlid) oft bei meinem f$xeunbe SHuf, bem ©djretner* 
meifter in ber Sßorftabt. ®x fjatte nad} ber SReoolution 
oor ben *ßrcujjen flüchten muffen unb längere ^eit in 
ber ©djmeij gelebt, mar aufjerbem fe^r belefen unb im 
SBefty eine§ ädjten ©ofrateSfopfeS. ©o Ijatte er baS 3eug 
unb muffte immer etmaS ju ersten. Hm liebsten politi» 
firte er unb machte bann in 9tepublit. 

©ein ©egentfjeil mar mein roeit älterer 3*euttb, be§ 
„$erre*3od)em3 SBafdjttan", ber Heine ©d)loffer. ©r 
fprad> gar ni$t3, Ijörte immer feinem Sefud) &u, lächelte 
ftia unb feilte unoerbroffen roetter. Qx mar einer jener 
in $a3lad> ^öd^ft feltenen 3ftenf djen, bie fein „gutes 
Syiunbftücf" Ijaben, unb infofern fjatte er aus ber 2lrt 
feiner SBaterftabt gefcf)lagen. @ine finbltdje 9latur all 
fein ßeben lang, blieb er als ©reis nod) bie gleite, gute, 
ftittc ©eele, unb tym galt baS Söort beS £eilanbeS: 
*©eltg fmb bie Firmen im ©eifte, benn i&rer ift baS 
£nmmelreid)" — f)übeu unb brüben. 

$eute fmb beibe JJreunbe längft tobt. — 



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— 89 — 



9fr>d) jmb mir auS ben Obetquarta^erien groct ficf) 
ganj entgegeugefetjtc (£reigniffe in lebhafter Erinnerung : 
ber erfte unb letzte öffentliche $an$ in ber #eimath uub 
eine 2BaHfaf)rt jur SJluttergotteS nach Anberg. 

(£S war eine ©oefoeit im ^fiöroen 4 '; bie Butter 
mußte auS ^ermanbtfehaftSrücffichten auch baju, unb id) 
follte fte am 9lbenb abloten. 60 fet)r ich in meiner 
Sfriabenjeit für bie ^odföeiten auf bem Sanbe fd)nwrmte, 
100 ächte unb redete aSoltSmuftfanten ihr SBefen trieben 
unb Sttännletn unb 2Beiblein mit Sträußen oerjiert 
roareit, ebenforoenig tonnten mich jemals bie gleiten 
geftlichfeiten „im ©täbtle" interefftren. 

%ic £>aölad)er haben fonft oiel ^olfStfjmnlichcS unb 
^oetifcheS im £etb, aber bei ihren £ochjeiten ging eS 
ihnen oöUig oerloren. ©S gef)t babei „ftäbttfeh", b. i. 
nobel, fteif unb ueumobifch f)er. 9iur etneS t)aben fie noch 
gemein mit ben ^Bauern beS ^aleS: eS muf jebeS orbent* 
lidje ^ochjeitSeffen „$ratn>ürfte, gebeijteS $leifch unb 
Rubeln 4 ' enthalten, fonft fömmt bie ganje ©efcf)id)te in 
SBerruf. $)aS märe ärger als ein .treimenbeS @l)et)inber* 
nifj Iura oor ber Trauung. 

3Hid) braute nur baS Söerfprechen ber 2Jhttter, mir 
auf ben $lbenb eine $ratnmrft ju referoiren, pr $>och- 
5eit. ^ad^bem biefe oertilgt mar, oetfügte ich mich auf beu 
£an&boben unb flaute ju. $a überfam mich, roaS mir 
foäter nur nod) einmal im geben pafftrte, bie Suft, aud) 
gu tangen. $)och mit ben mir gleidfcalterigen Sttäbchen 
roagte id) nicht, bieS ju tlnm, eingeben! meiner ftümper* 
haften Seiftungen auf ber in meinen „Qugenbertnnerungen" 
ermähnten „£opfenbarre" beS ftanonennrirthS. 3)a ftunb, 
ich f c ^ fl* ^ute noch, einfam unb allein in einer ©efe beS 
(SaalcS baS brauchen beS (Sattlers Slleranber (SanbhaS, 



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— 90 — 

meines altern ^reunbeS 1 ), bie Zodjter be§ „©iger*5Jticf)el3'', 
ben id) in meinen $nabenjal)ren allzeit fuhrroerfen gefefjen 
mit einem rotten Ddfjfen. 3)te engagirte td), nnb mit ber 
tangte id) ben erften unb legten „god^ettStana" meines 
£eben§. ©3 mar ein „©djottifci)". 3$ ^abe einige Qafjre 
barauf nodj einen einzigen $anj auf einer $ird>roeif)e 
getfjan, fern non ber ©cimatf), aber nad) bem römifd)en 
©prtctyroort: „Nemo saltat sobrius" 2 ), nrie td) nod) be* 
lichten roerbe. 

SluffaUenb ift, baf$ id) im Sanken ein fo elenber 
Stümper mar, roäfyrenb ba§ turnen meine befte Seiftung 
am Snceum in SKaftatt mürbe, ©cfwn als Quartaner 
erhielt id) einen $rei§ für gqmnaftifdje Seiftungen unb 
blieb fortan ber erfte Turner in ber klaffe. — 

kleine ©Item unb uorab bie ©rojjmutter befahlt ein 
unerfd)ütterlidje3 ©ottnertrauen. 2118 beg^alb bie Söabe* 
für bem Söater nidjtä geholfen fyattt, rourbe für feine 
©enefung eine SBaUfaljrt befd)loffen. diesmal nad) Sri* 
berg, roo bie 9ftuttergotte§ „jur Sanne" ein altes, niel* 
befud)te3 £eiligtf)um Jfeat, unb roo mein mütterlicher ©rojj; 
oater, ber „^älber^aoeri" 3 ) , als ©oljn etncS armen 
$)red)sler£ geboren mar. 

2lu3 einer Zaune Nörten uor ^aljrfjunberten öfter* 
rctcf)tfcf)c ©olbaten roieber^olt eine (Stimme unb fanben in 
berfelben ein 9Jcarienbtlb, bem heute bie 2öattfaf)rt§fapctte 
oon Zribcrg, broben am SBalbe, gemeint ift. ©d)on $rin$ 
(SugeniuS, ber eble bitter, oere^rte biefe für ben ©djroarj* 
roalb fo fnmig paffenbe „Sttaria jur Sanne". 



») ©telje in meinen „SBitben ßirf<$en" baä Kapitel „«Die 
©anbfjafen". *) SWemanb tanat, folange er ttüdjtern ift. 
3 J ©teQe in nieinen „6dmee&aUen" bie (Sqäljtung „3)er ©feläbed". 



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— 91 — 

Qjcf) foHte ben SBater begleiten unb bet fecpftünbtge 
2Beg jum größem 9iut}en ju guß gemalt roerben. Seiber 
mar uuf ereincm bei biefer SBaQfa^rt bet 9lu§flug nad) 
bem mir bis je^t unbekannten 3Batbftäbtd)cn roteber bie 
§auptfacf)e. Slber bet gute SSater trug mehr SRütfftcht 
auf ein junges, roettfroheS Sflenfchenfinb al3 einft bie 
(Großmutter auf bem SQSeg nach (Sinfiebeln. 

Qch mußte unterwegs nicht beten, fonbetn butfte un* 
geftört 33erg unb Xfyal berounbero. 3>a, roährenb ber 
Sßater, nad)bem mir unfer gtel erteilt, am fpäten 2lbetri> 
nod) einige ßeit unb ben folgenben borgen ganj in ber 
bunf ein, mir unheimlichen SBaUf ahrtSf trd)e jubraebte, f d)icf te 
er mich felbft weg, mir £anb unb ßeute ju befehen. (So 
Heiterte ich °cnn am raufdjenben SBafferfaU ()inauf # faß 
ftunbenlang auf ben Reifen am Xannentoalb unb flaute 
in bie tofeuben Sßeden unb hinab in baS bamalS noch ein* 
fame unb menfchenleere <5täbtcr)en. 5He ftranfheit be3 
SöaterS machte mir in biefen ©tunben roenig Kummer. 

ift bieS eine (Srfcheinung, bie man oft im £ebeu 
beobachten fann, baß junge £eute, namentlich Dom mann* 
liehen ©efd)led)te, ftd) in ihrer ©eelenftimmung roenig beeitu 
fluffen laffen oon bcit Seiben ber gamilie. $ch ^alte bieS 
gar oft für eine befonbere ®uabe, bie bem jugenblichen 
3Wenfchenher§en oerlichen ift. 2öa3 mürbe au§ manchem 
•öteufchenfinbe werben, roenn früher Kummer unb <3ram 
feine Sebcn§freubig(eit abtöbten mürben! $)er liebe ©ott 
roeiß, baß e3 fpäter noch (Gelegenheit genug gibt, bem 
armen Sterblichen gu geigen, baß er im „%t)aU ber jäh- 
ren" roohne, unb Im* beßhalb bafür geforgt, baß ba§ 
#era ber Qugenb fo ftarf ift roie ihr 5Jtagen, ber ohne 
SBcfchrocrben aKe§ oerbaut. 

s Jiod) erinnere tdj mich, baß ber &ater unb id) im 



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— 92 — 

Auftrag bcr ©roßmutter eine SBafe in Sriberg befugten. 
6ie war eine SSerroanbte meines mütterlichen ©roßoaterS. 
$>iefe Sttulmie, eine fromme unb oermögltdjc Qunflfrau^ 
bie ifjre meiften Sage in bcr SBadfaljrtöfirdje $ubrad)te, 
fragte inid) gleid), ob id) „©eiftlidjet" werben wolle, in 
welkem ftaüe fte mir in iljrem Seftament ein „Sfoimfyaf* 
te§" ausfegen mürbe. Qfd) tonnte unb wollte ilpc biefeS 
üßerfpredjen aber ntd)t geben, worin mid) mein 93ater, 
{ebenfalls ber SSernünftigfte ber ^ansjafobfe^en ^amilie 
feit fmnbert Safjren, beftärfte. $6) fonnte frof) fein, baß 
Butter «nb Großmutter nicr)t babei waren; benn ein* 
mal erwarteten beibe mit 3uoer|td)t, baß auS mir ein 
Pfarrer werbe, unb bann oerlieren SBeibSleute, wenn fie 
oom (£rbcn fjören, in ber Flegel ben SBerftanb unb ©er* 
fpredjen Sob unb Teufel, ©o fam id) um baS erfte unb 
letzte „ große" ©rbe meinet SebenS. 

$orf) ließ mid) bie Sriberger Öafe nid)t ganj leer 
ausgeben, gmet ^aljre fpäter, $u einer ^eit, ba id& bem 
dtambrinuS ad* meine £abe jutn Dpfer bradjte, fanbte 
mir ein SftotariuS fünfzig (Bulben als SBermädjtniß ber 
inbeffen oerftorbenen Jungfrau. (£S war bie SBebingung 
baran getnüpft, „wenn id) je s $riefter werben foUte, für 
ifjr ©cclcnrjctl gu beten". 

3$ weiß nid)t, wem unb wofyin fte fonft i^r (Mb 
„oermadjt* fjat, aber baS weiß td), baß feiner i^rer ©rben 
fo feiig war wie id), als mir bie fünfzig Bulben in mein 
bünneS £nceiflen*93cuteld)en flogen wie einem hungrigen 
bie gebratenen Sauben beS <5d)laraffenlanbcS in ben leeren 
klagen. 5lber id) backte bamalS lebiglid) ans Srtnfen 
unb nidjt anS SBeten. ©päter jeboct) backte td) baran, unb 
bis fjeute erfülle id) gar oft ben SBunfd) ber frommen 
GottcSbraut oon Sribcrg, bie mir {ebenfalls Saufcube 



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— 93 — 

oermadjt f>ätte, roenn ftc beftimint genmfjt, ba& beretnft 
ein armfeliger Sanbpfarrer unb ein nod) armfeligerer 
SdjriftfteHer au£ bem 3Ba0faf)tt§fnaben Ijeroorgefyen 
mürbe. — 

(ginige Sage, elje bie gerien abgelaufen, verlief* idj 
bie £cimatl); benn beoor bie Gdjule begann, l)atte id) 
nidit nur mein 9tod)eramen gu befteljen, fonbem aud) 
nod) ein neue§ Quartier gu fudjen. 3Rciftcr Shraun, ber 
meine ©rünbe roofjl einfaf), roar mir gar nid)t böfe, al§ 
id) ifmt mein ©Reiben eröffnete, unb bie 2Beibeleute im 
§aufe Ijerglid) frol), mid) loSgubefommen. 

3$ fanb alSbalb eine neue SBofjnung unb iBerföfii* 
gung in ber im nädjften Kapitel näf)er gu befdjretbenben 
„Stubentenfafeme". 9tud) mit bem Gramen ging e§ gut. 
^ßrofeffor SKaud) nafnn mir baSfelbe auf feinem Limmer 
ab. <£r roofmte, bamal§ nod) ^unggefeUc, im $>aufe 
ber SBittroe ©a& neben ber ^ßoft. 3)lilbc fdjienen bie 
©trafen beS legten ©eptembertage§ anno 1855 in be§ 
Sorannen ©emad), als id) baSfelbe betrat. Unb mübe, 
rool)l weit ber $)ireftor mit i^m gefprodjen, roar aud) 
()eute einmal fein peinern' $erg; er machte e£ gnäbig 
unb erflörte nad) einer ©tunbe mid) al§ promooirt nad) 
Unterquinta. 

SBenn eine arme (Seele au8 £)ante£ „Segfeuer" für 
immer in ben ©immel oerfefct roirb, fann fie umnög* 
lid) glücflidjer fein als id), ba id) ba§ £au§ obiger 
SBittroe oerließ mit bem SBeroufjtfein, für meine gange 
folgenbe ©tubiengeit befreit gu fein oon bem SBütfyeridj 
ber Dberquarta, beffen „SuranmS" gottlob über biefe 
klaffe nidjt IjinauSgmg. — 

Qfye roir aber bie Quarta oerlaffen unb in Quinta 
unb bie ftafeme eingießen, muß id) 2lbfd)icb nehmen oon 



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— 94 — 

^teiltet 33raun unb feiner grau, meinen Pflegeeltern in 
ben trübften Sagen meiner ©nmnaPaljett 

Der <5c$uf)mac$ermeifter SBraun jäfylte unter jene nidjt 
feltenen $aSladjer, meldte ifjren SBeruf oerfeljlt Ijaben, b. Ij. 
3U etroaS SBefferem geboren geroefen wären. <£r fjatte un= 
cnblicf» metjr SBcrftanb, als jum 93eruf eines ©dmf)mad)erS 
gehört, unb ber erfte S3ticC auf ifm beroieS bieS fjhtläng* 
lia). Söenn er in ©ala auftrat, mit ©tegtjofen unb <£ulin* 
ber, fjatte er ben £upuS beS reinften Diplomaten aus 
älterer 3eit: blaue klugen, fdjöne, gebogene s Jtafe, glatte?, 
wohlgenährtes ©eftd)t, jurücfgeftufcten, ädjt biplomatifdjcn 
gflunbbart unb bie £aare a la SituS frtftrt. Sin «Übung 
unb SBelefenljeit ragte er roett über feinen ©tanb Inn* 
au§ unb ging etwa parallel mit meinem Qugenbnac^bar, 
bem ©trumpfftriefer. Qn einem ©laSfaften feines fleinen 
©djutylabenS prangte baS SBrocff) a uS'fd)e $onoerfationS* 
lerjton, beffen Seftüre er in freien ©tunben emfig oblag. 
3US äd)ter £aSlad)er mar er religiös unb politifd) auf* 
gedärt Dodj ^atte er in ber SKeoolution SBerftanb genug, 
ben ^onferoatioen beizutreten, ©in äujjerft forgfamer 
ffamilienoater unb tfyätiger ©efdjäftSmann, baju eine 
beitere #aSladjernatur, oerbiente er oollauf baS ^ßräbifat 
eines braoen 9JtanneS unb liebenSroürbigen SJtenfdjcn. 
©ein Slnbenfen fte^t bei mir in oollen (£l}ren. 

SBir fafjen uns, nad)bem ia) fein £auS oerlaffen, 
nur noa) an Donnerstagen, roenn er an ber oberen ßirdj* 
etfe feine Söaare feilhielt unb td) auf bem SÖo^enmarft 
umfjerbummelte. 60 oft mir unS aber erblicften, hatte 
er ftetS freunblidje Sßorte für feinen 3Jtit*$>aSlad)er. 

3um legten Sflale traf id) ilm am 1. ^uni beS 
QahreS 1870, nad^bem id) ben ganzen 3Jlai auf ber 
Jeftung Staftatt als Staatsgefangener gefeffen mar. 3$ 



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— 95 — 

roollte bic ©tabt nid)t r-erlaffen, of)ne meinen erften 
„^ilifter" unb SanbSmann befugt &u tyaben. 9US ge* 
brodjener ©reis fafj et auf einem ftanapee im Saben; 
Fjeßauf leuchtete fein ©eftd)t, als bie gro&e, fdjroarje ©e* 
ftalt ftd) tjpn p erfennen gab. ©eitbem idj als luftiger 
Stubio [ftaftatt fieberooljl gefagt^ Ratten mir uns nitf)t 
mefjr gefeljen. ©r raunberte fta), wie er mir fofort er* 
ääfjlte, bajj au§ mir ein ©etftlitf)er geworben, rounberte 
fiti) aber mdjt, bafj tri) eS bereits auf bie ^eftung ge* 
bradjt. „Stenn", meinte er, „@te fyaben aUejeit ein böfeS 
SJiaul gehabt/ „2lber*, fügte er funju, „baS ift mir un* 
begreiflich, roie ein #aSlad)er ultramontan werben fann!" 
Reitern 9Jlutf)eS lieg tc§ mir all baS fagen unb ging, 
betrübt über ben na^enben £ob beS brauen SftanneS, r-on 
bannen. SBalb barauf ift Sfteifter Söraun in bie ©rotg* 
feit gegangen. 

©eine $xau fyat oor ttmt baS geitlicfye Qefegnet. <5ie 
mar eine äa)te unb redete ©c$ulmtad)erSfrau geroefen, ba* 
bei eine gute SJlutter unb 2Birt!)fd)afterin, fjatte tro$ 
tfjrer ^orpulenj eine feljr beroegltdje 3 un 9 e / f ic oen 
Sßeibem im unb am SRaftatter „Störfl" nie fefjlt, unb 
fdmupfte neben rühriger Arbeit fleißig auS i^rer $)ofe. 
3ftre SRufjeftunben nerbradjte fte auf bem obengenannten 
ftanapee, roo fte, in ber einen #anb baS „(Sdmupfturi)", 
in ber anbem bie $ofe, in fttttem ^rieben baS ©äfjdjen 
f)inauffdjaute, roeldjeS ben SRof)rerfteg mit ber $auptftraf$e 
tjerbinbet. 9JUr l)at jk meljr benn einmal propfjejeit: 
„$etnr, auS $)ir roärbt meiner fiäbtag nir.!" Unb fte 
ftattc redjt. — 



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91m 9lbenb bei 1. Dftober 1855 madjten bic (sdjufter* 
gef eilen unb bic Sefjrbuben am Sftofyrerfteg früher Scterabcnb, 
um mir ben legten £tebelbtenfi ju erroeifen. ©ie tranl* 
portirten meinen nujibaumenen Koffer unb mein ftlatrier 
tjinab &u ben „rotten Käufern 4 ' in bie „@tubentcn*ftafeme", 
womit mein Umjug ba^in t>oü>gen mar. S)en -Warnen 
bcr©tubenten*#afcrne trug bal £aul bei -äRe^gerl 2Balter 
am ©eroerblplatj, roeil in ttnn ftetl eine größere 3lnja^l 
Don Spcciftcn ifyr Quartier unb tljre &oft fjatte. 

Wiefel $aul mar jur geit, a ^ ^ * n balfelbe ein* 
trat, ein wahrer 9ttifrofolmul im SJlafrirfolmul, eine 2Belt 
im f leinen, unb oerbient el, feiner Originalität wegen ein* 
mal fcfyriftftetterifd) betyanbelt gu roerben. ©I lag an ber 
©renje bei „$alabrtd)", jene! berüchtigten ©tabhriertell, 
bal einft italienifdje Arbeiter für fid) errichteten, all fte, 
meift flalabrefen, r-on 1692— 1712 für £ubn>ig oon SBaben, 
ben %M enbefteger, bal ^errlic^e SRaftatter (Schloß erbauten. 

s 3ln ber SBorberfront bei SBalterfcfcen $aufel liegt 
ber ©eroerblplatj, meiner fttit ein lucus a non lucendo ; 
benn bie einzigen ©eroerblleute roareu in jenen Sagen 
ber 93üd)erjube „Sdjafef", ferner ein ^Bierbrauer ofme 
eigenel Söier unb ber Sttefcger SBalter, ber nie mef)r 
Jlcifc^ hatte, all er für feine (Stubenten brauchte. 



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97 



£>ic SRücffeite unfcter ftafeme befinden bcr lang* 
roeilige 3fturgbamm unb beffen ftaft amenbäume, biefem 
glügel lag meine SBube, beten Sfreujftöcfc (o nieber roaren, 
bafj td) burch jle bequem mit einem (Schritt meiner langen 
Seine oon ber Stturgftrafje au3 im Limmer fhmb. 5)urch 
ben ©ofroeg von meiner Cammer, bie noch einen # 2lltooen* 
unb gefonberten (Eingang hatte, getrennt befanb fich eine 
gang gleite SBohnung, bamalS von bem luftigen Unter* 
fqctaner 5lmbro3 9JlüUer au$ Untergrombach, mtlgo Summ* 
ler, fpäter Pfarrer in ©rafenhaufen auf bem Schmarl 
roalb, eingenommen. 

3m Innern beS ©ofeS, ber nach alter SRbmerart 
auc^ mohnlich oerbaut mar, erfchien abermals rechte unb 
liufö je eine ßlaufe für „(Stubenten". $)ie eine bcher* 
bergte einen flehten (Sefunbaner, ben ich cilSbalb als 
„&uch§* benufcte, um mir SBter unb Zigarren au holen, 
©r mar ber @ot)n eines £ehrer3 Steinhart auS 9flörfch 
unb ftarb fchon oor 3 a 0* en a ^ Pfarrer. 

Qn ber anbern aber lebten bie jroei $)io§! uten &arl 
unb äBilhelm Suntofer, 6öfme eine§ $Regierung3*iRegtftra» 
tor§ in Karlsruhe, bie einzigen ©erechten unter ben ftuben* 
tifchen ^Bewohnern ber »afeme. %a fte meine SRitfehüler 
in ber gleichen klaffe waren unb mir vielfach meinen 
SeMhtfhm erleichterten, roerbe ich noch nähern auf 
fle ju fpredjen fomtnen. 

©egen ben ©emerbSplafc tyn, auf ber Söorberfcite be3 
£aufe§, häuften eine fcreppe h<><h bie ä«w Unterfejtaner 
9Pfoff unb SBeinbl, ber ledere auch »er „fchdne 30&ilhelm" 
geheimen, unb ber Oberfejtaner ©utgefeU 1 ). ®iefe brei 



l ) ^Sfaff ifk $eute ein alter $oftfefretär, SBeinbl längft tobt 
unb ©utgefett Pfarrer in SUebetfdjopföeim bei Dffenburg. 
$atifljalob, SUibienjeU. 7 



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- 98 - 

bilbctcn in ihrem ganzen Auftreten, wenn mir in ber 
fernenfprache reben motten, bie Sßobelgarbe, Rummler nnb 
id) vertraten bie ^leid^te ftaoallerie*, bic beiben 93unfofer 
gelten ft&nbig „^immertour", unb ber ©efunbaner fpielte 
ben flcinen SJtartetenber. 

3m untem ©toef oorberer 3=ront hatte bic ftanulie 
SBBaltcr ihren ©tfc. 3h* £aupt, ber SReijger Söalter, mar 
ein an ©djmermuth leibenber Wann, ber nid)t jehn SOSortc 
in ber 2Bod)e fprach unb ftumtn unb ftifl, bie ©a'nbe auf 
bem SRüdfen, ben $ag über im $of auf* unb abging. $)ie 
Jyrau, eine ächte, rührige SRaftattertn, tatete bie ganje 
SBirtMc^aft; als Gehilfen unb ©ehilfinnen fiunben über* 
genug ©ölme unb Töchter ihr jur ©eite; benn bie Qaty 
ber ßtnber mar fehr grofj, »on jebem 3Uter unb ©efcfjlecht. 

9lm beften ftnb mir bie nier ermachfenen Töchter nodt) 
in ber ©rinnerung, oon benen bie ameitältejte, „baS iRcfcle^, 
bie t>on ben „falonfähigen" ©tubenten bie gefeiertfte mar. 
©alonfähig maren aber nur jene, roeldje ihr 3ttittageffen 
in bem SlrbeitSaimmer ber jungen „Sternen* einnahmen, 
unb baju gälten nur bie brei Sftobelgarbiften unb bie &roei 
leisten Leiter. 2Bir fünf neigten uns nor bem S^erefele, 
mie bie ©arben ber ©öhne QafobS oor ber beS $ofef, unb 
unter allen ältern ßneeiften warb ihre ©dhönheit geprtefen. 
©te mar eine nolle, junonifche ©eftalt, „fchmarftäugig unb 
fchJoarjlocfig", mit fc^madf)tenbem, füblichem ©eflchtStapuS. 

©in Unterfertoner, SBiefer au« SBruchh^ufen, ber bie 
©tubien am Suceum oerlaffen unb nadt) Karlsruhe auf bie 
$unftfd)ule gebogen mar, fam mährenb meines einjährigen 
Aufenthaltes in bie flaferue, um baS Ulefele gu porträ* 
tiren. ©S faf$ im ^immer Rummlers , unb gar oft h<*b' 
ich babei jugefdhaut unb Original unb ^orträt Der* 
glichen. 



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— 99 — 

3$ toax jwar ber tängfle, aber bet jüngfte unb bet 
ftlaffe nad) bct unterfte oon bcn „Salonfähigen" unb mußte 
befftalb in bet Galanterie beut „fd)öncn Söilfjelm* unb 
bem fügen SlnbreaS tpfaff ben Vorrang Iaffen. 2lber an 
©onntag Slbenben, wo bie „fneipfäljtgen" ©erjaner in8 
SBicrljauS gingen , war id) allein ber *$alm im Slorb* 
unb faß bann unter ben ÜRqmpljen ber ßafewe unb Der* 
übte allerlei gefdjetbte SRebenSatten, wie fie bei berartigen 
Gelegenheiten feit 3ttenfd)engcbenfen üblich ftnb. 

$a§ SRefele heiratete, wähtenb id) noch am Styceum 
war, einen jungen ÜRotattuS, würbe aber früh SBittwe. Qch 
fah fte oon meinem Abgang von SRaftatt an nie mehr bi§ 
*um Qahre 1878, wo id) fte ©on Karlsruhe au§ ejtra auf* 
fuc^te in ihrer SQaterftabt. 9lber, o weh! ÜRie f)ätte ich 
geglaubt, baß bie &tit fo mit ber weiblichen ©chönheit 
umgehen fönnte! 5lu§ bem blühenben IHefele war eine 
weife, runjelige Patrone geworben, ebenfo ^äglic^ als 
früher fc^ön, bie lebhaftere Sßrebigt oon ber SBergänglid)* 
feit alles irbifdjen %lox$. 3 n tiefer ©legte fagte id) ihr 
Sebewofyl unb ging oon bannen / nachbenfenb, wie be3 
9Kenfchen £errlid)feit, 

oom äeiienfirom geboren, 
2113 nid)t'ged fcrümmerroerf im «Seitftrom ge$i oerloren. — 

3)a§ SBolt fagt: „©aturnuS fei ber SBeiber Jetnb", 
unb in ber $l)at, ber geitengott häuft fehreeflich mit bcn 
grauenbilbern! — 

9fod) jweier bienenber ©eifter in ber ftafeme muß 
ich erwetfmeu. 3)er eine war 2Uoi§, ber Shted)t unb mein 
greunb, ber anbere bie alte „2ina", ber ©tubenten Cammer* 
jungfer. ftned)t 9llot3 hatte fein £ogi§ unter ber ©tiege, 
welche com §of in ben erften ©toef be3 SBorberhaufeS 

7* 



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— 100 — 

• 

führte; cg mar fdum mefjr £öf)tc al§ SBolmung. 2lbenb§ 
faß et nun barin unb machte bei trübem Rampen« 
fd)immer £ol$fd)uf)c, mäljrcnb id) üjm infolge meines 
angeerbten proletarifd&en $uge3 fi a * oft ©efeUfd)aft 
leiftete. 

@in gaun innen unb äugen, gebürtig auS ©ifentyal 
bei SBüljl, mußte 3Reifter 9lloi3, bem id) t>on ben Stuben* 
ten allein 3lufmerffamfeit ermie§, ftet§ etma§ duftiges gu . 
erjagten. 23alb machte er Satiren auf bie SRaftatter ober 
bie SJtttbetoofjner beg |)aufe§, balb erjäf)lte er „fd)öne 
©efdjidjten* aug feiner $eimatl), beibeS $)tnge, bie mid> 
fnmpatyifd) berührten. ©r mar ein Ijäßüdjer, fdjmufctger 
$erl, aber feine Weitere Seele ^og mid) an unb bie 3 Us 
frieben^eit biefeS $öl)lenbcroolmer8 mit feinem Stanbe unb 
feinem Stofein. 

Sein metbltdjeS *ßenbant, bie 8ma, überragte tyn nod) 
an Wrperlidjen Mängeln gan& bebeutenb. ©ine flehte, 
!obolbartige ©rfdjeinung, brachte fte e$ aud) beim ft&rtften 
SBerfudj jum fünften Säbeln nie weiter als &u einem 
roalbmenfd)lid)en ©rinfen. $od) wie gar oft im geben 
eine fd)öne Seele in einen müften ßfifig eingefperrt tft, fo 
aud) bei biefetn alten SBefen. Sie mar bie ©utmütf)ig!eit 
felbft unb unermübltd) in gebulbigem SBebienen iljrer 9fttt* 
menfdjen. %a fle mußte, baß td) am SJlorgen gerne mög- 
li$ft lange im SBette liegen blieb, brachte fle mir reget* 
mäßig mein ffrü^ftücf an ba8 Sager unb fpradj mir immer 
mit ben gleiten SBorten ju, bod) ja red)t oiel ju fdjlafen, 
ba td) fo ftarf im 3öad)fen fei. Sie fei bef^alb fo Hein 
geblieben, meil fte oon frü^efter Qugenb an ju balb fjabe 
auffielen unb arbeiten müffen. Qd) mar bamalS fdjon 
boS^aft genug, mit ber Gilten meinen Spaß $u treiben, 
mofür fte mir babur<$ banfte, baß fte mid& „am liebften" 



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— 101 — 

Ijatte, rocil ftc in ber ©infalt ifaeS ©erjenä am, roa§ id) 
mit tfrc rebete, für baarc 2ttünje annahm. — 

So fat) e§ in ber Stubentenfaferne au§ im $af>re 
1855 — 56, in roeldjem Qfaljre id) iljr SBeroofyner war unb 
roo mein eigentlicher Setdjtfmn feinen Anfang nalnn. 3)od) 
führen mir ben Unterquintaner erft audj in feine Älaffe 
ein, elje mir feiner fonftigen gelungen un§ erinnern. 

$)a§ ©c^uljimmer ber Unterquinta mar eine§ ber arm* 
feligften im ganzen finceum. ftlein unb bunfel, rourbe e§ 
im ©ommer nodj wrbüftert burdj ba§ £aubroert fce$ 
fonnenlofen £nceum§garten§, melier nidjt blojj ber 33o* 
tanif biente, fonbern aud) ben grauen ber ^rofefforen 
iljren ftoltf gropsog. 

ftlaffenle^rer f>errfd)te mit mtlbem Scepter ber 
Sßrofeffor ©ol^err, ein richtiger Sdjroabe au§ SKottenburg 
am s Jtecfar. Sleufjerlid) ba§ SBollbilb eine§ gefunben SBürt* 
temberger§, rote mein Kaplan, befam er meine Snmpatljie 
fcfym um be§ lefctern rotUen. S)er fonft gute §err litt 
gar oft an ^npodjjonbrifc^er &iune, in welcher er bie ®e* 
rao^n^eit hatte, roieberfjolt ein fdjnaubenbeS ©eräufd) aus 
ber SRafe oernefnnen $u laffen, roa3 uns aber ef)er jutn 
ßadjen al§ gur ftuxtyt ftimmte. SBar er aber gut auf* 
gelegt, fo glänjte feine SJhene oon altfd)roäbifd)er bieberer 
Jreunbli^feit. ©in ©djulmeifter im beften (Sinn be3 
Portes, leiftete er in feinem 9lmte ©rünblid)e§. ©S rourbe 
bei ifnn roeber ©paf$ nod) audf) mel ©eift oerfdjroenbet, 
obroo^l e§ ifnn an Unterem ntdjt fehlte, aber bie $enfa 
rourben „burchgefuhrroerft" , roie e§ billig unb recfyt ift. 
2)er ©djulfacf rourbe in guter roürttembergifdjer 9lrt ge- 
füllt, nid)t mit ©legan& unb Älafftaität, aber mit rooljl* 
gebaefenem fd>roäbtfd)em ©auSbrob. ^ol^err roar fein 
Maffiföer ^^ilologe roie ber $ireftor ©djraut, aber noll* 



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— 102 — 

auf ba§, wa3 man einen guten Sekret nennt, ber fein 
„£anbroert" uerfteljt. 

(£§ muß fdjon ein befonberer ©IücfSftem über einem 
Sekret an einer (Stubienanftalt Ijerrfcljen, wenn er nidf)t 
t)on feinen 6d}ülem einen „©pitjnamen" erhalten foH. 3>a 
<ßrof effor £ol$err nid^t unter einem folgen geilen geboren 
war, trug er unter un§ nur ben £ttel „ber ©c&mob*, unb 
feine tanbSmanmföe £au3f)älterin furjlrte als „<5d&roob3 
9ftarte\ TOer fo feljr unS ber #err *ßrofeffor aud& in 
ber ftlaffe ünponirte, bie Sparte imponirte un§ bod^ nod) 
weit meljr. (5ie mar oon 9lbel unb eine majeftatifdje &x 
fdf)einung, Ijatte golbeneS $aar, wie bie Sorelet, unb trug 
baSfelbe in frönen Socfen. 9tttt Vergnügen liegen mir un§ 
pm „*Ratf)ejeräiren", ober roenn ber *ßrofeffor unwohl 
mar, in feine SBo^nung in ber ©djloßftraße citiren; benn 
ba fonnten mir elprfurdjtSooU bie ©olblocfige fefjen unb 
grüßen. 

^ßrofeffor ©ol^err gab un§ Satein unb 3)cutfdf>, baS 
©rtedfciföe ber $)ireftor, 9flatf)emattt ^rofeffor (Sifinger, 
^ranaöfifd) mein alter ftlaffenleljrer aus Unterquarta, <ßro* 
feffor £>on8bad), ber feine Siebe ju mir audf) Ijier bewährte. 

befam im fjranjöfifdjen bie SWote „nod) jiemlid^ gut". 
$u feiner (Smtfdjulbigung muß id) beifügen, baß td> in 
Unterquinta anfing, was id) bt3 Dberfe^ta fortfe^te, ben 
gedten^aften 9Rann fomifd) $u beljanbeln. @r bemerkte 
bieS bisweilen unb mürbe bann teufelSwilb. 

(£r trieb gerne Slllotria, aber nur, wenn er (belegen« 
fyeit befam, ftd^ felbft $u oer^errlid^en. Qdf) wax cid^eit 
ein Jreunb baoon, wenn bie Sekret nidjt immer bei ber 
©adje blieben, fonbern &wtfcf)enf)metn aud) etwa§ anbereS 
jum beften gaben, unb Ijabe fp&ter, felbft „lateinifdjer 
©djulmetfter" geworben, audf) barnad) gefjanbelt. 



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— 103 — 

3tt(m verübelt e8 Dielen ot abemifö gebübeten fiebern, 
wenn fie „Motria" treiben; allein i$ nelnne bie ©erren, 
weld)e bic« mit SBerftanb t&un, alle in ©d&ufc. .JJa tdf) 
möchte baS „Slllotriatreiben* als eine 2lrt päbagogtfdjer 
Siegel InnfteUen. SBenn bei troefenen Se&rgegenftcinben 
wie fd. ©rammatif, ber £el)rer )»tföen$utem etroaS 
UnterljaltenbeS bringt, fo wirb er baburd) bie Slufmertfam* 
feit für gortfefcung beS eigentlichen Steinas nen beleben. 
©S f ann baS jeber ftanjelrebner begeugen, namentlich, wenn 
er ju ben Sangmeüigen gehört. SBenn bie Qnf)bxzx nod) 
fo fdjläfrig breinfdjauen, fo werben fle fofort munter, fo* 
balb ber ^rebiger ein „©efduc^en" ersäht, unb, burd) 
biefeS &u geben gefommen, paffen fle roieber beffer auf. 
SleljnUd) <5d)üler in ber ©d)ule. 

9Hfo $rof effor $>on§badj fdjroetfte iöäfyrenb beS Unter* 
ridjtS gerne com £fjema ab, unb wenn btefelben aud) ftetS 
feine ^ierjon jum (degenftanb Ratten, fo erweiterte uns babei 
bo^ feine lächerliche ©itelfeit $)ie SBeranlaffung baju gab 
metftenS idt). Sßßenn er, um ein SBeiftnel ju er^len, in 
bie klaffe tarn unb ftch in feinem eleganten Slnjug 1 ) oor 
un§ InnfteHte, flaute ich i^n feft an, bis er fragte, warum 
ich ihn heute toieber fo ernftlid) betraute, „$err Sßrofeffor", 
antwortete ber lange £a§tad)er, „6ie haben heute eine fo 
fchöne Sößefte an/ ^efet lächelte ber 2llte felbftgefälltg 
an fid) hinunter unb erjählte bie ©efchichte bei angeru* 
f enen ßleibungSftücf eS oom Kaufmann an burch ben (Sc^neU 
ber fammt knöpfen unb JJaben fnnburch bis ju feinem 
p^ilologif^en Seib, bem „eben gut fchöne Kleiber machen 

*) mufj id) bem alten $rofeffor SonS&aa) noä) au gut 
galten, bafc er immer fd)ön gefteibet etfa)ien. ©onft fomt man 6i3 
aur 6tunbe gar mele lateinifd)e ©d&ulmeifter fe$en, beren einaige 
$f)i(ofopr)ie unb 3Be(tt»eraa)tung in feigen Äleibern befielt. 



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— 104 — 

feien, weil er barnad) gebaut fei". (Sin anber SJtol tarnen 
bann bie £ofen an bie SRetye ober ber fftod. 

S)te ftärffte Seiftung be§ *ßrofeffor£ 3)on$bad> aber, 
ma§ ©itetteit betrifft, mar jene 3* a 8 e / bie er einmal in 
jenen Sagen meiner SRaftatter $eit in 2toben**8aben an bie 
9Jtenfd)f)eit richtete, als timt bort feine 3*au verloren ging. 

©in franjöfif d>e3 ©pridjroort fagt bef anntlid): „Madame 
vaut monsieur et monsieur vaut madame." ©o fefyr 

bie§ oft jutrifft, bei ber 3*au ^Srofeffor 3)on3bad) roar 
ba§ rödjt ber JJafl. Sie tonnte al§ ein SRufter oon 5Be= 
fdjeibentyeit unb ©mfacr)r)ctt gelten unb pafcte il)rem 
Sttonfteur nrie ein &mbl)ülmd)en &u einem Papagei. 9lud> 
in i^rem Sleufjem mar flc ^öct)fl unfctyeinbar unb fäieltc 
nidjt unbebeutenb au§ tljrem alten 9lngeftd)t ©tneS frönen 
©ommertageS nun tyatte ber Sßrofeffor feine (Styefjälfte in 
bie SBdberftabt geführt, unb burd) Qitfati. verloren fidj beibe. 
s ^erjroeiflungSoott rannte nun ber unglücflidje ^ßfyilologe 
burd) aUe ©tragen ber „9lurelia*2lquenft$" unb fdjrte bie 
9Jlenf d)en an: „§abm ©ie nidjt eine fööne, junge ftrau 
gefetyen?" Qum ©Ifirf trafen ftd) bie (Setrennten oon felbft 
toieber, benn unter „biefem Qtüfytn* ffittt fein ©terblidjer 
bem ^ßrofeffor feine ^rau ermitteln fönnen. 

(Sine aettgemäfje ©tgenfd&aft, meldje bi3 oor $atyc unb 
Sag jeben beutfdjen 9flann auf bie #öf>e ber Silbung unb 
Kultur fteHte, l&atte ^rofeffor S)on3bad> in Ijoljem ®rabe; 
er mar roüfyenb liberal unb pfaffenfrefferifd). 9lnno 1870, 
ba tcf> als ultramontaner ©taatöoerbrecfjer auf ber ^eftung 
fajj unb eines SageS mit meinem ©efangenroftrter jum 
Hartöruljer 2%or ^inauSroanberte jum gewohnten ©parier* 
gang, begegnete mir ber alte StonSbadfj mit feiner JJrau. 
8$ grüßte ilm freunblid^. 3Ber aber meinen ©ruf* nid&t 
emnberte unb nur tief oeräd)tltd> midj anfdjaute, mar er. 



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— 105 — 

infolge biefeS Vorfalls sog td) <£rfunbtgung ein unb 
erfuhr, baß ber SWann lieber ben Teufel fef)e als einen 
Ultramontanen unb QnfaCtibiliften. 

9lber Sftefpeft muß td) bodj oor ifyxi fyabeiu Solange 
id) fein Stüter war, Ijatte td) nidjt eine blaffe 3lfjnung 
baoon, bajj Sßrofeffor S)onSbad) ober irgenb ein anberer 
Sehtet ber Slnftalt tird>enfetnbUd) unb liberal fei, trofcbem 
ber ftampf bei unS in ben fünfziger ^aljren fdjon ange* 
gangen war. Slber ba£ war bamalS ber große Segen an 
ben Schulen beS fianbeS, baß bie Sekret unb ^ßrofefforen 
tyre religiöfen unb politifdjen 3tnfiä)ten für fid) behielten 
unb in ber Schule nichts baoon auSframten. Später unb 
bis in bie neuefte Qzxt meinte jeber feuchte Unterleder an 
ber 23olf3fd)ule unb jeber burfdjtfofe £efjramtSpraftifant 
am ©gmuaftum, er tonne md)t$ ©efcfjeibtereS tfjun als nor 
feinen Schülern in Äulturfantpf ober in Unglauben machen. 
Unb biefem Umftanb ift unenblid) mel oon ber Korruption 
unferer Sugenb gugufc^reiben, über bie man jefct fo aUge* 
mein tlagt £)aS Süttferabeljte baran aber ift bog eS eine 
>Jcit gab, in welcher £efjrer burd) berlei 3)inge ftd) em* 
Pfeilen &u fännen glaubten. 

3$ bin feft überzeugt, baß ein großer Sljeil ber Srfjulb 
an bem nifjtliftiföen treiben ber ruf jtf djen unb rumänifdjen 
Stubenten auf ifce Seljrer unb (Sr^ie^er fömmt. äBenn, 
wie eS in jenen £änbern ber 3?aU ift, ftinber eines un* 
gebilbeten, religiöfen SRolfeS ifyre $Klbung bei religtonS* 
lofen Settern im 9luSlanbe fjolen, fo bürf en <£rfd)einungen, 
roie ber üftilnliSmuS, uns gar nidjt rounbera. 

3$ mürbe, wenn id) 3Jleifter märe, jeben Selker, ber 
iHeligionSfpott oor feinen Schülern treibt, an ber Sljüre 
beS SdjutyaufeS aufhängen laffen. — 

2llfo immerhin nod) tftefpeft oor bem ^rofeffor %on& 



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- 106 - 

6ach, wenn er mir auch, bie etnjtge freunbliche ^Begegnung 
in Karlsruhe, oon ber ich oben fprad), ausgenommen, im 
Seben nie recht ^olb mar ! @r gab in ben fiebriger fahren 
feinen ©eift in £etbel&erg auf unb ruhe im ^rieben ! — 

fRod) eines fiehrerS ber Unterquinta muß ich (Sr* 
roähnung tfntn, beS „getftltchen SehrerS" 9tter$, ber 1883 als 
$>treftor beS SehrerfeminarS 9KeerSburg geftorben ift. <£r 
mar bamalS ein junger 9ttann, eifrig unb geroiffenhaft, aber 
langweilig in feinem Unterricht. $)ie „beutfehe ©efchichte" 
biftirte er uns, unb nach biefen troctenen Mittaten mußten 
mir fie auSmenbig lernen. @o fefjr mich „©efdjtdjte* ftetS 
anjog, fo miberroärtig fam mir eine mühfam in bie JJeber 
biftirte Historia oor, unb beßhalb ftobirte ich baS aKanu* 
ffript feljr mangelhaft, ftum Unglücf hatte biefer troefene 
93erftanbeSmenfd) aud) noch bie ^e^xftifc^e Sprache, biefe 
Butter ber Sangmeile für einen beutfehen ©tubio, unb fo 
gefdiah eS, baß 9tterj unb ich auch iw*W auf bem betten 
JJuße ftunben. OefterS mürbe ich auf fein ^immer fom* 
manbirt — er mohnte im Snceum beim 3)frettor — unb 
mußte ba aus feinem ©efdjtchtShefte nacherzählen. 

SHe S)ienerm biefeS 4>erro fomie beS S)ireftorS mar 
„Schills $öchterlein", mie ber einzige Sprößling unfereS 
Rebellen oon ben Spceiften genannt marb. Sei ihr unb 
ihrer 9Hutter, meld)' lefctere in ben freien sehn 9Rinuten 
beS Borgens Äreujerroecfe an bie ftobirenbe Qugenb oer* 
faufte, galt ich ro&hrenb meines ganzen IRaftatter 9luf* 
enthalteS ein großes ©tücf. 

3)ie 9llte pflegte mir oft &u fagen, ich fei ber luftigfte 
von allen Sucetften unb h&tte bie längften unb fünften 
fdjroarjen £aare. ^eben 3)onnerftag, meint fie oomSBochen* 
marft frifdje Butter geholt, lieferte fle mir um billiges (Mb 
ein <5£tra*3hitterbrob, einen metner bamaligen ßieblinaS* 



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— 107 — 

imbiffe. $a§ „$öchterlem" aber nmfjte mir nicht blojj gu 
melben, rote ihre $roet ©erren gegen mich geftimmt feien, 
fonbem fie aoertirte mich biSroeilen t>on beoorftehenben 
SRa^tag, welche ihr SBater auf bie gegen baS Verbot fnei* 
penben £qceiften &u machen oorhatte, n>a§ mir gar oft 
1)0$ ftatten fam. 

Dft auch, wenn ber alte ©chiH SBinb befommen, 
ba§ ich ba ober bort bei einem unerlaubten Sdjoppen ge* 
feffen fei unb Grafel)! oerf ührt hätte, matten bie sroei tarnen 
für miefc bie Slboofaten, bamit nichts angezeigt mürbe. Unb 
ba, menn e8 gilt, ftürfprache bei 3Jlännern einsulegen, bie 
grauen aUe3 oermögen, fo lieg fta) felbft ber fonft ftet§ 
oon unerbittlicher Pflichterfüllung rebenbe SBrigabier oon 
erbeut in aßen gtfllen &u meinen ©unften erreichen. <Bo 
fam e§, bafj ich nie ben „<£arcer" bewohnt habe, trotfbem 
ich Um beS öftern oerbient hätte. 

^Manchmal, wenn ich burd) ben ©ang ging, ber oom 
ßqceum au§ in bie SBohmmg be§ 3)ireftor3 unb be§ geift* 
liefen Sehers Sflera führte, um beim ledern @ef deichte 
nac^au^olen, bemitleibete mich baS „Söchterlein" oor ber 
Sfjüre unb meinte : „3$ weiß fchon lange, ba& ber ba 
brinnen ©ie nicht mag; aber beim $)treftor gelten ©ie aUe3." 

2lm liebften arbeitete ich aber auch für ben 3>ireftor. 
©eine Sehrftunben toareu unb blieben mir ftetS ein ©enufc. 
$ie geiftige 3lrt feiner «ehanblung be3 Horner unb 3Beno* 
Phon brachte mir in Unterquinta bie erften leuchtenben 
begriffe oon ber (Schönheit ber alten Älaf jtfer bei. $)och 
auch bem $rofcffor$ol$herr mufj ich geweht werben; feinem 
(Cicero unb Virgil roanbte ich, wenn auch ju £>aufe wenig 
ijletfj, fo boch in ber ©chule ooUe 9lufmerffamfeit gu. 
<£icero§ offener ©inn für atte§ (Schöne gog mich machtig ju 
bem eitlen unb gefchioäfcigen Börner hin, unb ich W»ävmte 



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— 108 — 

in jenen Sagen am meiften für ben SHann, beffen einher, 
ilnn fd)abE>after #ef)ler ber mar, baß ilnn jebeS milit&riföe 
Talent abging. 2öäre ©teero nebenbei nod) ©olbat ge* 
wefen, fo würbe bie römifdje unb mit if)r bte2Beltgefcf)id)te 
fefyr waf)rfd)etnlid) einen anbern ©ang genommen fyaben, 
ba bann DctatnuS nie 9luguftu§ geworben märe. 

äßenn idf) f)eute mein Dfteraeugniß tion Uuterquinta 
anfdfjaue, in meinem id) unter jwölf ©djülern al§ ber 
ftetente glänje, fo muß id) midfj t>erwunbem, baß id) in 
ber SJlatfjematif uerfjältnißmäßig eine ber beften 9^oten 
Ijatte. 9Iber idj erinnere mief) genau, baß icf) bei ^rofeffor 
(£iftnger au3 lauter SHefpeft cor ilnn bie matljematifdjenSluf' 
gaben mit meinem f eljr leisten ©ebädjtniß mec^anif ^ erfaßte, 
aber ein redjteS SBerftänbmß bafür nie befaß. 

3Bie fdjmadf) in ben meiften JJcldjem meine Seiftungen 
in jenen Sagen waren, ba mein „Salent", wenn id) fo 
fagen barf, gu gleicher $t\t mit meinem £eid)tfmn ftd) 31t 
geigen anfing, unb roo tdf) mertte, baß ba§ „©tubtten* mir 
täglich leidster mürbe, wenn id) nur beffern SBiHen tyätte, 
foll bie folgenbe Sftotenangabe com 11. Sttära 1856 beroeifen: 
Fortgang: jiemlid^ gut. SReligion§Iebre: gut. Steutfdfje 
©pradje: nod) $i entließ gut. £atetnifd)e: $iemlid) gut. 
@ried)ifd)e: giemltdf) gut bt§ gut. ^ebräifctye: twd> giemlid) 
gut. f^ratisöfifd^c: nodj jiemlid) gut. 9Jlat^ematif : jicmltd) 
gut bis gut. ©efdf)id)te: aiemltdj gut. !ftaturgefd)id)te: gut. 
gleiß: nodj gut. Setragen: gut. ßofation: Unter jroölf 
Gdjülem ber fiebente. 

3)ie gute SRote in ber [Religion erhielt td} t>on bem 
nod) beffern ^ßrofeffor Nicolai, »on bem idf) in ber Ober= 
quinta be§ nähern reben werbe. <£r gab unS ftirdjen* 
gefeilte in 93ud)form, weßfjalb td) btefclbe nid)t ungern 
memorirte. Qn ber 9toturgefd)id)te oerbiente id) rebltd) 



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— 109 — 

ba§ gute *ßr&bifat; benn mein ganje§ Seben ein JJrcuub 
bcr Üftatur, f)abe tdf), fo fdjroer unb unoerftänblid) mir bic 
^tygfif oorfam, ftet§ Mineralogie, .ßoologie uno Sotanit 
mit großer Siebe gelernt unb getrieben. 

9ttit füger 2öe$mutf) gebenf e i$ jener ftiObeglärfenben 
©tunben, in benen td& gan3 allein im DtterSborfer ober 
$ffejljehner SBalb ^ßflanjen fudjte unb beftimmte ober au§ 
ben (leinen 9lltroaffem be§ SftfjeineS pnfdjen jenen üR?al* 
bungcn bie nmnberbar elegifdjen ©eerofen ljerau§ftfd)tc. %\c 
wenigen Momente reiner ^ßoefie, bie mid) in SqceumStagen 
umbufteten, ftnb meift in jenen ©tunben ju jucken. 

$ie einzige unoerbiente S^otc trug idf) im SBetra* 
gen baoon, baS bi§ &u meinem Abgang jur Unioerfttät 
ftetS auf gut lautete, ein ^räbifat, nrie e§ bie folibeften 
unb bräoften unter unS aud) nidjt beffet betonten. Qd) 
führte eben aufcerlid), unb fotoeit e§ jur ßenntnifj meiner 
£el>rer fam, einen legalen £eben§roanbel unb mar ben 
Sßrofefforen gegenüber, ben einigen <S)on§batf) auggenom* 
meu, ftet§ befdjeiben unb refoeftood. 

£)afc fid) aber fdjon oon Unterquinta an ein fo mädj* 
tige§ SBiergeme in mir entroidelte unb idj mefjr in ben 
SBierljäufero als auf meinem ©tubirjimmer fafc, baoon 
batten bie Selker, in meinen Ctuintanertagen toenigftcnS, 
teine blaffe Slfmung. SBenn id) nun f>ier unb foäter 
baoon rebe, unb offen unb frei baoon rebe, fo roill td) c§ 
ganj mit ©oetlje galten, ber gefagt fjat: 

SRe^mt nur mein Sefcen f)in, in Sauf dj 
Unb Sogen, tote t$'8 fü§re. 
SInb're oerfölafen ü)ren 9touf$, 
SWewer ftefjt auf bem Rapiere. 

#attc idj in ber Quartanetjeit manchmal mit ©olba* 
ten aus bem fttnjigtyal mein 93ier getrunfen, f o fiel id) ate 



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- 110 — 

Ouintaner in bic #önbe oon Unteroffizieren. ®amal§ 
hatte be§ „®lafer*fterne SHntoni" , ein richtiger ßaSlacher, 
e§ gum ftorporal gebracht; burd) ihn lernte ich bie fammt* 
liefen Korporale be§ ftinjigthalS unb nach unb nach eine 
Spenge oon Korporalen nnb JJelbtoebeln fennen. 9JHt biefeu 
fnetpte ich faft täglich, Bejn). allabenbltch, balb in ben S?a* 
fernen , balb auf ben einzelnen $f)or* unb ftortStoachen, 
felbft brausen im bunflen SBadfjzimmer auf bem ©djlöfc 
d)en „^aoorite* °^ er * n ocn ©olbatenfneipen ber ©tabt 
unb ber umltegenben Dörfer. 2luf bie letjteren ging e§ ge* 
roöfynlidj an ©onn* unb Feiertagen, meift nad) iR^einau 
ober DlterSborf. Qu DtterSborf im Äreuj bin id) gar 
mannen ©onntag Nachmittag gelegen bei SBicr unb ffttyixt? 
fifchen, ftngenb unb jubelnb mit ben ©olbaten. 

Qn ber ©tabt f amptrten mir in ber Sftcgel im „untern 
$rina" , ben ein ©chuhmacher au§ bem Würfle, Samens 
©toll, gepachtet ^atte. 

S8or wenig fahren noch trat ein greifet ÜUcannlein in 
mein ßimmer ju JJreiburg unb präfentirte ftch als „einen 
alten 93efannten". @3 mar ber ©toll, ber gehört batte, 
bafc ich fyitv fei, unb mich, meil td) einer feiner beften 
$unben ehebem mar, mteber befugen moHte. 2Bir f pracfjen 
oon jenen $agen, ba ich noch „SBter* unb ßäfebrob* bei 
ihm genof$ unb fang roie eine junge Serche, unb er ein 
munterer junger 3ttann mar. 

<$r tft jefct heimgegangen, aber feine fjrau befudjt 
mic^ ™dj attjäh*ft<h/ fo oft fte gu ihren Töchtern fommt, 
bie in Freiburg SBirthtnnen ftnb. — 

Oft fafc ich mit ben Unteroffizieren auch in ber „blatten 
ftafce", unb fte „belegten" aus SRücfftcht auf mich ba3 
flehte Nebenzimmer, meil bie größere Sierftube oft oon 
s J$rojefforenunbbem fahnbenbenSgceuutSbtener befucht mar. 



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- 111 - 

9R<m mufcte biefelbe aber pafftren, wenn man auf geraden* 
liebem 2öeg in baS SRebenzimmer fommen wollte, roe^alb 
ich biefeS ftetS von ber ©trafse aus burdj baS fjenfter 
Bettat waS feine Shmft war, weil baS Sota! parterre 
lag. 9lod) tönt in meinem D^re baS „£aUi £aUo", mit 
bem bie Unteroffiziere ben luftigen ©anSjafob empfingen, 
wenn feine lange, f plante ©eftalt über ber ftenfierbrüftung 
erfdnen. 

3$ ipbe bei biefen beuten abfolut nichts 93öfe§ ge* 
lernt ober auch nur gefehen; eS müfjte benn nur baS oiele 
©iugen unb SBtertrinten als fünbhaft angerechnet werben. 
©S war unter biefen Unteroffizieren mancher Original* 
menfeh, ber baS 3eug zum ©eneral gehabt hätte. $er 
eine unb anbere ^at eS fpöter wirtlich auch, felbft in 
JJriebenSjeiten, jum Offizier gebracht. SBielc habe ich feit« 
bem nicht wieber gefehen, noch oon ihnen gehört, ber 
ober jener begegnet mir bisweilen als ©ifeubahnfehaffner, 
©enbarm, SSureaubtener ober ©renzauf feher. SRancher 
^at mir auch f$on aus ber fterne getrieben unb gefragt, 
ob ich jener ©anSjaf ob aus SftaftattS $agen wäre, deiner 
aber bleibt ohne freunblidjeS SBort ober ©egenf treiben, 
wo unb wie immer wir unfere SBefanntfdjaft erneuern. 

©tner berfelben ift fceute mein nädrftcr ÜRachbar unb 
hat eS Diel weiter gebraut an irbifch ©ut als ich; benn 
er ift ein reifer 3Jtann. 3lber ber 9iepomut Äremp war 
auch eine* ber bräoften unter uns, waS aUerbingS bamals 
nicht oiel ^ei^en wollte. — 

(So habe ich i» i««er £ett unzählige ©poppen SBicrcg 
unb manchen Saib frifchen äommiSbrobeS auf SBach* unb 
in SBirthSftuben mit Unteroffizieren oertilgt unb freue 
mich ^ cu * e Beffen. £)enn ohne meine $efanntfchaft 
mit Korporalen unb gelbwebeln würbe mir ein ©lieb 



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— 112 — 



fefjlen in bcr ülct^c ber menfdf>licf)en ©tcinbe, bic td& in 
meinem ßeben fd)on fennen gelernt. 

2Ba3 unter biefem ßeben§roanbel allein litt, roaren 
meine ©efunbfjeit unb mein %Ux% fing in btefen 
Sagen ba§ SRaudjen an unb trieb e3 unftnnig. (Zigarren 
unb %dbat mürben in aUer fjritye mie fpftt in ber -ftadfjt 
uerbampft, metyrenb mein Körper in ber ftärfften (Sntmicf * 
lung begriffen mar. 3)ie 3*olge baoon mar eine tyodfjgrabtgc 
^CToofitat mit ©dfjlafloftgfeit unb 2ftagenleiben. 3$ be* 
fanb mtd& be§ 3lbenb3, menn tdj gu SBette ging, fo auf* 
geregt, bafj tef) miefy x>or bem (Sinfd^lafen förmtid) fürchtete 
unb midf) mehrte gegen ben 3 u f* ano oe * SBemufitlofigfeit. 
©3 mar mir jebeämal 2fogft, menn bie 9fcadf)t tarn, unb 
td) erinnere mtdf) lebhaft, mie e8 mid) orbentltd) f dauerte, 
fo oft bie Trompeter unb Trommler ber Ucftutig ben 
.Qapfcnftretd) bliefen unb trommelten unb mir bie Qtit 
ber Sftad&trufje inS ©ebädfjtnifc riefen. 

©egen mein 3ftagenleiben rtetf) meine Kammerfrau, 
bie alte ßina, SHorgenS al§ grfiltftüct Sflitd) mit ffnoblaud) 
$u nehmen, ein magrer £eufei§tranf. ftd) 9**9 <hm$ 1™ 
%otiox Dfter, einem freunblidjen ^erm, ber mir aUe§ »er* 
bot, nur bie $auptfadje mc$t, namltdf) ba§ ^aud^en unb 
ba§ Söiertrtnfen, rce^alb td) meinen ßebenSroanbel rufyig 
fortfefcte, bis ber ©efdfjeibtefte, b. i. ber 9ttagen, nachgab 
unb ftd) an ba3 ©lenb geroö^nte. <5o fünbigt bie Qugenb 
auf i^re ©efunbljeit, unb ba£ Hilter mufj bie (Sünben büßen. 
§eute märe SÄauctyen mein £ob, unb SBier fann id) feit 
oielen Sauren fönen Xropfen mefjr trinfen. 

3$ meine, bie ftubirenbe Qugenb raudf)t &ur &t\t 
nid)t me&r fo m'el mie früher, menigftenS bie »ftiBfcfee" 
ni^t, raityrenb in meinen Sagen ferner geraupt rourbe oon 
ben Sftaftatter Suceiften. ©in BemeiS baf ür ift, baß aUjäljr* 



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— 113 — 

lid) bcr bamalS Berühmte ^eibelberger 93infebu # , welcher 

fonft nur £od)fdmlen befugte, aud) nadt) SRaftatt tont, um 

und mit fetner SBaare gu oerforgen. (£8 raupten alle 

ftüfmeren, unb bereu gab eS ntd)t roenige. SBir Ratten groar 

aud> ja^me 9Wutterföl)ndt)en, bte tl)r $afdjengelb bem #on* 

bitor brauten, eine OBeiblidfjrett, bie mir ober ftetS t)öd)ft 
unbeutfdfc) oorfam. 

Sötern td) an©amStag^admuttagen mit meiner langen 
pfeife gegen ben 3tturgbamm IjtnauS unter meinem ftenfter 
faß unb bie $#<$ter $8raelS aud ber 9iadt)barfd)aft, unb 
unter ttjnen beS „Suben SJlauerS $jtttz" , meine nädjfte 
Sftacfybarin, in ihren blauen Kleibern auf bem Sflurgbamm 
promenirten, ba glaubte idt) mitten unter ben Blumen 
beS ©emitenthumS eine junge beutfäe @td)e ju fein. 

2lm liebjien aber raupte id| meine pfeife ober meine 
Zigarre SÄbenbS nad) ber ©eimfe^r aus ben verbotenen 
ftneipen bei bem £öf)lenbemolmer unter ber (Stiege, Beim 
$nedt)t SlloiS, ju Cfcnbe. £atte tdt) ausgeraubt ober mar 
unfer Sortier fdjon &u SBette, wenn td> in ben £of trat, 
fo galt mein SBefud) regelmäßig nodt) ben ©ebrübern Sun« 
t ofer. £)iefe faßen bleich unb ftid bei bem elenben Sidjt 
einer Unf ctylittf er$e hinter ihren Suchern unb $eften unb 
ftubirten unb fdjrieben für ben f ommenben üftorgen. $1)* 
gleiß mar noch roeit größer als mein bamaliger Seicht* 
fmn unb ttnfleiß. ®ie arbeiteten met)r als nothroenbig, 
oft abroedrfelnb bie ganje 9tadf)t, ber eine bis gmölf unb 
ber anbere nach Mitternacht. 

©o tarn eS, baß id) gaulenger an ihrem „Ueber* 
oerbienft* teilnehmen tonnte. Qdj fdfjrieb ihnen bie Sßräpa* 
rationen unb Ueberfe^ungen ab, unb ber SBruber Sßilhelm 
fertigte mir noch mit feiner Keinen (Schrift bie nötigen 
„©ptctjettel", ben Passe par tout eineS faulen ©tubenten. 

$ a n ä i a t o b, Stubienjeit. 8 



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— 114 - 

gum Sot)n fetne§ bamaligen feiges war bet SBityclm 
auch brcigig 3at)re fpäter ©eminarbireftor in StteerSbutg 
unb ich eine ©tunbe baoon armfeliger SBauernpfarrer. 

2Benn ich fpctt am 2lbenb in ba§ 3^ mm w bet beibcn 
SBrüber trat, wo mit übrigens baS hauchen ftrenge uer* 
boten mar, weil ber ©ruber Start eS abfolut nidfc)t rieben 
tonnte, fang idt) Unten ein luftig Sieb t>or ober beflamirte 
ein ©ebtdjt unb erweiterte fo für einige Qnt bie &wet Un* 
ermübttchen. $arl, je$t Pfarrer in SBimbuch, Iic§ ftch bann 
non mir berichten, wtemel SHer ich am Slbenb getrunfen, 
worauf er mir jeweils prebigte unb mich burdj folgenbe 
gUujtration abjufchrecfen fuchte: „$enfe $ir einmal/ 
pflegte er &u fagen, „bie aet)n ©poppen über einanber ge* 
fteUt. SBelche (Summe oon Sflüfftgfett, unb bie h<*ft %u 
heute in Srtcf) aufgenommen! $fui!" 3$ lachte tt)n na« 
türlich aus unb fpottete über bie nächtlichen Sörüber, weil 
fie nic^t im ftanbe waren, baS, waS idt) an einem Bbenb 
tranf, in einer 3Boche gufammen gu tjertilgen. 

2lber eines werben mir beibe ftreunbe heute noch be* 
jeugen, bafc ich nie „&u oiel* hatte, fo oft ich i« ihtematt* 
erleuchtete ©tube trat. 3$ tonnte eben xriel ertragen, unb 
bann mar in jenen Sagen baS SBier noch ächter, altgerma* 
nifcher ©toff. Qa, wenn bamalS biefer Srant fo h*ülo8 
fabrijirt roorben märe wie heute, fo w&ren bie meiften 
SÄaftatter Snceiften ber fünfziger 3at)re, bie überall hn 
ßanbe unter ihresgleichen als bie flotteften SHertrinf er unb 
bie beften ^ßhttdtW 11 ga^en, woi)l längft unter bem SBoben. 
2öenn jetjt ein baumfefter Sauemburfche nur acht Sage 
lang jeben Slbenb f 0 oiel 93ier trinten unb f 0 ©iele ©igarren 
rauchen wollte wie oor ffinfunbjwanjtg Q^hten ein Unter* 
quintaner meines (Schlages , ber SRenf ch müfjte nach Dottor 
unb 3lpotheter rufen. 2öa3 aber ein ©ertoner vertilgte, 



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— 115 — 

wäre heute für einen 9ttefenbauern ein S)tng ber Unmöglich* 
feit. 2Benn heute ein gefunber Sftann oier Viertele oon 
bem $jjöHengebräu txmtt, wie e3 betmalen im 9Uich Diel* 
fad^ gemacht «üb, fo ift er beraubt — vom ©ift S)e$megen 
mürbe ich im SReuh&ag unter aßen Umftänben gegen ba§ 
$runffucht§gefet> fforaneu, folange nicht baä fteid)§gefunb* 
heitSamt für menfchltcheS SBxcr geforgt h<*t. 

Sta hört unb lieft man oon SBeftrafung ber 2öein» 
fabrtf anten, ben SBierfchmterern aber geht'S fehr fp&rlich an 
ben Seib. Unb boch wirb in biefem Slrtifel mehr gefün* 
bigt als im 2Betn, unb ber SBolfStörper, melier im ©üben 
oorjugSweife 53ier aufnimmt, weit mehr unb gefährlicher 
burch btefeS „9lu<h*93ter" infigirt al3 burch bie 'flechten 
2Beine. Qdj meine, ber „arme Sftann", ber heutzutage SBier 
trtnten muß, tft fdjon geftraft genug burd) ben 2ranf, ben 
er befommt. ®en armen Teufel, ber vom SBtergtft toU ge* 
roorben ift, auch noch &u fhafen, ba§ ^alte ich für graufam 
unb unoerantwortlid). 

Stamm ®ant euch allen, ihr matteren, l&ngft tobten 
Trauer, bie ihr in meiner ©tubienjeit in 9taftatt S3ier ge= 
braut ober bahin importtrt h<*bt! Ofme euere (S^rlid^feit 
hätten mir ßneeiften oon bamatS bie ©rünbung be3 beut* 
Wen «Reiches nicht erlebt! 2Rögt ihr belohnt roerben bafür 
in ber ©wtgfeit, bafe ihr fo unb fo melen Wienern be8 
©taateS unb ber ftirche ba§ Sehen erhalten unb gerettet 
habt, unb mögen bie heutigen Stubenten {ich hüten, fo 
mel ju trinfen wie ihre Vorgänger! — 

£)er freunbliche Sefer wirb ftch vielleicht auch fragen, 
woher ich bie ©elbmtttel belogen, unb wie e3 mit meinen 
öfonomifchen aSerhältmffen bamalS befteOt war. 3$ werbe 
auch hier ehrlich befennen. SBon meinen ©Itern begog ich 
jeben Sflonat swan&ig unb oier ©ulben, mit benen ich ftoft, 

8* 



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— 116 — 

SogiS unb „SRefreationSgelber* $u bcftretten hatte, ftür 
meine ©tube unb füt Dreimalige Reifung beS £ageS be* 
jaulte ich nur fedfoehn ©ulben, fo bafj acht ©ulben füt 
Söicx unb (£tgarren übrig blieben. $n jener „guten alten* 
3eit bef am man aber für einen ©ulben breijiig ©poppen 
trefflichen »tereS unb um baS gleite ©elb 40 ©tücf brillante 
Zigarren. Stoju fam noch, baf? meine ÄaufmannStante in 
3*etburg, bie icl) in meinen Qugenberinnerungen ermähnt, 
mir manchmal ein gan^e§ &iftd)en Zigarren fdfjenfte, unb 
in ben Serien gab'S gum 3lbfcf)ieb von ber ©rofjmutter 
ober non biefer ober jener SBafe auch ein halbes ober QanjeS 
©ulbenftücf, unb fo hatte ber burftige unb raud&enbe ginfe 
immer einigen ©amen, ©djulben habe idf> als ©tubeut 
nie gemalt unb befafj baher bei ben iRaftatter SBternrirthen 
einen befonbern Ärebit. 9lber einen f glimmen finanziellen 
©tretch ^ab r ich boch unb gerabe als Unterquintaner ooll* 
führt. $jä) ^abe mein „grojjmütterlicheS" Planier uerfauft 
unb ben ©rldS bem ©ambrinuS geopfert. 

$)aS SHaoierfpielen mürbe mir in ben erflen fahren 
meines Iftaftatter Aufenthaltes entleibet burch bie ©orge 
um mein Jortfommen in ben betreff enben Älaffen, unb als 
meine SBtergeit anfing, mar ich froh, menn ich baS Snceum 
hinter mir ^atte, unb eS roanbelte mich nicht bie geringfte 
Suft mehr an, an freien ©amftag* unb 9ttittrooch*9toch* 
mittagen in bie Slnftalt htuaufouroanbern, um bei 2ttufit* 
teurer SBenber Älaoierftunben ju nehmen. 

tiefer Sehrer mar, wie alle SJtuftfanten höherer 9lrt, 
ein milber, fanfter 9ftann, bem bie ^onhomie mit 9Jkd)t 
auS feinem runben, bieten Angefleht leuchtete. Qch hotte fchon 
als Quartaner einige ©tunben bei ihm Älaoier gefpielt, 
roobei er fich bie geit bamit oertrteb, bajj er, roährenb ich 
flitnperte, mit einem Keinen flamme bie hintern Kopfhaare 



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- 117 - 



auf fein l aljleS 93orbcrf)aupt ju breffiren fudjte. Spaten 
nrie mir fyören werben/ machte id) ben tyarmlofen SJlann 
oft böfe, unb er roar ber einzige ßefjrer, um beffentnntten 
mir ber $)ireftor manchmal gram roarb. Talent für3ttuftf 
fjatte id) nie unb ebenforoenig ^ertigfeit in trgenb einer 
med)anifd)en §antierung. @o machte id) mir fein ©eroiffeu 
barauS, mein alteS ©aefbrett bei ber erften ©elegenfyett ab* 
pa,eben. 

9Jtetne£auSfrau Ijatte längft bemerft, baß mein ftlaoter 
feiten einen Xon von fid) gab, unb ba i^r jüngfteS Södjtei* 
lein bicfe§ Spiel lernen wollte, unterljanbelte fte mit mir 
über ben SBettauf meines QnftrumentS. ^n ©elbfad&en alle* 
jeit ein billiger Genfer, fcfyloß id) fo mit ber ©auSfrau ab, 
baß fie mein ßlaoier für &ef)n babifdje Bulben erhielt 
einen ^ßreiS, roie ifm wof)l feiten ein Planier erbulbet. %k 
jeljn ©ulben aber gab id) in ben folgenben SBodjen auS, um 
ein oiel unnötigeres ©piel gu lernen, baS „ßego" nämlid). 

3>n meiner klaffe, roo id) jwar nidjt gerabe ber ältefte, 
rooljl aber ber löngfte mar, fyatte id) nur groei ftameraben, 
bie mir an leichtem ©inne unb an Siebe jum SBtertrinfcn 
unbiftaud)en gteidtfamen; allein eS feljlte il)uen meift an 
ben nötfngen Mitteln, unb roenn id) beßfjalb mit „©tu* 
beuten" fneipen wollte, mußte td) mid) an bie ©djüler ber 
fyö Ijern klaffen galten. Unb in ber Xfjat fjatte td) „3reunbe" 
bi§ in bie Dberfexto (<ßrtma) hinauf, oon beuen id) nid)t 
bloß frühzeitig ben „Komment", fonbern aud) baS 3 C Ö Ü? 
fpielen lernte. 

9ttetne erften öffentlichen ©tubien mit „©KS unb 93a* 
gab" machte td) im „obern ^ßrina", einem feinem Siei^ 
lofal, baS meift oon öftcrreicl)ifcr)en Offizieren befugt mar. 
;gd) erinnere mtdj nod) lebhaft jenes ©arnftag^adjinittagS 
im £crbft lb55, ba id) baS erfte ^ierjego mttmadjte. $te 



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~- 118 — 

fluttet \)atU mit am $age $unor einen getonten ©hinten 
gefdjicft, nnb ben opferte id> als erfte£efatombe bem „©fiS*. 
(Sr roarb auf bem Limmer beS Dberfe£taner3 SlBicfert, beS 
fünften ©tubenten oon bamalS, ber fpäter in l>ofldnbifdjen 
ÄriegSbienftennerfdiTOanb 1 ), nerfceljrt unb bann mürbe jum 
*3ego" im gefcfyrttten. 5He Dberfqtfaner ©trau&, 

fpäter 3 e fuit, uno Singabo, als junger ffameralprat* 
tifantinjjreiburg geftorben, maren bie weiteren üötitgliebcr 
ber ©efcUfäaft 

©te „furnierten" mir richtig aud) bie Qt$t tyn. 2Wein 
bog trübte meine ©eiterfeit leinen Slugenblidt; id) mar 
ftolj barauf, mit Dberfejtanem mein erfteS offigieUcS .ßego 
gefpielt *u ^aben. ®enn &u meiner 3eit galten ben Ägceiften 
unterer Drbnung bie ©egtaner mit iljrer föteipfreifjeit als 
roafjre Halbgötter, ©djmeralidj Ijabe td> mid) jahrelang 
bamad) gefeint, einmal ©ejtaner &u werben. 34 bilbete 
mir bamalS auf meine JJreunbfäaft unb auf ben „©djmolUS" 
mit einer 3lnja^l biefer ©eroen me&r ein, als menn freute 
regierenbe dürften nud) tyrer ^öd^ften ©nabe unb beS oer» 
traulid)ften Umganges mürbigen wollten. 

93on je£t an bis &um ^weiten Qatyre meiner Uni« 
ücrfüätSftubien blieb id) ein letbenfd>aftlidE)er SBere^rer beS 
#ca.ofpiel§. ©omo^l in SRaftatt al§ in ben Serien warb 

*) §m 3uli 1896 tarn eine« Sage« ein frember $err mit 
bem 2lu$fel)en eine« Staatsrate in mein 3immer unb fieUte fi$ 
oor als ber Dito 2ßirfert oon Saljr. (Sc toar nta)t, wie er oort;atte, 
in f)otlänbifa)e SHenfte getreten, fonbem naa) Sonbon geraanbert, 
Sieker geroorben unb Ijatte aroeiunbbreijjig 3af)re als foläjer auf 
ber Snfel 2Jton gewirft. (Sr lebt jefct, ein ©eckiger, in Sioerpool 
im Streife feiner gamilie ein 6e§aglta)eS 2)afein. ©o grofj mein 
©taunen war, naä) faft oieratg Sauren ben oerfttjottenen greunb 
toieber ju fetyen, eben fo grofj mar aud) meine greube. 



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— 119 — 

f aft täglid) „getrodt*, unb unselige freie 9tod&mittage fafj 
id) al§@e£taner mitftreunben auf itgenb einem ©tubenten* 
jithmer an ber 3Jturg unb machte „©elbjego", bem bann 
in bet Siegel ein SBiergego folgte, ba§ ben 9lbenb »erfcfylang. 

9lod) ein (Spiel fing id) in biefen Sagen mit meljr al§ 
erlaubter SBorliebe ju treiben an , ba§ Regeln, liefern 
fjulbigte id) ganj befonberS in ben Serien oon Quinta an 
M3 jum ©nbe meiner Stubien&eit. 2luf ber ßegelbafni im 
„$anerifd)en £of * jgaäU, brausen am roeftlicfyen fönbe 
be§ <§>täbtd)en3, lag id) faft jeben -iftadjmittag. 

2lm borgen warb in fjelb unb Sßalb geftreif t, an ben 
Söalbfaumeu geruht unb gelefen, unb nad> bemaftittageffen 
fitste id) einen SJUtfegler, ma3 an SBerftagen mdf)t fo leidet 
mar, meil bie meiften Sftcnfcljen in ber SBerfftätte ober im 
ftelb &u t^un Ratten. $)o$ ein älterer greunb, SHdjßtb 
Röbele, ber 3ttetfgermetfter, ober ber Detter S8ofd)enfepp, 
ein $äcter, meld)' beibe tyre $age3arbeit am borgen 
beenbigten, jefct aber fäon längft tobt finb, leifteten mir 
in T}er Ittegel ©efellfdjaft ju obigem $md. 

9ln Sftittmod) unb ©amftagen Ratten bie @d)ullef)rer 
t)on ©tabt unb Sanb frei, unb ba manberten bie Unter* 
leerer ber Kegelbahn ju unb „machten mit". Unter ifjnen 
lernte id) mieber einen ober ben anbem Drigtnalmenfdjen 
(ernten. 3$ erinnere mid) namentlich groeier foldjer, bie 
aber beibe meines SBiffenS in tyrer ©jiftcnj au ©runbe 
gingen. $)er eine mar Unterleder im 3)orf e 3Jtüfjlenbacl), 
ber anbere in $aufa$. $)iefe Seute Ratten Talent jum 
SDSegroerfen, aber ebenfo grojjen 3)urft unb ebenfo gemalt 
tigen ©elbmangel. talentvolle 3Kenfd)en in untern ©tel* 
lungen ofjne 9lu3fid)t auf beffere <£arrtere unb mit f$led)ter 
SBejaljlung „vertommen" fel>r leidet, ofnte baj3 man iljnen 
Diel ©djulD anrennen barf. 



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— 120 — 



Sttein ©auptpartner im Siegeln ober lebte bamalS in 
bem lieblichen Störfd&en SBeiler am rechten Äimtgufet, 
oberhalb ber Sßaterftabt. (Sr l)ief$ ber „SRemmlerundjel" 
unb befaj* einen fleinen £of am ftufc beS alten 93urgftaU§ 
bet bittet von SRamfiein. (Sr mar ein fogenannter „ßirroe* 
legier", b. i. ein profef jumSma'&tger Äegelfpteler. $)a id) 
in S3älbc burd& tägliche Uebung audfc 33irtuo§ mürbe, fanben 
mir uns balb auf bem <5df)ladf)tfelbe. Qdj fc^c tyn heute 
nod) vox mir, ben magern, galligen SBauerSmann, ftanbig 
bie furje pfeife im ^ERunbe, mie er an Sttarfttagen in 
meines SßaterS SBirtfySftube ^ereinfe^aute unb frug : „2Bo 
ifd) b'r ©c^tubent?" $)enn feine erfte©orge, wenn er gu 
3Jtarft ging, mar, einen Regler &u ftnben. SBir manberten 
bann, unbef ümmert um ©anbei unb Söanbel be§ SOßo^en* 
unb SßiehmarfteS, InnauS jumSBauerifc^en $>of unb tegclten 
auf SBefttmmung nadf) einzelnen Regeln. $er SBurf galt 
einen ©edfjfer. 2ttef)r benn einmal ^ab Y ich bem „Temmler* 
mid)el" einen $ronentf)aler unb barüber abgemonnen, roor* 
auf er beim 9lbfdneb mid) jeweils mit ben Korten grüjjte: 
„<5d)tubent, bu bifd> an Sttalefofaib, aroer am nägfdjte 
2ttdnbtg muafd) mir fteoanföe ') ge 2 )!" 

SBenn idf) in ben Serien biSroetlen bie SJlutter ju einer 
58auernhodföeit begleitete unb na$ SBeiler fam, uergafj td) 
nie, ben 3Jltd^el $u befugen. (£r feroirte bann ein ©las 
Stfrfdtjenroaffer unb rohen <5pedf, gog feinen fonntäglichen 
3roild)rocf an unb ging mit in ben Ddrfen. SO&äfjrenb 
bann anbere 2ftenfchenftnber broben tagten unb jubtlirten, 
maren mir gmei einfam auf ber elenben ftegelbalm brunten 
unb Regelten, big bie 9Jtutter mich am Slbenb ^eimrief. 

©r l)at langft auSgefegelt, ber föemmlermichel, ata 



l ) 9tet>and)e. *) geben. 



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- 121 - 

banfbar gebenfe td> tyutt noch feiner, benn et ^at mir 
nicht blofj manche oergnügte ©tunbe bereitet, fonbern aud) 
öfters meine JJeriengelber jeitgemä& oermehrt. Qd) fyaitt 
oielcQahre nicht mehr gefegclt, als ich im&mbtag 1878—79 
erfuhr, baj* unfer ftammerpräfibent fiameg unb eine 9(n* 
jabl liberaler Slbgeorbneter fich bisweilen nach Sifch im 
£armome*@arten ju Karlsruhe mit Regeln bekräftigten, 
©ofort ermatte meine alte Siebe, unb ich lieft mich aud) 
in biefe liberale Partei aufnehmen unb wettete neben 
bem eigentlichen ©piel fje* a la „SRemmlermidjel* auf 
einzelne flegel, wobei ich manches ^manjigpfennigftüct 
gewonnen. S)och bie Reiten, wo id) einen Sag lang, ofme 
ju ermüben, fegein tonnte, waren oorüber. 3dj fühlte 
mich nach i^ber lanbtäglidjen Äegelftunbe fo elenb unb 
neroöä, baft ich bem Vergnügen balb entfagen mußte. — 
3Bie baS mir ^ettte noch oorliegenbe 3eugnif$ a Ǥ 
Unterquiftta t>om 17. Sluguft 1856 nachmeift, mar ich am 
©nbe be§ (Schuljahres unter elf (Schülern ber fechfte unb 
würbe frant unb frei nach Db erquinta promooirt. ©in 
Dberquintaner ^at bie nächfte (Stufe jum $croenthum bc§ 
SejtanerS erreicht unb fühlt ftch beftbalb nicht wenig. (£r 
wirb, angeflehte ber balbigen Freiheit, fülmer in jeber 
$in{Uht $>afj bieg bei einem, ber oorher fchon fühn genug 
war, boppelt eintraf, oerfteht fleh twn fclbft. 3unächft 
wechfelte ich mit ^Beginn beS neuen (Schuljahres meine 
Wohnung. Qch S°Ö 1)0X1 oen #tothen Käufern" fyucauf in 
bie fchöne, helle ©chlofiftrafje — junt ftürfdmer Pfeifer 
neben ber ftattlichen ©ofapothete. ©S war mir nicht mehr - 
„nobel* genug gewefen in bem abgelegenen $interbau am 
s Jtturgbamm. oon mir je^t belogene Quartier, ein langes 
ßimmerchen parterre, warb ftetS oon Sqceijien ber oberu 
klaffen bewohnt unb trug wegen feiner fdratalen Sänge 



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— 122 — 

bcn tarnen „Äegelbafm". ©anj in feiner SWtye fanb id) 
meinen Äofttif cf) beim 9ttet>ger Virile unb gegenüber fcatte 
id) mein fpätere§ Stebüng&SBtertyauS, ba8 „©cfymert*. 

3lu§ biefet Umgebung imb biefen ^Räumen 50g id) im 
Oftober 1856 in bic Oberqumta ein, beren (5d)ul$immer, 
mie bie ber beiben <5erto<SHaffen, im groeiten ©toef beS 
SnceumS lag, roäfaenb alle übrigen klaffen ebener ©rbe 
placirt waren, (Sfjef ber klaffe mar ber geifUidje $ro* 
fcffor Nicolai, mofyl ber gutmütfn'gfte unb roofjlroottenbfte 
aller Se^rer ber Slnftalt ©in Heiner, faft ebenfo btefer 
al$ großer 2ttann mit etmaS macfeligem ©ang, flaute 
er fo unfdmlbig über feiner mafftoen fUbemen dritte l)er* 
oor, baß man fofort feine milbe S)eufung3art unb fein 
freunblidjeä SBSefen erfennen mußte, ©r mar ftet§ tabel* 
lo§ fetyroarj gefleibet, menn aud> mit turpem föoef. ©tne 
bebeutenbe Sorge legte er audE) auf ben forgfältig ge* 
pflegten, ftattli^en „Situ§* feine§ #auptl>aare3, uon bent 
feiner oon uns je erfahren fonnte, ob es *ßerücfe ober 
SRatur fei. 

@r gab in ben brei obern Staffen Religion unb ©c* 
fd)id)te, in Oberquinta no$ Satein unb S)eutfd) unb ju 
nteiner Qeit in Unterferta $ora&; aber fein größter $einb 
fyfttte i^m mcr)t nac^fagen fönnen, baß er ein <ßf)i(ologe 
geroefen. 9tttt £oraj unb namentlich mit beffen SBerSmaß 
ftunb er auf aiemltd) gefpanntem %u% dagegen mußte 
er feinen ©efcfyidjtSunterridjt burdj 3lnfüf)rung oon Details 
intereffant ju machen, unb er regte namentlich in mir SBor* 
liebe &u biefem ©tubium an. 3$ begann bamals mit 
oielem ©ifer außerhalb ber ©djule ©efdjtdjte ju lefen unb 
nnbmete ber englifdjen unb franjöftfd&en ©efd)id)te meit 
meljr &xt, als für bie fttaffe notymenbig gemefen märe. 

Nicolai mar jugletd) SBibltotljefar unb unterftütjte 



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— 123 - 

mid) in freunblidtfter SBeife in meiner ^ßrtoatleftfire von 
@c[cf)td)te unb beutlet Literatur. 9Jlan tonnte und) jeben 
freien Sftadnnittag bei iljm auf ber S8ibltott>ef finben, roo 
er fid) immer nmnberte, baß td) fo oiel gelefen unb fd>on 
nneber neue fßüfyuc f>aben wollte. ©r tarn bafyer auf bie 
Meinung, als märe t$ einer ber folibeften Schüler, raupte 
aber nid)t, baß ber 9töenb bem SBtertyauS gehörte, ein 
^^cil ber $lad)t aber in meiner # &egelbaljn" mit Sefeu 
jugebradjt mürbe. 

3$ mar überhaupt in ber Dberquinta nidjt fleißiger 
benn als Unterqutntaner, aber td) arbeitete oon Qfa^r ju 
Qaljr letzter, unb fo fonnte t$ beim alten SebenSroanbel 
borf) beffere JJortfdjritte machen. 

Nicolai, ober tute mir ifjn feiner ftörpetfütje roegeu 
nannten, ber ,9iifele", mar ein geborener iftaftatter. Sein 
trüber, ber ©d)uf)mad)er Nicolai, ber ftets ßneeiften be* 
Ijerbergte, befaß eine Sittel unfdjöner Södjter, roäbrenb 
jmei (5d)roeftern ber (Stebrüber Nicolai, alte, fromme, 
(leine tarnen, beim $rofeffor im £nceum Rauften. 

211S „neuen* Sefyrer in Dberquinta erhielten mir ben 
s #rofeffor $rotter, bisher 3)ireftor am ©umnajium in 
Dffenburg. SBenn ein Shreftor ober älterer ^ßrofeffor nad) 
Sftaftatt oerfefct rourbe, fo gefdM eS in jenen klagen in 
ber gleiten Meinung, mie menn Ijeute bie Greußen einen 
$)unftonSgeneral &um Kommanbanten irgenb einer Stabt 
ober Sfeftung ernennen, eS galt als Söorftufe jur $cnfio* 
nirung. S8on biefer ©orte mar unfer Srotter, ein braoer, 
ja felbft frommer Sftann, aber als <ßlnlologe ein fdjledjter 
9ttu|tfant. 6r ^atte baS SluSfe^en eineS £errnfcuterS 
unb biefem gleid) ben $upu$ einer etmaSftarrenffleligiofttät. 
3n ber ftird^e zeigte er fid) als ber anbädjttgfte oon allen 
*ßrofcfforcu ; aber er mar audj im Seben, foroeit eS uns 



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- 124 - 

in bic (Sinne trat, ein KebeuSwürbiger, befäcibener unb 
norab f>öflid)er 9ttann. $er alte *ßrofeffor unb $>ombe(an 
,£>irfd)er in ^reftutg würbe »on tfjm gefaßt fyaben: 0 (&x 
war gutmütig unb aud) gut/ 3 n om obetn klaffen 
gab Xrotter nur £ebräifd), uub ba§ r-erftunb er; Inn* 
fid)tlid^ ber (lafftfdjen ©prägen aber würbe feine Sljättg* 
feit auf bie Unterquarta rebujtrt. 

©leid) in ben erften Dberquinta^agen würben eineä 
9ftorgcn§ fämmtlidje Stüter im ^eftgewanbe an bie 
C£ifenbafm geführt. ^er junge ©rofjfyerjog JJricbridj paf* 
ftrte mit feiner ifym eben angetrauten ©ernannt #uife 
^aftatt, unb biefen Slugenblicf wollte unfer pon preu* 
&ifd&er £onalität l)od> erfüllter $)ireftor md)t vorüber* 
gcl)cu laffen, olme aud} uns unb feine fie^rer am SBafm* 
Ijofe aufäufteUen. 3Jlir pafftrte babei rateber ein ganj äl)n* 
lieber ©treid), wie id) tfm in ben „Qugenberhmerungen" 
bei ber $)urd>reife be3 ©ro^erjogg Seopolb burd) meine 
Eaterfiabt erjagen mufite. 

3Bir ßneeiften würben längs ber Startlinie aufgeteilt 
unb füllten bei ber ©infa^rt „fcoü)" rufen. SJlir (am auety 
bieSmal ber £ug ju lange ntd)t, unb id) frfjlug meinem 
intimen greunbe, bem Dberfejctaner 93ec(ert, vox, in ber 
(Sifenbaf)n*9teftauration, beim ©treb, einen ©poppen gu 
ftolen, wa§ bei ber Sftenge 9ttenfd)en, bie ring§ umljer 
ftunb, (ein 2Bagutfj war. ©efagt, getfyan! $)od) wäfjrenb 
wir ben erften *3 U 9* & cm ®* a f e traten, pfiff aud) 
ber SBafjnjug bafjer, unb ba3 $od) braufte bafjin. $)ie 
©ofjeiten fttegen jwar auS unb wieber ein, aber gefefycu 
I)abe tdj (eine berfelben, ba flc von einer folgen SERaffe 
©taatS* unb 9ttilitärbiener umftanben waren, baf$ ein 
fdjlidjter Dberquintaner ftiglid) ntd)t3 SBeffereS tfjun lonntc, 
als beim Später ©treb nodj „einen" ju trinten. 



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— 125 — 

°$ti) btn tn ben legten breifjig $af)ren °ft an iH^ftatt 
vorüber gefahren, aber nie, oljne an ben biefen, alten, längft 
tobten SReftaurateur ©treb p benfen, ber immer ooraüg* 
lidjeS 93ier unb äd)te £arlSruf)er Söürftcfjen Ijatte unb 
beibeS im SBartefaal HI. klaffe ben ßrjcciften unterer Orb* 
nung feroirte. ©o oft er mtdf> jur %f)üx Ijereinfommen 
fafy, jrotjerte er fcf>on mit feinen (leinen Sleuglein unb 
fteUte mir fc^munjelnb unb fdjroeigenb ein ©laS l)in, elje 
id£> felbft nur eine ©Übe f)atte oertauten laffen. ©roße 
©eelen I)aben gletdje Urningen! 

$m gleiten %a%n, ba irf) Dbcrquintaner mar, fufjr 
aud) ber ftaifer Napoleon III. einmal an SRaftatt t-orbei, 
ofme baß td) tfm gefefyen Ijabe. Unfer ^ßrofeffor Nicolai 
aber f>atte ftd^ im Ijödjjten ©taat an ben SBafjnljof ge= 
mad)t, benn er glaubte, ein alter SBef annter beS 3)ejember* 
manneS ju fein. 211S biefer nodj hoffnungslos unb arm* 
Jelig mit feiner Sttutter auf bem ©$loffe Benenberg am 
SBobenfee weilte, jelebrirte Nicolai, bamals *ßrofeffor in 
ftonftanj, öfters bie ^eilige SReffe in ber Capelle ber 
frommen $ortenfe unb r-erfe^rte mit bem ^ßrinjen. (SS 
t^at bem guten jperrn beßfyalb um fo melier, baß £ouiS 
ibn faum meljr fennen wollte am 5*almf)of unb tym mög* 
lidrft wenig 93ead)tung fct)enftc in ©egenmart ber l)o^en 
SJtilitärperfonen, bie bem ftaifer audj tyre Komplimente 
barbraetyten. 

(Einige Qafyre fpäter erhielt Nicolai ben längft toobl* 
r-erbtenten 3&^inger Söroen unb jtarb in ben ftebenjtger 
Qaljren penftomrt unb tyocfjbetagt in feiner Sßaterftabt. 

^rofeffor «Nicolai fjatte um feine ©filier alle ein 
großes SBerbtenft baburdf), baß er, felbfi nidjt (apitelfeft 
in berlei fingen, fle unb bie alten ftlafftter mit pf)tlo* 
logtfdjer ©tlbenftedjerei unb ©rammattffudrferet t-erfc^onte. 



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— 126 — 

©in Biologe von ©otteS ©naben, tote c8 S)treftor 
©c^raut mar, ber bett ©etjt unb bic @cf)önf>ett bcr SUafftfer 
aud> in U>rer pI)tlologifd)en Seljanblung nity untergeben 
lieg/ unb beffen ettjmologifcfye unb grammatifalifdje ©pttj* 
ftnbigf etten immerhin fcoctjortginell unb fd>arf geiftig waren, 
ein folctyer ^tlologe wirb feinen ©djülem jroar aud) 
Sunt ©eile fein, aber berlei ßeute ftnb rar in ber plnlo* 
logtfdjen ©efeflfdjaf*/ rarer als roeifje Stäben. 

Unfere 2)ur^f^nitt§pl)ilologen ftnb trielfad) nidjt fefyr 
begabt, työljeme, pebantifdje ©djulmeifter, welche ben 
Älafftfer na$ allen Regeln ber ©rammatif Hein tyaefen, 
rote einer, ber eine uralte, fräfttge ©idje, bie ben 9letl>er 
beS Rimmels fügt, nieberfymt unb ^ünb^öl^en barauS 
mad)t. $aburd> ge^t bem ©dntler aller ©eift unb jebe 
^oefte verloren, unb ber Älafftfer roirb mtfftanbelt unb 
mtjjbraudit unb fo bem ©djüler entleibet. 

Unfer Nicolai lieg ben föteero, Virgil unb ben ©aHuft 
eben einfad) überfein unb oerfdjonte unS mit Regeln unb 
ftonftruttionen. Unb wenn er au$ feinen feinen ©enf 
baju gab, fo fonnte ber geiftig begabtere ©djüler bodj 
in 9tut)e ftd) felbft mit ber ©djönljeit be3 älafftferS be* 
fannt machen. 

9ftir gefiel norab ber ©aUuftiuS, ein ©djrtftfieller, 
beffen ©tyl feine ©nabe ftnbet uor ben p^ilologifd^en 
§ärina3feelen, ber aber mebr ©pirituS, Shtodjen unb gteifd) 
aufroeift al8 eine falbe ßeßton neumobifdjer lateiniföer 
©c^ulmeifter unb tyre ©eifteSprobufte. 

S)er römifdje s $rätor (£aju8 <£rt3pu3 ©attuftiuS, ber 
$u einer 3eit lebte, wo $rieg unb roieber Ärieg an ber 
$age§orbnung roar, fatte feine Qtit, feinen ©tyl jufeilen, 
unb ba3 rennen tlmt bic germanifdjen ^ttologen au einem 
folgen «erbrechen an, bag er nur feiten nod> an ©p* 



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— 127 — 

naften gelefen wirb, bamit ber junge kutane feinen latei* 
nifchen ©tnl nicht oerbexbe. ©chon unfer Nicolai mufjte ben 
aflamt als *ßrioatleftüre einfehmuggeln. 3ft fo wag nicht 
gum $obtIad)en? Unb fold^e JJormenreiterei heifit man in ber 
jroeiten £älfte be3 19. 3ahrt)unbert3 flafflfc^e »Übung ! — 

2113 ich nach Neujahr 1857 bei ber 9iuc!Iebr au§ ben 
SBeihnachtSferien im DmnibuS ba3 5$inaigt^al hiuabfut)r, 
faß mit mir im <£oupe ein greifer £>err. @r fragte mid), 
ob ich ©tubent fei, in melier ftlaffe unb meiere ftlaf* 
fiter mir läfett. $)a ich ihm auch ben ©aHuft nannte, 
fing er eine ßobrebe auf biefen ©chriftfteller an unb fprach 
mit folcher SBegeifterung t>on biefem unb anbern römifd)en 
unb grtechifchen Tutoren , baf? ich glaubte, einen Uni* 
nerfttätSprofeffor cor mir gu Ijaben. Eägltch, fagte er 
mir, lefe er gu feiner Unterhaltung unb ©r^olung in einem 
fllafftfer, unb gum ©eweife bafür ließ er mid) ben Sttel 
be$ $8u$e$ fehen, in meinem er bisher gelefen hatte. ©8 
mar ber ShufybibeS. hätte jefct geförooren, einen 
alabemifchen Philologen *or mir &u haben. Unb boch 
märe mein (Sdjnmr falfc^ gemefen; benn ber flafftfch ge* 
bilbete §err mar feinet Neichens — ein babifdjer SBerg- 
rath SBalc^ner unb er hatte fein Satein unb ©riechifch in 
einer ßlofterfchule geholt. 

3dj laffe mia> heute in ber fteftbena ÄarlSruhc öffent* 
lieh föpfen, wenn noch ein Bergrath, «anrath ober Sanb* 
gerieh^rath in Jöaben qnftirt, ber „ex stapede 14 Xhufn« 
bibeg aud bem ©rtednfchen *u lefen im ftanbe ifi 2lehn* 
lieh mit bem ßateht, ba§ man burch ©aUuft nicht 
Derberben wiO, mährenb e8 wenige Qahte nach ber ©gm* 
nafialgeit boch grö&tentheils mfehmunben ifi — 

$>er SBinter be« Qaf)T& 1856—67 mar ein fehr 
falter, nm8 ich in meiner Regelbahn, welche parallel mit 



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— 128 — 

bcm $au§gang lag, boppelt fdjroer empfanb. ©leicf)n)ol>l 
fjeijte i<$ in berfelben nie ein. 3$ fdjrieb wofyl be§ öftem 
um (Selb $u einem SBiertelflaftcr £olj nacf) $aufe, aber 
getauft nmrbe in jenem SÖBintex fein ©pan. wärmte 
mid) in ben Bierljäufern. 

SBenn id) am SKatfmxtttag auS ber ©djule fam, legte 
M&, of)ne ba§ Limmer ju betreten, bie Büd)er burd&S 
JJenfter hinein unb ftürjtc midj tn3 „©djroert". £)enn 
mm 4 bis 6 Ut)r be3 2lbenb8 mar e§ bort „gefjeuer", 
um 6 Ufa aber rttdten bie ^rofefforen ©ifinger unb 
Nicolai an, bie im Nebenzimmer if)r ©tanbquartier Ratten, 
unb bann mu&te unfereiner „uerbuften". 

SRadj bem 9tod)teffen fafc i$ in ber SHegel mit meinem 
Detter Söttyelm, einem Bierbrauer, melier in jenem 
Sinter al§ (Sarabinier bei ben Dragonern ftunb, beim 
Bierbrauer Blafl, einem Banera, ber, ebenfalls in meiner 
Üftadjbarfdjaft, »ortrepd)e3 Bier braute, ©inen Beweis, 
nrie lalt meine ftegelbaljn mar, mag bie folgenbe %\>aU 
fad>e abgeben. SBenn Better 9Bill)elm btSroeilen auf mid) 
warten muffte, bis id) »om 9ßad)teffen fam, traf id> i^n 
regelmäßig mit ©tiefei unb ©poren in meinem Bette 
liegenb, um ftd) t)or ßälte %u fd)üfcen. ©leidjwoljl fd&rieb 
er einmal in ©elbnöt^en feinem Bater nad) £aSlad), er 
fjabe in meinem ßimmer am Ofen ben ftocf Derbrannt 
unb müffe ber Cammer 12 ©ulben erfefcen. @etn Bater, 
ber Badrfepp, melier mir bie erften lateinifrfjen Büdner 
gebraut, ließ fid) bann oon mir an Dftern ergäben, wie 
baS jugegangen. 

$er Better SBBilljelm warb fpäter ber „Bierfrämer* 
tn unferer Baterftabt, machte aber fein fo gute* Bier, 
wie mir eS in jenen fetten beim Blafl getrunfen. Stod) 
^aben fte tyu fdwn feit Saljr unb Sag begraben. — 



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— 129 — 

kleine Aufgaben für bie ©d)ule würben fämmtlidf) im 
SBette 3lbeub$ unb am frühen 9florgen gemalt SBeil meine 
Sinte aber jur ftrengen SBinterSjeit meift eingefror au3 
bereits befanntem ©runbe, fo fam am 9ttorgen bie 9ftaab 
bc§ ßürfd)ner8 Pfeifer, eine alte ©dfnoäbin aus bem <£nj* 
tf)ale, in meine ftabine, um mein Stntenfaß f)olen unb 
e§ auf bem £erb, wo flc ben Kaffee bereitete, auf jura armen. 
<£)a iljr mein fd&öner ©eftf)lecf)t§name nicf>t fefjr geläufig 
war, fo nannte flc mid& immer ,$err 3ol)anne3", unb idfj 
Ijöre fie Ijeute nodf), wie fte in aller grfiy in bie ßegel* 
bafnt trat unb mu$ regelmäßig wedtte mit bem 9fttfe: 
„$err Spannes, i will <£i bia $inta wteber aufg'werme, 
aber i bät anemeag amol a $olj foufe!* 

tiefer äBinter mar ber tältefte meiner fftaftatter 
®tubien$eit, aber audj ber einzige, ber midfj o^ne £olj 
traf, grüner unb fpäter tyab' id& regelmäßig meine 
geuerung gefauft beim Sanfter 9ttater; benn biefer war 
#eft^er be3 „^ol^ofeS" an ber Sfturg. 

fteljt nod& lebhaft oor mir, wie td& eines $age§ 
an bie ßaffe be3 SBanfljaufeS trat, um mir eine Slnweifung 
auf $ols SU tyolen, unb wie bann ber Staffier mir auf 
meinen 3djngulbenfdf)ein mel ju oiel (Selb Verausgab. 2US 
idf) auf ber ©trage ben Qrrt^um mertte, fefrte id& fofort 
gurücf unb melbete tyn bem ßomptoinnanne. 3Bie groß 
warb aber meine greube, als er mir meinen ©cfjein jeigte 
unb barauf l)inwte3, baß td(j ifnn einen 3el}ntf)alerfc§ein 
gegebeu Ijätte! 3$ ^ a ^e noef) nie im fieben einen 2$aler* 
fdjein gefc^en unb brum nur an äefjngulbenfdjetne ö e* 
glaubt 3lber nie melrc feitbem l/at ba3 preußtfd)e ©uftem 
mir fo eingeleuchtet wie bama& S)ie Butter, welche 
ben <S>df)em mir gefanbt, hatte ftd& 3wetfel3of)ne auc$ ge* 
irrt, aber ityc Qrrtfutm mar mir ein 3Bof)lgefallen. 



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- 130 — 

2BeW liebliche (Shcfdjeinung war mir in jenen Sagen 
ein ^Briefträger! (§8 fonnte ber ^rop^et Daniel feine 
größere 3=reube fjaben, ba fein College ©abafuf mit ©peife 
i&m in bie Söroengrube fam, benn td>, wenn ber SBrief* 
trager in meine $ube trat mit einem ©elbbrtef in ber 
#anb. 

SJlein SBeglüdt er mar aubem ein guter, alter SBef annter. 
S)er in meinen ^ugenberinnerungen ermähnte (SHlmagen* 
ftonbufteur „Safofc" ^ettte in feinen alten Sagen eine 
SBriefträgerfteHe in fRa\tatt befommen unb mir unfere SBe* 
fanntfd&aft erneuert. Slber roie anberS wirb ber 9flenfd) 
in fünfeeifn ^aljren! 3u jener 3ett, als tdj, faum fünf 
Safjre alt, an ber obern fGRü^le ju £a3le auf ber £anb* 
ftraße ftunb unb ro artete, bi§ ber ©Umagen baS %fyal 
IjerabroHte, um mit tu3 ©täbtle fahren ju Wunen, (nng 
mein ganjeS £er$ beim Slnblict be$ ftonbufteurS an ber 
luftigen ftaljrt unb an bem Olafen beS $oftillonS. SBemge 
Qafyre fpäter — unb all* jene finblidje Sßoefle war fort. 
2Benn t<f) *> cn ^Briefträger Qa!ob ©eppert fa$, backte td) 
nur an elenbeS ©elb, an SBier unb (Zigarren. 3)er gute 
9Jlann trug aber biefer oeränberten ©efmnung twflftanbig 
IRedjnung, unb fo freunblid) er midi etnft auf feinen <£il* 
wagen gehoben, ebenfo freubig ftredtte er mir oft fd>on 
oon weitem auf ber ©traße meine (Mbbriefe entgegen. 

$n feiner Familie wohnten unb lebten jetjt audj bie 
©ebrüber SBuntofer, nac^bem flc &u gleicher Qtit mit mir 
bie ftaferne in ben rotten Käufern Derlaffen. 3$ Ijabe 
fle aud) ba nod) öfters befudjt unb i^nen tyre Sirbetten 
abgetrieben, aber ben ftdnbigen SBerfefjr mit i^nen t>er* 
mißte td) bo<$ unb mußte beßljalb mandjeS felbft machen, 
wa§ fle für mid) getrau, folange wir in ber gleichen 
Verberge gekauft. S)a3 fommenbe @d&uljaljr führte bie 



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— 131 - 

$roei ©oltben nach Karlsruhe, unb wir trafen unS erft auf 
bet Unioerfitiit wieber. @ine§ aber hat ber SBruber ftarl 
bis an fein SRaftatter ©nbe immer noch für mich au§ge= 
arbeitet ben SBetchtjettel, worüber mir fpater reben wollen. 

Sfcod) einen SRann barf ich in ber Dberquintajeit nid^t 
oergeffen, ben bamaligen SBrigabier (®enbamerie*2Bacht* 
meifter) (Schreiber. ®iefer, ein ftrammer, alter @olbat mit 
^ittgtopf, mar bis oor wenig Qa^ren in $aSlach ftationirt 
gewefen unb hatte rnel im £aufe meiner ©Item oerfehrt. 
@r fannte bie guten unb fchlimmen (Sigenfchaften aller 
§a§lacher; namentlich meinte er, ein geborener $aSlacfjer 
habe baS »ebürfnifj, iebe 2Boche einige Slbenbe ins SBier* 
hauS ge^en unb über $)inge &u reben, uon benen er 
nichts oerftehe. ^efthötö nahm er mir auch mein oer< 
boteneS Äneipen nicht übel, ja er befriste baSfelbe &u 
Reiten. Unb baS ging fo &u: $a§ befte eingeborne SRajiatter 
Sagerbier fott oor 40 fahren ber Bierbrauer Stoib in 
ber ©ngelgaffe, an ben ©renken beS ftalabridt). ©ier mar 
ber SBrtgabier ©tammgaft unb {eben 2Ibenb ju treffen. 
2ßtr hatten nun ausgemacht, bafl, fo oft ich im Äolb er* 
fcheine, er für ben JJaU meines ©rmifchtroerbenS fich als 
meinen oom SBater gefegten „SBormunb" ausgebe. Unb 
fo fafc ich benn gar manchen 3lbenb neben meinem „23or* 
munb* unb tranf mit einer 9tut)e unb Sicherheit, als ob 
ich (Pf"* ro & te Ö e Ö en a ^ e ©oentualit&ten. $8i§roetlen machte 
ich au 4 * n &olb§ büfterm Tiergarten, broben beim Kirch 5 
hof, eine nachmittägliche Kegelpartie mit meinem Sörigabier 
unbScineSgtetchen, mit 9lmtSbienem, ©efangenwftrtern, 
Slftuaren, nicht ahnenb, bafc ich w meinem fp&tern Seben 
als ©tdrer ber öffentlichen ftuhe unb Drbnung unb als 
©efangener beriet Seilten noch bienftlich fo oiel ju fdjaffen 
machen würbe. — 

9* 



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- 182 - 

9tod)bem td) ben falten SOSmter in meiner ^egelbaljn 
ausgemalten, 30g td) mit beginn bc§ ©ommerfurfeS fytn* 
übet &u meinem Äoftberw, bem 2Jlcfegermeifter SBtrlle, 
100 ber Dberfertaner SBecfert nnb id) ein grofjeS, fd)öne§ 
£umnet gememfam bewohnten. SBecfert, ber fpäter al§ 
junger ftooperator am fünfter in ftreiburg fiarb, mar 
©enior ber offiziellen, erlaubten ©e^tanerfneipe, aber aud) 
als Unterfejtaner fdjon erfter ßljargirter be§ nidjt er« 
laubten S5orp3 ber Sttarfomannen geroefen. $)iefe 93er« 
binbung, ber einft au$ $Bifd)of &>tl>ar von ftübel, unb 
jroar als feiner ber geringften SBrüber, angehört !)atte, 
fanb U>r (Snbe unter SBecf ert 2118 ftc braufjen im $>örfl 
beim „(Siebert" an einem 3lbenb beS Qa^reS 1856 r-er« 
fammelt waren mit all* tf)ren ^nfignien aB $orp3burfd)en, 
rücfte unfer ©djill mit einer ©d)aar ^olijeibiener an, 
befefcte ©ingänge unb 3*nfter unb fing bie Uebeltfyäter. 
S)ie garten ^arjerftrafen unb bie erftmalige Huf&ebung 
fprengten ba§ ÄorpS für mele Sfaljre, feine „ärartfdjen" 
©tulpen, Papiere unb gfloretS aber befafj federt, unb 
fie famen bei feinem Abgang jur Umoerfttät an mid). 

Söedfert mar ein §auptfd)läger unb lehrte aud) ntid) 
Papiers unb $loretf eckten, rooju unfer ßimmer SHaum 
genug bot. Unfere Söetten ftunben einanber gegenüber an 
beiben ßimmermänben, unb manchmal reijten mir un§ 
Borgens beim förroadjen abftcr)tlic^ burdj allerlei ©tid)* 
reben, worauf jeber non feinem Sager auffprang unb &ur 
SBefjre griff, ©o fönten roir bann „im blofjen gemb" 
jioifc^en ben beiben SBettftetten — bi§ jur ©rmübung. 

9Ran f>at t-on lange ^er eine fernere ©ünbe barin 
gefefyen, wenn Streiften, refp. ©gmnafiften, &u einer 93er* 
binbung auf ammentreten, nrie fle auf Unir-erfttäten üblidj 
ftnb. Unb erft in neuefter fyit ging burd) alle babifdjen 



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— 133 — 

»Jeitungert roie ein bie babifdje 2öelt erfcfjüttembeS ©r* 
etgnifj bie ftunbe, man Ijabe an ben ©gmnaflen „ geheime 
SBerbütbungen* entbecft. Qd} meij$ nun nid)t genau, ob 
bieS ä^nlid^e Vereine waten roie bie SRarfomannen in 
SHaftatt, td) benfe mir fte aber fo, unb bann begreife id) 
ben ©peftafel nidjt, weisen man barüber mad)t. ©S fnb 
ba§ alte Üfteutgfeiten, unb eS mar immer fo ober einlief), 
oljne bafj man ein befonbereS Unglüä für Staat unb Stirpe 
ober aud) nur für ben ©tnjclnen barauS bis jetjt bätte 
ableiten fönnen. $n ber SRegel ergeben von ben Sßor* 
gefegten fold)er ©gmnaftften biejenigen ben größten £ärm, 
meiere als $afenfü£e unb <5d)roäd)linge nie folgen $er« 
binbungen angehört ober angewöhnt ^aben. 

2luS ben beutfdjen ©tubentenüerbinbungen, großen 
unb Keinen, ftnb aÜ^eit S)eutfd)lanbS befte unb tfidjttgfte 
SJlanner ^eroorgegangen. ©pcjteU aus ber SKaftatter 
„Wlaxt omaunia" leben !>eute nod) in ben Ijöcbften Remtern 
beS ©taatS unb ber Äird)e Slngefjörige, meiere ftd), id) 
bin beffen feft überzeugt, bis &ur ©tunbe no$ barob freuen 
unb ftd) mit Vergnügen jener $age erinnern. 

2BaS gefd)iefjt benn auf folgen Kneipen SBöfeS? 9ld)t« 
8ef)n* bis groanjigiä^rige ©gmnajiften trinfen 2*ier, fingen 
SßolfS* unb ©tubentenlieber, madjen allerlei unfcfyulbige 
Zeremonien afabemtfd^er ©tubenten nadi), oergeffen fo ifyre 
otele Sflülje unb Arbeit in ber Schule unb fyolen ftd) 
einiges ©emütf) unb ^ßoeftc gum ©rfatj für bie Debe unb 
fieere pljilologifdjer *ßebanterie, mit ber fte oon ben latei* 
ntfdjen ©d)ulmetftern geplagt werben. ©S ift tynen 
btefe ©rljolung nod) mefjr gu gönnen als ben Stfabemtfew, 
meiere als „©tubenten" erfter klaffe gelten, aber oft nichts 
ftubtren, roäfjrenb ber „3 ro W ftubirt unb ftubiren mufj. 

©onft fommt nichts 995fe8 oor in biefen ©efetlfdjaften, 



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— 134 — 

imb biejenigen, bie eigentlich $Böfe3 unb ©erneutes tt)un, 
fmb in ber IRegel bie „$)ucfmäufer", welche fld^ auf feiner 
Kneipe fet)en laffen, hn©eheimen aber oiel fernerer fünbigen. 
©8 waren mir beriet (&£emplare met)r benn eines befannt. 

fflitfyt bie fogenannten gemeinten 93erbtnbungen ftnb 
ba§ ftrebSgefchroür an unferer heutigen flubirenben Qugenb 
(bei ber, wie fchon einmal gefagt, ©rfchetnungen ju Xage 
treten, bie meine 6tubir&ett nicht fannte, wie 3. IB. ©elbft* 
morb), fonbem ber SJtangel an Dichtung t)or ber Religion, 
hervorgerufen au§ ber unb&nbigen fjrci^cit in religiöfen 
fingen, bie man in Jeggen Sagen jebem bartlofen Änaben 
einräumt 9Ran mag mir fagen, mag man null, unb fo 
febr ich bie Urfachen beSfelben unpartetifch rechts unb UnfS 
fef)e, ich behaupte: *2)er ftulturfampf, in welchem allüberall 
gegen Kirche unb Dogmen gehest unb gefpottet mürbe, 
hat am aHermetften bei unferer 3ugenb feine fchlimmen 
folgen hiwterlaffen, in ber Sßottgfchule fomohl mie in ben 
höheren ©duilen. — 

©eitbem ich mit federt sufammenlebte, befugte ich 
mit ihm gar oft bie föteipe ber (Sextaner, roelche jie ba* 
malS faft regelmäßig in ber Bierbrauerei ©romer am 
ftebler £t)or aufgefchlagen hatten. Qch lernte ba aXV ba§ 
bei Reiten, mag ich fräter, felbft ©enior geworben, ju 
praftijiren hatte« SWchft SBecf ert, ber eine jooiale, fettere 
SRatur mar, glänzte unter ben SBiergemeS jener Sage auch 
ein beutiö** babifcher Dberfchulrath, ber aber, ju ben 
Keinen ©eiftem gehörenb, teufelSroilb ift, »eil ich in meiner 
„©tubienjeit* feiner ©rro&hnung gethan habe. S)rum foll 
es ihm mie in ben beiben erften, fo auch fo biefer britteit 
Auflage erft recht nicht gefchenft fein, bafj ich ihm einft 
half ein ©tänbchen fingen. 

3n bunfler Stacht oon ber „©romerei" mit ihm heim« 



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— 135 — 

leljrenb, machten mit an ber UJhtrg in bet Stö^e bet 
SBabener SBrüdt c ©alt, unb id) mußte ifyn t>or bem genjter 
eines 3ttäb$enS, für ba* er ritterliche SRhme füllte, Simon 
Stades „Slenndjen oon 2$arau" fingen. $ell tönte meine 
Stimme burd) bie SKadjt Ijin, mfi&renb bet heutige Ober« 
fdjulratfj etwas S3ag baju fummte. 9lber beS ©locfen* 
gießerS 2lenndjen, fo Ijteß bie SBefungene, mochte leine 9lf)nung 
jjaben oon bet *ßoefie, bie in einem Stäubten liegt; ityr 
ftenfter blieb bunf el unb gefd&loff en, unb $iemltd) abgeformt 
jogen mit übet bie Srücfe bet Stabt $u. 

HS td) 13 3af)te foäter, 1870, in meinet ©igenfd&aft 
als Staatsgefangener mit meinem ©efangenro&rter eines 
frönen SDftattageS auf einem Spaziergang übet bie gleite 
SBabener SBxüctc ging, begegnete uns baS 9lennd)en. 3$ 
fjatte e8 auf ben etften 93Iicf wiebet erlannt; eS mar 
nod) baS fletne, nieblidje, totfjbacfige $)ing — abet, urie 
mit mein ^Begleiter fagte, immer nod) lebig. Sie tonnte 
natürlich nidjt oermut^en, baß jener Sänger oon bamatS 
als (Befangener an ttyr oorfiberjiefje, unb fagen tonnte td) 
eS iljr mdjt, benn baS Sieben auf ber offenen Straße war 
mir, bem polttiföen SBerbredjer, nidjt gemattet — 

9JUt Rettert unb mir faß am ftofttiföe beS 9Jte$gerS 
SBirtle, ber heute nodj fammt feiner ^rau am fieben ijt, 
als britter im SBunbe ber ^oftprattitant SRowal aus ftarlS* 
rufje, ben id? nic^t oergeffen barf, weil er brei Qafjre lang 
mit mir aß unb bisweilen au$ tränt. Qdj ^abe in meinem 
ßeben leinen gutmütigem Sttenföen tennen gelernt als 
biefen SRoroat. Seine ©utmüttyigteit ging fo toett, baß 
er felbft leu$tfhmig mürbe, nur um in ber ©efeUfdjaft 
Seid&tfhmiger nid)t ben Sonberling &u fptclen. ©r glaubte 
3. SB. trofc feiner f d>roäd)ltdjen gigur unb $onftitution eben- 
fooiel trinten ju müffen roie anbere Seute, weil er fürchtete 



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- 136 - 

bie SBteltrinfer fonft gu beletbigeru Saß bicfe ©utmütyig* 
feit mißbraucht würbe, liegt natye. 

$d) l)abe mannen fdjledjten ©paß auf bem ©ewiffen, 
ben i$ mit iljm übet $ifd) getrieben, aber sunt ttebermaß 
be§ $rinten£ oerleitete idj tljn bodj> nie, ba i$ SJlitleib 
mit feiner ©efunbljeit hatte. 9Reift oerbradjte er feine 
2lbenbe in anbererGBefeUfdjaft, Haßte mir bann am folgenben 
Sage über fdjrecflid)en ftafcenjammer unb fügte regelmäßig 
bei: „3$ jollt' f)alt immer nur mit S)ir gehen!" 9Jleine 
Soweit lieg id) an ihm oorgugSweife bahtn au$, baß id| 
ihm, in beffen SBruft ein liebenbeS £erg fdjtug, oon Seng 
unb Siebe rebete unb fo fein gangeS Söefen oor 93er* 
gnügen ftrahlen machte. ®r hatte babei einen unerföütter* 
liefen ©lauben an feinen Sttephifto. Qd) war faum ein 
3af)r auf ber Unioerfttät, als mir bie Shmbe warb, ber 
gute SRowat oulgo ©dntacfel fei geftorbeu. 

©o oerließen meine beiben bamaligen $ifd)toUegen 
in ber Stüthe ihrer Qa^re biefe <£rbe, unb id) allein blieb 
übrig, um mich mit SBehmuth ihrer unb unferer luftigen 
Sage gu erinnern 

SBecfert mar au8 bem S)orfe 9Hetigheim bei Dfcaftatt, 
unb fein 93ater, ein armer SBauerSmann, befugte und beß* 
halb oft an ben Sftartttagen. Srotj feiner Sttittellojigteit 
braute er feinem ©ohn regelmäßig einen großen £aib 
fdnoargen SrobeS unb ein ©tücf ©peef, wogu ich natürlich 
Jeweils aud) eingelaben würbe. 3U§ Eeffert gu biefen 
SBietigheimer 3)elifateffen gab uns ber gute Sftann ßehren 
unb Mahnungen, bie aber auf ein fehr trocfeneS ©rbretd) 
fielen, ©ein SBrob unb ©peef gelten oiel länger an; benn 
wir Ratten tagelang baran gu gehren in ber Qtit gwifdjen 
Wittag unb SWacht, feine Sßrebigt aber war oergeffen, ehe 
bet ^taNö** $>öuS oerlaffen hatte, ©eine legten 



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— 187 — 

2öorte, bie wir mit Säbeln begleiteten, lauteten ftetS: 
„Sepolb, paff* m'r nuntme uff in b'r €>d)uel unb $iel) m'r 
nett in bene 2Bertl)§f)üfer rumm!" 5113 fein ßeopolb fdjon 
auf ber fjofjen ©djule gu Sfteiburg fid) befanb, befugte 
mid) ber 9llte bisweilen nod) in föaftatt, unb td) erinnere 
mid) gar wotyl, wie er mir eine« SftorgenS einige SEÖürfte 
aus $uf)blut braute, bie aber meines met}gerlid>en §auS* 
f>erm $unb, ber „Sultan", nerge^ren muffte. — 

3n meiner Älaffe waren eS in Dberauinta $wet 9Jttt* 
fdjüler, mit benen mtdj non ba an für bie ganje £qceumS* 
geit bie gleite ©ejhmung in Stubien unb Vergnügungen 
innig uerbanb. $eibe, talentvoller benn id), teilten mit 
mir bie gleiche £uft, aufierfjalb ber (Schule ©efctyidjte unb 
Literatur gu ftubiren, unb ebenfo befeelte fle ber gleite 
#ang $um Staufen unb pm Kneipen. Sttittellofer als 
id), Ratten fte jebod) ©on Dberquinta an burd) tljeologifdje 
©tipenbien aud) e^er ben &u obigem §ang nötigen „Ner- 
vus rerum". 

9lbetj, ber <Sol)n eines mit ftinbern mefjr als ge< 
fegneten SOBagnerS aus Sftaftatt, Äutyn, ©pröjjling eines 
S)orffdjulleljrerS auS Seiberftung, unb idi> waren alle brei 
junge, üterartfdje <§d)öngetfter unb fdjmärmten für beutfdje 
Söiffenfdjaft unb für ©ermanentyum, wie nur Sßeuteutonen 
in biefem 3Hter fdjmärmen fönnen. SJlandje ©tunbe fajjen 
mir unter biefem $abaf§qualm in bem gimmer beS einen 
ober anbem unb lafen Sßlaten, Urlaub, ©oetlje, Sefftng 
ober beutf d)e @ef djidjte. Unter ben $)id)tern mürbe Opiaten 
wegen feiner glatten SBerfe unfer Siebling unb von ben 
£iftorttern ^Jlenjel. Unf ere politif d)e ©eftnnung war extrem 
liberal unb bie beutfdjen ftaifer beS 2ttittelalter§, welche 
mit ber Äirdje im (Streit lagen, unfere gelben. 3Bie oft 
fjaben wir einen ©regor VII. oermünfdjt, weil er in ©ein* 



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— 138 - 



1 






U\ Hill 



emiebrigt, unb ben beutfcfjen 
©otteSmann ßutljer geprtefen, weil et gegen ben Sttblafj* 
främer Teljel aufgetreten! 

Q(§ tann mi^ eines SäcfjelnS ntdjt erwehren, wenn 
idf) an unfete ebenfo unreifen als jugenblidjen Urteile über 
3eit unb 3Beltgefd)id)te jurüäbente, ftnbe aber derartiges 
an jungen Seuten oerjetyltd). ©8 wirb fjeute nod& fo fein. — 
Qn ben Jerien fud&te jeber für fiel) SfteueS ju lefen, unb 
nad) ber föücffeljr framte einer um ben anbern aus, weld)' 
neue dinge er fennen gelernt, unb neben SBiet unb 2abat 
warb mit großem (Snfer era&ljtt, biSputtrt unb biSfutirt 
3$ lag mand&e Sttorgenftunbe mit meiner @efd)td)te 
ber deutfdljen von ütflenjel, getauft vom Antiquar #an!e 
pm <Siibetfd)Ub in ßüri^ ober mit meinem ^ßlaten an 
ben SBalbf&umen ber $eimatl), flaute, nad^bentenb über 
baS ©elefene, ^inab auf baS ©tdbtdfen, xoo bie Sftaud)* 
mölken leicht von ben flammen auffliegen, unb träumte 
über ©efd)id()te unb $oefte. 

die feiige Äinberjeit mar vorüber. SBenige Qa^re 
äuoor mar i$ nod^ mit 8eSf)olj ober gefammelten Sßuty 
nüffen auS biefen SB&lbem gebogen unb fyatte mid) um 
bie SBelt fo wenig befümmert als ein Tannenbaum; je£t 
mad&te tdj) mir fä)on Stopf wefj mit SRad&benten, unb 
wäfjrenb meine Seele bamalS gang unb ooflauf ber SRatur 
gehört Ijatte, manbelte i$ jefct burdf) SBalb unb ftelb mit 
iöüc^ern in ber $anb. duft unb 9letf)et beS (Seelen« 
lebenS waren fort SBudfj unb ÜKatur ftefyen in einem 
SBettjältnifi jufammen wie bie ©eufdjrecfe $ur S^at^tigalL 
#atte icfc meine (Stubien am SBalb oottenbet, fo 
ging'S, auc$ ein Stxtyn, bafe bie genügfame ÄinbeS^eit 
oerfdf)wunben war, §inab ins ©täbtd^en ju einem ^rft(« 
floppen. 2Bö^renb i$ efjebem bei ber ^eimfe^r aus 



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— 139 — 

3felb unb SBalb glücflich war bei einem £opf ©auermild), 
ftoljirte ich je%t wie ein junget Gtord) im ecflen ©tag, 
mein ©uch unterm 9lrm, am borgen fdjon in8 ®ierhau3. 
#ier traf ich in ber Siegel bie befferen Bürger unb bie all* 
jett burftigen $anbroerl8leute ber 93atcrftabt beim ©lafe. 

Unter ben erfteren glänzte ber Kaufmann 9lrmbrufter, 
mit bem uh twrpgSwetfe mich unterhielt, benn er hatte 
einftenS am ©umnajtum in Ottenburg groet Spulen ab« 
foloirt S)a er außerbem in ber $iplomatennachbarftabt 
2öolf ad) geboren mar, übertraf er an „facon de parier" 
fämmtliche gewöhnlichen $a3la$er Bürger. SORit Vorliebe 
gab er lateinifche SBrocfen &um bejten unb wußte ftets, 
wo ber „feinfte (Stoff* in ©aSlach ju pnben mar. 2Benn 
wir manchmal beim »SBtertr&mer" faßen, tonnte er mitten 
im ©efprärf) abbrechen unb unter einem „a propoe" mir 
ftia ins Diß ffüftem: „S)er feinfle ©toff ift wirtlich 
brüben beim Biermeible!* SBie oft h<* ber alte ©err, 
ftetö eine gejlicfte ©ereoiSmü^e auf bem ©aupte, behag* 
lieh ben äBunfch auSgef prochen: „SEBernt mir ba3 SBier nur 
auc^ noch jehnQah^ fdnnecft wie hatte!" ©rhat'3 
erlebt, aber bie „tffyn Qäh^ e * P no lÄngjt vorüber, unb mit 
ihnen ift er oerf chwunben auS biefer flüchtigen ©rben$ett. — 

3n bie Seit beS DberquiutanerS fällt auch meine 
nähere SBefanntfchaft mit bem in meinen Sngenbermne* 
rungen öfters genannten ©chmiebmeifter SBunibalb Äern. 
©r führte mich juerjt in bie höhere ^ßolittf ein, bie auf 
SBörneS Briefen au§ ^ßartS fugte, welche mein Sehrmeifter 
befaß, mir gum Sefen gab unb mit mir befprad). 3$ 
glaube faft, baß von jener politifchen Sugenbleftüre unb 
oon ben SBuntbalb'fchen Kommentaren, welche auf ein 
§a$lad)er $et^ fielen, eine meiner größten Untugenben 
herfömmt, bie nämlich, über bie beftehenben SBerhältniffe in 



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- 140 - 

ßitdje unb^toatiuipolittf^e^cbanfenlo^ulaffen, rooburä) 
ich mir fd&on mel gefd&abet unb Diele JJeinbe gemalt habe. 

Sftoch ein wichtiger 9lft fiel in jene £age. Sttuf* 
gemuntert burdj meine $reunbe 9lbe$ unb $uhn, non 
benen jeber 150 (Bulben theologtfcheS ©tipenbtum bejog, 
lieg ich mich burch Verlangen nach „mehr ©elb" h**bet, 
auch um ein folcheS nadfföufuchen. iheologtfche Anlagen 
hatte bamal§ feiner oon uns. S)ie eigentlichen Berufs« 
Geologen in ber ftlaffe, Seute, bie fdfjon fehr fromm 
traten unb felbft ba§ ^gfreibutger Stfrchenblatt" gelten, 
befamen oon uns ben tarnen „(Schöpfen", unb ba§ einige 
9M, bo ich ben <ßrofeffor Nicolai bö§ fah über mich, 
mar, als er erfahren hatte/ bajj ich einer ber malttiöfeften 
©egner beS „(Schöpf enbunbeS" fei. 

9Jlit Sftücf ficht auf mein vorgelegtem aSermögen^eugnifj 
erhielt ich gmar nur fünfzig ©ulben, allein e§ waren mir 
biefelben immerhin eine angenehme SBermehrung meines 
$afd)engelbe§. S)a3 theologifdje (Sttpenbium fjatte aber 
auch im elterlichen $aufe meine &eruf3roahl flüffig ge* 
macht. Sttutter unb ©rofmmtter fchwärmten natürlich 
für ein theologifdjeS „StipenDi*, aber in erfter Sinie nicht 
roegen be3 ©elbeS, fonbem fle glaubten mich eher an 
ihren Steblhtö§nmnfch gebunben. 3$ felbft hatte lebig* 
lief} ben 3Jlammon im 2luge unb im übrigen meine 
(Sache noch aiemlich auf nichts gefteUt. 

Einberg als 3Jhttter unb ©rojjmutter badete mein 
prafttfeher SBater. QHneS 9ttorgenS ging ich mit ihm, 
ber immer noch ein franfer 3Jlann war, fpajieren „um 
bie Seilerbahn", wie bie auSgeebneten Sftemparts be§ einft 
feften ©t&btchenS fjeifjen. 3)ort, roo man oom „ÜReuen* 
$I)or*93ach" her in baS (Stcibtle hineingeht, fhmb bamalS, 
- an ber ©efe be$ STpothefergartenS, ein „S3ilbftocf" auS 



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- Hl - 

Stein mit ber Saljregga&l 1736. Sin bicfer Stelle rietf) 
mir bet £8ater, mit bem td(j feitfjer nie über meine 3 U * 
fünft gefprod)en Ijatte, boc^ ja nidjt ©eiftltdjer werben 
gu wollen, unb groar belegen nid)t, weil er ben (Söltbatg* 
gwang für ein Unbing Tjalte. 3$ mar gwangig Ja^re 
alt, fjatte aber feinen begriff, fjöc^fteng eine Slfymng oon 
bem / mag ber Sßater fprad), nnb meinte, baö werbe mir 
tüdjtg madf)en unb midfj ntdjt abgalten, Geologie gu 
ftubiren. $)er Jßater fdjmieg barauf unb l)at oon jenem 
2lugenblicf an nie me^r über meine SBerufgwaf)l ein 
2Bort mit mir gewedtfeli (ginige Qafce fpäter, td) mar 
fdjon Geologe, gab mir bet alte Stefan Slurg ä£>nlicf)en 
9iat^ unb erhielt biefelbe Antwort wie mein Sßater. — 

9lm 14. September 1857, bem Sage, ba bie tatfjo* 
lifdfje ^ircfje baö JJeft ber ftreugerf)öl)ung feiert, 50g xd) 
mit einer Sdjaar älterer £aglac§cr Jungfrauen, unter 
i&nen befanben fid) £tntergfirdf)g ftot^e" unb iljre 
Sdjwefter „föicfe", auf bag „ftreugbergle" bei ©aufad). 
<£g ift bieg eine prächtig gelegene SBalbfapede, roo^in in 
jener ßeit 110$ bie $agladjer an ben $1. föceugtagen gerne 
maUfa^rteten. ;gdfj Ijatte und) angefd&loffen ber ,fcl}önen 
Partie 4 ' wegen unb trieb unterwegg „in (5f)ren* meinen 
Spaß mit ben „alten SBlumen ber £eimatl)\ 

SOßir waren etwa ^albioegg am Söerg fjinaufgefttegen, 
alg midi) „bie fftotty" fragte, mag id) ftubiren motle. 
2JUt ernftyafter 9ttiene fagte idf) tyr: „Pfarrer", wor* 
auf bie gange fromme ®efetlfdf)aft §oI)ttguladf)en begann. 
Sie oerföworen fi$ alle, lebig bleiben gu motten, wenn 
t$ Pfarrer merbe, worauf td) ermiberte, bieg (Mübbe 
werbe i^nen nid)t fetywer werben, audj wenn ein ©etft* 
lid&er aug mir würbe, ba bie meiften t>on i^nen gum 
fiebigbleiben oerurtljeUt feien oon Statur aug. Unb fo 



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— 142 — 

gefd)al) eS audj; id) warb Pfarrer, unb bie Sadjerinnen 
lebten unb ftarben faft ausnahmslos im lebigen ©tanb. — 

Qm ©erbfte beS eben genannten SfafyteS fanb in 
ber <5tabt Sa^r ein großem lanbmirthfd)aftlid)eS fteft ftatt. 
lieber ben <sd)önberg unb bie ©erolbSecf fuhr id> mit 
meinem ältern ftreunb, mit beS „©otterbarmS ftranjfepp*, 
in einem flotten ©mfpanner baljin. Söei biefer ©elegen* 
fjeit fah id^ bie neue fatholifd&e &ird)e unb baS ebenfalls 
neue, überaus liebliche Pfarrhaus von ßahr, unb eS tarn 
mit beim 2lnbltcf beS letztem aum erften 9M ganj ernft* 
haft folgenber ©ebanfe: Senn td& müßte, baß mir ein* 
mal ein fold)' fcfjöneS Pfarrhaus ju theil mürbe, lönnte 
td) mich ernjttid) entfalteten, ©eiftlicher gu werben. 

3$ beneibete im ©tiUen ben Pfarrer oon ßahr, oon 
bem idj übrigens nichts ju fehen befam, unb hätte nie 
gebaut, baß ich einmal mit ihm befannt unb enge be* 
freunbet werben würbe. $)enn jener ©lücfliche mar ba* 
mals fdjon lein anberer als ber fpfttere S)etan ftörberet 
Don Sahr. kleine „theologifchen ©ebanlen" beim 9lnblicf 
beS fd)änen?ßfarrhaufeS waren balb wieber meggefcftroemmt 
com geftjubel. 9ftein ^Begleiter ^atte otele Jreunbe unter 
ben Saurem, unb bei benen ging eS, in Jener geit wenigftenS, 
maffto luftig t)tx, fo baß wir erji gen 9tttttemacht mit 
unferem Stappen an ben 9htinen Don ©erolbSecf vorbei« 
fprengten fynah ins ßin&igthal. — 

@o gingen bie Sttnge in Quinta, bie triel glttnjen* 
ber föloß, als ich am Anfang erwartet. Qdj würbe beim 
Uebergang jur Sejta im ^eugniß unb bei SBerfünbigung 
ber Promotionen in ber 2lula dff entließ belobt, 
rangirte unter ben <$rften unb h^te in gfleiß unb Se* 
tragen bie erften SRoten — alT baS ohne SSerbienft. 



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SBenn ein rufftfa)er leibeigener von feinem äaifer 
bie 3freii}eit erhält unb jugleicf) $um SBaron ernannt mixt), 
fann et unmöglich froher fein, als ich e§ mar, ba ftcf) 
mir nach jahrelangem Seinen bie $hüre ber Unterfcjta 
(Unterprima) auftrat, ©tng ja boch bamit baS „ner* 
ftof>lene* ftneipen &u (gnbe unb tonnte ich meinem ^SBtcr- 
©eniuS* freien Sauf laffen. 3$ hatte mich aber 
jetjt nach feiner anbem Freiheit mehr gefetjnt als nach 
biefer. $)e§halb galten auch mir, wie fchon oben be* 
mertt,bie ©eytaner (Primaner) als bie „Grands Seigneurs", 
al3 bie großen Herren am Snceum. 

S)er ©ejtaner ijt aber fonft auch bie fünfte SBlüthe 
beS ganjen ©tubententhumS. Qmifätn bem aDjufreien 
Stfabemiter unb bem ju eingefchränCten niebern „tJrofth" 
ftefjenb, erhebt er pch über betbe. %m UnioerfitötS* 
ftubenten übertrifft er an ftleifj unb Seiflungen, an JJreube 
jum flaffif chen Sllterthum, an Sbealen; ben Keinem „2JHt* 
frofch* aber fteUt er in ©chatten burch feine atabemifchcn 
Sldüren unb burch eine geiftigere 5luffaffung feine« $)afeinS. 

SBiele meiner geiftlichen 9Jlitmenfchen fagen fymtt 
noch oon mir, ich fei ftolj unb hochmüthig* SBenmfjt aber 
mar ich erftere im ganzen bisherigen Seben nur in 
meinen Segtanertagen, wo ich glaubte, auf bem fhtben» 
tifdjen Dtymp angefommen $u fein unb befjt)alb baS 
Stecht ju haben, mich 3" fühlen als einen halben ©öttet* 
Jüngling, ber überall SReftar unb SÄmbrofla fleht, unb 
in beffen @ehim bie flafftfchen Reiten Äitchwety halten. 



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— 144 — 

Äeffing nannte bicfc Qahre bic einsig glücken In 
feinem ganzen ßeben, nnb roenn td) offen fein arid, nnb 
ba§ rotll td), auch anf bie ©efahr J>in, mieber „oerfchimpft 4 ' 
jn werben, fo mujj auch ich fagen, bafj bie jmet Qahre 
ber ©ejta nächft ber $eit „beim Äaplan" bie glücflichften 
meinet ganzen ©tubien*9lera gemefen flnb. ©ie flnb jraar 
nebenbei meine „glegeljahi* 4 ' gemefen, allein e§ fd)eutt 
fidf) bieg ganj natürlich gu oerftehen. 9ttir fommt e§ not, 
als ob ba§ erfte oerftänbmfjinnige ©inbringen Hafftfc^cr 
SBilbung in ben ©eift eine $lrt Sfteoolution in bem ©terb* 
liefen ^eroorbringe, bei welcher ber Sßaturmenfch tampft 
mit ber $nmanität $)tefe nrirb innerlich 3tteifter, ber 
„Siegel" mujj hinaus, bti)auptet aber $um @rfafc fein 
Regiment äußerlich. Daher bie tollen ©treibe ber ftubtren* 
ben 3 u Ö enD - 

Unfer oben befprodjeuer Dreibunb arbeitete mit 
neuem ©ifer in ber neuen klaffe, angeregt burd) bie 
offizielle ©efchichte ber Literatur, meiere un§ ein bisher 
noch nicht genannter ßehrer, ©Riegel, gab. tiefer £err, 
ebenfo fleißig als gemiffenhaft in feinem 2lmt, hatte smar 
auch bie unglütflidhe Qbee, bie £iteraturgef$idjte &u 
biftiren; allein nur lernten barau3 roenigftenS Quellen 
unb tarnen ber älteften beutfdjen Literatur big auf Dpttj, 
unb wenn mir auch be3 SßrofefforS Sttftat nicht fonber- 
lich ftubirten, fo polten mir auf ber SBibliotyef bie oom 
<ßrofeffor angeführten Duellen unb mibmeten und biefen 
um fo mehr. 

3Bir brei traten für bie ©djule bamaB nicht au^u* 
oicl, roo^l aber fürs Seben. Sßom SSbelungenlieb an* 
gefangen, gingen mir alle namhaften mittelalterlichen 
Dichtungen burch, wobei Slbefc, ein ©chmärmer für bie 
Arbeiten ber ©ebrüber ©rimm, voxah ben fprachlichen 



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— 145 — 

£f)eil behanbette, »fthrenb ftuhn unb ich ben poetifchen 
©ehalt h«*orhoben. 

%\t in Unterfejta begtnnenbe „$l)tfofopt)ifrf)e ^Sropä* 
betttif", gegeben oon Sßrofeffor 4>oljh*tr, war mir in ihrer 
(Siementarlehre ber Sogif ein (Kreuel, weil ich baS Kenten 
nach ftormeln als eine geifHge Tortur aerabfcheute. $er 
SJtenfdh mufi feine Sogtt mit auf bie Söelt bringen, alles 
3uf^neiben nnb (SHnfdiadjteln nütjt nichts. $)er nmhre 
£ogtter wirb auch, nrie ber dichter, geboren unb nid^t 
gemalt ftzwb von allem Slbftraften unb oon Jormeln, 
weil e$ mir meinen ©etft auStroctnet nrie ein Samum 
bie Vegetation, tyäx ich nie ©efcfjmacf an ^ilofop^ie 
gefunben, auch nicht als ich auf ber Unioerftt&t biefelbe 
hörte. 9JHt Qntereffe gelefen unb in mich aufgenommen 
habe ich in meinem SttanneSalter nur einen tyfyxlo* 
foppen, ben ber SBerjroeiflung, Arthur Schopenhauer. 

%m <£tcero in feinen philofopbifchen Schriften, eben* 
fo ben £ora& lernte ich in ihrer geizigen Reinheit erft 
in Dberfqrta erf äffen, £olaherr, bei bem mir (SiceroS 
$uScu!anen lafen, arbeitete mehr auf§ „Stftct*, unb 
Nicolai t>erunebelte ben #oraa burch ^Betonung ber 
SBerSmafje, bie er felbft mdjt immer oerftunb. 3fch mufc 
je§t noch lächeln, roenn idj an ben guten Sßrofeffor 
«Nicolai in SBerbinbung mit $oras benfe. 9luf bie Ueber* 
fefcung beS lefctern bereitete ich tntd^ ftetS gerne oor, bie 
SBer§ma$e aber fyabt ich gehabt unb verachtet unb be§* 
halb feiten beriicfftchttgt. 2ßenn nun ber „MrtzU* mich 
bamaeh fragte, machte ich fc^ncU ein ungef&hreS SJtetrum, 
unb wenn er (Stnfprache erhob, behauptete ich H*hn, in 
„alten 2tu3gaben* ein folcheS gefunben ju haben. 3fet>t 
rourbe ber braoe 2Jlamt aorftchtig unb fprach: „Jfta, man 
tann a fo fagen, fann aber auch a fo fagen,* unb batm 

$ati*Ja!o&, Stubienjrtt 10 



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— 146 — 

gab er feine Jamben, $rod>&en unb fcattolen &uut 

beften. 

$>ie angeneljmften ©tunben blieben mit eben bie beS 
SrtrettorS. <£r la3 mit un8 in Unterfqrta £omer unb 
#erobot; ba mar ftetS ©eift unb geben. 3)te meiften 
Scpler bet Älaffe fürdjteten jid) auf feine ©tunben, tdj 
freute midj. <£troa bie fünf (Srften lieg et oorüberfefcen, 
bie anbem mufjten, wie er $u f agen pflegte, „nadpgen" ; 
fte Ratten bie müfjeooUere Arbeit, benn wenn ifnten nur 
ein SBort anberS lata, als e3 Dörfer überfettf roorben, 
ergofj fid) eine S^utE) von ©dntnpfreben über baS $aupt 
ber Unglüctlidjem $)a Inefj e3: ,©etj er fidj, er SRinb* 
mef)!* „(Sr ift ein geborenes unb erlogenes fötnboiel)!" 
# 2Berb er Stuftet !" „@3 fhtb nur oier ober fünf in 
ber Älaffe, bie idfj brausen fann, bie anbem flnb unb 
bleiben ©d)af8föpfe" u. f. n>. 

Söenn er ftdj au§gefd)impft Ijatte, legte er fein 
jgawpt einige £eit trauernb in bie redete $anb, bann 
fing er nrieber an ooU ber fcödtften JJetnljett feinen #laf* 
jUer p erfl&ren. 3$ nmjjte mit ber ^eit jebcS $ar« 
tifeldjen nad) feinem @efd)macfe $u überfein, Ijatte gar 
oft nur flüchtig bie Ueberfetptng # gefdjlaud)t", wäljrenb 
anbere müf/fam ftd) präparirten, unb bod) laut icij mit 
£ob, jene aber mit ©dnmpf baoon. 3lber e3 Ijai aud> mir 
mefyr benn einmal bie [Hebe geblüht: „Qx ift eben aud) ein 
Sttinboielj l" $abe jebo<$ bem oorgügli^en Selker berlei 
$inge nie übel genommen; er mar unb blieb metnßiebltngS* 
leerer , beffen auffafyrenbe $itje nebft iljren münblufjen 
folgen tdj Ijeute in f)ofjetn 9Rafse tfjeile, otyne fold^ ein 
flaffifdjer Sßfyüologe %vl fein, mie er eS gemefen ift — 

9Jton l ann im gewöhnlichen ßeben oft bie @rf a^rung 
madjen, bafi attenfdjen, folange ü>nen etwa« verboten ift, 



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— 147 — 

barnad) trauten , fobalb e8 aber erlaubt wirb, gleich' 
gilttg bagegen werben. 93ei mix war bieg mit bem 
2Btrtf)§f)au§gef)en md)t ber ^aU. 3 m ©egentljeit, e§ 
ftetgerte fid^ meine „SBietlümmelet" mit bem Eintritte ber 
©ertanerfretyeit. 3$ $atte eben in ben Sagen meiner 
©tubienjett ein letbenfc$aftlid)e3 Verlangen nad) Vier* 
fyauS unb ®efellfd)aft, wäljrenb beibe feit nieten Sauren 
von mit in meinem Sllltagäleben »oUftänbig gemieben 
werben. @3 fyat meine ÜRatur hierin ganj in3 ©egen* 
tfyetl umgefd&lagen, unb td& bin in biefen fingen einer 
ber langmeiltgften *ßl)ilifter geworben. 

9Jtandje werben e3 mir $ur <§d)anbe anrennen, bafj 
i$ in jenen Sagen in meinen Vergnügungen gan$ im 
Viernaus aufging. Sttir tft aber fdwn oft ber ©ebante 
gekommen, bafj eS für mid) in gemtffer SBejie^ung ein 
©lüct mar; benn e$ Itfelt mtd) oteUetdjt oon grö&ern 
g^lern ab. Unb in ber £f)at I)at in jener geit feine 
anbete Seibenfctyaft mid) gefeffelt auger Viertrtufen unb 
entfpre^enbeS föcafeelen. 

SJleine be§faUfigen SBeftrebungen würben jetjt ftrfte* 
matifdj abgeheilt. 2)er i£rüi)fd)oppen an (Sonn* unb 
Feiertagen unb an jenen SBetftagen, an benen um elf 
Uljt bie Älaffe au8 war, würbe in ber" „blauen ftafc" 
genommen. Einige ©las ©in^eimer 93iere§ oor £ifd) 
nebft einer „gtoftenbrejel" galten mir bamatS al§ ein 
^odjgenufj, ben id) jetjt an einer fürftltdjen Safel nidjt 
metyr fänbe. S)er $atjemneier, ein biefer, urgemütfjlid&er 
9Utbaqer unb mein intimer gfceunb, meinte be§ öftem, 
fo ein luftiger „trüber* wie i$ fame feiner me&r an§ 
Jtyceum. <£r fefcte fidj befftalb jtetS an meinen Stfd), 
an bem einige @tammgäfte fafcen, wie ber ftbele dtatf)* 
f Treiber SÖUbemann, Virtuos im SHetttgfdjnetben, ber 

10* 



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— 148 — 

Dberfetbwebel SJtaurer t>on bcr ©traffompagme unb 
anbere, bie alle Iängft untet bic lobten gehören. 

3$ weift mdjt, ob bie Sttenfdfjen fjeutjutag beim 
„Srüfyf poppen* aud) nocij fo Reiter fmb, aber bei un§ 
!)crrfd)te eine ©eiterfeit , bie mit jefct wie ein 9ttärdjen 
aus taufenb unb einer SRacfjt uorfömmt. 

S)ie SRad&mittage von trier Uljr ab mürben in Unter* 
fegta eine 3eittang Ö* n 3 reßelmäjng, felbjt im SBinter, 
in bem $)otfe $uppenljeim $ugebra$t. @S fonnten bie 
©d)übroad)en am 9iieberbfil)ler Sljor in ben £erbft* unb 
SBintertagen beS Qa^reS 1857 täglich nadf) trier Ufr jwei 
junge fieute &ur SJeftung IjtnauSeilen feljen; ber eine grojj, 
fdjlanf unb blafj, ber anbere breit unb ftömmig. ©te 
rannten batjin, als gälte e§, ein Wettrennen nadf) bem 
eine ©tunbe entfernten ftuppenfjetm abgalten. 

%wcä) baS Storf -iftteberbuljl ging'S im ©türm, im 
gleiten £empo vorbei am *Preuf$enbenfmal beim ©tfen* 
ba^nbamm unb burd> bie ferjengerabe Dbpaum*Mee 
ber Sanbftrafte bis jur ©abbatSgren^e ber ftuppenfjeimer 
Suben am ©ingang be§ 3)orfeS. Qeijt mäßigen bie jroei 
ttpe Stritte, um nid&t für $euerboten gehalten ju werben, 
©ie burcfjfd&neiben bie ©auptftrafte beim SKatt)ljauS unb 
Ijaben tyr $id, „bie ©onne", erreicht. 

$)ie ©onnenwtrtyin, eine junge, ftattUdje SBittwe, 
liefj bamalS einen föjtüdjen ©erftenfaft brauen; ber jog 
bie gwei herbei, unb beim vergnügten $runf faften fte 
im Nebenzimmer bis um 8 Utyr, neben bem £rinfen 
©efd&tdjtSbaten fidf) fragenb, in benen ber breitftämmige 
befonberS $u $aufe war. Äurj t>or £f)orfdjlu|}, um neun 
Ufo galoppiren bie Jünglinge wieber pm 9tfeberbüfjter 
%i)ox hinein, unb balb ft§t ber ßange bei mattem £alg* 
Uctyt in ber SRappengaffe an feinen $enfa für ben fom* 



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— 149 - 



meuben 3ttorgen. $f)n fennen bic Sefcr ; ber anbete mar 
ber Oberfqrtaner (Sfjrtfttan SBatf aus SÖBetngartcu, oulgo 
■äJtaßif, jeijt manbernber <ßrtefier unb Rentier. $on 
beiben ging bie ©age, fte tyätten am meiften ©elb jum 
S8iertrinfen, toeßtyalb fte mef)r als anbere bieS beforgten. 

3$ fann äuppenljetm nid>t nennen, ofyte eineS 
gleid) im Anfang beS genannten ©djuljatyreS oorgefal* 
tenen Abenteuers ermähnen. ©S mar am ßircfyroeif)* 
fonntag 1857, als 9ftaßtf unb aroei weitere Dberfe^tanet 
mit mir na<$ bem ^orfe jogen in tetner anbem 3lbftrf)t, 
als bei ber Sonnenwtrtf)in ©infe^r ju galten. $)tcfc 
felbjt aber machte unS nadf) einiger 3eit aufmerffam, baß 
broben im „ftreuj", ber SBirtyut £etmatl), Sanamuftf 
fei/ gegeben oon SBöfjmen beS öfterteicfjtfdjen ^Regiments 
SBenebcf. SBtr, fo äußerte fte mtebertyolt, foHten bod) aud) 
tanjen am &ird)weil)tag. 

Stteljr als fonjt, weil ftirdjweil) im Sanbe, Ratten 
mir bem ©ambrtnuS geopfert unb ließen uns bejftalb 
bereben, Steine floHegen befanben ftd) balb im tollen 
Steigen, welchen SBauemmäbdjen mit ifjren „©djäfcen", 
unter lederen einzelne ©olbaten, bilbeten. 3fd) ^atte 
mid), im SBemußtfetn meiner fdjledjten Seiftung auf bem 
©ebiete ber Sanjfunft, als ^ufdjauer unter bie 2$ürc 
poftirt, ba fam beS Äreujmirt^S $öd)terlein, ber ©onneu* 
wirtfym ©djweftcr, unb forberte mid) auf, bo$ aud) &u 
tanjen. „Nemo saltat 8obrius u , unb weil td) nidjt mcfyr 
fcl)r nüdjtern mar, unternahm idj einige £änje, bie letjteu 
meines SebenS, mit ber *ßrimabonna uou ®uppenf)eim. 

S)ie Shtppenljeuner SBauernburfdje waren anfangs 
anftänbige £eute unb freuten ftdj, baß iljre 9fläbd)en mit 
„©tubenten* tankten; allein Jene feilten bie allgemeine 
weibüdje ©djwädje ber ©itelfeit unb wollten biefen Abenb 



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— 150 — 

immer nur mit un§ unb nie mcfjr mit ben jungen £erren 
UjveS $>orfc£ fidf) abgeben. 

$)a§ erregte mit Sfcedjt ben Qotn ber Idnblidjen 
Qfingltnge, unb fie fugten (Streit. $)en Anfang machte 
ein eingeborener Äanonier, inbem er mid) mitten im 
Sana burd) ein (Stuhlbein jum ftattt bringen wollte. 
(Sfye er feinen $md erreichte, merfte iety fein Söorfyaben, 
lief* bie Sängerin fahren unb griff ben Äerl am Seibe 
fo fraftig an, baft i<$ iljm feine Poppet fammt ©äbel 
wegrifi unb unter eine 93anf warf, Qetjt ftür^te eine 
©djaar auf mtdf) au, bie fcweifelSolme meine langen 
©lieber fd>wer ^eimgefud^t f)ätte, wenn nid)t in bem* 
fclben Slugenblicf ber jur 3lufftd)t für ©olbaten n ad) 
Shippenljetm abfommanbirte SBadjtmeifter ber Artillerie 
in ben (Saal getreten märe. %anl meiner SBefanntfdjaft 
mit Unteroffizieren jctylte er $u meinen „^reunben". ® r 
fic^t mid) oon ^einben umringt, eilt Ijerbei, gebietet 
s Jtul)e, ftellt bie Sttuftf ein unb fäubert ben Sanjboben. 

(S& mar aber htbefj für un£ ©tubenten &u fpät ge* 
lüorben, um nod) in bie JJeftung eingelaffen ju werben, 
unb meine Äameraben bef Stoffen, im &reu& ju über» 
nagten. 3$ wollte, ba bie 93auernbuben brofjenb ba£ 
©aftljauS umlagerten, nid)t im £)orfc bleiben unb fdjlug 
meinem JJreunb 9lrtitterift uor, nudf) unter feiner £ut 
nad) SHaftatt ju nehmen, ba ilpn jebenfaH§ ba5 $f)or 
geöffnet würbe, unb er jum SRapport Ijeute noci) baljm 
mufjte. (Sr erfl&rte, mid} nur als (befangenen in bie 
#eftung bringen p fönnen, anbere Seute einzuführen 
wäre tym unmöglich. Qd) war bamit emoerftanben. 
(£ng an ilm mid) anfdfjliefjenb, begleitete td) meinen 
Sßatron nodf) in bie oerfd)iebenen 2Birtt)fd)aften, wo er ju 
infpi5iren Ijatte, unb gegen 5cfm W)x sum $orfe IjtuauS. 



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— 151 — 

2lm ^ieberbü^ter 2f)or Ratten bic „$abifd>en" bic 
2Bad(je, unb f^ter mar ©efafyr, ba§ meine $ßfeubo*©efangen* 
nafyne offenbar werben möchte; wir gingen be{jf)alb um bie 
fycftc fjerum bis jum S?ef)ler 2$or, ba$ Defterreidjer tiefest 
hielten. $)ie bekümmerten ftcf> oorauSfidjtlid) nid)t um bie 
#rage, warum ein babifdjer SBadjtmeifter einen 8tt>ü* 
befangenen bringe. $a§ $aliffaben*2;f)or öffnete fid>, nad)= 
bem bie SBacfye unb mein ^Begleiter bie „Carole" be§ £age3 
gewcdjfelt; ber öfterreid)ifd)e 2Ba$fommanbant erfd)ien, 
unb mein Jreunb ertlärte: „3$ Ijabe l)ier einen ©tubenten 
arretirt unb mufc ifm auf bie £auptwad)e führen.* 3et>t 
mar ber^af* frei; fctyroeigenb unb fed)§ ©d)rttt oor meinem 
£Bad)tmeifter sog id> in bie ^eftung ein unb burd) bie öfter« 
reiti)ifrf)cn ^Soften l)inburd). Qn ber ©tabt angefommen, 
manbte ber Slrtiüerift fid> ber $auptmad)e $u, um ,9itd)t§ 
SReueS* ju melben, unb id) ging tyeim inbieSRappengaffe. 

Sttein Detter aus ben ©änben meiner ^einbe t>icß 
SÖBigmann, gebürtig auS ©eiligen^eU bei Safo unb ift iängft 
im babifd()en Unterlanbe / in 3Ko£bad), als ©trafienmeifter 
ijefiorben. ©eine ©otbatenmad)t Uej} am anbem %a% aud) 
jenen Kanonier bei mir „antreten* unb um SBer$eii)ung bitten. 

3$ fyabe bie $fmt beS 2Bad>tmeifterS balb barauf 
im gleiten Drte oergolten an einem feiner öfterreidjifdjen 
ftameraben. ßidjtmefc 1858 Ratten mir ©egtaner in 
ftuppentyeim, au3nalnn8weife „beim SRammelmaier", ein 
Jya^ 3Jier getrunfen. 2Bäf)renb id) mit bem Sötrtl) ab* 
rechnete , waren meine Kommilitonen vorangegangen, 
yiaftatt su. 3$ folgte nadj 8 Uf)r beS SlbenbS lang« 
fam, meine ©igarre raucJjenb, nadj. 2113 id) oor baS 
$orf fnnauSfam, eS war eine falte 2Binternad)t, unb 
©djuce bebeette ba§ £anb, bemerkte id) jenfeits ber ©trafce 
auf bem ^elbc eine ©eftalt liegen, bie ftd) Inn unb f>cr 



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— 152 — 

bewegte, aber md)t in bie #öfje tommen tarnte. 
ging auf ba8 äßefen ju unb fanb einen öftexrcic^ifdjen 
„fttyxzt" (Sergeanten) mit Öteweljr unb $afd)e am 
23oben liegenb, befdfjwert oon ber Straft be8 SllfoljolS. 

3$ fdjleppte ben 5ttann, ber faum eines oerfiänb» 
liefen SBorteS fä$ig mar, auf bie ©trage, allein er tonnte 
ofyte ©ilfe »eber fielen nod& gefjen. ©einem ©djicffal 
burfte er nicfct überlaffen werben, o&ne ©efa^r für fein 
geben. @3 !am mir augerbem nod& ein anberer ©ebanfe. 
$er ©ergeant mar offenbar jur miltt&rifd&en 9luffid)t 
nadf) ftuppenljeim beorbert gemefen unb rnuftte Ijeute nod) 
rapportiren. ©eine (äfciftena ftunb auf beut ©piel. S)a 
fiel mir bie öfterreidfjifäe 2Badf>e am Äeljler $f)or roieber 
ein, wo ein ftüljrer fommanbirte. $>em wollte id^ feinen 
ftameraben jufütyren unb iljn für ba8 weitere formen 
laffen. Slber baS war feine SHeinigfeit. 39i3 jutn ftetyler 
Xfyox tyatte id) no$ weit metyr al$ eine ©ttutbe 2Bege3 unb 
ringsum war alles tobtenftid unb niemanb ba, ber mir l)&tte 
Reifen tonnen, ©o nafyn id) benn auf meine linte ©d&ulter 
beS ©olbaten ©eme&r unb mit bem redeten 9lrm ergriff id) 
ben SBetruntenen unb bewegte i^n müttfam weiter. $alb 
fd^wi^te i$ in f alter ÜRadjt, fo fd^wer war meine SBürbe. 

9113 wir nac§ bem Störfd&en Sftieberbütyl tarnen, 
Ratten 9iacf>tluft unb Bewegung ben SBb&men *u einiger 
33efmnung gebraut, bie er baju benutze , um ^aftig an 
mtd) ba§ Verlangen ju {teilen, i&n gu feiner (beliebten, 
bie in ÜRieberbüljl reftbire, gu führen. £8ergeblid) ftedte 
tcfj bem SJlanne feine $ flicht nor; er ging mir ntdjt 
me§r twm ftlecf, ef)e xfy i§m oerfpro$en, feinen SÖBunfd) 
ju erfüllen. %a er fid) felbft aufgab, fo tonnte e§ mir 
nur angenehm fein, tyn lo3$uwerben. 

Rein Sid&t brannte unb fein #ünbleiu bellte in bem 



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- 153 - 

ftnftern $>orf c 3$ wollte aber fjeute no$4ei gleitet ginffcer* 
nijj bie SBalpt finben, rodele er mir angab: Printer ber Eirene 
eine fteinerne treppe hinauf &um $tra)ljof, über biefen weg 
burd) eine (leine ©eitentl)üre t>or ba3 nädjfte SBauemfjauS. 

<Sewef>r anf ©ctyulter braute td) meinen SBeifctod übet 
baS Sobtenfelb glüctlid) in baS 9Beid)bilb feiner ©eliebten, 
aU ifjm ein neue§ Unglüct sufttefj. 2Benige ©dritte oon 
ber $au3tljüre weg fant mir ber Defterreicfyer in ba£ über« 
frorene unb fdfjneebebetfte £)unglod(). ©r brad) bi§ unter 
bie 3lrme in bie ^aud^e ein. ©ein ©tlfexuf werfte bie S8e* 
rco^ner ber £ütte. <&od) e$e biefe, ber S3ater ber Jungfrau 
unb fie felbft, mit einer Laterne erfreuen waren, §atte 
\d) meinen 3Rann roteber f)erau3ge$ogeu unb präfentirte 
ifjn unter SBeridjt über fein ©efdjiä al§ oerfpftteten ©aft. 

$>a§ 2ttäbd)en fdjlug bie ©änbe über bem ftopf ju« 
fammen unb fing an, tyrem „Süljrer" eine ©tanbrebe $u 
galten, bafc er eS wage, „in biefem guftaitb" ju tyr p 
fommen. ©ie fdjwor tym für ewig £reue unb Siebe ab, 
wenn er nid>t aUibalb ßd) entferne unb in anftänbigerer 
2lrt in gufoufi erfdfjeine. $)er alte ^Bauersmann ^ielt 
i^m babei fcfjweigenb bie Sateme ©or§ ©ejtdjt. Qu eigen« 
tyümltdjem SBraun leuchtete ber wetfje SBaffenrodt be3 
£)efterreid)erS, ben id) ftumm unb ftitt am Sinne feftyielt. 
S)a3 ©an&e fjätte ein ©enrebüb gegeben für ben *ßiufel 
eines Oiembranbt, um fein §eUbmtfel anzubringen. Um 
©otteSwillen aber bat mity bie ,3)ame*, bod) ben „wüften 
$erl" wieber mitjune^men. 

©utmüt&ig wie immer 30g td) ben wiberftrebenben 
SBengcI oon bannen über ben Ätrd>l)of jurüdC auf bic 
©trage. Qam ©lud gefror bie Saudje balb an feinen 
Kleibern, unb tdj) fonnte o^ne grofce 93eläftigung meiner 
©eruc^Sneroen ben Sttaun weiter bringen. Um elf Uf)r 



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— 151 — 

tarn td) enbüd} mit tf)m an§ Äe&ler $f)or, wo ber SBad)* 
fommanbant mit meiner Reibung be§ SßorgangeS feinen 
tfottegen in (Smpfang na^m. Qd) gab iljm nebft meinem 
•ftamen unb meiner 2öof)nung nod) einige Littel an, wie 
bem SBcrungltkf ten Reifen märe, unb frf)ieb oon bannen. 

£>e§ anbem SttorgenS, ba td) faum oon ber ©d^ule 
5U ©aus mar, tritt ber SBityme in mein 3i*mner unb 
banfte mir auf 8 innigfie, bafc id) tyn vor $)egrabation 
unb 0 <5tod\)au%" bewahrt, ©ein ftamerab, fo erjäfjlte 
er, fjabe if)n auf ber 2Bad)ftube fdf)lafen laffen, il>m bann 
feinen dlod angesogen unb e§ fo möglich gemalt, auf 
ber §auvtrvaty feinen Rapport anzubringen. Sllle ©e» 
fafjr für if)n fei jejjt oorüber, mofür er mir nidfjt banf* 
bar genug fein tönne. 2Ba§ au£ bem 3ttanne fpäter 
geworben, weifc id& nidjt, uteffeid^t fiel er 1866 bei <£u* 
ftojja, wo baS Regiment SBenebef otele Seute oerlor; 
aber feinen tarnen weijj id) fjeute nod), unb fein SBilb 
unb jene üftadfjt flehen nod) lebenbig oor meiner ©eele. 
©r Ijiefj 2Ben$el -ättarfert unb mar au3 SBöfymen. — 

$)ie britte 9lrt, feine Soijalttät für ben ©ambrinuS 
ju bezeigen, mar bem Unterfejrtaner jeljt aud) bie offizielle 
Kneipe ber oereinigten ©d&üler ber bübm obern klaffen. 
(S§ mar etwas gar $öftltdf)e3 unb tultur^iftorifc^ Qnter* 
effante§, fo eine „ftrofdjftteipe", roie jie unter ben SRaftattern 
jeuer ^eit gehalten mürbe. £>eute, fo Ijöre id), foHen bie 
oberu ©tjmnajifien in einzelnen ©ruppen in ^affeetyäufern 
fttjen, SBiUarb fpielen unb ©laceljanbfcfyulje tragen. $a£ 
ift fd)on £reibljau§gefd)id)te unb Unnatur in biefem Hilter. 

SBei un§ alten föaftattern I)errfdjte SRatur in wilber 
©röfce. Unfere ^arole mar oiel Söier unb x>iel ßrafeel 
in bunfler Kneipe. SlufS „©djmtbtftren" unb berartige 
Siubbcuteleicn gaben wir mdjtS. 2Bir waren junge, 



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— 155 — 

fraftige beutfdje Riegel* nad) außen, tnmenbig aber uoH 
attifdjer 9Bei§^eit SEBir trugen flafftfcfyc SMlbung in rauhem 
©eroanbe. 2Benn icfi heute nod) mid) unb meine JJreunbc 
mir oorftette im ^Benehmen unb in bcr ©eflnnung jener 
£age, fo freue td) mich orbentlich an ben Äraftgeftalten 
unb Strafeeiern oon bamalS. Sauter „braoe ßerle", bie 
ber ©d>ule gaben, ma§ if)r gehörte, aber auch ihrer Qugcnb« 
lujt unb ihrem ungefchminf ten Stattfchthum freien Sauf 
ließen in allem, n>a§ nicht fernere ober gemeine ©ünbe mar. 

SBie mancher von un§ mußte bie 2öod)e ^htburd) 
elenb fleh burchfd)lagen mit flechten ftofttagen, in clenber 
©tube frieren unb bie freien ©tunben benütjen, um jüngeren 
£t)ceiften Unterricht gu geben unb ein paar ßreujer ju 
oerbienen. SBßenn aber ber ©amftag*5lbeub fam, fo mar 
e3 ihm gewiß $u gönnen, wenn er auf ber Kneipe erfd)ien, 
be§ SöeltattS Rümmer unb ©orgen oergaß unb beut ©am* 
brinuS opferte, roaS er ehrlich unb fauer wäfjrenb ber 
äßoe^e oerbient hatte. 

3$ bin überzeugt, baß wieber oerfdjiebene m fromme 
©eelen" bie £änbe über bem $opf aufammenfd)lagen, baß 
ich fo oerberblic^e unb Slergerniß erregenbe S)inge er^le 
unb mich noch freue in ber (Erinnerung an jene ©tunbeu 
unb Sage. $>tefe Seute, bie wieber ben ©tab über mich 
brechen werben, gottlob aber meine eigentlichen, wirffamen 
dichter nie^t flnb, ^aben entweber in ihrer 3>ugenb e§ 
cjerabe fo gemalt, motten aber, in einer 9lrt oon ^ß^ari» 
fäcrtfmm befangen, nicht mehr bafür angefehen fein, ober 
fte flnb bamalg fraftlofe, unnatürliche 9ttenfchen, fog. 
„©imfentatQer", wie fie ber £a§lacher nennt, gewefen, 
unb bann mögen fie bem Heben (Sott banfen, wenn fie 
feitt)er feine größeren ©ünben begangen ^abeu al§ wir 
JBiertrinler jener Sage. 



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— 166 — 

SSBie oft mußten unS int »Sinter 1857/58 bic öfter* 
retdjtfdjen Patrouillen aus bem bunfeln Nebenzimmer in 
ber ,<$romerei" am Hehler %$ox entfernen, weil bie 
»^oligeiftunbe* läugft oorüber mar! 2öir fyaben mefyr 
benn einmal baS &icrfäßd)en mitgenommen bei biefer 9Iu3* 
weifung unb eS leer getrunfen auf meinem großen Limmer 
in ber töappengaffe. 9lod) felje td) bie breite ©eftalt beS 
©fjriftian SBalf oor mir, wie er mit bem gWen auf 
ber <5d)ulter unS voranging unb mir fmgenb fyinterbrein. 

Unb wie oft bin id| in jener Qtit nodf) gegen 9Jlitter* 
nadjt mit meinem frül) oerftorbenen greunbe SHeinacfyer, 
bem geiftretdjen Soljne eines armen SHaftatter (BdmeiberS, 
2ltm tu5lrm auf abftdjtlidjen Umwegen burdf) bie ©d&roaben* 
ßaffc gebogen unb f)ab T mit if>m gefungen, baß bie (leinen 
Käufer crjitterten: 

©djeint ber 3Wonb fo f$ön not meines Katers Sabeu, 
Äetl, reo Weioft fo lang, bei ben Äam'raben ? ! 
Ober: 

$rei Sitten, brei Sitten, bie pflanat ia) auf ein ©ra&, 
2)a lam ein ftofjer Leiter unb &raa) fie ab. 

Sftoci) erinnere id> mid& mit einer geroiffen (Siegte ber 
jungen, fd&marjäugigen unb fd)war$locfigen Kellnerin in 
ber genannten Bierbrauerei. Sie mar braoer Altern $inb 
auS bem Dorfe Durmersheim unb felbft ein ebenfo fcpneS 
als tabelloS braoeS unb djaraf terfefteS SJläb^en. %n töten 
klugen lag ein ganzer bunfler SBerQfee, in beffen Siefe 
Sergtrqftafle funfeiten. SBir waren iljr alte freunblid), ofme 
unS oiel me^r um fie ju bef Ummern, als eS Ujr Slmt unb unfer 
SBierbebarf erforberte. Sie felbft hielt ftch nod) referoirter, 
nur gegen mid) glaubte id^ einige „SBorliebe* au bemerfen. 

Da oertraute fie mir eines SlbenbS an, fle ginge 
morgen, am Sonntag, ju SBefucty in ihre ©eimath, unb 



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— 157 — 

td) bürfc fic eine ©trecfe roett burd) ben „9tieber*2£alb" 
begleiten. Qd) bttbete mir nicht roenig auf biefen SBor* 
511g ein, ben ich natürlich feinem anbem oerrieth- 9Ber aber 
in feiner S3ierbufelei bie gange ©efdndjte roieber oergafc unb 
ben <sonntag=9Jlorgen oerfchlief, mar id). $)a§ erfte 2Ral 
ht meinem fieben, ba id) galant fein roollte, fd)lug e§ fehl. 

%xt buntte ©djönbeit hat e§ mir nie oergeffen, unb 
fo oft td) fpäter gum SBier fam, flaute e§ mich au§ ihren 
klugen an roie eine ©turmfluth in finfterer Macht. 58iele, 
oiele $ahre oergingen, big td) gelegentlich oon ihr erfuhr, 
fie fei nac^ 9lmerifa auSgeroanbert unb habe ftch bort oer* 
hetrathet. 9lad) einigen fahren fät turje ßtit in bie 
£eimath aurücfgcfehrt, r)ättc, al§ fie roieber in bie neue 
SBelt hinüberfegelte, eine GturjroeUe fie oom SBerbecf ge 
fpult unb im Sfleere begraben. — 

3u Anfang be§ 9Jionat§ Dejember 1857 mufjte ich 
al§ SRefrut heim &ur ÜJiufterung. 2Bir £a§lacher SHefruten 
jenes Sfahrä roaren bie erften, roelche, nach Aufhebung be§ 
$8e§trtSamte3 in unferer SBaterftabt, in SBolfachfid) aufteilen 
l)attm. Unfer berget hierüber mar nicht (lein, benn mir 
fahen e§ al3 eine 9lrt $)egrabatton an, roie SBauernburfchen 
nad) einer 3lmt3ftabt un8 begeben ju utüffen. Hber impo* 
niren wollten wir roenigftenS ben SBolfachero. Unfer Sfte* 
(rutenroagen rourbe $u einem grünen £annenroalb unb mit 
gähnen aller färben behangen, unb unfere Seiber babeten 
roir am SIbenb oother in ber SBafchfüche oon „®ottetbarm§ 
©enfmühle*. $)e§ „©chroarjbecfen föubolf* fprang bamalS 
in jugenblichem Uebermuth in ben oorbeifttefjenben Sttühl* 
bach unb trotj ber SBinterfölte luftig barin auf unb ab. 

Seit unferem Austritt aus ber Sßolföfchule waten 
mir nie mehr alle fo oerfammelt geroefen, aber roie hatten 
bie fech§ Sah^c un§ geänbert! $ie meiften waren fchon 



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— 168 — 

al§ ,£anbn>etfSbutfchen" in ber äBelt btau&en gcroefen, 
bic eigentliche *ßoefte be§ SebenS war gefchnwnben, unfer 
3)afein teilte fidt) in ©otge um ^iften^ unb in bie ©udjt 
nac^ atmfeligen Setgnügungen. 2Beldj ein Sfttefenuntet« 
fchteb gnrifchen ben gteuben bcS SctnbeS am erften Äom* 
mumontage unb ben Stteftutenfteuben! Unb bodj liegen 
nur fed)§ flüchtige Qaljre bagnrifchen. 

S)et SBütgetmeiftet <3at)l, ein ebcnfo geiftteichet als 
fteiftnniget Sütget, begleitete feine SMtuten, wie üblich, 
in bie 9(mt3ftabt, xoo ein SBodjenmatft mar. $ll§ idt) 
mit i^m übet ben jättatttplafc bem 9tatl$au8 gufchtttt, 
geigte et auf einen alten 9ttann, bet ©ttohfchuhe feil 
hielt, unb fagte: „$a3 ift auch ein Settet uon Qhnen." 
<£§ nmt „bet hattet au£ bem ftaUbtunn", einft bet 
teichfte Sauet be3 obetn ßingigthaleS, beffen Stowtet mein 
SSettet (Sbuatb, bet Äaftenoogt, gut $tau hatte. 

SÖßenn in ben bteif iget S^h^n bet gütft von dürften« 
berg unb bet ®tof$h«*B°Ö Seopolb, be$ giften ©chraaget, 
nach bem SBabe SRippolbSau tarnen, wat bet tetdje ©attet 
eine bei ben hohen ©etten gat getn gefehcne ^etfönlicc)* 
feit. %a bet JJütft nahm ihn einft mit, um ihm feine 
©ettfchaften in Böhmen gu geigen, ©ein Sohn ftunb als 
Lieutenant bei ben babifchen fttagonetn, unb ich be* 
ttachtete biefen wie einen $atbgott, als et einmal , lutg 
cot bet SKeoolution, in Unifotm feine Schweflet befugte. 

$)et Seutcnant rourbe in bet SReoolution „Sttajot", 
nachhet eingefpertt unb cntlaffen. <£t ftatb aB ftan* 
göftfchet Segionät im fttunftieg. S)et Sätet fam um 
©ab unb ©ut, fein SKiefenhof mit gelb unb SBalb nmtbe 
um ein Spottgelb oetfauft. <£t wohnte fpätet im £ag* 
löhnethaufe feines £ofgute§, machte ©ttot)fchuhe unb be* 
fotgte ben SDienft al§ ittathfchtetbet feinet (Bemeinbe. 



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— 159 — 

3n biefcr ^eit traf ich ilnt unb Iub ben armen Detter 
gu unfcrcm ftefrutenmittageffen in ber ©onne $u 2Bolf ach 
ein. S)er arme 2flann ^atte eine fmbliche greube unb 
banfte mir mit tränen in ben 9lugen. Sftir aber fchroebt 
gar oft, wenn ich an meine Qugenbjeit unb bie 2lrm* 
feligfeit unfereS SebenS benfe, bie ©eftalt beS alten ©arter 
unb fein herbes ©du'cffal oor ber ©eele. 

fflnx brei oon meinen ^ugenb* unb ©djulgenoffen, 
„'S ©djmarabecfen Sfoibolf ber # ful' Sllife" — beibe fchon 
tobt — unb SBU&elm, ber $ammerfdnnieb, mürben ©ol* 
baten , ich aber wegen „erprobter unb bezeugter ßurj* 
fichtigfeit" für bleibenb untauglich erfl&rt Siefen Uebel 
Huberte mich auch groei Qahre fpäter, im Qahre 1859, 
al§ mäijrenb beS frangöftf^^fterreic^tf^en SfriegeS SBaben 
mobil machte unb baS Regiment SBenebet in SRaflatt ebenfalls 
DfpäierSafpiranten annahm, bei ben Dejterreichem einju« 
treten, für berenSBef enunb Uniform ich oiel ©umpatt)te hatte, 

3$ lernte als ©ejtaner „im ©chwert" eine große 
Slnsa^l öfterretc$ifd)er ßabettfelbwebel unb SieutenantS 
lernten. Unter ben lefctem befanb fleh mein intimer ftreunb, 
ber Slrtitterielieutenant ©ogl, ein $uroler unb ehemaliger 
©tubent. 3fon rief ber ßrieg oon 1859 btrett auf bie 
@c$lad)tfelber wm Oberitalien, ©eit unferem bamaligen 
Ebfdneb hab' ich nichts mehr »on ihm gehört 

2BaS mich mit allen biefen Defterreidjern gang be* 
fonberS oerbanb, mar bie Harmonie beS gleiten leichten 
©inneS, ber in h<>h«n ©rabe bem auftrtfehen äöefen eigen 
tjt, unb ben man bei ben Defterreichem beutfeher 3unge 
überall, felbft in ber ^olitif, nachweifen fann. Qd) hätte 
jebenf aOS baS geug $u einem ächten Defterreicher gehabt ! — 

@S bürfte ie^t roohl angezeigt fein, auch einmal meinen 
religiöfen ßuftanb oon bamalS ju befpredjen. Qn meinen 



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— 160 — 

Qugenber Witterungen würbe bereits erjagt, ba{j id> im 
eiterigen #auS unb in beut ber ©rojjmutter in ftreng 
fatljolifdjer, tiefgläubiger Umgebung mid) befunben fjabe. 
Die SSollSfdjule, von beren religiöfer @rgiel)ung mir bie 
(Srinnerung g&njli^ gefdjwunben tft, l)at in biefer Dtidj* 
tung gat leinen ©influjj auf nrid) auggeübt. Die erften 
SüngUngSjafjre aber oerroifdjten audj bie formellen S8e* 
griffe beS c&riftlidjen (SlaubenS atemlid) oollftänbig. 

Der junge URenfd) ift oon feiner erbfünbltdjen Sfattur 
auS religiös unb polttifd) entfdjteben liberal. (5r wirb 
bieg um fo meljr fein, je lebhafter er oeranlagt ift. Der 
erfte liberale mit bem Urgrunbfat} beS SiberaliSmuS, ber 
perf Anliefen ftretyett, mar bie ©erlange im ^arabieS. 
Der Teufel Ijat — allen ©rnfteS — auerft ben ©afc beS 
babtföen SttintfterS ^olty: „©elbjt ift ber 9Jlann!" protla* 
mirt ©ettbem Slbam unb ©oa biefen liberalen ©prud) 
angenommen unb geglaubt §aben, ift ber 9ttenfc§ religiös 
„freijimrig 4 ' unb jum ©lauben an bie binbenben Offen* 
barungen ©otteS wenig geneigt Die Se^re t>on benfelben 
ober, turs gefagt, ber 9feligionSunterri<$t ift barum bem 
erbfttnblid&en SRenföentinb etwas Unangenehmes unb 
SangmeiligeS. SBer eS nid)t glaubt , ber greife nur in 
feine eigene ©ruft unb erinnere ftdj ber <r 9teligionSftunben 4 ' 
in ber SßolfSf^ule unb am (ätymnafium. 

Sa, fo ein ©ottbfid)lem oon ^riftop^ ©djmtb, bejfen 
Soblieb id> in meinen früheren Erinnerungen gefungen, 
baS bem ftinb bie Religion im *poeftegewanb, (Stott in ber 
Statur bringt, wirb bie ftinbeSfeele immer oerfteljen unb 
mit Siebe umfaffen. ©obalb aber bie Religion in ber 
gform Don abjhaften ©laubenSffifcen auftritt, wirb flc 
bem jungen ©emtttl) unfompatljtfcf). Darum fyd bie 
ewige SöeiSljeit, ber offenbarenbe ©otteSfofjn, feine Sellen 



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- 161 - 

fo oft in Setbinbung mit ber Sftatut gebraut, im #inn>ei8 
auf bieSBlumen beS gelbe« unb auf bieSBögel beS $unmel3, 
unb fle eingefletbet in lebenbige ^atabeln unb @letd)niffe. 

3$ fenne bie IReligionSlehtbfichet anbetet $tiftlid)en 
ftonfefftonen nic^t; abet bie fatyolifd&en Katechismen, gang 
befonbetS bie gtöfsetn, leiben an einet entfctjlidjen Stödten* 
hett unb Slbfttafthett. $)et fo betüfnnte fceljatbe'fche 
ftated)t§mu3 tfk hierin ein raahteS 9Reiftetftücf. 



TT 


PVP 







ein ©anbbuch bet dt)tifl*tat|olifdt)en ©laubenSletjte, ba3 
butch feine namenlofe Sttbfttufitcit, feine Unflarfjeit unb 
n>ftftenfanblidt)e Debe getabeju angetljan toat, und bie \Rz* 
ligion &u entleiben. 3)et SSetfaffet hiefc ©tablbaut, feines 
QeichenS, wenn ich mich tedjt etinnete, itgenbmo in SBagetn 
$omfapitulat. $tot|bem hätte ba3 $udt) auf ben # 3nbej # 
gefjött, auf melden man nicht blofj foldje ©Stiften fefcen 
foHte, welche 3?alfche§ lehten, fonbetn auch jene, bie einem 
etlichen ©Stiften bie S03at)tf)eiten be3 ©laubenS entleiben. 

S)ie heutigen fatholifchen Sehtbüchet an ben ©nm* 
naften f ollen auch noch bog 9Renfchenmögliche leiften an 
$tocfenheit unb Sangmeile. 

äöenn jenet ©tablbaut in bie ©änbe eined ßehtetS 
fam, bet feine ©djület biefe fonfufen, fdt)tecflich ftyliftrten 
fielen fötmltdc) „butd)odjfen" lief}, fo mufj ba§ füt biefe 
eine watjte >$uchthau3atbeit gewefen fein, ein ©cfd^äft, 
baS ©eift unb Seib $u töbten im ftanbe mat. Stovern 
unfet Nicolai bieg nicht oon un§ oetlaugte, hatte et bod) 
roebet fo oiel ©netgie, baS Sttachroet! au£ bet (Schule gu 
oetbannen, noch ©eift genug, um einiges Seben in biefe 
Äitc^hofSöbe jn btingen. Unb fo (am e$, baß mit bei 
bet untet ben meiften oon und ftatf auSgebilbeten etb* 
fftnblichen Abneigung aUcS füt bie Klaffe eher lernten 



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— 162 — 

als bett ungtücffeligen Stablbaur. in ber SRegel nmrbe, 
ftatt bcm Unterricht Slufmertfamfeit sujumenben, unter ber 
SfteligionSftunbe or&parirt ober überfefet für bie folgenben 
ßehrftunben. 3$ ttjat bieg ftetS. äBie ich jut SRote „gut" 
tarn im Religionsunterricht ift mir nur burch bie ©üte 
beS ^rofefforS erttärbar. 

Stablbaur unb ©rbfünbe haben eS in biefen amei 
Qahren b«r ®e#a fo weit gebracht, bafj ich auf U™* 
©erfUät tarn unb Geologe im erften ShtrS mürbe, ohne 
mehr ju nriffen, roie viele ©aframente unb Gebote bie 
(atholifche Kirche habe. 

3öie ftunb eS mit ber religiöfen Uebung? $)a haben 
benn bie ©amenförner ber „Sene^aS", gelegt inS ftinbeS* 
herj, unenblich mehr gewirft als ein ©tabtbaur. Stö 
habe in jenen Sagen, in benen mir faft jeber religiöfe 
„Sehrbegrtff" abging, boch nie aufgehört $u beten. Unb 
wenn mein ©eift noch fo trüb heimtet)rte aus ben n&cht* 
liehen Kneipen, ich habe wohl gar nie oergeffen, mein 
^achtgebet ju oerrichten, unb wenn eS auch nur aus 
einem SSaterunfer unb 3loe 3Raria befhmb. 9Jtehr als 
einmal hab' ich auch gang allein bie mir burch i^re 5lb* 
gelegenheit unb SobtenftiHe heimifche 8emharbuS*Äirche 
ober bie bunfle Soretto^apeHe itt Ütaftatt aufgefucht unb 
bort etmaS weniges gebetet ober mit anbem als irbifchen 
©ebanfen mich befchäftigt. 

5)aju fam noch, roaS ich nicht genug loben tarnt, im 
©egenfafc ya ber unheilvollen $ra^iS, bie heute an ©um* 
naften h^trfcht, bafi mir regelmäßig am ülftittrooch unb 
(Sonntag ben ©otteSbtenft befugen unb jebeS $at)T wenig* 
ftenS smeimal beichten mußten. QebeSmal oor bem 
©ang in bie bem Snceum gegenüberftehenbe alte ©d)loß» 
tirche ber tathoüfchen SWarfgrafen oon ©oben hatten ftch 



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— 163 - 

fämmtltd&e <5d&üler ber Slnftalt in ber „Hula" $u 
fammeln. ©in ^rofeffor exfd&ten, lag nad& klaffen bic 
einzelnen (Stüter ab, wie beim 9fypett, unb führte bann 
ben gangen 3ug in bie Ätrdje. 

9ln Sonntagen unb in ber öfterlid&en Shtfoeit gingen 
fämmtltdfje Setter mit gutem SBetfpiel voran, befugten ben 
©otteSbtenft unb empfingen bie fjeiligen (Saframente. $a§ 
braute uns wenigftenS 9ldf)tung oor ber IHeligion bei, 
unb bie§ um fo meljr, aU ber S)treftor, ben mir oor* 
gugSioeife wegen feiner eminenten ftenntniffe fyotfjfdjätjten, 
ficJj al§ roirflid) gläubigen Äat^olifen geigte. @r fehlte 
nie im 2Berf tagSgotteSbienfi, unb felbft bie Söefper befugte 
er meift an ©onntag^ac^mittagen. gern »on Jener un* 
finnigen Spanier unferer $age, überall burd(> „ftonfefftonS* 
lofigfeit" falfdje Xolerang unb jur SBerwilberung fü^renbe 
Humanität ju oerfünben, hatte man aud> nur fatfjolifcfje 
Selker an ber alten fati&oltfd&en 2lnftalt gu IRaftatt an* 
gefteKt, unb au$ ba* $atte für bie reltgiöfe Seite ber 
Stüter fein ©ute§. 

Unb wie fteljt e3 tjeute an unferen ©qmnafien aus ? 
$ie Herren ©tubentenfnaben brausen com 14. Qa^re 
an toeber ftixdje nodf) Slbenbma^l me^r ju refpettiren, 
fte f dunen fld) oollftänbig fonfefftonSloS geriren, wenn 
nur i^r #err $apa, ber in vielen 3#Uen meilenweit 
wegwoljnt, bamit einoerftanben ift. Unb bie Herren 
Sßrofefforen, unter benen e8 blutwenig tüchtige ^fjilo* 
legen meljr gibt, fmb tyrer SBeiS^eit natürlich felbft 
überlaffen, von ifpien oerlangt man nodfj niel weniger, 
bafj fte ben ©djülern in religidfer £>inftd)t ein gute§ 
Seifpiel geben follen. ®te lederen Wnnen oon tyren 
Seffern IjöctyftenS lernen, baf* ber Sflenfdj audf) o^ne 
Religion unb ofjne öffentlichen ®otte3bienft leben fönne, 

11* 



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— 164 — 

eine ftuttft, roelc^e auch bie ^ierroelt fchon längft ber oer* 
nünftigen 9ftenfchhett oorgenmeht hat. $)a&u brauet man 
feine Sßrofefforen. 

$)i££iplin unb Autorität jeber 9trt ruhen in legtet 
Qnftanj auf ber SReltgton, roe^alb bie preujtffchen ÄrtegS» 
minifler nicht blofc ihre ©olbaten, fonbern auch bie £erren 
Dfftjiere in bie ftirche fommanbtren. Sftefpeft oor biefer 
preußifd^en 2Bet§heü, bie fchon barauS erfichtltch ift, bajj 
bie franjöftfchen SKabitalen unb äommunarben bie 9ttilitär* 
feelforge aufgehoben haben! 

9$ ^re in neuefter fyit *ßrofefforen, bie mit mir 
fiubirten, ferner flagen über bie ^uchtlojigfeit an unferen 
©qmnaften im SBerljäftnif? ju unferer SgceumSjeit. $)a§ 
nmnbert mich abfolut nicht, mich nmnbert'3 nur, bafc e§ 
nicht fchümmer augfteht. 2öo foH benn ba£ Autorität!« 
gefühl unferer ^ugenb hetfommen? %oty ficher nicht ba* 
her, bafj ihnen freifteht, unb jmar offiziell oerfünbet, bie 
Religion ju achten, b. i. ju üben ober nicht, unb bajs fte 
fehen, wie bie ßehrer fcXbft auf bie h&hfte Autorität, auf 
©ott, feine Sftücfficht mehr nehmen, unb ben öffentlichen 
©otteSbienft auf bie ©eite fetjen. 

2Bte fchon oben gefagt, fann ich *3 nicht genug an* 
erfennen, bajj mir unb mit un§ bie fiehrer angehalten 
mürben, äußerlich roemgftenS ©ott $u geben, ma§ ©otteS 
ift, roenn e§ auch bei mir unb ben meiften meiner ßom* 
militonen innerlich jiemlich fehlest befteüt mar. S)ie 
Religion unb ihre gotteSbienftlichen Uebungen waren un£ 
nichts weniger al§ ein ©erjenSbebürfmjj; aber mir burften 
beibe nicht »erachten, unb ba§ mar fchon ein unenblich 
groger ©egen. Unb menn mir auch in ber ftirche, beim 
deichten unb m&hwnb ber ^rebigt unb SBefper un3 nicht 
aufführten, wie ein gläubiger, ernfter <£h*tft e§ thun fotl, 



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— 165 — 

fo waren wir boch noch weit entfernt t>on jenem >$ttftanbc, 
ber bieg alle« gänzlich unterläßt, mißachtet ober gar ner« 
höhnt unb oerfpottet. 

2Ba« ba« deichten anbetrifft, fo war ich ftet« ge* 
roiffcn^aft in Angabe meiner fehler, allein mm einer eigent* 
liehen Heue füllte ich nicht«. SHeift habe ich ben „Seicht* 
jettel* meine« ^reunbe« &arl Shmfofer übernommen, t>on 
bem td) wußte, baß er fein ©ewiffen auf ba« Sorgfältig ftc 
unb Sßeinlichfte erforfchte. 9lber eines ijt mir bodt) noch 
wotjl erinnerlich, baß mid) jebeSmal ein befonbere« SBohl* 
besagen erfüllte, wenn ich bie Satramente ber Stoße unb 
be§ Slltar« empfangen hatte, olme tum beiben auch nur 
eine IjalbwegS richtige SBorfiellung &u haben. 

SBeim fonntägtichen $auptgotte«bienft war ich oon 
Serta an bei ben ©fjorfängern als £enorift. S)te Sänger 
auf ber Orgel fmb ftet« bie am wenigften 9lnbä$ttgen in 
einer ßtrche, unb wir SRaftotter matten oon biefer [Regel 
feine 9lu«nahme. 2Bir flauten währenb ber ^rebigt meift 
entweber in bie ÄaftanienaHee be« ehemaligen ©chloß* 
garten«, ober hinab auf bie SRaftatter JJtauenroelt, welche 
in ihrer jüngeren (Generation mit SBorltebe „bie Stubenten« 
firche* befuchte. 2Gßa§ ich oen ^ßrebigten hörte, war, 
foweit e§ mir noch erinnerlich ift, nicht geeignet, un« 
in ben bogmatifchen Wahrheiten ber tathotifchen Kirche 
ju befeftigen; e§ war ein mehr ober weniger langweilige« 
unb füßliche« -äftoralifiren. S)er befte ^Hebner unter ben brei 
©eiftlichen, Sßrofeffor ^olgherr, bereitete ftch &u wenig oor, 
währenb unfer guter Nicolai ftet« in höchftpoetifchen Wen« 
bungenftch gefiel. ©r rebete gerne „oom Hbler, ber fich in ben 
ßüften wiecht, unb t)om SBurme, ber im Staube {riecht". 

Uebrigen« war bie ©horfängerei bie einzige Urfache, 
welche mir öfter« ben Unwillen be« $ireftor« jujog. Qch 



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— 166 - 

„fdjrofitQte* nümlid) mit Vorliebe bic ©efangproben beS 
9Jtufilleijrer$ Senber, bie geroö!jnli$ an ®amftag*9tod)* 
mittagen ftattljatten, an benen td) am liebften auSmärtS 
meinen $runf fudjte. 5)er Sftann nnifjte bann, rote aUe 
Seute o^ne befonbere Autorität, feine anbere ©ilfe, als 
midj beim $)ireftor $u melben. 2Rand>en 2Jtontag borgen 
fu&r mid) biefer fdjarf an mit ben 2Borten: „<&x bier* 
gebeutet $)icfl)äutet l)at audj roieber bie ©efangftunbe 
Derfäumt. @r fann ja nod) SBier genug triufen, ofnte bem 
£>errn SBenber ©runb &ur ftlage &u geben« 4 ' ©leicf) batauf 
aber, wenn td) iljm nad) feinem Wohlgefallen baS $enfum 
überfefct Ijatte, mar er wieber ber befte 3ttenfd) mit mir. 

9lm unarttgften benahmen mir un« in ber SBefpcr, 
wenn ber £)ireftor nidjt barin mar unb irgenb ein junger 
ßeljramtSprafttfant bie 9luffid)t führte. $a Ratten bie 
meiften ©egtaner, bie ©internen in ben SBanfretyen ber 
(sdjüler, nichts anbereS ju tljun, als ftdj umgule^ren unb 
bie anmefenben „SBeten" *) $u muffern, eine in ber fttrdje 
ebenfo unpaff enbe als im übrigen DöHig unfdjulbige 3lftion. 
2ßir tümmerten uns fonft blutwenig um baS anbere ©e* 
fdjledjt; mir unb meinen ©efumungSgenoffen galten SBier 
unb £abat mefjr als baS, maS man im geroöfjnlidjen 
Seben „Siebe" nennt Söiel fd)limmer mar e$, bafc mir 
bie SBefpergefänge fteUenroetfe parobirten. Q[n einem *ßfalm 
j. ber von ber Unoeränberltdjfeit ©otteS fymbelte, 
fangen mir, ftatt wie e§ in bem ©cfangbüdjlein f)iejj: 

(Sin alt* <$ebirg oergeljt, 

(Sin neues tljütmt fia) auf — 

(Sin alteS äBeib »ergebt, 

(Sin neues tfjttrmt ftä) auf. 

*) 60 nannte bamal$ bei: Stubent bie jungen s JJiäbdjen, bie 
Badfifdje. 



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— 167 — 

Steine geringe Auflegung entfhmb im (Sonnner 1858 
anf bie ftunbe Inn, bafj ein junger Sßitar be§ ©tabtpfarrerS 
SBuchbunger ben chriftenlehrpflichtigen 9ftäbchen unterfaßt 
hätte, fernerhin bie „Stubentenoefper" gu befugen. 4t'cnn 
mir nicht ben alten Defan, feinen ^ßrtnjtpal, fo refpcttirt 
hätten, würben wir, wa$ fd>on befdjloffen war, bem jungen 
$errn, ber heute irgenbwo ßanbpfarrer ift, bie ftenfter 
eingeworfen ^aben. <5o aber lief bie Gache unblutig ab, 
unb bie Sftäbchen waren ftanbhaft genug, fleh bie SBefper 
in ber ©chlofjftrche wicht entleiben gu laffen. — 

Qn ben beiben ©e^ta^a^ren braute ich mannen 
freien Sag $ur 3*ühjahr§* unb ©ommerSsett in bem jroei 
(Stunben non fHaftatt entfernten Dorfe Durmersheim &u. 
$ter wohnten zahlreiche Sörüber be$ SftanneS, ber bie 
(Schroetter meiner 3ftutter geheiratet unb ba§ grofjmütter* 
liehe ÄaufmannSgefchäft in ©aSle, einft mir augebacht, 
übernommen ^atte. 

Qch ^abe triele oergnügte ©tunben in jenem großen, 
einfam gelegenen ©arbtborfe erlebt, wo ich jtet§ bei bem 
nun längft tobten SBruber QfohanneS, einem Aitern, lebenS* 
froren 9Renfchen, Quartier nahm. (£r mar Inhaber eines 
fchrounghaften ftauflabenS, befaft treffliche Zigarren, oiele 
gelber unb eine ^aa,b, lauter Dinge, bie mich interefftrten. 
3U8 junger ßraftgermane 30g ich jagenb über bie frucht» 
reiche $arbt ober burch bie Sßßälber brausen am $Ht)eine 
hin unb fafc SlbenbS nach vollbrachtem SßBaibwerf rauchenb 
unb trinfenb beim „9lbatt" ober im „SBolf unb ßamm* 
mit ben behäbigen dauern be3 Dorfe«, bisweilen fuhren 
mir auch t)on ber Qagb weg über ben Schein tynubtx, 
tränten SRoufftHon in 3ranjöftfch*Sauterburg unb 93ier im 
banerifchen Orte gleichen -WamenS. 9luch ben $af)rmarft 
bei ber bem Dorfe benachbarten SQßaöfahrtöfirche 5Mdeg* 



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— 168 - 

heim fyibe ich mehrmals mitgemacht unb luftig unter 
luftigem ©arbtoolte oerfehrt. 

SOBenn ich an jene Sage jurficlbenfe, fo meine ich, bie 
SRenfchen feien bamaö nie! heiterer gewefen unb bie (Erbe 
fonniger unb frönet als jetjt. S)tefe falfdje Meinung 
f ornmt aber einfach baher, bafc ich felbft ein alter ©rie§* 
gram unb $wochonber geworben bin unb Sanb unb Seute 
eben nicht mehr mttfofröhlichen Bugen aufbaue mtebamalS. 

$)te Dfterferien in Untetfejta braute ich ttjetlroeife 
auf bem „®röbet*©of * bei &dl am Sarmersbach &u. 9luf 
biefem ehemaligen ©eftfcthum be§ ftlofter§ ©engenbadj fafe 
bamalS im oäterltchen £aufe ber @ohn beS in meinen 
^ugenberinnerungen genannten „©errn", be3 S*entmeifter§. 
jemals auch ein luftiger ©tubio, ber mit SRed&t ein un* 
abhängiges, burch <$rbfd)aft ihm jugefaßeneS ©tücf 8anb 
bem (StaatSbtenfte oorgesogen, Eyatte er mich eingelaben auf 
feinen Sanbfttj am (Eingang beS ©armerSbacher XhaleS. (SS 
waren mir ftitfoergnügte ©tunben, bie heute noch *>er 
Erinnerung ein poettfeher £auber umhüllt. 3Rorgen3 unb 
Wittags trieb ich in Selb unb SBalb, bei $ferben unb 
^tinbern hetum / wie ju SttnbeSjeiten, am Bbenb aber man« 
betten ber ©utSkjerr unb ich hutein ittS ©täbtehen $um SBier. 

3ch fenne fein ©täbtehen im babifchen ßanbe, baS 
elegifdjer unb jtiller gelegen märe als btefeS Qtü, bie 
©eirnath beS weithin bef annten «ßrofeff orS $ufc. $3 liegt 
an fonnigen Sagen eine folch* oerflärte SHuhe über biefem 
alten 9teic^£* unb 2Balbftäbtd)en, baf* man glauben mdchte, 
e§ wäre eben vom Orabe auferftanben unb harre ber 
lebenbigen Bewohner. Unb bod) wohnte ju Jener Qzit ein 
gar lebenbigeS SBölflein barin, mit beffen ,©püjen" ich 
bamalS betannt würbe, eine Sefanntfchaft, bie ich fortan 
in allen fommenben JJetten fortfetjte. 



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— 169 — 

8Ba§ waren ba3 für lebensfrohe Sttenfdjen, ber retelje 
©ranatenfchletfer -ättöfch, ber $hierarjt ftömg unb vorab 
ber „fdjmarae Stoftor", ber 3Eaoert, ba§ Urbilb eines ge- 
mütf)Udjen, btertrtnfenben ©übbeutfdjen! 93i§marcf, ber be* 
fanntlid) felbft gerne unb mel SBier trtnft, tpt einmal über 
ba§ otele SBtertrtnfen ber ©übbeutfehen geflagt unb gemeint, 
baSfelbe tauge nichts, madje fd)läfrig u. f. ro. Allein ber 
fRetdjätangler hat eben toahrfchetnlich noch nie einen Slbenb 
ober S^ac^mittag unter fübbeutfdjen SBiertrinfern jugebrac^t. 
$6) bin überzeugt, bafj, roenn er oor breifng fahren cin= 
mal im Sftaben in fyü gefeffen märe bei obiger ©efeCU 
fchaft, er ftdjerlidt) einen anbem begriff baoon hätte, roaS 
bem ©übbeutfehen ba3 93ier ift. 5£>ic Herren Greußen 
fönnen ftch gratultren, baf* wir, tt)re fübltchen SBrüber, 
fo gerne SBier trinfen; benn baoon unb uon nichts anberm 
fömmt jene ©emüthüchfeit, in ber mir fo gerne folgen 
unb unS von ü)nen fo oieleS gefallen laffen. 

%tx „beutfehe Bichel" ift oon ©eburt ©übbeutfäcr 
unb ba§ Söier fein SebenSelement. SBenn bie SBanern, 
oon ben ^rangofen „bic blauen Teufel* genannt, (ein 
Söier ^tten, märe fein SBolf ber SBelt fidler oor ihrem 
„furor tentonicu8 tt , unb fie waren gerabe befjtjalb fo roilb 
im legten Ärieg, weil it)nen, fem ber ©eimatt), ba§ &ier 
fehlte. %tx babifche ^ß^iliftcr aber fingt ieneS Sroftlieb: 
„3?reunb, idt) bin aufrieben", nur weil er S5ier hat in 
allen Sagen beS polittfd)en SebenS. 

60 fyoty baS 2Her über bem norbbeutfdjen JJufel 
ftet)t, ebenfo h«>«h tagt unfere (Semüthlichfeit über bie ber 
9torbbeutfdjen heroor. SQBenn man unS ©übbeutfehen 
baS SBier n&fnne, bann mürben bei un$ bie Geichs* 
fchmarmer, bie ^ßoeten, bie $ompomften, bie gemäßigten 
Bürger unb bie SanbtagSabgeorbneten auSfterben, e3 gäbe 



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— 170 — 

bei und bann lautet Sttenfäen oljne ©emütl) unb mit 
purem SBerftanb. $)ann würben wir benf en, pl)ilofopl)iren, 
fdjroeigen unb rennen. Unfer $erj würbe oergletfcfyett 
unb unfere 3 un § e würbe tyart reben wie (Stein. ©S 
tämen guftänbe, bie ber fübbeutfdje Stubent fäon längft 
geahnt, wenn er gelungen: 

2Ba§ foH au3 ber 2Mt benn no$ werben, 
2ßentt feinet ttie^t (93tet) trtnfcn will?! 
%tx ©übbeutfdje ift com SBier fo abhängig , bafc er 
felbft Rattengift ju fid) nimmt, wenn eS nur ben tarnen 
„Söier" trägt 

3$ bin fcft überzeugt, wenn bie granjofcn SBier* 
trinfer wären wie wir SBabenfer, (5 cf) ran ben unb $8at)em, 
fle würben nidjt alle jwanjig Qafyre eine blutige Dteoo* 
lution unb ein anbereS SftegterungSfgftem fjaben. Unb 
wenn td) Ijeute auf ben £ljron ber Üftapoleone berufen 
würbe, mir wäre nid)t bange auf biefem Söulfane. 9ttein 
erfter SRegterungSatt wäre eine (Sinlabung an einige 
taufenb baqerifctye SBraumeifter unb bie ©rünbung von 
SBierfiebereien im ganzen Sanbe. 3>er franjöjifdje Sauer 
liebt ba§ §8ier, aber eS wirb iljm fo fpärlidj $u tfyeil, wie 
unferem beutfdjen Sanbmann ber SBorbeaug. $ätte jeber 
JJranjofe billiges SBter, fo würben in turpem ber fran* 
j\öftf^e ©lan unb ber ©eift ber 9teoolution ber fdjmäbifdjen 
©emütfyttdjfeit unb IRulje weisen, unb bie fübbeutfdje 
tfiationalligmne oon ber 3ufrtebenl)eit würbe ins fjran* 
äöftftfje überfetjt werben, um bie -äftarfeittaife ju erfetjen. — 

9fteine Seiftungen in ber klaffe gingen faft parallel 
mit benen im SBterljauS: je me^r id) Sier tranf, um fo 
beffer unb günjtiger warb meine Stellung in ber ©djule. 
@o trat id) au§ ber Unterfeyta in bie Dberfejta als ber 
dritte unter 18 @d)ülem. 3Bie ium #ol)n aber fjatte 



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— 171 - 

^rofeffor 2)on3bad), mit bem ich bcn ©ommet übet allerlei 
SBoSfyeit getrieben, mit ein SRacheramen in ber ftan^öftfchen 
(Sprache „aufgehen^r", trotjbem ich ncch bie üftote „jicmltch 
gut" hatte. 3$ erflärte bem $ireftor fofort, bafc ich ba§* 
felbe nie machen würbe, unb habe treulich 28ort gehalten. 

©türmifcher unb wilbpoettfchcr Ratten fleh noch feine 
SKaftatter ©ertanet uetabf^iebet als bie ©on 1858. $te 
5lbfchteb§fnetpe ju ©fjren ber auf bie UnioerfUät abgeben* 
ben Öbetfertanet watb fchon einige SBochen not ©chlufj 
be§ ©djuljahteS in Sin^eim bei SBaben abgehalten. 
3>ort mar baS 95aterhau§ be§ herrlichen SBiereS, ba* ber 
ftatjenmeier unb ber (Streb am Bahnhof nerjapften; bort» 
hin maßten mir von Do8 au3 an einem prachtigen 
HugufbSRachmittag, um an bie Ctuefle unS $u fetjen unb 
ju trinten. 2Ba3 bie Stimmung mächtig hob unb ben ®urft 
fteigerte, mar baS SBemufitfein, Freibier ju befommen. 

$)er Heine Dberfejtaner SUfreb ©olber, h«tte £of* 
bibliothefarin Karlsruhe unb ein ©elehrter erften ftangeS, 
ju aller Qt\t aber ein greunb germanifchen SBefenS, hatte 
ftetS auf ben ftneipen mitgemacht, wenn ihn feine fton* 
ftitution auch baoon abhielt unb ihn beftimmte, wemg 
in trinten. Huf biefe 9ltt hatte er wiber SBiHen trieleS 
©elb gefpatt. Stonon wollte et einen jum Ebfchieb 
opfetn unb hatte fid) befftalb gum notauS bereit erttärt, 
100 9Jlaj* SBier &u „poniren", für etwa 20 „Wann" ein 
gehörige^ Quantum. 

®ie SBraueret SRh«nbolb in ©injheim lag an jenem 
Sage, ba wir einbogen, frieblich im $orffonnenfchein an 
ber Sanbftrajje; weber fle noch ba§ $orf hatten eine 
Ahnung von bem ß&rm, ber heute fleh ba abfpielen fottte. 
(Srft warb im ©arten gefungen unb getarnten, unb als 
bie ©onne mehr bem iR^eiiie auftritt, unter meinem 



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— 172 - 

SBotftt* in bcm SRebenaimmer eine formelle Shteipe orga* 
niftrt mit ©alamanbern unb SKunbgefang. 911S Kellnerin 
fungirte eine bunfle ©djönfjett, wie fic mir faßte, be§ 
„6d)tnieb*Äraften 4 ' $öd)terlein aus bem „ftörfl" in 9ta* 
ftatt, f)eute eine lebige / franfe, alte $)ame in i^rer SBater« 
ftabt. Sie meinte, in tyrem ganzen Berufsleben l>abe fie 
feine folgen luftigen Printer gefefjen. %k ©onne fanf, 
aber baS lefcte gajj warb eben angeflogen, unb befftalb 
rooUten mir „ntdjt eljer Dom $lafce Ijeim". S)rum rcarb 
befd)loffen, ju übemadjten, unb ber £err Sftljembolb lieg 
bereits in t>erfd)iebenen 303irtl)§f)Sufern Quartier anfagen; 
midj felbft wollte er in feinem £aufe behalten, roeil eS fid^ 
im Saufe beS 9tod)mittagS IjerauSgeftellt Ijatte, baß meine 
„©öttle", bie 9lblernrirtl>tn in £aSladj, feine SBafe fei. 

%xt jungen Germanen tobten immer unbanbiger, bie 
üftadjt rourbe bunfler unb mit if)r bie Slugen ber fdjarfen 
ßedjer. ®em guten Braumeifter marb'S anfangs bange, 
unb er l)ätte bie roilben ©äfte gerne fortgefjabt. £)rauj$en 
aber ftunb baS fytlbe S)orf unb laufdjte ben Bacdjanten 
unb ifjrem brüttenben ©ang. £)em $erm 9tyeinbolb 
roarb'S audj untyeimlid) für bie anbern SBtrtye, bei benen 
bie ©tubenten übemadjten follten. %a tarn tfnn ein 
rettenber ©ebanfe, ber äugleid) Derrätlj, ba{$ audj ein 
Bierbrauer roeifc, maS *ßoefie fjet&t, unb melden ©influg 
fie übt auf beutfdje 3ttufenföf)ne. @r fälug mir t>or, 
mit meinen ftameraben einen nächtlichen ®ang auf bie be* 
nacfjbarte §)burg ju machen, um bort ben Sonnenaufgang 
abjumarten. ©erne wolle er unS in ber ^erfon feines 
ßüferS einen 3ül)rer mitgeben. 9JHt Watyt fanb fein 
«orfcfjlag 2Biberf)aH in mir unb in unS aßen, unb als* 
balb roarb aufgebrochen. 

bin fett jener -Wacht nie mehr in jene (Segenb 



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— 173 — 

gefommen, würbe aber heute noch ben 2Beg fhtben, ben 
bet ftüfer uns geführt, trotjbem ich ftarf an ber Dfym 
SBtcr partictpirt hatte. ©3 ging einen formalen 2Beg 
burtf) SHebgela'nbe bergauf, anfangs unter lebhaftem ©e* 
fprfich unb ©efang; balb aber oerftummten bie ©eifter. 
@S begann ju rauften in ben SBeinftöcfen, wie vom 
gaUe eine« SJlenf^en. (Sin ober ber anbere ^atte fleh 
jur Stühe gelegt, um bie golbene Sftorgenfonne unter ben 
Staufen ber Sieben $u erwarten. 9luf betn (Sattel beS 
SBergeS, in beut Störffljen Varnhalt angefommen, fehlten 
befftalb oon ber luftigen Schaar bereite einige Häupter. 

©3 war Mitternacht. S)er Führer würbe entlaffen, 
weil einer oon uns ben Unterleder beS S>orfeS fonnte, 
unb ber follte unS weiter bringen jur 5hirg. $)ie Stacht* 
Wächter würben alarmirt, um baS €>chulf)auS und ju 
jeigeu, unb bann ein SBirth fjcrauSgetlopf t ; benn in 
SBarutjalt wftchit ein berühmter 2Bein. 2>ie guten SBinjer 
in ihrem abgelegenen SBergbörfäen mufjten wohl beuten, 
bie Stoffen feien eingefallen. 

%wc<i) einen fjoljen $annenwalb ging'S unter 9ln* 
fü^rung beS UnterlehrerS ber Stutne ju. 3lber auch 
biefer SBalb forberte feine Dpfer, unb fchlaftrunfen fant 
noch mancher nieber in beS „SBalbeS büftern ©rünben". 
Stur trier 3Jtann, ben ftührer abgeregnet, erreichten gen 
2 U^c 9ftorgenS baS #iel, unter ihnen meine lange 
SBemgfeit. ©in altes, ^ä^tic^eS SBeib lieg uns in ein 
finftereS, fchmutjigeS ©emaef) ein, wo wir auf Käufen 
unS su furjem (Schlafe nieberlegten. (Schon nach oier 
Uhr flunben wir auf bem ruinenhaften Shtrgthurm unb 
flauten hi™& i« bie hwrlichen Sanbe. Siber eS fam 
lein rechtes ©ntjttcf en in unS auf, ein fehreefiieher flauen* 
jammer täbtete aUe $oefte, namentlich bei mir, ben jenes 



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- 174 — 

Uebel fietS in ^odfowtenj $etmfud)te, bem e8 aber jeweils 
mit <£rfolg für einige 3eit Sttoral prebigte. ÜRadjbem 
n>ir unfere tarnen itn alten ®ejtein nerewigt unb von 
ber Gilten einige ©ier un3 Ratten fteben laffen, &ogen wir 
fd)leunigft bergab, benn ber erfte 3ug m u ßt e in ©teinbad) 
erreicht werben, we*T3 Sonntag mar unb um neun Ufa ber 
©otteSbtenft in ber ftaftatter ©djloßfirdje unfer wartete. 

Qn ber IjeHften Sflorgenfonne paffirten mir ba§ $>enf* 
mal be§ großen 33aumeifter3 (Srmin non ©teinbadt), unb 
im „Sternen" warb ein Kaffee genommen. 9luf ben <5ta* 
tionen ©teinbadj unb DoS fanben fid) fämmtlid)e WatyU 
äBegelagerer ein. Äeiner aber wußte mefa, wie e§ &u* 
gegangen, baß er in ben SReben ober im äBalb ba5 £td)t 
be3 neuen £age$ erblicft fyatte. 3 tt * testen 3*ü ftunben 
wir in ber 2CuIa jum SBexXeS unb wanbelten in bie 
(Scfjtoßfirdje. 9Bir fangen in gellen $önen auf bem 
(Sljor: „fturie eletfon!" unb feiner ber *ßrofefforen fjatte 
eine Slfjnung »on ber @d)la$t, bie wir eben gefölagen. 

@o treibte bie Qugenb, unb alt geworben wunbert 
ftdj ber SRenfd), baß er einmal fo I)at fein fönnen, unb 
fdjaut auf jene $age surud mit wefynütfnger ftreube unb 
mit griesgrämigem Äopff Rütteln 1 ). 

9lm nädjften ÜPiartttag aber tarn ber SBrauer SRfyein* 
bolb, bem wir einen balbigen $efud) üerfprodjen, nad) 

*) 2)ie heutige SRajtotter ©omnafmmgiugenb ift weit foliber, 
wetügftenö foweit ia) ed an meinen Äaptänen beobachten !ann, 
von benen brei „Staftatter" fmb, alle brei aber oon einer Soli* 
bität im £rin?en, bie mtä) in ©rftaunen fefct. ßiner berfelben 
I)at gar, o§ne feinen ©Item am ©pmnaftum einen Pfennig 311 
foften, 300 2Rar! erfparteS unb bura) 6tunbengeben oerbienteS 
©elb auf bie Unfoerfität gebracht. (Sin fotdjefi 2Jhifter muß genannt 
roerben. @r $eißt 3ofef Seible oon Sittelbrutm bei (gngen im $egau. 



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— 175 — 

IHaftatt, fu$te tm$ auf unb bat, ihn bocf} ja mit biefem 
Sefudj $u oerfchonen; benn fein Nebenzimmer h<*be am 
anbem Sage auSgefehen urie ein ©chlad)tfelb, unb er muffe 
baSfelbe frifch tapezieren unb auftreiben laffen. $)er 
reiche Sftann war eben gewohnt, von fremben ©äften nur 
feine Herren unb tarnen au£ bem nahen $Baben*58aben 
bei fidj zu h<*ben, ^atte feinen ^Begriff oon ber Tragweite 
be§ befannten 3Borte3: „SHlbung macht frei* unb wufcte 
bemnach nicht, bafs ©tubenteu unter ttmftänben unan* 
genehmere ©äfte fein fönnen als SBauernbuben. — 

SBäfjreub biefer meiner „ftlegeljatyre 4 ' ^errf^te übri* 
gen3 ein (Seift in mir, ber weit abftad) oon bem genüg« 
famen unb gemütvollen Siefen meiner ^nabengeit. 3$ 
ging in freien ©tuuben, unb alfo oorab aud) in ben 
Serien, fo fehr in meiner ^Bummelei unb SJiertrinferei 
auf, baf* ich gar wenig Sftitgefühl ^atte mit ben warfen« 
ben ^amilienforgen meiner SJlutter. 

infolge be3 langwierigen ftranffetn§ unb ber babutd) 
bebingten Unthättgfeit be3 SSaterS war unfer ßauSftanb 
finanziell bebeutenb ^eruntergefommen. $ie gute SJlutter 
hatte befihalb oft mit ©elbmangel unb ©Bulben zu 
fämpfen. SBenn fte nun in ben fterien mir, als bem 
9lelteften, barüber berieten unb ifyr ©erz au8fd)üttcu 
wollte, fanb fte fein; fchlechteS ®ehör. & war mir höchft 
unangenehm, von berlei fingen reben zu hören, weil e3 
mich ftötte in meinem luftigen SebenSwanbel. $)ie ©rofc 
mutter, bei ber ich in ber frühen Qugenb oft unb gerne 
geweilt, mieb i(h ftngftlich/ weil jie immer oom gamüien* 
clenb rebete unb mir SJloral prebigte. 3$ tarn wochen* 
lang nicht mehr auf ihr Simmer, um 9hthe Z» fatal. 
Unb boch war unb blieb ich ber 9Rutter unb ©rofimutter 
Augapfel unb ihte ftete ©offnung. $xe ©chroeftern 



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— 176 — 

flagten oft, bafj fte &u $aufe arbeiten unb forgen müßt««, 
roäfjrenb mir „bie SJlutter aUeS suftecfe, bamit idf> ja 
feinen ©poppen Sier weniger bet&me". 2tud^ würbe mir 
von ©ejcta an in ben Sßatanjen am Wittag unb SÄbenb 
ejtra feroirt unb ftet§ ba§, wa3 i^ wünfdtfe, ebenfalls 
&um ni$t geringen Slnftof* ber fdjmefterltdjen SBeibSleute. 
Slber &wei $)inge habe id) bodf) beobachtet mit SKücfftdjt 
auf meine 2ttutter. 3$ fagte mir immer wteber: „S)u 
mufjt in ber ©cfjule etwas leiften unb barfft feine ©d)ul* 
ben machen." 3$ habe beibeS treu gehalten. 

2Ber weif}, wa$ au$ mir geworben, wenn mein SBater 
gefunb geblieben unb ein oermögti^er 9Kann gewefen 
wäre unb td& ohne jebe föücfftcht auf Samilienoer^alt* 
niffe hätte (galten unb walten fönnen?! — 

2Bie gut unb beforgt bie Sßlutter für mich war, ba* 
oon nur ein SBeifpiel aus ber 3eit ber ©ejta. ©ie war 
eine fehr gewanbte Spinnerin unb breite ben feinften 
gaben am ©ptnnrab. Um ihre Töchter biefe eble 93c* 
fdjäftigung be3 weiblichen ©efchlechteS $u lehren, hatte 
fte in ber 3ett, ba ich in ©ejrta mich befanb, nach längerer 
Unterbrechung ba8 Spinnen wieber aufgenommen unb 
bann ein ©tücf fetneS Such au3 bem ©efptnft fertigen 
laffen. 6tne§ Sage« tarn bie ©tunbe, ba fte mir ©elb 
Riefen foHte unb nicht genug jur $anb hatte. 9ftich 
wollte fie feinen 3tugenblicf auf meinen ©olb warten 
laffen, unb bejjfjalb oerfaufte fie, fchneU entfd)loffen> 
einem $anbler au£ bem ,<$utacherthal" ba3 SBerf ihrer 
#änbe, baS erfteSRaltmSeben, bafte gejwungen war, etwas 
&u oeräujiero, wa§ ihr fonft um fein ®elb feil gewefen wäre. 

©§ fchmerjt mich ^eute tief, in jenen Sagen nicht 
mehr SBerftanbnifj gehabt ju haben für bie ©orgen meiner 
3Hutter. 2lber e§ liegt ein eigentümliches ©efdjict hierin 



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— 177 — 

über ben meiften SHenfdfjenfinbern; flc lernen i&re @ltern 
unb beren #ergeleib erft nritrbigen, wenn SBater unb 
SJtutter nidjt me&r fmb. 

(gütige gtenbe tonnte id) ber Butter fpftter bod) 
«od) madjen. (Sie erlebte no$ meine $riefter»eil)e, mein 

^tGQtscxGTncrt UTio Dtc erfiert tflbtc mciiipr 2In ff cLLiiiiq. 

Sie war glücflt$, fo oft id> bann ht bie JJerien tarn 
nnb innigere Sljeilnaljme geigte an üpem fjänSlictyen 
ftummer. £)od> ftarb fie wenige Qaljre nad) ber Soll* 
enbung meiner Stubien, im 3a^re 1867, erft 56 Qdfycz 
alt, nadfjbem ber SBater tyr brei Qaljre im 2ob aorauS* 
gegangen mar. £>a3 erfte ©elb aber, ba$ idfj über meine 
Söebürfniffe rorbiente, galt einem ©rabftetn für bie brauen, 
unoergefjlidjen ©Item, unb fpäter, ba meine Sttittel 
e§ erlaubten, l)abe ic§ gu iljrem 9lnbenfen in ber ftirctye 
gu £a3ladf) ein gemaltes ßirdjenfenfter, gefertigt von 
äünftlerfymb, aufteilen laffen. 

$er ©erbft 1858 braute mid) auf bie Ijödrfte Stufe 
ber Sgcealftubien burdjj ben (Eintritt in bie Dberfegta. 
SBenn ben Unterfegtaner fd&on eine ©ötterwoime überfällt, 
fo fteigert fld> biefe beim Dberfegtaner gu meljr als otym« 
pifc^er ©röfje. teilte erfte 3$at mar, baf* id) bemgemäfj 
auä) eine SBofcnung fud)te für ben ange^enben Olympier, 
bem jet}t bie SKappengaff e in ftaftatt gu Nein unb gu armfelig 
mar. 3$ gog in bie $auptftrafte gum SBudjfycmbler $ane* 
mann in ein fo elegant unb nieblid) au§geftattete§ ßtmmer* 
djen, wie i$e£ in biefer @d)önl)eit !aum at§ SanbtagS* 
abgeorbneter in ÄarlSrulfe gefunben unb mir erlaubt Ijabe. 

$eute nodj tonn id> nur mit einer gewiffen Plegie 
an bie elf SRonate gurütfbenfen, bie id) in biefem gier* 
liefen ßabinet verlebte. @i lag im §ofe, mit 9lu8ftd)t 
auf ©arten unb Stturgbamm, gang abgefe&loffen uom 

$on«iafo6, Stubienjett. 12 



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— 178 — 

übrigen £aufe, eine Wftliche {Jette, fHtt unb tbqlltfd) rote 
ein (SonntagSmorgen im SRaien. 

2öa§ für ein füfjeS Rehagen burd^og mich als ba, 
wenn td> an JJrühltngS* unb ©ommerabenben fpftt heim* 
fehrte, meinen gtauteuil an8 JJenfter rüdfte unb noch 
oollenbg bie le#e SageScigarre oerbampfte, frei von atten 
(Sorgen unb Seibenfehaften, erfüllt nur vom SBenmfjtfein 
be§ DberfqrtanerS ! 9ttng§um tiefe ©tille, höchftenS im 
£>ofe unten bisweilen ein letfeS ©eflüfter, ba§ von ber 
$öd|tn be8 £aufe8 unb ihrem „<5d)a%" ausging, einem 
Unteroffizier unb nötigen Stfnsigthäler aus Steina^. 

$ie meiften SRiet^leute be§ ^anemann'fchen £aufe3 
waren öfierreichifche Offiziere, wilbe, junge #erren. Unter 
ihnen ein SBabener, von ©elbenecf, unb ein <5ohn beS f amof en 
ffelbaeugmeifterS Ggnatten. %tx alte #err #anemann, 
welcher ^eute nod) lebt, wirb mir bag .Seugmf} nicht t>er* 
fagen, bafc ich ber ruhigfte unb foltbefte feiner bamaligen 
©äfte unb am 2tbenb von ben legten jtetS ber erfte gewef en bin. 

©ine föftlic^e Slnefbote ergab fleh in jenen Sagen 
einftntal§ wegen beS ©d^liefeenS ber $au§if)üre. ®tefe 
fanb fich fett einiger $ett am borgen regelmäßig offen, 
unb ber £au3herr ftettte ber ffletfje nach alle mit 6$tüffel 
behafteten Sewoljner jur IRebe. 2U3 er an ben Sieute* 
nant oon (Shjnatten tarn, ber blutjung eben oom SBater« 
hauS weg auf (Empfehlung pm Lieutenant aoancirt mar, 
meinte ber gute Defterreidjer: „Qa, er (äffe bie $hür 
jeweils auf, weil er geglaubt Ifittt, fein ©auSfdjlüffel 
fei nur jum Sluffdjltegen ba, jum 3ufdjliefjen habe man 
ihm bis jefct noch feinen gegeben/ 3$ hoffe nicht, bafj 
ber SVlann heute im ö ffcerreichif chen ©eneralftab fleh befinbet, 
fonft oerlteren bie Defterretcher baS nächfte 9flal roieber. 

3<h hatte nur bie Wohnung in ber ftappengaffe 



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— 179 — 

aufgegeben, ntdjt aber ben Stfch bei SJtefcger SBittle, uttb 
fo faß ich beim immer nod) in ber alten Suftigfeit neben 
meinem JJreunb Stoma!, auch in ber Dberfejta. 

(£S mürbe mit baS ©chuljahr 1858/59, wenn ich 
einerfeitS lebiglich ben ßebenSgenuß unb ftrohfmn nnb 
anberfeitS ben ftortfehritt in flafflfcher Ȇbung tnS 
3luge faffe, entfd)ieben baS fruchtbarfte meinet gangen 
©tubiengeit. @3 war ba§ „fibelfte* Qaljr meines £eben§ 
nnb $ugleich bie Qtit, in bet td) baS eigentliche Junba* 
ment legte $u einem Dollen SSerftänbniß bet ©chänhett bet 
alten Sttafjifer, bie 3eit, in bet id) oölltg £err nmtbe über 
baS, waS ich in ber ©chule Ieiften f oEUe, nnb roo eS mir, wenige 
©egenftänbe, wie $^fit unb ^^ilofop^ie, ausgenommen, 
ein angenehmes ©ptel mar, &u fhibiren unb &u benten. 

3e^t erft (ernte id) ben pfnlologifchen ©eift unfereS 
^ireftorS f ernten; benn er gab uns in biefer oberften 
klaffe auch ben Iateimfd)en Unterricht. @S war ein 
©ochgenuß, an ber $anb biefeS SftanneS #oraj, $acitu§ 
unb Cicero $u Xefetu 9Bie munberbar geiftreid) erfaßte 
©chraut ben $ora$! 3$ mußte oft nicht, ob ber 2lutor 
ober fein 9tu§leger mehr SBerounberung oerbtene. Qm 
übrigen tobte ber fangmnifche $h^^ge in Dberfqtfa am 
wilbeften, weil er ba bie meiften ©tunben hatte unb 
namentlich fehler im latetmfehen ©tyl i^n aufbrachten. 
S)er tlaffifche &hrer machte mit folch' peinlicher ©org* 
falt über bie Feinheit unb 2led)theit beS lateinifchen 2luS* 
brucfeS beim Ueberfetjen, baß ein grober ©tylfehler ihn 
aus oder g^ffung bringen tonnte. <$S !am t>or, baß er 
mit ben „©tieften" in bie ftlaffe trat unb fämmtliche 
fünfzehn §efte über ©chüler unb SBfinfe htnmarf ooU 
heftigen 3orneS. Staun fetjte er fleh ftumm unb ftitt auf 
ben Äatheber unb fing nach einiger 3eit an: „%a hab' 

12* 



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- 180 — 

id> fünfoefjn 8erlS, von betten feiner hn ftanbe ift, einen 
lateimfdjen ©a$ niebetjuf treiben! ßauter ©Ruftet« 
jungenS !* S)afj et nid)t weinte vor ©ttymera, war alles. 

3$ bin attjeit ein f^led^ter ©tylift gewefen, im 
$)eutfd)en wie im Sateinifd&en, unb fo tarn e8, bafc mein 
lateimfdjer ©tgl ba8 äBofclgefaUen be3 $>ireftor§ bei 
weitem ntdf)t fo gewann wie meine ,<&3>ofttiim". Qn 
btefer Ijatte td& ftetö bie erjie 9fa>te, im ©tyl abet nie 
meljr benn jiemltdf) gut 3$ *)abe tfa abet aud& faft 
regeltn&fstg „nmtatia mutandis" meinem greunbe Äuljn 
abgefd&rteben, mit alfo nie eigene SWü^e gegeben. 

Sm ©ried&tfdjen lernten wit untet ©djraut* $fo* 
leitung ^ßlaton unb ©oplpfleS tarnen, unb idj wibmete 
biefen beiben ©dfrtftfteflern mit Suft unb Siebe meine 
Slufmerffantfeit. 2Bir lafen mm ©opl>otle3 ben <ßl)iloftet, 
unb id> erinnere mtdO nod& gar woijl, wie ber flbtreftor 
mtd& juerft aufrief, um bie siemlid^ fäwiertge tleberfefcung 
|u beginnen, unb, als e3 mir gelungen war, f agte : „©et>' 
er fid); er ift einer tum ben wenigen, bie t$ brausen 
fann!" ©8 war ba§ einzige 3Jlal, baft er feiner Qu* 
frieben^eit mit mir münbltdjen&uSbrucf verlief). 9tod) einige 
Qaljre fp&ter, im pfcilologifdjen Staatsexamen, fam eS mir 
SU gut, als überfeiner ben ^tieftet tüchtig bearbeitet &u 
f)aben; benn gerabe biefeS ©tücl tum @opl)of leS tarn t>or. — 

<§}efd)id)te unb Siteratur würben von mir in« unb 
aufjerljalb ber ©d)ule audf) im legten £gceumSial)te mit 
Vorliebe be^anbett. $>te 9toturlel>re in tyrer Ijöljeren 
StorfteUung war mir als ©jperimentalp^ftt ftetS tnter* 
effant, fobalb aber bie ©rföeinungen unb ©efefce in 
mattyemattfdje Wormeln gebracht werben fo Elten, ba ftunb 
bei mir »ber Dd)S am SBerg". @letd?roof)l naljm mid) 
$rofeffot ©iftnger, ber mir fonft wohlwollte, 311 feinem 



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— 181 - 

Slfftftenten an, als er im ©intet 1858/59 einigen babu 
fdjen 9lrtiUerte*Steutenant3 ^ßrioatifflma in ber $h#* 
gab. 34 war im gleiten 9llter wie fle, hatte aber ba* 
malS einen 9ttorb3refpeft cor ber erhabenen Stellung 
eines babif4en Lieutenants. 

34 tarn mit Dberfejrta aber au4 fonjt jum 
ftulminattonSpunfte meiner £gceiften*©röfje burc| bie (£r- 
roä^lung pm ftcmbigen Kneippräfibenten oon ©eiten meiner 
Kommilitonen. @S fanb biefeS Sßräftbium, baS t4 ba* 
mals mit größerem ©tol§ übernahm, als i4 f>eute einen 
*Rei4StagSpräftbentenftuhl beftetgen mürbe, balb ©etegen* 
heit su feiner feierlichen Inauguration. 

Einfang üRooember 1858 waren e$ fünfzig Qa^rc 
feit ber Verlegung beS SgceumS oon S8aben*$8aben nach 
föaftatt 55>ie (Sextaner bef4loffen, ben Sag in it)rer 2lrt 
feftli4 jtt begeben. 34 warb 8unä4ft beauftragt, bcn 
$ireftor um ©rlaubnifj &u bitten, ihm unb ben Selbem 
einen folennen JJacfeljug bringen $u bfirfen. ®4raut 
mar gegen eine fol4e Kunbgebung. %a mir nun unfern 
^efifpcftafel m4t öffentlich oorfityren fonnten, follte ein 
„f4öneS Srinten* Sag unb 9lbenb frönen. ©4on am 
Nachmittag fpielten mir &u oiert ein >Jego auf bem 
Limmer unfereS jet>t längft tobten 9ttitf4ülerS £org, 
bei ber SBledjnerSroittroe |)ij3, unb machten ein ganzes 
JJajj SBier jum ©egenftanb beS Spiels, baS mir auch 
ritterlich auStranfen. SlbenbS um 7 Uhr fanb grofjer 
Kommer« in ber flauen äafc" ftatt, ju melcher ber 
jüngfte SehramtSpraftifant, Äräntel, jetjt ©gmnafiumS* 
btteftor in ßahr, erfchienen mar, roätjtenb bie Sßrofefforen 
mit bem 3)treftor in acht fchulmeifterlicher $oefieloftg(eit 
im Sömen eine „SBorole $unf4" oertilgten — $u ©h?cn 
beS fünfaigjährigen SBeftanbeS ihrer Sinfialt. 



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— 182 - 

Äränfel, ein alter $eutonen*€>emor, erflclrte mir im 
Verlauf be§ 5lbenb3, er habe fdjon manche afabemifche 
ftneipe mitgemacht, aber fo Diele „ftnetpgenieS" nicht 
beifammen gefehen nrie heute. ©3 mar eine ftol$e ©d>aar 
oon etlichen breifjtg gröfchen, unter ihnen alte Parlamen- 
tarier" nnb in Vierfachen lernbegierige Qünglinge; letztere 
eben erft Don ben ©gmnajten ju Sruchfal unb Offenburg 
eingerüeft, um in SRaftatt neben ber ^ö§em SBtlbung ftd) 
bem freiem SBterftubium ju ergeben, ©in ©eneratfchmolltS 
oerbanb an biefem Slbenb auf Antrag be§ $8orftt>enben 
fämmtltche Neulinge mit ben Oberfejtanern: 

3<h trinf @uc$ ein @$moUtö, i$r Srfiber, 

SBaS ftfct i^r fo ftumm unb ftiU, 

SöaS foQ au0 ber SBelt benn noc§ roerben, 

2Benn feiner me$r trinf en toiU?! 
2Ber eS nicht glaubt, bajj in bem bier* unb fanget* 
tollen £eben eines beutfehen Stubenten boch noch ein 
Stücf ^oefte ^errfc^t unb natürliche Qugenbfrifche, ben 
mac^e ich auf eine tyatfaty aufmerffam. Sttan betrachte 
einmal eine ©efeHfcfjaft oon ältern gebilbeten Herren, 
wenn fie, luftig geworben, anfangen ßieber ju fingen auS 
ber Stubentenjett, wie ba biefe langweiligen, bureau* 
fratifd)cn unb fjierarchifchen ^ß^pfiognomien eine Reiter* 
feit erfaßt unb überftrahlt, unb wie bie Qugenbfonne 
burch bie büftern SBolten beS MtagSlebenS h^burch» 
leuchtet auf bie alten £äupter unb fie ©erflärt. 

3u allen 3eiten, fettbem e§ in $)eutfchlanb Vier, 
©gmuafteu unb Unioerfitäten gibt, h^en bie Stubenten 
ftch auf ein entfprechenbeS geben oerlegt, in früheren 
Qahrhunberten noch in weit höherem ©rabe als in unferer 
3eU. Schon Abraham a Sancta QXaxa, ber 1659, fünfzehn- 
jährig, oom ©qmnajium in Qngolftabt roegfam, erja'hlt 
auS ber 3eit btefeS Aufenthaltes oon einer „oerfoffenen 



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- 183 - 

©tubentenrott" unb oon bcm Sieblein, bo3 jte gefungen 
unb bag ba lautete: 

Qualis est vita auf ber 35k It, 
Quae mihi Semper rooljlgefällt, 
3ft eä ttic^t baä ©tubentenleben? 
Ita vere, bad ifk'3 eben. 
6tubenten fegnb jucundi, 
Stewetlen furibundi. 

SBenn bie offizielle ©amftagäfrieipe mid) nid)t in bie 
„SBlaue Kail* rief, fa| id) als Dberfqrtauer aHabenbltdj 
unb, wenn möglich, jeben borgen im „Sdnoert". §ier 
lernte id) auef) bie 9iaftatter ^Bürger fennen, oon benen 
einige Originale ba if)ren Stammt Ratten. $)a§ waren 
föftlicfye 9ttenfdjen, wie fte nur bog beutftfje Kleinbürger« 
t^um fjerüorjubringen hn ftanbe ift: ber SBäcfer ©erftner, 
ber ©djloffer SBecf, ber Maurer ©djroeigert, ber ©d)neiber 
2Bunfd> unb ber Sftafirer £irfdnnann. SBie mand)' luftige 
©tunbe fyaV id) mit biefen bierfibelen „©ptefjen" ju* 
gebraut. 50er SBäcfer ©erftner mar ber ftiHoergnügte 
Xrinfer, ©djloffer SBecf oertrat bad frafeelenbe Clement 
be3 *ßl)ilifter3, Maurer ©c£meigert mit feinem ßetbfprud) : 
„Gravem 8anctum u fpielte ben felbftbetoufjten SReifter 
oon ber Stelle, ©cfnieiber SBunfd) ben flotten Bourgeois 
unb ber SRaftrer ©trfdjmann ben lad&enben *ßhilofopl)en. 
(Sin geborener /r ©d)leftager 4 ', ^atte er fid) in SRajtatt nieber* 
gelaffen, überlieg aber gu meiner Qttt fein ©efd)äft meift 
ben ©eljilfen unb p^ilofop^irte im ©rf)roert über bie 
„Matur" unb bie „öuftanbe aller fcinge" in einer SBeife, 
bie feine Unterhaltung ju einer ^oc^fomif^en geftoltete. 
9ttir mar e$ ftetS ein Vergnügen, mit i$m &u reben, unb 
jtoar in feiner 2lrt. ©eine üftationalljnmne, bie er aber 
nur in feierlichen SJlomenten uub bei höheren #( 3uftänben" 



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- 184 — 



anftitmnte, war ba3 Sieb Pom „frönen, grünen Sung* 
fernfrang", baS id) ihm fo oft habe fingen Reifen. 

9hidj bie „golbene Qugenb* oon iRaftatt oerf ehrte ba* 
malS im (Schwert, meine beiben greunbe •äftütter unb 
SBirnftill, junge, ©ermögliche fieute ohne jeben SBeruf. 
©ie Ratten eben eine $)rofchfenanftalt errichtet, aber am 
(Sonntag bodfc) jemeiB noch ein Sßaar eleganter $ferbe 
frei, um mit mir in irgenb ein benachbartes S)orf fahren 
gu fönnen, wobei mir e$ in jeber Segie^ung „nobel* gaben. 
(Sie wohnten neben ber „Sinbe* am SRurgbamm, unb 
noc| lebhaft fteht oor mir jener &benb, ba mir brei, mein 
alter ^bilifter unb 2JtitI)a3lad)er $raun unb mein ©peife* 
meifter Statte bei SampionS am ftluffe ein ffifätn 95ier 
tranfen, ba£ mein Setter SCBil^elm, ber SBierfr&mer oon 
©a§le, mir gefanbt hatte. 3Bir fangen bie luftigften 
lieber in bie flacht bhiein, unb gegen Schluß erhob fleh 
SReifter SBrauu, toaftirte auf mich «13 SSeranftalter 
be3 ,h*ttltchen SlbenbS" unb fprach feine ftreube barüber 
au3, bafj ich m ^ ™ Stoftatt nicht bloß in ber ©djule 
fo oorwartS gemacht foubem in mir auch alle gefeU* 
fchaftlichen fcugenben eines achten #a£lacher3 |ur ©nt* 
wictelung gebracht hätte. 

$m (Schwert lernte ich in jenen Sagen auch eine 
weibliche ftunft fennen, bie ich feitbem nie mehr geübt, 
unb ber ich ^eute ba§ ©oljfpalten oorjöge. ftr&ulein 
©mtlie, eine ber Pächter beg $aufe3, eine emfte, oer* 
fchloffene Schönheit, lub mich bisweilen am Slbenb ein, 
mit ihr eine Partie „Stomenbrett* gu fpielen. Qd) that 
e3 ihr §u lieb, tonnte aber biefem geifttofen, gahmen 
3eug, ba3 ben richtigen ÜRamen h^t, nie einen ©efehmaef 
abgewinnen. %a war mir ein tüchtiges SHerjego eine 
anbere SRuftt als biefeS fabe $in* unb ©erfchieben oon 



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- 185 — 

beinernen ^£äfelchen. (SS ärgert mich eigentlich ^eutc 
noch, bafc ich bct frönen (Emilie ju lieb, bie heute als 
Patrone unb ©rofjmutter in $aben*$aben lebt, ein fo 
bummeS ©piel gelernt f)äbe. 

SBenn ich an bie £ett jurüefbenfe, ba id> tdglic^ 
im Schwert ein« unb ausging, trintenb, raudjenb, fpielenb 
unb fcherjenb, um alles eher befümmert als um meine 
gutunft, nur bem £age unb ber ©tunbe lebenb, fo mei§ 
ich nicht, foH ich mich freuen ober betrübt fein, freuen 
ob ber Reitern Sorgenlofigfett unb betrüben ob beS leichten 
©inneS, ber mich bamalS beherrfchte. S)och, meine ich, 
wir SJlenfchen foUten über berlei $)ingc nid^t moralifiren. 
Hit unb f)npod)onbrifd) geworben, pflegen wir unfere 
^ugenbftreiche gerne in einem Spiegel jn betrachten, ber 
wohl unferer heutigen Stimmung, nicht aber ber früheren 
entfpricht. SBBenn wir jeboct/ jenen £eid)tfinn ins rechte 
Sicht jurücfnerfetien, fo fönnen wir, wenn mir ehrlich fein 
wollen, nicr)t trauern. 3Jlan mufj bie ßuftigfeit feiner 
^ugenbjeit nicht behauen mm ben büftetn SBolfen feines 
fpätern SebenS ^erab, fonbern im Qugenbfonnenfdjein, 
ber fte gtofc gebogen unb nerflärt hat. Qm übrigen wollen 
wir bem Abraham a ©aneta <£lara beipflichten, ber ba 
gefagt hat: „Suftige ßeute gefallen mir wohl; ift ein 
s ilnjeichen, baf$ ©ott bei ihnen unb in ihnen/ 

3m hinter 1858/59 machte ich auch einen 2JcaSfen* 
ball mit im SRaftatter ßomhauS. (SS war ftrenge per* 
boten Dom fcireftor, ftch bei berlei Vergnügungen fehen 
$u laffen; aber gleichwohl tonnten ich unb ber Unter* 
fqtaner SRöltner, ©or Dielen fahren fchon als Slrjt ge* 
ftorben, eS uns nicht oerfagen, in Stominogeftalt ben ^Bad 
ju befugen. SBeim ©chneibermeifter SBeber liehen wir bie 
,$omiuo3", unb beim ^ofamentier ©chöttle würben f djwarae 



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- 186 — 

■ 

$<mbf<$ut)e getauft, bei welcher Gelegenheit unS baS Saben* 
mäbcfjen für Unteroffiziere hielt unb bebauexte, unS nicht 
begleiten $u tönnen. 9luf ber SReboute felbft uennutheten 
oerfchiebene weibliche 3Jla^f en hinter meinem langen Domino 
einen öfterreic^ifc^en Lieutenant ©etanzt haben mir nicht ; 
nur zogen lebiglich neefenb unb geneett werbenb unter ben 
9HaSfen umher, ©inzelne ^ßrofefforen waren als gu* 
flauer ba unb mußten einige anzügliche Lebensarten von 
unS ^inne^men. 9ttich verfolgte ben ganzen 3lbenb etnenieb* 
liehe weibliche SttaSfe, bie aW ihrem ©ereb nach in mir einen 
tiefem kannten oermuthete. (£8 intereffirte mich, biefelbe 
fennen au lernen, unb als eS gum $emaSfiren fam, fagte 
mir fjreunb SBtrnftiU, bem ich mein Qnt ognito oerrieth, bie 
^erfon fei eine — ©chneiberSfrau aus ber ©chmabengaffe. 

2Bir jwei 6tubenten burften unS natürlich nicht be* 
maStiren unb entwichen um bie zwölfte ©tunbe. Sttein 
erfter unb lefcter SttaSfenbaU! — ©letchwohl hatte ein 
febriler, ber ftafernem>erwalter 9ttar£, mich erfannt unb 
beim SHreftor Reibung gemacht; fo referirte mir anbern 
$agS meine Vertraute, beS (Schills ^ödjterlein, zugleich 
mit ber Beruhigung, ber ftireftor ^abe pch nicht mel 
barauS gemacht Unb richtig, er fdjmieg twllftänbtg bar* 
über; mich aber hatte ein heftiger SlntifemitiSmuS erfaßt, 
bem ich oa *° barauf SluSbrucf gab. 

ÜRtcht gar lange nach ber ^aftnachtSgeit, an einem 
fchönen9Jlärzen*@amftag beS Jahres 1859, faß eine Anzahl 
Dberfejtaner unter meiner Rührung im Nebenzimmer beS 
©afthaufeS pim Jheuz in DtterSborf. draußen in ber 
©tube hatten fich einige Israeliten aus SKafiatt nieber* 
gelaffen, uneingebent beS ©abbathgeboteS. Sie foUten es 
büßen, baß einer ihrer ©laubenSgenoffen mich oerrathen, 
unb ich fäfofl beßh^lb meinen Rameraben oor, baS Sieb 



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— 187 — 

%vl fingen „mm bet Sau unb bem Quben" mit beut 
©d)luf$rehn: 

©#alomac§ei o nxril), 
D 3ub, o 3«b/ o 3w^>cle, 
0 Rubele, o 3ub! 

©efagt, getrau! fang ben SBerS unb bie anbetn 
ben Refrain, ©ofort entftanb merflidje Aufregung unter 
ben ©emiten, unb einer von üjnen fam ju uns herein 
unb „verbat fidj btefeä Sieb*. »SBir fingen , roaä un8 
gefällt/ war bie Antwort, worauf ber Hebräer mit Siecht 
roenigftenS bie $f)üre jumadjte, um in ber Stube ben ©efang 
nid)t mef)r $u ijören. 3$ aber er^ob mtd), nafnn bie 
%\ßx au5 i&ren Ingeln, fteUte fle an bie SBanb, unb ba3 
Qubenlieb braufte weiter in alle SB&irt$fc$aft3r&ume hinein. 
S)a trat abermals ein ©ol)n 33raet3 an mid) f>eran mit 
ber ©rflärung: „2Bir werben fofort nad) Sftaftatt jurüdt* 
teuren unb beim fttreftor un3 besagen/ „$l)un ©ie ba§," 
mar meine 3lntn>ort, „unb wenn ©ie nicf)t nriff en, roo er im 
gneeum wofjnt, fo merfen ©ie: (Statt einer klinget I)at er 
einen ©auf c^roanj an ber $f)üre Rängen \" Qd) fpradj'3, unb 
unter unferm ©oljngelädjter 50g ber ©emite t>on bannen. 3)eu 
boshaften greller traf aber am gleichen 9lbenb nodj bie ©träfe. 

2luf bem §eimroeg, ben mir am Süttfjein Inn über 
ba§ $)örfd)en Steinau matten, entftanb ©treit jroif^en 
bem Dberfertaner <5d)atble, bem aud) fcfyon uerftorbenen 
fpäteren Pfarrer non SBmbfcfjläß, unb bem Unterfejtaner 
©ofyler, einem ftämmigen Äinjigtfjäler au$ ^Berghaupten, 
ebenfalls fdjon feit Sauren als junger %x$ oon ber 28eit 
gef Rieben, — ein ©treit, ben id) als ©enior fältelten 
roottte. ®er $injigtl)äter mar aber in folgern geuer, bafj 
er mir mit ber ftauft inS ©eftdjt fdjlug unb baS eine 
SBrittenglaS unter bem 9Iuge inS ftleifd) trieb. SBlutenb 



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- 188 - 

fafc id) lange unter ber 9Jhirgbrficfe bei Steinau unb fudjte 
mit Raffet bie SOBunbe su füllen unb ju ftiflen. 93et> 
gebltdj. 3Bir sogen f)etm, mein JJreunb ftuljn uerfaf) 
6amariterbienjt ©inen Ar$t &u rufen wegen einer blutenben 
©Cramme, mar uns &u unbebeutenb. Aber ber ©c^itfc 
- in ber ^ofapot^efe fneipte oft mit unS; er roarb §erau3* 
gefd)eflt in bunfler SRadft, fam mit ©eft* unb engltftfjem 
s $flafter, unb balb gab'S Dtulje im 93Iut 3n ocr gtödjen 
9iad)t mar roteberf)olt ber Attentäter ©ol)ler, uom fd)led)ten 
©eroiffen geplagt, por mein genfter gefommen unb Ijatte 
ftd) nad) meinem SBefmben ertunbigt. 

Am anbem borgen, (Sonntag, erfdjten id) in ber 
Aula jum „ÄirdjenoerleS" mit einem bebeutenben ^ßflajter 
unter bem Auge unb erfl&rte bem fragenben ^ßrofeffor 
©ifinger, td) Ijätte mid) mit bem Staftrmeffer gefdjnittcn. 
95on Sd)iH8 $öd>terd)en aber erfuhr td) nad) ber ftirdje, 
ba& ber Hebräer am geftrigen Abenb nodj jum ftirettor 
geftürmt fei, au3 beffen Lienen fie jebod? nod) nichts in 
lefen t)ermodf)t Sftit fangen falj id> am fommenben 
©djultag bem @rfd)etnen be§ $)ireftor§ entgegen unb 
machte mid) bereits auf Starker gefaßt. <Sr fam unb frfjroieg. 
®ie 2Bod)e oerging mit feinem @d>roeigen. Am ©amftag 
„fd)roänjte" i$ roieber bie ©efangftunbe unb roarb ge* 
melbet. Am folgenben 9Wontag rief mid) ©djraut vor 
beginn ber (Stunbe in ben ©ang t)inau3, unb bem ©eljege 
feiner ,8&l)ne entflog e§ alfo: 0 ®t §at au$ roieber bie 
©efangftunbe nerfäumt au§ befannter SBierlümmelet, unb 
©r ift aud) berjenige, welker ben Quben in DtterSborf 
gefagt, id) Ijätte einen Sd&roemefdjroana an ber Zfyüx 
fangen." (So fprec^enb breite er fidj fdmeU um unb ging 
uon bannen; benn er fonnte felbft bad Sachen ni$t falten. 

Solche unb äfmlicfa ©treibe (amen oft por unb 



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— 189 — 

blieben bem ftiteftor feiten verborgen; gleidf)n>ol)l bettelt 
idj feine ©unft, weil er eigentltd) ©cftfed^teS nie oon mit 
$örte. 9lttdj bo§ raupte er, bafj td) bie Kneipe btrigirte, 
n>a£ mit bei i^m fo mel eintrug, baß id) ifjm für ade 
©treibe anberer Sfted&enfdjaft geben mußte. SBar irgenb 
einer ober bet anbete ben ößerreid&tfdjen 3Bad)en in bie 
£anbe gefallen ober fonft ein SBiertyauSfpeftafel oorgefom* 
men olnte mein SBeifein, fo fiel er in erjter ßinte über 
mid) Ijer, ben er bann ftetS mit „Ohe Seitfjammel" titulirte. 

SBei einer folgen Gelegenheit entfuhr tfjm aud) ein« 
mal ber SBortourf : „3Bo$u brauet ©r tyeologifdfje ©tipen* 
bien, <£r Ijat gu allem eljer ba3 geug al3 ju einem Styeo* 
logen! 4 ' 2ll3balb er^ob ic§ mid^ unb oerlangte meine 
(Eingabe um ein ©tipenbtum jurücf unb oerfolgte tljn, 
als er ba3 ©c^ul|immer oerließ, mit biefer ftorberung bi§ 
in ben ©ang ^tnau§, olnte if>n beftimmen gu tönnen, 
meinem SBitten ju entsprechen. 2lber meinen t^eologifc^en 
SBentf, ber bamalS weit unter Stull ftunb, wagte er fortan 
nie me^r anzweifeln. 

9ln Oftern 1859 (am meine ©cfjwefter, bie Ijeute 
mein w $aug(reuj 4r bilbet, nach 9taftatt, um im Söroen ba§ 
ftodjen su lernen. Sttit i$r lagen bem gleiten ©tubtum 
jwei junge ^ßfäljerinnen ob au8 ber ©egenb oon ©ben* 
toben, naioe, finbltdfje 3Jläbd^en. 3$ befugte bisweilen 
alle brei in ihren Sttanfarbenaimmerchen, theils um ber 
©chwefter ihre paar Pfennige abjujagen, tljeilS um ba$ Äodh* 
foHegium $u einem oerfprochenen ©pajtergange abzuholen. 

SBie ein junger ©tord) neben brei SBachfleljen ftolgirte 
id) an ©onn* unb geiertagen mit ben brei Sanbpome* 
rangen gu ben Sporen ber geftong hinauf, ©inmal be* 
gegnete und auf bem SBege jur @ifenbahn4Reftauration 
ber $)irettor unb glaubte, ba ich etwas in ber £anb barg, 



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— 190 — 

id) hätte eine (Sigarre oor ihm *erftecf en wollen, weil 9tauef)en 
auf ber öffentlichen ©trafje verboten mar. <£r trat auf 
mic^ gu, wollte bie ßigarre fehen, erhielt aber ein 93cild^cn* 
bouquet unter bie 2lugen gehalten, roaS ihn fo rounberbar 
überrafchte, bafc er ausrief : ,($r ift ebenbodt) ein orbentlicher 
ßerl!" hierauf mufjte ich ihm meine Rainen" oorftetten. 

2118 ber Sßrofeffor ©iftnger mich einmal mit benfelben 
roanbeln gefeljen h^tte unb ich <*m anbern 3ftorgen mit 
ungenrichften Stiefeln in bie klaffe gekommen mar, meinte 
er fpöttifch: „^mnsjafob, menn man mit jungen tarnen 
fpagteren geht, füllten auch bie ©tiefet beffer in Drbnung 
fein!" — „Die »tarnen*, mit benen ich wanbh/ mar 
meine Slntraort, „nehmen eS nicht fo genau/ 

Die gange geit meiner ©tubien, bie Serien auSgenom* 
men, wo meine lieben ©chroeftem eS thun burften, tjabc 
ich meine ©tiefe! ftet? fetbft geroichft, allerbingS nicht jebeu 
Sag. ©onft trug ich mich immer möglichft elegant, nament* 
lieh <*te Dberfejtaner. gür ben ©ommer hatte mir ba* 
malS mein „SanbSmann", ber ©chtoabronSfchtteiber $ßo* 
lanber, einen feinen 2lngug gemacht, ben SRocf aus glängen* 
bem Süfter, bie $ofen von meinem Drild). SBotanber 
ftunb bamalS bei einer ©gfabron ber gelben Dragoner 
unb führte bie Sftabel offigierSma'fjig, mar babei ein luftiges, 
leichtes $a$lacher!inb, fliefte mir meine Kleiber gratis, 
bie neue ©emanbung aber machte er möglichft billig. 

3um Dan! für feine billige ©a)netberrechmmg unb 
als treuer ÄmbSmamt mufjte ich einmal einer reichen, 
mir befannten Dorffchönen au8 Durmersheim, bie in ben 
fchlanfen ©chneiberbragoner fleh oerfchoffen, betätigen, 
bafc SBolanber ©eometer fei, ba fte einen SaiUeur oer* 
abfeheut h&tte. Doch *ty & förnft galt, erfuhr bie $atha* 
rine, baß mein JJreunb unb £anbsmann £ofengeometer 



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- 191 - 

fei unb SRÖcfe unb ©ofen an* unb oermeffe. 2113 id> wieber 
nadj $)urmer§l>eim tarn, muffte id) fernere SBorwürf c (in* 
nehmen, obwohl itf) bewies, bafj ©eometer unb ©djnetber 
mandje 2lef)nlid)feit hätten. S)ie SBlonbtne ©erfd&wor ftcf), 
feinem ©djneiber unb feinem ®tubtnttn mefyr etwas gu 
glauben. 9Bie td) im Saufe ber Qtit erfuhr, glaubte fie 
fp&ter aber einem — Unterleget unb mürbe glücfltdf. 

©euteprioatiftrt JJreunb SBolanber, ben ein brennenber 
$)urft nie lange „auf feiner <Sd)neiber§I)öUe" ft^en lief}, 
in ©aMe aB (Satte einer reichen Slmerifanerin. 

Qu meinen legten Dtaftatter Sommer fielen no$ gwei 
^eitere 9lu8fliige in Drte unb ©egenben ber Sttaftatter Um* 
gebung, bie mir bisher fremb geblieben waren, (Einmal 
machten mir unter gaifyrung beS ^ßrofefforS ©iftnger eine 
trigonometrifdje unb botanifcfye (Sjfutfton über flüggen« 
fturm unb ben ©ictyelberg in8 untere 3Rurgtl>al. Qvm&tyt 
warb an einem prächtigen ©ommermorgen auf ber breiten 
ßanbftrafje äwiföen ©ttlingen unb Staftatt ©alt gemacht, 
um von ber ©trage aus bie Entfernung ber beiben in ber 
gerne fic^tbaren Sttrchtyürme von Detigljeim unb SBiettg* 
fjetm ju meffen unb $u berechnen. 

%a id) von ber gangen ©efdjtdjte bei meiner großen 
matyematiföen 6djw&d>e nichts uerftunb, fo fäicfte und) 
ber $rofeffor in baS $orf Sttuggenfturm oorauS, um &u 
tefognoSciren, wo baS bejte SBier wäre, bamit bie Rixty 
tljumtSmeffer nad> getaner Arbeit nidjt fehlgingen. S)a8 
war nun feine geringe ftrategifdje Aufgabe; benn bie 
^Bierbrauer jener £age auf ben Dörfern matten gwar 
SBier au3 ©opfen unb Walt, aber im ©ommer würbe eS 
i^nen in ber Siegel fauer. 3$ übernahm befftalb im 
oorauS feine ©arantte für bie glücflic^e 2lu§füf)rung be$ 
mir geworbenen Auftrages , erbat nod) gwet Äameraben 



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— 192 — 

als „ttnparteiifdje 4 ' für bie ©jcpebttion unb färttt bcm 
großen, einfamen £>orf c ju. ©leid) am ©ingang begegnete 
un§ ein alter *8auer§mann, in beffen ©eficfjt ju lefen war, 
baß et mein; im 3Btrtl)3l)au§ als auf bem JJelbe ftti^ auf» 
()alte. ©r führte und in ein fletneS, einftöcfigeS SBierljauS 
wo man einen ©toff frebenjte, bet „pubelbicf" unb fauer 
mar. %cS fei bog bejte 93ier im $orf, meinte unfet 
SJüljrer, e3 „freife unb tränte", aber er trinfe jetoetlB 
einen ©djnap* baju. SBir überliegen üjm ad' unfer Sier 
unb flogen entfefct oon bannen. 

Qn einer jmeiten SBrafferte, ber Seftfcer !)ieß ÄrSntel, 
fein 9tame ift mir geblieben, ertlfirte berfelbe, einen feinen 
©toff &u Ijaben, ber nur infolge ber großen $it|e „etwas 
%ixdz" ©t ftad) ein fjaß an, ba3 richtig einen „©tidj" 
fjatte, aber äußerltd) einlabenb erfdjien. 9lngeftd)t3 ber 
großen ©onnenglutl) be§ QatjreS 1859, bie audj bie ©eo* 
meter auf ber £anbftraße influiren mußte, blieb id) bei 
bem SRann unb fanbte einen meiner 9ü>jutanten twr ba3 
$>orf, um bie Slrmee $u erwarten unb in8 richtige Ctuar* 
tier ju geleiten. ©ie {am, ben Sßrofeffor an ber ©pitje. 
tiefer, ein trocfener ©atirifer unb ebenfo guter SBier* 
fenner als Sttatyemattfer, r-erjog beim erften ©d)lucf fpöt* 
tifd) feine 9JUene unb fprad>: „$)a tyabMd) immer geglaubt, 
ber $an8jaf ob fei ein fo renommirter SBtertrtnfer, unb jetjt 
f efje id) erft, baß er nichts uerfieljt." ,S)a§ mar meine 9lbpcf)t, 
$err Sßrofeffor," ermtberte id), „unb ©ie werben jeijt in Qu* 
fünft eine beffere SJteinung oon meiner ©olibität fjaben.* 

S)ie Seute Ratten ferneren $)urft unb tranfen ba8 SBier 
bod). Stteifter ftränfel, ber mehrere ftäßdjen weggebracht, 
banfte mir beim ©Reiben nodj „für bie Shmbföaft". 

$)ie Gruppe 30g in ber 9Jtittag3f)it}e weiter über 
baS $)örfd?en Oberweier ber #öl?e be3 (Stdjelbergeä ju. 



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193 



Unterwegs warb im SBalbe botaniftrt unb würben ^Pflanjen 
befttmmt. $er ^rofeffor wollte fefjen, was wir noch oon 
Dberquinta h« wüßten ober oergeffen hätten. Auf betn 
Serge , beffen riefiger ©anbftetnbrudh ade jQuaber $ur 
^eftung 9taftatt lieferte, angefommen, ^atte man eine 
wunbersoUe ©i^t auf baß untere SRurgthal unb bie 
iH^einebene. $o<h in feinen ftlegeljahren fehlt bem beut* 
fd)en Stubto gar oft baS richtige ©efiiV fih: bie Schön* 
Reiten ber üftatur. SBir flauten meift ledfoenb auf baS 
tief unter uns liegenbe $orf 9tothenfel§, wo wir wieber 
2Her befontmen foftten, unb brängten ben Sßrofeffor sum 
Stteberfteigen oom @td>etberg in» ^al hinab. 

Qdj tarn an jenem ftebenb fielen Sag jum erften 3JlaI 
nach SftothenfelS unb fett^er nie mehr. ($3 ift mir von 
ihm nur baS §äu§chen erinnerlich, ba$ ich ^eute noch 
ftnben wollte, unb in welchem wir ein famofeS SBtcr tränten 
in fo fthwerer Sftenge, baf& gegen Abenb alle, ber 9$ro* 
feffor auSaenommen, „bieraebehnt" auf bem Sfturabamtn 
ber geftung suwanften. 

©S war bieS an einem Samftag gewefen. Am fol* 
genben Sonntag nach ber 93efper machte ein (SliteforpS 
oon und einen 3lu§flug nach Dettgfjehn burd) ben 9ta* 
ftatter 9tfeberwalb. So nahe bieS $orf auch bei ber 
Seftung gelegen ift, fo war ich boch nie ^ingetommen in 
ben fteben 3af)ren meines SRaftatter Aufenthaltes. Unb 
waS 30g uns je|t nach biefem abgelegenen Orte? 2Bir 
Ratten erfaßten, ba$ bort ausgezeichnetes „Selbenecf fcheS 
93ier" fei auS ber Brauerei beS gleichnamigen SBaronS &u 
3Jtuf)lburg bei Karlsruhe, unb ba wir oon biefer Parität 
noch leinen Segriff hatten, fud&ten wir Detighetm auf. 

3ftt ber Seinen Saubtjütte eines SBierwirthS trafen 
wir ben berühmten Stoff unb joUten ihm fcharf tritdenben 



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— 194 — 

SeifaH. 3Wein $reunb ftuhn hatte 83ermanbte im Storf, 
bie et herbeiholte. Unter ihnen befonb fid) ein alter, 
luftiger 23auer§mann, ber mir von feinen ßinbe^erleb* 
niffen auS ber fjTanjofcnjeit crjäEjltc unb meine ganje 
^lufmerffamfeit baburd) gewann. SBir machten fpäter 
eine Sunftpaufe unb begleiteten ben Gilten hinaus ins 
Selb, wo er uns feine roaUenben Äornätfer jeigte unb 
babei immer (Stornierungen an feine ftugenbaeü anfnüpfte. 

heimelte mich immer mehr an bei ihm, unb auch 
hatte feine tyüz ^reube an bem „SufHgften unter ben 
©tubenten". 2Bir mußten in feinem $aufe )u $benb effen. 

©S ftellte fleh h**auS, baß auch von mir entfernte 
SÖerroanbte, non Durmersheim her, fyiex roohnten, eine 
SMmerSfamtlie. (sie warb aufgefucht in Dämmerung unb 
Sierlaune. $)ann sogen mir mit alP ben neuen „JJrettnben" 
von SBierbauS $u SBeinhauS unb umgefehrt Srte gange 
S3auernfchaft mar fchliefjlich non unferer ftompagnte, 2Bir 
fangen bie „fünften" ©tubeutenlieber, unb bie Detig* 
heimer hatten eine 5**nbe, als ob h*nte förchmeih* märe. 
3)ie 3eit, noch in bie ftefhtng ju fommen, mar l&ngft 
Dotüber; mir übernachteten im Dörfchen, baS bis gen 
9ftitteraad)t von unferen Siebern unb SBanberungen er* 
tönte. 2Bie baS 2öirth§höuS hi*Ö, in meinem mir unfere 
„S'üpfc" ausliefen, meiß ich nicht mehr, aber ich moHte eS 
mie bie ftammer, in ber ich hwbergte, h*nte nod) ohne 
Führer auffuchen. 

9lm anbern borgen, ba gerabe meine (Schroetter bie 
2öirthSftube im Sömen gu SRafiatt auStehrte, traten mir, 
Dor fteben Uhr, bei ihr ein unb befaßten „faure Scheren*, 
um ben „Stater" gu beruhigen, ©ine Stunbe fpftter, unb 
mir fafcen in ber ftlaffe, frifch unb munter, unb prä* 
paritten unter ben SBänten $laton, mährenb ber $ro« 



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— 195 — 

feffor SKcolai au3 bem unau§fpredfjlidf)en ©tablbaur bic 
Sefjte oom ^flttlic^en ©runboermögen" vortrug. — 

S)a3 hiefj man bamalS im ßeben „fd&öne Sage", unb 
ba§ waren $od)fefte im ftalenber meiner 6tubienjcit! 

Qn ben gleichen (Sommer 1859 fiel audf) ber Sfrieg 
in Dberitalien, unb id() erinnere mid) heute ntdjt of)ne 
einige SBeljtmiti) ber (Sympathie, welche bamals überall 
in SKaftatt für Defterreidf) fid) geltenb mad^te. (£3 ging 
biefe ©qmpatyie mdf>t adein au£ ber Beliebtheit be§ 
Regiments SBenebef fyztvor, fonbem audf> aus ber bamals 
in (Sübbeutfdfjlanb nodf) allgemein fyerrfcijenben Vorliebe 
für Defterreid^. Unb ^eute ift biefeS Cefterreta) bei ben 
©übbeutfd&en fanm no$ eine blaffe (Erinnerung, aller* 
bingS m$t ohne feine ©djulb. $a| bie $ren£en bie 
Hegemonie S)eutfchlanb3überfommen, gereift ihrer (Energie 
unb namentlich ihrer ^ßolittf nidfjt jur Unehre. 

S)er beutfehe 2hmb mad&te 1859, ohne jebod) ^elfenb 
einjufchretten, aum Kriege mobil, unb fomit auch SBaben. 
©tubenten von ber Dberfejta mürben als DfpaierSafpi« 
ranten angenommen. Einige oon uns melbeten fi<h. 2lud) 
ich wäre mit Seib unb Seele gerne ©olbat geworben, aber 
bei ben Defterreidjem. $)te Vorbereitungen waren bereits 
getroffen. Qu fed)3 SBodfjen märe ich Sieutenant im 
Regiment Venebet gemefen. Allein oon ber 3Rutter fam 
auf meine Anfrage hin (Sontreorbre. „Sie ^abe Kummer 
unb (Slenb genug*, fdfjrieb fle, ^infolge ber ^ranf^eit beS 
SSaterS, e3 fehle nur noch, bafj ich (Solbat werbe, um ihre 
legten Hoffnungen ju serftären.* 3$ war gehorfam unb 
begrub meine (Streitaxt ferneren ^erjenS. 

©in ©aSladfjer, mein ©chultamerab Sßeter SBeber, ber 
oom Sefjrerfemütar weg ftdh auf baS ^olpted^nifum be* 
geben hatte, würbe als Df fi&ter3afpirant angenommen unb 

13* 



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— 196 — 



tarn nach üiaftatt jur 9lxtiHetic Qu furjem roarb er 
Lieutenant. 9Bie oft f)ab' ich be3 2lccifor3 $etet beneibet 
um feine Stellung unb feine Uniform 1 3$ mar orbentlich 
ftolj barauf, menn er $u mir f am unb mit mir frieren 
ging. (5hc brachte e§ aber nicht weit beim 2ftilttär, trat mieber 
au3 unb ift jetjt auch fchon l&ngft unter ben Xobten. — 

2Bie ftammoermanbt füllten mir ftaftatter un§ mit 
ben öfterrei^if^en ^Böhmen ber ©armfon! 2Bte manch' 
guten ftreunb hatte td) unter ihnen, unb mie vielen ©enujj 
oerbanfte ich bamate ihrer föftlichen SRegimentSmufxf! 
SBenn an ben S)onnerftag*9lbenben auf bem ©chloftplatj 
bie Defterreidjer fptelten, fehlte ich nie. Sie nedtenbe 
^aune unb bierfeltge Sae^anten fd&mebten mir ßqcetften 
burch bie gu^örermenge unb hinter bem 9Jluftfforp3 brein, 
menn e£ burch bie ©trafen ber Stabt ber ftaferne au^og. 

2tt8meilen,roenne3 recht bmtfel unb # €>d&ill3 $öchterle" 
beim QapfznfiTtid) auf bem ©djlofcplafc ftunb, tnufjte ich 
e§ heimbegleiten, meil e§ fich fürchtete ben einfamen SBeg 
hinauf jum Sgceum. %d) tfjat bie3 jeweils ungern, bie 
alte Jungfrau, mehr berf sehn jgahre älter al3 ich, gu ben 
alten £mben ju führen. %od) ich tfjat e§, einmal bem oon 
mir ho^oerehrtcn S)ireftor jultebe, beffen $au3geift bag 
£öchterle mar, unb bann meil baäfelbe unS Stubenten, unb 
befonberS mir, fchon mannen ©pionirbienft ermiefen hatte. 

908 ich elf Qahre fpdter eines £age§ mit meinem 









11' 



ausführte, begegnete un8 be3 „@chiU3 ftöchterle". :gcf) 
eilte freubig auf fie ju unb fteUte mich als ihren ehe« 
maligen ftreunb $angjafob oor. Sie ^atte eine fönigliche 
greube, mein ^Begleiter aber brängte mich weiterem 
©efpräche mit ihr ab. 9118 er mich barüber aufgebracht 
fah, erzählte mir ber fonft gutmütige Sftann, bafe bog 



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- 197 - 

fträuletn ©chiU eine gefährliche Sßerfon fei unb tt)n oor 
einigen 3a^ten / ba fte noch im gnceum wohnte, in grofie 
Verlegenheit gebraut höbe. Sie half nämlich eines 2lbenb8 
jrcei ©tubenten au§ $?arl§rut)e au§ bem 3 : eftung§gefättg* 
niffe entnommen burch bie angebaute ©chloftfirche, &u ber 
flc bie ©djlüffel hatte. $>te ©tubenten wohnten herauf 
einer Kneipe in Karlsruhe an unb fehrten am anbern 
Klötgen auf bem gleichen SBege jurficf. 

9ttich freute e$ ju ^ören, bafj beä ©dn'US £ötf)terle 
noch foldje Vorliebe für ©tubenten h&tte. 

©ie lebt heute noch als greife Sftentnerin in SKaftatt; 
benn ber $)ireftor ©d)raut, ein SunggefeHe, ber wenige 
Saljre nach meinem SBeggang penßontrt mürbe unb ftarb, 
^at fte ju feiner Umoerfalerbht eingefetjt. — 

9113 na$ bem JJriebenSf djlufi bie gefangen geroefenen 
Defterretcher jufcaufenben über £el)l au§ ^«nfrei^ (amen 
unb in ben ftortS unb äafematten SRaftattS vorüber« 
gehenb einquartiert würben, beeilte fleh Jung unb alt, ben 
brauen, unglücf liefen ©otbaten, unter benen namentlich 
audt) oiele „©ren&er* waren, ©rfrtf jungen $u bringen. 
SÖStr ©tubenten oerforgten fie mit Zigarren. $>te Dfftjiere 
fanben Unterfunft in ber ©tabt, unb idt) fcXbft teilte 
mein gimmer mit einem SRtlitärarjt, ber bei ©olferino 
wiberrechtltch gefangen warben war unb mir fdt)recflidje 
3)inge erjä^lte über ba3 öfterretchifche ©anitätöwefen. 

Unter folgen Vorgängen nahte baS ©dtjuljahr 1858/59 
feinem ®nbe unb bamit bteSrermungSftunbe oomSKaftatter 
Snceum. $>er Heine ©ofrath %fyx von ©eibelberg, ein 
altes, fdjlottrigeS ^Wofophenmännchen soll Seutfeligfeit, 
na^m un3 Dberfe^tanern bie Slbiturientenprüfung ab. 
„©d)Ul8 $öchterle" hotte ftd) aHe SJlühe gegeben, in ben 
papieren be§ $)ireftor§ nad) ben oon Karlsruhe getan« 



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- 198 - 

menen Kematen für bic Abiturienten $u fpctyen, unb brutn 
traf bie <Sdjlad)t iljre Vertrauten mdjt fo ganj unerwartet. 

3$ begreife überhaupt nid)t, wo&u man ©djüler, 
welche ba3 ganje Qaljr Ijinburd) bie betreff enbe klaffe mit* 
gemalt unb bie «Sufrtebentyeit ber Seljrer erworben f)aben, 
nod& erfra prüft, ob fic fällig feien, auf bie Unioerfttöt 
enttaffen &u werben. Aber ba§ ift ctmliftrter ©ermanen 
Art; jeber mu£ e8 boppelt unb breifad) fd)rtftlidj fjaben, 
bafi er ein „geprüfter* SRenfdj ift, fonft Wmmt er im 
mobernen Staate nid^t $u ©naben. 

Seim feierlichen ©tfjlufc nad) abermaliger, öffentlicher 
Prüfung mufcte ich, auSerf oren baju oon unf erm Literatur* 
bogenten, eine Siebe galten über ©^afefpeareS £amlet. 
©rft breifng Sa^re fpäter ^abe ich jene Dichtung be§ 
großen ^Britten wieber gelefen unb mir gebaut, welch' 
ein Unftnn e§ war, einen Dberfertaner über £amlet eine 
Abt)anblung fertigen ju Iaffen. gwei fcritthetle berfelben 
beftunben aus unreifem #eug, unb ein drittel hatte td) 
auS^eroinud 7 „<5tubten" abgetrieben. ©letchwohl laufdjte 
bie 3ut)örerfd>aft in ber Aula, bie S&äter, 3ttütter unb 
Schweftern ber Snceiften, ©erftunb aber Don bem Vortrag 
fo wenig als ber SBortragenbe felbft. 

3$ behaupte, bafj ein ®urchfchnttt£*©ermane, unb 
als foldjen betraute ich mich auch, r*or feinem 40. £ebert§* 
jafyce nicht im ftanbe ift, einen grofjen ©eift feiner Nation 
richtig ju serftehen unb ju würbigen. 3$ fyabt biefe ©r* 
fahrung an mir felbft gemalt, unb wer fett feiner „©tu* 
bienaeit" bie „Älaffifer" nicht mehr gelefen hat, ber foU 
mir nicht fagen, er fenne fie. 

AIS bie 3>ef lamationen |u (Snbe waren, erfolgte bie 
Vertünbigung ber ©ntlaffung ber Abiturienten. 3$ war 
unter fünftel^ ©lüctltchen ber britte unb würbe öffentlich 



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— 199 — 

belobt, üinige Söodjen fpätet, nad)bem idj mid) befmitto 
entfcfyloffen hatte, Geologie &u ftubtten, muffte id) nod)* 
mal§ ein „allgemeines" .ßeugnifj einholen beim $)tieftor; 
benn aud) bie Aufnahme in ein tyeologifdjeS ftonmft wirb 
einem fterbltdjen ©ermanen im 19. Qa^r^unbert nur auf 
©tunb möglidjft melet „©Triften" gemattet. QeneS Qzn^ 
nijj, batirt vom 28. ©eptembet 1859, ge&eidjnet ©d)taut, 
liegt ^eute vot mit. ©3 ^ei^t barin: „©eine (be3 ©ein* 
tid) ©anSjafob au3 $a§lad)) güljtung m&Ijtenb ber Qtxt 
feines ©djulbefudjeS ift butdjauS gefefclid) gewefen unb 
l>at $m bie «ßufttebenljeit feinet fieptet etwotben; feine 
©trebfamfett, in SSetbinbung mit feljt guten 2lnlagen, 
betedjttgt $u bet Hoffnung, bafj et, wie et jetjt ben 9ln- 
fotbetungen bet ©djule noUfommen genügt fyd, aud> bie 
fyit bet afabemifdjen ©tubten mit fel)t gutem (Stfolge 
benüfcen metbe." 3$ füljte biefeS 3eugmfj an al§ $8e* 
weis meinet „gefeilteren" gü^tung unb um gu geigen, 
roa§ im 9ttenjd)enle&en ein „tegalet SebenSwanbel" über* 
fjaupt befagen nritt. — 

mit mit bem DmnibuS be8 SfleiftetS #at} &u 
ben Saaten bet fteftung ^inauSfa^ten unb bem Suceum 
füt tmmet Sebewo^l fagen, müffen mit bod) aud> fut$ 
bet@tabt gebenten, bie fiebenQaljte un3 geiftig unb fötper* 
lid) genährt hat, unb in bet mit bie eigentlichen Riegel« 
ja^re beS SebenS jum gtäfjten X^eile augebtadjt haben. 

SRaftatt ift eine Stauerwetbe untet ben vielen bliU 
henben ©täbten unb ©täbtehen be§ SBabnetlanbeS, bie 
netlaffene SÄeflbenj be§ altbabifchen gürftenhaufeS. ©eine 
bteite, fchöne $auptfttafce mit bet ^ßf attfitche in bet Sftttte 
!ann butd) ihte namenlofe Seete unb (Stnfamfett einen 
fchon ttüb geftimmten 3ttenfchen jut SBetaweiflung btingen. 
9Mancholtfch jieht bie Stturg an bet füllen ©tabt In« 



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200 



unb trennt oon i!jr bie noc$ öberen Söorftäbte, baS „Störfle* 
imb bie „©d&wabeugaffe*. $te JJortS, »afttonen unb 
#efhtngSmauero erf)öf>en baS Stlb ber ßangmeilc, unb bic 
fanbtge, wenig ertöte @bene ringsum l)ilft nod& weiter 
jeben Stets oon ffiaftatt oerbannen. ®a3 einjig ^eitere 
©eftd)t unter ben leblofen fingen madbt baS prächtige 
Sftenaiffancefdfjlofj ber alten Sttarfgrafen. 

©o fommt eS, baß tyer faum fentanb lebt, ber nidfjt 
ljter leben mu% Unb bod) tyab' id> in biefer triften ©tabt, 
meine Stfnber&eit abgeregnet, bie forgenlofeften unb wtlb* 
luffcigfien Sage meine« SebenS augebrad&t. S)te SHaftatter 
oon bamalS waren frolje, gemüt!)ltdf)e ÜDtenfdjen, bie 
nocjfj fibeler gewefen wären, wenn nidf)t bie SÄeaftion unb 
bie (Erinnerung an bie folgen von 1849 auf üirem ©e* 
mütl) einigen ©tnbrucl fn'nterlaffen hätten. 

©o gerne tdf| aber in jener 3eit in biefer ©tabt lebte, 
ebenfowenig möchte tdfj bortfelbjt Ijeute irgenbwie beruf* 
lid> t^ättg fein. 3^ ertrüge Ijeute bie SMand&olte oon 
©tabt unb Sanb nidf)t me^r. 

Qm Qaljre 1879, an einem trüben 9tot>ember*9fcadf)« 
mittag, wanberte idf), vom Sanbtag in StorlSrulje aus einen 
3lu§flug ba^in ma$enb, wieber einmal allein burd& bie 
Straßen SRaftattS in ftiUer SBeljmutl), bie ftd& in ben tobten 
©äffen beS StörfleS unb ber ©dfimabengaffe $ur förmlid&en 
Trauer geftaltete. SWrgenbS begegnete mir aud) nur ein 
befannteS ©eftd&t. 2lm anbem borgen ging id& buref) 
bie entlaubte Slllee beS ©dfjloßgartenS bem Ätrd^ofe ju, 
unb l)ter traf id& meine alten SRaftatter faft alle — in 
tyren ©rüften. S)a ruhten fie unter ber (grbe, Sttänner 
unb grauen, bie id^ oor awanjig Qa^ren alle im beften 
Hilter Reiter unb lebensfroh gefetyn unb gefannt fjatte. 
(Srfdfjrodtett mußte id) öfters ausrufen, wenn td> an einen 



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— 201 — 

onbem @roBpgct trat: „Qa, ift ber ober bie aud& fctyon 
tobt?! - ' bin leidet sur ©d&wermutl) geneigt, aber 
feit triefen Qaljren ntd(jt fo trfibfeltg gewefen wie in 
jener ©tunbe anf bem SRaftatter Äird^^ofc S)ie 9lrmfelig* 
feit unb £>infätltgfeit unfereS ©rbenlebenS ergriff mtd& bis 
gu gellen tränen. &uf bem 9tü<froeg f am td(j an unferm 
SgceumSgebäube nnb feinen tobten Sinbenbäumen oorüber, 
nnb ed flaute mid& alles fo oeraltet unb fo oermittert 
an, als ob aud) hier jene ßuft entflohen wäre, mit ber mir 
©tubenten oor jwanjig 3a$ren ba ein« unb ausgingen. 

Sftodj) bis heute lebt in manchen ^ädjten in meinen 
träumen SRaftatt in mir anf. 3$ wanble burch feine 
©tragen mit meinen Südjem, fomme in bie Älaffe unb 
habe nichts präparirt, werbe oom Sßrofeffor aufgerufen unb 
weig nichts. Qfn ber ärgften Verlegenheit — wadf>e ich 
plötzlich auf unb mebitire bann barüber nadD, wie feft bie 
ßgceumSjeit in meiner ©eele fleh eingegraben haben mug. 
Von ber StfnbeSaeit tx&vant man nie, wenigftenS ich nicht. 
5Rie fehe id& mich in ben Sräumen als 8tnb ober »naben 
auf ber ©trage fptelenb ober burch gelb unb SBalb jubelnb 
— aber gar oft auf ben ©chulbänfen SRaftattS. 5>ie 
©chulfudfjferei, meldte ber ftulturmenfch mitmachen muß, 
gräbt fleh eben gar &u tief in bie burch SBiffenfchaft ge* 
plagte ©eele, oermtfcht nie unb ängftigt uns nodh nach 
Sa^rse^nten felbft im Sraume. — 

3HS ich im Sluguft 1859 SRaftatt oerlieg, hätte man 
atte meine bort jurücfgelaffenen fjfteunbe unb SBefannten 
fragen tönnen, ob fte glaubten, bag ich Geologie ftubiren 
unb elf Qahre fpäter als ultramontaner Staats» 
oerbrecher auf ber gfefhtng SRaftatt fifcen würbe — alle 
gälten fldjerlich biefe beiben fragen einftimmig oerneint 
Unb bod> foUte eS fo fommen. 



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33etcmntlic$ !>eifjt bct beutfdje ©tubent in ber.gnrifdjett' 
jett, bie ben Abgang oom Sqceum (©qmnafium) unb ben 
Slufjug &ut Unioerjität trennt, „Sftaulefel*, weil er, wie 
biefer, ein 58aftarbgefd)öpf ift, roeber ©qmnaflft meljr nod| 
aud) fd)on Slfabemtter. $>te in biefe 3ett fattenben ftmtn 
werben bementfpredjenb „9ttaulefelferten" genannt. Sta 
bei einem normalen germamfd&en ©tubio in biefen Sagen 
ber ©röfjenmafjn unb ba§ ©elbftgeffity ftetgen, fo ftnb 
alle feine Saaten unb Seiftungen ebenfalls auf einer ent* 
fprecfjenben §öfje. 

3$ trat in biefen Serien aunäd)ft unb &um erften Sttat 
in ben flreiS ber £a§ladjer „£erren" ein. 2tt§l)er $atte 
tef) in ben Stofanjcn nur mit ben ©enoffen meiner Knaben« 
jeit, mit befferen ^Bürgern, nieberen ©taatöbienern unb 
Unterledern oerfeljrt, mein SBter oor&ug8n>eife im „fträmer" 
unb beim „SBierwetble" getrunfen unb an ben 3lbenben 
mein >}ego Wm „£aferl)an§" mit (Uenbarmen unb bem 
9lccifor gemalt. Qetjt aber warb i$ in bie „sßofyljgmma* 
aufgenommen, wo nur bie fogenannten Herren au$« unb 
eingingen. 

$)ie bamaligen *ßolt$t)mnier in meiner SBaterftabt 
bilbeten ber Dberamt8rid)ter »obemüUer, ber praftifäe 
9lrgt fteeberle, ber Slotar ©erger, ber Sfyotljefer ©ruft, 
ein ftegtftrator unb ein Slftuar be$ 9lmt§gerufjt8 unb 
jroei Bürger erften SftangeS, ber Kaufmann unb gtafaifairt 



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— 203 — 

®%\& unb ber ftreu&mirt!) 3Jtertle, meld) letzterer m ber 
Sfiegel nod) bic eben im St&btd^ett übernad&tenben ©efd^aft^ 
retfenben mitbrad&te. 

*ßolt)l)gmma ljatte fld& bie ©efeUfd&aft in bem Keinen 
üftebenaimmer be§ „Stoqeriföen £ofe§" genannt, weil an 
ben SÖB&nben beS ßofalS allerlei ^ufitfnftrumente fingen, 
oon benen aber teineä je gefpiett marb, unb weil oft gegen 
SJcttternad&t ein ©efang ertönte, Dielftintmtg wie ber 
©d^ladjtruf von 9totl#äutett. 

©ie war mdfjt aaljlretd}, biefe ^ßoli$t)mnia, aber fte 
übertraf an ©eitertett alle „SAufeen" unb größeren gefeU* 
fd&aftlid&en Vereine, bie id) feitbem fennen gelernt. (Sine 
folc^e ©emütljlidfjfeit unb „fjibelitftt 4 ' ift nur möglidfj in 
einem {(einen fübbeutfdfjen 2lmt§ftäbtdjen gu Reiten, roo 
bie 9ttenfcf)en nidfjt burdj ^ßarteifämpfe verbittert f!nb. 

3d) habe fortan bie ganje nod) folgenbe Stubienjeit 
in ben Serien faft au3fd)liefjlidf) mit biefer ©efellfdjaft 
oerfe^rt unb bin feitbem nie meljr fo burdfjweg luftig ge* 
roefen tm Greife oon SJtännern roie in ber ^ßoltjljgmttia. 
9Ber mtd(j oor bretfjig Qa^ren einen 3lbenb bafelbft ge* 
fefjen unb beobad&tet fjätte, mürbe nie geglaubt haben, bajj 
bei mir eine £ett f ctme, in ber idf) abfolut fein »ebürfnifc 
me^r tyitte für ©efeüfdjaft unb bie 9ttenfd)en el)er fliegen 
mürbe al§ auffud)en. 

3>te &wei Seelen ber Sßolgfujmnta maren ber $)oftor 
unb ber SRotar, junge Männer in ben beften Qfafjren, 
SebenSluft unb ftrofiftnn. (Sie mürben mef)r unb mefjr 
im Saufe ber geit meine JJreunbe. 9ll§ „9flaulefel* unb 
nodf> im erften tljeologifdfjen ÄurS ging tdfj mit beiben ben 
2Beg tl>re8 politifc^en unb religtöfen Siberali5mu3. SBetbe 
f)aben burd^ tljren SBttj unb (Spott nicfyt roenig ba^u bei* 
getragen, bafj td> S^eologe blieb. Unb als td) in ber t^eo* 



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- 204 — 

logifdjcn (Srfenntnift fcft geworben war, Rotten wir ewigen 
$t§put übet bie Seiten ber tatftottfcQe» Ätr^e. 2Bie fteg* 
reid) tdj mand&mal fp&ter über ifjren Meinungen ftunb, 
bafür fönnte ic$ Semetfe au3 bem Seben beiber 3^cunbe 
bringen, bie fld^ jettwetltg aßen @mfte3 befeljrt Rotten. 

2Bie mannen Slbenb ftunben wir bret, lange nad)bem 
baS ,f d&ätterige* $imm.»tmm ber ©a&adjer Sumpenglocfe 
auggetönt, no$ btSputirenb twr meinem väterlichen $au§, 
in meinem aud) ber Doftor wohnte, w&f>renb ber SKotar 
Dor bem ©täbtdjen brausen „im SBroen" loghte. ^eebetle 
unb id) tränten in ber Siegel, nadjbem fein blaff e3 SHenft* 
m&bdjen, bie Sertlja, unS bie £au8tl)ür geöffnet, »eil mir 
meift oljne <5d)lüffel waren, in beS ®oftor3 SlrbettSjimnter 
nod) ein „üRujjmäfferle" nnb btSputitten weiter bis gegen 
5Jttttemad)t. 

2Ba8 mufjte id) atteS über bie $fafff)eit f)ören von 
ben beiben ^reunben unb weldj ja^Ilofe Slnefboten unb 
fd)led)te 2Bi$e über bie ftlerifei matten jie, wenn id> ben 
einen auf feine fragte, ben anbem auf bie ^agb begleitete! 
3$re Satire reifte mid) f örmlidj, erft redjt Pfarrer &u werben. 

<E§ gibt faft feinen Stauemfjof ber ganzen $a§larf)et 
Umgegenb, ben id) ntdjt mit bem $)ottot befugt Ijätte. 
©eiüöfynlicf) fuhren wir bi§ tn§ betreffenbe S)orf mit bem 
<Sf)ai§d)en unb bem wilben ffud^fen, ber fo gerne unb fo 
manchmal mit un8 buretyging. %amt wanberten wir &u 
gtojj ind ©ebirge, hinauf $u ben Patienten, immer t>oU 
ber beften Saune. 3luf ber $etmfal?rt fangen wir alte 
Sieber in bie engen Stj&Ier unb in bie lauen $rü!)jaf)r§* 
unb ^erbftabenbe hinein. 

Qa, e3 war eine fdjöne 3eit, ba id) mit gteunb $ubert 
in ben @almer§bad) unb Utterft, auf ben 9til unb bie 
SBreitebene, in ben ©inbad) unb 9lbler3bad) bie ftunfk be3 



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- 205 - 

SIeSfulap trug unb ihm h<*lf/ tobte »auern $u fectren 
unb lebenbe jitfammenjunä^cn! Tempi passati! Oft in 
traumreid>en flachten fahre id) noch mit beut 2)ottot burcfj 
bie ©fluchten ber ©eimath ; ber guchS geht im Sraume 
burdh, ich fpringe oom SBagen, ermäße unb benle bann 
bei guten (Sinnen in wehmütiger Stimmung an jene 
fernen, vergangenen Sage. 

$)er heitere, lebensfrohe 3Hann unb gemtffenbafte 3lrjt 
ftarb oor 2fat)ren fdjon als SBejirfSarat unb 2ttebiainalrath 
im marf gräflichen SKülI&eint, ein Dpfer feines SBerufcS. 

$)er 9lotar, jefct auch fc^on längft tobt, mürbe mein 
ßehrer in ber 3 a db> ®ä es in meiner ftnaben^ett ftetS 
meine fiuft gewefen, burd) gelb unb 2Balb ju sieben, fo 
Ijatte mein ^ößermeifter an mir einen eifrigen unb ge* 
lehrtgen ©d)üler. Unfere 3agb$üge gehören &u ben lieb* 
Uchften (Erinnerungen an bie fterien meiner afabemtfehen 
Stubtenjeit. 3Bie t>oU beS Äci^cS waren nicht jene ©tunben 
auf bem (Sd^nepf enftric^ ? ! SBer nie biefeS ©tiUleben beS 
Sägers mitgemacht, bem geht ein ©tücl $oefte oerloren, 
unb ber hat ber Statur nicht abgelaufcht &u allen Reiten. 

<£S ift ein milber SKäraabenb, bie ©onne ift eben 
untergegangen über einem heitern Frühlingstag, bie £anb* 
teute fehren von ihren gelbem heim, im ©täbtehen raupen 
bereits bie Kamine ber 9lbenbfüche, broben am SBalbranbe 
ftehen gmei Sägersleute unter ben listen Röhren unb ben 
fdjon frühlingSbuftigen SBirfen. Slmfeln unb Toffeln fmgen 
ben ©chlufc ihres SlbenbliebS, bie Säger fchauen hinab ins 
ftiUe 2hal unb reben oom grütjling. aBenn ber letzte 
S)roffelfd)lag verhallt ift unb bie Stacht ihre elegifcfje 9tuf)e 
über gelb unb SBalb auszubreiten ftd) anfd)tcft, f^roetgen 
auch bteQäger, benn jefct beginnen bie ©djnepfen &u ftreichen. 
»alb ertönen einzelne ©chüffe ins ftitte %$al hinab, unb 



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— 206 — 

ber englifche £>ühnerhunb be§ StotarS, bie eble 3)iana, 
apporttrt ba3 gefcfjoffene SBilb. SBenn ber bunflc SBalb 
bie letjte Schnepfe aufgenommen, sieben bie Säger bergab, 
um in ber f otgfomnia ben frönen 9lbenb au befcpefjen. 

©o fyabt ich jahllofe Slbenbe mitgemacht unb bie 
^oefte baoon jeroetlS tief einpfunben, tro^bem icf> nebenbei 
als gewöhnlicher £albroilberer fungtrte, b. h. ein ©eroehr 
hatte, aber feinen 3agbpa$. 

2öeniger elegtfdj ging'S auf unferen „mtlben Jagben* 
$u, wenn alle £aSladjer Säger jufammen aussogen. 3)aS 
mar eine luftige Schaar : ber -ftotar als Ober jägermeifter, 
meine brei SBettern, ber ftaftenoogt, ber Sftcfcgerfrana unb 
ber grüne SBaumroirtf) ©erafin, bann ber alte SBeUe, ber 
©cf}roaräbecf unb ber ßafcenfrämer als Unterjäger, ber 
£afenbecf als Treiber unb ich als ©aftfdjü^e. $)a mürben 
regelrecht bie Serge unb SBälber abgejagt unter #unbe* 
gebett unb Xreiberruf. 

Unfer $auptreoter mar ber ©öhenjug, melier baS 
ftinjtgthal vom ©Ijthale fcfjetbet, unb mo gü^fc #afen 
unb kühner einanber gute 9tad)t fagten, fomeit mir pe 
am borgen nirfjt erlegten, ©en Slbenb marb jeweils ein 
$äSlein hinabgefchieft inS %\)al jur # <öchneebanenroirthin*, 
bie bann ein Sagbeffen präpartrte, baS jebem $offod) am 
£ubertuStage ©h*e gemalt hätte. %a ging'S bann hoch 
her, menn bie hungrigen unb burftigen Sägersleute oon ben 
SBergen herabf amen, tyalmin unb Jägerlatein floffen in 
(Strömen neben ©afenpfeffer unb Schürten. Qd) fönnte 
mit mehr fjreube an jene $age jurüefbenfen, menn ich nicht 
jene luftigen SägerSteute heute alle tobt müßte. 

•ftoch al§ *ßriefter nahm ich in ben Serien meiner tatet* 
nifchen ©chulmeifterjeit manchmal theit an ben Qagben in 
ber £eimath. 3$ erinnere mich noch wohl eines $agb* 



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— 207 — 

tageS im Qahte 1864, wo ich mit JJlinte unb SBteoiet ju* 
gleich auSjog. @S wat baS Offizium beS <£h?9fo* 
ftomuS (27. Jänner) ju beten, unb ba ber 9Batbgang ben 
ganzen Tag übet bauem foUte, muffte ich mein SBteoiet 
auf bie 3agb mitnehmen, weil ich meine beSfallftge 95er* 
pfltdjtung nicht auf ben 9lbenb oetfehieben wollte. 

©o oft ich nun „auf ben Slnftanb" fam, lehnte ich 
mein 3Rotbgemeht an einen grünen Tannenbaum, jog 
mein Steoiet auS ber Tafele unb betete, bis bie $unbe 
laut gaben unb bie $agb ihten Anfang nahm, bann griff 
id) &ut iJÜnte, bis ber 3 U Ö bet bleute unb Treiber an 
mit ootübet wat. Ötichtig tarn id) bafüt, wenn auch 
anonnm, in ben „ftalenbet". $)et „föaftattet £infenbe 
93ote" oon 1865 bemächtigte fleh bicfcS betenben QägetS, 
unb eS ift ihm ted>t gefchehen. — 

Stttt ben „Sttaulefelferien" etfolgte mein ©inttitt in 
bie ^oln^nmnia unb in ben Qagbtlub, aber e§ etfolgte 
auc^, waS oiel wtdjtiget wat, bie (Smtfcheibung meinet $8e* 
tufSwahl. 9Bem ich feit jmei Sauren auf fein fttagen mit 
lachenbem 9Jlunbe gefagt hatte: „3$ wetbe *ßfattet", ber 
nahm meine 9lntwott als fchlechten 2Btt$ auf unb äußerte 
aufs Iaunigfte feine >}weifel. tiefer allgemeine Unglaube 
bewog mich erjt recht, baS boch ju werben, woju anbere fo 
beharrlich ben ftopf fchüttelten. Unb hierin fehe ich, 
menfehlich gebrochen, ben erften ©tunb meines theo* 
logtfdjen ©tubiumS. ©elbft meine ©tojjmuttet ^atte in 
^Beobachtung meines fo wenig befchaulichen (StubentettlebenS 
ihre Hoffnung gänzlich aufgegeben, unb in biefer ^ett that 
fle ben SluSfptuch : „2Senn $)u ein Oeiftltchet wirft, werbe 
ich in meinen alten Tagen noch eine ftloftetfrau." 

3n welche SBorte bie SHutter ihre Enjicht Heibete, 
werben wit balb fehen. S)er SBatet abet fchwieg abfolut 



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— 208 - 

feit jener ttnterrebung nor bem „2ttlbp<fle" beim ©arten 
- be§ 2Ipotljefer3. 

©eine Äranf^eit bilbete ben aweiten entfd&etbenben 
©rrotb. 3$ Ijatte feit Qfa^ren aiemlid) gleidjgiltig ben fRvan 
ber Jfamtlie unb bie großen ©orgen ber Butter mit an- 
gefeiten. Der SRutter SieblingSwunfd) war, baf$ i$ ^ßriefter 
mürbe, unb biefen &u erfüllen, ifpc eine ftreube %u utad&en 
in bem nielen Kummer, beftimmte m\% be8 weitern &ur 
Geologie, £b1jere, reltgtöfe ©rünbe fcatte td& abfolut 
{eine; benn mit meiner „Sleligüm* fal) e§ fcfjUmm aus. 

©o fitste id) benn, wenn audj etwas oerjögert, unter 
Vorlage ber betreff enben .ßeugniffe um 2luf nannte tnS erj» 
bifdjöf lidje ftonotft nad&. ©te fam balb, unb id) warb gegen 
geringes Entgelt in bie Qafy ber Äonoiftoren eingetrieben, 

3Ba3 mir an ber emfdjlägUdjen Urfnnbe bamatö nid&t 
gefiel unb gleich ein Omen abgab, bafj id) ein vorlauter 
ftritifer fjoljer obrigteitlidfjer Crlaffe werben würbe, war 
ber Umftanb, bafc ber <&r$btfd)of mm SBicari biefelbe eigen« 
fcänbig unterjei^net Iptte. 3$ badjte mir einen förg* 
bifd>of mel erhabener, als bafj er ein Statt Rapier unter« 
fdjriebe, auf welchem oergeieimet war, wie viel $emben, 
SBeifoeug, Keffer unb (Nabeln ein ange^enber 8tudiosas 
theologiae mitzubringen Ijabe. 

5U§ id) bem $)efan unb feinem fjxcunbc Slrmbrufter 
in§ 93ierfränter§ meine Äontnftöorbre mit obiger 58e* 
merfung vorzeigte, meinte unf er alter Pfarrer: „©einrtdO, 
wenn Q^nen fdjon ba£ nidjt gefällt, fo werben ©te eS im 
ftonotft gar nidf)t aushalten!" 34 trug aber fortan ba3 
patent in ber SafdEje, unb jeben, ber mid) na$ meinem 
Unioerfttötgjtubtum fragte unb sweifelte, lte£ i$ fd^roarg 
auf weif* lefen, bafc idfj richtig &ur Styeologie über* 
gegangen fei. 



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— 209 — 

3n mir fetbfl aber §etrfd)ten ftarfe gtoetfel, oB td) 
auSfülpen würbe, toaS id>, anbem $um 2Biberforutf), be* 
fd&loffen l>atte. SBon einem Jöetuf" tonnte feine 5Rebe 
fein, unb mein ganjeS 9Raulefeltoefen uribetfptadj einem 
folgen. 3$ ging oiel liebet unb weit mel)t in bte Wer* 
häufet als in bie ftitetje, bie i$ an SBerftagen nie von 
innen $u fe^en befam. Hm (Sonntag aber fafj id), tote 
in ben 3«ten als (£I)orfnabe, metft Stüter bet Dtgel unb 
patlirte mit alten ©tfjulfameraben. 

©egen ©nbe bet Serien erfcr)ten mein greunb 2lbet> 
oulgo $an oon SRaftatt, um mtdj $u befugen unb mit 
mit bie Ufcetfe ht§ ßonoift angurteten. 2Bit matten nod) 
bte SBeinlefe mit an bet obetn Äinjtg. S)te §a$lacr)et 
pffonjen ben legten 2Bein not bem Eingang in ben ©d)toars* 
toalb, abet, nad) bem ©pttdnoott: „Snx letzte ift bet 
bette", ben beften im ganzen 3$al. (£3 c)ätte biefet SBetn 
Ifingjfc 9Belttuf, toenn e§ ifyn möglich toäre, in bie SBelt 
%n tomtnen; allein mehte 2Rttbürger mehren es iljm, in 
bie ftumt %n fdjtoeifen, unb ttinfen „allen* felbft Qm 
fürftlidt} fürftenbergifdjen 5lrcr)io ju $)onauefd)ingen aber 
fanb id) feiner Qdt eine alte Urfunbe, toonad) bet #a§* 
lachet $ettenbetget im 16. QfaWuubett bem SBurgunber 
gleich gefct)&%t tourbe. SBelje batum bem „Qtütt Sftotljen 4 ', 
bet fed^d ©tunben unterhalb be§ RertenbetgeS toädjft, 
toenn bie eljrfanten ȟrger meinet SBatetftabt ntd^t fo 
toeinfelig waten! 

Sfteunb 9lbetj unb id) ttieben un$, au§ ^ijtolen 
fdjieftenb, jeben $etbfttnotgen am Rettenberg §tn unb 
Ijer, unb als bie ©aSlac^et auSgefjerbftet, jogen toit flufj* 
abtoättS jum ftronemotttl) oon SBoUenbacr), bet mit bet 
Familie be3 DberamtStidjtetS $obeutüHer mid) unb meinen 
Kollegen eingelaben fyrtte. 2lm gfufje be3 $oI)en SBem* 

$anSia!ob, 6tubtcR}eit 14 



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— 210 — 

betgS lag bte £utte meinet SBafe, bk td) in 8ittbe3$etten 
an Ätrdjroetytagen fo oft befugt ©3 mar ein l^errltdjet 
©eptembettag, in ben präcfctigften gfatben flimmerte ba£ 
Sljal, neben bem SBetnberg lag ein lidjter S8ud)walb. 
Unter ben Suchen ftunb bet ftronenwirtl) mit feinet 
©eige unb fpielte bie luftigften SBeifen unb jauchte baju 
wie ein ächtet $)orfmufifant. Unb wir ©tubenten , wir 
jaudfoten mit ifyat, bafc SBerg unb 2#al wieberl)aftten. 

S)odf> wie armfelig unb flüchtig ift unfere SebeuSluft! 
©eute, ba mir ba$ »tlb jene« tbnHifd)en &erbfitage§ 
not ber (Seele glänzt, fbtb bie meiften SWitgenoffen langft 
tobt, unb ba§ jüngfte unb fd)önfte aftäbdjen ber ©efefl* 
fd?aft liegt ooQftänbig geiftig umnafyüt in einer 9lnftalt 
für Unheilbare gu $for&f)eim. $ier traf id) fie oor einigen 
Sagten, suffUltg, untet einer ©d&aar weiblicher äBefen 
auf ber niebrigften unb unglüdli^jten @tufe menfd)lid)er 
©rfenntnij unb menfc^lic^en 5)afein3, — 

SBenige $age fpätet, unb in $a3lad) fanb bet 
9Jttd>aeli3jaI)rmarft ftatt, wo bie Hölter oon allen bergen 
unb au$ allen Spätem be§ norbmeftitdjen ©djroatawalbeS 
in ©a§le jufammenftrdmen. uott a,ermantfd>* 

linguiftif^er 3Ranie, fa&nbete unter ben Säuern na$ ben 
oerfdnebenen alemannifd^^fc^wöbifc^en äftunbarteu, unb 
fragenb unb fdjergenb trieben wir und ben ganzen Sag 
auf bem SRarfte untrer. 

Site aber ftreunb *ßan bie feinblaffen SRäbdjen au3 
bem @utad)ertf)al fal), ba würbe et gang irre an ber 
Stoffe ber ^albewo^ner. <£r f$wut ntdjt fyöfjer, als biefe 
Seute feien aus ^ßolen eingewanbert unb Ritten gar m$t£ 
©ermanifdjeS an ftd). $lm Slbenb festen wir Sttaulefel 
un3 nodf) in ein äatuffell unb fuhren im Rreig $erum 
mit ben fttnbern unb Knaben. 3$ lub nod) meine alte 



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— 211 — 

Nachbarin bagu ein, bic ^rau be§ ©trumpfnnrferS, ber 
in ntehieit ^ugenberinnerungen* eine (o große SHottc fpielt 

Unter foldjen unb ähnlichen iuaenbUcben ©treieben 
©erginge» bie gerien, unb e$ tarn ber borgen ber 3tb* 
reife jur UnioerfUäl SBelch' ein anberer 2ftenfch 30g ich 
balnn, bettn oor fleben Qahren auf ba£ Soceum! 1>araalS 
roar ich ein befcheibener, fchüchteruer ftapIanSfchüler, unb 
jc^t erfüllte mich p^ilologifc^er ©rößemoalnt, ben in jener 
3eit aUe beffem «Kaftatter mit auf bie UnberfU&t brauten, 
unb ba&u ein tmbefttmmteS, banget ©efühl oor beut fton< 
oift, in baS ich benn eigentlich bo$ nicht taugte. 

©S warb mir gu SQRuthe »te einem, ber prahlerifch 
eine tühne 2^at auS&uf ühten übernommen f)at, im Augen* 
bltcf ber Ausführung aber baS #er$ fluten laßt Unb 
bodj h^tte ich mid) gefchämt, oon meinem ©ntfchluß gleich 
mieber abguftehen. ©inen £toft aber gab mir beim Scheiben 
meine Sftutter, bie noch beffer nrie ich füllen mochte, 
baß meine Rheologie auf feht fdjwachen güßen ftünbe. 
AIS ich ihr in aller Morgenfrühe/ eS mar noch buntel 
auf ©rben, unter ber »orbern #auSthüre Abieu fügte, 
um in ben „SBolfacher Omnibus* ju fteigen unb nach 
Offenburg an bie ©ifenbahn &u fahren, lauteten i|re 
legten 9Borte: „Schreib' auch gleich nrieber, wenn bu 
etroaS anbereS ftubirft!* 

9Rein Begleiter beneibete mich im 9Beiterfahren fo* 
fort um biefe »lebe ber 9Rutter. 3$ weiß/ meinte er, 
baß ich eS nicht fechS 2öod)en im ftomrift auShalte ; aber 
wenn ich heute ben Theologen aufgebe, bin ich morgen 
mittellos, etwas anbereS &u ftobiren. 3>er JJaU trat ein, 
aber Abe£ fat es fpäter boch unter ben forgenoollften 
Stunben jum juriftif^en Staatseramen gebracht 

Qn Dffenburg im Ochfen hielt unfer 2Bagen an, 

14* 



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— 212 — 

unb tc$ erinnere mid) lebhaft, tote rotr bat>ön fpradjen, 
falls und bie Geologie entleiben fottte, ber Biologie 
un§ au&uwenben unb t>or&ugS»eife ber altbeutföen. 2Btr 
faxten bann ben ©ntfdjlufj, mit bem $an ftd) bamalS 
eifrig herumtrug, ein<5ammeln>erf berbeutfd&enOeföledjtS* 
namen herauszugeben, unb unt bamit gleich $u beginnen, 
fcfyrteben wir fftmmtlic&e Manien ber Dffenburger 3 utt fk 
meiner ab, bie in ©lag unb SRaljmen im Ockfen, als ber 
Verberge, Dersetdjnet waren. 2ftan mag barauS erf ernten, 
meld)' ibeale unb naroe ©^wärmer bamals in unS 
Sroeien ftedtetu 

foldjer Slbjtdjt fuhren mir gen ^veiburg. 



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|fnu«r|ttät uni> gtomriftt. 



2Bit roaten am Klötgen cor ber abenbüdjen <£r* 
Öffnung be§ ftonmttS in bct SBtufenftabt angetommen. 
Unfer etfter (Sang galt aber ntdjt etroa bem ftonnitä» 
bireftor, fonbem bem Sßfeifenmalet ftrebä in bei ©erbetau, 
um und gemalte $ebifation3pfetfen &u befallen. &8 
heimelte mid) in biefem ftlein*$Benebtg von ftreiburg 
mächtig an; benn in meinet ftnabengett war id> al§ 
/y ^rembling 4 ' manchmal an feinen melan$olifd)en SSaty 
lein Ijingeroattbelt, bet §eimatl) gebentenb. 

$)er alte ÄrebS, meldet fd&on $a$llofe Stubenten 
auf *ßorjellan gemalt unb gebrannt ^atte, flaute 
un§ mit Stennetmiene in unfete jugenblid) fü&nen ^n* 
gefugter", ©r etfannte fofort bie ÜReulinge, aber au$ 
ba3 SBtergenie in un3 unb fragte unter bem ftopiren, bei 
meinem $orp§ mit „einaufpringen* gebähten. 2113 mir 
if)m lac^enben SttunbeS eröffneten, mit wollten im Äon* 
t-itt „einfpringen"; Rüttelte er bebenflid) fein alteS, rötlj* 
Ud)e3 £aupt unb orafelte: # Son <$u$ beiben ift (einer 
wer Söocfyen im ßonotft!" San bem einen I)at er'S et> 
ratzen, bet anbete abet tyd feinen SßtopI)etenblicf ju 
©ctyanben gemadjt 

Um bie SJUttagSaeit fugten mit ben ftomuttsbiret* 
tot ßübel auf. 3Bit flauten ba§ grojje, ummauerte 
$onmft3gebäube am fjufje be3 ©cfyfofjbergeS an rote jmei 
£anbftreid>er ein 3lmt3gefängni6, unb bet ^ottiet 



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— 214 — 

fam und t>or wie ein fterfermeiftcr. $n ben füllen 
©ängen beS #aufeS wogte ein Seben wie in einer ftaferne. 
9llte unb neue ftomnftoren sogen auS unb ein. $)te 
Geologen beS jwetten unb britten ÄurfeS wed&felten iljre 
©tubien* unb ®d)lafeimmer unb brauten ityr Mobiliar 
in Drbnung, wftljrenb bie UWruten fdf>eu unb fd&üd&tern 
i^re oom ®iref tor angewiefenen neuen Sabinen ouffurfjten. 

$)er S)treftor empfing uns mit genteffener greunblitf}* 
feit. <£r fhmb, ein nodj junger, blüjjenb unb gefunb auS* 
fe^enbet DJlann, an feinem ©d&reibpult am JJenfter. 9113 
et unfere Flamen $örte unb erfuhr, bafc wir „Sftaftatter* 
feien, ließ er feinen SBlid mit befriebigtem SÖBo^woHen 
auf un3 ftretfen. (Sr war ja felbft einft „üiaftatter" unb 
5ttarfomanne gewefen unb Ijatte auf btefe, namentlid) 
wenn fte unter bie erflen aalten, befonbereS Vertrauen. 
$eber von uns beiben bef am bie Plummer feines ©tubir* 
jimmer § unb feiner ©d&lafftefle unb warb entlaffen. 
fcrau&en im ©ang traf td) meinen alten ftreunb «eefert, 
ber bereits baS britte ÄonoiftSjaljr antrat unb mir be* 
fjilfltc!) war, mein ftafernement $u bejie^en. 

%\t ftonoittoren waren nad& QafjteSfurfen abgeheilt 
unb in biefen bie Simmer ^ m ©tubenten nadj bem 
9llpl>abet tyrer @efd&ledf)t3namen angewiefen. ©o fam 
t$ mit fünf anbem in ein Heine*, bunfleS, einfenfterigeS 
©emacf> auf ber 3ßeftfeite beS £aufeS. $te 2luSfid)t 
ging auf einen fdf)mutjtgen, alten $of unb einige $)iid)er 
benachbarter 2Bol)nungen, über benen büfter unb ernft 
ber 3ttünftertt)ttrm $eretnfd)aute in baS trifte grauner, 
in welkem i$ hinter einem großen, fernen @<$retb* 
pult baS erfte Satjr meines ÄonoiftlebenS pbringen foHte. 

©df)on waren meine künftigen Mitbewohner mit 
©inräumen tyrer SBüdfjer in bie Sßulte befdfjäfttgt, als id& 



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— 215 - 

eintrat Unter tynen traf id) einen alten Setannten, 
§trn, ben Se^rerSfolnt oon Steiler bei $a3le, ber Slaftatt 
oor längerer ßeit toieber oerlaffen nnb in ^reibnrg bog 
©nmnajtum abfoloirt Ijatte. Qbx ift vor Qfafjren fdjon 
als Pfarrer geftorben. 

3Jttd) f Räuberte e8 in bem elenben ßimmer, unb id& 
ging nad> furjem ©inbücf oon bannen , um mir meine 
Scblafftelle $etgen p laffen. Qd) fanb fle in einem ge* 
räumigen, luftigen ©aale, ber in Diele t leine 3lttooen 
eingeteilt mar. Qmi Fretter, fo weit von einanber, 
um $la£ für ein $ett $u geben, burd) einen Sßorfjang 
nac§ ber SRitte beS ©aaleS abgefd)loffeu, bilbeten ben 
Sftonm, ber befthnmt mar für meine Statte unb meine träume. 

Jfteunb SBecfert mufjte e3 mir anfeljeu, baf* id) im 
§erjen roenig ©onuenfdjetn oerfpürte ob ber ÄonotfrS* 
Ijetrlicfyteiten, unb er meinte, in turpem mürbe e3 mir In'er 
gefallen ; e3 fei iljtn aud) fo gegangen. Df)ne meinen ftoffer 
für jetft auSsupacfen, oerliejj ia) bie Sfoftalt unb begab 
mid) gu meinem in ben Qugenberinnerungen bereits ge* 
nannten Onfel. $)em fdjilberte idf) meine <£inbrücfe, unb 
er, oon oom^erein fein ftteunb ber ©eifilic^feit, rtetfy mir, 
alSbalb in fein $an8 ju gießen, QuriSprubenj $u ftubiren 
unb bei ben„@d)roa&en", feinemßieblingSforpS^injutreten. 

3$ tan bebeutenb htS ©Amanten, unb roemt id) 
mici) in tw einem ganjen innern unb äußern ©abttuS oon 
bamalS mir oorftelle, fo roirb e§ mir gerabeju unbegreif* 
lid), marum td) nid>t augenblicflid^ ben Statt) unb bie 
$ilfe be£ DnfelS angenommen Ijabe. ©3 mar, offen ge* 
fagt, ein gemiffer (Sigenfmu, ber mid) abhielt, fo balb 
fdjon oon meinem ffior^aben abpfte^en. 

©egen Slbenb ging id) mit bem Dnfel in feine <Stamm* 
fneipe, ben ,römifd)en ftaifer". £ier mad)te id) in bem 



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— 216 — 

flcinen Stersumner bie iBefamttfchaft eines oerein&elten 
Geologen be§ sweiten ÄurfeS, kantend $>iemer. 2lud) 
ber rebete mir au, nicht inS »onottt $u gehen. <£r würbe, 
wenn ihm fo günftige 5Iu3ftcf)Utt blühten wie mir, äugen« 
blicflich austreten, wa3 er fp&ter auch a^ne fold&e getrau 
hat, aber ohne je flu einem gefiederten SBeruf &u gelangen. 
3$ traf ihn cor einigen Qa^ren in einer ©tabt be3 
babifdjen UnterlanbeS als ©Treiber eines 2üwofaten. 
Sfttt ihm wanberte ich bamalS gegen 6 Uhr 3lbenb3 inS 
^onotft gurücf, wo ber $)ire?tor jun&chft im ©peifefaal 
bie ^ßlätje oertheilte. 9U8balb begannen fobann bie geift* 
liehen „($£erattien\ 

SBenn ein luftiger ftefrut in bie Äafeme fommt unb 
gleich am erften Sage bie ftramme uriltt&rifche gudjt 
fühlt, fann er unmöglich niebergef erlogener werben, als 
ich eS war bei biefen erften geiftlichen Uebungen. Qd) 
halte biefelben für ein gan$ oorjüglicheS SJtittel, junge 
unb alte ©Triften jur richtigen SBeflnnung $u bringen; 
allein fte fhtb ju ftreng für ben jungen ©tubenten, ber 
mitten aus ber tollen SBelt feiner glegeljahre plötzlich in 
fte hineingeworfen wirb. $)a£ mag gut gewefen fein für 
bie wohlgejogenen unb wohlbewad)ten Jünglinge, welche 
tl)re ©gmnaftumSaeit in einem ftnabenfeminar oerlebt 
hatten, für einen Btoftatter meiner Seit war ber theo* 
logifche Singriff &u ftarf. 2>en größten S^eil breier Sage 
in ber &ird>e anbringen, Sßrebtgten anhören, ^Betrachtungen 
aufteilen unb ba&u abfoluteS ©tiUfchwetgen beobachten, 
ift eine ju fdjnelle unb su fontrare Feuerprobe, bie mancher 
nicht befteht, ber bei gelinbem ©aüeu ausgeharrt hätte 
unb tüchtig geworben wäre. $afs td) fie befhtnb, ift mir 
gerabe fo wunberbar wie mein ganjeS breijährtgeS 9lu3* 
halten tjn Stonoift, in welchem e£ mir nie gefiel, aus 



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— 217 — 

bem e£ tnidf) beftönbig jog, mo mid) fein Sttenfö aurücf* 
l)ielt, unb in betn id> trot>bem geblieben bin. 

Stteine aweiQntum nnb 9taftotter ©efhmungSgenoffen, 
8u!jn unb 9lbe$, gelten ntdjt ftanb; fie traten gleich in 
ber erften Qzit auS, ber eine, um Sßljilologie ju jiubiren, 
unb ber anbere, um fid) ber 3uriSpruben$ suauwenben. 
Der erfterc ift ^eute ^rofeffor in 3lmertta, nadfjbem er 
ben legten Ärieg bort mitgemacht, unb 9lbe$ ftorb vor 
^^ten fdjon als junger Sfteferenbar. Unb idf, ber britte, 
blieb allein in bem öben ftonotft jurücf. 

%it erften ©jerjitien gab uns ber berühmte Stopu* 
äinerpater $l)eobofroS ftlorentini. 2luf midf) matten bie 
Sßorte biefeS SttanneS einen mächtigen ©mbrucf, ber aber 
meljr ber geroanbten unb tmponirenben Siebe, bem talent- 
vollen ftapugtner als bem ^nfjalt fl^tt. JJÜr ben le^tern 
f>atte mein £erj fein aSerpnbmjj ; eS fehlte mir am pofttioen 
Glauben unb an ber ©laubenSübung. Qd) erinnere midi leb* 
f)af t, wie nacJ) einer fd&arfen ©$ortation beS ^ßaterS über ben 
tljeologtfdfien $eruf 9lbe$ mir fpät SlbenbS im bunt ein (Sang 
beS ^wetten ©tocfeS juflüfterte: 0 %a bleib' idf) ntd&t, unb 
wenn id> nad) 3lmertta mü&te, um junge Riffen ju fangen! 4 ' 

2lm borgen beS vierten SageS enbigten bie geift* 
liefen Uebungen mit gemeinfamer Kommunion, am Wittag 
war ein Keines ftejteffen, fogenannteS „$)upler.*, unb am 
•ftadjmtttag burften mir eine ©tunbe fpa^ieren gefeit. 

©leid) beim erften, fröhlichen Sttaljle überwarf t<h 
mtd) mit einem großen Steile meiner ÄurSgenoffen. (SS 
roaren felbftoerftanblid) ©tubioft ba von allen ©gmuaften 
beS SanbeS, unb bie meiften tannten nur biejenigen, mit 
benen fie feit^er auf ben ©cfyulbänfen gefeffen. SBei bem 

obigen ©ffen ging'S nun an ein allgemeines ,©d&mol» 
liren" mit feinen Sifdfjnachbarn. 



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— 218 - 

3n meinet nftdjften 9WI>e faßen einige ftreiburger 
unb ffonftanser, benen id& ben „<3d>motti§" üerwetgerte 
mit bem SBemerfen, baß id) nur mit SRenftyen, bie id) 
genau fennen gelernt hätte, SBrüberfc^aft machen motte. 
SBon 6tunb' an galt td) als hod&mfithig unb lebte auf 
gefpanntem ftuße mit meinen neuen Limmer* unb flurä* 
t ottegen. 3$ hielt mich fortan faft nur an bie Sttaftatter 
ber oerfchiebenen Äurfe, beren ba§ ßomritt brei jitylte. 

SJlit ben größten ©d^roierigteiten hatte ich ju Wmpfen, 
bis mir bie ©auSorbnung auch nur einigermaßen jum 
Aushalten rourbe. 9ftit melen einen gemeinfamen Schlaf* 
faal feilen, entfefclich früh auffegen, mit bem erften 
borgen unb beim fpäten Slbenb in bie Äirche gehen, in 
benStubirjimmem mitanbem jufammen fein unb fdjroeigen 
— ba$ waren lauter $)inge, bie mit meinem f eiterigen 
Zfym unb treiben im fchreienbjten SBiberfpruch ftunben. 

2Bemt ich einen Orunb ftnben foll, warum ich ba3 
aüe3, wenn auch unter Slnwenbung atter meiner SBitteuS* 
traft mitmachte, fo mar e£ abermals ein geroiffer©igenfmn. 
Qd) wollte md)t ausgelacht werben, baß ich fo balb meinem 
SSortjaben untreu geworben wäre. Steligidfe Ueberjeugung 
fpielte babei nicht bie geringfte IRotte, ba i<h feine befaß. 

9luf ber Unioerfttät, meiere mir oom Ronoift aus 
täglich in bunfeln ©paaren anffuchten, $atte ich mich als 
Studiosus theologiae et philologiae immatrituliren taffen. 
Ätiologie nat)m ich ba$u, nicht weit ich je baran gebaut 
hätte, lateinifcher Schuüneifter werben ju wollen, fonbem 
aus ber oom Maftatter SJirtttot mir eingeimpften Vorliebe 
für ttaffifdje Stubien. 

$te Unioerfität fjreiburg, in einem ehemaligen, &iem* 
lieh oerwatjrloften 3efuiten!otteg untergebracht, beftanb 
bamals ju einem ftarfen $rittheil au£ Geologen, unb 



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— 219 - 

wenn um 12 Wß bie ©tubenten bie £od)fd)ule ©erließen, 
wimmelte eS bic ©angaffe hinauf von „Ronoiftlern*, 
unter betten bie Dorn brüten 8ur3 in i^ren ©utanen am 
bunfelften ß$ abhoben. 

S)ie 3eit, welche id) in ben SBorlefungen jubradjte, 
Berging mir angenehm, aber in bem bunfeln ÄonoiftS* 
^immer überfiel mt$ enttoeber bittere gangtoeile ober ber 
©d)laf. ©ar oft, toenn meine 3immerfoHegen fhtbirten, 
lag i$ auf meinem ©tuf)l hinter bem l)ol)en ©djreibpult 
unb fdjlief. 

$>er ©tubicnplan für Geologen, bie *u allen Reiten 
einer ftrammem 5)i33tplin unterlagen als anbere ©tu* 
benten, mar uns genau oorgefdjrieben, unb fo mußte td) 
im SBinterfemefter 1859/60 folgenbe SSorlefungen über 
mid) ergeben laffen: £trd)engefcf)ic$te, Einleitung in bie 
©Triften be§ Sitten SeftamentS, ©jegefe ber Slpoftel* 
gefd)id)te, ©rflärung ber *ßfalmen unb ©ncgflopdbie ber 
Geologie. £)ojenten für biefe gadjer waren bie *ßro* 
fefforen Slljog, ftönig, SWaier unb SBörter. 

Dr. 91130g, ein ©cfjtefter, mar ein Setyrer oon fefyr 
umfaffenbem SCBiffen, fein Vortrag aber tyettö ftörenb, tf)etl§ 
fomifd) baburd), baß er nad) jebem ^weiten ©afc bie SBorte 
„benn ba" einsuf djalten pflegte, ©ein ßeljrbud), eine roafyre 
Quellenfammlung, mar &u ootuminös unb beßf)alb für ben 
angefjenbett ©tubenten jum Sftemoriren oiel p fd)töer. Er 
befaß, toie faft alle Sftorbbcutfdjen, einen guten pl)tlo- 
logif djen ©d)ulf ac*. 3$ fo* Utttw ©emefter grie* 

d^ifc^e ßtrdjenoäter unb ftaunte über bie SetdjtigJeit, mit 
melier er bie grtedjifdje ©pradje ^anb^abte. Qm *ßrioat* 
Umgang seigte ft$ Dr. 2H$og ooller SiebenSmürbigfeit 
unb fprubelte oon äßifc unb $umor. 3$ fpä* 
teren Qa^ren oft mit tfjm oerle^rt unb erinnere mi$ nod) 



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— 220 - 

mannet trefflichen ©f>araf terifttf, bie er über 3citoerl)filt* 
niffe unb *ßerfonen gab, unb bereit 9ttd)ttgtett td> erft 
einfafj, als ber Sßrofeffor tobt war. 

Sßrofeffor Röntg tonnte midj nie redf}t angießen, ©r 
mad&te ftetS ein fo mifantl)rope3 ©eftd)t unb btftirte feine 
SBorlefungen, SBom Sttfttrtbefommen war td) aber fdjon 
am Sqceum ein fteinb gewefen. %tt ^rofeffor modjte 
mir rooljl anfefjen, baß t$ ^öd^ft ungern mörtltc!) nieber« 
fdjrieb, was er vortrug. SBeim ©jaminiren frug er inid) 
jeweils länger als jeben anbern freuj unb quer unb 
wollte mid), trofcbem td& tym feine Antwort fctyulbig blieb, 
nie gerne laufen laffem ©o eintönig auch fein Vortrag 
war unb fo langweilig bie Stoffe, bie er ju betyanbeln 
hatte, 2Biffenfcf)aft unb ©rünblic^feit waren bem Sßro* 
feffor ftcfyer nicfjt absprechen. 

$)er fdharfftnnigfte Geologe an ber Unioerfttät war 
unftreitig ber bamalige $>eton ber ftahtltät, Dr. Slbalbert 
Sftater. SSBenn ich in fpäteren fahren unb ©tubten mir 
einen ächten $umaniften beS 16. ^a^unbertö oorfteUen 
wollte, fo badete ich mir benfelben ftetS wie unfern ,($£e* 
gefen*9ttaier", eine lange, Magere ©eftalt mit fpifctgem 
©eftcht unb einer feinen, bünnen ©ttmme. #er$engerabe 
ftanb er auf feinem Ratgeber, machte nie einen SBifc, 
lächelte h&hf* feiten, aber waS er fprach unb erklärte, 
war bie Sogif unb Klarheit felbft. ©eine „(Einleitung 
in baS ÜReue $eftament" ^at ficherlich bis heute fein SBerf 
neben fleh, baS mit ihr fich meffen tönnte. 3$ ^örte unb 
ftubtrte als angehenber ^^eologe bie 2ttaier , fchen *8or* 
lefungen am licbftcn. 

2BaS aus bem größten Sftenfchengeifte werben fann, 
wenn Hilter unb ©ted)tf)um über ihn fomtnen, baS geigte 
ber Sßrofeffor Sttaier. 3$ &abe ihn, 25 Qa^re fpäter, 



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— 221 — 

wäfjrenb feines langen ftranlfeinS als fein Ufertet öfters 
befucfjt unb mit ©d&rnerj jeweils gefet)en, wie ber einft 
fo bebeutenbe Sttann meljr unb tnefp jur oetnunftlofen 
Sttumte Ijerabfanf. Unb manchmal , wenn idj von tym 
fortging, l)ab T id) mir gugerufen: „2Ba3 ift bod> ber 
9ttenf<f| für ein armfeligeS ©efäöpf!" 

kleine eigentliche Geologie nerbante tdj bem Sßro* 
feffor 2Börter, einem ftinjigtljäler aus Dffenburg. tiefer 
3)ojent Ijatte eine ©igenfdjaft, bie in feiner unb meiner 
©etmatl) gu ben (Seltenheiten gehört, er mar ein roortfarger, 
ernjter 3ttann. ©leidimol)l befam er fdjon burd) feine 
äufcere ©rfc^einung meine lanbSmämrifd)e ©gmpatf)ie. <£r 
hatte in feinen gefunben, frifc^en ©efid)tSjügen eine metf* 
würbige Sleljnlidjfeit mit bem ^ronenwirtlj oon ^Bottenbach, 
bem ich als Shtabe fo oft für ©ochjeiten SBrob angeführt, 
unb wo ich fo oft ben Älctngen ber Ifinbltchen Sanjmufit 
ber Äapette beS ©cheerenfchleiferS non $a8la$ gelaufcht. 

SDSbrterS „(£ncg!(opäbie ber Geologie" mar mirttjeilS 
langweilig, tbeilS unnerftänbltch , letzteres, weil ich non 
Ideologie überhaupt noch feine blaffe 9lf)nung hatte. Sttet* 
nem Sftadjbar im SMeg, mit bem i<h bie htnterfte 93an! 
in einem bunfeln$arterre*3immer teilte, ging eS ebenfo. 
©r war auch ein ftinjtgthäler, unb gwar aus bem btplo* 
mattfehen SBolfach. ©jemals 3urift unb Amtmann non 
IHenolutionS ©naben hatte gfremtb Sauer feine ©jiftenj 
nerwirft unb als „lefcter ©offnung" gut Geologie feine 3"* 
flucht genommen, ein ©tubium, baS it)n befftalb boppelt an* 
ftrengte, weil er fd)on in ben nierjiger fahren ftunb. Um 
fein ©ebadjtnifc gu ftärfen, gab er fleh ftarf mit Schnupfen 
ab, unb wenn bann uns betben nor lauter ©ncgflopäbte 
baS9Jtül)lrab in unferen untheologtfehen köpfen herumging, 
reifte er mir feine $)ofe unb fpradj mit fatirifcher 



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— 222 - 

$Bolfa$et*5)fäeue: „ÄmbSmann, jefct wieber einen $riS 
brauf!* 

$)o$ in meinem groeiten ttyeologifcfjen ©tubienjaljre 
$aben, wie mir fetyen werben, bie Sorlefungen be§ *Jkof efforS 
2Börter meinen SBerbleib bei bet Geologie entfd&ieben. 

Qn ber «Philologie $atte i$ für bie gange Unwerfität* 
gett gwei «ßrofefforen, aber beibe, fo t>erfd)ieben and) i^r 
Gljatafter unb bie Slrt iljreS SelpenS mar, von gleich 
auSgegetdjneter Qualität 3$ bewahre jebem ba3 refpeft* 
DoUftc Slubeufen. 

S)er alte $rof effor SBaumjtarf, ein SRtefe von Äörper, 
©Ijarafter unb foübem 2ßiffen, Datte non einem Biologen 
in feiner gangen @rf$einung feine Spur. SBäljrenb man 
einem ädf)ten «ßrofeffor feinen Stanb fd)on auf fünfgig 
Stritte anfiel Ij&tte man $aumftarf für alle? e&er ge* 
Ratten als für einen lateinifdjen <5$ulmeifter. Unb bod) 
fyit bie Untoerfität g^etburg im 19. 3a$r$unbert ni$t 
brei ^ttologen gehabt oon ber ©rünbltdjfeit etneS Saum«» 
ftarf. ©S rourbe bieS gmar meber von feinen ^ettgenoffen 
unb no$ viel weniger oon feinen SBorgefe^ten anerfannt, 
weil SBaumjtarf gu jenen 2Keufc$en gefjärte, bie, üpeS 
wirf liefen SBert^eS bewußt, fid) mcfct beugen, ni<$t büdfen 
unb ni$t roebeln wollen, um in ber SBett etwas gu 
werben. Nebenbei fjatte er nodj baS Unglüd, gef dfjetbter gu 
fein als feine Dbem unb als mele feiner Kollegen. 

Qd) $abe feinen attann tennen gelernt von auSgeprag* 
terem ©elbftgefüfjl als meinen fyodperefjrten £et)rer SBaum* 
ftarf, aber aud) feinen oon foldjer ©erabfyett unb Unbeug* 
famfeit beS (£f)arafterS. SHefe ©igenfdfjaften ließen eS 
tf)tn nie gu, bie SBege gu wanbeln, welche gu allen Reiten 
unb ©tunben Xaufenbe gingen unb geljen, bie nadf) Remtern 
unb SBürbeu trachteten unb trauten. 



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- 223 — 



SBaumftarf Ijatte ba|u nod> einen freier, ben fein 
gegenwärtig tebenber Schüler ebenfalls in Ijotyem (Stabe 
befitjt: er fonnte nic^t fdjweigen, roeber nadf) oben 
nodf> na$ unten, wenn ilpn etwas mißfiel StücffidjtSloS 
biente er ber SBBafjrljeit unb feiner Uebetaeugung. <£t fyrt 
ftd) babttrc^ in feiner SebenSfteßung Diel gefd&abet unb 
gefielt in feiner Slutobtograpljie felbft &u, baß eS oon 
ifrai oft unflug roat, ju teben, ftatt 311 fcfjroeigen. „2ttein 
Temperament unb mein ftatieS moraüfdjeS ©efüfjl liegen 
mir für mein ganzes ßeben wenig »aum für Älug^eit/ 
fagt er t»n ftd& felber. 

3n meinen 2lugen war er ein ganzer 3Ramt unb ein 
überaus «ortrefflid^er Sekret. 3$ Ijbtte bei ifrai im erften 
©emefter SBotlefuugen über „Sitetatur berrihmfdjen^ßrofa" 
unb befugte baS oon ilnn geleitete „pl)ilologtfdf)e Seminar 4 ". 

ömtmftarl wo* ein <ßf)üologe ber guten, alten beut« 
fdjen ©djule ber awanjiger Qa^re unfereS ©äculumS. 
ÄerntyafteS 2Btffen in einfacher gform war iljt ©eptäge. 
SSM einer eiftgen Sttutye unb ©idfjerfjeü trug SBautnftat! feine 
@ac^e 00t, unb tro^bent jeber fogenannte Schwung fehlte, 
impomtte jetn «ortrag metnem jungen i3>emutge mtt 2J caajt. 

93i§ %ux ©tunbe machen ruhige 3ftenfd)en auf mtdf) 
unruhigen einen ftarfen (ganbrutf, ben tdf) gerabegu als 
£RcfpeCt bejeidjneu möchte. 80 betaut tdj aud) oor bem 
*ßrof eff or SBaumftar! eine mit jebem ©emeffcer unb Jeber Sßor* 
lefung wadfjfenbe £>od)ad)tung md)t bloß oor feinem Skiffen, 
fonbern aud& oor feinem ©gerottet. (St jtarb olme fcitel unb 
olme Drben ; wer üm aber n&^er getonut $at, wirb tfm ^ö^er 
achten als triele, beten Stuft oon „©temen* glänzt. — 

Qn mannet ©inftd^t baS getabe ©egent^eil Saums 
ftatfS war fein College unb einiget 9Jtttbo$ent in bet 
Ätiologie, ^tofeffot »üd&elet. liefet, ein blutjunger 



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— 224 — 

3ttann aus Sfthetnpreußen, faft im 20ter feinet äußrer, 
war ein ebenfo ausgeprägter Sfoty&nger ber neuem philo* 
logifdjen ©djule wie ätoumftart ber älteren. Seibe oer* 
trugen fleh fchon auS biefem ©runbe nicht gut, obwohl 
nie einer ben anbern oor ben Schülern angriff , was ja 
nicht feiten tft bei leeren unb nieberen Iateinif^en @cf)ul* 
meiftem. Süseler war lebhaft unb fugenblieh, $aum* 
ftort ernft, langfam unb graottätifd); behn erftern fprubelte 
bie Siebe aus bem (Belege feiner ß&^ne, beim lefetern tönte 
es feterlüh wie im Dratelton. 

3BaS mich aber fofort auch bei SBüd^eler anjog, war 
fein eminentes ptylofogiföeS Talent feines, atttfcheS 
(Bal^ tifäte er auf in feinen Vorträgen unb ein SBtffen, 
ba§ einen boppelt ftaunen machte bei ber hoh«t Sugenb 
be£ SehrerS. $)ie beiben *ßreußen (Sdjraut unb Vücheler 
haben mir lebenslänglichen SRefpett eingeflößt vor ber 
r^einlänbif^en Philologie. 

3$ ^rte bei Vücheler, ber jefct *ßrofeffor in $otm 
ift, in meinem erften ©emefter nur ein ftoHeg über „bie 
griedjifchen ©ufolifer*, aber bieS eine genügte, um, wie er 
mir im gfrequenafchein bezeugte, „mit auSgesetdhnetem ftleiß 
unb großer Sheilnahme* bem jungen ^rofeffor aufhören. 

Sebhaft erinnere ich mid) tyvitt noch beS Vergnügens, 
mit bem «h an ben trüben SBintertagen beS QahreS 
1859/60 ba§ melancholifche ftonoift am Nachmittag unb 
9lbenb oerließ, um in meine phüologifchen SBorlefungen 
&u wanbeln, bie in ber Siegel in bie Qtit oon 3—7 Uhr 
fielen. 2>a3 „atabemtfdje Viertel* warb gegen Sttbenb 
jeweils benufct, um bei meiner Xante am SttartmSthor 
eine §lafche Vucf fdjeS Vier ju trinfen unb mich t>om 
Dtrfei etwas oerhöhnen ga laffen, baß td) immer noch 
ein „^fäfflein" werben wollte. 



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— 225 — 



3ÜS fogenannteS „^ßfRlofopfncmn* befugte id& in 
biefem SBüttet bie Söotlefungen übet „alte ©efdiidfjte* oon 
©fröret, bem berühmten ftonoertiten unb ©iftortfer. (£r 
mar eine gewinnenbe ©rfdjemung: ein ftarter, forpulenter 
2Jtonn mit einem ftdjt fd)w&bifd)en, offenen unb Reitern 
©eftdjt, aus bem ©eifi unb $umot gleid&mä&ig fpraetjen. 

$)te biebete ©djroabennatur, baS geiftoolle SBeljerrfcfyen 
feines Stoffes matten ©frörer gu einem burd)auS an* 
Sie^enben Sehtet für fübbeutfdje Spület. SBerounbern aber 
(ernte id& biefen ©ele^tten erft, nad&bem id& lüngft fein 
©d)üler nid&t meljr unb et fdf)on tobt mar. 

©fröret mar ein ©iftortf er oon ©otteS ©naben. SBer 
je beffen „Seben ©regorS vn.* gelefen, btefeS liefen* 
toerf beutfdjer ©elefpfamfeit, bet toitb unb mu&, roenn 
et et)rltc^ bentt, ben SBerf affer untet bie getftreidrften unb 
größten $iftortf er beS 19.3a!)rJ)unbertS rennen. 3$ fjabe 
in meinem gangen Seben nur jroei biftotifcfje SBerfe ber 
neueren Qzit gelefen, bie, iro£ ber S8erfd>iebenr)cit ifjrer 
SBerfaffer, mid) in gletd&em ©rabe anzogen unb begeifterten. 
®icfc beiben Süd&er aber ftnb ©frörerS „©regor VII." 
unb ©regorootuS' „©efdfud&te ber ©tabt föom im 9ffittel* 
alter*. SBenn man bie ©eifteSprobufte fol$er ÜWänuer 
lieft, fo muß man ftdfj nmnbern, matum nid)t fdjon Iängft 
©d&riftftellern meinet 2lrt baS ganbwert poli&eilid) oer- 
boten toorben ift. 

$>aS ©lenb unfetet libetalen Sage ift bie aH$u freie 
Stellung beS QnbioibuumS ber ©efeUf d^aft gegenüber. Qd) 
roünfd&te in oielen fingen eine ©tnfd&ränfung bet inbtoi* 
buellen gfretfjett, unb fo toie man in bet golbenen ßeit 
beS ©anbtoertS jebem oerbot, als Reiftet $u arbeiten, 
bet feine Sßtofeffton nidfjt oetftunb, fo follte aud& nid&t 
jebermann erlaubt fein, in ©djriftftelletei unb ©eifteS* 

Qaniiatob, €tubienj«t*. 15 



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— 226 — 

probutten 31t pfufchen. Ulur große ©etfter unb tiefe ©e* 
lehrte bürften mit, wenn tch'3 machen t önnte, ihre ©Triften 
an§ Sageältcht geben. ©3 wäre bann manche Sumperei 
weniger auf ©rben. — 

^ie 8td)tfeUen be§ ^onotftSlebenS, fo wenig e3 meiner 
Snbiotbual ität entf prach, überwiegen bei weitem bie ©chatten* 
feiten be§felben. Qu ben erftem gehört oor allem ba§ ge* 
regelte ©tubium. Qn *™ m ftonotft wirb berart 
3um ©tubium angehalten, baß e§ oft mehr bem fogenannten 
„Cchfen" fidt) nähert. Mein biefe§ fonft fo oerfd>mäf)te 
Ockfen halte ich für gar oiele 3Renfc^en für unbebingt 
nothwenbig. ©3 gibt ja, man barf e3 füt)n fagen, gottlob 
nicht lauter Talente unb ©enieS auf ber 2Belt, brum muß 
auch bem billigen Genfer unb bem 2Jienfd>en mit mäßigem 
Talent unb fd)led)tem ©ebächtniß ber 9Beg jum ©tubium 
offenftet)en. ßubem ejiftiren gar oiele ©teilen im ©taatS» 
unb fttrehenbienft, welche oon getftig mittelmäßigen ■DSften* 
fchen weit beffer verwaltet werben aB oon fogenannten 
Talenten. 

@in ©auptmittel aum ©tubium unb jur Vorbereitung 
fürS ©ramen ftnb in ben theologtfehen ftonotften bie 
„ftepetitionen", welche barin befielen, baß ba§, wa3 in 
ben SSorlefungen an ber Unioerfttät gehört worben ijt, 
unter ßeitung oon ^ßrieftern, ben fogenannten Repetitoren, 
im ftonoift repetirt ober richtiger auSwenbig gelernt unb 

— - - - - 4uA4«V 

cjamimrt wtro. 

©0 h^tte Jeber ber bret fturfe in unferem Äonoift 
einen Repetitor. S)er unfrige im erften Shtr8 war ber 
Dr. ©t. SBraun, sugleich SHebatteut beS ftretburger &trd)en* 
blattet. Sraun, ein iaubergrünbler, in welcher ©egenb 
bie Geologen geboren werben, weßbalb biefelbe unb 
ber benachbarte Dbenwalb oon und f chwäbif ch*alemamufcf)en 



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- 227 — 

ßonoiftoren „ba3 ^eilige Sanb" genannt würben, fonnte 
bie ftaftatter ©tubenten $um oorauS md>t befonberS leiben, 
weil flc tfjin gu wenig fromm unb &u ignorant in religiöfen 
fingen erfdfjienen. 

3)aß tdj überhaupt im ftomrift ausgemalten, gilt mir, 
wie fdjon gefagt, wunberbar, baß i$ aber trotj beS SRepe* 
tttorS SBraun ausgemalten habe, ijt ein aweites SBunber. 

tiefer fromme, fleißige Sttann, eine finbli^e (Seele 
of)ne jebeaBeIt*unb3Jlenft^enfenntnif, hatte bteOepflogen* 
l>eit, und sroeibeutige Sftaftatter in ben IftepetitionSftonben 
nebenher aud) au§ bem &atecif)i3mu3 $u fragen, in meinem 
fefjr wenige oon un§ aud) nur einigermaßen fapttelf eft waren. 

SBenn nun einer bie Antwort fd&ulbtg blieb, fo fdfjlug 
unfer „©pejel" bie #änbe überm Äopf jufammen unb 
lamentirte über bie fd&redtltdf)e ttnwiffenljeit. SRid) inter* 
peüirte er eines £age3 über bie fünf (Gebote ber ftirdje. 
3df> erflärte i!jm offen, idj f önnte flc ifjm mit bem beften 
SBiHen nid>t meljr jagen, würbe fte tl>m aber aud) md)t 
fagen, wenn idf) flc wüßte, ba id) nid&t Ijier fei, um mid) 
oon ifat qcaminiren &u laffen wie ein @d)u(tnabe. 

<£r fdfjwteg sott flammenben Qotneä unb melbete mtd) 
nafytyx bem $>ireftor, ber mid) $u fid^ rief unb mir nod) 
eine weitere Denunziation oortrug, bie eines „S)rttt*Äür3* 
ler§", weiter heute ein firdf)ltdf) fefjr liberaler 3ttann ift, 
unb bie barin beftunb, id^ hätte meinen 2leußerungen 
nach gar feinen ©lauben. 

3fd) gab nun bem Direktor feierlich folgenbe <5r* 
flärung ab: fei alles wahr, was man ihm berichtet 
habe; allein ich ^ätte geglaubt, ba3 ftoniritt fei nicht bloß 
baju ba, um fromme, reltgtöS wohl unterrichtete ©tubenten 
aufzunehmen, fonbem auch glaubenSarme unb religiös 
fd)led)t unterrichtete. Qu ben lefctern gehörte ich. 3<h t önne 

15* 



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- 228 - 

tfjm aber bic 93erjidf)erung geben, bafj td) feinen £eudf)ler 
abgeben werbe. $d) wollte baS jweite Qa^r ber Geologie, 
bie $)ogmatit, abwarten , unb wenn t$ bann nid)t gum 
(Glauben fäme, würbe td& unbebmgt bie ÜXnftalt oerlaffen." 

93on biefer ©tunbe an war unb blieb id) ein ßteb* 
Ung beS $)ireftorS, ber fpätcr als SBifdjof mid) nod& man^* 
mal an biefe SBorte erinnerte unb an meiner ©fjrlidjfeit 
unb Offenheit nie irre warb. 9lber aud& bog f)at er mir 
fpäter oft gefagt, bafc er eS mir angefefjen tyabe, wie un« 
gern td) anfangs im Äonoift gewefen fei unb wie id) mit 
bem Austreten gefämpft ^fttte. 

9ttit bem Repetitor SBraun lebte id& auf gekanntem 
fju§c, folange 1$ fein Untergebener war. ©päter aber, 
ba id) als ®aft be§ $)ireftorS öftere unb lange im ßonottt 
weilte, följnten wir und beftenS auS. 34 ^be bann jur 
großen (Erweiterung beS $>treftorS unb ber übrigen SKepe* 
titoren manchen ©pafc mit feiner ftnblid)en Setdfjtgläubig* 
feit getrieben, unb er ift mir oft „in ben ©ptefe gerannt 4 ', 
watpenb er wähnte, td) Ijänge an bem feinen. 

$er einfame unb oereinfamte Sttann ftarb, als td() 
fd^on Pfarrer in fjpreiburg war, an ©e^imerwei^ung 
eines elenben $obe3. — 

(Sine allgemeine SBemerfung mfldf>te td) Ijier bod) nod& 
anfnüpfen. 2Ran foHte inberartigentfjeologtfdjenSBilbungS* 
anftalten ftetS ben jüngften Repetitor jum älteften HurS 
unb ben älteften unb erfahrenden Sßriejter junt jüngften 
Qa^rgang tyun; benn bie ange^enben Geologen oerlangen 
eine fubtilere SBe^anblung als bie eingelebten. 

Unfer ©raun war faum einige Qa&re älter benn 
wir, unb bef#alb ertrugen wir audO oft mit Unwillen 
feine SBemerfungen. — 

$)ie einzig Ijeiteteu ©tunbeu meiueS erften Äonotf ts« 



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— 229 - 

JahreS boten mit bte „SRefreationen* im £aufe unb bic 
„Spaziergänge" in« unb außerhalb bct ©tobt Die erftcrn 
fanben in einem eigens bafür beftimmten ©aale ftatt, in 
meinem auch eine größere ^Ingahl tatholtfcher >Jeitungen 
auflag. 

2ln Donnerstagen unb Sonntagen rourbe Nachmittags 
unb am Dienstag jeweils SlbenbS SBier ©erabreicht Da^u 
gab'S ©efang, ftartenfpiel unb eine Seitlang auch eine 
S^ncipjeitung. Qu leitete lieferte id) zahlreiche fatmfdjc 
2lrtifel, bie oom ^ßublitum mit großem Beifall aufgenom* 
men mürben, oon einzelnen mir aber fernere fteinbfchaften 
eintrugen. DaS 93ier mar in ber SRegel Verglich fcffledjt. 
Der Lieferant, ein fogenannter guter &att)olif, glaubte, 
roetl er zur Partei gehöre, müßten bie ^onoiftoren fein 
etenbeS ©ebräu allein trinfen. (SS gibt heutzutage noch 
oiele ö^ntic^e ftumpane auf tatholifcher Seite. 

Doch ber Stoff auS ber Brauerei £ mar menigflenS 
immer noch 33ier, ein Präparat auS $opfen unb Sttalz, 
unb fo tränten nuYS mit fetterer XobeSoerachtung. §d) 
oertilgte im Anfang noch, nach Otaftatter 3lrt, viele 
Schoppen, bie jeber fich behn %a$, baS einer ber Diener 
beS Kaufes bemachte, holen unb begaben mußte. 

Diefe ^onoiftSbiener fpielten nebenbei bie SÄoHe von 
*ßotizeibienern. SBenn einer am borgen nicht aufftunb, 
menn bie ©locfe beS ^ßoxtterS burch bie buntein ©ange 
hin in bie Kirche rief, ober menn einer feljr oiel SBier 
traut, rapportirten fie beim Direttor. Doch muß ich ju 
<$hten beS letztem fagen, baß, trofcbem ich mich beiber 
Sünben oft fchulbig machte unb man ihm fidler oft meine 
ßangfchläferei unb meine Sumperei benunjirte, er mir in 
biefer Dichtung nie einen SBorhalt machte. Qd) befag feit 
obiger Uuterrebung fein abfoluteS Vertrauen. 



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— 230 — 

3fn ben IRefreattonen gelten wir SRaftatter aller btei 
äurfe.in ber SRegel feft sufammen. 2Bie einft in ber 
„blauen Stab" am SJlurgftranb, matten wir unfer 3*§o 
gu ben fjüfjen beS grretburger ©djlofjbergeS unb benahmen 
un§, als waren wir nodf) in unferm alten ©lement, bis 
bie ©locfe uns auS biefem SBa^ne weifte unb in bie ein* 
famen 6tubirgimmer aurüeftrieb. 

Qeben Sftittag nadf) bem (Sffen war freier Ausgang 
bis 2 Ityr. %a gtng'S sunt 2$ore be§ ßonotttS tyn* 
auS wie ju einem langft nic^t meljr geöffneten 2auben* 
fdjlag, unb bie jungen Geologen aerfheuten fld& nadj) allen 
$immelSgegenben in* unb außerhalb ber ©tobt 

3$ sog mit einigen 9taftattern in ber Siegel bie 
ftatferfttafje auf unb ab. $urd) unb burdf) SBeltfinb, 
fachte id? 2Belt unb 9ttenfdfjen auf. ©ar &u fd^ned Der« 
ging bie 3eit bei biefem „Stommeln", unb mid) tröftete 
bei ber Sftücfteljr oft nur ber ©ebante, balb wieber in bie 
(Stabt )U fommen. Denn um 3 ttyr begannen meine pljilo* 
logifdfjen SBorlefungen unb fd()on eine SBiertelftunbe juoor 
entwtföte td& wieber bem mir fo läftigen 8onoiftS*©ef)eßc. 

Oft wenn tdj 9lbenbS jwifc^en fecIjS unb fleben Ufyr 
burd) bie bunfle @cl)ul)mad>ergaffe ber nod) bunflem $on* 
oittöfhra^e auftritt, unb wenn id> baju nod) fürs nor^er 
im ftoUeg einen ftorpSftubenten ober SBurföenfdjafter ge* 
fprodjen tyatte, fo faßte id> ben ©ntf dflufj, am anbern borgen 
aus bem ftonoift auszutreten unb ein „freier 4 ' ©tubent gu 
werben. SBarum tdfj biefen Söorfafc ebenfo oft fagte unb 
ebenf o oft nid&t ausführte, ift mir Ijeute nod) rein unerklärlich 

3n ber Siegel würbe an Donnerstagen bie Qzit ber 
Jreiljeit bis 4 U^r ausgebest unb bann wanberten bie 
ftonoittoren gruppenmeife unb im ßauffd)rttt burd) ben 
©ternenwalb ober tiberSoretto nad^ bem Dorfe ©ttnterStljal. 



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— 231 — 

$iefe$ fat wäßrigem 2^ale gelegene S>örfcf}en mar 
von jeher bei beliebtere &u§flug§ort für bie weltfreubtgen 
ftreiburger. 2Ber nie einen ßaffee in ©ünterSthal cje* 
tarnten, ber ift auch nicht recht in ber Reitern Qreifam* 
ftabt gemefen. 60 {türmten bennauch mit in freien ©tunben 
bem %\)älä)m &u, um im „©irfchen" ober im „^ibfelfen" 
SBier unb Kaffee ju trinfen unb ein fy$o ju machen. 

2Bie oft Ijatte ich jroölf ^ahre &uoor als ftnabe im 
(Sternenwalb mich ^ertungetrieben ober mar mit meinem 
©chmetterlingSgarn über ba3 „Sorettobergle* gebogen, 
glücflich im reinen Sßerfehr mit ber üftatur. Unb je^t eilte 
ich, unbefümmert um SBalbeSbuft unb (Schmetterlinge, bem 
SBierhaufe &u, froh, bem ftonoif tg$mang für einige ©tunben 
entrinnen ju fönnen. SBenn ich mir heute ben ftnaben 
beS QahreS 1847 unb ben Stubenten oon 1859 oorftette, 
fo fommt mir ber erftere oööig oerflärt oor. 

(Schopenhauer hat redt)t, wenn er fagt, baß im 3Jlen« 
fchen mit ber ©enfibilttctt unb mit bem ^nteUeft bie ©ter 
unb bie ßeibenfehaft wachfe unb bamit auch baS @lenb 
be§ Sebent. 

%q<$ ber Sttenfch wirb ja im Hilter roieber roie ein 
Äinb. Unb menn td) ^eute, ein alter Änabe, meinen tag* 
liefen 2öeg am ©ternenroalb hin mache unb einerfeitS bie 
ßinber fehe mit ihren (SchmetterlingSgarnen unb anberer* 
feitS bie ©rwachfenen in ihrem kennen unb $agen nach 
ben oetfe^iebenen $ergnügung£orten, fo möchte ich um 
feinen $rei£ mit ben leiteten gehen unb Ijabe weit met)r 
9Serftünbni| für ba3 treiben ber ftinbet. 

Hn SBei^nad^ten waren im ßornnft feine eigentlichen 
gerien, b. h. in bie ©etmath burfte feiner, aber täglich 
gab'3 Gelegenheit $um Ausfliegen nach ©ünterSthaL Qdj 
fing in biefen erften SBeihnachtStagen be$ 8onoift§lebenS 



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— 232 — 



an, ein eigentümliche^ ©mtenfpiel $u lernen. Qm britten 
ßurfe lebte ein ©chmarswälber, ©ifele an« SBonnborf, 
jc%t Pfarrer in ftriebenweiler, bet war SBirtuoS auf bet 
Sither, einem ^nfirument, ba§ burch fein gittembeS, ele* 
gif$e§ 2öefen mich attejeit angefprodjen tyat. 

Srotj meiner Dielen Äottegftnnben afforbirte ich mit 
bem ^it^erf piclcr ^ mir Unterricht ju geben in feinem 
©attenfptel. 2Bir tauften behn SHuflfalienhänbler 2Btb* 
mann in ber <5al$gaffe ein 3fnftrument für mich um 
fünfzehn (Bulben. 3$ *) atte « ne tinbifd^e greube an 
biefem $)ing. Allein mit bem Semen wollte e$ nicht nor* 
würtS gehen. 3ln ©ehör unb Vorliebe für SHujtt hat e§ 
mir nie gefehlt; aber ich war, wie einftenS beim ßtamer* 
fpiel, &u linftfeh unb ju täppifd) in ber ffittöerfcrtiöfeit. 
3?n biefer ©inficht glaube i$, bafc t$ nicht einmal ba3 
3eug ju einem orbentltchen ©chnetber in mir gehabt hätte. 

entleibete mir ba8 .ßitherfpielen & a * D * ® aS f° f^eubiö 
gefaufte 3fnftrument mürbe einem anbern theologifdjen 
ßunftjünger nerfauft, unb feitbem ruhte bei mir für immer 
bie ba§ ©aitenfoiel betreffenbe 3Rufe. 

Stafj in jenen Sagen, trofcbem ich ba§ äroeuinb$man* 
gigfte SebenSjahr erreicht fyatte, boch noch eine gemiffe 
naioe ßinblichfeit in mir wohnte, geigte ftdj auch an meinem 
Patfir, ba§ mich °& °w «ft» neuen Safdjenuhr ergriff. 
$er ftauf gefchah faft $u gleicher Seit mit bem ber gither 
bei einer UhrmadjerSwittwe in ber ßatferftrajie. 8t§her 
hatte i<$ noch immer bie alte, riefige Uhr meines ©rofc 
oater§ getragen, am Sage ber erften f/L ftommunion oon 
ber ©rogmutter mir überreizt. Qefct foUte ftc einer neu* 
mobifchen ßqlinberuhr weichen. 

äBie man leichtsinnig ijt in ber ^ugenb unb »ietat* 
lo§, geigt auch bie ©leidhgiltigfeit, mit ber ich bie Uhr 



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— 233 — 

beS „2Bälber*3Eaueri", meinet ©rojftaterS, weggab, £eute 
märe fie mir roerthooller als eine mit diamanten befettfe 
golbene — aber ich weif* nicht, too fie hintam. 

211S bie in mittleren Qafjren ftehenbe UhrmadprSfrau, 
bei ber ich bie neue Uhr taufte, meinen tarnen erfuhr, 
um benfelben nebft ber SRummer ber Uhr in ihr SBerfaufS* 
buch einzutreiben, ba mürbe ihr Angefleht lebhaft ge* 
röthet, unb fie fing ein Soblieb an auf meinen in ben 
^Erinnerungen aus ber Qugenbgeit* ermähnten SBetter. 
0 %zt fei ber fünfte ©tubent ihrer 3fugenb&eit gemefen, 
fie Ijabe i^n gut getannt unb manchen Sang mit it)m ge< 
than." (Schmerzlich berührte eS fie, als fie Don mir erfuhr, 
er fei w>r einigen fahren im fernften SBeften SlmerttaS 
als JJarmer geftorben. 

9JHr mar baS benehmen ber grau aufgefallen, unb 
ich interpeßirte über bie ©adje ben alten UnioerfttätSpebellen 
<5<hmtbt, ber ben Detter noch befienS getannt hatte unb 
ihm bezüglich feiner Schönheit baS gleite 3eugnifj 9 a ^* 
„3fa," meinte er lächelnb, „bie JJrau 3B. ift eben aud) eines 
ber Dielen fjreiburger 9Räbd)en geroefen, bie bamalS für 
ben ebenfo reiben als fchönen£anSjaf ob fd&roärmten. 2öenn 
er als in bie Serien ging, tarnen fie in Staaten gu mir, 
um feinen Aufenthalt unb feine 9lbreffe ju erfahren/ — 

9tn meiner Uhr aber ^atte td) {ebenfalls noch eine 
gröfjere ftreube als bie Uhrmachertn ehtft an meinem 
Detter. 2Bol>l hunbertmal beS EageS jog ich fte auS ber 
2afche unb betrachtete fie in Siebe, unb wochenlang fdjlug 
teine SBiertelfhmbe vom ftftünfter tyxab in meine bumpfe 
ÄonotttStammer, ohne bafj td) ihren (Schlag mit bem ©ang 
meiner Uhr verglichen hätte. — 

$n baS erfte Ctuartal meines ShmmttSlebenS fiel auch 
ber Slbfchlufc beS fo turjlebigen ftontorbatS jnrifchen ftarls* 



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— 234 — 

ruhe unb fftam. 3 m ^onoift würbe berfelbe an einem 
©onntag gefeiert mit bet nicht fehr geiftreich angeorbneten 
Sßerlefung bet einzelnen Paragraphen unb mit £ebeum. 
Qd) Detftunb bamalS von einem Stonforbate fo wenig 
aI3 ein SBauerSmann t>on ber fphfirifchen ©eometrie, bie 
^auptfadje mar mir, bafc e3 an jenem $age 0 %w(>Uz", 
b. h- beffereS ©ffen unb 3Bein gab am ßonmttstifche. 

Nebenbei gefagt, !ann ich ba§ ©ffen im ßomrift, wo 
barmherzige ©djmeftern bie ßüche beforgten, nur loben; 
e§ mar einfach, aber gut unb fräftig. ÜWur bie Sttehlfuppc 
am 9ftorgen ©ertrug mein Sttagen nicht, unb ich befam 
be&fjalb auf eigene Rechnung 3Küd). 3lm meiften waren 
mit bem ©ffen jene unjuf rieben, welche %vl £aufe nie etwas 
DrbentUcheS ju effen gehabt Ratten. $)iefe Seute matten 
bann auch als SBtfare bei ben Pfarrern bie größten 9ln* 
fprüche. ©S foU heute noch fo fein. 

9iadt) SBeihnachten begannen bie meiften jungen %tyo* 
logen auf bie ©emeftralprüfung, welche mit <5d)luf$ beS 
SBinterbalbjahreS t>on ben betreffenben ^ßrofefforen t>or* 
genommen würbe, fleh oorgubereiten. höbe fdjon oben 
gefagt, bafj im Äomrift überhaupt fhtbirt würbe; in ben 
3Jlonaten unb äBochen cor ber Prüfung aber ging'S her, 
bajj bie SBfinbe fchwifcten. Seute mittlem unb untern 
2alent3 unb bie mit fernerem ©ebächtnijj begabten ar» 
beiteten mit einer wahren IHiefenanffrengung. 

©3 ift eine Qual, folcher Tortur beS ©eifteS nur 
fehen ju müffen. einzelne liefen in ben ©fingen beS #aufe3 
mit ihren £eften auf unb ab, leife vot fid) hironircmelnb 
unb memorirenb; anbere fa^en hinter ihren „©olsburgen* 
in ben 3immern, forgenooH baS £>aupt gebeugt über bie 
„verba magistri u ; ein britter f uchte ben fernftat äBintel 
auf, um allein $u fein mit feinem #eft unb feinen ©e* 



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— 235 - 

bauten; ein wertet tafle in bet ftegel&afyt auf unb ab, 
roftyrenb bet fünfte hn tobten ©efttSud^ be3 OartenS feine 
©eufjer überS ($gamen au§f)audf)te. 

SJton mufj e§ miterlebt Ijaben, wie 2Biffenfc^aft unb 
Äultut ben einzelnen 9ftenfd)en beljanbeln, um ju begreifen, 
wie biefelben aüe SBölfet auSfaugen unb bann, su ©tunbe 
gerietet, megmetfen! 

3$ Ijatte, meinet ptylologifdjen SMegien wegen, nid)t 
fo t>iele Qät, um micf) ftüfje fdjon auf bie ©jamtna &u 
präpatiten. Sttein, (Sott fei %ant, fe$t glüctlid&eS ©e* 
bäd)tni6 machte eS mit möglid>, erft in ben legten atoet 
obet brei 2Bod)en ans ©tubiten ju ge^en. Qn futget ^ett 
unb mit gtofjet £eidf)tigfeit letnte id) jeweils ben 3nt)alt 
bet tljeologifdOen&otlefungenf ernten unb beftanb im (ganten 
butd)fdjnittUd() mit betSRote „sorsüglid)", toaS übttgenS 
nid^t aUjumel befagen wollte; benn in bet tbeologif djen 
gafultät roat bie Sftotenffala bamalS unb ift jefct nodf) 
eine übetfdjn>änglidf)e. ^n tutygeS fteutfdf) übetf t%t, bebeutet 
jenes „ootjüglid)" fo ©iel als fonft unb anbetSroo „gut". 

$ei bem gteifen Ctuäjtot unb $tbliotf)e!bienet SBagnet 
mufften bie oom egamimtenben *ßtofeffot unb bem S)efan 
bet 3?atult&t untetjei^neten {Jeugniffe flogen «««t ©ed)fer 
©ebityt pto ©tücf abgeholt roetben. Q$ tljat bieg fletS 
getn, roeniget bet «Beugniffe falbet, als weil bet Sllte 
immet etwas su et&äfjlen mußte oon oetgangenen Seiten. 
(Shc roat Xtompetet gemefen bei bem in $mbutg in ben 
groanjiget Sölten ftationitten Qnfantetietegiment unb tyatte 
jene ja^ltei^en ©ttettigfeiten anrifdjen ©tubenten unb ©ol* 
baten mitgemacht. <£t fd&tlbette bie bamaltgen ©tubenten 
als lautet £etoen unb liefen, gegen bie mit Jeggen 2lfa* 
bemif et toaste Sömmlein feien, betentyalb man nidjt mefyt 
©enetalmatfd) blafen unb trommeln müffe. 



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— 236 - 

©3 muß etnm§ SBafjreS an fernen Qfcrjäfjlimgen ge* 
roefen fein; benn ber in meinen Qugenberinnerungen ge* 
fd)ilberte „biete Wlefätt" fjatte mit uon ben ©öttinger 
©tubenten ähnliche $inge erjä^U nnb oor ber ©trettluft 
unb ber 2$atfraft berfelben allen 9tefpeft geäußert 

ÜDittte 2Jtär& &ogen mir in bie Dfterferien. ©in 
luftiges Ctuartett hatte ftd) aufammengethan, um burd)8 
©Ijthal bem ßinjigthal gujuroanbem. ©3 beftunb au3 
ben Geologen beS brittenÄurfeS: SJlüHer tmlgo Summier, 
©ifele, bem githeroirtuofen, ©clmeiber, bem SJtuftfanten, 
unb meiner blaffen Sänge. 

(Sdmeiber, ein „£anb§mann* von mir, ein geller, 
be$ SBärenmirthS ©otyn, beffen Sefanntfchaft ich erft im 
Stororitt gemalt, mar ein mufttalifdjeS ©enie. ©r blies 
alle 3nftrumente, befaß aEe guten unb fchmachen ©eiten 
ö^ter ®ölme ber ^oln^mnnia unb oerbanb bamit eine 
®emütf)lid)teit unb ©eelenruhe, bie „lein Unglficl nieber* 
jufchlagen" im ftanbe mar. 

9ßir jroei Ratten ben SBinter über, in ben bunfeln 
ßomrittSgängen manchmal SlbenbS hin* unb Ijerwanbelnb 
unb ber ©eimath gebentenb, ausgemalt, gemeinfam unb 
&u ^uß in bie Serien gu stehen. Um ben Qubel tedt)t 
füß s u machen, luben mir ben gttherfpieler ©ifele unb 
ben ©änger SttüHer ein. 

@o tarn e$, baß an einem fonnigen „SMratag* m'er 
fibele Sttufenföhne dou ber Station ftenslmgen aus ba§ 
©fythal hinaufzogen. SBer unS nicht getannt, tonnte 
leicht auf ben ©ebanfen fommen, bie SBanberer möchten 
„fahrenbe SJluftfanten* fein; benn ©ifele trug feine gttfjer 
bei ftch, ^Bummler eine Partie ©efangbücljer unb ©djneiber 
ein fleht e§ Sßtolbhorn, auf bem er SBtrtuoS war. Unb in 
ber %$at wollten mir an jenem 2lbenb ein Äonjert 



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— 237 — 

geben in ber „^ßolnfjnmnia" im bagetifrfjen $of in #aSle, 
unb unfere 3lntunft nebft Programm mar bereits bem 
%ottox fteeberle notiffeirt. 

3$ glaube faum, bog jemals luftigere Sftenf chen burch 
baS ©Ijthal jubelten als mir wer Styeotogen an jenem 
Frühlingstag. $)ie SBolten jogen fo licht unb rein am 
Rummel hin, oon allen Sergen unb SBfttbern raufchten 
bie Sächlein, unb bie Sögel mupsirten unb fangen mit 
uns, bafc baS <&ho fchaUte von einer ^^almanb gur 
anbern. 

damals tönte noch bumpf burch baS Xf^al hin ber 
©ifenhammer t)on ^ottnau. $ier mar ich t>or {leben fahren 
einmal gemefen mit meinem Qugenbfreunbe „SBiltjelm, bem 
©ammerfchmieb", bem ©chmetrmer für ©dnller. @r hatte 
für feinen Sater ©efcf)äfte ju beforgen beim ©ammerfdnmeb 
von SMnau, unb an einem fomügen £erbfttage hatten 
mir bie Serge überfliegen unb maren Ijinabgemanbelt gen 
ftottnau. S)eS ©ammerfchmiebS Zö$terlein, ein roth* 
mangigeS, blonbhaarigeS SJßägbletn, ^atte in SBilhelmS 
$erjen bie erften Junten ber ßiebe gemectt, unb auf bem 
£eimmege fömärmte er nicht nur für Schiller, fonbern auch 
für baS »SRöSletn* in ber buntein (föfenfchmiebe. 

$)a mir tyutt norbeijogen am „#ammermert", hielt 
ich ©infehr unb fragte nach bem „Sftann am Feuer 4 ' unb 
feinem Söchterlein. $er Sater mar tobt unb baS attagb* 
lein nach Slmerita auSgemanbert. $te Erinnerung an jenen 
heitern (Septembertag mar getrübt 

S)raufcen oor bem mingigen $)örflein Äollnau, in baS 
ber gemaltige Stettenberg, ber $anbel, pnfter h^rabfehaut, 
fteht einfam an ber rechten fchalwanb, unmeit ber Süchtigen, 
braunen ©Ij, ein fleineS #äuSd)en. £ier mohnte in jenen 
Sagen ber 3Jleifter ©traft, ein Meter, behäbiger SWann; 



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— 238 — 

bcr braute ein Iränfletn, fo fein unb rein, wie fte eS im 
Sflfindjenet „^ofbraV nicht bcffcr machen. 

%a jogen an ©erfragen ^bie #etren* oom nahen 
©täbtchen Söalbf irch herauf nnb an Sonntagen bie ©imonS* 
loälber Säuern, bie tapferften (schroaramä'lbet beS bretfjig* 
iäfjri^en ftriegeS, ^mab tnS %fyal pxm „©trafc" unb 
tränten, bis bet SBottntonb übet bie buntein SBälber ftrahlte 
unb ihnen heimleuchtete auf ihren {teilen $faben. 

£ier fehrten aber auch bie ©tubenten ein, wenn fie 
von ftreiburg tyt ihren 2öeg ins äinjigthal fugten, unb 
ergaben ftd) bem $runt unb bem ©efang, fo bafc eS mancl)* 
mal Sftitteroacht würbe, bis fie bie h^e Sßafferfcheibe 
jnrifchen ©fy unb äinjigthal, bie # S8ierect", erteilt hatten. 
2Ber roetß, wenn nicht baS „Rodert" in #a§la<h unS 
gemahnt Witt, ob eS unS heute nicht auch gegangen märe 
wie mir fp&ter manchmal, nftmttd) ben ganzen Nachmittag 
in ber tleinen @tube fortjuflngen unb fortgutrinfen! 

Oefter§ fam td) noch auf meinen ^erienmanberungen 
burch§ ©Ijtfjal in baS S8ierhäu3cf)en an ber Zhalroanb, 
baS lefcte Sttal nach faum beenbigten ©tubien, im 3Jlär$ 
1864. Sttit mir roanberten bamalS meiner ©eimath 8U 
ber fpätere SBtfdjof Äübel unb ber Prälat oon ©d^ler. 
$eute, ba ich bieS fdjreibe, frnb beibe tobt, unb auch ber 
Stteifter ©tratj braut l&ngft tein SBier mehr, er ruht brüben 
auf bem SKrchhof ^m fjluff c. $)a foll man nicht elegifch 
geftünmt werben! — 

<£S buntelte bereits, als mir bie SBafferfcheibe über« 
fd)titten hatten unb brunten im fttnjigthal anlangten. S3ei 
ber ,©$neebaKennrirthüi" ju ^offtetten warb ein 2lbenb« 
floppen golbenen 2Bein3 getarnten, unb ©djnetber blies 
ein ©tüct auf feinem SBalbhom thalabmärts ©aStach 
ivu $)er Sftägelemefcger oon #a$le, mit jungen Qxt^n be* 



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— 239 — 

laben, gefeilte fld) unterwegs $u un$, angelocft burch bie 
fügen £öne beS SBalbhomS. (Schnetber blies baS Sieb, 
beS „Säger* Slbfchieb" oon ©ichenborff: 

Sief bie Söelt oerworren föaHt, 
Oben eiitfam 9lelje grafen, 
Unb wir fliegen fort unb Mafen, 

2) af$ es taufenbfa# oer^aUt: 
Sebe rooljl, 

Sebe wo§l, bu fdjöner Salb! 

Unb nur fangen, roaS baS 2Balbf)orn blies, unb in 
bie SBälber ber £ehnath Hangen unfere ßieber bis Inn* 
auf $u ben f)öd)ften, bunfeln SBipfeln. — 

heimwärts tom ic$ fpät gebogen 
9laty bem väterlichen £ouS, 

3) te (Sebanfen weit geflogen 
Heber 93erg unb £§al oorauS. 

SJtutter unb ©rofhnutter empfingen ben jungen %\)to* 
logen, an bem fle fo feft gejmeifelt, aufs freunblid)fte. 
Unb wenn er ihnen auch noch fein befmitioeg SRefultat 
feines SBletbenS im ftontrift geben fonnte, fo Ratten flc boch 
nicht fo Diel ermattet. %xt ©rofjmutter nahm meine $Be* 
gleitet in3 Quartier, ©p&t am Slbenb liegen mir unfer 
ßonjert log unb ernteten reichlichen SBeifaU. Steine alten 
$oln^nmnia*3freuttbe munberten ftch, ba&^omriftSmenfchcn 
fo fettet nnb luftig fein tönnten, nxtfycenb bie ©rflätung 
biefer ©rfcheinung boch recht nahe lag. 

2lm folgenben borgen geigte ich meinen ftreunben bie 
Serge unb Sßälber meiner Qugenbjeit, unb am Nachmittag 
^ogen mir thalabroärtS nach 3 e ^ ^ ^Särenmirtp^auS*. 
^m fröhlichen ffiaHfahrtSftäbtchen am Sarmersbach hatte 
ich manch alten SBefannten &u grüßen, unb e$ mürben 
©tunben lauter, gambrimfcher 2ujt ht« »erbracht. $)te 



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— 240 — 



$oefte bcr ßnabenjeit mar ja ooruber, unb ber SJlenfcf) 
ftanb außerhalb be3 $arabiefe§. 

©o unb ähnlich oergingen meine elften Serien als 
„$hwloge", (ein Qota <wiber3 als in ben Sagen beS 
tHaftattcr ©ejtanerS. 9Rit ber ©eifilichtett oerfehrte ich 
fo roenig rote früher, unb auch bie ftirdje befugte ich nur 
an ©onntagen. SJietne religtöfen begriffe entfprachen 
meiner tfjeologifchen QnteHigeng, unb bie tyatte baS innere 
©ebiet beS ©laubenS bis jeijt in mir nicht oer&nbert 

(§£ mar bamalS als 33 Kar im Pfarrhaus ber fo früfje 
oerflorbene, talentoolle unb feeleneifrige ^riefter ©äring, 
ein Dffenburger ftinb. @o freunblich er mich auch JU fleh 
einlub, fo gerne wich ich ihm auS. 3$ befanb mich roeit 
behaglicher in ben alten geriengefeUfdjaften unb auf mei* 
nen einfamen SBerg* unb SBalbgängen. 

$>aS ©ommerfemefter 1860 begann unb mit ihm eine 
neue ^fe meines ftampfeS für unb gegen baS ftonoift 
2>ie Urfachen beSfelben tarnen von äugen. Qn ber fünften 
grühltngS*unb©ommerS$ett bie Sage in einem gef^loffenen 
SRaume oerbringen &u müffen, mar mir fajt unerträglich. 
9luch ber ÄonoittSgarten braute buftenbe ^Blumen unb 
blfihenbe Zäunte heroor, aber fic felbft tomen mir oor, als 
weiften fie hinter ber übcrmenfchlicf) h<>h*n SÄauer auS 
©eimroeb nach Suft unb ßicht — roie oiel mehr erjt ich! 
©ar manchmal roanbelte ich oerftimmt unb melancholifch 
in biefem ©arten unb mebitirte, roie ich bwi 3 roan 9 
loSroerben Wnnte; $u einem feften ©ntfchlufj brachte es ber 
Träumer aoer nte. 

95on ben ©ommeroorlefungen hörte ich, roaS Rheologie 
betrat nur gerne bie „ Einleitung in baS Sfteue Seftament" 
oon Dr. 3Kater nach beffen geiftreichem unb tritifchem SBudj. 
SBörterS „Itytmt ber »eligion unb Offenbarung" fefcte 



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— 241 — 

mehr theologtfd>en ©inn unb theologifche »Übung oorauS, 
als td) befaß. 

SRetne helle ^reube aber hatte ich in ben p^ilologifc^en 
SBorlefungen an beut »^ufqbibeS" unb bcr Literatur 
bct griechifchen Sßoefle* t>on SBaumftar!. $)a8 war Sttuftf 
für meinen Ijalb heibnif djen, für flafjifcheS SHterthum 
jugenblich fchwärmenben ©eift. 

SSfoi fd}titmnften tarn ich weg bei meinem etften unb 
legten Sßetfmh, auf einet beutfdjen ttmoerfttät Iß^ilofop^ie 
hören ju motten. $)er $o$ent biefet S)iSgiplin war ber 
©ofrath ©engler, ein 2ftann, bem ein unenblicheS SBohl* 
motten auS atten 3ügen fprach, ber aber alles eher als 
ein ^ß^ilofop^ eigenen S)enfenS fein mochte. SBer nicht 
Genfer oon $ ac h/ *• eminentes Talent ober ein 
©enie tft, ber fottte eben nie ^ilofopljie bojireu, wenn 
er mehr lefen witt als eine ©efc^idjte berfelben. 

2Bir matten ju britt, &mei Geologen unb ein junger 
*ßrin$ oon Hohenlohe, baS ftoUegtum beS ©ofrathS auS, 
ber über „prafttföe $^ilofop^ie M vortrug in einer Sflono* 
tonie unb ©chweroerftänblichfeit, bie jum SBerjmeifeln ge* 
roefen wäre, wenn mich nicht oft bie bunfeln SHegionen, 
in welche mein ©eift gerieth, Reiter gefttmmt hätten. 

Qu fein ©ehör eine ©tunbe lang bie bietften Unoer= 
ftänblidjfeiten aufnehmen unb nachfehreiben ^at benn bod^ 
auch etwas ßorntfcheS, unb Schopenhauer fyit oöllig recht 
wenn er einmal f treibt: ,3Birttid) beluftigenb muß eS fein, 

einen ^Wophk^öfeffor au f ^ cm i u M«», 

ber bona fide feinen SBortfram vorträgt, gan$ ehrlich, 
in bem 2Bahn, bieS feien eben ©ebanfen, unb oor ihm bie 
©tubenten, welche ebenfo bona fide, b. h* im felben 2Bahn, 
anbädjtig anhören unb nachfehreiben, währenb boch im 
©runbe weber ber eine noch bie anberen über bie 2ßorte 

$an$ia lob, etuMen§e»t. ]6 



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— 242 — 

hinausgehen, oielmeht biefc, nebfl bcm hötbaten Ätatjen 
bei gebero, baS einige 9leale bei bcr Sache ftob." 

Stfe ^üofopljie fott auf unfeten ttntoetfU&ten heute 
noch ebenfo unoetftänblich bojitt werben wie 311 meinet 
Seit - 

3$ würbe ein mittlerer $)retßiget, bis ich wieber 
einmal oetfuchte, ^^ilofop^ie ju fhtbiten, aber jefct etft 
als künftiger treibe td) biefe ebenfo oft mißbrauchte als 
mipüerftanoene Utttjienfcgaft mtt Harem (stiemten uno 
Stetftehen. 

$t)iIofopl)ie, beutfdje, mobetne, foHte jebet gebilbete 
(S^riftenmenfc^ bis ans ©übe feines fiebenS fhtbiren unb 
»erfolgen, (sie wäre ihm ber lichtefteSBeweiS oon ber 2Baht* 
heit beS ehtitfenthumS. SBenn man lieft wie biefe £erten 
$htlofophen mit ber (Stange im SRebel herumfahren unb, 
wenn fie baS (£f)riftenthum niebergeriffen gu haben glauben, 
bodj immer wtebet gu bemfelben jurücf festen, wenn fte 
etwa§ Vernünftiges behaupten wollen, fo freut man fleh 
boppelt feines chrijtlichen ©laubenS. Sttuh h*t beifptelS* 
weife ber fcharffinnigfte unb geiffreichfte unferer neuem 
$h^°f°P^/ (Schopenhauer« ber fonft als ein fehreeflicher 
©etft beS Unglaubens gilt, mehr benn jeber anbete oon 
ber ©öttlichfeit beS ©hnftenthumS überzeugt 

3m gleichen Sommer 1860 würbe td) auch 1*3 Opfer 
einer anbern SBtffenfchaft, ber ich f eitbem hoheSlufmettfam* 
feit gefchentt habe. SBit färnnttlichen Ronoiftoren mußten 
unS reoaeciniren laffen, benn bie ^Blattern gingen um, unb 
bcf^alb befdhlog unfer £auSat&t, Dr. SBlaS, uns burdt) bie 
Sanjette gu fd^en. Sftir belam bie $rogebur fo fehlest 
but$ Riebet unb hochgefcfiwollenen 9Itm, baß ich, kauf 
unb elenb hintet meinet ©oljbutg im ©tubitjimmet ftyenb/ 
fdjroor, bem ^mpfteufel auf bie ginget &u fehen unb ihm 



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— 243 — 

für mein ganaeg Sellen absuföwören. 9$ fjabe SEBort ge* 
galten, unb einer metner erften fdfjrtftftellerifcfjen SBerfudje 
war „ba§ ©üdtfein gegen baS ^mpfen". 

£)od) bei jebem Unglfidf ift in ber Siegel ein (Stücken 
@lücf, unb bie 3mpfnarbc au§ ber geit ber föetmccination 
bestimmte jtoci Qafjre fp&ter ben Keinen, alten 9bnt$arat 
von SBolfad), mir in ben Serien ein 3eugnijj auSguftellen, 
bajj i# al§ ftinb fo t>or$ügüd) geimpft worben fei, baß 
Ijeute nod) eine ftattltdje SRarbe fitlj geige. SKefe Utfunbe 
war l)od) von Sfötfyen, um in3 Seminar aufgenommen gu 
werben, beim meine SJiutter $atte bie erjte Smpfquittung 
uerloren. 

Qdj Ijoffe, baß no$ bie >Jett tommi, in ber man all* 
gemein barüber ladjen wirb, baß e§ eine *ßeriobe gab, 
meldje von jebem $>eutfd)en, wenn er irgenbwie SBater 
unb Sftutter t>erlteß unb in ber SBelt ftd) umfe^en mußte, 
einen Qmpffdjein verlangte. 

Unferem ©auSarjt fiel id> fpäter normal« unter bie 
£5nbe wegen SJlagenentjünbung, gegen welche er mir 
auc$ mit einem ©auptmittel ber alten ©d&ule gu §tlfe 
fam, mit „Blutegeln". $a§ bamalS verlorene 95lut reut 
tmd) fjeute nod). 

3m ftonoitt beftunben jraei ftranfenaitmner, bie aber 
feiten von ©djwerfranten belegt waren. S)ie meiften $a* 
tienten tonnten trotj i^rer Seiben ben Sag über bem gego* 
fpiel obliegen. 3Kand)e würben au$ ftftnbige „Spital« 
brüber", um bem „dolce far niente« unb längerem (Schlaf 
gu fytlbtgen. Bisweilen fölüpfte au<$ einer, ber bem 
Quanten für bieSmal au3 bem SBege geljen wollte, unter 
bie JJittige be3 Dr. SBlaS. tiefer war einer ber bräoften 
SJtänner an ber S)reifam, aber fein großer fttagnofttter. 
SBeber für bie Seiben noclj für bie $aulf>eiten unb £ag* 

16* 



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— 244 — 

biebeteten einjelnet feinet „^arienten" fanb et bie rid&ttge 
s <ßtognofe. ©eine ©utmütj)igtett wat fötmlid) baju ange* 
tfjan, attetlei jugenblidjen Uebetmutl) &u ptoüojiten. 

2Bie gut bie Patienten im ftonmtt aUetmeift aufgelegt 
waten, beweift bie 2öette, bie id> in meinen Sftianfentagen 
bamalS einging. ©3 galt, gleitet Seit einen Brief 
fd)tetben, einen »tief ju biftiten unb mit einem dritten 
ju tonoetftten. 34 gewann bie SBette ttofc meines Sttagen* 
leiben« unb SBlutoetlup. ©eute bin i4 man^mat nic^t 
im ftanbe, nut wenige feilen *u f4tetfen. Sic transit 

gloria cerebri! 

3m ©ommet beS 3a$te8 1860 feiette einet bet be* 
beutenbflen Sehtet bet Untoetfität, bet SDombefan £itf4et, 
fein fünftigi&^tigeS fcottotjubtläum. Sla^u bie gefammte 
©tubentenfdjaft oeteinigte fi4, um bem ebeln @tei3 eine 
#ulbtgung batjubtingen but4 einen gtojjattigen gaef el&ug. 

S)et teic^e £)ombefan liefe biefe Ooation m4t unbe* 
Ioljnt unb lub bie gacfelttäget alle auf einen 9to4mittag 
ein in ben ©itf4en ju ©üntetStyal. $af$ £itf4et „etwas 
wi4fen" wetbe, Ratten wir tJOtauSgefeljen, unb bie meiften 
befdjloffen, baS irrige $u einet tüdjtigen ge^e beisuttagen. 
34 rnufete füt ein ftonfottium oon meinem Kaufmanns* 
onfel eine Rottum bittetet 3Ranbeln beif4affen, als Littel, 
triel trinlen §u fönnen, <4ne betauf 4t JU wetben. ©ie 
wutben auf bem äöeg na4 @üntetStl)al gelaut S)te Äauet 
waten fämmtli4 „alte 9toftattet*, unb wenn ein folget in 
jenen Sagen no4 8« & ittwn 3nanbeln griff, fo leiftete et 
©igantif4eS im fcrinten, wie bie ge!)atnif4ten bittet bei 
ftutnietaeü. 

ffiie ein milbet £etbftabenb faß bet alte $irf4et im 
©atten ju ©ftntetStljal untet bet lätmenben atabemif4en 
®4aat. S)te walbigen SBetge ringsum bilbeten einen feiet* 



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— 245 — 

liehen, bunfeln Rahmen um baS ©djladjtfelb, währenb bct 
raufchenbe SBalbbad) am «©arten hm übertönt toarb oom 
©ang ber Printer. (SS war ein milber, bacdtjanttf eher 2:00, 
mie flc ber ©tubent Hebt in jener £ebenS$eit, rt)o, um 
phtlofophtfch reben, ber „blmbe SBille ben ^nteUeft fo 
oft jurücfbrängt*. 

Unfer ftonoiftsbtreftot trug biefer SebenSperiobe in 
ebenfo vernünftiger als freunblicher 9lrt Rechnung unb 
gab nicht biofj im ©aufe, fonbem auch auswärts uns 
öfters Gelegenheit, etwas „auszutoben*. So würben jeben 
©ommer gemetnfchaftliche 9lu3flüge oeranftaltet in bie 
herrliche Umgebung von Jreiburg, wo jeber SBalb unb 
jebe 33erge§^ö^e ein gutes SBirt^^auS birgt unb trägt. 
£)er ftireftor unb bie Repetitoren matten bief e ©jturfionen 
mit unb liegen babei bem S)urjt unb ber Suft ber ©tu* 
beuten freien Sauf. S)er einzige, melier bisweilen ein 
griesgrämiges ©eftdjt fchnitt, war ber fromme Repetitor 
Söraun, ber naioe 9Jlenfd)entenner. 

Stttt innerem SBiberwiUen aber fehrte ich jeweils in 
baS Äonoift jurücf oon folgen Touren, bie mich wieber 
l)atten „ahnen laffen, was JJreitjeit heißt - '. 

34 bin für meine Sßerfon heute noch lein ^reunb 
oom ftonoittSleben unb glaube !aum, baß ich nochmals 
baS 3 eu Ö 8 U bemfelben in mir trüge, faUS ich roieber auf 
bie 2Belt tarne; allein eS wäre ein Unrecht oon mir, wenn 
ich bie Einrichtung unb £auSorbnung im ftreiburger 
ftomritt, objeftio angefehen, tabeln wollte. $)te tttnftalt, 
wie fie unter ber S)treftton beS fpäteren SBifchofS ftübel 
beftunb, war burchauS frei oon Uebertreibungen unb trug 
bie möglichfte Rücfjlcht auf SBebürfniffe, wie fie ber beutfche 
©tubent unb ber junge 3ftenfch &u haben pflegen. 

Qn ben ©ommcttagen anno 1860 nahte mir ein ftatfcr 



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— 246 — 



Sttephifto, ber mich in grofje SBerfuchung braute, bem ßon* 
mft Slbicu ju fagen. ©3 tarn her Kaufmann unb Senf* 
fabrifant ©otterbarm von £a3le, ein ebenfo intelligenter 
als in jeber $e&tel>ung freiftmriger 3Jtann, nach greiburg 
unb fudf)te mich bei biefer Gelegenheit auf. 3$ fyatte als 
fineeift manchen &benb beim „$aferhan8" mit ihm ge* 
trunfen, gefungen unb feine freiheitlichen Sieben angehört 
unb ihnen vielfach jugeftimmt 3113 Flüchtling mm 1849 
war er in Stalten gewefen unb wuftte oieleS p erbtet 
oom Sanbe jenfeitS ber 9Hpen. ©in ^einb ber # *ßfaffheit" 
unb JJreunb ber SBolfSfouoer&mtfft behanbelte er in alT 
feinen SReben bief e beiben ©egenftänbe mit ebenf ooiel 9B&rme 
als ©efehief. ©r hatte an mir in jenen Sagen ftetS einen 
üerftänbntfjinntgen ßuljörer gefunben unb wuuberte fich 
befftalb boppelt, mich als %työU>a,m wiffen. 

Qch melbete bem $)treftor, ein „ Detter non 4>a3lach" 
fei ba, unb {teilte ben Antrag auf freien $lu§gang / was 
natürlich gemährt mürbe. 3Bir machten einen Spaziergang 
ins SBrücflc, brausen an ber Sanbfirafje nach ®t. ©eorgen. 

SWeifter ©otterbarm ging nun unterwegs fcharf mit 
mir gu ©eridjt, fprach mir jeben theologifchen SBeruf ab, 
erinnerte mich an erft furj vergangene ßeiten unb mahnte 
bringenb, boch nicht ©eiftlicher $u werben, Qn mir fteefe 
ba3 3 CU Ö &u e to«n freifinnigen 2lboototen, ich foßte 
Qurift werben unb tftmpfen für Freiheit, SBolt unb SSater* 
lanb. $ln ©elb mürbe e8 mir nicht fehlen , unb babei 
jog er einen SBeutel ooll glänjenber -SftapoleonS au3 ber 
$afd)e, oon benen er mir jebeS beliebige Quantum $ur 
erften Verfügung fteUte. 

9loch nie ftunb meine Sljeologte an einem gef äh*K<h*nt 
©chetbewege, wie in jener buntein Slbenbfhmbe auf ber 
©rüde beim botanifc^en ©arten, unb noch nie wanberte 



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- 247 - 

■ 

ic$ fo feft entfäloffen, e§ om anbetn 3Rorgen gu oerlaffen, 
bem füllen Romrift &u. $>er Sttorgen tarn, ber ©otterbarm 
ging, unb td> — blieb im Äonoitt. 3Ber weifj, wie baS 
gef<$al|? 34 weift e8 ni<$t. ^ebenfalls aber waren bie 
näd&flen $age ©on jenen, oon benen ber $)iref tor mir fpäter 
oft jagte, er $abe mir manchmal angefeljen, bag idfj anf 
bem ©prunge gewefen fei, aus bem äonuift austreten. 

%tx ©otterbarm ftarb erft 1892, ein 3lcf)tjiger, als 
$Utfatfjolif, unb bie £a3lacf)et ftürmten bei feiner SBeerbt* 
gung ben t>om Pfarrer oerfd)loffenen Rirdjtyurm, um bem 
alten SJreifieitSmann ins ©rab g» läuten. — 

Stoib nad) ber ©otterbarm'föen 93erfu^ung fam bie 
3eit ber Prüfungen über bie gehörten SBorlefungen unb 
mit ifyten bie Serien gu Anfang beS 9RonatS 9luguft. Qd) 
jog bteSmal allein burdjS ©Igtfjal unb befugte en passant 
in SBalbfird) ben 2lboofaten 8enj, ber xwr furgem oon 
©aSlad) l)ter!jer ge&ogen unb beffen @efeUfd>after u$ in 
ber „*ßolt$gmma" nod) gewefen mar. 

£aSlad) fjatte fein SBejirfSamt oerloren, unb Seng 
ging oon bannen, nad)bem er eine gange ©eneration l)in* 
burd) an ber fttn&ig — .ßego gefpielt. S)enn biefeS ©piel 
unb ein guter 9ttorgenfd>laf bis in ben Wittag hinein liegen 
ifon wenig 3«t, feine ^rogeffe ju gewinnen, ©r trottete 
befftalb aud) md)t na<$ ben SReidjtfyümero btefeS ßebenS 
unb nafjm genau nur fo mel Arbeit über fid), als jur 
JJriftung fernes ©ageftolaen*$)afeinS notljmenbig war. 

©3 gehört ju meinen früljeften ©rinnerungen, bafj 
id) al§ ftnabe um bie 3ttittagSjiunbe ben biefen fcottor 
ber Meente oon ber SBorjtabt, wo er wohnte, am elter« 
liefen ©aufe oorüber bem „ftreug" m guwäljen unb fpdt 
am SRadjmittag wieber fyimwanbeln falj: baS SBilb beS 
behaglichen ©tiUlebenS. 



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— 248 — 

Harn ein neuer ^Beamter ober ©eiftlidjer nadj §a§* 
lac^ ober in beffen Umgebung unb traf in ber ©efeUfdjaft 
ben 2lboofaten 93enj, fo war beS lefctem erfte ftrage: 
„können ©ie aud) $ego fpwlwt?* SQBurbe biefe oerneint, 
fo antwortete 39en$ trot&ig: „(SS ift eine ©djanbe, wenn 
man 14 $aljre ftubirt l)at unb mdjt «ßego fptelen fann." 
«ei ©eiftlic^en fügte er nod) ^inp: „SBenn td> 93ifd>of 
wdre, id) l)ätte ©te nidjt auSgeroetyt" 

®er biete SJlann mar auS ©alem, ©o!jn eines Softer* 
Beamten, mußte oiel oom alten (£ifter&ienferfttft ju erjagen 
unb fyatte in beffen Schute aud) baS Drgelfpiel gelernt 
QdE) fafj tyn aber gleid)rool)l nie in einer ftirdje. 

©ein College unb Sttitaboofat im §eunatf)lid)en ®e* 
ridjtSfprengel, ber Anmalt SBlattmann, ein geborener ©fc 
tfjäler, ftunb i&m in jeber #inftd)t mürbig &ur ©eite. 9lud) 
er Ijtelt baS $ßro$efjfül)ren für ein gum Lebensunterhalt 
notfyroenbigeSUebel unb arbeitete in feinem SBeruf nie mehr, 
al§ foroett eS fein ebenfalls ehelofeS S)afem erf)eifd)te. 
S5o$ befaß er ibealere ^afftonen als fein biefer ßoHege. 
©eine £teblingSbefd)äftigung mar Vogelfang unb 2öan* 
bem in JJclb unb SBalb. (Sx mo^nte im legten £aufe 
am füblidjen ©tabtenbe, am Älofterbadj, um mit einem 
©d)ritt in ber freien Sftatur ju fein, unb gar oft begegnete 
idj in meinen ftnabenialjren bem ernften, fd)mar$en SRann, 
wenn er ftiU finnenb burd) bie ^luren ftretfte. 

SBcibc Slbootaten finb mir Qbeale tf>reS ©tanbeS unb 
roo^l bie einzigen ©totfer biefer ftafte im 19. Qa^r^unbert 
gemefen. ©ie ftarben beibe arm unb mittellos, ©ie Ratten 
baS ©elb in ben $afd)en ber Sauern gelaffen, benen fie 
r-on ^rojeßfrämerei abriefen, wo fte fonnten, unb bie 
btfäalb ihr 3lnbenfen fegneten. — 

Slnmalt Söcnj empfing ben jungen Geologen in 2Balb* 



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— 249 — 

fird) auf I freunbltdfjjte; benn id& Ijatte als 3 c Ö°fpi^ er 
langft fein $er$ gewonnen, d£r führte midf) in bie „2lrd)e" 
311m Jrüfrfdfjoppen, bann in bie „Sßoft" 311m Etfdf) unb 
gab mir fdf)ließltd) baS ©elette bis ItfnauS „&um ©traft", 
roo wir unfer leftteS ©laS pfammen tranf en. 2Bir nahmen 
im Meinen £au3d(jen an ber @l& 3lbfd&teb auf Limmer* 
wieberfef)en; benn nidjt lange barnad) legte ftd) ber gute 
Sttann jum ©terben nieber. 3$ aber gog an jenem £age 
lebensfroh weiter über SBerg unb fcljal ber lieben §eimat^ &u. 

2luS ben nun folgenben JJerten ftnb mir &wei @r* 
eigniffe befonberS erinnerlich, ber SBefud) beS S)treftorS 
©djraut unb ein fleiner ©trajjeuffanbal mit förperoerleften* 
bem 9lu3gang. 

3$ faß eines SlbenbS, mit bem 9totar von ber 3agb 
prücfgef ei)rt , in ber „^olgfjgmnia", als mir auS bem 
£otel ®reu& bie ftunbe fam, eS fei bort foeben ein #err 
angekommen, melier nud& ju fpred&en münfd&e. Unhöflich, 
wie immer, ließ tdf) bem $errn fagen, wenn er SBter* 
trtnfer fei, möge er bod) in unfere ©efettfd)aft fommen, 
worauf er mir melben ließ, er trinfe feinen ©erftenfaft 
unb bäte mid), it)n aufjufuc^en. 

Sßergebltdf) war eine 33efdjreibung be§ Unbefannten 
burdf) ben inbeß $um S3ier gefommenen Äreujwirtb SJlerf le. 
Qcf) fonnte fein erfennbarcS SBilb befommen, unb fo trieb 
midf> mefjr bie üfteugierbe als bie £äflid)feit bem „ftreuj" 
ju, Sttetn ©taunen unb meine greube waren fo groß 
wie bie SReue über meine ©rob^eit, als td) in bemftremben 
meinen SqceumSbireftor fanb, ber, als richtiger Sßreuße, 
an feinem X^ee faß. ©r war auf einer ftußreife ba£$injig* 
t^al ^erabgefommen unb wollte, in $aSladj übernadjtenb, 
nid)t oerfäumen, feinen „langen #anSjaf ob" rufen ju laffen. 
oer$id)tete auf jebeS geiftige ©etrcmf unb oer* 



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— 250 — 

brachte ben ganjen $Ibenb freubenooH tu ber ÜR&fye be$ 
oon mit fo §od()oerefjrten ßeljrerS. 2lm anbcm 3Rorgen 
gab id) ifjm ba§ ©eleite auf bie S8erge§l)öl)e gen ©laadj 
bis jur „93ierecf". äBäfyrenb wir bic peilen *ßfabe tytnan* 
fließen, fpradf) bet geiftreic^e 2ftann über bie latetnifdjen 
unb grted)ifd)en Älaf jt!er, oortoeg über #oraj unb ©omer, 
feine Sieblinggfdjriftfteller, fo ergreif enb f$än, tote i$ 
Ujn nodj nie gehört. @3 toar aber auö) fein # ©djroanen* 
gefang* einem feiner aufmerffamften 6cf)üler gegenüber. 

*iluf bem ©tpfel beS Herges Rieben mir toie SSater 
unb ©o^n bem ©eifte nad). 3ttein ©erj war im £inab* 
fletgen sunt £f)al überooU oon SBere&rung gn bem grofseu 
Setter unb oon fd)toarmerifd)er Siebe jum flafftfdjen 
^eibentfyum. 93on ber ^eibburg" herüber fommenb, be* 
gegnete mir bamalS ber alte ,$)otfmütter" oon £offtetten, 
ein guter SBefannter oon meinen Öagbjügen |er. @r toar 
eben mit feinem #unbe auf ber £>ül)nerjagb getoefen unb 
begleitete mi$ nun toeiter bergab, ©ein Jägerlatein, in 
toeldjem ber alte 2ttüUer fjatte boltoriren fönnen, braute 
mid) toieber ab oon meiner elegifdfjen Stimmung. 

21m @nbe be3 JaljrjefjtttS, &u beffen Anfang mir auf 
ber ©ergebe geftanben, ftarb ^treftor <5$raut, nod) 
ein künftiger, ffieil ba$ Programm beSlRaftatterßgceumS 
bem 3Jtanne feinen 9todf>ruf getoibmet, tyat td) e8 oom 
Söobenfee avß, in etroaS fdjarfer 9lrt gegen ba3 £obt* 
fetytoeigen meines Siebling§le^rer§ loSjiefjenb. 3113 id) balb 
nad$er auf ber fteftung Raftott gefangen fafj, befugte 
mid) einer meiner ehemaligen Seljrer, aber ntdjt in ber 
9lbftd)t, mid) su tröften, fonbem um &u erfahren, ob iclj 
ben 9?ad?ruf getrieben, toaS nidfjt ferner toar, ba id) 
meine ©ntrüftung toieberljolte. Jetjt oerrietl) mir ber §err 
^rofeffor eine ©d&toäd&e aus bem *ßrioatleben beS S)iref- 



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— 251 — 

tor§ als ©runb jenes ©chroeigeng. D tateinifcher ©chul* 
metfler, o ©plitter* unb Sittenrichter, backte ich unb gab 
f olgenbe Slntroort : „2teber$err *ßrofeffor! 2Begenbtefe§ 
gehlerS f»ätte ©djraut ©taatSmtmfter fein unb ben fd)önften 
Nachruf von bet SBelt erhalten fönnen." SRicht eine 
©etunbe lang fchroanfte meine SBerehrung gegen ben be* 
beutenbften ßebrer meiner (SgmnafhtmS&eit. 

©chraut mar bei feinen Kollegen ntct)t beliebt, meil 
er geifttg um ©lephantenlange über flc hmau3fdt)aute, mit 
ihnen am Slbenb fein SBier tränt unb feinen SUltagSfohl 
fchmfftjte. $rum mürbe er in beliebter Hrt tobtgefchnriegen. 

2Ba§ ben $)ireftor ©chraut auch äußerlich als genialen 
Sttcenfchen tenngeidjnete, mar ber Umjtaub, bog man tfjm, 
mie auch meinem Untoerfttätelehrer Saumftorf, ben latei* 
mfcfjen ©chulmetfter gar nic^t anfah. $>en „Diis minorum 
gentium" unter ben flaffifc^en Philologen prägt fleh nicht 
ber (Seift ber Klaffijttftt, fonbern nur ber lebeme ©inbanb 
ber alten <£obtce§ im 2leuf?ern auf, fo baß ihnen ber 
fteife, langweilige, lebeme ©chulmeifter aus ber ganjeu 
Haltung, au8 aUen äügen unb aus allen Knopflöchern 
Ijcroorfcbaut. 

SJtein ©chraut aber präfentirte fleh mie ein oor* 
tragenber ©taatörath im Wurmartigen 3lmte. — 

SBeniger erfreulich ift bie jmeite Erinnerung aus ben 
©erbftferien beS Jahres 1860. <£§ mar ein ftommerS 
fämmtlicher 2ttabemtfer be§ obernRinsigthaleS nach&aSlach 
bejtimmt unb mit ber üblichen Kneiperei abgehalten morben. 
2lm Slbenb sogen mir ©tubenten mehr als bierfröhlich 
burch bie ©tragen be§ ©tctbtchenS, fingenb unb l&rmenb. 

SBor bem „Stäben" marb $alt gemacht unb mit meinem 
„SBetter Karl*, bem bamaligen SRabenmirtt), unb mit feiner 
Familie unterm fjenfter gefprochen. Stiugj? um uns f ammclten 



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— 252 — 

fleh hierbei bie ©efeflen unb gehrjungen be3 ©tctbtchenS, 
roclc^e nach altem $etfommen ihren nächtlichen ftorfo ab« 
liefen. 3^ re Sßeugierbe ärgerte un3, wir geboten ihnen, 
fleh gu entfernen, unb ba fte behaupteten, für „ihre *ßl&ffr" 
bajuftehen, tytb mit tem ©toef auf bie 9ttenge ein. 

®ie ging aus einanber, aber einen alten äüfergefeHen 
hatte ich am Ätme ferner getroffen, n>a§ mir am anbern 
borgen in aller ftrühe, ba ich noch ju SBette lag, ein 
©enbarm mittheilte. Qum %anl für biefe oerfrühte Slttnon* 
cirung nrieS ich bem 2flann be3 ©efe^eS bie Xhüre unb 
oerroeigerte jebeS Verhör. 3lm Nachmittag machte mich 
aber ber mir fehr roohlrootlenbe DberamtSrichter SBobe* 
müller auf ber Kegelbahn im „SBauerifchen £of" auf bie 
folgen ber ganzen Slffaire aufmertfam. Qx übernahm e3, 
ben ©enbarmen $u befchroichtigen, unb mir rieth er, mit 
bem SBerle^ten ^abgumachen" . ®a§ that bie bef orgte Butter, 
welche ben SJcann jum S8ürgermetfteramt§oenoefer, bem 
^utmacher S. ßtlguS, fommen lieg unb mit fünf ©ulben 
6chmer$en3gelb befriebigte. 

(£3 mar bieg bag erfte 9ftal in meinem ßeben, bafj 
ich bei öffentlichem Auftreten mit ber öffentlichen Dtb> 
nung in SoHifion geriete aber auch ba3 etngige 2Jtal, wo 
ich f° geHube babet roegfam. 

Qahre gingen in§ £anb, ich ro ^r oiel älter, aber nicht 
Diel flüger geworben, au3 bem ©toefftubenten h^tte fleh 
ein polittfeher ©treithahn herauSgebilbet. 2118 folcher ging 
ich eines £age£ einfam ein SBergthal ber $etmath hinauf, 
fta fteht plö^lich an einer ©trohhütte ein greifer -äftann oor 
mir, grüfjt mich ehrerbieHg, fteUt fleh oor als ben ehe« 
maltgen ßüfergef eilen unb erinnert an jenen Slbenb. <Sr 
that bie§ aber mit folch* jufriebenem Sächeln, als ob er ftch 
etroaS einbilbe, oon mir emftenS „gehauen" toorben $u fein. 



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— 253 — 

3$ fdgüttelte Hjm bie£anb unb fagte tfyn: „Sieber 
JJreunb, fcib getroft, $fyt feib längft gerächt, mid& ^oben 
feitbem SBelt unb 3Renfdf}en meljr als genug eingefperrt, 
geprügelt, gefcefct unb gepeitfd&t, fo baß bet ©treid), ben 
S^r an jenem Slbenb uon einem leid)tjinmgen ©tubenten 
befommen Ijabt, bagegen wahres Äinberfptel tft" „£o, 
#ärr,* meinte er, „t glaub'3, benn i fya baoo fdjo g'Iäfe 
in be 3^^ un d e * AP 

3$ gab tym ein ©tücf ©elb §u einem fcrunf, unb 
mir trieben im IjeUften ^rieben. Qx lebt Ijeute nod) in 
feiner $ütte unfern ber Äarfunfelftabt — 

3ttit beginn be§ SBinterfemefterS 1860/61 trat td> in 
ben jroeiten tyeologifdjen #ur8 ein, in meinem idf) meine 
gläubige Ueberjeugung enblidf) gewann, unb pmr au£ ben 

18orIefungenüber(at^olifc^e^ogmatilt»ott^ofefforaGBörter. 

®§ galt unb gilt biefer fdjon ermähnte UmoerfttätS* 
leerer bei mannen Geologen md&t als gelehrt unb ortljobos 
im neueften ©inne. <Sr trägt &u wenig föolaftifdje ©pi|* 
pnbigfeiten oor unb läfit e3 an unoerftänblitfien trafen 
fehlen. Qu ber Geologie geljt e3 mand&mal wie in ber 
$!>ilofopl)te. 3e f>ol>ler einer bojirt unb föreibt unb je 
^ö^er er feine äußrer auf ben SQBoHen feiner trafen 
trägt, um fo meljr wirb er oon allen Summ* unb ©ofjl* 
föpfen angeftaunt. ©o §at e§ ein $egel in ber $f)ilo* 
fop&te beS 19. Qa^r^unbertS &u einem Reiben ber 9Biffen* 
fd&aft bringen fönnen, unb fo gilt in ber beutföen £ljeo* 
logie — nomina sunt odiosa — mancher für ein bog* 
mottle« ©enie, weil er Singe ju fagen unb $u fd&reiben 
weiß, bie er felbft ttid^t oerfteljt 

3$ f)abe fpäter mandE^ bogmattfdfjeS SBudj in ber 
|>anb gehabt, mit manchem »fublunen" Geologen bigputirt 
über Dogmatil, aber ftetS gefunben, bafc <ßrofeffor 



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— 254 - 

2Börter§ euifadje3,gutc§ „©djroatäbrob" mit am beften jus 
faßte unb mit bat $fpafen gegenübet jum ©iege fcalf. ©§ 
gibt mele Geologen, bie meinen, wenn einet ben XfjomaS 
Don Gattin nid)t ftubitt Ijabe obet einen feinet -iftadjafymet, 
fei feine $)ogmattf nichts. Ottern 2#oma3 oon &qum mar 
ein ©enie, unb füt foldje ift „bte beutföe SBklt nid&t ein* 
gerietet" ; mit unoetftanbenen $f>taf en abet einem ©eme 
nachäffen ift bie fc^roerfte SBetfünbigung gegen einen 
foldjen ©eift SBenn ein .ßumgiefjet diamanten in 93lei 
faffen «HÜ, fommt genriji etroaS tedjt Ungefdu'tfteS IjetauS. 

3$ bin überzeugt, baji, wenn ein fold) Ijodtfliegenbet 
tfjeologiföet ähmgiefcet mit bie etfte Stogmattf »otbogitt 
$ätte, id) nie &u einem gläubigen ©egtiff be3 fatfjoltfäen 
£ef)tgebäube£ gefommen ro&te. $)tum lafj id) mit ben 
^ßrofeffor SBöttet nidjt freiten. Stufig, einfad) unb Hat 
ttug et feine Dogmatil not, unb nadjbem td) tlrai aroei 
©emeftet juge^ött Ijatte, mat ufc ein übetaeugungSooHet, 
pofitio glaubiget 3Henfd) gemotben. 

SBon bet Sßetfon be§ $etlanbe8, vom ©tläfunggmett 
unb uon ben ©aframenten fcatte t$ bisset abfolut feine 
richtige SBotftettung gehabt. Qe^t belam id) flc unb bamit 
au$ ben testen SBegttff non Steigt unb Slbenbma&L 3m 
©ommetfemeftet be3 jmeiten tljeologifdjen ÄutfeS Ijabe id) 
ba8 etfte 9Ral im Seben mit oollem 93etftänbnifj gebeizter 
unb fommunijitt. SRein SBeidjtoatet roat bet milbe *5)om* 
ptäbenbat ©einübet, ein altet §err au§ bem ©djroetftet* 
gebiet welket füt meinen bamaligen ©eelen$uftonb not* 
ttefflicfc pa&te. 

$)utd) $)ogmattf befam td) ©laube unb Siebe füt 
bie Geologie. 3)a8 *ßtieftettfmm watb mit &um Qbeal, 
unb ba t$, fo oft no$ im ßeben ein foldjeS mtd) ergtiff, 
ffcts mit meinem ganzen fyupetfanguimfdjen Sempetament 



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— 255 — 

bafür fdjmärmte, tannte id& nichts Jjpöt)etc§ meljr, betin 
^tieftet in roerben. SBaS trot)bem unoeränbett blieb, mar 
mein SBibenoiQe gegen baS ftonoiftSleben, Gittern, weil 
baSfelbe bet notljmenbtge$>urcijgang gurförrei^ung meines 
neuen SbealS **** fo würbe e8 mit menigftenS ertrag* 
ltd&er als bisset. 

SBei einem toeit gefeierteren Seljrer, als SBötter mar, 
profitirte td& in ber gleiten .jett tro£ feiner Genialität 
nid&tS. 3$ meine ben *ßrofeffor unb $)ombefan £trfd)er, 
ber unS im SBinterfemefier 1860/61 feine legten SBor* 
lefungen über 2ftoral gab nad& feinem eigenen Sefjrbudj. 
£irfd)er, ein geborener 3Bürttemberger, mar ein genialer 
Sflenfdj, allein £eute mit geniefjafter Anlage Iciften burd) 
ifjre Schriften in ber SRegel nidjt feljr Diel fürs praftifdje 
Seben. ©o ging eS aud) ©irfdjer mit feiner fttuffaffung 
unb StarfteUung ber djriftlid&en Sttoral „als ber ßeljre 
oon ber 93erarirflidE)ung be§ göttlichen SRetdOeS in ber 
Sttenf d)I)ett*. S)te ftbee roa* getftreidj unb mit allem ©djarf* 
finn eined tiefen $>enferS burd&gefütyrt, aber baS SBud) für 
junge Geologen mel gu fdjroer, $u (ompligirt unb fo aHeS 
efjer als ein Seljrbucfi. 9Jlid> Ijat baS ©tubium (einer 
tyeologtfdfjen fciSjiplin fo felpc gelangmeilt als baS ber 
•äftoral nad^ $irfd)er. 

Da§ nämltdje fann man oon ben $irfa)er'fd)en 8ate* 
dornen fagen, mit benen bie Sugenb unferer $)tfljefe oor 
breijjig unb meljr .^a^ren förmlich maltraitirt mürbe. 
#irfd>er mar jeitlebenS Repetent unb $rofeffor geroefen 
an ©ocfyfdjulen; mer aber nic$t mit ftinbem unb mit bem 
3Sol(e jahrelang umgegangen, fann feinen populären Kate* 
cfyiSmuS fdfjreiben, unb menn er audfj ein ©enie märe. 

©letdjroofyt flaute td& oerefjrungSoofl an bem greifen 
8e$rer hinauf, ber, bamalS f$on ein (Siebenter, ein 



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— 256 - 

tlafftfö fdjöneS (Befielt Ijatte unb eine in fyrtjem ®rabe 
e^rtoütbige (ähcföeutung war. $0$ feine Äflrperträfte 
oerliefsen Üjn gufeljeubS; gebrochen fafj et hinter fernem 
&atf)eber, unb mültfam trug er feine ©adje 00t. (S$ fam 
tyn fidjtlid) fefa ferner an, fetner $fltd)t als afabemiföer 
ßeljrer nodj nadfauf ommen. Qm (Sotmner Ia8 er nid&t meljr. 
@3 fupplirte nun im Äonoift ber Repetitor beS sroeiten 
^urfe§, (Sfyrat $>ie ©ad)e mürbe momöglid) nod> lang» 
roeiliger, trotjbem ber ©upplent ein talentootter 2Rann mar. 

3$ f)abe fpater mieber^ott verfugt, bie 9Jloral ©ir* 
fd)er§ uno tenore gtt Iefen; e3 mar mir unmögltd). Sftan 
fann oon biefem smeifelloS genial angelegten SBud) fagen, 
ma3 oon ber 9Refjtobe SUopftodS. dagegen farmonire td) 
tyeute nod) feljr mit$irfd)et3 „^Betrachtungen über bie fonn* 
täglichen ©»angelten", in benen fld) bie gan&e reidjeQnbtoi* 
bualität £>itfd)er3 unb fein tiefe« ©emütl) auSfpridjt ©ie 
finbrniroftmiafornmene^ot^elferim^rebigtamtegeroefen. 

eine ©elebrität lernte i$ im 9Binter 1860/61 
jutn erften Sftale als Seljrer lernten, ben *ßrofeffor Hlban 
©toi). 3$ glaube, e8 gab bamalS in S)eutfdjlanb feinen 
afabemifdjen Stoßenten, ber meniger fogenannte ©elefyrfam* 
feit befeffen I)ätte als Sflban ©toi), unb bo$ merben bie 
>}ul)örer faum bei einem ^rofeffor me^r proptirt ^aben 
aU bei biefem „ungelegen". 

Originell unb llafftfd) populär fhtb bie ©Triften unb 
roaren bie Vorträge oon 9Uban©tol$, unb beßmegen gießen 
unb sogen fte fo Sefer unb $örer jeben *8tlbungggrabe3 
an. Sttertmfirbtg mar bei ben ©totyfdjen SBorlefungen, 
bafj ber ungemein troefene unb monotone Vortrag ben 
©inbruef be3 ©efagten burc$au§ nidjt minberte, maS aber« 
malS oon bem gemidjtigen ^nfjalt feinet ©ebanfen jeugt 

9ßer ba weife, bafj er nur oorsüglidje SBaare oer* 



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— 257 - 

fauft, ber braudjt bagu feine rebner ifdjen SBenbungen; wer 
aber leiste 2Baare auf ben 2flartt bringt, ber mufj baju 
etwaS ftrafefjl marfjen , fonjfc bringt er pe mdjt an ben 
s JJlann. SDiefc ©rfajjrung fann man gar oft bei $ro* 
fefforen unb ^rebigern machen. 2Uban Stolj gehörte nidjt 
gu ben 9RSnnero ber $l>rafe unb ber blenbenben 9W>etorif, 
er gab otele unb gute Soße unb wenig ©efd&rei. Qm 
3(af)re 1875 nod) Ijörte id^ ifnt gum erften 2flal in einem 
(SebirgSborfe bei SBlubeng ben ^Bauern be§ oorbem äBalfer* 
tljaleS prebigen. S)iefe tonnten taum mef>r ergriffen fein 
als id). $>ie SÄebe mar fortgefe^te Monotonie, aber, was 
er fpra$, fiel nieber wie gebiegeneS (Mb. 

3$ Ijörte im gweiten tf)eologifc§en Äurfe bie Söor* 
lefungen btefeS $rofeffor$ „über c^riftlid^e ^ßabagogtf * unb 
füllte midf) fofort oon ifjm angezogen, trotfbem bie be* 
treffenbe £>i$gipltn mir etwas 2ßilbfrembeS war unb etwas 
gu frfif) fam in meinen t§eologifdf)en ©tubien. 

9Uban ©tolg fjatte einft mele 3?einbe, weil er gu 
jenen Sftenfdjen gehörte, bie ftetS fagen unb f treiben, wie 
ftc beuten. 2Ber aber, wie id& in fpäteren Q^ren, baS 
©lücf gehabt l)at, biefen tyeiligmäfjtgen 3ftann näf)cr {ernten 
gu lernen unb in feine Anblicke Seele gu flauen, ber 
wirb ifyt lieben unb oere^ren von gangem £ergen. Unb 
wer ifnt nidjt perfonlidf) fannte, aber ben innern 9Uban 
(stolg in feiner gangen Sfteligtofttät unb fßoefte bewunbem 
will, ber lefe feine „SBitterungen ber @eele". Qn meinen 
Singen ift biefe <5d)ttft fein ©auptwerf, mir immer luicber 
ein <Srbauung§bud& unb babei fo ooUer güge tiefer *ßoefte 
in ber StarfteUung, bafj ein flafftfd^er 2)i^ter nid)t fd&bner 
fcfyreiben tonnte. Sd&on manchmal f>ab T t$ bieS SBud) 
gugemad)t mit ben SBorten: „%aä ift ein ©djrtftftetter 
oon ©otteS ©naben!* — 

^auöiatub, etubunseit. 17 



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— 258 — 

©o oft ich an bie beiben genialen Setter, #irfchet 
unb©tol$, prücfbenfe, fommen mir &wei ©ebanten: ein* 
mal, wie unenbüch r»erfd>ieben grofje ©eifteSgaben in ben 
Sflenfdjen fich äufjern, nnb bann ber 3Buufch, fold^e SJtctn* 
net in fpäteren Satyrn wieber ^ören &u t önnem 9ttan ifl 
in ber Unioerfität^eit boch noch ftu jugenbltch unb ju wenig 
für innere Reflexionen angethan, als baß man hochgeifHgen 
Septem recht folgen ftmnte. ©S geht einem mit ben 3Renfd)en 
wie mit ben ©Triften ber SHafftfer, man ^ört nnb lieft fle, 
aber baS befte baoon verfielen wir nicht in jenen SebeuS* 
jähren. Unb fo wie einer einen (Stoetze, Starte, Styron, 
©fjaf efpeare anberS lieft mit oieraigSahrenbemt mitjwanjig, 
fo würbe er and) grofje £ehrer beffer begreifen benn efjebem. 

Qu allen Reiten meinet Sebent bis &ur ©tunbe ^abe 
ich mich gerne in ©^cremen aufgehalten unb bann alles 
übertrieben, ftürmifch, leibenfchaftlid) unb im haften 
©rabe fanguinifdj. ©o trieb Uh'S auf bem Sqceum mit 
bem *ßotuliren unb fo auf ber Unioerfttät unb im ©emt* 
nar mit bem ©tubiren. $)en ganzen $ag bis pm tiefen 
SIbenb in ben Sßorlefungen ju fttjen, war mir eine £uft, 
unb jebe ©tunbe, bie mir neben ber Geologie übrig blieb, 
würbe auf philologifdje „ftottegten" oerwenbet. üttamentltd) 
im Söinter 1860/61 würbe ofjne jebe föücfftdjt auf @e* 
funbheit gehört unb gelernt 

3$ trat in baS philologtfche ©eminar ein unb machte 
fämmtliche lateinifche unb griechifdje Arbeiten unter Settung 
beS <ßrofefforS Stoumftarf mit. SBei bem gleiten Sehrer 
hörte ich noch „©efchichte ber profaifd&en Literatur ber 
©riechen* unb „^acituS' ©ermcnia*. SBet ^ßrofeffor 
SBüdjeler las ich ^^Iriftop^ane^ 2Bolfen", unb oom £of* 
rath 3JlüHer oemahm ich SBorlefungen über „populäre 
Slftronoutie". 33on ben lederen profitirte ich am wenigften 



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- 259 - 

3$ hatte, weil bet Sternenhimmel immer fo mächtig auf 
mich white, etwas SftähereS barüber ^ören wollen; allein 
wa§ ich ^örte, ging weit über meinen $ori&ont, unb baju 
mürbe oiel geregnet, wag nid^t wenig baju beitrug, mein 
Uuoerftänbnijj &u oergröjiern. 

Um fo gröfjern Gewinn 50g ich au3 Stoumjiarte 
„©ermanta be3 $acttu$\ 3>a3 war be§ *ßrofeffor3 
SieblingSfchrtftfteller unb barum bie 93orlefungen über 
£acttu3 Ilaffifch fdjön unb im ^öd^ften ©rabe belehrenb. 
Sßie ein belphifcher Dberpriefter auf feinem Steif ufj, fa§ ba 
bie gewaltige ©eftalt 93aumftart8, wenn er über SacttuS 
rebete, auf bem ftatheber unb fprach in feierlichem Drafelton. 

Süseler behanbelte ben 9lrtfiopl)ane$ mit einer fo 
geiftreichen Seichtigfeit, bafc man nur ftaunen muffte über 
ben blutjungen *ßrofeffor. Qtem unb abermals, id) habe 
oor ben freuten als Schutmeifter unb ©olbaten un* 
entwegten Sftefpeft! 

3m ftonoift genoß ich vom jweitenfturfe an wenigftenä 
eine Heine 3lnnehmlicf)feit. 3$ ^ a ^ e & e * OT ^wgug in bie 
Quartiere ber zweijährigen Geologen ben $)ire!tor ge* 
beten, mich in ein Limmer p thun, in welchem ich möß s 
lichft wenig ©efellfchaft hätte; benn ba3 3ufammeneffen, 
«ftubiren unb Schlafen war mir neben bem ^rühauf fteheu 
entfehieben ba§ wiberwftrtigfte am gangen fömmftäleben. 

•äftein SBunfch warb erfüllt unb fo fam ich in ba§ 
fleinfte 3itttmer gu ben gwei erften imäurSalphabet. SBeibe 
waren ebenfo fromme als fleißige Seute, aber in melen 
©tücfen himmelweit oerfchieben oon meinem SBefen unb 
<$h&rafter. (Sieichwohl tarnen wir ftetS frieblich aus, meift 
jeboch, wie ich meine, au3 bem ©runbe, baß ich 
wenigen ©tunben, welche ich * m Äonoift äubradjte, ehrlich 
unb reblich h^ter meinem Stubirpult ©erfchlief. 

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- 260 - 

2ftir gefiel biefe tleine ©tube fo gut, bafj td) aud) im 
britten ftonntftSjalfre in berfclbcn blieb unb bann $mei 
Geologen be3 gweiten fturfeS als Kommilitonen Ijatte. 
2lucfj fie waren 3 eu & en ' oa f* ^ et fafoft* ftamerab war, 
weil id) fc^r t)iel fdjlief. S)er eine non it)nen ifl bereite 
unter ber ©rbe, ber anbere aber l)at fidj jum *ßrftbenbar 
am erjbifd^öflic^en S)ome emporgefdjmungen, eine Söürbe, 
bie i$ nie erreicht Ijätte, fo wenig fie aud) befagen will. — 

3)ie Sonntage waren mit im &onmft§teben bie an« 
geneljmften Sage, foroeit eS ben internen SSerfe^r betrifft. 
Borgens gab eS einen gar frönen nierftimnugen Sft&nner« 
gefang im ©otteSbienft unb bisweilen audj eine mid) red>t 
anfpret^enbe ^rebigt. $)aS *ßrebigtamt übten bie Repett* 
toren abwedjfelnb mit bem Qirettor auS. 2BaS mir an 
allen ifjren Vorträgen nie gefiel, mar il>re Sänge. %\t 
Qualität betreff enb, übertrafen bie Repetitoren ben 3)iref tor, 
melier $u wenig #eit Ijatte pr Vorbereitung. ©igentlid) 
gut geprebigt, nadj meiner jefcigen ^Beurteilung, ^at nur 
ber Repetitor beS britten ÄurfeS, Schmitt, wäfjrenb mein 
„t^reunb", ber Repetitor SBraun, f$öne ^ßrebigten in 
s 3Jtofaif fettfe, benen man aber eben bie müt)eoolle 3"* 
fammenfe^ung $u fefjr anfal). @ie liegen befföalb falt 
wie eine florentiner 9ttofaif*$ifd)platte. 

Rad) bem fonntäglidjen ©otteSbienft fammelten ftd) 
Jeweils fftmmtlidje ©tubenten unb iljre @pt)oren im ©petfe* 
faal, unb e$ mußten ber Retfje nad) einzelne aus allen 
brei Äurf en 3)ef lamationen galten, um ftdt) im freien ©predjen 
5U üben. £)aS war mir an alT ben Sagen, ba tdt) nichts 
babei ju tljun Ijatte, ein Vergnügen. <£S fyitte für mid> 
etwas tf)eatraltf$ UnterljaltenbeS, unb wer wie id) für 
tomifdtje ©eiten im SRenfdjenleben empfänglich ift, fonnte 
babei oft reichlichen ©toff befommen. 2lber audj bie einzelnen 



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— 261 — 



(£fjarattere tonnte man ftubiten in ber 2lrt unb SBeife, wie 
fich bic jungen Seute in bie dtoüt ihres $uf ünftigen ^xebigt* 
amteS htoeinbachten. Me möglichen Btten oon <£mph<*fen, 
©efttfulattonen, Slugennerbrehen famen ba jutn SluSbrucf 
unb fenngeid^neten Den innem .guftanb beS 9kbnerS. 

SBaren bie $)eflamatumen $u @nbe, fo gtng'S gu Sifcf;, 
nach welchem, wer wollte unb ihn bezahlte, einen Kaffee 
bekommen tonnte, liefet ^omuttSfaffee benft mit geit« 
lebenS. Sitte Hochachtung cor ben barm^tgen ©<hweftern, 
auch cor benen, welche bamalS im Stonoift fönten, aber 
jener Kaffee war ein fchrecflicheS ©ebr&u: fahl wie Slfche 
unb biet wie SBierhefe. Unb boch — bilbete er einen $heil 
meinet leiblichen ©onntagSoergnügenS. SBenn td) mit 
einer <£igarre hinter einer Saffe biefeS unauSfprechlichen 
Sttotfa fafc ba t-ergafc io) für einige 3eit, bafc ich ungern 
im Äonoift fei. 

%a§ unfinnige Staufen hatte ich r-on SRaftatt noch 
mitgebracht jo *3 fieigerte ftd) meine Siebe gu einer guten 
Zigarre, weil ich flc in Jreiburg mm meiner Kaufmanns* 
taute fietS gratis befam. Qch lernte hier eigentlich erft 
bie „f etnen" Sabafe f ennen. 2Benn meine« Dnf eis 9tomen§* 
tag gefeiert mürbe, am 3. $)egember, ba gab'3 ächte £aoan« 
naS unb ©hampagner in güUe. aßerai aber an jenen 
£agen ber biefe 9ftann meiner Xante bie $raft beS SBeineS 
5u fpüren anfing, befam ich &ie fpifctgften Sieben 
gegen meinen theologifchen ©taub ju hören. 

£)otf) meine SabafSbampferei nahm gerabe im ^weiten 
3ahr meiner UntoerjttötSftubien ihr unerwartetes, bletbenbeS 
©übe, unb baS ging alfo gu : 3[m erften Qahr meiner fton* 
oft tSgett war ich trofc meiner übergewöhnlichen ftorperlange 
boa) nur ber Drittgrößte in meinem fturS; benn aus ber 
©egenb r-on 3Hannhetm hatten ftd) gmei #ünen eingef unben, 



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— 262 — 



bie um einen ober groei QoVi midfj überragten. SBetbe ftarben 
im erften, refpeftioe gtoetten Qafjre an ber ®d)mutbfud)t. 

3$ glaubte nun bei unfern f örperlidjen Söerroanbt* 
fäaft mdf)t anberg, als i<$ mürbe ber brttte fein im lobten* 
bunbe. Unb ba burd) baS triele S?oüegft£en unb bie fo 
üerftf)iebenartige getfttge $f)attgfett meine (Sefunbfyett uiel 
gu rofinfdjen übrig lief?, melbete tdO mtd) im (Sommer 1861 
eine§ £age§ bei bem freunblidjen ^ßrofeffor o. IRottecf, ber 
bamalS eine Autorität für „SluSfultation unb ^erfuffton* 
roar. (Sr erftärte meine Sungen für gang gefunb, mein 
#erg aber als gur #tjpertropI)te neigenb, unb oerbot mir, 
mefjr benn eine fyalbe (Zigarre t&glt<$ gu raupen. *#err 
^ßrofeffor/ fprad) id>, „lieber gar feine, als nur eine 
^albe/ <£S mar ber 15. ^uni 1861, unb feit jener @tunbe 
Ijabe id) feine Zigarre meljr geraupt bis $eute. 

211S id& meftr benn 20 Qafjre fpöter nad& ftreiburg 
fam als Pfarrer, mürben ber ^ßrofeffor unb idj gar gute 
SBefannte. Sttand&en 3Ibenb Ijat er bei mir gugebradjt, 
unb oft $ab' id) iljm gebanft, baf* er mir bie Anregung, 
nidjt mef)r gu raupen, gegeben b,atte. 3$ felbft aber 
fdjäme midj, fo oft idf) baran benfe, mit roeld^ entfd&iebener 
SBittenSfraft td> bem SRaudjen entfagt tyabe. #ätteft bu, 
fo fage id) mir jebeSmal, in anbeten guten &orfät}en ben 
gleiten feften 2BiHen gegeigt, bu ro&reft tyeute ein Sftann 
nacf) bem ©ergen ©otteS, unb manche Seiben mären nidjt 
fo jjart an bir oorübergegangen ! 

SBalb fonnte idO als 9ftdf)traud()er ben Qualm im 
„SftefreationSfaat" nidjt metyr ertragen, unb eS begann für 
mein gangeS, weiteres ÄonoiftSleben, roaS „SRefreation" 
anbetrifft, eine neue Sßfjafe. Qd) fegte mtd) an allen SBter* 
tagen allein in ben grofjen ©petfefaal, an ben f)interften 
Sifd), tranf mein SBier unb laS ober ftubirte. SDieS rourbe 



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— 263 — 

mir fo geroohnhtt&tna'fng, bafj td> bem gefelligen SBerfehr 
mit nteinctt Kommilitonen gänjlich fremb rourbe. 9ftetrie 
Unbeliebtheit ftetgerte flc&, unb ich mürbe noch mehr benn 
juoor als ^o^müt^iö »erfdjrieen. Unb boch war eS nidjts 
meniger als £ochmuth, ber feine Sttitmenfdjen mißachtet, 
fonbern lebiglich ©gotSmuS, ber baS that, maS bent eigenen 
Qch mehr besagte unb mehr &u frommen fchien. 34 &* tt 
ein berartiger (Sgoift bis ^eute geblieben unb jäfjle bis heute 
SU ben unter ihren Sftitbrübero „unbeliebten" @eiftli$en 
ber @r$biäaefe gpreiburg. SBenn Schopenhauer recht hätte, 
mare übrigens baS fein fchlünmeS Reichen. ®r meint, all* 
gemein beliebt feien nur bie Gumpen unb bummen ßeute. 

Steine burch ba§ ©tubium ber Dogmatil gewonnene 
reltgiäfe Ueberjeugung jeigte ftd^ auch bur<$ eine SBer* 
ftnberung meines folgern SebenS, vorab in ben fjerien. 
Qch befugte t&gltch ben ©otteSbienjt, mar nicht mehr fo 
burfdufoS unb bierhauSmögig unb fuchte mehr Umgang 
mit älteren, emften ßeuten. 

$n biefer Qtit machte tdj in ber $eimatf) $reunb* 
fchaft mit bem Kaufmann ©ahl, ber eben erft nach langer 
Slbwefenheit in feiner SBaterftabt fleh mebergelaffen, unb 
ben ich ©orher nie gefehen hatte, ba er meiner Änaben* 
Seit fchon in ber JJrembe mar. 3$ h^be faum einen 
erofteren, ruhigeren ÜDRenfchen im ßeben fennen gelernt als 
meinen fpätem JJerienfreunb $hütppu3. %abt\ mar er 
äufjerft oerftönbig, migbegierig unb oon einer ©anftmuth 
unb JJriebenSliebe, bie gerabe&u in (grftaunen festen. 

50er Umgang mit biefem Spanne mttfte auf mid) 
fanguinifchen unb ejaltirten 3ttenfd|en mie <£H3 auf fton* 
geftionen / unb nach bem befannten SBorte, bafj ©jetreme 
ftch oft berühren, fühlte ich mich ganj befonberS oon ihm 
angezogen. 3ltte meine ©ebanfen unb ^lä'ne unb im 



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— 264 — 

brüten &ur$ fclbft meine (£rftling§prebigten feilte ich 
beut füllen JJreunbe mit, ber bann mit tlaffifcfjer [ftufje 
barüber fein Urtt)eil fptad). 

Unter feiner ßabenthüre ftunb ich gar manchmal neben 
ifjm, bi^putirenb unb gefttfulirenb, rote eine flanbrifd)c 
2Binbmühle neben einem gefrorenen fcetche. (Er ift bis 
heute, ein greifer ©ageftolj geworben, ber gleiche geblieben, 
noch berfelbe ©totfer wie nor bretßtg fahren, unb fo oft 
ich ihn fehe, beneibe ich ihn um feinen DpttmiSmuS unb 
feine innere unb äußere SRuhe. 

Unter ben geiftltchen Herren, meiere in jenen £agen 
im ©ebiete meiner ©eimath roohnten, oerfe^rte ich am 
meiften mit bem bamaltgen ^ßfarroermefer 93enj oon 
9Jiüf)lenbach, bem fpätern (Stabtpfarrer oon Karlsruhe. 
JJaft täglich ^olte tch ihn an üRachmittagen ab in feinem 
freunbüd&en Pfarrhaus in bem lieblichen, engen Seiten* 
thal ber 8üt$ig. 

9lm ^Utroalb" Inn roanberten mir bann bem ©täbtdjen 
in, unb gteunb Stenj, ein ruhiger Genfer, mußte gcrotß oft 
im ©tUlen lächeln über meine theologtfehen Schwärmereien 
unb (Srtraoagansen, bie ich ihm oortrug. (Er felbft ^at 
mir in ben fiebjiger fahren manche meiner bamaligen über* 
trieb enen Slnftchten roieber in bie Erinnerung gebraut, unb ich 
mußte mich muubem, wie id) einmal fo geroefen fein tonnte. 
@t $aulu$ fchretbt: „3U§ ich einftnabe mar, backte ich 
mie ein $nabe, unb als ich ein 3Jiann mar, bachte ich 
roie ein SDRamt/ (Shr hätte, ba er ja auch SBorlefungen 
befugt h^tte, noch fagen fönnen: „%a ich «« Stubent 
mar, backte ich roie ein ©tubent." 

2öie jeber 3flenfch, ber fleh etroaS genauer beobachtet, 
leicht pnben fann, ift unfere ©ruubfttmmung täglich unb 
ftünblich eine anbere, Je nachbem mir nüchtern fmb, gegeffeu 



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— 265 — 



ober gefrf)lafen Reiben. 2Bett mefjr nod) cinbert ftd) bie* 
felbe nad) ben ^ßertoben beS SltterS, oorab bei geifttg 
tätigen Jnbhribuen. 9Ber in feiner SBeltanfdjauung son 
ben JfinglingSjaljren btö $um 9Jlanne§alter feine roefent* 
lidje Slenberung burdjgemadjt l>at, ber gehört jebenfaߧ 
unb abfolut in bie SHeifye ber aUerbiUigften Genfer. 

(£§ ijt mir $eute ein ganj befonbereS Vergnügen, einen 
©tubenten, mag fein SBerufSftubium btefeS ober jene§ fein, 
in feinem ganzen fdjäumenben, gäljrenben nnb oorlauten 
SBefen anhören. $>a$ Vergnügen baran befielt bann 
barin, bafc idfj lebhaft mid) felbft roteber reben fjöre, roie 
xä) in biefem Sllter aud) gerebet. Defcfyalb nefyme td) e§ 
aud) biefen jungen Herren nie übel, wenn fie nodO fo 
felbftgefäUig oon üjrer SBeiS^eit fpredjen. 

SBenn nun aber ein folc|er Slfabemifer, roie unfereiner, 
jroei Disziplinen ftubirt unb unter biefen Ätiologie, fo 
fteigert fidf) fein afabemif^eS SCBiffen in feiner ©mbilbung 
tf)unnl)od). Unb roenn man bann nad) Jatyren jurücf bltcf t 
auf jene§ 2Btjfen, fo fte^t man, roie einfältig man geroefen 
unb roie fe^r ©ra§mu8 oon IRotterbam red)t $at, roenn er 
in feinem „Sob ber Starrheit" behauptet, bafc bie ftrau 
©tultitia im Jünglingsalter am meiften florire. ©ans 
natürlich : Der Jüngling lernt unb fctyroaljt, roa§ er gehört, 
ber SJlann benft unb räfonnirt, genial ift nur ba£ fttnb. — 

Qm (Sotmnerfemefter 1861 befugte id& aufjer ben tf>eo* 
logtfdfjen SBorlefungen über Stogmatit unb Sttoral nod) bie 
Kollegien über „<£atuil" unb „gried&tfdje unb römtfd&e 
9Nt)tl)olo8fe* bet ^rofeffor SBüd&eler unb über „®efd)id)te 
ber Ätiologie" bei 58aumfiarf. 3$ fdnoärmte in biefen 
£agen gleichzeitig für ba§ <£l)rtftentl)um roie für ba§ 
©eibentfunn. 9lm borgen folgte id^ mit gefpanntefter 
Slufmerffamfeit unb frommer SJliene ben bogmatifeijen 23or* 



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— 266 — 



trägen beS $rofeffor§ SBörter unb am Sftadfjmittag freute 
id) mity ber $oefte unb ber ©ötterletyre ber alten Reiben. 

3luS biefem ©ommer ift mir nodj ein 2luSflug narf) 
Sircf^ofen, einem brei ©tunben t>on greiburg entfernten 
$)orf im IRebgebirge, erinnerlich ber siemltd) luftig enbete. 

llebnna, im ßomrift, im 6ommer ein ober baS 
anbere 9Jtal einen gröfcem gemeinfcfyaftlicijen ©pajiergang 
unter Slufftctyt beS S)irettorS ober eines SftepetttorS &u machen. 

©o toanberten benn aud) eines fdjönen ©ommer^fad)* 
mittag^ bie Geologen beS ^wetten unb britten äurfeS mit 
bem Repetitor ®^rat burdfc „baS #erentl)äld)en" nad) bem 
genannten ^orfe unb teerten in bet ^Shcone # ein, 

%a ©änger unb SJJtujtfanten aller ©rabe in JJütte 
unter uns roaren, fo fehlte eS neben einem guten £runt nicfyt 
an ©eiterfeit bis sunt fpäten SXbenb. 9Jlit bem legten $er* 
fonenjug roollte bie $al)lreidf)e ©efeUfdjaft oon ber eine 
Stunbe oon ßirdftof en entfernten Station ©djattftabt nad) 
ber 3>reifamftabt jurüeffa^ren, $0$ eine @ruppe blieb gu 
lange im SBirtljSfjauS ftfcen unb tarn gerabe jur ©ifenbafyn, 
als ber ßug abfuhr. S)a id) im SBirt^^auS nie einer 
ber erften oon benen mar, bie gingen, befanb aud) td) mtd) 
bei bem fleinen SKadjtrab. 

SBir befäloffen nun, auf einem ßeiterwagen nac^ ber 
©tabt jurücfaufefjren, bis ju beffen SBereitfteUung aber in 
ber Sfteftauration am$al)nl)öfd)en oonSc^aÜftabt nod) einen 
unb ben anbern Qtyopptn &u trinten. @o tarn eS, bafc 
mir leineSwegS nüchtern unfere bunt le £etmfal)rt antraten. 
Unter unS befanb fid) aud) einer „auS bem SReid) 4 ', b. i 
auS ^o^enjoUern. $)tefe preujjtfdfje ^ßrooins gehört &ur 
^töjefe greiburg, unb beSfjalb waren aud) bie (Stubirenben 
ber Geologie in unferem $onotft. 

S)ie preufnfdjen <5df)n>aben waren, foroeit fte *u 



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— 267 — 

meinet Qtit in ^teiburg meilten, fämmtlich burchauS biebere, 
ebrlidje, talentvolle Seute. ©iner von ihnen mar, wie ge* 
fagt, bei unferem Sftachtrab unb mächtig beeinflußt von ber 
Ätaft unb 3ttenge be§ 2Mere3. 2113 wir nun auf ben 
£eiterroagen fliegen, überfam ihn ber „Furor suevicus", 
unb er weigerte fuh entfehteben, mit und ju fahren. %a 
jebe§ «Qureben vergeblich blieb, fuhren wir ab. S)er ©chroabe 
aber nicht faul fpringt luftig lu'ntenbretn, unb faum Ratten 
mir nad) mehr als einftünbiger g^^rt ba§ Heine 
häuSgen vor ber ©tabt erreicht, trabt ber loacfere £ohen* 
goder fchroeißtriefenb auch f$on baher. @r hatte bie groet 
2Begftunben raftloS fpringenb autuef gelegt, ein „(schmaben* 
ftretch", ben ihm nicht jeber nachmacht. 

@8 mar 9Jhtternacht, als mir an ber Pforte unfere§ 
geiftliehen £aufe3 läuteten unb bem Sortier gäpfl, einem 
ebenfo fdjlauen als gerotffenhaften Liener, unfete 3öpfe 
geigten. SQßir Ratten aber auf ber $al)rt fdjon befchloffen, 
morgen in aller ^rüfje einen „©ntfchulbiger" &um $)treftor 
in fenben, um jeber Denunziation unb Station suoorju* 
tommen. 3$ warb baju auSerforen unb fchame mich ^eute 
noch beS ehrenben geugniffeS, ba3 ber S)ireftor mir bei 
biefer (Gelegenheit aufteilte, üftachbem er mich angehört, 
antroortete er f reunblidj lächelnb : ift f <hon gut, benn 
id) roetjj, baß e£, roo Sie babei fmb, nicht lumpig hw* 
geht." (So fe^r mich biefe gute 9Jleinung be3 $)ireftor§ 
erfreute, ebenfo füllte ich mich innerlich bekämt, weil 
ic^ wir jagen mußte, baß e3 eben boch ähnlich lumpig her* 
gegangen unb ich feiner ber testen babei geroefen mar. 

Qn bie $>erbftferien be3 Qah^ 1861 f&Ht meine erjte 
größere SHeife in biefem £eben. 53i§ljer mar ich abroärtö 
nicht über Karlsruhe unb aufwärts nicht über ftreiburg 
hinauSgefommen. JRun %attt ich ben (Sommer über in 



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— 268 — 



langweiligen ftonotftäftunben mit bret JJreunben eine Steife 
an bcn SBobenfee geplant, bie aud> oernrirflidjt rourbe. 
Qn £aSlad) foUte ber ©ammelpunft fein. 

$>ie ©roßmutter gab mix fedjSunbbrei&ig ©ulben, unb 
als bie ©efäljrten eingetroffen, gtng'S gu ftufj tl)alaufn>ärtS 
bem ©c^roarjmalb gu. 2ßir roaren t)ier ganj oerfdjiebene 
(£t)araftere unb paßten oorttefflirf) $u einet btSljarmonifdjen 
Steife. 3)er bide, gemütfjlidje SHutfj, als Pfarrer in £>ebbeS* 
Ijeim geftorben, rcoUte immer lieber fahren als geljen; mein 
3;ntimuS, ßljriftian SBalt, tyeute manbember $8örfenfpieler, 
rooUte als Vertreter ungezügelter üftaturfraft nie einen 
SÖBagen nehmen, ber nrirflid) fromme unb jarte 3lbam 
^ennefa, feit ^aljren fd>on tobt, mögltdjft roenig in ben 
2Birt§f)äufern etnfefyren, rofiljrenb td), immer nod) baS 
^aftatter „SBiergeme", bei jebem Bierfdn'lb, ber an ber 
^eerftrafie roinfte, trinten rooHte. 

®o tarn eS, baß, als mir am erften Slbenb mit bem 
DmnibuS oon £riberg auS in $)onauefd)tngen anfamen, 
bereite bie ganje ©efellfdjaft in $)iffonan$ fldj befanb. 

$n ber ffirftlid) fürftenbergifdjen föeftbena ärgerte 
midj bie $fü$e, bie man fälfd)lid> als S)onauqueHe auS* 
gibt, unb freute mid) baS fürftlidje ©ebräu im „2amm\ 
$d) fjatte aber feine 2H)nung, baß Ijier oben, faum jroei 
unb ein fyalbeS Qa^r fpäter, meine $rartö als ße^rer am 
©umnaftum beginnen follte. 

SJlit ber <£f)atfe beS alten $oftf)alter8 Steuer fuhren 
mir am anbem borgen bis auf bie „©ngemer §ölje", 
nidjt ofjne unterwegs ben f ürftlidjen Tiergarten befugt p 
^aben, unter beffen ©idjen id) fpäter manchmal r-ott ©tegie 
l)in unb ^er roanbelte. 9tuf ber ^öfje fallen mir jum erften 
Wlal in weiter ftztnt einen Streifen beS SBobenf eeS, unb bann 
eilten mir bergab nad) bem altersgrauen <5täbtd>en ©ngen 



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— 260 - 

unb tränten in ber ^Soft ben erfteu ©eemein, mo§u ber 
mufifalifche Hennef a Placier fpielte. 

Qn ©ngen befanben ftcf) jmei eingeborene Geologen, 
bie bann ebenfalls begrübt würben unb unS in oerf^iebene 
SBierh&ufer führten, als ben einzigen ©enufj, beri ftd) 
beutfche ©tubenten in ben Serien oerfchaffen Wunen, ©egen 
9lbenb manberten wir ju gufj gen ©toctad). 

Sei bem &orfe 9lach lag an ber ©trafje eine SBier* 
mirtfyfchaft, in beten ©otnmergarten n>ir überburftig von 
ber feigen ©erbftfonne einfielen. S)aS $)orf felbft lag t>or 
uns auf einem $ügel. %a fiel unS ein, baf? ein ehemaliger 
„ftouoittler 4 ', ein furiofer Äaus, aus Slach fei, unb ba mir 
hörten, bafc fein SBater, ein ©chneiber, noch lebe, liegen mir 
ben Sllten holen. 3$ mar namentlich begierig, ben SSater 
kennen $u lernen, nachbem ich ben ©ohn fennen gelernt. 

tiefer, ber ©ohn, hatte eljebem QuriSprubena ftubirt, 
um feine Qugenbliebe, eine ©chneiberStochter auS ftonftana, 
hetrathen tömten. ©ie mar ihm aber untreu geroorben, 
unb ber ©ram bariiber trieb ihn, mie er oft erzählte, auS 
ber SOBelt. 2Bir mollten ihm baS nicht glauben unb gaben 
als ©runb feiner ^^eologie bie Unfähigfeit gum ©taat§* 
ejamen an. $)a mürbe ber ©manuel ftetS teufelSroilb unb 
fd)ilberte fein ^erjeleib fo naio unb tinblich, bafc eS eine 
mahre gfreube mar. 2Bemt man i^m aber fagte, eS fei 
nicht ^ocl^er^ig, megen einer ungetreuen ©chneiberStochter 
ber 2Belt §u entfagen, fo fam er gan$ auS bem $äuSle, 
moran ich oft fchulb mar. 

%tt gute ©manuel ftarb oor fahren als Pfarrer in 
ber einfamen SBergpfarrei 3Btttichen im Äinjigt^al. $ort 
^abe ich im Sah** 1891 noch feine ^oc^betagte ©tief* 
mutter in ben ärmlichften SBerhältniffen getroffen. 

$)er 93ater ©chneiber aber unterhielt uns an jenem 



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- 270 — 



2lbenb ©ortrefflid), inbew er bic Saaten feines ®ofjne$ 
(Smanuel oon Qugenb an erjagte in einer Witt, als wäre 
ber fe|r billig benfenbe (Smanuel ftctS ein wahres SBunber* 
tinb gewefen unb fein <£r$euger befftalb ber gröfjte SJtonn 
in unb um 2lad). 

©3 gibt in ber <Sd)neibersunft eine Spenge ©jcemplare 
von ungemeiner Originalität, unb id) *erfef)re, wo immer 
möglicfj, gerne mit berlei beuten, lieber als mit UntuerfttätS* 
profefforen. SBenn i$ als Pfarrer am SBobenfee je einmal 
auf meinen täglichen Säuberungen burd) ffclb unb 2Balb 
einen Begleiter mitnahm, fo war bteS in ber Siegel einer 
unferer alten $>orffd)netber. <Sr brachte manchmal meine 
elegifc^e unb mifautfjropifdje (Stimmung in ein anbereS 
©eleiS, unb id) t>erbanfe feinem Umgang nicf)t wenige 
^eitere @tunben. 3Bir rebeten jwar bei unferen ©pajier* 
gangen nidjt „von ßenj unb Siebe 4 ', aber von „feltger, 
golbener fyit". (Sr crjä^Itc mir aus feinen Qugenbjaljren, 
dou alten, längft Derftorbenen Sftenf djen unb lieg babet 
einen fo unzerlegbaren DpttmiSmuS ftrafjlen, baß er für 
einige $eit meinen SßeffuniSmuS nerbunfelte. — 

(SS tarn mir in meinem Seben no$ fein 3Beg weiter 
unb befdjwerlidjer vox als ber von (Smgen nad) ©toefarf), 
unb bod) fityrt er auf einer prächtigen ©trage $in. 3$ 
meinte, eS nidjt &u erleben, bis mir am QxzU wären. 

$iefe %laä)t umfüllte baS befannte „Sßarrenftäbtdjen 4 ', 
als wir einrückten unb in ber »^oft" Quartier belogen. 
Srotjbem wir nafje an ber „Sßoliaeiftunbe" unS befanben, 
beftimmte td) bodj nod) meinen fjreunb <£f)riftian, mit 
mir ein SöterfjauS aufeufudjen. #ier traf tdj einen alten 
SBtfannten aus ber $aSladjer ^ofylromuia 4 '. Kütten* 
ncrwalter Steiner, einft auf bem fürftenbergifdjen $ammer* 
wert #aufacf) im üin^igt^al, amtete jefct auf einem folgen 



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— 271 - 

in ber 9Wl)e »on ©todfad), wo et 2lbenbS fein SBier f>olte. 
(§ht ftaunte ntd^t wenig, mid) tyier 31t treffen, unb noefj 
baju als awetj&fjrtgen Geologen. Q$ befugte il)n am 
anbern borgen auf feiner ®tfenf)ütte, unb er gab und 
baS ©eteite bis juni Ufer be£ SBobenfeeS, nad& SubwigS* 
Jjafen. 2Bir gingen eine ©tredfe hinter meinen Stteife* 
gefaxten auf ber Reißen ©trage bafjin, unb i$ weiß nod) 
faft jebeS Söort, baS er mit mir fprad). (£r fud)te nament« 
lid) burd) eine Sflenge von SBeifpielen mir baS fernere 
©tubütm ber Geologie abprägen. 

Söenige 3a$re fpäter fudjte id) iljn gelegentlich wieber 
auf bem #ammerwerf Qmmenbingen an ber S)onau auf 
unb verlebte mit Ujm einige Weitere ©tunben. Qetjt ift 
ber gute 9flann aud) längft unter ben lobten. 

$n Ueberlingen, wof)in unS meine erfte 3>ampfboot* 
faljrt braute, trennte td) mid) von ber ©efeflfdiaft, bie 
ebenfo frol) mar, mtdj ju verlieren, als id) mitf) freute, 
oon tfjr logjufommen. gmei ©tunben von tteberltngen, 
in einem S)örfd)en beS ©alemertyaleS, in ^Jlimmen^aufen, 
wirfte bamalS als Sßfarroerwefer mein erfter fiateinlefjrer, 
ber ehemalige Kaplan ©dfjele. 3fön wollte td> auffud)en 
unb lieg befjfjalb meine {eiterigen ©efäljrten allein fec* 
aufwärts sieben, wctf)renb td> meine ©dritte bem #inter* 
lanbe juwanbte unb an einem fd)önen ©eptember*9ttittag 
in bem ftiUen £>örfd()en meinen ®injug ^ielt. 

$etn £>al>n fräste, fein ©ünblein bellte unb feines 
3ftenfd)en 9luge fa^ ben langen ©tubenten, bis er in bie 
SBirtfjSfhibe eines neuen, freunbltd)en ©ajtyaufeS eintrat. 
|>ier beftettte idf) filr jwei Sage Quartier, unb bann erft 
fu^te td) meinen „ftaplan" auf, ben ic$ feit jel)n Palpen 
nid)t wieber gefe^en Ijatte. Qdfj fanb ttyn in einer elenben, 
alten *Pfarrf)ütte — benn ^fatrlwf fonnte man bie 3er* 



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— 272 — 

faHenbe Skracfc nicht nennen— Rettet unb aufrieben. 3)rei 
Sage blieb ich in feinet Wäty, in benen et mit alle $ettüd>* 
feiten beS ©alemerthaleS geigte, ootab bie 9lbtet ©alem 
unb baS fürftlic^e Schloß $eiltgenberg mit ihren Hunft* 
fchätjen. 3$ ding aber in jenen Sagen an 3Berfen bet 
ftunft ooruber mit faum mehr SSerftänbmfi als tyutt noch 
ein $8auer3tnanu. Saturn blieb mit auch fein (Sinbtucf 
oon bem etften SBefuch jener Orte in meinet ©eele. 

lebhaft ftefjt oor mit nut bet letjte Slbenb meinet 
Aufenthaltes in SJtimmenhaufen. Stiele führte mich 51t 
einet $ochjett, bie ein £efjrer mit einet Sottet beS SanbeS 
ba abhielt @3 mar in bet guten, alten 3eit, rao ©eift* 
liehe unb Sehtet im tiefften Stieben mit einanbet lebten 
unb nritften, unb be^alb waren bie meiften $ochjeitsQci)tc 
Pfarrer unb ^räjeptoren ber Umgegenb. Am Abenb famen 
nun biefe ade in meine ©erberge, um SBter &u trinfen. %a 
fafj nun oben am Sifd) in ber ©efe ber Defan be§ Äapt* 
telS unb Pfarrer in Söeilborf, ©töhr, unb rtngS um if»t 
feine AmtSbrüber unb bie oerfd)iebenen £el)rer mit ihten 
(S^e^alften. ®ie Seute roaren heiter, wie e§ £>ochsett3gäften 
gegiemt, ©ang auf ©ang folgte, wobei bie ©timme beS 
DefanS mächtig oorflang. 3$ Ijöre ihn noch, nrie er ju 
fmgen anfing : „$föt gang* i an§ SBrünnele, trinl aber nil" 
SWemanb nahm an all' ben Vorgängen jenes AbenbS ben 
geringften Anftoß, nur ber junge, bumme ÄonoiftSmann 
£an3jafob ärgerte fiel). 

gehn Qa^re fpetter ^at mich ber gleite £)efan, ein 
hochbegabter Sttann oon allgemeiner Achtung, in Hagnau 
als ^5|arrer tnoejtirt. 

3n StteerSburg gelangte tdf) anbem SagS roieber an 
benStobenfee, fuhr ahnungslos anbem Dörfchen Hagnau oor* 
bei, faß am 9lad)mittag auf bem ©ebharbSberg bei SBregens, 



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— 273 — 

flaute über ba§ gange fc^toäbifd^e ÜJleer Ijtn tmb tränt 
mitten in ben #errlid)fetten ber Statur »iel SBier auf bem 
33alfon be§ tleinen 2Birtf>8!)aufe3 neben ber ©ebfjarbS* 
tapeHe. war #er am (Snbpunft metner Steife, von roel* 
etyer mir blutroemg (Sinbrücf e tum ber üRatur geblieben ftnb. 

(Sin ©tubent, ber nrirtttd) ftubtrt, vermag überhaupt 
nur ferner gu lefen im93ud)e ber Statur; ba§ tupograpfjifdje 
SBüc^erroefen tyilt fein ganzes innere gefangen, unb wa3 
er md)t fämarg auf wei{$ flc^t, bleibt tfnn aflermetft gang 
t>erfd)loffen. ©o weif} er in ber SRegel von feinen Reifen 
nidjt triel meljr gu ergäben, als wo er am beften ge* 
trunfen $at 

#eute, wo t$, Älter geworben, ba3 gange ^afjr fein 
2Birt^^au8 von innen fe$e, lefe id) in ber SEatur am 
Uebften, unb bie fügeften ©tunben verbrämte id) Diele 
3al)re lang als $)orfpfarrer an fJrityjaljrS* unb ©ommer* 
abenben am Üßalbranb hinter meinem $)örfdjen. S)a lagen 
©ee unb 3llpenroelt in ruhiger SKajeftät vox mir nrie ein 
aufgetragenes 58ud) ©otteS, wfifjrenb von SWenfdjen nichts 
gu l)ören unb gu fefjen mar unb mir nur im SBalbe bi§* 
weilen ein SBöglein bie 9flelobie fang gum %qA, ben meine 
©eele in jenen Slugenblicfen gufammenwob. %n jenen 
©tunben füllte idj gar oft, was ber mir fumpatfnfdrfte 
beutföe $)td)ter, ©idjenborf, fo ftfjön wtebergibt: 

$ie SBelt treibt fort ü)r SBefen, 
25ic Seute fornmen unb ge$'n, 
91(3 roärjt bu nie geroefen, 
2113 wäre md)t§ gefdjeyn. 

SBßie feljn' id& mic$ aufä neue 
$inau3 in 2Balb unb $lur! 
D6 id& mid) gräm', m\$ freue, 
$u bleibft mir treu, Statur. 

$an*jalo&, ©tubienjeit. 18 



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- 274 - 

Maßt ooit tiefem ©c^nett 
©<$lucfoenb bie Ha^tigaU, 
(£3 flimmern rings von grauen 
2)ie Slumen überall. 

llnb über alle Oipfel 
Unb »lüthentyälet |ie$t 
Jfcurdj ftiüen SBaJbcä SBivfel 
(Ein heimlich JUagelieb. 

2)a (mV t$'£ redjt im £erjen, 
$>afi bu, §err, brausen Mft — 
$u toeifit, wie mit von ©djmerjen 
9flein §era aerriffen iffc. 

3U3 ich an jenem 9lbeub beS 3a^re3 1861 vom ©eb* 
harbSbetg ^etab^ieö/ Begegnete mir ein £err, ber ftd) als 
ein 3ftfttjaffeffor von SBregenj funbgab, unb ben ich als 
93eleg anführe, wie treu mir bie Erinnerung an ^ßerfonen 
blieb von meiner erften grdjjern föeife, wäfjrenb bie Sflatur 
mich !aU liefe. 3$ traf ben obigen 2ttann 17 ^aljre 
fpftter im Äapuaiuerttojter p SBejau, wo er «ejirtSrichter 
mar, wieber unb erfannte ihn aläbalb als jenen Begleiter 
vom ©ebharbSberg herab. Unb heute, ba ich im 99uch ber 
Statur ju lefen oerftehe, uerfdjwinbet mit ba§ ©ebädjtmf* 
uon Sßerf onen, mit benen ich in ben legten Qa^ren flüchtig t>er* 
lehrte. 3$ mufj mich oft in unangenehmer SBeife erinnern 
laffen, unb monier meint, man wolle ihn nicht mehr fennen. 

9luf ber üttiefreife traf ich in (£onftanj wieber mit 
meinen SReifegefä^rten juf ammen. SSon ber alten ©onftantia, 
bie fpäter jahrelang meine Nachbarin werben foflte, ift mir 
üon biefem erften SBefuch abfolut nichts mehr erinnerlich 
als bie SRenfchen, benen td) begegnete, unb bie »terhäufer. 

weifj feilte nic^t mehr, ob irfj bamalS nur auch ben 
ftonäiliumSfaal unb ba§ Sftünfter innen gefeljen habe. 



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- 275 - 

@emeinfd>aftlid) reiften nur ben Ütyein hinunter nod) 
©djafffjaufen unb von ba überSBintertljur unb3üridj nad) 
3Balb§f)ttt. Ob mir in 3ürtdj, roa« f^r toa^rfc^einUd^ ift, 
anhielten, fann td) Ijeute md)t me^r fagen. 2Balb3ljut 
oerfdjmtnben meine StoUegen au« metner Erinnerung; td) 
weiß nur nod), bafj mtd) ber bortige Dberamttnann lieber 
mit einem 2Balb«Ijuter Geologen «Ruf, ber t>or einigen 
Saferen als Pfarrer ftarb, einlub ju einer ftafyrt in§ 3üb* 
tfjal. 93on biefem (jerrtidjen ©djroararoalbtljale aber ftc^t 
au« meiner erften SBanberung nur nod) ein SBtrtfjSfjau« in 
meinem ©ebäcfjtnifj unb bie in bemfelben ©ersten gorellen. 

Steine erften SRetfeeinbrücfe waren unb blieben fo 
miferabel, baj$ id) mid) nidjt einmal meljr befinnen fann, 
wie i$ auS bem 5IIbtE)aI roteber fyeimtam unb meine 2ßelt* 
umfegelung &u (Snbe ging. SRur fo mel weif* id) noeb, 
bafj bie ©rofjtmttter fd)impfte, meil id) tljr ©elb oerreijt 
Ijatte unb abfolut nidjt« ju ersten wußte. <5ie citirte 
richtig ba« S8ott«fprid)wort : 

(SS flog eine ©ans rooljl Aber ben Styein 
Unb fam alä ©tgag «riebet Ijetm. 

9Bir beibe aber, bie (Stammutter unb td), Ratten 
bamal« eljer an ben $ob gebaut, al« baß au« mir nod) 
einmal ein SReifefdjriftfteHer werben würbe. ftretttd) tft 
her aueb bamacb auäaefatten! 

3tterfwürbig war bei biefem meinem erften 3lu§flug 
tn bie babifdje SEBelt, baß er mid) an ben brei Orten 
oorüberbrad)te, in benen ein großer £fyetl meine« Berufs- 
leben« fid) abfpielen follte, n&mlid) $)onauefdjingen, SB&alb«* 
tyut unb ©agnau. 

3$ war nod> nie fa freubig in« Äonottt guruefgef e\)tt 
wie im #erbft 1861. Unb warum? 3$ fotlte, wo« mit 
beginn be« britten unb legten Shtrfe« ftet« gefdjal), feitbem 

18* 



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— 276 — 

baS Äonuilt e#fttrte, bie „meberen SBeiljen" empfangen 
uttb mit tfjnen bie erfte (Sutane unb ben erften (Etjorrodt. 

2Benn Ijeute ein p&pftlid^ex Sftobelgarbift gu mit in§ 
$farrl)au8 fftme mit ben ^nfigmen eines StorbinalS, i$ 
mürbe mid) gewtg nidjt fo geehrt unb gehoben füllen, 
als ba ber ©d&neiber Steifet oon £a8lad& mit bie etfte 
(Sutane unb eine alte Sterin non greiburg ben etften 
(S^orrodf brachte. Unb als bet greife ©rfcbifdjof o. SBicari 
unS bie Söeifjen erteilte, unb mit $um etften 9Jtal in bet 
geiftlidien Unifotm in bet ftonmftStitclje bamit patabitten, 
ba glänzte gellet (Sonnenföetn in £etj unb 2lug', unb 
bie Qubmf t lag im toftgften Sickte oot mit. 

Slbet fo geljt eS übetatt im Sflenfdjenleben bei ftljn* 
ltdjenSBotfommntffen. Stetfja'ljnbtid) f)at eine roeitgtö&ete 
JJteube an feinem SieutenantSpatent als trietjig Qaljte fpätet 
bet gteidje Sttann, wenn et jum ©enetal etnannt roitb. 

(Solange eben am 3ttenfd)en nodj ein (Stücf ^ugenb 
tft, fdjaut et mit tinbli^et (Seele in jebe SebenSoeränbetung; 
abet je älter et roitb, um fo meljt nehmen tljmäBBelt unb 
<£rfaf)tung bie ^ßoefie unb bie ^Uuftonen. 

S)ie Geologen beS btitten ftutfeS mußten nun ftetS 
in bet (Sutane ausgeben, was uns natütltd) ein $od)genuf? 
unfetet geiftli<$en SBütbe wat. 203 id) baS etfte SJtal 
meine lange, blaffe ©eftalt bie „<Sd>uftetgaffe* fjmuntet 
bet Unioerfttät jutrug unb ein alteS Sttütterlein mir einen 
»ftnig* machte, wftyrenb ein fleineS 3Jtäbdjen mir bic 
£anb gab, weil beibe glaubten, td) wäre Sßriefter, ba mürbe 
tdj faft rotl) übet bie ljolje Slnerfennung, bie mein erfter 
getftltdjer SluSgang in ber SBelt gefunbeiu 

9ln (Sonntagen aber rüdten wir junge ßlerif er fantmtlic!) 
in ®ala oom ftomri! t aus in ba§ SMnfter, um ben wenigen, 
meift breftyaften Stornierten bie SBefper fingen $u Reifen. 



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— 277 — 

3>aS war eine <g$re! Unb an einem $omtapitular flaute 
irf) in jenen Sagen hinauf, als wäre er ein überirbifdjeS 
Söefen unb einmgrunbatter2BeiSl)eit! ©Iücllic$e3eiten! — 

3(n meinen ©tubien ging'S aud> im legten UnfoerjitötS* 
ja&re rüftig oormärtS. 3$ Ijörte unb lernte mit Suft unb 
$reube, 30g midj immer meljr gurücf unb lebte ben SBüdjera. 
£)et £auptbo$ent für bie Geologen beS britten fturfeS 
mar Sßrof effor ©tola, bei beut in beiben ©emeftem sßaftoral 
unb praftifäe (Sjegefe gehört mürben. 20ban ©tolj fjatte 
in feinem ^riefterleben nur furje geit in ber eigentlichen 
©eelforge &ugebrad)t, unb bo$ waren feine SBorlefungen 
überaus praftifd), ridjtig unb waljr. 3$ I)örte ade feine 
Vorträge über ©omiletif unb ©eelforge mit ebenfo vielem 
Qntereffe als 9tof>etu 

SDBie ©erf Rieben aber unfer ©errgott bie Talente unter 
ben 9ttenfd>en gebilbet unb geartet fyit, baS tonnte man 
an beut Stojenten fennen lernen, beffen SBorlefungen neben 
benen non ©toI$ bie Sfjeologen beS britten #urfe§ cor* 
jugSroeife befugten. <$$ mar bieS ber weithin befannte 
£ofratl) Dr. SBufj, ber unS aUgemeiueS, beutfdjeS unb 
babifdjeS Äird)enred)t bojtrte. 

(Stolg unb 35u& waren fo oerfdjieben Don einanber 
mie DHoenäl unb <£fyunpagner: ber eine ebenfo rufytg unb 
ftitl, wie ber anbete braufenb unb gäfjrenb. Söufj mar ein 
üielf eitigeteS Talent als ©tolj, aber an Sief e weit übertroffen 
dou biefem. 9luS feinen eigentlichen SBorlefungen war ent* 
f Rieben am wenigften $u proptiren, weil er Diel &u oiel 
„2lUotria* trieb unb jeben fremben ©ebanten, ben fein leb* 
fjaftet (Seift i^m baprifdjen warf, ergriff unb verarbeitete. 

S)aS „MotTia" aber, bem $8uf$ fo gerne Ijulbigte, 
ift in meinen klugen abfolut lein Vorwurf für ben fo be* 
beutenben 2ttann. 2BaS er f agte, war getftretdj, unb wenn es 



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auch nicht gut 93orlefung gehörte, fo tonnte man gar uieleS 
barauS lernen. Söon ftirchenrecht nahm idj Blutwenig bei 
ihm auf, aber baS, waS er brunt unb brau ^ing, ging 
wegen feiner pifanten Wct nicht nu|lo§ an mir oorüber. 
Qch roo^nte befftalb ben 23orlefungen oon Bufc jtetS mit 
Vergnügen an. 

3eJ)n Qaljre fpäter, nadt)bem ici) $u feinen gttfcen gef eff en, 
mürbe ict) mit ^ßrofeffor Bufj näher befannt als 8anbtag3; 
foUege. Qch roohnte unb afj mit ihm jufammen roährenb 
groeier SBinter in ÄarlSruhe, unb mir jmei Äinjigt^äler 
Ratten über Sifch ober bei gemeinfamen (Spaziergängen 
manch* ^eitere ©tunbe im SÄuStaufd) unf erer ©ebanf en unb 
(SinfäHe. ^n Anbetracht meiner langen ©eftalt unb im 2ln* 
flang an eine in unferer roalbigen $eimath betannte, nid^t 
fehr l)öfif^e@rf Meinung nannte er mich ftetS „ben ftlfyvf. 

SBufi mar, wie bie meiften hochbegabten Sttenfchen, bis 
in fein ©reifenalter ein ftnbltch naioer Sttenfch unb babei, 
trofc aller f glimmen Lebenserfahrungen, Qbealtft unb 
Dptimift bis pm legten Sfthemjug. 2Bie oft hat er meinen 
*ßef fimiSmuS &u befämpfen gefugt, unb roie oft hab* ich ben 
©iebenjiger beneibet um feinen nie maufenbenQbealiSmuS! 

Sd) freue mich, oon feinen melen (schillern berjenige ju 
fein, ber Gelegenheit hatte, ihm nach feinem $obe ein f leineS 
Sttonument in ben „SBabifchen Biographien 4 ' fcufefcen. ©onft 
hat man ben um bie fatholifche «Sache hochoerbienten SJiamt 
fchraer oergeffen, ein SooS, baS nicht nur ben l leinen, 
fonbern auch ben meiften großen lobten wiberfährt. — 

UebrtgenS habe ich, tro^bem baS Bufi'f che Sachenrecht 
mir wenig frommte, mit Borliebe biefe 5)i§3iplin ftubirt unb 
in meinem legten ^onoiftSjahre alle belannteren beutfehen 
$irchenretf)tSwerfe fennen ju lernen gefugt 3lm meiften 
lonoenirte mir bamalS (Schulte. Anleitung aber gab mir 



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— 279 — 



in biefer 9tid)tung bcc erjbifd)öflid)e Äanjleibircftor 
Dr. SJtaaS. $)ireftot ftübel Ijatte mid) atl Ujn genriefen 
unb mid) Ujm für firt$enred)tlid)e ©tubien empfohlen. 3Raa£ 
prebigte, nrie et mir fp&ter oft jagte, in jenen &agen fcfjon 
gegen meinen ©goiSmuS, roäfpenb tdj bamalS fd)on mertte, 
ba£ id) einen grunbgefd)eibten 9Rann bot mir fjatte, ber 
mir nid)t nur burd) fein SBiffen hnponirte, fonbem und) 
aud) burtfc feinen ©arfaSmuS anjog. 

3n ber $f>ilotogie Ijdrte id) com ©erbft 1861 bi£ 
Euguft 1862 bei ©aumftarf ©ncnflopäbie ber ^ilotogie, 
Literatur ber latetnifdjen *ßoefie, fcacituS (Dialogus de 
oratoriboB) unb SfjufubibeS. ©benfo machte id) unter be3 
gleiten SßrofefforS Leitung bie lateinifdjen Arbeiten be§ 
pf)ilologtfd)en ©eminarS mit ©o grogartig unb fd)dn wie 
SBaumftart ben 2*citu§ ju befjanbeln nerftunb, ebenfo 
traftirte er aud) ben fclmtybtbeS, fo baß id) l>eute nod) 
mit SBewunberung an bie beiben tlafftfc&en #iftortfer unb 
an tfjren Kommentator beute. 

%tn ^ßrofeffor SBudjeler tonnte id) nur im legten 
©ommerfemeftet nod) einmal befugen in feinen SBorlefungen 
„über Äunftgefd)id)te ber ®ried)en unbetonter*. $er junge 
(Mehrte gewann aud) Iner meine ganje $od>ad)tung. 

2Ba3 baS innere ftomriftSleben betrifft, fo mar id) 
im britten Qfctpe oer&ftltmjmtäfjig am liebften in ber 2ln* 
ftalt 3$ befam &ur grüfjjafjrS* unb ©omrnerSgeit oom 
S)ireftor unumfd)rdnft freien 2lu$gang, ben id) aber ge* 
roiffenfyxft für meine ©efunbfjett uermenbete. ©infam man* 
berte id) in ben erften 3Jtorgenftunben über ben ©d)loj$berg 
ober an ber S)reifam hinauf gegen ba§ $drfd)en ©bnet. 
33laf? unb angefr&ntelt oon ber 3Biffenfd)aft, mebitirenb 
unb pfjilofopfjirenb pilgerte id) an aU jenen Orten oorübet, 
bie id) fünftelm $al)re $uüor als $reiburger SBolßgfdjülct 



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— 280 - 

geringfter Setftung hellauf unb ftäJjlid) mit bem ©chmetter» 
lingSgarn butdftogen hatte. 

Repetitor beS britten ShtrfeS war Qofcf (Schmitt, ein 
ernjter, feinem 2lmte oortrefflid^ gewachfener ^ßriefter, ber 
übrigens mehr ben lÄefpett als bie Siebe feiner Untergebenen 
bef a% 3n mannen fingen pebantif ch, prebigte er bei jeber 
(Gelegenheit -Uftora!, waS iungen Seilten feiten sufagt 

3$ habe bem begabten unb pflichteifrigen 9ttann unter 
bem gefammten Sfcepetitorium am meiften (Sympathie ent* 
gegengebracht unb erinnere mich noch lebhaft beS (Sinbrucf e§, 
ben bie Nachricht von feinem fchnellen $ob in mir h« s 
oorrief . @S mar an einem 2ttaimorgen, Anfang ber fieben* 
Stger 3ahre, unb ich P SSefuch beim SBiSthumSoermefer 
^übel, als eines Borgens, mährenb ich P ®ette lag, 
ber Liener beS SBifchofS gu mir hereintrat unb erjagte, 
man habe ben S)ompräbenbar Schmitt geftem Slbenb tobt 
auf ber ©trage gefunben. SBie ber ©Iii eine (Siehe, fo 
plö^lich hatte ber £ob ben großen, ftarfen SUcann nieber* 
geworfen. Slucf) benSBifdjof ergriff biefer$ingang mächtig. 
$eute ift auch er tobt unb fein Liener, ber gute ftonrab. 

2BaS ich in jenen £agen für ein©chriftfteUer gewefen, 
baS beweift ein Dütum beS eben genannten Repetitors. 
9Bir hatten einft, ich weifc nicht mehr über waS für ein 
theologif djeS tyma, einen 9luffa$ &u fertigen unb (Schmitt 
ihn in fritijiren. 9US er nun an ben meinigen f am, fprach 
er: ,$>iefer $luffat$ ift bem Inhalte nach einer ber beften, 
aber ber Sßerfaffer hat einen fchlechten ©tgl, ja er fann 
manchmal nicht einmal orthographifd) fehteiben/ 91m ®nbe 
feiner afabemifchen Saufbahn noch nicht orthographifch 
f einreiben fönnen, wittbenn boch nicht wenig befagen! Mein 
in ber SBolfSfchuIe hatte ich nicht gelernt unb, als ich 
ins Jfyceum tarn, bie Rlaffen fynttx mir, in benen Ortho* 



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— 281 - 

grapfjte bojirt wirb, unb fo fcf)Ieppte idj meine ortljogra< 
pf)ifd)en ©cfynüjer ober wenigftenS D^efte berfelben bis in 
ben brüten tl)eologtfd)en RurS unb nod) weiter. 

Unb erft metn©tgl! 2Benn je einmal emSBlauftrumpf 
etwas Vernünftiges gefaßt $at, fo war eS bie ftrau oon 
©taet mit tyrem gebügelten SBorte: „Le style c'est 
rhomme" — unb wenn bteS je jutraf, trifft eS bei mir gu. 

3$ bin tu meinem ganzen Söefen fyaftig, flüchtig unb 
o^ne beffere formen, unb fo aud) mein ©S !ann 

aber jemanb ein ganj eleganter 9ftenfd) fein unb einen 
ebenfo eleganten ©tyl führen, unb bo$ fommt man weber 
au§ bem 9ftann nod) auS feiner (Schreiberei, wfttyrenb td) 
oielfad) nur ju offen unb $u etyrlidj beute unb fdjreibe. 
Die ©auptfadje an einem ©d^rif tftetter ijt, bafj man iljn oer» 
fielet unb weif}, was ber Sttann f agen miß. Sftidj unb meinen 
©tql oerfte&en aber bie Seutejmetft nur 311 gut, ja fte lefen 
nodj me&r auS meinen SBüdjern IjerauS, als barin fte^t 

GS ift etwaS ©cfcöneS um einen flaffifdjen ©tql, adein, 
„wenn'S nic^t im $olj liegt, gibt'S feine pfeifen", unb 
fo wenig man aus mir einen ^offaoalier, wie er fein 
foU, machen Wnnte, ebenfowemg wirb es mir gelingen, 
formell f$ön ju föreiben. 

3)en ©djlufc beS ftonotftSlebenS btlbet ber „Concur- 
sus pro 8eminario u , b. i eine <$efamtntprüfung aus öden 
t^eologifcben Disziplinen, ©te wirb jebem &onoift§* 
Geologen leicht, ber bereits bie einzelnen ©emeftraU 
Prüfungen gut beftanben f>at (SS fällt befftalb $öd)ft 
feiten einer in biefem fird&ltdjen „Staatsexamen* burdj, 
baS ju meiner Qzit ber milbe ©eneraloifar SBudjegger 
leitete, gfro^en ©erjenS oerliej td) Anfang 9luguft 1862 
baS ftomritt, um im üRooember ^inaufjugie^en auf ben 
Sc^roarjioalb, ins ^riefterfeminar für bie Dütyefe ftreiburg. 



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©3 gibt in ber fatljoliföen ©f)riften|eit jebenfaUS 
nidf)t wele ©eltpriefterfemtnarten, bic für t^ren 3mecf fo 
geeignet fhtb wie ba$ greiburger. ©ine ftattlidje e^e» 
malige SBeuebfttinerabtei auf einfamer SBergeSfjöfye be$ 
©djwarawalbeg bient ben ftanbtbaten be& SßriefteramteS 
im legten Qaljre tyter SBorberettung als Aufenthalt 
„<5t $eter* ift ihr 9tome, ©erjoge von ^Öhringen waren 
ihre ©rünber unb Patrone, unb ihr lefcter 2lbt ein fftnatg* 
t^äler, Sgnaj ©pecfle von ©aufad). 

Qn ben erften -iftooembertagen be3 3 a ^ le§ 1862 8°Q 
eine lange Sftethe von SDrofdtfen burd) ba3 ©chwabenthor 
in Jretburg unb burch bie ßarthäuferftra&e an ber fcrri* 
fam hinauf bem ©chroaramalb gu. $)ie äBagen waren aUc 
bi$t befeljt mit jugendlichen, fchroarjen ©efialten, bie 
Reiter unb luftig in ben füllen ©pätherbftmorgen hinein* 
fuhren. ©3 ftnb bie angehenben 48 ©eminariften unb 
unter ihnen meine lange SBenigtett 

Qm $orfe ©bnet ^ält ein ober ber anbere SBagen 
nochmals an, weil manche einen „Erunt" thun wollen, 
eingeben!, bafi broben auf ber $öhe bem ©eminariften 
feine 2Birtl)gi)äufer mehr blühen. Sticht gar weit ober* 
halb be3 genannten StörfdjenS lenten bie ©in* unb Qwei* 
fpänner in ein Seitental ein, ba$ btrett nach ®t $cter 



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- 283 - 

htnaufjteht (Sitte aerfaHene Statute, einfl Sifc be8 mäch* 
tigen $tynafiengefd)Iechte3 berer von „©chneroelin*, grüßt 
oon bunflem äBalbfaum fcetab bie anfahrenben Stlofter* 
nooijen. 

Qn fmfterer Schlucht, am ^uge be§ ^loflerbergeS, 
liegt ba8 triftefte aller ©chraarjmalbbörfer, ©fchbach. 
©ier wirb ausfliegen, bie ftretburget SMfdjer werben 
begabt, unb $u 3=uß °i e ©emtnartften ihrem 3^ 
entgegen, {teil bergan. 

Sftein ^Begleiter auf biefer SBanberung, ich erinnere 
mich noch gar wohl, mar mein S?iu£genoffe 93ogt, ein 
alter Qefuitenjögling. @r hatte biefen Drben nach manchem 
barin ©erlebten :gahre oerlaffen, nm SBeltpriefter jn 
werben, unb befaß, ma§ bie Qefutten, &u ihrem großen 
2ob fet'3 gefagt, am ungeformteften 2ftenfchen gumege 
bringen, einen gemiffen „Schliff* ht $orm unb SHebenS* 
art. 2Beil er jeben oon un3 nach Qefuitenart mit 
„ßarifftme" (^^euerfter) anrebete, befam er biefeS SBort 
als „Uebername". 3flit biefem ,<Sarifftme" ging ich ben 
SBerg hinauf. @r tonnte aber nicht fünf Minuten mit 
einem von uns reben, ohne baß er ihm irgenb einen 
„(SafuS" (ftafl) aus ber üfltoral jur ©ntfcheibung aufgab, 
eine ©eroohnheit, bie er von ben^fefuiten mitgebracht haben 
mochte. 

3$ machte mir im ftonmft unb namentlich im Semi* 
nar oft einen unterhaltenbenSpaß barauS, unferm ©arifftme, 
ber fünft gerne mit mir oertehrte, bie unfhmigften ^(xüz" 
$ur Söfung oorjulegen, bie er mit allem ®mft aufnahm, 
tagelang befchäftigte et ftch mit ber Söfung, unb 
er bann bamit in meine 3efle im Seminar trat unb ich 
ihm fattrifch trocfen erllärte, folch ein Unjtnn fäme eigent* 
lieh 9<rc nicht oor unb ich Ijätte fyw nur feine üble ®e* 



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— 284 — 

wohnheit entleiben motten, bo würbe gtounb Sariffhne 
teufelSwilb unb eilte in tieffter (Smtrüfhmg von bannen, 
um anbem £agS wieber &u fommen unb fid) abermals 
einen Sfloralbären aufbinben §u laffen. 

2öenn ich bis fjeute fein ftreunb ber äafuiften in 
ber 9floral bin, fo ift ein gut ©tücf oon biefer ©egner* 
fdjaft auf Rechnung unfereS „©arifftate" gu feijen, ber 
heute als Pfarrer einer (leinen ©chwargwalbgemeinbe 
f ungtrt, wo er fidler wenig Gelegenheit pr „ftafuifttf " hat. 

@r mar übrigens ber befte unb freunblidjfie 9flenfch 
von ber 2Belt, nur burfte man feiner „ftafuifttf" nicht 
in meiner 3lrt gu nahe fommen. 

Sftit ihm alfo <£afu3 befptechenb unb bef?halb ben 
2Beg boppelt lang finbenb, gelangte ich nach 6t Sßeter, 
baS man erft gewahr wirb, wenn man oor feinem ©ebäube* 
fonglomerat angefommen ift. Qch meine, baS erfte #auS 
fei bie ehemalige ftloftermühle. 2Bir trafen oor Stttttag 
ein unb würben in bie oerfchtebenen SUtönchSjeHen oer* 
thetlt. %\t meinige lag gu ebener <$rbe, beim (Eingang 
jum Äloftergarten unb mit 2foSfld)t auf biefen unb bie 
riefige ftloftermauer. 

211S ich mich nun allein in biefem f leinen ©emach be* 
fanb unb mir oorfteUte, wie ich nun faft ein Qah* lang, 
abgerieben oon ber SBelt, ^ier leben fodte, ba überfiel 
mich ein unfägltcheS §eimweh nach 2B ß ^ unb 9ftenfchen. 
Saut aufweinenb unb fdfjluchjenb legte ich mich ÖU f 
SBett unb lieg meinem 2Beh ooUen Sauf. 2lm Nachmittag 
wieberholte fleh biefer Unfall, unb ich fämpfte lange mit 
mir, ob ich nicht gleich wieber ben SBerg hinabgehen unb 
bem tßriefterthum ben Diücfen fehren wollte, Qtit im 
©tubium h^tte ich * e ' ne Floren, ba ich Philologie auf 
ber UnioerfU&t oöllig abfoloirt hatte. 



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— 295 — 

34 mar au$ imierftct tteberseugungunb unge$roungen* 
ftem «Bitten hier heraufgeftfegen. SBoher nun btefe plöfc* 
li4e tiefe SBerfttmmung? 34 ^abe fpäter oft barübet 
nad)gebad)t unb gefunben, ba£ jene§ ©einen eine &inum& 
meiner (Seele war non ben f4weren Prüfungen unb 
kämpfen, bie mir feitbem wiberfahren fhtb. 

34 h«tt* im Anfang nie gebaut, bafj i4 mt4 fo 
lei^t an bie fläfferli4e ©infamfeit gewönnen Wnnte. ©3 
ging non 3Bo4e au 2Bo4e beffer, roo^u am meiften ber 
Umftanb* beitrug, ba§ i4 nt4t mehr, rote im Äontnft, 
gemeinfam mit anbern roo^nen unb fc^lafen muffte. %k 
SHu^e unb 9lbgef4iebenheit pafcte für meine elegif4e Statur, 
bie fW) im (Seminar $u entroicfeln begann unb bis ^eute 
bie ©runbfiünmung meines Qnnern geblieben ift. 3^ 
mürbe mi$ roohl nie mehr entf4ftefjen fönnen, ins $on* 
oift gurücfjufe^ren, m&^renb mi4 bie ©infamfeit von 
<St Sßeter |eute tu>4 ansieht. 

^ßraf tif4er als im Stonoift, begannen bie ^föjergitien* 
nidjt glei4 am erften 5Ibenb, fonbem erft, na4bem bie 
9^ooijen ft4 au4 etwa« im #au8 eingewöhnt Ratten. 
Sie mürben in ber flehten Capelle gehalten, bie hinter 
meiner Qtüt lag unb in ber audj gur SBintetSjeit ber 
tägliche JJrühgotteSbienft ftattfanb. 9JUr mar biefer enge 
[Raum ber unliebfte im ganzen ftlofter. ßutn SBeten muft 
ich allein fein ober in einer 8ir4e, bie £uft, #i4t unb 
$la$ hat unb md)t bie 9fabä4ttgen, 3ttatm an 3ttann, 
„in bumpfer ©tube* gufammenbr&ngt. SBenn jemanb 
unmittelbar neben mir fteht, fann i4 mit SBerftanb meber 
lefen, no4 f4*riben, nodj beten. %xum haben in biefem 
SBetfaal meber bie erften noch bie folgenben (gjerjitien 
großen (ünbruef auf mich gemacht, trofcbem ber ©rerjitien* 
meifter, Repetitor Schmitt, (Seift unb 3Rühe nicht foarte. 



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— 286 — 

®a trat bie groge ftloftertfrche von St. *ßeter, ein 
herrliches OotteS- unb BethauS, mit ein wahres ßabfal 
für Seib unb (Seele. Söenn wir in ben <£horftüt)len 
längft vergangener ÜUtönche ftonben unb in buntler SRac^t 
unfer (£ompletorium fangen, ba mürbe ich voll poetifcher 
9lnbacht, unb wenn an Sonntagen unten im Schiff bie 
ganje Bauerngemehtbe von 6t. *ßeter fniete unb ihre 
„offene Schulb* im SBälberbeutfch fprach, ba raupte e3 
burdt) bie $irdje unb burch meine Seele mit Stacht. 

Qeben Sttorgen naa) ber ^1. SReffe mufjte mätmigltch 
auf feiner Seile c * nc „Sftebitation" (Betrachtung) über 
irgenb ein religiöfeS $hema anpeilen. 3)en Stoff baju 
gab ein Buch ab, in meinem bie Betra<htung3puntte au* 
gleich angegeben unb anatyfirt waren, 9ttir mürbe jebe§* 
mal orbentlid) nu>hl, wenn ich aus ber bumpfen, engen 
ßauSfapeHe ^erauS in meine Qzüt tarn unb allem fein 
tonnte mit meinen ©ebanfen. $)ie Betrachtungen matten 
mir innere JJreube unb 9tohe, meiere erhöh* mürben burd) 
bie tiefe Stille unb bie Ben>egung3lofigteit ring« um mich 
herum. 

3cf> ^abe feitbem ftet§ an mir bie Beobachtung ge* 
macht, ba£ jur innern Betrachtung, mag fte nun Religion 
ober Statur betreffen, oorjugöroeife ba§ ^em* unb Unbe* 
läftigtfein oon ben 3ftenf<hen gehört. SBenn ich 8- ™ 
meinem SRcbljäuSchen am Bobenfee faß unb über ben trau- 
merifchftiHen See hinfehaute, hinter meinem fuh noch ftitter 
unb ruhiger bie Berge erhoben, ober ganj allein in meiner 
$>orfftrche fniete, ba rourbe mein unruhiger <$eift innerlich 
gefammelt, unb ich erwachte oft nach langen 9lugenblicfen, 
als ob ich gefchlafen hätte. 

Bortrefflich fagt bteS ein neuerer $t)tf°foph mit bcn 
IßDtten: „%\\ ben ächten ^uftanb ber Kontemplation 



* 



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— 287 — 

fönncti uns nur ootlig ruhige ©cgenftänbc oerfc^en. SBetl 
flc feine äußere Bewegung fjaben, bringen wir fle fdjon 
gar nicht in ein Berhältnijj $ur 3eit ^gleich werben 
wir jcitloS, weil bte Bewegung unfereS 2BiUen§ ganj 
au§ unferem Beroufjtfein gefchwunben unb wir gan$ im 
ruhigen Dbjeft oerfunfen finb. 2Btr leben gleichfam in 
ber ©nrigfeit: mir haben burd) fcäufchung ba§ Bewufjt* 
fein abfoluter föuhe unb flnb nnnennbat feiig. SBetben 
wir in biefer tieften Kontemplation geftört, fo erfüllt 
unS bie Bewegung be3 SBillenS wieber: mir treten au§ 
ber ©roigfeit in bte geit jurfict.* 

9Iu§ meinet Betrachtung in ber füllen Älofterjelle 
weeften mich jeweils bie #au8glocte, welche meine Äommi* 
litonen jur Sftorgenfuppe rief, unb ber Liener ßorenj, 
ber atöbalb nach bem ©locfenaeichen ju mir ^ereintrat 
nnb mein g-rühftücf braute. 2luch im Seminar gab e§ 
am SJtorgen nur eine SJlehlfuppe, bie ich gerne gegeffen 
hätte, aber nicht ertragen tonnte, wefchalb ich mir wieber 
gegen @£traoergütung HJlilc^ feroiren lief, bie mir im 
Seminar in bie 3eUe getragen würbe. 

kleine erfte „menfdjliche" Unterhaltung pflog ich in 
ber SRegel bei biefer ©elegenhett mit bem Servitore Lorenzo. 
tiefer, ein Heiner, alter Sftann, gang ber $twu3 eines 
SchwarjnKllber Bauern mit über ber Stinte gerabe ge* 
fchnittenen paaren, oerbanb mit bebeutenber geijtiger 
Billigfett bie auch bem bümmften Schwar$wälber an* 
geborene Schlauheit. <$r mar fomit bei aller anfehetnenben 
©utmüthigfeit ein Schlaumeier, ben ich Mfo burchfehaut 
hatte unb bann mit all' feinen ©igenfehaften theilS im 
Spafj theilS hn (fcrnft benütjte. So tarn e£, bafi et balb 
lächelnb, balb räfonnirenb oon bannen ging. 

@r h^tte auch bog 2lmt eines SBecferS unb ging am 



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— « 288 — 

frühen Sttotgen nad) bem @locfenjeid>en ©on 2%üt gu 
2$üt unb tief bie ©tunbe in bie geEcn. Stamit aber 
feinet metjt einfdtfafe, günbete et untet betn latetnifdjen 

©rufte „Benedicamus Domino" — jebem bo§ £id)t an. 

£)a3 ßic^tanjünben war mit abet fo wtberroattig wie 
bet (Me, bet man am £ag eine JJarfel in Ujt $t>urm* 
lod) bringt, unb fo »etbot id> tym jeweils, ein ßid)t &u 
machen, ba id) eS felbft befotgen wfttbe, wenn td) auf* 
ftfinbe. $aS war abet eine Stollifton feinet Sßfttdjten, 
bie et fonft ftrenge erfüllte. 2Bit Ratten bejjfjalb meift 
f#on $i3put not bem fttüliftürf, unb gtollenb unb mut* 
melnb trippelte et meinem 2Rad)bat 31t. 

SReifter fiotenj §atte mele Qa^te als $aufitet mit 
listen in ©nglanb jugebtad)t unb fldj bott ein ©tüd 
©elb erworben, mit bem et bie 2Öalbf)ütte, in meldet et 
geboten war, faufte unb, weil lebig, mit atmen 23er* 
wanbten befe^te. ®a3 n>aten unfete friebüdrfien ©tunben, 
wenn bet alte Sorenj von ©nglanb obet feinet #eimatl} 
mit tvfilßt unb bann ben böfen ©eift in mit sut 9fail)e 
brachte. 

%xo$ meinet vielen Sfccf eteien unb ©treitereien befajj 
idj bod) beS alten £orenj ganzes $et&, was et mit in 
guten ©tunben oft geftanb, unb mit fd)teben in fd)önftet 
Harmonie , als \ti) baS (Seminar verlieft, ©r ift fett 
Sagten in bie ewige $ehnatlj abgereift. 

93alb nad) bem gti^ftücf begannen bie SBotlefungen 
beS SHegens unb bet Repetitoren unb nahmen in bet Regel 
ben gangen SBotmittag in $lnfprud). ttnfet Segens ($>i* 
teftot), eitift ein ftufjetft lebhafter unb entagittet ©tubent, 
wat ba$ 9Bol)lwotten unb bie fttömmigfett felbft, »on 
allen Sehern unb SBorgefetjten, bie tdj in meinet ©tubten* 
^eit gehabt, gang entf Rieben bet ftömrnfte. 5lßein bet* 



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- 289 - 

artige Statuten eignen ftd) nidjt leicht ju einem #ommanbo, 
unb fo ftunb aud) unfer 9tegeng ni<$t am regten $la£. 
<£r füllte eg audj, bajj et §um Regieren nid)t Diel tauge, 
unb überlief* befjfyalb ba§ Regiment getroft ben anbem* 
Siegeng Senber war in biefer 58ejiel>ung baS gerabe 
©egentljeil von feinem Detter, bem S)efan unb Steide 
boten ftranj Xaoer Senber von ©aSbadj. SDer ift ein 
gebotener „Sftegeng" unb Ijat nur ben S^ler, bajj er $u 
oiel leiten unb regieren miß unb fo fein SRegententalent 
jerfptittert 

©ntfpredjenb feiner ftrflmmigfeit gab Siegend Senber 
un5 SBorlefungen über Stöcetif, bie mir gum langmetligjten 
gehörten, mag i<$ big baljin an Seiten oernommen f>atte. 
3<f) oertrieb mir biefe Sangemeile baburd), baft id) regel* 
mäfjig hinter bem dürfen mehteg SBorbermanneg lateimfct)e 
ober griedjtfdje Literatur ftobirte, mag ber gute SSorlefer 
botf) enblidj merfte unb in allem SBoljlmoHen unterfagte, 
nriemofjl oergeblid). 

fjaft sroanaig 3M re fp&ter begegnete td> einmal in 
Äonftanj bem greifen SHegeng, unb feine erfte Siebe mar: 
„®g ift f$on lange Ijer, bafj @i* m&^renb meiner 93or« 
lefungen über Slgcetif Literatur ftobtrten.* Qd) freute 
mid) über bag merfmürbige ©ebäditnif} beg fonft feineg* 
roegg mein; geiftig friföen 9ttanneg. 

3$ umjj mid) unb mein SBerfjalten ber djriftltdjen 
3lgcetit gegenüber bod) etwas entfd)ulbigen, ba geroiffe 
fromme Seute jur Meinung tommen tönnten, unfereiner 
müffe fdpn im Seminar ein falber ftefcer gemefen fein, 
unb eg ^i beftalb fein SBunber, bajj i$ foäter nod> in 
oielen fingen anberer &nfid}t mürbe al§ frömmere ßeute 
meineg ©tanbeg. 

SJteine 2lnjid)t über $gcefe ift bie folgenbe: ©g gibt 



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— 290 — 

für ben 2Jlenfchen ni^tö artigere« als biefc Siblin, 
meldte abfolut nichts anbere* ift als baS, waS einer ber 
gräßten philofoptjif chen Genfer beS 19. ga^r^unbertS „bie 
Verneinung beS SBillenS jwn geben" genannt $>ie 
emsig wahrhaft glücfltchen SJtenfchen fhtb, nicht bloß nach 
ber getjre beS ©hriftenthumS, fonbern auch nach ben SReful* 
taten nemünftiger WWwfa M* SlSceten. Unb eS ift 
ein gewaltige« 3eugniß für bie SEBa^r^cit ber christlichen 
Sttoral, baß bie ^fjtlofop&ie in ihren betrfenbften Ver* 
tretern fie oottauf beft&tigt. „9lu3 ber Verneinung be§ 
2BillenS jum geben fließen alle Xugenben, welche bie 
chriftliche «ttScefe uns empfiehlt, unb je mehr ber 3Renf^ 
fid) non ber äBelt, ihren ©enüffen unb ©ütern emanjipirt, 
im gleiten 9ttaße wächft feine innere ftutje unb feine 
©eligfeit hiemeben fchon" — fagt Schopenhauer. 

„5)er, in welchem bie Verneinung beS 3öiHeit§ #tm 
geben aufgegangen, ift, fo arm, freubloS unb noll <5nt* 
behrungen fein .gujtanb, von außen gefehen, auch ift, noll 
innerer ftreubigfeit unb wahrer £ünmelSruhe. ©S ift 
nicht ber unruhige gebenSbrang, bie jubelnbe ftreube, 
welche heftig getben &ur vorhergegangenen ober nach« 
folgenben Vebingung h«t, wie fte ben SBanbet beS lebenS* 
luftigen SKenfchen ausmachen; fonbem eS ift unerfchütter« 
lieber triebe, eine tiefe 9tut)e ««b innige $etter!ett, ein 
«Buftanb, ju bem wir nicht ohne bie größte ©ehnfucht 
bliefen tonnen .... jener g^iebe, ber höher ift als alle 
Vernunft, jene gängliche 3Jlcerc§ftiHc beS ©emüthS, jene 
unerfchütterlicheSttoerficht, beren bloßer TOglanj im Statlifc 
wie it)n SKafael unb ©orreggio bargefteUt fyAtix, ein 
gan&eS, flchereS ©oangelium ift." — @o fchreibt ber gleiche 
$t)i(ofoph. 

Starum waren jene ©eiligen bie größten unb glücf* 



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— 291 — 

lidjften, welche fidt) gänzlich von ber ^elt jurüctjogen, 
unb baljttt gehören in erfter SRettje bic „Väter ber 3B&üfte\ 
liefet jjBlärater SBillenSfraft fyit mir von allen menfdj* 
liegen Atjaien atn metjten soewunoerung aogejröungen. 

Unb gcrabc bic ^pefflmiftif^c^ SBeltanfchauung beS 
^^ttftent^umS / bie befonberS in ben SBorten be§ göttlichen 
$etlanb$ liegt: „3Ber fein geben liebt bet wirb eS oer* 
lieren, unb »et eS h&ftt> bet wirb eS gewinnen* — bie 
hat in ben erften btei ^rijrnitoten ber ßehre Qefu 
©hrifH bie metflen unb gröfften Vefenner augeführt 

$te 9Renfchhett war uon ßioilifatüm, Äultur unb 
SBeltgenufj unb bem bantit oerbunbenen <$lenb überfatt 
unb erfannte all' bereu ßeere unb (Shrbärmlichfeit. 
halb xoax ihr ba§ ^hripenthum mit „feiner Verneinung 
beS SMenS jum geben* ein wahres ßabfal 3lber gerabe 
auS biefem ©runbe wirb baS Khttftenthum, abgefehen 
oon feiner göttlichen Stiftung , in ber 2ftenfchheU nicht 
untergehen, weil eS allein uon allen Religionen ben innerften 
33ebürfniffen beS gequälten 3Jknfct)en %n £ilfe tommt burch 
„baS ftreu$" unb bie SlScefe. 

Slber, unb hierin foll bie ©ntfchulbigung liegen für 
mein Verhalten ben aScettfchen Vorlefungen gegenüber, 
„bte Verneinung beS £BiHen3 jum fieben*, b. h* bie 9l3cefe, 
tann man feinen SRenfchen lehren in ber Qeit, ba er mit 
feinem garten SBiHen baS geben bejaht, voü irbifcher 
Sbeale in feine 3ufunft Wicft unb, um gewöhnlich S« 
reben, ben $hmnel unb bie <&rbe polier Vajjgeigen* 
fleht. %a werben ihm jene Sehren ebenfowenig einleuchten 
als bem armen ©ogialbemofraten, bem ich »orreben will, 
er möge fleh boeh nicht nach Kapitalien feines JJabrif* 
herrn fehnen; benn er fei, auch wenn er beffen ©elbfacf 
beftfce, boch nicht glürflid). 

19* 



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— 292 — 

$)ie beften Sßorlefungen über $3cefe gibt bembenfcn* 
ben 3ftenfcf)en mit bcr Qext baS geben von felbfi ©3 
fdjreibt tfpn bie ganje (Srb&rmlidjfeit unb baS gan^e ©lenb 
bicfet SBelt unter Stornier unb «Itfc in bie ©eele hinein 
unb mad)t ifjn entroeber ju einem guten ©Triften ober 
roenigftenS $u einem vernünftigen Sßefftmtften. 

Qn meinen 2lugen ift bal)er 9l§ccfc nur fieben unb ntdjt 
2Biffenfcf)aft. ©ie mufj gelebt unb geübt aber ntefjt ftfjroars 
auf tvetfi mebergefdjrieben unb memorirt werben; be&tyalb 
warb mir bie SlScettf unfereS braven IRegenS fo aumiber. 

£)ie gmeite sßerfdnlidjfeit, bem Spange nad), bilbete 
ber ©ubregenS änittel, bem Siegen« an attenfdjenfreunb* 
Udjfeit unb ütnerfter Seelenruhe nalje ftefyenb, aber roie 
biefer gum $errf^en nid^t geboren. 3lud) fein £itel ©ub* 
regenS mar ein lucus a non lucendo. <£r gab uns fo 
trocfen, wie er f elber mar, ben fogenannten „(Neunter* 
ric^t" unb leitete unfere ©inÜbung in ben SKituS. $>iefe 
(entere gfunttion machte i^n mir gum liebjten unb unter* 
ijaltenbften Setyrer im Seminar. Qu ber „SRituSfapeHe" 
9Jkffe lefen, taufen unb ad' bie frönen Zeremonien ber 
fat^olif^en ftird)e bei 9lu3fpenbung ber ©aframente tennen 
ju lernen, baran hatte id) eine Knblidje 3=reube. 3ttand)* 
mal ging td) allein mit meinem alten ©c^ulfreunbe ftarl 
SBuntofer, ber ein feiner ftitualift mar, in bie ftapeUe 
unb mad)te mit ihm ade bem $riefter für feine gunftionen 
nötigen Hebungen burd) — oom „föofyamt" bis jur $auf e 
beS t)ölgernen&inbe3, baS als Lehrmaterial vorhanbenroar. 

$>er ©ubregenS paftfe fonft vortrefflich als SftituS* 
inftruftor; benn er celebrirte fchön unb fang noch fchöner, 
fo bafc er in biefer $mfid)t mit gutem SBetfpiel voranging. 

$>er eigentliche^ geiftige Segens im ©emmar mar ber 
fchon genannte Repetitor ©chmitt, ein junger ^riefter, 



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— 293 — 

ber an Xalent unb Sßiffen bie erfte ©teile einnahm, unb 
welchen feine &wei befcheibenen SBorm&nner gerne als 
Spiritus Kector juließen. 

Stttt biefem £errn, ben id) übrigen« fpäter als ebenfo 
betreiben wie liebenSmürbtg f ernten lernte, fam ich am 
wenigften auS. Ott führte mir fein [Regiment ju fleinlich 
unb $u poltjeibienermäfjtg. ©eine ©emohntjeit, AbenbS 
an ben Sfjüren gu Hopfen, wo er noch Steht fat), unb ben 
3eUettbewohner &um Settgehen au mahnen, machte mir 
biefen $erm förmlich t>erhct6t, unb wir taufd)ten btS= 
weilen ziemlich heftige Lebensarten gegen einanber auS. 
©eine SBorlefungen über Dogmatil gefielen mir bamalS 
gar wot)l/ wären mir heute aber nicht mehr genugenb. 

<£>er inerte unb Iefcte unferer SBorcjefe^ten gehörte 
ber Filiale unferer ftiöjefe, bem preufcifchen Sftnbchen 
©o^ensoUem an. Repetitor Sflaier, ein ganj jugenb* 
lieber, freunblicher £err, laS über üftloral nach ben fehr 
prattifchen „£eften" beS ehemaligen LegenS Äöfjing. ©r 
verwaltete zugleich baS Amt beS SBibltothefarS unb be* 
forgte un8 auf antiquartfehem SO&ege ade möglichen theo* 
logifdjen $ücher. Qum SBudjhanbel war ber SJtann wie 
gefdjaffen unb baS Antiquariat feine Sßaffton. ©an$e 
2Bagenlabungen alter SBÜcher ließ er ben SBerg herauf* 
führen, unb ich bin feft überzeugt, baß er w&h?cnb feines 
Aufenthaltes in @t. Sßeter mehr SBüdtjer abgefegt fyd, als 
in feiner ganzen heimathlichen Sßrootnä ©ohenjoUem cor* 
hanben ftnb. 

Auch mit biefem fonft fo gefälligen Repetitor ftunb 
ich nicht auf bem beften 3Mk £>er ©runb baoon lag in 
meinem ftarfen „JJretheitSgefühl". 2ßaS mir baS ©emtnar* 
leben allein öfters entleibete, mar ber SJtangel an hin* 
rei^enber Bewegung im freien, bie ftlaufur. Oh«* menfeh* 



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— 294 - 

ticken Umgang tonn td> leitet leben, unb je etnfatner bie 
®egenb, um fo lieber ift fle mir, allein „etngcfperrt" fein 
unb md)t frei toanbeln tonnen in fjclb unb fflux, ba3 
roiberfle^t meiner ©eele über alle Mafien. Unb roaS i$ 
an ber ©eminarerjiel)ttttg in 6t $eter auszufeilen l>abe, 
betrifft ooraugftoeife biefen einen $unft 

(jemals befanb ftcf) ba§ ^ßriefterfeminar ber ^töjefe 
in SReerSburg am SBobenfee unb fpäter in ffreiburg, alfo 
mitten ht ber 2Belt unb unter ben 3Renfd)en, mo eine 
gennffe SHaufur geroig gu billigen ift 2lber 
©emmar, wie ba3 ju ®t $eter, auf einer (Sinöbe be3 
©dnoarawalbeS liegt, wo !aum jebe $albe ©tunbe eine 
2Bauernl)ütte fidjtbar wirb, ba formte man ben ftanbibaten 
für ba3 2Beltpriefiert!)um tagtäglid) freien SBanbel laffen 
in SBerg unb SBalb. ©tatt beffen mürben mir wödjentlidj 
jroeimal getnemfäaftltd) fpajieren geführt wie bie Un* 
münbigen unb (Säuglinge in einer Äletnfmberbemaljr* 
anftalt SBar aber au einem ber 3luSgef)tage SKegemoetter, 
fo fiel e$ unferem SRegenS unb feinen ©efäfjrten nidjt ein, 
an einem anbern £ag uns an bie fiuft ju laffen. Dem 
leiteten 2Rifcftanb f)alf id), nad) mausern Auftritt mit 
ben SBorgefefcten, menigftenS für bie ©eminariften oon 
1862/63, ab. 

Slußerbem, unb bieg braute nu$ in Differenzen mit 
bem flehten [Repetitor au§ ©igmaringen, ber uns meift 
auf ben Spaziergängen begleitete, behüte man unfere ©j* 
furfe mögltdjffc menig au& Der Heine 9Rann mar fein 
JJreunb tum grüneren fcouren unb führte uns, menn immer 
tyunlid), im ftanon einer orbentlidjen ©dnfemeibe fjerum. 
3$ ft"8 ^ m befftalb öfters aufs Limmer beföroerte 
mid). 3 e fürger bie Spaziergänge ausfielen, um fo langer 
warb mein ftoxn über unfere ®pajier*2linme. 



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— 295 — 

Qdj form e£ mit abfoluter ©ic^et^cit oorauSfagen, 
ba§ id) im ftitdjenregiment unfcrer Sttöjefe nie ein 9fott 
befteiben werbe. äBerat bieS aber ber g^U wäre, fo würbe 
idj nor allem baffir plaibireu, bafc bie <St. getaner mefjr 
an bie Suft fömen; bann würben unfere ÜReupriefter nidjt 
bleief), wie (Sebetne au3 ber ©anbwfifte, oom Serge ^erab* 
tonnten, nnb mancher, auf ffcengen Soften ©erfefct, nid)t 
fo fd)neK ba^mmetfen. 

2Bie oft Ijab' id> oon irgenb einem g-enfter be$ ^weiten 
@todwer!e$ au3 meine Slicte fe$nfüd)tig $htau§ gerietet 
nadj SÖerg unb 9Balb unb bie ^Bauern beneibet, bie oon 
®t. Margen fjer bergab wanberten ober auf ityren %d* 
bem arbeiteten, beneibet um ber ^reifjeit willen! $a 
felbft ba8 SBaffer be§ ßlofterbrunnenS, ba§ oor unferem 
©petfefaal plätföerte, Ijab' t$ manchmal mit «Reib be* 
trachtet unb feinen luftigen 9ßeg bur<$ SBiefe unb fjlur 
im (Seifte oerfolgt unb e$ iljm mif$götmt, bafj e3 nad) 
turpem Sauf burdj unfere Älaufur wieber forteilen burfte, 
IjinauS in ©otte§ freie Statur, 

3$ Wnnte uudj tyeute no<$ unfd&wer entfd)ttefjen, in 
wüber ©inöbe als freier (ginftebler au leben, aber Älofter* 
äwang wäre mir eine furchtbare Saft SWur ber fdjöne 
Orben ber Äartfyäufer mit feinem ootten (Snnjelleben ober 
ber bettelnbe ftapusiner f önnten mir'S, wenn 9fa>tl) an ben 
2Jlann fäme, antljun. 

2Bir Ratten jwar einen grofjen ftloftergarten jur be* 
liebigen Senkung in fottegfreien ©tunben, allein ben 
umjog eine fo langweilige fttefenmauer, bat i$ mid) fo 
tfjm nur erging wie in einem notlpoenbigen Uebel. 

£)b meines oielfd^en 9t&fomtiren§ wegen mangel* 
§after ^Bewegung im freien war td& balb beim ganzen 
Kollegium unferer SBorgefetjten mißliebig geworben, $)a$u 



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- 296 - 

fast nocf> meine übrige Unbotmäfjigfcü, bie fld> ist einem 
fjalle befonberS ellatant ernrieS. 34 ßtt * m SBinter 
1862 faft beftänbig an 3af)nmel) infolge einer ^iftel. 9ttS 
mein Seiben anfing fe^r fd&mer^aft ju werben, oerlangte 
icb nach bem nftcbfien beften 9lrat. 

9hm fafc braufjen not bem SUofter bet S)ottor 33laS, 
feit Qatyren ijier oben nnter ben 2Balbbauern tljätig. 2lb« 
eS ging i^m mie mit f elber, et mar bei ber ©emincr* 
geiftlidjteit nidf>t beliebt, meil er, abermals wie unfer* 
einer, triebt fdjroetgen tonnte unb btSroeilen me^r rebete, 
als gut befunben mürbe. 3Jlan rief ifjn bejftalb nur in 
ben atterbringenbjten gellen su #tlf e unb Ijatte als eigent* 
liefen ©eminararjt ben $f)qfituS o. SBänfer in Jreiburg 
befteUt, ber aucfc ungerufen oon 3*tt ju 3ett law, um ft$ 
nad) bem ©efunbfjeitS$uftonb ber fianbibaten ju ertunbigeu. 

3$ f)atte nun feine fiuft, in meinen 6d}mer&en su 
marten, bis ber ^gftfuS gefommen mdre, unb oerlangte 
ben 5)ottor SBlaS. SJtetfter Soreu& meigerte fic^ auS i^m 
root)lbefannten ©rünben, ben Mißliebigen ju rufen, morauf 
tri) tfjm ooU Qom unb (Energie fagte, # er möge bem 
SHegenS melben, wenn in einer (Stunbe ber ©etreffenbe 
nid)t gerufen fei, mürbe i$ fofort baS Seminar oerlaffen, 
mid) braufcen im SBtrtySljauS nieberlaffen bis jur ©enefuug 
unb bann auf üfttmmerroieberfelpn ben $erg !)inabfteigen\ 

©djeu, als ob i$ im ^Begriff ft&nbe, ein SBerbredjen 
in oerüben, eilte mein ©^marjm&lber oon bannen, unb 
nad) einer falben ©tunbe trat ber 9lrjt in meine Qtüt. 
©S Ratten ftd) jmei gerne „räfonmrenbe" ©eelen gefun* 
ben, unb ber $>oftor unb id) maren balb ,gut 3*eunb*. 
Qx befugte mid) oon jefct an nad^ belieben, unb mand&e 
©tunbe $at ber gefdjetbte, mit wibrigen ©djicffalen aller Slrt 
lämpf enbe SKann, ber $eute, 1902, noc§ lebt, mir oerWrjt, 



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— 297 — 

Qu ber (Sinfamfeit beS ftlojtetlebenS tommt man auf 
allerlei S)tnge, bie einem im SÖßeltleben fünft nidjt mehr 
begegnen mürben. ©o tarn auch mir in ber SDßinterSjett, 
ba ich eine« fcageS an meinem ftenfter fhtnb unb in ben 
oben, fehneebebecften ©arten hinau§fcf)aute, bie(£rinnermtö 
an baS 9Jleifenfangen ber Änabenjeit Der ©ebanfe würbe 
alsbalb §ur 3$at $d) machte mir einen SRetfenfchlag, 
fing eine Sfteife unb fefcte fte anrifchen genfler unb 93or* 
fenfter meiner 3elle. 

S)aS muntere $t)terd)en ^at mir ben ganzen langen 
SBinter über manch' Reitern 2lugenbli<f oerfchafft unb be* 
fam bafür hn grü^a^r feine Freiheit, bie eS in ber 
crften 3^ banfbar in meiner 9cat)e oerbrachte. 

©onft hatte ich wenig Unterhaltung ber Potior unb 
mein $ogel waren bie ^auptrepräfentanten berfelben. 3n 
ben freien ©tunben, welche meine Kommilitonen in ber 
SRauchhütte im ©arten ober auf ber äegelbahn oerbrachten/ 
lag ich meinen pljtlologifdjen ©tubien ob; benn ich hatte 
bem SDireftor &übel oerforochen, gleite) nach SBeenbigung 
be§ 6eminar3 baS (Staatsexamen machen gu wollen. 

2tm ©onntag unb einmal in ber SBoche gab eS jur 
iRetreation eine f^lafct)e SBier auf eigene Äoften. Sieferant 
iDar ein 93ierwirtl) brausen vor bem ßlofter, welker an 
Sonntagen ben ^Bauern nach bem Kirchgang aufwartete; 
ber betreffenbe ©erfienfaft aber war ein ©etr&nt, baS eher 
einer Sttigtur für einen SBierfüfeler gleichtat) als einem 
Bier. Unb bo$ warb'S oertilgt, als wär'S SRettar! 

2öie oft hatte ich meine trübe ftlafche «t einer 
ftenftemifche beS luntern flloftergangeS bei ber 93ibliotIjef 
fielen, ging ftubirenb auf unb ab unb tranf oon ßeit ju 
geit oom „Strunf ber Sabe"! 

2äglich wanbelte ich auf biefem büftem ©ang einfam 



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— 293 — 

unb aHein Ijin unb Ijer, an ben Silbern vergangener 
klebte be£ ftlofterS worüber, §orag, XacituS, (Stcero, £fjufg* 
bibeS ober ©opIjotleS lefenb. Unb wenn bann bisweilen 
ber 9tegen3 ober ein Repetitor meine $aße burd&treugte, 
flauten fte mit mijjtrauifd&en SBlicfen ben ©etbenjfingling 
an. Unb flc motten nid)t unrecht t^un; benn in ein 
$riefterfemhtar pafjte mein (Stubinm allerbingS nicf)t. 
3)odf) vertiefte idfc mid& gar oft, mitten au£ meinen flaf* 
fifc^en ©tubien §erau3, inS tieffte (£l)riftentf)um. 

SBon meinem ©ang au§ führte eine f (eine fcreppe anf 
bie ©rnpore ber Älofterfitc^e, unb baf)in begab id& mid) 
oft, um eine Slnbetung be3 aUertyetligften ©atramenteS 
vorzunehmen. S)ie tiefe 6tiHe in bem weiten, mengen» 
leeren ©Ottenaus mutete midf) jeweils ungemein an, 
unb e$ gehören jene 2lugenblicfe gu ben friebli^ften 
meinet unruhigen SebenS. 

$>urd> mein unfhmigeS ©tubiren, von bem id^ mir 
feiten eine ($rf)olung gönnte, mürbe mein ÜRervenfvftem 
fo aufgeregt, baf tdfj am Slbenb feinen ©djlaf pnben 
tonnte unb mtd& in ber gleichen Sage befanb wie vor 
Sauren in ftaftatt, ba $abaf unb Zigarren bie gleite 
Sßirfung hervorgebracht Ratten, iöergebttd^ verfd&rteb mir 
ber Stator f leine S)ofen von Dptum, ftatt mir ba3 ©tubiren 
ju verbieten, unb bie gange ©emmargeit Innburcf) blieb 
biefer elenbe «ßuftanb, bem id) fp&ter allein burdf) ©enufj 
von SBter entgegenwirken tonnte. 

S)a3 hat man von biefer verffodf)ten Sötffenfdfjaft, bafj 
fte einen ph#fch tutmrt, gegen ba3 ©lenb biefer SBelt 
aber nidf)t8 unb für bie ©wtgfett gar m$t£ nü^t. Qch 
habe vor (urgent bie ©dfjrift eines englifd&en ©piritiften 
gelefen, bem ein „@etft ©amuel" folgenbeg h^ft 93er* 
nüuftige geoffenbart hat: ,3)a3, wag wir moberoe Stlbung 



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- 299 — 

nennen unb wo$ ben ©tolj von Millionen au8mad)t, tft 
im allgemeinen bie unglücflidtfte 9lrt von SBorbereitung 
für baS fünfttge Seben, unb wir fönnen uns in jeber 
©inftc^t füglidj ba3 33ebauern über bie fogenannten un* 
cbilifirten SBölfer burc^auS erfparen. $te gan&e heutige 
^agb na$ S&iffenföaft, nad> ©lücfögütern unb nad& einer 
(Stellung im fojialen Seben, ba§ egoiftifdje ©trebertfjum 
unb bie ljunbertfältige Sprung, meiere ben Hüntel unb 
ben 2Baf|n groffeteljen von ber <Sd)ule bis $um ©rabe — 
furj ba§ ganje mobeme SBeltleben ift genau baS ©egen» 
tf)eil von bem, wa3 bie ©eifterwelt bereinjt von un§ t>er* 
langen wirb/ 

grüljja^r 1863 fam ber greife ©rjbifdjof v. SBicari 
ben SBerg herauf, um un3 bie $)ia!onat8wet&e ju erteilen. 
2Bir alle Ratten uns ben gangen SBinter über barnad) 
gefeint; benn mit ber Uebema^me biefer 2Beü>e burften 
mir in ber ßirdje ben dauern von ©t. *ßeter prebigen 
unb im „Slmt" an ©omt* unb Feiertagen bem celebrirenben 
^ßriefter biafontren. 

©3 famen jeweils jwet an bie Steide sunt prebigen, 
ber eine in ber ^rü^meffe &ur „©omilie" unb ber anbere 
im #auptgotte8btenft sur „Sßrebtgt". amd& traf am 2)ret* 
falttgfettSfonntag bie ftrü&rebe, weldje id> eipltd) unb 
rebltd) au3 be£ alten ©irfdjerS „^Betrachtungen" ab* 
getrieben Ijatte. Iftad) ber ftritymeffe famen einige $ol* 
legen unb baten mid), iljnen bod& meinen (Sermon &um 
9lbfd)reiben ju geben, ba er fo fd^ön gewefen fei. 
wies fte aber alle auf meine Quelle l)in, in bereu Seftij 
fie meift f$on waren. 

©in$elne mürben barob irre an mir unb meinten, 
von mir hätten fie erwartet, bajj idj meine erfte *ßrebtgt 
felbft fertigen unb m\$ fäffmen würbe, budjftäblidj ab* 



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— 300 — 

auftreiben. 3$ ianttie tön <5$amgefüf>l barübet, weil 
«h i^be gute ^rebigt, bamalS fd&on, für ein ©emeingut 
ber tatholifchen Stirpe hielt, ßetber werben aber berarttge 
©emeingüter immer feltener, unb fo h<*be t«h eS fchon 
längft ©erlernt, *ßrebigten abzutreiben, bie ber $>ructer* 
fc^roärje nicht werth jhtb. 

2lm meiften an ^Belehrung unb Unterhaltung sugletc^ 
profttirten bie dauern von ©t. *ßeter, ba fie von Dftern 
bis &um 2foguft jeben ©onn* unb fteiertag |wei anbere, 
mögltchft gut oorbereitete *ßrebiger Nörten. %o$ tarnen 
bie guten Seute bisweilen auch in Verlegenheit, wenn jle 
fo einen armen ftanbtbaten auf ber ftanjel fahen, ber 
gitternb unb bleich mit Slngjt unb ©ebächtnijjfdiwäche p 
tämpfen hatte. — 

©S fam ber Sommer, unb ber erft fleibet bie #öhen 
beS ©chwarjmalbeS in baS ©rün beS ftrühlingS. 2lber 
je bunter bie statten mürben unb je frtfeher bie Zäunen* 
loälber, um fo mehr wuchs meine ©efntfucht nach ber 
freien üRatur. Söenn In* unb ba ein größerer 3luSflug 
genehmigt mürbe, fo freute ich wich rote ein ftinb, baS 
man nach langer Äranff)eit jum erften SJtal mieber aus 
ber bumpfen ©tube in bie roarme (Sonne hinausführt 
3tuf ben ßinbenberg, an ben gaU beS gmeribacheS ober 
an bie ©renken beS ©lotterthaleS gingen in ber Siegel 
biefe weiteren (Spaziergänge, oon benen ich jeweils nur 
ungern in bie falten, feuchten Stlofterräume aurüeffehrte. 

©ine ber glänaenbjten ©riunerungen an bie ©eminar* 
jeit ift mir baS $eter* unb *ßaulsfeft geblieben, «on 
allen bergen unb SBälbera h**ab unb tief h**auf von ben 
Zhälem gogen ba bie Sanbleute unferem Softer ju. S n 
prächtigem ©onnenfehein warb im Angefleht beS gelb* 
bergS eine ^rojeffton gehalten, geh fyabt in mtintm 



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— 301 — 



ßeoen nie wteber fo Diele fromme, von gläubiger JJreube 
ftraljlenbe 9Renfd)en gefefjen, wie auf ber einfamen ©ö^e 
von ©t $eter an jenem £age. 3$ glaube, wenn id) ein 
großer 3Raler wäre unb müßte bie JJreuben ber ©eligfeit 
menfdjlid) barftetlen, icb würbe meinen ©toff au§ ber 
Erinnerung an jenen ^efttag ber ©djmarjwälber nehmen. 

%fc Sage ber ^riefterwetye unb ber nädjflen Sßor* 
Bereitung barauf tarnen immer nä^er. 3$ fann bie @e= 
fütjlc, toelct)e ben jungen Geologen in biefer ßeit erfüllen, 
nid)t anberS bejeidmen benn genau als btefelben, oon 
benen boJ ®rftfomtnunion*Äinb befeelt ift. SRir wenig* 
ftenS ging e§ fo. Unb wie in jenen ftinbeStagen ba£, 
was mit ber ©vftfommunion oerbunben war, bie neuen 
Kleiber, ber ©etbenfmt, bie ©djulentlaffung, mtd) m'ele 
SBodjen oorfcer beföäftigten unb erfreuten, gerabe fo bei 
oer ^prteiterweitye. 

%it „$rimisbilber*, bie „erfte fettige 3Heffe", bie oer* 
fdjtebenen $u erwartenben ©efdjenfe an priefterltcfjen ©e< 
roäubem, baS <£nbe be§ $?lofterleben£ — baS atte§ &og 
wie ©onnenfdjem burd) meine wieber burd)au§ finblid) 
geworbene ©eele. Sage unb ©tunben würben gejault 
wie e^ebem t>or bem weißen ©onntag, unb Briefe nad) 
allen Stiftungen geff rieben, oott be3 jufünftigen ©lücfeS. 
•Blutter unb Großmutter ließen e$ fid^ nidjt nehmen, bie 
Steife nad) ©t. $eter ju machen, obwohl bie leitete eine 
©iebenjigerin war. ©ie wohnten ber ^ßriefterwei^e an, 
aber fpred>en burfte id) fie an biefem Sage «ift Söit 
trafen un3 erft am anbem Sttorgen, an bem id) frei 
würbe, in Jyreiburg. 

SBte unenbltd) feiig unb t>oU oon Hoffnungen unb 
Qjbealen oerließ tdj ba§ ©eminar unb eilte ben 93erg hin- 
unter, aö ging'S bem $immel ju au3 bem JJegfeuer! 



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— 802 



©erabe rote in ber ftmbeSjett! 9JHt welker £erjcn§* 
frif$e uttb welkem Qubel ©erläßt bie aBeifjen*©ottntag§* 
Qugenb ©djule unb Ätnbheit unb hüpft mit offenen 
Firmen ber 2Belt &u, um nadj wenigen Sagten, enttfiuf 4 t, 
alT ihre ©itterfeiten unb Mmpfe ju erfahren, ©o ift 
bie «Bett! äöunberbar fd&ön fagt ein perftfeher Achter: 

3ft einer SÖelt iöefift für bia) gemmnen, 
©et niä)t im Sctb barübet, eS ifl niö)t3; 
Unb §afi bu einer 2ßelt 53eftfc gewonnen, 
©ei niäjt erfreut barü&er, eS ift niä)td. 
Vorüber ge$'n bie @d)merjeu unb bie SBonnen, 
©ey an ber SBelt oorüber, fte ifl md&tS. 

3<f) war fo »ott freubiger ©efüf)le, bafj t<h |eute 
m$t meljr n>et£, roie unb auf welchem SBege ich oon JJrei* 
bürg mit SKutter unb ©rofjmutter heimtam ins ftinaigthal. 

2lm folgenben ©onntag, ben 9. Sluguft, fottte ich meine 
erfte heilige 9tteffe in ber ^farrtirche &u ©aSlach feiern. 
2öenn tdf> je roieber auf bie Söelt tarne unb jum *ßriefter* 
thum, fo mürbe tet) ganj gemifj nie mehr meine „*ßrimia* 
öffentlich unb in ber ©eimath abhalten. $)enn eine foldje 
geier ift mit fo oielen Heufjerlicftfeiten oerbunben, bafj 
ein Junger Sttenfch am Sag felbft nicht met)r weii wo 
tr)m ber äopf fteht 2Kan ift ein wahres ©djlachtopfer 
ber fjreube feiner SBerwanbten unb be3 eigenen $ocf)gefüf)l§ 
feiner neuen Söürbe. äßenn ich an jene Xage jurüefbenfe, 
fo filmte ic^ «n beften, wie Imblich unb tfnbifch eigentlich 
noch ein Sflenfch oon 25 fahren ift, felbft wenn er jwölf 
Qa^re ftubirt f)at. 

Unb wenn tdj mir bie oerfdfjiebenen (Scenen oor unb 
am $age ber ^ßtimtj ootfteHe, fo jueft e§ buref) meine 
fchwacheu Heroen, als fürchteten fte fleh, nochmals folche 
Hufregungen mitmachen ju muffen. 



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- 303 — 

2hn 2l6enb meiner #cimfunft erfchien Sambert, bet 
©einrieb, mit bet $a§lachet (Stabtmufi? unb Braute bem 
ÜReuptiefter ein ©tänbdjen. tiefer geigte fleh auf bet 
fteinemen ©augtreppe unb ^ielt feine erfte „©tanbrebe", 
©on beten Inhalt bet alte Pfarrer abet heute feine ©übe 
meht metjj. ÜRut fo mel Hingt nod) in meinet ©eele 
roiebet, baß bet blaffe, lange SReupriejter fdjrecflid) ge* 
tü^tt mar r>on biefet ©ulbigung feinet „lieben 2ftttbürger\ 

£eute mürbe ich bie JJlucht ergreifen, wenn ich eine 
foldje Dtmtion entgegennehmen müjjte. 

Qd) fann übrigens nut banfbat bet Dielen 5ln* 
fttengungen gebenfen, meld)e bie guten $a§lad)et bamalg 
matten, um meinen fjejlttag mögliche glänjenb &u ge» 
ftalten. Qerfelbe war ftit ba§ ©täbtdjen, mag bie SJlenfchen* 
menge betrifft, ein boppeltet unb btetfachet ^aljttnarft. 
@g hatte fchon faft btetjjtg 3fohte lang feine „^runia" 
mehr hiet ftattgefunben, unb beim Sanbaol! beg ftin^ 
thaleg gilt nod) bet alte ©prud}: „Um $u einet etften 
heiligen SUlcffe gu fommen, foQ man ein Sßaar ©chuh* 
fohlen burchlaufen", baher bie grojje SBolfgmenge. 

Untet biefet befanben ftch natürlich alle jungen unb 
alten Bauersleute, bie feit ben Sagen meinet Sttnbhett 
im österlichen $aufe ©infeht gehalten, unb bie heute 
alle mit bie $anb fchütteln wollten. S)aS SBatetfjauS 
tonnte bie (Säfte ntd)t alle aufnehmen, unb noch &u>ei 
SRadjbarhfiufer routben mit folgen gefußt 

3$ tarn ^albtobt aug bet $trcf)e, roo mein alter 
Stefan mit afftftirt unb mein greunb, äooperator ftätdjer 
aus ftretburg, jefct ©tabtpfarrer in ©nbingen, geptebigt 
hatte, 3$ lag einige ©tunben auf bem gimmet meines 
JJteunbeg, beg ftoftotg, untet feinet Obhut unb Pflege, 
big eS mit möglich mar, an bem fteftmahl theilgunehmen, 



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- 804 — 

beffen <S^reng&fte bie f#mtrttU$en Sflttglieber „ber $olg* 
i)9tmtia" bilbetett. Samberg ber ©chmteb, ober muftyrte 
mit feiner Capelle bis in bie fflafy hinein. 

mar ein frönet Sag, aber mitmachen möchte ich 
ihn, mit fchon gefaßt, nicht mehr. $a fyibm jene meiner 
SNitbriiber, bie in ber ©title wm @t. $eter ihre erfte 
heilige 9fleffe feierten, Diel vernünftiger gehanbelt. S)och, 
e3 mufj auch öffentliche $rhni$en geben nm beS 9Bolfe§ 
roillen, ba§ mit 9ted)t im ÜReupriefier ein Qbeal fteht, unb 
barum forgt ber liebe ©ott bafür, baß e$ auch Sfteu* 
priefter gibt, welche öffentlich »rimiairen. — 

S)ie folgenben Sage, ba ich bie ®apeHen meiner 
ätnbheit bei ber 9Mf)le broben unb am ftlofterbach als 
^ßriefter befugte, mürben mir weit lieblicher in ber Shat 
unb in ber (Erinnerung. 2foch eine ^ßrebigt hi*tt ich 
einmal in ber 93aterftabt — unb bann teerte ich mieber 
nach üfteiBian surfief; benn eine neue ©orge Befchftftigte 
jefet soUauf ben SReupriefter: ba3 Staatsexamen* 



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^ireftor Vilbel hatte mid) eingelaben, als fein ©aft 
nad) gaetburg &u fornmen, mit bort, ber oerfd&iebenen 
Hilfsmittel falber, midf> auf baS im ©pätljerbfl ftatt* 
ftnbenbe pl)UologifdE}e ©samen enbgiltig t>or$ubereiten. ©S 
gehören bie SBodjen, weld&e id& oon jefct ab bis jum 
ftejember im ßonoift subrac^te, mit ju bett angeneljmjien 
©rinnerungen meines ganzen SebenS. 

©eroöljnlidj ift bie nädjfte unb le$te SBorbereitung 
auf baS Staatsexamen bie unbehagliche unb müheootlfte 
3eit ün Dafein beS ©tubenten; allein mir mürbe fte in 
bem Dörfer fo uerhafjten ftonmtt überaus leicht unb Reiter. 

Qd& l*Wt jetjt nidf>t mehr als bem geift* 

ticken $aufe, fonbero als JJreifjerr. Sötern Quartier hatte 
id) im „©aftaimmer* beS $)treftorS aufgetragen, unb roeil 
in ben erften SQBodjen noch feine Geologen ba roaren, ber 
Serien wegen, fo warb td& in ben ©fingen unb im ©arten 
von niemanb gcftört bei meinem ©tubium. SHefem würbe 
jebod^ in ber Sftegel nur ber borgen geweift unb einige 
3lbenbftunben oor bem ÜWadfjteffen. Slm !Wacf)mittag fchlofj 
ich mich balb biefem, balb jenem ftooperator ober SBene* 
pciat beS SKünfterS an unb machte mit ihnen Ausflüge 
in bie nädhfte Umgebung ber ©tobt 

$efonberS vielen Umgang unb 2fo8gang aber pflegte 
idf> mit meinem ehemaligen Slepetitor beS ^weiten ßurfeS, 

$ a n 6 iaf o 5 , Gtubienseit. 20 



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— 306 — 

(3f)rat, ben ich, al£ er mein S8orgefe|ter mar, nicht be* 
fonberS äftimirte, jefct aber balb als einen feingeiftigen 
3Hann fd)ät>en lernte. 2Bir burchftretften meithra an Stach* 
mittagen bie Dörfer um gretburg. Süt^ in feine ©eimath, 
SDBalterS^ofen, manberten mir eines % ageS, unb ich erinnere 
mia) lebhaft ber^reube, meiere feine SBermanbteu, barunter 
bex SBater, Ratten, als mir in ba£ Heine ^Bauernhaus ein« 
traten. 2Btr befugten auch ben Pfarrer beS DrtS, einen 
fteinalten Sttann, ber ehebem im Äinjtgthale, in $aufach, 
paftortrt hatte. 6r erjäf)lte mir manches über bie geimati) 
auS Stiitn, ba ich noch nicht unter ben Sebenben mar, 
unb ich flaute an bem greifen ^rieftet hinauf mie an einem 
Propheten. 

ffof bem SRücfmeg gingen mir in ber 9töhe eines 
SBalbeS üorüber unb Ratten uor uuS bteSBerge bes ©chmara* 
walbeS; ba erfaßte mich eine namenlofe Melancholie, bie 
mich fortan lange geit nicht met/r ©erließ. 6ie entfprang 
offenbar meinen bur$ bie Qa^r unb $ag htnburch rul)e< 
loS fortgefefcte, geiftige X^tigteit nerftimmten Heroen, 
unb ©erg unb SBalb Ratten am ftillen Slbenb biefe 9fliß* 
ffomnung in mir plflftlich wachgerufen. 

2Bie ein JJunfe lange unter ber Slfdje glimmt, MS ber 
2Bmbhauch l ommt, melcher ihn sunt flammen bringt, f o ging 
eS mir auf bem 2Bege von 2BalterSr)of*tt ftretburg. Unb 
merfnmrbiger 2Beife lehrte bie gleiche Stimmung jeben Slbenb 
um biefelbe £eit roieber, mie ein lieber. Qfch bin mir jenes 
BnfaUeS noch fo fehr bemußt, baß ich auch noch Ö^nau 
meiß, mie mir an jenem 2lbenb in einem WtöxfytyauZ in 
Umürch einen ^Bürger au§ Jretburg trafen, ber unS einlub, 
mit ihm in bie 6tabt aurüefaufahreu, unb mie ich ftumm 
unb ftitt im SBagen fortbrütete an meiner SMancholie. 

S)iefe3 trübfelige Sßeroenfptel konnte mir aber jene 



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— 307 - 

fcfjönen 2age int ftonotft ttut für ein ober bie anbete 
©tunbe verbittern, bie übrigen ©tunben netliefen um fo 
heiterer, namentlich auch diejenigen, welche auf bie Slbenb* 
trübung folgten. 

3?ad) bem üftachteffen famen regelmäßig einzelne geift* 
liehe unb weltliche Herren inS ftomnft, unt mit und ihr 
93ier ju trinfen unb fich $u unterhalten. $)iefe ©tunben 
waren mir noch angenehmer aB bie auswärts verbrämten. 
3$ lernte ba manch* geiftreidjen ober liebenSroürbigen 
SJlann fennen, wie g. SB. ben SBautath 93aber, ben Stom* 
fapitular SBetcfum, ben ebenfo finbüch frommen als ebrift* 
lieh tyüum bamaligen S)ompräbenbar Soulanger. 9luch 
^ßrofeffor Sltyog fam pwetlen, ebenfo ber unoerwüfiltche, 
berbgeiftigelRegiftrator Nägele. Serbin aUbiefen Männern, 
foraie bem $)irettor unb ben Sftepetitoren jener $age 
SU %ant verpflichtet, theüS wegen ber ^Belehrung, bie ich 
au§ ihren ©efprächen fchöpfte, thetls wegen ber großen 
SJreunblidhteit, mit ber fie mir jungem SJlenfehen entgegen« 
tarnen, ben fie gan$ „al pari" behanbelten. 

$ie fomifche Seite ber Unterhaltung fiel meift mir 
unb bem Repetitor (Sfycat $u, bie mir beibe ben emftcn 
Dr. SBraun, meinen ßiebling auS ber 3ett beS erften 
Wurfes, oft in bie bijarrften Aufregungen verfemten, inbem 
mir bem leichtgläubigen, fern ber äöelt ftehenben Sftanne 
bie biefften SBären aufbanben. 

§ie unb ba brachte ich auch einen &benb in ber mufi* 
falifchen f^crmilie (Schweiber $u. £iet oerfammelte fleh um 
ben belannten $)ontf apeUmeifter unb Äomponiften <3 ehweifcer 
unb um feine muflfaltfchen SBrüber bie jüngere Älerifei, 
laufcfjte ben ^onjerten ber SBtrtuofen unb tranf Söier baju. 
SJletn £Raftatter &immtttoVit%i SBecfert, als ftooperator am 
Sttünfter, mar jeweils auch babei, unb wir beibe würben 

20* 



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— 308 — 

hier manchmal nach alter SHaftattex Slrt luftig. Stoib 
nachhw gehörte er &u ben lobten. 

(Sinmal machte ich mit bem S)omfapttular SBetdfum 
einen 9lu8flug nach ber 9tuine Simburg am Sttfjein. S)te 
8atf)olif en JJreiburgg Ratten bamalS bie eigene Qbee, bem 
Kronprinzen von Defterreidf) biefe serfallene SBurg, auf ber 
s Jtubolf t>on £ab§burg ba§ Sicht ber 2Belt erblicft haben 
foU, jum ©efd&enfe faufen. ©chon $u jener Qeit wollte 
mir ber ©ebanfe nicht einleuchten, einem ^ürftenfohn ein 
*ßräfent ju machen , unb ich (tritt mit bem patriotifchen 
Domherrn lange über biefe ^perlo^alitöt unb meinte, 
wenn bie heutigen Habsburger ftd) nichts tümmerten um 
ihre (Stammburg, fo hätten mir anbere Sterbliche noclj 
oiel weniger ©runb, bem reiben £aufe Defterretch bamit 
ein „S)ouceur" $u thun. 

3$ weif* nicht, ob je ein $ring biefer Stynafiie auf 
ben Ruinen ber Himburg geftanben ift; wenn e3 aber ber 
JJaU märe, fo müfjten bie jefcigen SWachfommen SftubolfS 
oon $ab§burg bie poeftelofefien 3Jlenf^en ber SBelt fein, 
wenn fle nicht empfunben hätten, bafc ihr 5l^ne auf einem 
herrlichen @tücf ©rbe &ur SDSelt fam. Qch glaube aber, 
e3 war noch feiner bort, fonft hätten fie bie Burgruine 
gewiß gef auft. $eute würben pdf) (aum mehr fold)e greunbe 
Defterreicp in JJreiburg finben, wie efjebem, ba ich mit 
bem Vertreter jener Patrioten hiuauSfuhr an ben IH^ein. 

60 feilte ic% meine 3"* Bwif<h*tt ©tubium unb 
Unterhaltung. $)ie ledere aber nahm bisweilen ben 
Sbwenantheil be§ $age§ in Slnfpruch, fo bafj ber 
3)irettor manchmal Sebenfen äußerte, ob ich im Gramen 
auch beftehen würbe. @S fam infolge batwn ju einer 
SBette jwifchen un§ beiben, wonach ber Sttreftor sehn 
glafd)en Champagner sahlen foUte, wenn ich burch* 



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— 309 — 

fäme; wenn mdjt, wäre baS Sehlen an bem %\xxty 
gefallenen. 

3$ tierlieg midf) auf mein glücflid^eS ©ebädljtnifi, baS 
mir möglich machte, in einem falben Sag fo mel in ben 
ßopf ju bringen als man# anberer in einem gangen. 
2öä§rcnb meines oormittägigen ©tubtumS rourbe aUeS SJtög* 
lid)e in bunter SHifd&ung burdEjgegangen, faft j[ebe Ijalbe 
©tunbe ein anberer ©egenftanb. $>a medEifelten lateinifdje 
unb grted&ifdfje ©rammattt, ©opljofleS, ©oraa, fcljufybtbeS, 
©urtpibeS, ßicero, römifd&e Stteratur unb griedf>ifd)e Sinti* 
quitäten^^ilofop^ieunb^ebräifc^mit einanber wie harten 
im ©pieL Unb am -iftadpmttag mürben ade aus bem 
®opf gef plagen unb -ftatur unb 9ftcnfcf)en ftubirt 

Qdf) bin bis auf ben heutigen Sag in meinen geifttgen 
Arbeiten ein merfroürbiger „SBedjfelbalg" geblieben. S8tS 
$eute neunte idf) faft jebe Ijalbe ©tunbe ein anbereS 23ud) 
in bie §anb, unb es tji mir unmöglich, einen gangen Sag 
mit einem©d()riftftetler ober einem gu befymbelnben©egen* 
ftanb mtdf) ju befcfjäftigen. SBenn idf) ©enufj unb üftutjen 
oon ber ßeltüre tyaben foH, fo mu& td) meinem ©eijte 
mögtidtft mannigfaltige Silber unb ©ebanfen oorfü^ren. 
©o j. $8. liegen jur ©tunbe, ba td& biefe Sßorte nieber* 
f treibe, auf meinem ©cfjreibtiföe folgenbe SBüdf>er, mit 
benen tdf) mtd) jur «3ett beföäftige, auf gef dalagen: 9luguft 
Nicolas' „$)te Jungfrau 3ttaria", ©ülbenfiubbeS „*ßoftttoe 
^Pueumatologie", ©d&openfjauerS „^arerga unb Sßaraltpo* 
mena*, SBaumannS „Quellen jur ©efdfjid&te beS SBauem* 
friegeS" unb ©IjafefpeareS „Othello". 9?ad& einer biefer 
©Triften mirb na<$ jeber SBiertelftunbe beS ©Treibens 
gegriffen; fie fommen tägltcty alle an bie Sfteilje, unb am 
Slbenb auf meinen einfamen ©pagierroegen laffe i<$ mir bann 
bie auS tfyten genommenen ©ebanfen burety benftopf geljen. 



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— 310 — 

(Sngentltdj l)&tte id> biefeS eben gemalte ©efianbmfj 
iridjt macfjen f ollen; benn jefct Ijabe idj meinen fielen 
„ftteunben" miebet einen ©djlüffel in bie £anb gegeben 
jur (Stfltötung meiner „ftonfufionen" unb meinet unbe* 
tedjtigten <£igentl)ümltd^eiten unb SBetfdjtobenljetten. 

3$ betraute eben bie Seftüte be$ EageS als eine 
geifttge Söla^ljeit; bei einet guten Wtaty&it abet muß 3lb* 
med)§lung fein. SBenn man unS an einet „Table d'hote" 
obet bei einem fütftltc^en „$)inet" nut einetlei ftletfd) 
brächte , wenn aud} jebeSmal in anbetet 9Crt bet 3ube* 
tettung, fo würben mit ein foldjeS 3Rafjl mebet genug« 
teidj nod) fein nennen. Sleljnlid) gef)t eg, mit menigftenS, 
bei ben „tointzS", roeldje id) meinem ©eifte ootfefce. %m 
ganzen Sag ©Ijafefpeate obet 91icola§ obet <5d)openl)auet 
roäte mit ein getjtigeS „toujours perdrix". 

$>af$ biefe 9ltt bet Settüte feine unnatütlidje ift, geljt 
fdjon batauS tyetoot, bafj bie 9flenfd)en, menn fle fid^ 
gegenfeitig münbltd) untetljalten, auety nid>t bei einem 
©egenftanb flehen bleiben, fonbetn bie oetfdjiebenften 
$)inge mit bet 3 Utt 8* beatbetten, menn bie ftonoetfation 
nid)t langmeilig roetben folL 

Unb mag bie 2ltt beS eigentlid&en StubitenS betrifft, 
fo ift biefe eben inbiotbuell, unb muß jebet am beften 
roiffen unb füllen, mie et'3 anjugefjen Ijat, um etroaS in 
feinen Äopf p btingen. — 

@§ lebte bamalS in JJtetbutg nod) ein SJttttanbibat 
bet $l)ilologte, ein Saie 9tomen§ SBiedjele, bet ebenfalls 
gum (Staatsexamen gefjen wollte. @t tarn öftetS ju mit, 
unb mit ejaminitten unS gegenfeitig, mobei e£ ftdj jebeS* 
mal ^etauSpellte, bafj bet flehte -ättann, ben td) um mel)t 
al§ eine ©He übettagte, beffet „befdjlagen" roat benn td). 
Sfamtentltd) oetfhmb et fldj ttefflid) auf bie ©opI)of le§'fd)en 



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— 811 — 



Vetren, bie mir wie alles, maS Qa\)l unb $ftf>t)tf)muS tjeifjt, 
nic^t in ben &opf wollten, trotjbem ber kleine ftd) alle 
Sftülje gab. @r fam auc§ im (Spanten um groci sßlätje oor 
mtd), wie e$ red&t unb billig war. £eute foE er ein gar 
guter ©omnafialbireftor fein. 6eit jenen ©tunben im 
$onoift unb im (ganten fyab' u§itynnic$tnrieber gefprocfyen, 
boc§ In'elt un§ einft baS gleiche ©cfd^tcf enge t>erbunben. 

SJlittc Dftober rücften bie jungen Geologen roteber 
im Sfcmoift ein unb bannten miti) unb mein ©tubium in 
beS $)ireftot§ ©aftatmmer, weil fle jefct meine feitfjerigen 
©tubienplfifce in &auS unb ©arten offuptrten. 9lber mein 
fonftigeS SBo^Ibe^agen fteigerte fidf) täglich bei iljrem 9ln* 
blicf. 2Benn id) fo oben „am #errentifdfj" fafc unb §inab* 
flaute auf bie effenbe ©d&aar ber ftonoiftoren ober am 
frühen SJlorgeu in meinem &ette liegen fonnte, mäljrenb 
bie toten bur$ bie bunfeln ©finge ber ftirdjje peilten, 
ba fam mir jeweils ber ©ebanfe: „D feiig, o feiig, fein 
^onoiftsftubent mefjr ju fein! 4 * 

Söcüjrenb meines bieSmaligen Aufenthaltes tm&omrift 
prebtgte idO aud§ einmal im fünfter, leoitirte bei £ocf>* 
ämtem in ber ÄonoiftStird&e unb beforgte öfters ben 
©otteSbienft im „weisen SHofter", fo ba§ idf) neben meinen 
pfjtlologifdjen ©tubien aucJ) mit ben priefterltdfjen gunf* 
tionen in Uebung blieb. 

©o oergingen mir bie 2Bocf)en bis gum (ganten in 
angeneljmfter Sfjätigf eit unb mrtft ungetrübter §etterfcit. 
Unb wenn id) meine Stimmung unb SBeltanfd&auung aus 
jenen JEagen, wo mir biefeS (Srbenleben gauberljaft fcfcön 
erfdfjten, oergletdje mit meiner heutigen Anfdjauung unb 
©rfatyrung, fo fityle tdfj, weldf)' eine Sftiefenfluft in meinem 
Qnnern jwtfdjen beiben liegt, unb wie fe^r id^ mid) ge* 
önbert ^abe. 



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- 812 - 

Unb bo$, fo fefp i$ f>eutjutage bcm $efflmiSmuS 
ljulbige, foweit er uom <£f)riftentljum ertaubt ift, mäfjreub 
id) bamalS bcr reinfte optimiftif cf)e SBafjgetgemnann gewefen 
bin, würbe id) meine heutigen ^Begriffe von 2Belt unb 
s JJtenf djen ni$t me&r »ertauben gegen bie bamaligeu, 
ebenfomenig als ein 9Kann feinen nüchternen ^nftatib 
Eingäbe für ben Taumel eines SBeraufd&ten. 

Unb ein baumeln unb weiter nidfjtS ift baS Seben 
eines jungen 9flenfd>en, ber bie äöelt nid)t tennt unb 
überaß nur ßuft unb ftuvtot fie&t unb Ijoffenb unb 
wünfäenb oon einem 2tog in ben anbem fielst SBon ber 
Verlobe beS Sebent mag befonberS gelten, waS <5l}ate* 
fpeare einmal fagt: 

(Sin Statten nur, 
2)er manbelt, ift bag Seben, netter ni$td; 
©in armer Äomöbiant, ber auf ber 93ü$ne 
©in Stünbd^en fteljt unb grofje Sorte maä)t, 
2Borauf man weiter md)t3 oon i$m oernimmt. 
(Sin Tläxfyen tfi'S, erjäfjlt oon einem ©c^iüadjfopf, 
Soll roilben ffiortfdjtoaUS, boa) bebeutunaSleer. 

$)a lob' idj) mir bie ftinbeS* unb Änaben^eit, in bcr 
man bie SBelt unb iljre fjreuben fud^t in gelb unb 2Balb, 
tm ©affenjubel unb SftnbeSlärm, wo ber 9flenfd) nichts 
gilt unb nichts weiß unb bod) im (Spiel mit einem Stücf 
$ot$ ober einer $anbooK <3anb glücflid&er ift als ber 
Jüngling mit afV feinem Sötffen, feinem SEßoUen unb 
feiner ßeibenfd^aft! — 

21m 17. üftonember foUte baS ©jamen in ÄarlSrutje 
beginnen. «ßwei Sage guuor rüdfte id& in ber Sftefibenj ein. 
3$ war erft einmal bort geroefen, ba id) 1859 als Stycetft 
an einem Sommertag auf einem 93auernwägeld)en oon 
fturmerSljeim fjer gum 9Jtüf)lburger fc&or Ijtneinrotlte. 



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- 313 - 

damals hatte ich mit einem alten Ittaftatter, beut g-ähnbrich 
Widert oom Setbregiment, ber f chon längft in ©nglanb als 
(Sprachlehrer fein ergiebiges 9luSfommen gefunben h a t 
lebtglich fämmtltche renommirten SBierlofale burchsogen 
unb mar roieber abgefahren, roie gefommen, über ©rttn* 
roinlel unb Durmersheim SKaftatt su. 

Den 15. fRooember 1863 aber betrat ich babifdje 
©auptjtabt als -Weupriefter unb *ßrofefforat$fanbibat, unb 
feierliche wie ber gan$e Sttann, erfchien mir aHeS am 
Sanbgraben« SBeniger SBebeutung mochte ber Sßirth jum 
„SBeifien ©ftren" bem blaffen, f)a$ucn Jüngling beilegen; 
benn er roieS ihm für bie nächften 14 Sage ein tleineS 
3immerchen an, in ben $of gehenb unb in unmittelbarer 
s Jiad)barfd}aft feiner ftochtanbtbatinnen. 

jgch war mel $u emft geftimmt unb $u vertieft in 
baS (Jörnen, als bafc ich remonftrirt hätte gegen ben 
„ßafig", unb fo blieb ich in ®ebulb all' bie langen dächte 
in ber elenben Äabtne; beren 9^uheloftgfeit mir zeitlebens 
gebenden nrirb. 

SWit mir hatte fleh noch ein smeiter Sleupriefter &um 
©ramen gemelbet, Äarl Meiert, hart* Sßrofeffor an 
ber Unioerfttät gretburg. 2Btr hatten unS brieflich oer* 
abrebet unb trafen am erften 9lbenb in ber SRefiben$ in 
meinem „SBSrenjnringer* jufammen, um bie gemeinfamen 
Schritte beS tommenben Vortages gu befpredjen. 

9lm folgenben 3ttorgen trat mein SMege in eleganter 
EuSftattung bei mir an unb begleitete mich gunächft in 
bie „Sange ©trage 4 ', wo ich M» $utmacher Sftagel erft 
noch einen „ßglinber" leihen mufjte, um hoffähig beim 
Dberfchulrath eintreten &u tönnen. Sang wie eine £ele* 
gtaphenftange machte mich baS „3lnQftrobr* beS $of* 
chapelierS, unb ich weijj »mW, wie oiele SWenfchen mich 



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— 314 — 



werben aufgelacht fya&en, aB id) in btefem 9lufjug bcm 
„äußeren QixM" $uwanberte, um ben ©ttj ber Dberfchul* 
beerbe aufoufuchen. 

©tnige ©^reibet normen imfere 9lnmelbung in <£m* 
pfang nebft 10 ©ulben, bic wir al§ „©ramengebühr* &u 
beponiren Ratten. 3$ t" n ^te noch im $)uufeln, woju 
ber atme ftanbibat ba§ ©elb jal)len mußte, unb fann mit 
nut benfen, baß e$ jut ©eipng unb Beleuchtung währenb 
bet ©raminattonSaeit ober füt gebrauchtes Schreibmaterial 
©etwenbet würbe. 

Schon bie Schreiber muftetten uns &wet Schwarj» 
röcfe mit ziemlich ^d^nifc^en ÜUltenen; benn berlei Staubt* 
baten waren biefen ^ebetfeelen etwag ganj üfteueS. Seit 
naheju breißig fahren hatte fein fatholifcher ©eiftlidjer 
beS SanbeS mehr bie philologifche Staatsprüfung gemacht, 
unb jefct famen &wei ju einer ,3ett, wo man flc am 
wemgften wünfd)te. SBir befanben uns in SBaben ba« 
mal3 im ooUen ftaatSfirchltchen Schulftreit. 

üftod) fd^nipptfe^er flaute aber ber Dirigent be3 ganzen 
©jramenS, Dberfchulrath Deimling, brein, als mit un8 
ihm auf feinem Bureau ptäfentitten. ©eine erjte 3* a 9* 
auS feinem glatten, biplomattfchen ©eflehte lautete: „2öie 
lange ^aben bie Herren Philologie ftubitt?* „2Bir 
waren brei Qafyxt al£ ^^ologen auf ber Unioerfitftt unb 
trieben bie Philologie nebenher" — entgegnete ich- „3öa§ ? 
$ret Qfohre nebenher! Qch ^abe mer 3ahre PhiWoßi* 
au3fd)ließlich ftubirt, ehe ich &um ©$amen ging, unb 
bamalg mar baS ©ganten weit leichter als heute!* — rief 
ber Schulmann. 

$eijt fah ich/ baß wir e$ mit feinem JJreunb $u thun 
hatten unb eine fcharfe ©egenrebe nicht mehr viel oer* 
berben fonnte. bitter humoriftifch lächelnb erwiberte ich: 



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— 315 — 

„©err Dberfdjultatf}! 2Bir wollen e3 einmal probiren. 
{fallen mir burch, bann flnb unfere SRöcfe lang genug, 
um bodj eine ©jriftenj ju haben!* 

3>er 2Rann mochte nun merfen, baß er ßeute uoll 
SHefignation Dor fleh habe, bie ju liegen, aber auch ju 
fterben wüßten, unb er entließ un§ far!afttf$ fchmunjelub 
mit ben Söorten: „9Hfo, probiren ©te'S!" 

3113 mir burch bie „9ltf oben" be§ girfelS von bannen 
gingen, fagte ich &u meinem etma§ beprunirten Kollegen: 
„Söeun'S auf ben anfommt, flnb mir in fed)§ SBocfjen 
irgenbmo Söifare!" <Bo glcidfjgtltig ich auch äußerlich t^at, 
fo Ratten boch im Qnnem bie SBorte be§ #errn Steint* 
ling allerlei beunruljigcnbe ©ebanfen tu mir erroeeft. 
Denn, abgefehen oon ber Blamage eines S)ur<hfaU3, trug 
id) in mir ein fold)' ^e^red 93ilb oon meiner ßutunft al§ 
„^ßrofeffor", baß bte2lu3flcht auf Nichterfüllung biefe§ 
3>beal§ mir ©^merjen machte. Unb ^eute möchte ich 
um alles in ber Sßelt nicht ^rofeffor fein unb mürbe um 
feinen *ßrei§ tauften mit bem ©gmnaflumSbirettor in 
ber SReftbenj. 2luch imponirt mir fein ©tanb in ber SBelt 
heutzutage weniger als ber *ßrofefforenftanb. @o oft ich 
einem begegne au8 biefer «ßunft, f° 6 e ^ e3 mir wie bem 
$fyarifäer im fcempel, unb ich banfe ©ott, baß ich J*™ 
<ßrofeffor" bin. 

3ßir würben fobann noch bei ben ©jaminatoren oor* 
fteUig ober gaben wemgftenS unfere harten in ihren 
SBohnungen ab. Die ©£amtnation§fommif jion beftanboor* 
&ug3wetfe au3 oier ©elehrten: ben UmoerfttätSprofefforeu 
SBaumftarf au§ {Jretburg unb ftaifer au$ ©eibelberg, bem 
SgceumSbireftor ^ertlein au§ SBertheim unb bem $ro* 
feffor SBaumgarten oom sßolgtedhnifum in ÄarlSruhe. 
2Bir trafen nur ben ^rofeffor ftaifer an, welcher im 



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— 816 — 



„(Srbprinjen" logitte unb un§ fteunbltdjer empfing al§ 
ber Dberfdmlrath Deimling, fo bafj unferc ©offnung fleh 
wteber ju ^cben anfing. 

9118 Ort, wo bic ©flacht gefchlagen werben fottte/ 
war uns ba§ ©tänbeljauS bezeichnet warben, #ter, im 
britten ©toefmerfe be§ „tfimibelS", wo gur <8eit ber 
ftammerserhanblungen bie (Stenographen ihr ©elrit}el in§ 
Steine $u fchreiben pflegen, oerfammelten jich am 17. Sfto* 
cember 1863 $ehn „miffenfehaftlich gebilbete* ßehramtS* 
fanbibaten, ein ftanbibat für 2ttathematif unb Statur* 
wiffenfehaften unb ein (itterer, oerheiratheter ©dhullehrer, 
welcher für Steatfdjulen fich egaminiren laffen wollte. 

Qdj habe jelm Qfahre fpftter ben aufregenbften %t* 
batten unb SRebefchlachten im ©tänbehaufe als 2lbgeorb* 
neter beigewohnt unb fie felbjt mitgefod)ten, aber ba§ 
war ein Äinberfpiel gegen bie mer^elm Sage (ganten 
im SRonbel. 

Qn ber < %%at, ich h a & c tu* Seben fchon oieleS mit« 
gemacht, aber folch' etwas 9lnftrengenbe8 nicht wie jenes 
Staatsexamen in Karlsruhe. 5)a3 ©ebiet ber allgemeinen 
afabemifchen unb flafftfchen SBilbung umfaßt ja eine Un* 
fumme oon (S^riftfteHern unb S)i8jiplinen, unb ba eben 
biefeS ©ebiet baS SBerufSfelb be§ wiffenfehaftüd) gebilbeten 
SehrerS ausmacht, fo ergibt fuh auch b* c Tragweite, gu 
welcher eine fold)e Prüfung auSgebelmt werben fann. 

Dft änderte ich währenb berfelben, bafj, wenn ich 
burchfiele, man midj nie mehr bei einer philologifc^en 
Prüfung in Karlsruhe fehen würbe, nur — abgefehen 
oon aßen anberen ©rünben — ber ©eifteStortur wegen, 
bie bamit oerbunben war. 3$ btrowlS lieber noch 
zehnmal fämmttiche theologifchen Prüfungen beftanben als 
nur noch einmal bie philologifdje. 



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— 817 - 

£eute ift'3 weit leichter, ^rofeffor werben; jefct 
gibt e3 ber Sßartialejamen nur $u oiele, unb wir befommen 
immer mehr halb* unb brittelSgebilbete ße^rer. — 

SBenn ich surüefbenfe an baS, mag bie «Philologen 
alles lernen unb wiffen mfiffen, fo mufj tch nur fiaunen, 
warum trofcbem biefe ßeute attermeift in ^o^em ©rabe 
ungenießbare 9Jtenfchen ftob. Unter ben «Profefforen ber 
3flittelfd)ulen trifft man fo wenig geistreiche unb augleid) 
umgängliche Banner, baß man oerfud&t ift, ju glauben, 
baß fie oom ©eifte ber flaffiföen SBtlbung nur wenig in 
fW& aufgenommen ^aben, mäfjrenb bie ftorm be3 Sllten 
bie Seute oerfnöchert hat. 

®er eine ift ein fd&recfttd> fteifer ^ebant, ber anbere 
theatralifdh wie ein ©djaufpieler auf ben Brettern unb 
ber britte flaffffch grob. ßtebenSmfirbige unb sugleich 
feingeiftige Philologen fmb mir im Seben noch weniger 
begegnet als befcheibene «Preußen. 

©8 ftnb beßhalb g c ^ rcr ber HofW^en »Übung, weldje 
Den ©chülern Siebe jum (Stubium unb ben ©eifl ber 
alten ©chriftfteUer beizubringen wiffen, fajt fo feiten wie 
weiße Stäben. 

3ef)n Sage Dauerte Die fd&riftUd&e Prüfung au3 allen 
fächern ber allgemeinen SBiffenfcfjaften. (Sie gingen mir 
alle gut oon ber fteber, bie Ueberfefcungen aus allen be* 
fanntern Älafftfern, bie ^tagen auB ber ©rammatif, &i* 
teratur, ben Antiquitäten, ber ^itofop^ie^ ©efcljichte unb 
bie lateimfdjen unb grtechifchen ©tgle. «Rur in SJlathe* 
matü, ©eometrie unb f^fft geigte ich meine alte ©d&wädje, 
machte aber fttrjen ^rojeß. 

Sieben mir faß ber äanbtbat für 2flathematif, 2Mler 
aus fjreiburg, unb tonnte nicht begreifen, wie ich 
leisten %xa$tn nicht gu löfen oermochte, ©r gab fld^ im 



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- 318 - 

(Reimen alle SDMtye, mit Reifen. 34 machte, 
rafd) entfcJjloffen, hinter jebe ber mer fragen eine -Wutt 
unb gab ben Sogen Rapier beni eben mad&efjattenben 
Dberfd&ulratI) Jrtcf mit ben SBorten: „$8on ben ©adjen 
oerftelje td) nidjtS V ©rftaunt flaute midf) ber ehemalige 
SUtatljemattt* unb $^fUprofeffot aus feiner großen dritte 
an unb lieg midj t opffd&üttelnb von bannen sieben ; benn 
eS mar Slbenb unb mit an ben legten fragen beS kagcS. 
$)afj id& megen meiner Untenntntfj in biefen fünften 
nid&t burc^fatten mürbe, mar mir !(ar. 

3Jlein Söemujjtfcin, alle anberen, mistigeren Arbeiten 
richtig gemalt $u l)aben, gab mir jefct fd(jon aiemlidj bie 
93erul)tgttng , bafc idf) reüfflren mürbe. SlufS münblid&e 
©ramen mar'S mir nid&t me^r bange; benn einem orbent* 
liefen £aSlac!)er f)at eS nodj nie an ber 3 un Ö e ßefe^lt, 
audf) menn er etmaS nur Ijalb gemußt l)ätte. 

Seim münblid&en ©tarnen [a|en fämmtlidfje ©gamma* 
toten unb ©jaminanben mit bem birigirenben Dberfdjul* 
ratl) Deimling um einen runben Sifd^ Ijerum, bie erfteren' 
füfjl bis anS $erj l)inan, bie letzteren mef)r ober meniger 
oon fiebern ermärmt. 9ln mer Vormittagen, vier $Wac§s 
mittagen unb trier Slbenben mürben nun bie Delinquenten 
beutftfjer 2Biffenfd^aft ausgefragt. 

SBaumftarf, ber nadj Qa^ren jutn erften 9M mieber 
als ©ramtnator beigeben morben mar, jetgte fldf) aud> 
im ©ramen als ber tüchtige, gefunbe ^ßfnlologe, mie icf) 
ifjn feit ^aljren ^nnte. ©r fteUte in feinem „SfteDier" 
burcf)auS praftifdfje, miffenSroert^e fragen. 2tel|nlid} vtx* 
fu^r ©ertlein. Sßrofeffor ßaifer aber, ber feine £etbel* 
berger Qvfyikuc auf allerlei pf)ilologtfdfje ftineffen ein* 
gepauft fjatte, moHte biefelben auc§ oon unS greiburgero 
roiffen, unb fo tarn eS, bafc i$ bei ifjm in ben grteduf<f>en 



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— 319 — 



Antiquitäten burdjfiel. der ^fctfyer $l>ilologe fragte midfj 
u. a., „mie bie ©dfjnatte geheißen habe, meldte bie JJrau be3 
2lrdf)on SBajUeuS in Sitten an ben <sd)uf)ett getragen". 
SBaumftarf bezeichnete mir müfytx megen biefer grage ben 
s J$rofeffor Äaifer als „einen etngeräudfjerten Sßebanten". Qn 
ber römtfd)en ßüeraturgef d)idf)te hätte mir ber gleiche Sßro* 
feffor gerne ein ähnliches €>dt)tcffat bereitet; er wollte 
mich nicht loSlaffen, bis er einen fäwadfjen $unft ge* 
fnnben hätte. ©S mißlang ihm. 

Unfer SSaumftart mar in ben Streifen feiner Äottegen 
nicht fefjr beliebt, unb mir fchien eS, als wollte ber #eibel* 
berger nnr um beS SefjrerS mitten bie Schüler „fuchfen". 
Stoumftarf glaubte bieS auch, me^alb er siemlich auf* 
gebracht mar, mie obige Xitulatur bemeift. 

©onft ging aud) münblich alles gut, unb ich mar 
am @nbe ber merjehn Sage feft überzeugt, nicht unter 
bie durchgefallenen &u gehören. — 

Sene ©gamenStage ftnb mir unoergeßlich, nicht bloß 
megen ber geiftigen $ageSarbett, fonbem auch megen ber 
auf fie folgenben SWächte. SQßenn ich baran surüctbenfe, 
fo muß ich mich orbentlich beftunen, ob ich berfelbe SJlenfch 
bin, ber jene ÜWächte fleh gefallen ließ; benn ^eu^utage 
mürbe ich nicht &met ©tunben lang foldje dinge hin* 
nehmen, ohne bie gluckt $u ergreifen. 

SBie fchon bemerft, ^atte ber SBirth jum metßen 
SBären mich in baS Departement feiner $od)mäbd)en ein* 
logirt, unb ich mich gebulbig, mie nur ein Äanbibat fein 
!ann, gefügt. SBenn ich aber am 9lbenb mein forgen* 
oolleS #aupt unb meine aufgeregten SWeroen $ur 9fathe 
legen mollte, ba tarnen bie Sfymphen aus ber ftüche unb 
fingen noch an, ftunbenlang ju fiesem unb ju f Jätern 
mie mcibltche ftobolbe. Sticht genug! Slud) von unten 



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- 320 - 

fd>lug ein ftänbtgeS Summen unb Brummen, unheimlich 
wie ba8 Tunneln von gehmrichtem, an mein Df)t unb 
bauette bi§ 9ftitteroacht 

91m erften borgen fragte ich beim grühftücf ben 
5Mner nach bem nächtlichen ©etöfe nnter meinem Limmer. 
„$a," meinte ber fleine ©chwarsfract feierlich , „ba§ ift 
bie BärengefeHfdfjaft. Qn ber oerfammeln ftch am Slbenb 
bie SDctnifter, bie £of*, SftegierungS* unb Dberfchulräthe 
unb trinfen ihr Bier.* Qeftt fd&wieg ich oerfcljämt; benn 
gegen meine eigenen zukünftigen, fjödjften weltlichen Bor* 
gefegten wagte ich armer ftanbibat bamalS nicht &u 
räfonniren, unb in jenen Sagen war mir ein Sttinifter 
eine unberechenbare ©röße. 

Q[n ben folgenben dächten aber bachte ich manchmal: 
Qe^t plagen bich biefe Dberfdfjulrätfje nicht bloß unter £ag§, 
fonbem {töten bir auch noch bie Sftachtruhe. Qch mebitirte 
bann auch manche ©tunbe über baS ©lücf eine« Sttenfchen, 
ber fein (Staatsexamen gemalt h<*t unb am 2lbenb in 
^rieben fein Bier trinfen famu 3lber baß ich auch ein« 
mal in btefer Bärengefellfchaft mitmachen unb ein nicht 
ungern gefehener ©aft in berfelben fein würbe, baoon 
^atte ich feine SUjnung. Qn fo „tyty ©efeEfchaft* je gu 
tommen, ^ätte ich in jener Stit nicht einmal $u benfen 
gewagt. Unb boch habe ich im folgenben Qatmtfynt, 
währenb meines SanbtaglebenS, monatelang jeben Slbenb 
„im Bärenzwinger* zugebracht unb bie ItebenSwürbtgften 
unb geiffretchften 2ttenfchen fennen gelernt unb e§ beßhalb 
ben „Bären" be3 SBinterS 1863 längjt oerztehen, baß fte 
mich fo geplagt haben; benn jene ©tunben ber Unruhe 
würben mir reichlich vergolten burch mele 3lbenbe be3 
©enuffeS ht ben ©intern 1878 unb 1879. 

9lur bem ©otelier jum weißen Bären tonnte ich e£ 



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— 321 — 

nie redjt «ergeben, ©o oft tdj w&f)renb ber Sanbtage 
ber fieberiger Qa^tc bat Keinen 9Rann mit bem rotfjen 
9Birt^fopf fa$, backte idf>: ,$)u caupo malignus ^aft mid) 
etnft uietge^n SRädjte gwifdjen lärmenbe 2fthrifter unb 
ficfcernbe 8od)jungfem eingepfercht" 

SBenn td> midj aber eines ftalleS in meinem Seben 
erinnern will, wo tdt) red)t bemütljig nnb befd&etben war, 
fo barf tdt) nur baran benten, bafi i$ offne SBiberrebe 
unter fotljanen Umftänben in bem elenben gimmerc^en im 
meinen Sparen ju StorlSrulje ausgemalten fjabe. — 

üytad)bem bie £age ber Prüfung um waren, wanberte 
id) abermals junt £utmad)er, holte einen (Sglinber unb 
machte mit meinem getftüdfjen Kollegen jum 9lbfd)teb bie 
gleiten SBefud&e wie bei ber SÄnfunft. 9Bir trafen ade 
©Saminatoren, aber feiner lief* fleh eine ©Übe entlocfen 
über ben §lu§gang b«8 (SjramenS; eS war ja $ienft* 
geheimnifj. 9tor SBaumftart fagte mir, er freue fidfj, bafj 
ein JJreiburger, unb ber fei td), ben beften latetmfdjen 
Stgl gemacht habe. 

©rft am 21. $)esember oeröffentlichte „ baS SftegierungS* 
blatt" baS SRefultat: $rei non und ^ß^ilobgen waren 
burchgef allen, unb unter ben neun ©lüdlic^en war idt) 
ber oierte. 

SBon StorlSruhe weg hatte ich einen turgen SluSflug 
nach SBxuchfal unb SRannheim gemalt unb war bann 
nach JJretburg unb ins ^onoift surftet gef efjrt. £ier glaubte 
mir, noch et)e baS offizielle (Shrgebntjj befannt war, ber 
ftirettor aufs äBort, bafj ich burchgetommen fei, unb be* 
jaulte gerne feinen <S$amj>agner. 

3<h erinnere mich noch wohl jenes moufflrenben 
£age£, ben bie gan&e Xif^gefeUfc^aft mit einem ©pajier* 
gang nach ber lieblichen SBalbeinfamfeit non ©t Ottilien 

Sanilalob, ©tubte»j«U. 21 



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— 322 — 

befdfjlofj. Hm Ijeiterjten war i<$, bettn jefct Ratten fidj 
alle meine trbifdjen SBünfdje erfüllt: idf) war *ßriefter unb 
*ßrofeffor in spe. Sttidl) befcelte ja ber 2Ba$n, bog ©lücf 
be§ SSftenfdjen befiele in bem, wa3 einer in ber SBelt oor* 
ftellt, big idf> nadj mannen Sauren trüber ©rfalpung 
nerfte^en lernte, bafc man ben £immel l)ienieben in bem 
fuc|en müffe, wa3 einer t>or ©Ott unb in ftd) f elber ift. 

©egen SBeiljttad&ten teerte id) fjeim in Den &rei§ oon 
Vater, SJtutter unb ©rojjmutter mit einem oicrteljä^rigea 
Urlaub jur SReftituirung meiner ©efunbtyeit. 3wei ^ a Ö c 
uor bem genannten gefte aber erhielt td& ein ©^reiben 
auS Jfreiburg, worin mid) ber ßljef ber mobilen ©eift* 
lidftfeit unferer fctöjefe, Slffeffor Ärautl), erfud&te, bodj 
m&^renb ber 2Beil;nad)t3seit bie eben mit einer Äirdfje 
begabte S)iafporagemeinbe in ©mmenbingen $u paftoriren. 
@r $abe jur ^cit feinen paffenben $riejter unb fei in 
Verlegenheit , ba bie bortigen ßatfjoltfen bringenb um 
einen bäten. 

3$ ging, wiewohl ungern. Hngetommen, fteHte id& 
mi$ bem fttrd&enoater, SDfcebtainalratl) ©d&irrmaner, vox, 
ber mir aber ertl&rte, er brauche mid& ntd&t, unb midfj am 
Sage oor <£l)rijU ©eburt wieber tyimfdjttfte. Qnbigrort 
telegrap^irte id& nad& ftreiburg unb feljrte ins ßmjigtyal 
3urü<*. Später fteUte e3 fie$ f>erau3, ba& ber bortige 
©etlfünjtler, bem man fird)ttdf)erfeit3 Vorwürfe machte, 
mid& auf ben erften Vlidf für „&u jung* befunben unb 
entlaffen &abe. 

@o Vetterte mein erfter Verfug als ©eelforger auf* 
zutreten. 3$ war barum frol), als unterm 20. Qanuar 
ber Dberfd&ulratl) mir mit beginn beS ©ommerfemefterS 
eine Se^rfteUe am©qmnaflum in fconauef dringen übertrug. 

9m füfjen SWityStymi unb in SutunftStrftumen mtdj 



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roicgenb, t>etbra$te tdj bte bret erjtett 2Honate be§ QaljteS 
1864 abroedifelnb in ftteibutg unb $a3lad), mofyin mtdj 
%xxdtox ßübel einmal felbft begleitete. Sfn ben legten 
Sagen be3 SttonatS 3Rät8 fu$t ic$ ba3 ©öUentyal $in* 
auf, meinem StejtimmungSotte &u. fctitynenb toüte bet 
fernere sßoftawgen am Slbenb in ben ^ßoft^of bet fütftltdj* 
fütftenbetgifdjen S^efibens unb fefcte ben blaffen ßeljtamtS* 
ptattifanten ab. 

£tet beginnt nnn meine fragte in (Sdjule, ffttcfye 
unb SBelt. Unb wenn bet Hebe ©ott mtc$ ooHenbS einen 
alten Sttann metben lägt, fo will id& ben btitten unb 
legten Slbfdjnitt meinet SebenSfaljtt aud) einmal etilen. 
(£3 mürbe biefe <£r&äf)limg, wenn audj umfangreicher, fo 
boefy roeit armfeltget unb poefielofet auffallen als bie oot* 
Uegenbe. 9lbet gletdjroofjl bürfte e§ manchem lefenben 
Sttenfd&enfinb md)t ol)ne Qntcreffe fein, &u erfahren, nrie 
einer feinet 9ttitmenfd)en im ßeben mitgenommen roetben 
mufjte, bis et fo oetnünftig routbe, um mit 6^afefpeate 
unb in beffen 3ttt fagen su Wnnen: 

SSBer ein Heine« Steffen SBtfc gerettet, 
Db ber 2ßinb roeljen, 06 e$ regnen mag, 
2)er ftreefet fta), wie baS ©ä)titfal iljn bettet, 
Unb regnet ber Stegen auü) jeglichen Sag. 



21* 



pdUrti*. 



Sßetm tc§ auf ben aweiten 9lbfcfymtt meines £eben§ 
aurötffdjaue, fo finbe i<$ einen gewaltigen Unterfdjieb 
awtfdjen ber Ätnber* unb Änabenjeit unb ben ©tubien* 
jagten. $er ftinbertymmel ift bereits wefentlidj oer* 
cmbert. ©eine ©auptfterne: kleine ^reube an ber Statur, 
ftnblidjeg Eingeben an ütott unb 9Henfdjen, abfolute 
©orglojtgteit ber 3 u ^ un f^ ö^genüber unb 3ufriebenl)eit 
mit wenigem, fmb erlofc^en. $)er SBorljang be§ SebenS* 
tljeaterS §at fld) gelüftet, unb urir fe^en beg SBeltaUS 
Kummer unb Sorgen in blaffen ©eftalten ft$ ber SBüljne 
flauen. %aä junge 3Jlenfd)ent}erj fÜljlt bitter in mannet 
©tunbe, wa§ e§ Ijetgt, cioiliftrt unb fultioirt $u werben. 

SBie j[ebeS 93olf, ba3 in bie (Siuilifatton eintritt, in 
eine fönellere Bewegung übergebt, entartet unb ftd) aug- 
lebt, fo geht'S beut einzelnen ßulturmenföen. Unb wie 
gebleute ©ebetne ben 2Beg burd) bie SBßüfte unb bie 
3)en!mäler verfallener ftulturreictye, ben %ob oon Millionen 
oerfünbenb, bteSBafyt ber^ioilifation be^eic^nen, fomarfirt 
ftd) ber 3Beg beS einzelnen Qnbioibuumg, bog ber »$uma» 
nität" entgegengefü^rt wirb, burdj SBerbunfelung ber 
©teme be§ $tnberf)immelg. 3ßenn td) freute nod) jurttc!* 
beute an jene bunfeln SBtntermorgen, ba bie 9Jtogb im 
#aufe be3 ©d)ul)mad)er3 SBraun am ^Ho^rerfteg in föaftritt 



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— 325 — 

bie falte ©tube teerte , toä^renb ich frterenb Bei einem 
Skiglicht am taum ge^eijten Dfen fafc unb ©rammatit 
auSwenbig lernte unb nebenbei meinte oor ©eimmeh nach 
bem S3aterhau§ — fo geht mir ba3 SBehegefühl jefct noch 
Warf burtf) bie (Seele, unb ich fühle tiefet amtleib mit 
bem armen (Stubentlein von anno 1352. 

Unb wenn ich mir ben ©qrtaner $an$jafob cor* 
fteUe, ffotgenb, fratehlenb unb trinfenb in ben SBierftuben 
ber einfamen ^eftungSftabt unb ihn vergleiche mit bem 
glücf liehen SBalbbuben, ber „SBucheln" gufammenlieft in 
ben uralten SBuchenhatnen beS fttnaigthaleS, fo fommt mir 
ber letztere gegen ben erftem oor wie eine SRadjtigaU 
gegen einen wilb fc&dföenben Stoben. 

Unb boch erf^eint mir bie längft vergangene SHaftatter* 
geit noch in einer 3lrt SßerflarungSlicht, roenn ich ftc mit 
meinen fp&teren Erfahrungen unb ©rlebniffen in ber 2Belt 
unb unter ben großen 9Renfchen vergleiche. 

Qu ber ©tubienjeit fd>aut bie ©onne be§ Sinber* 
Rimmels benn boch noch BiSroeilen fiegreid) au3 bunfeln 
SBolfen unb lächelt über bie Xhorheiten „ber JJlegeljah**"« 
3m fpäteren Seben muß man fid) mit einzelnen „SRorb* 
lichtem" begnügen unb bie übrige £eit einfam ftiHe 
dächte burchfrieren auf bem Kirchhofe feiner irbifchen 
Qbeale. SRur ber Sftenfd) ift glücflich, ber von ber 2Belt 
nichts will unb nichts hofft. S)ie „SBerneinung be$ SBittenS 
&um ßeben" nennt ber ^h^°f°Ph liefen .ßuftanb ; ©elbft* 
oerläugnung ^eißt er im ©htipcnthum. 

3n ber ©türm* unb $>rangpertobe feineg Sebenä 
gleist ber Sttenfch bem ©ojialbemofraten, ber ba mahnt, 
er märe ber glüättchfte 3ttenfch, wenn er bie ftabrtten 
unb Kapitalien feinet SrobgeberS h^tte. äBenn er fte 
heute befäme, würbe er balb einfehen, baß ihm noch wfc* 



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- 826 - 

fefjte, um glttcftid) §u fein. 3n ben meiften g^Ucn rofire 
c§ beä SBetreffenben abfoluteS Unglüdf. 9le&nlid) mirSRen* 
fdjen alle — bei unferem Verlangen unb ©treben nadj 
ben Slrmfeligfeiten, ben ©enüffen unb SBiffenf haften 
bicfcr (£rbe. 

3Rid) l)at nid)t3 in ber 9tegierung8&eit beS ^apftcS 
£eo im mefa gefreut, als bafj er am 8. 5)ejember 1881 
einen SBettler heilig gefprod&en tyai $)er ^eilige SBettler 
war ameifelloS auf biefer @rbe fdjon feiig , »eil er tum 
ber 9Belt nichts f>at wiffen rooUen. 

S)arum ift aud& aSein ba§ ^inb glüctli^ unb feiig, 
weil e3 nichts beftyt, nid>t§ gilt unb rnd&tS $offt von 
biefer 2öelt, unb id& fd)ttej$e mit ben trefflidf>en SBorten 
SörneS: „93iele8 ift fd&Bn in ber SBelt: $ie ©df)önl)eit, 
bie 3Jlad&t, Stalten, ber Stockum, bie SBeiS^eit, felbft 
bie ©ntfagung; aber baS fdfjönfte ift bodf> bie (erfte) ^ugenb* 
jeit. S)er ©enufc biefer ift mit einem Seben doU Üftotl) 
unb ©d)merjen nid&t ju treuer bejaht.* 



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~><^ - — — 

3m Sdiwatsxoalb. 

für die deutf che reifere Jugend ausgewählt aus 

den Schriften von 
ßeuiricb Patiejakob* 

et^ant fiartf. I (mark — 



3nf)alt: Die Qeimat. — Das Paternus. — ^rennbe unb 
Kameraben. — Wie ber „Sdmeiber'Sepp 1 ' 311 feinem (Teil 
Dummis fommt. — Dom Sterben bes alten fjermesbnren. 
— Der HifWeffansle nnb ber Qansjörgle. — Die Karfunf ei* 
ftabt. — Der ^eilige Ceutnant. — Die £eiben ber Bauern 
im breigigjä^rigen Krieg. 



üd(nifa)e ^ofßsjeifuug: „5Die 3fo3nwl)l ift nidjjt 00m »er* 
f äff er ausgegangen — er roar fogar nidjt redjt bamit einoerftanben 
— fonbem von feinem Serleger. 2lber bie beutfdfje Sugenb wirb 
v)of)i ber Slnfid^t beS (entern fein, bajj ber originelle greiburger 
Pfarrer ganj ber 9Jtonn ift, um i§r mit feinen frifdjen, gefunben, 
unüüa)figen ©djilberungen unb perfönlidjen Erinnerungen eine 
greube ju machen." 

JMrgc*net*. ^«tera<ur6faft C8eo*@efeIlfa)aft): „Seffere ßoft 
alö fte £>an£jafob bietet, fönnen wir unferer 3>ugenb nicfjt geben. 
2)a3 ift Iräftige, gefunbe, nidjt nur gletfa) unb 33lut, fonbern 
aua) ftnodjen unb SRarf btlbenbe SiaJjrung." 

j^reufj. ^eßwjeUuug: „fiauter (Srfaljrung forta)t aus jeber 
3eile be35öud)eö! ©elbfterlebteS unb ©elb|ttmrd)D acfjteS burtt) fea)8 
3al)rae^nte feineö ScbenS fdjilbert bort ber Serfaffer in fo feffelnber 
unb fpannenber Söeife, bafc wir bem Serleger, ber oljne — ober 
beffer md)t ganj im (SinoerftanbnU mit bem SJerfaffer ba§ 23ua) 
ber DeffentUa)feit übergiebt, »otten 2)anf ftt)ulben. SBieoiel Sebent? 
meißelt unb SebenSroatyrljeit liegt in biefem Sßerfe! 25ec beutfdjen 
JJugenb wirb biefe Arbeit eine roiUfommene (Stabe fein»" 



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SN — "K~ 



«Mb von «laldhircb. 

■ 

£ine £t3ät)lung 

oon 

— == Gebcftct s mir*, eleg. gebunden 6 mir. s™— 

pie MMUtie $3eft: Obgleich bie Reiten längft vorüber 
finb, ba abelige 33itrgfraulein arme gifd^er betraten — ober gerabe 
besljalb, tu eil in unferen troefenen, nüchternen Sagen fo romanttfaje 
©eftt)ic§ten ni$t mef)r paffieren, mutet un$ grifc gret'S „SötHa oon 
SBalbfirdj" gar freunbltd) emlabenb an unb bietet eine ooHfommene 
Slbioedjfelung in bem öben Einerlei ber mobemen Sitteratur mit 
tyren falfa)en ©ajmerjen unb tfjrer frantyaft Magerten ©eelen* 
jerfaferung. 3n biefer prächtigen, §tftorifa)en ^rjä^lung ift nömlia) 
alles frifdje, unoerfälfdjte, urmüc^ftge 5catur. 5Der Sefer atmet ben 
toürgigen 2>uft ber ©a^roarjroalbtannen unb maö)t einen SluSflug 
inö oerfun!ene Sanb ber iftomanti! mit bem lunbigen SSerfaffer, 
ber e3 fo meifterljaft oerfte^t, fidj liebenb in bie ferne 3eit be§ 
alemanmfdjen Kulturlebens im lO.^abr^unbert ju oerfenfen. flutturs 
Ijiftorifa) ift ba§ fd)öne S3uc§ oon großem Sßert. S)ie ©djtlberungen 
be3 bunten Sebenö unb XreibenS jener 3ett auf ben Surgen ber 
Slbeligen nrie in ben Sutten ber Ernten, im tobenben Sftrm beö 
gelblagerS nrie im füllen ^rieben bed ÄlofterS ©t. Margareten finb 
bem gelehrten §errn SSerfaffer — unter bem ^feubonnm grifc grei 
oerbirgt fia) ein angef ebener UmoerfitfttSleljrer — ganj au8ge3eta)net 
gelungen. @r fdjöpft überaß auS bem ootten 9Henfa)enIeben jener 
grofjen, fturm* unb brangooffen >$tit, unb too er*8 anpatft, ift eS 
intereffant. ©rnfteren Sefem, befonberS ber ftubierenben Sugenb, 
bei ber mir noa) am eljeften Sinn unb SJerftänbntö für ba3 SBunber* 
lanb ber mittelalterlichen Stomantif, ba§ bem blafterten SBilbungSs 
pljilifter abgebt, oorauSfefcen bürfen, fei baS prächtige 33ua) auf's 
toärmfie empfohlen. 

68 fei aud) auf bie oortrefflid&en Sefpredjungen ber 33lätter: 
stimmen aus glatia-^aad), 3liebertl)etttifc$e ^orßsjeifmiö 
öBüdjermarfi), gSabner <£anb, ^uasOurger "goft\eitnnn, 
£ofni(cf)e ^offtöjeiiuttö, £d)weijert(d(e fitter. ^Tonatetunb- 
fdian, JUUbemtfd)e *glonat*M&iiez, jicabemia u.f.m. oenoiefen. 



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