Ausgewählte
Schriften: Aus
meiner
Studienzeit,
Erinnerungen
Heinrich
Hansjakob
Xibrar^
of tbc
TUniversits of UCUeconsin
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Xtbran»
of tbe
TOnivereiti? of WUsconsfn
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Ijttotid) ^nnsjnkob.
2. 3Sanö.
$hts meiner 6fu5icn?cif.
KapL
C&curg H>*i8, 0?rla0
(fröfjtr tu f ttbttt«*)
1902.
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it* meiner i?fat6iett?eif.
<Srinnerun<jett
f einriß j$an0ja&0&.
(Sin Knabe gar ntel lernen tnnfo
Bt» aus ifnu rotrb ein $ominu»
löogumil «olfr.
3fttnffe ver&efferfe Änffa^e,
<&*xr*a H>*i8, 0?tlag
(Jrfi&er in ^eibetörra).
1902.
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2>ru* bor ^offmannftl/en 93ucl;bruderei in ©tutiflart.
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X41T
Vorwort
@djon feit 3fef)t unb 2äg tft bie In'et *otlicgenbe
gfottfetjung meinet „3fagenb3eit" fertig in meinem ©cfyteib*
tifdje gelegen. %cß Ufingen meinet wenigen, abet auf-
nötigen Jteunbe Ijat nud) enblid) beffonmt, fie „an§ £icf)t
gu geben".
9lu3 bet ßinbeä* unb ßnabenjeit I&^t fld^ leicht er-
&äl)len; alle 9Belt batf von ben Xugenben unb $ef)Iem
jenet,3ett miffen; niemanb fdjämt fid) batob, unb feinet
geljt mit iljnen tn3 ©eridjt SBenn wir älter roetben,
fommt bie fttenge SJtotal, unb unfet Seben uetfädt bem
Uttljeile bet 9ttitmenfd)en. ©obalb man e3 abet in
biefet ©mftdjt mit feinem lieben 9W$ften 31t tftmt Ijat,
batf man auf alles eljet tedjnen als auf ©Tönung, ©o
(am e3, bafc e8 miebet^olten fttängenS bebutfte, bis id)
mtd) entfdjlofc, ba3 twtltegenbe, offen unb eljtüd} ge*
fdjrtebene $Büd>lein in ben %xnd geben.
©igentlid) roat e$ ntdjt ted)t gefdjeibt oon mit, mt$
lange &u beftnnen, ba id) ja fd)on langft nriffen tonnte,
bajj gemiffe Seute mtd) nid)t fronen, felbft roenn tdj ein
(SebetBudj fdjtetben roütbe.
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- VI -
Ob ich berechtigt bin, meine ^Biographie &u fd)retben,
barüber laffe id) ©oethe rebetu ©r fagt: „%k 3*age,
ob einet feine eigene ^Biographie fchreiben bürfe, ift höchft
ungefchieft. 3$ ^alte ben, ber e§ thut, für ben IjöfUdjften
aller Sftenfchen." (SineS „höflichen 9Jcanne§* Bnct) aber
wirb man nicht weiter empfehlen brausen.
greiburg, ©nbe 9Gooember 1884.
3>er 3fferfa(Jer.
HJorre&e ?nr jtpeifen Hitffage.
©in babifdjer ^P^ilologe hat in einem babifdjen blatte
bie (Säuberung metner <Stubien$eit als eines ber fchlcchteften
SBficher nnferer Qtxt bezeichnet. $>a aber bekanntlich bie
f$led)ten SBücher oiel lieber gelefen werben al§ bie guten,
fo fam e$, bafc, auch infolge ber genannten (Empfehlung,
mein ^Büchlein eine aweite Auflage erlebte. 3$ fehtcf e
biefelbe in bie Sefewelt, ohne mir ein ©ewiffen barauS
ju machen, ein fo fchlechteS SBud) gefchrieben $u haben,
freue mich vielmehr ber oielen ßef er meiner Schlechtigkeiten.
r ei bürg, im September 1893.
3>er ^erfaf]Ter.
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6rite
3)ie (gmtftfreibwtfl , , . . 1
SBeim Kaplan 16
%)et Duartanet in fltoftatt » . . 46
$)et CLuintancr . . , . . . . . . . a . 96
3)er ©egtanet 143
g)et 9ftaulefel 202
Unioerfttät imb flonpüt 213
Qm ©cminar 282
g)gg ©taatgegamen 305
mdblxd 324
■
jogle
$)te ©ntfttffttwng,
9Jiit bcm weisen Sonntag beS QatjreS 1861 ^atte
ftd) für un§ #aSlad)er ©rfttommunifanten „ber Äinber*
fyimmel" gefd)loffen. ftxoax fanben mix uns an ©onntag-
9tocf)tnittagen noef} mit ben älteren 9$olt§fd)ülem au*
fammen, um auf ©ttafje unb ©äffe, in gelb unb äBalb
ben ®eniu§ ber Äinb^eit frei leben ju laffetu Mein bie
meiften oon un§ mufften fdfjon ju erjagen oon ber 9Mf)e
unb Arbeit in ben Sßertftätten tfper SBater unb 2Heiftcr.
©in&elne hielten fief) aud) ftolj gän^lid) ferne oon ben
jüngeren (5di>ulfameraben, bie nod) unter bem ©cepter
beS Oberlehrers ftanben, unb gingen nad) ber fonntäg«
liefen SBeSper in3 $ierljau8.
3$ mar in jenen erften Monaten nadj bem SluSjug
au§ bem $inberi)immel 5lmp^ibium unb tonnte ebenfo
oergnügt mit ben „©djulbuben" fpielen als mit ben ©ecef*
ftoniften unb Sttannbaren brunten am ftlofterbad) beim
„füjjen ßang" ftijen, mo jeber einen ©poppen SBter „um
groei ßreuaer" tranf unb für fed)§ ßreujer SBrob baju afj.
%oö) tief mid) oon allen ange^enben £ef>rjungen ber
(Sonntag 9lbenb guerft fjeim. 34 mußte in bie oäterltd)c
SBarfftube unb ben „SBorteig" anmachen für bie näd)tlid)e
S&robbereitung. $enn feitbem bie ®4ule mtd) entlaffen,
tyatte td> mit unferm Seljr jungen, bem *ßeter, alle ein*
$anäiaiob, ©tublenjtlt. 1
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fdjlägigen Arbeiten ju teilen, unb weil id) ber jüngere
mar, mußte tdj ben SSortctg Juristen unb fo einige
Stunben efjer ans ©efdjäft als mein Vorlege.
liefet mar ber 9ßacf)folger beS in meinen Qugenb*
(Erinnerungen ermähnten „Sepp", ©r fam aus bem %ofy
bacl), einem emfamen ©c^öftc auf ber ,£öl)e hinter bem
©trief erroalb, mar ein ftider 2Balbburfef)e mit fraufem
SRoHentopf unb gutmütig fdnelenben klugen, aber ein Genfer
bittigfter Slrt. 211S id) ifmt baS erfte SJtal oon ben bitter*
gefeitesten fprael), bie ©epp, £ug unb ie^ in ber 23acfftube
gelefen, fe^ielte er mie^ an, als märe er eben frtfcf) uom
Gimmel gefallen. 9Lud) ftunb er mit bem Sefen unb
©ef)reiben auf gefpannteftem ftujs. $0$ burfte ilnn bieS
aUeS nic^t oerargt werben; benn feine £eimat() liegt fo
oerfteeft unb abgefdjieben oon SBelt unb 9ttenfd)en, baß
bort „bie f^üc^fe unb #afen einanber gute Stacht fagen",
unb ber 3&eg jur Schule im 3$al brunten mar gar ju
befcl)roerUd>, um mUnfm nod» meleS lernen au fönnen.
$ugo, ber Aneckt, mar auc$ nidfjt meljr ba, unb
feinem ©teUoettreter, bem Wtatt, galt ein aSiertele Kartoffel*
fcfcnapS mefjr als eine ganje Labung ood SJttttergefctjicfiten.
3ftatt mar ein um fein ©ütcfjen gekommener SBauer aus
bem „^Jtüttibae!) 4 ', ber im ©täbtle taglitfmerte, meift bei
meinem SBater, ein luftiges, burjtigeS £auS, an bem beS
SBeltaflS ©orgen fpurloS vorübergingen, fo baß er fjeute,
1896, no$, ein ^tjiger, lebt, arbeitet unb trinft.
Sälit bem ©rfefyeinen t*on s $eter unb 3Ratt Ratten ^ßoefte
unb ^Hittert^um ftd) au§ unf erer 33aef ftube entfernt, unb baf ür
roaren für mic^ bie erflen, quälenben begriffe oom „Staat"
eingesogen. 3n jenen Sagen fpielte nämlie^ bie SanbeS*
regierung noclj in einer *on mir jefct Wfylid) gebilligten 5lrt
bie SRoHe „beS öffentlichen ©croiffenS" für $äcfer, SJccfcger
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— 3 —
unb ^Bierbrauer. %a mußten ber ßroei^reujcr-SOßccf unb
baS ^©rofc^cnlaiblc 4 ' fo itnb fo siel wiegen, unb bog
oterpfünbige ©chwar&brob burfte nicht teurer oerfauft
werben, als ber Slmtmann befretirt ^atte. Sehnlich beim
$Mer unb beim ftleifch. Qebe äöorfje tarn „unoerhofft* ber
(£enbamerie«2Bachtmeifter mit ber ftäbtifdjen „Sicherheit",
welch' letztere bie offizielle StaatSwage trug, unb eS
würben bte Saaten ber SSäcfer abgewogen.
%a pochte mir jeweils baS ©er& ; benn ich mar ber Der*
antroortUdje tflebatteur. 3$) M** * n nächtlichen Stunben
beu $eig gewogen unb *ßeter tf»t geformt. SBenn bte SÖaare
ju leicht befunben unb mein SBater beftraft worben wäre,
hätte bie Schulb fleh an meine 3*rfen geheftet. 2)od)
mein 2Bägen warb in attweg als treu anerkannt, unb eä
freut mich jefct noch, baß ich bamalS, in meinem erften
$)tenft für baS öffentliche 3Bohl, ehrlich gebient unb ben
©aSlacher Untertanen mährhafteS SBrob geliefert fyabt.
@S waren jene SBochen meiner SEBirffamteit als
93äcferjunge mehr werth für bie Sttenfchheit meines ©et*
matt>©täbtchenS, als gar manches ©efefc ber -fteuaeit,
baS bem armen 93olt Steine ftatt guten SBrobeS gibt
2lber eine Qual war eS mir, ©unberte oon ©alb*
ba^enlaibchen unb SBterpfünbern nach ber ©ewichtStage
iu normiren, unb fo fehr ich h cu * c no $ oe « gewtnnfüch*
ttgen 9Jceiftern ben Staat mit ber $rob* unb ©ewufftS*
Saje auf ben ©als wünfehte, ebenfofehr gönne ich ben
armen SBäcferjungen bie neue Freiheit. Sieber arbeitete
ich an SBregeln unb „©ipfeln", benn bie burfte ich nicht
bloß wägen, fonbern auch mobein unb mit bem obligaten
(giweif* beftreichen.
©atten *ßeter unb ich *>te oerfdnebenen SBrobforten
auf ben Brettern jutn „(Sehen* fertiggefteUt unb ben Ofen
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gehest, fo roecften roir meinen SBater, bet ba§ „<5Hn*
fließen" beforgte unb ba3 eigentliche SBacfen überwachte.
Um 9ftttternad)t tarn baS $8rob au§ bem Dfen, <ßeter
unb idfc) erhielten jeber ein ©läSrfjen „•ftußroaffer 4 ' unb
jmei „oerg'rathene* ®ipfel, bie mir „(uhroarm* oerfpeiften,
unb beten ©enuß fammt bem ßiqueur und einigermaßen
entfehäbtgte für bie geopferten ©tunben be3 ©chlafeä.
$>er ©aftenalife, ber Sftachtrocuhter, rief auf feiner
SRunbe gewöhnlich bie jroölfte ©tunbe an unferer £au§ec(e,
ba mir Iangfam bie (Stiege Ijinaufmanberten in unfere
Cammer, roahrenb berSBater, noch feine $fetfeau§rauchenb,
bie ^^üren fchloß unb im 6tatt „umsüubete", ehe auch er
jich iwc Sftuhe legte. 9Jlein letztes 2öort an $eter lautete
gar oft : „D Hölter, menn i no a mal roißt, roa§ i märe
muaß; benn beg SBache ifch m'r in ber ©aT j'roiber!"
Unb in ber $t)at mar meine Söacfftubenarbett nur
ein ^rooiforium, ba SSater unb 9Jcutter fid) noch nicht
geeinigt Ratten , roa§ au§ mir roerben fottte. ©o otel
ftunb in meinem großen Sroffe beim SSater feft, baß
(einer oon feinen Stoben Söäcfer roerben bürfe, weil bie
$ä<f erei „ba§ lumpigfte ©anbmerf auf bem gangen @rb*
boben fei". @r mar hierin ba8 gerabe ©egenttjeil oou
feinem SBater unb meinem ©roßoater, bem „(SfelgbecC
Dulgo „SBecfenpeter". $)er ^atte oier ©ityne unb &roei
Töchter; bie erfteren mußten aHe SBädfer roerben, unb bic
lederen t>erhetrathete er fämmtlich ju biefem ©anbroerf.
$>er ältefte SBruber meinet 38ater§, Sofef, roar fo
ftolj auf feinen <§>tanb, baß er „gegen alle SBäcf crregel"
einen mächtigen (Schnurrbart trug unb beßhalb nur ber
„©ehnausbeef" genannt rourbe. ®r f)atit fleh fcuerft in
Dffenburg niebergelaffen unb hier al§ ©acfftuben^lebejer
eine (leine Sfreootution unter ben ©albbürgem gegen bie
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93oUbütget in ©cene gefetjt, meftyalb bicfc nadf) etlangtem
@ieg bcn „©djuaugbect" oetttieben, motauf et mit einem
äroetten trüber tauföte unb fein 93tob in £a§lad) buef.
(£t ftarb — mit #ülfc feinet g=tau — als fftentiet, ein
feltene§ (ämbe füt Demagogen unb Älembäcfet.
£ätte mein SBatet ben „Äaftengeift" be§ ©tofjoaterS
gehabt , fo märe id) Ijeute audf) SBäcfetmeiftet in $a§te
unb ttttge, ba bei ben $a3lad)etn ntrfjt leidet einet oljne
„©pt^namen" roegfommt, bei meinet ßötpetlänge nmfjt*
fdjeinltdf) ben tarnen „©totcf)enbecf" obet „bet lang SBccf*
unb weite {ebenfalls liberal, fdjon beftroegen, roetl bie 3Belt
ben liberalen bie 9lbfdjaffung bet SBtobtaje oetbanft.
$ucf) bie ©tofjmuttet !>atte Ujten ^ßlan, mid) jum
Kaufmann gu machen, &u meinet l)öd)ften 93eruf)igung auf*
gegeben. Jföre jüngfte fcod&ter Ijatte oot futjem einen
Kaufmann ge^eitat^et unb ba§ t)äterltd)e ®efd)äft über*
nommen, unb fo roatb bie ©rojjmutter bet gitfunft tfjreS
$tamlaben§ fielet oljne mic^. 2lbet „roa§ foHte nun
au3 bem ftinbe roetben"? £)iefe fjtage bet fjL @dt)rtft
fiellte mein SBatet auety öftet§ an bie SJluttet, nut etroaS
betber. Vtcm$mal, wenn bie galjlteidje ftamtlie beim
SDttttageffen fafj unb ba§ unt>etmeibüd}e ©erid&t jebeS
§a§lacf)et ©äcfettifdjeä, SBaffetf Quitten *), net$ef)tte, fjub
bet Sßater, jut Sftuttet geroenbet, an: „2Ba§ fange met
(mit) au mit bem $ärle a?" S)ie Sttuttet mußte unter
obroaltenben SBerfyältntffen audE) !einen SRaty, unb id& wagte
meinen feit SOßod&en fettigen $lan nod& nidf)t &u Der*
öffentlichen.
•3JUr roaten nämlicf) immet unb immet miebet bic
in meinen „Sugenberinnerungen" genannten (Stubenten
*) (Sitte SRe^lfpeife, gefertigt au§ bem ni$t oerfauften »cobe.
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aus ber SBucffdjen ^Bierbrauerei &u greiburg nor ber
jungen SBäcferfeele aufgelegen, unb td) mäfjnte, ein
©tubent mttffe baS fd)önfte ßeben tyaberu Dft fpra<$ tcty
mit *ßeter in ber SBatffiube bamm, unb ber mar ntd)t
abgeneigt, an bie 9ttöglid)feit ju glauben, baf$ idj „auf
Pfarrer" ftubiren tönnte; benn ber Pfarrer in ©teinad),
feiner $trd>fpielSgemeinbe, fei früher aud) ©d^reiner gc*
roefen unb bod) nod) „ein £err" geworben.
%a$x traten noc§ bie ©d)ilberungen auS bem SJtunbe
beS Soreng 9flauS l ), wneS Neffen unfereS ©tabtpfarrerS,
ber bereits in £>ff enburg auf ber ©djule mar unb bie Serien
bei un§ ©a8lad^ern jubradjte. 3)er £oren$, fonft ein fetyr
mittleres latent, impontrte mir bamalS mädjtig, unb irf)
Ijabe tjeute vor bem großen §umaniften (SraSmuS oon
SHotterbam md)t me^r Sfafpeft als in jener $eit nor bem
©tubiofuS 9ftauS non ©futtern, ber bereits non ©tjrefto*
matfjte, t>on ©tgl unb Sttatyematif fprad), nmfjrenb id)
©rofdjenlaible fabrijirte.
3BaS midj aber genirte, meine ftitte Siebe jum ©tu«
biren nor ben ©Item $u protlamiren, baS mar bie fjurcfyt,
ber SBater möchte ein entfd&tebener (Segner banon fein.
<£r Ijatte fdjon gar oft gcau&ert, bafe Sefen unb ©djret*
ben bem gemeinen Sflann nid)t oiel Reifen f (hinten, unb
oom (Srofcoater erjä^lt, ber feine SBuben utc^t einmal in
bie ©djule tyttte fcfyicfcn motten, roeil Sefen, ©treiben
unb Steinen ©adje „ber $erren" fei unb er feine Herren
aufriefen roottte. $0$ $atte ber „SBecfe^ßeter" einen
trüber gehabt, ber ©riftlidjer mar, unb autfj oon btefem
unb feinem „frönen 93ermögen" f>atte ber SSater nrieber*
fjolt gu berieten gemußt. $>iefe Üljatf ad>e gab mir je«
J ) 9)tein guter <yreunb £orena ftarb ffym in ben fieser
Sauren alö Dberförfter au ßotf.
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roeil§ einige Hoffnung beim Sftachbenfen über ben jufunf*
ttgen UrtheilSfprudj be§ 23ater§.
$)ie erfte ©röffnung machte ich ber ©rofimutter, bie
für 2lu§btlbung ©w« ^atte unb an meinem erften ^il*
bung§au§flug in bie »oltefchule nach gretburg fchulb ge=
roefen mar. 3$re Antwort ift mir tyutt noch fo gegen-
roärtig, al§ ob ich fte erft cor jroei Sagen gehört ^ätte.
9luf meine 3*age: ^SSBaS meine 3^r, ©rofjmuatter, wenn
i au fchtubiere ttjätV* nicfte fie beifällig mit ihrer ©olb*
haube unb fprach: „ftrili roaYS fchö, wenn be a rächte
©eifchtliche thätfch märe, benn be* ifch ber fchönfät
©djtanb, unn wenn ainer tranf morbt, ifch er oerforgt
unn ^et ji fiabtag 'S SohrS 300 ©ulbi.*
3$ mufj lächeln, fo oft t$ an biefe 9Borte benfe.
Srte 300 ©ulben „Sifchtttelgelb", bie ein bienftunfähiger
^ßriefter befam, fdnenen oor oierjig fahren meiner ©rojj*
mutter eine SBerforgung erften 9tange3. 3Bie naio unb
genügfam waren bie -äftenfchen noch oor roemgen $ahr*
ahnten! £eute !ann einer mit bem „Sifchtitel* oerhun*
gern, wenn ihn nicht eine öffentliche Slnftalt aufnimmt.
(Stubiren unb ©eiftlidjer werben mar bamalS in ben
bürgerlichen unb bäuerlichen Greifen e in 3ßort ; nur bie ©öfjne
ber „£erren", b. i. ber ^Beamten, backte man ftch als ju=
fünftige ©taatSbtener. ^)eg^alb ging bie £Rebe meiner
©rofjmutter f of ort auf ben „geiftlidjen (Staub" t)faau§. Sötir
fchtoebte aber etwaS ganj anbereS oor als ber „Sßfarrer".
$)ie Pchftc ©tufe im SKang ber ©tubtrten fdfien mir ba*
malS — ein SKentmetfter einzunehmen. $er alte 9ient*
meifter ftifcher, welcher im zweiten ©tocfe be§ oäterlichen
$aufe$ wohnte, mar mein Qbeal oon einem „^perm". ©r
fa£ ben größten RtyH ° e § $<*ge3 in feinem fchönen ©e*
mach am JJenfter unb rauchte ans einer langen pfeife,
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unb wenn er bog ©aug ©erließ, fo gefd^a^ eg meift im
eigenen, von atoet glänjenben Traunen gezogenen Söagen.
$>en Dberatntmann Pilger fal) id& nur $u §uß, son feinen
^ü^ner^unben begleitet, auf bie JJagb gelten, aber ber Stent*
meifter fuf)r fpajieren nrie ein gfütft. Stoß id) aber „auf
föentmeifter* fhtbiren wollte, oerrtetl) id) feinem 5ttenfd)en
unb war aufrieben, alg id) bie ©roßmutter fürg @tubiren
gewonnen unb oon ifjr bag SBerfpredjen fjatte, baß ße
mit SSater unb 9Jlutter bag äBettere bereben wollte.
Steine Butter pflegte regelmäßig ifjr 9fttttag§fd)lafdjen
$u machen, aber md)t in unferm unruhigen ©aufe, fonbem
broben bei ber ©roßmutter. %a faßen bann beibe auf
bem (leinen <5ofa in bem ©djlafjimmer ber ledern, bie
Slrme übereinanber gelegt, unb fdjltefen. 33or bem ©in*
fd)lummern würben in ber Olegel bie $age3fragen erlebtgt,
unb fo aud) txxtmal mein ©tubirplan. bereinigt rücf ten
bie ©d&läferinnen in einer frönen 9?ad>mittaggftunbe in
meiner 9lbwefenl)eit oor ben SSater unb fälligen ifyn
nor, mid) fhtbiren &u laffen. ®ag töefultat mar ein
Überaug günftigeg. $)er SSater wollte fid^ nur erft Der*
gemtffern, ob icf) audf) Talent fyätte, unb entließ bie swei
weiblidfjen SBefen mit bem $8efd)luß, er werbe in näd^fter
Seit mit bem Oberlehrer ©djerle reben unb beffen Sftei*
nung über meine ffä^igfett frören.
3ttein 2Sater mar in mannen fingen bag gerabe
©egentfjetl oon feinem ©olme. SB&^renb bei biefem Kenten
unb £anbeln immer möglidtft fdmeU bei einanber pnb, in
$olge beffen er fdjon jaljllofe Stftale übereilte ©treibe
gemacht f)at, (onnte eg nic^t leidet einen ruhiger über*
legenben 9Rann geben alg meinen SBater. $)rum prefftrte
eg tlrat gar md)t, fdjon am gleiten ober am folgenben
Sage jum Sefyrer $u gefjen, unb jebeg drängen märe ing
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©egentyeil umgefdtfagen. 3$ mugte barauf gefaxt fein,
nod) einige 2Bo$en ofyte (Enburtljetl mit $etcr in bet
SBacfftube unb auf bem Jelbe Ijanttren ju muffen, unb
tf)at e3, von Hoffnung getragen, aieralid) unoerbroffen.
©ine§ $age§ nun arbeiteten ^ßcter, ßuügarbe, bie
3Jlagb, unb td) in „ber Seimettgrube" *). 2Btr Ijacften bie
Kartoffeln; e8 war <$nbe 3Jlai. Um ae&n Ufjr beg SJtor*
genS fam bet SBater ben #ol)lroeg beim „©djinberljäuSle 4 '
herauf, um, rote er $u tfjun pflegte, nad) feinen ftzVb*
arfcettem $u fefjen. Qn gerooljnter 2Beifc fein Sieb pfet*
fenb, nafjte er fid) un§ unb rief, nad) einigen gefdjäft*
lid&en fragen an bie ßuitgarbe, mir &u: „So fd>aff jeg
nur reicht uff'm ^älb; benn mit bem ©rfjtubiere tfdj e3
bo (bod)) nij; i bin ben Sflorge bim Saurer gfi, unb ber
Ijet g'fait, bu feifd) j'bumm bepa!" (Sprados unb ging
pfeifenb oon bannen, „be§ ©anbl>afen*§alben" hinunter.
2Bie com Gimmel gefallen ftunb id) auf bem Kar*
toffelacfer anrifcfjen ü&tagb unb Sefjrjunge. <Sd)am unb
30m fdmpften in mir, bis ber lefctere ftd) in ©Wimpfen
über ben Sefjrer Suft machte. Unb bod) ^atte, roie idj
fjeute flar einfelje, ber 9ftann nad) beftem SBiffen unb ©e*
roiffen geurtfyeilt. Qd) roar in ber ©djule ein jtemlid)
au§gelaffener 9ta>olution§bube geroefen, fjatte bem guten
Oberlehrer, wenn er öfters oor SJlübigfeit in ber ©djute
fdjlief, mit ber ftreibe ben Sftüdfen bemalt unb i^m gar
mand)e§ „SJUtUarbenfapperntent" ausgepreßt S)aju leiftete
td) geiftig garroentg; im Rechnen roar tdjnutt, im (Betreiben
feljr mittelmäßig unb nur hn ßefen gut. 2ßa§ foü nun
ein ©djulmeijter anberS fagen, roenn man ilnt fragt, ob
ein foldjer <Sd)üler &um (Stubiren fäfjig fei? —
') ©in ©eroenn-^ame ber §aölad)er ©emarfung.
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— 10 —
2113 tdj mit ©Wimpfen ju ©übe mar, oljne baß mein
3orn fid) gelegt, warf ic$ meine #acfe auf bieSJlutter ®rbc
unb ging ingrimmig fjinauf jum na^en SBalb. S)ort, bei
„€>etler§ Tobel", in ben idj fo manchmal mit meinen
Äameraben, ©eibelbeeren ober SBogelnefter fuefjenb, unter
#atti*#aOo eingebogen mar, fefcte id) mid) unter eine
Tanne nieber unb meinte tiefbettübten £erjen§, baß ber
Traum oom jufünftigen SRentmeifter fo plöfclid) mir ger*
riffen morben mar burd) be§ JÖeljrerS 2lu3fprud).
2lm grünen, grünen 2öalb, fo ooU oon Erinnerungen
an ben ßinberljunmel, faß, wenige SRonate nad) bem
2lbfcf>ieb oon ber flinbtyeit, ber fonft fo Weitere tfnabe
unb meinte — au§ (Sorge für feine 3 u ^ un ft uno f e * uc
(Srjftenj im Seben. $>ie Tannenbäume grünten unb min!«
ten rote efjebem, bie SBögelein fangen in alter Suft, unb
nur bie f leine 3Jtenfd)eufeele mußte füllen, baß fte oer*
ftoßen fei au£ bem Sßarabiefe. ©d>on begann ber oer*
tyängnißoofle SBorljang ftd> gu lüften, üon bem <5d>open*
^auer fo fdjön fagt:
„!$n früher Qugenb fifcen mir oor unferm beoor*
fte^enben Lebenslauf, mie ftinber oor bem Ttyeatcroorfjang
in froher Erwartung ber $)inge, bie ba fommen foflen.
©in ©lücf, baßftenidjtroiffen, mag roirflid) fommen mirb.
$enn roer e§ weiß, bem tonnen ju fetten bie ftinber oor*
fommen mie unfcf)ulbige Delinquenten, bie sroar mdjt jum
Tobe, hingegen jum Leben oerurtfjetlt finb, jebod) ben
'jnljalt i^reS UrtfyeiB nod) nictyt oernommen Ifaben."
5115 bie amttagäglocfe oom ©täbtdjen fjerauftönte,
rief mir ber ^eter jum ©einigeren. %n ftummer SBer*
jroeiflung naljm id) meine £acfe auf bie 6cf)ulter unb roam
berte bem 93aterf>au§ ju. §ier ftratylte gleich ein £off nung§*
ftern, unb ber entfprang bem ßopfe ber 9ttutter. 6ie
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felbft mar ebenfalls erboft auf ben Setter ; e§ mochte fte
ärgern, baft thr ftltefter ©ohn ein bummer &erl fein fottte,
unb flc oerftel auf ben richtigen (Bebanten. S)er SBater,
meinte fie, foHe ben Kaplan *) fragen, ob er eS nicht mit
mir probtren wolle im lateinifchen Unterricht. £)er werbe
bann balb ^erau^finben, ob ber £et)rer recht ^abe; flc
tönne e$ nicht glauben.
$)er Machbar ©chmieber, ber ©trumpf fhrief er, unb
unfer Detter Fachmann, oer Uhrmacher unb ©chroärmer
für bie $)ottoren ber fechte, mürben, nach bem 9Jlittag<
effen oor bem ©aufe ftehenb, oon ber Sttutter ebenfalls
interpellirt. S3eibe tootlten an mir „QntetUgenj* bemeitt
haben. %a$ tleine ©tricferlein fd)lo& biefelbe namentlich
au§ ber 9lufmertfamteit, bie ich l^ben ©onntag ben poli*
tifd)en unb gefdjichtlichen ©efprächen geroibmet, bie er unb
ber #afner £aberftroh „auf bem Söäntle" oor feinem
#aufe loSltefjen.
■Jtod) ber ©rf)lafftunbe tarn noch bie ©rofjmutter her«
unter unb beftürmte ben SBater, ber ob beS erften 3?et)l*
gangeS faft bie £uft oerloren hatte, bem föath ber 2ftutter
$u folgen unb noch sunt Kaplan su gehen.
2)er Süeiber Slath ift nicht »iel roerth,
Stodj ift ein 9latv, rotv nid)t brauf hört,
mochte mit ©eroanteS ber „SBecfe^h^W von $a%k"
beuten, unb fo fagte er biefen ®ang, aber al« ben un*
umftöfjlich legten, gu.
©3 ging abermals einige Sage bie ©onne über meiner
©ehnfucht auf, ehe ber Sßater feine ©dritte bem <ßfarr*
häufe julentte, um bie ©ntf Reibung über meine «Bufunft
ju hotai» ©in Freitag borgen, roelcher mir untierge&lich
*) Kaplan ^ei^t im ümaigt^al öei- &ifai- beö ^faiwrd.
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uor ber ©eele fteht, war e§, ber bie frohe Votfchaft brachte.
<ßeter unb ich fpalteten uor bcm #aufe £>olj für ben
Vacfofen, al§ wir ben Vater bic „norbere ©äffe" f)in*
auffchreiten fahen. ©r hatte ben blauen SHocf an, unb
ber verriet!) mir fofort, baß e§ jutn Kaplan gehe.
SJlein Vater jog nur bei feierlichen 3lnläffen einen
9toef an, unb er tfjat e§ jeweils pdjft ungern, ©r befaß
auch ttwt einen einigen, unb ber war blau, tum einer
Färbung, wie ich fte nur noch einmal wteber gefunben,
im Speere ^wifchen Neapel unb Palermo. Nichtig bog er
feine Schritte in bie „hwtere ©äffe" beim 9tbler ein, ber
nächfte 2Beg jur Wohnung x>on Pfarrer unb Kaplan. SJlir
flopfte ba8 §ers oor banger ©r Wartung, bie ber *ßeter
noch fteigerte, inbem er in feinem SDochbacher S)ialeft an*
hub: *£ainr, wa3 mainfeh, menn'g jej bim Kaplan au
ni£ ifch, noa muafch boch no a Vecf märe?" „$o, *ßäter,"
antwortete ich grimmig, „no wor i a Vecf , unn no gemm'r *)
mitnanber in b* Jrembi!" boJ SBeinen ftunb mir
bei biefen entfchloffenen 2öorten näher al8 ba§ Sachen.
Von jeijt ab wanbte ich weine 9tugen mehr auf bie ©efe
be§ 9lblem)irth§hawfe§ «13 auf bie „Vacffcheiter", um
ba§ SBieberfommen be3 Vater§ $u erfpähen.
Söenn ein Verliebter einen brüten jur gufänftigen
unb ju beren Vater fehieft, um für ihn ba§ entfeheibenbe
Qawort &u holen, fann er nicht unruhiger fein, bis ber
greunb wieber ba ift, al§ ich, ba ich auf ben Vater wartete.
•Dtech einer halben ©tunbe fam feine gro&e ©eftalt um bie
©efe, unb emft, wie immer, t>or fleh hiufchftuenb, nahte er
unb ging Dornen, abfeit§ oon un§, in§ $au3. fragen
hätte nid)t§ genügt, unb ich mufcte wohl, bajj ich falb
') geljen wir.
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- 13 -
mürbe berietet »erben. 9tod)bem er ben blauen SRod ab*
gelegt, pfiff er burd) ben £auSgang bal)er, fteUte ftd) unter
bie Wintere £auStf)üre" unb fdjaute unS eine äBeile ju.
üMn £er$ flopfte rote ein ©ifentyammer, unb idf) roagtc
nidjt, ben 33ater audf) nur anjufefjen, fo grofj war bie
2lngft, eS möd)te abermals nichts fein. $>a rief er mxd)
5u ftcf), langte auS feiner 2Beftentafd>e ein ©tücfdjen Rapier
unb fpracf): „Wim 2flöntig foUfd) pem äaplan tumme
unb bia $Büad)er mitbringe, roo uf bem 3äbel flenn! 4 '
©in SBettler, bem ein reifer Sttann einen fcaufenb*
matfföem fdjenft, fann benfelben unmöglich mit feligeru
©efü^len empfangen als td) ben 3ettel auS beS SBaterS
£anb. ©r erfdjien mir als bie ooUe Quittung, bafc mein
©tubtum geraten roerbe unb alle weiteren $>tnberniffe
befeitigt feien. Unb roaS ftunb auf bem Rapier?
,3felbbaufd), Sateinifdje ©rammatif, nebft UebungSbud)."
ftreubtg las id> bem $eter biefe 2Borte w>r, warf
meine Sljt auf 3 £olj, rief: „<So, *ßäter, je* ifd>'S uS mit'm
SBecf märe!" unb eilte bat>on, hinauf jur ©rofjmutter,
meinen >Jettel fjodf) in ber £anb fdfjroingenb roie eine
Siegesfahne. 3)ie ©rofjmutter freute fid) ob ber ßunbe,
bie „SenebaS" betete, unb id) fprang jubelnb abermals
von bannen, um beim Detter „$Bad>fepp", ber jeben greitag
9tad)t gum grut^tmarft nad) Dffenburg fuljr, bie SBüdjer
&u befteHen. ©tolj roie ein 9lbjutant, ber bem fomman*
birenben ©eneral ben ©ieg melbet, gab id) bem $8ad)fepp
ben 3ettel unb fpradj: „Detter, 3ftr folle mir au bia
©d)tubentebüad)er morgen mitbringe; id) berf jej fd)tu;
biere!" „<&u roorfd) mer a fuoere 1 ) ©cf)tubent ge 2 )",
meinte trocfen lädjelnb ber Detter 3*utf)tf)cmbler.
*) fauberer. *) geben.
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2lm folgenben (Samftag^benb ftunb ich cor bem
©tcibtchen braußen auf ber „Gfrottlittbmd" unb wartete
auf ben JJntdjtroagen, ber ba§ tyal herauf fommen follte,
mit einer Ungebulb, aB brächte er mir alle ©chäije $n*
btcnS. @nblich äc^te er baher. $)er biete Sötfhelm, ber
@ofm be§ 93etter§ unb fpätere „SBterfrctmer 4 ' in £a§lc,
lenfte föofc unb 2Bagen. 2luf ben gruchtfäcfen faß ber
Detter unb holte, als er meiner anftchttg geworben, au§
einem ©acf ein Sßacfet. (5§ war ber ^elbbaufc^ fammt
UebungSbud), fauber gebunbcn.
SJttt melier 2Bonne unb mit welcher (Sfjrfurcht habe
ich biefe «ücher, bie ©chlüffel pr ftafpfctjen 2Belt, an
jenem 5lbenb betrachtet, unb wie glücflich Ijat mich ber
s 2lnblicf ber erften lateimfdjcn ©rammatif gemalt!
2Bie ein ftleinob mürben am anbem Sag, (Sonntag,
bie !öü<f)er bei ^ameraben unb S^ac^barn herumgetragen
unb gezeigt 2113 ich jum JJärber SBaftl tarn, wo fein ge*
färbter ©unb, ber 2Mac, ^eute befonberS feierlich mir
auwebelte, erhob SBaftl einen bunfeln $8Ucf in bie >$ufunf t
unb fprach: *$ör, SBürfchle, i will bir ebbte fage: bu gifch
entwäber an #auptfchtubent ober an ©auptlump!" SJlit
biefen SBorten gab er mir bie ©rammatif mieber &ur
£>anb, ber alte Machbar, ber feit fahren mich unb meine
guten unb föled&ten ßnabenfetten (annte. S)a3 SRefultat
feiner Prophezeiung fyat er nicht mehr erlebt, obwohl ein
£t)eil berfelben, roie mir fefjen werben, beinahe eintraf.
2113 ich „auSftubirt" hatte, waren meine getftig be*
beutenbften Nachbarn, ber ©trumpf ftriefer unb ber gärber*
metfter, tobt.
3ttit 2Behmuth erfüllte meine greube ben britten
ber Nachbarn, ben 2Bagner JJürft; er fehimpfte über fein
©chicffal, ba§ ihn, ben „ju etwas höherem ©eboreuen",
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gum Söagner gemacht, roett mefyr al3 fonft unb gratultrtc
mir mit blutenbem $er&en.
3Benn id) $eute an bic ftreube jurMbenfe, roelrfje
td) beim ctftcn Iatcintf^cn $Bud) empfanb, fo ergreift mid)
eine eigene SBeljmutl). $)en Knaben, eben au£ feinem
Äinber^immel gefommen, IjtmmeU gleich roteber aUe3 an,
nnb er oerfprid)t ftcfy golbeue $age. $d) afate ntdjt,
meld)' traurige ©tunben td) in ben erften $af)ren meines
©gmnafialftubiumS mit biefer ©rammatif erleben unb
wie oieler £fcänen 3euge ^ werben foHte. —
@o mar benn bie (£ntfd)etbung getroffen. 9laü)
langem fangen unb SBangen ging'§ am beftimmten Sage,
e3 mar ber jroeitc ober britte Quni 1851, ^offnung§ooU
jum Kaplan.
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"I)aS s $fartf)auS mar mir, bcm Knaben, eine unfyeim*
lidje ©rfdjeinung, weil alle genfter beS alten, fcofjen ®e*
bäubeS bid&t mit Vorgängen oerbeeft waren, eine Sttobe,
bie, mir f)öd)ft rotberwärtig, fjeute no$ an jaljlreidjen
älmlid)en Käufern grafftrt. ftcf) Ijatte eS in meinem bis*
fyerigen £eben nur jwet 3ftal betreten, guerft anno 1849,
al§ wir Vuben für bie §üte ber grei^eitSmänner bie
©älme unb Rennen beS (s>täbtd)en$ rupfen mußten. $)a
fliegen wir in giftiger Verfolgung jweier ,©ütler" uon
hinten in3 $farrI)auS unb fingen bie atmen Spiere im
„©olsfdjopf". 3 um Breiten SKale fam td) baljtn, als
wir am $age ber erften ^eiligen Kommunion beim
„$)efan* bie ©ebäd)tnijjbttber polten. 2113 ©tubenten*
afptrant aber wanbelte id) fedföefjn Monate lang, ©onn«
unb geiertage ausgenommen, täglich inS <ßfarrl>auS, unb
eS ift mir ein Vergnügen, ^eute bie (Erinnerungen an
baSfetbe ju Rapier bringen p fönnen.
Das £aupt beS £aufeS war felbftoerftänblid) ber
$)efan, baS *8ilb beS freunbüdjen ^ßfarrljerrn, wie eS
im SBudje ftef)t Dirne tiefe tfjeologtfdje ober fonftige SBil*
bung befaß ber gute £err eine ^ein^eit in äußeren formen,
bie alle biefe Jefjler oerbeefte unb oerftärte. <5r war
SBeffenbergianer. 3Jtan mag mir aber oon biefen ©eift*
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lidjen, bic eben ftinber tyrer 3«t waren, fagen, was man
will, eine§ ftef)t feft: flc befaften alle, fo oiele td) bereit
gefannt, eine SBouljomie unb ftonoemenj, welche i^nen un=
gemein anftunb unb um bie i<$ flc beneibe. ®te waren
bie Diplomaten in ber ©utane, ftuge, weit* unb form*
gewanbte ßeute. ©o aud) unfer £a§lad)er Pfarrer.
Äurj oor ber SReoolutton von 1849 ins ©täbtd)en
gef ommen unb ein ©tubienf reunb be$ DberamtmannS Pilger,
galten beibe al$ bie $dupter ber qnttsrepubltfanifdjen
Partei. Der Pfarrer mar befftalb ben meiften fo oer^agt
wie ber Slmtmann. ©ie nannten ilm bamals nur ben
„ßrutfepp", weil er Qofef ^ieg unb oon ©djuttern im
SBretögau gebürtig mar, im ©ebtete ber „ftrautbauern*.
SRadj bem ©türm war er aber ber Detern hinten unb ber
$)efan ooroen, unb felbft in ber gefätyrlicfrften Qtit unb
trotj ftafcenmujif f)atte er burd) feine charmante $reunb=
lid)feit einen gü^rer ber 3reifd)ärler, ben $afner „hinter
ber Sttrdj", fo für ftd) eingenommen, bafc berfelbe jebe
üftadjt bewaffnet al§ „©auoegarbe" im Sßfarrf)au8 lag.
Der Defan wohnte im erften ©toef, ber Äaplan im
weiten, wäljrenb im parterre ber Heller unb bie ©cfjeuer
fid) befanben. ©o oft \<S) nun an be§ erfteren ftiüer
Sßotmung oorübergmg, um jum Kaplan au gelangen, f)atte
er ftet§ einige liebeoolle, ermunternbe Söorte für ben an*
gefyenben ©tubio. Qn jeber Sßafanj lub er midj fpäter
an feinen gaftlicfyen £tfdj, unb al§ idj Sßrtefter geworben
war, jog er midj gang in fein SBertrauen. @r liefc, jum
©ret§ geworben, mid) oft in feiner ©eele lefen, wenn wir
äufammen einen Spaziergang matten, wobei er ftetä ben
©toef unterm 9lrme trug unb einen uralten ©glinber
auffjatte.
Set) l)abe feitbem fdjon manchmal an feine ©efpräc^e
$angjatob, etwbtcnjeit 2
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gebaut unb fte, je älter idj geroorben, um fo wahrer ge*
funben. ©r ftarb in ben erften SJlonaten be§ 3al>re§ 1872 -
$er Kaplan (Scheie, mein &ufünftiger Sekret, mar
mit eine gang frembe $erfönlidjfeit. ©in ©cfjroabe, au§
bem Mgäu eben etft in unfere EMjefe eingetreten unb
nad) §a§laclj oerf e^t , Ijatte td) tf)n faum ein ober ba§
onbere 5Jtal flüchtig gefefjen, ba be§ 93ifar§ £aupttf)ätig*
feit nicfyt auf bie @tabt, fonbern auf bie eine falbe 6tunbe
non biefer entfernte S)orfgemeinbe ©offtetten fid) erftreefte.
$)aß er meine DoUe @nmpatf)ie befaß, ef)e idj i^n in ber
Sfltyz gefefjen, ©erficht ftrf) roo^l oon felbft. $)enn ^atte
er e§ abgelehnt, mir ©tunben %u geben, fo märe id) aller
2öa^rfd)eiultd)f ett nadj in ber SBadfftube untergegangen.
©ben famen bie fieute au§ ber >}ef)n>Uf)rs2fteffe, al3
id) an jenem SJlontag mit meinen jroei SBü^ern in ber
,£anb über ben SJtarftplat} fcf)ritt, too td) glaubte, alle
dauern be§ eben uerfammelten aBodjenmarfte§ müßten e3
mir anfeljen, baß id) jetjt nicf>t meljr 58äcfer*£el}r junge fein,
fonbern ©tubent roerben motte. $)ie 3Jhttter fjatte mir bie
Toilette gemacht unb befonber§ angefünbigt, ja aud) oor
ber $f)ür anjuflopfen unb erft auf „§erein!" einzutreten.
©ar fanftmütig, roie ein SBettelbube, lautete id) am
sßfarrfjof, greube unb SBangigfeit wogten in mir auf unb
ab. träte id> in ein £eiltgtf)um, fo betreiben fd)Ud)
id) bie treppe hinauf. %a ftunb oben eine ber beiben
$öd)innen be§ *ßfarrer§, mit einem mitbgiftigen SBltd, roie
td) if>n in biefer Sftüancirung nur bei Sßfarrer§föd)innen
fenne, unb flaute auf ben 9lnfömmling fjerab. Unb unter
ber $üdjentf)üre jeigte ftd) bie ©eftalt eines magren £ünen<
roeibeS, bie fc^njarjen £aare nad> JMtenart über ben ftopf
') 2lu3 bem Sorfe (Sglop bei äßangen.
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jurücf geftrcthlt. 3Hir fiel ba3 £era in bie £>ofen, al§ ich
merfte, baß bet SBeg &um Kaplan an fo „zauberhaften"
#tnberniffen norbeiführe. ©rft als ich S^eb' unb Antwort
geftanben über wohin unb warum, burfte ich pafftren unb
würbe bie Heine treppe Innaufgewiefen junt ^weiten ©toct.
$ie jwet SBetbSbtlber, jwei ©chweftern 9ttarie unb
•SJcagbalene, welche mir anfänglich fo unheimlich oorfamen,
ff eilten fich fpäter als bie treueften *ßerfonen ber 2Belt
heraus. 2ßir würben balb gut JJreunb, unb ich Iciftcte
ihnen manchmal ©efeUfchaft in ber ftüche unb fanb, baß
bie Sttarie fo unheimlich unb hünenhaft nur bann auSfah,
wenn fle weinfelig mar. &eibe ftammten oom ©chmarj*
walb, auS ber $o$engegenb, wo ber Pfarrer ehemals
paftortrt unb oon roo er fxe mit fich genommen hatte. $)ie
•äflagbalena ftarb noch vot bem ftefan, unb bie 9ttarie
tehrte auf ben SBalb jurücf. $ort lebte fte oor wenigen
Sahren noch/ ^od^betagt.
Qitt 2ötnter§3eit, wenn ber Kaplan noch ^ a nox
oon £of ftetten, wartete ich oft bei ber 9ttarie in bem f leinen
©emach fnnterm ©peife$immer, wahrenb fte am ©pinnrab
faß. SBenn bann bie SJcagbalene in ber ßüche war, fing
bie Spinnerin an &u f lagen über bie ©infamfeit unb Sange*
weile in bem Pfarrhaus, unb wie fchön eS bagegen in
ihrer $etmath gcwefen. Obwohl eine SSteraigerm, fyattz
fte noch Heimweh, unb ba fic eS ungeftiHt in ihrem einför-
migen Alltagsleben herumtragen mußte, „beweinte" fte eS
bisweilen im ßeller, unb bann leuchteten ihre bunfeln
fleltenaugen wie Äarfunfelfteine.
£)er 9flagbalene war eS auch ™ e rec $t uwS Sachen;
eS fah, wenn fle eS je that, gezwungen auS. Aber fie
flagte nie ; gemeff en unb freunblich war ihre Unterhaltung
in ber #üd)e. @ie gab mir, fo oft irgenb ein ©jtragebäcf
2*
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— 20 -
gemalt umrbe, booon &u toften. 3$ flaute tyrer Kod)*
fünft mit SBergnügen unb ©taunen $u unb erinnere mtd)
lebhaft metner SBernmnberung, als fte einmal auS ©iroetfc
„©djnee fd&lug" unb mir, nad£>bem fie eS mit «ßueter unb
Sflefyt »ermiföt hatte, non bem „$>tng" gu foften gab.
2US id) fpäter uon ber ©ötterfpcife „Slmbrofta" hörte,
backte idf} an bie &üd)e beS hetmathlidfjen *ßfarrl)aufe§,
an bie Sttagbalena unb an ben füfjen „©cfntee".
Seidjt auf athmete idf), als an jenem borgen bie
gmei ^farrerSfödunnen pafftrt waren, unb rafd) ging'S bie
roeifjtannene ©ttege hinauf $um Kaplan. (Sine fanfte
©timme rief „£erein!", nadfjbem ich an ber erften Xpre,
an melier gu lefen mar: „Slnton ©djele, Kaplan*, an*
geflopft hatte. —
$tan ^at mir fdf>on mele Bosheiten unb fjfeljler nach*
gefagt, aber als Komplhnentenmacher bin td) bis jetjt noch
nicht t>erfd)rieen roorben. S)aS fd&önfte unb tntenftofte
Kompliment meines ÄebenS aber habe ich t>or bem Kaplan
(Scheie gemalt. $ie Sötutter hatte eS mir eingelernt, unb
jubem befeelte mid) ein fold) T gewaltiger Sftefpelt not bem
fdfjroäbifcijen „SBtfari", bafc ich in jener ©tunbe uor ihm
auf bie Kniee gefallen märe, ©o fehr glaubte ich, ba£
meine gange latemifche gufunft t>on ihm abhänge!
$)och balb mar meine Befangenheit gefchwunben. geh
ftunb nor einem jungen $erm, ber fo lieblich auSfah wie ein
fdjüchterneS Sftorgenroth. ©chwarge, fraufe ©aare, grojje,
bmrfle klugen unb ein gefunbeS, frifch*rotheS ©eficht, wie
man eS in biefer ftötlje gang fpegtftfd) nur bei fdjwäbifchen
SReuprieftern unb rottrttembergifchen 3faf<wterie*©olbaten
finbet, matten baS ©auptbilb meines erfken ©tubienlehrerS
auS. ®r fpradf) mir fo freunblidh 2ftuth gu unb fteUte
baS Satein*Sernen fo leidet ^in, ba& id) nach furgem Unter*
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rieht übet bie erfte fteflination üon tgm mtt bem feiten
SScrougtfein fdjtcb, baß mein Stubium nun auf felfenfcftem
gunbamentc gcgvünbet fei.
3n metner Seele war fetter, aufunftSfreubiger Son«
nenfchein. Selig eilte ich f)eimn>ärt8, überall meinen erften
©rfolg beim Kaplan erjählenb. deutlich erinnere ich mich
jefet, baß eigentlich an jenem Sage anfing, ein „flinbS*
fonf* ju werben, wa§ ich bis jut Stunbe geblieben bin.
3Bcnn fjreube ober 9lerger, 8ujt ober Schmer} mein Qn*
nereS bewegen, fo bin ich heute noch fo nain wie ein ftinb
unb meine, ich müßte & allen Seuten erzählen. (£3 ift
biefe S^aioität aber gar oft eine große Stammet unb
ttnnorftchtigfeit.
So mußten benn auch ade meine Gerannten unter
ben heute, als am Sage be3 2Bochenmarfte3, in ber netter*
liehen ffiirthsftube anroefenben dauern meine lateinifchen
Bücher fehen unb fuh erzählen laffen, baß ich jefct ftubiren
bürfe. SBon einem Sifch jum anbem manberte ich unb
ließ meine JJreube lo§. Unb fte freuten ftch mit mir, jene
lüacfcrn %%ab unb SBergburen, bie norfünfjtg fahren ein*
f ehrten in be3 93ater§ ^>au§: $)er ÜRUjocf, ber SBergetSgori,
ber föemlerbafche, ber Qlgebafche, ber SRamfteinerjocf, ber
Sterbur, ber SttartiSbur, ber Söchlebur, ber ftoftbur, ber
23ogel3bur, unb wie flc aHe hießen, bie jefct längft tobt
finb. 9htr einer lebte noch btöt-or wenig ^fahren auf feiner
luftigen, einfamen $8erge§h3H gegenüber bem büftern
ßojtroalb, ber 93ogel3bur, unb führte aU rüftiger ©reis
noch feinen Setbfpruch:
$atben unr. bia äßätt,
©<$ulbe unn fei ©älb!
9ßad) ber zweiten Stunbe" beim Äaplan tonnte ich
fchon im UebungSbwh «erbeutfehen: „Mensa est longa,
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— 22 —
viola est pulchra." Unb al§ id) bem Sßeter in ber Stock
ftube biefen ftortfdjritt nerfünbete unb i^m meine ßunft
uormad&te, ba fdf)ielte er mid) mit großen klugen an unb
fprad): „$amr, jejt glaunri, baß be a tädjtex £err roorfd)!"
©in fold)' taflet (Sprung nom £eigmägen bi§ jur Sati*
nitdt fd)ten bem guten Sßeter ein Dftefenroert.
UebrtgenS blieb mix bie SBacfjhtbe nidjt *öUig er*
fpart. 3ln ©arnftagen unb Sonntagen, unb wenn ber
33ater ben „2lbertag" *) f)atte, mußte tdf) nod) mithelfen in
ber 93robfabrifation, roetl ba meljr gebaefen mürbe,
fyabe id) benn in jenen erften ©tubienmonaten beflinirt,
fcmjugirt unb ttberfe^t unb nebenher „ba§ 9Jlarf ber
SHänner" mit $eter fabrijirt. (Statt non buftigen bitter*
gefdjid)ten aus 6epp3 unb #ugo$ Sagen fällte jet^t
bie bunt le, manne SBacfftube von latetnifcfyer $rofa roieber.
©o gerne id) aber aud) meine Aufgaben ftubirte, fo füllte
idf) bod), baß eS etroa3 anbereS fei, SftittergefdjtdEjten ju
lauften, unb etmaS anbereS, lateinifd) gu lernen. (£3 (am
mir aum SBewußtfein, baß ein Unterfd&ieb fei snnfdjen
Semen unb Unterhalten, snnfd&en $flid)t unb Siebfjaberet.
2ln gen>öf)nlidf)en Slbenben burfte td& ins SBett, unb
ber SBater mirfte mit $eter in ber SBadftube. 5lm $age
bagegen mußte in mancher freien ©tunbe nod) jebe Arbeit
im %dbt mitgemacht werben, (Srnten unb ©äen, pflügen
unb ©raben, aUeS roarb im fommenben ©ommer unb
©erbft no$ getrieben unb mancher SRitt getrau auf§ „<ßeter*
SBenbelS Söläß". Nebenbei aber fd&lug bei mir allein nodt)
ber &inberf>hnmel biSroeilen burd). SBä^renb meine $ame*
J ) 2>ie alten Sunfibädfer waren praftiföe Beute. Söeil in
$a8lat$ u)re 3a$l Segion war, fo burften je nur aroei an einem
Sage SBeifc unb 3Rild)orob batfen, bamit bie ßonhurena nidjt 511
fe$r fä;abete. SDiefcr Xag $iejj „2U>ertag".
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raben in ben SBertftätten bett $ag ©erbrachten ober bureh*
roeg ber gelbarbeit fid) wibmen mu&ten, blieb mir f)üi
unb roieber Sttufje, um auf ber ©äffe ju fpielen unb bem
©eniuS ber ßinbljcit bie JJlügel loSjubinben. 3)a würben
bann mit jüngeren Knaben ade bie alten (Spiele wieber
gemacht, unb ich hätte oft meine ©tubenten* unb SBäctcrg-
Pflichten in btefemäinbertaumel ganj oergeffen, mennmtd)
SBater ober 3ttutter nicht oon ber ©äffe weggerufen Ratten
mit ben SBorten: „ftomm heim, bu alter ftinbäfopf!"
2luch mit Detter Äarl, ber jefct üööig in ber Stte^gerei
aufging, warb noch ^ie unb ba ein ftalb ober ein Riegen*
boef geholt auf ben bergen beS $)orfe§ 3Jlü^lenbac^. 2lber
bie reine ÄinbeSfreube mürbe fd)on getrübt, inbem mir,
ftatt, wie früher, aufrieben mit bem, was bie dauern uns
oorgefe^t, jeweils nod) unten im $)orfe „einteerten", baS
Xljter an einen ^ßfoften banben unb im £öwen ober im
Dd)fen einen ©poppen tränten, ben felbftoerftänblich ber
Detter begaste, ©ein Sßater ^atte uns einen ©edjfer
3ehrgelb mitgegeben, unb ber warb reblich »erthan. SBir
wollten bamit beweif en, baß mir feine Keinen Buben
meh* mären.
$n ber erften Seit beim ftaplan gelangte ich ju einer
mir hochwichtigen Erwerbung. %tx *ßater Seopolb war ge*
ftorben, bie beliebtere ^ßerfönlichfeit be§ ©täbtchenS, ein
Stann, wie biefiaSlacher ihn brauchen tonnten. $)er fiepte
au§ bem in meinen Qugenberinnerungen erwähnten auf*
gehobenen föapujinerflöfterlein, ein geborener ©trafrburger,
hatte er feit 3<*h*en bie Qeüt oerlaffen unb lebte oon feiner
geringen Sßenfton im ©aufe meines Detters, beS haften*
oogteS ©buarb. ©r war allgemein beliebt bei grauen,
SJlännern unb ßinbern. $ie SBeiber hatten ihn gern, weil
er an ben Namenstagen ber befferen Bürgerinnen in ihre
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£>äufer fam, ihnen gratulirte unb mit ihnen bctt ftaffee
tarn!. S)ie 9ttännermelt fah in ihm ihren angenehmften
@eelf orger; benn er laS an Sonntagen bie JJrühmeffe fehr
furj unb machte in berDfteraritbenSeichtt-ater. 9115 folget
warb et nicht blofc t>on ben lebensluftigen Sürgern faft
ausnahmslos benü|t, fonbem auch 0011 jenen Sauern ber
ganjen Umgegenb, bie einen feinhörenben Sßriefter nicht
brausen tonnten, $ater Seopolb war nämlich in ben
legten fahren feines SebenS fiocftaub. 9Rit fetner £aub*
heit hatte aber alljährlich ber ßulauf ber 9ttann8leute ju
feinem Seichtfhthle zugenommen.
3$ erinnere mich noch gar lebhaft , wie bamalS in
ben legten Sagen ber Sufc unb ftaftenjeit baS #auS beS
SßetterS ©buarb oon „armen (Säubern* förmlich umlagert
mar; benn ber $ater nahm bie Seichte auf feinem
3immer ab.
Atteln wenn ber greife Stapujtner auch nichts mehr
hörte , fo rannte er feine Klienten boch aUermeift unb
muffte, in welchem (Spital fie fxanf lägen, £atte er auch
oon ber Seichte beS ©ünberS wenig ober nichts oerftanben,
fo machte et gleichwohl bem einen ober anbern einen gatQ
paffenben, fcharfen ftapuatnersgufpruch, ober wegen feiner
Taubheit fo laut bafj bie oor ber äimmerthüre unb im
§auSgang (Stehenben aUeS hören fonnten unb fiel) höchlich
barüber freuten. SBochenlang nachher gingen bann biefe
„ßufprüche" beS ^aterS unter ben ©aSlachern um, bie
bei ihrem angeborenen $umot eS nicht laffen fonnten,
auch biefe emfte Angelegenheit fleh erheiternb bar^ufteden.
$)en ftiubern war ber ^ßater eine ftetS willfommene
©tfcheinung. @r trug in ber Siefe feiner Äapuje nicht
blof* bie obligate ©chnupftabafSbofe eines jebenftapu&inetS,
fonbem auch eine Sittel Heinet, bemalter gingerringe
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von SBtei. Jtoum erbfictten nun bie Steinen bot Wen
auf bet ©trage, fo umfprangen fie ityi mit ber von jebem
roieberl)olten $Htte: „*ßater Sepolb, gemm'r 1 ) a IHtngle!*
9JUt feinen lunttn SRinglein Ijat et ©unberte t)on ßmber*
fersen glücfli$ gemalt.
3 roat WÖ unb breiig 3faf)re früher, als id) mein
©tubium begann, war ber $ater fieopolb aud) ber fiatein«
leerer geroefen in meiner S&aterftabt. <8r Ijat meutere fürs
©tjmnaftum vorbereitet, fo aud) ben burd) feiuen^mmor
etnft roeitbefannten Pfarrer *ßfaff, ben 2fbra$am a ©ancta
ßlara unter ben ©eiftlidjen ber (grjbiöjefe ftreiburg. 3fn
il>m ljatte ftd) ber £>a§ladjer $wnor atr^fcrjlicßlic^ §um
SBitj auSgebtlbet, unb er mar ein Raupte jempel für biefe
SRaturanlage aller $a§lad)er. Oft nod) in feinen alten
Sagen $at ber Pfarrer ^ßfaff mir ergäbt oon ben „©tun*
ben* Beim *ßater Seopolb.
Der *ßater ftarb anno 1852 $am großen Seibroefen
aller feiner Beidjtfinber üttb roarb begraben. SBalb nad)
feinem $obe mürben feine 2Büd)er unb SRobilien oer*
fteigert. Qd) mofjnte ber SBerfteigerung bei au8 einer be*
fonberen £iebl)aberet &u biefer ^ßrojebur. (Sine fold)e fyat
für ßtnber unb Knaben gar oiel 2lnaiel)cnbe3 , roeil ein
reicher 2Bed)fel an fingen unb allerlei ©cenen unter ben
3Jlenf$en bei berfelben jtd) a6fpiclcn.
($3 mürbe aud) ein bietet, alteS lateinifdjeS 2ö5rter*
bud) ausgerufen. $)er ©d)ufnuad)er iHäpple, roeldjer
nebenbei mit ©pect unb SBtftualten hn Heuten Rubelte,
bot einen ©rofdjen barauf. ßreujerroeife Weigerten er unb
id) un8 nun fjinauf, bis ber „Sergftoele" bem ©d>ubmadjer
$alt gebot mit ben Sßorten: „Soft beS 33uad) bem 93ecfe*
*) gebt mir.
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ptyilipple, er brudjt'S iuam ©djtubiere!* 3$ l)öre fyeute
nod) ben Päpple mit feiner langfamen Q\m$t antmorten:
„Woa ifdj'S ebbte anberä, fod er'3 fja, i fcätt nu ©päct
bri g'miggelt." SUSbalb warb mir ba£ SBud) um 13
SJreujer jugef erlagen. <§& mar: „Adami Kirschii cornu
copiae linguae romanae", mein erfteS unb bis Ijeute mein
einziges lateütifdjeS Se^ifon.
3$ Ijatte eine gewaltige greube an bem „alten
©d)unfen" unb vergaß e§ bem SBergfibele nie, bafc er ju
meinen fünften beim ©peef Ijänbler Sftäpple interoenirt fjatte.
3etjt befaft td) brei lateinifdje SBüd&er, mir ein breifadjeS
Unterpfanb für glücflidjeS ©tubium. ©ar oft aber brauche
id> nod) ben Slbam förfd) in meinen alten $agen unb
erinnere mtd) faft bei jebem ©ebraud) an bie SBerfteigerung
ber ©interlaffenfdjaft be3 *ßater3 Seopolb.
S3eim Kaplan ging'S tägtid) beffer. SBalb mar td)
im ^ßfarr^aufe bafjeün, unb fo erfdjroden td) am erften
£ag bie Stiege f)tnaufgefd)ltd}en mar, ebenfo luftig ging'3
jefct bie treppen auf unb ab. Qu ber Sftegel gab mir ber
Kaplan feine Mtton am9iad)mittag, um^albjmeiU^r. Oft
tarn e§ nun cor, bajj idj märten mußte, bis er oom ©ffen
fjerauffam. $)enn beim alten ©tabtpfarrer fturj Ratten
bie SBifare, mag ©ffen unb Xrinfen anbelangt, ein matyreS
„©errenleben". $d) fenne fein gafttidjere§ $farrl)au8, al§
in Jenen Sagen ba§ ©aSladjer mar, tro^bem bie *ßfrünbe
eine ber armfeligften ift. SBemt ein ©aft am ^ifd^ fag,
mag oft oorfam, fo mürbe lange getafelt unb bie Ijerr*
liefen 3$alroetne beS $)efang, ber SBermerSbadjer, Klingel*
berger unb $)urbadjer, nadj £er&en3luft getarnten. (Sr mar
für ftdj fparfam, ber alte £err, meil er feine anbere 2Bal)l
f)atte, aber feine ©äfte unb $ifare Ijtelt er nobel, unb
ba§ jeugt oon feinem trefflichen (£f)arafter.
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So oft id> nun warten mußte, oertrieb id) mir im
grüf) jal)r unb im Sommer bie Seit meift auf bem „Grippel" *),
ber unmittelbar neben bem Kaplang Limmer feinen ©in*
gang tyatte unb eine gar liebliche 2lu3ftd)t bot 93or mir
Ijatte id) ben Unoalb unb ben 33&d)leroalb unb unter mir
ben 9ftül)lenbad) unb ben ftlofterbad), rote fte au3 ityrcn
3ß&albtt)älern fd)längelnb i^ren SBeg fugten in§ Stäbtdjen.
Stunbenlang fonnte td) nun, über meinen SBüdjem auf
bem ©eftm§ ber „SBeranba" liegenb, ^ineinträumen in
S3erg unb %fyal, blatten unb $äd)lein. Unb e3 mar
mir fo toof)ltg mie ber ©ibedtfe, bie in ber Sonne ftd)
babet auf trodenem ©eftein.
9lber ftol&, wie ein ftönig auf feines Sd)loff e3 Rinnen,
ftunb tdj au$ jeweils auf meinem Stolton; benn unten
50g bie ©rabengaffe l)in, unb auf iljr roanbelten £a3lad>er,
jung unb alt. 2öenn fte nun &u mir aufbauten, meinte
id), jebermann müffe mid) beneiben um mein Satein unb
mein Stubium. @an$ in ber ^äbe lag bie niebrige $ütte
meines greunbeS au3 ber ßtuberjett, be$ „Stubenmtrtt)§
2Uife", ben id) nur feiten nod) befugen fonnte in biefen
Monaten, oon benen Stubium, 93acfftube unb gelbarbett
bie metfte .Qeit oerjeljrten. 3$ felje tyn aber, mie wenn
erft oier 2Bod)en feitbem oergangen, nod) lebhaft oor mir,
roie er oft unter bem Grippel oorüberroanbelte, feiner
£ütte p, bie Tabakpfeife au3 bem Sttunb natym unb
mir gurtet : „3Ba3 ifd>, »ttetle? Qej Ijefd) fei Qit me
juam -äJtaife^Jange; jej muafdj tbreune*) mit'mSdjtubiere!"
Unb felbftberoufct ladjte id) bem SSogelfreunbe &u.
*) Grippel §eijjt im ämjtgtyal ein gebecfter ®ang, eine $51*
gerne ©aterie, ein Suftgänslein, baä au^crijalb beä £aufeä §tn*
läuft. *) Einbrennen = mit ©tfer an etwas ge§en.
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3$ f>abe im §erbfte 1882 bcn 2lltfe &um Ickten Sttale
mtebergefetyen. ©§ bunfeltc bereits, als idj in fein £au3*
lein trat, beffen 3ie$d jefct meitt £aupt berühren, fo flein
ift eS. Irinnen faß er an jenem g-enfter, burcl) baS ber
©roßmutter einfiiger ©arten noch &ereinfci)aute, wie etyebem.
2WeS mar nod) nrie uor breiig Sauren: ©tube, Dfen,
nnb Stühle; felbft bie alten, gleiten «ogelMftge
Ijingen nod^ an ben SÖBänben. ©arten unb ©artenljauS
ber ©roßmutter faljen auS nrie einft. 9lux 9lüfe unb icfy
Ratten uns ueränbert; er mar ein gebrochener ©reis ge*
rootben, unb id) ftunb groar baumlang nor tf)m, aber mübe
unb franf non ben 2flüf)en, Äämpfen unb Arbeiten beS
£ebenS. $udj feine unb meine ftreube, feine Menagerie,
mar batym. $>a, mo in meiner ßnaben&eit S)u$enbe non
SBögeln tyre Steber fangen, Ijerrfdjte EobtenftiHe. S)ie
$ä jtge maren alle leer, |te trauerten finfter über vergangene
fetten, unb tein SBögelem fang me^r bem greifen SBogel*
mann. 93erlaffen oon feinen eigenen ßinbem, bie in
Slmerifa fmb, oerlaffen von ben Knaben beS ©tdbtd&enS,
lebte er einfam in feiner §ütte mit feinem ebenfalls ftetn*
alt gemorbenen 2öeibe. 9lur eines mar iljm treu geblieben,
fein SabafSpf eifdjen, baS bem melfen Gilten bie langen
©tunben in feiner bunfeln ©tube oerfüßte.
3fticf) ergriff namenlofe SBel)mutl), unb td> mußte mit
Sfjränen fämpfen über bie unheimliche 9lrt, mit ber bie
33ergänglicf)feit mir f)ier x>or bie ©eele trat. Qd) brücf te
bem über meinen Söefud) hocherfreuten ©reis ein ©tücf
©clb in bie £anb unb ging tion bannen, tiefes 2Sef) im
^erjen. —
3$ f omme uid>t ebenfo oft in baS Pfarrhaus meiner
$eimaih als in biefe felbft, aber icf> fomme jebeSmal buref)
bie ©rabengaffe unb nerfäume eS uie, bem Bemutterten
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„Srippel" unb ber unfern Darunter gelegenen £>ütte
meines $reunbeS 9llife, ber längfi heimgegangen, banfbar
grüfsenbe SBlicfe ju fenben unb beS äufsern unb tnnerit
SonneufchetttS ju gebenfen, ben ich bei ihnen »erlebt. —
93on ber fonnigen SBarte meine« Grippels vertrieben
mich jeweils bie (Stritte beS Kaplans, ber, je länger eS
bei ber $afel gegangen, um fo fchnetter bie treppe herauf*
fprang. SRanchmal mar aber ber ©runb meine« Sparten*
müffenS ein ernfter. 2Benn ein SBerfehgang ju einem <5ter«
benben ber ftilialgemetnbe $offtetten ben SSitar in bie
entlegenen SBerge gerufen hatte, burfte ich t>iel länger auf
meiner Altane roeilen unb träumen. 3 war fagte bann bie
5Jcagbalena mir oft fdt)on beim heraufgehen, eS mürbe
heute mohl steine Shmbe fein", ba man nicht roüfjte,
mann ber $>err Kaplan h«mfäme. Allein ich wich
nicht abtreiben, f onbem ftieg roohlgemutb auf meine SBeranba,
roo mir bie Qdt beffer »erging im „dolce far Diente"
als, menn ich heimgegangen märe, bei ber Sirbett, bie bort
meiner geroartet hätte. @o harrte ich benn in füfcem
träumen unb ©thauen auf ben Sehrer, bis er bei 'S $ter<
främerS ÄeUer aus bem $halmeg herausbog unb über ben
„(Schaffteg* bem *ßfarrhaufe peilte.
SBenn eS fpät am Nachmittag mar, hatte er fdmn ge»
geffen in $offtetten. 3>aS ßeben ehteS ©aSlacher $tf atS
ift ein mühfameS, angeflehte ber oielen Serge unb %tyxltt,
bie er $u paftoriren hat. SÄber bafür hat er eine brave
©emeinbe, unb unter ben SBräoften ber Söraoen glän&t bie
SBirthin $t „ben brei Schneebällen*. teme lein roabr*
haft reltgiöfereS weibliches SBefen, als bie „£ek»e" in
„ben Schneebällen" eS ift, eine SBUtroe, fromm wie bie
Prophetin 2lnna. Unb ba ein richtiger <£h*if* auch gern
anbereSttenfchen erheitert, fo führt bie<3chneebaKenroirthtn
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bic qualüatu) befte 3Birt()f$aft auf bem gangen untern
©djroargroalb. ^ERan ißt bei iljr billiger uub bcffcr al§
in ben metfiten ©tabttyotelS. 3för nrirb kommet unb
hinter gebeät für arme ^anbroerfSburfdjen, roeldje narf)
mübfamer SBanberung über bie ßbd" l ) brunten im&mgip/
tf)al „bie brei ©djneebaaen" erreichen. $)er SÖSirt^in $)ienft*
boten laffen mef)r an ©petfe unb Sranf nad) bem ®ffen
fielen, als mondf)' anbere gu effen Ijaben. $)er Unterleder
be§ Dorfes fpeijt als tl)r Stoftgänger für 50 *ßf. pro Sag
rote ein £anbrid)ter. Unb roenn an ©odjgeitS* unb fjcft*
tagen ober fonft einmal ber £err Kaplan bei iljr binirt,
fo werben bie bunf ein ftoreUdjen geholt au§ bem Brunnen*
trog, unb in allen formen, gebämpft, gebacfen unb blau
abgefottcn, erfdjeint biefe S)elifateffe be8 ©diroar^roatbeS
aor bem fpeifenben 93tfartu§.
©o tarn „mein Kaplan" bisweilen aud) au§ „ben
(Schneebällen" tyim unb ftatt, wie id) in feiner Sage ge=
tljan Ijaben mürbe, mid) fortgufd&icfen unb nad) ber langen
SBcrgroanberung ©iefta gu matym, naljm er in feiner un*
erfd)öpflid)en ©ebulb meine Seition oor. Qa er lobte
mid) nod>: „§einridj, %u bift bod) brao, baß $u fo lange
ßeroartet fjaft!" @r l)atte leine Stynung baoon, baß ber
Grippel mein „Sorgenlos" mar, unb td) lieber auf ifnn
mid) fonnte, als htS gelb ging ober in bie SBacfftube. ©S
tarn mefyr benn einmal oor, baß oon meinen ©djulfame*
raben ber eine ober anbere unten vorbeiging, fei eS in
£anbn>erfS* ober JJelbgefdtfften, unb mir bie richtigen
Sößorte hinauf rief: „S)u r)cfct> eS guat bert boroe, $)u
fannfdj fulenge!" —
3d) tarne feinen Sttann, ber bemütlnger unb befäeibener
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fein fönnte, als mein etfter ©tubienlelper e£ mar. Sciu
gange§ SBefen beftanb au8 üftübe unb ©anftmutlj. Sflan
pflegt gu fagen, in ben klugen bet SWenfdfjen liege ifpc
©erg. $>a§ trifft gor oft gu, afletn e8 giebt 9ttenfd()en,
bei benen bie ©timme ba§ ©d)o be§ ©ergenS ift, unb gu
benen gehörte mein Kaplan, ©eine ©timme tönte fo meid)
unb roofjlroollenb, fo fHtte unb geräufdjloS, bafj jeber nacf)
ben erften 9Borten merfen fonnte, mef*' ©eiftcS #inb er
oor ftd& fjabe.
Leiber Ijabe idf) in biefer Sftidjtung nichts von iljm
gelernt unb beftye in gar oieler ©infid&t bie feinen $u*
genben gegenüberftefjenben geiler.
$)abei roar er ein SJtonn ooU luftigen ©emütfieg,
ber gerne unter bie Sttenfd&en ging unb in ©efeflfc^aft
üetfe^rte. 8$ erinnere midf) gar rooljl, baß id) if>n eines
*Hbenb§ im ©df>roanen fal), roo er, auf bem $angboben
ftefjenb, Reitern 2fagefid)t§ ben $angenben gufdjaute. 3$
felbft hatte midf) mit einigen ^ameraben unter bie ©aal*
tljüre be§ 2Btrtlj§I)aufe§ gefeilteren unb ttyat roie mein
Seljrer.
©ein Limmer, in meinem bie Iateinifc^en ©tunben
abgehalten mürben, lag in ber gleiten 3*ont roie mein
„Grippel" unb befaß fomit audf) bie lieblid&e ©d&au auf
SBerg unb %a$ SJleublement befhtnb au§ haften,
58ett / ©dfjreibttfdf) unb einem fleinen SBü^ergeftett. 3lm
©djreibtifd) faß ber ©dfjüler unb trug fein Sßenfum cor,
roäljrenb ber Selker im fleinen ®emadf) Iangfam auf unb
ab ging.
©cfyon nad) roenig Söod^en gab er mir ein 33riefd>en
an ben SBater mit, worin e3 hieß, ber ©einriß fei fleißig
unb brao, geige Siebe unb Anlagen gum &ateinifdE)«£ernen
unb fei beßfjalb gum fernem ©tubium empfehlenswert!).
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Qch hatte vom etften £age, ba ich jutn Kaplan ging, nie
mefjr ge^tDeifett.; aber bet SBatet wollte bie ©ewißbeit
fchwar& auf weiß haben, et)e et SB ertrauen faßte. Qetjt
30g et abermals eines SttorgenS ben blauen 9to& an unb
ging bem Pfarrhaus ju, unt mit bem Kaplan eins &u
werben Übet baS „£ebrgelb". tiefer wollte anfänglich
gar nichts für ben Unterricht unb oerwieS ben Sßater auf
©otteSlohn. £)a ber SBäcfermeifter aber auf einer SBe*
jahlung beftunb, f orber te ber eble Sßriefter einen ganjen
©rofehen für bie ©tunbe!
3$ weiß nicht, wie arm ber Kaplan bamalS war,
jebenfaUS gebe ich nicht fehl, wenn ich annehme, baß et
noch weniget fein eigen nannte als ich heute. Unb boch
hat et füt einen ©rofehen mir eine ßettton gegeben, mä>
tenb ich eS jefct nicht um $efnt 9Karf thäte, wenn ich eS
täglich unb fo lange thun müßte, als er eS gethan. Qu
metner (Sntfchulbigung aber fei gefagt, baß bieS nicht
©igemutfc wäre, fonbern lebiglich Antipathie gegen jebeS
„©tunbengeben". @S täme mit %u fiörenb in meinen
gewohnten täglichen ©ebanfen* unb ArbettSfreiS. ©in
wahteS ©lücf abet ift eS, baß nicht alle geiftlichen Herren
fo egotftifch, fo launifch unb eigenartig finb, wie ich
etnft als Pfarrer *on Hagnau am SBobenf ee, unb fo t ann
manches talentooHe SBauernbüblein noch feinen $)urft nach
äßiffenfchaft befriebigen bei feinem Kaplan ober Sßfarr*
oerwefer. $)ie betteffenben fetten aber, welche ba$u ftch
hergeben, haben meine ootte SBewunbetung.
9cut foUten biefe fetten bei bet Auswahl vielfach
etwas ootftchtiget fein. @ie flauen in bet Siegel meht
auf baS „SBtaofein" als auf baS Talent S)te btaoen
»üben finb abet feht feiten bie „talentooHen*. —
SRachbem ich einmal beim Kaplan feften JJuß gefaßt
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unb bic etften ©cfjroietigteiten bcr lateinifdjcn (Stammatif
übetnmnben f)atte, fd)icfte man mid) nocf) in bic ©jtra*
ftunbc &um Dbetlefpcet, bcm icfy fein fo ungünfttgeJ Uttf)eü
übet mid) balb gerne oergie^. befam von \i)\n
Untetttyt im ßlatriet auf 2Bunfd) ber ©tognwttet, unb
im beutfdjen ©tnl unb 2Cuffa§ nad> beS SSatetS 2BiCt<rit.
3[n beiben fingen machte id) fd)led)te ©efcfyäfte. $)tum
bab' id^S meinet £ebtag nie ju einem aud) nut balb*
roegS otbentlidjen ©tnl gebtadjt unb nod) roett weniger
jum älaoietfpielen, bag id), wie mit fefjen roetben, in
Btaftatt balb gan$ aufgab.
©ei bet ffamilic beS Se^tetä oerlebte id) aber in
jenen $agen noc§ manche vergnügte ©tunbe. %tx QuliuS
mar jroat fott / in ßaljt bei einem Kaufmann, abet id)
blieb nad) bet abenblid>en ©tunbe, wenn bet bebtet jum
SBiet gegangen, bei ber Softer 9JHna unb bei ber $rau
Severin unb plaubertc mit iljnen, aB märe id) p einem
SBeibe geboren geroefen.
Qn bet ^weiten 3a!)te$^älfte meinet ©tubien im
*ßfatrbau§ begann bei mit aud) ba3 ffranjöflfd^c. %it
©rammattt lieferte abet bieSmal nidjt bet bettet SBadjfepo
auS Dffenbutg, fonbetn bet $ob einet jungen £a§lad)erin,
bie eben au3 bcm ftloftet^nftitut Millingen Ijeimgefebrt
unb geftorben mar. ©ie fjiefj be8 „®reber§ £§ere3\
2lu8 iljrem SRadjlafj erfteigerte idj bie ©rammattf tjon ©irjel
unb ben „Telemaque" par FSnelon, jroei weitere $leinobe
meiner anfänglichen 3Biffenfd|aft. Unb ber £efjrer? 3ttein
erfter ^ßräjeptor in ber gattifdjen Sprache mar fein SJtenfd)
ineljr unb feiner weniger als ein alter, broblofer ©djau*
fpieler, ben junger unb SRotl) na$ $a§lad) oerfdjlagen
Ratten, wo et im ©ngel £ogi§ naljm unb fitf) als Sehtet
bet franjöflfdjen ©pradje annoncirte. ©oroeit id) muf>
^anaiatob, etubienjeü. 3
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— 34 —
erinnere, melbeten fidf) aber oon Knaben nur tdf) unb mein
Detter Äarl gran j, ber neben ben blutigen ©tubten in beS
93aterS9Jlet}ig nod) bie ©pradje ber dl o t^ofen erlernen wollte.
3$ fann mir ben armen , alten Sftann ^eute nod)
wofyl oorfietten. 9lbrafjam a ©ancta (£lara tyat gemeint,
QubaS, ber ©rsfc^elm, f)abe auSgefel)en wie eine „abge*
brannte SiegeUjütte". Söenn id) ein ähnliches $tlb ge*
brauchen wollte, fo fönnte id) fagen, ber 9Jlcnfc^ fal) auS
wie eine im ^euer aufgegangene 2Bad)Sbleid)e. Unb fo
oft td) im ©eifte in jenes oon allen ©türmen beS Söelt«
lebcnS unb ber Seibenfdjaften burd)furd)te, blaffe, faltige
©eftdjt meines „granaofenlefjrerS", rote wir i&n nannten,
jurücffdjaue, fo fommt mir ber ©ebanfe, ein mittellofer,
oerbummelter, alter ©d)aufpieler muffe einer ber unglücf*
Haften 5ftenfd)en fein, bie eS auf (Srben geben tönne.
Sßöir Ratten eS faum fo weit gebracht, bafj mir auf
Imnbert franjofifd) sohlen tonnten, als ber Selker eines
frönen $age3 oerfd&wunben mar. $)ie ©jiftengloftgfeit
hatte ilm oon bannen getrieben, otyne baß er im ©taube
gewefen märe, ben (Sngelwirtl) $u befriebigen, ber unS
in ber ©auSflur bie ®rflärung gab, ber ftranjoS fei fort,
unb er motte oiel lieber feine banertfd)en ©aul>finbler be*
Verbergen als foldje ^ranjofenlehrer*. Detter ftarl liefj
jefct feine ©tubien fallen, unb mid) unterrichtete fortan
ber Kaplan aud) im ^rangöftfc^en, inbem er jroei ©tunben
Satein in ber 2Bocf)e abjog.
■üJlein ftreunb ^ßeter mürbe, wie man im ^injigt^al
3U fagen pflegt, ganj jipfelftnnig, als id) in ber 33acf ftube
nun auch meine frangöfifchen SBrocfen loSlicfc. ©ein SHcfpeft
oor meiner ©elehrfamfeit wwc^S inS SÄicfen^aftc. ©ineS
$ageS befugte ifpt feine ©djwefter, eine fleine, ebenfalls
fc^ielenbe Bäuerin mit einer 9tttene, frieblidj wie bie
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^üitbnadjt auf bet einfamen $)od)bad)et #ölje, unb t$
J)öte iljn jcfet nod), tote er mid) ifjt oorftcllte als „bcS
s JMf(erS Rainer*, ber fdjon fo gut lateinifd) unb frau*
äöfifd) tonne als bet Pfarrer oon 6teinad). 3$ mar ftolj,
als ob id) oon einet Königin belobigt toürbe.
$n meinem latcinifdjen UebungSbudj ftunb audj ein
furzet 2lbri& bet ältern römifdjen ©efdudjte, ben id) im
SBintet 1851 beim Kaplan überfefcte. Untet ftetgcnbem
Qntereffe sogen bic fagcufjaften Anfänge beS römtfdjen
SßolfeS in meine ©eele ein. Unb id) unterlief* eS md)t, and)
einmal meinem Sßadjbat, bem ©trumpfftriefer, ju beridjten
oon SttomuluS unb SftemuS. Slbet toie ftaunte id) befd)ämt,
als baS fleine Sttännlein baS alles fd)on toujjte unb mir
nod) toeit mef)t etilen tonnte, als id) bis je£t gelernt
Ijatte! kleinlaut ging id) oon bannen, beftegt oon SRottedS
2Beltgefd)id)te, meiere bet Sßalfet fo gut loS ^atte toie
baS ©triefen wollener ©trumpfe unb Unterhofen. —
$)et Kaplan mar ein ootjüglidjet Sehtet , unb baS
Sateinifdje flog bei U)tn fo leidjt toie SDßaffcr. 3lber et
toar ja ein 2öürttembergcr, unb bei benen ift, bant ifjren
oortreffüdjen 3Rittelfd)ulen, bet einfad)fte S)orfoifar in
flafftfdjen ©prägen beffet baljeim als im SBabifdjen ein
mittelmäßiger Sßrofeffor. ©o machte id^ benn bei meinem
fdpäbifdjen Mgäuet fpradjltdj rafd&e ffortfe^rittc. ©djon
im SJrüfjiafjr 1852 befam id) ben Kornelius 9tepoS. SJtan
fagt fonft gerne, biefet fei füt Knaben langmeilig; allein
id) empfanb baoon nidjtS. 3$ oerfdjlang begierig bie
SebenSbefdjreibungen bet großen JJelbfjerren unb ©taatS*
mannet beS grtedjiföen SSolfeS. ©ie ftellten ftd) mit jtoat
nid)t bat mit bem Raubet bet föittergefdnd)ten; abet bet
Umftanb / bafc id) tfjre Saaten aus einet ftemben ©prad)e
tennen lernte, ^atte füt mid) einen eigentümlichen SÄeig,
3*
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unb eS machte mir jeweils grojje ftreube, wenn idt), an
gafifreien Nachmittagen in ber Bitterlichen SBirt^Sftubc
fitjenb, wieber ein Kapitel aus bem Satein entziffert hatte.
Qm 3»uli 1852 trat ein für mid) ^od^toic^tigeS <§r*
etgnijj unb bamit eine achttägige *ßaufe im ÄaplanS*
Unterricht ein. S)ie ©rofjmutter unternahm mit mir eine
Wallfahrt nach (Sinpebeln. ©in £aSlacher, feit Dielen
fahren in SftichterSmgl am .ßürtcherfee, unweit beS ge*
nannten unb weit Betannten SBaHfahrtSorteS, als ©chreiner
anfäffig, ©chulfamerab meiner 9tyne, war in feine ©eimatb
gekommen mit feiner ©^e^ölfte, einer greifen ©chwetsertn.
2luf feiner Metreife begleiteten wir baS ^Saar, bie ©rofc
mutterunbidt). Q^re^römmigfeit jog fte nach bem berühmten
©nabenort, unb mich wollte fte bort fammt meinem ©tubium
ber SUluttergotteS weisen. 9Jlir war eS, offen gefagt, ganz
gleichgiltig, waS bie gute grau mit mir in ©infkbeln an*
fangen wollte, mein ©auptoergnügen war bie weite 9teife.
3n einer milben Sommernacht um bie zwölfte ©tunbe
traten wir mer Sfteifegefährten in bie ©tube bei „^eter*
fepp", eine§ Fuhrmannes, ber am „©raben" wohnte, in
ber Sftäfye meines s 43aterhaufeS, unb mit feinem Frucht* unb
S5otenwagen regelmäßig am Jfreitag S^ad^t feine £our narf)
£ahr machte, fieute non £aSle, bie nicht gerne ju Fu&
nach £al)r gingen unb gerne billig reifen wollten, gingen
in ber Sflegel mit bem ^ßeterfepp. SBei bem foftete eS
höchftenS einen ©poppen bei ber 9lnfunft, unb bafür
burftc man unter baS fchüfcenbe 3elttuch feines 3öa*genS,
unter bie flache", liegen unb tonnte auf leeren ftrudjt*
fäcfen fdjlafen bis in bie ©tabt, in welker ber Diel
gcfchnupfte „Sotjbect 4 ' fabriftirt wirb.
Um 6 Uhr waren wir am ^Bahnhof m ^inöüngen,
unb fchon Dor Wittag pilgerte bie Keine Karawane in
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bet fdjönen 6tabt SBafel ein. 3>et ©djteinetmeiftet ge*
leitete und in eine jiemlid) atmfelige 3Sittf)fd)aft, in enget
©äffe gelegen, wo roit aber jum ©lücf einen ftutfdjet
trafen, bet mit feinem änrnfpänner leer nad) SBaben im
Slatgau futyt unb um billiges ©elb un8 baljm mitnahm.
Uebet Sieftal unb ©tugg, butd) IjettlidfjeS ßanb, ging*«
bct SBäbetftabt ju. 9lug' unb £et$ fd)roelgten bei mit,
roäfjtenb bic btei alten ^ßetfonen meift f erliefen; benn e3
roat ein geiget ©ommettag unb bie gtaljtt eine gat
lange. —
(Spät in bet SRadjt langten mit in SSaben an. $>ct
guljtmann fetftc uns in „bet SBaage" ober „im 3lnfer",
id) roeifj ben tarnen ni$t mefjt genau, ab. 9lHe8 roat
tum gfremben Übetfütft, unb mit niet mußten in ein
.gimmet, auS bem man bie fdjon gu SBett gegangenen
SJtägbe netttieben Ijatte.
2lm anbetn Sttotgen bentifcte id> not Abgang beS
3uge§ na$ QüTtä) bie #ett, um in ben ©ttafjen von
Saben gu luftroanbeln. ©8 lam mit aUeS fo fremb unb
metfroütbtg not, bat oie 2lbteife balb Detgeffen fjätte
unb bet ©d)teinetmeiftet midf) fudjen mufjte unb enblicfy
ttaf, roie id) gan& in $ettadjtung netfunfen an bet Slate
ftunb. (£8 mufj bamalS fd)on bet fpätete SReifebefdjteibet
in mit gefteeft fein! SDic jroei Sttattonen roaten beteits am
58af)nl)of, als id) mit bem Reiftet Seim baljetgaloppitte
unb oon bet ©tofjmuttet gehörig gekauft routbe, roeil id)
ein gebanfenlofet „SBunbetfo" fei unb feinen „2BaUfal)tt3*
geift" Ijätte. $)a§ ©insige, roa§ bie ©tofjmuttet im Sluge
Ijatte, roat eben ©inftebeln, unb ba§<Sd)teinet'(Sl)epaatbad)tc
nut an§ ^eimfommen. $)tum fptengte bet Srijteinetmeiftet
un§ in Qwcxd) audj möglidjfi fd^neU butd) Sttafien nnb
©äffen bet Stampf fdjiffftation &u, unb id) tonnte, mit unfetm
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IHcifefocf beloben unb mit ben jwet ©reifinnen hinten*
brein hintenb, nur im $lug bie fdjöne ©tabt anftaunen.
äBenn einem Sterblichen ftch einmal ber Gimmel
öffnet, fann er unmöglich mehr ftaunen al§ ich ^ilgrim,
ba ba§ erfte $)ampffchiff mich über ben 3üricl)erfee trug.
$)er ©chreinermeifter aber mujjte fernere 9Jott) leiben, bt§
er alle meine 3*&8 cn beantwortet ^atte. 3Ber mir bamalS
gefaßt hätte, baß id) in meinem Seben aud) nod) jähre*
lang an einem folgen frönen @ee wohnen bürfte, ben
würbe ich als einen ©ngel ©otteg nerehrt haben.
3ft 9tichter§wul nahm un§ ber £a§lad)er in fein ©au§
auf, wo idj Äaffee befam nach ©efjrocijerart, mit SButter
unb ©orup; unb biefer noroel)ine Kaffee ift bie einjige,
lebhafte Erinnerung, bie mir non meinem Aufenthalt im
$aufe beS ©chreinerS blieb.
©egen 9lbenb jog bie ©ro&mutter mit mir weiter
gen ©inftebeln, aber gu gujj. 5)ie fromme $rau fyatU
ftch f eitler betlagt, bajj man immer gefahren fei, eine foldjc
SBaUfahrt habe fein großes SSerbienft ©o mujste ich benn
ben mühfamen, breiftünbigen 2Beg über bie „(Schinbellegt*
neben ber 9l^nc herlaufen unb, ma§ mir noch ^rter nor*
tarn, beten, ftaum t>or bem £)orfe brausen, hatte fte ihren
9tof entrang au§ ber $afdje genommen unb gum ©ebet
fommanbirt. Qd) h^^e fo gerne über 93erg unb 'Hfydl mit
ber ©rojhnutter gebrochen unb £anb unb Seute in aller
©emütSruhe betrachtet, unb jefct mugte ich °cn $Rofenfran&
beten mit feinem für ftinber unb ftnaben fo langmeiligen
Einerlei. Unb fo oft ich <*u§ ber Sftolle fiel unb ber
©rofjmutter bieS ober jenes am 2Beg hin jeigen wollte,
ba würbe ich abgetakelt unb jur 2fabad)t ^unici*
getrieben.
Offen gefagt, h<*t mir bamalg ber 9fa>fenfran$, ben
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wir noch oft gebetet bis mir heimfamen, bie gange SHetfe*
freube getrübt. 3$ f)abe bann be|f)atb biefcS herrliche
©ebet mele ^afjre nicht mehr gebetet unb fo grünblich
oerlcrnt, bafj ich eS als 9InfangS*$heologe gar nicht mehr
beten fonnte. ©rfi bie 5Rotl) hat mich im fpätern Hilter
ben 9tofenfrang roieber beten unb Heben gelehrt. Unb
beute fann ich aus eben fo offenem ®ergen fagen: 935er
ben SHofenfrang nicht liebt, ber fennt ihn nicht.
<£S bunlelte fchon ftarf, als mir in ©inftebeln ein*
rügten unb in ben „bret $ergen" einfetten , aber ber
oielen piger wegen, bie alle 2BirthSc)äufer füllten, unS mit
einer Cammer ttnb mit einem SBett begnügen mufjten,
mährenb in einem gmeiten Sager ein ©Ifäffer SBauer unb
feine #tau *ßlatj genommen Ratten. 3$ weigerte mich
jtonbhaft, als faft fünfzehnjähriger baumlanger Qunge, gu
ber ©rofcmutter gu fchlafen unb gab nicht nach, bis biefe
ben fchon fchlafenben ©Ifäffer meefte unb ihn beftimmte,
mich in fein Sager aufnehmen unb bie grauen gu*
fammen gu thun.
$ch fchlief roie ein ßöntg neben bem Ueberrheiner,
aber fchon um trier Uhr Borgens meefte mich meine SBe*
gleiterin, bie bereits marfchfertig mar für bie ©naben*
lapeUe. Züchtern unb fchlaftrunfen ftieg ich gum Tempel
hinan. SBoH ber heiligften Slnbadjt unb Verehrung warf
ftch bie ©rofjmutter r-or baS SJtabonnenbtlb, an bem ich
teinen grojjen Unterfchieb fanb, menn ich eS mit jenem in
ber heimatlichen fiorettofapeHe verglich. ÜRur baS reichere
©eroanb unb bie gahllofen SBottogefchenfe in ber bunfeln
Capelle reigten meine Slufmerffamfett. %\t ©rojsmutter
hörte unb fah nichts t>or Qnbrunft, unb fo bemerfte fte
eS nicht, als ich/ ba gubem immer mehr Seute vor bem
©nabenort ftch fammelten, mich erhob unb mir baS grofje,
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herrlicfje ©otte§f)<m§ oon Altar au Altar mufterte. Stonn
betrachtete ich aber audj bie Sßilger. @o Diele mit in
SHeibung unb 9Jlienen frembarttge 3ttenfd)en tyatte id) im
Seben nodh nie gefehen, unb jie nahmen mic^ befchalb ganj
in Anfprudf).
$a|s bie ©eele eines fötaben, in oXV ba§ äußere
Geljen unb betrachten oerfunfen, nid)t jum beten aufgelegt
ift, begriff bie gute ©rofjmutter nidjt. Sie fahnbete auf
mich, nad)bem flc tfjr langet ©ebet beenbigt, fd^Ieppte
beu leidjtfmnigen (Smfel in bie SBeidjtfapelle, roo er, wie
fte, beizten unb bann bie heilige Kommunion empfangen
mufjte. tt)at e§, aber flc modjte mir angefehen haben,
bag bie rechte (Stimmung fehlte. ®ie fpradj mir auf
bem 2Beg gum 2Birth3h<w§ unb grühftücf gar fcharf ju
unb meinte, fie mürbe mid) nie mehr mitnehmen auf eine
SBallfahrt, man habe md)t§ als Qotn unb Aerger mit mir,
roetl icf) nicf)t beten motte. 3$ folle oon nun an in ©in*
ficbeln laufen, mo td) wolle, fie merbe in ihrer Anbaut
nur geftört burdh mein benehmen,
Qetjt mar mir aufgeholfen, unb bie jroei $age unfereS
iöcrroetlenS am ©nabenorte boten mir jetjt außerhalb ber
$ird)e Diele ©tunben großen ©enuffeS. 3$ fölenberte
in ben ©tragen umher, befah bie ärämerftfinbe unb Au§*
lagefenfter, fajj ftunbenlang auf ben fteiuemen treppen
oor bem @otte§^au§ unb lie| bie Pilger an mir oorbei
paffiren ober manberte cor ben Rieden hwauS, roo mir
namentlich ba§ beinhau§ auf bem ©otteSacfer mit ben
jahllofen Sobtenfchäbeln mächtig imponirte. Um bie
2ftittag§* unb Abenbjeit fuchte td) bie ©rojjmutter auf in
ber ftirdje, au§ ber fle ben ganjen $ag nicht h^auSfam
auger &um <£ffen.
ÜRod) ift mir oon jenem erften Aufenthalt in (Sin*
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pcbctn roohl erinnerli*, bafj ber 9ca*troä*ter fo f*ön
feine ©tunben gefunden ^at
•3 U 5 U 6 öittö'S am brttten Sage, abermals unter
Stofentranagebet, über bie ©*inbellegi jurücf na* 9ti*ter§*
rogl £ier warb bem ©*remermeifier &bteu gefaßt unb
in $üri* ün ,©*roert" übernachtet 3tt§ roh am anbem
SJlorgen bur* bie ©tragen ber ©tabt ^inau^ogen gen
Schaff Raufen, mürben mir al§ Pilger erfannt unb von
böfen SBuben oerfoottet. Empört rooUte t* mt* mit
meinem bünnen 2tteerrohrfiöcf*en auf bie ©*Ungel ftür&en,
allein bie ©rofjmutter mehrte bringenb ab.
<S£ ging un§ no* öfters fo in ben Dörfern , bur*
bie mir an biefem unb am folgenben $age betenb pilgerten,
unb ^eute no* f ollen bie SBattf ahrer dh^i* infultirt
roerben. SBenn eS Quben mären, bie na* ©inftebetn gum
©rabe irgenb eines Patriarchen jögen, mürbe man fte
natürlich mit ber größten Soleranj behanbeln!
3u flöten im „Seuen" fanben roir am erfien SIbenb
oon Zürich roeg unfer Nachtquartier unb trafen bort ben
„93af*e", einen ff uhrmann au§ £a§la*, ber in jener eifen-
baljuarmen Qtxt jebe 2Bo*e mit ©al^, ba§ er in S)ürr*
heim bei S)onauef*ingen geholt, na* $üri* fuhr.
Saufen unb SBeten mar au* bie £age§orbnung für
ben fommenben Sütorgen, attein bie ©onne brannte fo
heifc, bafj i* um 9ttittag — mir hatten eben bei ©glifau
ben dttyin pafftrt — erklärte, &u $u§ ni** wehr roeiter
&u fönnen. Qe^t oerfpra* mir bie 9lf)ne, im nä*ften
SDotfe, Sftafe, ein fttthrraerf ju nehmen; bie§ gcf*ah, unb
unter ihrem beftänbigen ^rebigen über meinen f*Ie*ten
SBaflfahrtSgeift famen mir na* ©*affhaufen.
$ier aber rä*te mi* ein 2öirtt) unb -äJletjger, bei
bem mir eintehrten unb SJlittag ma*teu, am „2Bafl*
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faljrtSgeift" meiner ^Begleiterin. S)er SBirtl), welker ge=
fragt Ijatte, wofyer bie 9teife fäme, fteßte un§ einige ©tücfe
$letfd) oor, bie jiemltd) fd)ledjt fid) präfentirten, aber md)t
fdjledjt waren.
3tteine ©roßmutter, eine beffere ^Bürgerin, war im*
gehalten über bie „Wl'ödtl" unb fagte ba3 bem SBtrtl).
%et aber meinte, SBaUfafjrtSleute follten nid)t fo wctfjlertfd)
fein, benn sunt SBaflfaljren gehöre nid)t nnr ©ebet, fonbern
audj Slbtöbtung.
fetymteg au§ SHefpeft oor ber ©rofjmutter; aber
innerlidj freute e§ mid), bajj aud) il)r SQBaHfaljrtSgeift feinen
Gabler gefunben.
3n ©cfyafffjaufen natym un§ 9lbenb§ um 8 Ufjr ber (Sil*
wagen auf unb, oon einer *ßoftfiatton auf bie anbere burd)*
fatpenb, langten mir am nädjftenSKadjmittag in ber £eimat!)
an. 2tber f)ter ging ber Sana erft redijt log. $)ie ©rofjmutter
fyatte nichts (SiligereS ju tyun, als jtd) bei SBater unb 2ftutter
$u betlagen über meine trreltgöfe Sluffüljrung: 3$ ^ tie
nur fjerunroagiren, aber ntd)t beten wollen ; au$ mir werbe
„f einer Sebtag" fein ©eifilidjer, weil id) oiel lieber auf
ber ©trafje al§ in ber fünften &ird)e fei u. f. w.
3Jlein braoer Söater mit feinem praftifdjen SBerftanb
ergriff meine Partei unb fertigte bie übereifrige grau ab
mit ben mir f>eute nod) präfenten SBorten: „©o amma
33ua muaß mer nit a'tnel juamuatfye im SBette!" 3>ic
erften Zweifel, ob je ein Sßriefter au§ mir werben würbe,
fonnte er jebodj ber ©rofjmutter md)t meljr nehmen. $)er
Delinquent aber ging, nod> ganj erfüllt t>on alT bem
«Bielen, baS er gefefjen, wieber ju feinem Kaplan unb
fe^te eifrig feine ©tubien fort
©o fd)wanbber©ommer, unb e§ warb$erbft, ber mid)
oon ber $eimatl) weg auf bie ©taatSfdjule bringen follte.
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gatte aud) bic 3«t ber „(Stunben" beim Kaplan bem
©eniu§ ber feltgen $inbf)eit fcfyon bebeutenb bic f^lügct
gefcljnitten unb midj belehrt, bajj id> (ein forgenlofeS fttnb
meljr fet, fo rainften mir bod) immer nod) bie füge £et*
matlj unb ba§ liebe SBaterfyauS. 9Iu§ biefem Greife oer<
bannt, lernte td), nriber Erwarten, erft red)t bie 9?otf)
be§ jungen 9Jlenfd)enleben§ fennen unb füllen , bajj id)
au§ bem ^ßarabiefe ber Qugenbjeit oerftojjen fei.
SBenn td) aber fjeute gurüefbenfe an bie $age unb
9Jtonate beim Kaplan, fo erfdjeinen fie mir immer nod)
nerflärt oom ©Ianje ber fdjeibenben (sonne be§ fttnber*
glücfe§. £)te reinften ftreubeu meiner ©tubienjeit fallen
in jene Sage, ba td) oom „Grippel* be§ SßfarrfjaufeS
Ijerabfdjaute ober in bem ftttten ßimmerdjen be§ Kaplans
meine latetnifdjen unb franjöftfc^en (öätje fjerfagte, ba ein
milber, fanfter, eroig lädjelnber *ßriefter mein Seljrer unb
bie Sftarie unb bie SJtagbalena meine erften aufrichtigen
JJreunbinnen waren.
9Hit ber ©tunbe, ba id) ba§ fjeimatfjltdje Sßfarrl)au§
al§ $aplan§fd)üler für immer oerlteft, fjabe id), n>a§ ftete
SRufje unb $eiterfeit betrifft, bie (SJlangpertobe meiner
<5tubien$eit begraben. $er alte Grippel am $farrf)aufe
mar bie lefcte ©ölje, oon ber id), nod) mit einem gufj in
ber ßinberjeit ftefjenb, ungetrübten $erjen3 aurücf Miefen
tonnte in bie SSergangenfjeit. —
$)er Kaplan fdn'eb balb nadj mir au§ bem 6täbtd)en
unb roirfte al§ ^ßfarroerroefer balb ba balb bort im fianbe,
bi§ er al§ Pfarrer im ßinjgau auf einer *ßfrünbe, bie
ebenfo befcfyctben mar al§ er felbft, jahrelang fid) nieberließ.
$ier befugte td) ilm einmal im Qafyre 1878, nadjbem mir
un§ feit 17 Qaljren nidjt mefyr gefeljen. mar ein
regnender ^rfcjftadpnittag, al§ iti) mit ber eleganten
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— 44 —
tequipage eines benachbarten MeichStagSabgeorbneten unb
©rojjinbuftrteHen, beS £erm ©eilig uon *PfuUenborf, oor
bem einfamen, armfeligen ^ßfarrhaufe in Sftaft oorfuhr unb
nach bem Pfarrer mich erftmbigte. Qu einem trüben ©e*
mac^ traf ich thu, wie er eben, aufgefchrecft burd) baS
Vorfahren einer (Shatfe, feinen gauSroct mit ber (Sutane
wedjfeln wollte. 3$ gab mich nicht &u erfennen; er fchaute
einige Qtxt prüfenb in beS g rem ^^ n Ö g Slntlitj, unb bann
fprach er baS eine 2Bort: Heinrich". ®r hotte feinen
Schüler erfannt unb eine lebhafte greube, ihn, ber feitbem
fo manchen ©türm erlebt, einmal &u fehen. SBclche 33er»
änberungen waren aber an unS beiben vorgegangen ! ? $)er
ßnabe oom „Grippel" mar jum grauwerbenben tarnte
herangeroachfen, unb ber rothbaefige fehwäbtfehe SSifar bem
©reifenalter jugefchritten. Seine fangen waren gebleicht,
fein ootteS ©eftdjt eingefallen unb feine fchwarjen Socfen
faft weijj geworben.
3lber feelifch hatte er ftch nicht ge&nbert S)er gleiche
milbe Sölicf, bie fanfte Stimme, bie anfpruchSlofe 53c*
fehetbenheit fprachen aus bem alten Pfarrer, wie aus bem
jungen Kaplan. Unb ber Schüler? $)er blaffe ftnabe,
ber einft ftiUoergnügt auf bem „Grippel" beS *ßfarrhaufeS
geträumt hatte unb jeweils bemütlng in beS ßehrerS Qim*
mer getreten war, ging heute fchweren Schrittes, unruhig,
lebhaft rebenb unb geftitulirenb im ^Pfarrhaufe feines
fiehrerS auf unb ab. Unb ber ftitte 9Jtonn ftaunte unb
fchaute, ohne ein SBort gu fprechen, an bem SRuhelofen
hinauf unb bachte wohl: „2lber ber hat ftch oeränbert!* —
Unb warum fo oeränbert? 2Bcil er feine jener ©igen*
fcfjaften befi^t, bie beS SehrerS $ugenben waren unb finb.
SBärc ich fo fanft unb bemüthig burch bie SBelt unb bie
SNenfchen gewanbelt wie mein erfter Stubtenlehrer, fo
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— 45 -
Ijätte id) uieleä nid)t erfaßten unb erleben muffen. Mein
wenn e§ nitf)t „im $ol$ liegte fo gibt e§ feine pfeifen 4 '.
Sei mir lag eben ba§ ©egentfjeil von bem im £ol$,
mag meinem £eljrer bic Sftatur gegeben, unb ba id) leiber
nidjt aScetifd) unb felbftoerläugnenb genug bin, um au§
meinem #ol} beffere pfeifen &u fdjneiben, fo pfeife id)
eben aüermeift au§ bem fdjledjten 9iaturI)ol$.
Qd) nal)m ben lieben $errn in meiner Equipage mit
bi§ Älofterroalb, im Sanbe ©igmaringen, roo wir nod)
einige fd^roäbif^preufeif^e ©eiftlidje trafen unb „ein gutes
93icr" trauten. $>en ganjen 9lbenb aber tonnte id) midj
nidjt fatt feljen an meinem „Staplan" unb nidjt genug
jurüetbenfen an ba£ erfte, felige ^afjr metner ©tubiengeit.
Qu Anfang ber adliger Qa^re Ijat er bie umotrtf)*
fame ©odjebene, auf roeld)er er gegen 20 ^afjre oerlebt,
oerlaffen unb im fdjönen 93rei§gau eine rooljloerbicnte
sßfrünbe belogen, oon ber ifjn Hilter unb $ranff)ett nad)
get)n Sauren abriefen, (Sr gog als *ßenftonär l)inab in§
SRendjtfyal, nad) bem €>täbtd)en Dbertircf), in beffen 5Wär)c
et einft ^farroerroefer geroefen mar. ©r ftarb rjier 1894,
unb id) bebauerte fer)r, bajj eigene« ftrantfein mid) oer*
Ijtnberte, iljn au ©rab $u geleiten. Sftöge tfjm bie (Srbe
lcid)t fein, id) aber roerbe tr)n nie oergeffen.
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f ex %flrtnttfr in $UJtott
©o grofje $mberniffe, mie bcm ^Beginn meinet ©tu*
bien, fteUten ftd) ber ftortfefcnng bcrfcttcti entgegen. SJton
roujjte lange nid)t, wot)in id) auf§ ©gmnafmm, bamal§
Srjceum genannt fommen foUtc. (Srft frug bie Butter in
greiburg Bei ifcer <&dt)iuefter an, roo td> ja früher fd)on
einige 3eit „ftubitt" hatte 1 ). $a I)ie& e§, man neljme
bort ntd)t gerne auswärtige ©d)üler auf, weil ba§ Sgcemu
überfüllt fei; aud) gäbe e§ (einen *ßla$ mefjr am Siföe
be3 ftrciburger DnteB für und), e3 feien au oiel „Saben*
bienet* im $aufe.
gefet nmnbte ic| mtd) an meinen in bem benachbarten
Dffenburg ftubirenben greunb Soxen* Wlauä. ®er machte
Sunäd)ft ein Quartier auSfinbig beim 6attlermeifter £ugeU
manu, worauf id) eine§ £age§ bie 3Jlutter mit be§ ©tabt*
mülterS „Sudrfen" f)inunterfutfd)irte. ©ie mürbe aber
mit ben beuten im *ßrei£ nidjt einig, fanb (eine anbere
2Bof)nung, unb amSlbenb fuhren mir trübfelig unb refultat*
lo§ roieber ba§ Styal hinauf.
$te ^iotl) mar grofj. Sftod) am Slbenb roarb Familien»
rat!) gehalten, in meinem bie ©rofjmutter ba§ 2Bort führte
unb meinte, e§ fei eben fein Segen mit bem „$8ua", ber
feinen „guten ©eift" ^ e unb nic W bctcn roollc -
*) ©tefje „2lu§ meinet 3ugenbseit".
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— 47 —
S)a jünbete mir, ba id) roeinenb neben ber Butter
ftunb, ber 93ater ba3 le&te £offnung§lid)tleht an.
Q^m fiel ein £a3ladjer in Sftaftatt ein, mit bem er
in ben $n>anjiger Qfabren bafelbft beim 9ttilitär geroefen,
ber aber bort geblieben mar unb ftd) als ©djutymacfjer
niebergelaffen t^atte. Bei biefem, feinem alten greunb unb
&rieg§fameraben, mürbe i$ ftct)cr Slufnafjme finben.
Qn aller JJrüfje am anbern 2Jtorgen fcf)rieb bie 9ttutter
bem ©d)ul)macf)er einen Brief. Unb nun Inng mein ©djtcf*
fal von ber (Smtfdjeibung etneS ©d)ul)mad£)er3 ab. Stenn,
fo marb am Slbenb befdjtoffen, raenn'S in SKaftatt aud)
tüd)t3 tft, bann t^ut man ben „ftärle" eben bo$ in bie
Bacfftube. 3Jtan begreift, mit roddjer ©pannung idO ber
Söfung Ijarrte. 2flein Kaplan tröftete midf) mit bem 93er*
fprecfyen, im ©d&roabenlanb mid) unterjubringen, wenn id)
im Babifdfjen md)t anfomme, unb ^eter, mein Batfftuben*
freunb, ermunterte jum 2Bibetftanb gegen bie s Jiütft'el)r in
bie Bacfftube. „£>ain T r," fpiad) er, „wenn i fd)o fo oiel
latinifd) fönnt' roie £)u, tl)ät i umg &äbe fei Becf meljr
märe (werben)."
Briefträger in £a3le mar bamal§ ber ^ßoliseibiener
unb ©djuljmadjer ©dfjmieber, ber mit bem ©äbel um-
gürtet oon &au3 &u $au§ bie Neuigkeiten trug.
SJlit gittern unb Beben faf) icf) ben birten ©djufier
bie nädfjften £age bie „oorbere ©äffe* f>erabfd)reitcn mit
feiner großen Brief tafdfje, unb öngftlid) frug idf) ifyn je*
toetlS, ob er feinen Brief oon Sftaftatt „für un3" f)abe.
©nblid^ am fünften ober fechten Sage fam bie Antwort,
©in SufaU gab eine günftige ©ntfdjeibung.
S)e§ 6d)ulnna(f)er§ ©olnt 9lbolf, 1893 als Pfarrer
geftorben, wollte, um ber „fturannei be§ S)ireftor§" p ent=
gel)en, ba3 lefcte ©nmnafialjaljr in Äonftanj mad&en. ©o
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— 48 —
bcfam fein SBater $lafc für mid) unb (Mb für tyn oon
mir. ^ür t>ter$el)n ©ulben monatlich bot er fiel) an, mid)
in „ftoft unb SogiS uebft golg, £id)t unb aBafch'" ju
nehmen.
<$r hatte fchon mit bem $>irector be§ SnceumS gc*
fprodjen unb lub uns auf ben legten ©eptember nach
IRaftatt ein, ba am 1. Dftober bie 9lufnahm§prüfung
ftattfmben foQte.
S)er ftamiltenrath genehmigte einstimmig be$ ®chut>
macher§ Antrag, unb ich mar in jener ©tunbe ftcherltch
ba§ glücf üd^fte 3ttenfchenfinb in #a§le. 2Ba3 mein ©lücf
noch er^ö^te, mar bie neue 2lu§ftafftrung, bie ich befam.
®er „©dniiberfepp* fam in§ £>au§ unb ^olger*
*ßeter3 Sttagbalene* unb richteten mir Kleiber unb £emben
ju, unb an einen alten nufcbaumenen ftoffer meinet
©rojfraterg, be3 „SBälber^aoeri", mußte ber ©djloffer
©afjl ein neue§ Schloß machen, bamit er meine §abe
aufnehmen unb bewahren lönne.
9Bie eine SBraut glüeflich ift in ben Sagen, ba ihre
5lu§ftattung gemacht wirb, unb nicht ahnt, borg flc mtU
leicht in turpem meint über ihr (£lenb unb ftch jurüd;*
fc^nt tnS SSaterfjauS, fo ging e$ mir.
S)er Gimmel ^ing mir buchftäblich DoHer ^Baßgeigen,
unb aUe§, roa§ ich fa^ unb ^örte unb hoffte, mar mir
SJcujtt. 3$ fah lauter golbene Serge in ber gufunft unb
oerließ, als ber erfehnte Sag gefommen mar, leisten
£ergen3 baS SBaterhauS, ben Äaplan unb bie trauten
tannengrünen SBerge ber $etmath.
6o marfchtren mir SRenfchenfmber ade mit „^fetfen
unb brummen" au§ bem ^ßarabieS ber erften 3ugenb§fit
hinein ins feinblidje j&ben unb in ben ftampf umS Stafrin.
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Unb erft,roenn wir tüchtig ©djlögeunb SBunben empfangen
Ijaben, fommen wir wieber ju un8 unb fagen un3:
D feiig, ein Äinb nodj gu fein.
%xt Butter begleitete mid>. 2U8 mir an einem nebcl*
feudjten £erbfhnorgen t>or bem 93aterf)au§ in ben „$riüat*
DmmbuS", ber von 2Bolfad) nad) Dffenburg fuf)r, ein*
fliegen, fam mit ber alte, f lapperige ftaften auf »ier SRäbem
vox nrie ein „©onnenmagen", ber junt Gimmel fä^rt.
Qn Sftaftatt empfing un3 bet @d)uf)mad)er SBraun, ber
einem Dberamtmann ftfjnlicljer falj al§ einem ©cfiuljmadjer
unb mir bef$f)alb gewaltig imponirte. <£r mar gubem Behaftet
mit großer eines $a§lad)erg würbigen ttebenbigfeit. Ünfer
erfter offizieller ©ang galt bem $)ireftor be§ SgceumS,
meinem bie 3 cu 8 n *ff c ttc &ft ©eimatf)§* unb Qmpffcfjetn,
oljne weldf)' letztem bamalS fein fteutfd&er ftobienfäfyig mar,
übergeben würben. 9loti) fe^e i$ ben änaben lebhaft im
©eiftc nor mir, wie er mit großen Singen ba3 Sgceum, feine
altefjrmürbigen fimbenbäume unb ben geftrengen £erm an«
flaute, ben ber ©djutymadjermetfter in feinem SRaftatter
S)ialett immer wteber *$err £fyärrefber* tttulirte, unb
ber in einem befonberen £aufe neben ber (Stijule wofjnte.
%tx %xxtttox meinte, als er gefragt fjatte, wie alt
ber „lange ^unge" fei, ber fei $war etwas alt, aber
wenn er Talent Ijabe, Wune er e§ bod) nodj) ju etwas?
bringen. S)ann fttjte er ben <5d)ufjmacl)er, weil biefer
feinen ©oljn non ber 3lnftalt wegnehme. Stteifter SBraun
lief? fld& auf feine 2)i3fuffion ein, ba er bie ©eftigfeit
be3 S)ireftor§ fannte, erwiberte aber mit £a3lad)er
©umor, „er bringe ja in mir ber Slnftalt einen ®rfa^
für feinen ©olin." —
SRacl) biefer SSorftellung warb im ©aftl)au§ „jum
$flug", wo bie Sttutter ben morgigen ©yamenStag abwarten
$ an diatob, etubienjelt. 4
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— 50
wollte, Ijcrremnäßig $u Wittag gefpeift, unb unfer £a§-
lachet, nebenbei audf> ©tabtratl), ergäbe wä&renb beS
5Jfaf)le§ feine nod(j frifd&en ©rlebniffe au§ bet Sfteoolu*
tionSjeit. 3$ faß ba wie ber £erfule§ atn ©d&cibcwcge;
icf> wußte ntd&t, ob id) surren unb nid&t effen, ober effen
unb nid&t juljören fodte; fo fpannenb war bie ®r$äljlung,
aber ebenfo reijenb aud) ba§ Sftenu ber JJrau ^ßflugwirtf>tn.
3lm 3ßacf)mtttag bejog icfy mein Quartier. $>a3 £>äu§d)en
be§ ©dfjuIjmacfjermetjterS ftunb an ber Stturg, unmittel«
bar am Eingang gum „9tof)rerfteg", oom ftluffe nur ge*
trennt burdf) ben Stamm, ber bie ©ewäffer oon ben
SOSo^nungen ber 9Jlenfd^en abgalten foU. 9luf ber ftlufa
feite geigte baS I leine, jmeiftöcftge .JpauS eine 23ombe, bie
wäfyrenb ber S8efd)teßung burdfj bie Greußen ba einge*
fcfylagen f)atte unb mir neuen SHefpett oor benfelben ein*
flößte su bem alten, ben uf) in ©aSladj gewonnen 1 ).
$a3 freunblidfrfte .ßtmmer beS @aufc§, im ^weiten
©tocf , warb mir angemiefen. Qd) mußte e§ aber mit
einem Jüngern ©oljne ber JJamUie, ber ebenfalls baS
Sqceum befugte, teilen. @r ift fyeute ber 9tad)f olger
feines SBaterS in SBeftfc unb ©emerb. $)ie grau »raun,
eine bicfe, richtige Ütaftatterin, fjatte in bem #äu§djen ba§
£idf)t ber SBelt erbtieft unb nebenbei oollauf baS 3eug,
mir bisweilen eine ©tanbrebe ju galten, wa3 balb oon
nützen würbe. %it Xodfjter Amalie, ein Sttäbcfyen in
meinem 9Uter, fonnte nie meine ©qmpattyie gewinnen, weil
ftc mir ftetS fefyr flehte ©tücfdjen SBrob um oier Ufjr
fdjmtt unb faft ftänbig eine fogenannte „SRo^nafe" trug.
Gie ftarb oor wenig Sauren a ^ wacfere SBäcferSfrau in
£taben=93aben. ©ine 9Jkgb au§ bem 9tturgtl)al, „£anne"
*) eiefje f^ioiübcr bie ©rinnetungen „SluS meiner ^«öenbjoit".
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51 -
genannt, &roet ©chutnnachergefcUen unb brei £ehrjungen
bitbeten bie weitere £au§gefellfchaft , in bie jetjt ber
„?8tdz* ( $tylvwU" oon $a3le eintrat
$)er 1. Dttober tarn. (Segen bie neunte borgen*
ftunbe $og ich jum erften Sttal in bie Ratten beS SuccumS
ein, 100 eS oon&fpiranten unb ^achejamtnanben wimmelte,
bitten au§ biefem ßnabengerotmmel ragte bie fabrif*
fd)lottge ©eftalt be§ £gceum$biener$ ©chill h*roor, orb*
nenb unb jurechtmeifenb. ftein SRefrut fann ängfilicher
•unb wilbfrember am erften Sage im ^afernenfjof oor
feinem Jtorporal fielen als ich heute oor bem alten
©chill. ©ein prafttfdjcr SBlicf fannte aber fofort unter
ben „bleuen" bie länblich (Einfältigen, unb als ehemaliger
^auernbub' nahm er ftd^ berfelben junäc^ft an.
3lu{jerbem mochte ihn meine lange ©eftalt reiben,
unb fo fd)ritt er benn alsbalb auf mich $u unb fragte,
rooher ich fäme unb in welche ftlaffe ich aufgenommen
werben roollte. „3$ möcht' 'S ©jrame mache in b' Unter*
quarta unb bin oon 4)aSle", lautete meine Antwort. „<3o,
DO)t ,£>aSlad), auS bem ^reifdjärlerneft, wo fle bie ©en*
barmen fo oerfolgt haben \" meinte ber 9lltc, melier in
ber SReoolutionSjeit noch SSrigabier bei ber ©enbarmerie
geroefen mar. 3$ erfdjraf nicht wenig, bachte au meinen
£>ecferhut mit feiner ßofarbe unb feinen ©ennenfebem
unb gab baS ©janten fchon oerloren, falls meine £>etfet;
traten begannt mären.
@S follte noch beffer fommen. 3n baS Limmer,
welches ber ehemalige ©enbarm mir unb einigen jur
Nachprüfung SSeftimmten angewiefen, ftampfte alsbalb
juefenben Schrittes ber ^ßrofeffor Honsbach, Älaffenlehrer
oon Unterquarta, ©r mar ber etjte ^ßrofeffor, ben ich * m
£eben fah, unb ich ^ielt bamatS einen *ßrofeffor für baS,
4*
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— 52 —
wofür ein richtiger lateimfd)cr ©djulmcifter fid) fetber
Ijält, für einen 3ttann , ber alles weifj. (So benahm ftd)
audj mein gufünftiger ®laffenlefyrer.
(Seine gange 9lnrebe an mid) jittembeS SBauembübcfyen
war eincSSer^errlid^ungbeSfgftematif^enUnterri^tS burd)
afabemtfdj unb pf)Uologif<$ gebilbete Sebrer unb eine $er*
urtfjeilung jeber ftaplanSfhtbien. „$jn feine klaffe fönne
idj ntdjt aufgenommen werben, ba bei ifrni nur tüdjttg
gebilbete ©djüler stritt fänben*, fo lautete ber ©djlujj
feines ©elbftlobS. Qd) weinte unb t>erwünfd)te im ©tiden
mein ganjeS ©tubium. $)od), wie eS ^ßra^Hjanfen eigen
ift, nadjbem ber *ßrofeffor fid) in feiner ganjen 2Bi<$tig*
feit oorgefteUt fyatte, mürbe er oernünfttg unb btfttrte
mir unb einem Sftitafpiranten au§ Ettlingen , LamenS
(Sifele, ein Sßenfum $u lateinifdjer Ueberfejjung.
2Benn einer fein eigenes SobeSurtljeil f ^reiben foll,
fann er unmöglich befangener fein, als id) e§ mar bei JJer*
tigung biefer Ueberfeijung. (Sine ©tunbe fpäter unb unter
allerlei midjtigtljuenben Lebensarten erf lärte unS S)on§bad)
für aufgenommen in feine klaffe, ©onft rourbe id) in
ntdtfS geprüft; baS Satein mußte bie (Signatur fürs
©anje abgeben. Seru^igt feljrte bie 9Jlutter am Lad)*
mittag tyeim, unb td) begann am anbern borgen ba§
Sagemert eines UnterquartanerS am ßqceum ju Laftatt.
$or oterjig Qafjren mar bie babifdje SBelt nod) md>t
fo oerfefyrt rote Ijeute, wo man ben Greußen alles, aud)
bie ^ummfieiten, nadraiadjt unb nad) preufjifdjer 3lrt bei
ber ftlaffeneintyeilung an ben ©qmnaften mit @in§, b. i.
mit *ßrima, &u jaulen aufhört unb mit ©ejeta gu jaulen
anfängt damals mar ^rirna bie unterfte klaffe unb
Dberfejta bie f)öd)fte unb le£te, fo nrie e§ nad) 5lbam Liefe
unb nad) beut gefunben SJtenfdjenoerftanb richtig ift; jetjt
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— 53 -
jäumt man ben ©aul beim ©djroana auf, wie in vielen
fingen ber s $äbagogit unb be§ 93olf3roohl3, unb nennt
^rirna bie oberfte unb ©e^ta bic unterftc klaffe. Unter*
quarta mar alfo ju meiner Qzit bie werte ftlaffe unterer
Slbtfjeitung, unb auf biefer ©ci)an$e fing mein Seiben an.
©cfjon in ber erfteu SBodje jetgte ftet), bafj ict) meinen
SJUtfdjülern, ba§ Satein aufgenommen, roett Ijintennad)
ftunb. %aiu fameu als neue £et)rfäd)er ©rted)ifct), @eo*
metrie, <5tefd)tct)te, 92aturgefct)tc{)te unb ©eograplne: lauter
fpanifdje Dörfer für mict). Qfm 3)eutfd)en Ratten mir
beu £nceum§lel)rer SHauct), einen Sttann, ber einen äffet*
tirtcu preu^ifd)4°^ eui f^)^ $)taleft fpraef), bem mein
^insigt^äler 3llemannifch ein ©reuel mar unb ber mit
ber rüdftd)t§lofeften $)erbt)eit bem eingeflüsterten ftnaben
begegnete. Um, id) fann e§ md)t anberS nennen, feinen
£>a{j gegen mid; $u fd)tlbern, mirb ftet) fpäter reidjlid)
(Gelegenheit finben.
$en franjöfifc^cn Unterricht gab ein junger Sehr*
amtäprafttfant ftorfter, melier fc^on in ber jroeiten 2Boct)e
ein großem SBort gelaffen ju mir fpract), unb ba3 lautete:
„<3tf) %u roteber heim, mit Qix ift e§ boct) nichts!" 3Jlir,
ber ich allejeit roeic^tjerjig geroefen unb geblieben bin,
liefen bie ^eUen 2:^ränen aus ben 5lugen. £ro^bem
fügte ber £>err, raeil ict) größer unb älter mar als meine
9Jhtfct)üler, unter beren £ohngeläd)ter feinem falomo;
nif d)en Urtheit als 2öiö ton ©tubentenoerS bei:
GJelj 3)u lieber in ein Äloftcr
Unb f*eV brettaufenb Sßatentofter,
2)u alter §aölad)er 2)u! —
Qch bin natürlich roeit entfernt, t)eule btefem noch
lebenben £errn $u jümen; benn Unterleder unb SehramtSs
prattifanten haben ja ju allen 3etten gemiffe jugenbüct>
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— 54 —
fnabenhafte SBorredjte gehabt, allein, roaS id) bamalS gc*
füf)lt, tft nicht ju bef ^reiben. Sßon ©chroiertgfeiten aller
5ltt umgeben, in ein förmliches &l)ao§ mir gang frember
Schrgegenfiänbc eingetaucht, oon einzelnen Sehrcrn mal*
trätirt, oon anberen oerfpottet, r-on ben Sftitfcplcm oer*
lacht, ju allebem, gleich nad) ber Slbreife ber ÜUhttter,
oon namenlofem £eimroeh geplagt, erfuhr id) junt erften
9Jtale jene £age,in ber bieSftenfchenfeele nur noch einen
2Bmtfd) ^at, nicht mehr $u erjftiren.
Qd) mar fpäter auch jahrelang babifdjer Sehramts*
praftifant; aber ich habe bie fchüchternen SBauernbubeu
in ber erften 3eit mit ber größten 9tücfftcht behanbelt,
eingeben! meines eigenen (SlenbS als angehenber Unter*
quartana.
9lur ein atabemifrf) gebübeter Sehrer h&t in jenen
©chmeraenStagen mit Sttitbe mich behanbelt, unb baS mar
ber ebenfalls blutjunge SehramtSpraftif ant ©tephan, roelcher
uns ben Unterricht in ber grtechifdjcn Sprache unb in ber
©efchichte erthcilte. $>afj aus ihm fpäter ein fo milber
^oütifer unb Sourualtft merben mürbe, ber feinen ehe*
maligen ©chüler als 9teid)StagStanbibaten mehr benn ein*
mal fcharf befetmpf te, hatte ich bamalS nicht geahnt, ©o oft
ich ^wte, ba er als greifer *ßenftonär in ftreiburg lebt,
ihm begegne, grüße ich ihn, obmohl erbte römifd)cn ^ßriefter
nicht liebt, freunblich — in Erinnerung an fein mir in ben
elenbeften ©tunben meines SebcnS gezeigtes Sßohlmollcn.
SReallehrer ©anto, ber 3ttathemattfer unb 3 00 ^°9 ß
ber Älaffe, welcher mich mit feinen ©tegtjofen au ben
©aSlacher Unterlehrer erinnerte, mar ein braoer, gut*
müthiger Statin, ®af$ mir oon feiner Mechnerei ntdjtS
in meinen, jebem mathematifchen ®en(en abholben Ropf
rooUte, bafür tonnte er nichts.
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2Bic oft faß ich in ben crftcn 2öod)en meinet iKaftattet
©tubienjeit am 2lbenb nach ber ©chule im füllen ^erbft*
routb auf bem 2ftutgbamm, rote bie Israeliten an ben
glüffen SabelS, unb weinte. 3)te S^räuen benetjten meiu
bünngeftrichene§ SJutterbrob, ba§ ich eben erhalten hatte,
unb übet baSfelbe lunau§ in bie flüchtigen 2BeHen fefjenb,
träumte td) t>on bet £etmath, von Sater unb 9ttuttcr, oon
Serg unb$h°l unb oon ben fticblicfjen Reiten beim Kaplan.
D, wie hatte ftd> aße§ geänbert in fo fut^er fyitl
Sttit meld)' füfjen Hoffnungen roar ich nach SRaftatt ge*
Sogen, unb rote roarb ich enttäufd)t! Söenn ich wich nicht
gefrfjämt hatte, ich roäre auf unb baoon gelaufen unb heim
$um Sater unb hätte ihn auf ben ftnieen angefleht, uudj
bod) füt eroige Reiten * n Sacfftube &u laffen. So
entfetjlich entleibet roar mit ba§ „©tubtren", ba3 Seben
in bet g-rembe unb bie Sehanbhmg am Snceum.
Unb wo fanb ich <*Uein füt Siugenbltcfe Sroft? Qd)
5ögetc feine ©efunbe, e§ offen gu fagen: Sei ben ©efellen
unb Sehtbuben in bet ©chuhmacherroerfftätte meinet
ßau^hettn. Unb ich f u S c «Honny soit qui mal y
punse! tt ©ie roaren bie etnjigen •jfflenfchen, welche, aud)
fremb, mich ftagten unb felbft erzählten übet bie ©eimatl)
unb oon allem, roa§ ba8 $enfen an fte herootruft. Son
meinen ßinbeStagen her noch eingenommen füt ©chuh*
mageret, oergaß idt)/ ir)ncn jufdjauenb, füt futje ,3eU
mein <£lenb. Salb griff ich au $ 8 ur &um Rammet
unb &um „$)tahtfpit)" unb fing 31t fchuftetn an. Qch habe
e§ in ben btei fahren, ba ich im ©djufterhaufc roeüte,
fo roeit gebracht, baß ich meine ©tiefei „flecfen" unb einen
„tieftet" anfe^en tonnte, ©elbft ©oj)len h<*b' ich
roeilen aufgenäht. Unb baS allc§ ftohen $etsen§, roo*
bei mnudjc§ „©d)ul* unb Jpeunroeh" oergeffen rourbc.
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— 56 —
3$ mar oft fo oertteft in bie ©d)uljmad)erei unb
bie ©efprö^e mit bcn ©dndnnacfyern, bag mit Sfleifter
SBraun, ber nie mefjr auf bem ©tuftfe fa^ fonbern in
ber ©tube aufdjnitt, roieberljolt burd) ba§ f leine Jenfter,
mel^ed oon ber Söoljnftube in bie SBerfftätte ging, rufen
mugte, e8 fei Qtit ftum Semen.
©o babe id> mit unjäblige fernere ©tunben bei biefen
fieuten oertrieben unb abfolut nid)t§ $8öfe§ oon ifjnen ge*
lernt. ©3 ift mir md)t ba§ ©cringfte ber 9lrt aud) nur
nod) in bet blaff eften (Erinnerung. $>ie ©ef eilen arbeiteten
„auf ©tüd* unb oerföftigten ftd) begf)alb Borgens unb
$lbenb3 felbft. Qfyr tägliches 33rob liegen fie beim Söder*
meifter ©reil im „^örfl", jenfeitS ber 3fturg, fyolzn, unb
manchmal mugte bet jüngfte Sefyr junge, ©eroaftuS, ein
bider, guter ßerl aus £id)tentljal bei SBaben unb ber
©efeöen Liener, aud) mir ein frifd)gebadene§ „®rofd)en>
laibdjen" mitbringen , ba§ td) bann unter meinen ^ßed)*
freunben mit föntglidjer ©lüdfeligfeit oerjeljrte.
Q;d) miß Ijier gleich nod) eines geroöfynlidjen 9ftannc3
gebenfen au§ meiner Ctuartanerjeit, ber mir in jenen
fdjlimmen Sagen mannen 3eitoertreib gemährte. Qmi
Raufet untet bem unfrigen wohnte am JJlugbamm ein
SBeber unb bei biefem ein £>ormft oon ben babiftijeu
Gruppen, SftamenS £oren$. Qu feinen freien ©tunben
ftopfte er Sögel au3, toobet icf) tym fefyr oft ©efeüfdjaft
leiftete. 9lud) blieS er mir bisweilen ein ©tüdc^en auf
feiner trompete, (Sr fjat fo bem trübfeligen Quartaner
oiele ©tunben oerfügt. 9ßod) oor mir oerlieg er aber
feine 2Bof)nung an ber 9Jlurg, unb id> faf) if)n md)t
toieber, bi§ er mir fünf unb jmanjig Qa^re fpäter al§ alter
^oftfdjaffner auf einem $ampffd)iff be8 Sobenfeeä toieber
unter bie klugen (am. 3$ ijatte U)n fofort erfannt, aber
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— 57 —
aüc SSftülje, ifjm ba3 abgehärmte ©tubentletn nrieber in3
©ebädjtnifj &u rufen.
„2Bo bic Sftoty am größten, ba ift bic £ilfe ©otteS
am näd)ften." s 3ln einem !iJioöember*-ftad)nuttag be§3af)re§
1852 roanbelte id) bie <3d)lofjftraj$e fyerab unb weinte. 2$)
(am eben au§ ber Schule, roo SuceumSlefjrer SRaud) mid)
armen jungen roieber malträtirt fyatte als ben „bümmften
unb [überliefen ©cfeUen" ') ber Klaffe. SJUr mar ba3
ßeben entleibet. 9113 id) nun in biefer Stimmung an bie
(Me be§ ^ßflugnurtfjSfjaufcS gefommen mar, rief mir eine
roofjlbefannte Stimme oou roeitem ju: „£>ainr, £ainr!"
3Scr roar'S? ftein anberer teufet) ate ber „*peter"
roetetyer freubigen ©djriüeS ben „ftapettenberg" f)crab auf
mid) sutam. @r hatte ein getteifen auf beut föüden unb
befanb fid) aud) „in ber fjrcmbc - '. Seit m'er Sagen liatte
er mein (£Uernf)au3 oerlaffen unb ben 2Beg ju JJufj W**
ljer gemacht. (Sr brachte ©rüfje oon Sßater unb 9Jtutter,
jog fein leberneS Beutetdjen unb gab mir einen „Sed)3*
bä^ner", ben i^m ber 33ater für mid) mitgegeben. Qefct
traten ^reubent^ränen in meine klugen, unb ber gute
$eter erfdjien mir rote ein Bote be3 Rimmels. mein
Sammer mar oergeffen, aud) ba£ Verbot be§ SBirtfy*;
bau§befud)§ ftörte mid) feine Sefttnbe. filuaß roarb mit
Sßetcr in bie uädjfte Bierbrauerei „Blaff gesogen, roo
id) i()m Bier unb „SMfebrob", rote bie föaftatter fagen,
bejahte unb nad) ber £eimatf) fragte, al§ ob id) biefelbe
fd)on groanjig Qjafyre oerlaffen.
9ll§ aber ^ßeter enblid) fragte, roie e3 mir gefje, ba
trat mein @lenb roieber tteffcfyroara oor bie Seele. Qa e§
l ) (Sin SieblingSausbrutf biefes „alabemija) ge&Ubeten"
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tfjat mir nod) roeljer alä Borger. Qd) badjte an ben
<5ed)§bä$ner be§ 93ater§, ber offenbar ein geilen feiner
uciterUdjen Siebe fein foHte — benn fo oiel ©elb tyatte er
mir nie juoor gegeben — unb an ba§, roa§ td) bem guten
Sßater bagegen bieten fonnte: bie feljr roafyrfdjehüicfyc
2Iu§fid)t3loftgfett meiner Stubien. *ßetcr fonnte e3 faft
nicfjt glauben, bafc tdj, bafjetm fo gefdjeibt, jefct fo bumm
geworben fein foUte. „®u buurfd) mi in b'r ©äl 1 ),
$ainr!" fprad) er, unb at§ abermals bie fronen mid)
ergriffen, meinte ber gute SJtenfd) mit mir. Xvüb unb
ftitt gingen mir jufammen an ben 33al)nl)of ; ^ßeter wollte
nod) mit bem Slbcufyug nad) fötrlSrufye.
D, roie beneibete id) ben armen Säcfergcfellen, al§ er
nad) treufjerjtgem 9lbfd)teb baoonfufyr! 3Bie gerne märe
id) bamal§ mit tfym al§ ©anbmerfSburfffje burd) bie 2Belt
gebogen, ftatt &u meinem ©tubienelenb jurücfaufefjren.
3d) tyabe ben guten $eter feit jener traurigen Stunbe
nie meb^r gefcfjen. (S§ ging aud) if)tn fdjledjt auf ber
SBanberfdjaft. ®er unfdjeinbare, fdjieleube, fdjüdjtcrnc
93urfd)e mod)te an oiclen Spüren oerädjtlid) abgeroiefen
morben fein. 3)a fefjrte er jurücf auf ben $)od)bacf),
padte feine £abfeligfetten in einen Koffer unb fufjr übers
SKccr.
waren mcfjr benn brcifjig 3<*l)re burd> bie s Äelt
gegangen, al§ id) eines $age§ einen SBrtef unb ßeitungen
aus 9Imerifa erhielt. SBeibe roaren oom „$eter", ber
©Triften oon mir in amerifamfdjen Leitungen befprodjen
gefunben unb biefclben ftd) oerfdjafft fjatte. ($r freute fid)
t)oä), bafi td) e§ bod) nod) „ju etroaS gebraut f)ätte" unb
erinnerte an unfern ferneren 5lbfd)ieb am SBafa&of in
') 2^ Dcbaure 2>id) in ber 6eele.
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föaftatt. @r lebt als SBädermeifter in einem ©täbtrfjen
beS ©taateS Dfjto, unb eS gefjt bem brauen 9ftenfd)en,
wie id) Ijöre, gut. —
3n ber iHaftatter Unterquarta beS ^faljreS 1852/63
fanb fid) unter ben ftebjelm ©djülern genrifc feiner, ber
mefjr gearbeitet fjätte als id), unb bieS unter erfdjroeren*
ben Umftänben. 9ftein ßimmerdjen mürbe jur SBinterS*
■^cit beS 9lbenbS roeber gezeigt, nod) befam id) eigenes
ßid)t. 3$ mufjte mit ben SBeibSleuten ber ftamilic am
gleichen Sifd) fi^en unb, roä^renb fte nähten, fpannen unb
fdjwafcten, meine Aufgaben machen, von 7 bis 10 Ufjr.
9fleifter SBraun ging regelmäßig w 8um SBtcr", unb bie
6d>ufter arbeiteten MS 8 Ufjr in tfjrcr „93outique".
SBenn aber bann bie fyit ber Sftutye für ben ge*
plagten Quartaner fam, fo fanb er fte bod) ntebt, roetl
baS Keine ©äuSdjen im SBinter uotl mar tum Käufen,
bie id) fürchtete roie'S $euer, unb bie in ber 9ßad)t ifjr
ftörenbeS Unroefen im 3^ mmer trieben unb fclbft mein
Sager nid)t t)erfd)onten.
%k gute ©rofjmutter fjatte mir beim alten 5lttcr*
roeltSfünftler ©lüder, ben id) in ben Sugcnberinnerungen
ermähnt, ein ^lam'er gefauft unb gefdjtcft, nid)t atyneub,
bafj eS mir nidjt umS ftlamerfpiclen fei. 5luf biefem
Ätauier braute td) manchmal, auf ber ^lnä)t cor ben
Käufen, bie üftadjt ju. 9iod) tönen mir bei biefer (£r*
innerung bie nädjtltdjen 9htfe ber öfterretdjifdjen (Solba*
ten auf ben SBällen unb SJaftionen jenfeitS ber Sflurg im
Dljrc; benn ifjr „©alt, wer ba!" fjörte id) in gar fielen
fd)laflofen @tunben jenes SöinterS.
®S fam SBeifjnadjten unb bamit bie erften gerien.
Sag unb ^ad)t l>atte id), je n8f)er biefe Qtit rücfte, feinen
aubern ©ebanfen meljr als ba§ ©eimtommen, troljbcin
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id> auf ein fölcd)te§ Seugmfc su ^ffen fatte, nid)t blo&
oom Suceum, f onbevit aud) oon meinen <ßflegeleuten. Qd)
tarn, roie faft immer in meinem Seben, mit ben „tarnen 1 '
be3 £aufe3 nid)t au§, roeil meine #a§lad)er 3unge f°
roenig fdjnrieg at§ bie 2öeiberjungen; jubem fdjmcrfte mir
nic^t alle§, roa§ bie SBeiber fönten. 9ttetfter 23raun aber
Ijatte $u ^9™, i<$ 8« » ie * Safdjengelb oon \l)in
forbere. 2)a§ ging aber fo 51t:
Qeber ©aSladjer, n>enigften§ jeber normale, e§ gibt
aud) „oerg'ratfjene", l)at ba§ SBebürfnijj, für feine irbtfd)c
Srübfal im 9Birtt)sf)au3 ©cilunß &u fudjen. tiefem #ug
bc§ ©rWjerjenS folgte td) bei Betten, unb meil bie Qal)l
meiner Srübfal Segion mar, tranf id) nidjt feiten einen
„©djoppen". %a toofjnte ein SJtitfdjüler, ber rjeuttßc Sipo*
• t^eter Sdjod) oon £id)tenau, Qa^re lang ein Softem am
Gimmel ber liberalen Sanbboten SBabenS, bei bem föeftaura*
teur 9?ußer, wffl&venb ein anberer 9RUfdjütet ber ®ol)n
be§ „(öternennrirtf)^ mar. SKefe beiben befudjte id) öf*
terS unb tranf mit ifjnen befdjeibeu ein <5d)öpplein, wer*
Seilte eine „ftarl§ruf)er SBurft" unb oergajj meine elenbc
Sage, roenigftenS fo lange id) aft unb tranf.
9tfle biefc geiler unb (sdnodcfyen ftunben in einem
Uriasbrtef, ben mein $>au3l)err mir mitgab an ben 9ktcr.
^aju fam mein &)ceum§aeugnife, ba§, furj gefagt, bafjtn
lautete, ba& id) ber jrocitlc^te in ber klaffe fei unb e§
mir an allen ©den fe^le. 9ttit biefem „<£f)riftfmble" für
bie l)offnung§ooUen ©Item fam id) fyetm. Qd) roetft ba§
Jyolgenbe nod) fo genau, al§ märe e§ erft geftern pafftrt.
Sn ber Stube ftunben ber 93ater unb ber 9iad)bar SBaftliuS,
ber Färber, unb flauten bem alten Stte^ger ßröpple ju,
nrie er eben oon bem für§ 93aterf)au§ geblatteten (Sc^roein
Scbcrmürfte machte. $>ie 3Jlutter trat gleich barauf au§
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ber ßüdje herein unb braute bem SOSurftler nod) einige
guttaten.
91l§ efyrlidjer S un Ö e fl a & id) fofovt alle meine Rapiere
Inn; bie 3ftutter la3, bet 33ater la§ unb ber SBafil la§.
$er bvad) ba§ ©d^roeigen $uerft mit benQßorten an meinen
Sßater : „©alt', i t)ab ber'3 g'f ait, ber Rärle roorb nint bo
bunte. SB'ljalt'n beweint un nemme in $Bad)fd)tub, fonfd)
t>cfc^ in q paar Qoljr a £ump!" SBergeblid) erjäljlte
id) unter £fjrdnen oon meinem fleißigen ©tubtren, oon
ber „©d&inberei" burdj bie Seljrer, oon ben melen, mir
fremben £eljrgegenfiänben. %k $r.oftfd)oppen Ratten ben
Stab über mid> gebrochen. ©o tarn gum alten <£lenb
in ber ftrembe neues im 93aterf)au§. Qd) Mte traurige
Serien; ber SSater roürbigte mid) feines 2Borte3 roetyrenb
ber ganjen 93afanj.
$)er liebe ©ort tyat e§ bod) gut gemeint mit bem
jungen "üJlenfdjen&eraen, bafj er e§ fo jtarf gemalt Ijat in
©rtragung von SBiberroärttgfeiten. ©in Üinber* unb
Änabenfyerj bricht nidjt, unb an gebrochenem ^erjen ftirbt
fein Äinb unb fein normaler ftnabe. ©rft bie erroad)fenen
9Jlenfdjen greift Stotl) unb ©lenb, Äummer unb ©ram
auf geben unb £ob an. ©o mar aud) mein £ers in
jenen Sagen unb Monaten ftarf unb blieb e§. 2öenn
id) nod) fo feljr bie 3lrmfeligfeit meiner Sage füllte unb
in Momenten gerne geftorben roäre, fo gab td^ mid) bod)
nie ganj auf unb trug mein Seib rüftig weiter.
©8 märe mir lieb geroefen, wenn id) nadj biefem
troftlofen 9lnfang§erfolg mein ©tubium Ijätte auffteefen
müffen; allein im „©djlaftollegium" bei ber ©rofjmutter
raarb anberS befdjloffen. 9He beiben ^öuen glaubten tyren
©tolj beleibigt, wenn e§ im ©täbtdjen gereiften fyatte:
„©djtabtnrirtl)§ ©einriß l)et mer nit brücke fenne auam
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6d)ttibiere!" %k ®rofemutter vorab Ijatte ftarfen „<£orp§*
ßcift". S)rum warb verfügt, bajj td) abermals nac^ 9laftatt
Söge, unb bem ©dfjeibenben mürben entf predjenbe fHat^fc^läge
in 9ftenge eingepacft; unter anbem aud) ber, Sßrioat*
ftunben $u nehmen, um bod) ja mit (Sfyren fortkommen.
60 trat id) benn nadf) 9teujal)r toicber in bie alten
©orgen ein. ©in Dberfejtaner, ©teinbrenner, au§ bem
fp&ter fclbft nichts geworben, unb ber nad) Slmertfa ging,
gab mir ©jtraftunben. ©r molntte in ber „©augaffe*,
bem $aupt*@tubenten*Biertel, unb im gleichen ©aufe mit
tfym, in einem elenben 3hmnercf)en im £jof, ber Tertianer
#irn, ©ofnt eines SefjrcrS aus bem $)orfe SBeiler bei
£a§lad). 60 oft nun meine ©tunbe &u ®nbe mar, bc*
fudjte tdf) meinen fianbSmann, bem eS beffer ging als
mir, beffen ganjeS ©dfntlelenb meift ba^er fam, bafj er
fid) ntd)t aud) für Tertia gemelbet Jjatte, mo er mit
feinem fdjlcdjten BolfSfd&ulfacf eljer gu ©treid) getommen
märe. $>ie ^^ilifterin beS ©qrtanerS unb beS ßinjig*
tyälerS mar eine alte SBtttme mit U)rer ebenfalls bejaljr*
ten £od)ter. $)te letztere Ijolte unS jungen jeweils auS
ber nafjen Bierbrauerei #olb eine ftlafcije Bier. 3Bir
beibe plauberten babei von ber £eimatf) unb von ben
Bauern beS Dorfes SBeiler, bie id) alle fannte. ©0 mar
id) für eine ©tunbe roieber feiig. £)ann roanbelte td)
bem Sftoljrerfteg su, fafj anrifd)en „Sag unb £id)t" bei
meinen ©cfjuftew, bis bie Seit tarn, neben ben 2£eibS*
leuten meine ©tubien ju beginnen.
$)er SBinter ging, baS Stiifjjaljt fam, of)ne bafi id)
an Dftern bebeutenbe #ortfd)rttte gemadjt Ijätte; id) mar
nur com groett* jum $rittlefcten anancirt unb brachte fo
einen fdfjlcdjten „Öfteres" nad) £aufe. Qdj felbft roar'S
je^t gewohnt, einer ber bümmften in ber klaffe ju fein,
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währenb Watet, SJtutter unb ©ro&mutter fld^ tröfteten
mit bem ©Limmer von ©offnung, ber in bem einen
(Beritt lag, mit meinem ich mich vorn Seiten entfernt
hatte, im 2lt>anciren ober noch ntd)t bei ©ieg liegt,
foUte ftch fpäter nut ju tlar etroeijen.
Sßom ©ommer 1853 ftnb mir noch groei S)inge, bie
außerhalb ber ©cfjule fpielten, lebhaft in ber Erinnerung :
£)te ©rünbung einet (leinen Äneipgefettfchaft Don Unter*
quartanern unb mein erfter SBefuch in ber3Beltftabt SBaben*
SBaben. 2BaS ein orbentlicheS SBicr* unb ftneipgenie roer*
ben roitt, muß fid) bei Qtittn entrotcfeln. Unb fo fjatte
ich tjon ben erften Sagen meines SRaftatter Aufenthaltes
an einen uwt>iberftd)[id)en $>rang nach SBier unb nach
SBierhäufern. S n Wefcm ©inne gewann id> einige 9Kit*
gtieber jur Errichtung einer SBerbinbung. <5S waren bar«
unter von ben beften unb von ben fchlechteften ©Sutern
ber klaffe. Unter ben erftern ©djoch unb £olber, ber
jefctge ©ofbibliothetar in Karlsruhe, beibe burch i^re
Seiftungen in ber ©chule mich um fo t>iel übertreffend als
ich langer mar benn fle. 2ln Körpergröße aber übertraf id)
faft bie p>ei kleinen, wenn man fte auf einanber gefteUt
hätte. Unter ben letjtern, ben fchlechteften, mar ein -äflujel aus
SSaben, ein griebmann ou § gfaftatt unb meine Söentgfeit
3ßenn ich mich recht erinnere, Ijäfelte uns eine ©chroefter
beS ftriebmann °* c „EorpSbänber" aus gefärbter S3aum*
motte, baS ©tücf &u fecf)S Kreuzer.
Unfere Kneipe fähigen mir im ©ahnen auf, brunten
an ber SJlurg, am (Eingang in baS ©ebiet ber „©djroaben*
gaffe". %xz ©almenroirthin hatte am SBerftag blutroemg
©äfte unb räumte uns gerne in ber Sftücffcite beS £aufeS
ein geräumiges Limmer cin 3 U unferen heimlichen 3 Us
fammentünften an ben freien Nachmittagen beS SJtittrooch
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unb ©amftag. %a fdjlidj bann einer um ben anbern,
menn bie (Spaziergänger auf bem SJturgbamm ftd) t>er*
laufen, Ijerbet, unb balb faß ba§ Kollegium beifammen.
2)ie (£orp§bänber würben „anzogen", bie ©igarren an*
gejünbet unb geraupt, gefungen unb getrunfen, als ob
rciir baS größte £fted)t baju Ratten. „2Bir füllten unS \"
$öie an lauen ©ommerabenben in fliüen £etd)en bie
gröftfje befyaglid) iljr monotones Sieb quafen unb ber
£inbenbaum am Ufer l)tn mit ben Steigen bagu nicft
im 2lbenbnnnb, fo freuten mir »$tdfc$e" un§ in bem
tum ber Slußenmelt abgetoanbten ©emadfj; ber £inben*
bäum aber mar bie ©almennnrtljtn, meldte roof)lroottenb
ntäenb unter ben luftigen gfräföen 1 ) ftunb.
%dbt\ maren mir „minbere SBrüber* au§ ber ©djule
roeit fibeler als jene, meldte in ber klaffe profperirten,
unb mir fangen aus ooUfter ßeljle:
Unb be§ SöeltaEö Kummer uttb Sorgen,
(Sie gingen an tfjnen oor&ei.
S8ei mir fing in jenen Sagen ber Galgenhumor ju
feimen an. SBenn tcfy aud) am Jorgen in ber ©cfyule
geroeint f)atte, im ©almen roarb gejubelt unb gefd)er$t,
al§ roäre id) ber erfte in ber klaffe. Dft ging idj bann
gen Slbenb mit bem Meinen #olber Ijeim, fdjrteb ilpn feine
elegant gefertigten „^ßräparatiotten 4 ' ab unb ließ mir oon
iljm eine Ueberfctjung oorfonftruiren ; aber eS wollte eben
nicf)t Sag werben in meinem ßopf. 2lm anberu Sftorgen,
trotj allnäd)tltd>en ©tubirenS unb frühen 2lufftef)enJ, mar
id) eben mieber ber „bumme £anJjafob". (Sbenfo Ijat
0 Siofa) wirb befanntlta) ber ©tubent beS ©omnaftumS
(StyceumS) oon ben Slfabemifem genannt; ba$ ©omnafhim aber
t;ei&t fceia).
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(Bdjod) mir manchmal begriffe aus ber 9lrithmetif uub
Geometrie beibringen mallen, aber ba mar erft recht nichts.
Qd) ^abe in meinem £ebeu nie auch nur beu erftcu uub
einfachften SBeroeiS auS ber ©eometrie serffanben.
mit bem ©bluffe beS ©chuljahreS warb unfer „(SorpS*
aufgelöst. 3ftu£el unb griebmann, bie baS gleite unten
ju befprechenbe ©chicffal traf wie mich, wanbten ftd) bem
föanbwerf p; ©djoch ging in eine 3lpothefe unb benen,
bie nach Dberquarta famen, «erging balb jebe ^reube.
SDßarum, werbe ich fpäter melben, wenn bie SBürbc eines
Oberquartaners einmal an mich gelangt fein wirb. —
2ln *ßftngften 1853 machte ich meinen erften SluSflug
nach S3aben auf ©inlabung meinet SeibenSgef äfjrten 3Jlujel #
ber XagS $uoor fd)on heüngereift mar. 2)en Begleiter unb
Führer auf biefer gufjpartie über (Sberfteinburg unb baS
alte 8a)lo& machte mein $>auSfreunb, ber ©chufterjunge
©eroaftuS, melier nach feiner $eimath Sichtenthai rooüte.
Um 4 Uhr beS Borgens warb aufgebrochen. $or
bem „9tteberbül)ler %\)ox" gefeilte ftd) ju uns ber ftuedjt
beS $ofapotr)eferS, ber mit bemfelben Sßlan, nrie mir, um«
ging. 3$ bin alT mein Sebtag mit „gemeinen Seuteu"
gerne umgegangen, bejiwegen haben meine (Schriften, um
mit bem „SBürttembergifd&en ©taatSanjeiger" ju reben,
auc^ eine „fo ftarf bemofratifche SöafiS", unb fo roanbelte
ich mit bem SlpotheterSfnecht unb bem ©chufnnacher au f
„al pari« luftig bergan.
$)er erftere war ein f öftücher $erl. 2öeil fein SBcruf
ihm auferlegte, bie Slpotheferwaaren feines §erm in einem
Dörfer guftojjen, mußte er eine Menge latetnif eher tarnen,
bie mir roilbfremb (langen, fo baß ich ju bem©lauben (am,
ber Unecht gäbe einen befferen Quartaner ab als ich.
fprad) mir beharrlich gu, „SUlcbijüi" ju ftubiren, wähmib
^oiiöjalob, etubicnjctt. 5
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t$ mftuSd&en jtitt roat übet meine ßufunft; benn e§ butcb*
Sogen mid) Atmungen, e3 fönnte md)t§ ©tubirteS au§ ber*
felben IjerauSfommett roar gut, bafc roir bolb in bcr
„SRofe" ju ©berftetnburg anlangten, roo un§ ©ffen unb
Srinfen auf anbere ©ebanfen braute; benn mir ging e3
in jenen Sagen, fo oft td) vom Jadrftubium tjörte, roie
bem ©efjenften, bem man com #aufe be§ ©etlerS ergäbt
S&eber bie SRuine ©betftein nod) ba§ alte ©d>lojj im»
ponirte mit, fonbern oorab bet fjerrlidje 2Balb, bet uon
(Sberfteinburg nad) Sßaben fü&rt, unb bie ©id)t t)on jenem
$)otfe in bie Sanbe roettbin. ®ie Statut Ijat oon meinen
SfrnbeStagen an ftets mein #er$ gehabt unb bot e§ in
meinen alten Sagen nod); ja fte befommt e§ täglidj mebr,
roeil fte allein oon allem Qrbifdjen eroig treu unb eroig
fd)ön mitten im SBecbfel, in bet $lrmfeligteit unb in ben
Säufebungen be8 SJlenfdjenlebeng ftd) un8 prä'fentirt.
Sludb r-on 93aben gefiel mir lebigltd) feine rounberbare
Sage; bie ©tabt felbft, ifjre SBrunnen, $äber unb ©oft*
Käufer tonnten mid) niebt begeiftem. s Jiur p>et $)inge
machten einen bleibenben ©inbruef auf meine ftnabenfeele.
S)a3 eine roar ba§ berühmte ftruaifir. auf bem alten ^trd)-
bofe unb ba§ anbere bie ©öttin ber ©eredjtigfeit auf bem
Slmtbaufe bet ©tabt. Sößarum leitete, bie td) fjier jum
erften 3ttale faf), folgen ©ffeft auf mid) machte, ift mir
beute nod) unerflärlid). 2Bar e3 eine ^Ib^ung meines
(SetfteS, bafj icb im ßeben mit ber ©eredjtigfeit fo ftarf
in Äonfüft fommen unb bereinjt tfjr „■äftärtgrer" werben
fottte? ©idjer ift, bafj id) in mir bie erfte Erinnerung
an SBabensSBaben nie roeefen fann, olme im Söorbergrunbe
jene ^inge $u flauen.
9ttit meinem Kollegen 3fturel, beffen SBater, mein* id),
$upfctfd)mteb roar, bummelte td) ben Sag über in ben
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— 67 -
©tragen bei: ©tabt herum unb r-cr^ehrte jroifdjen hinein
meine paar ^reujer lern in ben SBierhäuferu. 3)cu oielen oor*
nehmen 9ttenf djen gegenüber, bie an mir d orüberwaubeltcn,
tarn ich mir x>or roie ber arme £a$aru3 an ben Pforten
be§ reiben v £raffer3. $)ie§ füllte ich beim Scheiben
noch mehr. 3)a mein £tuartaner**8eutelchen nicht auf bie
Söabener greife eingerichtet mar, hatte ich am Slbenb (ein
(Selb mehr, auch nur um von Do3 nach IRaftatt fahren
ju (önnen, unb e3 mugte ber weite SBeg ju gufi gemacht
werben. 3JUt einer ftaftatter 3flaurer£famüte, meiere ich
üor Do3 brausen traf, trabte td) über ba§ öbe $)orf
Sanbroeier jiemltch abgehärmt ber Seftung ju.
SÖBer mir an jenem ^fingftabenb gefagt hätte, e3 tarne
bie Seit, tdo ich i» eiuem ber fchönften Käufer ber ©tabt
iBaben, bei meinem greunb 3ftaj Reichert, mahnen, <£h<"it*
pagner traten unb S)eli(ateffen genießen bürfte, ben hätte
ich für einen 2ttärcheneraähler au3 „Saufeub unb eine
Üflacht" gehalten. —
3u ben Hintermännern meiner ftlaffe gehörten auch
ber fcfjon genannte ©ifclc au§ (Ettlingen unb ein Seicf
au3 ftretburg. -3JUt ihnen mufjte ich einmal im ©ommer
oon 12—1 Uhr in ber ©djule bleiben. 2öir hatten beim
SnccumSlehrer Stauch ein ©ebicht gmar auSroenbig gelernt,
aber nicht in bem r»on biefem $erra bamalS fchon fcharf
accentuirten preufjifchen S)talett h^tfagen (önnen, weil
biefe (Sprache ben babifchen 3Jtenfchen in jenen Sagen
noch nicht fo geläufig mar wie heute.
3113 ber SuceumSbiener un§ eingefchloffen unb in
feinem (ratjbürftigen ftaiferftühler ^biom 1 ) oa 3 obligate
JBo, höb* ich wieber einige Sßögel" — angerufen h a ^e,
beriethen mir brei, n>a§ mir anfangen wollten, wenn ber
*) ©d)itt mar auä Dber&ergen am Äaiferftufjl.
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— 68 —
naljcnbe ©djlufj beS ©djuljafaeS un3 juni „SHepettren"
oerurt^eileu foOte. ©ifele, ein alter, breitet $nabe mit
einem ©ofrateSfopf unb fcfylotternben änieen, eutf^ieb fity
für Eintritt in bie SQSeberet unb ©pinncrei feiner $8ater*
ftabt, unb Söeicf, ein fcfjlanfer, blaff er Jüngling, ber mit
ber 3unge etwaS anfttejj, fprad) bie Wtcf)t au3, &u ben
Dragonern ft$ wenben &u wollen. 3$ getraute mir nidjt,
otjne 2ßiffen ber @ltern einen $lan su madjen, unb er*
Härte: „3$ gefje Ijeim, unb bann fotten fic mit mir machen,
wa§ fle motten." 2llle brei Ijaben, als bie ßataftroplje
eintrat, if)re (Sntfdpffe $ur 2lu§füf>rung gebraut 1 ).
©dfjon mehrere Sage cor ber offiziellen Sßertfyeilung
ber ^eugniffe ging in ber klaffe ba§ ©erüdjt, e§ müßten
fed)§ Sttann ft^en bleiben. ©o mar id) fd)on etwas oor*
bereitet, als ber 23. Sluguft beS ^aljrcS 1853 Ijeranfam.
3ln biefem Sage, einem S)ienftag, fanb in ber ©d&lojtfircH
meiere, bem Sqceum gegenüber liegenb, unfer fiänbtgeS
©Ottenaus war, ber feierliche ©dt)lufjgotteSbtenft ftatt.
%tt geiftli^e $rofeffor Nicolai ftimmte baS Sebeum an;
mir aber war'S nidjt umS ©tngen, benn nad) bem Sebeum
fottten bie ßeugniffe tiertljetlt werben. 2Bie ein armer
©ünber fdjritt id) aus ber ftirdtje meinem ftlaffenaimmer
ju. ©leid) barauf juefte ^rofeffor S)onSbad& ba^er mit
— ben ©nburtljeilen. „2BaS bumme unb faule SBuwe a>
wefen ftnb, bie müffen fttjen bleiben." SJcit biefen 2Borten
fing er bie SSert^eilung an. S3eim breije^nten begann baS
ftepetiren, unb i$ mar ber meraefjnte, abermals um einen
aoancirt, aber baS ©d)icffal hatte mich bodj erreicht. „§an^
jafob", fprad) ber ^rofeffor, inbem er mir mein ^eugniu
gab, „bu tonnft baS ©tubiren auffteefen, fonft mu&t bu
>) SBetcl ftarb cor Sauren fd^ott a(S 3a$lmei1ier Beim SWü
tdr; oon <$ifele §ab' id) fpäter nie me§r etroaS gehört.
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nod) heiraten auf bem figceum, fo alt wirft bu!* $te
9Jtitfd)üler Iahten, unb idj ftarrte metnenb in mein %ob&*
urtyeil, ba3 ba lautete: ,3Ruß repettren."
(£§ gibt 9lugenblicfe im 9ttenfc$enleben, in benen mir
unfern ganzen Scelenauftanb, getrennt r-om Setbe, als
Dbjeft oor un§ haben, unb p folgen Momenten gehört
jener, ba ein fleißiger unb ftrebfamer Sd)ülcr e§ fdt)rift*
lidj oor ftd) hat, baß er unfähig fei jum SÖBeiterfommcn.
Süßem oolleS feelifche§ ©lenb lag, mä^renb ich in mein
^eugniß flaute, gleidtfam in bem Sttaum jroifc^en bem
t-erhängnißoollen Rapier unb mir Unglücfltchem.
D ihr alle, bie ihr fdjon oon bem Soofc beS „Dtcpc*
tiren3" betroffen roorben feib ober e3 noch werbet, id)
fenne eure Situation unb oerftehere euch als duftiger
SeibenSbruber meiner ooUjten Sympathie!
3h* ©Item aber, benen ein Repetent am Schliffe bc§
Schuljahre^ ^eimfommt, t>erurtt)etlt ben armen ftnaben
nicht, nehmt il)m nicht burch (Schimpfen unb ©gelten alle§
©^rgefü^l unb alle Hoffnung; benn auch au§ einem „Sitjen*
bleiber* fann noch etroaS 9techte§ auf erflehen!
9Jian hüte ftd) überhaupt in ben Greifen ber Altern
unb Selker, einen Knaben nach feinen erftjährtgen Stiftungen
in beurteilen. 3ftand)en SftenfchenfmbeS Talent liegt tief
in ber Seele ©runb ; e§ miß unb muß fttit haben, bi§ e§
an bie Oberfläche tommt. (£§ gleicht einem ©amenfom,
ba§ lange in ber <£rbe rul)t, bt§ e§ fetmt. Hnbere fließen
früh in§' ßraut unb fterben frühe ab. 2Ber treffe fäet,
hat in acht Sagen roaS ©rüneS, aber bi§ eine <£idt)el jum
93oben ^erau§fc^aut, get)f3 lange. $)tc erftere gibt nur
einen Salat, bic letjtere aber einen <£id)baum.
;Qch ^abe mele Stubenten gefannt, bie in ben unteren
klaffen ejcellirtcn unb in ben oberen, roo e§ an§ Kenten
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ging, al§ ©fei parabtrten unb eS fürs ganje Seben ge*
biteben ftnb. —
©ed)S ©tunbett nad) SSerfünbigung beS UrtfjeilS lag
an ber frönen, weißen Sanbftraße, weld)e von Dffenburg
auS baS Shnjigt^al burd)jiel)t, oberhalb beS S)orfe§ unb
©cfyloffeS Ortenberg ein junger Sflenfd) weinenb im ©Ratten
etne§ SlpfelbaumeS, fein £aupt auf baS „Ständen",.™
bem einige £abfeligfeiten waren, in tiefer Trauer nieber*
gelegt. 3)te9luguftfonne brannte glitfjenbfyeif* auf baS&mb
ringsum, aber geiget nod) fengte baS 2ßef) im bergen beS
armen Quartaners unb Repetenten, ber ermattet t)on<£lenb
unb #i£e auf ber £eimretfe luer nieb er gefüllten mar.
5)a tarn beS SBegeS ein junger, blonber ©err unb faf)
baS ©tubentlein, weldjeS bei fetner Slnnäfjerung ftd) er*
fjoben unb, fo gut eS ging, bie 9lugen auSgewtfdjt ^atte,
um ntd)t nad) bem ©runbe feiner tränen gefragt ju
werben. S)aS SBofyer unb SBojn'n ^atte fi$ balb ergeben,
unb weil ber £err bis ©eugenbad) ben gleiten 2Beg
machen mußte, lub er mid) ein, ifm ju begleiten.
9US er bemerfte, baß id) mübe unb elenb fei, nalmt
er mir mein 9tättydj)en ab unb trug eS felbft. Qm SBeiter*
gefjcn frug er mid) über mein ©tubium, in melier klaffe
id) fei, maS id) ftubiren wolle u. f. w. <£r fteUte feine
grageu fo milbe unb fyatte burd) feine freunblidje £ilfe*
leiftuttg bereits mein £>er$ fo gewonnen, baß id) nid)t
umfytn fonnte, ifrat meine ganje £age unter grauen ju
fd)übern.
3ltleS twm Anfang an, von ben ®aptanStagen unb
uom 9ientmeifter*werben*wotten bis gur ftataftropfye beS
SRepettrennnttffenS entquoll meinem IjoffnungSlofett Qnnern.
©djließlid) jog id) mein ,3 e ugniß auS ber Safere unb
präfentirte eS bem tfyeilnetjmenben Planne, unb ba er in
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— 71 —
bemfelben meinen fjlcig als gut be^et^net la$, mochte et
mir ade Hoffnung, munterte mich auf, nicht abjuftetjen,
e§ roerbe fieser noch gelingen , ich fähe feineSroegS auS
roie ein 9Jlenfch ot)ne Talent.
©o rücften mir in ba$ ©täbtehen ©engenbach ein,
roo mein ^Begleiter al§ 2lr$t roirfte. <£r verliefe mich aber
auch ^ier nicht fofort, fonbern führte mich in ben „93abi*
fchen #of" jum 23ter unb erquiefte mich nicht bloß mit
troftreichen SBorten, fonbern auch mit ©erftenfaft unb
©chmeijerfcB. ©ertlichen $)anfe8 noU nahm ich 9lbfchieb
oon meinem 5Bohltf)äter — ber fein anberer mar als ber
oor fahren in ßonftauj geftorbene DberftabSarjt a. %.
$?laig — unb roanbelte in ben^Ibenb hinein, thalaufroärtS.
Qe näher ich aber, jurifchen ben lieblichen Sergen an
ber ßinjig hi« oorroärtS fchreitenb, ber £>eimath fam, um
fo fummerhafter roarb idr) roieber. Oberhalb ©teinad)
tönten bie Slbenbgtocfen ber Sßaterftabt baS %\)dl herunter
unb griffen in mein ^erg fo ooll ber SBelnnuth, bafj idt)
abermals p meinen anfing unb roeinenb roeiterroanfte.
93or bem ©täbtehen, am Kirchhof, lief mir mein jetjt
längft tobter ©chulfamerab SRubolf ©oljer entgegen. ©r
liatte oon ber SJtuttet erfahren, ich mürbe heute eintreffen,
unb ba er, unter $ag§ al§ ©Treiber beim 2lmt3reoifor
fungirenb, 9lbenb§ gerne luftmanbelte, wollte er nud) auf
ber ©trage roittfommen heiftfn» ©ein erfte§ SBort, nach*
bem er mich gegrüßt, mar eine Srauerbotfchaft. ©§ !ommt
ja feiten ein Unglücf allein. „SDetn SBater*, fprad) er,
„ift ferner Iranf, man $at einen ^rofeffor oon ftreiburg
lommen laffen." 93on biefer trüben ßunbe roeiter rebenb,
gelangten mir gum $aterhau§ in buntler 9tod)t.
S)ie Sttutter mar beim SSater, ben ich nicht fehen burfte;
er lag in^ßhantaften. Qn ber©tube führte bie ©rofjmutter
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— 72 -
ba§ ©aeptcr. 8ein 9Jlenf* ^attc am crftcn Slbcnb £eit,
na* bem SKefultat meiner ©tubien $u fragen; aUeS war
nm ben tobfranfen SBater bef*äftigt.
©eitbem tcf> „©tubent" geworben, tyatte mir bic ©roß*
mutter ein eigenes Qxmmtx^n in ityrem $au3 eingeräumt,
in meinem t* roetyrenb ber erften ©tubienjaljre in ben
Serien f*Uef. 9lm SJtorgen na* meiner SInfunft trat bie
2lt)ne bei .gelten in mein ©ema* unb erjäfylte, bafj ber
93ater eine f*le*te ÜJla*t gehabt unb fte balb an feinem
2luffommen jroeifle. ©te fügte bei: „Qctjt roär'S am ©nb*
bo beffer gft, $)u warf* 93ecf roore; V Sttuatter $ätt' bemo
a ©*tüfc!" „©ro&mutter," erroiberte freubig ber Ctuar*
taner, „t* fann no* SBäcfer werben; benn mit bem ©tu*
biren tft'S bo* ni*t$. 3* mufj repetiren.* 9118 i* it>r
ba£2Bort#tepetiren erflärte, f*lug fte bie^änbe gufammen
unb fpra* — i* f)öre fie f)eute no* — •: „UmS Rimmels
miUe, 93ua, Ijet $i b'r ©aif*t ®ottc§ ganj nerloffe, unn
if* atT miS3ättc umfonf*t gft! 2)i ©ro&x>atter tf* b'r
g'f*eibf*t 3Jtann gfi im ganje^injigbaal unn$u f*le*f* l )
fo u& b'r 2Iart!" —
3* beroieS tfjr meine Unf*ulb unb geigte i^r im
«Beugnijj, bafc 3* c i& wnb betragen gut mären, roaS weitere
perfönlt*e Vorwürfe abhielt ©emeinfam wallten mir bem
$aterl)au§ ju, wo ber Butter bie £iob8poft mitgeteilt
mürbe. SBenn ein ÜUlenf* re*t tiefen, tiefen Kummer
bereits f)at, fo fommfS itjm ni*t barauf an, wenn au*
no* ein jweiteS Unglücf tfnt ergreift, ©o na^m au* bie
3Jlutter meine 9iieberlagc mit 5iemlt*er 2lpatl)ie auf. <£tnfi*
weilen befam i* $efet)l, in bie 93atfftube au wanbern.
£>ier Fjantiite an bc£ SSaterS ©teae ber alte „£ufa*er*
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— 78 —
33ecf", bem felbft boS SHefyl längft ausgegangen unb ber
non $ufen nad) $a§le gebogen war. 3$ warb jefct fein
SBäcfcrfnedjt in mand)' langer SRactyt.
$>er 9ttann war ba§ <ßl)legma unb btc Sangroeilc &u
<Pferb. Seine Siebe trod) im Sdjnecfengang Dom ÜUtunbe
roeg, unb ebenfo laljm n>at feine Sirbett, ^atte trau*
rtge Sage in jenen Serien. S)er Sßater fortroäljrenb be*
roufjtloS, tobfranf, meine 3^ un f^ büftet, bie SBacfftube
bunfel unb freubeloS, im £>aufe aüc§ roie tobt unb neben
mir bie meifte 3eit be3 SageS unb ber 9fad)t bie trüb*
felige ©eftalt be§ #ufad)er*$Becf$. Steine ßameraben flol)
id); benn fte rebeten nom „Stubtren*, unb banon roollte
id) nichts bören au§ guten ©rünben.
Sftttten in biefer Situation begegnete mir, um ba§
ÜDtafj be£ ©lenb§ Dottgumadjen, nod) ein leidjtfmniger
Streif, ben td) im Seben nie r-ergcffen werbe. <£ine§
SageS erfdjien in meiner Utoterftabt ein SRaftatter Sttit*
fcfyüler, ©ramüd) aus 3ftuggenfiurnt. (£r war glücf ltdjer
Oberquartaner unb machte eine Heine Serienreife. .Jjd)
lub Ujn ein, ben Sag bei mir gu oerbringen, unb mit if)m
unb mit be§ §a§lad>er SlcciforS $eter, ber in (Ettlingen im
&fyrerfemmar profperirte, warb etn3lu3flug unternommen
auf baS „£>ufad)er Sdjlofj". 3>ie3, eine SRuine au§ alter
3eit, eine Stunbe oberhalb $a$le gelegen, bietet prädj*
tigen SBlicf auf SBerg unb Sfjal; ju feinen ftüfjen liec^t
baS ftille, graue Stäbtdjen ©aufadj, nad) bem bie gürften
r-on gürftenberg f)eute nod) ben Xitel führen Herren non
£ufen im Sftnsigtyal".
©S mar ein lieblicher September^ac^mittag, als mir
brei Stubiofl, b. f). ein Dberquartaner, ein Seminarift unb
ein SHepetent unb $albbacfer, non bem nerroitterten ©e*
mäuer be£ einftigen Schloff e§ Ijerabfcfyauten auf bie fonnen*
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beglänjten ^luren unb SIBälbcr. %oty bie Sage ber ftnaben«
jcit waren niti^t mehr. SBenn ich bamal§ auf bergen unb
Burgen umhergetlettert war, erquicften ein ©tücf 33rob,
einige Slcpfel ober eine ©djüffel SUlild^ ben genügfamen
Knaben. £eute muffte im 2öirtl)3f)au3 bic ^ßoefte begraben
werben, bie td) oben in§ ^erj aufgenommen.
Stief brunten, unter ber SBurgruine, lag bic 33ier*
brauerei be§ „©pecfenhanS". S)er ©pecfenhanS aber war
in ben fünfziger fahren berühmt im ganzen %t)al als
ber befte SBiererjeugcr. §erren unb dauern fangen fein
Sob unb tränten fein SBier. 93ei ihm teerten bie brei
„2luch*©tubenten" ein unb wollten bie Stubenten fpielen
im Printen. Suftige ©efeUfchaft war fcl)on ba. ßochjeitS*
mufifanten, bie geftern im benachbarten SBergborf ©inbad)
aufgefpielt, uerfoffen unter Einführung thrcSftapetlmeifterS,
be§ ©cheerenfchleiferg r-on $a§le, ihren ©piellofnt unb
matten SJhtftt baju.
SBenn ein Stflenfch ferneren ©ram I)at unb biefen für
Slugenbltcfe oergifjt, fo wirb berfelbe alSbalb mit 9Jtad)t
wieber h^'oortreten, wenn er ^eitere 3Hufiü l)ört. 60
fähigen auch bie ©pielleute bei mir bie bünue SBanb burch,
welche ftch jwifcheu meine (Seele unb beu Hummer um
meine ©jriftenj gelegt. Qch fah jefct bie jwei glüctlicbcn
ftameraben t>or mir unb mich in meiner ganjen Unfähig*
feit, etwa§ 9ted)te§ ju werben. $n biefer ©timmung griff
ich — ba§ erfte unb ba§ letjte Sflal im fieben — jum
*8iergla§ tu ber Elbfuht, meine ©orgen ju betäuben. 3)ie
anbern trauten auS ßuft unb ich au§ Unluft, unb fehlte^
lieh waren alle brei fdjön betrunfen. ^ch ^ a ^ c oent ® am *
brinu§ al§ ©tubent tnele unb fchwere £)pfer gebracht aber
nie, wie bamal§ beim ©pecfenhan§ unter ber Burgruine
non „$mfen" — au§ Verzweiflung.
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93on ber abenblichcn Sierftube bt§ gum frühen borgen
im .ßtmmerchen bei ber ©rofjmutter roujite ich nichts mehr.
(£ift fpätcr erfuhr ich, bafj bcr „(Sichenroirth 4 ' oon Baufach,
bet meine ^erfunft burd) ben ©cheerenfchletfer crfal>ren r
un§ brei, unfähig jum ®ehen, fjabe heimführen laffen.
JJreunb ©ramlich, bet noch einige ^ohllidjter non ber SSer^
gangenheit ^atte unb bei mir übernachtet mar, nahm in
aller 3*ühe „SHetöauS", ohne ftcfj bei ber ©rofjmutter ju
uerabfehieben deiner allein ^arrte ein ftreng ©erid)t,
obroohl e§ in meinem ^nnern f chon genug richtete ; beim
e§ mar mir am anbern borgen noch oiel elenber ju 9fluth,
al3 ba ich au§ Unmuth ju trinfen angefangen ^attc.
Qrf) ging hinab in3 Vaterhaus* unb bat um ein gfrüfj*
ftücf. warb mir dou ber ©rojjmutter uerroeigert; fie
fammelte oielmehr alle meine jüngeren ©efdjnrifter, an ber
#ai)l fed)§, um mich, ber id) an einer $ifd)ecfe mich nieber*
gelaffen hatte, unb $lafc ftnb heute noch unoer*
änbert, roie in jener ferneren ©tunbe. £)ie braoe 9Jtuhme
aber begann r-or biefen ©efchroorenen: „$0 b'fdjaut ben
©dmnbpfohl non unferer Familie, ©efdjterb Dbe 2 )
|etm fte en ^eimbroc^t im gräfdjte*) 9tufch. $)er Vater
ifdj uf ben $ob franf, unb ber Vua a 8ump. @r ifd) a
Stomp unb blibt a fiuinp, foufd)t tönnt er in benne Um*
ftänbe fei fo Schanbftreid) mache!"
Verhüllten Angeflehtem lieg ich atteS über mich er«
gehen; benn ich fühlte meine ©d)ulb fo fehr, bafj id) nid)t
mehr meinen, fonbem nur au§ tief fter ©eele ftöhnen tonnte.
9lu§ ihren 5lugen t>erroic§ mich fobann bie ©rofemutter,
*) SBetbc GJcfäfyrten jenes SageS fmb fett melen 3«^en tobt,
©ramlid) ftar& a(3 Pfarrer unb *ßeter als @tfenbaf>nbeantter,
*) Slbenb. ») arö&ten.
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— 76 —
unb nüd)tcm mufjte id) mit bem „^ufadfer^ecf auf bett
„Sörüel* l ), um DefjmbgraS bürr gu machen. 9Jtem SJtit*
arbeitet, in JJigur unb Sftebe ein falber ^alftaff, fam aud)
auf mein geftrigeä Unglücf gu fpredjen unb fud^te mid) mit
folgenben Söorten gu tröften: „3)efj muß ®i nit tränte;
bim ©pecfefanS fjet fd)o mancher a SHufd) g'fjolt.*
$)ie nädE)ft fommenben $age meines jungen Sebent
mürben immer trüber. %a& <§htbe ber Serien nafytc.
SBäcfer gu werben fdf)ämte idj mid) eigentlich bod), weil td)
im gangen „©täbtle" r»on meinem ©tubiren gu mel SRumor
gemalt fjatte in ben $aplan§tagen, unb nad) Dtaftatt gu
getjen unb in meiner gangen Sänge gu nodj fleineren
(Schülern gu fttjen al§ im vergangenen ©dfjuljafyr, fdiämtc
ic$ midj abermals. Qu allebem mußte td) nid)t, roie SHutter
unb ©roßmutter, bie midO jetjt feines 2Borte§ mefjr roertl)
gelten, ftdfj entfdjeiben mürben.
$)er SBater lag immer nodf) bejhtnung§lo§, unb bie
Slergte umftanben fnlf lo£ fein Sager. 5)a nafrni bie SJcuttcr
ifjre gufluc^t g ur „9Utenljetmer SBunberboftorin", einer
proteftantifdjen Bäuerin, roeldje jeben ©amftag gu Offene
bürg in ber „SBieben", einem SBirtl^auS, gu fprect)eit
mar. $)iefe t>erf)ieß, ifyre „(srnnpatfjie 4 ' fpielcn gu Iaffen ;
aber bie gange Familie foflte mitroirfen, unb biefe 9Jlit*
roirtung beftunb barin, baß mir ocr)t $age lang bei SBaffer
unb S3rob jlrenge faften unb bagu eine beftimmte 9lngaf)l
(lebete nerricfyten mußten.
9Btr ftinber tljaten'S alle mit ftreuben, bem SBater gu
lieb. 3$ erinnere mid) aber nod) lebhaft, roie ftavfcn
$unger id& litt unb mit meiner 53cgierbe icfy ba§ Gtücf
Gdiroargbrob 9Jlittag§ unb 5lbenb§ oergefyrte. SJteine gute
*) (Sin ©eroannname.
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Haltung roäfjtenb bicfer SBufmbung h<*tte mir baS fetri
von 9Jtutter unb ©rofjmutter wieber gewonnen. 3)ie9Mucrtn
oon 3lltenheim hatte, waS richtig eintraf prophezeit, ber
23ater werbe nicht fterben, aber auch nie mehr ganj gefunb
werben. ^Daraufhin befchloji bie Butter, bie ©äderet auf*
jußeben unb mich nicht ©äefer werben $u laffen. 3$ fei
au&erbem noch jung, um ihre ©tüfce ju fein; man
probire am beften nochmals baS ©tubiren. 2ftir war's
eigentlich auch recht; benn icf) ftf)ämte mich weniger, wieber
in tftaftatt ju erfcheinen, als bat)eim bleiben &u muffen.
3<h 50g bie Heinere ©chanbe ber größeren oor.
$te fromme ©rojjmutter moUte aber noch überaatür*
liehe Littel anwenben, bamit ein „befferer ©etfi" in mich
tarne. Qch mufjte, trofc ihrer früheren 23erficherung, mid)
nicht mehr mitzunehmen, eine Wallfahrt mit ihr machen
nach frem zwei ©tunben oon ber ©eimath entfernten Stäbt-
chen 3cU am Sarmersbach/ wo bie 2ttuttergottcS ^ur
Letten" oerehrt wirb. Unter SBeten unb ^rebtgen ber
guten Slimfrau langten wir in ber SßallfahrtSfirche an,
unb ich betete fo lange unb fo anbächtig, als es mir mög*
lieh war. %it ©roftmutter war aufrieben unb l ehrte oolier
Hoffnung für mich oon ber SBkUfahrt heim. SBenige Sage
barauf rücfte ich wieber gar fleinlaut in föaftatt ein.
3llS mich ^rofeffor Honsbach am erften borgen in
ber klaffe fah, wo ich 25 n *ue Schüler unb brei 3ttit*
repetenten getroffen hatte, rief er hellauf: „©idjff be, ber
£>anSjatob ifch e wibber bo, ber lagt fich nit abtreiwe!"
$d) mufjte auch liefen ©pott hinnehmen oon bem alten
(Secfen. Sttehr benn awanjtg Qahre fpäter, er war fd>on
penftonirt, humpelte er einmal nach einer ©tfcung beS Sanb*
tagS auf einer ©trage Karlsruhes auf mich ju unb gratu*
lirte mir, bajj id), fein ©djüler, eS jum 3lbgeorbneten unb
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©djriftfteUer gebraut f)ätte. ift eben bod) f)ie unb
ba gut, £err <ßvofcffor," meinte id), „wenn man ftdj nidjt
fo leid)t »abtrciroC lä'fct", unb erinnerte ifjn mit allem
$ttmor an obige 9lcben§art. —
3>od) je^t ging'3 in ber Schule balb anberS. (£§ be-
gann aUmäl)Ud) ju tagen in meinem äopfe, bie ©egeu*
ftänbe maren mir nid)t mef)r fo roitbfremb, unb mein größter
©egner unter ben Seljrern, ber Snceum§lef)rer Ütaudj, mar
au§ ber klaffe genntfjen unb fyatte bem ebenfo jungfräulid)
fdjöneu al§ milben £ef)ramt§pratttfanten SJlaier *ßlat> ge*
mad)t. ©d)on an SBeifmadjten mar id) ber fcc3t)ftc unter
28 ©djüleru, unb froren 3Jtutf)e§ faß id) ben SBtnter über
miebec unter benSBeibern be§ £aufe3 Söraun unb bei feineu
Scfyufteru. $lber „bie ßa^e lägt ba§ Staufen nid)t, menu
fie e§ einmal angefangen", unb fo rourbe aud) im ©tiüen
roteber öfter§ „getneipt". $)ie S3tergenie§ oom oorigen
Qaf)re maren aber nid)t me!)r in ber klaffe. Steine Kollegen
in ber Bierbrauerei ©iebert im „$)örf el" mürben jetjt einige •
©olbaten au§ berSBaterfiabt unb ben umliegenben £f)älern.
W\t meinen 9Jtitfd)ülem t)atte id) feinen ftänbigen Um*
gang, unb roenn id) aud) Öfters mit einzelnen oerfefjrte,
fo maren e8 meift bie „minberen SBrüber" unb meift ge*
borene föaftatter. #u btefen gehörten mein luftiger ftreunb
£etnrid) £irfrf)mann, je^t SWafirer in fetner Sßaterftabt,
unb 8arl SBeber, fpäter ©dmeiber, tyeute aberSBillenbeftfcer
unb Rentier in JJrciburg. 9lud) einige <5öfme $3rael£
fanben ftcr) unter ifmen, fo ber ftille fieopolb ©belfdnlb,
immer oor ftd) f)tnträumenb roie ein ©elcfyrter beS %aU
mub, unb ber gefunbe, ImubelSfräftige 3)aoib 3Jlaier, beibe
au£ ber ©djmabengaffe. ©ie führten mtd) aud) gum
erften SJtal in eine 6unagoge.
©3 fjat mid), obrooljl fojial 2lnttfemit, nityt roeuig
-
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— 79 —
gefreut, al§ im ©ommer 1892 ein ftarfer, großer, frember
9Jtann in mein £au§ trat unb fia) mir oorftetlte als $>aoib
s U}aier, jetjt Seberhänbler in Strasburg.
S)er @rfte unter un3 in ber klaffe unb in ber
©leganj be3 Auftretens war ber 1882 ocrftorbcne 9k--
gierungSrath ^efenbecfh, ©olm eines 9Hüitärbeamten. (Sr
roolmte unroeit von mir an ber 9tturg in einem fdjönen
§aufe. $ch fah ifm bisweilen auf bem SJturgbamm, aber
ber blaff e, feine Storl paßte ju mir roic ein Slanarienoogel
ju einer SBalbfrähe.
SJkin ©eimroeh ^atte ftch mehr unb mehr oerloren.
5(ber gleid)n>ohl fdjaute id) an ben Stonncrftagen, roo 9ia>
ftatt SBochenmarft hat, fleißig nach, ob feine £a3lad)er
JJrucfytfjänbler ba mären. 2ln ber nörblichen, rechten (£cfc
ber ^ßfarrfirche Ijatte fkt§ SDkifter SBraun feine ©dmhe
feil, unb ilm fragte ich juerft, wenn um elf Ufjr bie ©chule
au§ mar, ob er feine £a§lad)er gefehen; bann falmbete id)
auf fte im „Karpfen" ober in ben „brei Königen". 9lm
meiften traf id) bie JJrud)tf)änblerin s Jkumaier oulgo „bic
müfte Ukumaierin", ein Sttanmoetb, ba§ mir manchen ©djop*
pen bejahlt unb manche 9kuigfeit auS bem „©täbtle" ge-
bracht hat in jenen Sagen, unb ba§ id) beßhalb gar f d)ön fanb.
$ie Serien biefe§ (Schuljahres 1853—54 mürben burri)
meine günftige (Stellung in ber Sdjule jefct auch beffer.
3tf) fam aber roährenb berfelben in einen fußen ©djlen*
brian, ben felbft bie anbauernbe $ranfheit be§ SBaterS unb
ber baburd) bebingte Sftücfgang unferer Jamilie nietjt roe*
fentlid) ju ftören oermochten. S)er SSater fonnte jroar
mieber fteljen unb gehen, aber er mar unb blieb für im*
mer ein gebrochener Sftann. 3)ie ganje Saft be§ £au£*
toefenS ruhte auf ber Sttutter. $)iefe prebigte jebod) tauben
Of)ren, wenn pe mir oon ihrem Kummer fprad). ^dj
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wanberte ben gangen Sag über in fjclb unb SBalb, lag
im£crbfi \)albt%a$e lang auf beu Slcpfel* unb »Jmetfchgen*
bäumen unb lieg fünfe g'rab fein. 2ln ©onntagen aber
warb mit meinen alten ©dutlfameraben in bie SBterhäufer
gebogen unb Siegel gefpielt. $)ie Söäcferei war im $8ater*
fyaufe eingegangen, unb fo hatte ich feine 9Gebengefchäfte
mehr. —
3$ mujj fner ein &>b beS weiblichen ©eföledjteS ein*
fdjalten. SJleine ©chmeftern, fämmtlich jünger als ich,
halfen ber 3Jluttcr ihre ©orgen tragen mit ad* tf)rcn
fchwachen $räf ten, unb währenb ich in afteroeg ben^SBruber
Seic^tfmn 4 ' fpielte, Ratten fie tiefet SBerftänbnifj für bie
Sage ber Familie, ©3 fränfte fxe befftalb jeweils fehr,
wenn bie Sftutter bei meinem Weggang noch bie fchön*
ften Slepfel be§ ©artend in eine ßifte paefte unb mir mit*
gab. ©te glaubten, biefelben eher oerbient ju höben al§ ich.
3a) war unb blieb eben, trotj aU 7 meines SeichtftnnS,
ber ©tolj unb bie ©offnung meiner braoen 3Jtutter. Unb
gar oft baute idt) unferm Herrgott bafür, bajj er mir ge*
Rolfen hat, bie Hoffnung ber Schwergeprüften nicht &u
täufchen. —
S3eim ©djluffe be§ jweiten CLuartaner'QahreS war io)
ber dritte gewefen, unb bod) trat ich mit trüben Slfjmmgen
in bie Dberquarta; benn tytx war ber mbefc jum Sßrofeffor
aoancirte SuceumSlehrer SRauch ©hef *>er klaffe.
3Jtem Vorgefühl ^atte mich nicht getauft: baS jetjt
fommenbe Qahr würbe für mich ba§ troftlofefte meiner
gangen ©tubienjeit. Stauch war ein £urann gegen alle
feine ©chüler; er hatte feit fahren manchen oerswetflungS*
oott au§ feiner klaffe unb auS bem ßoceum oertrieben,
manchen, ber heute ein tüchtiger Beamter oberßirchenbiener
wäre, fo aber unterging im Seben. <£§ waren bamalS bie
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§ahre bet politifchen IReattioti in aßen ßroeigen bc3
öffcntli^cn Sebent unb beßhalb fonnte ftch jener ßefjrer
alles erlauben gegen feine 6d)üler; Älagen oerhaUten
»ttfungSloS.
SÖBie ein fcataren^äuptling unter feine ^einbe, fo
ftürmte er jeweils in ba§ ftlaffensimmer, roo nnr alle, fammt
unb fonberS, ihn erwarteten , al§ ob er töme, um unfer
£obe§urtheil ju fällen. 2luf feine ©tunben Ratten wir eine
2lngft, als ob ein genfer fäme, um un3 jur Jolterban!
%w führen, ©iner con un§, jefct babifcher 9flebijinalrath,
ein ebenfo fleißiger al§ begabter ©djüler, befam oor
3lengften jeweils ba§ „£ergroaffer" unb mußte ba§ 3immer
cerlaffen. ©r erhielt be^albbenSereoiS^amen^Sßäfferle*.
eine ©efunbe ließ 9taucf> einem Stüter £eit,
um ftd) auf eine oon ihm geftellte grage ju beftnnen. ©o*
fort brüllte ber tieine, ftämmige, fahttöpftge, wilbäugige
^ßrofeffor unter feinem (Schnurrbart heroor: „3)er JJolgenbe,
lüberlidjer ©efette!" unb fo faufte e§ burch alle Söanfe
Innburch, wobei er jebem einen ©trid) in feinem S^oten*
buc^ machte. 2öenn er aber jeben ©chüler malträtittev
fo befam ich bie CLuinteffenj feiner fcurannei.
3Jlan !ann im £eben oft bie (Erfahrung machen, baß
fleingemachfene 3Jlenfa)en bie großen nicht leiben fönnen.
60 hatte auch ber furje Stauch auf mich lang aufgefchoffe«
nen Jüngling einen £aupthaß. 3$ mochte meine beutfdje
ober lateinifche Aufgabe noch fo gut gelernt ha&en, ich
mar unb blieb eben immer ber faule, lüberliche ©efette.
Qa e§ fam nor, baß er mir am (Smbe ber ©tunbe 9trreft
bif tirte, tro^bem bie fämmtlichen 3Jtitfchüler bezeugten, ich
hätte ja feine fragen alle richtig beantwortet ober boJ
ju Sftemorirenbe buchftäblich ^ergefagt.
2Bir mußten alles, wa3 mir au§ ©äfar unb Dmb
$on*ia*ob, ©tubienjett. 6
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überfetjten, mörtlidjauSroenbig lernen, eineunftnmge^dn'n*
beret, bie jefct nod) grafftren foCL SBenn bie römifdjen
^tafftfcr müßten, wie bie jungen ©ermanen, ftatt ben
©eift unb bie ©djönljeit ber Gilten fennen ju lernen, mit
gormcnfram unb SBudjftabenbienft geplagt werben, fte
mürben fid) im ©rabe umbrefyen über bie barbarifdje ©cfyul*
meifterei, ber tfyre SBerfe oerfallen fmb. 9luf biefe s 2lrt
werben §unberten bie »Iafjlfet entleibet; fte ftnb frof),
menn fte ntd)t§ metjr baoon frören unb feljen müffen, unb
üerfaufen bei tyrem SBeggang oom ©omnaftum felbft bie
53üd>er, roeld)e fte ja nur an Dual unb Holter erinnern.
S)em Gimmel fei 3)anf, bafc er mir menigften§ groet
ober brei oernünfttge ^ßlnlologen auf meinen ©tubtenrocg
\anbte, fo bafe td) Ijeute nod) ber flafftfdjen ©tubien im
grofjen unb ganjen mit Jreuben gebenfen fann.
3Jlein einziger Sroft in jenen Sagen alSDberquartaner
mar ein Sttann, ber fonft bei feinen ©djülem ob fetner
Strenge unb feiner garten formen oerfyifit mar, etnSJtonn,
ber allein bie Urfadje mürbe, bafj ntdjt aucf) id), mie oiele
oor mir, bem ©tubium £eberoof)l gefagt Ijabe, um ben
Quälereien beSgenannten Se^rerS ju entgegen, ftiefer £>err
aber mar fein anberer als ber gefürdjtete £uceum3bireftor
Getraut, oon ben Sncetften bamalS allgemein „©fcel" ge-
nannt. $)ie ©cpler ber oberen Klaffen Ratten ifmt biefen
tarnen gegeben, inbem fte feine ©arte mitberbe8£unnen*
fönigS Sittila (©fcel) oergltdjen. <5djon um biefeS einen,
von mir in ©ollem 9ftaße oeretyrten SJlanneS miUen follte
td) bie *ßreufjen lieben; benn er mar ein SRfyeinpreujje, im
3al)re 1850 oon Wcnfa roo er SHeftor be§ *ßrogumnaftum3
geroefen, nad^ OTaftatt berufen.
Sdjraut mar ein <pinlologe oon ©otte§ ©naben, unb
menn aud) nidjt frei oon rl)einpreufjifd)*pf)ilologtfd)er
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©ilbenftecherei, fo trieb er biefelbe boch im hödjften ©rabe
geiftreid) ttnb originell unb rourbe bcmeben ber innem
©chönt)eit ber lateinifchen unb gric^ifc^cn ©prache ooU»
auf gerecht.
31B er nach SKaftatt tarn, traf er oon feinem SBor*
gSnger unb oon ber eben beenbigten Dfaoolution ^er an
ber 9Inftalt mannen ©d)lenbrtan, bem er fdjarf ju #eibe
ging, moburch er fid) bei Sehrern unb ©chülem unbeliebt
machte. ($r ^atte babei einen JJefjler, ben ich mit ihm
theile: er mar fefyr fanguimfchen Temperaments, barum
jähzornig, unb in biefem .guftanb majj er namentlich feine
SBorte nicht recht ab. ©r fd) impfte in ben fräftigften Süßen
unb rebete babei ben Delinquenten nur per „®r" an.
°$d) habe ben 9ftann gu lieb unb Ijalte, im ©egen*
fafc &u faft allen feinen iftaftatter (Schülern, fein $ln*
benfen gu ^od) in &fyxm, fonft mürbe id) eine ©ammlung
feiner originellen Schimpfereien anfügen. ©te mürben
©hatefpeare§ gleichartigen 9leben§arten nahe fommen.
Dag er ©ageftolj mar unb blieb, trug jebenfalB oiel gu
feinem menfcljenfeinbüdjen SSefen bei.
2lber abgefetyen oon biefen berechtigten unb unberech*
tigten ©igenthümlichfeiten mar ber Direktor ©chraut ein
SKann oon eminentem ©eifte, oon tiefftcm philologifchem
SBiffen unb für ben gelehrigen unb aufmerffamen ©chüler
ein ganj oorjüglicher Sehrer. ©o fchlimm manchmal feine
gunge häufte, fo gut mar fein £er$, wenn e8 ©rnft galt
Qch fyaht mit manchem talentarmen Äameraben baSSnccum
abfoloirt, feinen oon ihnen hat ber Direftor in ben oberen
Klaffen oom ©tubium oertrieben, fte aUe mürben promooirt
unb gelangten gu einer ©jifteng. ©ierin mar ber *ßrofeffor
föaud) gerabe fein SBiberfpiel. SBei biefem Fant atte§
aus böfem £erjen, bei ©chraut aber au§ gutem.
6*
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$er $)ireftor hatte befchloffen, mit Beginn be§ (schul*
jahreS 1854/55 einmal oon Dberquarta an bi§ jur Ober*
fertaein unb berfelben klaffe ben grtechifchen Unterricht 51t
erteilen, gum ©lücf bei allem Unglücf traf mich jene§
Qahr al§ Dberquartaner. D^ne biefen ©ntfchlufc be§ %\t&
tor§ rocire id) fidjer ju einem ^anbmerf ^eimgefe^rt. Schon
nac^ bcn erften ©tunben hatte er mich lieb geroonnen nnb
blieb mir, trofc meiner fpateren ©treibe, ftet§ geroogen,
folange ich am Snceum meilte. Manchmal, wenn er Stach*
mittag^ com „ßreus", roo er fpetfte, junt Suceum hinauf*
fchrttt, roä'hrenb ich bangen £er$en§ ben gleichen 2Beg in
bie klaffe be§ ^rofefforS föauch machte, legte er mir feinen
2lrm auf bie ©chulter unb ging fo mit mir bi§ jum erften
ber alten Sinbenbäume oor ber 9lnftatt, mich tröftcnb
unb ermunternb. <£r wollte ober tonnte ben Suranneicn
unfereS SUaffenlehrerS nicht entgegentreten; aber mehr al§
einmal Itejj er mir burch ben alten ©chiU ©petfe anbieten,
tocnn ich über Wittag Sttrreft hatte ober er befuchte mich
unb trocfnete mit freunblichen SBorten meine Shtönw«
2113 ich im Frühjahr 1855, überfatt ber fteten (Sujo*
nagen, ben Stteifter »raun juni SHreftor fchicfte, um ihm
meinen Abgang oon ber Slnftalt unb meine SRücftehr in
bie ^eimath anjutünben, ba mar ©djraut e§, ber mit
aller Sttacht gegen biefen ©ntfchlufc auftrat. „«Der Sunge
hat entfchiebeneS Talent, unb roenn e§ erft fpäter fommt.
Schreiben Sie feinen (Sltern, feinem SBitten ja nicht nach*
augeben*, fo fprach er unter anberm &u meinem
lifter". SJlich fclbft brachte er burch bie 9tu§ftcht auf eine
bcffere gutunft unb baburch, bafc er mir bie Befürchtung
nahm, noch einmal repetiren ju müffen, jum Bleiben.
2lber e§ mar noch eine ^ci^c, tränenreiche geit, bi§ ba§
Qualjahr p ©übe ging.
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Qn bcr neueften >$tit pflegen ©dniler, bie nom Setjrer
fid) malträtitt glauben, gut Sßiftole gu greifen. 2Benn
id) feinen anbern SBeweiS bafür f)ätte, wie fcfjr feit breiig
Sauren unfere Qugenb an moralifcrjem JJonb oerloren fjat,
fo märe btefe eine Xfyatfacfye SBeroeiä genug. Qd) bin bet
feften Uebergeugung, baß fyeute fein ©cfjüler mein; traftirt
roirb wie wir bamalS in ber Dberquarta, aber an ©elbft*
morb aud) nur gu benfen, wäre feinem oon un3 einge*
fallen. ©in foldjer ©ebanfe lag uns unenblid) ferner
al§ bem £ergen unfereS £laffenlef)rer§ bie 93ttlbe, unb
bie war fjimmelwett tum ifjm n>eg. 2öir Ratten un£ nid)t
einmal getraut, bem 2Bütf)eritf) aud) nur bie Jenftcr ein*
gumerfen, fo große Stoiber waren mir.
ÜNoa) einen Sefyrcr muß itfj erwähnen, ben id) in
Dberquarta befam unb behielt bi§ gu ©nbe meiner ®nm*
nafiatftubien. ©§ mar ber ^ßrofeffor ©iftnger. ©Sebent
SSolföfdjullefjrer, hatte er fpät bie afabemifdfen ©tubien
ergriffen unb ftcf) gum fyöfjern fief)rfad> f)eraufgemad)t.
©r gab tum Dberquarta an in allen klaffen ben
naturroiffenf^aftlic^en unb matf)emattfd)en Unterricht in
befter 3lrt.
ßein Sefjrer an ber gangen SKnftalt wußte flcf» fo burd)*
weg, oljne jebe SBlöße, bie 2ldjtung ber <5d)üler gu oer*
fcfyaffen, wie ©ifinger. ©in großer, fdjmaler 9ftann mit
unfrf)önen, eruften ©eftdjtöjügen, machte er nidjt ben ge*
wmnenbften ©tnbruef. ©in Anflug non £eiterfett übertam
ilm nur, wenn er bt§wetlen einen troefenen, in ber SRegel
etroa§ berben SBitj losließ. 93or feinen ©djülern ftunb er
n>ie ein ©arbef elbwebel oor 9lefruten ; aber e§ mar nicfjt
bie 2lngft oor bem Zuraunen, ba8 jene erfaßte, fonbern
ber Sftefpeft oor bem tüchtigen Sefjrer. Selber waren unb
blieben bie meifteu feiner ftäfyx meine größte <Sd)wäcf)e;
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id) lernte feine Aufgaben nur medjanifd), beut ®ebärf)tniffc
nadj, tfym ju lieb, aber olme jebe§ innere SSerftäubniß.
%n ben oberften klaffen, mo id) unter bie erften &äl)ltc,
brachte id) e§ nie jur -ftote gut in Sttatfjcmatit unb
tftoturlcfjre. ©ut ging'3 nur in ber -ftaturgefd)id)te.
6<$on in ben jroci erften ftlaffeu be§ £nccum§ mar
befftalb meine SBorliebe für ben aufünftigen „tflentmeifter"
gejdjrounben, als id) gelegentlich einmal uernommen, baft
beffen Hauptberuf nidjt ba§ (£l)aifcnfaf)ren fei, foubern
ba3 ^Hec^nen, meine £auptfd)mäd)e.
Qn biefem Gomiuer ber Dberquarta tarn id) jum
jroeiten s JJlale nad) $8aben*33aben. 9Jlein SBater f)telt fid)
einige ,3cit oor t au h um Heilung ju fudjen. ($r mofjnte
bei einem $8ud)btnber £aile, beffen §äu5d)en td) jetjt nodj
jebeSmal mit SBefjmutt) anfdjaue, fo oft id) in bie 33äber~
ftabt fontme. 2lud) biefer mein jroeiter SBefud) mar teiu
freubiger. Qd) traf ben SSater al§ eine SHutue beffen, maSer
geroefen, unb aud)99aben§ Spermen tonnten tfmt ntdjtfjelfen.
<£r tonnte ntdjt einmal nad) Dtaftatt tommen, um jtd) nad)
meinen Sßerfyältmffen umjufefjen, roa§ mir übrigeng lieb mar.
3d) n>ol)iite nun balb brei Qaljre iubem tkinm £aufc
am SHofjrcrfteg unb mar ein Ijimmellauger $8urfd)e oou
adjtje^n (Sommern gemorben, ^atte au $örperlchtge ge*
wältig, an 3Bei3l)eit unb StebenSmürbigteit aber gar roenig
zugenommen 3$ tarn uuu mit ben SBcibsleuten be3
Haufeg gar nidjt mefjr au3, rooUte 2lbenb§ nidjt meljr in
ifyrer dfcfellfcfyaft ftubiren, mir oon ber Sodjter ntd)t meljr
ba3 SBeSperbrob oorfdjneiben unb oon ber SJtutter nidjt
mel)r prebigen laffeu. -äfleifter *8raun nafjm ftd) jroar als
trefflicher £anb3mann unb $a3lad)er oft meiner an ben
iBeibem gegenüber, aber bei fetner regelmäßigen abenbltdjen
5lbmcfeuljeit brad) ebeu bog <ycuer immer mieber au3.
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3ubcm war eS cinf am geworben auf bemSJlurgbamm:
ber trompetet t^atte feine SBofjnung längft geroechfelt, unb
üon meinen Schufterjungen unb greunbeninber SBerfftätte
mar ein unb ber anbere ebenfalls oon bannen gegangen.
°$n bem 9ßachbarhäuSchen f)erbergte jetjt ein alter,
geifteSfranter SBauerSmann auS ber ©egenb von SBrudjfal
mit feinen fttllen Töchtern. $)er 33ater ^atte beimJJeftungS*
bau fein Vermögen üerfpefulirt unb ftch „fjinterbenft* ;
trübfmnig unb unheimlich faß er tagelang am fjenfler,
unb auS ben feiner #inber laS man nichts als
Kummer unb Sorge. ®achftübchen über biefer
milientrauer aber trieb bie ganj närrifch geworbene
Sdjioefter meiner ©auSfrau ihr Söefen. Sie fdjrie unb
fchtmpfte buchftäblich unaufhörlich $ag unb -Wacht gu ihrem
$enfter hinaus über ©Ott unb bie SBelt. 5)aS aUeS trug
noch weiter baju bei, mir ben Aufenthalt am SRohrerfteg
$u entleiben. Unb fo befd)loJ? ich *>enn, nächften
Schuljahr an ein anbereS Quartier p fuchen.
2)ie £erbftferien tarnen. Qch mar unter jroölf Sdjü*
lern ber fiebente, ^atte in ber griedjifchen Sprache beim
$)treftor bie Sftote gut, in ber lateinifchen beim Zuraunen
mittelmäßig unb beßhalb in ber letzteren Sprache eine s Jtoch*
Prüfung „tm Stnl" ju machen. Qch bin feft überjeugt,
ohne bie Vermittlung beS $)treftorS hätte ich abermals
repetiren müffen. Aber noch mar eS möglich, mich im
üftacheramen burchfaflen ju laffen. 2öer roeifj, bachte idj,
ben untern ©ang beS ßgceumS mit meinem äeuguijj
burchnmnbernb, roaS ber ftalmücfenhäuptling im Schilbe
führt? %a tarn oom sroeiten Stocf herunter ber $)ireftor
auf mich gu unb fprach: „Qunge, baß $>u mir mieber
lömmft; überfetje rofthtenb ber gierten täglich ein *ßenfum
auS Strebs, uub bann garauttre ich 3)ir für Uutcrqutnta."
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©etroft ging id) bet #eimat!) gu unb befolgte getreulich
feine 9ftaf)nung. Qeben $ag warb ein „Styl* gemalt
9Jiorgen§ in ber gfritye. $)te übrige 3 e ü gehörte fjelb
unb SBalb, ben SBerfftätten ber Mafybam unb alter
©d^ulfameraben unb — bem SJierbauS.
Sitte gerten meiner ©tubienjeit t)ab' id) einen grofjen
$ljeil beS XageS in ©otteS freier Üftatur jugebrac^t unb, -
nrie einft als ftnabe, bie SBerge unb Söälber burc^fheift.
3ln Regentagen unb in ben erften ©tunben beS SWa^mtt*
tag§ weilte i$, folange bie unteren klaffen be§ SqceumS
mid> ifycen ©fixier nannten, gerne in ben SBerfftötten
ber alten 9ßad)bam ober älterer Qugenbfreunbe, bie be*
reitS SJleifter ifyreS $anbraerf§ roaren. ©o fajj td) na*
mentlid) oft bei meinem f$xeunbe SHuf, bem ©djretner*
meifter in ber Sßorftabt. ®x fjatte nad} ber SReoolution
oor ben *ßrcujjen flüchten muffen unb längere ^eit in
ber ©djmeij gelebt, mar aufjerbem fe^r belefen unb im
SBefty eine§ ädjten ©ofrateSfopfeS. ©o Ijatte er baS 3eug
unb muffte immer etmaS ju ersten. Hm liebsten politi»
firte er unb machte bann in 9tepublit.
©ein ©egentfjeil mar mein roeit älterer 3*euttb, be§
„$erre*3od)em3 SBafdjttan", ber Heine ©d)loffer. ©r
fprad> gar ni$t3, Ijörte immer feinem Sefud) &u, lächelte
ftia unb feilte unoerbroffen roetter. Qx mar einer jener
in $a3lad> ^öd^ft feltenen 3ftenf djen, bie fein „gutes
Syiunbftücf" Ijaben, unb infofern fjatte er aus ber 2lrt
feiner SBaterftabt gefcf)lagen. @ine finbltdje 9latur all
fein ßeben lang, blieb er als ©reis nod) bie gleite, gute,
ftittc ©eele, unb tym galt baS Söort beS £eilanbeS:
*©eltg fmb bie Firmen im ©eifte, benn i&rer ift baS
£nmmelreid)" — f)übeu unb brüben.
$eute fmb beibe JJreunbe längft tobt. —
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9fr>d) jmb mir auS ben Obetquarta^erien groct ficf)
ganj entgegeugefetjtc (£reigniffe in lebhafter Erinnerung :
ber erfte unb letzte öffentliche $an$ in ber #eimath uub
eine 2BaHfaf)rt jur SJluttergotteS nach Anberg.
(£S war eine ©oefoeit im ^fiöroen 4 '; bie Butter
mußte auS ^ermanbtfehaftSrücffichten auch baju, unb id)
follte fte am 9lbenb abloten. 60 fet)r ich in meiner
Sfriabenjeit für bie ^odföeiten auf bem Sanbe fd)nwrmte,
100 ächte unb redete aSoltSmuftfanten ihr SBefen trieben
unb Sttännletn unb 2Beiblein mit Sträußen oerjiert
roareit, ebenforoenig tonnten mich jemals bie gleiten
geftlichfeiten „im ©täbtle" interefftren.
%ic £>aölad)er haben fonft oiel ^olfStfjmnlichcS unb
^oetifcheS im £etb, aber bei ihren £ochjeiten ging eS
ihnen oöUig oerloren. ©S gef)t babei „ftäbttfeh", b. i.
nobel, fteif unb ueumobifch f)er. 9iur etneS t)aben fie noch
gemein mit ben ^Bauern beS ^aleS: eS muf jebeS orbent*
lidje ^ochjeitSeffen „$ratn>ürfte, gebeijteS $leifch unb
Rubeln 4 ' enthalten, fonft fömmt bie ganje ©efcf)id)te in
SBerruf. $)aS märe ärger als ein .treimenbeS @l)et)inber*
nifj Iura oor ber Trauung.
3Hid) braute nur baS Söerfprechen ber 2Jhttter, mir
auf ben $lbenb eine $ratnmrft ju referoiren, pr $>och-
5eit. ^ad^bem biefe oertilgt mar, oetfügte ich mich auf beu
£an&boben unb flaute ju. $a überfam mich, roaS mir
foäter nur nod) einmal im geben pafftrte, bie Suft, aud)
gu tangen. $)och mit ben mir gleidfcalterigen Sttäbchen
roagte id) nicht, bieS ju tlnm, eingeben! meiner ftümper*
haften Seiftungen auf ber in meinen „Qugenbertnnerungen"
ermähnten „£opfenbarre" beS ftanonennrirthS. 3)a ftunb,
ich f c ^ fl* ^ute noch, einfam unb allein in einer ©efe beS
(SaalcS baS brauchen beS (Sattlers Slleranber (SanbhaS,
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— 90 —
meines altern ^reunbeS 1 ), bie Zodjter be§ „©iger*5Jticf)el3'',
ben id) in meinen $nabenjal)ren allzeit fuhrroerfen gefefjen
mit einem rotten Ddfjfen. 3)te engagirte td), nnb mit ber
tangte id) ben erften unb legten „god^ettStana" meines
£eben§. ©3 mar ein „©djottifci)". 3$ ^abe einige Qafjre
barauf nodj einen einzigen $anj auf einer $ird>roeif)e
getfjan, fern non ber ©cimatf), aber nad) bem römifd)en
©prtctyroort: „Nemo saltat sobrius" 2 ), nrie td) nod) be*
lichten roerbe.
SluffaUenb ift, baf$ id) im Sanken ein fo elenber
Stümper mar, roäfyrenb ba§ turnen meine befte Seiftung
am Snceum in SKaftatt mürbe, ©cfwn als Quartaner
erhielt id) einen $rei§ für gqmnaftifdje Seiftungen unb
blieb fortan ber erfte Turner in ber klaffe. —
kleine ©Item unb uorab bie ©rojjmutter befahlt ein
unerfd)ütterlidje3 ©ottnertrauen. 2118 beg^alb bie Söabe*
für bem Söater nidjtä geholfen fyattt, rourbe für feine
©enefung eine SBaUfaljrt befd)loffen. diesmal nad) Sri*
berg, roo bie 9ftuttergotte§ „jur Sanne" ein altes, niel*
befud)te3 £eiligtf)um Jfeat, unb roo mein mütterlicher ©rojj;
oater, ber „^älber^aoeri" 3 ) , als ©oljn etncS armen
$)red)sler£ geboren mar.
2lu3 einer Zaune Nörten uor ^aljrfjunberten öfter*
rctcf)tfcf)c ©olbaten roieber^olt eine (Stimme unb fanben in
berfelben ein 9Jcarienbtlb, bem heute bie 2öattfaf)rt§fapctte
oon Zribcrg, broben am SBalbe, gemeint ift. ©d)on $rin$
(SugeniuS, ber eble bitter, oere^rte biefe für ben ©djroarj*
roalb fo fnmig paffenbe „Sttaria jur Sanne".
») ©telje in meinen „SBitben ßirf<$en" baä Kapitel „«Die
©anbfjafen". *) SWemanb tanat, folange er ttüdjtern ift.
3 J ©teQe in nieinen „6dmee&aUen" bie (Sqäljtung „3)er ©feläbed".
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— 91 —
Qjcf) foHte ben SBater begleiten unb bet fecpftünbtge
2Beg jum größem 9iut}en ju guß gemalt roerben. Seiber
mar uuf ereincm bei biefer SBaQfa^rt bet 9lu§flug nad)
bem mir bis je^t unbekannten 3Batbftäbtd)cn roteber bie
§auptfacf)e. Slber bet gute SSater trug mehr SRütfftcht
auf ein junges, roettfroheS Sflenfchenfinb al3 einft bie
(Großmutter auf bem SQSeg nach (Sinfiebeln.
Qch mußte unterwegs nicht beten, fonbetn butfte un*
geftört 33erg unb Xfyal berounbero. 3>a, roährenb ber
Sßater, nad)bem mir unfer gtel erteilt, am fpäten 2lbetri>
nod) einige ßeit unb ben folgenben borgen ganj in ber
bunf ein, mir unheimlichen SBaUf ahrtSf trd)e jubraebte, f d)icf te
er mich felbft weg, mir £anb unb ßeute ju befehen. (So
Heiterte ich °cnn am raufdjenben SBafferfaU ()inauf # faß
ftunbenlang auf ben Reifen am Xannentoalb unb flaute
in bie tofeuben Sßeden unb hinab in baS bamalS noch ein*
fame unb menfchenleere <5täbtcr)en. 5He ftranfheit be3
SöaterS machte mir in biefen ©tunben roenig Kummer.
ift bieS eine (Srfcheinung, bie man oft im £ebeu
beobachten fann, baß junge £eute, namentlich Dom mann*
liehen ©efd)led)te, ftd) in ihrer ©eelenftimmung roenig beeitu
fluffen laffen oon bcit Seiben ber gamilie. $ch ^alte bieS
gar oft für eine befonbere ®uabe, bie bem jugenblichen
3Wenfchenher§en oerlichen ift. 2öa3 mürbe au§ manchem
•öteufchenfinbe werben, roenn früher Kummer unb <3ram
feine Sebcn§freubig(eit abtöbten mürben! $)er liebe ©ott
roeiß, baß e3 fpäter noch (Gelegenheit genug gibt, bem
armen Sterblichen gu geigen, baß er im „%t)aU ber jäh-
ren" roohne, unb Im* beßhalb bafür geforgt, baß ba§
#era ber Qugenb fo ftarf ift roie ihr 5Jtagen, ber ohne
SBcfchrocrben aKe§ oerbaut.
s Jiod) erinnere tdj mich, baß ber &ater unb id) im
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— 92 —
Auftrag bcr ©roßmutter eine SBafe in Sriberg befugten.
6ie war eine SSerroanbte meines mütterlichen ©roßoaterS.
$>iefe Sttulmie, eine fromme unb oermögltdjc Qunflfrau^
bie ifjre meiften Sage in bcr SBadfaljrtöfirdje $ubrad)te,
fragte inid) gleid), ob id) „©eiftlidjet" werben wolle, in
welkem ftaüe fte mir in iljrem Seftament ein „Sfoimfyaf*
te§" ausfegen mürbe. Qfd) tonnte unb wollte ilpc biefeS
üßerfpredjen aber ntd)t geben, worin mid) mein 93ater,
{ebenfalls ber SSernünftigfte ber ^ansjafobfe^en ^amilie
feit fmnbert Safjren, beftärfte. $6) fonnte frof) fein, baß
Butter «nb Großmutter nicr)t babei waren; benn ein*
mal erwarteten beibe mit 3uoer|td)t, baß auS mir ein
Pfarrer werbe, unb bann oerlieren SBeibSleute, wenn fie
oom (£rbcn fjören, in ber Flegel ben SBerftanb unb ©er*
fpredjen Sob unb Teufel, ©o fam id) um baS erfte unb
letzte „ große" ©rbe meinet SebenS.
$orf) ließ mid) bie Sriberger Öafe nid)t ganj leer
ausgeben, gmet ^aljre fpäter, $u einer ^eit, ba id& bem
dtambrinuS ad* meine £abe jutn Dpfer bradjte, fanbte
mir ein SftotariuS fünfzig (Bulben als SBermädjtniß ber
inbeffen oerftorbenen Jungfrau. (£S war bie SBebingung
baran getnüpft, „wenn id) je s $riefter werben foUte, für
ifjr ©cclcnrjctl gu beten".
3$ weiß nid)t, wem unb wofyin fte fonft i^r (Mb
„oermadjt* fjat, aber baS weiß td), baß feiner i^rer ©rben
fo feiig war wie id), als mir bie fünfzig Bulben in mein
bünneS £nceiflen*93cuteld)en flogen wie einem hungrigen
bie gebratenen Sauben beS <5d)laraffenlanbcS in ben leeren
klagen. 5lber id) backte bamalS lebiglid) ans Srtnfen
unb nidjt anS SBeten. ©päter jeboct) backte td) baran, unb
bis fjeute erfülle id) gar oft ben SBunfd) ber frommen
GottcSbraut oon Sribcrg, bie mir {ebenfalls Saufcube
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— 93 —
oermadjt f>ätte, roenn ftc beftimint genmfjt, ba& beretnft
ein armfeliger Sanbpfarrer unb ein nod) armfeligerer
SdjriftfteHer au£ bem 3Ba0faf)tt§fnaben Ijeroorgefyen
mürbe. —
(ginige Sage, elje bie gerien abgelaufen, verlief* idj
bie £cimatl); benn beoor bie Gdjule begann, l)atte id)
nidit nur mein 9tod)eramen gu befteljen, fonbem aud)
nod) ein neue§ Quartier gu fudjen. 3Rciftcr Shraun, ber
meine ©rünbe roofjl einfaf), roar mir gar nid)t böfe, al§
id) ifmt mein ©Reiben eröffnete, unb bie 2Beibeleute im
§aufe Ijerglid) frol), mid) loSgubefommen.
3$ fanb alSbalb eine neue SBofjnung unb iBerföfii*
gung in ber im nädjften Kapitel näf)er gu befdjretbenben
„Stubentenfafeme". 9tud) mit bem Gramen ging e§ gut.
^ßrofeffor SKaud) nafnn mir baSfelbe auf feinem Limmer
ab. <£r roofmte, bamal§ nod) ^unggefeUc, im $>aufe
ber SBittroe ©a& neben ber ^ßoft. 3)lilbc fdjienen bie
©trafen beS legten ©eptembertage§ anno 1855 in be§
Sorannen ©emad), als id) baSfelbe betrat. Unb mübe,
rool)l weit ber $)ireftor mit i^m gefprodjen, roar aud)
()eute einmal fein peinern' $erg; er machte e£ gnäbig
unb erflörte nad) einer ©tunbe mid) al§ promooirt nad)
Unterquinta.
SBenn eine arme (Seele au8 £)ante£ „Segfeuer" für
immer in ben ©immel oerfefct roirb, fann fie umnög*
lid) glücflidjer fein als id), ba id) ba§ £au§ obiger
SBittroe oerließ mit bem SBeroufjtfein, für meine gange
folgenbe ©tubiengeit befreit gu fein oon bem SBütfyeridj
ber Dberquarta, beffen „SuranmS" gottlob über biefe
klaffe nidjt IjinauSgmg. —
Qfye roir aber bie Quarta oerlaffen unb in Quinta
unb bie ftafeme eingießen, muß id) 2lbfd)icb nehmen oon
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— 94 —
^teiltet 33raun unb feiner grau, meinen Pflegeeltern in
ben trübften Sagen meiner ©nmnaPaljett
Der <5c$uf)mac$ermeifter SBraun jäfylte unter jene nidjt
feltenen $aSladjer, meldte ifjren SBeruf oerfeljlt Ijaben, b. Ij.
3U etroaS SBefferem geboren geroefen wären. <£r fjatte un=
cnblicf» metjr SBcrftanb, als jum 93eruf eines ©dmf)mad)erS
gehört, unb ber erfte S3ticC auf ifm beroieS bieS fjhtläng*
lia). Söenn er in ©ala auftrat, mit ©tegtjofen unb <£ulin*
ber, fjatte er ben £upuS beS reinften Diplomaten aus
älterer 3eit: blaue klugen, fdjöne, gebogene s Jtafe, glatte?,
wohlgenährtes ©eftd)t, jurücfgeftufcten, ädjt biplomatifdjcn
gflunbbart unb bie £aare a la SituS frtftrt. Sin «Übung
unb SBelefenljeit ragte er roett über feinen ©tanb Inn*
au§ unb ging etwa parallel mit meinem Qugenbnac^bar,
bem ©trumpfftriefer. Qn einem ©laSfaften feines fleinen
©djutylabenS prangte baS SBrocff) a uS'fd)e $onoerfationS*
lerjton, beffen Seftüre er in freien ©tunben emfig oblag.
3US äd)ter £aSlad)er mar er religiös unb politifd) auf*
gedärt Dodj ^atte er in ber SKeoolution SBerftanb genug,
ben ^onferoatioen beizutreten, ©in äujjerft forgfamer
ffamilienoater unb tfyätiger ©efdjäftSmann, baju eine
beitere #aSladjernatur, oerbiente er oollauf baS ^ßräbifat
eines braoen 9JtanneS unb liebenSroürbigen SJtenfdjcn.
©ein Slnbenfen fte^t bei mir in oollen (£l}ren.
SBir fafjen uns, nad)bem ia) fein £auS oerlaffen,
nur noa) an Donnerstagen, roenn er an ber oberen ßirdj*
etfe feine Söaare feilhielt unb td) auf bem SÖo^enmarft
umfjerbummelte. 60 oft mir unS aber erblicften, hatte
er ftetS freunblidje Sßorte für feinen 3Jtit*$>aSlad)er.
3um legten Sflale traf id) ilm am 1. ^uni beS
QahreS 1870, nad^bem id) ben ganzen 3Jlai auf ber
Jeftung Staftatt als Staatsgefangener gefeffen mar. 3$
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— 95 —
roollte bic ©tabt nid)t r-erlaffen, of)ne meinen erften
„^ilifter" unb SanbSmann befugt &u tyaben. 9US ge*
brodjener ©reis fafj et auf einem ftanapee im Saben;
Fjeßauf leuchtete fein ©eftd)t, als bie gro&e, fdjroarje ©e*
ftalt ftd) tjpn p erfennen gab. ©eitbem idj als luftiger
Stubio [ftaftatt fieberooljl gefagt^ Ratten mir uns nitf)t
mefjr gefeljen. ©r raunberte fta), wie er mir fofort er*
ääfjlte, bajj au§ mir ein ©etftlitf)er geworben, rounberte
fiti) aber mdjt, bafj tri) eS bereits auf bie ^eftung ge*
bradjt. „Stenn", meinte er, „@te fyaben aUejeit ein böfeS
SJiaul gehabt/ „2lber*, fügte er funju, „baS ift mir un*
begreiflich, roie ein #aSlad)er ultramontan werben fann!"
Reitern 9Jlutf)eS lieg tc§ mir all baS fagen unb ging,
betrübt über ben na^enben £ob beS brauen SftanneS, r-on
bannen. SBalb barauf ift Sfteifter Söraun in bie ©rotg*
feit gegangen.
©eine $xau fyat oor ttmt baS geitlicfye Qefegnet. <5ie
mar eine äa)te unb redete ©c$ulmtad)erSfrau geroefen, ba*
bei eine gute SJlutter unb 2Birt!)fd)afterin, fjatte tro$
tfjrer ^orpulenj eine feljr beroegltdje 3 un 9 e / f ic oen
Sßeibem im unb am SRaftatter „Störfl" nie fefjlt, unb
fdmupfte neben rühriger Arbeit fleißig auS i^rer $)ofe.
3ftre SRufjeftunben nerbradjte fte auf bem obengenannten
ftanapee, roo fte, in ber einen #anb baS „(Sdmupfturi)",
in ber anbem bie $ofe, in fttttem ^rieben baS ©äfjdjen
f)inauffdjaute, roeldjeS ben SRof)rerfteg mit ber $auptftraf$e
tjerbinbet. 9JUr l)at jk meljr benn einmal propfjejeit:
„$etnr, auS $)ir roärbt meiner fiäbtag nir.!" Unb fte
ftattc redjt. —
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91m 9lbenb bei 1. Dftober 1855 madjten bic (sdjufter*
gef eilen unb bic Sefjrbuben am Sftofyrerfteg früher Scterabcnb,
um mir ben legten £tebelbtenfi ju erroeifen. ©ie tranl*
portirten meinen nujibaumenen Koffer unb mein ftlatrier
tjinab &u ben „rotten Käufern 4 ' in bie „@tubentcn*ftafeme",
womit mein Umjug ba^in t>oü>gen mar. S)en -Warnen
bcr©tubenten*#afcrne trug bal £aul bei -äRe^gerl 2Balter
am ©eroerblplatj, roeil in ttnn ftetl eine größere 3lnja^l
Don Spcciftcn ifyr Quartier unb tljre &oft fjatte.
Wiefel $aul mar jur geit, a ^ ^ * n balfelbe ein*
trat, ein wahrer 9ttifrofolmul im SJlafrirfolmul, eine 2Belt
im f leinen, unb oerbient el, feiner Originalität wegen ein*
mal fcfyriftftetterifd) betyanbelt gu roerben. ©I lag an ber
©renje bei „$alabrtd)", jene! berüchtigten ©tabhriertell,
bal einft italienifdje Arbeiter für fid) errichteten, all fte,
meift flalabrefen, r-on 1692— 1712 für £ubn>ig oon SBaben,
ben %M enbefteger, bal ^errlic^e SRaftatter (Schloß erbauten.
s 3ln ber SBorberfront bei SBalterfcfcen $aufel liegt
ber ©eroerblplatj, meiner fttit ein lucus a non lucendo ;
benn bie einzigen ©eroerblleute roareu in jenen Sagen
ber 93üd)erjube „Sdjafef", ferner ein ^Bierbrauer ofme
eigenel Söier unb ber Sttefcger SBalter, ber nie mef)r
Jlcifc^ hatte, all er für feine (Stubenten brauchte.
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97
£>ic SRücffeite unfcter ftafeme befinden bcr lang*
roeilige 3fturgbamm unb beffen ftaft amenbäume, biefem
glügel lag meine SBube, beten Sfreujftöcfc (o nieber roaren,
bafj td) burch jle bequem mit einem (Schritt meiner langen
Seine oon ber Stturgftrafje au3 im Limmer fhmb. 5)urch
ben ©ofroeg von meiner Cammer, bie noch einen # 2lltooen*
unb gefonberten (Eingang hatte, getrennt befanb fich eine
gang gleite SBohnung, bamalS von bem luftigen Unter*
fqctaner 5lmbro3 9JlüUer au$ Untergrombach, mtlgo Summ*
ler, fpäter Pfarrer in ©rafenhaufen auf bem Schmarl
roalb, eingenommen.
3m Innern beS ©ofeS, ber nach alter SRbmerart
auc^ mohnlich oerbaut mar, erfchien abermals rechte unb
liufö je eine ßlaufe für „(Stubenten". $)ie eine bcher*
bergte einen flehten (Sefunbaner, ben ich cilSbalb als
„&uch§* benufcte, um mir SBter unb Zigarren au holen,
©r mar ber @ot)n eines £ehrer3 Steinhart auS 9flörfch
unb ftarb fchon oor 3 a 0* en a ^ Pfarrer.
Qn ber anbern aber lebten bie jroei $)io§! uten &arl
unb äBilhelm Suntofer, 6öfme eine§ $Regierung3*iRegtftra»
tor§ in Karlsruhe, bie einzigen ©erechten unter ben ftuben*
tifchen ^Bewohnern ber »afeme. %a fte meine SRitfehüler
in ber gleichen klaffe waren unb mir vielfach meinen
SeMhtfhm erleichterten, roerbe ich noch nähern auf
fle ju fpredjen fomtnen.
©egen ben ©emerbSplafc tyn, auf ber Söorberfcite be3
£aufe§, häuften eine fcreppe h<><h bie ä«w Unterfejtaner
9Pfoff unb SBeinbl, ber ledere auch »er „fchdne 30&ilhelm"
geheimen, unb ber Oberfejtaner ©utgefeU 1 ). ®iefe brei
l ) ^Sfaff ifk $eute ein alter $oftfefretär, SBeinbl längft tobt
unb ©utgefett Pfarrer in SUebetfdjopföeim bei Dffenburg.
$atifljalob, SUibienjeU. 7
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- 98 -
bilbctcn in ihrem ganzen Auftreten, wenn mir in ber
fernenfprache reben motten, bie Sßobelgarbe, Rummler nnb
id) vertraten bie ^leid^te ftaoallerie*, bic beiben 93unfofer
gelten ft&nbig „^immertour", unb ber ©efunbaner fpielte
ben flcinen SJtartetenber.
3m untem ©toef oorberer 3=ront hatte bic ftanulie
SBBaltcr ihren ©tfc. 3h* £aupt, ber SReijger Söalter, mar
ein an ©djmermuth leibenber Wann, ber nid)t jehn SOSortc
in ber 2Bod)e fprach unb ftumtn unb ftifl, bie ©a'nbe auf
bem SRüdfen, ben $ag über im $of auf* unb abging. $)ie
Jyrau, eine ächte, rührige SRaftattertn, tatete bie ganje
SBirtMc^aft; als Gehilfen unb ©ehilfinnen fiunben über*
genug ©ölme unb Töchter ihr jur ©eite; benn bie Qaty
ber ßtnber mar fehr grofj, »on jebem 3Uter unb ©efcfjlecht.
9lm beften ftnb mir bie nier ermachfenen Töchter nodt)
in ber ©rinnerung, oon benen bie ameitältejte, „baS iRcfcle^,
bie t>on ben „falonfähigen" ©tubenten bie gefeiertfte mar.
©alonfähig maren aber nur jene, roeldje ihr 3ttittageffen
in bem SlrbeitSaimmer ber jungen „Sternen* einnahmen,
unb baju gälten nur bie brei Sftobelgarbiften unb bie &roei
leisten Leiter. 2Bir fünf neigten uns nor bem S^erefele,
mie bie ©arben ber ©öhne QafobS oor ber beS $ofef, unb
unter allen ältern ßneeiften warb ihre ©dhönheit geprtefen.
©te mar eine nolle, junonifche ©eftalt, „fchmarftäugig unb
fchJoarjlocfig", mit fc^madf)tenbem, füblichem ©eflchtStapuS.
©in Unterfertoner, SBiefer au« SBruchh^ufen, ber bie
©tubien am Suceum oerlaffen unb nadt) Karlsruhe auf bie
$unftfd)ule gebogen mar, fam mährenb meines einjährigen
Aufenthaltes in bie flaferue, um baS Ulefele gu porträ*
tiren. ©S faf$ im ^immer Rummlers , unb gar oft h<*b'
ich babei jugefdhaut unb Original unb ^orträt Der*
glichen.
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— 99 —
3$ toax jwar ber tängfle, aber bet jüngfte unb bet
ftlaffe nad) bct unterfte oon bcn „Salonfähigen" unb mußte
befftalb in bet Galanterie beut „fd)öncn Söilfjelm* unb
bem fügen SlnbreaS tpfaff ben Vorrang Iaffen. 2lber an
©onntag Slbenben, wo bie „fneipfäljtgen" ©erjaner in8
SBicrljauS gingen , war id) allein ber *$alm im Slorb*
unb faß bann unter ben ÜRqmpljen ber ßafewe unb Der*
übte allerlei gefdjetbte SRebenSatten, wie fie bei berartigen
Gelegenheiten feit 3ttenfd)engcbenfen üblich ftnb.
$a§ SRefele heiratete, wähtenb id) noch am Styceum
war, einen jungen ÜRotattuS, würbe aber früh SBittwe. Qch
fah fte oon meinem Abgang von SRaftatt an nie mehr bi§
*um Qahre 1878, wo id) fte ©on Karlsruhe au§ ejtra auf*
fuc^te in ihrer SQaterftabt. 9lber, o weh! ÜRie f)ätte ich
geglaubt, baß bie &tit fo mit ber weiblichen ©chönheit
umgehen fönnte! 5lu§ bem blühenben IHefele war eine
weife, runjelige Patrone geworben, ebenfo ^äglic^ als
früher fc^ön, bie lebhaftere Sßrebigt oon ber SBergänglid)*
feit alles irbifdjen %lox$. 3 n tiefer ©legte fagte id) ihr
Sebewofyl unb ging oon bannen / nachbenfenb, wie be3
9Kenfchen £errlid)feit,
oom äeiienfirom geboren,
2113 nid)t'ged fcrümmerroerf im «Seitftrom ge$i oerloren. —
3)a§ SBolt fagt: „©aturnuS fei ber SBeiber Jetnb",
unb in ber $l)at, ber geitengott häuft fehreeflich mit bcn
grauenbilbern! —
9fod) jweier bienenber ©eifter in ber ftafeme muß
ich erwetfmeu. 3)er eine war 2Uoi§, ber Shted)t unb mein
greunb, ber anbere bie alte „2ina", ber ©tubenten Cammer*
jungfer. ftned)t 9llot3 hatte fein £ogi§ unter ber ©tiege,
welche com §of in ben erften ©toef be3 SBorberhaufeS
7*
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— 100 —
•
führte; cg mar fdum mefjr £öf)tc al§ SBolmung. 2lbenb§
faß et nun barin unb machte bei trübem Rampen«
fd)immer £ol$fd)uf)c, mäljrcnb id) üjm infolge meines
angeerbten proletarifd&en $uge3 fi a * oft ©efeUfd)aft
leiftete.
@in gaun innen unb äugen, gebürtig auS ©ifentyal
bei SBüljl, mußte 3Reifter 9lloi3, bem id) t>on ben Stuben*
ten allein 3lufmerffamfeit ermie§, ftet§ etma§ duftiges gu .
erjagten. 23alb machte er Satiren auf bie SRaftatter ober
bie SJtttbetoofjner beg |)aufe§, balb erjäf)lte er „fd)öne
©efdjidjten* aug feiner $eimatl), beibeS $)tnge, bie mid>
fnmpatyifd) berührten. ©r mar ein Ijäßüdjer, fdjmufctger
$erl, aber feine Weitere Seele ^og mid) an unb bie 3 Us
frieben^eit biefeS $öl)lenbcroolmer8 mit feinem Stanbe unb
feinem Stofein.
Sein metbltdjeS *ßenbant, bie 8ma, überragte tyn nod)
an Wrperlidjen Mängeln gan& bebeutenb. ©ine flehte,
!obolbartige ©rfdjeinung, brachte fte e$ aud) beim ft&rtften
SBerfudj jum fünften Säbeln nie weiter als &u einem
roalbmenfd)lid)en ©rinfen. $od) wie gar oft im geben
eine fd)öne Seele in einen müften ßfifig eingefperrt tft, fo
aud) bei biefetn alten SBefen. Sie mar bie ©utmütf)ig!eit
felbft unb unermübltd) in gebulbigem SBebienen iljrer 9fttt*
menfdjen. %a fle mußte, baß td) am SJlorgen gerne mög-
li$ft lange im SBette liegen blieb, brachte fle mir reget*
mäßig mein ffrü^ftücf an ba8 Sager unb fpradj mir immer
mit ben gleiten SBorten ju, bod) ja red)t oiel ju fdjlafen,
ba td) fo ftarf im 3öad)fen fei. Sie fei bef^alb fo Hein
geblieben, meil fte oon frü^efter Qugenb an ju balb fjabe
auffielen unb arbeiten müffen. Qd) mar bamalS fdjon
boS^aft genug, mit ber Gilten meinen Spaß $u treiben,
mofür fte mir babur<$ banfte, baß fte mid& „am liebften"
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— 101 —
Ijatte, rocil ftc in ber ©infalt ifaeS ©erjenä am, roa§ id)
mit tfrc rebete, für baarc 2ttünje annahm. —
So fat) e§ in ber Stubentenfaferne au§ im $af>re
1855 — 56, in roeldjem Qfaljre id) iljr SBeroofyner war unb
roo mein eigentlicher Setdjtfmn feinen Anfang nalnn. 3)od)
führen mir ben Unterquintaner erft audj in feine Älaffe
ein, elje mir feiner fonftigen gelungen un§ erinnern.
$)a§ ©c^uljimmer ber Unterquinta mar eine§ ber arm*
feligften im ganzen finceum. ftlein unb bunfel, rourbe e§
im ©ommer nodj wrbüftert burdj ba§ £aubroert fce$
fonnenlofen £nceum§garten§, melier nidjt blojj ber 33o*
tanif biente, fonbern aud) ben grauen ber ^rofefforen
iljren ftoltf gropsog.
ftlaffenle^rer f>errfd)te mit mtlbem Scepter ber
Sßrofeffor ©ol^err, ein richtiger Sdjroabe au§ SKottenburg
am s Jtecfar. Sleufjerlid) ba§ SBollbilb eine§ gefunben SBürt*
temberger§, rote mein Kaplan, befam er meine Snmpatljie
fcfym um be§ lefctern rotUen. S)er fonft gute §err litt
gar oft an ^npodjjonbrifc^er &iune, in welcher er bie ®e*
rao^n^eit hatte, roieberfjolt ein fdjnaubenbeS ©eräufd) aus
ber SRafe oernefnnen $u laffen, roa3 uns aber ef)er jutn
ßadjen al§ gur ftuxtyt ftimmte. SBar er aber gut auf*
gelegt, fo glänjte feine SJhene oon altfd)roäbifd)er bieberer
Jreunbli^feit. ©in ©djulmeifter im beften (Sinn be3
Portes, leiftete er in feinem 9lmte ©rünblid)e§. ©S rourbe
bei ifnn roeber ©paf$ nod) audf) mel ©eift oerfdjroenbet,
obroo^l e§ ifnn an Unterem ntdjt fehlte, aber bie $enfa
rourben „burchgefuhrroerft" , roie e§ billig unb recfyt ift.
2)er ©djulfacf rourbe in guter roürttembergifdjer 9lrt ge-
füllt, nid)t mit ©legan& unb Älafftaität, aber mit rooljl*
gebaefenem fd>roäbtfd)em ©auSbrob. ^ol^err roar fein
Maffiföer ^^ilologe roie ber $ireftor ©djraut, aber noll*
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— 102 —
auf ba§, wa3 man einen guten Sekret nennt, ber fein
„£anbroert" uerfteljt.
(£§ muß fdjon ein befonberer ©IücfSftem über einem
Sekret an einer (Stubienanftalt Ijerrfcljen, wenn er nidf)t
t)on feinen 6d}ülem einen „©pitjnamen" erhalten foH. 3>a
<ßrof effor £ol$err nid^t unter einem folgen geilen geboren
war, trug er unter un§ nur ben £ttel „ber ©c&mob*, unb
feine tanbSmanmföe £au3f)älterin furjlrte als „<5d&roob3
9ftarte\ TOer fo feljr unS ber #err *ßrofeffor aud& in
ber ftlaffe ünponirte, bie Sparte imponirte un§ bod^ nod)
weit meljr. (5ie mar oon 9lbel unb eine majeftatifdje &x
fdf)einung, Ijatte golbeneS $aar, wie bie Sorelet, unb trug
baSfelbe in frönen Socfen. 9tttt Vergnügen liegen mir un§
pm „*Ratf)ejeräiren", ober roenn ber *ßrofeffor unwohl
mar, in feine SBo^nung in ber ©djloßftraße citiren; benn
ba fonnten mir elprfurdjtSooU bie ©olblocfige fefjen unb
grüßen.
^ßrofeffor ©ol^err gab un§ Satein unb 3)cutfdf>, baS
©rtedfciföe ber $)ireftor, 9flatf)emattt ^rofeffor (Sifinger,
^ranaöfifd) mein alter ftlaffenleljrer aus Unterquarta, <ßro*
feffor £>on8bad), ber feine Siebe ju mir audf) Ijier bewährte.
befam im fjranjöfifdjen bie SWote „nod) jiemlid^ gut".
$u feiner (Smtfdjulbigung muß id) beifügen, baß td> in
Unterquinta anfing, was id) bt3 Dberfe^ta fortfe^te, ben
gedten^aften 9Rann fomifd) $u beljanbeln. @r bemerkte
bieS bisweilen unb mürbe bann teufelSwilb.
(£r trieb gerne Slllotria, aber nur, wenn er (belegen«
fyeit befam, ftd^ felbft $u oer^errlid^en. Qdf) wax cid^eit
ein Jreunb baoon, wenn bie Sekret nidjt immer bei ber
©adje blieben, fonbern &wtfcf)enf)metn aud) etwa§ anbereS
jum beften gaben, unb Ijabe fp&ter, felbft „lateinifdjer
©djulmetfter" geworben, audf) barnad) gefjanbelt.
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3tt(m verübelt e8 Dielen ot abemifö gebübeten fiebern,
wenn fie „Motria" treiben; allein i$ nelnne bie ©erren,
weld)e bic« mit SBerftanb t&un, alle in ©d&ufc. .JJa tdf)
möchte baS „Slllotriatreiben* als eine 2lrt päbagogtfdjer
Siegel InnfteUen. SBenn bei troefenen Se&rgegenftcinben
wie fd. ©rammatif, ber £el)rer )»tföen$utem etroaS
UnterljaltenbeS bringt, fo wirb er baburd) bie Slufmertfam*
feit für gortfefcung beS eigentlichen Steinas nen beleben.
©S f ann baS jeber ftanjelrebner begeugen, namentlich, wenn
er ju ben Sangmeüigen gehört. SBenn bie Qnf)bxzx nod)
fo fdjläfrig breinfdjauen, fo werben fle fofort munter, fo*
balb ber ^rebiger ein „©efduc^en" ersäht, unb, burd)
biefeS &u geben gefommen, paffen fle roieber beffer auf.
SleljnUd) <5d)üler in ber ©d)ule.
9Hfo $rof effor $>on§badj fdjroetfte iöäfyrenb beS Unter*
ridjtS gerne com £fjema ab, unb wenn btefelben aud) ftetS
feine ^ierjon jum (degenftanb Ratten, fo erweiterte uns babei
bo^ feine lächerliche ©itelfeit $)ie SBeranlaffung baju gab
metftenS idt). Sßßenn er, um ein SBeiftnel ju er^len, in
bie klaffe tarn unb ftch in feinem eleganten Slnjug 1 ) oor
un§ InnfteHte, flaute ich i^n feft an, bis er fragte, warum
ich ihn heute toieber fo ernftlid) betraute, „$err Sßrofeffor",
antwortete ber lange £a§tad)er, „6ie haben heute eine fo
fchöne Sößefte an/ ^efet lächelte ber 2llte felbftgefälltg
an fid) hinunter unb erjählte bie ©efchichte bei angeru*
f enen ßleibungSftücf eS oom Kaufmann an burch ben (Sc^neU
ber fammt knöpfen unb JJaben fnnburch bis ju feinem
p^ilologif^en Seib, bem „eben gut fchöne Kleiber machen
*) mufj id) bem alten $rofeffor SonS&aa) noä) au gut
galten, bafc er immer fd)ön gefteibet etfa)ien. ©onft fomt man 6i3
aur 6tunbe gar mele lateinifd)e ©d&ulmeifter fe$en, beren einaige
$f)i(ofopr)ie unb 3Be(tt»eraa)tung in feigen Äleibern befielt.
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feien, weil er barnad) gebaut fei". (Sin anber SJtol tarnen
bann bie £ofen an bie SRetye ober ber fftod.
S)te ftärffte Seiftung be§ *ßrofeffor£ 3)on$bad> aber,
ma§ ©itetteit betrifft, mar jene 3* a 8 e / bie er einmal in
jenen Sagen meiner SRaftatter $eit in 2toben**8aben an bie
9Jtenfd)f)eit richtete, als timt bort feine 3*au verloren ging.
©in franjöfif d>e3 ©pridjroort fagt bef anntlid): „Madame
vaut monsieur et monsieur vaut madame." ©o fefyr
bie§ oft jutrifft, bei ber 3*au ^Srofeffor 3)on3bad) roar
ba§ rödjt ber JJafl. Sie tonnte al§ ein SRufter oon 5Be=
fdjeibentyeit unb ©mfacr)r)ctt gelten unb pafcte il)rem
Sttonfteur nrie ein &mbl)ülmd)en &u einem Papagei. 9lud>
in i^rem Sleufjem mar flc ^öct)fl unfctyeinbar unb fäieltc
nidjt unbebeutenb au§ tljrem alten 9lngeftd)t ©tneS frönen
©ommertageS nun tyatte ber Sßrofeffor feine (Styefjälfte in
bie SBdberftabt geführt, unb burd) Qitfati. verloren fidj beibe.
s ^erjroeiflungSoott rannte nun ber unglücflidje ^ßfyilologe
burd) aUe ©tragen ber „9lurelia*2lquenft$" unb fdjrte bie
9Jlenf d)en an: „§abm ©ie nidjt eine fööne, junge ftrau
gefetyen?" Qum ©Ifirf trafen ftd) bie (Setrennten oon felbft
toieber, benn unter „biefem Qtüfytn* ffittt fein ©terblidjer
bem ^ßrofeffor feine ^rau ermitteln fönnen.
(Sine aettgemäfje ©tgenfd&aft, meldje bi3 oor $atyc unb
Sag jeben beutfdjen 9flann auf bie #öf>e ber Silbung unb
Kultur fteHte, l&atte ^rofeffor S)on3bad> in Ijoljem ®rabe;
er mar roüfyenb liberal unb pfaffenfrefferifd). 9lnno 1870,
ba tcf> als ultramontaner ©taatöoerbrecfjer auf ber ^eftung
fajj unb eines SageS mit meinem ©efangenroftrter jum
Hartöruljer 2%or ^inauSroanberte jum gewohnten ©parier*
gang, begegnete mir ber alte StonSbadfj mit feiner JJrau.
8$ grüßte ilm freunblid^. 3Ber aber meinen ©ruf* nid&t
emnberte unb nur tief oeräd)tltd> midj anfdjaute, mar er.
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infolge biefeS Vorfalls sog td) <£rfunbtgung ein unb
erfuhr, baß ber SWann lieber ben Teufel fef)e als einen
Ultramontanen unb QnfaCtibiliften.
9lber Sftefpeft muß td) bodj oor ifyxi fyabeiu Solange
id) fein Stüter war, Ijatte td) nidjt eine blaffe 3lfjnung
baoon, bajj Sßrofeffor S)onSbad) ober irgenb ein anberer
Sehtet ber Slnftalt tird>enfetnbUd) unb liberal fei, trofcbem
ber ftampf bei unS in ben fünfziger ^aljren fdjon ange*
gangen war. Slber ba£ war bamalS ber große Segen an
ben Schulen beS fianbeS, baß bie Sekret unb ^ßrofefforen
tyre religiöfen unb politifdjen 3tnfiä)ten für fid) behielten
unb in ber Schule nichts baoon auSframten. Später unb
bis in bie neuefte Qzxt meinte jeber feuchte Unterleder an
ber 23olf3fd)ule unb jeber burfdjtfofe £efjramtSpraftifant
am ©gmuaftum, er tonne md)t$ ©efcfjeibtereS tfjun als nor
feinen Schülern in Äulturfantpf ober in Unglauben machen.
Unb biefem Umftanb ift unenblid) mel oon ber Korruption
unferer Sugenb gugufc^reiben, über bie man jefct fo aUge*
mein tlagt £)aS Süttferabeljte baran aber ift bog eS eine
>Jcit gab, in welcher £efjrer burd) berlei 3)inge ftd) em*
Pfeilen &u fännen glaubten.
3$ bin feft überzeugt, baß ein großer Sljeil ber Srfjulb
an bem nifjtliftiföen treiben ber ruf jtf djen unb rumänifdjen
Stubenten auf ifce Seljrer unb (Sr^ie^er fömmt. äBenn,
wie eS in jenen £änbern ber 3?aU ift, ftinber eines un*
gebilbeten, religiöfen SRolfeS ifyre $Klbung bei religtonS*
lofen Settern im 9luSlanbe fjolen, fo bürf en <£rfd)einungen,
roie ber üftilnliSmuS, uns gar nidjt rounbera.
3$ mürbe, wenn id) 3Jleifter märe, jeben Selker, ber
iHeligionSfpott oor feinen Schülern treibt, an ber Sljüre
beS SdjutyaufeS aufhängen laffen. —
2llfo immerhin nod) tftefpeft oor bem ^rofeffor %on&
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6ach, wenn er mir auch, bie etnjtge freunbliche ^Begegnung
in Karlsruhe, oon ber ich oben fprad), ausgenommen, im
Seben nie recht ^olb mar ! @r gab in ben fiebriger fahren
feinen ©eift in £etbel&erg auf unb ruhe im ^rieben ! —
fRod) eines fiehrerS ber Unterquinta muß ich (Sr*
roähnung tfntn, beS „getftltchen SehrerS" 9tter$, ber 1883 als
$>treftor beS SehrerfeminarS 9KeerSburg geftorben ift. <£r
mar bamalS ein junger 9ttann, eifrig unb geroiffenhaft, aber
langweilig in feinem Unterricht. $)ie „beutfehe ©efchichte"
biftirte er uns, unb nach biefen troctenen Mittaten mußten
mir fie auSmenbig lernen. @o fefjr mich „©efdjtdjte* ftetS
anjog, fo miberroärtig fam mir eine mühfam in bie JJeber
biftirte Historia oor, unb beßhalb ftobirte ich baS aKanu*
ffript feljr mangelhaft, ftum Unglücf hatte biefer troefene
93erftanbeSmenfd) aud) noch bie ^e^xftifc^e Sprache, biefe
Butter ber Sangmeile für einen beutfehen ©tubio, unb fo
gefdiah eS, baß 9tterj unb ich auch iw*W auf bem betten
JJuße ftunben. OefterS mürbe ich auf fein ^immer fom*
manbirt — er mohnte im Snceum beim 3)frettor — unb
mußte ba aus feinem ©efdjtchtShefte nacherzählen.
SHe S)ienerm biefeS 4>erro fomie beS S)ireftorS mar
„Schills $öchterlein", mie ber einzige Sprößling unfereS
Rebellen oon ben Spceiften genannt marb. Sei ihr unb
ihrer 9Hutter, meld)' lefctere in ben freien sehn 9Rinuten
beS Borgens Äreujerroecfe an bie ftobirenbe Qugenb oer*
faufte, galt ich ro&hrenb meines ganzen IRaftatter 9luf*
enthalteS ein großes ©tücf.
3)ie 9llte pflegte mir oft &u fagen, ich fei ber luftigfte
von allen Sucetften unb h&tte bie längften unb fünften
fdjroarjen £aare. ^eben 3)onnerftag, meint fie oomSBochen*
marft frifdje Butter geholt, lieferte fle mir um billiges (Mb
ein <5£tra*3hitterbrob, einen metner bamaligen ßieblinaS*
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imbiffe. $a§ „$öchterlem" aber nmfjte mir nicht blojj gu
melben, rote ihre $roet ©erren gegen mich geftimmt feien,
fonbem fie aoertirte mich biSroeilen t>on beoorftehenben
SRa^tag, welche ihr SBater auf bie gegen baS Verbot fnei*
penben £qceiften &u machen oorhatte, n>a§ mir gar oft
1)0$ ftatten fam.
Dft auch, wenn ber alte ©chiH SBinb befommen,
ba§ ich ba ober bort bei einem unerlaubten Sdjoppen ge*
feffen fei unb Grafel)! oerf ührt hätte, matten bie sroei tarnen
für miefc bie Slboofaten, bamit nichts angezeigt mürbe. Unb
ba, menn e8 gilt, ftürfprache bei 3Jlännern einsulegen, bie
grauen aUe3 oermögen, fo lieg fta) felbft ber fonft ftet§
oon unerbittlicher Pflichterfüllung rebenbe SBrigabier oon
erbeut in aßen gtfllen &u meinen ©unften erreichen. <Bo
fam e§, bafj ich nie ben „<£arcer" bewohnt habe, trotfbem
ich Um beS öftern oerbient hätte.
^Manchmal, wenn ich burd) ben ©ang ging, ber oom
ßqceum au§ in bie SBohmmg be§ 3)ireftor3 unb be§ geift*
liefen Sehers Sflera führte, um beim ledern @ef deichte
nac^au^olen, bemitleibete mich baS „Söchterlein" oor ber
Sfjüre unb meinte : „3$ weiß fchon lange, ba& ber ba
brinnen ©ie nicht mag; aber beim $)treftor gelten ©ie aUe3."
2lm liebften arbeitete ich aber auch für ben 3>ireftor.
©eine Sehrftunben toareu unb blieben mir ftetS ein ©enufc.
$ie geiftige 3lrt feiner «ehanblung be3 Horner unb 3Beno*
Phon brachte mir in Unterquinta bie erften leuchtenben
begriffe oon ber (Schönheit ber alten Älaf jtfer bei. $)och
auch bem $rofcffor$ol$herr mufj ich geweht werben; feinem
(Cicero unb Virgil roanbte ich, wenn auch ju £>aufe wenig
ijletfj, fo boch in ber ©chule ooUe 9lufmerffamfeit gu.
<£icero§ offener ©inn für atte§ (Schöne gog mich machtig ju
bem eitlen unb gefchioäfcigen Börner hin, unb ich W»ävmte
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in jenen Sagen am meiften für ben SHann, beffen einher,
ilnn fd)abE>after #ef)ler ber mar, baß ilnn jebeS milit&riföe
Talent abging. 2öäre ©teero nebenbei nod) ©olbat ge*
wefen, fo würbe bie römifdje unb mit if)r bte2Beltgefcf)id)te
fefyr waf)rfd)etnlid) einen anbern ©ang genommen fyaben,
ba bann DctatnuS nie 9luguftu§ geworben märe.
äßenn idf) f)eute mein Dfteraeugniß tion Uuterquinta
anfdfjaue, in meinem id) unter jwölf ©djülern al§ ber
ftetente glänje, fo muß id) midfj t>erwunbem, baß id) in
ber SJlatfjematif uerfjältnißmäßig eine ber beften 9^oten
Ijatte. 9Iber idj erinnere mief) genau, baß icf) bei ^rofeffor
(£iftnger au3 lauter SHefpeft cor ilnn bie matljematifdjenSluf'
gaben mit meinem f eljr leisten ©ebädjtniß mec^anif ^ erfaßte,
aber ein redjteS SBerftänbmß bafür nie befaß.
3Bie fdjmadf) in ben meiften JJcldjem meine Seiftungen
in jenen Sagen waren, ba mein „Salent", wenn id) fo
fagen barf, gu gleicher $t\t mit meinem £eid)tfmn ftd) 31t
geigen anfing, unb roo tdf) mertte, baß ba§ „©tubtten* mir
täglich leidster mürbe, wenn id) nur beffern SBiHen tyätte,
foll bie folgenbe Sftotenangabe com 11. Sttära 1856 beroeifen:
Fortgang: jiemlid^ gut. SReligion§Iebre: gut. Steutfdfje
©pradje: nod) $i entließ gut. £atetnifd)e: $iemlid) gut.
@ried)ifd)e: giemltdf) gut bt§ gut. ^ebräifctye: twd> giemlid)
gut. f^ratisöfifd^c: nodj jiemlid) gut. 9Jlat^ematif : jicmltd)
gut bis gut. ©efdf)id)te: aiemltdj gut. !ftaturgefd)id)te: gut.
gleiß: nodj gut. Setragen: gut. ßofation: Unter jroölf
Gdjülem ber fiebente.
3)ie gute SRote in ber [Religion erhielt td} t>on bem
nod) beffern ^ßrofeffor Nicolai, »on bem idf) in ber Ober=
quinta be§ nähern reben werbe. <£r gab unS ftirdjen*
gefeilte in 93ud)form, weßfjalb td) btefclbe nid)t ungern
memorirte. Qn ber 9toturgefd)id)te oerbiente id) rebltd)
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— 109 —
ba§ gute *ßr&bifat; benn mein ganje§ Seben ein JJrcuub
bcr Üftatur, f)abe tdf), fo fdjroer unb unoerftänblid) mir bic
^tygfif oorfam, ftet§ Mineralogie, .ßoologie uno Sotanit
mit großer Siebe gelernt unb getrieben.
9ttit füger 2öe$mutf) gebenf e i$ jener ftiObeglärfenben
©tunben, in benen td& gan3 allein im DtterSborfer ober
$ffejljehner SBalb ^ßflanjen fudjte unb beftimmte ober au§
ben (leinen 9lltroaffem be§ SftfjeineS pnfdjen jenen üR?al*
bungcn bie nmnberbar elegifdjen ©eerofen ljerau§ftfd)tc. %\c
wenigen Momente reiner ^ßoefie, bie mid) in SqceumStagen
umbufteten, ftnb meift in jenen ©tunben ju jucken.
$ie einzige unoerbiente S^otc trug idf) im SBetra*
gen baoon, baS bi§ &u meinem Abgang jur Unioerfttät
ftetS auf gut lautete, ein ^räbifat, nrie e§ bie folibeften
unb bräoften unter unS aud) nidjt beffet betonten. Qd)
führte eben aufcerlid), unb fotoeit e§ jur ßenntnifj meiner
£el>rer fam, einen legalen £eben§roanbel unb mar ben
Sßrofefforen gegenüber, ben einigen <S)on§batf) auggenom*
meu, ftet§ befdjeiben unb refoeftood.
£)afc fid) aber fdjon oon Unterquinta an ein fo mädj*
tige§ SBiergeme in mir entroidelte unb idj mefjr in ben
SBierljäufero als auf meinem ©tubirjimmer fafc, baoon
batten bie Selker, in meinen Ctuintanertagen toenigftcnS,
teine blaffe Slfmung. SBenn id) nun f>ier unb foäter
baoon rebe, unb offen unb frei baoon rebe, fo roill td) c§
ganj mit ©oetlje galten, ber gefagt fjat:
SRe^mt nur mein Sefcen f)in, in Sauf dj
Unb Sogen, tote t$'8 fü§re.
SInb're oerfölafen ü)ren 9touf$,
SWewer ftefjt auf bem Rapiere.
#attc idj in ber Quartanetjeit manchmal mit ©olba*
ten aus bem fttnjigtyal mein 93ier getrunfen, f o fiel id) ate
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Ouintaner in bic #önbe oon Unteroffizieren. ®amal§
hatte be§ „®lafer*fterne SHntoni" , ein richtiger ßaSlacher,
e§ gum ftorporal gebracht; burd) ihn lernte ich bie fammt*
liefen Korporale be§ ftinjigthalS unb nach unb nach eine
Spenge oon Korporalen nnb JJelbtoebeln fennen. 9JHt biefeu
fnetpte ich faft täglich, Bejn). allabenbltch, balb in ben S?a*
fernen , balb auf ben einzelnen $f)or* unb ftortStoachen,
felbft brausen im bunflen SBadfjzimmer auf bem ©djlöfc
d)en „^aoorite* °^ er * n ocn ©olbatenfneipen ber ©tabt
unb ber umltegenben Dörfer. 2luf bie letjteren ging e§ ge*
roöfynlidj an ©onn* unb Feiertagen, meift nad) iR^einau
ober DlterSborf. Qu DtterSborf im Äreuj bin id) gar
mannen ©onntag Nachmittag gelegen bei SBicr unb ffttyixt?
fifchen, ftngenb unb jubelnb mit ben ©olbaten.
Qn ber ©tabt f amptrten mir in ber Sftcgel im „untern
$rina" , ben ein ©chuhmacher au§ bem Würfle, Samens
©toll, gepachtet ^atte.
S8or wenig fahren noch trat ein greifet ÜUcannlein in
mein ßimmer ju JJreiburg unb präfentirte ftch als „einen
alten 93efannten". @3 mar ber ©toll, ber gehört batte,
bafc ich fyitv fei, unb mich, meil td) einer feiner beften
$unben ehebem mar, mteber befugen moHte. 2Bir f pracfjen
oon jenen $agen, ba ich noch „SBter* unb ßäfebrob* bei
ihm genof$ unb fang roie eine junge Serche, unb er ein
munterer junger 3ttann mar.
<$r tft jefct heimgegangen, aber feine fjrau befudjt
mic^ ™dj attjäh*ft<h/ fo oft fte gu ihren Töchtern fommt,
bie in Freiburg SBirthtnnen ftnb. —
Oft fafc ich mit ben Unteroffizieren auch in ber „blatten
ftafce", unb fte „belegten" aus SRücfftcht auf mich ba3
flehte Nebenzimmer, meil bie größere Sierftube oft oon
s J$rojefforenunbbem fahnbenbenSgceuutSbtener befucht mar.
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9R<m mufcte biefelbe aber pafftren, wenn man auf geraden*
liebem 2öeg in baS SRebenzimmer fommen wollte, roe^alb
ich biefeS ftetS von ber ©trafse aus burdj baS fjenfter
Bettat waS feine Shmft war, weil baS Sota! parterre
lag. 9lod) tönt in meinem D^re baS „£aUi £aUo", mit
bem bie Unteroffiziere ben luftigen ©anSjafob empfingen,
wenn feine lange, f plante ©eftalt über ber ftenfierbrüftung
erfdnen.
3$ ipbe bei biefen beuten abfolut nichts 93öfe§ ge*
lernt ober auch nur gefehen; eS müfjte benn nur baS oiele
©iugen unb SBtertrinten als fünbhaft angerechnet werben.
©S war unter biefen Unteroffizieren mancher Original*
menfeh, ber baS 3eug zum ©eneral gehabt hätte. $er
eine unb anbere ^at eS fpöter wirtlich auch, felbft in
JJriebenSjeiten, jum Offizier gebracht. SBielc habe ich feit«
bem nicht wieber gefehen, noch oon ihnen gehört, ber
ober jener begegnet mir bisweilen als ©ifeubahnfehaffner,
©enbarm, SSureaubtener ober ©renzauf feher. SRancher
^at mir auch f$on aus ber fterne getrieben unb gefragt,
ob ich jener ©anSjaf ob aus SftaftattS $agen wäre, deiner
aber bleibt ohne freunblidjeS SBort ober ©egenf treiben,
wo unb wie immer wir unfere SBefanntfdjaft erneuern.
©tner berfelben ift fceute mein nädrftcr ÜRachbar unb
hat eS Diel weiter gebraut an irbifch ©ut als ich; benn
er ift ein reifer 3Jtann. 3lber ber 9iepomut Äremp war
auch eine* ber bräoften unter uns, waS aUerbingS bamals
nicht oiel ^ei^en wollte. —
(So habe ich i» i««er £ett unzählige ©poppen SBicrcg
unb manchen Saib frifchen äommiSbrobeS auf SBach* unb
in SBirthSftuben mit Unteroffizieren oertilgt unb freue
mich ^ cu * e Beffen. £)enn ohne meine $efanntfchaft
mit Korporalen unb gelbwebeln würbe mir ein ©lieb
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fefjlen in bcr ülct^c ber menfdf>licf)en ©tcinbe, bic td& in
meinem ßeben fd)on fennen gelernt.
2Ba3 unter biefem ßeben§roanbel allein litt, roaren
meine ©efunbfjeit unb mein %Ux% fing in btefen
Sagen ba§ SRaudjen an unb trieb e3 unftnnig. (Zigarren
unb %dbat mürben in aUer fjritye mie fpftt in ber -ftadfjt
uerbampft, metyrenb mein Körper in ber ftärfften (Sntmicf *
lung begriffen mar. 3)ie 3*olge baoon mar eine tyodfjgrabtgc
^CToofitat mit ©dfjlafloftgfeit unb 2ftagenleiben. 3$ be*
fanb mtd& be§ 3lbenb3, menn tdj gu SBette ging, fo auf*
geregt, bafj tef) miefy x>or bem (Sinfd^lafen förmtid) fürchtete
unb midf) mehrte gegen ben 3 u f* ano oe * SBemufitlofigfeit.
©3 mar mir jebeämal 2fogft, menn bie 9fcadf)t tarn, unb
td) erinnere mtdf) lebhaft, mie e8 mid) orbentltd) f dauerte,
fo oft bie Trompeter unb Trommler ber Ucftutig ben
.Qapfcnftretd) bliefen unb trommelten unb mir bie Qtit
ber Sftad&trufje inS ©ebädfjtnifc riefen.
©egen mein 3ftagenleiben rtetf) meine Kammerfrau,
bie alte ßina, SHorgenS al§ grfiltftüct Sflitd) mit ffnoblaud)
$u nehmen, ein magrer £eufei§tranf. ftd) 9**9 <hm$ 1™
%otiox Dfter, einem freunblidjen ^erm, ber mir aUe§ »er*
bot, nur bie $auptfadje mc$t, namltdf) ba§ ^aud^en unb
ba§ Söiertrtnfen, rce^alb td) meinen ßebenSroanbel rufyig
fortfefcte, bis ber ©efdfjeibtefte, b. i. ber 9ttagen, nachgab
unb ftd) an ba3 ©lenb geroö^nte. <5o fünbigt bie Qugenb
auf i^re ©efunbljeit, unb ba£ Hilter mufj bie (Sünben büßen.
§eute märe SÄauctyen mein £ob, unb SBier fann id) feit
oielen Sauren fönen Xropfen mefjr trinfen.
3$ meine, bie ftubirenbe Qugenb raudf)t &ur &t\t
nid)t me&r fo m'el mie früher, menigftenS bie »ftiBfcfee"
ni^t, raityrenb in meinen Sagen ferner geraupt rourbe oon
ben Sftaftatter Suceiften. ©in BemeiS baf ür ift, baß aUjäljr*
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— 113 —
lid) bcr bamalS Berühmte ^eibelberger 93infebu # , welcher
fonft nur £od)fdmlen befugte, aud) nadt) SRaftatt tont, um
und mit fetner SBaare gu oerforgen. (£8 raupten alle
ftüfmeren, unb bereu gab eS ntd)t roenige. SBir Ratten groar
aud> ja^me 9Wutterföl)ndt)en, bte tl)r $afdjengelb bem #on*
bitor brauten, eine OBeiblidfjrett, bie mir ober ftetS t)öd)ft
unbeutfdfc) oorfam.
Sötern td) an©amStag^admuttagen mit meiner langen
pfeife gegen ben 3tturgbamm IjtnauS unter meinem ftenfter
faß unb bie $#<$ter $8raelS aud ber 9iadt)barfd)aft, unb
unter ttjnen beS „Suben SJlauerS $jtttz" , meine nädjfte
Sftacfybarin, in ihren blauen Kleibern auf bem Sflurgbamm
promenirten, ba glaubte idt) mitten unter ben Blumen
beS ©emitenthumS eine junge beutfäe @td)e ju fein.
2lm liebjien aber raupte id| meine pfeife ober meine
Zigarre SÄbenbS nad) ber ©eimfe^r aus ben verbotenen
ftneipen bei bem £öf)lenbemolmer unter ber (Stiege, Beim
$nedt)t SlloiS, ju Cfcnbe. £atte tdt) ausgeraubt ober mar
unfer Sortier fdjon &u SBette, wenn td> in ben £of trat,
fo galt mein SBefud) regelmäßig nodt) ben ©ebrübern Sun«
t ofer. £)iefe faßen bleich unb ftid bei bem elenben Sidjt
einer Unf ctylittf er$e hinter ihren Suchern unb $eften unb
ftubirten unb fdjrieben für ben f ommenben üftorgen. $1)*
gleiß mar noch roeit größer als mein bamaliger Seicht*
fmn unb ttnfleiß. ®ie arbeiteten met)r als nothroenbig,
oft abroedrfelnb bie ganje 9tadf)t, ber eine bis gmölf unb
ber anbere nach Mitternacht.
©o tarn eS, baß id) gaulenger an ihrem „Ueber*
oerbienft* teilnehmen tonnte. Qdj fdfjrieb ihnen bie Sßräpa*
rationen unb Ueberfe^ungen ab, unb ber SBruber Sßilhelm
fertigte mir noch mit feiner Keinen (Schrift bie nötigen
„©ptctjettel", ben Passe par tout eineS faulen ©tubenten.
$ a n ä i a t o b, Stubienjeit. 8
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gum Sot)n fetne§ bamaligen feiges war bet SBityclm
auch brcigig 3at)re fpäter ©eminarbireftor in StteerSbutg
unb ich eine ©tunbe baoon armfeliger SBauernpfarrer.
2Benn ich fpctt am 2lbenb in ba§ 3^ mm w bet beibcn
SBrüber trat, wo mit übrigens baS hauchen ftrenge uer*
boten mar, weil ber ©ruber Start eS abfolut nidfc)t rieben
tonnte, fang idt) Unten ein luftig Sieb t>or ober beflamirte
ein ©ebtdjt unb erweiterte fo für einige Qnt bie &wet Un*
ermübttchen. $arl, je$t Pfarrer in SBimbuch, Iic§ ftch bann
non mir berichten, wtemel SHer ich am Slbenb getrunfen,
worauf er mir jeweils prebigte unb mich burdj folgenbe
gUujtration abjufchrecfen fuchte: „$enfe $ir einmal/
pflegte er &u fagen, „bie aet)n ©poppen über einanber ge*
fteUt. SBelche (Summe oon Sflüfftgfett, unb bie h<*ft %u
heute in Srtcf) aufgenommen! $fui!" 3$ lachte tt)n na«
türlich aus unb fpottete über bie nächtlichen Sörüber, weil
fie nic^t im ftanbe waren, baS, waS idt) an einem Bbenb
tranf, in einer 3Boche gufammen gu tjertilgen.
2lber eines werben mir beibe ftreunbe heute noch be*
jeugen, bafc ich nie „&u oiel* hatte, fo oft ich i« ihtematt*
erleuchtete ©tube trat. 3$ tonnte eben xriel ertragen, unb
bann mar in jenen Sagen baS SBier noch ächter, altgerma*
nifcher ©toff. Qa, wenn bamalS biefer Srant fo h*ülo8
fabrijirt roorben märe wie heute, fo w&ren bie meiften
SÄaftatter Snceiften ber fünfziger 3at)re, bie überall hn
ßanbe unter ihresgleichen als bie flotteften SHertrinf er unb
bie beften ^ßhttdtW 11 ga^en, woi)l längft unter bem SBoben.
2öenn jetjt ein baumfefter Sauemburfche nur acht Sage
lang jeben Slbenb f 0 oiel 93ier trinten unb f 0 ©iele ©igarren
rauchen wollte wie oor ffinfunbjwanjtg Q^hten ein Unter*
quintaner meines (Schlages , ber SRenf ch müfjte nach Dottor
unb 3lpotheter rufen. 2öa3 aber ein ©ertoner vertilgte,
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wäre heute für einen 9ttefenbauern ein S)tng ber Unmöglich*
feit. 2Benn heute ein gefunber Sftann oier Viertele oon
bem $jjöHengebräu txmtt, wie e3 betmalen im 9Uich Diel*
fad^ gemacht «üb, fo ift er beraubt — vom ©ift S)e$megen
mürbe ich im SReuh&ag unter aßen Umftänben gegen ba§
$runffucht§gefet> fforaneu, folange nicht baä fteid)§gefunb*
heitSamt für menfchltcheS SBxcr geforgt h<*t.
Sta hört unb lieft man oon SBeftrafung ber 2öein»
fabrtf anten, ben SBierfchmterern aber geht'S fehr fp&rlich an
ben Seib. Unb boch wirb in biefem Slrtifel mehr gefün*
bigt als im 2Betn, unb ber SBolfStörper, melier im ©üben
oorjugSweife 53ier aufnimmt, weit mehr unb gefährlicher
burch btefeS „9lu<h*93ter" infigirt al3 burch bie 'flechten
2Beine. Qdj meine, ber „arme Sftann", ber heutzutage SBier
trtnten muß, tft fdjon geftraft genug burd) ben 2ranf, ben
er befommt. ®en armen Teufel, ber vom SBtergtft toU ge*
roorben ift, auch noch &u fhafen, ba§ ^alte ich für graufam
unb unoerantwortlid).
Stamm ®ant euch allen, ihr matteren, l&ngft tobten
Trauer, bie ihr in meiner ©tubienjeit in 9taftatt S3ier ge=
braut ober bahin importtrt h<*bt! Ofme euere (S^rlid^feit
hätten mir ßneeiften oon bamatS bie ©rünbung be3 beut*
Wen «Reiches nicht erlebt! 2Rögt ihr belohnt roerben bafür
in ber ©wtgfeit, bafe ihr fo unb fo melen Wienern be8
©taateS unb ber ftirche ba§ Sehen erhalten unb gerettet
habt, unb mögen bie heutigen Stubenten {ich hüten, fo
mel ju trinfen wie ihre Vorgänger! —
£)er freunbliche Sefer wirb ftch vielleicht auch fragen,
woher ich bie ©elbmtttel belogen, unb wie e3 mit meinen
öfonomifchen aSerhältmffen bamalS befteOt war. 3$ werbe
auch hier ehrlich befennen. SBon meinen ©Itern begog ich
jeben Sflonat swan&ig unb oier ©ulben, mit benen ich ftoft,
8*
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SogiS unb „SRefreationSgelber* $u bcftretten hatte, ftür
meine ©tube unb füt Dreimalige Reifung beS £ageS be*
jaulte ich nur fedfoehn ©ulben, fo bafj acht ©ulben füt
Söicx unb (£tgarren übrig blieben. $n jener „guten alten*
3eit bef am man aber für einen ©ulben breijiig ©poppen
trefflichen »tereS unb um baS gleite ©elb 40 ©tücf brillante
Zigarren. Stoju fam noch, baf? meine ÄaufmannStante in
3*etburg, bie icl) in meinen Qugenberinnerungen ermähnt,
mir manchmal ein gan^e§ &iftd)en Zigarren fdfjenfte, unb
in ben Serien gab'S gum 3lbfcf)ieb von ber ©rofjmutter
ober non biefer ober jener SBafe auch ein halbes ober QanjeS
©ulbenftücf, unb fo hatte ber burftige unb raud&enbe ginfe
immer einigen ©amen, ©djulben habe idf> als ©tubeut
nie gemalt unb befafj baher bei ben iRaftatter SBternrirthen
einen befonbern Ärebit. 9lber einen f glimmen finanziellen
©tretch ^ab r ich boch unb gerabe als Unterquintaner ooll*
führt. $jä) ^abe mein „grojjmütterlicheS" Planier uerfauft
unb ben ©rldS bem ©ambrinuS geopfert.
$)aS SHaoierfpielen mürbe mir in ben erflen fahren
meines Iftaftatter Aufenthaltes entleibet burch bie ©orge
um mein Jortfommen in ben betreff enben Älaffen, unb als
meine SBtergeit anfing, mar ich froh, menn ich baS Snceum
hinter mir ^atte, unb eS roanbelte mich nicht bie geringfte
Suft mehr an, an freien ©amftag* unb 9ttittrooch*9toch*
mittagen in bie Slnftalt htuaufouroanbern, um bei 2ttufit*
teurer SBenber Älaoierftunben ju nehmen.
tiefer Sehrer mar, wie alle SJtuftfanten höherer 9lrt,
ein milber, fanfter 9ftann, bem bie ^onhomie mit 9Jkd)t
auS feinem runben, bieten Angefleht leuchtete. Qch hotte fchon
als Quartaner einige ©tunben bei ihm Älaoier gefpielt,
roobei er fich bie geit bamit oertrteb, bajj er, roährenb ich
flitnperte, mit einem Keinen flamme bie hintern Kopfhaare
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auf fein l aljleS 93orbcrf)aupt ju breffiren fudjte. Spaten
nrie mir fyören werben/ machte id) ben tyarmlofen SJlann
oft böfe, unb er roar ber einzige ßefjrer, um beffentnntten
mir ber $)ireftor manchmal gram roarb. Talent für3ttuftf
fjatte id) nie unb ebenforoenig ^ertigfeit in trgenb einer
med)anifd)en §antierung. @o machte id) mir fein ©eroiffeu
barauS, mein alteS ©aefbrett bei ber erften ©elegenfyett ab*
pa,eben.
9Jtetne£auSfrau Ijatte längft bemerft, baß mein ftlaoter
feiten einen Xon von fid) gab, unb ba i^r jüngfteS Södjtei*
lein bicfe§ Spiel lernen wollte, unterljanbelte fte mit mir
über ben SBettauf meines QnftrumentS. ^n ©elbfad&en alle*
jeit ein billiger Genfer, fcfyloß id) fo mit ber ©auSfrau ab,
baß fie mein ßlaoier für &ef)n babifdje Bulben erhielt
einen ^ßreiS, roie ifm wof)l feiten ein Planier erbulbet. %k
jeljn ©ulben aber gab id) in ben folgenben SBodjen auS, um
ein oiel unnötigeres ©piel gu lernen, baS „ßego" nämlid).
3>n meiner klaffe, roo id) jwar nidjt gerabe ber ältefte,
rooljl aber ber löngfte mar, fyatte id) nur groei ftameraben,
bie mir an leichtem ©inne unb an Siebe jum SBtertrinfcn
unbiftaud)en gteidtfamen; allein eS feljlte il)uen meift an
ben nötfngen Mitteln, unb roenn id) beßfjalb mit „©tu*
beuten" fneipen wollte, mußte td) mid) an bie ©djüler ber
fyö Ijern klaffen galten. Unb in ber Xfjat fjatte td) „3reunbe"
bi§ in bie Dberfexto (<ßrtma) hinauf, oon beuen id) nid)t
bloß frühzeitig ben „Komment", fonbern aud) baS 3 C Ö Ü?
fpielen lernte.
9ttetne erften öffentlichen ©tubien mit „©KS unb 93a*
gab" machte td) im „obern ^ßrina", einem feinem Siei^
lofal, baS meift oon öftcrreicl)ifcr)en Offizieren befugt mar.
;gd) erinnere mtdj nod) lebhaft jenes ©arnftag^adjinittagS
im £crbft lb55, ba id) baS erfte ^ierjego mttmadjte. $te
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fluttet \)atU mit am $age $unor einen getonten ©hinten
gefdjicft, nnb ben opferte id> als erfte£efatombe bem „©fiS*.
(Sr roarb auf bem Limmer beS Dberfe£taner3 SlBicfert, beS
fünften ©tubenten oon bamalS, ber fpäter in l>ofldnbifdjen
ÄriegSbienftennerfdiTOanb 1 ), nerfceljrt unb bann mürbe jum
*3ego" im gefcfyrttten. 5He Dberfqtfaner ©trau&,
fpäter 3 e fuit, uno Singabo, als junger ffameralprat*
tifantinjjreiburg geftorben, maren bie weiteren üötitgliebcr
ber ©efcUfäaft
©te „furnierten" mir richtig aud) bie Qt$t tyn. 2Wein
bog trübte meine ©eiterfeit leinen Slugenblidt; id) mar
ftolj barauf, mit Dberfejtanem mein erfteS offigieUcS .ßego
gefpielt *u ^aben. ®enn &u meiner 3eit galten ben Ägceiften
unterer Drbnung bie ©egtaner mit iljrer föteipfreifjeit als
roafjre Halbgötter, ©djmeralidj Ijabe td> mid) jahrelang
bamad) gefeint, einmal ©ejtaner &u werben. 34 bilbete
mir bamalS auf meine JJreunbfäaft unb auf ben „©djmolUS"
mit einer 3lnja^l biefer ©eroen me&r ein, als menn freute
regierenbe dürften nud) tyrer ^öd^ften ©nabe unb beS oer»
traulid)ften Umganges mürbigen wollten.
93on je£t an bis &um ^weiten Qatyre meiner Uni«
ücrfüätSftubien blieb id) ein letbenfd>aftlidE)er SBere^rer beS
#ca.ofpiel§. ©omo^l in SRaftatt al§ in ben Serien warb
*) §m 3uli 1896 tarn eine« Sage« ein frember $err mit
bem 2lu$fel)en eine« Staatsrate in mein 3immer unb fieUte fi$
oor als ber Dito 2ßirfert oon Saljr. (Sc toar nta)t, wie er oort;atte,
in f)otlänbifa)e SHenfte getreten, fonbem naa) Sonbon geraanbert,
Sieker geroorben unb Ijatte aroeiunbbreijjig 3af)re als foläjer auf
ber Snfel 2Jton gewirft. (Sr lebt jefct, ein ©eckiger, in Sioerpool
im Streife feiner gamilie ein 6e§aglta)eS 2)afein. ©o grofj mein
©taunen war, naä) faft oieratg Sauren ben oerfttjottenen greunb
toieber ju fetyen, eben fo grofj mar aud) meine greube.
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f aft täglid) „getrodt*, unb unselige freie 9tod&mittage fafj
id) al§@e£taner mitftreunben auf itgenb einem ©tubenten*
jithmer an ber 3Jturg unb machte „©elbjego", bem bann
in bet Siegel ein SBiergego folgte, ba§ ben 9lbenb »erfcfylang.
9lod) ein (Spiel fing id) in biefen Sagen mit meljr al§
erlaubter SBorliebe ju treiben an , ba§ Regeln, liefern
fjulbigte id) ganj befonberS in ben Serien oon Quinta an
M3 jum ©nbe meiner Stubien&eit. 2luf ber ßegelbafni im
„$anerifd)en £of * jgaäU, brausen am roeftlicfyen fönbe
be§ <§>täbtd)en3, lag id) faft jeben -iftadjmittag.
2lm borgen warb in fjelb unb Sßalb geftreif t, an ben
Söalbfaumeu geruht unb gelefen, unb nad> bemaftittageffen
fitste id) einen SJUtfegler, ma3 an SBerftagen mdf)t fo leidet
mar, meil bie meiften Sftcnfcljen in ber SBerfftätte ober im
ftelb &u t^un Ratten. $)o$ ein älterer greunb, SHdjßtb
Röbele, ber 3ttetfgermetfter, ober ber Detter S8ofd)enfepp,
ein $äcter, meld)' beibe tyre $age3arbeit am borgen
beenbigten, jefct aber fäon längft tobt finb, leifteten mir
in T}er Ittegel ©efellfdjaft ju obigem $md.
9ln Sftittmod) unb ©amftagen Ratten bie @d)ullef)rer
t)on ©tabt unb Sanb frei, unb ba manberten bie Unter*
leerer ber Kegelbahn ju unb „machten mit". Unter ifjnen
lernte id) mieber einen ober ben anbem Drigtnalmenfdjen
(ernten. 3$ erinnere mid) namentlich groeier foldjer, bie
aber beibe meines SBiffenS in tyrer ©jiftcnj au ©runbe
gingen. $)er eine mar Unterleder im 3)orf e 3Jtüfjlenbacl),
ber anbere in $aufa$. $)iefe Seute Ratten Talent jum
SDSegroerfen, aber ebenfo grojjen 3)urft unb ebenfo gemalt
tigen ©elbmangel. talentvolle 3Kenfd)en in untern ©tel*
lungen ofjne 9lu3fid)t auf beffere <£arrtere unb mit f$led)ter
SBejaljlung „vertommen" fel>r leidet, ofnte baj3 man iljnen
Diel ©djulD anrennen barf.
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Sttein ©auptpartner im Siegeln ober lebte bamalS in
bem lieblichen Störfd&en SBeiler am rechten Äimtgufet,
oberhalb ber Sßaterftabt. (Sr l)ief$ ber „SRemmlerundjel"
unb befaj* einen fleinen £of am ftufc beS alten 93urgftaU§
bet bittet von SRamfiein. (Sr mar ein fogenannter „ßirroe*
legier", b. i. ein profef jumSma'&tger Äegelfpteler. $)a id)
in S3älbc burd& tägliche Uebung audfc 33irtuo§ mürbe, fanben
mir uns balb auf bem <5df)ladf)tfelbe. Qdj fc^c tyn heute
nod) vox mir, ben magern, galligen SBauerSmann, ftanbig
bie furje pfeife im ^ERunbe, mie er an Sttarfttagen in
meines SßaterS SBirtfySftube ^ereinfe^aute unb frug : „2Bo
ifd) b'r ©c^tubent?" $)enn feine erfte©orge, wenn er gu
3Jtarft ging, mar, einen Regler &u ftnben. SBir manberten
bann, unbef ümmert um ©anbei unb Söanbel be§ SOßo^en*
unb SßiehmarfteS, InnauS jumSBauerifc^en $>of unb tegclten
auf SBefttmmung nadf) einzelnen Regeln. $er SBurf galt
einen ©edfjfer. 2ttef)r benn einmal ^ab Y ich bem „Temmler*
mid)el" einen $ronentf)aler unb barüber abgemonnen, roor*
auf er beim 9lbfdneb mid) jeweils mit ben Korten grüjjte:
„<5d)tubent, bu bifd> an Sttalefofaib, aroer am nägfdjte
2ttdnbtg muafd) mir fteoanföe ') ge 2 )!"
SBenn idf) in ben Serien biSroetlen bie SJlutter ju einer
58auernhodföeit begleitete unb na$ SBeiler fam, uergafj td)
nie, ben 3Jltd^el $u befugen. (£r feroirte bann ein ©las
Stfrfdtjenroaffer unb rohen <5pedf, gog feinen fonntäglichen
3roild)rocf an unb ging mit in ben Ddrfen. SO&äfjrenb
bann anbere 2ftenfchenftnber broben tagten unb jubtlirten,
maren mir gmei einfam auf ber elenben ftegelbalm brunten
unb Regelten, big bie 9Jtutter mich am Slbenb ^eimrief.
©r l)at langft auSgefegelt, ber föemmlermichel, ata
l ) 9tet>and)e. *) geben.
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banfbar gebenfe td> tyutt noch feiner, benn et ^at mir
nicht blofj manche oergnügte ©tunbe bereitet, fonbern aud)
öfters meine JJeriengelber jeitgemä& oermehrt. Qd) fyaitt
oielcQahre nicht mehr gefegclt, als ich im&mbtag 1878—79
erfuhr, baj* unfer ftammerpräfibent fiameg unb eine 9(n*
jabl liberaler Slbgeorbneter fich bisweilen nach Sifch im
£armome*@arten ju Karlsruhe mit Regeln bekräftigten,
©ofort ermatte meine alte Siebe, unb ich lieft mich aud)
in biefe liberale Partei aufnehmen unb wettete neben
bem eigentlichen ©piel fje* a la „SRemmlermidjel* auf
einzelne flegel, wobei ich manches ^manjigpfennigftüct
gewonnen. S)och bie Reiten, wo id) einen Sag lang, ofme
ju ermüben, fegein tonnte, waren oorüber. 3dj fühlte
mich nach i^ber lanbtäglidjen Äegelftunbe fo elenb unb
neroöä, baft ich bem Vergnügen balb entfagen mußte. —
3Bie baS mir ^ettte noch oorliegenbe 3eugnif$ a Ǥ
Unterquiftta t>om 17. Sluguft 1856 nachmeift, mar ich am
©nbe be§ (Schuljahres unter elf (Schülern ber fechfte unb
würbe frant unb frei nach Db erquinta promooirt. ©in
Dberquintaner ^at bie nächfte (Stufe jum $croenthum bc§
SejtanerS erreicht unb fühlt ftch beftbalb nicht wenig. (£r
wirb, angeflehte ber balbigen Freiheit, fülmer in jeber
$in{Uht $>afj bieg bei einem, ber oorher fchon fühn genug
war, boppelt eintraf, oerfteht fleh twn fclbft. 3unächft
wechfelte ich mit ^Beginn beS neuen (Schuljahres meine
Wohnung. Qch S°Ö 1)0X1 oen #tothen Käufern" fyucauf in
bie fchöne, helle ©chlofiftrafje — junt ftürfdmer Pfeifer
neben ber ftattlichen ©ofapothete. ©S war mir nicht mehr -
„nobel* genug gewefen in bem abgelegenen $interbau am
s Jtturgbamm. oon mir je^t belogene Quartier, ein langes
ßimmerchen parterre, warb ftetS oon Sqceijien ber oberu
klaffen bewohnt unb trug wegen feiner fdratalen Sänge
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bcn tarnen „Äegelbafm". ©anj in feiner SWtye fanb id)
meinen Äofttif cf) beim 9ttet>ger Virile unb gegenüber fcatte
id) mein fpätere§ Stebüng&SBtertyauS, ba8 „©cfymert*.
3lu§ biefet Umgebung imb biefen ^Räumen 50g id) im
Oftober 1856 in bic Oberqumta ein, beren (5d)ul$immer,
mie bie ber beiben <5erto<SHaffen, im groeiten ©toef beS
SnceumS lag, roäfaenb alle übrigen klaffen ebener ©rbe
placirt waren, (Sfjef ber klaffe mar ber geifUidje $ro*
fcffor Nicolai, mofyl ber gutmütfn'gfte unb roofjlroottenbfte
aller Se^rer ber Slnftalt ©in Heiner, faft ebenfo btefer
al$ großer 2ttann mit etmaS macfeligem ©ang, flaute
er fo unfdmlbig über feiner mafftoen fUbemen dritte l)er*
oor, baß man fofort feine milbe S)eufung3art unb fein
freunblidjeä SBSefen erfennen mußte, ©r mar ftet§ tabel*
lo§ fetyroarj gefleibet, menn aud> mit turpem föoef. ©tne
bebeutenbe Sorge legte er audE) auf ben forgfältig ge*
pflegten, ftattli^en „Situ§* feine§ #auptl>aare3, uon bent
feiner oon uns je erfahren fonnte, ob es *ßerücfe ober
SRatur fei.
@r gab in ben brei obern Staffen Religion unb ©c*
fd)id)te, in Oberquinta no$ Satein unb S)eutfd) unb ju
nteiner Qeit in Unterferta $ora&; aber fein größter $einb
fyfttte i^m mcr)t nac^fagen fönnen, baß er ein <ßf)i(ologe
geroefen. 9tttt £oraj unb namentlich mit beffen SBerSmaß
ftunb er auf aiemltd) gefpanntem %u% dagegen mußte
er feinen ©efcfyidjtSunterridjt burdj 3lnfüf)rung oon Details
intereffant ju machen, unb er regte namentlich in mir SBor*
liebe &u biefem ©tubium an. 3$ begann bamals mit
oielem ©ifer außerhalb ber ©djule ©efdjtdjte ju lefen unb
nnbmete ber englifdjen unb franjöftfd&en ©efd)id)te meit
meljr &xt, als für bie fttaffe notymenbig gemefen märe.
Nicolai mar jugletd) SBibltotljefar unb unterftütjte
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mid) in freunblidtfter SBeife in meiner ^ßrtoatleftfire von
@c[cf)td)te unb beutlet Literatur. 9Jlan tonnte und) jeben
freien Sftadnnittag bei iljm auf ber S8ibltott>ef finben, roo
er fid) immer nmnberte, baß td) fo oiel gelefen unb fd>on
nneber neue fßüfyuc f>aben wollte. ©r tarn bafyer auf bie
Meinung, als märe t$ einer ber folibeften Schüler, raupte
aber nid)t, baß ber 9töenb bem SBtertyauS gehörte, ein
^^cil ber $lad)t aber in meiner # &egelbaljn" mit Sefeu
jugebradjt mürbe.
3$ mar überhaupt in ber Dberquinta nidjt fleißiger
benn als Unterqutntaner, aber td) arbeitete oon Qfa^r ju
Qaljr letzter, unb fo fonnte t$ beim alten SebenSroanbel
borf) beffere JJortfdjritte machen.
Nicolai, ober tute mir ifjn feiner ftörpetfütje roegeu
nannten, ber ,9iifele", mar ein geborener iftaftatter. Sein
trüber, ber ©d)uf)mad)er Nicolai, ber ftets ßneeiften be*
Ijerbergte, befaß eine Sittel unfdjöner Södjter, roäbrenb
jmei (5d)roeftern ber (Stebrüber Nicolai, alte, fromme,
(leine tarnen, beim $rofeffor im £nceum Rauften.
211S „neuen* Sefyrer in Dberquinta erhielten mir ben
s #rofeffor $rotter, bisher 3)ireftor am ©umnajium in
Dffenburg. SBenn ein Shreftor ober älterer ^ßrofeffor nad)
Sftaftatt oerfefct rourbe, fo gefdM eS in jenen klagen in
ber gleiten Meinung, mie menn Ijeute bie Greußen einen
$)unftonSgeneral &um Kommanbanten irgenb einer Stabt
ober Sfeftung ernennen, eS galt als Söorftufe jur $cnfio*
nirung. S8on biefer ©orte mar unfer Srotter, ein braoer,
ja felbft frommer Sftann, aber als <ßlnlologe ein fdjledjter
9ttu|tfant. 6r ^atte baS SluSfe^en eineS £errnfcuterS
unb biefem gleid) ben $upu$ einer etmaSftarrenffleligiofttät.
3n ber ftird^e zeigte er fid) als ber anbädjttgfte oon allen
*ßrofcfforcu ; aber er mar audj im Seben, foroeit eS uns
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in bic (Sinne trat, ein KebeuSwürbiger, befäcibener unb
norab f>öflid)er 9ttann. $er alte *ßrofeffor unb $>ombe(an
,£>irfd)er in ^reftutg würbe »on tfjm gefaßt fyaben: 0 (&x
war gutmütig unb aud) gut/ 3 n om obetn klaffen
gab Xrotter nur £ebräifd), uub ba§ r-erftunb er; Inn*
fid)tlid^ ber (lafftfdjen ©prägen aber würbe feine Sljättg*
feit auf bie Unterquarta rebujtrt.
©leid) in ben erften Dberquinta^agen würben eineä
9ftorgcn§ fämmtlidje Stüter im ^eftgewanbe an bie
C£ifenbafm geführt. ^er junge ©rofjfyerjog JJricbridj paf*
ftrte mit feiner ifym eben angetrauten ©ernannt #uife
^aftatt, unb biefen Slugenblicf wollte unfer pon preu*
&ifd&er £onalität l)od> erfüllter $)ireftor md)t vorüber*
gcl)cu laffen, olme aud} uns unb feine fie^rer am SBafm*
Ijofe aufäufteUen. 3Jlir pafftrte babei rateber ein ganj äl)n*
lieber ©treid), wie id) tfm in ben „Qugenberhmerungen"
bei ber $)urd>reife be3 ©ro^erjogg Seopolb burd) meine
Eaterfiabt erjagen mufite.
3Bir ßneeiften würben längs ber Startlinie aufgeteilt
unb füllten bei ber ©infa^rt „fcoü)" rufen. SJlir (am auety
bieSmal ber £ug ju lange ntd)t, unb id) frfjlug meinem
intimen greunbe, bem Dberfejctaner 93ec(ert, vox, in ber
(Sifenbaf)n*9teftauration, beim ©treb, einen ©poppen gu
ftolen, wa§ bei ber Sftenge 9ttenfd)en, bie ring§ umljer
ftunb, (ein 2Bagutfj war. ©efagt, getfyan! $)od) wäfjrenb
wir ben erften *3 U 9* & cm ®* a f e traten, pfiff aud)
ber SBafjnjug bafjer, unb ba3 $od) braufte bafjin. $)ie
©ofjeiten fttegen jwar auS unb wieber ein, aber gefefycu
I)abe tdj (eine berfelben, ba flc von einer folgen SERaffe
©taatS* unb 9ttilitärbiener umftanben waren, baf$ ein
fdjlidjter Dberquintaner ftiglid) ntd)t3 SBeffereS tfjun lonntc,
als beim Später ©treb nodj „einen" ju trinten.
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°$ti) btn tn ben legten breifjig $af)ren °ft an iH^ftatt
vorüber gefahren, aber nie, oljne an ben biefen, alten, längft
tobten SReftaurateur ©treb p benfen, ber immer ooraüg*
lidjeS 93ier unb äd)te £arlSruf)er Söürftcfjen Ijatte unb
beibeS im SBartefaal HI. klaffe ben ßrjcciften unterer Orb*
nung feroirte. ©o oft er mtdf> jur %f)üx Ijereinfommen
fafy, jrotjerte er fcf>on mit feinen (leinen Sleuglein unb
fteUte mir fc^munjelnb unb fdjroeigenb ein ©laS l)in, elje
id£> felbft nur eine ©Übe f)atte oertauten laffen. ©roße
©eelen I)aben gletdje Urningen!
$m gleiten %a%n, ba irf) Dbcrquintaner mar, fufjr
aud) ber ftaifer Napoleon III. einmal an SRaftatt t-orbei,
ofme baß td) tfm gefefyen Ijabe. Unfer ^ßrofeffor Nicolai
aber f>atte ftd^ im Ijödjjten ©taat an ben SBafjnljof ge=
mad)t, benn er glaubte, ein alter SBef annter beS 3)ejember*
manneS ju fein. 211S biefer nodj hoffnungslos unb arm*
Jelig mit feiner Sttutter auf bem ©$loffe Benenberg am
SBobenfee weilte, jelebrirte Nicolai, bamals *ßrofeffor in
ftonftanj, öfters bie ^eilige SReffe in ber Capelle ber
frommen $ortenfe unb r-erfe^rte mit bem ^ßrinjen. (SS
t^at bem guten jperrn beßfyalb um fo melier, baß £ouiS
ibn faum meljr fennen wollte am 5*almf)of unb tym mög*
lidrft wenig 93ead)tung fct)enftc in ©egenmart ber l)o^en
SJtilitärperfonen, bie bem ftaifer audj tyre Komplimente
barbraetyten.
(Einige Qafyre fpäter erhielt Nicolai ben längft toobl*
r-erbtenten 3&^inger Söroen unb jtarb in ben ftebenjtger
Qaljren penftomrt unb tyocfjbetagt in feiner Sßaterftabt.
^rofeffor «Nicolai fjatte um feine ©filier alle ein
großes SBerbtenft baburdf), baß er, felbfi nidjt (apitelfeft
in berlei fingen, fle unb bie alten ftlafftter mit pf)tlo*
logtfdjer ©tlbenftedjerei unb ©rammattffudrferet t-erfc^onte.
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— 126 —
©in Biologe von ©otteS ©naben, tote c8 S)treftor
©c^raut mar, ber bett ©etjt unb bic @cf)önf>ett bcr SUafftfer
aud> in U>rer pI)tlologifd)en Seljanblung nity untergeben
lieg/ unb beffen ettjmologifcfye unb grammatifalifdje ©pttj*
ftnbigf etten immerhin fcoctjortginell unb fd>arf geiftig waren,
ein folctyer ^tlologe wirb feinen ©djülem jroar aud)
Sunt ©eile fein, aber berlei ßeute ftnb rar in ber plnlo*
logtfdjen ©efeflfdjaf*/ rarer als roeifje Stäben.
Unfere 2)ur^f^nitt§pl)ilologen ftnb trielfad) nidjt fefyr
begabt, työljeme, pebantifdje ©djulmeifter, welche ben
Älafftfer na$ allen Regeln ber ©rammatif Hein tyaefen,
rote einer, ber eine uralte, fräfttge ©idje, bie ben 9letl>er
beS Rimmels fügt, nieberfymt unb ^ünb^öl^en barauS
mad)t. $aburd> ge^t bem ©dntler aller ©eift unb jebe
^oefte verloren, unb ber Älafftfer roirb mtfftanbelt unb
mtjjbraudit unb fo bem ©djüler entleibet.
Unfer Nicolai lieg ben föteero, Virgil unb ben ©aHuft
eben einfad) überfein unb oerfdjonte unS mit Regeln unb
ftonftruttionen. Unb wenn er au$ feinen feinen ©enf
baju gab, fo fonnte ber geiftig begabtere ©djüler bodj
in 9tut)e ftd) felbft mit ber ©djönljeit be3 älafftferS be*
fannt machen.
9ftir gefiel norab ber ©aUuftiuS, ein ©djrtftfieller,
beffen ©tyl feine ©nabe ftnbet uor ben p^ilologifd^en
§ärina3feelen, ber aber mebr ©pirituS, Shtodjen unb gteifd)
aufroeift al8 eine falbe ßeßton neumobifdjer lateiniföer
©c^ulmeifter unb tyre ©eifteSprobufte.
S)er römifdje s $rätor (£aju8 <£rt3pu3 ©attuftiuS, ber
$u einer 3eit lebte, wo $rieg unb roieber Ärieg an ber
$age§orbnung roar, fatte feine Qtit, feinen ©tyl jufeilen,
unb ba3 rennen tlmt bic germanifdjen ^ttologen au einem
folgen «erbrechen an, bag er nur feiten nod> an ©p*
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— 127 —
naften gelefen wirb, bamit ber junge kutane feinen latei*
nifchen ©tnl nicht oerbexbe. ©chon unfer Nicolai mufjte ben
aflamt als *ßrioatleftüre einfehmuggeln. 3ft fo wag nicht
gum $obtIad)en? Unb fold^e JJormenreiterei heifit man in ber
jroeiten £älfte be3 19. 3ahrt)unbert3 flafflfc^e »Übung ! —
2113 ich nach Neujahr 1857 bei ber 9iuc!Iebr au§ ben
SBeihnachtSferien im DmnibuS ba3 5$inaigt^al hiuabfut)r,
faß mit mir im <£oupe ein greifer £>err. @r fragte mid),
ob ich ©tubent fei, in melier ftlaffe unb meiere ftlaf*
fiter mir läfett. $)a ich ihm auch ben ©aHuft nannte,
fing er eine ßobrebe auf biefen ©chriftfteller an unb fprach
mit folcher SBegeifterung t>on biefem unb anbern römifd)en
unb grtechifchen Tutoren , baf? ich glaubte, einen Uni*
nerfttätSprofeffor cor mir gu Ijaben. Eägltch, fagte er
mir, lefe er gu feiner Unterhaltung unb ©r^olung in einem
fllafftfer, unb gum ©eweife bafür ließ er mid) ben Sttel
be$ $8u$e$ fehen, in meinem er bisher gelefen hatte. ©8
mar ber ShufybibeS. hätte jefct geförooren, einen
alabemifchen Philologen *or mir &u haben. Unb boch
märe mein (Sdjnmr falfc^ gemefen; benn ber flafftfch ge*
bilbete §err mar feinet Neichens — ein babifdjer SBerg-
rath SBalc^ner unb er hatte fein Satein unb ©riechifch in
einer ßlofterfchule geholt.
3dj laffe mia> heute in ber fteftbena ÄarlSruhc öffent*
lieh föpfen, wenn noch ein Bergrath, «anrath ober Sanb*
gerieh^rath in Jöaben qnftirt, ber „ex stapede 14 Xhufn«
bibeg aud bem ©rtednfchen *u lefen im ftanbe ifi 2lehn*
lieh mit bem ßateht, ba§ man burch ©aUuft nicht
Derberben wiO, mährenb e8 wenige Qahte nach ber ©gm*
nafialgeit boch grö&tentheils mfehmunben ifi —
$>er SBinter be« Qaf)T& 1856—67 mar ein fehr
falter, nm8 ich in meiner Regelbahn, welche parallel mit
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— 128 —
bcm $au§gang lag, boppelt fdjroer empfanb. ©leicf)n)ol>l
fjeijte i<$ in berfelben nie ein. 3$ fdjrieb wofyl be§ öftem
um (Selb $u einem SBiertelflaftcr £olj nacf) $aufe, aber
getauft nmrbe in jenem SÖBintex fein ©pan. wärmte
mid) in ben Bierljäufern.
SBenn id) am SKatfmxtttag auS ber ©djule fam, legte
M&, of)ne ba§ Limmer ju betreten, bie Büd)er burd&S
JJenfter hinein unb ftürjtc midj tn3 „©djroert". £)enn
mm 4 bis 6 Ut)r be3 2lbenb8 mar e§ bort „gefjeuer",
um 6 Ufa aber rttdten bie ^rofefforen ©ifinger unb
Nicolai an, bie im Nebenzimmer if)r ©tanbquartier Ratten,
unb bann mu&te unfereiner „uerbuften".
SRadj bem 9tod)teffen fafc i$ in ber SHegel mit meinem
Detter Söttyelm, einem Bierbrauer, melier in jenem
Sinter al§ (Sarabinier bei ben Dragonern ftunb, beim
Bierbrauer Blafl, einem Banera, ber, ebenfalls in meiner
Üftadjbarfdjaft, »ortrepd)e3 Bier braute, ©inen Beweis,
nrie lalt meine ftegelbaljn mar, mag bie folgenbe %\>aU
fad>e abgeben. SBenn Better 9Bill)elm btSroeilen auf mid)
warten muffte, bis id) »om 9ßad)teffen fam, traf id> i^n
regelmäßig mit ©tiefei unb ©poren in meinem Bette
liegenb, um ftd) t)or ßälte %u fd)üfcen. ©leidjwoljl fd&rieb
er einmal in ©elbnöt^en feinem Bater nad) £aSlad), er
fjabe in meinem ßimmer am Ofen ben ftocf Derbrannt
unb müffe ber Cammer 12 ©ulben erfefcen. @etn Bater,
ber Badrfepp, melier mir bie erften lateinifrfjen Büdner
gebraut, ließ fid) bann oon mir an Dftern ergäben, wie
baS jugegangen.
$er Better SBBilljelm warb fpäter ber „Bierfrämer*
tn unferer Baterftabt, machte aber fein fo gute* Bier,
wie mir eS in jenen fetten beim Blafl getrunfen. Stod)
^aben fte tyu fdwn feit Saljr unb Sag begraben. —
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— 129 —
kleine Aufgaben für bie ©d)ule würben fämmtlidf) im
SBette 3lbeub$ unb am frühen 9florgen gemalt SBeil meine
Sinte aber jur ftrengen SBinterSjeit meift eingefror au3
bereits befanntem ©runbe, fo fam am 9ttorgen bie 9ftaab
bc§ ßürfd)ner8 Pfeifer, eine alte ©dfnoäbin aus bem <£nj*
tf)ale, in meine ftabine, um mein Stntenfaß f)olen unb
e§ auf bem £erb, wo flc ben Kaffee bereitete, auf jura armen.
<£)a iljr mein fd&öner ©eftf)lecf)t§name nicf>t fefjr geläufig
war, fo nannte flc mid& immer ,$err 3ol)anne3", unb idfj
Ijöre fie Ijeute nodf), wie fte in aller grfiy in bie ßegel*
bafnt trat unb mu$ regelmäßig wedtte mit bem 9fttfe:
„$err Spannes, i will <£i bia $inta wteber aufg'werme,
aber i bät anemeag amol a $olj foufe!*
tiefer äBinter mar ber tältefte meiner fftaftatter
®tubien$eit, aber audj ber einzige, ber midfj o^ne £olj
traf, grüner unb fpäter tyab' id& regelmäßig meine
geuerung gefauft beim Sanfter 9ttater; benn biefer war
#eft^er be3 „^ol^ofeS" an ber Sfturg.
fteljt nod& lebhaft oor mir, wie td& eines $age§
an bie ßaffe be3 SBanfljaufeS trat, um mir eine Slnweifung
auf $ols SU tyolen, unb wie bann ber Staffier mir auf
meinen 3djngulbenfdf)ein mel ju oiel (Selb Verausgab. 2US
idf) auf ber ©trage ben Qrrt^um mertte, fefrte id& fofort
gurücf unb melbete tyn bem ßomptoinnanne. 3Bie groß
warb aber meine greube, als er mir meinen ©cfjein jeigte
unb barauf l)inwte3, baß td(j ifnn einen 3el}ntf)alerfc§ein
gegebeu Ijätte! 3$ ^ a ^e noef) nie im fieben einen 2$aler*
fdjein gefc^en unb brum nur an äefjngulbenfdjetne ö e*
glaubt 3lber nie melrc feitbem l/at ba3 preußtfd)e ©uftem
mir fo eingeleuchtet wie bama& S)ie Butter, welche
ben <S>df)em mir gefanbt, hatte ftd& 3wetfel3of)ne auc$ ge*
irrt, aber ityc Qrrtfutm mar mir ein 3Bof)lgefallen.
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- 130 —
2BeW liebliche (Shcfdjeinung war mir in jenen Sagen
ein ^Briefträger! (§8 fonnte ber ^rop^et Daniel feine
größere 3=reube fjaben, ba fein College ©abafuf mit ©peife
i&m in bie Söroengrube fam, benn td>, wenn ber SBrief*
trager in meine $ube trat mit einem ©elbbrtef in ber
#anb.
SJlein SBeglüdt er mar aubem ein guter, alter SBef annter.
S)er in meinen ^ugenberinnerungen ermähnte (SHlmagen*
ftonbufteur „Safofc" ^ettte in feinen alten Sagen eine
SBriefträgerfteHe in fRa\tatt befommen unb mir unfere SBe*
fanntfd&aft erneuert. Slber roie anberS wirb ber 9flenfd)
in fünfeeifn ^aljren! 3u jener 3ett, als tdj, faum fünf
Safjre alt, an ber obern fGRü^le ju £a3le auf ber £anb*
ftraße ftunb unb ro artete, bi§ ber ©Umagen baS %fyal
IjerabroHte, um mit tu3 ©täbtle fahren ju Wunen, (nng
mein ganjeS £er$ beim Slnblict be$ ftonbufteurS an ber
luftigen ftaljrt unb an bem Olafen beS $oftillonS. SBemge
Qafyre fpäter — unb all* jene finblidje Sßoefle war fort.
2Benn t<f) *> cn ^Briefträger Qa!ob ©eppert fa$, backte td)
nur an elenbeS ©elb, an SBier unb (Zigarren. 3)er gute
9Jlann trug aber biefer oeränberten ©efmnung twflftanbig
IRedjnung, unb fo freunblid) er midi etnft auf feinen <£il*
wagen gehoben, ebenfo freubig ftredtte er mir oft fd>on
oon weitem auf ber ©traße meine (Mbbriefe entgegen.
$n feiner Familie wohnten unb lebten jetjt audj bie
©ebrüber SBuntofer, nac^bem flc &u gleicher Qtit mit mir
bie ftaferne in ben rotten Käufern Derlaffen. 3$ Ijabe
fle aud) ba nod) öfters befudjt unb i^nen tyre Sirbetten
abgetrieben, aber ben ftdnbigen SBerfefjr mit i^nen t>er*
mißte td) bo<$ unb mußte beßljalb mandjeS felbft machen,
wa§ fle für mid) getrau, folange wir in ber gleichen
Verberge gekauft. S)a3 fommenbe @d&uljaljr führte bie
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— 131 -
$roei ©oltben nach Karlsruhe, unb wir trafen unS erft auf
bet Unioerfitiit wieber. @ine§ aber hat ber SBruber ftarl
bis an fein SRaftatter ©nbe immer noch für mich au§ge=
arbeitet ben SBetchtjettel, worüber mir fpater reben wollen.
Sfcod) einen SRann barf ich in ber Dberquintajeit nid^t
oergeffen, ben bamaligen SBrigabier (®enbamerie*2Bacht*
meifter) (Schreiber. ®iefer, ein ftrammer, alter @olbat mit
^ittgtopf, mar bis oor wenig Qa^ren in $aSlach ftationirt
gewefen unb hatte rnel im £aufe meiner ©Item oerfehrt.
@r fannte bie guten unb fchlimmen (Sigenfchaften aller
§a§lacher; namentlich meinte er, ein geborener $aSlacfjer
habe baS »ebürfnifj, iebe 2Boche einige Slbenbe ins SBier*
hauS ge^en unb über $)inge &u reben, uon benen er
nichts oerftehe. ^efthötö nahm er mir auch mein oer<
boteneS Äneipen nicht übel, ja er befriste baSfelbe &u
Reiten. Unb baS ging fo &u: $a§ befte eingeborne SRajiatter
Sagerbier fott oor 40 fahren ber Bierbrauer Stoib in
ber ©ngelgaffe, an ben ©renken beS ftalabridt). ©ier mar
ber SBrtgabier ©tammgaft unb {eben 2Ibenb ju treffen.
2ßtr hatten nun ausgemacht, bafl, fo oft ich im Äolb er*
fcheine, er für ben JJaU meines ©rmifchtroerbenS fich als
meinen oom SBater gefegten „SBormunb" ausgebe. Unb
fo fafc ich benn gar manchen 3lbenb neben meinem „23or*
munb* unb tranf mit einer 9tut)e unb Sicherheit, als ob
ich (Pf"* ro & te Ö e Ö en a ^ e ©oentualit&ten. $8i§roetlen machte
ich au 4 * n &olb§ büfterm Tiergarten, broben beim Kirch 5
hof, eine nachmittägliche Kegelpartie mit meinem Sörigabier
unbScineSgtetchen, mit 9lmtSbienem, ©efangenwftrtern,
Slftuaren, nicht ahnenb, bafc ich w meinem fp&tern Seben
als ©tdrer ber öffentlichen ftuhe unb Drbnung unb als
©efangener beriet Seilten noch bienftlich fo oiel ju fdjaffen
machen würbe. —
9*
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- 182 -
9tod)bem td) ben falten SOSmter in meiner ^egelbaljn
ausgemalten, 30g td) mit beginn bc§ ©ommerfurfeS fytn*
übet &u meinem Äoftberw, bem 2Jlcfegermeifter SBtrlle,
100 ber Dberfertaner SBecfert nnb id) ein grofjeS, fd)öne§
£umnet gememfam bewohnten. SBecfert, ber fpäter al§
junger ftooperator am fünfter in ftreiburg fiarb, mar
©enior ber offiziellen, erlaubten ©e^tanerfneipe, aber aud)
als Unterfejtaner fdjon erfter ßljargirter be§ nidjt er«
laubten S5orp3 ber Sttarfomannen geroefen. $)iefe 93er«
binbung, ber einft au$ $Bifd)of &>tl>ar von ftübel, unb
jroar als feiner ber geringften SBrüber, angehört !)atte,
fanb U>r (Snbe unter SBecf ert 2118 ftc braufjen im $>örfl
beim „(Siebert" an einem 3lbenb beS Qa^reS 1856 r-er«
fammelt waren mit all* tf)ren ^nfignien aB $orp3burfd)en,
rücfte unfer ©djill mit einer ©d)aar ^olijeibiener an,
befefcte ©ingänge unb 3*nfter unb fing bie Uebeltfyäter.
S)ie garten ^arjerftrafen unb bie erftmalige Huf&ebung
fprengten ba§ ÄorpS für mele Sfaljre, feine „ärartfdjen"
©tulpen, Papiere unb gfloretS aber befafj federt, unb
fie famen bei feinem Abgang jur Umoerfttät an mid).
Söedfert mar ein §auptfd)läger unb lehrte aud) ntid)
Papiers unb $loretf eckten, rooju unfer ßimmer SHaum
genug bot. Unfere Söetten ftunben einanber gegenüber an
beiben ßimmermänben, unb manchmal reijten mir un§
Borgens beim förroadjen abftcr)tlic^ burdj allerlei ©tid)*
reben, worauf jeber non feinem Sager auffprang unb &ur
SBefjre griff, ©o fönten roir bann „im blofjen gemb"
jioifc^en ben beiben SBettftetten — bi§ jur ©rmübung.
9Ran f>at t-on lange ^er eine fernere ©ünbe barin
gefefyen, wenn Streiften, refp. ©gmnafiften, &u einer 93er*
binbung auf ammentreten, nrie fle auf Unir-erfttäten üblidj
ftnb. Unb erft in neuefter fyit ging burd) alle babifdjen
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— 133 —
»Jeitungert roie ein bie babifdje 2öelt erfcfjüttembeS ©r*
etgnifj bie ftunbe, man Ijabe an ben ©gmnaflen „ geheime
SBerbütbungen* entbecft. Qd} meij$ nun nid)t genau, ob
bieS ä^nlid^e Vereine waten roie bie SRarfomannen in
SHaftatt, td) benfe mir fte aber fo, unb bann begreife id)
ben ©peftafel nidjt, weisen man barüber mad)t. ©S fnb
ba§ alte Üfteutgfeiten, unb eS mar immer fo ober einlief),
oljne bafj man ein befonbereS Unglüä für Staat unb Stirpe
ober aud) nur für ben ©tnjclnen barauS bis jetjt bätte
ableiten fönnen. $n ber SRegel ergeben von ben Sßor*
gefegten fold)er ©gmnaftften biejenigen ben größten £ärm,
meiere als $afenfü£e unb <5d)roäd)linge nie folgen $er«
binbungen angehört ober angewöhnt ^aben.
2luS ben beutfdjen ©tubentenüerbinbungen, großen
unb Keinen, ftnb aÜ^eit S)eutfd)lanbS befte unb tfidjttgfte
SJlanner ^eroorgegangen. ©pcjteU aus ber SKaftatter
„Wlaxt omaunia" leben !>eute nod) in ben Ijöcbften Remtern
beS ©taatS unb ber Äird)e Slngefjörige, meiere ftd), id)
bin beffen feft überzeugt, bis &ur ©tunbe no$ barob freuen
unb ftd) mit Vergnügen jener $age erinnern.
2BaS gefd)iefjt benn auf folgen Kneipen SBöfeS? 9ld)t«
8ef)n* bis groanjigiä^rige ©gmnajiften trinfen 2*ier, fingen
SßolfS* unb ©tubentenlieber, madjen allerlei unfcfyulbige
Zeremonien afabemtfd^er ©tubenten nadi), oergeffen fo ifyre
otele Sflülje unb Arbeit in ber Schule unb fyolen ftd)
einiges ©emütf) unb ^ßoeftc gum ©rfatj für bie Debe unb
fieere pljilologifdjer *ßebanterie, mit ber fte oon ben latei*
ntfdjen ©d)ulmetftern geplagt werben. ©S ift tynen
btefe ©rljolung nod) mefjr gu gönnen als ben Stfabemtfew,
meiere als „©tubenten" erfter klaffe gelten, aber oft nichts
ftubtren, roäfjrenb ber „3 ro W ftubirt unb ftubiren mufj.
©onft fommt nichts 995fe8 oor in biefen ©efetlfdjaften,
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— 134 —
imb biejenigen, bie eigentlich $Böfe3 unb ©erneutes tt)un,
fmb in ber IRegel bie „$)ucfmäufer", welche fld^ auf feiner
Kneipe fet)en laffen, hn©eheimen aber oiel fernerer fünbigen.
©8 waren mir beriet (&£emplare met)r benn eines befannt.
fflitfyt bie fogenannten gemeinten 93erbtnbungen ftnb
ba§ ftrebSgefchroür an unferer heutigen flubirenben Qugenb
(bei ber, wie fchon einmal gefagt, ©rfchetnungen ju Xage
treten, bie meine 6tubir&ett nicht fannte, wie 3. IB. ©elbft*
morb), fonbem ber SJtangel an Dichtung t)or ber Religion,
hervorgerufen au§ ber unb&nbigen fjrci^cit in religiöfen
fingen, bie man in Jeggen Sagen jebem bartlofen Änaben
einräumt 9Ran mag mir fagen, mag man null, unb fo
febr ich bie Urfachen beSfelben unpartetifch rechts unb UnfS
fef)e, ich behaupte: *2)er ftulturfampf, in welchem allüberall
gegen Kirche unb Dogmen gehest unb gefpottet mürbe,
hat am aHermetften bei unferer 3ugenb feine fchlimmen
folgen hiwterlaffen, in ber Sßottgfchule fomohl mie in ben
höheren ©duilen. —
©eitbem ich mit federt sufammenlebte, befugte ich
mit ihm gar oft bie föteipe ber (Sextaner, roelche jie ba*
malS faft regelmäßig in ber Bierbrauerei ©romer am
ftebler £t)or aufgefchlagen hatten. Qch lernte ba aXV ba§
bei Reiten, mag ich fräter, felbft ©enior geworben, ju
praftijiren hatte« SWchft SBecf ert, ber eine jooiale, fettere
SRatur mar, glänzte unter ben SBiergemeS jener Sage auch
ein beutiö** babifcher Dberfchulrath, ber aber, ju ben
Keinen ©eiftem gehörenb, teufelSroilb ift, »eil ich in meiner
„©tubienjeit* feiner ©rro&hnung gethan habe. S)rum foll
es ihm mie in ben beiben erften, fo auch fo biefer britteit
Auflage erft recht nicht gefchenft fein, bafj ich ihm einft
half ein ©tänbchen fingen.
3n bunfler Stacht oon ber „©romerei" mit ihm heim«
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— 135 —
leljrenb, machten mit an ber UJhtrg in bet Stö^e bet
SBabener SBrüdt c ©alt, unb id) mußte ifyn t>or bem genjter
eines 3ttäb$enS, für ba* er ritterliche SRhme füllte, Simon
Stades „Slenndjen oon 2$arau" fingen. $ell tönte meine
Stimme burd) bie SKadjt Ijin, mfi&renb bet heutige Ober«
fdjulratfj etwas S3ag baju fummte. 9lber beS ©locfen*
gießerS 2lenndjen, fo Ijteß bie SBefungene, mochte leine 9lf)nung
jjaben oon bet *ßoefie, bie in einem Stäubten liegt; ityr
ftenfter blieb bunf el unb gefd&loff en, unb $iemltd) abgeformt
jogen mit übet bie Srücfe bet Stabt $u.
HS td) 13 3af)te foäter, 1870, in meinet ©igenfd&aft
als Staatsgefangener mit meinem ©efangenro&rter eines
frönen SDftattageS auf einem Spaziergang übet bie gleite
SBabener SBxüctc ging, begegnete uns baS 9lennd)en. 3$
fjatte e8 auf ben etften 93Iicf wiebet erlannt; eS mar
nod) baS fletne, nieblidje, totfjbacfige $)ing — abet, urie
mit mein ^Begleiter fagte, immer nod) lebig. Sie tonnte
natürlich nidjt oermut^en, baß jener Sänger oon bamatS
als (Befangener an ttyr oorfiberjiefje, unb fagen tonnte td)
eS iljr mdjt, benn baS Sieben auf ber offenen Straße war
mir, bem polttiföen SBerbredjer, nidjt gemattet —
9JUt Rettert unb mir faß am ftofttiföe beS 9Jte$gerS
SBirtle, ber heute nodj fammt feiner ^rau am fieben ijt,
als britter im SBunbe ber ^oftprattitant SRowal aus ftarlS*
rufje, ben id? nic^t oergeffen barf, weil er brei Qafjre lang
mit mir aß unb bisweilen au$ tränt. Qdj ^abe in meinem
ßeben leinen gutmütigem Sttenföen tennen gelernt als
biefen SRoroat. Seine ©utmüttyigteit ging fo toett, baß
er felbft leu$tfhmig mürbe, nur um in ber ©efeUfdjaft
Seid&tfhmiger nid)t ben Sonberling &u fptclen. ©r glaubte
3. SB. trofc feiner f d>roäd)ltdjen gigur unb $onftitution eben-
fooiel trinten ju müffen roie anbere Seute, weil er fürchtete
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- 136 -
bie SBteltrinfer fonft gu beletbigeru Saß bicfe ©utmütyig*
feit mißbraucht würbe, liegt natye.
$d) l)abe mannen fdjledjten ©paß auf bem ©ewiffen,
ben i$ mit iljm übet $ifd) getrieben, aber sunt ttebermaß
be§ $rinten£ oerleitete idj tljn bodj> nie, ba i$ SJlitleib
mit feiner ©efunbljeit hatte. 9Reift oerbradjte er feine
2lbenbe in anbererGBefeUfdjaft, Haßte mir bann am folgenben
Sage über fdjrecflid)en ftafcenjammer unb fügte regelmäßig
bei: „3$ jollt' f)alt immer nur mit S)ir gehen!" 9Jleine
Soweit lieg id) an ihm oorgugSweife bahtn au$, baß id|
ihm, in beffen SBruft ein liebenbeS £erg fdjtug, oon Seng
unb Siebe rebete unb fo fein gangeS Söefen oor 93er*
gnügen ftrahlen machte. ®r hatte babei einen unerföütter*
liefen ©lauben an feinen Sttephifto. Qd) war faum ein
3af)r auf ber Unioerfttät, als mir bie Shmbe warb, ber
gute SRowat oulgo ©dntacfel fei geftorbeu.
©o oerließen meine beiben bamaligen $ifd)toUegen
in ber Stüthe ihrer Qa^re biefe <£rbe, unb id) allein blieb
übrig, um mich mit SBehmuth ihrer unb unferer luftigen
Sage gu erinnern
SBecfert mar au8 bem S)orfe 9Hetigheim bei Dfcaftatt,
unb fein 93ater, ein armer SBauerSmann, befugte und beß*
halb oft an ben Sftartttagen. Srotj feiner Sttittellojigteit
braute er feinem ©ohn regelmäßig einen großen £aib
fdnoargen SrobeS unb ein ©tücf ©peef, wogu ich natürlich
Jeweils aud) eingelaben würbe. 3U§ Eeffert gu biefen
SBietigheimer 3)elifateffen gab uns ber gute Sftann ßehren
unb Mahnungen, bie aber auf ein fehr trocfeneS ©rbretd)
fielen, ©ein SBrob unb ©peef gelten oiel länger an; benn
wir Ratten tagelang baran gu gehren in ber Qtit gwifdjen
Wittag unb SWacht, feine Sßrebigt aber war oergeffen, ehe
bet ^taNö** $>öuS oerlaffen hatte, ©eine legten
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2öorte, bie wir mit Säbeln begleiteten, lauteten ftetS:
„Sepolb, paff* m'r nuntme uff in b'r €>d)uel unb $iel) m'r
nett in bene 2Bertl)§f)üfer rumm!" 5113 fein ßeopolb fdjon
auf ber fjofjen ©djule gu Sfteiburg fid) befanb, befugte
mid) ber 9llte bisweilen nod) in föaftatt, unb td) erinnere
mid) gar wotyl, wie er mir eine« SftorgenS einige SEÖürfte
aus $uf)blut braute, bie aber meines met}gerlid>en §auS*
f>erm $unb, ber „Sultan", nerge^ren muffte. —
3n meiner Älaffe waren eS in Dberauinta $wet 9Jttt*
fdjüler, mit benen mtdj non ba an für bie ganje £qceumS*
geit bie gleite ©ejhmung in Stubien unb Vergnügungen
innig uerbanb. $eibe, talentvoller benn id), teilten mit
mir bie gleiche £uft, aufierfjalb ber (Schule ©efctyidjte unb
Literatur gu ftubiren, unb ebenfo befeelte fle ber gleite
#ang $um Staufen unb pm Kneipen. Sttittellofer als
id), Ratten fte jebod) ©on Dberquinta an burd) tljeologifdje
©tipenbien aud) e^er ben &u obigem §ang nötigen „Ner-
vus rerum".
9lbetj, ber <Sol)n eines mit ftinbern mefjr als ge<
fegneten SOBagnerS aus Sftaftatt, Äutyn, ©pröjjling eines
S)orffdjulleljrerS auS Seiberftung, unb idi> waren alle brei
junge, üterartfdje <§d)öngetfter unb fdjmärmten für beutfdje
Söiffenfdjaft unb für ©ermanentyum, wie nur Sßeuteutonen
in biefem 3Hter fdjmärmen fönnen. SJlandje ©tunbe fajjen
mir unter biefem $abaf§qualm in bem gimmer beS einen
ober anbem unb lafen Sßlaten, Urlaub, ©oetlje, Sefftng
ober beutf d)e @ef djidjte. Unter ben $)id)tern mürbe Opiaten
wegen feiner glatten SBerfe unfer Siebling unb von ben
£iftorttern ^Jlenjel. Unf ere politif d)e ©eftnnung war extrem
liberal unb bie beutfdjen ftaifer beS 2ttittelalter§, welche
mit ber Äirdje im (Streit lagen, unfere gelben. 3Bie oft
fjaben wir einen ©regor VII. oermünfdjt, weil er in ©ein*
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1
U\ Hill
emiebrigt, unb ben beutfcfjen
©otteSmann ßutljer geprtefen, weil et gegen ben Sttblafj*
främer Teljel aufgetreten!
Q(§ tann mi^ eines SäcfjelnS ntdjt erwehren, wenn
idf) an unfete ebenfo unreifen als jugenblidjen Urteile über
3eit unb 3Beltgefd)id)te jurüäbente, ftnbe aber derartiges
an jungen Seuten oerjetyltd). ©8 wirb fjeute nod& fo fein. —
Qn ben Jerien fud&te jeber für fiel) SfteueS ju lefen, unb
nad) ber föücffeljr framte einer um ben anbern aus, weld)'
neue dinge er fennen gelernt, unb neben SBiet unb 2abat
warb mit großem (Snfer era&ljtt, biSputtrt unb biSfutirt
3$ lag mand&e Sttorgenftunbe mit meiner @efd)td)te
ber deutfdljen von ütflenjel, getauft vom Antiquar #an!e
pm <Siibetfd)Ub in ßüri^ ober mit meinem ^ßlaten an
ben SBalbf&umen ber $eimatl), flaute, nad^bentenb über
baS ©elefene, ^inab auf baS ©tdbtdfen, xoo bie Sftaud)*
mölken leicht von ben flammen auffliegen, unb träumte
über ©efd)id()te unb $oefte.
die feiige Äinberjeit mar vorüber. SBenige Qa^re
äuoor mar i$ nod^ mit 8eSf)olj ober gefammelten Sßuty
nüffen auS biefen SB&lbem gebogen unb fyatte mid) um
bie SBelt fo wenig befümmert als ein Tannenbaum; je£t
mad&te tdj) mir fä)on Stopf wefj mit SRad&benten, unb
wäfjrenb meine Seele bamalS gang unb ooflauf ber SRatur
gehört Ijatte, manbelte i$ jefct burdf) SBalb unb ftelb mit
iöüc^ern in ber $anb. duft unb 9letf)et beS (Seelen«
lebenS waren fort SBudfj unb ÜKatur ftefyen in einem
SBettjältnifi jufammen wie bie ©eufdjrecfe $ur S^at^tigalL
#atte icfc meine (Stubien am SBalb oottenbet, fo
ging'S, auc$ ein Stxtyn, bafe bie genügfame ÄinbeS^eit
oerfdf)wunben war, §inab ins ©täbtd^en ju einem ^rft(«
floppen. 2Bö^renb i$ efjebem bei ber ^eimfe^r aus
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3felb unb SBalb glücflich war bei einem £opf ©auermild),
ftoljirte ich je%t wie ein junget Gtord) im ecflen ©tag,
mein ©uch unterm 9lrm, am borgen fdjon in8 ®ierhau3.
#ier traf ich in ber Siegel bie befferen Bürger unb bie all*
jett burftigen $anbroerl8leute ber 93atcrftabt beim ©lafe.
Unter ben erfteren glänzte ber Kaufmann 9lrmbrufter,
mit bem uh twrpgSwetfe mich unterhielt, benn er hatte
einftenS am ©umnajtum in Ottenburg groet Spulen ab«
foloirt S)a er außerbem in ber $iplomatennachbarftabt
2öolf ad) geboren mar, übertraf er an „facon de parier"
fämmtliche gewöhnlichen $a3la$er Bürger. SORit Vorliebe
gab er lateinifche SBrocfen &um bejten unb wußte ftets,
wo ber „feinfte (Stoff* in ©aSlach ju pnben mar. 2Benn
wir manchmal beim »SBtertr&mer" faßen, tonnte er mitten
im ©efprärf) abbrechen unb unter einem „a propoe" mir
ftia ins Diß ffüftem: „S)er feinfle ©toff ift wirtlich
brüben beim Biermeible!* SBie oft h<* ber alte ©err,
ftetö eine gejlicfte ©ereoiSmü^e auf bem ©aupte, behag*
lieh ben äBunfch auSgef prochen: „SEBernt mir ba3 SBier nur
auc^ noch jehnQah^ fdnnecft wie hatte!" ©rhat'3
erlebt, aber bie „tffyn Qäh^ e * P no lÄngjt vorüber, unb mit
ihnen ift er oerf chwunben auS biefer flüchtigen ©rben$ett. —
3n bie Seit beS DberquiutanerS fällt auch meine
nähere SBefanntfchaft mit bem in meinen Sngenbermne*
rungen öfters genannten ©chmiebmeifter SBunibalb Äern.
©r führte mich juerjt in bie höhere ^ßolittf ein, bie auf
SBörneS Briefen au§ ^ßartS fugte, welche mein Sehrmeifter
befaß, mir gum Sefen gab unb mit mir befprad). 3$
glaube faft, baß von jener politifchen Sugenbleftüre unb
oon ben SBuntbalb'fchen Kommentaren, welche auf ein
§a$lad)er $et^ fielen, eine meiner größten Untugenben
herfömmt, bie nämlich, über bie beftehenben SBerhältniffe in
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ßitdje unb^toatiuipolittf^e^cbanfenlo^ulaffen, rooburä)
ich mir fd&on mel gefd&abet unb Diele JJeinbe gemalt habe.
Sftoch ein wichtiger 9lft fiel in jene £age. Sttuf*
gemuntert burdj meine $reunbe 9lbe$ unb $uhn, non
benen jeber 150 (Bulben theologtfcheS ©tipenbtum bejog,
lieg ich mich burch Verlangen nach „mehr ©elb" h**bet,
auch um ein folcheS nadfföufuchen. iheologtfche Anlagen
hatte bamal§ feiner oon uns. S)ie eigentlichen Berufs«
Geologen in ber ftlaffe, Seute, bie fdfjon fehr fromm
traten unb felbft ba§ ^gfreibutger Stfrchenblatt" gelten,
befamen oon uns ben tarnen „(Schöpfen", unb ba§ einige
9M, bo ich ben <ßrofeffor Nicolai bö§ fah über mich,
mar, als er erfahren hatte/ bajj ich einer ber malttiöfeften
©egner beS „(Schöpf enbunbeS" fei.
9Jlit Sftücf ficht auf mein vorgelegtem aSermögen^eugnifj
erhielt ich gmar nur fünfzig ©ulben, allein e§ waren mir
biefelben immerhin eine angenehme SBermehrung meines
$afd)engelbe§. S)a3 theologifdje (Sttpenbium fjatte aber
auch im elterlichen $aufe meine &eruf3roahl flüffig ge*
macht. Sttutter unb ©rofmmtter fchwärmten natürlich
für ein theologifdjeS „StipenDi*, aber in erfter Sinie nicht
roegen be3 ©elbeS, fonbem fle glaubten mich eher an
ihren Steblhtö§nmnfch gebunben. 3$ felbft hatte lebig*
lief} ben 3Jlammon im 2luge unb im übrigen meine
(Sache noch aiemlich auf nichts gefteUt.
Einberg als 3Jhttter unb ©rojjmutter badete mein
prafttfeher SBater. QHneS 9ttorgenS ging ich mit ihm,
ber immer noch ein franfer 3Jlann war, fpajieren „um
bie Seilerbahn", wie bie auSgeebneten Sftemparts be§ einft
feften ©t&btchenS fjeifjen. 3)ort, roo man oom „ÜReuen*
$I)or*93ach" her in baS (Stcibtle hineingeht, fhmb bamalS,
- an ber ©efe be$ STpothefergartenS, ein „S3ilbftocf" auS
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- Hl -
Stein mit ber Saljregga&l 1736. Sin bicfer Stelle rietf)
mir bet £8ater, mit bem td(j feitfjer nie über meine 3 U *
fünft gefprod)en Ijatte, boc^ ja nidjt ©eiftltdjer werben
gu wollen, unb groar belegen nid)t, weil er ben (Söltbatg*
gwang für ein Unbing Tjalte. 3$ mar gwangig Ja^re
alt, fjatte aber feinen begriff, fjöc^fteng eine Slfymng oon
bem / mag ber Sßater fprad), nnb meinte, baö werbe mir
tüdjtg madf)en unb midfj ntdjt abgalten, Geologie gu
ftubiren. $)er Jßater fdjmieg barauf unb l)at oon jenem
2lugenblicf an nie me^r über meine SBerufgwaf)l ein
2Bort mit mir gewedtfeli (ginige Qafce fpäter, td) mar
fdjon Geologe, gab mir bet alte Stefan Slurg ä£>nlicf)en
9iat^ unb erhielt biefelbe Antwort wie mein Sßater. —
9lm 14. September 1857, bem Sage, ba bie tatfjo*
lifdfje ^ircfje baö JJeft ber ftreugerf)öl)ung feiert, 50g xd)
mit einer Sdjaar älterer £aglac§cr Jungfrauen, unter
i&nen befanben fid) £tntergfirdf)g ftot^e" unb iljre
Sdjwefter „föicfe", auf bag „ftreugbergle" bei ©aufad).
<£g ift bieg eine prächtig gelegene SBalbfapede, roo^in in
jener ßeit 110$ bie $agladjer an ben $1. föceugtagen gerne
maUfa^rteten. ;gdfj Ijatte und) angefd&loffen ber ,fcl}önen
Partie 4 ' wegen unb trieb unterwegg „in (5f)ren* meinen
Spaß mit ben „alten SBlumen ber £eimatl)\
SOßir waren etwa ^albioegg am Söerg fjinaufgefttegen,
alg midi) „bie fftotty" fragte, mag id) ftubiren motle.
2JUt ernftyafter 9ttiene fagte idf) tyr: „Pfarrer", wor*
auf bie gange fromme ®efetlfdf)aft §oI)ttguladf)en begann.
Sie oerföworen fi$ alle, lebig bleiben gu motten, wenn
t$ Pfarrer merbe, worauf td) ermiberte, bieg (Mübbe
werbe i^nen nid)t fetywer werben, audj wenn ein ©etft*
lid&er aug mir würbe, ba bie meiften t>on i^nen gum
fiebigbleiben oerurtljeUt feien oon Statur aug. Unb fo
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gefd)al) eS audj; id) warb Pfarrer, unb bie Sadjerinnen
lebten unb ftarben faft ausnahmslos im lebigen ©tanb. —
Qm ©erbfte beS eben genannten SfafyteS fanb in
ber <5tabt Sa^r ein großem lanbmirthfd)aftlid)eS fteft ftatt.
lieber ben <sd)önberg unb bie ©erolbSecf fuhr id> mit
meinem ältern ftreunb, mit beS „©otterbarmS ftranjfepp*,
in einem flotten ©mfpanner baljin. Söei biefer ©elegen*
fjeit fah id^ bie neue fatholifd&e &ird)e unb baS ebenfalls
neue, überaus liebliche Pfarrhaus von ßahr, unb eS tarn
mit beim 2lnbltcf beS letztem aum erften 9M ganj ernft*
haft folgenber ©ebanfe: Senn td& müßte, baß mir ein*
mal ein fold)' fcfjöneS Pfarrhaus ju theil mürbe, lönnte
td) mich ernjttid) entfalteten, ©eiftlicher gu werben.
3$ beneibete im ©tiUen ben Pfarrer oon ßahr, oon
bem idj übrigens nichts ju fehen befam, unb hätte nie
gebaut, baß ich einmal mit ihm befannt unb enge be*
freunbet werben würbe. $)enn jener ©lücfliche mar ba*
mals fdjon lein anberer als ber fpfttere S)etan ftörberet
Don Sahr. kleine „theologifchen ©ebanlen" beim 9lnblicf
beS fd)änen?ßfarrhaufeS waren balb wieber meggefcftroemmt
com geftjubel. 9ftein ^Begleiter ^atte otele Jreunbe unter
ben Saurem, unb bei benen ging eS, in Jener geit wenigftenS,
maffto luftig t)tx, fo baß wir erji gen 9tttttemacht mit
unferem Stappen an ben 9htinen Don ©erolbSecf vorbei«
fprengten fynah ins ßin&igthal. —
@o gingen bie Sttnge in Quinta, bie triel glttnjen*
ber föloß, als ich am Anfang erwartet. Qdj würbe beim
Uebergang jur Sejta im ^eugniß unb bei SBerfünbigung
ber Promotionen in ber 2lula dff entließ belobt,
rangirte unter ben <$rften unb h^te in gfleiß unb Se*
tragen bie erften SRoten — alT baS ohne SSerbienft.
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SBenn ein rufftfa)er leibeigener von feinem äaifer
bie 3freii}eit erhält unb jugleicf) $um SBaron ernannt mixt),
fann et unmöglich froher fein, als ich e§ mar, ba ftcf)
mir nach jahrelangem Seinen bie $hüre ber Unterfcjta
(Unterprima) auftrat, ©tng ja boch bamit baS „ner*
ftof>lene* ftneipen &u (gnbe unb tonnte ich meinem ^SBtcr-
©eniuS* freien Sauf laffen. 3$ hatte mich aber
jetjt nach feiner anbem Freiheit mehr gefetjnt als nach
biefer. $)e§halb galten auch mir, wie fchon oben be*
mertt,bie ©eytaner (Primaner) als bie „Grands Seigneurs",
al3 bie großen Herren am Snceum.
S)er ©ejtaner ijt aber fonft auch bie fünfte SBlüthe
beS ganjen ©tubententhumS. Qmifätn bem aDjufreien
Stfabemiter unb bem ju eingefchränCten niebern „tJrofth"
ftefjenb, erhebt er pch über betbe. %m UnioerfitötS*
ftubenten übertrifft er an ftleifj unb Seiflungen, an JJreube
jum flaffif chen Sllterthum, an Sbealen; ben Keinem „2JHt*
frofch* aber fteUt er in ©chatten burch feine atabemifchcn
Sldüren unb burch eine geiftigere 5luffaffung feine« $)afeinS.
SBiele meiner geiftlichen 9Jlitmenfchen fagen fymtt
noch oon mir, ich fei ftolj unb hochmüthig* SBenmfjt aber
mar ich erftere im ganzen bisherigen Seben nur in
meinen Segtanertagen, wo ich glaubte, auf bem fhtben»
tifdjen Dtymp angefommen $u fein unb befjt)alb baS
Stecht ju haben, mich 3" fühlen als einen halben ©öttet*
Jüngling, ber überall SReftar unb SÄmbrofla fleht, unb
in beffen @ehim bie flafftfchen Reiten Äitchwety halten.
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Äeffing nannte bicfc Qahre bic einsig glücken In
feinem ganzen ßeben, nnb roenn td) offen fein arid, nnb
ba§ rotll td), auch anf bie ©efahr J>in, mieber „oerfchimpft 4 '
jn werben, fo mujj auch ich fagen, bafj bie jmet Qahre
ber ©ejta nächft ber $eit „beim Äaplan" bie glücflichften
meinet ganzen ©tubien*9lera gemefen flnb. ©ie flnb jraar
nebenbei meine „glegeljahi* 4 ' gemefen, allein e§ fd)eutt
fidf) bieg ganj natürlich gu oerftehen. 9ttir fommt e§ not,
als ob ba§ erfte oerftänbmfjinnige ©inbringen Hafftfc^cr
SBilbung in ben ©eift eine $lrt Sfteoolution in bem ©terb*
liefen ^eroorbringe, bei welcher ber Sßaturmenfch tampft
mit ber $nmanität $)tefe nrirb innerlich 3tteifter, ber
„Siegel" mujj hinaus, bti)auptet aber $um @rfafc fein
Regiment äußerlich. Daher bie tollen ©treibe ber ftubtren*
ben 3 u Ö enD -
Unfer oben befprodjeuer Dreibunb arbeitete mit
neuem ©ifer in ber neuen klaffe, angeregt burd) bie
offizielle ©efchichte ber Literatur, meiere un§ ein bisher
noch nicht genannter ßehrer, ©Riegel, gab. tiefer £err,
ebenfo fleißig als gemiffenhaft in feinem 2lmt, hatte smar
auch bie unglütflidhe Qbee, bie £iteraturgef$idjte &u
biftiren; allein nur lernten barau3 roenigftenS Quellen
unb tarnen ber älteften beutfdjen Literatur big auf Dpttj,
unb wenn mir auch be3 SßrofefforS Sttftat nicht fonber-
lich ftubirten, fo polten mir auf ber SBibliotyef bie oom
<ßrofeffor angeführten Duellen unb mibmeten und biefen
um fo mehr.
3Bir brei traten für bie ©djule bamaB nicht au^u*
oicl, roo^l aber fürs Seben. Sßom SSbelungenlieb an*
gefangen, gingen mir alle namhaften mittelalterlichen
Dichtungen burch, wobei Slbefc, ein ©chmärmer für bie
Arbeiten ber ©ebrüber ©rimm, voxah ben fprachlichen
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— 145 —
£f)eil behanbette, »fthrenb ftuhn unb ich ben poetifchen
©ehalt h«*orhoben.
%\t in Unterfejta begtnnenbe „$l)tfofopt)ifrf)e ^Sropä*
betttif", gegeben oon Sßrofeffor 4>oljh*tr, war mir in ihrer
(Siementarlehre ber Sogif ein (Kreuel, weil ich baS Kenten
nach ftormeln als eine geifHge Tortur aerabfcheute. $er
SJtenfdh mufi feine Sogtt mit auf bie Söelt bringen, alles
3uf^neiben nnb (SHnfdiadjteln nütjt nichts. $)er nmhre
£ogtter wirb auch, nrie ber dichter, geboren unb nid^t
gemalt ftzwb von allem Slbftraften unb oon Jormeln,
weil e$ mir meinen ©etft auStroctnet nrie ein Samum
bie Vegetation, tyäx ich nie ©efcfjmacf an ^ilofop^ie
gefunben, auch nicht als ich auf ber Unioerftt&t biefelbe
hörte. 9JHt Qntereffe gelefen unb in mich aufgenommen
habe ich in meinem SttanneSalter nur einen tyfyxlo*
foppen, ben ber SBerjroeiflung, Arthur Schopenhauer.
%m <£tcero in feinen philofopbifchen Schriften, eben*
fo ben £ora& lernte ich in ihrer geizigen Reinheit erft
in Dberfqrta erf äffen, £olaherr, bei bem mir (SiceroS
$uScu!anen lafen, arbeitete mehr auf§ „Stftct*, unb
Nicolai t>erunebelte ben #oraa burch ^Betonung ber
SBerSmafje, bie er felbft mdjt immer oerftunb. 3fch mufc
je§t noch lächeln, roenn idj an ben guten Sßrofeffor
«Nicolai in SBerbinbung mit $oras benfe. 9luf bie Ueber*
fefcung beS lefctern bereitete ich tntd^ ftetS gerne oor, bie
SBer§ma$e aber fyabt ich gehabt unb verachtet unb be§*
halb feiten beriicfftchttgt. 2ßenn nun ber „MrtzU* mich
bamaeh fragte, machte ich fc^ncU ein ungef&hreS SJtetrum,
unb wenn er (Stnfprache erhob, behauptete ich H*hn, in
„alten 2tu3gaben* ein folcheS gefunben ju haben. 3fet>t
rourbe ber braoe 2Jlamt aorftchtig unb fprach: „Jfta, man
tann a fo fagen, fann aber auch a fo fagen,* unb batm
$ati*Ja!o&, Stubienjrtt 10
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— 146 —
gab er feine Jamben, $rod>&en unb fcattolen &uut
beften.
$>ie angeneljmften ©tunben blieben mit eben bie beS
SrtrettorS. <£r la3 mit un8 in Unterfqrta £omer unb
#erobot; ba mar ftetS ©eift unb geben. 3)te meiften
Scpler bet Älaffe fürdjteten jid) auf feine ©tunben, tdj
freute midj. <£troa bie fünf (Srften lieg et oorüberfefcen,
bie anbem mufjten, wie er $u f agen pflegte, „nadpgen" ;
fte Ratten bie müfjeooUere Arbeit, benn wenn ifnten nur
ein SBort anberS lata, als e3 Dörfer überfettf roorben,
ergofj fid) eine S^utE) von ©dntnpfreben über baS $aupt
ber Unglüctlidjem $)a Inefj e3: ,©etj er fidj, er SRinb*
mef)!* „(Sr ift ein geborenes unb erlogenes fötnboiel)!"
# 2Berb er Stuftet !" „@3 fhtb nur oier ober fünf in
ber Älaffe, bie idfj brausen fann, bie anbem flnb unb
bleiben ©d)af8föpfe" u. f. n>.
Söenn er ftdj au§gefd)impft Ijatte, legte er fein
jgawpt einige £eit trauernb in bie redete $anb, bann
fing er nrieber an ooU ber fcödtften JJetnljett feinen #laf*
jUer p erfl&ren. 3$ nmjjte mit ber ^eit jebcS $ar«
tifeldjen nad) feinem @efd)macfe $u überfein, Ijatte gar
oft nur flüchtig bie Ueberfetptng # gefdjlaud)t", wäljrenb
anbere müf/fam ftd) präparirten, unb bod) laut icij mit
£ob, jene aber mit ©dnmpf baoon. 3lber e3 Ijai aud> mir
mefyr benn einmal bie [Hebe geblüht: „Qx ift eben aud) ein
Sttinboielj l" $abe jebo<$ bem oorgügli^en Selker berlei
$inge nie übel genommen; er mar unb blieb metnßiebltngS*
leerer , beffen auffafyrenbe $itje nebft iljren münblufjen
folgen tdj Ijeute in f)ofjetn 9Rafse tfjeile, otyne fold^ ein
flaffifdjer Sßfyüologe %vl fein, mie er eS gemefen ift —
9Jton l ann im gewöhnlichen ßeben oft bie @rf a^rung
madjen, bafi attenfdjen, folange ü>nen etwa« verboten ift,
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barnad) trauten , fobalb e8 aber erlaubt wirb, gleich'
gilttg bagegen werben. 93ei mix war bieg mit bem
2Btrtf)§f)au§gef)en md)t ber ^aU. 3 m ©egentljeit, e§
ftetgerte fid^ meine „SBietlümmelet" mit bem Eintritte ber
©ertanerfretyeit. 3$ $atte eben in ben Sagen meiner
©tubienjett ein letbenfc$aftlid)e3 Verlangen nad) Vier*
fyauS unb ®efellfd)aft, wäljrenb beibe feit nieten Sauren
von mit in meinem Sllltagäleben »oUftänbig gemieben
werben. @3 fyat meine ÜRatur hierin ganj in3 ©egen*
tfyetl umgefd&lagen, unb td& bin in biefen fingen einer
ber langmeiltgften *ßl)ilifter geworben.
9Jtandje werben e3 mir $ur <§d)anbe anrennen, bafj
i$ in jenen Sagen in meinen Vergnügungen gan$ im
Viernaus aufging. Sttir tft aber fdwn oft ber ©ebante
gekommen, bafj eS für mid) in gemtffer SBejie^ung ein
©lüct mar; benn e$ Itfelt mtd) oteUetdjt oon grö&ern
g^lern ab. Unb in ber £f)at I)at in jener geit feine
anbete Seibenfctyaft mid) gefeffelt auger Viertrtufen unb
entfpre^enbeS föcafeelen.
SJleine be§faUfigen SBeftrebungen würben jetjt ftrfte*
matifdj abgeheilt. 2)er i£rüi)fd)oppen an (Sonn* unb
Feiertagen unb an jenen SBetftagen, an benen um elf
Uljt bie Älaffe au8 war, würbe in ber" „blauen ftafc"
genommen. Einige ©las ©in^eimer 93iere§ oor £ifd)
nebft einer „gtoftenbrejel" galten mir bamatS al§ ein
^odjgenufj, ben id) jetjt an einer fürftltdjen Safel nidjt
metyr fänbe. S)er $atjemneier, ein biefer, urgemütfjlid&er
9Utbaqer unb mein intimer gfceunb, meinte be§ öftem,
fo ein luftiger „trüber* wie i$ fame feiner me&r an§
Jtyceum. <£r fefcte fidj befftalb jtetS an meinen Stfd),
an bem einige @tammgäfte fafcen, wie ber ftbele dtatf)*
f Treiber SÖUbemann, Virtuos im SHetttgfdjnetben, ber
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Dberfetbwebel SJtaurer t>on bcr ©traffompagme unb
anbere, bie alle Iängft untet bic lobten gehören.
3$ weift mdjt, ob bie Sttenfdfjen fjeutjutag beim
„Srüfyf poppen* aud) nocij fo Reiter fmb, aber bei un§
!)crrfd)te eine ©eiterfeit , bie mit jefct wie ein 9ttärdjen
aus taufenb unb einer SRacfjt uorfömmt.
S)ie SRad&mittage von trier Uljr ab mürben in Unter*
fegta eine 3eittang Ö* n 3 reßelmäjng, felbjt im SBinter,
in bem $)otfe $uppenljeim $ugebra$t. @S fonnten bie
©d)übroad)en am 9iieberbfil)ler Sljor in ben £erbft* unb
SBintertagen beS Qa^reS 1857 täglich nadf) trier Ufr jwei
junge fieute &ur SJeftung IjtnauSeilen feljen; ber eine grojj,
fdjlanf unb blafj, ber anbere breit unb ftömmig. ©te
rannten batjin, als gälte e§, ein Wettrennen nadf) bem
eine ©tunbe entfernten ftuppenfjetm abgalten.
%wcä) baS Storf -iftteberbuljl ging'S im ©türm, im
gleiten £empo vorbei am *Preuf$enbenfmal beim ©tfen*
ba^nbamm unb burd> bie ferjengerabe Dbpaum*Mee
ber Sanbftrafte bis jur ©abbatSgren^e ber ftuppenfjeimer
Suben am ©ingang be§ 3)orfeS. Qeijt mäßigen bie jroei
ttpe Stritte, um nid&t für $euerboten gehalten ju werben,
©ie burcfjfd&neiben bie ©auptftrafte beim SKatt)ljauS unb
Ijaben tyr $id, „bie ©onne", erreicht.
$)ie ©onnenwtrtyin, eine junge, ftattUdje SBittwe,
liefj bamalS einen föjtüdjen ©erftenfaft brauen; ber jog
bie gwei herbei, unb beim vergnügten $runf faften fte
im Nebenzimmer bis um 8 Utyr, neben bem £rinfen
©efd&tdjtSbaten fidf) fragenb, in benen ber breitftämmige
befonberS $u $aufe war. Äurj t>or £f)orfdjlu|}, um neun
Ufo galoppiren bie Jünglinge wieber pm 9tfeberbüfjter
%i)ox hinein, unb balb ft§t ber ßange bei mattem £alg*
Uctyt in ber SRappengaffe an feinen $enfa für ben fom*
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meuben 3ttorgen. $f)n fennen bic Sefcr ; ber anbete mar
ber Oberfqrtaner (Sfjrtfttan SBatf aus SÖBetngartcu, oulgo
■äJtaßif, jeijt manbernber <ßrtefier unb Rentier. $on
beiben ging bie ©age, fte tyätten am meiften ©elb jum
S8iertrinfen, toeßtyalb fte mef)r als anbere bieS beforgten.
3$ fann äuppenljetm nid>t nennen, ofyte eineS
gleid) im Anfang beS genannten ©djuljatyreS oorgefal*
tenen Abenteuers ermähnen. ©S mar am ßircfyroeif)*
fonntag 1857, als 9ftaßtf unb aroei weitere Dberfe^tanet
mit mir na<$ bem ^orfe jogen in tetner anbem 3lbftrf)t,
als bei ber Sonnenwtrtf)in ©infe^r ju galten. $)tcfc
felbjt aber machte unS nadf) einiger 3eit aufmerffam, baß
broben im „ftreuj", ber SBirtyut £etmatl), Sanamuftf
fei/ gegeben oon SBöfjmen beS öfterteicfjtfdjen ^Regiments
SBenebcf. SBtr, fo äußerte fte mtebertyolt, foHten bod) aud)
tanjen am &ird)weil)tag.
Stteljr als fonjt, weil ftirdjweil) im Sanbe, Ratten
mir bem ©ambrtnuS geopfert unb ließen uns bejftalb
bereben, Steine floHegen befanben ftd) balb im tollen
Steigen, welchen SBauemmäbdjen mit ifjren „©djäfcen",
unter lederen einzelne ©olbaten, bilbeten. 3fd) ^atte
mid), im SBemußtfetn meiner fdjledjten Seiftung auf bem
©ebiete ber Sanjfunft, als ^ufdjauer unter bie 2$ürc
poftirt, ba fam beS Äreujmirt^S $öd)terlein, ber ©onneu*
wirtfym ©djweftcr, unb forberte mid) auf, bo$ aud) &u
tanjen. „Nemo saltat 8obrius u , unb weil td) nidjt mcfyr
fcl)r nüdjtern mar, unternahm idj einige £änje, bie letjteu
meines SebenS, mit ber *ßrimabonna uou ®uppenf)eim.
S)ie Shtppenljeuner SBauernburfdje waren anfangs
anftänbige £eute unb freuten ftdj, baß iljre 9fläbd)en mit
„©tubenten* tankten; allein Jene feilten bie allgemeine
weibüdje ©djwädje ber ©itelfeit unb wollten biefen Abenb
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immer nur mit un§ unb nie mcfjr mit ben jungen £erren
UjveS $>orfc£ fidf) abgeben.
$)a§ erregte mit Sfcedjt ben Qotn ber Idnblidjen
Qfingltnge, unb fie fugten (Streit. $)en Anfang machte
ein eingeborener Äanonier, inbem er mid) mitten im
Sana burd) ein (Stuhlbein jum ftattt bringen wollte.
(Sfye er feinen $md erreichte, merfte iety fein Söorfyaben,
lief* bie Sängerin fahren unb griff ben Äerl am Seibe
fo fraftig an, baft i<$ iljm feine Poppet fammt ©äbel
wegrifi unb unter eine 93anf warf, Qetjt ftür^te eine
©djaar auf mtdf) au, bie fcweifelSolme meine langen
©lieber fd>wer ^eimgefud^t f)ätte, wenn nid)t in bem*
fclben Slugenblicf ber jur 3lufftd)t für ©olbaten n ad)
Shippenljetm abfommanbirte SBadjtmeifter ber Artillerie
in ben (Saal getreten märe. %anl meiner SBefanntfdjaft
mit Unteroffizieren jctylte er $u meinen „^reunben". ® r
fic^t mid) oon ^einben umringt, eilt Ijerbei, gebietet
s Jtul)e, ftellt bie Sttuftf ein unb fäubert ben Sanjboben.
(S& mar aber htbefj für un£ ©tubenten &u fpät ge*
lüorben, um nod) in bie JJeftung eingelaffen ju werben,
unb meine Äameraben bef Stoffen, im &reu& ju über»
nagten. 3$ wollte, ba bie 93auernbuben brofjenb ba£
©aftljauS umlagerten, nid)t im £)orfc bleiben unb fdjlug
meinem JJreunb 9lrtitterift uor, nudf) unter feiner £ut
nad) SHaftatt ju nehmen, ba ilpn jebenfaH§ ba5 $f)or
geöffnet würbe, unb er jum SRapport Ijeute noci) baljm
mufjte. (Sr erfl&rte, mid} nur als (befangenen in bie
#eftung bringen p fönnen, anbere Seute einzuführen
wäre tym unmöglich. Qd) war bamit emoerftanben.
(£ng an ilm mid) anfdfjliefjenb, begleitete td) meinen
Sßatron nodf) in bie oerfd)iebenen 2Birtt)fd)aften, wo er ju
infpi5iren Ijatte, unb gegen 5cfm W)x sum $orfe IjtuauS.
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2lm ^ieberbü^ter 2f)or Ratten bic „$abifd>en" bic
2Bad(je, unb f^ter mar ©efafyr, ba§ meine $ßfeubo*©efangen*
nafyne offenbar werben möchte; wir gingen be{jf)alb um bie
fycftc fjerum bis jum S?ef)ler 2$or, ba$ Defterreidjer tiefest
hielten. $)ie bekümmerten ftcf> oorauSfidjtlid) nid)t um bie
#rage, warum ein babifdjer SBadjtmeifter einen 8tt>ü*
befangenen bringe. $a§ $aliffaben*2;f)or öffnete fid>, nad)=
bem bie SBacfye unb mein ^Begleiter bie „Carole" be§ £age3
gewcdjfelt; ber öfterreid)ifd)e 2Ba$fommanbant erfd)ien,
unb mein Jreunb ertlärte: „3$ Ijabe l)ier einen ©tubenten
arretirt unb mufc ifm auf bie £auptwad)e führen.* 3et>t
mar ber^af* frei; fctyroeigenb unb fed)§ ©d)rttt oor meinem
£Bad)tmeifter sog id> in bie ^eftung ein unb burd) bie öfter«
reiti)ifrf)cn ^Soften l)inburd). Qn ber ©tabt angefommen,
manbte ber Slrtiüerift fid> ber $auptmad)e $u, um ,9itd)t§
SReueS* ju melben, unb id) ging tyeim inbieSRappengaffe.
Sttein Detter aus ben ©änben meiner ^einbe t>icß
SÖBigmann, gebürtig auS ©eiligen^eU bei Safo unb ift iängft
im babifd()en Unterlanbe / in 3Ko£bad), als ©trafienmeifter
ijefiorben. ©eine ©otbatenmad)t Uej} am anbem %a% aud)
jenen Kanonier bei mir „antreten* unb um SBer$eii)ung bitten.
3$ fyabe bie $fmt beS 2Bad>tmeifterS balb barauf
im gleiten Drte oergolten an einem feiner öfterreidjifdjen
ftameraben. ßidjtmefc 1858 Ratten mir ©egtaner in
ftuppentyeim, au3nalnn8weife „beim SRammelmaier", ein
Jya^ 3Jier getrunfen. 2Bäf)renb id) mit bem Sötrtl) ab*
rechnete , waren meine Kommilitonen vorangegangen,
yiaftatt su. 3$ folgte nadj 8 Uf)r beS SlbenbS lang«
fam, meine ©igarre raucJjenb, nadj. 2113 id) oor baS
$orf fnnauSfam, eS war eine falte 2Binternad)t, unb
©djuce bebeette ba§ £anb, bemerkte id) jenfeits ber ©trafce
auf bem ^elbc eine ©eftalt liegen, bie ftd) Inn unb f>cr
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bewegte, aber md)t in bie #öfje tommen tarnte.
ging auf ba8 äßefen ju unb fanb einen öftexrcic^ifdjen
„fttyxzt" (Sergeanten) mit Öteweljr unb $afd)e am
23oben liegenb, befdfjwert oon ber Straft be8 SllfoljolS.
3$ fdjleppte ben 5ttann, ber faum eines oerfiänb»
liefen SBorteS fä$ig mar, auf bie ©trage, allein er tonnte
ofyte ©ilfe »eber fielen nod& gefjen. ©einem ©djicffal
burfte er nicfct überlaffen werben, o&ne ©efa^r für fein
geben. @3 !am mir augerbem nod& ein anberer ©ebanfe.
$er ©ergeant mar offenbar jur miltt&rifd&en 9luffid)t
nadf) ftuppenljeim beorbert gemefen unb rnuftte Ijeute nod)
rapportiren. ©eine (äfciftena ftunb auf beut ©piel. S)a
fiel mir bie öfterreidfjifäe 2Badf>e am Äeljler $f)or roieber
ein, wo ein ftüljrer fommanbirte. $>em wollte id^ feinen
ftameraben jufütyren unb iljn für ba8 weitere formen
laffen. Slber baS war feine SHeinigfeit. 39i3 jutn ftetyler
Xfyox tyatte id) no$ weit metyr al$ eine ©ttutbe 2Bege3 unb
ringsum war alles tobtenftid unb niemanb ba, ber mir l)&tte
Reifen tonnen, ©o nafyn id) benn auf meine linte ©d&ulter
beS ©olbaten ©eme&r unb mit bem redeten 9lrm ergriff id)
ben SBetruntenen unb bewegte i^n müttfam weiter. $alb
fd^wi^te i$ in f alter ÜRadjt, fo fd^wer war meine SBürbe.
9113 wir nac§ bem Störfd&en Sftieberbütyl tarnen,
Ratten 9iacf>tluft unb Bewegung ben SBb&men *u einiger
33efmnung gebraut, bie er baju benutze , um ^aftig an
mtd) ba§ Verlangen ju {teilen, i&n gu feiner (beliebten,
bie in ÜRieberbüljl reftbire, gu führen. £8ergeblid) ftedte
tcfj bem SJlanne feine $ flicht nor; er ging mir ntdjt
me§r twm ftlecf, ef)e xfy i§m oerfpro$en, feinen SÖBunfd)
ju erfüllen. %a er fid) felbft aufgab, fo tonnte e§ mir
nur angenehm fein, tyn lo3$uwerben.
Rein Sid&t brannte unb fein #ünbleiu bellte in bem
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ftnftern $>orf c 3$ wollte aber fjeute no$4ei gleitet ginffcer*
nijj bie SBalpt finben, rodele er mir angab: Printer ber Eirene
eine fteinerne treppe hinauf &um $tra)ljof, über biefen weg
burd) eine (leine ©eitentl)üre t>or ba3 nädjfte SBauemfjauS.
<Sewef>r anf ©ctyulter braute td) meinen SBeifctod übet
baS Sobtenfelb glüctlid) in baS 9Beid)bilb feiner ©eliebten,
aU ifjm ein neue§ Unglüct sufttefj. 2Benige ©dritte oon
ber $au3tljüre weg fant mir ber Defterreicfyer in ba£ über«
frorene unb fdfjneebebetfte £)unglod(). ©r brad) bi§ unter
bie 3lrme in bie ^aud^e ein. ©ein ©tlfexuf werfte bie S8e*
rco^ner ber £ütte. <&od) e$e biefe, ber S3ater ber Jungfrau
unb fie felbft, mit einer Laterne erfreuen waren, §atte
\d) meinen 3Rann roteber f)erau3ge$ogeu unb präfentirte
ifjn unter SBeridjt über fein ©efdjiä al§ oerfpftteten ©aft.
$>a§ 2ttäbd)en fdjlug bie ©änbe über bem ftopf ju«
fammen unb fing an, tyrem „Süljrer" eine ©tanbrebe $u
galten, bafc er eS wage, „in biefem guftaitb" ju tyr p
fommen. ©ie fdjwor tym für ewig £reue unb Siebe ab,
wenn er nid>t aUibalb ßd) entferne unb in anftänbigerer
2lrt in gufoufi erfdfjeine. $)er alte ^Bauersmann ^ielt
i^m babei fcfjweigenb bie Sateme ©or§ ©ejtdjt. Qu eigen«
tyümltdjem SBraun leuchtete ber wetfje SBaffenrodt be3
£)efterreid)erS, ben id) ftumm unb ftitt am Sinne feftyielt.
S)a3 ©an&e fjätte ein ©enrebüb gegeben für ben *ßiufel
eines Oiembranbt, um fein §eUbmtfel anzubringen. Um
©otteSwillen aber bat mity bie ,3)ame*, bod) ben „wüften
$erl" wieber mitjune^men.
©utmüt&ig wie immer 30g td) ben wiberftrebenben
SBengcI oon bannen über ben Ätrd>l)of jurüdC auf bic
©trage. Qam ©lud gefror bie Saudje balb an feinen
Kleibern, unb tdj) fonnte o^ne grofce 93eläftigung meiner
©eruc^Sneroen ben Sttaun weiter bringen. Um elf Uf)r
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— 151 —
tarn td) enbüd} mit tf)m an§ Äe&ler $f)or, wo ber SBad)*
fommanbant mit meiner Reibung be§ SßorgangeS feinen
tfottegen in (Smpfang na^m. Qd) gab iljm nebft meinem
•ftamen unb meiner 2öof)nung nod) einige Littel an, wie
bem SBcrungltkf ten Reifen märe, unb frf)ieb oon bannen.
£>e§ anbem SttorgenS, ba td) faum oon ber ©d^ule
5U ©aus mar, tritt ber SBityme in mein 3i*mner unb
banfte mir auf 8 innigfie, bafc id) tyn vor $)egrabation
unb 0 <5tod\)au%" bewahrt, ©ein ftamerab, fo erjäfjlte
er, fjabe if)n auf ber 2Bad)ftube fdf)lafen laffen, il>m bann
feinen dlod angesogen unb e§ fo möglich gemalt, auf
ber §auvtrvaty feinen Rapport anzubringen. Sllle ©e»
fafjr für if)n fei jejjt oorüber, mofür er mir nidfjt banf*
bar genug fein tönne. 2Ba§ au£ bem 3ttanne fpäter
geworben, weifc id& nidjt, uteffeid^t fiel er 1866 bei <£u*
ftojja, wo baS Regiment SBenebef otele Seute oerlor;
aber feinen tarnen weijj id) fjeute nod), unb fein SBilb
unb jene üftadfjt flehen nod) lebenbig oor meiner ©eele.
©r Ijiefj 2Ben$el -ättarfert unb mar au3 SBöfymen. —
$)ie britte 9lrt, feine Soijalttät für ben ©ambrinuS
ju bezeigen, mar bem Unterfejrtaner jeljt aud) bie offizielle
Kneipe ber oereinigten ©d&üler ber bübm obern klaffen.
(S§ mar etwas gar $öftltdf)e3 unb tultur^iftorifc^ Qnter*
effante§, fo eine „ftrofdjftteipe", roie jie unter ben SRaftattern
jeuer ^eit gehalten mürbe. £>eute, fo Ijöre id), foHen bie
oberu ©tjmnajifien in einzelnen ©ruppen in ^affeetyäufern
fttjen, SBiUarb fpielen unb ©laceljanbfcfyulje tragen. $a£
ift fd)on £reibljau§gefd)id)te unb Unnatur in biefem Hilter.
SBei un§ alten föaftattern I)errfdjte SRatur in wilber
©röfce. Unfere ^arole mar oiel Söier unb x>iel ßrafeel
in bunfler Kneipe. SlufS „©djmtbtftren" unb berartige
Siubbcuteleicn gaben wir mdjtS. 2Bir waren junge,
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— 155 —
fraftige beutfdje Riegel* nad) außen, tnmenbig aber uoH
attifdjer 9Bei§^eit SEBir trugen flafftfcfyc SMlbung in rauhem
©eroanbe. 2Benn icfi heute nod) mid) unb meine JJreunbc
mir oorftette im ^Benehmen unb in bcr ©eflnnung jener
£age, fo freue td) mich orbentlich an ben Äraftgeftalten
unb Strafeeiern oon bamalS. Sauter „braoe ßerle", bie
ber ©d>ule gaben, ma§ if)r gehörte, aber auch ihrer Qugcnb«
lujt unb ihrem ungefchminf ten Stattfchthum freien Sauf
ließen in allem, n>a§ nicht fernere ober gemeine ©ünbe mar.
SBie mancher von un§ mußte bie 2öod)e ^htburd)
elenb fleh burchfd)lagen mit flechten ftofttagen, in clenber
©tube frieren unb bie freien ©tunben benütjen, um jüngeren
£t)ceiften Unterricht gu geben unb ein paar ßreujer ju
oerbienen. SBßenn aber ber ©amftag*5lbeub fam, fo mar
e3 ihm gewiß $u gönnen, wenn er auf ber Kneipe erfd)ien,
be§ SöeltattS Rümmer unb ©orgen oergaß unb beut ©am*
brinuS opferte, roaS er ehrlich unb fauer wäfjrenb ber
äßoe^e oerbient hatte.
3$ bin überzeugt, baß wieber oerfdjiebene m fromme
©eelen" bie £änbe über bem $opf aufammenfd)lagen, baß
ich fo oerberblic^e unb Slergerniß erregenbe S)inge er^le
unb mich noch freue in ber (Erinnerung an jene ©tunbeu
unb Sage. $>tefe Seute, bie wieber ben ©tab über mich
brechen werben, gottlob aber meine eigentlichen, wirffamen
dichter nie^t flnb, ^aben entweber in ihrer 3>ugenb e§
cjerabe fo gemalt, motten aber, in einer 9lrt oon ^ß^ari»
fäcrtfmm befangen, nicht mehr bafür angefehen fein, ober
fte flnb bamalg fraftlofe, unnatürliche 9ttenfchen, fog.
„©imfentatQer", wie fie ber £a§lacher nennt, gewefen,
unb bann mögen fie bem Heben (Sott banfen, wenn fie
feitt)er feine größeren ©ünben begangen ^abeu al§ wir
JBiertrinler jener Sage.
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SSBie oft mußten unS int »Sinter 1857/58 bic öfter*
retdjtfdjen Patrouillen aus bem bunfeln Nebenzimmer in
ber ,<$romerei" am Hehler %$ox entfernen, weil bie
»^oligeiftunbe* läugft oorüber mar! 2öir fyaben mefyr
benn einmal baS &icrfäßd)en mitgenommen bei biefer 9Iu3*
weifung unb eS leer getrunfen auf meinem großen Limmer
in ber töappengaffe. 9lod) felje td) bie breite ©eftalt beS
©fjriftian SBalf oor mir, wie er mit bem gWen auf
ber <5d)ulter unS voranging unb mir fmgenb fyinterbrein.
Unb wie oft bin id| in jener Qtit nodf) gegen 9Jlitter*
nadjt mit meinem frül) oerftorbenen greunbe SHeinacfyer,
bem geiftretdjen Soljne eines armen SHaftatter (BdmeiberS,
2ltm tu5lrm auf abftdjtlidjen Umwegen burdf) bie ©d&roaben*
ßaffc gebogen unb f)ab T mit if>m gefungen, baß bie (leinen
Käufer crjitterten:
©djeint ber 3Wonb fo f$ön not meines Katers Sabeu,
Äetl, reo Weioft fo lang, bei ben Äam'raben ? !
Ober:
$rei Sitten, brei Sitten, bie pflanat ia) auf ein ©ra&,
2)a lam ein ftofjer Leiter unb &raa) fie ab.
Sftoci) erinnere id> mid& mit einer geroiffen (Siegte ber
jungen, fd&marjäugigen unb fd)war$locfigen Kellnerin in
ber genannten Bierbrauerei. Sie mar braoer Altern $inb
auS bem Dorfe Durmersheim unb felbft ein ebenfo fcpneS
als tabelloS braoeS unb djaraf terfefteS SJläb^en. %n töten
klugen lag ein ganzer bunfler SBerQfee, in beffen Siefe
Sergtrqftafle funfeiten. SBir waren iljr alte freunblid), ofme
unS oiel me^r um fie ju bef Ummern, als eS Ujr Slmt unb unfer
SBierbebarf erforberte. Sie felbft hielt ftch nod) referoirter,
nur gegen mid) glaubte id^ einige „SBorliebe* au bemerfen.
Da oertraute fie mir eines SlbenbS an, fle ginge
morgen, am Sonntag, ju SBefucty in ihre ©eimath, unb
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— 157 —
td) bürfc fic eine ©trecfe roett burd) ben „9tieber*2£alb"
begleiten. Qd) bttbete mir nicht roenig auf biefen SBor*
511g ein, ben ich natürlich feinem anbem oerrieth- 9Ber aber
in feiner S3ierbufelei bie gange ©efdndjte roieber oergafc unb
ben <sonntag=9Jlorgen oerfchlief, mar id). $)a§ erfte 2Ral
ht meinem fieben, ba id) galant fein roollte, fd)lug e§ fehl.
%xt buntte ©djönbeit hat e§ mir nie oergeffen, unb
fo oft td) fpäter gum SBier fam, flaute e§ mich au§ ihren
klugen an roie eine ©turmfluth in finfterer Macht. 58iele,
oiele $ahre oergingen, big td) gelegentlich oon ihr erfuhr,
fie fei nac^ 9lmerifa auSgeroanbert unb habe ftch bort oer*
hetrathet. 9lad) einigen fahren fät turje ßtit in bie
£eimath aurücfgcfehrt, r)ättc, al§ fie roieber in bie neue
SBelt hinüberfegelte, eine GturjroeUe fie oom SBerbecf ge
fpult unb im Sfleere begraben. —
3u Anfang be§ 9Jionat§ Dejember 1857 mufjte ich
al§ SRefrut heim &ur ÜJiufterung. 2Bir £a§lacher SHefruten
jenes Sfahrä roaren bie erften, roelche, nach Aufhebung be§
$8e§trtSamte3 in unferer SBaterftabt, in SBolfachfid) aufteilen
l)attm. Unfer berget hierüber mar nicht (lein, benn mir
fahen e§ al3 eine 9lrt $)egrabatton an, roie SBauernburfchen
nad) einer 3lmt3ftabt un8 begeben ju utüffen. Hber impo*
niren wollten wir roenigftenS ben SBolfachero. Unfer Sfte*
(rutenroagen rourbe $u einem grünen £annenroalb unb mit
gähnen aller färben behangen, unb unfere Seiber babeten
roir am SIbenb oother in ber SBafchfüche oon „®ottetbarm§
©enfmühle*. $)e§ „©chroarjbecfen föubolf* fprang bamalS
in jugenblichem Uebermuth in ben oorbeifttefjenben Sttühl*
bach unb trotj ber SBinterfölte luftig barin auf unb ab.
Seit unferem Austritt aus ber Sßolföfchule waten
mir nie mehr alle fo oerfammelt geroefen, aber roie hatten
bie fech§ Sah^c un§ geänbert! $ie meiften waren fchon
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— 168 —
al§ ,£anbn>etfSbutfchen" in ber äBelt btau&en gcroefen,
bic eigentliche *ßoefte be§ SebenS war gefchnwnben, unfer
3)afein teilte fidt) in ©otge um ^iften^ unb in bie ©udjt
nac^ atmfeligen Setgnügungen. 2Beldj ein Sfttefenuntet«
fchteb gnrifchen ben gteuben bcS SctnbeS am erften Äom*
mumontage unb ben Stteftutenfteuben! Unb bodj liegen
nur fed)§ flüchtige Qaljre bagnrifchen.
S)et SBütgetmeiftet <3at)l, ein ebcnfo geiftteichet als
fteiftnniget Sütget, begleitete feine SMtuten, wie üblich,
in bie 9(mt3ftabt, xoo ein SBodjenmatft mar. $ll§ idt)
mit i^m übet ben jättatttplafc bem 9tatl$au8 gufchtttt,
geigte et auf einen alten 9ttann, bet ©ttohfchuhe feil
hielt, unb fagte: „$a3 ift auch ein Settet uon Qhnen."
<£§ nmt „bet hattet au£ bem ftaUbtunn", einft bet
teichfte Sauet be3 obetn ßingigthaleS, beffen Stowtet mein
SSettet (Sbuatb, bet Äaftenoogt, gut $tau hatte.
SÖßenn in ben bteif iget S^h^n bet gütft von dürften«
berg unb bet ®tof$h«*B°Ö Seopolb, be$ giften ©chraaget,
nach bem SBabe SRippolbSau tarnen, wat bet tetdje ©attet
eine bei ben hohen ©etten gat getn gefehcne ^etfönlicc)*
feit. %a bet JJütft nahm ihn einft mit, um ihm feine
©ettfchaften in Böhmen gu geigen, ©ein Sohn ftunb als
Lieutenant bei ben babifchen fttagonetn, unb ich be*
ttachtete biefen wie einen $atbgott, als et einmal , lutg
cot bet SKeoolution, in Unifotm feine Schweflet befugte.
$)et Seutcnant rourbe in bet SReoolution „Sttajot",
nachhet eingefpertt unb cntlaffen. <£t ftatb aB ftan*
göftfchet Segionät im fttunftieg. S)et Sätet fam um
©ab unb ©ut, fein SKiefenhof mit gelb unb SBalb nmtbe
um ein Spottgelb oetfauft. <£t wohnte fpätet im £ag*
löhnethaufe feines £ofgute§, machte ©ttot)fchuhe unb be*
fotgte ben SDienft al§ ittathfchtetbet feinet (Bemeinbe.
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— 159 —
3n biefcr ^eit traf ich ilnt unb Iub ben armen Detter
gu unfcrcm ftefrutenmittageffen in ber ©onne $u 2Bolf ach
ein. S)er arme 2flann ^atte eine fmbliche greube unb
banfte mir mit tränen in ben 9lugen. Sftir aber fchroebt
gar oft, wenn ich an meine Qugenbjeit unb bie 2lrm*
feligfeit unfereS SebenS benfe, bie ©eftalt beS alten ©arter
unb fein herbes ©du'cffal oor ber ©eele.
fflnx brei oon meinen ^ugenb* unb ©djulgenoffen,
„'S ©djmarabecfen Sfoibolf ber # ful' Sllife" — beibe fchon
tobt — unb SBU&elm, ber $ammerfdnnieb, mürben ©ol*
baten , ich aber wegen „erprobter unb bezeugter ßurj*
fichtigfeit" für bleibenb untauglich erfl&rt Siefen Uebel
Huberte mich auch groei Qahre fpäter, im Qahre 1859,
al§ mäijrenb beS frangöftf^^fterreic^tf^en SfriegeS SBaben
mobil machte unb baS Regiment SBenebet in SRaflatt ebenfalls
DfpäierSafpiranten annahm, bei ben Dejterreichem einju«
treten, für berenSBef enunb Uniform ich oiel ©umpatt)te hatte,
3$ lernte als ©ejtaner „im ©chwert" eine große
Slnsa^l öfterretc$ifd)er ßabettfelbwebel unb SieutenantS
lernten. Unter ben lefctem befanb fleh mein intimer ftreunb,
ber Slrtitterielieutenant ©ogl, ein $uroler unb ehemaliger
©tubent. 3fon rief ber ßrieg oon 1859 btrett auf bie
@c$lad)tfelber wm Oberitalien, ©eit unferem bamaligen
Ebfdneb hab' ich nichts mehr »on ihm gehört
2BaS mich mit allen biefen Defterreidjern gang be*
fonberS oerbanb, mar bie Harmonie beS gleiten leichten
©inneS, ber in h<>h«n ©rabe bem auftrtfehen äöefen eigen
tjt, unb ben man bei ben Defterreichem beutfeher 3unge
überall, felbft in ber ^olitif, nachweifen fann. Qd) hätte
jebenf aOS baS geug $u einem ächten Defterreicher gehabt ! —
@S bürfte ie^t roohl angezeigt fein, auch einmal meinen
religiöfen ßuftanb oon bamalS ju befpredjen. Qn meinen
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— 160 —
Qugenber Witterungen würbe bereits erjagt, ba{j id> im
eiterigen #auS unb in beut ber ©rojjmutter in ftreng
fatljolifdjer, tiefgläubiger Umgebung mid) befunben fjabe.
Die SSollSfdjule, von beren religiöfer @rgiel)ung mir bie
(Srinnerung g&njli^ gefdjwunben tft, l)at in biefer Dtidj*
tung gat leinen ©influjj auf nrid) auggeübt. Die erften
SüngUngSjafjre aber oerroifdjten audj bie formellen S8e*
griffe beS c&riftlidjen (SlaubenS atemlid) oollftänbig.
Der junge URenfd) ift oon feiner erbfünbltdjen Sfattur
auS religiös unb polttifd) entfdjteben liberal. (5r wirb
bieg um fo meljr fein, je lebhafter er oeranlagt ift. Der
erfte liberale mit bem Urgrunbfat} beS SiberaliSmuS, ber
perf Anliefen ftretyett, mar bie ©erlange im ^arabieS.
Der Teufel Ijat — allen ©rnfteS — auerft ben ©afc beS
babtföen SttintfterS ^olty: „©elbjt ift ber 9Jlann!" protla*
mirt ©ettbem Slbam unb ©oa biefen liberalen ©prud)
angenommen unb geglaubt §aben, ift ber 9ttenfc§ religiös
„freijimrig 4 ' unb jum ©lauben an bie binbenben Offen*
barungen ©otteS wenig geneigt Die Se^re t>on benfelben
ober, turs gefagt, ber 9feligionSunterri<$t ift barum bem
erbfttnblid&en SRenföentinb etwas Unangenehmes unb
SangmeiligeS. SBer eS nid)t glaubt , ber greife nur in
feine eigene ©ruft unb erinnere ftdj ber <r 9teligionSftunben 4 '
in ber SßolfSf^ule unb am (ätymnafium.
Sa, fo ein ©ottbfid)lem oon ^riftop^ ©djmtb, bejfen
Soblieb id> in meinen früheren Erinnerungen gefungen,
baS bem ftinb bie Religion im *poeftegewanb, (Stott in ber
Statur bringt, wirb bie ftinbeSfeele immer oerfteljen unb
mit Siebe umfaffen. ©obalb aber bie Religion in ber
gform Don abjhaften ©laubenSffifcen auftritt, wirb flc
bem jungen ©emtttl) unfompatljtfcf). Darum fyd bie
ewige SöeiSljeit, ber offenbarenbe ©otteSfofjn, feine Sellen
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- 161 -
fo oft in Setbinbung mit ber Sftatut gebraut, im #inn>ei8
auf bieSBlumen beS gelbe« unb auf bieSBögel beS $unmel3,
unb fle eingefletbet in lebenbige ^atabeln unb @letd)niffe.
3$ fenne bie IReligionSlehtbfichet anbetet $tiftlid)en
ftonfefftonen nic^t; abet bie fatyolifd&en Katechismen, gang
befonbetS bie gtöfsetn, leiben an einet entfctjlidjen Stödten*
hett unb Slbfttafthett. $)et fo betüfnnte fceljatbe'fche
ftated)t§mu3 tfk hierin ein raahteS 9Reiftetftücf.
TT
PVP
ein ©anbbuch bet dt)tifl*tat|olifdt)en ©laubenSletjte, ba3
butch feine namenlofe Sttbfttufitcit, feine Unflarfjeit unb
n>ftftenfanblidt)e Debe getabeju angetljan toat, und bie \Rz*
ligion &u entleiben. 3)et SSetfaffet hiefc ©tablbaut, feines
QeichenS, wenn ich mich tedjt etinnete, itgenbmo in SBagetn
$omfapitulat. $tot|bem hätte ba3 $udt) auf ben # 3nbej #
gefjött, auf melden man nicht blofj foldje ©Stiften fefcen
foHte, welche 3?alfche§ lehten, fonbetn auch jene, bie einem
etlichen ©Stiften bie S03at)tf)eiten be3 ©laubenS entleiben.
S)ie heutigen fatholifchen Sehtbüchet an ben ©nm*
naften f ollen auch noch bog 9Renfchenmögliche leiften an
$tocfenheit unb Sangmeile.
äöenn jenet ©tablbaut in bie ©änbe eined ßehtetS
fam, bet feine ©djület biefe fonfufen, fdt)tecflich ftyliftrten
fielen fötmltdc) „butd)odjfen" lief}, fo mufj ba§ füt biefe
eine watjte >$uchthau3atbeit gewefen fein, ein ©cfd^äft,
baS ©eift unb Seib $u töbten im ftanbe mat. Stovern
unfet Nicolai bieg nicht oon un§ oetlaugte, hatte et bod)
roebet fo oiel ©netgie, baS Sttachroet! au£ bet (Schule gu
oetbannen, noch ©eift genug, um einiges Seben in biefe
Äitc^hofSöbe jn btingen. Unb fo (am e$, baß mit bei
bet untet ben meiften oon und ftatf auSgebilbeten etb*
fftnblichen Abneigung aUcS füt bie Klaffe eher lernten
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— 162 —
als bett ungtücffeligen Stablbaur. in ber SRegel nmrbe,
ftatt bcm Unterricht Slufmertfamfeit sujumenben, unter ber
SfteligionSftunbe or&parirt ober überfefet für bie folgenben
ßehrftunben. 3$ ttjat bieg ftetS. äBie ich jut SRote „gut"
tarn im Religionsunterricht ift mir nur burch bie ©üte
beS ^rofefforS erttärbar.
Stablbaur unb ©rbfünbe haben eS in biefen amei
Qahren b«r ®e#a fo weit gebracht, bafj ich auf U™*
©erfUät tarn unb Geologe im erften ShtrS mürbe, ohne
mehr ju nriffen, roie viele ©aframente unb Gebote bie
(atholifche Kirche habe.
3öie ftunb eS mit ber religiöfen Uebung? $)a haben
benn bie ©amenförner ber „Sene^aS", gelegt inS ftinbeS*
herj, unenblich mehr gewirft als ein ©tabtbaur. Stö
habe in jenen Sagen, in benen mir faft jeber religiöfe
„Sehrbegrtff" abging, boch nie aufgehört $u beten. Unb
wenn mein ©eift noch fo trüb heimtet)rte aus ben n&cht*
liehen Kneipen, ich habe wohl gar nie oergeffen, mein
^achtgebet ju oerrichten, unb wenn eS auch nur aus
einem SSaterunfer unb 3loe 3Raria befhmb. 9Jtehr als
einmal hab' ich auch gang allein bie mir burch i^re 5lb*
gelegenheit unb SobtenftiHe heimifche 8emharbuS*Äirche
ober bie bunfle Soretto^apeHe itt Ütaftatt aufgefucht unb
bort etmaS weniges gebetet ober mit anbem als irbifchen
©ebanfen mich befchäftigt.
5)aju fam noch, roaS ich nicht genug loben tarnt, im
©egenfafc ya ber unheilvollen $ra^iS, bie heute an ©um*
naften h^trfcht, bafi mir regelmäßig am ülftittrooch unb
(Sonntag ben ©otteSbtenft befugen unb jebeS $at)T wenig*
ftenS smeimal beichten mußten. QebeSmal oor bem
©ang in bie bem Snceum gegenüberftehenbe alte ©d)loß»
tirche ber tathoüfchen SWarfgrafen oon ©oben hatten ftch
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— 163 -
fämmtltd&e <5d&üler ber Slnftalt in ber „Hula" $u
fammeln. ©in ^rofeffor exfd&ten, lag nad& klaffen bic
einzelnen (Stüter ab, wie beim 9fypett, unb führte bann
ben gangen 3ug in bie Ätrdje.
9ln Sonntagen unb in ber öfterlid&en Shtfoeit gingen
fämmtltdfje Setter mit gutem SBetfpiel voran, befugten ben
©otteSbtenft unb empfingen bie fjeiligen (Saframente. $a§
braute uns wenigftenS 9ldf)tung oor ber IHeligion bei,
unb bie§ um fo meljr, aU ber S)treftor, ben mir oor*
gugSioeife wegen feiner eminenten ftenntniffe fyotfjfdjätjten,
ficJj al§ roirflid) gläubigen Äat^olifen geigte. @r fehlte
nie im 2Berf tagSgotteSbienfi, unb felbft bie Söefper befugte
er meift an ©onntag^ac^mittagen. gern »on Jener un*
finnigen Spanier unferer $age, überall burd(> „ftonfefftonS*
lofigfeit" falfdje Xolerang unb jur SBerwilberung fü^renbe
Humanität ju oerfünben, hatte man aud> nur fatfjolifcfje
Selker an ber alten fati&oltfd&en 2lnftalt gu IRaftatt an*
gefteKt, unb au$ ba* $atte für bie reltgiöfe Seite ber
Stüter fein ©ute§.
Unb wie fteljt e3 tjeute an unferen ©qmnafien aus ?
$ie Herren ©tubentenfnaben brausen com 14. Qa^re
an toeber ftixdje nodf) Slbenbma^l me^r ju refpettiren,
fte f dunen fld) oollftänbig fonfefftonSloS geriren, wenn
nur i^r #err $apa, ber in vielen 3#Uen meilenweit
wegwoljnt, bamit einoerftanben ift. Unb bie Herren
Sßrofefforen, unter benen e8 blutwenig tüchtige ^fjilo*
legen meljr gibt, fmb tyrer SBeiS^eit natürlich felbft
überlaffen, von ifpien oerlangt man nodfj niel weniger,
bafj fte ben ©djülern in religidfer £>inftd)t ein gute§
Seifpiel geben follen. ®te lederen Wnnen oon tyren
Seffern IjöctyftenS lernen, baf* ber Sflenfdj audf) o^ne
Religion unb ofjne öffentlichen ®otte3bienft leben fönne,
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— 164 —
eine ftuttft, roelc^e auch bie ^ierroelt fchon längft ber oer*
nünftigen 9ftenfchhett oorgenmeht hat. $)a&u brauet man
feine Sßrofefforen.
$)i££iplin unb Autorität jeber 9trt ruhen in legtet
Qnftanj auf ber SReltgton, roe^alb bie preujtffchen ÄrtegS»
minifler nicht blofc ihre ©olbaten, fonbern auch bie £erren
Dfftjiere in bie ftirche fommanbtren. Sftefpeft oor biefer
preußifd^en 2Bet§heü, bie fchon barauS erfichtltch ift, bajj
bie franjöftfchen SKabitalen unb äommunarben bie 9ttilitär*
feelforge aufgehoben haben!
9$ ^re in neuefter fyit *ßrofefforen, bie mit mir
fiubirten, ferner flagen über bie ^uchtlojigfeit an unferen
©qmnaften im SBerljäftnif? ju unferer SgceumSjeit. $)a§
nmnbert mich abfolut nicht, mich nmnbert'3 nur, bafc e§
nicht fchümmer augfteht. 2öo foH benn ba£ Autorität!«
gefühl unferer ^ugenb hetfommen? %oty ficher nicht ba*
her, bafj ihnen freifteht, unb jmar offiziell oerfünbet, bie
Religion ju achten, b. i. ju üben ober nicht, unb bajs fte
fehen, wie bie ßehrer fcXbft auf bie h&hfte Autorität, auf
©ott, feine Sftücfficht mehr nehmen, unb ben öffentlichen
©otteSbienft auf bie ©eite fetjen.
2Bte fchon oben gefagt, fann ich *3 nicht genug an*
erfennen, bajj mir unb mit un§ bie fiehrer angehalten
mürben, äußerlich roemgftenS ©ott $u geben, ma§ ©otteS
ift, roenn e§ auch bei mir unb ben meiften meiner ßom*
militonen innerlich jiemlich fehlest befteüt mar. S)ie
Religion unb ihre gotteSbienftlichen Uebungen waren un£
nichts weniger al§ ein ©erjenSbebürfmjj; aber mir burften
beibe nicht »erachten, unb ba§ mar fchon ein unenblich
groger ©egen. Unb menn mir auch in ber ftirche, beim
deichten unb m&hwnb ber ^rebigt unb SBefper un3 nicht
aufführten, wie ein gläubiger, ernfter <£h*tft e§ thun fotl,
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— 165 —
fo waren wir boch noch weit entfernt t>on jenem >$ttftanbc,
ber bieg alle« gänzlich unterläßt, mißachtet ober gar ner«
höhnt unb oerfpottet.
2Ba« ba« deichten anbetrifft, fo war ich ftet« ge*
roiffcn^aft in Angabe meiner fehler, allein mm einer eigent*
liehen Heue füllte ich nicht«. SHeift habe ich ben „Seicht*
jettel* meine« ^reunbe« &arl Shmfofer übernommen, t>on
bem td) wußte, baß er fein ©ewiffen auf ba« Sorgfältig ftc
unb Sßeinlichfte erforfchte. 9lber eines ijt mir bodt) noch
wotjl erinnerlich, baß mid) jebeSmal ein befonbere« SBohl*
besagen erfüllte, wenn ich bie Satramente ber Stoße unb
be§ Slltar« empfangen hatte, olme tum beiben auch nur
eine IjalbwegS richtige SBorfiellung &u haben.
SBeim fonntägtichen $auptgotte«bienft war ich oon
Serta an bei ben ©fjorfängern als £enorift. S)te Sänger
auf ber Orgel fmb ftet« bie am wenigften 9lnbä$ttgen in
einer ßtrche, unb wir SRaftotter matten oon biefer [Regel
feine 9lu«nahme. 2Bir flauten währenb ber ^rebigt meift
entweber in bie ÄaftanienaHee be« ehemaligen ©chloß*
garten«, ober hinab auf bie SRaftatter JJtauenroelt, welche
in ihrer jüngeren (Generation mit SBorltebe „bie Stubenten«
firche* befuchte. 2Gßa§ ich oen ^ßrebigten hörte, war,
foweit e§ mir noch erinnerlich ift, nicht geeignet, un«
in ben bogmatifchen Wahrheiten ber tathotifchen Kirche
ju befeftigen; e§ war ein mehr ober weniger langweilige«
unb füßliche« -äftoralifiren. S)er befte ^Hebner unter ben brei
©eiftlichen, Sßrofeffor ^olgherr, bereitete ftch &u wenig oor,
währenb unfer guter Nicolai ftet« in höchftpoetifchen Wen«
bungenftch gefiel. ©r rebete gerne „oom Hbler, ber fich in ben
ßüften wiecht, unb t)om SBurme, ber im Staube {riecht".
Uebrigen« war bie ©horfängerei bie einzige Urfache,
welche mir öfter« ben Unwillen be« $ireftor« jujog. Qch
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— 166 -
„fdjrofitQte* nümlid) mit Vorliebe bic ©efangproben beS
9Jtufilleijrer$ Senber, bie geroö!jnli$ an ®amftag*9tod)*
mittagen ftattljatten, an benen td) am liebften auSmärtS
meinen $runf fudjte. 5)er Sftann nnifjte bann, rote aUe
Seute o^ne befonbere Autorität, feine anbere ©ilfe, als
midj beim $)ireftor $u melben. 2Rand>en 2Jtontag borgen
fu&r mid) biefer fdjarf an mit ben 2Borten: „<&x bier*
gebeutet $)icfl)äutet l)at audj roieber bie ©efangftunbe
Derfäumt. @r fann ja nod) SBier genug triufen, ofnte bem
£>errn SBenber ©runb &ur ftlage &u geben« 4 ' ©leicf) batauf
aber, wenn td) iljm nad) feinem Wohlgefallen baS $enfum
überfefct Ijatte, mar er wieber ber befte 3ttenfd) mit mir.
9lm unarttgften benahmen mir un« in ber SBefpcr,
wenn ber £)ireftor nidjt barin mar unb irgenb ein junger
ßeljramtSprafttfant bie 9luffid)t führte. $a Ratten bie
meiften ©egtaner, bie ©internen in ben SBanfretyen ber
(sdjüler, nichts anbereS ju tljun, als ftdj umgule^ren unb
bie anmefenben „SBeten" *) $u muffern, eine in ber fttrdje
ebenfo unpaff enbe als im übrigen DöHig unfdjulbige 3lftion.
2ßir tümmerten uns fonft blutwenig um baS anbere ©e*
fdjledjt; mir unb meinen ©efumungSgenoffen galten SBier
unb £abat mefjr als baS, maS man im geroöfjnlidjen
Seben „Siebe" nennt Söiel fd)limmer mar e$, bafc mir
bie SBefpergefänge fteUenroetfe parobirten. Q[n einem *ßfalm
j. ber von ber Unoeränberltdjfeit ©otteS fymbelte,
fangen mir, ftatt wie e§ in bem ©cfangbüdjlein f)iejj:
(Sin alt* <$ebirg oergeljt,
(Sin neues tljütmt fia) auf —
(Sin alteS äBeib »ergebt,
(Sin neues tfjttrmt ftä) auf.
*) 60 nannte bamal$ bei: Stubent bie jungen s JJiäbdjen, bie
Badfifdje.
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— 167 —
Steine geringe Auflegung entfhmb im (Sonnner 1858
anf bie ftunbe Inn, bafj ein junger Sßitar be§ ©tabtpfarrerS
SBuchbunger ben chriftenlehrpflichtigen 9ftäbchen unterfaßt
hätte, fernerhin bie „Stubentenoefper" gu befugen. 4t'cnn
mir nicht ben alten Defan, feinen ^ßrtnjtpal, fo refpcttirt
hätten, würben wir, wa$ fd>on befdjloffen war, bem jungen
$errn, ber heute irgenbwo ßanbpfarrer ift, bie ftenfter
eingeworfen ^aben. <5o aber lief bie Gache unblutig ab,
unb bie Sftäbchen waren ftanbhaft genug, fleh bie SBefper
in ber ©chlofjftrche wicht entleiben gu laffen. —
Qn ben beiben ©e^ta^a^ren braute ich mannen
freien Sag $ur 3*ühjahr§* unb ©ommerSsett in bem jroei
(Stunben non fHaftatt entfernten Dorfe Durmersheim &u.
$ter wohnten zahlreiche Sörüber be$ SftanneS, ber bie
(Schroetter meiner 3ftutter geheiratet unb ba§ grofjmütter*
liehe ÄaufmannSgefchäft in ©aSle, einft mir augebacht,
übernommen ^atte.
Qch ^abe triele oergnügte ©tunben in jenem großen,
einfam gelegenen ©arbtborfe erlebt, wo ich jtet§ bei bem
nun längft tobten SBruber QfohanneS, einem Aitern, lebenS*
froren 9Renfchen, Quartier nahm. (£r mar Inhaber eines
fchrounghaften ftauflabenS, befaft treffliche Zigarren, oiele
gelber unb eine ^aa,b, lauter Dinge, bie mich interefftrten.
3U8 junger ßraftgermane 30g ich jagenb über bie frucht»
reiche $arbt ober burch bie Sßßälber brausen am $Ht)eine
hin unb fafc SlbenbS nach vollbrachtem SßBaibwerf rauchenb
unb trinfenb beim „9lbatt" ober im „SBolf unb ßamm*
mit ben behäbigen dauern be3 Dorfe«, bisweilen fuhren
mir auch t)on ber Qagb weg über ben Schein tynubtx,
tränten SRoufftHon in 3ranjöftfch*Sauterburg unb 93ier im
banerifchen Orte gleichen -WamenS. 9luch ben $af)rmarft
bei ber bem Dorfe benachbarten SQßaöfahrtöfirche 5Mdeg*
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— 168 -
heim fyibe ich mehrmals mitgemacht unb luftig unter
luftigem ©arbtoolte oerfehrt.
SOBenn ich an jene Sage jurficlbenfe, fo meine ich, bie
SRenfchen feien bamaö nie! heiterer gewefen unb bie (Erbe
fonniger unb frönet als jetjt. S)tefe falfdje Meinung
f ornmt aber einfach baher, bafc ich felbft ein alter ©rie§*
gram unb $wochonber geworben bin unb Sanb unb Seute
eben nicht mehr mttfofröhlichen Bugen aufbaue mtebamalS.
$)te Dfterferien in Untetfejta braute ich ttjetlroeife
auf bem „®röbet*©of * bei &dl am Sarmersbach &u. 9luf
biefem ehemaligen ©eftfcthum be§ ftlofter§ ©engenbadj fafe
bamalS im oäterltchen £aufe ber @ohn beS in meinen
^ugenberinnerungen genannten „©errn", be3 S*entmeifter§.
jemals auch ein luftiger ©tubio, ber mit SRed&t ein un*
abhängiges, burch <$rbfd)aft ihm jugefaßeneS ©tücf 8anb
bem (StaatSbtenfte oorgesogen, Eyatte er mich eingelaben auf
feinen Sanbfttj am (Eingang beS ©armerSbacher XhaleS. (SS
waren mir ftitfoergnügte ©tunben, bie heute noch *>er
Erinnerung ein poettfeher £auber umhüllt. 3Rorgen3 unb
Wittags trieb ich in Selb unb SBalb, bei $ferben unb
^tinbern hetum / wie ju SttnbeSjeiten, am Bbenb aber man«
betten ber ©utSkjerr unb ich hutein ittS ©täbtehen $um SBier.
3ch fenne fein ©täbtehen im babifchen ßanbe, baS
elegifdjer unb jtiller gelegen märe als btefeS Qtü, bie
©eirnath beS weithin bef annten «ßrofeff orS $ufc. $3 liegt
an fonnigen Sagen eine folch* oerflärte SHuhe über biefem
alten 9teic^£* unb 2Balbftäbtd)en, baf* man glauben mdchte,
e§ wäre eben vom Orabe auferftanben unb harre ber
lebenbigen Bewohner. Unb bod) wohnte ju Jener Qzit ein
gar lebenbigeS SBölflein barin, mit beffen ,©püjen" ich
bamalS betannt würbe, eine Sefanntfchaft, bie ich fortan
in allen fommenben JJetten fortfetjte.
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— 169 —
8Ba§ waren ba3 für lebensfrohe Sttenfdjen, ber retelje
©ranatenfchletfer -ättöfch, ber $hierarjt ftömg unb vorab
ber „fdjmarae Stoftor", ber 3Eaoert, ba§ Urbilb eines ge-
mütf)Udjen, btertrtnfenben ©übbeutfdjen! 93i§marcf, ber be*
fanntlid) felbft gerne unb mel SBier trtnft, tpt einmal über
ba§ otele SBtertrtnfen ber ©übbeutfehen geflagt unb gemeint,
baSfelbe tauge nichts, madje fd)läfrig u. f. ro. Allein ber
fRetdjätangler hat eben toahrfchetnlich noch nie einen Slbenb
ober S^ac^mittag unter fübbeutfdjen SBiertrinfern jugebrac^t.
$6) bin überzeugt, bafj, roenn er oor breifng fahren cin=
mal im Sftaben in fyü gefeffen märe bei obiger ©efeCU
fchaft, er ftdjerlidt) einen anbem begriff baoon hätte, roaS
bem ©übbeutfehen ba3 93ier ift. 5£>ic Herren Greußen
fönnen ftch gratultren, baf* wir, tt)re fübltchen SBrüber,
fo gerne SBier trinfen; benn baoon unb uon nichts anberm
fömmt jene ©emüthüchfeit, in ber mir fo gerne folgen
unb unS von ü)nen fo oieleS gefallen laffen.
%tx „beutfehe Bichel" ift oon ©eburt ©übbeutfäcr
unb ba§ Söier fein SebenSelement. SBenn bie SBanern,
oon ben ^rangofen „bic blauen Teufel* genannt, (ein
Söier ^tten, märe fein SBolf ber SBelt fidler oor ihrem
„furor tentonicu8 tt , unb fie waren gerabe befjtjalb fo roilb
im legten Ärieg, weil it)nen, fem ber ©eimatt), ba§ &ier
fehlte. %tx babifche ^ß^iliftcr aber fingt ieneS Sroftlieb:
„3?reunb, idt) bin aufrieben", nur weil er S5ier hat in
allen Sagen beS polittfd)en SebenS.
60 fyoty baS 2Her über bem norbbeutfdjen JJufel
ftet)t, ebenfo h«>«h tagt unfere (Semüthlichfeit über bie ber
9torbbeutfdjen heroor. SQBenn man unS ©übbeutfehen
baS SBier n&fnne, bann mürben bei un$ bie Geichs*
fchmarmer, bie ^ßoeten, bie $ompomften, bie gemäßigten
Bürger unb bie SanbtagSabgeorbneten auSfterben, e3 gäbe
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— 170 —
bei und bann lautet Sttenfäen oljne ©emütl) unb mit
purem SBerftanb. $)ann würben wir benf en, pl)ilofopl)iren,
fdjroeigen unb rennen. Unfer $erj würbe oergletfcfyett
unb unfere 3 un § e würbe tyart reben wie (Stein. ©S
tämen guftänbe, bie ber fübbeutfdje Stubent fäon längft
geahnt, wenn er gelungen:
2Ba§ foH au3 ber 2Mt benn no$ werben,
2ßentt feinet ttie^t (93tet) trtnfcn will?!
%tx ©übbeutfdje ift com SBier fo abhängig , bafc er
felbft Rattengift ju fid) nimmt, wenn eS nur ben tarnen
„Söier" trägt
3$ bin fcft überzeugt, wenn bie granjofcn SBier*
trinfer wären wie wir SBabenfer, (5 cf) ran ben unb $8at)em,
fle würben nidjt alle jwanjig Qafyre eine blutige Dteoo*
lution unb ein anbereS SftegterungSfgftem fjaben. Unb
wenn td) Ijeute auf ben £ljron ber Üftapoleone berufen
würbe, mir wäre nid)t bange auf biefem Söulfane. 9ttein
erfter SRegterungSatt wäre eine (Sinlabung an einige
taufenb baqerifctye SBraumeifter unb bie ©rünbung von
SBierfiebereien im ganzen Sanbe. 3>er franjöjifdje Sauer
liebt ba§ §8ier, aber eS wirb iljm fo fpärlidj $u tfyeil, wie
unferem beutfdjen Sanbmann ber SBorbeaug. $ätte jeber
JJranjofe billiges SBter, fo würben in turpem ber fran*
j\öftf^e ©lan unb ber ©eift ber 9teoolution ber fdjmäbifdjen
©emütfyttdjfeit unb IRulje weisen, unb bie fübbeutfdje
tfiationalligmne oon ber 3ufrtebenl)eit würbe ins fjran*
äöftftfje überfetjt werben, um bie -äftarfeittaife ju erfetjen. —
9fteine Seiftungen in ber klaffe gingen faft parallel
mit benen im SBterljauS: je me^r id) Sier tranf, um fo
beffer unb günjtiger warb meine Stellung in ber ©djule.
@o trat id) au§ ber Unterfeyta in bie Dberfejta als ber
dritte unter 18 @d)ülem. 3Bie ium #ol)n aber fjatte
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— 171 -
^rofeffor 2)on3bad), mit bem ich bcn ©ommet übet allerlei
SBoSfyeit getrieben, mit ein SRacheramen in ber ftan^öftfchen
(Sprache „aufgehen^r", trotjbem ich ncch bie üftote „jicmltch
gut" hatte. 3$ erflärte bem $ireftor fofort, bafc ich ba§*
felbe nie machen würbe, unb habe treulich 28ort gehalten.
©türmifcher unb wilbpoettfchcr Ratten fleh noch feine
SKaftatter ©ertanet uetabf^iebet als bie ©on 1858. $te
5lbfchteb§fnetpe ju ©fjren ber auf bie UnioerfUät abgeben*
ben Öbetfertanet watb fchon einige SBochen not ©chlufj
be§ ©djuljahteS in Sin^eim bei SBaben abgehalten.
3>ort mar baS 95aterhau§ be§ herrlichen SBiereS, ba* ber
ftatjenmeier unb ber (Streb am Bahnhof nerjapften; bort»
hin maßten mir von Do8 au3 an einem prachtigen
HugufbSRachmittag, um an bie Ctuefle unS $u fetjen unb
ju trinten. 2Ba3 bie Stimmung mächtig hob unb ben ®urft
fteigerte, mar baS SBemufitfein, Freibier ju befommen.
$)er Heine Dberfejtaner SUfreb ©olber, h«tte £of*
bibliothefarin Karlsruhe unb ein ©elehrter erften ftangeS,
ju aller Qt\t aber ein greunb germanifchen SBefenS, hatte
ftetS auf ben ftneipen mitgemacht, wenn ihn feine fton*
ftitution auch baoon abhielt unb ihn beftimmte, wemg
in trinten. Huf biefe 9ltt hatte er wiber SBiHen trieleS
©elb gefpatt. Stonon wollte et einen jum Ebfchieb
opfetn unb hatte fid) befftalb gum notauS bereit erttärt,
100 9Jlaj* SBier &u „poniren", für etwa 20 „Wann" ein
gehörige^ Quantum.
®ie SBraueret SRh«nbolb in ©injheim lag an jenem
Sage, ba wir einbogen, frieblich im $orffonnenfchein an
ber Sanbftrajje; weber fle noch ba§ $orf hatten eine
Ahnung von bem ß&rm, ber heute fleh ba abfpielen fottte.
(Srft warb im ©arten gefungen unb getarnten, unb als
bie ©onne mehr bem iR^eiiie auftritt, unter meinem
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— 172 -
SBotftt* in bcm SRebenaimmer eine formelle Shteipe orga*
niftrt mit ©alamanbern unb SKunbgefang. 911S Kellnerin
fungirte eine bunfle ©djönfjett, wie fic mir faßte, be§
„6d)tnieb*Äraften 4 ' $öd)terlein aus bem „ftörfl" in 9ta*
ftatt, f)eute eine lebige / franfe, alte $)ame in i^rer SBater«
ftabt. Sie meinte, in tyrem ganzen Berufsleben l>abe fie
feine folgen luftigen Printer gefefjen. %k ©onne fanf,
aber baS lefcte gajj warb eben angeflogen, unb befftalb
rooUten mir „ntdjt eljer Dom $lafce Ijeim". S)rum rcarb
befd)loffen, ju übemadjten, unb ber £err Sftljembolb lieg
bereits in t>erfd)iebenen 303irtl)§f)Sufern Quartier anfagen;
midj felbft wollte er in feinem £aufe behalten, roeil eS fid^
im Saufe beS 9tod)mittagS IjerauSgeftellt Ijatte, baß meine
„©öttle", bie 9lblernrirtl>tn in £aSladj, feine SBafe fei.
%xt jungen Germanen tobten immer unbanbiger, bie
üftadjt rourbe bunfler unb mit if)r bie Slugen ber fdjarfen
ßedjer. ®em guten Braumeifter marb'S anfangs bange,
unb er l)ätte bie roilben ©äfte gerne fortgefjabt. £)rauj$en
aber ftunb baS fytlbe S)orf unb laufdjte ben Bacdjanten
unb ifjrem brüttenben ©ang. £)em $erm 9tyeinbolb
roarb'S audj untyeimlid) für bie anbern SBtrtye, bei benen
bie ©tubenten übemadjten follten. %a tarn tfnn ein
rettenber ©ebanfe, ber äugleid) Derrätlj, ba{$ audj ein
Bierbrauer roeifc, maS *ßoefie fjet&t, unb melden ©influg
fie übt auf beutfdje 3ttufenföf)ne. @r fälug mir t>or,
mit meinen ftameraben einen nächtlichen ®ang auf bie be*
nacfjbarte §)burg ju machen, um bort ben Sonnenaufgang
abjumarten. ©erne wolle er unS in ber ^erfon feines
ßüferS einen 3ül)rer mitgeben. 9JHt Watyt fanb fein
«orfcfjlag 2Biberf)aH in mir unb in unS aßen, unb als*
balb roarb aufgebrochen.
bin fett jener -Wacht nie mehr in jene (Segenb
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gefommen, würbe aber heute noch ben 2Beg fhtben, ben
bet ftüfer uns geführt, trotjbem ich ftarf an ber Dfym
SBtcr partictpirt hatte. ©3 ging einen formalen 2Beg
burtf) SHebgela'nbe bergauf, anfangs unter lebhaftem ©e*
fprfich unb ©efang; balb aber oerftummten bie ©eifter.
@S begann ju rauften in ben SBeinftöcfen, wie vom
gaUe eine« SJlenf^en. (Sin ober ber anbere ^atte fleh
jur Stühe gelegt, um bie golbene Sftorgenfonne unter ben
Staufen ber Sieben $u erwarten. 9luf betn (Sattel beS
SBergeS, in beut Störffljen Varnhalt angefommen, fehlten
befftalb oon ber luftigen Schaar bereite einige Häupter.
©3 war Mitternacht. S)er Führer würbe entlaffen,
weil einer oon uns ben Unterleder beS S>orfeS fonnte,
unb ber follte unS weiter bringen jur 5hirg. $)ie Stacht*
Wächter würben alarmirt, um baS €>chulf)auS und ju
jeigeu, unb bann ein SBirth fjcrauSgetlopf t ; benn in
SBarutjalt wftchit ein berühmter 2Bein. 2>ie guten SBinjer
in ihrem abgelegenen SBergbörfäen mufjten wohl beuten,
bie Stoffen feien eingefallen.
%wc<i) einen fjoljen $annenwalb ging'S unter 9ln*
fü^rung beS UnterlehrerS ber Stutne ju. 3lber auch
biefer SBalb forberte feine Dpfer, unb fchlaftrunfen fant
noch mancher nieber in beS „SBalbeS büftern ©rünben".
Stur trier 3Jtann, ben ftührer abgeregnet, erreichten gen
2 U^c 9ftorgenS baS #iel, unter ihnen meine lange
SBemgfeit. ©in altes, ^ä^tic^eS SBeib lieg uns in ein
finftereS, fchmutjigeS ©emaef) ein, wo wir auf Käufen
unS su furjem (Schlafe nieberlegten. (Schon nach oier
Uhr flunben wir auf bem ruinenhaften Shtrgthurm unb
flauten hi™& i« bie hwrlichen Sanbe. Siber eS fam
lein rechtes ©ntjttcf en in unS auf, ein fehreefiieher flauen*
jammer täbtete aUe $oefte, namentlich bei mir, ben jenes
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- 174 —
Uebel fietS in ^odfowtenj $etmfud)te, bem e8 aber jeweils
mit <£rfolg für einige 3eit Sttoral prebigte. ÜRadjbem
n>ir unfere tarnen itn alten ®ejtein nerewigt unb von
ber Gilten einige ©ier un3 Ratten fteben laffen, &ogen wir
fd)leunigft bergab, benn ber erfte 3ug m u ßt e in ©teinbad)
erreicht werben, we*T3 Sonntag mar unb um neun Ufa ber
©otteSbtenft in ber ftaftatter ©djloßfirdje unfer wartete.
Qn ber IjeHften Sflorgenfonne paffirten mir ba§ $>enf*
mal be§ großen 33aumeifter3 (Srmin non ©teinbadt), unb
im „Sternen" warb ein Kaffee genommen. 9luf ben <5ta*
tionen ©teinbadj unb DoS fanben fid) fämmtlid)e WatyU
äBegelagerer ein. Äeiner aber wußte mefa, wie e§ &u*
gegangen, baß er in ben SReben ober im äBalb ba5 £td)t
be3 neuen £age$ erblicft fyatte. 3 tt * testen 3*ü ftunben
wir in ber 2CuIa jum SBexXeS unb wanbelten in bie
(Scfjtoßfirdje. 9Bir fangen in gellen $önen auf bem
(Sljor: „fturie eletfon!" unb feiner ber *ßrofefforen fjatte
eine Slfjnung »on ber @d)la$t, bie wir eben gefölagen.
@o treibte bie Qugenb, unb alt geworben wunbert
ftdj ber SRenfd), baß er einmal fo I)at fein fönnen, unb
fdjaut auf jene $age surud mit wefynütfnger ftreube unb
mit griesgrämigem Äopff Rütteln 1 ).
9lm nädjften ÜPiartttag aber tarn ber SBrauer SRfyein*
bolb, bem wir einen balbigen $efud) üerfprodjen, nad)
*) 2)ie heutige SRajtotter ©omnafmmgiugenb ift weit foliber,
wetügftenö foweit ia) ed an meinen Äaptänen beobachten !ann,
von benen brei „Staftatter" fmb, alle brei aber oon einer Soli*
bität im £rin?en, bie mtä) in ©rftaunen fefct. ßiner berfelben
I)at gar, o§ne feinen ©Item am ©pmnaftum einen Pfennig 311
foften, 300 2Rar! erfparteS unb bura) 6tunbengeben oerbienteS
©elb auf bie Unfoerfität gebracht. (Sin fotdjefi 2Jhifter muß genannt
roerben. @r $eißt 3ofef Seible oon Sittelbrutm bei (gngen im $egau.
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— 175 —
IHaftatt, fu$te tm$ auf unb bat, ihn bocf} ja mit biefem
Sefudj $u oerfchonen; benn fein Nebenzimmer h<*be am
anbem Sage auSgefehen urie ein ©chlad)tfelb, unb er muffe
baSfelbe frifch tapezieren unb auftreiben laffen. $)er
reiche Sftann war eben gewohnt, von fremben ©äften nur
feine Herren unb tarnen au£ bem nahen $Baben*58aben
bei fidj zu h<*ben, ^atte feinen ^Begriff oon ber Tragweite
be§ befannten 3Borte3: „SHlbung macht frei* unb wufcte
bemnach nicht, bafs ©tubenteu unter ttmftänben unan*
genehmere ©äfte fein fönnen als SBauernbuben. —
SBäfjreub biefer meiner „ftlegeljatyre 4 ' ^errf^te übri*
gen3 ein (Seift in mir, ber weit abftad) oon bem genüg«
famen unb gemütvollen Siefen meiner ^nabengeit. 3$
ging in freien ©tuuben, unb alfo oorab aud) in ben
Serien, fo fehr in meiner ^Bummelei unb SJiertrinferei
auf, baf* ich gar wenig Sftitgefühl ^atte mit ben warfen«
ben ^amilienforgen meiner SJlutter.
infolge be3 langwierigen ftranffetn§ unb ber babutd)
bebingten Unthättgfeit be3 SSaterS war unfer ßauSftanb
finanziell bebeutenb ^eruntergefommen. $ie gute SJlutter
hatte befihalb oft mit ©elbmangel unb ©Bulben zu
fämpfen. SBenn fte nun in ben fterien mir, als bem
9lelteften, barüber berieten unb ifyr ©erz au8fd)üttcu
wollte, fanb fte fein; fchlechteS ®ehör. & war mir höchft
unangenehm, von berlei fingen reben zu hören, weil e3
mich ftötte in meinem luftigen SebenSwanbel. $)ie ©rofc
mutter, bei ber ich in ber frühen Qugenb oft unb gerne
geweilt, mieb i(h ftngftlich/ weil jie immer oom gamüien*
clenb rebete unb mir SJloral prebigte. 3$ tarn wochen*
lang nicht mehr auf ihr Simmer, um 9hthe Z» fatal.
Unb boch war unb blieb ich ber 9Rutter unb ©rofimutter
Augapfel unb ihte ftete ©offnung. $xe ©chroeftern
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— 176 —
flagten oft, bafj fte &u $aufe arbeiten unb forgen müßt««,
roäfjrenb mir „bie SJlutter aUeS suftecfe, bamit idf> ja
feinen ©poppen Sier weniger bet&me". 2tud^ würbe mir
von ©ejcta an in ben Sßatanjen am Wittag unb SÄbenb
ejtra feroirt unb ftet§ ba§, wa3 i^ wünfdtfe, ebenfalls
&um ni$t geringen Slnftof* ber fdjmefterltdjen SBeibSleute.
Slber &wei $)inge habe id) bodf) beobachtet mit SKücfftdjt
auf meine 2ttutter. 3$ fagte mir immer wteber: „S)u
mufjt in ber ©cfjule etwas leiften unb barfft feine ©d)ul*
ben machen." 3$ habe beibeS treu gehalten.
2Ber weif}, wa$ au$ mir geworben, wenn mein SBater
gefunb geblieben unb ein oermögti^er 9Kann gewefen
wäre unb td& ohne jebe föücfftcht auf Samilienoer^alt*
niffe hätte (galten unb walten fönnen?! —
2Bie gut unb beforgt bie Sßlutter für mich war, ba*
oon nur ein SBeifpiel aus ber 3eit ber ©ejta. ©ie war
eine fehr gewanbte Spinnerin unb breite ben feinften
gaben am ©ptnnrab. Um ihre Töchter biefe eble 93c*
fdjäftigung be3 weiblichen ©efchlechteS $u lehren, hatte
fte in ber 3ett, ba ich in ©ejrta mich befanb, nach längerer
Unterbrechung ba8 Spinnen wieber aufgenommen unb
bann ein ©tücf fetneS Such au3 bem ©efptnft fertigen
laffen. 6tne§ Sage« tarn bie ©tunbe, ba fte mir ©elb
Riefen foHte unb nicht genug jur $anb hatte. 9ftich
wollte fie feinen 3tugenblicf auf meinen ©olb warten
laffen, unb bejjfjalb oerfaufte fie, fchneU entfd)loffen>
einem $anbler au£ bem ,<$utacherthal" ba3 SBerf ihrer
#änbe, baS erfteSRaltmSeben, bafte gejwungen war, etwas
&u oeräujiero, wa§ ihr fonft um fein ®elb feil gewefen wäre.
©§ fchmerjt mich ^eute tief, in jenen Sagen nicht
mehr SBerftanbnifj gehabt ju haben für bie ©orgen meiner
3Hutter. 2lber e§ liegt ein eigentümliches ©efdjict hierin
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— 177 —
über ben meiften SHenfdfjenfinbern; flc lernen i&re @ltern
unb beren #ergeleib erft nritrbigen, wenn SBater unb
SJtutter nidjt me&r fmb.
(gütige gtenbe tonnte id) ber Butter fpftter bod)
«od) madjen. (Sie erlebte no$ meine $riefter»eil)e, mein
^tGQtscxGTncrt UTio Dtc erfiert tflbtc mciiipr 2In ff cLLiiiiq.
Sie war glücflt$, fo oft id> bann ht bie JJerien tarn
nnb innigere Sljeilnaljme geigte an üpem fjänSlictyen
ftummer. £)od> ftarb fie wenige Qaljre nad) ber Soll*
enbung meiner Stubien, im 3a^re 1867, erft 56 Qdfycz
alt, nadfjbem ber SBater tyr brei Qaljre im 2ob aorauS*
gegangen mar. £>a3 erfte ©elb aber, ba$ idfj über meine
Söebürfniffe rorbiente, galt einem ©rabftetn für bie brauen,
unoergefjlidjen ©Item, unb fpäter, ba meine Sttittel
e§ erlaubten, l)abe ic§ gu iljrem 9lnbenfen in ber ftirctye
gu £a3ladf) ein gemaltes ßirdjenfenfter, gefertigt von
äünftlerfymb, aufteilen laffen.
$er ©erbft 1858 braute mid) auf bie Ijödrfte Stufe
ber Sgcealftubien burdjj ben (Eintritt in bie Dberfegta.
SBenn ben Unterfegtaner fd&on eine ©ötterwoime überfällt,
fo fteigert fld> biefe beim Dberfegtaner gu meljr als otym«
pifc^er ©röfje. teilte erfte 3$at mar, baf* id) bemgemäfj
auä) eine SBofcnung fud)te für ben ange^enben Olympier,
bem jet}t bie SKappengaff e in ftaftatt gu Nein unb gu armfelig
mar. 3$ gog in bie $auptftrafte gum SBudjfycmbler $ane*
mann in ein fo elegant unb nieblid) au§geftattete§ ßtmmer*
djen, wie i$e£ in biefer @d)önl)eit !aum at§ SanbtagS*
abgeorbneter in ÄarlSrulfe gefunben unb mir erlaubt Ijabe.
$eute nodj tonn id> nur mit einer gewiffen Plegie
an bie elf SRonate gurütfbenfen, bie id) in biefem gier*
liefen ßabinet verlebte. @i lag im §ofe, mit 9lu8ftd)t
auf ©arten unb Stturgbamm, gang abgefe&loffen uom
$on«iafo6, Stubienjett. 12
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— 178 —
übrigen £aufe, eine Wftliche {Jette, fHtt unb tbqlltfd) rote
ein (SonntagSmorgen im SRaien.
2öa§ für ein füfjeS Rehagen burd^og mich als ba,
wenn td> an JJrühltngS* unb ©ommerabenben fpftt heim*
fehrte, meinen gtauteuil an8 JJenfter rüdfte unb noch
oollenbg bie le#e SageScigarre oerbampfte, frei von atten
(Sorgen unb Seibenfehaften, erfüllt nur vom SBenmfjtfein
be§ DberfqrtanerS ! 9ttng§um tiefe ©tille, höchftenS im
£>ofe unten bisweilen ein letfeS ©eflüfter, ba§ von ber
$öd|tn be8 £aufe8 unb ihrem „<5d)a%" ausging, einem
Unteroffizier unb nötigen Stfnsigthäler aus Steina^.
$ie meiften SRiet^leute be§ ^anemann'fchen £aufe3
waren öfierreichifche Offiziere, wilbe, junge #erren. Unter
ihnen ein SBabener, von ©elbenecf, unb ein <5ohn beS f amof en
ffelbaeugmeifterS Ggnatten. %tx alte #err #anemann,
welcher ^eute nod) lebt, wirb mir bag .Seugmf} nicht t>er*
fagen, bafc ich ber ruhigfte unb foltbefte feiner bamaligen
©äfte unb am 2tbenb von ben legten jtetS ber erfte gewef en bin.
©ine föftlic^e Slnefbote ergab fleh in jenen Sagen
einftntal§ wegen beS ©d^liefeenS ber $au§if)üre. ®tefe
fanb fich fett einiger $ett am borgen regelmäßig offen,
unb ber £au3herr ftettte ber ffletfje nach alle mit 6$tüffel
behafteten Sewoljner jur IRebe. 2U3 er an ben Sieute*
nant oon (Shjnatten tarn, ber blutjung eben oom SBater«
hauS weg auf (Empfehlung pm Lieutenant aoancirt mar,
meinte ber gute Defterreidjer: „Qa, er (äffe bie $hür
jeweils auf, weil er geglaubt Ifittt, fein ©auSfdjlüffel
fei nur jum Sluffdjltegen ba, jum 3ufdjliefjen habe man
ihm bis jefct noch feinen gegeben/ 3$ hoffe nicht, bafj
ber SVlann heute im ö ffcerreichif chen ©eneralftab fleh befinbet,
fonft oerlteren bie Defterretcher baS nächfte 9flal roieber.
3<h hatte nur bie Wohnung in ber ftappengaffe
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— 179 —
aufgegeben, ntdjt aber ben Stfch bei SJtefcger SBittle, uttb
fo faß ich beim immer nod) in ber alten Suftigfeit neben
meinem JJreunb Stoma!, auch in ber Dberfejta.
(£S mürbe mit baS ©chuljahr 1858/59, wenn ich
einerfeitS lebiglich ben ßebenSgenuß unb ftrohfmn nnb
anberfeitS ben ftortfehritt in flafflfcher Ȇbung tnS
3luge faffe, entfd)ieben baS fruchtbarfte meinet gangen
©tubiengeit. @3 war ba§ „fibelfte* Qaljr meines £eben§
nnb $ugleich bie Qtit, in bet td) baS eigentliche Junba*
ment legte $u einem Dollen SSerftänbniß bet ©chänhett bet
alten Sttafjifer, bie 3eit, in bet id) oölltg £err nmtbe über
baS, waS ich in ber ©chule Ieiften f oEUe, nnb roo eS mir, wenige
©egenftänbe, wie $^fit unb ^^ilofop^ie, ausgenommen,
ein angenehmes ©ptel mar, &u fhibiren unb &u benten.
3e^t erft (ernte id) ben pfnlologifchen ©eift unfereS
^ireftorS f ernten; benn er gab uns in biefer oberften
klaffe auch ben Iateimfd)en Unterricht. @S war ein
©ochgenuß, an ber $anb biefeS SftanneS #oraj, $acitu§
unb Cicero $u Xefetu 9Bie munberbar geiftreid) erfaßte
©chraut ben $ora$! 3$ mußte oft nicht, ob ber 2lutor
ober fein 9tu§leger mehr SBerounberung oerbtene. Qm
übrigen tobte ber fangmnifche $h^^ge in Dberfqtfa am
wilbeften, weil er ba bie meiften ©tunben hatte unb
namentlich fehler im latetmfehen ©tyl i^n aufbrachten.
S)er tlaffifche &hrer machte mit folch' peinlicher ©org*
falt über bie Feinheit unb 2led)theit beS lateinifchen 2luS*
brucfeS beim Ueberfetjen, baß ein grober ©tylfehler ihn
aus oder g^ffung bringen tonnte. <$S !am t>or, baß er
mit ben „©tieften" in bie ftlaffe trat unb fämmtliche
fünfzehn §efte über ©chüler unb SBfinfe htnmarf ooU
heftigen 3orneS. Staun fetjte er fleh ftumm unb ftitt auf
ben Äatheber unb fing nach einiger 3eit an: „%a hab'
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- 180 —
id> fünfoefjn 8erlS, von betten feiner hn ftanbe ift, einen
lateimfdjen ©a$ niebetjuf treiben! ßauter ©Ruftet«
jungenS !* S)afj et nid)t weinte vor ©ttymera, war alles.
3$ bin attjeit ein f^led^ter ©tylift gewefen, im
$)eutfd)en wie im Sateinifd&en, unb fo tarn e8, bafc mein
lateimfdjer ©tgl ba8 äBofclgefaUen be3 $>ireftor§ bei
weitem ntdf)t fo gewann wie meine ,<&3>ofttiim". Qn
btefer Ijatte td& ftetö bie erjie 9fa>te, im ©tyl abet nie
meljr benn jiemltdf) gut 3$ *)abe tfa abet aud& faft
regeltn&fstg „nmtatia mutandis" meinem greunbe Äuljn
abgefd&rteben, mit alfo nie eigene SWü^e gegeben.
Sm ©ried&tfdjen lernten wit untet ©djraut* $fo*
leitung ^ßlaton unb ©oplpfleS tarnen, unb idj wibmete
biefen beiben ©dfrtftfteflern mit Suft unb Siebe meine
Slufmerffantfeit. 2Bir lafen mm ©opl>otle3 ben <ßl)iloftet,
unb id> erinnere mtdO nod& gar woijl, wie ber flbtreftor
mtd& juerft aufrief, um bie siemlid^ fäwiertge tleberfefcung
|u beginnen, unb, als e3 mir gelungen war, f agte : „©et>'
er fid); er ift einer tum ben wenigen, bie t$ brausen
fann!" ©8 war ba§ einzige 3Jlal, baft er feiner Qu*
frieben^eit mit mir münbltdjen&uSbrucf verlief). 9tod) einige
Qaljre fp&ter, im pfcilologifdjen Staatsexamen, fam eS mir
SU gut, als überfeiner ben ^tieftet tüchtig bearbeitet &u
f)aben; benn gerabe biefeS ©tücl tum @opl)of leS tarn t>or. —
<§}efd)id)te unb Siteratur würben von mir in« unb
aufjerljalb ber ©d)ule audf) im legten £gceumSial)te mit
Vorliebe be^anbett. $>te 9toturlel>re in tyrer Ijöljeren
StorfteUung war mir als ©jperimentalp^ftt ftetS tnter*
effant, fobalb aber bie ©rföeinungen unb ©efefce in
mattyemattfdje Wormeln gebracht werben fo Elten, ba ftunb
bei mir »ber Dd)S am SBerg". @letd?roof)l naljm mid)
$rofeffot ©iftnger, ber mir fonft wohlwollte, 311 feinem
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— 181 -
Slfftftenten an, als er im ©intet 1858/59 einigen babu
fdjen 9lrtiUerte*Steutenant3 ^ßrioatifflma in ber $h#*
gab. 34 war im gleiten 9llter wie fle, hatte aber ba*
malS einen 9ttorb3refpeft cor ber erhabenen Stellung
eines babif4en Lieutenants.
34 tarn mit Dberfejrta aber au4 fonjt jum
ftulminattonSpunfte meiner £gceiften*©röfje burc| bie (£r-
roä^lung pm ftcmbigen Kneippräfibenten oon ©eiten meiner
Kommilitonen. @S fanb biefeS Sßräftbium, baS t4 ba*
mals mit größerem ©tol§ übernahm, als i4 f>eute einen
*Rei4StagSpräftbentenftuhl beftetgen mürbe, balb ©etegen*
heit su feiner feierlichen Inauguration.
Einfang üRooember 1858 waren e$ fünfzig Qa^rc
feit ber Verlegung beS SgceumS oon S8aben*$8aben nach
föaftatt 55>ie (Sextaner bef4loffen, ben Sag in it)rer 2lrt
feftli4 jtt begeben. 34 warb 8unä4ft beauftragt, bcn
$ireftor um ©rlaubnifj &u bitten, ihm unb ben Selbem
einen folennen JJacfeljug bringen $u bfirfen. ®4raut
mar gegen eine fol4e Kunbgebung. %a mir nun unfern
^efifpcftafel m4t öffentlich oorfityren fonnten, follte ein
„f4öneS Srinten* Sag unb 9lbenb frönen. ©4on am
Nachmittag fpielten mir &u oiert ein >Jego auf bem
Limmer unfereS jet>t längft tobten 9ttitf4ülerS £org,
bei ber SBledjnerSroittroe |)ij3, unb machten ein ganzes
JJajj SBier jum ©egenftanb beS Spiels, baS mir auch
ritterlich auStranfen. SlbenbS um 7 Uhr fanb grofjer
Kommer« in ber flauen äafc" ftatt, ju melcher ber
jüngfte SehramtSpraftifant, Äräntel, jetjt ©gmnafiumS*
btteftor in ßahr, erfchienen mar, roätjtenb bie Sßrofefforen
mit bem 3)treftor in acht fchulmeifterlicher $oefieloftg(eit
im Sömen eine „SBorole $unf4" oertilgten — $u ©h?cn
beS fünfaigjährigen SBeftanbeS ihrer Sinfialt.
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Äränfel, ein alter $eutonen*€>emor, erflclrte mir im
Verlauf be§ 5lbenb3, er habe fdjon manche afabemifche
ftneipe mitgemacht, aber fo Diele „ftnetpgenieS" nicht
beifammen gefehen nrie heute. ©3 mar eine ftol$e ©d>aar
oon etlichen breifjtg gröfchen, unter ihnen alte Parlamen-
tarier" nnb in Vierfachen lernbegierige Qünglinge; letztere
eben erft Don ben ©gmnajten ju Sruchfal unb Offenburg
eingerüeft, um in SRaftatt neben ber ^ö§em SBtlbung ftd)
bem freiem SBterftubium ju ergeben, ©in ©eneratfchmolltS
oerbanb an biefem Slbenb auf Antrag be§ $8orftt>enben
fämmtltche Neulinge mit ben Oberfejtanern:
3<h trinf @uc$ ein @$moUtö, i$r Srfiber,
SBaS ftfct i^r fo ftumm unb ftiU,
SöaS foQ au0 ber SBelt benn noc§ roerben,
2Benn feiner me$r trinf en toiU?!
2Ber eS nicht glaubt, bajj in bem bier* unb fanget*
tollen £eben eines beutfehen Stubenten boch noch ein
Stücf ^oefte ^errfc^t unb natürliche Qugenbfrifche, ben
mac^e ich auf eine tyatfaty aufmerffam. Sttan betrachte
einmal eine ©efeHfcfjaft oon ältern gebilbeten Herren,
wenn fie, luftig geworben, anfangen ßieber ju fingen auS
ber Stubentenjett, wie ba biefe langweiligen, bureau*
fratifd)cn unb fjierarchifchen ^ß^pfiognomien eine Reiter*
feit erfaßt unb überftrahlt, unb wie bie Qugenbfonne
burch bie büftern SBolten beS MtagSlebenS h^burch»
leuchtet auf bie alten £äupter unb fie ©erflärt.
3u allen 3eiten, fettbem e§ in $)eutfchlanb Vier,
©gmuafteu unb Unioerfitäten gibt, h^en bie Stubenten
ftch auf ein entfprechenbeS geben oerlegt, in früheren
Qahrhunberten noch in weit höherem ©rabe als in unferer
3eU. Schon Abraham a Sancta QXaxa, ber 1659, fünfzehn-
jährig, oom ©qmnajium in Qngolftabt roegfam, erja'hlt
auS ber 3eit btefeS Aufenthaltes oon einer „oerfoffenen
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©tubentenrott" unb oon bcm Sieblein, bo3 jte gefungen
unb bag ba lautete:
Qualis est vita auf ber 35k It,
Quae mihi Semper rooljlgefällt,
3ft eä ttic^t baä ©tubentenleben?
Ita vere, bad ifk'3 eben.
6tubenten fegnb jucundi,
Stewetlen furibundi.
SBenn bie offizielle ©amftagäfrieipe mid) nid)t in bie
„SBlaue Kail* rief, fa| id) als Dberfqrtauer aHabenbltdj
unb, wenn möglich, jeben borgen im „Sdnoert". §ier
lernte id) auef) bie 9iaftatter ^Bürger fennen, oon benen
einige Originale ba if)ren Stammt Ratten. $)a§ waren
föftlicfye 9ttenfdjen, wie fte nur bog beutftfje Kleinbürger«
t^um fjerüorjubringen hn ftanbe ift: ber SBäcfer ©erftner,
ber ©djloffer SBecf, ber Maurer ©djroeigert, ber ©d)neiber
2Bunfd> unb ber Sftafirer £irfdnnann. SBie mand)' luftige
©tunbe fyaV id) mit biefen bierfibelen „©ptefjen" ju*
gebraut. 50er SBäcfer ©erftner mar ber ftiHoergnügte
Xrinfer, ©djloffer SBecf oertrat bad frafeelenbe Clement
be3 *ßl)ilifter3, Maurer ©c£meigert mit feinem ßetbfprud) :
„Gravem 8anctum u fpielte ben felbftbetoufjten SReifter
oon ber Stelle, ©cfnieiber SBunfd) ben flotten Bourgeois
unb ber SRaftrer ©trfdjmann ben lad&enben *ßhilofopl)en.
(Sin geborener /r ©d)leftager 4 ', ^atte er fid) in SRajtatt nieber*
gelaffen, überlieg aber gu meiner Qttt fein ©efd)äft meift
ben ©eljilfen unb p^ilofop^irte im ©rf)roert über bie
„Matur" unb bie „öuftanbe aller fcinge" in einer SBeife,
bie feine Unterhaltung ju einer ^oc^fomif^en geftoltete.
9ttir mar e$ ftetS ein Vergnügen, mit i$m &u reben, unb
jtoar in feiner 2lrt. ©eine üftationalljnmne, bie er aber
nur in feierlichen SJlomenten uub bei höheren #( 3uftänben"
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anftitmnte, war ba3 Sieb Pom „frönen, grünen Sung*
fernfrang", baS id) ihm fo oft habe fingen Reifen.
9hidj bie „golbene Qugenb* oon iRaftatt oerf ehrte ba*
malS im (Schwert, meine beiben greunbe •äftütter unb
SBirnftill, junge, ©ermögliche fieute ohne jeben SBeruf.
©ie Ratten eben eine $)rofchfenanftalt errichtet, aber am
(Sonntag bodfc) jemeiB noch ein Sßaar eleganter $ferbe
frei, um mit mir in irgenb ein benachbartes S)orf fahren
gu fönnen, wobei mir e$ in jeber Segie^ung „nobel* gaben.
(Sie wohnten neben ber „Sinbe* am SRurgbamm, unb
noc| lebhaft fteht oor mir jener &benb, ba mir brei, mein
alter ^bilifter unb 2JtitI)a3lad)er $raun unb mein ©peife*
meifter Statte bei SampionS am ftluffe ein ffifätn 95ier
tranfen, ba£ mein Setter SCBil^elm, ber SBierfr&mer oon
©a§le, mir gefanbt hatte. 3Bir fangen bie luftigften
lieber in bie flacht bhiein, unb gegen Schluß erhob fleh
SReifter SBrauu, toaftirte auf mich «13 SSeranftalter
be3 ,h*ttltchen SlbenbS" unb fprach feine ftreube barüber
au3, bafj ich m ^ ™ Stoftatt nicht bloß in ber ©djule
fo oorwartS gemacht foubem in mir auch alle gefeU*
fchaftlichen fcugenben eines achten #a£lacher3 |ur ©nt*
wictelung gebracht hätte.
$m (Schwert lernte ich in jenen Sagen auch eine
weibliche ftunft fennen, bie ich feitbem nie mehr geübt,
unb ber ich ^eute ba§ ©oljfpalten oorjöge. ftr&ulein
©mtlie, eine ber Pächter beg $aufe3, eine emfte, oer*
fchloffene Schönheit, lub mich bisweilen am Slbenb ein,
mit ihr eine Partie „Stomenbrett* gu fpielen. Qd) that
e3 ihr §u lieb, tonnte aber biefem geifttofen, gahmen
3eug, ba3 ben richtigen ÜRamen h^t, nie einen ©efehmaef
abgewinnen. %a war mir ein tüchtiges SHerjego eine
anbere SRuftt als biefeS fabe $in* unb ©erfchieben oon
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beinernen ^£äfelchen. (SS ärgert mich eigentlich ^eutc
noch, bafc ich bct frönen (Emilie ju lieb, bie heute als
Patrone unb ©rofjmutter in $aben*$aben lebt, ein fo
bummeS ©piel gelernt f)äbe.
SBenn ich an bie £ett jurüefbenfe, ba id> tdglic^
im Schwert ein« unb ausging, trintenb, raudjenb, fpielenb
unb fcherjenb, um alles eher befümmert als um meine
gutunft, nur bem £age unb ber ©tunbe lebenb, fo mei§
ich nicht, foH ich mich freuen ober betrübt fein, freuen
ob ber Reitern Sorgenlofigfett unb betrüben ob beS leichten
©inneS, ber mich bamalS beherrfchte. S)och, meine ich,
wir SJlenfchen foUten über berlei $)ingc nid^t moralifiren.
Hit unb f)npod)onbrifd) geworben, pflegen wir unfere
^ugenbftreiche gerne in einem Spiegel jn betrachten, ber
wohl unferer heutigen Stimmung, nicht aber ber früheren
entfpricht. SBBenn wir jeboct/ jenen £eid)tfinn ins rechte
Sicht jurücfnerfetien, fo fönnen wir, wenn mir ehrlich fein
wollen, nicr)t trauern. 3Jlan mufj bie ßuftigfeit feiner
^ugenbjeit nicht behauen mm ben büftetn SBolfen feines
fpätern SebenS ^erab, fonbern im Qugenbfonnenfdjein,
ber fte gtofc gebogen unb nerflärt hat. Qm übrigen wollen
wir bem Abraham a ©aneta <£lara beipflichten, ber ba
gefagt hat: „Suftige ßeute gefallen mir wohl; ift ein
s ilnjeichen, baf$ ©ott bei ihnen unb in ihnen/
3m hinter 1858/59 machte ich auch einen 2JcaSfen*
ball mit im SRaftatter ßomhauS. (SS war ftrenge per*
boten Dom fcireftor, ftch bei berlei Vergnügungen fehen
$u laffen; aber gleichwohl tonnten ich unb ber Unter*
fqtaner SRöltner, ©or Dielen fahren fchon als Slrjt ge*
ftorben, eS uns nicht oerfagen, in Stominogeftalt ben ^Bad
ju befugen. SBeim ©chneibermeifter SBeber liehen wir bie
,$omiuo3", unb beim ^ofamentier ©chöttle würben f djwarae
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■
$<mbf<$ut)e getauft, bei welcher Gelegenheit unS baS Saben*
mäbcfjen für Unteroffiziere hielt unb bebauexte, unS nicht
begleiten $u tönnen. 9luf ber SReboute felbft uennutheten
oerfchiebene weibliche 3Jla^f en hinter meinem langen Domino
einen öfterreic^ifc^en Lieutenant ©etanzt haben mir nicht ;
nur zogen lebiglich neefenb unb geneett werbenb unter ben
9HaSfen umher, ©inzelne ^ßrofefforen waren als gu*
flauer ba unb mußten einige anzügliche Lebensarten von
unS ^inne^men. 9ttich verfolgte ben ganzen 3lbenb etnenieb*
liehe weibliche SttaSfe, bie aW ihrem ©ereb nach in mir einen
tiefem kannten oermuthete. (£8 intereffirte mich, biefelbe
fennen au lernen, unb als eS gum $emaSfiren fam, fagte
mir fjreunb SBtrnftiU, bem ich mein Qnt ognito oerrieth, bie
^erfon fei eine — ©chneiberSfrau aus ber ©chmabengaffe.
2Bir jwei 6tubenten burften unS natürlich nicht be*
maStiren unb entwichen um bie zwölfte ©tunbe. Sttein
erfter unb lefcter SttaSfenbaU! — ©letchwohl hatte ein
febriler, ber ftafernem>erwalter 9ttar£, mich erfannt unb
beim SHreftor Reibung gemacht; fo referirte mir anbern
$agS meine Vertraute, beS (Schills ^ödjterlein, zugleich
mit ber Beruhigung, ber ftireftor ^abe pch nicht mel
barauS gemacht Unb richtig, er fdjmieg twllftänbtg bar*
über; mich aber hatte ein heftiger SlntifemitiSmuS erfaßt,
bem ich oa *° barauf SluSbrucf gab.
ÜRtcht gar lange nach ber ^aftnachtSgeit, an einem
fchönen9Jlärzen*@amftag beS Jahres 1859, faß eine Anzahl
Dberfejtaner unter meiner Rührung im Nebenzimmer beS
©afthaufeS pim Jheuz in DtterSborf. draußen in ber
©tube hatten fich einige Israeliten aus SKafiatt nieber*
gelaffen, uneingebent beS ©abbathgeboteS. Sie foUten es
büßen, baß einer ihrer ©laubenSgenoffen mich oerrathen,
unb ich fäfofl beßh^lb meinen Rameraben oor, baS Sieb
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%vl fingen „mm bet Sau unb bem Quben" mit beut
©d)luf$rehn:
©#alomac§ei o nxril),
D 3ub, o 3«b/ o 3w^>cle,
0 Rubele, o 3ub!
©efagt, getrau! fang ben SBerS unb bie anbetn
ben Refrain, ©ofort entftanb merflidje Aufregung unter
ben ©emiten, unb einer von üjnen fam ju uns herein
unb „verbat fidj btefeä Sieb*. »SBir fingen , roaä un8
gefällt/ war bie Antwort, worauf ber Hebräer mit Siecht
roenigftenS bie $f)üre jumadjte, um in ber Stube ben ©efang
nid)t mef)r $u ijören. 3$ aber er^ob mtd), nafnn bie
%\ßx au5 i&ren Ingeln, fteUte fle an bie SBanb, unb ba3
Qubenlieb braufte weiter in alle SB&irt$fc$aft3r&ume hinein.
S)a trat abermals ein ©ol)n 33raet3 an mid) f>eran mit
ber ©rflärung: „2Bir werben fofort nad) Sftaftatt jurüdt*
teuren unb beim fttreftor un3 besagen/ „$l)un ©ie ba§,"
mar meine 3lntn>ort, „unb wenn ©ie nicf)t nriff en, roo er im
gneeum wofjnt, fo merfen ©ie: (Statt einer klinget I)at er
einen ©auf c^roanj an ber $f)üre Rängen \" Qd) fpradj'3, unb
unter unferm ©oljngelädjter 50g ber ©emite t>on bannen. 3)eu
boshaften greller traf aber am gleichen 9lbenb nodj bie ©träfe.
2luf bem §eimroeg, ben mir am Süttfjein Inn über
ba§ $)örfd)en Steinau matten, entftanb ©treit jroif^en
bem Dberfertaner <5d)atble, bem aud) fcfyon uerftorbenen
fpäteren Pfarrer non SBmbfcfjläß, unb bem Unterfejtaner
©ofyler, einem ftämmigen Äinjigtfjäler au$ ^Berghaupten,
ebenfalls fdjon feit Sauren als junger %x$ oon ber 28eit
gef Rieben, — ein ©treit, ben id) als ©enior fältelten
roottte. ®er $injigtl)äter mar aber in folgern geuer, bafj
er mir mit ber ftauft inS ©eftdjt fdjlug unb baS eine
SBrittenglaS unter bem 9Iuge inS ftleifd) trieb. SBlutenb
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fafc id) lange unter ber 9Jhirgbrficfe bei Steinau unb fudjte
mit Raffet bie SOBunbe su füllen unb ju ftiflen. 93et>
gebltdj. 3Bir sogen f)etm, mein JJreunb ftuljn uerfaf)
6amariterbienjt ©inen Ar$t &u rufen wegen einer blutenben
©Cramme, mar uns &u unbebeutenb. Aber ber ©c^itfc
- in ber ^ofapot^efe fneipte oft mit unS; er roarb §erau3*
gefd)eflt in bunfler SRadft, fam mit ©eft* unb engltftfjem
s $flafter, unb balb gab'S Dtulje im 93Iut 3n ocr gtödjen
9iad)t mar roteberf)olt ber Attentäter ©ol)ler, uom fd)led)ten
©eroiffen geplagt, por mein genfter gefommen unb Ijatte
ftd) nad) meinem SBefmben ertunbigt.
Am anbem borgen, (Sonntag, erfdjten id) in ber
Aula jum „ÄirdjenoerleS" mit einem bebeutenben ^ßflajter
unter bem Auge unb erfl&rte bem fragenben ^ßrofeffor
©ifinger, td) Ijätte mid) mit bem Staftrmeffer gefdjnittcn.
95on Sd)iH8 $öd>terd)en aber erfuhr td) nad) ber ftirdje,
ba& ber Hebräer am geftrigen Abenb nodj jum ftirettor
geftürmt fei, au3 beffen Lienen fie jebod? nod) nichts in
lefen t)ermodf)t Sftit fangen falj id> am fommenben
©djultag bem @rfd)etnen be§ $)ireftor§ entgegen unb
machte mid) bereits auf Starker gefaßt. <Sr fam unb frfjroieg.
®ie 2Bod)e oerging mit feinem @d>roeigen. Am ©amftag
„fd)roänjte" i$ roieber bie ©efangftunbe unb roarb ge*
melbet. Am folgenben 9Wontag rief mid) ©djraut vor
beginn ber (Stunbe in ben ©ang t)inau3, unb bem ©eljege
feiner ,8&l)ne entflog e§ alfo: 0 ®t §at au$ roieber bie
©efangftunbe nerfäumt au§ befannter SBierlümmelet, unb
©r ift aud) berjenige, welker ben Quben in DtterSborf
gefagt, id) Ijätte einen Sd&roemefdjroana an ber Zfyüx
fangen." (So fprec^enb breite er fidj fdmeU um unb ging
uon bannen; benn er fonnte felbft bad Sachen ni$t falten.
Solche unb äfmlicfa ©treibe (amen oft por unb
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blieben bem ftiteftor feiten verborgen; gleidf)n>ol)l bettelt
idj feine ©unft, weil er eigentltd) ©cftfed^teS nie oon mit
$örte. 9lttdj bo§ raupte er, bafj td) bie Kneipe btrigirte,
n>a£ mit bei i^m fo mel eintrug, baß id) ifjm für ade
©treibe anberer Sfted&enfdjaft geben mußte. SBar irgenb
einer ober bet anbete ben ößerreid&tfdjen 3Bad)en in bie
£anbe gefallen ober fonft ein SBiertyauSfpeftafel oorgefom*
men olnte mein SBeifein, fo fiel er in erjter ßinte über
mid) Ijer, ben er bann ftetS mit „Ohe Seitfjammel" titulirte.
SBei einer folgen Gelegenheit entfuhr tfjm aud) ein«
mal ber SBortourf : „3Bo$u brauet ©r tyeologifdfje ©tipen*
bien, <£r Ijat gu allem eljer ba3 geug al3 ju einem Styeo*
logen! 4 ' 2ll3balb er^ob ic§ mid^ unb oerlangte meine
(Eingabe um ein ©tipenbtum jurücf unb oerfolgte tljn,
als er ba3 ©c^ul|immer oerließ, mit biefer ftorberung bi§
in ben ©ang ^tnau§, olnte if>n beftimmen gu tönnen,
meinem SBitten ju entsprechen. 2lber meinen t^eologifc^en
SBentf, ber bamalS weit unter Stull ftunb, wagte er fortan
nie me^r anzweifeln.
9ln Oftern 1859 (am meine ©cfjwefter, bie Ijeute
mein w $aug(reuj 4r bilbet, nach 9taftatt, um im Söroen ba§
ftodjen su lernen. Sttit i$r lagen bem gleiten ©tubtum
jwei junge ^ßfäljerinnen ob au8 ber ©egenb oon ©ben*
toben, naioe, finbltdfje 3Jläbd^en. 3$ befugte bisweilen
alle brei in ihren Sttanfarbenaimmerchen, theils um ber
©chwefter ihre paar Pfennige abjujagen, tljeilS um ba$ Äodh*
foHegium $u einem oerfprochenen ©pajtergange abzuholen.
SBie ein junger ©tord) neben brei SBachfleljen ftolgirte
id) an ©onn* unb geiertagen mit ben brei Sanbpome*
rangen gu ben Sporen ber geftong hinauf, ©inmal be*
gegnete und auf bem SBege jur @ifenbahn4Reftauration
ber $)irettor unb glaubte, ba ich etwas in ber £anb barg,
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id) hätte eine (Sigarre oor ihm *erftecf en wollen, weil 9tauef)en
auf ber öffentlichen ©trafje verboten mar. <£r trat auf
mic^ gu, wollte bie ßigarre fehen, erhielt aber ein 93cild^cn*
bouquet unter bie 2lugen gehalten, roaS ihn fo rounberbar
überrafchte, bafc er ausrief : ,($r ift ebenbodt) ein orbentlicher
ßerl!" hierauf mufjte ich ihm meine Rainen" oorftetten.
2118 ber Sßrofeffor ©iftnger mich einmal mit benfelben
roanbeln gefeljen h^tte unb ich <*m anbern 3ftorgen mit
ungenrichften Stiefeln in bie klaffe gekommen mar, meinte
er fpöttifch: „^mnsjafob, menn man mit jungen tarnen
fpagteren geht, füllten auch bie ©tiefet beffer in Drbnung
fein!" — „Die »tarnen*, mit benen ich wanbh/ mar
meine Slntraort, „nehmen eS nicht fo genau/
Die gange geit meiner ©tubien, bie Serien auSgenom*
men, wo meine lieben ©chroeftem eS thun burften, tjabc
ich meine ©tiefe! ftet? fetbft geroichft, allerbingS nicht jebeu
Sag. ©onft trug ich mich immer möglichft elegant, nament*
lieh <*te Dberfejtaner. gür ben ©ommer hatte mir ba*
malS mein „SanbSmann", ber ©chtoabronSfchtteiber $ßo*
lanber, einen feinen 2lngug gemacht, ben SRocf aus glängen*
bem Süfter, bie $ofen von meinem Drild). SBotanber
ftunb bamalS bei einer ©gfabron ber gelben Dragoner
unb führte bie Sftabel offigierSma'fjig, mar babei ein luftiges,
leichtes $a$lacher!inb, fliefte mir meine Kleiber gratis,
bie neue ©emanbung aber machte er möglichft billig.
3um Dan! für feine billige ©a)netberrechmmg unb
als treuer ÄmbSmamt mufjte ich einmal einer reichen,
mir befannten Dorffchönen au8 Durmersheim, bie in ben
fchlanfen ©chneiberbragoner fleh oerfchoffen, betätigen,
bafc SBolanber ©eometer fei, ba fte einen SaiUeur oer*
abfeheut h&tte. Doch *ty & förnft galt, erfuhr bie $atha*
rine, baß mein JJreunb unb £anbsmann £ofengeometer
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fei unb SRÖcfe unb ©ofen an* unb oermeffe. 2113 id> wieber
nadj $)urmer§l>eim tarn, muffte id) fernere SBorwürf c (in*
nehmen, obwohl itf) bewies, bafj ©eometer unb ©djnetber
mandje 2lef)nlid)feit hätten. S)ie SBlonbtne ©erfd&wor ftcf),
feinem ©djneiber unb feinem ®tubtnttn mefyr etwas gu
glauben. 9Bie td) im Saufe ber Qtit erfuhr, glaubte fie
fp&ter aber einem — Unterleget unb mürbe glücfltdf.
©euteprioatiftrt JJreunb SBolanber, ben ein brennenber
$)urft nie lange „auf feiner <Sd)neiber§I)öUe" ft^en lief},
in ©aMe aB (Satte einer reichen Slmerifanerin.
Qu meinen legten Dtaftatter Sommer fielen no$ gwei
^eitere 9lu8fliige in Drte unb ©egenben ber Sttaftatter Um*
gebung, bie mir bisher fremb geblieben waren, (Einmal
machten mir unter gaifyrung beS ^ßrofefforS ©iftnger eine
trigonometrifdje unb botanifcfye (Sjfutfton über flüggen«
fturm unb ben ©ictyelberg in8 untere 3Rurgtl>al. Qvm&tyt
warb an einem prächtigen ©ommermorgen auf ber breiten
ßanbftrafje äwiföen ©ttlingen unb Staftatt ©alt gemacht,
um von ber ©trage aus bie Entfernung ber beiben in ber
gerne fic^tbaren Sttrchtyürme von Detigljeim unb SBiettg*
fjetm ju meffen unb $u berechnen.
%a id) von ber gangen ©efdjtdjte bei meiner großen
matyematiföen 6djw&d>e nichts uerftunb, fo fäicfte und)
ber $rofeffor in baS $orf Sttuggenfturm oorauS, um &u
tefognoSciren, wo baS bejte SBier wäre, bamit bie Rixty
tljumtSmeffer nad> getaner Arbeit nidjt fehlgingen. S)a8
war nun feine geringe ftrategifdje Aufgabe; benn bie
^Bierbrauer jener £age auf ben Dörfern matten gwar
SBier au3 ©opfen unb Walt, aber im ©ommer würbe eS
i^nen in ber Siegel fauer. 3$ übernahm befftalb im
oorauS feine ©arantte für bie glücflic^e 2lu§füf)rung be$
mir geworbenen Auftrages , erbat nod) gwet Äameraben
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als „ttnparteiifdje 4 ' für bie ©jcpebttion unb färttt bcm
großen, einfamen £>orf c ju. ©leid) am ©ingang begegnete
un§ ein alter *8auer§mann, in beffen ©eficfjt ju lefen war,
baß et mein; im 3Btrtl)3l)au§ als auf bem JJelbe ftti^ auf»
()alte. ©r führte und in ein fletneS, einftöcfigeS SBierljauS
wo man einen ©toff frebenjte, bet „pubelbicf" unb fauer
mar. %cS fei bog bejte 93ier im $orf, meinte unfet
SJüljrer, e3 „freife unb tränte", aber er trinfe jetoetlB
einen ©djnap* baju. SBir überliegen üjm ad' unfer Sier
unb flogen entfefct oon bannen.
Qn einer jmeiten SBrafferte, ber Seftfcer !)ieß ÄrSntel,
fein 9tame ift mir geblieben, ertlfirte berfelbe, einen feinen
©toff &u Ijaben, ber nur infolge ber großen $it|e „etwas
%ixdz" ©t ftad) ein fjaß an, ba3 richtig einen „©tidj"
fjatte, aber äußerltd) einlabenb erfdjien. 9lngeftd)t3 ber
großen ©onnenglutl) be§ QatjreS 1859, bie audj bie ©eo*
meter auf ber £anbftraße influiren mußte, blieb id) bei
bem SRann unb fanbte einen meiner 9ü>jutanten twr ba3
$>orf, um bie Slrmee $u erwarten unb in8 richtige Ctuar*
tier ju geleiten. ©ie {am, ben Sßrofeffor an ber ©pitje.
tiefer, ein trocfener ©atirifer unb ebenfo guter SBier*
fenner als Sttatyemattfer, r-erjog beim erften ©d)lucf fpöt*
tifd) feine 9JUene unb fprad>: „$)a tyabMd) immer geglaubt,
ber $an8jaf ob fei ein fo renommirter SBtertrtnfer, unb jetjt
f efje id) erft, baß er nichts uerfieljt." ,S)a§ mar meine 9lbpcf)t,
$err Sßrofeffor," ermtberte id), „unb ©ie werben jeijt in Qu*
fünft eine beffere SJteinung oon meiner ©olibität fjaben.*
S)ie Seute Ratten ferneren $)urft unb tranfen ba8 SBier
bod). Stteifter ftränfel, ber mehrere ftäßdjen weggebracht,
banfte mir beim ©Reiben nodj „für bie Shmbföaft".
$)ie Gruppe 30g in ber 9Jtittag3f)it}e weiter über
baS $)örfd?en Oberweier ber #öl?e be3 (Stdjelbergeä ju.
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Unterwegs warb im SBalbe botaniftrt unb würben ^Pflanjen
befttmmt. $er ^rofeffor wollte fefjen, was wir noch oon
Dberquinta h« wüßten ober oergeffen hätten. Auf betn
Serge , beffen riefiger ©anbftetnbrudh ade jQuaber $ur
^eftung 9taftatt lieferte, angefommen, ^atte man eine
wunbersoUe ©i^t auf baß untere SRurgthal unb bie
iH^einebene. $o<h in feinen ftlegeljahren fehlt bem beut*
fd)en Stubto gar oft baS richtige ©efiiV fih: bie Schön*
Reiten ber üftatur. SBir flauten meift ledfoenb auf baS
tief unter uns liegenbe $orf 9tothenfel§, wo wir wieber
2Her befontmen foftten, unb brängten ben Sßrofeffor sum
Stteberfteigen oom @td>etberg in» ^al hinab.
Qdj tarn an jenem ftebenb fielen Sag jum erften 3JlaI
nach SftothenfelS unb fett^er nie mehr. ($3 ift mir von
ihm nur baS §äu§chen erinnerlich, ba$ ich ^eute noch
ftnben wollte, unb in welchem wir ein famofeS SBtcr tränten
in fo fthwerer Sftenge, baf& gegen Abenb alle, ber 9$ro*
feffor auSaenommen, „bieraebehnt" auf bem Sfturabamtn
ber geftung suwanften.
©S war bieS an einem Samftag gewefen. Am fol*
genben Sonntag nach ber 93efper machte ein (SliteforpS
oon und einen 3lu§flug nach Dettgfjehn burd) ben 9ta*
ftatter 9tfeberwalb. So nahe bieS $orf auch bei ber
Seftung gelegen ift, fo war ich boch nie ^ingetommen in
ben fteben 3af)ren meines SRaftatter Aufenthaltes. Unb
waS 30g uns je|t nach biefem abgelegenen Orte? 2Bir
Ratten erfaßten, ba$ bort ausgezeichnetes „Selbenecf fcheS
93ier" fei auS ber Brauerei beS gleichnamigen SBaronS &u
3Jtuf)lburg bei Karlsruhe, unb ba wir oon biefer Parität
noch leinen Segriff hatten, fud&ten wir Detighetm auf.
3ftt ber Seinen Saubtjütte eines SBierwirthS trafen
wir ben berühmten Stoff unb joUten ihm fcharf tritdenben
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SeifaH. 3Wein $reunb ftuhn hatte 83ermanbte im Storf,
bie et herbeiholte. Unter ihnen befonb fid) ein alter,
luftiger 23auer§mann, ber mir von feinen ßinbe^erleb*
niffen auS ber fjTanjofcnjeit crjäEjltc unb meine ganje
^lufmerffamfeit baburd) gewann. SBir machten fpäter
eine Sunftpaufe unb begleiteten ben Gilten hinaus ins
Selb, wo er uns feine roaUenben Äornätfer jeigte unb
babei immer (Stornierungen an feine ftugenbaeü anfnüpfte.
heimelte mich immer mehr an bei ihm, unb auch
hatte feine tyüz ^reube an bem „SufHgften unter ben
©tubenten". 2Bir mußten in feinem $aufe )u $benb effen.
©S ftellte fleh h**auS, baß auch von mir entfernte
SÖerroanbte, non Durmersheim her, fyiex roohnten, eine
SMmerSfamtlie. (sie warb aufgefucht in Dämmerung unb
Sierlaune. $)ann sogen mir mit alP ben neuen „JJrettnben"
von SBierbauS $u SBeinhauS unb umgefehrt Srte gange
S3auernfchaft mar fchliefjlich non unferer ftompagnte, 2Bir
fangen bie „fünften" ©tubeutenlieber, unb bie Detig*
heimer hatten eine 5**nbe, als ob h*nte förchmeih* märe.
3)ie 3eit, noch in bie ftefhtng ju fommen, mar l&ngft
Dotüber; mir übernachteten im Dörfchen, baS bis gen
9ftitteraad)t von unferen Siebern unb SBanberungen er*
tönte. 2Bie baS 2öirth§höuS hi*Ö, in meinem mir unfere
„S'üpfc" ausliefen, meiß ich nicht mehr, aber ich moHte eS
mie bie ftammer, in ber ich hwbergte, h*nte nod) ohne
Führer auffuchen.
9lm anbern borgen, ba gerabe meine (Schroetter bie
2öirthSftube im Sömen gu SRafiatt auStehrte, traten mir,
Dor fteben Uhr, bei ihr ein unb befaßten „faure Scheren*,
um ben „Stater" gu beruhigen, ©ine Stunbe fpftter, unb
mir fafcen in ber ftlaffe, frifch unb munter, unb prä*
paritten unter ben SBänten $laton, mährenb ber $ro«
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feffor SKcolai au3 bem unau§fpredfjlidf)en ©tablbaur bic
Sefjte oom ^flttlic^en ©runboermögen" vortrug. —
S)a3 hiefj man bamalS im ßeben „fd&öne Sage", unb
ba§ waren $od)fefte im ftalenber meiner 6tubienjcit!
Qn ben gleichen (Sommer 1859 fiel audf) ber Sfrieg
in Dberitalien, unb id() erinnere mid) heute ntdjt of)ne
einige SBeljtmiti) ber (Sympathie, welche bamals überall
in SKaftatt für Defterreidf) fid) geltenb mad^te. (£3 ging
biefe ©qmpatyie mdf>t adein au£ ber Beliebtheit be§
Regiments SBenebef fyztvor, fonbem audf> aus ber bamals
in (Sübbeutfdfjlanb nodf) allgemein fyerrfcijenben Vorliebe
für Defterreid^. Unb ^eute ift biefeS Cefterreta) bei ben
©übbeutfd&en fanm no$ eine blaffe (Erinnerung, aller*
bingS m$t ohne feine ©djulb. $a| bie $ren£en bie
Hegemonie S)eutfchlanb3überfommen, gereift ihrer (Energie
unb namentlich ihrer ^ßolittf nidfjt jur Unehre.
S)er beutfehe 2hmb mad&te 1859, ohne jebod) ^elfenb
einjufchretten, aum Kriege mobil, unb fomit auch SBaben.
©tubenten von ber Dberfejta mürben als DfpaierSafpi«
ranten angenommen. Einige oon uns melbeten fi<h. 2lud)
ich wäre mit Seib unb Seele gerne ©olbat geworben, aber
bei ben Defterreidjem. $)te Vorbereitungen waren bereits
getroffen. Qu fed)3 SBodfjen märe ich Sieutenant im
Regiment Venebet gemefen. Allein oon ber 3Rutter fam
auf meine Anfrage hin (Sontreorbre. „Sie ^abe Kummer
unb (Slenb genug*, fdfjrieb fle, ^infolge ber ^ranf^eit beS
SSaterS, e3 fehle nur noch, bafj ich (Solbat werbe, um ihre
legten Hoffnungen ju serftären.* 3$ war gehorfam unb
begrub meine (Streitaxt ferneren ^erjenS.
©in ©aSladfjer, mein ©chultamerab Sßeter SBeber, ber
oom Sefjrerfemütar weg ftdh auf baS ^olpted^nifum be*
geben hatte, würbe als Df fi&ter3afpirant angenommen unb
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tarn nach üiaftatt jur 9lxtiHetic Qu furjem roarb er
Lieutenant. 9Bie oft f)ab' ich be3 2lccifor3 $etet beneibet
um feine Stellung unb feine Uniform 1 3$ mar orbentlich
ftolj barauf, menn er $u mir f am unb mit mir frieren
ging. (5hc brachte e§ aber nicht weit beim 2ftilttär, trat mieber
au3 unb ift jetjt auch fchon l&ngft unter ben Xobten. —
2Bie ftammoermanbt füllten mir ftaftatter un§ mit
ben öfterrei^if^en ^Böhmen ber ©armfon! 2Bte manch'
guten ftreunb hatte td) unter ihnen, unb mie vielen ©enujj
oerbanfte ich bamate ihrer föftlichen SRegimentSmufxf!
SBenn an ben S)onnerftag*9lbenben auf bem ©chloftplatj
bie Defterreidjer fptelten, fehlte ich nie. Sie nedtenbe
^aune unb bierfeltge Sae^anten fd&mebten mir ßqcetften
burch bie gu^örermenge unb hinter bem 9Jluftfforp3 brein,
menn e£ burch bie ©trafen ber Stabt ber ftaferne au^og.
2tt8meilen,roenne3 recht bmtfel unb # €>d&ill3 $öchterle"
beim QapfznfiTtid) auf bem ©djlofcplafc ftunb, tnufjte ich
e§ heimbegleiten, meil e§ fich fürchtete ben einfamen SBeg
hinauf jum Sgceum. %d) tfjat bie3 jeweils ungern, bie
alte Jungfrau, mehr berf sehn jgahre älter al3 ich, gu ben
alten £mben ju führen. %od) ich tfjat e§, einmal bem oon
mir ho^oerehrtcn S)ireftor jultebe, beffen $au3geift bag
£öchterle mar, unb bann meil baäfelbe unS Stubenten, unb
befonberS mir, fchon mannen ©pionirbienft ermiefen hatte.
908 ich elf Qahre fpdter eines £age§ mit meinem
11'
ausführte, begegnete un8 be3 „@chiU3 ftöchterle". :gcf)
eilte freubig auf fie ju unb fteUte mich als ihren ehe«
maligen ftreunb $angjafob oor. Sie ^atte eine fönigliche
greube, mein ^Begleiter aber brängte mich weiterem
©efpräche mit ihr ab. 9118 er mich barüber aufgebracht
fah, erzählte mir ber fonft gutmütige Sftann, bafe bog
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- 197 -
fträuletn ©chiU eine gefährliche Sßerfon fei unb tt)n oor
einigen 3a^ten / ba fte noch im gnceum wohnte, in grofie
Verlegenheit gebraut höbe. Sie half nämlich eines 2lbenb8
jrcei ©tubenten au§ $?arl§rut)e au§ bem 3 : eftung§gefättg*
niffe entnommen burch bie angebaute ©chloftfirche, &u ber
flc bie ©djlüffel hatte. $>te ©tubenten wohnten herauf
einer Kneipe in Karlsruhe an unb fehrten am anbern
Klötgen auf bem gleichen SBege jurficf.
9ttich freute e$ ju ^ören, bafj beä ©dn'US £ötf)terle
noch foldje Vorliebe für ©tubenten h&tte.
©ie lebt heute noch als greife Sftentnerin in SKaftatt;
benn ber $)ireftor ©d)raut, ein SunggefeHe, ber wenige
Saljre nach meinem SBeggang penßontrt mürbe unb ftarb,
^at fte ju feiner Umoerfalerbht eingefetjt. —
9113 na$ bem JJriebenSf djlufi bie gefangen geroefenen
Defterretcher jufcaufenben über £el)l au§ ^«nfrei^ (amen
unb in ben ftortS unb äafematten SRaftattS vorüber«
gehenb einquartiert würben, beeilte fleh Jung unb alt, ben
brauen, unglücf liefen ©otbaten, unter benen namentlich
audt) oiele „©ren&er* waren, ©rfrtf jungen $u bringen.
SÖStr ©tubenten oerforgten fie mit Zigarren. $>te Dfftjiere
fanben Unterfunft in ber ©tabt, unb idt) fcXbft teilte
mein gimmer mit einem SRtlitärarjt, ber bei ©olferino
wiberrechtltch gefangen warben war unb mir fdt)recflidje
3)inge erjä^lte über ba3 öfterretchifche ©anitätöwefen.
Unter folgen Vorgängen nahte baS ©dtjuljahr 1858/59
feinem ®nbe unb bamit bteSrermungSftunbe oomSKaftatter
Snceum. $>er Heine ©ofrath %fyx von ©eibelberg, ein
altes, fdjlottrigeS ^Wofophenmännchen soll Seutfeligfeit,
na^m un3 Dberfe^tanern bie Slbiturientenprüfung ab.
„©d)Ul8 $öchterle" hotte ftd) aHe SJlühe gegeben, in ben
papieren be§ $)ireftor§ nad) ben oon Karlsruhe getan«
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menen Kematen für bic Abiturienten $u fpctyen, unb brutn
traf bie <Sdjlad)t iljre Vertrauten mdjt fo ganj unerwartet.
3$ begreife überhaupt nid)t, wo&u man ©djüler,
welche ba3 ganje Qaljr Ijinburd) bie betreff enbe klaffe mit*
gemalt unb bie «Sufrtebentyeit ber Seljrer erworben f)aben,
nod& erfra prüft, ob fic fällig feien, auf bie Unioerfttöt
enttaffen &u werben. Aber ba§ ift ctmliftrter ©ermanen
Art; jeber mu£ e8 boppelt unb breifad) fd)rtftlidj fjaben,
bafi er ein „geprüfter* SRenfdj ift, fonft Wmmt er im
mobernen Staate nid^t $u ©naben.
Seim feierlichen ©tfjlufc nad) abermaliger, öffentlicher
Prüfung mufcte ich, auSerf oren baju oon unf erm Literatur*
bogenten, eine Siebe galten über ©^afefpeareS £amlet.
©rft breifng Sa^re fpäter ^abe ich jene Dichtung be§
großen ^Britten wieber gelefen unb mir gebaut, welch'
ein Unftnn e§ war, einen Dberfertaner über £amlet eine
Abt)anblung fertigen ju Iaffen. gwei fcritthetle berfelben
beftunben aus unreifem #eug, unb ein drittel hatte td)
auS^eroinud 7 „<5tubten" abgetrieben. ©letchwohl laufdjte
bie 3ut)örerfd>aft in ber Aula, bie S&äter, 3ttütter unb
Schweftern ber Snceiften, ©erftunb aber Don bem Vortrag
fo wenig als ber SBortragenbe felbft.
3$ behaupte, bafj ein ®urchfchnttt£*©ermane, unb
als foldjen betraute ich mich auch, r*or feinem 40. £ebert§*
jafyce nicht im ftanbe ift, einen grofjen ©eift feiner Nation
richtig ju serftehen unb ju würbigen. 3$ fyabt biefe ©r*
fahrung an mir felbft gemalt, unb wer fett feiner „©tu*
bienaeit" bie „Älaffifer" nicht mehr gelefen hat, ber foU
mir nicht fagen, er fenne fie.
AIS bie 3>ef lamationen |u (Snbe waren, erfolgte bie
Vertünbigung ber ©ntlaffung ber Abiturienten. 3$ war
unter fünftel^ ©lüctltchen ber britte unb würbe öffentlich
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belobt, üinige Söodjen fpätet, nad)bem idj mid) befmitto
entfcfyloffen hatte, Geologie &u ftubtten, muffte id) nod)*
mal§ ein „allgemeines" .ßeugnifj einholen beim $)tieftor;
benn aud) bie Aufnahme in ein tyeologifdjeS ftonmft wirb
einem fterbltdjen ©ermanen im 19. Qa^r^unbert nur auf
©tunb möglidjft melet „©Triften" gemattet. QeneS Qzn^
nijj, batirt vom 28. ©eptembet 1859, ge&eidjnet ©d)taut,
liegt ^eute vot mit. ©3 ^ei^t barin: „©eine (be3 ©ein*
tid) ©anSjafob au3 $a§lad)) güljtung m&Ijtenb ber Qtxt
feines ©djulbefudjeS ift butdjauS gefefclid) gewefen unb
l>at $m bie «ßufttebenljeit feinet fieptet etwotben; feine
©trebfamfett, in SSetbinbung mit feljt guten 2lnlagen,
betedjttgt $u bet Hoffnung, bafj et, wie et jetjt ben 9ln-
fotbetungen bet ©djule noUfommen genügt fyd, aud> bie
fyit bet afabemifdjen ©tubten mit fel)t gutem (Stfolge
benüfcen metbe." 3$ füljte biefeS 3eugmfj an al§ $8e*
weis meinet „gefeilteren" gü^tung unb um gu geigen,
roa§ im 9ttenjd)enle&en ein „tegalet SebenSwanbel" über*
fjaupt befagen nritt. —
mit mit bem DmnibuS be8 SfleiftetS #at} &u
ben Saaten bet fteftung ^inauSfa^ten unb bem Suceum
füt tmmet Sebewo^l fagen, müffen mit bod) aud> fut$
bet@tabt gebenten, bie fiebenQaljte un3 geiftig unb fötper*
lid) genährt hat, unb in bet mit bie eigentlichen Riegel«
ja^re beS SebenS jum gtäfjten X^eile augebtadjt haben.
SRaftatt ift eine Stauerwetbe untet ben vielen bliU
henben ©täbten unb ©täbtehen be§ SBabnetlanbeS, bie
netlaffene SÄeflbenj be§ altbabifchen gürftenhaufeS. ©eine
bteite, fchöne $auptfttafce mit bet ^ßf attfitche in bet Sftttte
!ann butd) ihte namenlofe Seete unb (Stnfamfett einen
fchon ttüb geftimmten 3ttenfchen jut SBetaweiflung btingen.
9Mancholtfch jieht bie Stturg an bet füllen ©tabt In«
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unb trennt oon i!jr bie noc$ öberen Söorftäbte, baS „Störfle*
imb bie „©d&wabeugaffe*. $te JJortS, »afttonen unb
#efhtngSmauero erf)öf>en baS Stlb ber ßangmeilc, unb bic
fanbtge, wenig ertöte @bene ringsum l)ilft nod& weiter
jeben Stets oon ffiaftatt oerbannen. ®a3 einjig ^eitere
©eftd)t unter ben leblofen fingen madbt baS prächtige
Sftenaiffancefdfjlofj ber alten Sttarfgrafen.
©o fommt eS, baß tyer faum fentanb lebt, ber nidfjt
ljter leben mu% Unb bod) tyab' id> in biefer triften ©tabt,
meine Stfnber&eit abgeregnet, bie forgenlofeften unb wtlb*
luffcigfien Sage meine« SebenS augebrad&t. S)te SHaftatter
oon bamalS waren frolje, gemüt!)ltdf)e ÜDtenfdjen, bie
nocjfj fibeler gewefen wären, wenn nidf)t bie SÄeaftion unb
bie (Erinnerung an bie folgen von 1849 auf üirem ©e*
mütl) einigen ©tnbrucl fn'nterlaffen hätten.
©o gerne tdf| aber in jener 3eit in biefer ©tabt lebte,
ebenfowenig möchte tdfj bortfelbjt Ijeute irgenbwie beruf*
lid> t^ättg fein. 3^ ertrüge Ijeute bie SMand&olte oon
©tabt unb Sanb nidf)t me^r.
Qm Qaljre 1879, an einem trüben 9tot>ember*9fcadf)«
mittag, wanberte idf), vom Sanbtag in StorlSrulje aus einen
3lu§flug ba^in ma$enb, wieber einmal allein burd& bie
Straßen SRaftattS in ftiUer SBeljmutl), bie ftd& in ben tobten
©äffen beS StörfleS unb ber ©dfimabengaffe $ur förmlid&en
Trauer geftaltete. SWrgenbS begegnete mir aud) nur ein
befannteS ©eftd&t. 2lm anbem borgen ging id& buref)
bie entlaubte Slllee beS ©dfjloßgartenS bem Ätrd^ofe ju,
unb l)ter traf id& meine alten SRaftatter faft alle — in
tyren ©rüften. S)a ruhten fie unter ber (grbe, Sttänner
unb grauen, bie id^ oor awanjig Qa^ren alle im beften
Hilter Reiter unb lebensfroh gefetyn unb gefannt fjatte.
(Srfdfjrodtett mußte id) öfters ausrufen, wenn td> an einen
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onbem @roBpgct trat: „Qa, ift ber ober bie aud& fctyon
tobt?! - ' bin leidet sur ©d&wermutl) geneigt, aber
feit triefen Qaljren ntd(jt fo trfibfeltg gewefen wie in
jener ©tunbe anf bem SRaftatter Äird^^ofc S)ie 9lrmfelig*
feit unb £>infätltgfeit unfereS ©rbenlebenS ergriff mtd& bis
gu gellen tränen. &uf bem 9tü<froeg f am td(j an unferm
SgceumSgebäube nnb feinen tobten Sinbenbäumen oorüber,
nnb ed flaute mid& alles fo oeraltet unb fo oermittert
an, als ob aud) hier jene ßuft entflohen wäre, mit ber mir
©tubenten oor jwanjig 3a$ren ba ein« unb ausgingen.
Sftodj) bis heute lebt in manchen ^ädjten in meinen
träumen SRaftatt in mir anf. 3$ wanble burch feine
©tragen mit meinen Südjem, fomme in bie Älaffe unb
habe nichts präparirt, werbe oom Sßrofeffor aufgerufen unb
weig nichts. Qfn ber ärgften Verlegenheit — wadf>e ich
plötzlich auf unb mebitire bann barüber nadD, wie feft bie
ßgceumSjeit in meiner ©eele fleh eingegraben haben mug.
Von ber StfnbeSaeit tx&vant man nie, wenigftenS ich nicht.
5Rie fehe id& mich in ben Sräumen als 8tnb ober »naben
auf ber ©trage fptelenb ober burch gelb unb SBalb jubelnb
— aber gar oft auf ben ©chulbänfen SRaftattS. 5>ie
©chulfudfjferei, meldte ber ftulturmenfch mitmachen muß,
gräbt fleh eben gar &u tief in bie burch SBiffenfchaft ge*
plagte ©eele, oermtfcht nie unb ängftigt uns nodh nach
Sa^rse^nten felbft im Sraume. —
3HS ich im Sluguft 1859 SRaftatt oerlieg, hätte man
atte meine bort jurücfgelaffenen fjfteunbe unb SBefannten
fragen tönnen, ob fte glaubten, bag ich Geologie ftubiren
unb elf Qahre fpäter als ultramontaner Staats»
oerbrecher auf ber gfefhtng SRaftatt fifcen würbe — alle
gälten fldjerlich biefe beiben fragen einftimmig oerneint
Unb bod> foUte eS fo fommen.
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33etcmntlic$ !>eifjt bct beutfdje ©tubent in ber.gnrifdjett'
jett, bie ben Abgang oom Sqceum (©qmnafium) unb ben
Slufjug &ut Unioerjität trennt, „Sftaulefel*, weil er, wie
biefer, ein 58aftarbgefd)öpf ift, roeber ©qmnaflft meljr nod|
aud) fd)on Slfabemtter. $>te in biefe 3ett fattenben ftmtn
werben bementfpredjenb „9ttaulefelferten" genannt. Sta
bei einem normalen germamfd&en ©tubio in biefen Sagen
ber ©röfjenmafjn unb ba§ ©elbftgeffity ftetgen, fo ftnb
alle feine Saaten unb Seiftungen ebenfalls auf einer ent*
fprecfjenben §öfje.
3$ trat in biefen Serien aunäd)ft unb &um erften Sttat
in ben flreiS ber £a§ladjer „£erren" ein. 2tt§l)er $atte
tef) in ben Stofanjcn nur mit ben ©enoffen meiner Knaben«
jeit, mit befferen ^Bürgern, nieberen ©taatöbienern unb
Unterledern oerfeljrt, mein SBter oor&ug8n>eife im „fträmer"
unb beim „SBierwetble" getrunfen unb an ben 3lbenben
mein >}ego Wm „£aferl)an§" mit (Uenbarmen unb bem
9lccifor gemalt. Qetjt aber warb i$ in bie „sßofyljgmma*
aufgenommen, wo nur bie fogenannten Herren au$« unb
eingingen.
$)ie bamaligen *ßolt$t)mnier in meiner SBaterftabt
bilbeten ber Dberamt8rid)ter »obemüUer, ber praftifäe
9lrgt fteeberle, ber Slotar ©erger, ber Sfyotljefer ©ruft,
ein ftegtftrator unb ein Slftuar be$ 9lmt§gerufjt8 unb
jroei Bürger erften SftangeS, ber Kaufmann unb gtafaifairt
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— 203 —
®%\& unb ber ftreu&mirt!) 3Jtertle, meld) letzterer m ber
Sfiegel nod) bic eben im St&btd^ett übernad&tenben ©efd^aft^
retfenben mitbrad&te.
*ßolt)l)gmma ljatte fld& bie ©efeUfd&aft in bem Keinen
üftebenaimmer be§ „Stoqeriföen £ofe§" genannt, weil an
ben SÖB&nben beS ßofalS allerlei ^ufitfnftrumente fingen,
oon benen aber teineä je gefpiett marb, unb weil oft gegen
SJcttternad&t ein ©efang ertönte, Dielftintmtg wie ber
©d^ladjtruf von 9totl#äutett.
©ie war mdfjt aaljlretd}, biefe ^ßoli$t)mnia, aber fte
übertraf an ©eitertett alle „SAufeen" unb größeren gefeU*
fd&aftlid&en Vereine, bie id) feitbem fennen gelernt. (Sine
folc^e ©emütljlidfjfeit unb „fjibelitftt 4 ' ift nur möglidfj in
einem {(einen fübbeutfdfjen 2lmt§ftäbtdjen gu Reiten, roo
bie 9ttenfcf)en nidfjt burdj ^ßarteifämpfe verbittert f!nb.
3d) habe fortan bie ganje nod) folgenbe Stubienjeit
in ben Serien faft au3fd)liefjlidf) mit biefer ©efellfdjaft
oerfe^rt unb bin feitbem nie meljr fo burdfjweg luftig ge*
roefen tm Greife oon SJtännern roie in ber ^ßoltjljgmttia.
9Ber mtd(j oor bretfjig Qa^ren einen 3lbenb bafelbft ge*
fefjen unb beobad&tet fjätte, mürbe nie geglaubt haben, bajj
bei mir eine £ett f ctme, in ber idf) abfolut fein »ebürfnifc
me^r tyitte für ©efeüfdjaft unb bie 9ttenfd)en el)er fliegen
mürbe al§ auffud)en.
3>te &wei Seelen ber Sßolgfujmnta maren ber $)oftor
unb ber SRotar, junge Männer in ben beften Qfafjren,
SebenSluft unb ftrofiftnn. (Sie mürben mef)r unb mefjr
im Saufe ber geit meine JJreunbe. 9ll§ „9flaulefel* unb
nodf> im erften tljeologifdfjen ÄurS ging tdfj mit beiben ben
2Beg tl>re8 politifc^en unb religtöfen Siberali5mu3. SBetbe
f)aben burd^ tljren SBttj unb (Spott nicfyt roenig ba^u bei*
getragen, bafj td> S^eologe blieb. Unb als td) in ber t^eo*
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- 204 —
logifdjcn (Srfenntnift fcft geworben war, Rotten wir ewigen
$t§put übet bie Seiten ber tatftottfcQe» Ätr^e. 2Bie fteg*
reid) tdj mand&mal fp&ter über ifjren Meinungen ftunb,
bafür fönnte ic$ Semetfe au3 bem Seben beiber 3^cunbe
bringen, bie fld^ jettwetltg aßen @mfte3 befeljrt Rotten.
2Bie mannen Slbenb ftunben wir bret, lange nad)bem
baS ,f d&ätterige* $imm.»tmm ber ©a&adjer Sumpenglocfe
auggetönt, no$ btSputirenb twr meinem väterlichen $au§,
in meinem aud) ber Doftor wohnte, w&f>renb ber SKotar
Dor bem ©täbtdjen brausen „im SBroen" loghte. ^eebetle
unb id) tränten in ber Siegel, nadjbem fein blaff e3 SHenft*
m&bdjen, bie Sertlja, unS bie £au8tl)ür geöffnet, »eil mir
meift oljne <5d)lüffel waren, in beS ®oftor3 SlrbettSjimnter
nod) ein „üRujjmäfferle" nnb btSputitten weiter bis gegen
5Jttttemad)t.
2Ba8 mufjte id) atteS über bie $fafff)eit f)ören von
ben beiben ^reunben unb weldj ja^Ilofe Slnefboten unb
fd)led)te 2Bi$e über bie ftlerifei matten jie, wenn id> ben
einen auf feine fragte, ben anbem auf bie ^agb begleitete!
3$re Satire reifte mid) f örmlidj, erft redjt Pfarrer &u werben.
<E§ gibt faft feinen Stauemfjof ber ganzen $a§larf)et
Umgegenb, ben id) ntdjt mit bem $)ottot befugt Ijätte.
©eiüöfynlicf) fuhren wir bi§ tn§ betreffenbe S)orf mit bem
<Sf)ai§d)en unb bem wilben ffud^fen, ber fo gerne unb fo
manchmal mit un8 buretyging. %amt wanberten wir &u
gtojj ind ©ebirge, hinauf $u ben Patienten, immer t>oU
ber beften Saune. 3luf ber $etmfal?rt fangen wir alte
Sieber in bie engen Stj&Ier unb in bie lauen $rü!)jaf)r§*
unb ^erbftabenbe hinein.
Qa, e3 war eine fdjöne 3eit, ba id) mit gteunb $ubert
in ben @almer§bad) unb Utterft, auf ben 9til unb bie
SBreitebene, in ben ©inbad) unb 9lbler3bad) bie ftunfk be3
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SIeSfulap trug unb ihm h<*lf/ tobte »auern $u fectren
unb lebenbe jitfammenjunä^cn! Tempi passati! Oft in
traumreid>en flachten fahre id) noch mit beut 2)ottot burcfj
bie ©fluchten ber ©eimath ; ber guchS geht im Sraume
burdh, ich fpringe oom SBagen, ermäße unb benle bann
bei guten (Sinnen in wehmütiger Stimmung an jene
fernen, vergangenen Sage.
$)er heitere, lebensfrohe 3Hann unb gemtffenbafte 3lrjt
ftarb oor 2fat)ren fdjon als SBejirfSarat unb 2ttebiainalrath
im marf gräflichen SKülI&eint, ein Dpfer feines SBerufcS.
$)er 9lotar, jefct auch fc^on längft tobt, mürbe mein
ßehrer in ber 3 a db> ®ä es in meiner ftnaben^ett ftetS
meine fiuft gewefen, burd) gelb unb 2Balb ju sieben, fo
Ijatte mein ^ößermeifter an mir einen eifrigen unb ge*
lehrtgen ©d)üler. Unfere 3agb$üge gehören &u ben lieb*
Uchften (Erinnerungen an bie fterien meiner afabemtfehen
Stubtenjeit. 3Bie t>oU beS Äci^cS waren nicht jene ©tunben
auf bem (Sd^nepf enftric^ ? ! SBer nie biefeS ©tiUleben beS
Sägers mitgemacht, bem geht ein ©tücl $oefte oerloren,
unb ber hat ber Statur nicht abgelaufcht &u allen Reiten.
<£S ift ein milber SKäraabenb, bie ©onne ift eben
untergegangen über einem heitern Frühlingstag, bie £anb*
teute fehren von ihren gelbem heim, im ©täbtehen raupen
bereits bie Kamine ber 9lbenbfüche, broben am SBalbranbe
ftehen gmei Sägersleute unter ben listen Röhren unb ben
fdjon frühlingSbuftigen SBirfen. Slmfeln unb Toffeln fmgen
ben ©chlufc ihres SlbenbliebS, bie Säger fchauen hinab ins
ftiUe 2hal unb reben oom grütjling. aBenn ber letzte
S)roffelfd)lag verhallt ift unb bie Stacht ihre elegifcfje 9tuf)e
über gelb unb SBalb auszubreiten ftd) anfd)tcft, f^roetgen
auch bteQäger, benn jefct beginnen bie ©djnepfen &u ftreichen.
»alb ertönen einzelne ©chüffe ins ftitte %$al hinab, unb
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— 206 —
ber englifche £>ühnerhunb be§ StotarS, bie eble 3)iana,
apporttrt ba3 gefcfjoffene SBilb. SBenn ber bunflc SBalb
bie letjte Schnepfe aufgenommen, sieben bie Säger bergab,
um in ber f otgfomnia ben frönen 9lbenb au befcpefjen.
©o fyabt ich jahllofe Slbenbe mitgemacht unb bie
^oefte baoon jeroetlS tief einpfunben, tro^bem icf> nebenbei
als gewöhnlicher £albroilberer fungtrte, b. h. ein ©eroehr
hatte, aber feinen 3agbpa$.
2öeniger elegtfdj ging'S auf unferen „mtlben Jagben*
$u, wenn alle £aSladjer Säger jufammen aussogen. 3)aS
mar eine luftige Schaar : ber -ftotar als Ober jägermeifter,
meine brei SBettern, ber ftaftenoogt, ber Sftcfcgerfrana unb
ber grüne SBaumroirtf) ©erafin, bann ber alte SBeUe, ber
©cf}roaräbecf unb ber ßafcenfrämer als Unterjäger, ber
£afenbecf als Treiber unb ich als ©aftfdjü^e. $)a mürben
regelrecht bie Serge unb SBälber abgejagt unter #unbe*
gebett unb Xreiberruf.
Unfer $auptreoter mar ber ©öhenjug, melier baS
ftinjtgthal vom ©Ijthale fcfjetbet, unb mo gü^fc #afen
unb kühner einanber gute 9tad)t fagten, fomeit mir pe
am borgen nirfjt erlegten, ©en Slbenb marb jeweils ein
$äSlein hinabgefchieft inS %\)al jur # <öchneebanenroirthin*,
bie bann ein Sagbeffen präpartrte, baS jebem $offod) am
£ubertuStage ©h*e gemalt hätte. %a ging'S bann hoch
her, menn bie hungrigen unb burftigen Sägersleute oon ben
SBergen herabf amen, tyalmin unb Jägerlatein floffen in
(Strömen neben ©afenpfeffer unb Schürten. Qd) fönnte
mit mehr fjreube an jene $age jurüefbenfen, menn ich nicht
jene luftigen SägerSteute heute alle tobt müßte.
•ftoch al§ *ßriefter nahm ich in ben Serien meiner tatet*
nifchen ©chulmeifterjeit manchmal theit an ben Qagben in
ber £eimath. 3$ erinnere mich noch wohl eines $agb*
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— 207 —
tageS im Qahte 1864, wo ich mit JJlinte unb SBteoiet ju*
gleich auSjog. @S wat baS Offizium beS <£h?9fo*
ftomuS (27. Jänner) ju beten, unb ba ber 9Batbgang ben
ganzen Tag übet bauem foUte, muffte ich mein SBteoiet
auf bie 3agb mitnehmen, weil ich meine beSfallftge 95er*
pfltdjtung nicht auf ben 9lbenb oetfehieben wollte.
©o oft ich nun „auf ben Slnftanb" fam, lehnte ich
mein 3Rotbgemeht an einen grünen Tannenbaum, jog
mein Steoiet auS ber Tafele unb betete, bis bie $unbe
laut gaben unb bie $agb ihten Anfang nahm, bann griff
id) &ut iJÜnte, bis ber 3 U Ö bet bleute unb Treiber an
mit ootübet wat. Ötichtig tarn id) bafüt, wenn auch
anonnm, in ben „ftalenbet". $)et „föaftattet £infenbe
93ote" oon 1865 bemächtigte fleh bicfcS betenben QägetS,
unb eS ift ihm ted>t gefchehen. —
Stttt ben „Sttaulefelferien" etfolgte mein ©inttitt in
bie ^oln^nmnia unb in ben Qagbtlub, aber e§ etfolgte
auc^, waS oiel wtdjtiget wat, bie (Smtfcheibung meinet $8e*
tufSwahl. 9Bem ich feit jmei Sauren auf fein fttagen mit
lachenbem 9Jlunbe gefagt hatte: „3$ wetbe *ßfattet", ber
nahm meine 9lntwott als fchlechten 2Btt$ auf unb äußerte
aufs Iaunigfte feine >}weifel. tiefer allgemeine Unglaube
bewog mich erjt recht, baS boch ju werben, woju anbere fo
beharrlich ben ftopf fchüttelten. Unb hierin fehe ich,
menfehlich gebrochen, ben erften ©tunb meines theo*
logtfdjen ©tubiumS. ©elbft meine ©tojjmuttet ^atte in
^Beobachtung meines fo wenig befchaulichen (StubentettlebenS
ihre Hoffnung gänzlich aufgegeben, unb in biefer ^ett that
fle ben SluSfptuch : „2Senn $)u ein Oeiftltchet wirft, werbe
ich in meinen alten Tagen noch eine ftloftetfrau."
3n welche SBorte bie SHutter ihre Enjicht Heibete,
werben wit balb fehen. S)er SBatet abet fchwieg abfolut
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— 208 -
feit jener ttnterrebung nor bem „2ttlbp<fle" beim ©arten
- be§ 2Ipotljefer3.
©eine Äranf^eit bilbete ben aweiten entfd&etbenben
©rrotb. 3$ Ijatte feit Qfa^ren aiemlid) gleidjgiltig ben fRvan
ber Jfamtlie unb bie großen ©orgen ber Butter mit an-
gefeiten. Der SRutter SieblingSwunfd) war, baf$ i$ ^ßriefter
mürbe, unb biefen &u erfüllen, ifpc eine ftreube %u utad&en
in bem nielen Kummer, beftimmte m\% be8 weitern &ur
Geologie, £b1jere, reltgtöfe ©rünbe fcatte td& abfolut
{eine; benn mit meiner „Sleligüm* fal) e§ fcfjUmm aus.
©o fitste id) benn, wenn audj etwas oerjögert, unter
Vorlage ber betreff enben .ßeugniffe um 2luf nannte tnS erj»
bifdjöf lidje ftonotft nad&. ©te fam balb, unb id) warb gegen
geringes Entgelt in bie Qafy ber Äonoiftoren eingetrieben,
3Ba3 mir an ber emfdjlägUdjen Urfnnbe bamatö nid&t
gefiel unb gleich ein Omen abgab, bafj id) ein vorlauter
ftritifer fjoljer obrigteitlidfjer Crlaffe werben würbe, war
ber Umftanb, bafc ber <&r$btfd)of mm SBicari biefelbe eigen«
fcänbig unterjei^net Iptte. 3$ badjte mir einen förg*
bifd>of mel erhabener, als bafj er ein Statt Rapier unter«
fdjriebe, auf welchem oergeieimet war, wie viel $emben,
SBeifoeug, Keffer unb (Nabeln ein ange^enber 8tudiosas
theologiae mitzubringen Ijabe.
5U§ id) bem $)efan unb feinem fjxcunbc Slrmbrufter
in§ 93ierfränter§ meine Äontnftöorbre mit obiger 58e*
merfung vorzeigte, meinte unf er alter Pfarrer: „©einrtdO,
wenn Q^nen fdjon ba£ nidjt gefällt, fo werben ©te eS im
ftonotft gar nidf)t aushalten!" 34 trug aber fortan ba3
patent in ber SafdEje, unb jeben, ber mid) na$ meinem
Unioerfttötgjtubtum fragte unb sweifelte, lte£ i$ fd^roarg
auf weif* lefen, bafc idfj richtig &ur Styeologie über*
gegangen fei.
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— 209 —
3n mir fetbfl aber §etrfd)ten ftarfe gtoetfel, oB td)
auSfülpen würbe, toaS id>, anbem $um 2Biberforutf), be*
fd&loffen l>atte. SBon einem Jöetuf" tonnte feine 5Rebe
fein, unb mein ganjeS 9Raulefeltoefen uribetfptadj einem
folgen. 3$ ging oiel liebet unb weit mel)t in bte Wer*
häufet als in bie ftitetje, bie i$ an SBerftagen nie von
innen $u fe^en befam. Hm (Sonntag aber fafj id), tote
in ben 3«ten als (£I)orfnabe, metft Stüter bet Dtgel unb
patlirte mit alten ©tfjulfameraben.
©egen ©nbe bet Serien erfcr)ten mein greunb 2lbet>
oulgo $an oon SRaftatt, um mtdj $u befugen unb mit
mit bie Ufcetfe ht§ ßonoift angurteten. 2Bit matten nod)
bte SBeinlefe mit an bet obetn Äinjtg. S)te §a$lacr)et
pffonjen ben legten 2Bein not bem Eingang in ben ©d)toars*
toalb, abet, nad) bem ©pttdnoott: „Snx letzte ift bet
bette", ben beften im ganzen 3$al. (£3 c)ätte biefet SBetn
Ifingjfc 9Belttuf, toenn e§ ifyn möglich toäre, in bie SBelt
%n tomtnen; allein mehte 2Rttbürger mehren es iljm, in
bie ftumt %n fdjtoeifen, unb ttinfen „allen* felbft Qm
fürftlidt} fürftenbergifdjen 5lrcr)io ju $)onauefd)ingen aber
fanb id) feiner Qdt eine alte Urfunbe, toonad) bet #a§*
lachet $ettenbetget im 16. QfaWuubett bem SBurgunber
gleich gefct)&%t tourbe. SBelje batum bem „Qtütt Sftotljen 4 ',
bet fed^d ©tunben unterhalb be§ RertenbetgeS toädjft,
toenn bie eljrfanten ȟrger meinet SBatetftabt ntd^t fo
toeinfelig waten!
Sfteunb 9lbetj unb id) ttieben un$, au§ ^ijtolen
fdjieftenb, jeben $etbfttnotgen am Rettenberg §tn unb
Ijer, unb als bie ©aSlac^et auSgefjerbftet, jogen toit flufj*
abtoättS jum ftronemotttl) oon SBoUenbacr), bet mit bet
Familie be3 DberamtStidjtetS $obeutüHer mid) unb meinen
Kollegen eingelaben fyrtte. 2lm gfufje be3 $oI)en SBem*
$anSia!ob, 6tubtcR}eit 14
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— 210 —
betgS lag bte £utte meinet SBafe, bk td) in 8ittbe3$etten
an Ätrdjroetytagen fo oft befugt ©3 mar ein l^errltdjet
©eptembettag, in ben präcfctigften gfatben flimmerte ba£
Sljal, neben bem SBetnberg lag ein lidjter S8ud)walb.
Unter ben Suchen ftunb bet ftronenwirtl) mit feinet
©eige unb fpielte bie luftigften SBeifen unb jauchte baju
wie ein ächtet $)orfmufifant. Unb wir ©tubenten , wir
jaudfoten mit ifyat, bafc SBerg unb 2#al wieberl)aftten.
S)odf> wie armfelig unb flüchtig ift unfere SebeuSluft!
©eute, ba mir ba$ »tlb jene« tbnHifd)en &erbfitage§
not ber (Seele glänzt, fbtb bie meiften SWitgenoffen langft
tobt, unb ba§ jüngfte unb fd)önfte aftäbdjen ber ©efefl*
fd?aft liegt ooQftänbig geiftig umnafyüt in einer 9lnftalt
für Unheilbare gu $for&f)eim. $ier traf id) fie oor einigen
Sagten, suffUltg, untet einer ©d&aar weiblicher äBefen
auf ber niebrigften unb unglüdli^jten @tufe menfd)lid)er
©rfenntnij unb menfc^lic^en 5)afein3, —
SBenige $age fpätet, unb in $a3lad) fanb bet
9Jttd>aeli3jaI)rmarft ftatt, wo bie Hölter oon allen bergen
unb au$ allen Spätem be§ norbmeftitdjen ©djroatawalbeS
in ©a§le jufammenftrdmen. uott a,ermantfd>*
linguiftif^er 3Ranie, fa&nbete unter ben Säuern na$ ben
oerfdnebenen alemannifd^^fc^wöbifc^en äftunbarteu, unb
fragenb unb fdjergenb trieben wir und ben ganzen Sag
auf bem SRarfte untrer.
Site aber ftreunb *ßan bie feinblaffen SRäbdjen au3
bem @utad)ertf)al fal), ba würbe et gang irre an ber
Stoffe ber ^albewo^ner. <£r f$wut ntdjt fyöfjer, als biefe
Seute feien aus ^ßolen eingewanbert unb Ritten gar m$t£
©ermanifdjeS an ftd). $lm Slbenb festen wir Sttaulefel
un3 nodf) in ein äatuffell unb fuhren im Rreig $erum
mit ben fttnbern unb Knaben. 3$ lub nod) meine alte
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— 211 —
Nachbarin bagu ein, bic ^rau be§ ©trumpfnnrferS, ber
in ntehieit ^ugenberinnerungen* eine (o große SHottc fpielt
Unter foldjen unb ähnlichen iuaenbUcben ©treieben
©erginge» bie gerien, unb e$ tarn ber borgen ber 3tb*
reife jur UnioerfUäl SBelch' ein anberer 2ftenfch 30g ich
balnn, bettn oor fleben Qahren auf ba£ Soceum! 1>araalS
roar ich ein befcheibener, fchüchteruer ftapIanSfchüler, unb
jc^t erfüllte mich p^ilologifc^er ©rößemoalnt, ben in jener
3eit aUe beffem «Kaftatter mit auf bie UnberfU&t brauten,
unb ba&u ein tmbefttmmteS, banget ©efühl oor beut fton<
oift, in baS ich benn eigentlich bo$ nicht taugte.
©S warb mir gu SQRuthe »te einem, ber prahlerifch
eine tühne 2^at auS&uf ühten übernommen f)at, im Augen*
bltcf ber Ausführung aber baS #er$ fluten laßt Unb
bodj h^tte ich mid) gefchämt, oon meinem ©ntfchluß gleich
mieber abguftehen. ©inen £toft aber gab mir beim Scheiben
meine Sftutter, bie noch beffer nrie ich füllen mochte,
baß meine Rheologie auf feht fdjwachen güßen ftünbe.
AIS ich ihr in aller Morgenfrühe/ eS mar noch buntel
auf ©rben, unter ber »orbern #auSthüre Abieu fügte,
um in ben „SBolfacher Omnibus* ju fteigen unb nach
Offenburg an bie ©ifenbahn &u fahren, lauteten i|re
legten 9Borte: „Schreib' auch gleich nrieber, wenn bu
etroaS anbereS ftubirft!*
9Rein Begleiter beneibete mich im 9Beiterfahren fo*
fort um biefe »lebe ber 9Rutter. 3$ weiß/ meinte er,
baß ich eS nicht fechS 2öod)en im ftomrift auShalte ; aber
wenn ich heute ben Theologen aufgebe, bin ich morgen
mittellos, etwas anbereS &u ftobiren. 3>er JJaU trat ein,
aber Abe£ fat es fpäter boch unter ben forgenoollften
Stunben jum juriftif^en Staatseramen gebracht
Qn Dffenburg im Ochfen hielt unfer 2Bagen an,
14*
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— 212 —
unb tc$ erinnere mid) lebhaft, tote rotr bat>ön fpradjen,
falls und bie Geologie entleiben fottte, ber Biologie
un§ au&uwenben unb t>or&ugS»eife ber altbeutföen. 2Btr
faxten bann ben ©ntfdjlufj, mit bem $an ftd) bamalS
eifrig herumtrug, ein<5ammeln>erf berbeutfd&enOeföledjtS*
namen herauszugeben, unb unt bamit gleich $u beginnen,
fcfyrteben wir fftmmtlic&e Manien ber Dffenburger 3 utt fk
meiner ab, bie in ©lag unb SRaljmen im Ockfen, als ber
Verberge, Dersetdjnet waren. 2ftan mag barauS erf ernten,
meld)' ibeale unb naroe ©^wärmer bamals in unS
Sroeien ftedtetu
foldjer Slbjtdjt fuhren mir gen ^veiburg.
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|fnu«r|ttät uni> gtomriftt.
2Bit roaten am Klötgen cor ber abenbüdjen <£r*
Öffnung be§ ftonmttS in bct SBtufenftabt angetommen.
Unfer etfter (Sang galt aber ntdjt etroa bem ftonnitä»
bireftor, fonbem bem Sßfeifenmalet ftrebä in bei ©erbetau,
um und gemalte $ebifation3pfetfen &u befallen. &8
heimelte mid) in biefem ftlein*$Benebtg von ftreiburg
mächtig an; benn in meinet ftnabengett war id> al§
/y ^rembling 4 ' manchmal an feinen melan$olifd)en SSaty
lein Ijingeroattbelt, bet §eimatl) gebentenb.
$)er alte ÄrebS, meldet fd&on $a$llofe Stubenten
auf *ßorjellan gemalt unb gebrannt ^atte, flaute
un§ mit Stennetmiene in unfete jugenblid) fü&nen ^n*
gefugter", ©r etfannte fofort bie ÜReulinge, aber au$
ba3 SBtergenie in un3 unb fragte unter bem ftopiren, bei
meinem $orp§ mit „einaufpringen* gebähten. 2113 mir
if)m lac^enben SttunbeS eröffneten, mit wollten im Äon*
t-itt „einfpringen"; Rüttelte er bebenflid) fein alteS, rötlj*
Ud)e3 £aupt unb orafelte: # Son <$u$ beiben ift (einer
wer Söocfyen im ßonotft!" San bem einen I)at er'S et>
ratzen, bet anbete abet tyd feinen SßtopI)etenblicf ju
©ctyanben gemadjt
Um bie SJUttagSaeit fugten mit ben ftomuttsbiret*
tot ßübel auf. 3Bit flauten ba§ grojje, ummauerte
$onmft3gebäube am fjufje be3 ©cfyfofjbergeS an rote jmei
£anbftreid>er ein 3lmt3gefängni6, unb bet ^ottiet
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— 214 —
fam und t>or wie ein fterfermeiftcr. $n ben füllen
©ängen beS #aufeS wogte ein Seben wie in einer ftaferne.
9llte unb neue ftomnftoren sogen auS unb ein. $)te
Geologen beS jwetten unb britten ÄurfeS wed&felten iljre
©tubien* unb ®d)lafeimmer unb brauten ityr Mobiliar
in Drbnung, wftljrenb bie UWruten fdf>eu unb fd&üd&tern
i^re oom ®iref tor angewiefenen neuen Sabinen ouffurfjten.
$)er S)treftor empfing uns mit genteffener greunblitf}*
feit. <£r fhmb, ein nodj junger, blüjjenb unb gefunb auS*
fe^enbet DJlann, an feinem ©d&reibpult am JJenfter. 9113
et unfere Flamen $örte unb erfuhr, bafc wir „Sftaftatter*
feien, ließ er feinen SBlid mit befriebigtem SÖBo^woHen
auf un3 ftretfen. (Sr war ja felbft einft „üiaftatter" unb
5ttarfomanne gewefen unb Ijatte auf btefe, namentlid)
wenn fte unter bie erflen aalten, befonbereS Vertrauen.
$eber von uns beiben bef am bie Plummer feines ©tubir*
jimmer § unb feiner ©d&lafftefle unb warb entlaffen.
fcrau&en im ©ang traf td) meinen alten ftreunb «eefert,
ber bereits baS britte ÄonoiftSjaljr antrat unb mir be*
fjilfltc!) war, mein ftafernement $u bejie^en.
%\t ftonoittoren waren nad& QafjteSfurfen abgeheilt
unb in biefen bie Simmer ^ m ©tubenten nadj bem
9llpl>abet tyrer @efd&ledf)t3namen angewiefen. ©o fam
t$ mit fünf anbem in ein Heine*, bunfleS, einfenfterigeS
©emacf> auf ber 3ßeftfeite beS £aufeS. $te 2luSfid)t
ging auf einen fdf)mutjtgen, alten $of unb einige $)iid)er
benachbarter 2Bol)nungen, über benen büfter unb ernft
ber 3ttünftertt)ttrm $eretnfd)aute in baS trifte grauner,
in welkem i$ hinter einem großen, fernen @<$retb*
pult baS erfte Satjr meines ÄonoiftlebenS pbringen foHte.
©df)on waren meine künftigen Mitbewohner mit
©inräumen tyrer SBüdfjer in bie Sßulte befdfjäfttgt, als id&
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— 215 -
eintrat Unter tynen traf id) einen alten Setannten,
§trn, ben Se^rerSfolnt oon Steiler bei $a3le, ber Slaftatt
oor längerer ßeit toieber oerlaffen nnb in ^reibnrg bog
©nmnajtum abfoloirt Ijatte. Qbx ift vor Qfafjren fdjon
als Pfarrer geftorben.
3Jttd) f Räuberte e8 in bem elenben ßimmer, unb id&
ging nad> furjem ©inbücf oon bannen , um mir meine
Scblafftelle $etgen p laffen. Qd) fanb fle in einem ge*
räumigen, luftigen ©aale, ber in Diele t leine 3lttooen
eingeteilt mar. Qmi Fretter, fo weit von einanber,
um $la£ für ein $ett $u geben, burd) einen Sßorfjang
nac§ ber SRitte beS ©aaleS abgefd)loffeu, bilbeten ben
Sftonm, ber befthnmt mar für meine Statte unb meine träume.
Jfteunb SBecfert mufjte e3 mir anfeljeu, baf* id) im
§erjen roenig ©onuenfdjetn oerfpürte ob ber ÄonotfrS*
Ijetrlicfyteiten, unb er meinte, in turpem mürbe e3 mir In'er
gefallen ; e3 fei iljtn aud) fo gegangen. Df)ne meinen ftoffer
für jetft auSsupacfen, oerliejj ia) bie Sfoftalt unb begab
mid) gu meinem in ben Qugenberinnerungen bereits ge*
nannten Onfel. $)em fdjilberte idf) meine <£inbrücfe, unb
er, oon oom^erein fein ftteunb ber ©eifilic^feit, rtetfy mir,
alSbalb in fein $an8 ju gießen, QuriSprubenj $u ftubiren
unb bei ben„@d)roa&en", feinemßieblingSforpS^injutreten.
3$ tan bebeutenb htS ©Amanten, unb roemt id)
mici) in tw einem ganjen innern unb äußern ©abttuS oon
bamalS mir oorftelle, fo roirb e§ mir gerabeju unbegreif*
lid), marum td) nid>t augenblicflid^ ben Statt) unb bie
$ilfe be£ DnfelS angenommen Ijabe. ©3 mar, offen ge*
fagt, ein gemiffer (Sigenfmu, ber mid) abhielt, fo balb
fdjon oon meinem ffior^aben abpfte^en.
©egen Slbenb ging id) mit bem Dnfel in feine <Stamm*
fneipe, ben ,römifd)en ftaifer". £ier mad)te id) in bem
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— 216 —
flcinen Stersumner bie iBefamttfchaft eines oerein&elten
Geologen be§ sweiten ÄurfeS, kantend $>iemer. 2lud)
ber rebete mir au, nicht inS »onottt $u gehen. <£r würbe,
wenn ihm fo günftige 5Iu3ftcf)Utt blühten wie mir, äugen«
blicflich austreten, wa3 er fp&ter auch a^ne fold&e getrau
hat, aber ohne je flu einem gefiederten SBeruf &u gelangen.
3$ traf ihn cor einigen Qa^ren in einer ©tabt be3
babifdjen UnterlanbeS als ©Treiber eines 2üwofaten.
Sfttt ihm wanberte ich bamalS gegen 6 Uhr 3lbenb3 inS
^onotft gurücf, wo ber $)ire?tor jun&chft im ©peifefaal
bie ^ßlätje oertheilte. 9U8balb begannen fobann bie geift*
liehen „($£erattien\
SBenn ein luftiger ftefrut in bie Äafeme fommt unb
gleich am erften Sage bie ftramme uriltt&rifche gudjt
fühlt, fann er unmöglich niebergef erlogener werben, als
ich eS war bei biefen erften geiftlichen Uebungen. Qd)
halte biefelben für ein gan$ oorjüglicheS SJtittel, junge
unb alte ©Triften jur richtigen SBeflnnung $u bringen;
allein fte fhtb ju ftreng für ben jungen ©tubenten, ber
mitten aus ber tollen SBelt feiner glegeljahre plötzlich in
fte hineingeworfen wirb. $)a£ mag gut gewefen fein für
bie wohlgejogenen unb wohlbewad)ten Jünglinge, welche
tl)re ©gmnaftumSaeit in einem ftnabenfeminar oerlebt
hatten, für einen Btoftatter meiner Seit war ber theo*
logifche Singriff &u ftarf. 2>en größten S^eil breier Sage
in ber &ird>e anbringen, Sßrebtgten anhören, ^Betrachtungen
aufteilen unb ba&u abfoluteS ©tiUfchwetgen beobachten,
ift eine ju fdjnelle unb su fontrare Feuerprobe, bie mancher
nicht befteht, ber bei gelinbem ©aüeu ausgeharrt hätte
unb tüchtig geworben wäre. $afs td) fie befhtnb, ift mir
gerabe fo wunberbar wie mein ganjeS breijährtgeS 9lu3*
halten tjn Stonoift, in welchem e£ mir nie gefiel, aus
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bem e£ tnidf) beftönbig jog, mo mid) fein Sttenfö aurücf*
l)ielt, unb in betn id> trot>bem geblieben bin.
Stteine aweiQntum nnb 9taftotter ©efhmungSgenoffen,
8u!jn unb 9lbe$, gelten ntdjt ftanb; fie traten gleich in
ber erften Qzit auS, ber eine, um Sßljilologie ju jiubiren,
unb ber anbere, um fid) ber 3uriSpruben$ suauwenben.
Der erfterc ift ^eute ^rofeffor in 3lmertta, nadfjbem er
ben legten Ärieg bort mitgemacht, unb 9lbe$ ftorb vor
^^ten fdjon als junger Sfteferenbar. Unb idf, ber britte,
blieb allein in bem öben ftonotft jurücf.
%it erften ©jerjitien gab uns ber berühmte Stopu*
äinerpater $l)eobofroS ftlorentini. 2luf midf) matten bie
Sßorte biefeS SttanneS einen mächtigen ©mbrucf, ber aber
meljr ber geroanbten unb tmponirenben Siebe, bem talent-
vollen ftapugtner als bem ^nfjalt fl^tt. JJÜr ben le^tern
f>atte mein £erj fein aSerpnbmjj ; eS fehlte mir am pofttioen
Glauben unb an ber ©laubenSübung. Qd) erinnere midi leb*
f)af t, wie nacJ) einer fd&arfen ©$ortation beS ^ßaterS über ben
tljeologtfdfien $eruf 9lbe$ mir fpät SlbenbS im bunt ein (Sang
beS ^wetten ©tocfeS juflüfterte: 0 %a bleib' idf) ntd&t, unb
wenn id> nad) 3lmertta mü&te, um junge Riffen ju fangen! 4 '
2lm borgen beS vierten SageS enbigten bie geift*
liefen Uebungen mit gemeinfamer Kommunion, am Wittag
war ein Keines ftejteffen, fogenannteS „$)upler.*, unb am
•ftadjmtttag burften mir eine ©tunbe fpa^ieren gefeit.
©leid) beim erften, fröhlichen Sttaljle überwarf t<h
mtd) mit einem großen Steile meiner ÄurSgenoffen. (SS
roaren felbftoerftanblid) ©tubioft ba von allen ©gmuaften
beS SanbeS, unb bie meiften tannten nur biejenigen, mit
benen fie feit^er auf ben ©cfyulbänfen gefeffen. SBei bem
obigen ©ffen ging'S nun an ein allgemeines ,©d&mol»
liren" mit feinen Sifdfjnachbarn.
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3n meinet nftdjften 9WI>e faßen einige ftreiburger
unb ffonftanser, benen id& ben „<3d>motti§" üerwetgerte
mit bem SBemerfen, baß id) nur mit SRenftyen, bie id)
genau fennen gelernt hätte, SBrüberfc^aft machen motte.
SBon 6tunb' an galt td) als hod&mfithig unb lebte auf
gefpanntem ftuße mit meinen neuen Limmer* unb flurä*
t ottegen. 3$ hielt mich fortan faft nur an bie Sttaftatter
ber oerfchiebenen Äurfe, beren ba§ ßomritt brei jitylte.
SJlit ben größten ©d^roierigteiten hatte ich ju Wmpfen,
bis mir bie ©auSorbnung auch nur einigermaßen jum
Aushalten rourbe. 9ftit melen einen gemeinfamen Schlaf*
faal feilen, entfefclich früh auffegen, mit bem erften
borgen unb beim fpäten Slbenb in bie Äirche gehen, in
benStubirjimmem mitanbem jufammen fein unb fdjroeigen
— ba$ waren lauter $)inge, bie mit meinem f eiterigen
Zfym unb treiben im fchreienbjten SBiberfpruch ftunben.
2Bemt ich einen Orunb ftnben foll, warum ich ba3
aüe3, wenn auch unter Slnwenbung atter meiner SBitteuS*
traft mitmachte, fo mar e£ abermals ein geroiffer©igenfmn.
Qd) wollte md)t ausgelacht werben, baß ich fo balb meinem
SSortjaben untreu geworben wäre. Steligidfe Ueberjeugung
fpielte babei nicht bie geringfte IRotte, ba i<h feine befaß.
9luf ber Unioerfttät, meiere mir oom Ronoift aus
täglich in bunfeln ©paaren anffuchten, $atte ich mich als
Studiosus theologiae et philologiae immatrituliren taffen.
Ätiologie nat)m ich ba$u, nicht weit ich je baran gebaut
hätte, lateinifcher Schuüneifter werben ju wollen, fonbem
aus ber oom Maftatter SJirtttot mir eingeimpften Vorliebe
für ttaffifdje Stubien.
$te Unioerfität fjreiburg, in einem ehemaligen, &iem*
lieh oerwatjrloften 3efuiten!otteg untergebracht, beftanb
bamals ju einem ftarfen $rittheil au£ Geologen, unb
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wenn um 12 Wß bie ©tubenten bie £od)fd)ule ©erließen,
wimmelte eS bic ©angaffe hinauf von „Ronoiftlern*,
unter betten bie Dorn brüten 8ur3 in i^ren ©utanen am
bunfelften ß$ abhoben.
S)ie 3eit, welche id) in ben SBorlefungen jubradjte,
Berging mir angenehm, aber in bem bunfeln ÄonoiftS*
^immer überfiel mt$ enttoeber bittere gangtoeile ober ber
©d)laf. ©ar oft, toenn meine 3immerfoHegen fhtbirten,
lag i$ auf meinem ©tuf)l hinter bem l)ol)en ©djreibpult
unb fdjlief.
$>er ©tubicnplan für Geologen, bie *u allen Reiten
einer ftrammem 5)i33tplin unterlagen als anbere ©tu*
benten, mar uns genau oorgefdjrieben, unb fo mußte td)
im SBinterfemefter 1859/60 folgenbe SSorlefungen über
mid) ergeben laffen: £trd)engefcf)ic$te, Einleitung in bie
©Triften be§ Sitten SeftamentS, ©jegefe ber Slpoftel*
gefd)id)te, ©rflärung ber *ßfalmen unb ©ncgflopdbie ber
Geologie. £)ojenten für biefe gadjer waren bie *ßro*
fefforen Slljog, ftönig, SWaier unb SBörter.
Dr. 91130g, ein ©cfjtefter, mar ein Setyrer oon fefyr
umfaffenbem SCBiffen, fein Vortrag aber tyettö ftörenb, tf)etl§
fomifd) baburd), baß er nad) jebem ^weiten ©afc bie SBorte
„benn ba" einsuf djalten pflegte, ©ein ßeljrbud), eine roafyre
Quellenfammlung, mar &u ootuminös unb beßf)alb für ben
angefjenbett ©tubenten jum Sftemoriren oiel p fd)töer. Er
befaß, toie faft alle Sftorbbcutfdjen, einen guten pl)tlo-
logif djen ©d)ulf ac*. 3$ fo* Utttw ©emefter grie*
d^ifc^e ßtrdjenoäter unb ftaunte über bie SetdjtigJeit, mit
melier er bie grtedjifdje ©pradje ^anb^abte. Qm *ßrioat*
Umgang seigte ft$ Dr. 2H$og ooller SiebenSmürbigfeit
unb fprubelte oon äßifc unb $umor. 3$ fpä*
teren Qa^ren oft mit tfjm oerle^rt unb erinnere mi$ nod)
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mannet trefflichen ©f>araf terifttf, bie er über 3citoerl)filt*
niffe unb *ßerfonen gab, unb bereit 9ttd)ttgtett td> erft
einfafj, als ber Sßrofeffor tobt war.
Sßrofeffor Röntg tonnte midj nie redf}t angießen, ©r
mad&te ftetS ein fo mifantl)rope3 ©eftd)t unb btftirte feine
SBorlefungen, SBom Sttfttrtbefommen war td) aber fdjon
am Sqceum ein fteinb gewefen. %tt ^rofeffor modjte
mir rooljl anfefjen, baß t$ ^öd^ft ungern mörtltc!) nieber«
fdjrieb, was er vortrug. SBeim ©jaminiren frug er inid)
jeweils länger als jeben anbern freuj unb quer unb
wollte mid), trofcbem td& tym feine Antwort fctyulbig blieb,
nie gerne laufen laffem ©o eintönig auch fein Vortrag
war unb fo langweilig bie Stoffe, bie er ju betyanbeln
hatte, 2Biffenfcf)aft unb ©rünblic^feit waren bem Sßro*
feffor ftcfyer nicfjt absprechen.
$)er fdharfftnnigfte Geologe an ber Unioerfttät war
unftreitig ber bamalige $>eton ber ftahtltät, Dr. Slbalbert
Sftater. SSBenn ich in fpäteren fahren unb ©tubten mir
einen ächten $umaniften beS 16. ^a^unbertö oorfteUen
wollte, fo badete ich mir benfelben ftetS wie unfern ,($£e*
gefen*9ttaier", eine lange, Magere ©eftalt mit fpifctgem
©eftcht unb einer feinen, bünnen ©ttmme. #er$engerabe
ftanb er auf feinem Ratgeber, machte nie einen SBifc,
lächelte h&hf* feiten, aber waS er fprach unb erklärte,
war bie Sogif unb Klarheit felbft. ©eine „(Einleitung
in baS ÜReue $eftament" ^at ficherlich bis heute fein SBerf
neben fleh, baS mit ihr fich meffen tönnte. 3$ ^örte unb
ftubtrte als angehenber ^^eologe bie 2ttaier , fchen *8or*
lefungen am licbftcn.
2BaS aus bem größten Sftenfchengeifte werben fann,
wenn Hilter unb ©ted)tf)um über ihn fomtnen, baS geigte
ber Sßrofeffor Sttaier. 3$ &abe ihn, 25 Qa^re fpäter,
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wäfjrenb feines langen ftranlfeinS als fein Ufertet öfters
befucfjt unb mit ©d&rnerj jeweils gefet)en, wie ber einft
fo bebeutenbe Sttann meljr unb tnefp jur oetnunftlofen
Sttumte Ijerabfanf. Unb manchmal , wenn idj von tym
fortging, l)ab T id) mir gugerufen: „2Ba3 ift bod> ber
9ttenf<f| für ein armfeligeS ©efäöpf!"
kleine eigentliche Geologie nerbante tdj bem Sßro*
feffor 2Börter, einem ftinjigtljäler aus Dffenburg. tiefer
3)ojent Ijatte eine ©igenfdjaft, bie in feiner unb meiner
©etmatl) gu ben (Seltenheiten gehört, er mar ein roortfarger,
ernjter 3ttann. ©leidimol)l befam er fdjon burd) feine
äufcere ©rfc^einung meine lanbSmämrifd)e ©gmpatf)ie. <£r
hatte in feinen gefunben, frifc^en ©efid)tSjügen eine metf*
würbige Sleljnlidjfeit mit bem ^ronenwirtlj oon ^Bottenbach,
bem ich als Shtabe fo oft für ©ochjeiten SBrob angeführt,
unb wo ich fo oft ben Älctngen ber Ifinbltchen Sanjmufit
ber Äapette beS ©cheerenfchleiferS non $a8la$ gelaufcht.
SDSbrterS „(£ncg!(opäbie ber Geologie" mar mirttjeilS
langweilig, tbeilS unnerftänbltch , letzteres, weil ich non
Ideologie überhaupt noch feine blaffe 9lf)nung hatte. Sttet*
nem Sftadjbar im SMeg, mit bem i<h bie htnterfte 93an!
in einem bunfeln$arterre*3immer teilte, ging eS ebenfo.
©r war auch ein ftinjtgthäler, unb gwar aus bem btplo*
mattfehen SBolfach. ©jemals 3urift unb Amtmann non
IHenolutionS ©naben hatte gfremtb Sauer feine ©jiftenj
nerwirft unb als „lefcter ©offnung" gut Geologie feine 3"*
flucht genommen, ein ©tubium, baS it)n befftalb boppelt an*
ftrengte, weil er fd)on in ben nierjiger fahren ftunb. Um
fein ©ebadjtnifc gu ftärfen, gab er fleh ftarf mit Schnupfen
ab, unb wenn bann uns betben nor lauter ©ncgflopäbte
baS9Jtül)lrab in unferen untheologtfehen köpfen herumging,
reifte er mir feine $)ofe unb fpradj mit fatirifcher
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$Bolfa$et*5)fäeue: „ÄmbSmann, jefct wieber einen $riS
brauf!*
$)o$ in meinem groeiten ttyeologifcfjen ©tubienjaljre
$aben, wie mir fetyen werben, bie Sorlefungen be§ *Jkof efforS
2Börter meinen SBerbleib bei bet Geologie entfd&ieben.
Qn ber «Philologie $atte i$ für bie gange Unwerfität*
gett gwei «ßrofefforen, aber beibe, fo t>erfd)ieben and) i^r
Gljatafter unb bie Slrt iljreS SelpenS mar, von gleich
auSgegetdjneter Qualität 3$ bewahre jebem ba3 refpeft*
DoUftc Slubeufen.
S)er alte $rof effor SBaumjtarf, ein SRtefe von Äörper,
©Ijarafter unb foübem 2ßiffen, Datte non einem Biologen
in feiner gangen @rf$einung feine Spur. SBäljrenb man
einem ädf)ten «ßrofeffor feinen Stanb fd)on auf fünfgig
Stritte anfiel Ij&tte man $aumftarf für alle? e&er ge*
Ratten als für einen lateinifdjen <5$ulmeifter. Unb bod)
fyit bie Untoerfität g^etburg im 19. 3a$r$unbert ni$t
brei ^ttologen gehabt oon ber ©rünbltdjfeit etneS Saum«»
ftarf. ©S rourbe bieS gmar meber von feinen ^ettgenoffen
unb no$ viel weniger oon feinen SBorgefe^ten anerfannt,
weil SBaumjtarf gu jenen 2Keufc$en gefjärte, bie, üpeS
wirf liefen SBert^eS bewußt, fid) mcfct beugen, ni<$t büdfen
unb ni$t roebeln wollen, um in ber SBett etwas gu
werben. Nebenbei fjatte er nodj baS Unglüd, gef dfjetbter gu
fein als feine Dbem unb als mele feiner Kollegen.
Qd) $abe feinen attann tennen gelernt von auSgeprag*
terem ©elbftgefüfjl als meinen fyodperefjrten £et)rer SBaum*
ftarf, aber aud) feinen oon foldjer ©erabfyett unb Unbeug*
famfeit beS (£f)arafterS. SHefe ©igenfdfjaften ließen eS
tf)tn nie gu, bie SBege gu wanbeln, welche gu allen Reiten
unb ©tunben Xaufenbe gingen unb geljen, bie nadf) Remtern
unb SBürbeu trachteten unb trauten.
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- 223 —
SBaumftarf Ijatte ba|u nod> einen freier, ben fein
gegenwärtig tebenber Schüler ebenfalls in Ijotyem (Stabe
befitjt: er fonnte nic^t fdjweigen, roeber nadf) oben
nodf> na$ unten, wenn ilpn etwas mißfiel StücffidjtSloS
biente er ber SBBafjrljeit unb feiner Uebetaeugung. <£t fyrt
ftd) babttrc^ in feiner SebenSfteßung Diel gefd&abet unb
gefielt in feiner Slutobtograpljie felbft &u, baß eS oon
ifrai oft unflug roat, ju teben, ftatt 311 fcfjroeigen. „2ttein
Temperament unb mein ftatieS moraüfdjeS ©efüfjl liegen
mir für mein ganzes ßeben wenig »aum für Älug^eit/
fagt er t»n ftd& felber.
3n meinen 2lugen war er ein ganzer 3Ramt unb ein
überaus «ortrefflid^er Sekret. 3$ Ijbtte bei ifrai im erften
©emefter SBotlefuugen über „Sitetatur berrihmfdjen^ßrofa"
unb befugte baS oon ilnn geleitete „pl)ilologtfdf)e Seminar 4 ".
ömtmftarl wo* ein <ßf)üologe ber guten, alten beut«
fdjen ©djule ber awanjiger Qa^re unfereS ©äculumS.
ÄerntyafteS 2Btffen in einfacher gform war iljt ©eptäge.
SSM einer eiftgen Sttutye unb ©idfjerfjeü trug SBautnftat! feine
@ac^e 00t, unb tro^bent jeber fogenannte Schwung fehlte,
impomtte jetn «ortrag metnem jungen i3>emutge mtt 2J caajt.
93i§ %ux ©tunbe machen ruhige 3ftenfd)en auf mtdf)
unruhigen einen ftarfen (ganbrutf, ben tdf) gerabegu als
£RcfpeCt bejeidjneu möchte. 80 betaut tdj aud) oor bem
*ßrof eff or SBaumftar! eine mit jebem ©emeffcer unb Jeber Sßor*
lefung wadfjfenbe £>od)ad)tung md)t bloß oor feinem Skiffen,
fonbern aud& oor feinem ©gerottet. (St jtarb olme fcitel unb
olme Drben ; wer üm aber n&^er getonut $at, wirb tfm ^ö^er
achten als triele, beten Stuft oon „©temen* glänzt. —
Qn mannet ©inftd^t baS getabe ©egent^eil Saums
ftatfS war fein College unb einiget 9Jtttbo$ent in bet
Ätiologie, ^tofeffot »üd&elet. liefet, ein blutjunger
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3ttann aus Sfthetnpreußen, faft im 20ter feinet äußrer,
war ein ebenfo ausgeprägter Sfoty&nger ber neuem philo*
logifdjen ©djule wie ätoumftart ber älteren. Seibe oer*
trugen fleh fchon auS biefem ©runbe nicht gut, obwohl
nie einer ben anbern oor ben Schülern angriff , was ja
nicht feiten tft bei leeren unb nieberen Iateinif^en @cf)ul*
meiftem. Süseler war lebhaft unb fugenblieh, $aum*
ftort ernft, langfam unb graottätifd); behn erftern fprubelte
bie Siebe aus bem (Belege feiner ß&^ne, beim lefetern tönte
es feterlüh wie im Dratelton.
3BaS mich aber fofort auch bei SBüd^eler anjog, war
fein eminentes ptylofogiföeS Talent feines, atttfcheS
(Bal^ tifäte er auf in feinen Vorträgen unb ein SBtffen,
ba§ einen boppelt ftaunen machte bei ber hoh«t Sugenb
be£ SehrerS. $)ie beiben *ßreußen (Sdjraut unb Vücheler
haben mir lebenslänglichen SRefpett eingeflößt vor ber
r^einlänbif^en Philologie.
3$ ^rte bei Vücheler, ber jefct *ßrofeffor in $otm
ift, in meinem erften ©emefter nur ein ftoHeg über „bie
griedjifchen ©ufolifer*, aber bieS eine genügte, um, wie er
mir im gfrequenafchein bezeugte, „mit auSgesetdhnetem ftleiß
unb großer Sheilnahme* bem jungen ^rofeffor aufhören.
Sebhaft erinnere ich mid) tyvitt noch beS Vergnügens,
mit bem «h an ben trüben SBintertagen beS QahreS
1859/60 ba§ melancholifche ftonoift am Nachmittag unb
9lbenb oerließ, um in meine phüologifchen SBorlefungen
&u wanbeln, bie in ber Siegel in bie Qtit oon 3—7 Uhr
fielen. 2>a3 „atabemtfdje Viertel* warb gegen Sttbenb
jeweils benufct, um bei meiner Xante am SttartmSthor
eine §lafche Vucf fdjeS Vier ju trinfen unb mich t>om
Dtrfei etwas oerhöhnen ga laffen, baß td) immer noch
ein „^fäfflein" werben wollte.
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3ÜS fogenannteS „^ßfRlofopfncmn* befugte id& in
biefem SBüttet bie Söotlefungen übet „alte ©efdiidfjte* oon
©fröret, bem berühmten ftonoertiten unb ©iftortfer. (£r
mar eine gewinnenbe ©rfdjemung: ein ftarter, forpulenter
2Jtonn mit einem ftdjt fd)w&bifd)en, offenen unb Reitern
©eftdjt, aus bem ©eifi unb $umot gleid&mä&ig fpraetjen.
$)te biebete ©djroabennatur, baS geiftoolle SBeljerrfcfyen
feines Stoffes matten ©frörer gu einem burd)auS an*
Sie^enben Sehtet für fübbeutfdje Spület. SBerounbern aber
(ernte id& biefen ©ele^tten erft, nad&bem id& lüngft fein
©d)üler nid&t meljr unb et fdf)on tobt mar.
©fröret mar ein ©iftortf er oon ©otteS ©naben. SBer
je beffen „Seben ©regorS vn.* gelefen, btefeS liefen*
toerf beutfdjer ©elefpfamfeit, bet toitb unb mu&, roenn
et et)rltc^ bentt, ben SBerf affer untet bie getftreidrften unb
größten $iftortf er beS 19.3a!)rJ)unbertS rennen. 3$ fjabe
in meinem gangen Seben nur jroei biftotifcfje SBerfe ber
neueren Qzit gelefen, bie, iro£ ber S8erfd>iebenr)cit ifjrer
SBerfaffer, mid) in gletd&em ©rabe anzogen unb begeifterten.
®icfc beiben Süd&er aber ftnb ©frörerS „©regor VII."
unb ©regorootuS' „©efdfud&te ber ©tabt föom im 9ffittel*
alter*. SBenn man bie ©eifteSprobufte fol$er ÜWänuer
lieft, fo muß man ftdfj nmnbern, matum nid)t fdjon Iängft
©d&riftftellern meinet 2lrt baS ganbwert poli&eilid) oer-
boten toorben ift.
$>aS ©lenb unfetet libetalen Sage ift bie aH$u freie
Stellung beS QnbioibuumS ber ©efeUf d^aft gegenüber. Qd)
roünfd&te in oielen fingen eine ©tnfd&ränfung bet inbtoi*
buellen gfretfjett, unb fo toie man in bet golbenen ßeit
beS ©anbtoertS jebem oerbot, als Reiftet $u arbeiten,
bet feine Sßtofeffton nidfjt oetftunb, fo follte aud& nid&t
jebermann erlaubt fein, in ©djriftftelletei unb ©eifteS*
Qaniiatob, €tubienj«t*. 15
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— 226 —
probutten 31t pfufchen. Ulur große ©etfter unb tiefe ©e*
lehrte bürften mit, wenn tch'3 machen t önnte, ihre ©Triften
an§ Sageältcht geben. ©3 wäre bann manche Sumperei
weniger auf ©rben. —
^ie 8td)tfeUen be§ ^onotftSlebenS, fo wenig e3 meiner
Snbiotbual ität entf prach, überwiegen bei weitem bie ©chatten*
feiten be§felben. Qu ben erftem gehört oor allem ba§ ge*
regelte ©tubium. Qn *™ m ftonotft wirb berart
3um ©tubium angehalten, baß e§ oft mehr bem fogenannten
„Cchfen" fidt) nähert. Mein biefe§ fonft fo oerfd>mäf)te
Ockfen halte ich für gar oiele 3Renfc^en für unbebingt
nothwenbig. ©3 gibt ja, man barf e3 füt)n fagen, gottlob
nicht lauter Talente unb ©enieS auf ber 2Belt, brum muß
auch bem billigen Genfer unb bem 2Jienfd>en mit mäßigem
Talent unb fd)led)tem ©ebächtniß ber 9Beg jum ©tubium
offenftet)en. ßubem ejiftiren gar oiele ©teilen im ©taatS»
unb fttrehenbienft, welche oon getftig mittelmäßigen ■DSften*
fchen weit beffer verwaltet werben aB oon fogenannten
Talenten.
@in ©auptmittel aum ©tubium unb jur Vorbereitung
fürS ©ramen ftnb in ben theologtfehen ftonotften bie
„ftepetitionen", welche barin befielen, baß ba§, wa3 in
ben SSorlefungen an ber Unioerfttät gehört worben ijt,
unter ßeitung oon ^ßrieftern, ben fogenannten Repetitoren,
im ftonoift repetirt ober richtiger auSwenbig gelernt unb
— - - - - 4uA4«V
cjamimrt wtro.
©0 h^tte Jeber ber bret fturfe in unferem Äonoift
einen Repetitor. S)er unfrige im erften Shtr8 war ber
Dr. ©t. SBraun, sugleich SHebatteut beS ftretburger &trd)en*
blattet. Sraun, ein iaubergrünbler, in welcher ©egenb
bie Geologen geboren werben, weßbalb biefelbe unb
ber benachbarte Dbenwalb oon und f chwäbif ch*alemamufcf)en
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- 227 —
ßonoiftoren „ba3 ^eilige Sanb" genannt würben, fonnte
bie ftaftatter ©tubenten $um oorauS md>t befonberS leiben,
weil flc tfjin gu wenig fromm unb &u ignorant in religiöfen
fingen erfdfjienen.
3)aß tdj überhaupt im ftomrift ausgemalten, gilt mir,
wie fdjon gefagt, wunberbar, baß i$ aber trotj beS SRepe*
tttorS SBraun ausgemalten habe, ijt ein aweites SBunber.
tiefer fromme, fleißige Sttann, eine finbli^e (Seele
of)ne jebeaBeIt*unb3Jlenft^enfenntnif, hatte bteOepflogen*
l>eit, und sroeibeutige Sftaftatter in ben IftepetitionSftonben
nebenher aud) au§ bem &atecif)i3mu3 $u fragen, in meinem
fefjr wenige oon un§ aud) nur einigermaßen fapttelf eft waren.
SBenn nun einer bie Antwort fd&ulbtg blieb, fo fdfjlug
unfer „©pejel" bie #änbe überm Äopf jufammen unb
lamentirte über bie fd&redtltdf)e ttnwiffenljeit. SRid) inter*
peüirte er eines £age3 über bie fünf (Gebote ber ftirdje.
3df> erflärte i!jm offen, idj f önnte flc ifjm mit bem beften
SBiHen nid>t meljr jagen, würbe fte tl>m aber aud) md)t
fagen, wenn idf) flc wüßte, ba id) nid&t Ijier fei, um mid)
oon ifat qcaminiren &u laffen wie ein @d)u(tnabe.
<£r fdfjwteg sott flammenben Qotneä unb melbete mtd)
nafytyx bem $>ireftor, ber mid) $u fid^ rief unb mir nod)
eine weitere Denunziation oortrug, bie eines „S)rttt*Äür3*
ler§", weiter heute ein firdf)ltdf) fefjr liberaler 3ttann ift,
unb bie barin beftunb, id^ hätte meinen 2leußerungen
nach gar feinen ©lauben.
3fd) gab nun bem Direktor feierlich folgenbe <5r*
flärung ab: fei alles wahr, was man ihm berichtet
habe; allein ich ^ätte geglaubt, ba3 ftoniritt fei nicht bloß
baju ba, um fromme, reltgtöS wohl unterrichtete ©tubenten
aufzunehmen, fonbem auch glaubenSarme unb religiös
fd)led)t unterrichtete. Qu ben lefctern gehörte ich. 3<h t önne
15*
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- 228 -
tfjm aber bic 93erjidf)erung geben, bafj td) feinen £eudf)ler
abgeben werbe. $d) wollte baS jweite Qa^r ber Geologie,
bie $)ogmatit, abwarten , unb wenn t$ bann nid)t gum
(Glauben fäme, würbe td& unbebmgt bie ÜXnftalt oerlaffen."
93on biefer ©tunbe an war unb blieb id) ein ßteb*
Ung beS $)ireftorS, ber fpätcr als SBifdjof mid) nod& man^*
mal an biefe SBorte erinnerte unb an meiner ©fjrlidjfeit
unb Offenheit nie irre warb. 9lber aud& bog f)at er mir
fpäter oft gefagt, bafc er eS mir angefefjen tyabe, wie un«
gern td) anfangs im Äonoift gewefen fei unb wie id) mit
bem Austreten gefämpft ^fttte.
9ttit bem Repetitor SBraun lebte id& auf gekanntem
fju§c, folange 1$ fein Untergebener war. ©päter aber,
ba id) als ®aft be§ $)ireftorS öftere unb lange im ßonottt
weilte, följnten wir und beftenS auS. 34 ^be bann jur
großen (Erweiterung beS $>treftorS unb ber übrigen SKepe*
titoren manchen ©pafc mit feiner ftnblid)en Setdfjtgläubig*
feit getrieben, unb er ift mir oft „in ben ©ptefe gerannt 4 ',
watpenb er wähnte, td) Ijänge an bem feinen.
$er einfame unb oereinfamte Sttann ftarb, als td()
fd^on Pfarrer in fjpreiburg war, an ©e^imerwei^ung
eines elenben $obe3. —
(Sine allgemeine SBemerfung mfldf>te td) Ijier bod) nod&
anfnüpfen. 2Ran foHte inberartigentfjeologtfdjenSBilbungS*
anftalten ftetS ben jüngften Repetitor jum älteften HurS
unb ben älteften unb erfahrenden Sßriejter junt jüngften
Qa^rgang tyun; benn bie ange^enben Geologen oerlangen
eine fubtilere SBe^anblung als bie eingelebten.
Unfer ©raun war faum einige Qa&re älter benn
wir, unb bef#alb ertrugen wir audO oft mit Unwillen
feine SBemerfungen. —
$)ie einzig Ijeiteteu ©tunbeu meiueS erften Äonotf ts«
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— 229 -
JahreS boten mit bte „SRefreationen* im £aufe unb bic
„Spaziergänge" in« unb außerhalb bct ©tobt Die erftcrn
fanben in einem eigens bafür beftimmten ©aale ftatt, in
meinem auch eine größere ^Ingahl tatholtfcher >Jeitungen
auflag.
2ln Donnerstagen unb Sonntagen rourbe Nachmittags
unb am Dienstag jeweils SlbenbS SBier ©erabreicht Da^u
gab'S ©efang, ftartenfpiel unb eine Seitlang auch eine
S^ncipjeitung. Qu leitete lieferte id) zahlreiche fatmfdjc
2lrtifel, bie oom ^ßublitum mit großem Beifall aufgenom*
men mürben, oon einzelnen mir aber fernere fteinbfchaften
eintrugen. DaS 93ier mar in ber SRegel Verglich fcffledjt.
Der Lieferant, ein fogenannter guter &att)olif, glaubte,
roetl er zur Partei gehöre, müßten bie ^onoiftoren fein
etenbeS ©ebräu allein trinfen. (SS gibt heutzutage noch
oiele ö^ntic^e ftumpane auf tatholifcher Seite.
Doch ber Stoff auS ber Brauerei £ mar menigflenS
immer noch 33ier, ein Präparat auS $opfen unb Sttalz,
unb fo tränten nuYS mit fetterer XobeSoerachtung. §d)
oertilgte im Anfang noch, nach Otaftatter 3lrt, viele
Schoppen, bie jeber fich behn %a$, baS einer ber Diener
beS Kaufes bemachte, holen unb begaben mußte.
Diefe ^onoiftSbiener fpielten nebenbei bie SÄoHe von
*ßotizeibienern. SBenn einer am borgen nicht aufftunb,
menn bie ©locfe beS ^ßoxtterS burch bie buntein ©ange
hin in bie Kirche rief, ober menn einer feljr oiel SBier
traut, rapportirten fie beim Direttor. Doch muß ich ju
<$hten beS letztem fagen, baß, trofcbem ich mich beiber
Sünben oft fchulbig machte unb man ihm fidler oft meine
ßangfchläferei unb meine Sumperei benunjirte, er mir in
biefer Dichtung nie einen SBorhalt machte. Qd) befag feit
obiger Uuterrebung fein abfoluteS Vertrauen.
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— 230 —
3fn ben IRefreattonen gelten wir SRaftatter aller btei
äurfe.in ber SRegel feft sufammen. 2Bie einft in ber
„blauen Stab" am SJlurgftranb, matten wir unfer 3*§o
gu ben fjüfjen beS grretburger ©djlofjbergeS unb benahmen
un§, als waren wir nodf) in unferm alten ©lement, bis
bie ©locfe uns auS biefem SBa^ne weifte unb in bie ein*
famen 6tubirgimmer aurüeftrieb.
Qeben Sftittag nadf) bem (Sffen war freier Ausgang
bis 2 Ityr. %a gtng'S sunt 2$ore be§ ßonotttS tyn*
auS wie ju einem langft nic^t meljr geöffneten 2auben*
fdjlag, unb bie jungen Geologen aerfheuten fld& nadj) allen
$immelSgegenben in* unb außerhalb ber ©tobt
3$ sog mit einigen 9taftattern in ber Siegel bie
ftatferfttafje auf unb ab. $urd) unb burdf) SBeltfinb,
fachte id? 2Belt unb 9ttenfdfjen auf. ©ar &u fd^ned Der«
ging bie 3eit bei biefem „Stommeln", unb mid) tröftete
bei ber Sftücfteljr oft nur ber ©ebante, balb wieber in bie
(Stabt )U fommen. Denn um 3 ttyr begannen meine pljilo*
logifdfjen SBorlefungen unb fd()on eine SBiertelftunbe juoor
entwtföte td& wieber bem mir fo läftigen 8onoiftS*©ef)eßc.
Oft wenn tdj 9lbenbS jwifc^en fecIjS unb fleben Ufyr
burd) bie bunfle @cl)ul)mad>ergaffe ber nod) bunflem $on*
oittöfhra^e auftritt, unb wenn id> baju nod) fürs nor^er
im ftoUeg einen ftorpSftubenten ober SBurföenfdjafter ge*
fprodjen tyatte, fo faßte id> ben ©ntf dflufj, am anbern borgen
aus bem ftonoift auszutreten unb ein „freier 4 ' ©tubent gu
werben. SBarum tdfj biefen Söorfafc ebenfo oft fagte unb
ebenf o oft nid&t ausführte, ift mir Ijeute nod) rein unerklärlich
3n ber Siegel würbe an Donnerstagen bie Qzit ber
Jreiljeit bis 4 U^r ausgebest unb bann wanberten bie
ftonoittoren gruppenmeife unb im ßauffd)rttt burd) ben
©ternenwalb ober tiberSoretto nad^ bem Dorfe ©ttnterStljal.
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— 231 —
$iefe$ fat wäßrigem 2^ale gelegene S>örfcf}en mar
von jeher bei beliebtere &u§flug§ort für bie weltfreubtgen
ftreiburger. 2Ber nie einen ßaffee in ©ünterSthal cje*
tarnten, ber ift auch nicht recht in ber Reitern Qreifam*
ftabt gemefen. 60 {türmten bennauch mit in freien ©tunben
bem %\)älä)m &u, um im „©irfchen" ober im „^ibfelfen"
SBier unb Kaffee ju trinfen unb ein fy$o ju machen.
2Bie oft Ijatte ich jroölf ^ahre &uoor als ftnabe im
(Sternenwalb mich ^ertungetrieben ober mar mit meinem
©chmetterlingSgarn über ba3 „Sorettobergle* gebogen,
glücflich im reinen Sßerfehr mit ber üftatur. Unb je^t eilte
ich, unbefümmert um SBalbeSbuft unb (Schmetterlinge, bem
SBierhaufe &u, froh, bem ftonoif tg$mang für einige ©tunben
entrinnen ju fönnen. SBenn ich mir heute ben ftnaben
beS QahreS 1847 unb ben Stubenten oon 1859 oorftette,
fo fommt mir ber erftere oööig oerflärt oor.
(Schopenhauer hat redt)t, wenn er fagt, baß im 3Jlen«
fchen mit ber ©enfibilttctt unb mit bem ^nteUeft bie ©ter
unb bie ßeibenfehaft wachfe unb bamit auch baS @lenb
be§ Sebent.
%q<$ ber Sttenfch wirb ja im Hilter roieber roie ein
Äinb. Unb menn td) ^eute, ein alter Änabe, meinen tag*
liefen 2öeg am ©ternenroalb hin mache unb einerfeitS bie
ßinber fehe mit ihren (SchmetterlingSgarnen unb anberer*
feitS bie ©rwachfenen in ihrem kennen unb $agen nach
ben oetfe^iebenen $ergnügung£orten, fo möchte ich um
feinen $rei£ mit ben leiteten gehen unb Ijabe weit met)r
9Serftünbni| für ba3 treiben ber ftinbet.
Hn SBei^nad^ten waren im ßornnft feine eigentlichen
gerien, b. h. in bie ©etmath burfte feiner, aber täglich
gab'3 Gelegenheit $um Ausfliegen nach ©ünterSthaL Qdj
fing in biefen erften SBeihnachtStagen be$ 8onoift§lebenS
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— 232 —
an, ein eigentümliche^ ©mtenfpiel $u lernen. Qm britten
ßurfe lebte ein ©chmarswälber, ©ifele an« SBonnborf,
jc%t Pfarrer in ftriebenweiler, bet war SBirtuoS auf bet
Sither, einem ^nfirument, ba§ burch fein gittembeS, ele*
gif$e§ 2öefen mich attejeit angefprodjen tyat.
Srotj meiner Dielen Äottegftnnben afforbirte ich mit
bem ^it^erf piclcr ^ mir Unterricht ju geben in feinem
©attenfptel. 2Bir tauften behn SHuflfalienhänbler 2Btb*
mann in ber <5al$gaffe ein 3fnftrument für mich um
fünfzehn (Bulben. 3$ *) atte « ne tinbifd^e greube an
biefem $)ing. Allein mit bem Semen wollte e$ nicht nor*
würtS gehen. 3ln ©ehör unb Vorliebe für SHujtt hat e§
mir nie gefehlt; aber ich war, wie einftenS beim ßtamer*
fpiel, &u linftfeh unb ju täppifd) in ber ffittöerfcrtiöfeit.
3?n biefer ©inficht glaube i$, bafc t$ nicht einmal ba3
3eug ju einem orbentltchen ©chnetber in mir gehabt hätte.
entleibete mir ba8 .ßitherfpielen & a * D * ® aS f° f^eubiö
gefaufte 3fnftrument mürbe einem anbern theologifdjen
ßunftjünger nerfauft, unb feitbem ruhte bei mir für immer
bie ba§ ©aitenfoiel betreffenbe 3Rufe.
Stafj in jenen Sagen, trofcbem ich ba§ äroeuinb$man*
gigfte SebenSjahr erreicht fyatte, boch noch eine gemiffe
naioe ßinblichfeit in mir wohnte, geigte ftdj auch an meinem
Patfir, ba§ mich °& °w «ft» neuen Safdjenuhr ergriff.
$er ftauf gefchah faft $u gleicher Seit mit bem ber gither
bei einer UhrmadjerSwittwe in ber ßatferftrajie. 8t§her
hatte i<$ noch immer bie alte, riefige Uhr meines ©rofc
oater§ getragen, am Sage ber erften f/L ftommunion oon
ber ©rogmutter mir überreizt. Qefct foUte ftc einer neu*
mobifchen ßqlinberuhr weichen.
äBie man leichtsinnig ijt in ber ^ugenb unb »ietat*
lo§, geigt auch bie ©leidhgiltigfeit, mit ber ich bie Uhr
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— 233 —
beS „2Bälber*3Eaueri", meinet ©rojftaterS, weggab, £eute
märe fie mir roerthooller als eine mit diamanten befettfe
golbene — aber ich weif* nicht, too fie hintam.
211S bie in mittleren Qafjren ftehenbe UhrmadprSfrau,
bei ber ich bie neue Uhr taufte, meinen tarnen erfuhr,
um benfelben nebft ber SRummer ber Uhr in ihr SBerfaufS*
buch einzutreiben, ba mürbe ihr Angefleht lebhaft ge*
röthet, unb fie fing ein Soblieb an auf meinen in ben
^Erinnerungen aus ber Qugenbgeit* ermähnten SBetter.
0 %zt fei ber fünfte ©tubent ihrer 3fugenb&eit gemefen,
fie Ijabe i^n gut getannt unb manchen Sang mit it)m ge<
than." (Schmerzlich berührte eS fie, als fie Don mir erfuhr,
er fei w>r einigen fahren im fernften SBeften SlmerttaS
als JJarmer geftorben.
9JHr mar baS benehmen ber grau aufgefallen, unb
ich interpeßirte über bie ©adje ben alten UnioerfttätSpebellen
<5<hmtbt, ber ben Detter noch befienS getannt hatte unb
ihm bezüglich feiner Schönheit baS gleite 3eugnifj 9 a ^*
„3fa," meinte er lächelnb, „bie JJrau 3B. ift eben aud) eines
ber Dielen fjreiburger 9Räbd)en geroefen, bie bamalS für
ben ebenfo reiben als fchönen£anSjaf ob fd&roärmten. 2öenn
er als in bie Serien ging, tarnen fie in Staaten gu mir,
um feinen Aufenthalt unb feine 9lbreffe ju erfahren/ —
9tn meiner Uhr aber ^atte td) {ebenfalls noch eine
gröfjere ftreube als bie Uhrmachertn ehtft an meinem
Detter. 2Bol>l hunbertmal beS EageS jog ich fte auS ber
2afche unb betrachtete fie in Siebe, unb wochenlang fdjlug
teine SBiertelfhmbe vom ftftünfter tyxab in meine bumpfe
ÄonotttStammer, ohne bafj td) ihren (Schlag mit bem ©ang
meiner Uhr verglichen hätte. —
$n baS erfte Ctuartal meines ShmmttSlebenS fiel auch
ber Slbfchlufc beS fo turjlebigen ftontorbatS jnrifchen ftarls*
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— 234 —
ruhe unb fftam. 3 m ^onoift würbe berfelbe an einem
©onntag gefeiert mit bet nicht fehr geiftreich angeorbneten
Sßerlefung bet einzelnen Paragraphen unb mit £ebeum.
Qd) Detftunb bamalS von einem Stonforbate fo wenig
aI3 ein SBauerSmann t>on ber fphfirifchen ©eometrie, bie
^auptfadje mar mir, bafc e3 an jenem $age 0 %w(>Uz",
b. h- beffereS ©ffen unb 3Bein gab am ßonmttstifche.
Nebenbei gefagt, !ann ich ba§ ©ffen im ßomrift, wo
barmherzige ©djmeftern bie ßüche beforgten, nur loben;
e§ mar einfach, aber gut unb fräftig. ÜWur bie Sttehlfuppc
am 9ftorgen ©ertrug mein Sttagen nicht, unb ich befam
be&fjalb auf eigene Rechnung 3Küd). 3lm meiften waren
mit bem ©ffen jene unjuf rieben, welche %vl £aufe nie etwas
DrbentUcheS ju effen gehabt Ratten. $)iefe Seute matten
bann auch als SBtfare bei ben Pfarrern bie größten 9ln*
fprüche. ©S foU heute noch fo fein.
9iadt) SBeihnachten begannen bie meiften jungen %tyo*
logen auf bie ©emeftralprüfung, welche mit <5d)luf$ beS
SBinterbalbjahreS t>on ben betreffenben ^ßrofefforen t>or*
genommen würbe, fleh oorgubereiten. höbe fdjon oben
gefagt, bafj im Äomrift überhaupt fhtbirt würbe; in ben
3Jlonaten unb äBochen cor ber Prüfung aber ging'S her,
bajj bie SBfinbe fchwifcten. Seute mittlem unb untern
2alent3 unb bie mit fernerem ©ebächtnijj begabten ar»
beiteten mit einer wahren IHiefenanffrengung.
©3 ift eine Qual, folcher Tortur beS ©eifteS nur
fehen ju müffen. einzelne liefen in ben ©fingen beS #aufe3
mit ihren £eften auf unb ab, leife vot fid) hironircmelnb
unb memorirenb; anbere fa^en hinter ihren „©olsburgen*
in ben 3immern, forgenooH baS £>aupt gebeugt über bie
„verba magistri u ; ein britter f uchte ben fernftat äBintel
auf, um allein $u fein mit feinem #eft unb feinen ©e*
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bauten; ein wertet tafle in bet ftegel&afyt auf unb ab,
roftyrenb bet fünfte hn tobten ©efttSud^ be3 OartenS feine
©eufjer überS ($gamen au§f)audf)te.
SJton mufj e§ miterlebt Ijaben, wie 2Biffenfc^aft unb
Äultut ben einzelnen 9ftenfd)en beljanbeln, um ju begreifen,
wie biefelben aüe SBölfet auSfaugen unb bann, su ©tunbe
gerietet, megmetfen!
3$ Ijatte, meinet ptylologifdjen SMegien wegen, nid)t
fo t>iele Qät, um micf) ftüfje fdjon auf bie ©jamtna &u
präpatiten. Sttein, (Sott fei %ant, fe$t glüctlid&eS ©e*
bäd)tni6 machte eS mit möglid>, erft in ben legten atoet
obet brei 2Bod)en ans ©tubiten ju ge^en. Qn futget ^ett
unb mit gtofjet £eidf)tigfeit letnte id) jeweils ben 3nt)alt
bet tljeologifdOen&otlefungenf ernten unb beftanb im (ganten
butd)fdjnittUd() mit betSRote „sorsüglid)", toaS übttgenS
nid^t aUjumel befagen wollte; benn in bet tbeologif djen
gafultät roat bie Sftotenffala bamalS unb ift jefct nodf)
eine übetfdjn>änglidf)e. ^n tutygeS fteutfdf) übetf t%t, bebeutet
jenes „ootjüglid)" fo ©iel als fonft unb anbetSroo „gut".
$ei bem gteifen Ctuäjtot unb $tbliotf)e!bienet SBagnet
mufften bie oom egamimtenben *ßtofeffot unb bem S)efan
bet 3?atult&t untetjei^neten {Jeugniffe flogen «««t ©ed)fer
©ebityt pto ©tücf abgeholt roetben. Q$ tljat bieg fletS
getn, roeniget bet «Beugniffe falbet, als weil bet Sllte
immet etwas su et&äfjlen mußte oon oetgangenen Seiten.
(Shc roat Xtompetet gemefen bei bem in $mbutg in ben
groanjiget Sölten ftationitten Qnfantetietegiment unb tyatte
jene ja^ltei^en ©ttettigfeiten anrifdjen ©tubenten unb ©ol*
baten mitgemacht. <£t fd&tlbette bie bamaltgen ©tubenten
als lautet £etoen unb liefen, gegen bie mit Jeggen 2lfa*
bemif et toaste Sömmlein feien, betentyalb man nidjt mefyt
©enetalmatfd) blafen unb trommeln müffe.
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©3 muß etnm§ SBafjreS an fernen Qfcrjäfjlimgen ge*
roefen fein; benn ber in meinen Qugenberinnerungen ge*
fd)ilberte „biete Wlefätt" fjatte mit uon ben ©öttinger
©tubenten ähnliche $inge erjä^U nnb oor ber ©trettluft
unb ber 2$atfraft berfelben allen 9tefpeft geäußert
ÜDittte 2Jtär& &ogen mir in bie Dfterferien. ©in
luftiges Ctuartett hatte ftd) aufammengethan, um burd)8
©Ijthal bem ßinjigthal gujuroanbem. ©3 beftunb au3
ben Geologen beS brittenÄurfeS: SJlüHer tmlgo Summier,
©ifele, bem githeroirtuofen, ©clmeiber, bem SJtuftfanten,
unb meiner blaffen Sänge.
(Sdmeiber, ein „£anb§mann* von mir, ein geller,
be$ SBärenmirthS ©otyn, beffen Sefanntfchaft ich erft im
Stororitt gemalt, mar ein mufttalifdjeS ©enie. ©r blies
alle 3nftrumente, befaß aEe guten unb fchmachen ©eiten
ö^ter ®ölme ber ^oln^mnnia unb oerbanb bamit eine
®emütf)lid)teit unb ©eelenruhe, bie „lein Unglficl nieber*
jufchlagen" im ftanbe mar.
9ßir jroei Ratten ben SBinter über, in ben bunfeln
ßomrittSgängen manchmal SlbenbS hin* unb Ijerwanbelnb
unb ber ©eimath gebentenb, ausgemalt, gemeinfam unb
&u ^uß in bie Serien gu stehen. Um ben Qubel tedt)t
füß s u machen, luben mir ben gttherfpieler ©ifele unb
ben ©änger SttüHer ein.
@o tarn e$, baß an einem fonnigen „SMratag* m'er
fibele Sttufenföhne dou ber Station ftenslmgen aus ba§
©fythal hinaufzogen. SBer unS nicht getannt, tonnte
leicht auf ben ©ebanfen fommen, bie SBanberer möchten
„fahrenbe SJluftfanten* fein; benn ©ifele trug feine gttfjer
bei ftch, ^Bummler eine Partie ©efangbücljer unb ©djneiber
ein fleht e§ Sßtolbhorn, auf bem er SBtrtuoS war. Unb in
ber %$at wollten mir an jenem 2lbenb ein Äonjert
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geben in ber „^ßolnfjnmnia" im bagetifrfjen $of in #aSle,
unb unfere 3lntunft nebft Programm mar bereits bem
%ottox fteeberle notiffeirt.
3$ glaube faum, bog jemals luftigere Sftenf chen burch
baS ©Ijthal jubelten als mir wer Styeotogen an jenem
Frühlingstag. $)ie SBolten jogen fo licht unb rein am
Rummel hin, oon allen Sergen unb SBfttbern raufchten
bie Sächlein, unb bie Sögel mupsirten unb fangen mit
uns, bafc baS <&ho fchaUte von einer ^^almanb gur
anbern.
damals tönte noch bumpf burch baS Xf^al hin ber
©ifenhammer t)on ^ottnau. $ier mar ich t>or {leben fahren
einmal gemefen mit meinem Qugenbfreunbe „SBiltjelm, bem
©ammerfchmieb", bem ©chmetrmer für ©dnller. @r hatte
für feinen Sater ©efcf)äfte ju beforgen beim ©ammerfdnmeb
von SMnau, unb an einem fomügen £erbfttage hatten
mir bie Serge überfliegen unb maren Ijinabgemanbelt gen
ftottnau. S)eS ©ammerfchmiebS Zö$terlein, ein roth*
mangigeS, blonbhaarigeS SJßägbletn, ^atte in SBilhelmS
$erjen bie erften Junten ber ßiebe gemectt, unb auf bem
£eimmege fömärmte er nicht nur für Schiller, fonbern auch
für baS »SRöSletn* in ber buntein (föfenfchmiebe.
$)a mir tyutt norbeijogen am „#ammermert", hielt
ich ©infehr unb fragte nach bem „Sftann am Feuer 4 ' unb
feinem Söchterlein. $er Sater mar tobt unb baS attagb*
lein nach Slmerita auSgemanbert. $te Erinnerung an jenen
heitern (Septembertag mar getrübt
S)raufcen oor bem mingigen $)örflein Äollnau, in baS
ber gemaltige Stettenberg, ber $anbel, pnfter h^rabfehaut,
fteht einfam an ber rechten fchalwanb, unmeit ber Süchtigen,
braunen ©Ij, ein fleineS #äuSd)en. £ier mohnte in jenen
Sagen ber 3Jleifter ©traft, ein Meter, behäbiger SWann;
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bcr braute ein Iränfletn, fo fein unb rein, wie fte eS im
Sflfindjenet „^ofbraV nicht bcffcr machen.
%a jogen an ©erfragen ^bie #etren* oom nahen
©täbtchen Söalbf irch herauf nnb an Sonntagen bie ©imonS*
loälber Säuern, bie tapferften (schroaramä'lbet beS bretfjig*
iäfjri^en ftriegeS, ^mab tnS %fyal pxm „©trafc" unb
tränten, bis bet SBottntonb übet bie buntein SBälber ftrahlte
unb ihnen heimleuchtete auf ihren {teilen $faben.
£ier fehrten aber auch bie ©tubenten ein, wenn fie
von ftreiburg tyt ihren 2öeg ins äinjigthal fugten, unb
ergaben ftd) bem $runt unb bem ©efang, fo bafc eS mancl)*
mal Sftitteroacht würbe, bis fie bie h^e Sßafferfcheibe
jnrifchen ©fy unb äinjigthal, bie # S8ierect", erteilt hatten.
2Ber roetß, wenn nicht baS „Rodert" in #a§la<h unS
gemahnt Witt, ob eS unS heute nicht auch gegangen märe
wie mir fp&ter manchmal, nftmttd) ben ganzen Nachmittag
in ber tleinen @tube fortjuflngen unb fortgutrinfen!
Oefter§ fam td) noch auf meinen ^erienmanberungen
burch§ ©Ijtfjal in baS S8ierhäu3cf)en an ber Zhalroanb,
baS lefcte Sttal nach faum beenbigten ©tubien, im 3Jlär$
1864. Sttit mir roanberten bamalS meiner ©eimath 8U
ber fpätere SBtfdjof Äübel unb ber Prälat oon ©d^ler.
$eute, ba ich bieS fdjreibe, frnb beibe tobt, unb auch ber
Stteifter ©tratj braut l&ngft tein SBier mehr, er ruht brüben
auf bem SKrchhof ^m fjluff c. $)a foll man nicht elegifch
geftünmt werben! —
<£S buntelte bereits, als mir bie SBafferfcheibe über«
fd)titten hatten unb brunten im fttnjigthal anlangten. S3ei
ber ,©$neebaKennrirthüi" ju ^offtetten warb ein 2lbenb«
floppen golbenen 2Bein3 getarnten, unb ©djnetber blies
ein ©tüct auf feinem SBalbhom thalabmärts ©aStach
ivu $)er Sftägelemefcger oon #a$le, mit jungen Qxt^n be*
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— 239 —
laben, gefeilte fld) unterwegs $u un$, angelocft burch bie
fügen £öne beS SBalbhomS. (Schnetber blies baS Sieb,
beS „Säger* Slbfchieb" oon ©ichenborff:
Sief bie Söelt oerworren föaHt,
Oben eiitfam 9lelje grafen,
Unb wir fliegen fort unb Mafen,
2) af$ es taufenbfa# oer^aUt:
Sebe rooljl,
Sebe wo§l, bu fdjöner Salb!
Unb nur fangen, roaS baS 2Balbf)orn blies, unb in
bie SBälber ber £ehnath Hangen unfere ßieber bis Inn*
auf $u ben f)öd)ften, bunfeln SBipfeln. —
heimwärts tom ic$ fpät gebogen
9laty bem väterlichen £ouS,
3) te (Sebanfen weit geflogen
Heber 93erg unb £§al oorauS.
SJtutter unb ©rofhnutter empfingen ben jungen %\)to*
logen, an bem fle fo feft gejmeifelt, aufs freunblid)fte.
Unb wenn er ihnen auch noch fein befmitioeg SRefultat
feines SBletbenS im ftontrift geben fonnte, fo Ratten flc boch
nicht fo Diel ermattet. %xt ©rofjmutter nahm meine $Be*
gleitet in3 Quartier, ©p&t am Slbenb liegen mir unfer
ßonjert log unb ernteten reichlichen SBeifaU. Steine alten
$oln^nmnia*3freuttbe munberten ftch, ba&^omriftSmenfchcn
fo fettet nnb luftig fein tönnten, nxtfycenb bie ©rflätung
biefer ©rfcheinung boch recht nahe lag.
2lm folgenben borgen geigte ich meinen ftreunben bie
Serge unb Sßälber meiner Qugenbjeit, unb am Nachmittag
^ogen mir thalabroärtS nach 3 e ^ ^ ^Särenmirtp^auS*.
^m fröhlichen ffiaHfahrtSftäbtchen am Sarmersbach hatte
ich manch alten SBefannten &u grüßen, unb e$ mürben
©tunben lauter, gambrimfcher 2ujt ht« »erbracht. $)te
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— 240 —
$oefte bcr ßnabenjeit mar ja ooruber, unb ber SJlenfcf)
ftanb außerhalb be3 $arabiefe§.
©o unb ähnlich oergingen meine elften Serien als
„$hwloge", (ein Qota <wiber3 als in ben Sagen beS
tHaftattcr ©ejtanerS. 9Rit ber ©eifilichtett oerfehrte ich
fo roenig rote früher, unb auch bie ftirdje befugte ich nur
an ©onntagen. SJietne religtöfen begriffe entfprachen
meiner tfjeologifchen QnteHigeng, unb bie tyatte baS innere
©ebiet beS ©laubenS bis jeijt in mir nicht oer&nbert
(§£ mar bamalS als 33 Kar im Pfarrhaus ber fo früfje
oerflorbene, talentoolle unb feeleneifrige ^riefter ©äring,
ein Dffenburger ftinb. @o freunblich er mich auch JU fleh
einlub, fo gerne wich ich ihm auS. 3$ befanb mich roeit
behaglicher in ben alten geriengefeUfdjaften unb auf mei*
nen einfamen SBerg* unb SBalbgängen.
$>aS ©ommerfemefter 1860 begann unb mit ihm eine
neue ^fe meines ftampfeS für unb gegen baS ftonoift
2>ie Urfachen beSfelben tarnen von äugen. Qn ber fünften
grühltngS*unb©ommerS$ett bie Sage in einem gef^loffenen
SRaume oerbringen &u müffen, mar mir fajt unerträglich.
9luch ber ÄonoittSgarten braute buftenbe ^Blumen unb
blfihenbe Zäunte heroor, aber fic felbft tomen mir oor, als
weiften fie hinter ber übcrmenfchlicf) h<>h*n SÄauer auS
©eimroeb nach Suft unb ßicht — roie oiel mehr erjt ich!
©ar manchmal roanbelte ich oerftimmt unb melancholifch
in biefem ©arten unb mebitirte, roie ich bwi 3 roan 9
loSroerben Wnnte; $u einem feften ©ntfchlufj brachte es ber
Träumer aoer nte.
95on ben ©ommeroorlefungen hörte ich, roaS Rheologie
betrat nur gerne bie „ Einleitung in baS Sfteue Seftament"
oon Dr. 3Kater nach beffen geiftreichem unb tritifchem SBudj.
SBörterS „Itytmt ber »eligion unb Offenbarung" fefcte
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— 241 —
mehr theologtfd>en ©inn unb theologifche »Übung oorauS,
als td) befaß.
SRetne helle ^reube aber hatte ich in ben p^ilologifc^en
SBorlefungen an beut »^ufqbibeS" unb bcr Literatur
bct griechifchen Sßoefle* t>on SBaumftar!. $)a8 war Sttuftf
für meinen Ijalb heibnif djen, für flafjifcheS SHterthum
jugenblich fchwärmenben ©eift.
SSfoi fd}titmnften tarn ich weg bei meinem etften unb
legten Sßetfmh, auf einet beutfdjen ttmoerfttät Iß^ilofop^ie
hören ju motten. $)er $o$ent biefet S)iSgiplin war ber
©ofrath ©engler, ein 2ftann, bem ein unenblicheS SBohl*
motten auS atten 3ügen fprach, ber aber alles eher als
ein ^ß^ilofop^ eigenen S)enfenS fein mochte. SBer nicht
Genfer oon $ ac h/ *• eminentes Talent ober ein
©enie tft, ber fottte eben nie ^ilofopljie bojireu, wenn
er mehr lefen witt als eine ©efc^idjte berfelben.
2Bir matten ju britt, &mei Geologen unb ein junger
*ßrin$ oon Hohenlohe, baS ftoUegtum beS ©ofrathS auS,
ber über „prafttföe $^ilofop^ie M vortrug in einer Sflono*
tonie unb ©chweroerftänblichfeit, bie jum SBerjmeifeln ge*
roefen wäre, wenn mich nicht oft bie bunfeln SHegionen,
in welche mein ©eift gerieth, Reiter gefttmmt hätten.
Qu fein ©ehör eine ©tunbe lang bie bietften Unoer=
ftänblidjfeiten aufnehmen unb nachfehreiben ^at benn bod^
auch etwas ßorntfcheS, unb Schopenhauer fyit oöllig recht
wenn er einmal f treibt: ,3Birttid) beluftigenb muß eS fein,
einen ^Wophk^öfeffor au f ^ cm i u M«»,
ber bona fide feinen SBortfram vorträgt, gan$ ehrlich,
in bem 2Bahn, bieS feien eben ©ebanfen, unb oor ihm bie
©tubenten, welche ebenfo bona fide, b. h* im felben 2Bahn,
anbädjtig anhören unb nachfehreiben, währenb boch im
©runbe weber ber eine noch bie anberen über bie 2ßorte
$an$ia lob, etuMen§e»t. ]6
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— 242 —
hinausgehen, oielmeht biefc, nebfl bcm hötbaten Ätatjen
bei gebero, baS einige 9leale bei bcr Sache ftob."
Stfe ^üofopljie fott auf unfeten ttntoetfU&ten heute
noch ebenfo unoetftänblich bojitt werben wie 311 meinet
Seit -
3$ würbe ein mittlerer $)retßiget, bis ich wieber
einmal oetfuchte, ^^ilofop^ie ju fhtbiten, aber jefct etft
als künftiger treibe td) biefe ebenfo oft mißbrauchte als
mipüerftanoene Utttjienfcgaft mtt Harem (stiemten uno
Stetftehen.
$t)iIofopl)ie, beutfdje, mobetne, foHte jebet gebilbete
(S^riftenmenfc^ bis ans ©übe feines fiebenS fhtbiren unb
»erfolgen, (sie wäre ihm ber lichtefteSBeweiS oon ber 2Baht*
heit beS ehtitfenthumS. SBenn man lieft wie biefe £erten
$htlofophen mit ber (Stange im SRebel herumfahren unb,
wenn fie baS (£f)riftenthum niebergeriffen gu haben glauben,
bodj immer wtebet gu bemfelben jurücf festen, wenn fte
etwa§ Vernünftiges behaupten wollen, fo freut man fleh
boppelt feines chrijtlichen ©laubenS. Sttuh h*t beifptelS*
weife ber fcharffinnigfte unb geiffreichfte unferer neuem
$h^°f°P^/ (Schopenhauer« ber fonft als ein fehreeflicher
©etft beS Unglaubens gilt, mehr benn jeber anbete oon
ber ©öttlichfeit beS ©hnftenthumS überzeugt
3m gleichen Sommer 1860 würbe td) auch 1*3 Opfer
einer anbern SBtffenfchaft, ber ich f eitbem hoheSlufmettfam*
feit gefchentt habe. SBit färnnttlichen Ronoiftoren mußten
unS reoaeciniren laffen, benn bie ^Blattern gingen um, unb
bcf^alb befdhlog unfer £auSat&t, Dr. SBlaS, uns burdt) bie
Sanjette gu fd^en. Sftir belam bie $rogebur fo fehlest
but$ Riebet unb hochgefcfiwollenen 9Itm, baß ich, kauf
unb elenb hintet meinet ©oljbutg im ©tubitjimmet ftyenb/
fdjroor, bem ^mpfteufel auf bie ginget &u fehen unb ihm
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— 243 —
für mein ganaeg Sellen absuföwören. 9$ fjabe SEBort ge*
galten, unb einer metner erften fdfjrtftftellerifcfjen SBerfudje
war „ba§ ©üdtfein gegen baS ^mpfen".
£)od) bei jebem Unglfidf ift in ber Siegel ein (Stücken
@lücf, unb bie 3mpfnarbc au§ ber geit ber föetmccination
bestimmte jtoci Qafjre fp&ter ben Keinen, alten 9bnt$arat
von SBolfad), mir in ben Serien ein 3eugnijj auSguftellen,
bajj i# al§ ftinb fo t>or$ügüd) geimpft worben fei, baß
Ijeute nod) eine ftattltdje SRarbe fitlj geige. SKefe Utfunbe
war l)od) von Sfötfyen, um in3 Seminar aufgenommen gu
werben, beim meine SJiutter $atte bie erjte Smpfquittung
uerloren.
Qdj Ijoffe, baß no$ bie >Jett tommi, in ber man all*
gemein barüber ladjen wirb, baß e§ eine *ßeriobe gab,
meldje von jebem $>eutfd)en, wenn er irgenbwie SBater
unb Sftutter t>erlteß unb in ber SBelt ftd) umfe^en mußte,
einen Qmpffdjein verlangte.
Unferem ©auSarjt fiel id> fpäter normal« unter bie
£5nbe wegen SJlagenentjünbung, gegen welche er mir
auc$ mit einem ©auptmittel ber alten ©d&ule gu §tlfe
fam, mit „Blutegeln". $a§ bamalS verlorene 95lut reut
tmd) fjeute nod).
3m ftonoitt beftunben jraei ftranfenaitmner, bie aber
feiten von ©djwerfranten belegt waren. S)ie meiften $a*
tienten tonnten trotj i^rer Seiben ben Sag über bem gego*
fpiel obliegen. 3Kand)e würben au$ ftftnbige „Spital«
brüber", um bem „dolce far niente« unb längerem (Schlaf
gu fytlbtgen. Bisweilen fölüpfte au<$ einer, ber bem
Quanten für bieSmal au3 bem SBege geljen wollte, unter
bie JJittige be3 Dr. SBlaS. tiefer war einer ber bräoften
SJtänner an ber S)reifam, aber fein großer fttagnofttter.
SBeber für bie Seiben noclj für bie $aulf>eiten unb £ag*
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biebeteten einjelnet feinet „^arienten" fanb et bie rid&ttge
s <ßtognofe. ©eine ©utmütj)igtett wat fötmlid) baju ange*
tfjan, attetlei jugenblidjen Uebetmutl) &u ptoüojiten.
2Bie gut bie Patienten im ftonmtt aUetmeift aufgelegt
waten, beweift bie 2öette, bie id> in meinen Sftianfentagen
bamalS einging. ©3 galt, gleitet Seit einen Brief
fd)tetben, einen »tief ju biftiten unb mit einem dritten
ju tonoetftten. 34 gewann bie SBette ttofc meines Sttagen*
leiben« unb SBlutoetlup. ©eute bin i4 man^mat nic^t
im ftanbe, nut wenige feilen *u f4tetfen. Sic transit
gloria cerebri!
3m ©ommet beS 3a$te8 1860 feiette einet bet be*
beutenbflen Sehtet bet Untoetfität, bet SDombefan £itf4et,
fein fünftigi&^tigeS fcottotjubtläum. Sla^u bie gefammte
©tubentenfdjaft oeteinigte fi4, um bem ebeln @tei3 eine
#ulbtgung batjubtingen but4 einen gtojjattigen gaef el&ug.
S)et teic^e £)ombefan liefe biefe Ooation m4t unbe*
Ioljnt unb lub bie gacfelttäget alle auf einen 9to4mittag
ein in ben ©itf4en ju ©üntetStyal. $af$ £itf4et „etwas
wi4fen" wetbe, Ratten wir tJOtauSgefeljen, unb bie meiften
befdjloffen, baS irrige $u einet tüdjtigen ge^e beisuttagen.
34 rnufete füt ein ftonfottium oon meinem Kaufmanns*
onfel eine Rottum bittetet 3Ranbeln beif4affen, als Littel,
triel trinlen §u fönnen, <4ne betauf 4t JU wetben. ©ie
wutben auf bem äöeg na4 @üntetStl)al gelaut S)te Äauet
waten fämmtli4 „alte 9toftattet*, unb wenn ein folget in
jenen Sagen no4 8« & ittwn 3nanbeln griff, fo leiftete et
©igantif4eS im fcrinten, wie bie ge!)atnif4ten bittet bei
ftutnietaeü.
ffiie ein milbet £etbftabenb faß bet alte $irf4et im
©atten ju ©ftntetStljal untet bet lätmenben atabemif4en
®4aat. S)te walbigen SBetge ringsum bilbeten einen feiet*
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liehen, bunfeln Rahmen um baS ©djladjtfelb, währenb bct
raufchenbe SBalbbad) am «©arten hm übertönt toarb oom
©ang ber Printer. (SS war ein milber, bacdtjanttf eher 2:00,
mie flc ber ©tubent Hebt in jener £ebenS$eit, rt)o, um
phtlofophtfch reben, ber „blmbe SBille ben ^nteUeft fo
oft jurücfbrängt*.
Unfer ftonoiftsbtreftot trug biefer SebenSperiobe in
ebenfo vernünftiger als freunblicher 9lrt Rechnung unb
gab nicht biofj im ©aufe, fonbem auch auswärts uns
öfters Gelegenheit, etwas „auszutoben*. So würben jeben
©ommer gemetnfchaftliche 9lu3flüge oeranftaltet in bie
herrliche Umgebung von Jreiburg, wo jeber SBalb unb
jebe 33erge§^ö^e ein gutes SBirt^^auS birgt unb trägt.
£)er ftireftor unb bie Repetitoren matten bief e ©jturfionen
mit unb liegen babei bem S)urjt unb ber Suft ber ©tu*
beuten freien Sauf. S)er einzige, melier bisweilen ein
griesgrämiges ©eftdjt fchnitt, war ber fromme Repetitor
Söraun, ber naioe 9Jlenfd)entenner.
Stttt innerem SBiberwiUen aber fehrte ich jeweils in
baS Äonoift jurücf oon folgen Touren, bie mich wieber
l)atten „ahnen laffen, was JJreitjeit heißt - '.
34 bin für meine Sßerfon heute noch lein ^reunb
oom ftonoittSleben unb glaube !aum, baß ich nochmals
baS 3 eu Ö 8 U bemfelben in mir trüge, faUS ich roieber auf
bie 2Belt tarne; allein eS wäre ein Unrecht oon mir, wenn
ich bie Einrichtung unb £auSorbnung im ftreiburger
ftomritt, objeftio angefehen, tabeln wollte. $)te tttnftalt,
wie fie unter ber S)treftton beS fpäteren SBifchofS ftübel
beftunb, war burchauS frei oon Uebertreibungen unb trug
bie möglichfte Rücfjlcht auf SBebürfniffe, wie fie ber beutfche
©tubent unb ber junge 3ftenfch &u haben pflegen.
Qn ben ©ommcttagen anno 1860 nahte mir ein ftatfcr
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— 246 —
Sttephifto, ber mich in grofje SBerfuchung braute, bem ßon*
mft Slbicu ju fagen. ©3 tarn her Kaufmann unb Senf*
fabrifant ©otterbarm von £a3le, ein ebenfo intelligenter
als in jeber $e&tel>ung freiftmriger 3Jtann, nach greiburg
unb fudf)te mich bei biefer Gelegenheit auf. 3$ fyatte als
fineeift manchen &benb beim „$aferhan8" mit ihm ge*
trunfen, gefungen unb feine freiheitlichen Sieben angehört
unb ihnen vielfach jugeftimmt 3113 Flüchtling mm 1849
war er in Stalten gewefen unb wuftte oieleS p erbtet
oom Sanbe jenfeitS ber 9Hpen. ©in ^einb ber # *ßfaffheit"
unb JJreunb ber SBolfSfouoer&mtfft behanbelte er in alT
feinen SReben bief e beiben ©egenftänbe mit ebenf ooiel 9B&rme
als ©efehief. ©r hatte an mir in jenen Sagen ftetS einen
üerftänbntfjinntgen ßuljörer gefunben unb wuuberte fich
befftalb boppelt, mich als %työU>a,m wiffen.
Qch melbete bem $)treftor, ein „ Detter non 4>a3lach"
fei ba, unb {teilte ben Antrag auf freien $lu§gang / was
natürlich gemährt mürbe. 3Bir machten einen Spaziergang
ins SBrücflc, brausen an ber Sanbfirafje nach ®t. ©eorgen.
SWeifter ©otterbarm ging nun unterwegs fcharf mit
mir gu ©eridjt, fprach mir jeben theologifchen SBeruf ab,
erinnerte mich an erft furj vergangene ßeiten unb mahnte
bringenb, boch nicht ©eiftlicher $u werben, Qn mir fteefe
ba3 3 CU Ö &u e to«n freifinnigen 2lboototen, ich foßte
Qurift werben unb tftmpfen für Freiheit, SBolt unb SSater*
lanb. $ln ©elb mürbe e8 mir nicht fehlen , unb babei
jog er einen SBeutel ooll glänjenber -SftapoleonS au3 ber
$afd)e, oon benen er mir jebeS beliebige Quantum $ur
erften Verfügung fteUte.
9loch nie ftunb meine Sljeologte an einem gef äh*K<h*nt
©chetbewege, wie in jener buntein Slbenbfhmbe auf ber
©rüde beim botanifc^en ©arten, unb noch nie wanberte
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ic$ fo feft entfäloffen, e§ om anbetn 3Rorgen gu oerlaffen,
bem füllen Romrift &u. $>er Sttorgen tarn, ber ©otterbarm
ging, unb td> — blieb im Äonoitt. 3Ber weifj, wie baS
gef<$al|? 34 weift e8 ni<$t. ^ebenfalls aber waren bie
näd&flen $age ©on jenen, oon benen ber $)iref tor mir fpäter
oft jagte, er $abe mir manchmal angefeljen, bag idfj anf
bem ©prunge gewefen fei, aus bem äonuift austreten.
%tx ©otterbarm ftarb erft 1892, ein 3lcf)tjiger, als
$Utfatfjolif, unb bie £a3lacf)et ftürmten bei feiner SBeerbt*
gung ben t>om Pfarrer oerfd)loffenen Rirdjtyurm, um bem
alten SJreifieitSmann ins ©rab g» läuten. —
Stoib nad) ber ©otterbarm'föen 93erfu^ung fam bie
3eit ber Prüfungen über bie gehörten SBorlefungen unb
mit ifyten bie Serien gu Anfang beS 9RonatS 9luguft. Qd)
jog bteSmal allein burdjS ©Igtfjal unb befugte en passant
in SBalbfird) ben 2lboofaten 8enj, ber xwr furgem oon
©aSlad) l)ter!jer ge&ogen unb beffen @efeUfd>after u$ in
ber „*ßolt$gmma" nod) gewefen mar.
£aSlad) fjatte fein SBejirfSamt oerloren, unb Seng
ging oon bannen, nad)bem er eine gange ©eneration l)in*
burd) an ber fttn&ig — .ßego gefpielt. S)enn biefeS ©piel
unb ein guter 9ttorgenfd>laf bis in ben Wittag hinein liegen
ifon wenig 3«t, feine ^rogeffe ju gewinnen, ©r trottete
befftalb aud) md)t na<$ ben SReidjtfyümero btefeS ßebenS
unb nafjm genau nur fo mel Arbeit über fid), als jur
JJriftung fernes ©ageftolaen*$)afeinS notljmenbig war.
©3 gehört ju meinen früljeften ©rinnerungen, bafj
id) al§ ftnabe um bie 3ttittagSjiunbe ben biefen fcottor
ber Meente oon ber SBorjtabt, wo er wohnte, am elter«
liefen ©aufe oorüber bem „ftreug" m guwäljen unb fpdt
am SRadjmittag wieber fyimwanbeln falj: baS SBilb beS
behaglichen ©tiUlebenS.
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Harn ein neuer ^Beamter ober ©eiftlidjer nadj §a§*
lac^ ober in beffen Umgebung unb traf in ber ©efeUfdjaft
ben 2lboofaten 93enj, fo war beS lefctem erfte ftrage:
„können ©ie aud) $ego fpwlwt?* SQBurbe biefe oerneint,
fo antwortete 39en$ trot&ig: „(SS ift eine ©djanbe, wenn
man 14 $aljre ftubirt l)at unb mdjt «ßego fptelen fann."
«ei ©eiftlic^en fügte er nod) ^inp: „SBenn td> 93ifd>of
wdre, id) l)ätte ©te nidjt auSgeroetyt"
®er biete SJlann mar auS ©alem, ©o!jn eines Softer*
Beamten, mußte oiel oom alten (£ifter&ienferfttft ju erjagen
unb fyatte in beffen Schute aud) baS Drgelfpiel gelernt
QdE) fafj tyn aber gleid)rool)l nie in einer ftirdje.
©ein College unb Sttitaboofat im §eunatf)lid)en ®e*
ridjtSfprengel, ber Anmalt SBlattmann, ein geborener ©fc
tfjäler, ftunb i&m in jeber #inftd)t mürbig &ur ©eite. 9lud)
er Ijtelt baS $ßro$efjfül)ren für ein gum Lebensunterhalt
notfyroenbigeSUebel unb arbeitete in feinem SBeruf nie mehr,
al§ foroett eS fein ebenfalls ehelofeS S)afem erf)eifd)te.
S5o$ befaß er ibealere ^afftonen als fein biefer ßoHege.
©eine £teblingSbefd)äftigung mar Vogelfang unb 2öan*
bem in JJclb unb SBalb. (Sx mo^nte im legten £aufe
am füblidjen ©tabtenbe, am Älofterbadj, um mit einem
©d)ritt in ber freien Sftatur ju fein, unb gar oft begegnete
idj in meinen ftnabenialjren bem ernften, fd)mar$en SRann,
wenn er ftiU finnenb burd) bie ^luren ftretfte.
SBcibc Slbootaten finb mir Qbeale tf>reS ©tanbeS unb
roo^l bie einzigen ©totfer biefer ftafte im 19. Qa^r^unbert
gemefen. ©ie ftarben beibe arm unb mittellos, ©ie Ratten
baS ©elb in ben $afd)en ber Sauern gelaffen, benen fie
r-on ^rojeßfrämerei abriefen, wo fte fonnten, unb bie
btfäalb ihr 3lnbenfen fegneten. —
Slnmalt Söcnj empfing ben jungen Geologen in 2Balb*
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fird) auf I freunbltdfjjte; benn id& Ijatte als 3 c Ö°fpi^ er
langft fein $er$ gewonnen, d£r führte midf) in bie „2lrd)e"
311m Jrüfrfdfjoppen, bann in bie „Sßoft" 311m Etfdf) unb
gab mir fdf)ließltd) baS ©elette bis ItfnauS „&um ©traft",
roo wir unfer leftteS ©laS pfammen tranf en. 2Bir nahmen
im Meinen £au3d(jen an ber @l& 3lbfd&teb auf Limmer*
wieberfef)en; benn nidjt lange barnad) legte ftd) ber gute
Sttann jum ©terben nieber. 3$ aber gog an jenem £age
lebensfroh weiter über SBerg unb fcljal ber lieben §eimat^ &u.
2luS ben nun folgenben JJerten ftnb mir &wei @r*
eigniffe befonberS erinnerlich, ber SBefud) beS S)treftorS
©djraut unb ein fleiner ©trajjeuffanbal mit förperoerleften*
bem 9lu3gang.
3$ faß eines SlbenbS, mit bem 9totar von ber 3agb
prücfgef ei)rt , in ber „^olgfjgmnia", als mir auS bem
£otel ®reu& bie ftunbe fam, eS fei bort foeben ein #err
angekommen, melier nud& ju fpred&en münfd&e. Unhöflich,
wie immer, ließ tdf) bem $errn fagen, wenn er SBter*
trtnfer fei, möge er bod) in unfere ©efettfd)aft fommen,
worauf er mir melben ließ, er trinfe feinen ©erftenfaft
unb bäte mid), it)n aufjufuc^en.
Sßergebltdf) war eine 33efdjreibung be§ Unbefannten
burdf) ben inbeß $um S3ier gefommenen Äreujwirtb SJlerf le.
Qcf) fonnte fein erfennbarcS SBilb befommen, unb fo trieb
midf> mefjr bie üfteugierbe als bie £äflid)feit bem „ftreuj"
ju, Sttetn ©taunen unb meine greube waren fo groß
wie bie SReue über meine ©rob^eit, als td) in bemftremben
meinen SqceumSbireftor fanb, ber, als richtiger Sßreuße,
an feinem X^ee faß. ©r war auf einer ftußreife ba£$injig*
t^al ^erabgefommen unb wollte, in $aSladj übernadjtenb,
nid)t oerfäumen, feinen „langen #anSjaf ob" rufen ju laffen.
oer$id)tete auf jebeS geiftige ©etrcmf unb oer*
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— 250 —
brachte ben ganjen $Ibenb freubenooH tu ber ÜR&fye be$
oon mit fo §od()oerefjrten ßeljrerS. 2lm anbcm 3Rorgen
gab id) ifjm ba§ ©eleite auf bie S8erge§l)öl)e gen ©laadj
bis jur „93ierecf". äBäfyrenb wir bic peilen *ßfabe tytnan*
fließen, fpradf) bet geiftreic^e 2ftann über bie latetnifdjen
unb grted)ifd)en Älaf jt!er, oortoeg über #oraj unb ©omer,
feine Sieblinggfdjriftfteller, fo ergreif enb f$än, tote i$
Ujn nodj nie gehört. @3 toar aber auö) fein # ©djroanen*
gefang* einem feiner aufmerffamften 6cf)üler gegenüber.
*iluf bem ©tpfel beS Herges Rieben mir toie SSater
unb ©o^n bem ©eifte nad). 3ttein ©erj war im £inab*
fletgen sunt £f)al überooU oon SBere&rung gn bem grofseu
Setter unb oon fd)toarmerifd)er Siebe jum flafftfdjen
^eibentfyum. 93on ber ^eibburg" herüber fommenb, be*
gegnete mir bamalS ber alte ,$)otfmütter" oon £offtetten,
ein guter SBefannter oon meinen Öagbjügen |er. @r toar
eben mit feinem #unbe auf ber £>ül)nerjagb getoefen unb
begleitete mi$ nun toeiter bergab, ©ein Jägerlatein, in
toeldjem ber alte 2ttüUer fjatte boltoriren fönnen, braute
mid) toieber ab oon meiner elegifdfjen Stimmung.
21m @nbe be3 JaljrjefjtttS, &u beffen Anfang mir auf
ber ©ergebe geftanben, ftarb ^treftor <5$raut, nod)
ein künftiger, ffieil ba$ Programm beSlRaftatterßgceumS
bem 3Jtanne feinen 9todf>ruf getoibmet, tyat td) e8 oom
Söobenfee avß, in etroaS fdjarfer 9lrt gegen ba3 £obt*
fetytoeigen meines Siebling§le^rer§ loSjiefjenb. 3113 id) balb
nad$er auf ber fteftung Raftott gefangen fafj, befugte
mid) einer meiner ehemaligen Seljrer, aber ntdjt in ber
9lbftd)t, mid) su tröften, fonbem um &u erfahren, ob iclj
ben 9?ad?ruf getrieben, toaS nidfjt ferner toar, ba id)
meine ©ntrüftung toieberljolte. Jetjt oerrietl) mir ber §err
^rofeffor eine ©d&toäd&e aus bem *ßrioatleben beS S)iref-
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tor§ als ©runb jenes ©chroeigeng. D tateinifcher ©chul*
metfler, o ©plitter* unb Sittenrichter, backte ich unb gab
f olgenbe Slntroort : „2teber$err *ßrofeffor! 2Begenbtefe§
gehlerS f»ätte ©djraut ©taatSmtmfter fein unb ben fd)önften
Nachruf von bet SBelt erhalten fönnen." SRicht eine
©etunbe lang fchroanfte meine SBerehrung gegen ben be*
beutenbften ßebrer meiner (SgmnafhtmS&eit.
©chraut mar bei feinen Kollegen ntct)t beliebt, meil
er geifttg um ©lephantenlange über flc hmau3fdt)aute, mit
ihnen am Slbenb fein SBier tränt unb feinen SUltagSfohl
fchmfftjte. $rum mürbe er in beliebter Hrt tobtgefchnriegen.
2Ba§ ben $)ireftor ©chraut auch äußerlich als genialen
Sttcenfchen tenngeidjnete, mar ber Umjtaub, bog man tfjm,
mie auch meinem Untoerfttätelehrer Saumftorf, ben latei*
mfcfjen ©chulmetfter gar nic^t anfah. $>en „Diis minorum
gentium" unter ben flaffifc^en Philologen prägt fleh nicht
ber (Seift ber Klaffijttftt, fonbern nur ber lebeme ©inbanb
ber alten <£obtce§ im 2leuf?ern auf, fo baß ihnen ber
fteife, langweilige, lebeme ©chulmeifter aus ber ganjeu
Haltung, au8 aUen äügen unb aus allen Knopflöchern
Ijcroorfcbaut.
SJtein ©chraut aber präfentirte fleh mie ein oor*
tragenber ©taatörath im Wurmartigen 3lmte. —
SBeniger erfreulich ift bie jmeite Erinnerung aus ben
©erbftferien beS Jahres 1860. <£§ mar ein ftommerS
fämmtlicher 2ttabemtfer be§ obernRinsigthaleS nach&aSlach
bejtimmt unb mit ber üblichen Kneiperei abgehalten morben.
2lm Slbenb sogen mir ©tubenten mehr als bierfröhlich
burch bie ©tragen be§ ©tctbtchenS, fingenb unb l&rmenb.
SBor bem „Stäben" marb $alt gemacht unb mit meinem
„SBetter Karl*, bem bamaligen SRabenmirtt), unb mit feiner
Familie unterm fjenfter gefprochen. Stiugj? um uns f ammclten
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fleh hierbei bie ©efeflen unb gehrjungen be3 ©tctbtchenS,
roclc^e nach altem $etfommen ihren nächtlichen ftorfo ab«
liefen. 3^ re Sßeugierbe ärgerte un3, wir geboten ihnen,
fleh gu entfernen, unb ba fte behaupteten, für „ihre *ßl&ffr"
bajuftehen, tytb mit tem ©toef auf bie 9ttenge ein.
®ie ging aus einanber, aber einen alten äüfergefeHen
hatte ich am Ätme ferner getroffen, n>a§ mir am anbern
borgen in aller ftrühe, ba ich noch ju SBette lag, ein
©enbarm mittheilte. Qum %anl für biefe oerfrühte Slttnon*
cirung nrieS ich bem 2flann be3 ©efe^eS bie Xhüre unb
oerroeigerte jebeS Verhör. 3lm Nachmittag machte mich
aber ber mir fehr roohlrootlenbe DberamtSrichter SBobe*
müller auf ber Kegelbahn im „SBauerifchen £of" auf bie
folgen ber ganzen Slffaire aufmertfam. Qx übernahm e3,
ben ©enbarmen $u befchroichtigen, unb mir rieth er, mit
bem SBerle^ten ^abgumachen" . ®a§ that bie bef orgte Butter,
welche ben SJcann jum S8ürgermetfteramt§oenoefer, bem
^utmacher S. ßtlguS, fommen lieg unb mit fünf ©ulben
6chmer$en3gelb befriebigte.
(£3 mar bieg bag erfte 9ftal in meinem ßeben, bafj
ich bei öffentlichem Auftreten mit ber öffentlichen Dtb>
nung in SoHifion geriete aber auch ba3 etngige 2Jtal, wo
ich f° geHube babet roegfam.
Qahre gingen in§ £anb, ich ro ^r oiel älter, aber nicht
Diel flüger geworben, au3 bem ©toefftubenten h^tte fleh
ein polittfeher ©treithahn herauSgebilbet. 2118 folcher ging
ich eines £age£ einfam ein SBergthal ber $etmath hinauf,
fta fteht plö^lich an einer ©trohhütte ein greifer -äftann oor
mir, grüfjt mich ehrerbieHg, fteUt fleh oor als ben ehe«
maltgen ßüfergef eilen unb erinnert an jenen Slbenb. <Sr
that bie§ aber mit folch* jufriebenem Sächeln, als ob er ftch
etroaS einbilbe, oon mir emftenS „gehauen" toorben $u fein.
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3$ fdgüttelte Hjm bie£anb unb fagte tfyn: „Sieber
JJreunb, fcib getroft, $fyt feib längft gerächt, mid& ^oben
feitbem SBelt unb 3Renfdf}en meljr als genug eingefperrt,
geprügelt, gefcefct unb gepeitfd&t, fo baß bet ©treid), ben
S^r an jenem Slbenb uon einem leid)tjinmgen ©tubenten
befommen Ijabt, bagegen wahres Äinberfptel tft" „£o,
#ärr,* meinte er, „t glaub'3, benn i fya baoo fdjo g'Iäfe
in be 3^^ un d e * AP
3$ gab tym ein ©tücf ©elb §u einem fcrunf, unb
mir trieben im IjeUften ^rieben. Qx lebt Ijeute nod) in
feiner $ütte unfern ber Äarfunfelftabt —
3ttit beginn be§ SBinterfemefterS 1860/61 trat td> in
ben jroeiten tyeologifdjen #ur8 ein, in meinem idf) meine
gläubige Ueberjeugung enblidf) gewann, unb pmr au£ ben
18orIefungenüber(at^olifc^e^ogmatilt»ott^ofefforaGBörter.
®§ galt unb gilt biefer fdjon ermähnte UmoerfttätS*
leerer bei mannen Geologen md&t als gelehrt unb ortljobos
im neueften ©inne. <Sr trägt &u wenig föolaftifdje ©pi|*
pnbigfeiten oor unb läfit e3 an unoerftänblitfien trafen
fehlen. Qu ber Geologie geljt e3 mand&mal wie in ber
$!>ilofopl)te. 3e f>ol>ler einer bojirt unb föreibt unb je
^ö^er er feine äußrer auf ben SQBoHen feiner trafen
trägt, um fo meljr wirb er oon allen Summ* unb ©ofjl*
föpfen angeftaunt. ©o §at e§ ein $egel in ber $f)ilo*
fop&te beS 19. Qa^r^unbertS &u einem Reiben ber 9Biffen*
fd&aft bringen fönnen, unb fo gilt in ber beutföen £ljeo*
logie — nomina sunt odiosa — mancher für ein bog*
mottle« ©enie, weil er Singe ju fagen unb $u fd&reiben
weiß, bie er felbft ttid^t oerfteljt
3$ f)abe fpäter mandE^ bogmattfdfjeS SBudj in ber
|>anb gehabt, mit manchem »fublunen" Geologen bigputirt
über Dogmatil, aber ftetS gefunben, bafc <ßrofeffor
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2Börter§ euifadje3,gutc§ „©djroatäbrob" mit am beften jus
faßte unb mit bat $fpafen gegenübet jum ©iege fcalf. ©§
gibt mele Geologen, bie meinen, wenn einet ben XfjomaS
Don Gattin nid)t ftubitt Ijabe obet einen feinet -iftadjafymet,
fei feine $)ogmattf nichts. Ottern 2#oma3 oon &qum mar
ein ©enie, unb füt foldje ift „bte beutföe SBklt nid&t ein*
gerietet" ; mit unoetftanbenen $f>taf en abet einem ©eme
nachäffen ift bie fc^roerfte SBetfünbigung gegen einen
foldjen ©eift SBenn ein .ßumgiefjet diamanten in 93lei
faffen «HÜ, fommt genriji etroaS tedjt Ungefdu'tfteS IjetauS.
3$ bin überzeugt, baji, wenn ein fold) Ijodtfliegenbet
tfjeologiföet ähmgiefcet mit bie etfte Stogmattf »otbogitt
$ätte, id) nie &u einem gläubigen ©egtiff be3 fatfjoltfäen
£ef)tgebäube£ gefommen ro&te. $)tum lafj id) mit ben
^ßrofeffor SBöttet nidjt freiten. Stufig, einfad) unb Hat
ttug et feine Dogmatil not, unb nadjbem td) tlrai aroei
©emeftet juge^ött Ijatte, mat ufc ein übetaeugungSooHet,
pofitio glaubiget 3Henfd) gemotben.
SBon bet Sßetfon be§ $etlanbe8, vom ©tläfunggmett
unb uon ben ©aframenten fcatte t$ bisset abfolut feine
richtige SBotftettung gehabt. Qe^t belam id) flc unb bamit
au$ ben testen SBegttff non Steigt unb Slbenbma&L 3m
©ommetfemeftet be3 jmeiten tljeologifdjen ÄutfeS Ijabe id)
ba8 etfte 9Ral im Seben mit oollem 93etftänbnifj gebeizter
unb fommunijitt. SRein SBeidjtoatet roat bet milbe *5)om*
ptäbenbat ©einübet, ein altet §err au§ bem ©djroetftet*
gebiet welket füt meinen bamaligen ©eelen$uftonb not*
ttefflicfc pa&te.
$)utd) $)ogmattf befam td) ©laube unb Siebe füt
bie Geologie. 3)a8 *ßtieftettfmm watb mit &um Qbeal,
unb ba t$, fo oft no$ im ßeben ein foldjeS mtd) ergtiff,
ffcts mit meinem ganzen fyupetfanguimfdjen Sempetament
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bafür fdjmärmte, tannte id& nichts Jjpöt)etc§ meljr, betin
^tieftet in roerben. SBaS trot)bem unoeränbett blieb, mar
mein SBibenoiQe gegen baS ftonoiftSleben, Gittern, weil
baSfelbe bet notljmenbtge$>urcijgang gurförrei^ung meines
neuen SbealS **** fo würbe e8 mit menigftenS ertrag*
ltd&er als bisset.
SBei einem toeit gefeierteren Seljrer, als SBötter mar,
profitirte td& in ber gleiten .jett tro£ feiner Genialität
nid&tS. 3$ meine ben *ßrofeffor unb $)ombefan £trfd)er,
ber unS im SBinterfemefier 1860/61 feine legten SBor*
lefungen über 2ftoral gab nad& feinem eigenen Sefjrbudj.
£irfd)er, ein geborener 3Bürttemberger, mar ein genialer
Sflenfdj, allein £eute mit geniefjafter Anlage Iciften burd)
ifjre Schriften in ber SRegel nidjt feljr Diel fürs praftifdje
Seben. ©o ging eS aud) ©irfdjer mit feiner fttuffaffung
unb StarfteUung ber djriftlid&en Sttoral „als ber ßeljre
oon ber 93erarirflidE)ung be§ göttlichen SRetdOeS in ber
Sttenf d)I)ett*. S)te ftbee roa* getftreidj unb mit allem ©djarf*
finn eined tiefen $>enferS burd&gefütyrt, aber baS SBud) für
junge Geologen mel gu fdjroer, $u (ompligirt unb fo aHeS
efjer als ein Seljrbucfi. 9Jlid> Ijat baS ©tubium (einer
tyeologtfdfjen fciSjiplin fo felpc gelangmeilt als baS ber
•äftoral nad^ $irfd)er.
Da§ nämltdje fann man oon ben $irfa)er'fd)en 8ate*
dornen fagen, mit benen bie Sugenb unferer $)tfljefe oor
breijjig unb meljr .^a^ren förmlich maltraitirt mürbe.
#irfd>er mar jeitlebenS Repetent unb $rofeffor geroefen
an ©ocfyfdjulen; mer aber nic$t mit ftinbem unb mit bem
3Sol(e jahrelang umgegangen, fann feinen populären Kate*
cfyiSmuS fdfjreiben, unb menn er audfj ein ©enie märe.
©letdjroofyt flaute td& oerefjrungSoofl an bem greifen
8e$rer hinauf, ber, bamalS f$on ein (Siebenter, ein
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tlafftfö fdjöneS (Befielt Ijatte unb eine in fyrtjem ®rabe
e^rtoütbige (ähcföeutung war. $0$ feine Äflrperträfte
oerliefsen Üjn gufeljeubS; gebrochen fafj et hinter fernem
&atf)eber, unb mültfam trug er feine ©adje 00t. (S$ fam
tyn fidjtlid) fefa ferner an, fetner $fltd)t als afabemiföer
ßeljrer nodj nadfauf ommen. Qm (Sotmner Ia8 er nid&t meljr.
@3 fupplirte nun im Äonoift ber Repetitor beS sroeiten
^urfe§, (Sfyrat $>ie ©ad)e mürbe momöglid) nod> lang»
roeiliger, trotjbem ber ©upplent ein talentootter 2Rann mar.
3$ f)abe fpater mieber^ott verfugt, bie 9Jloral ©ir*
fd)er§ uno tenore gtt Iefen; e3 mar mir unmögltd). Sftan
fann oon biefem smeifelloS genial angelegten SBud) fagen,
ma3 oon ber 9Refjtobe SUopftodS. dagegen farmonire td)
tyeute nod) feljr mit$irfd)et3 „^Betrachtungen über bie fonn*
täglichen ©»angelten", in benen fld) bie gan&e reidjeQnbtoi*
bualität £>itfd)er3 unb fein tiefe« ©emütl) auSfpridjt ©ie
finbrniroftmiafornmene^ot^elferim^rebigtamtegeroefen.
eine ©elebrität lernte i$ im 9Binter 1860/61
jutn erften Sftale als Seljrer lernten, ben *ßrofeffor Hlban
©toi). 3$ glaube, e8 gab bamalS in S)eutfdjlanb feinen
afabemifdjen Stoßenten, ber meniger fogenannte ©elefyrfam*
feit befeffen I)ätte als Sflban ©toi), unb bo$ merben bie
>}ul)örer faum bei einem ^rofeffor me^r proptirt ^aben
aU bei biefem „ungelegen".
Originell unb llafftfd) populär fhtb bie ©Triften unb
roaren bie Vorträge oon 9Uban©tol$, unb beßmegen gießen
unb sogen fte fo Sefer unb $örer jeben *8tlbungggrabe3
an. Sttertmfirbtg mar bei ben ©totyfdjen SBorlefungen,
bafj ber ungemein troefene unb monotone Vortrag ben
©inbruef be3 ©efagten burc$au§ nidjt minberte, maS aber«
malS oon bem gemidjtigen ^nfjalt feinet ©ebanfen jeugt
9ßer ba weife, bafj er nur oorsüglidje SBaare oer*
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fauft, ber braudjt bagu feine rebner ifdjen SBenbungen; wer
aber leiste 2Baare auf ben 2flartt bringt, ber mufj baju
etwaS ftrafefjl marfjen , fonjfc bringt er pe mdjt an ben
s JJlann. SDiefc ©rfajjrung fann man gar oft bei $ro*
fefforen unb ^rebigern machen. 2Uban Stolj gehörte nidjt
gu ben 9RSnnero ber $l>rafe unb ber blenbenben 9W>etorif,
er gab otele unb gute Soße unb wenig ©efd&rei. Qm
3(af)re 1875 nod) Ijörte id^ ifnt gum erften 2flal in einem
(SebirgSborfe bei SBlubeng ben ^Bauern be§ oorbem äBalfer*
tljaleS prebigen. S)iefe tonnten taum mef>r ergriffen fein
als id). $>ie SÄebe mar fortgefe^te Monotonie, aber, was
er fpra$, fiel nieber wie gebiegeneS (Mb.
3$ Ijörte im gweiten tf)eologifc§en Äurfe bie Söor*
lefungen btefeS $rofeffor$ „über c^riftlid^e ^ßabagogtf * unb
füllte midf) fofort oon ifjm angezogen, trotfbem bie be*
treffenbe £>i$gipltn mir etwas 2ßilbfrembeS war unb etwas
gu frfif) fam in meinen t§eologifdf)en ©tubien.
9Uban ©tolg fjatte einft mele 3?einbe, weil er gu
jenen Sftenfdjen gehörte, bie ftetS fagen unb f treiben, wie
ftc beuten. 2Ber aber, wie id& in fpäteren Q^ren, baS
©lücf gehabt l)at, biefen tyeiligmäfjtgen 3ftann näf)cr {ernten
gu lernen unb in feine Anblicke Seele gu flauen, ber
wirb ifyt lieben unb oere^ren von gangem £ergen. Unb
wer ifnt nidjt perfonlidf) fannte, aber ben innern 9Uban
(stolg in feiner gangen Sfteligtofttät unb fßoefte bewunbem
will, ber lefe feine „SBitterungen ber @eele". Qn meinen
Singen ift biefe <5d)ttft fein ©auptwerf, mir immer luicber
ein <Srbauung§bud& unb babei fo ooUer güge tiefer *ßoefte
in ber StarfteUung, bafj ein flafftfd^er 2)i^ter nid)t fd&bner
fcfyreiben tonnte. Sd&on manchmal f>ab T t$ bieS SBud)
gugemad)t mit ben SBorten: „%aä ift ein ©djrtftftetter
oon ©otteS ©naben!* —
^auöiatub, etubunseit. 17
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©o oft ich an bie beiben genialen Setter, #irfchet
unb©tol$, prücfbenfe, fommen mir &wei ©ebanten: ein*
mal, wie unenbüch r»erfd>ieben grofje ©eifteSgaben in ben
Sflenfdjen fich äufjern, nnb bann ber 3Buufch, fold^e SJtctn*
net in fpäteren Satyrn wieber ^ören &u t önnem 9ttan ifl
in ber Unioerfität^eit boch noch ftu jugenbltch unb ju wenig
für innere Reflexionen angethan, als baß man hochgeifHgen
Septem recht folgen ftmnte. ©S geht einem mit ben 3Renfd)en
wie mit ben ©Triften ber SHafftfer, man ^ört nnb lieft fle,
aber baS befte baoon verfielen wir nicht in jenen SebeuS*
jähren. Unb fo wie einer einen (Stoetze, Starte, Styron,
©fjaf efpeare anberS lieft mit oieraigSahrenbemt mitjwanjig,
fo würbe er and) grofje £ehrer beffer begreifen benn efjebem.
Qu allen Reiten meinet Sebent bis &ur ©tunbe ^abe
ich mich gerne in ©^cremen aufgehalten unb bann alles
übertrieben, ftürmifch, leibenfchaftlid) unb im haften
©rabe fanguinifdj. ©o trieb Uh'S auf bem Sqceum mit
bem *ßotuliren unb fo auf ber Unioerfttät unb im ©emt*
nar mit bem ©tubiren. $)en ganzen $ag bis pm tiefen
SIbenb in ben Sßorlefungen ju fttjen, war mir eine £uft,
unb jebe ©tunbe, bie mir neben ber Geologie übrig blieb,
würbe auf philologifdje „ftottegten" oerwenbet. üttamentltd)
im Söinter 1860/61 würbe ofjne jebe föücfftdjt auf @e*
funbheit gehört unb gelernt
3$ trat in baS philologtfche ©eminar ein unb machte
fämmtliche lateinifche unb griechifdje Arbeiten unter Settung
beS <ßrofefforS Stoumftarf mit. SBei bem gleiten Sehrer
hörte ich noch „©efchichte ber profaifd&en Literatur ber
©riechen* unb „^acituS' ©ermcnia*. SBet ^ßrofeffor
SBüdjeler las ich ^^Iriftop^ane^ 2Bolfen", unb oom £of*
rath 3JlüHer oemahm ich SBorlefungen über „populäre
Slftronoutie". 33on ben lederen profitirte ich am wenigften
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3$ hatte, weil bet Sternenhimmel immer fo mächtig auf
mich white, etwas SftähereS barüber ^ören wollen; allein
wa§ ich ^örte, ging weit über meinen $ori&ont, unb baju
mürbe oiel geregnet, wag nid^t wenig baju beitrug, mein
Uuoerftänbnijj &u oergröjiern.
Um fo gröfjern Gewinn 50g ich au3 Stoumjiarte
„©ermanta be3 $acttu$\ 3>a3 war be§ *ßrofeffor3
SieblingSfchrtftfteller unb barum bie 93orlefungen über
£acttu3 Ilaffifch fdjön unb im ^öd^ften ©rabe belehrenb.
Sßie ein belphifcher Dberpriefter auf feinem Steif ufj, fa§ ba
bie gewaltige ©eftalt 93aumftart8, wenn er über SacttuS
rebete, auf bem ftatheber unb fprach in feierlichem Drafelton.
Süseler behanbelte ben 9lrtfiopl)ane$ mit einer fo
geiftreichen Seichtigfeit, bafc man nur ftaunen muffte über
ben blutjungen *ßrofeffor. Qtem unb abermals, id) habe
oor ben freuten als Schutmeifter unb ©olbaten un*
entwegten Sftefpeft!
3m ftonoift genoß ich vom jweitenfturfe an wenigftenä
eine Heine 3lnnehmlicf)feit. 3$ ^ a ^ e & e * OT ^wgug in bie
Quartiere ber zweijährigen Geologen ben $)ire!tor ge*
beten, mich in ein Limmer p thun, in welchem ich möß s
lichft wenig ©efellfchaft hätte; benn ba3 3ufammeneffen,
«ftubiren unb Schlafen war mir neben bem ^rühauf fteheu
entfehieben ba§ wiberwftrtigfte am gangen fömmftäleben.
•äftein SBunfch warb erfüllt unb fo fam ich in ba§
fleinfte 3itttmer gu ben gwei erften imäurSalphabet. SBeibe
waren ebenfo fromme als fleißige Seute, aber in melen
©tücfen himmelweit oerfchieben oon meinem SBefen unb
<$h&rafter. (Sieichwohl tarnen wir ftetS frieblich aus, meift
jeboch, wie ich meine, au3 bem ©runbe, baß ich
wenigen ©tunben, welche ich * m Äonoift äubradjte, ehrlich
unb reblich h^ter meinem Stubirpult ©erfchlief.
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2ftir gefiel biefe tleine ©tube fo gut, bafj td) aud) im
britten ftonntftSjalfre in berfclbcn blieb unb bann $mei
Geologen be3 gweiten fturfeS als Kommilitonen Ijatte.
2lucfj fie waren 3 eu & en ' oa f* ^ et fafoft* ftamerab war,
weil id) fc^r t)iel fdjlief. S)er eine non it)nen ifl bereite
unter ber ©rbe, ber anbere aber l)at fidj jum *ßrftbenbar
am erjbifd^öflic^en S)ome emporgefdjmungen, eine Söürbe,
bie i$ nie erreicht Ijätte, fo wenig fie aud) befagen will. —
3)ie Sonntage waren mit im &onmft§teben bie an«
geneljmften Sage, foroeit eS ben internen SSerfe^r betrifft.
Borgens gab eS einen gar frönen nierftimnugen Sft&nner«
gefang im ©otteSbienft unb bisweilen audj eine mid) red>t
anfpret^enbe ^rebigt. $)aS *ßrebigtamt übten bie Repett*
toren abwedjfelnb mit bem Qirettor auS. 2BaS mir an
allen ifjren Vorträgen nie gefiel, mar il>re Sänge. %\t
Qualität betreff enb, übertrafen bie Repetitoren ben 3)iref tor,
melier $u wenig #eit Ijatte pr Vorbereitung. ©igentlid)
gut geprebigt, nadj meiner jefcigen ^Beurteilung, ^at nur
ber Repetitor beS britten ÄurfeS, Schmitt, wäfjrenb mein
„t^reunb", ber Repetitor SBraun, f$öne ^ßrebigten in
s 3Jtofaif fettfe, benen man aber eben bie müt)eoolle 3"*
fammenfe^ung $u fefjr anfal). @ie liegen befföalb falt
wie eine florentiner 9ttofaif*$ifd)platte.
Rad) bem fonntäglidjen ©otteSbienft fammelten ftd)
Jeweils fftmmtlidje ©tubenten unb iljre @pt)oren im ©petfe*
faal, unb e$ mußten ber Retfje nad) einzelne aus allen
brei Äurf en 3)ef lamationen galten, um ftdt) im freien ©predjen
5U üben. £)aS war mir an alT ben Sagen, ba tdt) nichts
babei ju tljun Ijatte, ein Vergnügen. <£S fyitte für mid>
etwas tf)eatraltf$ UnterljaltenbeS, unb wer wie id) für
tomifdtje ©eiten im SRenfdjenleben empfänglich ift, fonnte
babei oft reichlichen ©toff befommen. 2lber audj bie einzelnen
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— 261 —
(£fjarattere tonnte man ftubiten in ber 2lrt unb SBeife, wie
fich bic jungen Seute in bie dtoüt ihres $uf ünftigen ^xebigt*
amteS htoeinbachten. Me möglichen Btten oon <£mph<*fen,
©efttfulattonen, Slugennerbrehen famen ba jutn SluSbrucf
unb fenngeid^neten Den innem .guftanb beS 9kbnerS.
SBaren bie $)eflamatumen $u @nbe, fo gtng'S gu Sifcf;,
nach welchem, wer wollte unb ihn bezahlte, einen Kaffee
bekommen tonnte, liefet ^omuttSfaffee benft mit geit«
lebenS. Sitte Hochachtung cor ben barm^tgen ©<hweftern,
auch cor benen, welche bamalS im Stonoift fönten, aber
jener Kaffee war ein fchrecflicheS ©ebr&u: fahl wie Slfche
unb biet wie SBierhefe. Unb boch — bilbete er einen $heil
meinet leiblichen ©onntagSoergnügenS. SBenn td) mit
einer <£igarre hinter einer Saffe biefeS unauSfprechlichen
Sttotfa fafc ba t-ergafc io) für einige 3eit, bafc ich ungern
im Äonoift fei.
%a§ unfinnige Staufen hatte ich r-on SRaftatt noch
mitgebracht jo *3 fieigerte ftd) meine Siebe gu einer guten
Zigarre, weil ich flc in Jreiburg mm meiner Kaufmanns*
taute fietS gratis befam. Qch lernte hier eigentlich erft
bie „f etnen" Sabafe f ennen. 2Benn meine« Dnf eis 9tomen§*
tag gefeiert mürbe, am 3. $)egember, ba gab'3 ächte £aoan«
naS unb ©hampagner in güUe. aßerai aber an jenen
£agen ber biefe 9ftann meiner Xante bie $raft beS SBeineS
5u fpüren anfing, befam ich &ie fpifctgften Sieben
gegen meinen theologifchen ©taub ju hören.
£)otf) meine SabafSbampferei nahm gerabe im ^weiten
3ahr meiner UntoerjttötSftubien ihr unerwartetes, bletbenbeS
©übe, unb baS ging alfo gu : 3[m erften Qahr meiner fton*
oft tSgett war ich trofc meiner übergewöhnlichen ftorperlange
boa) nur ber Drittgrößte in meinem fturS; benn aus ber
©egenb r-on 3Hannhetm hatten ftd) gmei #ünen eingef unben,
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— 262 —
bie um einen ober groei QoVi midfj überragten. SBetbe ftarben
im erften, refpeftioe gtoetten Qafjre an ber ®d)mutbfud)t.
3$ glaubte nun bei unfern f örperlidjen Söerroanbt*
fäaft mdf)t anberg, als i<$ mürbe ber brttte fein im lobten*
bunbe. Unb ba burd) baS triele S?oüegft£en unb bie fo
üerftf)iebenartige getfttge $f)attgfett meine (Sefunbfyett uiel
gu rofinfdjen übrig lief?, melbete tdO mtd) im (Sommer 1861
eine§ £age§ bei bem freunblidjen ^ßrofeffor o. IRottecf, ber
bamalS eine Autorität für „SluSfultation unb ^erfuffton*
roar. (Sr erftärte meine Sungen für gang gefunb, mein
#erg aber als gur #tjpertropI)te neigenb, unb oerbot mir,
mefjr benn eine fyalbe (Zigarre t&glt<$ gu raupen. *#err
^ßrofeffor/ fprad) id>, „lieber gar feine, als nur eine
^albe/ <£S mar ber 15. ^uni 1861, unb feit jener @tunbe
Ijabe id) feine Zigarre meljr geraupt bis $eute.
211S id& meftr benn 20 Qafjre fpöter nad& ftreiburg
fam als Pfarrer, mürben ber ^ßrofeffor unb idj gar gute
SBefannte. Sttand&en 3Ibenb Ijat er bei mir gugebradjt,
unb oft $ab' id) iljm gebanft, baf* er mir bie Anregung,
nidjt mef)r gu raupen, gegeben b,atte. 3$ felbft aber
fdjäme midj, fo oft idf) baran benfe, mit roeld^ entfd&iebener
SBittenSfraft td> bem SRaudjen entfagt tyabe. #ätteft bu,
fo fage id) mir jebeSmal, in anbeten guten &orfät}en ben
gleiten feften 2BiHen gegeigt, bu ro&reft tyeute ein Sftann
nacf) bem ©ergen ©otteS, unb manche Seiben mären nidjt
fo jjart an bir oorübergegangen !
SBalb fonnte idO als 9ftdf)traud()er ben Qualm im
„SftefreationSfaat" nidjt metyr ertragen, unb eS begann für
mein gangeS, weiteres ÄonoiftSleben, roaS „SRefreation"
anbetrifft, eine neue Sßfjafe. Qd) fegte mtd) an allen SBter*
tagen allein in ben grofjen ©petfefaal, an ben f)interften
Sifd), tranf mein SBier unb laS ober ftubirte. SDieS rourbe
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mir fo geroohnhtt&tna'fng, bafj td> bem gefelligen SBerfehr
mit nteinctt Kommilitonen gänjlich fremb rourbe. 9ftetrie
Unbeliebtheit ftetgerte flc&, unb ich mürbe noch mehr benn
juoor als ^o^müt^iö »erfdjrieen. Unb boch war eS nidjts
meniger als £ochmuth, ber feine Sttitmenfdjen mißachtet,
fonbern lebiglich ©gotSmuS, ber baS that, maS bent eigenen
Qch mehr besagte unb mehr &u frommen fchien. 34 &* tt
ein berartiger (Sgoift bis ^eute geblieben unb jäfjle bis heute
SU ben unter ihren Sftitbrübero „unbeliebten" @eiftli$en
ber @r$biäaefe gpreiburg. SBenn Schopenhauer recht hätte,
mare übrigens baS fein fchlünmeS Reichen. ®r meint, all*
gemein beliebt feien nur bie Gumpen unb bummen ßeute.
Steine burch ba§ ©tubium ber Dogmatil gewonnene
reltgiäfe Ueberjeugung jeigte ftd^ auch bur<$ eine SBer*
ftnberung meines folgern SebenS, vorab in ben fjerien.
Qch befugte t&gltch ben ©otteSbienjt, mar nicht mehr fo
burfdufoS unb bierhauSmögig unb fuchte mehr Umgang
mit älteren, emften ßeuten.
$n biefer Qtit machte tdj in ber $eimatf) $reunb*
fchaft mit bem Kaufmann ©ahl, ber eben erft nach langer
Slbwefenheit in feiner SBaterftabt fleh mebergelaffen, unb
ben ich ©orher nie gefehen hatte, ba er meiner Änaben*
Seit fchon in ber JJrembe mar. 3$ h^be faum einen
erofteren, ruhigeren ÜDRenfchen im ßeben fennen gelernt als
meinen fpätem JJerienfreunb $hütppu3. %abt\ mar er
äufjerft oerftönbig, migbegierig unb oon einer ©anftmuth
unb JJriebenSliebe, bie gerabe&u in (grftaunen festen.
50er Umgang mit biefem Spanne mttfte auf mid)
fanguinifchen unb ejaltirten 3ttenfd|en mie <£H3 auf fton*
geftionen / unb nach bem befannten SBorte, bafj ©jetreme
ftch oft berühren, fühlte ich mich ganj befonberS oon ihm
angezogen. 3ltte meine ©ebanfen unb ^lä'ne unb im
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brüten &ur$ fclbft meine (£rftling§prebigten feilte ich
beut füllen JJreunbe mit, ber bann mit tlaffifcfjer [ftufje
barüber fein Urtt)eil fptad).
Unter feiner ßabenthüre ftunb ich gar manchmal neben
ifjm, bi^putirenb unb gefttfulirenb, rote eine flanbrifd)c
2Binbmühle neben einem gefrorenen fcetche. (Er ift bis
heute, ein greifer ©ageftolj geworben, ber gleiche geblieben,
noch berfelbe ©totfer wie nor bretßtg fahren, unb fo oft
ich ihn fehe, beneibe ich ihn um feinen DpttmiSmuS unb
feine innere unb äußere SRuhe.
Unter ben geiftltchen Herren, meiere in jenen £agen
im ©ebiete meiner ©eimath roohnten, oerfe^rte ich am
meiften mit bem bamaltgen ^ßfarroermefer 93enj oon
9Jiüf)lenbach, bem fpätern (Stabtpfarrer oon Karlsruhe.
JJaft täglich ^olte tch ihn an üRachmittagen ab in feinem
freunbüd&en Pfarrhaus in bem lieblichen, engen Seiten*
thal ber 8üt$ig.
9lm ^Utroalb" Inn roanberten mir bann bem ©täbtdjen
in, unb gteunb Stenj, ein ruhiger Genfer, mußte gcrotß oft
im ©tUlen lächeln über meine theologtfehen Schwärmereien
unb (Srtraoagansen, bie ich ihm oortrug. (Er felbft ^at
mir in ben fiebjiger fahren manche meiner bamaligen über*
trieb enen Slnftchten roieber in bie Erinnerung gebraut, unb ich
mußte mich muubem, wie id) einmal fo geroefen fein tonnte.
@t $aulu$ fchretbt: „3U§ ich einftnabe mar, backte ich
mie ein $nabe, unb als ich ein 3Jiann mar, bachte ich
roie ein SDRamt/ (Shr hätte, ba er ja auch SBorlefungen
befugt h^tte, noch fagen fönnen: „%a ich «« Stubent
mar, backte ich roie ein ©tubent."
2öie jeber 3flenfch, ber fleh etroaS genauer beobachtet,
leicht pnben fann, ift unfere ©ruubfttmmung täglich unb
ftünblich eine anbere, Je nachbem mir nüchtern fmb, gegeffeu
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ober gefrf)lafen Reiben. 2Bett mefjr nod) cinbert ftd) bie*
felbe nad) ben ^ßertoben beS SltterS, oorab bei geifttg
tätigen Jnbhribuen. 9Ber in feiner SBeltanfdjauung son
ben JfinglingSjaljren btö $um 9Jlanne§alter feine roefent*
lidje Slenberung burdjgemadjt l>at, ber gehört jebenfaߧ
unb abfolut in bie SHeifye ber aUerbiUigften Genfer.
(£§ ijt mir $eute ein ganj befonbereS Vergnügen, einen
©tubenten, mag fein SBerufSftubium btefeS ober jene§ fein,
in feinem ganzen fdjäumenben, gäljrenben nnb oorlauten
SBefen anhören. $>a$ Vergnügen baran befielt bann
barin, bafc idfj lebhaft mid) felbft roteber reben fjöre, roie
xä) in biefem Sllter aud) gerebet. Defcfyalb nefyme td) e§
aud) biefen jungen Herren nie übel, wenn fie nodO fo
felbftgefäUig oon üjrer SBeiS^eit fpredjen.
SBenn nun aber ein folc|er Slfabemifer, roie unfereiner,
jroei Disziplinen ftubirt unb unter biefen Ätiologie, fo
fteigert fidf) fein afabemif^eS SCBiffen in feiner ©mbilbung
tf)unnl)od). Unb roenn man bann nad) Jatyren jurücf bltcf t
auf jene§ 2Btjfen, fo fte^t man, roie einfältig man geroefen
unb roie fe^r ©ra§mu8 oon IRotterbam red)t $at, roenn er
in feinem „Sob ber Starrheit" behauptet, bafc bie ftrau
©tultitia im Jünglingsalter am meiften florire. ©ans
natürlich : Der Jüngling lernt unb fctyroaljt, roa§ er gehört,
ber SJlann benft unb räfonnirt, genial ift nur ba£ fttnb. —
Qm (Sotmnerfemefter 1861 befugte id& aufjer ben tf>eo*
logtfdfjen SBorlefungen über Stogmatit unb Sttoral nod) bie
Kollegien über „<£atuil" unb „gried&tfdje unb römtfd&e
9Nt)tl)olo8fe* bet ^rofeffor SBüd&eler unb über „®efd)id)te
ber Ätiologie" bei 58aumfiarf. 3$ fdnoärmte in biefen
£agen gleichzeitig für ba§ <£l)rtftentl)um roie für ba§
©eibentfunn. 9lm borgen folgte id^ mit gefpanntefter
Slufmerffamfeit unb frommer SJliene ben bogmatifeijen 23or*
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trägen beS $rofeffor§ SBörter unb am Sftadfjmittag freute
id) mity ber $oefte unb ber ©ötterletyre ber alten Reiben.
3luS biefem ©ommer ift mir nodj ein 2luSflug narf)
Sircf^ofen, einem brei ©tunben t>on greiburg entfernten
$)orf im IRebgebirge, erinnerlich ber siemltd) luftig enbete.
llebnna, im ßomrift, im 6ommer ein ober baS
anbere 9Jtal einen gröfcem gemeinfcfyaftlicijen ©pajiergang
unter Slufftctyt beS S)irettorS ober eines SftepetttorS &u machen.
©o toanberten benn aud) eines fdjönen ©ommer^fad)*
mittag^ bie Geologen beS ^wetten unb britten äurfeS mit
bem Repetitor ®^rat burdfc „baS #erentl)äld)en" nad) bem
genannten ^orfe unb teerten in bet ^Shcone # ein,
%a ©änger unb SJJtujtfanten aller ©rabe in JJütte
unter uns roaren, fo fehlte eS neben einem guten £runt nicfyt
an ©eiterfeit bis sunt fpäten SXbenb. 9Jlit bem legten $er*
fonenjug roollte bie $al)lreidf)e ©efeUfdjaft oon ber eine
Stunbe oon ßirdftof en entfernten Station ©djattftabt nad)
ber 3>reifamftabt jurüeffa^ren, $0$ eine @ruppe blieb gu
lange im SBirtljSfjauS ftfcen unb tarn gerabe jur ©ifenbafyn,
als ber ßug abfuhr. S)a id) im SBirt^^auS nie einer
ber erften oon benen mar, bie gingen, befanb aud) td) mtd)
bei bem fleinen SKadjtrab.
SBir befäloffen nun, auf einem ßeiterwagen nac^ ber
©tabt jurücfaufefjren, bis ju beffen SBereitfteUung aber in
ber Sfteftauration am$al)nl)öfd)en oonSc^aÜftabt nod) einen
unb ben anbern Qtyopptn &u trinten. @o tarn eS, bafc
mir leineSwegS nüchtern unfere bunt le £etmfal)rt antraten.
Unter unS befanb fid) aud) einer „auS bem SReid) 4 ', b. i
auS ^o^enjoUern. $)tefe preujjtfdfje ^ßrooins gehört &ur
^töjefe greiburg, unb beSfjalb waren aud) bie (Stubirenben
ber Geologie in unferem $onotft.
S)ie preufnfdjen <5df)n>aben waren, foroeit fte *u
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meinet Qtit in ^teiburg meilten, fämmtlich burchauS biebere,
ebrlidje, talentvolle Seute. ©iner von ihnen mar, wie ge*
fagt, bei unferem Sftachtrab unb mächtig beeinflußt von ber
Ätaft unb 3ttenge be§ 2Mere3. 2113 wir nun auf ben
£eiterroagen fliegen, überfam ihn ber „Furor suevicus",
unb er weigerte fuh entfehteben, mit und ju fahren. %a
jebe§ «Qureben vergeblich blieb, fuhren wir ab. S)er ©chroabe
aber nicht faul fpringt luftig lu'ntenbretn, unb faum Ratten
mir nad) mehr als einftünbiger g^^rt ba§ Heine
häuSgen vor ber ©tabt erreicht, trabt ber loacfere £ohen*
goder fchroeißtriefenb auch f$on baher. @r hatte bie groet
2Begftunben raftloS fpringenb autuef gelegt, ein „(schmaben*
ftretch", ben ihm nicht jeber nachmacht.
@8 mar 9Jhtternacht, als mir an ber Pforte unfere§
geiftliehen £aufe3 läuteten unb bem Sortier gäpfl, einem
ebenfo fdjlauen als gerotffenhaften Liener, unfete 3öpfe
geigten. SQßir Ratten aber auf ber $al)rt fdjon befchloffen,
morgen in aller ^rüfje einen „©ntfchulbiger" &um $)treftor
in fenben, um jeber Denunziation unb Station suoorju*
tommen. 3$ warb baju auSerforen unb fchame mich ^eute
noch beS ehrenben geugniffeS, ba3 ber S)ireftor mir bei
biefer (Gelegenheit aufteilte, üftachbem er mich angehört,
antroortete er f reunblidj lächelnb : ift f <hon gut, benn
id) roetjj, baß e£, roo Sie babei fmb, nicht lumpig hw*
geht." (So fe^r mich biefe gute 9Jleinung be3 $)ireftor§
erfreute, ebenfo füllte ich mich innerlich bekämt, weil
ic^ wir jagen mußte, baß e3 eben boch ähnlich lumpig her*
gegangen unb ich feiner ber testen babei geroefen mar.
Qn bie $>erbftferien be3 Qah^ 1861 f&Ht meine erjte
größere SHeife in biefem £eben. 53i§ljer mar ich abroärtö
nicht über Karlsruhe unb aufwärts nicht über ftreiburg
hinauSgefommen. JRun %attt ich ben (Sommer über in
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langweiligen ftonotftäftunben mit bret JJreunben eine Steife
an bcn SBobenfee geplant, bie aud> oernrirflidjt rourbe.
Qn £aSlad) foUte ber ©ammelpunft fein.
$>ie ©roßmutter gab mix fedjSunbbrei&ig ©ulben, unb
als bie ©efäljrten eingetroffen, gtng'S gu ftufj tl)alaufn>ärtS
bem ©c^roarjmalb gu. 2ßir roaren t)ier ganj oerfdjiebene
(£t)araftere unb paßten oorttefflirf) $u einet btSljarmonifdjen
Steife. 3)er bide, gemütfjlidje SHutfj, als Pfarrer in £>ebbeS*
Ijeim geftorben, rcoUte immer lieber fahren als geljen; mein
3;ntimuS, ßljriftian SBalt, tyeute manbember $8örfenfpieler,
rooUte als Vertreter ungezügelter üftaturfraft nie einen
SÖBagen nehmen, ber nrirflid) fromme unb jarte 3lbam
^ennefa, feit ^aljren fd>on tobt, mögltdjft roenig in ben
2Birt§f)äufern etnfefyren, rofiljrenb td), immer nod) baS
^aftatter „SBiergeme", bei jebem Bierfdn'lb, ber an ber
^eerftrafie roinfte, trinten rooHte.
®o tarn eS, baß, als mir am erften Slbenb mit bem
DmnibuS oon £riberg auS in $)onauefd)tngen anfamen,
bereite bie ganje ©efellfdjaft in $)iffonan$ fldj befanb.
$n ber ffirftlid) fürftenbergifdjen föeftbena ärgerte
midj bie $fü$e, bie man fälfd)lid> als S)onauqueHe auS*
gibt, unb freute mid) baS fürftlidje ©ebräu im „2amm\
$d) fjatte aber feine 2H)nung, baß Ijier oben, faum jroei
unb ein fyalbeS Qa^r fpäter, meine $rartö als ße^rer am
©umnaftum beginnen follte.
SJlit ber <£f)atfe beS alten $oftf)alter8 Steuer fuhren
mir am anbem borgen bis auf bie „©ngemer §ölje",
nidjt ofjne unterwegs ben f ürftlidjen Tiergarten befugt p
^aben, unter beffen ©idjen id) fpäter manchmal r-ott ©tegie
l)in unb ^er roanbelte. 9tuf ber ^öfje fallen mir jum erften
Wlal in weiter ftztnt einen Streifen beS SBobenf eeS, unb bann
eilten mir bergab nad) bem altersgrauen <5täbtd>en ©ngen
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unb tränten in ber ^Soft ben erfteu ©eemein, mo§u ber
mufifalifche Hennef a Placier fpielte.
Qn ©ngen befanben ftcf) jmei eingeborene Geologen,
bie bann ebenfalls begrübt würben unb unS in oerf^iebene
SBierh&ufer führten, als ben einzigen ©enufj, beri ftd)
beutfche ©tubenten in ben Serien oerfchaffen Wunen, ©egen
9lbenb manberten wir ju gufj gen ©toctad).
Sei bem &orfe 9lach lag an ber ©trafje eine SBier*
mirtfyfchaft, in beten ©otnmergarten n>ir überburftig von
ber feigen ©erbftfonne einfielen. S)aS $)orf felbft lag t>or
uns auf einem $ügel. %a fiel unS ein, baf? ein ehemaliger
„ftouoittler 4 ', ein furiofer Äaus, aus Slach fei, unb ba mir
hörten, bafc fein SBater, ein ©chneiber, noch lebe, liegen mir
ben Sllten holen. 3$ mar namentlich begierig, ben SSater
kennen $u lernen, nachbem ich ben ©ohn fennen gelernt.
tiefer, ber ©ohn, hatte eljebem QuriSprubena ftubirt,
um feine Qugenbliebe, eine ©chneiberStochter auS ftonftana,
hetrathen tömten. ©ie mar ihm aber untreu geroorben,
unb ber ©ram bariiber trieb ihn, mie er oft erzählte, auS
ber SOBelt. 2Bir mollten ihm baS nicht glauben unb gaben
als ©runb feiner ^^eologie bie Unfähigfeit gum ©taat§*
ejamen an. $)a mürbe ber ©manuel ftetS teufelSroilb unb
fd)ilberte fein ^erjeleib fo naio unb tinblich, bafc eS eine
mahre gfreube mar. 2Bemt man i^m aber fagte, eS fei
nicht ^ocl^er^ig, megen einer ungetreuen ©chneiberStochter
ber 2Belt §u entfagen, fo fam er gan$ auS bem $äuSle,
moran ich oft fchulb mar.
%tt gute ©manuel ftarb oor fahren als Pfarrer in
ber einfamen SBergpfarrei 3Btttichen im Äinjigt^al. $ort
^abe ich im Sah** 1891 noch feine ^oc^betagte ©tief*
mutter in ben ärmlichften SBerhältniffen getroffen.
$)er 93ater ©chneiber aber unterhielt uns an jenem
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2lbenb ©ortrefflid), inbew er bic Saaten feines ®ofjne$
(Smanuel oon Qugenb an erjagte in einer Witt, als wäre
ber fe|r billig benfenbe (Smanuel ftctS ein wahres SBunber*
tinb gewefen unb fein <£r$euger befftalb ber gröfjte SJtonn
in unb um 2lad).
©3 gibt in ber <Sd)neibersunft eine Spenge ©jcemplare
von ungemeiner Originalität, unb id) *erfef)re, wo immer
möglicfj, gerne mit berlei beuten, lieber als mit UntuerfttätS*
profefforen. SBenn i$ als Pfarrer am SBobenfee je einmal
auf meinen täglichen Säuberungen burd) ffclb unb 2Balb
einen Begleiter mitnahm, fo war bteS in ber Siegel einer
unferer alten $>orffd)netber. <Sr brachte manchmal meine
elegifc^e unb mifautfjropifdje (Stimmung in ein anbereS
©eleiS, unb id) t>erbanfe feinem Umgang nicf)t wenige
^eitere @tunben. 3Bir rebeten jwar bei unferen ©pajier*
gangen nidjt „von ßenj unb Siebe 4 ', aber von „feltger,
golbener fyit". (Sr crjä^Itc mir aus feinen Qugenbjaljren,
dou alten, längft Derftorbenen Sftenf djen unb lieg babet
einen fo unzerlegbaren DpttmiSmuS ftrafjlen, baß er für
einige $eit meinen SßeffuniSmuS nerbunfelte. —
(SS tarn mir in meinem Seben no$ fein 3Beg weiter
unb befdjwerlidjer vox als ber von (Smgen nad) ©toefarf),
unb bod) fityrt er auf einer prächtigen ©trage $in. 3$
meinte, eS nidjt &u erleben, bis mir am QxzU wären.
$iefe %laä)t umfüllte baS befannte „Sßarrenftäbtdjen 4 ',
als wir einrückten unb in ber »^oft" Quartier belogen.
Srotjbem wir nafje an ber „Sßoliaeiftunbe" unS befanben,
beftimmte td) bodj nod) meinen fjreunb <£f)riftian, mit
mir ein SöterfjauS aufeufudjen. #ier traf tdj einen alten
SBtfannten aus ber $aSladjer ^ofylromuia 4 '. Kütten*
ncrwalter Steiner, einft auf bem fürftenbergifdjen $ammer*
wert #aufacf) im üin^igt^al, amtete jefct auf einem folgen
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in ber 9Wl)e »on ©todfad), wo et 2lbenbS fein SBier f>olte.
(§ht ftaunte ntd^t wenig, mid) tyier 31t treffen, unb noefj
baju als awetj&fjrtgen Geologen. Q$ befugte il)n am
anbern borgen auf feiner ®tfenf)ütte, unb er gab und
baS ©eteite bis juni Ufer be£ SBobenfeeS, nad& SubwigS*
Jjafen. 2Bir gingen eine ©tredfe hinter meinen Stteife*
gefaxten auf ber Reißen ©trage bafjin, unb i$ weiß nod)
faft jebeS Söort, baS er mit mir fprad). (£r fud)te nament«
lid) burd) eine Sflenge von SBeifpielen mir baS fernere
©tubütm ber Geologie abprägen.
Söenige 3a$re fpäter fudjte id) iljn gelegentlich wieber
auf bem #ammerwerf Qmmenbingen an ber S)onau auf
unb verlebte mit Ujm einige Weitere ©tunben. Qetjt ift
ber gute 9flann aud) längft unter ben lobten.
$n Ueberlingen, wof)in unS meine erfte 3>ampfboot*
faljrt braute, trennte td) mid) von ber ©efeflfdiaft, bie
ebenfo frol) mar, mtdj ju verlieren, als id) mitf) freute,
oon tfjr logjufommen. gmei ©tunben von tteberltngen,
in einem S)örfd)en beS ©alemertyaleS, in ^Jlimmen^aufen,
wirfte bamalS als Sßfarroerwefer mein erfter fiateinlefjrer,
ber ehemalige Kaplan ©dfjele. 3fön wollte td> auffud)en
unb lieg befjfjalb meine {eiterigen ©efäljrten allein fec*
aufwärts sieben, wctf)renb td> meine ©dritte bem #inter*
lanbe juwanbte unb an einem fd)önen ©eptember*9ttittag
in bem ftiUen £>örfd()en meinen ®injug ^ielt.
$etn £>al>n fräste, fein ©ünblein bellte unb feines
3ftenfd)en 9luge fa^ ben langen ©tubenten, bis er in bie
SBirtfjSfhibe eines neuen, freunbltd)en ©ajtyaufeS eintrat.
|>ier beftettte idf) filr jwei Sage Quartier, unb bann erft
fu^te td) meinen „ftaplan" auf, ben ic$ feit jel)n Palpen
nid)t wieber gefe^en Ijatte. Qdfj fanb ttyn in einer elenben,
alten *Pfarrf)ütte — benn ^fatrlwf fonnte man bie 3er*
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faHenbe Skracfc nicht nennen— Rettet unb aufrieben. 3)rei
Sage blieb ich in feinet Wäty, in benen et mit alle $ettüd>*
feiten beS ©alemerthaleS geigte, ootab bie 9lbtet ©alem
unb baS fürftlic^e Schloß $eiltgenberg mit ihren Hunft*
fchätjen. 3$ ding aber in jenen Sagen an 3Berfen bet
ftunft ooruber mit faum mehr SSerftänbmfi als tyutt noch
ein $8auer3tnanu. Saturn blieb mit auch fein (Sinbtucf
oon bem etften SBefuch jener Orte in meinet ©eele.
lebhaft ftefjt oor mit nut bet letjte Slbenb meinet
Aufenthaltes in SJtimmenhaufen. Stiele führte mich 51t
einet $ochjett, bie ein £efjrer mit einet Sottet beS SanbeS
ba abhielt @3 mar in bet guten, alten 3eit, rao ©eift*
liehe unb Sehtet im tiefften Stieben mit einanbet lebten
unb nritften, unb be^alb waren bie meiften $ochjeitsQci)tc
Pfarrer unb ^räjeptoren ber Umgegenb. Am Abenb famen
nun biefe ade in meine ©erberge, um SBter &u trinfen. %a
fafj nun oben am Sifd) in ber ©efe ber Defan be§ Äapt*
telS unb Pfarrer in Söeilborf, ©töhr, unb rtngS um if»t
feine AmtSbrüber unb bie oerfd)iebenen £el)rer mit ihten
(S^e^alften. ®ie Seute roaren heiter, wie e§ £>ochsett3gäften
gegiemt, ©ang auf ©ang folgte, wobei bie ©timme beS
DefanS mächtig oorflang. 3$ Ijöre ihn noch, nrie er ju
fmgen anfing : „$föt gang* i an§ SBrünnele, trinl aber nil"
SWemanb nahm an all' ben Vorgängen jenes AbenbS ben
geringften Anftoß, nur ber junge, bumme ÄonoiftSmann
£an3jafob ärgerte fiel).
gehn Qa^re fpetter ^at mich ber gleite £)efan, ein
hochbegabter Sttann oon allgemeiner Achtung, in Hagnau
als ^5|arrer tnoejtirt.
3n StteerSburg gelangte tdf) anbem SagS roieber an
benStobenfee, fuhr ahnungslos anbem Dörfchen Hagnau oor*
bei, faß am 9lad)mittag auf bem ©ebharbSberg bei SBregens,
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flaute über ba§ gange fc^toäbifd^e ÜJleer Ijtn tmb tränt
mitten in ben #errlid)fetten ber Statur »iel SBier auf bem
33alfon be§ tleinen 2Birtf>8!)aufe3 neben ber ©ebfjarbS*
tapeHe. war #er am (Snbpunft metner Steife, von roel*
etyer mir blutroemg (Sinbrücf e tum ber üRatur geblieben ftnb.
(Sin ©tubent, ber nrirtttd) ftubtrt, vermag überhaupt
nur ferner gu lefen im93ud)e ber Statur; ba§ tupograpfjifdje
SBüc^erroefen tyilt fein ganzes innere gefangen, unb wa3
er md)t fämarg auf wei{$ flc^t, bleibt tfnn aflermetft gang
t>erfd)loffen. ©o weif} er in ber SRegel von feinen Reifen
nidjt triel meljr gu ergäben, als wo er am beften ge*
trunfen $at
#eute, wo t$, Älter geworben, ba3 gange ^afjr fein
2Birt^^au8 von innen fe$e, lefe id) in ber SEatur am
Uebften, unb bie fügeften ©tunben verbrämte id) Diele
3al)re lang als $)orfpfarrer an fJrityjaljrS* unb ©ommer*
abenben am Üßalbranb hinter meinem $)örfdjen. S)a lagen
©ee unb 3llpenroelt in ruhiger SKajeftät vox mir nrie ein
aufgetragenes 58ud) ©otteS, wfifjrenb von SWenfdjen nichts
gu l)ören unb gu fefjen mar unb mir nur im SBalbe bi§*
weilen ein SBöglein bie 9flelobie fang gum %qA, ben meine
©eele in jenen Slugenblicfen gufammenwob. %n jenen
©tunben füllte idj gar oft, was ber mir fumpatfnfdrfte
beutföe $)td)ter, ©idjenborf, fo ftfjön wtebergibt:
$ie SBelt treibt fort ü)r SBefen,
25ic Seute fornmen unb ge$'n,
91(3 roärjt bu nie geroefen,
2113 wäre md)t§ gefdjeyn.
SBßie feljn' id& mic$ aufä neue
$inau3 in 2Balb unb $lur!
D6 id& mid) gräm', m\$ freue,
$u bleibft mir treu, Statur.
$an*jalo&, ©tubienjeit. 18
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Maßt ooit tiefem ©c^nett
©<$lucfoenb bie Ha^tigaU,
(£3 flimmern rings von grauen
2)ie Slumen überall.
llnb über alle Oipfel
Unb »lüthentyälet |ie$t
Jfcurdj ftiüen SBaJbcä SBivfel
(Ein heimlich JUagelieb.
2)a (mV t$'£ redjt im £erjen,
$>afi bu, §err, brausen Mft —
$u toeifit, wie mit von ©djmerjen
9flein §era aerriffen iffc.
3U3 ich an jenem 9lbeub beS 3a^re3 1861 vom ©eb*
harbSbetg ^etab^ieö/ Begegnete mir ein £err, ber ftd) als
ein 3ftfttjaffeffor von SBregenj funbgab, unb ben ich als
93eleg anführe, wie treu mir bie Erinnerung an ^ßerfonen
blieb von meiner erften grdjjern föeife, wäfjrenb bie Sflatur
mich !aU liefe. 3$ traf ben obigen 2ttann 17 ^aljre
fpftter im Äapuaiuerttojter p SBejau, wo er «ejirtSrichter
mar, wieber unb erfannte ihn aläbalb als jenen Begleiter
vom ©ebharbSberg herab. Unb heute, ba ich im 99uch ber
Statur ju lefen oerftehe, uerfdjwinbet mit ba§ ©ebädjtmf*
uon Sßerf onen, mit benen ich in ben legten Qa^ren flüchtig t>er*
lehrte. 3$ mufj mich oft in unangenehmer SBeife erinnern
laffen, unb monier meint, man wolle ihn nicht mehr fennen.
9luf ber üttiefreife traf ich in (£onftanj wieber mit
meinen SReifegefä^rten juf ammen. SSon ber alten ©onftantia,
bie fpäter jahrelang meine Nachbarin werben foflte, ift mir
üon biefem erften SBefuch abfolut nichts mehr erinnerlich
als bie SRenfchen, benen td) begegnete, unb bie »terhäufer.
weifj feilte nic^t mehr, ob irfj bamalS nur auch ben
ftonäiliumSfaal unb ba§ Sftünfter innen gefeljen habe.
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@emeinfd>aftlid) reiften nur ben Ütyein hinunter nod)
©djafffjaufen unb von ba überSBintertljur unb3üridj nad)
3Balb§f)ttt. Ob mir in 3ürtdj, roa« f^r toa^rfc^einUd^ ift,
anhielten, fann td) Ijeute md)t me^r fagen. 2Balb3ljut
oerfdjmtnben meine StoUegen au« metner Erinnerung; td)
weiß nur nod), bafj mtd) ber bortige Dberamttnann lieber
mit einem 2Balb«Ijuter Geologen «Ruf, ber t>or einigen
Saferen als Pfarrer ftarb, einlub ju einer ftafyrt in§ 3üb*
tfjal. 93on biefem (jerrtidjen ©djroararoalbtljale aber ftc^t
au« meiner erften SBanberung nur nod) ein SBtrtfjSfjau« in
meinem ©ebäcfjtnifj unb bie in bemfelben ©ersten gorellen.
Steine erften SRetfeeinbrücfe waren unb blieben fo
miferabel, baj$ id) mid) nidjt einmal meljr befinnen fann,
wie i$ auS bem 5IIbtE)aI roteber fyeimtam unb meine 2ßelt*
umfegelung &u (Snbe ging. SRur fo mel weif* id) noeb,
bafj bie ©rofjtmttter fd)impfte, meil id) tljr ©elb oerreijt
Ijatte unb abfolut nidjt« ju ersten wußte. <5ie citirte
richtig ba« S8ott«fprid)wort :
(SS flog eine ©ans rooljl Aber ben Styein
Unb fam alä ©tgag «riebet Ijetm.
9Bir beibe aber, bie (Stammutter unb td), Ratten
bamal« eljer an ben $ob gebaut, al« baß au« mir nod)
einmal ein SReifefdjriftfteHer werben würbe. ftretttd) tft
her aueb bamacb auäaefatten!
3tterfwürbig war bei biefem meinem erften 3lu§flug
tn bie babifdje SEBelt, baß er mid) an ben brei Orten
oorüberbrad)te, in benen ein großer £fyetl meine« Berufs-
leben« fid) abfpielen follte, n&mlid) $)onauefdjingen, SB&alb«*
tyut unb ©agnau.
3$ war nod> nie fa freubig in« Äonottt guruefgef e\)tt
wie im #erbft 1861. Unb warum? 3$ fotlte, wo« mit
beginn be« britten unb legten Shtrfe« ftet« gefdjal), feitbem
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baS Äonuilt e#fttrte, bie „meberen SBeiljen" empfangen
uttb mit tfjnen bie erfte (Sutane unb ben erften (Etjorrodt.
2Benn Ijeute ein p&pftlid^ex Sftobelgarbift gu mit in§
$farrl)au8 fftme mit ben ^nfigmen eines StorbinalS, i$
mürbe mid) gewtg nidjt fo geehrt unb gehoben füllen,
als ba ber ©d&neiber Steifet oon £a8lad& mit bie etfte
(Sutane unb eine alte Sterin non greiburg ben etften
(S^orrodf brachte. Unb als bet greife ©rfcbifdjof o. SBicari
unS bie Söeifjen erteilte, unb mit $um etften 9Jtal in bet
geiftlidien Unifotm in bet ftonmftStitclje bamit patabitten,
ba glänzte gellet (Sonnenföetn in £etj unb 2lug', unb
bie Qubmf t lag im toftgften Sickte oot mit.
Slbet fo geljt eS übetatt im Sflenfdjenleben bei ftljn*
ltdjenSBotfommntffen. Stetfja'ljnbtid) f)at eine roeitgtö&ete
JJteube an feinem SieutenantSpatent als trietjig Qaljte fpätet
bet gteidje Sttann, wenn et jum ©enetal etnannt roitb.
(Solange eben am 3ttenfd)en nodj ein (Stücf ^ugenb
tft, fdjaut et mit tinbli^et (Seele in jebe SebenSoeränbetung;
abet je älter et roitb, um fo meljt nehmen tljmäBBelt unb
<£rfaf)tung bie ^ßoefie unb bie ^Uuftonen.
S)ie Geologen beS btitten ftutfeS mußten nun ftetS
in bet (Sutane ausgeben, was uns natütltd) ein $od)genuf?
unfetet geiftli<$en SBütbe wat. 203 id) baS etfte SJtal
meine lange, blaffe ©eftalt bie „<Sd>uftetgaffe* fjmuntet
bet Unioerfttät jutrug unb ein alteS Sttütterlein mir einen
»ftnig* machte, wftyrenb ein fleineS 3Jtäbdjen mir bic
£anb gab, weil beibe glaubten, td) wäre Sßriefter, ba mürbe
tdj faft rotl) übet bie ljolje Slnerfennung, bie mein erfter
getftltdjer SluSgang in ber SBelt gefunbeiu
9ln (Sonntagen aber rüdten wir junge ßlerif er fantmtlic!)
in ®ala oom ftomri! t aus in ba§ SMnfter, um ben wenigen,
meift breftyaften Stornierten bie SBefper fingen $u Reifen.
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3>aS war eine <g$re! Unb an einem $omtapitular flaute
irf) in jenen Sagen hinauf, als wäre er ein überirbifdjeS
Söefen unb einmgrunbatter2BeiSl)eit! ©Iücllic$e3eiten! —
3(n meinen ©tubien ging'S aud> im legten UnfoerjitötS*
ja&re rüftig oormärtS. 3$ Ijörte unb lernte mit Suft unb
$reube, 30g midj immer meljr gurücf unb lebte ben SBüdjera.
£)et £auptbo$ent für bie Geologen beS britten fturfeS
mar Sßrof effor ©tola, bei beut in beiben ©emeftem sßaftoral
unb praftifäe (Sjegefe gehört mürben. 20ban ©tolj fjatte
in feinem ^riefterleben nur furje geit in ber eigentlichen
©eelforge &ugebrad)t, unb bo$ waren feine SBorlefungen
überaus praftifd), ridjtig unb waljr. 3$ I)örte ade feine
Vorträge über ©omiletif unb ©eelforge mit ebenfo vielem
Qntereffe als 9tof>etu
SDBie ©erf Rieben aber unfer ©errgott bie Talente unter
ben 9ttenfd>en gebilbet unb geartet fyit, baS tonnte man
an beut Stojenten fennen lernen, beffen SBorlefungen neben
benen non ©toI$ bie Sfjeologen beS britten #urfe§ cor*
jugSroeife befugten. <$$ mar bieS ber weithin befannte
£ofratl) Dr. SBufj, ber unS aUgemeiueS, beutfdjeS unb
babifdjeS Äird)enred)t bojtrte.
(Stolg unb 35u& waren fo oerfdjieben Don einanber
mie DHoenäl unb <£fyunpagner: ber eine ebenfo rufytg unb
ftitl, wie ber anbete braufenb unb gäfjrenb. Söufj mar ein
üielf eitigeteS Talent als ©tolj, aber an Sief e weit übertroffen
dou biefem. 9luS feinen eigentlichen SBorlefungen war ent*
f Rieben am wenigften $u proptiren, weil er Diel &u oiel
„2lUotria* trieb unb jeben fremben ©ebanten, ben fein leb*
fjaftet (Seift i^m baprifdjen warf, ergriff unb verarbeitete.
S)aS „MotTia" aber, bem $8uf$ fo gerne Ijulbigte,
ift in meinen klugen abfolut lein Vorwurf für ben fo be*
beutenben 2ttann. 2BaS er f agte, war getftretdj, unb wenn es
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auch nicht gut 93orlefung gehörte, fo tonnte man gar uieleS
barauS lernen. Söon ftirchenrecht nahm idj Blutwenig bei
ihm auf, aber baS, waS er brunt unb brau ^ing, ging
wegen feiner pifanten Wct nicht nu|lo§ an mir oorüber.
Qch roo^nte befftalb ben 23orlefungen oon Bufc jtetS mit
Vergnügen an.
3eJ)n Qaljre fpäter, nadt)bem ici) $u feinen gttfcen gef eff en,
mürbe ict) mit ^ßrofeffor Bufj näher befannt als 8anbtag3;
foUege. Qch roohnte unb afj mit ihm jufammen roährenb
groeier SBinter in ÄarlSruhe, unb mir jmei Äinjigt^äler
Ratten über Sifch ober bei gemeinfamen (Spaziergängen
manch* ^eitere ©tunbe im SÄuStaufd) unf erer ©ebanf en unb
(SinfäHe. ^n Anbetracht meiner langen ©eftalt unb im 2ln*
flang an eine in unferer roalbigen $eimath betannte, nid^t
fehr l)öfif^e@rf Meinung nannte er mich ftetS „ben ftlfyvf.
SBufi mar, wie bie meiften hochbegabten Sttenfchen, bis
in fein ©reifenalter ein ftnbltch naioer Sttenfch unb babei,
trofc aller f glimmen Lebenserfahrungen, Qbealtft unb
Dptimift bis pm legten Sfthemjug. 2Bie oft hat er meinen
*ßef fimiSmuS &u befämpfen gefugt, unb roie oft hab* ich ben
©iebenjiger beneibet um feinen nie maufenbenQbealiSmuS!
Sd) freue mich, oon feinen melen (schillern berjenige ju
fein, ber Gelegenheit hatte, ihm nach feinem $obe ein f leineS
Sttonument in ben „SBabifchen Biographien 4 ' fcufefcen. ©onft
hat man ben um bie fatholifche «Sache hochoerbienten SJiamt
fchraer oergeffen, ein SooS, baS nicht nur ben l leinen,
fonbern auch ben meiften großen lobten wiberfährt. —
UebrtgenS habe ich, tro^bem baS Bufi'f che Sachenrecht
mir wenig frommte, mit Borliebe biefe 5)i§3iplin ftubirt unb
in meinem legten ^onoiftSjahre alle belannteren beutfehen
$irchenretf)tSwerfe fennen ju lernen gefugt 3lm meiften
lonoenirte mir bamalS (Schulte. Anleitung aber gab mir
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in biefer 9tid)tung bcc erjbifd)öflid)e Äanjleibircftor
Dr. SJtaaS. $)ireftot ftübel Ijatte mid) atl Ujn genriefen
unb mid) Ujm für firt$enred)tlid)e ©tubien empfohlen. 3Raa£
prebigte, nrie et mir fp&ter oft jagte, in jenen &agen fcfjon
gegen meinen ©goiSmuS, roäfpenb tdj bamalS fd)on mertte,
ba£ id) einen grunbgefd)eibten 9Rann bot mir fjatte, ber
mir nid)t nur burd) fein SBiffen hnponirte, fonbem und)
aud) burtfc feinen ©arfaSmuS anjog.
3n ber $f>ilotogie Ijdrte id) com ©erbft 1861 bi£
Euguft 1862 bei ©aumftarf ©ncnflopäbie ber ^ilotogie,
Literatur ber latetnifdjen *ßoefie, fcacituS (Dialogus de
oratoriboB) unb SfjufubibeS. ©benfo machte id) unter be3
gleiten SßrofefforS Leitung bie lateinifdjen Arbeiten be§
pf)ilologtfd)en ©eminarS mit ©o grogartig unb fd)dn wie
SBaumftart ben 2*citu§ ju befjanbeln nerftunb, ebenfo
traftirte er aud) ben fclmtybtbeS, fo baß id) l>eute nod)
mit SBewunberung an bie beiben tlafftfc&en #iftortfer unb
an tfjren Kommentator beute.
%tn ^ßrofeffor SBudjeler tonnte id) nur im legten
©ommerfemeftet nod) einmal befugen in feinen SBorlefungen
„über Äunftgefd)id)te ber ®ried)en unbetonter*. $er junge
(Mehrte gewann aud) Iner meine ganje $od>ad)tung.
2Ba3 baS innere ftomriftSleben betrifft, fo mar id)
im britten Qfctpe oer&ftltmjmtäfjig am liebften in ber 2ln*
ftalt 3$ befam &ur grüfjjafjrS* unb ©omrnerSgeit oom
S)ireftor unumfd)rdnft freien 2lu$gang, ben id) aber ge*
roiffenfyxft für meine ©efunbfjett uermenbete. ©infam man*
berte id) in ben erften 3Jtorgenftunben über ben ©d)loj$berg
ober an ber S)reifam hinauf gegen ba§ $drfd)en ©bnet.
33laf? unb angefr&ntelt oon ber 3Biffenfd)aft, mebitirenb
unb pfjilofopfjirenb pilgerte id) an aU jenen Orten oorübet,
bie id) fünftelm $al)re $uüor als $reiburger SBolßgfdjülct
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geringfter Setftung hellauf unb ftäJjlid) mit bem ©chmetter»
lingSgarn butdftogen hatte.
Repetitor beS britten ShtrfeS war Qofcf (Schmitt, ein
ernjter, feinem 2lmte oortrefflid^ gewachfener ^ßriefter, ber
übrigens mehr ben lÄefpett als bie Siebe feiner Untergebenen
bef a% 3n mannen fingen pebantif ch, prebigte er bei jeber
(Gelegenheit -Uftora!, waS iungen Seilten feiten sufagt
3$ habe bem begabten unb pflichteifrigen 9ttann unter
bem gefammten Sfcepetitorium am meiften (Sympathie ent*
gegengebracht unb erinnere mich noch lebhaft beS (Sinbrucf e§,
ben bie Nachricht von feinem fchnellen $ob in mir h« s
oorrief . @S mar an einem 2ttaimorgen, Anfang ber fieben*
Stger 3ahre, unb ich P SSefuch beim SBiSthumSoermefer
^übel, als eines Borgens, mährenb ich P ®ette lag,
ber Liener beS SBifchofS gu mir hereintrat unb erjagte,
man habe ben S)ompräbenbar Schmitt geftem Slbenb tobt
auf ber ©trage gefunben. SBie ber ©Iii eine (Siehe, fo
plö^lich hatte ber £ob ben großen, ftarfen SUcann nieber*
geworfen. Slucf) benSBifdjof ergriff biefer$ingang mächtig.
$eute ift auch er tobt unb fein Liener, ber gute ftonrab.
2BaS ich in jenen £agen für ein©chriftfteUer gewefen,
baS beweift ein Dütum beS eben genannten Repetitors.
9Bir hatten einft, ich weifc nicht mehr über waS für ein
theologif djeS tyma, einen 9luffa$ &u fertigen unb (Schmitt
ihn in fritijiren. 9US er nun an ben meinigen f am, fprach
er: ,$>iefer $luffat$ ift bem Inhalte nach einer ber beften,
aber ber Sßerfaffer hat einen fchlechten ©tgl, ja er fann
manchmal nicht einmal orthographifd) fehteiben/ 91m ®nbe
feiner afabemifchen Saufbahn noch nicht orthographifch
f einreiben fönnen, wittbenn boch nicht wenig befagen! Mein
in ber SBolfSfchuIe hatte ich nicht gelernt unb, als ich
ins Jfyceum tarn, bie Rlaffen fynttx mir, in benen Ortho*
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grapfjte bojirt wirb, unb fo fcf)Ieppte idj meine ortljogra<
pf)ifd)en ©cfynüjer ober wenigftenS D^efte berfelben bis in
ben brüten tl)eologtfd)en RurS unb nod) weiter.
Unb erft metn©tgl! 2Benn je einmal emSBlauftrumpf
etwas Vernünftiges gefaßt $at, fo war eS bie ftrau oon
©taet mit tyrem gebügelten SBorte: „Le style c'est
rhomme" — unb wenn bteS je jutraf, trifft eS bei mir gu.
3$ bin tu meinem ganzen Söefen fyaftig, flüchtig unb
o^ne beffere formen, unb fo aud) mein ©S !ann
aber jemanb ein ganj eleganter 9ftenfd) fein unb einen
ebenfo eleganten ©tyl führen, unb bo$ fommt man weber
au§ bem 9ftann nod) auS feiner (Schreiberei, wfttyrenb td)
oielfad) nur ju offen unb $u etyrlidj beute unb fdjreibe.
Die ©auptfadje an einem ©d^rif tftetter ijt, bafj man iljn oer»
fielet unb weif}, was ber Sttann f agen miß. Sftidj unb meinen
©tql oerfte&en aber bie Seutejmetft nur 311 gut, ja fte lefen
nodj me&r auS meinen SBüdjern IjerauS, als barin fte^t
GS ift etwaS ©cfcöneS um einen flaffifdjen ©tql, adein,
„wenn'S nic^t im $olj liegt, gibt'S feine pfeifen", unb
fo wenig man aus mir einen ^offaoalier, wie er fein
foU, machen Wnnte, ebenfowemg wirb es mir gelingen,
formell f$ön ju föreiben.
3)en ©djlufc beS ftonotftSlebenS btlbet ber „Concur-
sus pro 8eminario u , b. i eine <$efamtntprüfung aus öden
t^eologifcben Disziplinen, ©te wirb jebem &onoift§*
Geologen leicht, ber bereits bie einzelnen ©emeftraU
Prüfungen gut beftanben f>at (SS fällt befftalb $öd)ft
feiten einer in biefem fird<djen „Staatsexamen* burdj,
baS ju meiner Qzit ber milbe ©eneraloifar SBudjegger
leitete, gfro^en ©erjenS oerliej td) Anfang 9luguft 1862
baS ftomritt, um im üRooember ^inaufjugie^en auf ben
Sc^roarjioalb, ins ^riefterfeminar für bie Dütyefe ftreiburg.
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©3 gibt in ber fatljoliföen ©f)riften|eit jebenfaUS
nidf)t wele ©eltpriefterfemtnarten, bic für t^ren 3mecf fo
geeignet fhtb wie ba$ greiburger. ©ine ftattlidje e^e»
malige SBeuebfttinerabtei auf einfamer SBergeSfjöfye be$
©djwarawalbeg bient ben ftanbtbaten be& SßriefteramteS
im legten Qaljre tyter SBorberettung als Aufenthalt
„<5t $eter* ift ihr 9tome, ©erjoge von ^Öhringen waren
ihre ©rünber unb Patrone, unb ihr lefcter 2lbt ein fftnatg*
t^äler, Sgnaj ©pecfle von ©aufad).
Qn ben erften -iftooembertagen be3 3 a ^ le§ 1862 8°Q
eine lange Sftethe von SDrofdtfen burd) ba3 ©chwabenthor
in Jretburg unb burch bie ßarthäuferftra&e an ber fcrri*
fam hinauf bem ©chroaramalb gu. $)ie äBagen waren aUc
bi$t befeljt mit jugendlichen, fchroarjen ©efialten, bie
Reiter unb luftig in ben füllen ©pätherbftmorgen hinein*
fuhren. ©3 ftnb bie angehenben 48 ©eminariften unb
unter ihnen meine lange SBenigtett
Qm $orfe ©bnet ^ält ein ober ber anbere SBagen
nochmals an, weil manche einen „Erunt" thun wollen,
eingeben!, bafi broben auf ber $öhe bem ©eminariften
feine 2Birtl)gi)äufer mehr blühen. Sticht gar weit ober*
halb be3 genannten StörfdjenS lenten bie ©in* unb Qwei*
fpänner in ein Seitental ein, ba$ btrett nach ®t $cter
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htnaufjteht (Sitte aerfaHene Statute, einfl Sifc be8 mäch*
tigen $tynafiengefd)Iechte3 berer von „©chneroelin*, grüßt
oon bunflem äBalbfaum fcetab bie anfahrenben Stlofter*
nooijen.
Qn fmfterer Schlucht, am ^uge be§ ^loflerbergeS,
liegt ba8 triftefte aller ©chraarjmalbbörfer, ©fchbach.
©ier wirb ausfliegen, bie ftretburget SMfdjer werben
begabt, unb $u 3=uß °i e ©emtnartften ihrem 3^
entgegen, {teil bergan.
Sftein ^Begleiter auf biefer SBanberung, ich erinnere
mich noch gar wohl, mar mein S?iu£genoffe 93ogt, ein
alter Qefuitenjögling. @r hatte biefen Drben nach manchem
barin ©erlebten :gahre oerlaffen, nm SBeltpriefter jn
werben, unb befaß, ma§ bie Qefutten, &u ihrem großen
2ob fet'3 gefagt, am ungeformteften 2ftenfchen gumege
bringen, einen gemiffen „Schliff* ht $orm unb SHebenS*
art. 2Beil er jeben oon un3 nach Qefuitenart mit
„ßarifftme" (^^euerfter) anrebete, befam er biefeS SBort
als „Uebername". 3flit biefem ,<Sarifftme" ging ich ben
SBerg hinauf. @r tonnte aber nicht fünf Minuten mit
einem von uns reben, ohne baß er ihm irgenb einen
„(SafuS" (ftafl) aus ber üfltoral jur ©ntfcheibung aufgab,
eine ©eroohnheit, bie er von ben^fefuiten mitgebracht haben
mochte.
3$ machte mir im ftonmft unb namentlich im Semi*
nar oft einen unterhaltenbenSpaß barauS, unferm ©arifftme,
ber fünft gerne mit mir oertehrte, bie unfhmigften ^(xüz"
$ur Söfung oorjulegen, bie er mit allem ®mft aufnahm,
tagelang befchäftigte et ftch mit ber Söfung, unb
er bann bamit in meine 3efle im Seminar trat unb ich
ihm fattrifch trocfen erllärte, folch ein Unjtnn fäme eigent*
lieh 9<rc nicht oor unb ich Ijätte fyw nur feine üble ®e*
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— 284 —
wohnheit entleiben motten, bo würbe gtounb Sariffhne
teufelSwilb unb eilte in tieffter (Smtrüfhmg von bannen,
um anbem £agS wieber &u fommen unb fid) abermals
einen Sfloralbären aufbinben §u laffen.
2öenn ich bis fjeute fein ftreunb ber äafuiften in
ber 9floral bin, fo ift ein gut ©tücf oon biefer ©egner*
fdjaft auf Rechnung unfereS „©arifftate" gu feijen, ber
heute als Pfarrer einer (leinen ©chwargwalbgemeinbe
f ungtrt, wo er fidler wenig Gelegenheit pr „ftafuifttf " hat.
@r mar übrigens ber befte unb freunblidjfie 9flenfch
von ber 2Belt, nur burfte man feiner „ftafuifttf" nicht
in meiner 3lrt gu nahe fommen.
Sftit ihm alfo <£afu3 befptechenb unb bef?halb ben
2Beg boppelt lang finbenb, gelangte ich nach 6t Sßeter,
baS man erft gewahr wirb, wenn man oor feinem ©ebäube*
fonglomerat angefommen ift. Qch meine, baS erfte #auS
fei bie ehemalige ftloftermühle. 2Bir trafen oor Stttttag
ein unb würben in bie oerfchtebenen SUtönchSjeHen oer*
thetlt. %\t meinige lag gu ebener <$rbe, beim (Eingang
jum Äloftergarten unb mit 2foSfld)t auf biefen unb bie
riefige ftloftermauer.
211S ich mich nun allein in biefem f leinen ©emach be*
fanb unb mir oorfteUte, wie ich nun faft ein Qah* lang,
abgerieben oon ber SBelt, ^ier leben fodte, ba überfiel
mich ein unfägltcheS §eimweh nach 2B ß ^ unb 9ftenfchen.
Saut aufweinenb unb fdfjluchjenb legte ich mich ÖU f
SBett unb lieg meinem 2Beh ooUen Sauf. 2lm Nachmittag
wieberholte fleh biefer Unfall, unb ich fämpfte lange mit
mir, ob ich nicht gleich wieber ben SBerg hinabgehen unb
bem tßriefterthum ben Diücfen fehren wollte, Qtit im
©tubium h^tte ich * e ' ne Floren, ba ich Philologie auf
ber UnioerfU&t oöllig abfoloirt hatte.
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— 295 —
34 mar au$ imierftct tteberseugungunb unge$roungen*
ftem «Bitten hier heraufgeftfegen. SBoher nun btefe plöfc*
li4e tiefe SBerfttmmung? 34 ^abe fpäter oft barübet
nad)gebad)t unb gefunben, ba£ jene§ ©einen eine &inum&
meiner (Seele war non ben f4weren Prüfungen unb
kämpfen, bie mir feitbem wiberfahren fhtb.
34 h«tt* im Anfang nie gebaut, bafj i4 mt4 fo
lei^t an bie fläfferli4e ©infamfeit gewönnen Wnnte. ©3
ging non 3Bo4e au 2Bo4e beffer, roo^u am meiften ber
Umftanb* beitrug, ba§ i4 nt4t mehr, rote im Äontnft,
gemeinfam mit anbern roo^nen unb fc^lafen muffte. %k
SHu^e unb 9lbgef4iebenheit pafcte für meine elegif4e Statur,
bie fW) im (Seminar $u entroicfeln begann unb bis ^eute
bie ©runbfiünmung meines Qnnern geblieben ift. 3^
mürbe mi$ roohl nie mehr entf4ftefjen fönnen, ins $on*
oift gurücfjufe^ren, m&^renb mi4 bie ©infamfeit von
<St Sßeter |eute tu>4 ansieht.
^ßraf tif4er als im Stonoift, begannen bie ^föjergitien*
nidjt glei4 am erften 5Ibenb, fonbem erft, na4bem bie
9^ooijen ft4 au4 etwa« im #au8 eingewöhnt Ratten.
Sie mürben in ber flehten Capelle gehalten, bie hinter
meiner Qtüt lag unb in ber audj gur SBintetSjeit ber
tägliche JJrühgotteSbienft ftattfanb. 9JUr mar biefer enge
[Raum ber unliebfte im ganzen ftlofter. ßutn SBeten muft
ich allein fein ober in einer 8ir4e, bie £uft, #i4t unb
$la$ hat unb md)t bie 9fabä4ttgen, 3ttatm an 3ttann,
„in bumpfer ©tube* gufammenbr&ngt. SBenn jemanb
unmittelbar neben mir fteht, fann i4 mit SBerftanb meber
lefen, no4 f4*riben, nodj beten. %xum haben in biefem
SBetfaal meber bie erften noch bie folgenben (gjerjitien
großen (ünbruef auf mich gemacht, trofcbem ber ©rerjitien*
meifter, Repetitor Schmitt, (Seift unb 3Rühe nicht foarte.
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®a trat bie groge ftloftertfrche von St. *ßeter, ein
herrliches OotteS- unb BethauS, mit ein wahres ßabfal
für Seib unb (Seele. Söenn wir in ben <£horftüt)len
längft vergangener ÜUtönche ftonben unb in buntler SRac^t
unfer (£ompletorium fangen, ba mürbe ich voll poetifcher
9lnbacht, unb wenn an Sonntagen unten im Schiff bie
ganje Bauerngemehtbe von 6t. *ßeter fniete unb ihre
„offene Schulb* im SBälberbeutfch fprach, ba raupte e3
burdt) bie $irdje unb burch meine Seele mit Stacht.
Qeben Sttorgen naa) ber ^1. SReffe mufjte mätmigltch
auf feiner Seile c * nc „Sftebitation" (Betrachtung) über
irgenb ein religiöfeS $hema anpeilen. 3)en Stoff baju
gab ein Buch ab, in meinem bie Betra<htung3puntte au*
gleich angegeben unb anatyfirt waren, 9ttir mürbe jebe§*
mal orbentlid) nu>hl, wenn ich aus ber bumpfen, engen
ßauSfapeHe ^erauS in meine Qzüt tarn unb allem fein
tonnte mit meinen ©ebanfen. $)ie Betrachtungen matten
mir innere JJreube unb 9tohe, meiere erhöh* mürben burd)
bie tiefe Stille unb bie Ben>egung3lofigteit ring« um mich
herum.
3cf> ^abe feitbem ftet§ an mir bie Beobachtung ge*
macht, ba£ jur innern Betrachtung, mag fte nun Religion
ober Statur betreffen, oorjugöroeife ba§ ^em* unb Unbe*
läftigtfein oon ben 3ftenf<hen gehört. SBenn ich 8- ™
meinem SRcbljäuSchen am Bobenfee faß unb über ben trau-
merifchftiHen See hinfehaute, hinter meinem fuh noch ftitter
unb ruhiger bie Berge erhoben, ober ganj allein in meiner
$>orfftrche fniete, ba rourbe mein unruhiger <$eift innerlich
gefammelt, unb ich erwachte oft nach langen 9lugenblicfen,
als ob ich gefchlafen hätte.
Bortrefflich fagt bteS ein neuerer $t)tf°foph mit bcn
IßDtten: „%\\ ben ächten ^uftanb ber Kontemplation
*
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fönncti uns nur ootlig ruhige ©cgenftänbc oerfc^en. SBetl
flc feine äußere Bewegung fjaben, bringen wir fle fdjon
gar nicht in ein Berhältnijj $ur 3eit ^gleich werben
wir jcitloS, weil bte Bewegung unfereS 2BiUen§ ganj
au§ unferem Beroufjtfein gefchwunben unb wir gan$ im
ruhigen Dbjeft oerfunfen finb. 2Btr leben gleichfam in
ber ©nrigfeit: mir haben burd) fcäufchung ba§ Bewufjt*
fein abfoluter föuhe unb flnb nnnennbat feiig. SBetben
wir in biefer tieften Kontemplation geftört, fo erfüllt
unS bie Bewegung be3 SBillenS wieber: mir treten au§
ber ©roigfeit in bte geit jurfict.*
9Iu§ meinet Betrachtung in ber füllen Älofterjelle
weeften mich jeweils bie #au8glocte, welche meine Äommi*
litonen jur Sftorgenfuppe rief, unb ber Liener ßorenj,
ber atöbalb nach bem ©locfenaeichen ju mir ^ereintrat
nnb mein g-rühftücf braute. 2luch im Seminar gab e§
am SJtorgen nur eine SJlehlfuppe, bie ich gerne gegeffen
hätte, aber nicht ertragen tonnte, wefchalb ich mir wieber
gegen @£traoergütung HJlilc^ feroiren lief, bie mir im
Seminar in bie 3eUe getragen würbe.
kleine erfte „menfdjliche" Unterhaltung pflog ich in
ber SRegel bei biefer ©elegenhett mit bem Servitore Lorenzo.
tiefer, ein Heiner, alter Sftann, gang ber $twu3 eines
SchwarjnKllber Bauern mit über ber Stinte gerabe ge*
fchnittenen paaren, oerbanb mit bebeutenber geijtiger
Billigfett bie auch bem bümmften Schwar$wälber an*
geborene Schlauheit. <$r mar fomit bei aller anfehetnenben
©utmüthigfeit ein Schlaumeier, ben ich Mfo burchfehaut
hatte unb bann mit all' feinen ©igenfehaften theilS im
Spafj theilS hn (fcrnft benütjte. So tarn e£, bafi et balb
lächelnb, balb räfonnirenb oon bannen ging.
@r h^tte auch bog 2lmt eines SBecferS unb ging am
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— « 288 —
frühen Sttotgen nad) bem @locfenjeid>en ©on 2%üt gu
2$üt unb tief bie ©tunbe in bie geEcn. Stamit aber
feinet metjt einfdtfafe, günbete et untet betn latetnifdjen
©rufte „Benedicamus Domino" — jebem bo§ £id)t an.
£)a3 ßic^tanjünben war mit abet fo wtberroattig wie
bet (Me, bet man am £ag eine JJarfel in Ujt $t>urm*
lod) bringt, unb fo »etbot id> tym jeweils, ein ßid)t &u
machen, ba id) eS felbft befotgen wfttbe, wenn td) auf*
ftfinbe. $aS war abet eine Stollifton feinet Sßfttdjten,
bie et fonft ftrenge erfüllte. 2Bit Ratten bejjfjalb meift
f#on $i3put not bem fttüliftürf, unb gtollenb unb mut*
melnb trippelte et meinem 2Rad)bat 31t.
SReifter fiotenj §atte mele Qa^te als $aufitet mit
listen in ©nglanb jugebtad)t unb fldj bott ein ©tüd
©elb erworben, mit bem et bie 2Öalbf)ütte, in meldet et
geboten war, faufte unb, weil lebig, mit atmen 23er*
wanbten befe^te. ®a3 n>aten unfete friebüdrfien ©tunben,
wenn bet alte Sorenj von ©nglanb obet feinet #eimatl}
mit tvfilßt unb bann ben böfen ©eift in mit sut 9fail)e
brachte.
%xo$ meinet vielen Sfccf eteien unb ©treitereien befajj
idj bod) beS alten £orenj ganzes $et&, was et mit in
guten ©tunben oft geftanb, unb mit fd)teben in fd)önftet
Harmonie , als \ti) baS (Seminar verlieft, ©r ift fett
Sagten in bie ewige $ehnatlj abgereift.
93alb nad) bem gti^ftücf begannen bie SBotlefungen
beS SHegens unb bet Repetitoren unb nahmen in bet Regel
ben gangen SBotmittag in $lnfprud). ttnfet Segens ($>i*
teftot), eitift ein ftufjetft lebhafter unb entagittet ©tubent,
wat ba$ 9Bol)lwotten unb bie fttömmigfett felbft, »on
allen Sehern unb SBorgefetjten, bie tdj in meinet ©tubten*
^eit gehabt, gang entf Rieben bet ftömrnfte. 5lßein bet*
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artige Statuten eignen ftd) nidjt leicht ju einem #ommanbo,
unb fo ftunb aud) unfer 9tegeng ni<$t am regten $la£.
<£r füllte eg audj, bajj et §um Regieren nid)t Diel tauge,
unb überlief* befjfyalb ba§ Regiment getroft ben anbem*
Siegeng Senber war in biefer 58ejiel>ung baS gerabe
©egentljeil von feinem Detter, bem S)efan unb Steide
boten ftranj Xaoer Senber von ©aSbadj. SDer ift ein
gebotener „Sftegeng" unb Ijat nur ben S^ler, bajj er $u
oiel leiten unb regieren miß unb fo fein SRegententalent
jerfptittert
©ntfpredjenb feiner ftrflmmigfeit gab Siegend Senber
un5 SBorlefungen über Stöcetif, bie mir gum langmetligjten
gehörten, mag i<$ big baljin an Seiten oernommen f>atte.
3<f) oertrieb mir biefe Sangemeile baburd), baft id) regel*
mäfjig hinter bem dürfen mehteg SBorbermanneg lateimfct)e
ober griedjtfdje Literatur ftobirte, mag ber gute SSorlefer
botf) enblidj merfte unb in allem SBoljlmoHen unterfagte,
nriemofjl oergeblid).
fjaft sroanaig 3M re fp&ter begegnete td> einmal in
Äonftanj bem greifen SHegeng, unb feine erfte Siebe mar:
„®g ift f$on lange Ijer, bafj @i* m&^renb meiner 93or«
lefungen über Slgcetif Literatur ftobtrten.* Qd) freute
mid) über bag merfmürbige ©ebäditnif} beg fonft feineg*
roegg mein; geiftig friföen 9ttanneg.
3$ umjj mid) unb mein SBerfjalten ber djriftltdjen
3lgcetit gegenüber bod) etwas entfd)ulbigen, ba geroiffe
fromme Seute jur Meinung tommen tönnten, unfereiner
müffe fdpn im Seminar ein falber ftefcer gemefen fein,
unb eg ^i beftalb fein SBunber, bajj i$ foäter nod> in
oielen fingen anberer &nfid}t mürbe al§ frömmere ßeute
meineg ©tanbeg.
SJteine 2lnjid)t über $gcefe ift bie folgenbe: ©g gibt
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— 290 —
für ben 2Jlenfchen ni^tö artigere« als biefc Siblin,
meldte abfolut nichts anbere* ift als baS, waS einer ber
gräßten philofoptjif chen Genfer beS 19. ga^r^unbertS „bie
Verneinung beS SBillenS jwn geben" genannt $>ie
emsig wahrhaft glücfltchen SJtenfchen fhtb, nicht bloß nach
ber getjre beS ©hriftenthumS, fonbern auch nach ben SReful*
taten nemünftiger WWwfa M* SlSceten. Unb eS ift
ein gewaltige« 3eugniß für bie SEBa^r^cit ber christlichen
Sttoral, baß bie ^fjtlofop&ie in ihren betrfenbften Ver*
tretern fie oottauf beft&tigt. „9lu3 ber Verneinung be§
2BillenS jum geben fließen alle Xugenben, welche bie
chriftliche «ttScefe uns empfiehlt, unb je mehr ber 3Renf^
fid) non ber äBelt, ihren ©enüffen unb ©ütern emanjipirt,
im gleiten 9ttaße wächft feine innere ftutje unb feine
©eligfeit hiemeben fchon" — fagt Schopenhauer.
„5)er, in welchem bie Verneinung beS 3öiHeit§ #tm
geben aufgegangen, ift, fo arm, freubloS unb noll <5nt*
behrungen fein .gujtanb, von außen gefehen, auch ift, noll
innerer ftreubigfeit unb wahrer £ünmelSruhe. ©S ift
nicht ber unruhige gebenSbrang, bie jubelnbe ftreube,
welche heftig getben &ur vorhergegangenen ober nach«
folgenben Vebingung h«t, wie fte ben SBanbet beS lebenS*
luftigen SKenfchen ausmachen; fonbem eS ift unerfchütter«
lieber triebe, eine tiefe 9tut)e ««b innige $etter!ett, ein
«Buftanb, ju bem wir nicht ohne bie größte ©ehnfucht
bliefen tonnen .... jener g^iebe, ber höher ift als alle
Vernunft, jene gängliche 3Jlcerc§ftiHc beS ©emüthS, jene
unerfchütterlicheSttoerficht, beren bloßer TOglanj im Statlifc
wie it)n SKafael unb ©orreggio bargefteUt fyAtix, ein
gan&eS, flchereS ©oangelium ift." — @o fchreibt ber gleiche
$t)i(ofoph.
Starum waren jene ©eiligen bie größten unb glücf*
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lidjften, welche fidt) gänzlich von ber ^elt jurüctjogen,
unb baljttt gehören in erfter SRettje bic „Väter ber 3B&üfte\
liefet jjBlärater SBillenSfraft fyit mir von allen menfdj*
liegen Atjaien atn metjten soewunoerung aogejröungen.
Unb gcrabc bic ^pefflmiftif^c^ SBeltanfchauung beS
^^ttftent^umS / bie befonberS in ben SBorten be§ göttlichen
$etlanb$ liegt: „3Ber fein geben liebt bet wirb eS oer*
lieren, unb »et eS h&ftt> bet wirb eS gewinnen* — bie
hat in ben erften btei ^rijrnitoten ber ßehre Qefu
©hrifH bie metflen unb gröfften Vefenner augeführt
$te 9Renfchhett war uon ßioilifatüm, Äultur unb
SBeltgenufj unb bem bantit oerbunbenen <$lenb überfatt
unb erfannte all' bereu ßeere unb (Shrbärmlichfeit.
halb xoax ihr ba§ ^hripenthum mit „feiner Verneinung
beS SMenS jum geben* ein wahres ßabfal 3lber gerabe
auS biefem ©runbe wirb baS Khttftenthum, abgefehen
oon feiner göttlichen Stiftung , in ber 2ftenfchheU nicht
untergehen, weil eS allein uon allen Religionen ben innerften
33ebürfniffen beS gequälten 3Jknfct)en %n £ilfe tommt burch
„baS ftreu$" unb bie SlScefe.
Slber, unb hierin foll bie ©ntfchulbigung liegen für
mein Verhalten ben aScettfchen Vorlefungen gegenüber,
„bte Verneinung beS £BiHen3 jum fieben*, b. h* bie 9l3cefe,
tann man feinen SRenfchen lehren in ber Qeit, ba er mit
feinem garten SBiHen baS geben bejaht, voü irbifcher
Sbeale in feine 3ufunft Wicft unb, um gewöhnlich S«
reben, ben $hmnel unb bie <&rbe polier Vajjgeigen*
fleht. %a werben ihm jene Sehren ebenfowenig einleuchten
als bem armen ©ogialbemofraten, bem ich »orreben will,
er möge fleh boeh nicht nach Kapitalien feines JJabrif*
herrn fehnen; benn er fei, auch wenn er beffen ©elbfacf
beftfce, boch nicht glürflid).
19*
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$)ie beften Sßorlefungen über $3cefe gibt bembenfcn*
ben 3ftenfcf)en mit bcr Qext baS geben von felbfi ©3
fdjreibt tfpn bie ganje (Srb&rmlidjfeit unb baS gan^e ©lenb
bicfet SBelt unter Stornier unb «Itfc in bie ©eele hinein
unb mad)t ifjn entroeber ju einem guten ©Triften ober
roenigftenS $u einem vernünftigen Sßefftmtften.
Qn meinen 2lugen ift bal)er 9l§ccfc nur fieben unb ntdjt
2Biffenfcf)aft. ©ie mufj gelebt unb geübt aber ntefjt ftfjroars
auf tvetfi mebergefdjrieben unb memorirt werben; be&tyalb
warb mir bie SlScettf unfereS braven IRegenS fo aumiber.
£)ie gmeite sßerfdnlidjfeit, bem Spange nad), bilbete
ber ©ubregenS änittel, bem Siegen« an attenfdjenfreunb*
Udjfeit unb ütnerfter Seelenruhe nalje ftefyenb, aber roie
biefer gum $errf^en nid^t geboren. 3lud) fein £itel ©ub*
regenS mar ein lucus a non lucendo. <£r gab uns fo
trocfen, wie er f elber mar, ben fogenannten „(Neunter*
ric^t" unb leitete unfere ©inÜbung in ben SKituS. $>iefe
(entere gfunttion machte i^n mir gum liebjten unb unter*
ijaltenbften Setyrer im Seminar. Qu ber „SRituSfapeHe"
9Jkffe lefen, taufen unb ad' bie frönen Zeremonien ber
fat^olif^en ftird)e bei 9lu3fpenbung ber ©aframente tennen
ju lernen, baran hatte id) eine Knblidje 3=reube. 3ttand)*
mal ging td) allein mit meinem alten ©c^ulfreunbe ftarl
SBuntofer, ber ein feiner ftitualift mar, in bie ftapeUe
unb mad)te mit ihm ade bem $riefter für feine gunftionen
nötigen Hebungen burd) — oom „föofyamt" bis jur $auf e
beS t)ölgernen&inbe3, baS als Lehrmaterial vorhanbenroar.
$>er ©ubregenS paftfe fonft vortrefflich als SftituS*
inftruftor; benn er celebrirte fchön unb fang noch fchöner,
fo bafc er in biefer $mfid)t mit gutem SBetfpiel voranging.
$>er eigentliche^ geiftige Segens im ©emmar mar ber
fchon genannte Repetitor ©chmitt, ein junger ^riefter,
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— 293 —
ber an Xalent unb Sßiffen bie erfte ©teile einnahm, unb
welchen feine &wei befcheibenen SBorm&nner gerne als
Spiritus Kector juließen.
Stttt biefem £errn, ben id) übrigen« fpäter als ebenfo
betreiben wie liebenSmürbtg f ernten lernte, fam ich am
wenigften auS. Ott führte mir fein [Regiment ju fleinlich
unb $u poltjeibienermäfjtg. ©eine ©emohntjeit, AbenbS
an ben Sfjüren gu Hopfen, wo er noch Steht fat), unb ben
3eUettbewohner &um Settgehen au mahnen, machte mir
biefen $erm förmlich t>erhct6t, unb wir taufd)ten btS=
weilen ziemlich heftige Lebensarten gegen einanber auS.
©eine SBorlefungen über Dogmatil gefielen mir bamalS
gar wot)l/ wären mir heute aber nicht mehr genugenb.
<£>er inerte unb Iefcte unferer SBorcjefe^ten gehörte
ber Filiale unferer ftiöjefe, bem preufcifchen Sftnbchen
©o^ensoUem an. Repetitor Sflaier, ein ganj jugenb*
lieber, freunblicher £err, laS über üftloral nach ben fehr
prattifchen „£eften" beS ehemaligen LegenS Äöfjing. ©r
verwaltete zugleich baS Amt beS SBibltothefarS unb be*
forgte un8 auf antiquartfehem SO&ege ade möglichen theo*
logifdjen $ücher. Qum SBudjhanbel war ber SJtann wie
gefdjaffen unb baS Antiquariat feine Sßaffton. ©an$e
2Bagenlabungen alter SBÜcher ließ er ben SBerg herauf*
führen, unb ich bin feft überzeugt, baß er w&h?cnb feines
Aufenthaltes in @t. Sßeter mehr SBüdtjer abgefegt fyd, als
in feiner ganzen heimathlichen Sßrootnä ©ohenjoUem cor*
hanben ftnb.
Auch mit biefem fonft fo gefälligen Repetitor ftunb
ich nicht auf bem beften 3Mk £>er ©runb baoon lag in
meinem ftarfen „JJretheitSgefühl". 2ßaS mir baS ©emtnar*
leben allein öfters entleibete, mar ber SJtangel an hin*
rei^enber Bewegung im freien, bie ftlaufur. Oh«* menfeh*
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ticken Umgang tonn td> leitet leben, unb je etnfatner bie
®egenb, um fo lieber ift fle mir, allein „etngcfperrt" fein
unb md)t frei toanbeln tonnen in fjclb unb fflux, ba3
roiberfle^t meiner ©eele über alle Mafien. Unb roaS i$
an ber ©eminarerjiel)ttttg in 6t $eter auszufeilen l>abe,
betrifft ooraugftoeife biefen einen $unft
(jemals befanb ftcf) ba§ ^ßriefterfeminar ber ^töjefe
in SReerSburg am SBobenfee unb fpäter in ffreiburg, alfo
mitten ht ber 2Belt unb unter ben 3Renfd)en, mo eine
gennffe SHaufur geroig gu billigen ift 2lber
©emmar, wie ba3 ju ®t $eter, auf einer (Sinöbe be3
©dnoarawalbeS liegt, wo !aum jebe $albe ©tunbe eine
2Bauernl)ütte fidjtbar wirb, ba formte man ben ftanbibaten
für ba3 2Beltpriefiert!)um tagtäglid) freien SBanbel laffen
in SBerg unb SBalb. ©tatt beffen mürben mir wödjentlidj
jroeimal getnemfäaftltd) fpajieren geführt wie bie Un*
münbigen unb (Säuglinge in einer Äletnfmberbemaljr*
anftalt SBar aber au einem ber 3luSgef)tage SKegemoetter,
fo fiel e$ unferem SRegenS unb feinen ©efäfjrten nidjt ein,
an einem anbern £ag uns an bie fiuft ju laffen. Dem
leiteten 2Rifcftanb f)alf id), nad) mausern Auftritt mit
ben SBorgefefcten, menigftenS für bie ©eminariften oon
1862/63, ab.
Slußerbem, unb bieg braute nu$ in Differenzen mit
bem flehten [Repetitor au§ ©igmaringen, ber uns meift
auf ben Spaziergängen begleitete, behüte man unfere ©j*
furfe mögltdjffc menig au& Der Heine 9Rann mar fein
JJreunb tum grüneren fcouren unb führte uns, menn immer
tyunlid), im ftanon einer orbentlidjen ©dnfemeibe fjerum.
3$ ft"8 ^ m befftalb öfters aufs Limmer beföroerte
mid). 3 e fürger bie Spaziergänge ausfielen, um fo langer
warb mein ftoxn über unfere ®pajier*2linme.
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— 295 —
Qdj form e£ mit abfoluter ©ic^et^cit oorauSfagen,
ba§ id) im ftitdjenregiment unfcrer Sttöjefe nie ein 9fott
befteiben werbe. äBerat bieS aber ber g^U wäre, fo würbe
idj nor allem baffir plaibireu, bafc bie <St. getaner mefjr
an bie Suft fömen; bann würben unfere ÜReupriefter nidjt
bleief), wie (Sebetne au3 ber ©anbwfifte, oom Serge ^erab*
tonnten, nnb mancher, auf ffcengen Soften ©erfefct, nid)t
fo fd)neK ba^mmetfen.
2Bie oft Ijab' id> oon irgenb einem g-enfter be$ ^weiten
@todwer!e$ au3 meine Slicte fe$nfüd)tig $htau§ gerietet
nadj SÖerg unb 9Balb unb bie ^Bauern beneibet, bie oon
®t. Margen fjer bergab wanberten ober auf ityren %d*
bem arbeiteten, beneibet um ber ^reifjeit willen! $a
felbft ba8 SBaffer be§ ßlofterbrunnenS, ba§ oor unferem
©petfefaal plätföerte, Ijab' t$ manchmal mit «Reib be*
trachtet unb feinen luftigen 9ßeg bur<$ SBiefe unb fjlur
im (Seifte oerfolgt unb e$ iljm mif$götmt, bafj e3 nad)
turpem Sauf burdj unfere Älaufur wieber forteilen burfte,
IjinauS in ©otte§ freie Statur,
3$ Wnnte uudj tyeute no<$ unfd&wer entfd)ttefjen, in
wüber ©inöbe als freier (ginftebler au leben, aber Älofter*
äwang wäre mir eine furchtbare Saft SWur ber fdjöne
Orben ber Äartfyäufer mit feinem ootten (Snnjelleben ober
ber bettelnbe ftapusiner f önnten mir'S, wenn 9fa>tl) an ben
2Jlann fäme, antljun.
2Bir Ratten jwar einen grofjen ftloftergarten jur be*
liebigen Senkung in fottegfreien ©tunben, allein ben
umjog eine fo langweilige fttefenmauer, bat i$ mid) fo
tfjm nur erging wie in einem notlpoenbigen Uebel.
£)b meines oielfd^en 9t&fomtiren§ wegen mangel*
§after ^Bewegung im freien war td& balb beim ganzen
Kollegium unferer SBorgefetjten mißliebig geworben, $)a$u
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fast nocf> meine übrige Unbotmäfjigfcü, bie fld> ist einem
fjalle befonberS ellatant ernrieS. 34 ßtt * m SBinter
1862 faft beftänbig an 3af)nmel) infolge einer ^iftel. 9ttS
mein Seiben anfing fe^r fd&mer^aft ju werben, oerlangte
icb nach bem nftcbfien beften 9lrat.
9hm fafc braufjen not bem SUofter bet S)ottor 33laS,
feit Qatyren ijier oben nnter ben 2Balbbauern tljätig. 2lb«
eS ging i^m mie mit f elber, et mar bei ber ©emincr*
geiftlidjteit nidf>t beliebt, meil er, abermals wie unfer*
einer, triebt fdjroetgen tonnte unb btSroeilen me^r rebete,
als gut befunben mürbe. 3Jlan rief ifjn bejftalb nur in
ben atterbringenbjten gellen su #tlf e unb Ijatte als eigent*
liefen ©eminararjt ben $f)qfituS o. SBänfer in Jreiburg
befteUt, ber aucfc ungerufen oon 3*tt ju 3ett law, um ft$
nad) bem ©efunbfjeitS$uftonb ber fianbibaten ju ertunbigeu.
3$ f)atte nun feine fiuft, in meinen 6d}mer&en su
marten, bis ber ^gftfuS gefommen mdre, unb oerlangte
ben 5)ottor SBlaS. SJtetfter Soreu& meigerte fic^ auS i^m
root)lbefannten ©rünben, ben Mißliebigen ju rufen, morauf
tri) tfjm ooU Qom unb (Energie fagte, # er möge bem
SHegenS melben, wenn in einer (Stunbe ber ©etreffenbe
nid)t gerufen fei, mürbe i$ fofort baS Seminar oerlaffen,
mid) braufcen im SBtrtySljauS nieberlaffen bis jur ©enefuug
unb bann auf üfttmmerroieberfelpn ben $erg !)inabfteigen\
©djeu, als ob i$ im ^Begriff ft&nbe, ein SBerbredjen
in oerüben, eilte mein ©^marjm&lber oon bannen, unb
nad) einer falben ©tunbe trat ber 9lrjt in meine Qtüt.
©S Ratten ftd) jmei gerne „räfonmrenbe" ©eelen gefun*
ben, unb ber $>oftor unb id) maren balb ,gut 3*eunb*.
Qx befugte mid) oon jefct an nad^ belieben, unb mand&e
©tunbe $at ber gefdjetbte, mit wibrigen ©djicffalen aller Slrt
lämpf enbe SKann, ber $eute, 1902, noc§ lebt, mir oerWrjt,
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— 297 —
Qu ber (Sinfamfeit beS ftlojtetlebenS tommt man auf
allerlei S)tnge, bie einem im SÖßeltleben fünft nidjt mehr
begegnen mürben. ©o tarn auch mir in ber SDßinterSjett,
ba ich eine« fcageS an meinem ftenfter fhtnb unb in ben
oben, fehneebebecften ©arten hinau§fcf)aute, bie(£rinnermtö
an baS 9Jleifenfangen ber Änabenjeit Der ©ebanfe würbe
alsbalb §ur 3$at $d) machte mir einen SRetfenfchlag,
fing eine Sfteife unb fefcte fte anrifchen genfler unb 93or*
fenfter meiner 3elle.
S)aS muntere $t)terd)en ^at mir ben ganzen langen
SBinter über manch' Reitern 2lugenbli<f oerfchafft unb be*
fam bafür hn grü^a^r feine Freiheit, bie eS in ber
crften 3^ banfbar in meiner 9cat)e oerbrachte.
©onft hatte ich wenig Unterhaltung ber Potior unb
mein $ogel waren bie ^auptrepräfentanten berfelben. 3n
ben freien ©tunben, welche meine Kommilitonen in ber
SRauchhütte im ©arten ober auf ber äegelbahn oerbrachten/
lag ich meinen pljtlologifdjen ©tubien ob; benn ich hatte
bem SDireftor &übel oerforochen, gleite) nach SBeenbigung
be§ 6eminar3 baS (Staatsexamen machen gu wollen.
2tm ©onntag unb einmal in ber SBoche gab eS jur
iRetreation eine f^lafct)e SBier auf eigene Äoften. Sieferant
iDar ein 93ierwirtl) brausen vor bem ßlofter, welker an
Sonntagen ben ^Bauern nach bem Kirchgang aufwartete;
ber betreffenbe ©erfienfaft aber war ein ©etr&nt, baS eher
einer Sttigtur für einen SBierfüfeler gleichtat) als einem
Bier. Unb bo$ warb'S oertilgt, als wär'S SRettar!
2öie oft hatte ich meine trübe ftlafche «t einer
ftenftemifche beS luntern flloftergangeS bei ber 93ibliotIjef
fielen, ging ftubirenb auf unb ab unb tranf oon ßeit ju
geit oom „Strunf ber Sabe"!
2äglich wanbelte ich auf biefem büftem ©ang einfam
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— 293 —
unb aHein Ijin unb Ijer, an ben Silbern vergangener
klebte be£ ftlofterS worüber, §orag, XacituS, (Stcero, £fjufg*
bibeS ober ©opIjotleS lefenb. Unb wenn bann bisweilen
ber 9tegen3 ober ein Repetitor meine $aße burd&treugte,
flauten fte mit mijjtrauifd&en SBlicfen ben ©etbenjfingling
an. Unb flc motten nid)t unrecht t^un; benn in ein
$riefterfemhtar pafjte mein (Stubinm allerbingS nicf)t.
3)odf) vertiefte idfc mid& gar oft, mitten au£ meinen flaf*
fifc^en ©tubien §erau3, inS tieffte (£l)riftentf)um.
SBon meinem ©ang au§ führte eine f (eine fcreppe anf
bie ©rnpore ber Älofterfitc^e, unb baf)in begab id& mid)
oft, um eine Slnbetung be3 aUertyetligften ©atramenteS
vorzunehmen. S)ie tiefe 6tiHe in bem weiten, mengen»
leeren ©Ottenaus mutete midf) jeweils ungemein an,
unb e$ gehören jene 2lugenblicfe gu ben friebli^ften
meinet unruhigen SebenS.
$>urd> mein unfhmigeS ©tubiren, von bem id^ mir
feiten eine ($rf)olung gönnte, mürbe mein ÜRervenfvftem
fo aufgeregt, baf tdfj am Slbenb feinen ©djlaf pnben
tonnte unb mtd& in ber gleichen Sage befanb wie vor
Sauren in ftaftatt, ba $abaf unb Zigarren bie gleite
Sßirfung hervorgebracht Ratten, iöergebttd^ verfd&rteb mir
ber Stator f leine S)ofen von Dptum, ftatt mir ba3 ©tubiren
ju verbieten, unb bie gange ©emmargeit Innburcf) blieb
biefer elenbe «ßuftanb, bem id) fp&ter allein burdf) ©enufj
von SBter entgegenwirken tonnte.
S)a3 hat man von biefer verffodf)ten Sötffenfdfjaft, bafj
fte einen ph#fch tutmrt, gegen ba3 ©lenb biefer SBelt
aber nidf)t8 unb für bie ©wtgfett gar m$t£ nü^t. Qch
habe vor (urgent bie ©dfjrift eines englifd&en ©piritiften
gelefen, bem ein „@etft ©amuel" folgenbeg h^ft 93er*
nüuftige geoffenbart hat: ,3)a3, wag wir moberoe Stlbung
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- 299 —
nennen unb wo$ ben ©tolj von Millionen au8mad)t, tft
im allgemeinen bie unglücflidtfte 9lrt von SBorbereitung
für baS fünfttge Seben, unb wir fönnen uns in jeber
©inftc^t füglidj ba3 33ebauern über bie fogenannten un*
cbilifirten SBölfer burc^auS erfparen. $te gan&e heutige
^agb na$ S&iffenföaft, nad> ©lücfögütern unb nad& einer
(Stellung im fojialen Seben, ba§ egoiftifdje ©trebertfjum
unb bie ljunbertfältige Sprung, meiere ben Hüntel unb
ben 2Baf|n groffeteljen von ber <Sd)ule bis $um ©rabe —
furj ba§ ganje mobeme SBeltleben ift genau baS ©egen»
tf)eil von bem, wa3 bie ©eifterwelt bereinjt von un§ t>er*
langen wirb/
grüljja^r 1863 fam ber greife ©rjbifdjof v. SBicari
ben SBerg herauf, um un3 bie $)ia!onat8wet&e ju erteilen.
2Bir alle Ratten uns ben gangen SBinter über barnad)
gefeint; benn mit ber Uebema^me biefer 2Beü>e burften
mir in ber ßirdje ben dauern von ©t. *ßeter prebigen
unb im „Slmt" an ©omt* unb Feiertagen bem celebrirenben
^ßriefter biafontren.
©3 famen jeweils jwet an bie Steide sunt prebigen,
ber eine in ber ^rü^meffe &ur „©omilie" unb ber anbere
im #auptgotte8btenft sur „Sßrebtgt". amd& traf am 2)ret*
falttgfettSfonntag bie ftrü&rebe, weldje id> eipltd) unb
rebltd) au3 be£ alten ©irfdjerS „^Betrachtungen" ab*
getrieben Ijatte. Iftad) ber ftritymeffe famen einige $ol*
legen unb baten mid), iljnen bod& meinen (Sermon &um
9lbfd)reiben ju geben, ba er fo fd^ön gewefen fei.
wies fte aber alle auf meine Quelle l)in, in bereu Seftij
fie meift f$on waren.
©in$elne mürben barob irre an mir unb meinten,
von mir hätten fie erwartet, bajj idj meine erfte *ßrebtgt
felbft fertigen unb m\$ fäffmen würbe, budjftäblidj ab*
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— 300 —
auftreiben. 3$ ianttie tön <5$amgefüf>l barübet, weil
«h i^be gute ^rebigt, bamalS fd&on, für ein ©emeingut
ber tatholifchen Stirpe hielt, ßetber werben aber berarttge
©emeingüter immer feltener, unb fo h<*be t«h eS fchon
längft ©erlernt, *ßrebigten abzutreiben, bie ber $>ructer*
fc^roärje nicht werth jhtb.
2lm meiften an ^Belehrung unb Unterhaltung sugletc^
profttirten bie dauern von ©t. *ßeter, ba fie von Dftern
bis &um 2foguft jeben ©onn* unb fteiertag |wei anbere,
mögltchft gut oorbereitete *ßrebiger Nörten. %o$ tarnen
bie guten Seute bisweilen auch in Verlegenheit, wenn jle
fo einen armen ftanbtbaten auf ber ftanjel fahen, ber
gitternb unb bleich mit Slngjt unb ©ebächtnijjfdiwäche p
tämpfen hatte. —
©S fam ber Sommer, unb ber erft fleibet bie #öhen
beS ©chwarjmalbeS in baS ©rün beS ftrühlingS. 2lber
je bunter bie statten mürben unb je frtfeher bie Zäunen*
loälber, um fo mehr wuchs meine ©efntfucht nach ber
freien üRatur. Söenn In* unb ba ein größerer 3luSflug
genehmigt mürbe, fo freute ich wich rote ein ftinb, baS
man nach langer Äranff)eit jum erften SJtal mieber aus
ber bumpfen ©tube in bie roarme (Sonne hinausführt
3tuf ben ßinbenberg, an ben gaU beS gmeribacheS ober
an bie ©renken beS ©lotterthaleS gingen in ber Siegel
biefe weiteren (Spaziergänge, oon benen ich jeweils nur
ungern in bie falten, feuchten Stlofterräume aurüeffehrte.
©ine ber glänaenbjten ©riunerungen an bie ©eminar*
jeit ift mir baS $eter* unb *ßaulsfeft geblieben, «on
allen bergen unb SBälbera h**ab unb tief h**auf von ben
Zhälem gogen ba bie Sanbleute unferem Softer ju. S n
prächtigem ©onnenfehein warb im Angefleht beS gelb*
bergS eine ^rojeffton gehalten, geh fyabt in mtintm
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— 301 —
ßeoen nie wteber fo Diele fromme, von gläubiger JJreube
ftraljlenbe 9Renfd)en gefefjen, wie auf ber einfamen ©ö^e
von ©t $eter an jenem £age. 3$ glaube, wenn id) ein
großer 3Raler wäre unb müßte bie JJreuben ber ©eligfeit
menfdjlid) barftetlen, icb würbe meinen ©toff au§ ber
Erinnerung an jenen ^efttag ber ©djmarjwälber nehmen.
%fc Sage ber ^riefterwetye unb ber nädjflen Sßor*
Bereitung barauf tarnen immer nä^er. 3$ fann bie @e=
fütjlc, toelct)e ben jungen Geologen in biefer ßeit erfüllen,
nid)t anberS bejeidmen benn genau als btefelben, oon
benen boJ ®rftfomtnunion*Äinb befeelt ift. SRir wenig*
ftenS ging e§ fo. Unb wie in jenen ftinbeStagen ba£,
was mit ber ©vftfommunion oerbunben war, bie neuen
Kleiber, ber ©etbenfmt, bie ©djulentlaffung, mtd) m'ele
SBodjen oorfcer beföäftigten unb erfreuten, gerabe fo bei
oer ^prteiterweitye.
%it „$rimisbilber*, bie „erfte fettige 3Heffe", bie oer*
fdjtebenen $u erwartenben ©efdjenfe an priefterltcfjen ©e<
roäubem, baS <£nbe be§ $?lofterleben£ — baS atte§ &og
wie ©onnenfdjem burd) meine wieber burd)au§ finblid)
geworbene ©eele. Sage unb ©tunben würben gejault
wie e^ebem t>or bem weißen ©onntag, unb Briefe nad)
allen Stiftungen geff rieben, oott be3 jufünftigen ©lücfeS.
•Blutter unb Großmutter ließen e$ fid^ nidjt nehmen, bie
Steife nad) ©t. $eter ju machen, obwohl bie leitete eine
©iebenjigerin war. ©ie wohnten ber ^ßriefterwei^e an,
aber fpred>en burfte id) fie an biefem Sage «ift Söit
trafen un3 erft am anbem Sttorgen, an bem id) frei
würbe, in Jyreiburg.
SBte unenbltd) feiig unb t>oU oon Hoffnungen unb
Qjbealen oerließ tdj ba§ ©eminar unb eilte ben 93erg hin-
unter, aö ging'S bem $immel ju au3 bem JJegfeuer!
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— 802
©erabe rote in ber ftmbeSjett! 9JHt welker £erjcn§*
frif$e uttb welkem Qubel ©erläßt bie aBeifjen*©ottntag§*
Qugenb ©djule unb Ätnbheit unb hüpft mit offenen
Firmen ber 2Belt &u, um nadj wenigen Sagten, enttfiuf 4 t,
alT ihre ©itterfeiten unb Mmpfe ju erfahren, ©o ift
bie «Bett! äöunberbar fd&ön fagt ein perftfeher Achter:
3ft einer SÖelt iöefift für bia) gemmnen,
©et niä)t im Sctb barübet, eS ifl niö)t3;
Unb §afi bu einer 2ßelt 53eftfc gewonnen,
©ei niäjt erfreut barü&er, eS ift niä)td.
Vorüber ge$'n bie @d)merjeu unb bie SBonnen,
©ey an ber SBelt oorüber, fte ifl md&tS.
3<f) war fo »ott freubiger ©efüf)le, bafj t<h |eute
m$t meljr n>et£, roie unb auf welchem SBege ich oon JJrei*
bürg mit SKutter unb ©rofjmutter heimtam ins ftinaigthal.
2lm folgenben ©onntag, ben 9. Sluguft, fottte ich meine
erfte heilige 9tteffe in ber ^farrtirche &u ©aSlach feiern.
2öenn tdf> je roieber auf bie Söelt tarne unb jum *ßriefter*
thum, fo mürbe tet) ganj gemifj nie mehr meine „*ßrimia*
öffentlich unb in ber ©eimath abhalten. $)enn eine foldje
geier ift mit fo oielen Heufjerlicftfeiten oerbunben, bafj
ein Junger Sttenfch am Sag felbft nicht met)r weii wo
tr)m ber äopf fteht 2Kan ift ein wahres ©djlachtopfer
ber fjreube feiner SBerwanbten unb be3 eigenen $ocf)gefüf)l§
feiner neuen Söürbe. äßenn ich an jene Xage jurüefbenfe,
fo filmte ic^ «n beften, wie Imblich unb tfnbifch eigentlich
noch ein Sflenfch oon 25 fahren ift, felbft wenn er jwölf
Qa^re ftubirt f)at.
Unb wenn tdj mir bie oerfdfjiebenen (Scenen oor unb
am $age ber ^ßtimtj ootfteHe, fo jueft e§ buref) meine
fchwacheu Heroen, als fürchteten fte fleh, nochmals folche
Hufregungen mitmachen ju muffen.
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- 303 —
2hn 2l6enb meiner #cimfunft erfchien Sambert, bet
©einrieb, mit bet $a§lachet (Stabtmufi? unb Braute bem
ÜReuptiefter ein ©tänbdjen. tiefer geigte fleh auf bet
fteinemen ©augtreppe unb ^ielt feine erfte „©tanbrebe",
©on beten Inhalt bet alte Pfarrer abet heute feine ©übe
meht metjj. ÜRut fo mel Hingt nod) in meinet ©eele
roiebet, baß bet blaffe, lange SReupriejter fdjrecflid) ge*
tü^tt mar r>on biefet ©ulbigung feinet „lieben 2ftttbürger\
£eute mürbe ich bie JJlucht ergreifen, wenn ich eine
foldje Dtmtion entgegennehmen müjjte.
Qd) fann übrigens nut banfbat bet Dielen 5ln*
fttengungen gebenfen, meld)e bie guten $a§lad)et bamalg
matten, um meinen fjejlttag mögliche glänjenb &u ge»
ftalten. Qerfelbe war ftit ba§ ©täbtdjen, mag bie SJlenfchen*
menge betrifft, ein boppeltet unb btetfachet ^aljttnarft.
@g hatte fchon faft btetjjtg 3fohte lang feine „^runia"
mehr hiet ftattgefunben, unb beim Sanbaol! beg ftin^
thaleg gilt nod) bet alte ©prud}: „Um $u einet etften
heiligen SUlcffe gu fommen, foQ man ein Sßaar ©chuh*
fohlen burchlaufen", baher bie grojje SBolfgmenge.
Untet biefet befanben ftch natürlich alle jungen unb
alten Bauersleute, bie feit ben Sagen meinet Sttnbhett
im österlichen $aufe ©infeht gehalten, unb bie heute
alle mit bie $anb fchütteln wollten. S)aS SBatetfjauS
tonnte bie (Säfte ntd)t alle aufnehmen, unb noch &u>ei
SRadjbarhfiufer routben mit folgen gefußt
3$ tarn ^albtobt aug bet $trcf)e, roo mein alter
Stefan mit afftftirt unb mein greunb, äooperator ftätdjer
aus ftretburg, jefct ©tabtpfarrer in ©nbingen, geptebigt
hatte, 3$ lag einige ©tunben auf bem gimmet meines
JJteunbeg, beg ftoftotg, untet feinet Obhut unb Pflege,
big eS mit möglich mar, an bem fteftmahl theilgunehmen,
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- 804 —
beffen <S^reng&fte bie f#mtrttU$en Sflttglieber „ber $olg*
i)9tmtia" bilbetett. Samberg ber ©chmteb, ober muftyrte
mit feiner Capelle bis in bie fflafy hinein.
mar ein frönet Sag, aber mitmachen möchte ich
ihn, mit fchon gefaßt, nicht mehr. $a fyibm jene meiner
SNitbriiber, bie in ber ©title wm @t. $eter ihre erfte
heilige 9fleffe feierten, Diel vernünftiger gehanbelt. S)och,
e3 mufj auch öffentliche $rhni$en geben nm beS 9Bolfe§
roillen, ba§ mit 9ted)t im ÜReupriefier ein Qbeal fteht, unb
barum forgt ber liebe ©ott bafür, baß e$ auch Sfteu*
priefter gibt, welche öffentlich »rimiairen. —
S)ie folgenben Sage, ba ich bie ®apeHen meiner
ätnbheit bei ber 9Mf)le broben unb am ftlofterbach als
^ßriefter befugte, mürben mir weit lieblicher in ber Shat
unb in ber (Erinnerung. 2foch eine ^ßrebigt hi*tt ich
einmal in ber 93aterftabt — unb bann teerte ich mieber
nach üfteiBian surfief; benn eine neue ©orge Befchftftigte
jefet soUauf ben SReupriefter: ba3 Staatsexamen*
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^ireftor Vilbel hatte mid) eingelaben, als fein ©aft
nad) gaetburg &u fornmen, mit bort, ber oerfd&iebenen
Hilfsmittel falber, midf> auf baS im ©pätljerbfl ftatt*
ftnbenbe pl)UologifdE}e ©samen enbgiltig t>or$ubereiten. ©S
gehören bie SBodjen, weld&e id& oon jefct ab bis jum
ftejember im ßonoift subrac^te, mit ju bett angeneljmjien
©rinnerungen meines ganzen SebenS.
©eroöljnlidj ift bie nädjfte unb le$te SBorbereitung
auf baS Staatsexamen bie unbehagliche unb müheootlfte
3eit ün Dafein beS ©tubenten; allein mir mürbe fte in
bem Dörfer fo uerhafjten ftonmtt überaus leicht unb Reiter.
Qd& l*Wt jetjt nidf>t mehr als bem geift*
ticken $aufe, fonbero als JJreifjerr. Sötern Quartier hatte
id) im „©aftaimmer* beS $)treftorS aufgetragen, unb roeil
in ben erften SQBodjen noch feine Geologen ba roaren, ber
Serien wegen, fo warb td& in ben ©fingen unb im ©arten
von niemanb gcftört bei meinem ©tubium. SHefem würbe
jebod^ in ber Sftegel nur ber borgen geweift unb einige
3lbenbftunben oor bem ÜWadfjteffen. Slm !Wacf)mittag fchlofj
ich mich balb biefem, balb jenem ftooperator ober SBene*
pciat beS SKünfterS an unb machte mit ihnen Ausflüge
in bie nädhfte Umgebung ber ©tobt
$efonberS vielen Umgang unb 2fo8gang aber pflegte
idf> mit meinem ehemaligen Slepetitor beS ^weiten ßurfeS,
$ a n 6 iaf o 5 , Gtubienseit. 20
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— 306 —
(3f)rat, ben ich, al£ er mein S8orgefe|ter mar, nicht be*
fonberS äftimirte, jefct aber balb als einen feingeiftigen
3Hann fd)ät>en lernte. 2Bir burchftretften meithra an Stach*
mittagen bie Dörfer um gretburg. Süt^ in feine ©eimath,
SDBalterS^ofen, manberten mir eines % ageS, unb ich erinnere
mia) lebhaft ber^reube, meiere feine SBermanbteu, barunter
bex SBater, Ratten, als mir in ba£ Heine ^Bauernhaus ein«
traten. 2Btr befugten auch ben Pfarrer beS DrtS, einen
fteinalten Sttann, ber ehebem im Äinjtgthale, in $aufach,
paftortrt hatte. 6r erjäf)lte mir manches über bie geimati)
auS Stiitn, ba ich noch nicht unter ben Sebenben mar,
unb ich flaute an bem greifen ^rieftet hinauf mie an einem
Propheten.
ffof bem SRücfmeg gingen mir in ber 9töhe eines
SBalbeS üorüber unb Ratten uor uuS bteSBerge bes ©chmara*
walbeS; ba erfaßte mich eine namenlofe Melancholie, bie
mich fortan lange geit nicht met/r ©erließ. 6ie entfprang
offenbar meinen bur$ bie Qa^r unb $ag htnburch rul)e<
loS fortgefefcte, geiftige X^tigteit nerftimmten Heroen,
unb ©erg unb SBalb Ratten am ftillen Slbenb biefe 9fliß*
ffomnung in mir plflftlich wachgerufen.
2Bie ein JJunfe lange unter ber Slfdje glimmt, MS ber
2Bmbhauch l ommt, melcher ihn sunt flammen bringt, f o ging
eS mir auf bem 2Bege von 2BalterSr)of*tt ftretburg. Unb
merfnmrbiger 2Beife lehrte bie gleiche Stimmung jeben Slbenb
um biefelbe £eit roieber, mie ein lieber. Qfch bin mir jenes
BnfaUeS noch fo fehr bemußt, baß ich auch noch Ö^nau
meiß, mie mir an jenem 2lbenb in einem WtöxfytyauZ in
Umürch einen ^Bürger au§ Jretburg trafen, ber unS einlub,
mit ihm in bie 6tabt aurüefaufahreu, unb mie ich ftumm
unb ftitt im SBagen fortbrütete an meiner SMancholie.
S)iefe3 trübfelige Sßeroenfptel konnte mir aber jene
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fcfjönen 2age int ftonotft ttut für ein ober bie anbete
©tunbe verbittern, bie übrigen ©tunben netliefen um fo
heiterer, namentlich auch diejenigen, welche auf bie Slbenb*
trübung folgten.
3?ad) bem üftachteffen famen regelmäßig einzelne geift*
liehe unb weltliche Herren inS ftomnft, unt mit und ihr
93ier ju trinfen unb fich $u unterhalten. $)iefe ©tunben
waren mir noch angenehmer aB bie auswärts verbrämten.
3$ lernte ba manch* geiftreidjen ober liebenSroürbigen
SJlann fennen, wie g. SB. ben SBautath 93aber, ben Stom*
fapitular SBetcfum, ben ebenfo finbüch frommen als ebrift*
lieh tyüum bamaligen S)ompräbenbar Soulanger. 9luch
^ßrofeffor Sltyog fam pwetlen, ebenfo ber unoerwüfiltche,
berbgeiftigelRegiftrator Nägele. Serbin aUbiefen Männern,
foraie bem $)irettor unb ben Sftepetitoren jener $age
SU %ant verpflichtet, theüS wegen ber ^Belehrung, bie ich
au§ ihren ©efprächen fchöpfte, thetls wegen ber großen
SJreunblidhteit, mit ber fie mir jungem SJlenfehen entgegen«
tarnen, ben fie gan$ „al pari" behanbelten.
$ie fomifche Seite ber Unterhaltung fiel meift mir
unb bem Repetitor (Sfycat $u, bie mir beibe ben emftcn
Dr. SBraun, meinen ßiebling auS ber 3ett beS erften
Wurfes, oft in bie bijarrften Aufregungen verfemten, inbem
mir bem leichtgläubigen, fern ber äöelt ftehenben Sftanne
bie biefften SBären aufbanben.
§ie unb ba brachte ich auch einen &benb in ber mufi*
falifchen f^crmilie (Schweiber $u. £iet oerfammelte fleh um
ben belannten $)ontf apeUmeifter unb Äomponiften <3 ehweifcer
unb um feine muflfaltfchen SBrüber bie jüngere Älerifei,
laufcfjte ben ^onjerten ber SBtrtuofen unb tranf Söier baju.
SJletn £Raftatter &immtttoVit%i SBecfert, als ftooperator am
Sttünfter, mar jeweils auch babei, unb wir beibe würben
20*
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— 308 —
hier manchmal nach alter SHaftattex Slrt luftig. Stoib
nachhw gehörte er &u ben lobten.
(Sinmal machte ich mit bem S)omfapttular SBetdfum
einen 9lu8flug nach ber 9tuine Simburg am Sttfjein. S)te
8atf)olif en JJreiburgg Ratten bamalS bie eigene Qbee, bem
Kronprinzen von Defterreidf) biefe serfallene SBurg, auf ber
s Jtubolf t>on £ab§burg ba§ Sicht ber 2Belt erblicft haben
foU, jum ©efd&enfe faufen. ©chon $u jener Qeit wollte
mir ber ©ebanfe nicht einleuchten, einem ^ürftenfohn ein
*ßräfent ju machen , unb ich (tritt mit bem patriotifchen
Domherrn lange über biefe ^perlo^alitöt unb meinte,
wenn bie heutigen Habsburger ftd) nichts tümmerten um
ihre (Stammburg, fo hätten mir anbere Sterbliche noclj
oiel weniger ©runb, bem reiben £aufe Defterretch bamit
ein „S)ouceur" $u thun.
3$ weif* nicht, ob je ein $ring biefer Stynafiie auf
ben Ruinen ber Himburg geftanben ift; wenn e3 aber ber
JJaU märe, fo müfjten bie jefcigen SWachfommen SftubolfS
oon $ab§burg bie poeftelofefien 3Jlenf^en ber SBelt fein,
wenn fle nicht empfunben hätten, bafc ihr 5l^ne auf einem
herrlichen @tücf ©rbe &ur SDSelt fam. Qch glaube aber,
e3 war noch feiner bort, fonft hätten fie bie Burgruine
gewiß gef auft. $eute würben pdf) (aum mehr fold)e greunbe
Defterreicp in JJreiburg finben, wie efjebem, ba ich mit
bem Vertreter jener Patrioten hiuauSfuhr an ben IH^ein.
60 feilte ic% meine 3"* Bwif<h*tt ©tubium unb
Unterhaltung. $)ie ledere aber nahm bisweilen ben
Sbwenantheil be§ $age§ in Slnfpruch, fo bafj ber
3)irettor manchmal Sebenfen äußerte, ob ich im Gramen
auch beftehen würbe. @S fam infolge batwn ju einer
SBette jwifchen un§ beiben, wonach ber Sttreftor sehn
glafd)en Champagner sahlen foUte, wenn ich burch*
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— 309 —
fäme; wenn mdjt, wäre baS Sehlen an bem %\xxty
gefallenen.
3$ tierlieg midf) auf mein glücflid^eS ©ebädljtnifi, baS
mir möglich machte, in einem falben Sag fo mel in ben
ßopf ju bringen als man# anberer in einem gangen.
2öä§rcnb meines oormittägigen ©tubtumS rourbe aUeS SJtög*
lid)e in bunter SHifd&ung burdEjgegangen, faft j[ebe Ijalbe
©tunbe ein anberer ©egenftanb. $>a medEifelten lateinifdje
unb grted&ifdfje ©rammattt, ©opljofleS, ©oraa, fcljufybtbeS,
©urtpibeS, ßicero, römifd&e Stteratur unb griedf>ifd)e Sinti*
quitäten^^ilofop^ieunb^ebräifc^mit einanber wie harten
im ©pieL Unb am -iftadpmttag mürben ade aus bem
®opf gef plagen unb -ftatur unb 9ftcnfcf)en ftubirt
Qdf) bin bis auf ben heutigen Sag in meinen geifttgen
Arbeiten ein merfroürbiger „SBedjfelbalg" geblieben. S8tS
$eute neunte idf) faft jebe Ijalbe ©tunbe ein anbereS 23ud)
in bie §anb, unb es tji mir unmöglich, einen gangen Sag
mit einem©d()riftftetler ober einem gu befymbelnben©egen*
ftanb mtdf) ju befcfjäftigen. SBenn idf) ©enufj unb üftutjen
oon ber ßeltüre tyaben foH, fo mu& td) meinem ©eijte
mögtidtft mannigfaltige Silber unb ©ebanfen oorfü^ren.
©o j. $8. liegen jur ©tunbe, ba td& biefe Sßorte nieber*
f treibe, auf meinem ©cfjreibtiföe folgenbe SBüdf>er, mit
benen tdf) mtd) jur «3ett beföäftige, auf gef dalagen: 9luguft
Nicolas' „$)te Jungfrau 3ttaria", ©ülbenfiubbeS „*ßoftttoe
^Pueumatologie", ©d&openfjauerS „^arerga unb Sßaraltpo*
mena*, SBaumannS „Quellen jur ©efdfjid&te beS SBauem*
friegeS" unb ©IjafefpeareS „Othello". 9?ad& einer biefer
©Triften mirb na<$ jeber SBiertelftunbe beS ©Treibens
gegriffen; fie fommen tägltcty alle an bie Sfteilje, unb am
Slbenb auf meinen einfamen ©pagierroegen laffe i<$ mir bann
bie auS tfyten genommenen ©ebanfen burety benftopf geljen.
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(Sngentltdj l)&tte id> biefeS eben gemalte ©efianbmfj
iridjt macfjen f ollen; benn jefct Ijabe idj meinen fielen
„ftteunben" miebet einen ©djlüffel in bie £anb gegeben
jur (Stfltötung meiner „ftonfufionen" unb meinet unbe*
tedjtigten <£igentl)ümltd^eiten unb SBetfdjtobenljetten.
3$ betraute eben bie Seftüte be$ EageS als eine
geifttge Söla^ljeit; bei einet guten Wtaty&it abet muß 3lb*
med)§lung fein. SBenn man unS an einet „Table d'hote"
obet bei einem fütftltc^en „$)inet" nut einetlei ftletfd)
brächte , wenn aud} jebeSmal in anbetet 9Crt bet 3ube*
tettung, fo würben mit ein foldjeS 3Rafjl mebet genug«
teidj nod) fein nennen. Sleljnlid) gef)t eg, mit menigftenS,
bei ben „tointzS", roeldje id) meinem ©eifte ootfefce. %m
ganzen Sag ©Ijafefpeate obet 91icola§ obet <5d)openl)auet
roäte mit ein getjtigeS „toujours perdrix".
$>af$ biefe 9ltt bet Settüte feine unnatütlidje ift, geljt
fdjon batauS tyetoot, bafj bie 9flenfd)en, menn fle fid^
gegenfeitig münbltd) untetljalten, auety nid>t bei einem
©egenftanb flehen bleiben, fonbetn bie oetfdjiebenften
$)inge mit bet 3 Utt 8* beatbetten, menn bie ftonoetfation
nid)t langmeilig roetben folL
Unb mag bie 2ltt beS eigentlid&en StubitenS betrifft,
fo ift biefe eben inbiotbuell, unb muß jebet am beften
roiffen unb füllen, mie et'3 anjugefjen Ijat, um etroaS in
feinen Äopf p btingen. —
@§ lebte bamalS in JJtetbutg nod) ein SJttttanbibat
bet $l)ilologte, ein Saie 9tomen§ SBiedjele, bet ebenfalls
gum (Staatsexamen gefjen wollte. @t tarn öftetS ju mit,
unb mit ejaminitten unS gegenfeitig, mobei e£ ftdj jebeS*
mal ^etauSpellte, bafj bet flehte -ättann, ben td) um mel)t
al§ eine ©He übettagte, beffet „befdjlagen" roat benn td).
Sfamtentltd) oetfhmb et fldj ttefflid) auf bie ©opI)of le§'fd)en
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Vetren, bie mir wie alles, maS Qa\)l unb $ftf>t)tf)muS tjeifjt,
nic^t in ben &opf wollten, trotjbem ber kleine ftd) alle
Sftülje gab. @r fam auc§ im (Spanten um groci sßlätje oor
mtd), wie e$ red&t unb billig war. £eute foE er ein gar
guter ©omnafialbireftor fein. 6eit jenen ©tunben im
$onoift unb im (ganten fyab' u§itynnic$tnrieber gefprocfyen,
boc§ In'elt un§ einft baS gleiche ©cfd^tcf enge t>erbunben.
SJlittc Dftober rücften bie jungen Geologen roteber
im Sfcmoift ein unb bannten miti) unb mein ©tubium in
beS $)ireftot§ ©aftatmmer, weil fle jefct meine feitfjerigen
©tubienplfifce in &auS unb ©arten offuptrten. 9lber mein
fonftigeS SBo^Ibe^agen fteigerte fidf) täglich bei iljrem 9ln*
blicf. 2Benn id) fo oben „am #errentifdfj" fafc unb §inab*
flaute auf bie effenbe ©d&aar ber ftonoiftoren ober am
frühen SJlorgeu in meinem &ette liegen fonnte, mäljrenb
bie toten bur$ bie bunfeln ©finge ber ftirdjje peilten,
ba fam mir jeweils ber ©ebanfe: „D feiig, o feiig, fein
^onoiftsftubent mefjr ju fein! 4 *
Söcüjrenb meines bieSmaligen Aufenthaltes tm&omrift
prebtgte idO aud§ einmal im fünfter, leoitirte bei £ocf>*
ämtem in ber ÄonoiftStird&e unb beforgte öfters ben
©otteSbienft im „weisen SHofter", fo ba§ idf) neben meinen
pfjtlologifdjen ©tubien aucJ) mit ben priefterltdfjen gunf*
tionen in Uebung blieb.
©o oergingen mir bie 2Bocf)en bis gum (ganten in
angeneljmfter Sfjätigf eit unb mrtft ungetrübter §etterfcit.
Unb wenn id) meine Stimmung unb SBeltanfd&auung aus
jenen JEagen, wo mir biefeS (Srbenleben gauberljaft fcfcön
erfdfjten, oergletdje mit meiner heutigen Anfdjauung unb
©rfatyrung, fo fityle tdfj, weldf)' eine Sftiefenfluft in meinem
Qnnern jwtfdjen beiben liegt, unb wie fe^r id^ mid) ge*
önbert ^abe.
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- 812 -
Unb bo$, fo fefp i$ f>eutjutage bcm $efflmiSmuS
ljulbige, foweit er uom <£f)riftentljum ertaubt ift, mäfjreub
id) bamalS bcr reinfte optimiftif cf)e SBafjgetgemnann gewefen
bin, würbe id) meine heutigen ^Begriffe von 2Belt unb
s JJtenf djen ni$t me&r »ertauben gegen bie bamaligeu,
ebenfomenig als ein 9Kann feinen nüchternen ^nftatib
Eingäbe für ben Taumel eines SBeraufd&ten.
Unb ein baumeln unb weiter nidfjtS ift baS Seben
eines jungen 9flenfd>en, ber bie äöelt nid)t tennt unb
überaß nur ßuft unb ftuvtot fie&t unb Ijoffenb unb
wünfäenb oon einem 2tog in ben anbem fielst SBon ber
Verlobe beS Sebent mag befonberS gelten, waS <5l}ate*
fpeare einmal fagt:
(Sin Statten nur,
2)er manbelt, ift bag Seben, netter ni$td;
©in armer Äomöbiant, ber auf ber 93ü$ne
©in Stünbd^en fteljt unb grofje Sorte maä)t,
2Borauf man weiter md)t3 oon i$m oernimmt.
(Sin Tläxfyen tfi'S, erjäfjlt oon einem ©c^iüadjfopf,
Soll roilben ffiortfdjtoaUS, boa) bebeutunaSleer.
$)a lob' idj) mir bie ftinbeS* unb Änaben^eit, in bcr
man bie SBelt unb iljre fjreuben fud^t in gelb unb 2Balb,
tm ©affenjubel unb SftnbeSlärm, wo ber 9flenfd) nichts
gilt unb nichts weiß unb bod) im (Spiel mit einem Stücf
$ot$ ober einer $anbooK <3anb glücflid&er ift als ber
Jüngling mit afV feinem Sötffen, feinem SEßoUen unb
feiner ßeibenfd^aft! —
21m 17. üftonember foUte baS ©jamen in ÄarlSrutje
beginnen. «ßwei Sage guuor rüdfte id& in ber Sftefibenj ein.
3$ war erft einmal bort geroefen, ba id) 1859 als Stycetft
an einem Sommertag auf einem 93auernwägeld)en oon
fturmerSljeim fjer gum 9Jtüf)lburger fc&or Ijtneinrotlte.
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- 313 -
damals hatte ich mit einem alten Ittaftatter, beut g-ähnbrich
Widert oom Setbregiment, ber f chon längft in ©nglanb als
(Sprachlehrer fein ergiebiges 9luSfommen gefunben h a t
lebtglich fämmtltche renommirten SBierlofale burchsogen
unb mar roieber abgefahren, roie gefommen, über ©rttn*
roinlel unb Durmersheim SKaftatt su.
Den 15. fRooember 1863 aber betrat ich babifdje
©auptjtabt als -Weupriefter unb *ßrofefforat$fanbibat, unb
feierliche wie ber gan$e Sttann, erfchien mir aHeS am
Sanbgraben« SBeniger SBebeutung mochte ber Sßirth jum
„SBeifien ©ftren" bem blaffen, f)a$ucn Jüngling beilegen;
benn er roieS ihm für bie nächften 14 Sage ein tleineS
3immerchen an, in ben $of gehenb unb in unmittelbarer
s Jiad)barfd}aft feiner ftochtanbtbatinnen.
jgch war mel $u emft geftimmt unb $u vertieft in
baS (Jörnen, als bafc ich remonftrirt hätte gegen ben
„ßafig", unb fo blieb ich in ®ebulb all' bie langen dächte
in ber elenben Äabtne; beren 9^uheloftgfeit mir zeitlebens
gebenden nrirb.
SWit mir hatte fleh noch ein smeiter Sleupriefter &um
©ramen gemelbet, Äarl Meiert, hart* Sßrofeffor an
ber Unioerfttät gretburg. 2Btr hatten unS brieflich oer*
abrebet unb trafen am erften 9lbenb in ber SRefiben$ in
meinem „SBSrenjnringer* jufammen, um bie gemeinfamen
Schritte beS tommenben Vortages gu befpredjen.
9lm folgenben 3ttorgen trat mein SMege in eleganter
EuSftattung bei mir an unb begleitete mich gunächft in
bie „Sange ©trage 4 ', wo ich M» $utmacher Sftagel erft
noch einen „ßglinber" leihen mufjte, um hoffähig beim
Dberfchulrath eintreten &u tönnen. Sang wie eine £ele*
gtaphenftange machte mich baS „3lnQftrobr* beS $of*
chapelierS, unb ich weijj »mW, wie oiele SWenfchen mich
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— 314 —
werben aufgelacht fya&en, aB id) in btefem 9lufjug bcm
„äußeren QixM" $uwanberte, um ben ©ttj ber Dberfchul*
beerbe aufoufuchen.
©tnige ©^reibet normen imfere 9lnmelbung in <£m*
pfang nebft 10 ©ulben, bic wir al§ „©ramengebühr* &u
beponiren Ratten. 3$ t" n ^te noch im $)uufeln, woju
ber atme ftanbibat ba§ ©elb jal)len mußte, unb fann mit
nut benfen, baß e$ jut ©eipng unb Beleuchtung währenb
bet ©raminattonSaeit ober füt gebrauchtes Schreibmaterial
©etwenbet würbe.
Schon bie Schreiber muftetten uns &wet Schwarj»
röcfe mit ziemlich ^d^nifc^en ÜUltenen; benn berlei Staubt*
baten waren biefen ^ebetfeelen etwag ganj üfteueS. Seit
naheju breißig fahren hatte fein fatholifcher ©eiftlidjer
beS SanbeS mehr bie philologifche Staatsprüfung gemacht,
unb jefct famen &wei ju einer ,3ett, wo man flc am
wemgften wünfd)te. SBir befanben uns in SBaben ba«
mal3 im ooUen ftaatSfirchltchen Schulftreit.
üftod) fd^nipptfe^er flaute aber ber Dirigent be3 ganzen
©jramenS, Dberfchulrath Deimling, brein, als mit un8
ihm auf feinem Bureau ptäfentitten. ©eine erjte 3* a 9*
auS feinem glatten, biplomattfchen ©eflehte lautete: „2öie
lange ^aben bie Herren Philologie ftubitt?* „2Bir
waren brei Qafyxt al£ ^^ologen auf ber Unioerfitftt unb
trieben bie Philologie nebenher" — entgegnete ich- „3öa§ ?
$ret Qfohre nebenher! Qch ^abe mer 3ahre PhiWoßi*
au3fd)ließlich ftubirt, ehe ich &um ©$amen ging, unb
bamalg mar baS ©ganten weit leichter als heute!* — rief
ber Schulmann.
$eijt fah ich/ baß wir e$ mit feinem JJreunb $u thun
hatten unb eine fcharfe ©egenrebe nicht mehr viel oer*
berben fonnte. bitter humoriftifch lächelnb erwiberte ich:
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— 315 —
„©err Dberfdjultatf}! 2Bir wollen e3 einmal probiren.
{fallen mir burch, bann flnb unfere SRöcfe lang genug,
um bodj eine ©jriftenj ju haben!*
3>er 2Rann mochte nun merfen, baß er ßeute uoll
SHefignation Dor fleh habe, bie ju liegen, aber auch ju
fterben wüßten, unb er entließ un§ far!afttf$ fchmunjelub
mit ben Söorten: „9Hfo, probiren ©te'S!"
3113 mir burch bie „9ltf oben" be§ girfelS von bannen
gingen, fagte ich &u meinem etma§ beprunirten Kollegen:
„Söeun'S auf ben anfommt, flnb mir in fed)§ SBocfjen
irgenbmo Söifare!" <Bo glcidfjgtltig ich auch äußerlich t^at,
fo Ratten boch im Qnnem bie SBorte be§ #errn Steint*
ling allerlei beunruljigcnbe ©ebanfen tu mir erroeeft.
Denn, abgefehen oon ber Blamage eines S)ur<hfaU3, trug
id) in mir ein fold)' ^e^red 93ilb oon meiner ßutunft al§
„^ßrofeffor", baß bte2lu3flcht auf Nichterfüllung biefe§
3>beal§ mir ©^merjen machte. Unb ^eute möchte ich
um alles in ber Sßelt nicht ^rofeffor fein unb mürbe um
feinen *ßrei§ tauften mit bem ©gmnaflumSbirettor in
ber SReftbenj. 2luch imponirt mir fein ©tanb in ber SBelt
heutzutage weniger als ber *ßrofefforenftanb. @o oft ich
einem begegne au8 biefer «ßunft, f° 6 e ^ e3 mir wie bem
$fyarifäer im fcempel, unb ich banfe ©ott, baß ich J*™
<ßrofeffor" bin.
3ßir würben fobann noch bei ben ©jaminatoren oor*
fteUig ober gaben wemgftenS unfere harten in ihren
SBohnungen ab. Die ©£amtnation§fommif jion beftanboor*
&ug3wetfe au3 oier ©elehrten: ben UmoerfttätSprofefforeu
SBaumftarf au§ {Jretburg unb ftaifer au$ ©eibelberg, bem
SgceumSbireftor ^ertlein au§ SBertheim unb bem $ro*
feffor SBaumgarten oom sßolgtedhnifum in ÄarlSruhe.
2Bir trafen nur ben ^rofeffor ftaifer an, welcher im
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„(Srbprinjen" logitte unb un§ fteunbltdjer empfing al§
ber Dberfdmlrath Deimling, fo bafj unferc ©offnung fleh
wteber ju ^cben anfing.
9118 Ort, wo bic ©flacht gefchlagen werben fottte/
war uns ba§ ©tänbeljauS bezeichnet warben, #ter, im
britten ©toefmerfe be§ „tfimibelS", wo gur <8eit ber
ftammerserhanblungen bie (Stenographen ihr ©elrit}el in§
Steine $u fchreiben pflegen, oerfammelten jich am 17. Sfto*
cember 1863 $ehn „miffenfehaftlich gebilbete* ßehramtS*
fanbibaten, ein ftanbibat für 2ttathematif unb Statur*
wiffenfehaften unb ein (itterer, oerheiratheter ©dhullehrer,
welcher für Steatfdjulen fich egaminiren laffen wollte.
Qdj habe jelm Qfahre fpftter ben aufregenbften %t*
batten unb SRebefchlachten im ©tänbehaufe als 2lbgeorb*
neter beigewohnt unb fie felbjt mitgefod)ten, aber ba§
war ein Äinberfpiel gegen bie mer^elm Sage (ganten
im SRonbel.
Qn ber < %%at, ich h a & c tu* Seben fchon oieleS mit«
gemacht, aber folch' etwas 9lnftrengenbe8 nicht wie jenes
Staatsexamen in Karlsruhe. 5)a3 ©ebiet ber allgemeinen
afabemifchen unb flafftfchen SBilbung umfaßt ja eine Un*
fumme oon (S^riftfteHern unb S)i8jiplinen, unb ba eben
biefeS ©ebiet baS SBerufSfelb be§ wiffenfehaftüd) gebilbeten
SehrerS ausmacht, fo ergibt fuh auch b* c Tragweite, gu
welcher eine fold)e Prüfung auSgebelmt werben fann.
Dft änderte ich währenb berfelben, bafj, wenn ich
burchfiele, man midj nie mehr bei einer philologifc^en
Prüfung in Karlsruhe fehen würbe, nur — abgefehen
oon aßen anberen ©rünben — ber ©eifteStortur wegen,
bie bamit oerbunben war. 3$ btrowlS lieber noch
zehnmal fämmttiche theologifchen Prüfungen beftanben als
nur noch einmal bie philologifdje.
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— 817 -
£eute ift'3 weit leichter, ^rofeffor werben; jefct
gibt e3 ber Sßartialejamen nur $u oiele, unb wir befommen
immer mehr halb* unb brittelSgebilbete ße^rer. —
SBenn ich surüefbenfe an baS, mag bie «Philologen
alles lernen unb wiffen mfiffen, fo mufj tch nur fiaunen,
warum trofcbem biefe ßeute attermeift in ^o^em ©rabe
ungenießbare 9Jtenfchen ftob. Unter ben «Profefforen ber
3flittelfd)ulen trifft man fo wenig geistreiche unb augleid)
umgängliche Banner, baß man oerfud&t ift, ju glauben,
baß fie oom ©eifte ber flaffiföen SBtlbung nur wenig in
fW& aufgenommen ^aben, mäfjrenb bie ftorm be3 Sllten
bie Seute oerfnöchert hat.
®er eine ift ein fd&recfttd> fteifer ^ebant, ber anbere
theatralifdh wie ein ©djaufpieler auf ben Brettern unb
ber britte flaffffch grob. ßtebenSmfirbige unb sugleich
feingeiftige Philologen fmb mir im Seben noch weniger
begegnet als befcheibene «Preußen.
©8 ftnb beßhalb g c ^ rcr ber HofW^en »Übung, weldje
Den ©chülern Siebe jum (Stubium unb ben ©eifl ber
alten ©chriftfteUer beizubringen wiffen, fajt fo feiten wie
weiße Stäben.
3ef)n Sage Dauerte Die fd&riftUd&e Prüfung au3 allen
fächern ber allgemeinen SBiffenfcfjaften. (Sie gingen mir
alle gut oon ber fteber, bie Ueberfefcungen aus allen be*
fanntern Älafftfern, bie ^tagen auB ber ©rammatif, &i*
teratur, ben Antiquitäten, ber ^itofop^ie^ ©efcljichte unb
bie lateimfdjen unb grtechifchen ©tgle. «Rur in SJlathe*
matü, ©eometrie unb f^fft geigte ich meine alte ©d&wädje,
machte aber fttrjen ^rojeß.
Sieben mir faß ber äanbtbat für 2flathematif, 2Mler
aus fjreiburg, unb tonnte nicht begreifen, wie ich
leisten %xa$tn nicht gu löfen oermochte, ©r gab fld^ im
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(Reimen alle SDMtye, mit Reifen. 34 machte,
rafd) entfcJjloffen, hinter jebe ber mer fragen eine -Wutt
unb gab ben Sogen Rapier beni eben mad&efjattenben
Dberfd&ulratI) Jrtcf mit ben SBorten: „$8on ben ©adjen
oerftelje td) nidjtS V ©rftaunt flaute midf) ber ehemalige
SUtatljemattt* unb $^fUprofeffot aus feiner großen dritte
an unb lieg midj t opffd&üttelnb von bannen sieben ; benn
eS mar Slbenb unb mit an ben legten fragen beS kagcS.
$)afj id& megen meiner Untenntntfj in biefen fünften
nid&t burc^fatten mürbe, mar mir !(ar.
3Jlein Söemujjtfcin, alle anberen, mistigeren Arbeiten
richtig gemalt $u l)aben, gab mir jefct fd(jon aiemlidj bie
93erul)tgttng , bafc idf) reüfflren mürbe. SlufS münblid&e
©ramen mar'S mir nid&t me^r bange; benn einem orbent*
liefen £aSlac!)er f)at eS nodj nie an ber 3 un Ö e ßefe^lt,
audf) menn er etmaS nur Ijalb gemußt l)ätte.
Seim münblid&en ©tarnen [a|en fämmtlidfje ©gamma*
toten unb ©jaminanben mit bem birigirenben Dberfdjul*
ratl) Deimling um einen runben Sifd^ Ijerum, bie erfteren'
füfjl bis anS $erj l)inan, bie letzteren mef)r ober meniger
oon fiebern ermärmt. 9ln mer Vormittagen, vier $Wac§s
mittagen unb trier Slbenben mürben nun bie Delinquenten
beutftfjer 2Biffenfd^aft ausgefragt.
SBaumftarf, ber nadj Qa^ren jutn erften 9M mieber
als ©ramtnator beigeben morben mar, jetgte fldf) aud>
im ©ramen als ber tüchtige, gefunbe ^ßfnlologe, mie icf)
ifjn feit ^aljren ^nnte. ©r fteUte in feinem „SfteDier"
burcf)auS praftifdfje, miffenSroert^e fragen. 2tel|nlid} vtx*
fu^r ©ertlein. Sßrofeffor ßaifer aber, ber feine £etbel*
berger Qvfyikuc auf allerlei pf)ilologtfdfje ftineffen ein*
gepauft fjatte, moHte biefelben auc§ oon unS greiburgero
roiffen, unb fo tarn eS, bafc i$ bei ifjm in ben grteduf<f>en
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Antiquitäten burdjfiel. der ^fctfyer $l>ilologe fragte midfj
u. a., „mie bie ©dfjnatte geheißen habe, meldte bie JJrau be3
2lrdf)on SBajUeuS in Sitten an ben <sd)uf)ett getragen".
SBaumftarf bezeichnete mir müfytx megen biefer grage ben
s J$rofeffor Äaifer als „einen etngeräudfjerten Sßebanten". Qn
ber römtfd)en ßüeraturgef d)idf)te hätte mir ber gleiche Sßro*
feffor gerne ein ähnliches €>dt)tcffat bereitet; er wollte
mich nicht loSlaffen, bis er einen fäwadfjen $unft ge*
fnnben hätte. ©S mißlang ihm.
Unfer SSaumftart mar in ben Streifen feiner Äottegen
nicht fefjr beliebt, unb mir fchien eS, als wollte ber #eibel*
berger nnr um beS SefjrerS mitten bie Schüler „fuchfen".
Stoumftarf glaubte bieS auch, me^alb er siemlich auf*
gebracht mar, mie obige Xitulatur bemeift.
©onft ging aud) münblich alles gut, unb ich mar
am @nbe ber merjehn Sage feft überzeugt, nicht unter
bie durchgefallenen &u gehören. —
Sene ©gamenStage ftnb mir unoergeßlich, nicht bloß
megen ber geiftigen $ageSarbett, fonbem auch megen ber
auf fie folgenben SWächte. SQßenn ich baran surüctbenfe,
fo muß ich mich orbentlich beftunen, ob ich berfelbe SJlenfch
bin, ber jene ÜWächte fleh gefallen ließ; benn ^eu^utage
mürbe ich nicht &met ©tunben lang foldje dinge hin*
nehmen, ohne bie gluckt $u ergreifen.
SBie fchon bemerft, ^atte ber SBirth jum metßen
SBären mich in baS Departement feiner $od)mäbd)en ein*
logirt, unb ich mich gebulbig, mie nur ein Äanbibat fein
!ann, gefügt. SBenn ich aber am 9lbenb mein forgen*
oolleS #aupt unb meine aufgeregten SWeroen $ur 9fathe
legen mollte, ba tarnen bie Sfymphen aus ber ftüche unb
fingen noch an, ftunbenlang ju fiesem unb ju f Jätern
mie mcibltche ftobolbe. Sticht genug! Slud) von unten
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fd>lug ein ftänbtgeS Summen unb Brummen, unheimlich
wie ba8 Tunneln von gehmrichtem, an mein Df)t unb
bauette bi§ 9ftitteroacht
91m erften borgen fragte ich beim grühftücf ben
5Mner nach bem nächtlichen ©etöfe nnter meinem Limmer.
„$a," meinte ber fleine ©chwarsfract feierlich , „ba§ ift
bie BärengefeHfdfjaft. Qn ber oerfammeln ftch am Slbenb
bie SDctnifter, bie £of*, SftegierungS* unb Dberfchulräthe
unb trinfen ihr Bier.* Qeftt fd&wieg ich oerfcljämt; benn
gegen meine eigenen zukünftigen, fjödjften weltlichen Bor*
gefegten wagte ich armer ftanbibat bamalS nicht &u
räfonniren, unb in jenen Sagen war mir ein Sttinifter
eine unberechenbare ©röße.
Q[n ben folgenben dächten aber bachte ich manchmal:
Qe^t plagen bich biefe Dberfdfjulrätfje nicht bloß unter £ag§,
fonbem {töten bir auch noch bie Sftachtruhe. Qch mebitirte
bann auch manche ©tunbe über baS ©lücf eine« Sttenfchen,
ber fein (Staatsexamen gemalt h<*t unb am 2lbenb in
^rieben fein Bier trinfen famu 3lber baß ich auch ein«
mal in btefer Bärengefellfchaft mitmachen unb ein nicht
ungern gefehener ©aft in berfelben fein würbe, baoon
^atte ich feine SUjnung. Qn fo „tyty ©efeEfchaft* je gu
tommen, ^ätte ich in jener Stit nicht einmal $u benfen
gewagt. Unb boch habe ich im folgenben Qatmtfynt,
währenb meines SanbtaglebenS, monatelang jeben Slbenb
„im Bärenzwinger* zugebracht unb bie ItebenSwürbtgften
unb geiffretchften 2ttenfchen fennen gelernt unb e§ beßhalb
ben „Bären" be3 SBinterS 1863 längjt oerztehen, baß fte
mich fo geplagt haben; benn jene ©tunben ber Unruhe
würben mir reichlich vergolten burch mele 3lbenbe be3
©enuffeS ht ben ©intern 1878 unb 1879.
9lur bem ©otelier jum weißen Bären tonnte ich e£
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— 321 —
nie redjt «ergeben, ©o oft tdj w&f)renb ber Sanbtage
ber fieberiger Qa^tc bat Keinen 9Rann mit bem rotfjen
9Birt^fopf fa$, backte idf>: ,$)u caupo malignus ^aft mid)
etnft uietge^n SRädjte gwifdjen lärmenbe 2fthrifter unb
ficfcernbe 8od)jungfem eingepfercht"
SBenn td> midj aber eines ftalleS in meinem Seben
erinnern will, wo tdt) red)t bemütljig nnb befd&etben war,
fo barf tdt) nur baran benten, bafi i$ offne SBiberrebe
unter fotljanen Umftänben in bem elenben gimmerc^en im
meinen Sparen ju StorlSrulje ausgemalten fjabe. —
üytad)bem bie £age ber Prüfung um waren, wanberte
id) abermals junt £utmad)er, holte einen (Sglinber unb
machte mit meinem getftüdfjen Kollegen jum 9lbfd)teb bie
gleiten SBefud&e wie bei ber SÄnfunft. 9Bir trafen ade
©Saminatoren, aber feiner lief* fleh eine ©Übe entlocfen
über ben §lu§gang b«8 (SjramenS; eS war ja $ienft*
geheimnifj. 9tor SBaumftart fagte mir, er freue fidfj, bafj
ein JJreiburger, unb ber fei td), ben beften latetmfdjen
Stgl gemacht habe.
©rft am 21. $)esember oeröffentlichte „ baS SftegierungS*
blatt" baS SRefultat: $rei non und ^ß^ilobgen waren
burchgef allen, unb unter ben neun ©lüdlic^en war idt)
ber oierte.
SBon StorlSruhe weg hatte ich einen turgen SluSflug
nach SBxuchfal unb SRannheim gemalt unb war bann
nach JJretburg unb ins ^onoift surftet gef efjrt. £ier glaubte
mir, noch et)e baS offizielle (Shrgebntjj befannt war, ber
ftirettor aufs äBort, bafj ich burchgetommen fei, unb be*
jaulte gerne feinen <S$amj>agner.
3<h erinnere mich noch wohl jenes moufflrenben
£age£, ben bie gan&e Xif^gefeUfc^aft mit einem ©pajier*
gang nach ber lieblichen SBalbeinfamfeit non ©t Ottilien
Sanilalob, ©tubte»j«U. 21
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befdfjlofj. Hm Ijeiterjten war i<$, bettn jefct Ratten fidj
alle meine trbifdjen SBünfdje erfüllt: idf) war *ßriefter unb
*ßrofeffor in spe. Sttidl) befcelte ja ber 2Ba$n, bog ©lücf
be§ SSftenfdjen befiele in bem, wa3 einer in ber SBelt oor*
ftellt, big idf> nadj mannen Sauren trüber ©rfalpung
nerfte^en lernte, bafc man ben £immel l)ienieben in bem
fuc|en müffe, wa3 einer t>or ©Ott unb in ftd) f elber ift.
©egen SBeiljttad&ten teerte id) fjeim in Den &rei§ oon
Vater, SJtutter unb ©rojjmutter mit einem oicrteljä^rigea
Urlaub jur SReftituirung meiner ©efunbtyeit. 3wei ^ a Ö c
uor bem genannten gefte aber erhielt td& ein ©^reiben
auS Jfreiburg, worin mid) ber ßljef ber mobilen ©eift*
lidftfeit unferer fctöjefe, Slffeffor Ärautl), erfud&te, bodj
m&^renb ber 2Beil;nad)t3seit bie eben mit einer Äirdfje
begabte S)iafporagemeinbe in ©mmenbingen $u paftoriren.
@r $abe jur ^cit feinen paffenben $riejter unb fei in
Verlegenheit , ba bie bortigen ßatfjoltfen bringenb um
einen bäten.
3$ ging, wiewohl ungern. Hngetommen, fteHte id&
mi$ bem fttrd&enoater, SDfcebtainalratl) ©d&irrmaner, vox,
ber mir aber ertl&rte, er brauche mid& ntd&t, unb midfj am
Sage oor <£l)rijU ©eburt wieber tyimfdjttfte. Qnbigrort
telegrap^irte id& nad& ftreiburg unb feljrte ins ßmjigtyal
3urü<*. Später fteUte e3 fie$ f>erau3, ba& ber bortige
©etlfünjtler, bem man fird)ttdf)erfeit3 Vorwürfe machte,
mid& auf ben erften Vlidf für „&u jung* befunben unb
entlaffen &abe.
@o Vetterte mein erfter Verfug als ©eelforger auf*
zutreten. 3$ war barum frol), als unterm 20. Qanuar
ber Dberfd&ulratl) mir mit beginn beS ©ommerfemefterS
eine Se^rfteUe am©qmnaflum in fconauef dringen übertrug.
9m füfjen SWityStymi unb in SutunftStrftumen mtdj
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roicgenb, t>etbra$te tdj bte bret erjtett 2Honate be§ QaljteS
1864 abroedifelnb in ftteibutg unb $a3lad), mofyin mtdj
%xxdtox ßübel einmal felbft begleitete. Sfn ben legten
Sagen be3 SttonatS 3Rät8 fu$t ic$ ba3 ©öUentyal $in*
auf, meinem StejtimmungSotte &u. fctitynenb toüte bet
fernere sßoftawgen am Slbenb in ben ^ßoft^of bet fütftltdj*
fütftenbetgifdjen S^efibens unb fefcte ben blaffen ßeljtamtS*
ptattifanten ab.
£tet beginnt nnn meine fragte in (Sdjule, ffttcfye
unb SBelt. Unb wenn bet Hebe ©ott mtc$ ooHenbS einen
alten Sttann metben lägt, fo will id& ben btitten unb
legten Slbfdjnitt meinet SebenSfaljtt aud) einmal etilen.
(£3 mürbe biefe <£r&äf)limg, wenn audj umfangreicher, fo
boefy roeit armfeltget unb poefielofet auffallen als bie oot*
Uegenbe. 9lbet gletdjroofjl bürfte e§ manchem lefenben
Sttenfd&enfinb md)t ol)ne Qntcreffe fein, &u erfahren, nrie
einer feinet 9ttitmenfd)en im ßeben mitgenommen roetben
mufjte, bis et fo oetnünftig routbe, um mit 6^afefpeate
unb in beffen 3ttt fagen su Wnnen:
SSBer ein Heine« Steffen SBtfc gerettet,
Db ber 2ßinb roeljen, 06 e$ regnen mag,
2)er ftreefet fta), wie baS ©ä)titfal iljn bettet,
Unb regnet ber Stegen auü) jeglichen Sag.
21*
pdUrti*.
Sßetm tc§ auf ben aweiten 9lbfcfymtt meines £eben§
aurötffdjaue, fo finbe i<$ einen gewaltigen Unterfdjieb
awtfdjen ber Ätnber* unb Änabenjeit unb ben ©tubien*
jagten. $er ftinbertymmel ift bereits wefentlidj oer*
cmbert. ©eine ©auptfterne: kleine ^reube an ber Statur,
ftnblidjeg Eingeben an ütott unb 9Henfdjen, abfolute
©orglojtgteit ber 3 u ^ un f^ ö^genüber unb 3ufriebenl)eit
mit wenigem, fmb erlofc^en. $)er SBorljang be§ SebenS*
tljeaterS §at fld) gelüftet, unb urir fe^en beg SBeltaUS
Kummer unb Sorgen in blaffen ©eftalten ft$ ber SBüljne
flauen. %aä junge 3Jlenfd)ent}erj fÜljlt bitter in mannet
©tunbe, wa§ e§ Ijetgt, cioiliftrt unb fultioirt $u werben.
SBie j[ebeS 93olf, ba3 in bie (Siuilifatton eintritt, in
eine fönellere Bewegung übergebt, entartet unb ftd) aug-
lebt, fo geht'S beut einzelnen ßulturmenföen. Unb wie
gebleute ©ebetne ben 2Beg burd) bie SBßüfte unb bie
3)en!mäler verfallener ftulturreictye, ben %ob oon Millionen
oerfünbenb, bteSBafyt ber^ioilifation be^eic^nen, fomarfirt
ftd) ber 3Beg beS einzelnen Qnbioibuumg, bog ber »$uma»
nität" entgegengefü^rt wirb, burdj SBerbunfelung ber
©teme be§ $tnberf)immelg. 3ßenn td) freute nod) jurttc!*
beute an jene bunfeln SBtntermorgen, ba bie 9Jtogb im
#aufe be3 ©d)ul)mad)er3 SBraun am ^Ho^rerfteg in föaftritt
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bie falte ©tube teerte , toä^renb ich frterenb Bei einem
Skiglicht am taum ge^eijten Dfen fafc unb ©rammatit
auSwenbig lernte unb nebenbei meinte oor ©eimmeh nach
bem S3aterhau§ — fo geht mir ba3 SBehegefühl jefct noch
Warf burtf) bie (Seele, unb ich fühle tiefet amtleib mit
bem armen (Stubentlein von anno 1352.
Unb wenn ich mir ben ©qrtaner $an$jafob cor*
fteUe, ffotgenb, fratehlenb unb trinfenb in ben SBierftuben
ber einfamen ^eftungSftabt unb ihn vergleiche mit bem
glücf liehen SBalbbuben, ber „SBucheln" gufammenlieft in
ben uralten SBuchenhatnen beS fttnaigthaleS, fo fommt mir
ber letztere gegen ben erftem oor wie eine SRadjtigaU
gegen einen wilb fc&dföenben Stoben.
Unb boch erf^eint mir bie längft vergangene SHaftatter*
geit noch in einer 3lrt SßerflarungSlicht, roenn ich ftc mit
meinen fp&teren Erfahrungen unb ©rlebniffen in ber 2Belt
unb unter ben großen 9Renfchen vergleiche.
Qu ber ©tubienjeit fd>aut bie ©onne be§ Sinber*
Rimmels benn boch noch BiSroeilen fiegreid) au3 bunfeln
SBolfen unb lächelt über bie Xhorheiten „ber JJlegeljah**"«
3m fpäteren Seben muß man fid) mit einzelnen „SRorb*
lichtem" begnügen unb bie übrige £eit einfam ftiHe
dächte burchfrieren auf bem Kirchhofe feiner irbifchen
Qbeale. SRur ber Sftenfd) ift glücflich, ber von ber 2Belt
nichts will unb nichts hofft. S)ie „SBerneinung be$ SBittenS
&um ßeben" nennt ber ^h^°f°Ph liefen .ßuftanb ; ©elbft*
oerläugnung ^eißt er im ©htipcnthum.
3n ber ©türm* unb $>rangpertobe feineg Sebenä
gleist ber Sttenfch bem ©ojialbemofraten, ber ba mahnt,
er märe ber glüättchfte 3ttenfch, wenn er bie ftabrtten
unb Kapitalien feinet SrobgeberS h^tte. äBenn er fte
heute befäme, würbe er balb einfehen, baß ihm noch wfc*
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fefjte, um glttcftid) §u fein. 3n ben meiften g^Ucn rofire
c§ beä SBetreffenben abfoluteS Unglüdf. 9le&nlid) mirSRen*
fdjen alle — bei unferem Verlangen unb ©treben nadj
ben Slrmfeligfeiten, ben ©enüffen unb SBiffenf haften
bicfcr (£rbe.
3Rid) l)at nid)t3 in ber 9tegierung8&eit beS ^apftcS
£eo im mefa gefreut, als bafj er am 8. 5)ejember 1881
einen SBettler heilig gefprod&en tyai $)er ^eilige SBettler
war ameifelloS auf biefer @rbe fdjon feiig , »eil er tum
ber 9Belt nichts f>at wiffen rooUen.
S)arum ift aud& aSein ba§ ^inb glüctli^ unb feiig,
weil e3 nichts beftyt, nid>t§ gilt unb rnd&tS $offt von
biefer 2öelt, unb id& fd)ttej$e mit ben trefflidf>en SBorten
SörneS: „93iele8 ift fd&Bn in ber SBelt: $ie ©df)önl)eit,
bie 3Jlad&t, Stalten, ber Stockum, bie SBeiS^eit, felbft
bie ©ntfagung; aber baS fdfjönfte ift bodf> bie (erfte) ^ugenb*
jeit. S)er ©enufc biefer ift mit einem Seben doU Üftotl)
unb ©d)merjen nid&t ju treuer bejaht.*
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~><^ - — —
3m Sdiwatsxoalb.
für die deutf che reifere Jugend ausgewählt aus
den Schriften von
ßeuiricb Patiejakob*
et^ant fiartf. I (mark —
3nf)alt: Die Qeimat. — Das Paternus. — ^rennbe unb
Kameraben. — Wie ber „Sdmeiber'Sepp 1 ' 311 feinem (Teil
Dummis fommt. — Dom Sterben bes alten fjermesbnren.
— Der HifWeffansle nnb ber Qansjörgle. — Die Karfunf ei*
ftabt. — Der ^eilige Ceutnant. — Die £eiben ber Bauern
im breigigjä^rigen Krieg.
üd(nifa)e ^ofßsjeifuug: „5Die 3fo3nwl)l ift nidjjt 00m »er*
f äff er ausgegangen — er roar fogar nidjt redjt bamit einoerftanben
— fonbem von feinem Serleger. 2lber bie beutfdfje Sugenb wirb
v)of)i ber Slnfid^t beS (entern fein, bajj ber originelle greiburger
Pfarrer ganj ber 9Jtonn ift, um i§r mit feinen frifdjen, gefunben,
unüüa)figen ©djilberungen unb perfönlidjen Erinnerungen eine
greube ju machen."
JMrgc*net*. ^«tera<ur6faft C8eo*@efeIlfa)aft): „Seffere ßoft
alö fte £>an£jafob bietet, fönnen wir unferer 3>ugenb nicfjt geben.
2)a3 ift Iräftige, gefunbe, nidjt nur gletfa) unb 33lut, fonbern
aua) ftnodjen unb SRarf btlbenbe SiaJjrung."
j^reufj. ^eßwjeUuug: „fiauter (Srfaljrung forta)t aus jeber
3eile be35öud)eö! ©elbfterlebteS unb ©elb|ttmrd)D acfjteS burtt) fea)8
3al)rae^nte feineö ScbenS fdjilbert bort ber Serfaffer in fo feffelnber
unb fpannenber Söeife, bafc wir bem Serleger, ber oljne — ober
beffer md)t ganj im (SinoerftanbnU mit bem SJerfaffer ba§ 23ua)
ber DeffentUa)feit übergiebt, »otten 2)anf ftt)ulben. SBieoiel Sebent?
meißelt unb SebenSroatyrljeit liegt in biefem Sßerfe! 25ec beutfdjen
JJugenb wirb biefe Arbeit eine roiUfommene (Stabe fein»"
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SN — "K~
«Mb von «laldhircb.
■
£ine £t3ät)lung
oon
— == Gebcftct s mir*, eleg. gebunden 6 mir. s™—
pie MMUtie $3eft: Obgleich bie Reiten längft vorüber
finb, ba abelige 33itrgfraulein arme gifd^er betraten — ober gerabe
besljalb, tu eil in unferen troefenen, nüchternen Sagen fo romanttfaje
©eftt)ic§ten ni$t mef)r paffieren, mutet un$ grifc gret'S „SötHa oon
SBalbfirdj" gar freunbltd) emlabenb an unb bietet eine ooHfommene
Slbioedjfelung in bem öben Einerlei ber mobemen Sitteratur mit
tyren falfa)en ©ajmerjen unb tfjrer frantyaft Magerten ©eelen*
jerfaferung. 3n biefer prächtigen, §tftorifa)en ^rjä^lung ift nömlia)
alles frifdje, unoerfälfdjte, urmüc^ftge 5catur. 5Der Sefer atmet ben
toürgigen 2>uft ber ©a^roarjroalbtannen unb maö)t einen SluSflug
inö oerfun!ene Sanb ber iftomanti! mit bem lunbigen SSerfaffer,
ber e3 fo meifterljaft oerfte^t, fidj liebenb in bie ferne 3eit be§
alemanmfdjen Kulturlebens im lO.^abr^unbert ju oerfenfen. flutturs
Ijiftorifa) ift ba§ fd)öne S3uc§ oon großem Sßert. S)ie ©djtlberungen
be3 bunten Sebenö unb XreibenS jener 3ett auf ben Surgen ber
Slbeligen nrie in ben Sutten ber Ernten, im tobenben Sftrm beö
gelblagerS nrie im füllen ^rieben bed ÄlofterS ©t. Margareten finb
bem gelehrten §errn SSerfaffer — unter bem ^feubonnm grifc grei
oerbirgt fia) ein angef ebener UmoerfitfttSleljrer — ganj au8ge3eta)net
gelungen. @r fdjöpft überaß auS bem ootten 9Henfa)enIeben jener
grofjen, fturm* unb brangooffen >$tit, unb too er*8 anpatft, ift eS
intereffant. ©rnfteren Sefem, befonberS ber ftubierenben Sugenb,
bei ber mir noa) am eljeften Sinn unb SJerftänbntö für ba3 SBunber*
lanb ber mittelalterlichen Stomantif, ba§ bem blafterten SBilbungSs
pljilifter abgebt, oorauSfefcen bürfen, fei baS prächtige 33ua) auf's
toärmfie empfohlen.
68 fei aud) auf bie oortrefflid&en Sefpredjungen ber 33lätter:
stimmen aus glatia-^aad), 3liebertl)etttifc$e ^orßsjeifmiö
öBüdjermarfi), gSabner <£anb, ^uasOurger "goft\eitnnn,
£ofni(cf)e ^offtöjeiiuttö, £d)weijert(d(e fitter. ^Tonatetunb-
fdian, JUUbemtfd)e *glonat*M&iiez, jicabemia u.f.m. oenoiefen.
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