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Full text of "Beiträge zur Kulturgeschichte Russlands im XVII"

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Beiträge zur 
Kulturgeschi., 
Russlands im 
XVII. 





Alexander 
Brückner 





rii1i:il( : 

Zur Naturtrescliii httj der PrütcndeiittMi. — iJie Pt-st 
in Russlaiid Ifjöl. — l>it' Ilttrstt-llunirskosren eiues 
J}iiches ltJ4;>. - Dos I'atnanh. i, Nikon Aiisoral.e- 
buch. — Eine russisch«' ( iesandts. li;ittsr»'ise na« Ii 
talien ITiöti— .'iT. — Kinc russisclie Gesandr seh alt 
Paris — Ein Kleidrrreforniprojtkt vor 

Peter dem (iros-^eu. — Laurentius I^inhuluT. — 
Fürst W. VV. Golizin. — Patrick (iurdun. 



n — t t — ^ T- 



Leipzig. 
VerlafT von 1>. Elischer. 
1887. 




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BILDER 

AUS 

RüSSLAiNDS VERGANGENHEIT. 



VON 

ALEXANDER BRÜCKNER. 



ERSTEIi BAND. 

BBITRiaS ZUR KULTUBGBSCHICflTE BUSSLANDS 
IX Xm JAHBHUin)EBT. 



LEIPZIG, 
VEBLAa VON B. ELISCHER. 

1887. 



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BEITRÄGE 

ZUK 

KULTURGESCHICHTE RUSSLMDS 



IM XYIL JAUEUU^DMT. 



TON 



ALBXANDEK B&ÜGKNER 

4 



LEIPZIG, 
mSBLAa VON B. ELI8GHEB. 

1887. 



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THE NEW YORK ! 

PUBLIC LIBRARY 



Alto Raehte ▼orbehalften. 



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Vorbemerkung. 



Becht gern eDtspreehe xdh der Axißordemmg dee Herrn Verlegeni 

dieses Buches, eine Anzahl von Abhandlungen, welche die Geschichte 
Rufslands im 17. Jahrhundert zum Gon^^nstande liaben und vor kürzerer 
oder längerer Zeit in verschiedenen Z<jii Schriften erpchienen sind, go- 
•arnmelt herauszugeben. Sind diese Monographien auch auf reclit hete- 
rogne Stoffe gerichtet, so inö^en sie doch in ihrer (lesanitlieit dazu 
beitragen, dafa ein Einblick in die Kultorentwickelung Eufslands in der 
Bpoohe, welolie den Reformen Petert des Grofsen vorausging, gewonnen 
werde. Alle diese Abhandlunpren sind mehr oder minder geeignet den 
Prozefs der Eurnpäi^ierung Rufslands zu veranschaulichen. Einirj^c der- 
selben, wie etwa die Skizze über die Prätendenten, die Darstellunju^ der 
Pest 1654 oder die Schilderuni; der GresandtachaftsreiHcn 'I\schernod;in<)W8 
und Potemkin^ zri^^-en, wie liufsland ntjch im 17. Jahrluiudcrt ein durch- 
aus orientalischer Staat war und mit AVesteuropa wenig gemein hatte; 
andere AnMtse, wie etwa die Darlegung der Aniiohten Krithanittoha 
über das Klciderwesen oder die Biographien Rinhubers, W. W. Golizyns, 
Gordons illustrieren die Annähcrun«.? Rufslands an den höher kultivi*;rfon 
Westen. Bei solchen Studien «jehinsirt man mehr und mehr zur Uber- 
zeugung, dafs Rufslands Metam( : ] ii se, der Fortschritt, welcher darin 
lag, dafs dieses Reich sic-h ent.schlofs in die Schule Europas zu gehen, 
■ich ffanz unabhängig von dem Willen Einzelner volkiehen mufste, dal's 
Raffuind avoh ohne Peter enrop&iriert worden wlre. Ohne eine ein- 
gehendere Erforschung einzelner Erscheinungen, welche der Genesis der 
Verwandlung Rufslands in eine europäische Grofsmacht entsprechen, 
ist das Wesen der Entwickelung Kufalauds in den letzten zwei Jahr- 
hunderten nicht verstäinil h. 

So mögen denn >11l in dem vorliepfenden Bande zuHnrnTnenß^fafsten 
Proben meiner Studien auf diesem Gebiete der Aufmerksanikeit der 
Pach^fenoeaen und einea weitem LeaerkreiMB nicht nnwert erscheinen. 
Es sind Exemplifikationen der Art und Weise, wie sich auf dem Ge- 
biete der Qesctiichte Rufslands umfassende Quellenwerke, edierte Ge- 
schäftspapiere, uniredruckte Archivalien und die recht weitschichtige 
historische Littenlar für Einzeldarstellungen verwerten lassen, deren 
Ergfebnissc nur zu einem geringen Teil bei uer Redaktion meinea Buches 
&ber Peter den Grolsen Verwendung finden konnten. 

Der Stoff der ersten Abhandlung „Zur Natorgesclnchte der Prä- 
tendenten" entspricht nicht ganz dem Titel dieses Buches, insofern über 
die Grenzen Ruf'lands und über das 17. Jahrhundert hinausgej^riffen 
wird. Gleichwohl glaubte ich mit dieser Bozial-pathologisch-historischeu 
Skizze — es waren Vorträp;e, welche ich in der Aula der Universitfit 
Dorpat zu einem woliltlKifipen Zwecke gehalten hatte - die folgenden 
spezieli der Geschichte Rulslanda entsprechenden Abhandiongen emleiten 
la dSrfen. 

Dorpat, im Oktober 1686. 

A. Brileluier. 



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Inhalt 



Sflit» 



I. Zür Naturgeschichte der Prätendenten l 

II. Die Pest in RufslanJ 1654 3L 

III. Die Herstellungskosten eines Buches iro Jahre 1649 ... 57 

IV. Des Patriarchen Nikon Aua^abebuch 1652 67 

V. Eine russische Gesandtschaftsreise nach Italien (1656—67) . 113 

VI. Eine russische GesandUchaft in Paris im Jahre 1681 . . . 169 

VII. Ein Kleiderreformprojekt vor Peter dem Grofsen .... 189 

VIII. Laurentius Rinhuber 213 

IX. Fürst W. W. Golizyn (1643—1714) 279 

X. Patrick Gor Jon (163.5—1699^ 355 



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Zur Naturgeschichte der Prätendenten. 



Bcaokner, Bufiland. 



1 



4 



Schopenluniwr hat der Oeseldelittfondraiig den Yorwnrf ge- 
macht, sie sei keiue Wissenschaft, weil ihr der Gruudcharakter jeder 
Wissenschaft fehle: die Subordination des Gewufsten, statt deren 
sie nur die Koordination aafzuweisen habe. Daher gebe es kein 
System der Qeeohiohte: ne eei nur eia Wliieni keine Wiseen* 
achaft. Sie erkenne» aagfe Schopenhaner w^ter, nicht das Ein- 
seine mittelst dee Allgemeineni sondern mflBse dae Einielne un- 
mittelbar fassen und so gleichsam auf dem Boden der Erfahrung 
fortkriechen. Die Wissenschaften, heifst es femer hei 8chopen- 
haaer, da sie Systeme von Begriffen sind, reden stets von 
Qattongen; die Gesohiohte redet nor Ytm Individuen; aie -wSre 
demnach eine Winenacfaaft von Individuen , was einen Wider- 
spruch besagt; die Wissenschaften reden von dem, was immer 
ist; die Geschichte dagegen redet nur von dem» was einmal ist 
und nicht wieder u. s. w. 

Dagegen wäre zunächst daran zu erinnern, dafs die Wissen» 
Schäften selbst ein Produkt der Geschichte, dafs sie geworden sind. 
Die Wissenschaft der Wissensehalten, die Geschichte des mensch- 
lichen Geistes und seiner Entwiokelung zeigt, dafs nichts ist» 
sondern, dals alles wird, dafs etwa die Natorbeschreibnng sur 
Physiologie, die Alchymie zur Chemie, di(; Astrologie zur Astro- 
nomie geworden ist. Alle Wissenschaft geht aus vom Be- 
obachten der Thatsachen und dieses führt erst zum Erkennen 
allgemeiner Prinzipien : es kommt darauf an, dafs eine Summe ge- 
sogen werde. 



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4 



Zur Nfttoigeschichia der Prätendenten. 



"Wer wird leugnen , dala die Geschichtsforschung nur aus- 
nahmsweise den Versuch gemacht hat von dem Einzelnen fori- 
BUBohreiten zur Beteachtong das Ghuisen» den Sinn der unsähligen 
Tliatsaehw „nicht liemuKQbaclutabiareii im Einsolneiii sandeni 
lienMunileieii im Gänsen*' (Gerrinus). 

Aber es ist ein Streben in dieser Richtung wahnonehmen. 
Dahin geh(3ren die Versuche Vicos , das scheinbar ZuföUige als 
Nothwendigea zu erkennen, durch Vergleichuug analoger Er- 
scheinungen eine histonsche Physiologie hennuteUen; dahin ge- 
hörte da« Umhectaaten Hontesqniens , Homea u. a. nach all- 
gemeinen hisforiacheii Geaeteen, nach aUgemeinen Geaichtapnnkten 
fOr die Benrtoflnng und daa Yentftndnis historischer Er> 
scheinungen ; dahin gehört der geistreiche , aber im wesentlichen 
verfehlte Versuch Buckies, das Wesen dea Fortschritts als eines 
solchen darzustellen , welcher sich nur auf dem Gebiete der 
materiellen nnd inteUektaellen, nicht aber auch aaf demjenigen der 
etiiiachen Entwiokelnng ToUsielit. 

Sind alle Wisaensehaftcp geworden , so kann auch die Ge- 
schichtsforschnng, selbst wenn sie es jetst noch nicht wärci eine 
Wissenschaft werden. 

Ob aber eine Naturwissenschaft? 

Die Natorwissen Schäften sind der Inbegriff des Ghmzen der 
Eriahmngserkenntnis aller uns aagSnglichen Wahrnehmungen der 
Natur. Soll aber, wenn der Mensch und deren Natur nun Gegen- 
stande wissensohafllidier Forschan g gemacht wird, der Ueiisch 

nur als Individuum oder aucli nur als Exemplar der Gattung, 
nicht etwa auch die Menschheit Ucobachtet werden können? Soll 
die Geschiclite bei den Individuen stehen bleiben? 

Man hat eine Staaten- und Völkergeschichtei eine Geschichte 
der Zivilisation! eine Geschichte der Ideen. Wo bleiben da die 
Indiriduen? Sie erscheinen als ein Produkt der Zeit, als Exem- 
plare der Gattung; die elnaelne Thatsache wird sur Ezem- 
plilikaiion einer Idee, zum Ausdruck eines Prinzips, zum Symptom 
eines inneru Vorgangs im Organismus der l^Ienschheit. 

Eine solche Betrachtungsweise ist zulässig, ohne dafs man 



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Zur N«tai^;«io]iiolite der Prätendenten. 5 

darum den freien Willen dea Individuums oder einer Weli- 
r^gierong sn ieagDMi braucht. Die Grölse einaelner Heeoen in 
der Welt inrd dadnrolL nieht beeintriehtigt» Aber man kann, 
ladem man auf d»ni W^ der Analogia wo. YeraUgemeinenuigeD 
gelangt, homogene Ersebeinongen miteinander vergleiciit, zur Er- 
kenntnis verschiedener Gattungen hiatorischer Individuen gelangen. 
Mau kann in der Weise der Naturforscher historische Individuen, 
welche unter ähnlichen Verhältnissen auftreten, in ähnlicher Weise 
wirkeui sasammeufaeaend betrachten und iit gewils^ dafa dadnroh 
In die Behandlnng aolcher Sto£Ee Klarheit gebracht werde. 

In dem Folgenden nim aoll der Veraneb gemacht werden, 
eine Gattung historischer Individuen zu bctracliten , welche uns 
zu allen Zeiten in gröfserer oder geringerer Zahl begegnen : es 
sind die Prätendenten. Die Aufgabe besteht darin, das Wesen 
dieaer Gattung hiatoriaoher Individuen dadnroh su erlftutemi data 
man aie IdaBaifisieirt* 

Durch die KlaaaifiHtton haben die Natnrwiaaenaohaften un> 
geheure Vorteile ersielt. Es gilt nun, mit einer derartigen 
Systematik ;iuf historischem Gebiete ein Experiment zu machen. 
Der Botaniker gewinnt viel, wenn er Monokotyledoncn von 
Dikotyledonen, Gramineen von Lykopodiaoeen unteraoheidet ; der 
Omitholog bringt Klarheit in die Sache, wenn er Yon Stand-, 
Strioh- und Zugvögeln oder wenn er von Neathookem und Neat- 
flfiehtem apridit u. a. w. '^elleicht gelingt etwaa Abniichea fOr 
einen historischen Stoff. Versuchcii wir es mit deu Prätendenten, 
d, h. mit denjenigen Individuen, welche in der politischen Ge« 
Bchichte mit einem Anspruch auf einen Thron, auf eine Biegierung 
auftreten, welche ihnen Torenthalten werden. 

IMe Ifatnrwiaaenachafteii haben ee an einer Tier- und Pflanaen« 
geographie gebracht. Sie fragen u. a. nach der rSumlicben Ver- 
breitung von Pflanzen und Tieren. Es ist von groftem Interesse 
den Rayon zu kennen , innerhalb dessen ein Schmetterling oder 
ein Käfer oder eine Grasart oder eine Molluskenfamilie vorkommt. 
Man erforaoht die natürlichen Bedingungen für das Gedeihen 
aoleher Naturprodukte; man kennt ihre Abhfingigkeit von Klima, 



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Zur Naiorgeachiohte der Prätendenten« 



BodenljeschafTeTiheit u. s. w. Man hat ferner nach Erforschung 
der Geschiebte der Pflanzen und Tiere gezeigt, daüs die räumliche 
Verbreitung sich seitlich ändert, dafs Kolturpflanaen und Bamh 
tiere koloniaiert werden , dab die klimetieohen Bedingungen ßke 
das Daaein yon Pflanaen und Tieren an beatimmten Lokalen sieh 
ändern n. dgl. mehr. 

Die Naturforscher haben mit solchen Beobachtungen einen 
Streifzug gemacht in das Gebiet der GeschiohtewiBsenachafb und 
Beide haben gewonnen. 

Ein ähnUches Verfahren können die Hittoriker einecUagen. 
In dem Torliegenden Falle fingen wir nach der rinmlichen nnd 
zeitliehen Verbrmtnng der Prätendenten. Bieee Verbreitang stellt 
sich als eine aufserordentlich unj^leichmäfsige heraus. Ks wäre 
eine exakte Statistik dur PräteDclenteu für verschiedene Epochen 
nnd Jiänder denkbar. Man könnte etwa dorch graphische Dar- 
etellnng «ehr anechanlioih maehen, da£i es an Prätendenten reiche 
Länder gibt nnd andere, wo gar keine oder faet gar keine vor- 
kommen, oder Zeiten, wo sehr viele, nnd Zeiten, wo gar keine 
auftreten. Wie die Pflanzen und Tiere für ihre Entwickelung, 
ihr Gedeihen , ihro Ernähmng auf gewisse Bedingungen der 
Atmosphäre, der Bodenbeschatfenheit u. s. w. angewiesen sind, 
80 anch die Prätendenten. Sie gedeihen nicht gleichmäßig unter 
jedem Himmelietriche, nicht in jeder Periode der Geachichte. Li 
einaelnen Lokalen echiefaen sie wie Pilze anz der Erde masaen- 
haft auf ; in andern ersehnen aie nur ganz Tereinzelt; inbezug 
auf Prätendenten lassen sich die räumliclieu und zeitlichen Teile 
der Geschichte mit den Jahreszeiten in deren Verhältnis zu 
Pflanzen und Tieren yergleiohen. Li manchen Jahrhunderttti 
kommen ao wenig Prätendenten vor, wie Kauhiuappen im Winter; 
zu andern Zeiten wimmelt es von ihnen wie von Fliegen und 
Xfleken im Juli : hier sind aie ao rar, wie die Wölfe in England^ 
dort so gewöhulicli wie Unkraut, 

Die Frage von der Häufigkeit dgp Vorkommens der Präten- 
denten ist leichter zu beantworten, wenn man die ganze Klasse 
genauer betrachtet, ihr Weaen kennen lernt. IHeaea geaohieht 



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Zur Naiargeachichte der Prätendenten. 



7 



am besten, indem man sie klassifiziert. Eine solche Anordnung 
nach Merkmalen ist sehr lehrreich. Man kann von Ordnungeili 
Familien, Geschlechtem der Jb'rätendeuten reden. 

Zimttobsfc kann man nie in swei Ordnungen einteilen, in die 
editen nsd die falschen, 

L Die Eehten« 

Die echten Prätendenten sind das, wofür sie sich ausgeben; 
ihre Ansprüche haben eine gewisse Berechtigung; als Vertreter 
der Legitimitftt begründen sie ihre Ansprüche jurisüseh ; über 
ihre Fersfolichkeit, ihre Identit&t besteht kein Zweifel. Sie 
machen Anspruch anfeinen Thron, welcher ihnen • ▼orenthalten 
wird. Bio leben mtiät auf Xriegsfufs mit der Wirklichkeitj welche 
geneigt zu sein ptiegt, über ihre Kechtsausprüche zur Tages- 
ordnung überzugehen; sie sind Theoretiker, welche die Praxis 
▼erachten, Doktrinüm, welche, oft mit gewaltigem Fanatismus, 
abstrakte Prinzipien ▼ertreten ; ihre Ideale werden nur selteD er- 
reicht; fiutt immer ▼erfolgen sie unerreichbare Ziele. Sie sind 
meist unglücklich , oft verbittert, mit dem herrschenden Zeitgeist 
zerfallen, in der Minorität, von wenigen anerkannt, von vielen 
mit Geringschätzung behmidelt, bisweilen gar verfolgt, bestraft, 
gemartert, hingerichtet. Hier und da erscheinen sie als Helden, 
welche grofiM Ideen ▼ertreten; daiwisohen als Wtrtjwtf welche 
für ihre Bechte ihr Leben hiniugeben bereit sind. Sehr oft ist 
von einem derartigen Heroen- und Märtyrertum nur ein kleiner 
Schritt zu thun zu einem umhervagabundierenden Abenteurertum. 

Die Prätendenten, Menschen, die gern etwas hätten, was sie 
nicht haben, was ihnen aber ihrer Ansicht nach gehört, empfinden 
es Übel, daft es ihnen nicht so gut geht, als es ihnen ihrer 
Keinung nach gehen sollte. Sie fühlen sich als die Zurück- 
gesetzten, Benachteiligten; sie grollen über die Yerhlltnisse, sie 
wunscheu die Welt anders als sie ist. Ihr Ideal widerspricht 
der Wirklichkeit; sie leben in einer andern Zeit; ihr JJasein 
ist ein Protest gegen die Gegenwart; sie wurseln in der Yer- 



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Zur Naturgeschichte der f rateudeutea. 



gangenbeit; sie inelieD das Rad der We]tgMohie1ite nieht bloAi 

aufzuhalten, sondern rückwärts zu bewegen, kommen aber damit 
nicht zu btande ; ihre Laufl)ahn ist ein fortwährendes Milslingen ; 
ein Fiasko reiht sich an das andere. Die Prätendenten sind 
Anaohroniiiiien. Wer den Scheden hat, darf für den Spott nieht 
•orgen. 

Wir werden in der Ordnung der echten Prfttendenten leicht 

eiDselne Familien d. h. Unterabteilungen entdecken, wenn wir 
einen Blick werfen auf die verschiedenen Epochen und Lokale 
der G-e schichte. 

In Monarchien und insbesondere in Erbmonarohien wird es 
eher Prfttendenten geben, als in Bepnbliken oder Wablmosarchien. 
Indessen sind die letsteren doch nicht firei von Prfttendenten. Im 
Altntom nnd Mittelalter gab es weniger Erbmonarchien als in 
der Neuzeit und doch bei^ejcrnen uns ih i t vii le Prätendenten. Dahin 
geliureii u. a. in Griechenland eine Ali iigu vertriebener Tyrannen, 
a. B. Theognis von Megara, die Aleuaden und Skopaden aus 
ThesMlien, die Pisistratiden ans Athen n. s. w. Es sind Emi* 
granten, welche maacherlei Pamilienftbnlichkeit haben mit den 
firansdaiscben Emigranten der BcTolntionsseit: sie gebören eben 
(naturgeschichtlich gesprochen) zu einer Familie. Da sehen wir 
in der ältesten Periode der römischen Gesclacinle den Tarquinius 
Superbus nach seinem Sturze sich zurückziehen nach Cumae und 
Olnsinm, auf fremde Hilfe mr Wiedereinsetsung in die Ter* 
lorenen Beobte boflfon, die Interresitioii der anslftndisehen Hemoher 
beanspruchen, gani so etwa, wie sieb die Stoarts an den H&fen 
Ton Madrid nnd Paris henimbettelten. Niebnbr bat die An- 
hänger der Turquuiicr in Rom mit den Kavalieren unter Croniweli 
verglichen. "Wie Tarquinius von den Vejeuteru unterstützt wurde, 
80 die französischen Emigranten etwa YOn Osterreich und Prenlsen ; 
mit Friedrich Wübehn II. ist Porsena verglicben worden. 

Bieses Anflehen der aaslftndiscben Intervention ist häb 
allen echten Prfttendenten eigen. Der KSnig von Hannover bat 
mit Frankreich gegen Deutschland gehen wollen, wie die Pisi- 
stratiden dem Erbfeinde von Hellas, dem persischen Könige, den 



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Zar Natorgesohichie der Prätendenten. 



9 



Hof machten. Solche Emigranton. von denen es im Altertum 
bei den Parteikämpfen der Tyraunenfamilien in Griecheuland 
wimmelt, stellen die persönlichen Intereasen stets höher als die* 
jeidgai d«B VAterlandet. £• handelt noh bei ihnen nioht um 
hohe und ireite Geeiehteponktey eondem um Bentefragen; es lat 
ein Vorhemcfaen eines sivilreehtliehen Standpankies, weloher mit ' 
einer gewissen Kleinlichkeit, mit Rachsucht und Verbitterung 
vertreten wird. Prätendent zu sein verdirbt den Charakter. 

Bei Mommsens Schilderung von Pomp^ua und dessen Partei 
TOT der Schlaeht bei Pharsalns wird man nnwiilkürlich an das 
Treiben der Artois ond Proveneei der Cond6 nnd Galonnsi der 
Junker und Priester in Koblenz in den Jahren 1792 nnd 1793 
erinnert. Ton den leteteren gilt, was von den «rsteren gesagt 
wird, Pompejus uml der l^^inigrantensenat hätten hohe Ansprüche 
mit sehr dürftigen Leistungen verbunden, unzeitige Heminiscenzen 
und noch anzeitigere Kekriminationen , politische Verkehrtheiten und 
finaosieUe Yerlegenheiteii in kläglicher Weise aar Sohan getragen. 

IMe Prätendenten der alten Gesohiohte, welche einer höheren 
Knltorstnfe entsprechen nnd die westliche Zivilisation reprSsen* 
tieren , wie etwa Pompejus , lassen sich mit den europäischen 
Prätendenten der neueren Zeit vergleichen. Diejenigen Präten- 
denten des Altertums dagegen, welche im Orient auftreten, unter 
andem alle die in dem Zeitalter des Hellenismns nach dem Ver- 
frll der Honarehie Alezanders des Grofsen in Asien aaftretenden, 
haben Ähnliöhkeit mit den orientalischen PHLtendenten ron hente. 

■ 

Die ersteren Tertreten neben ihren persönlichen noch Parteiinter- 
essen ; sie haben ein politisches Programm ; mit ihnen steht und 
fällt ein Anhang, Pie orientalischen Despoten, welche selbst 
oder deren Ahnen gestürat worden, vertreten aufser dem eigenen 
persdnliehen Interesse etwa nur noch daqenige einiger Verwandten 
und OHnstiinge. Es gibt da keine Parteibildnng, kein politisches 
Programm. "Ba herrscht bei ihrem Treiben die rohe Gewalt, die 
grausamste Rachsucht, die rafliuierteste Tücke. Sie thun , als 
sei die Welt ganz allein für sie geschaffen, diese Erscheinungen 
sind dieselben in Persien nnd Assyrieni wie in Siam oder China. 



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10 



Zwe NfttnigMobichto der Flritendttileii. 



Blicken wir in das Mittelalter, so sehen wir die Erbmonareliie 

nur in einzelnen relativ kleinen Lokalen. IKe li6eliBteo Stellen 

— Papsttum und Kaisertum — werden durch Wahl besetzt. 
Dabei gibt es furchtbare Prätendentenkämpfe : es begegnen uns 
Gegenpftpste nnd Gegenkaiser; es entsteht oft eine von dem 
Parteünterease geschaffene Konknrrens der Thronhesteigong: so 
werden nicht selten Bfirgerkri^ herbeigefBhrt. Uan erinnere 
sich der firl^<^ssitigen Henrtebaft Philipps von Schwaben nnd Ottos 
von Braunschweig ; Ottos IV. und Friedrichs II., Friedrichs II. 
und Konrads lY, einerseits und Heinrich Raspes, Wilhelms von 
Holland, Alfons X. von Castilien, Richards von Cornwales anderer- 
seits! Ludwigs des Baiem nnd Friedrichs des Schönen» Karls IV. 
nnd Günthers von Schwaraburg. — Es ist kein Zafalli dals in 
der späteren Zeit, als das Reich nichts mehr galt, keine Gegen- 
kaiser mehr auftraten. Alan kotintc sagen: le jeu ne v:iul pas 
la chandelle. Die Zeit der Kämpfe der Gegenkaiser war vorüber: 
die Zeit der Kämpfe um die Erbfolge brach an. Die Erscheinungen 
der auf ihr Thronrecht pochenden, miteinander konkurrierenden 
Wahlf&rsten hdren in Dentschland anf ; sie kommen in der späteren 
Zeit etwa noch in Polen vor, jenem Lande, wo das Mittelalter 
sich in manchen Stücken permanent erklärt hatte. Stanislaus 
Lesczynski ist ein solcher Prätendent mittelalterlichen Charakters. 

Ähnlich ging es mit dem Papsttum. Nicht selten fand die 
Wahl mehrerer Päpste zu gleicher Zeit statt. Sie thaten einander 
gegenseitig in den Bann. Noeh um die Zeit des Konsüs von 
Konstant gab es drei Pftpste aof einmal ; alle diese PrXtendenten 
wurden abgesetzt ; es wurde ein vierter gewählt. Später, bei dem 
Verfalle des Papsttums, trat nicht so leicht eine so starke Konkur- 
renz ein. Auch hier konnte man sagen: le jeu ne vaut pas la 
chandelle. 

In gewissem Sinne sind diese mittelalterlichen Antoritftten 

— Papst nnd Kaiser — die Prätendenten par ezoellenoe. Die 
oben angedenteten Kerkmale yon Prätendenten finden sieh alle 

bei einem Pius IX. uud Leo XI IT.: di sehen wir dii' üble Laune 
im Vatikan, eine retrospektive Art die Welt au betrachten, etwas 



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Zar 2«^&targescbichte der Prätendenten. 



11 



Überlelttes. ALffethmieb,. daa sich spreizt, sich iu das Bewufstsein 
der eigenen Gröifle und Würde hüllt, allen Mafsstab für die Be- 
urteilong der neueren Zustände und YerhältnisM yerloren bat; 
ee ist ein neiT-aaacliromstiaches Wesen, eine Romantik, welche 
Ton Beminieeeiuien lebt. Daa Adagio und Largo des Hittelalten 
kann rieh nicht in daa Allegro vivace der letzten Jahrhnnderte 
hineinfinden i daher mufa es Verstimmung, Disharniome geben. 
Wer 80 viel Anspruch macht, die erste Violine xu spielen und 
dabei das Tempo so wenig versteht, wird von dem Kapellmeister 
einfaoh aar Seito gestellt und mag sich begnügen, in verbissener 
Qramlicfakeit die ^te alte Zeit an preisen, wo nooh Bannfluch 
nnd Dinge, wie EnoyUilca nnd Syllabus etwas bedeuteten und 
nicht wie neuerdings, nach Macaulays Ausdruck, von Petersburg 
bis Lissabon ein uuauslöscliliches (^elächter erregen, uiu deu Vatikan 
darüber zu belehren, dafs die Zeit der Kreuzzüge vorüber ist* 

Auch die Kaiser des Heiligen Bömisohen Keidts waren solche 
Prfttendenten, denen daa Schicksal nicht ersparte, dafs rie Anachro- 
nismen wurden. Auch sie erhoben rein theoretische, den Zeit- 
verhSltnissen widersprechende Präiensionen, wenn anoh die letzteren 
nicht bo arg in der Luft standen, wie diejenigen der Päpste, 
welche u. a. einmal ausrechneten, dafs sie 14:4inal höher stäadeni 
als die Kaiser. Aber auch die Ansprüche der Kaiser waren oft 
chimftrisch genug: rie wollten als an der Spitae der Christenheit 
stehend gelten; rie mafsten rieh eine gewisse Oberhohrit über 
alle andern Fürsten an. Man kushte darüber. Tn England hat 
zur Zeit des Königs Heinrichs VIII. das 1* irlament den Beweis 
zu führen gesucht, der König von England sei um nichts geringer, 
ja wohl noch mehr als der Kaiser und doch hatte man ebendort, 
als ein Jahrhundert auvor Kaiser Sigismund nach England kam, 
an ihn gana formell die iVage gerichtet, ob er komme, um seine 
oberiehnsherrlichen Kaiserrechte geltend an maehen. 

Päpste und Kaiser sind auch noch iu anderem Sinne Präten- 
denten gewesen, nämlich in ihrem Verhältnis zu einander. Jeder 
wiU höher stehen, als der andere, jeder will herrschen, jeder will 
die Wahl des andern beeinflussen, von der Bestätigung dieser 



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12 Zar Natarge«cbiohte der Prätendenten. 

Wahl alle Rechte des andern abhängig maclien. Es igt ein un- 
erquicklicher Streit, welcher, mit dem Prätendenten eigenen Dok> 
trinarismus geführt, bis auf die neueste Zeit fortdauert. 

So viel von den Pr&ieiideiiteii des Alteiimiui und Mittelaltera. 
Ava dem Angeführten argeben aich Teraohiedene Qattongen Ton 
Pritendenten und zwar etwa folgende: 

1) Wahlherrseher mit einer Partei; 

2) Herrscher, deren Rechte auf göttlicher Autuntat beruhen, 
etwas ganz Abstraktes sind, wie Päpste und Kaiser; 

3) £rbflir8ten. 

Dieae letstere IVunilie der Prätendenten iat niher n be- 
tnehten. Solche Prätendenten treten m der neueren Zeit in 
dem Mafte zahlreich anf, ala eratlich das Prinnp der Erbmonarchie 

Behr energisch sich durchsetzt, als zweitens grofse politische Er- 
schütterungen Thronwechsel und Verluste von Thronen bewirken. 

Die Erbnionarchie siegt prinzipiell. Deutschland und Polen 
mit ihren Wahlfttraten aind Ananahmen. £in Prätendent wie 
Stanialaua Leacsynald iat» wie adion oben erwähnt worde, eine 
Art Anomalie in der neuen Geachiohte, eben weil aein Beeht 
auf Wahl basiert, sonst treten nicht einzelne als solche, sondern 
vielmehr Vertreter einer Dynastie als Prätendenten auf: hie aind 
die Repräsentanten der Legitimität. Dahin gehören die vielen 
dApoaaedierten Pürateu der neueren und neueaten Zeit. An ihnen 
iat kein Hangel. Sie entateheo auf dreierlei Weiae: 

1) durch grolae poUtiache Beformen , welche den Zweck 
haben, grofse nnd rein weltliche Staaten au bilden im 
Gegensätze zu den kleinen und theokratischen Staaten, 
von denen es im Mittelalter wimmelt: die Prozesse der 
Säknhirisation und der Mediatisation schaffen eine aehr 
groiae Ansahl aolcher Prätendenten; 
9) durch BeyoluÜonen; 
3) durch Kriege. 

Indem die Zahl der Staaten abnimmt, mufs auch die Zahl 
der regierenden Für8t«n abnehmen. In Deutschland gab es früher 
äber tausend Staaten , dann nur üunderte, später nur einige 



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Zur NaimgeiGhiohte der PrtUendaiteik. 



18 



Dutsend, imd auch deren Zahl nahm stets ab , bis dann zuletzt 
in gewiBsem Sinne nur e i n Staat übrig Uieb, das deutsche Beich. 
Et eigibi rieh damu «ine Meoge yon depoMedierteo, mediatiaierten 
Ponten. Die geiitliehen Territorien yersohwinaen. Was in 
nneero Tagen der Paiist mit i einem Kirehenttaate erlebte» bat 
eine grofse Anzahl ron Kirchenfürsten durch die Säkularisation 
im geringeren Maiöbtabe erfahren. Die Xleiuereii werden vou den 
Gröfseren verschlungen. Manche werden mit Ueld abgefunden 
und geben aick anfrieden; andere proteatieren und werden Prft> 
tendenten* 

Oft werden TJirone und Kronen durch BeYolationen Terloren. 
Man erinnere rieh der Stoarta und der Bonrbone, dieser Prftten- 

dentenfamilien par excellence. — Maria Stuart war schon vor 
1558 Prätendentin inbezug auf Eoglaad, dann wird sie Präten- 
dentin inbezug auf Schottland ; bis an ihren Tod strebt sie nach 
der engliachen Krone. Von 1649—1660 iat dann Karl II. 
Prätendent, Jakoh II. von 1688 an, apäter Jakob IH. und endliofa 
der „Prätendent" Karl Eduard. Die Stuarta haben weniger lange 
regiert als prätendiert, Aul dem Thron waren sie 70 Jahre, 
Prätendenten sind sie doppelt so lauge. Solchen gestürzten 
Dynastien wie den Stuarta, den Bourbons oder den Weifen iat 
der Staat ein Kammergut; rie nehmen einen privatreohtlichen 
Standpunkt ein; aie reden von einem angeatammten Erbe. 

Die fransöoiaehe Berolution atfint eine Menge von Thronen 
um: es entstehen sehr viele Prätendenten; die Bourbons in Frank- 
reich, hinterdrein in Spanien, in Neapel ; ebenso erging es einer 
grofsen Anzahl anderer deutscher und italienischer Fürsten , so 
oft Kapoleon erklärte: «La dynaatie teile et teile a ceaai de r^gner** 
oder ao oft er die Annenion iigend einaa fremden Staaiagliedea all 
«commandi par lea ciroonatanoea* Tollaog. 

Ahnlich wirkte die Berolution dea Jahrea 1880, welche u. a. 
einen recht beachtenswerten Prätendenten entstehen läfst: Karl 
von Braunschweig, den berüchtigten Diamanten herzog , dessen 
Denkmal auf achweiaeriachar Erde an die Schmach deutschen 
Duodesdeapotentuma erinnert. — Opfer dea Jahrea 1830 aind 



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14 



Zar Natorgeachichte der Prätendenten. 



Karl X., Heinrich V.; 1867 werden die Mourbons in Spanien 
gestürzt; scljon früher wurden sie in Italien vertrieben. "Wie die 
Bourbons als Prätendenten einer chroniBchen Pest gleichen^ aoigen 
die, Jahnehnte währenden, Karlistenkriege in Spanien. 

Braucht man noch an die Wirkung dea Jahres 1848 an er- 
innern, an den Stars Lonia Philipps ; an die mehr oder minder 
unfreiwillige Abdankung einer Beihe anderer Fürsten ; an die 
Katastrophen Ottos von Griechenland, der Fürsten von Modena, 
Toskana u. s. w. in Italien? 

Grofee Unglttckaf&lle in Kriegazeiten haben das Zosammen- 
brechen von Thronen, den Wechsel Ton Dynastien rar Folge. 
So stflrat GhistaT 17. in Schweden 1809 , so Napoleon I. nach 
der Schlacht bei Waterloo, so Napoleon HI. nach Sedan. Es 
wirkten hier Kriege mit revolutionären Rej^ngen zusammen. 
Das Jahr IHiM] i»t in Deut.schland ein Krieg und eine politische 
Reform sogleich: es entstanden dadurch die Prätendenten von 
Hannover, Hessen nnd Hassan. 

So kann man denn, wie ans den ▼erstehenden Andeatnngcn 
hervorgeht, die Prätendenten der Familien von Erbfftrsten klassi* 
fizieren je nacb der T'rsaclie ilires Sturzes. ^J;i!i kann sie aber 
je nach andern Merkmalen kla.^^siüziereu, indem man »le etwa ein* 
teilt in solche, welche selbst regierten und ihren Thron verloren, 
nnd in solche, deren Ahnen oder sonstige Verwandten regierten. 
Zn der ersteren Art sind zn rechnen Kapoleon L, Itnrbide in 
Mexiko, Unrat in Neapel, zu der zweiten die Epigonen: Napo- 
leon IV., Heinrich V., die Orleans u. dgl. 

Eine sehr energisch wirkende Ursache des Entstehens ge- 
fahrlicher Prätendenten ist endlich noch eine gewisse Unklarheit 
im Erbfolgerecht. Das Auftauchen solcher Prätendenten ist be- 
sonders hänfig im 18. Jahrhundert in BoTsland. Nach Peters 
des Grofsen Tode waren Katharina I., deren Töchter Anna nnd 
Elisabeth, der Enkel Peters, Peter II., die Tochter des Zaren 
Iwan, Katharina und Anna Prätendenten. Sie niaclien einander 
Konkurrenz. Sie können einander jeden Augenblick gefährlich 
werden. Soweit es dem einen oder dem andern von Urnen ge- 



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Zur Natusetohiohte der Prätendanteik 



15 



liogt eine Partei zu bilden, ehrgeizige llätmer zur Vertretung 
Oirer Intereiaen in gewinnmii können Staatsumwälznngefn eintreten ; 
Pzluttntrigaen, Yenchwörimgen sind nn der TagttBordnnng. So 
eteht seehielm Jalire hindareh EUsabethi die Toohter Peterf , aU 

Prfttendentin neben dem Throne ihrer Yerwiuidten t im geeigneten 
Augenblicke bemächtigt sie sich des Thrunea; ao hat Birou der 
Herzogin Anna Leopoldowna gedroht, ihr in Peter (III.) von 
Holstein einen gefiilkrliohen Konkurrenten gegenüberauetellen ; ao 
ist der Gefangene Ton Ckolmogory and Soblfimelbnrg, Iwaa 
Antonowitaoh, swei Jahraehnte hindnreh ein hedenklieher Prftten- 
dent, dessen Name nnter Umständen auf die Fahne der Revolution 
geschrieben werden konnte. 

Ich schliefse diese Ubersicht der echten Prätendenten mit 
einer kurzen Andeutung der f'rage von den Jäeetaurationen, von 
den Yertnchen das yerlorene Becht wiedennerlangeni den be- 
ansprnchten Thron in erwerben. Es wSre von Interesse , das 
Yerhiltnia der miftlnngenen BestanrationsTennche an den ge- 
lungenen in einem Prozentv«*hältni8 ansdrüeken an können. Es 
gibt wenige Beispiele gelungener Restaurationen, und auch von 
diesen sind die meisten nur zeitweilig gelungen. Die vertriebene 
Dynastie kehrt bisweilen nur zurück, um ihre Unfähigkeit und 
Unmöglichkeit, das AnaehronistiBehe ihres Daseins noch dentUeher 
an den Tag au bringen. So kehren die Stoarts 1660 surttdc, um 
1688 wieder endgiltig gestürat an werden, so die Bonrbons 1614 
und 1815, um 183'.) wieder zu verschwinden, so die Bourbons iu 
Spauieu uud Neapel und so auch Kapoleou I. iu deu hundert 
Tagen. Diejenigen Prätendenten , welche ihre Kestaurationsver* 
snehe mit dem Leben beaahlen müfsten, lieben sieh in eine Gruppe 
ausanunenfassen i wir weisen auf Konradin und Konmouth hin, 
auf Iturbide und Unrat. 

Es ist eine Art Ideal, das Recht einer Dynastie au vertreten, 
und es geschieht l)i8weilen nicht ohne Ritterlichkeit. Aber die 
Grenze, wo der Held und Ritter aufhört und der Abenteurer 
anfangt, ist schwer an bestimmen. Napoleon HI. hat sicli durch 
seine BestaurationsTersuche in Boulogne und Stralaburg lacfaerlick 



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16 



Zar Naturgeecbiobto der Prätendeaten. 



gemacht. Sympathie und Verachtung, Btwuudening und Spott 
haben fast immer zusammen die Prätendenten begleitet« DtSß 
die WeohaelfilUey denen Prätendenten und deren Anhfinger »Oi- 
geaetst eindi Giefaluren, Leiden aller Aii| die hierbei nioht la Tev* 
meiden atnd, Üsthetiflch wirken ktonen, leigt der ümstasd, dab 
in der jSelletriatik auf dem Gebiete des historischen Romans kaum 
noch ein Stoff so beliebt ist, wie z. B. die Schicksale der Stuarts. 
Das ist aber zugleich das Charakteristische bei den Prätendenten^ 
daffl sie sehr oft nnr in den Aoman gehören nnd dafs die Wirk- 
liohkeit Über ihre oft phantaatieohen Aneprfiohe mr Tagetordnimg 
übersngehen pflegt. 



IL Die Falscheii. 

Das Auftreten falscher Prätendenten ist, wie bekannt, eine 
der Geaohiohte Bafslands im 17. und 18. Jahrhandert eigentüm- 
liche, aehr hlUiflg Torkommende EneheiDiing. In diesen Zeiten 
aind aolehe Betrüger gradesn ein chroniaehea Übel, wShrend aie 
in andern Partien der Weltgeschichte zu den Belteusten Vor- 
komnifussen zählen. 

£& mag von Interesse seini einen Augenblick bei der Statiatik 
dieaer hiatoriachen Vorgfinge an verweilen. 

Ana dem Altertum aind nnr aehr wenige derartige Beiapiela 
bekannt» Die grofate Berühmtheit genielat b^anntUdi Paendo- 
amerdea, dessen Geachxehte noch tot kurzem von Ebers in der 
„Ägyptischen iConigstochter" sehr geschickt verwertet worden ist. 
In der späteren makedonischen Geschichte gab sich (149) ein ge* 
wiaaer Andriscus für Philipp lY. yon liakedooien, Sohn des 
Peraena, ans. Niehnhr bemerkt in aeinen Yorleenngen» ea ael 
gar nicht aieheri ob dieaer Frfttendent nicht edit gewesen seL 
Er wnrde in Theaaalien anerkannt, sodann von den Bömem ge- 
schlagen und gefangen genunnaen. Indessen hatte denn doch 
seine Herrschaft nahezu ein Jahr gewährt. Wenige Jahre spater 
trat ein anderer Prätendent, ebenfalla ein angeblicher Sohn des 
Peraeoay Alexander^ auf (142). 



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Zur N«targesohiohte der Frätendeateii. 17 



Aus der Geschichte des Mittelalters w&re etwa das Beispiel 
jene» Paeudohaiiirioh m erwähnen, welcher nach dem im Jahre 
1195 erfolgten Tode Hetnriefaa V. auftrat, des Betrags überflihrt 
wurde und in einem Kloeier starb. — Von nnvergleiehlloh grd&erem 
Interesse ist der falsche Waldemar f 1347— 55), welcher als Gegner 
des Kurfürsten Ludwig von Jirantlonburg aus AVittelebachiechem 
Stamme aaftrat, sich für den in Palästina verstorbenen Markgrafen 
Waldemar ans ashanischem Stamme ausgab, bei Fürsten und Volk 
viele Anhänger fand nnd seine angeblichen Bachte in einem mehr- 
jährigen Bfirgerhrieg verfocht, hienmf abdankte, die Bewohner 
der Uarken ihrer Pfliehten gegen Ihn entband, sieh nach Dessau 
zurückzog und dort bis an seinen Tod fürstliclien Rang behauptete. 
Die einen glauben, es sei dieser Mann ein Müller, Kamens Jakob 
Eehbock gewesen : die andern hielten ihn für einen Bäcker, Kamens 
Möhnicke. 

Femer wäre aof Warbeck hinzuweisen, einen Betrfiger, welcher 
an dem Hofe der Herzogin Margarete vonBiirgand, einer Schwester 
Eduards XV. von England, auftrat und sich fHr den auf Befehl 

Kichrirds III. ermordeten Sohn Eduards IV. ausgab. Er erregte 
Btterst in Nordengiand mit schottischer Hilfe, sodann in Irland 
einen Aufstand gegen Heinrich VH., wurde jedoch 1499 gefangen 
und hingerichtet. Kan weifs, da(s Schiller die Geschichte diesss 
angebUcben Hersogs Bichard von Tofk, ebenso wie diejenige des 
Fsendodemetrius dnunatuoh behandeln wollte. 

Unter Gustav Wasa erschien ein Bauer, welcher sich für den 
verstorbenen Sture ausgab. Seine Ansprüche unterstützte, aller- 
dings ohne Erfolg, der Bischof von Drontheim. 

Viel bekanntere Bei^iele des Fseudoprätendententnms sind 
die falschen Sebastiano in Portugal, weUshe nach der Schlacht bei 
Alcassar (1578) auftraten. Der ITmstand, daTs die Leiche des 
Königs Sebastian, welcher, ein Enkel Karls V., mit seinem ganzen 
Heere im Kample mit den Orientalen zu Grunde ging, nicht Buf- 
gefunden wurde, veraalalÜBte das Erscheinen mehrerer Abenteurer, 
welche sich für den ans der Schlacht geretteten K&nig ausgaben. 

In neuester Zeit hat man mehrere Personen auftreten sehen, 



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18 



Zur Naturg«8dückt« der Prätendenten. 



welche sich für den unglücklichen Sohn des hingerichteten Königs 
Ludwigs XVI., den König Ludwig XVII. ausgaben. Dahin ge- 
hört der hekannte Uhrmacher Naundorf, dessen Tochter „Pnnseasm 
Ain6Ue deBourbon" noch vor wenigen Jahren (1874) am 31. Jannar, 
dem Todestage Ludwige XYI., in der Kapelle Ezpiatoire dem 
TranergotCeedienite beiwohnte und eine Klage gegen den Grafen 
Chaiiiljuid anhängig machte. 

So einige wenige vereinzelte Beispiele aus der Geschichte 
Westeuropas. Vielleicht liefse eich noch das eine oder das andere 
derartige Vorkommnis namhaft machen. Aber im wesentlichen 
gdi5ren solehe Erseheinnngen an sehr seltenen Ansnahmen. 

Garn anders in Bnfsland, wo die Zahl der fiüschen Prttteii* 
deuten sn Zeiten so stark ist, dafs man von einer Prfiteodenten- 
Bucht. einer Epidemie am krankhaft alhzierten Staats- und (iesell- 
schaltskurper, reden kann. 

Und zwar beginnen diese Erscheinunpfen unmittelbar nach 
dem Erlöschen der Dynastie Ruziksy in der Zeit des Interregnums. 
Es geschieht wohl, dals die Zttgel der Regierung am Boden schleifen | 
glücklieh, wer sie erhascht; Bauernkriege, BAubenmwesen, Verw 
heerung durch auswärtige Feinde, der ]\Iangel einer kräftigen Re- 
gierung im Zentniin; so ist der Boden beschaffen, auf welchem 
das Unkraut des falsclien Prätendententums gedeiht. 

Li weiteren Kreisen ist von solchen Prätendenten vor allen 
der erste Psendodemetrius bekannt, ein genialer ICensoh, welchen 
Schiller nicht ohne Qmnd lum Helden eines Trauerspiels hat 
machen wollen ; ein Abenteurer, aber vielleicht kein Betrüger, 
insofern in allemeuest^r Zeit darauf hingewiesen worden ist, 
dafs Demetrius aller Wahrscheinlichkeit nach sich selbst füx echt 
gehalten habe. Koch während seiner Eeglerung verbreitete sich 
das Gerttoht, dafs sein Vorgänger, der Zar Boris Godunow, nicht 
gestorben, sondern ins Ausland gefluchtet sei : eine metallene Puppe 
Mt statt seiner begraben worden. Auch von dem unglücklichen, 
vom Pöbel in Moskau ermordeten Sohne Boris Oodunows, Feodor, 
welcher sich einige Wochen lüiuiurcli Zar genannt hatte, erzählte 
man damals, er habe sich gerettet und werde demnächst erscheiuen. 



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Zar Nalurgweliiohte der Frütendentea. 



19 



Den von verschiedenen Seiten auftauchenden Gerüchten, Demetrius 
hftbe noh ans der Kataatrophe im Mai 1606, ala Wassil^ Sohaiek^ 
üm etflzsto und er maasakriert wufde, durch die Flucht so retten 
vemochtf entapneh das Auftreten jenes nBetrttgers Ton Toaehino**, 
des «weiten Ptendodemetriiif, an dessen Echtheit woM die wenigsten 
ßeinor Anhänger werden geglaubt haben, welcher aber, indem er 
die Bauern gegen ihre Herren aufwiegelte, eine soziale Revolution 
entflammte, einen starken Anhang hatte und längere &it hin- 
doreh die Bolle eines Zaren spielte. Sodann erschien ein an- 
geblicher Sohn des letaten Zsren ans dem Hanse Bnrik, Peodor, 
ein Psendopeter, femer ein angeblicher Neffe des Zsren Feodor 
und endlich eine ganze Reihe von angeblichen Söhnen und Enkeln 
des Zaren Iwans des Grausamen ; Söhne des Zaren ^V aHöilij 
Schuiskij, eine ganze Ana^hi angeblicher Söhne des Zaren Feodor 
Iwanowitseh. Da gab es einen Zarewitsch Angost, einen Zarewitech 
Lawrenty, einen Zarewitsch Feodor» einen Zarewitsch Klementg, 
einen Zarewitsch Ssaweiy, einen Zarewitsch Ssemjon, einen Zsre- 
witseh Wassilij , einen Zarewitsch TTrosohka , einen Zarewitsch 
Grawrilka. einen ZarewitBch Martynka u. s. w. (Kostomarow). 

Und diese Erscheinungen setzen sich auch in der Zeit der 
Regiemng der ersten Romanows fort. Es treten auch im Ans* 
lande derartige Prätendenten anf, so etwa in Polen ein angeb- 
licher Sohn der Uarina Hnischek» Gemahlin des ersten Psendo* 
demetrinSi so ein gewisser Imba, welcher sich fUr einen Sohn 
des ehemaligen Zaren Wassilij Schuiskii ausgab; dieselbe Rolle 
übernahm etwas später ein gewisser AukLuhiiuw. Bei (irelegeMheit 
diplomatischer Verhandlungen zwischen polnischen uud russischen 
Gesandten drohten die Polen wohl mit dem Auftreten mssiacher 
Thronpr&tendenten, deren man einige in Bereitschaft habe. Brei 
Jabnehnte nach der Thronbesteigung liichael Bomanows tauchten 
in Konstantinopel swei mssische Tbronprätendenten auf, ein an- 
geblicher Sohn Schuiskijs, welcher der Pforte als Gegengesciienk 
der Anerkennung die Abtretung von Ka.san und Astrachan ver- 
hiefSi und ein angeblicher Enkel des ersten Demetrius. 

Auch die Konkenrebellion Stenka Basins weist Spuren eines 



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so 2ar N«iiugewhichte der FrStendenten. 

eiL^'i iitümlicheu Präteudeuteutums auf. Die Kosaken führten auf 
der Wolga ein Schiff mit sich, ron welchem das Gerücht besagte, 
berge den geiehteten Patrierohen Nikon, welcher damalt in 
einem Kloiter im Korden dea Beiches als Ge&ngener lebte. Des 
Zaren Alexei illtester Sohn Alexei war Tor Inirsem geetorben« 
Jetzt hiefs es, er sei nicht tot, sondoni wigcu grauaaiucr Bo- 
haudlung durch deu Vater, und um der Bosheit der Bojaren zu 
entfliehen, zu den Kosaken gegangen : auf einem der Schiffe Kasins 
sollte er sieh befinden. Maxim Ossipowitsoh hiefs ein Kosak, 
der sich fttr den Zsrewitsoh aasgab. 

Im Jahre 1698 oder 1699 erschien in der Gegend von Pskow 
ein Mann, welcher sich für den Kapitän des Regiments von Freo> 
brasbenck, Peter Alexejew — so nannte sich der / Peter — aus- 
gab und Steuern erhob, d. b. die Leichtgläubigen plünd rti . Um- 
gekehrt wurde der echte Zar Peter nach seiner Rückkehr ans 
dem Auslände 1698 f&r einen ftlschen Prätendenten gehalten; 
es ging ^itm G-ertlcht, der Zar sei im Auslände nmgebracht worden 
nnd nan sei statt seiner ein Betrüger, ein Dentscher, erschienen. 

Im Jahre 1696 war der Bruder Peters, der Zar Iwan ge- 
storben. Zehn Jahre später tauchte das Gerüclit auf, er lebe 
noch, halte sich in Jerusalem auf tind werde bald in Hufsland 
erscheinen, am das Volk vor der Härte nnd Oransamkeit des 
Zaren m erretten. Im Jahre 1723 erschien in Pskow ein Psendo* 
Iwan, welcher sich fELr den angeblich nnr totgoglaabten Bruder 
des Zaren Peter ausgab. 

Gegen Ende der R<>gierunrr Peters II. lief bei den flüchtigen 
Bauern am Don das Gerücht um, die von dem Zaren Feter ver- 
stoftene Zarin Jewdokia habe einen Sohn, welchen man snm Zaren 
erheben mfisse; er lebe, wurde hinsugefOgt, am Don. 

Aus der Ehe Peters mit Jewdokia waren swei Sdhne ent- 
sprossen, Alexei, dessen tragisches Ende (1718) bekannt ist nnd 
ein zweiter Zarewitsch Alexander, welcher, am 3. Oktober 1691 
geboren, schon am 14. Mai 1694 starb. Die gegen 1730 am 
Don zirkulierenden Gerttchte mochten sich auf diesen Zarewitsch 
Alezander besiehen. 



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Zar Naturgeschichte der Präteudeuten. 



21 



Der unglückliche Zarcwit^ch Alexei genofa sction hei Leb- 
zeiten ein grofses Ansehen beim Volke. In den Zeiten der Drangsal 
während der Kegiemng Peters hoffte man auf ihn. Nach der 
Katastrophe des Zarewitsch erfmtte sich sein Andenken einer 
grorsen Popnlaritfti. Sein Name ist als deijenige eines Prftten- 
denten an^^fetaneht. 

Im Jahre 1723 gab aicli in der Gegend von AVolo^'da ein 
Bettler, HÄiuens Alexei Rodionow, für den Zarewitsch Alexei aus. 
In den letzten Monaten der Regierung Peters des Grofsen oder 
SU Anlang der Begierong Katharinas L trat in einem Städtohen 
Kleinrofslaads, Potaohep, ein ehemaliger Soldat Alezander Ssemikow 
als FrÜiendent auf, indem er sich f&t den Zarewitsch Alexei ausgab. 
Ber Betrüger wurde Ende 1795 enthauptet. Um dieselbe Zeit 
soll sich ein sibiriscln r Huuer ehenralls für den Zarewitsch Alexei 
au^^eben haben und ebenfalls enthauptet worden sein. 

Bald nach der Thronbestngong der Kaiserin Anna, im Sommer 
1792, trat in einer Kosakenstaniaa am Bnsuluk (Kebenflufs des 
Don) ein Bettler, Timofei Tmshentk auf, der sich fUr den Zare- 
witsch Alexei ausgab und wunderlieherweise einen Kosaken, Storo* 
dubzew, beredete, sich für den 171 Ii verstorbenen Zarewitsch 
l'cter Petrowitach auszugeben. Beide fielen, der erstere früher, 
der zweite etwas später, in die Biände der Begierungsgewalt, wurden 
nach Moskau gebracht und snsammen mit einer nicht unbetrftcht- 
lichen Anzahl von Anhftngern hingerichtet. 

Im Januar 1738 gab sich in einem Dorfe JaroslaveB bei 
Kijew ein Arbeiter, welcher mit andern Bauern im Walde Holz 
füllte . plötzlich für den Zarewitsch Alexei aus. Es gelang ihm 
insbesondere einen Geistlichen zu überreden , ihn mit Ehrenbe- 
zeugungen in der Kirche als den Zarewitsch sn empfangen : auch 
einige Soldaten erkannten ihn an und waren entschlossen, ffir ihn 
einsustehen: er Tcrsprach ihnen u. a. den damals im Volke ver- 
hafeten Tilrkenkrieg rasch su beenden, dagegen Polen zu erobern. Als 
der Betrüger verhaftet werden sollte , leisteten die Soldafpn und 
jener Geistliche Widerstand, in der Kirche wurde er als der recht- 
mlüsige Zar gefeiert, dagegen wurde die Kaiserin Anna im Ge- 



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99 Zur Naturgeacbichte der Prätendenten. 

bete nur als l^rmzessin crwahitt; daa ganze Volk der Umgegend 
glaubte dem Prätendenten, kam, ßel vor ihm nieder, küfste ibm 
die Hand, leistete ihm den Eid. Aber während einer solcken 
Feierlidikeit enchien eine stärkere Abteilang Kosaken und der 
angebliohe Zurewitadi Alezei wnrde Terhaftet. Er brennte, dale 
er ein polnischer SchlacbtitB, Iwan Hinisky, sei^ seit swaosig 
Jahren in Kufsland ein Wanderleben führe und ein Tranmgesicht 
gehabt habe, worin das Gebot an ihn ergangen sei, sich für den 
Zarewitsch Alexei auszugeben. Die Saclie erschien von grölserer 
Wichtigkeit wegen der Zahl und des Eifers der Anhänger des 
Betrfigers. Daher fielen die dekretierten Strafen dieses Hai be- 
sonders streng ans. Hiniaky nnd der DorfgeistUcfae wurden ge- 
pfählt, mehrere Personen gevierteilt, andere enthanptet n. s. w. 

Weniger beachtenswert , aber doch nicht ohne Interesse ist 
es, dafa einige Jahrzehnte nach dem Tode des Zaren Iwan (1696) 
noch ein Betrüger anftaachte, welcher sich fttr einen Sohn desselben 
ausgab. 

Bab Pngatschew sich Kaiser Peter m. nannte, ist seit langem 
allgemein bekannt; dafs aber dieser Fall von falschem Präten* 

dcntentum in der Zeit Katharinas ebensowenig vereinzelt dasteht 
wie jenes Auftreten des Psendo-Demetrius im 1 7. Jahrhundert, 
ist erst in neuerer Zeit auf Grund eines reichen Aktenmaterials 
erforscht worden. Pugatschew hatte seine Vorläufer und seine 
Nachfolger. 

Ein Jahr yor dem Anstände Png^tschews war in eben den« 
selben Gregenden, wo dieser auftrat» ein entlaufener Kosak eben- 
falls als Peter III. aufgetreten. Ein ;Linlerer Kosak spielte die 
JELoUe des Staatssekretärs. Sie hatten den Plan einigen Kosaken 
mitgeteilt; alle zusammen hatten den Entschlufs gefafst, nach 
dem Städtchen Dubowka an gehen, dort den angeblichen Peter IH. 
aum Kaiser ausaumfen nnd ihre Offiiiere an Terhaften. Die Ent- 
schlossenheit eines der Offiaiers vereitelte den Plan und erstickte 
den Aufstand iai K< uno. Er ging in das Bauernhaus, in welchem 
der Abenteurer safs , gab ihm eine Ohrfeige und rief den Um- 
stehenden an, den Fseudokaiser zu verhaften. Die Kosaken ge- 



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Zur Naturgeschichte der Prätendenten. 



23 



horchten. Die Verhaftung des angeblieliei) BjuserB nnd seines 
Staatssekretärs erfolgte augenblicklich. Ihr Prozefs zog sich 
monatelang hin. Es stellte eich heraus, dafs die Zahl der Mit- 
Bchuldigoi bedeutend war; in Zarizyn, wo die Verbreoher gefangen 
gofaalten worden , gknbten manebe dsnni dab dar wirldioha 
Peter m. als Verbrecher behandelt werde. Hit groiker Vorsieht 
vad mit einer betriditlicfaen Anzahl ▼on Bewaftieten wurden di# 
GelaiiL^'-nen in der Xacht heimlich fortgebricht. Diese selbst 
schienen darauf zu bauen, dafs das Volk sie befreien werde. 

Ein Jahr später kam Pugatschew, welcher den Organen der 
Begierong nnvergleicUieh mehr in schaffen machte» als sein Vo^ 
ginger. Dals er sich flir den ehemaligen Kaiser Feter III. ans- 
gab, kann als eine Art Znfidl gelten. Er kam anf folgende Art 
zu seiner Heldenrolle. Schon als er im Kosakeuheer diente, 
peinigte ihn die Ruhmsucht; er trachtete darnach, sich durch 
irgend etwas hervorzuthun. Nachdem er zweimal desertiert war, 
sich in Polen anfgehalten hatte, nnd yon den Sektierern» welche 
dort lebten» nntersttttst worden war, ward ihm Ton einem Kaufmann 
Koshewnikow folgender Bat gegeben : „Du willst hinter den Kuban 
fifiobten? Allein kannst dn es nicht. Willst du etwas Besseres 
anlVui[ren? Manche wollen eine Ähnlichkeit zwischen dir und dem 
ÜLaijBer Peter Iii. wahrnehmen ; gib dich für ihn aus und gehe 
an den Ural. Ich weib , dafs die Kosaken dort sehr hart be- 
drängt sind; sie werden bereit sein, dir als Kaiser snm Kuban 
an folgen. Hier ist ein Soldat, der gern beaengen wird, dafs er 
didi als Sjdser gekannt habe ; das Volk wird ihm glauben. Ver* 
sprich den Kosaken Geld , üwölf Rubel einem jeden. Brauciist 
du Geld, so gebe ich dir welches und andere Koskoluiks werden 
auch Geld geben; wir werden hier unaufhörlich bedrückt: 
nehmt nns an den Kuban." So begann der Aufstaad, welcher 
dem ganaen Beiche gelSsbrdrohend werden sollte nnd welcher nach 
langem Kampfe erst mit der gröfsten Anstrengung niedergeworfen 
wurde. 

Und mit Pugatschews Hinrichtung war die Gefahr noch 
nicht beseitigt. Einige Jahre nach derselben erschien ein Abenteurer, 



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24 



Zur Naturgeschichte der Präteodeoten. 



Namens OhaDin, welcher Torgab, dafs die Naefarieht yon Paga- 

tschews Hinrichtung erlogen sei: er sei der gerettete l'ugatschew, 
in welchem das Volk seineu legitimen Kaiser Peter III. er! iumt 
habe. Das Gerücht fand Beifall. Man glaubte ihm. Es hatte 
•ich io der That einmal während des Fiigatachewiehen Ao&tandea 
ereigneti dafa die Behörden das falsche Oerfleht Terhreiten lieTsenr 
Fngatschew sei mit seinen Banden geschlagen worden. Es war 
eine Ltige. Die Nachricht von Pugatschews Hinrichtung konnte 
auch erlogen sein. Der Anhang Chanins wur zahlreich; Geistliche 
und Bauern, namentlich Kleinmssen, gehörten dazu. Es war im 
Mftrs 1780 , als der Abenteurer seine Rolle begann nnd bald 
beendete. Br wurde verhaftet. Die Verhöre sogen sich lange 
hin. Der Schlafs der Prosefsakten ist Terloren gegangen. Wahr- 
scheinlich hat dieser PsendooPeter sein Leben onter der Knute 
oder in den Bergwerken Sibiriens nusgehauclit. 

Der vor einigen Jahren verstorbene Graf Bindow hat einige 
An^ben über Prätendenten gesammelt, welche in der von Kowa- 
lewshg Teröffentliohten Biographie Bindows abgedruckt wurden. 
Aus ungedruckten Urkunden, welche yon der GouTemements- 
▼erwaltung von Woronesch nach St. Petersburg geschickt wurden, 
ergaben sich folgende Thatsachen. Schon im Jahre 1765, also 
einige Zeit vor dem Auftreten Pugatechews, erschien im Gou- 
vernement Woronesch ein verabschiedeter Soldat, Kremuew, der 
sich fär den Kaiser Peter III. ausgab. Ein Priester machte f&r 
ihn Propaganda, indem er dem letchtgliubigen Volk enähltey er 
habe, als er noch den Dienst eines HofsKngers Tersah, den Priten« 
deuten als Grofsfttrsten gekannt, ihn als kleinen Knaben h&nfig 
gesehen, ja sogar ihn auf den Armen getragen. Das Volk glaubte 
dieses Märchen und viele Personen verschiedener Stände, danmter 
auch Geistliche, verbreiteten das Gerücht weiter. Aber der oben- 
erwähnte Priester und Kremnew und viele andere wiuden yer- 
haftet Die Kaiserin Katharina prfifte die Prosefsakten sehr 
genau und teilte die Angeklagten je nach dem Mafse ihrer Schuld 
in BweiuDdavaDiig Kategorien, indem sie die Strafe aller mil- 



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Zar Katurgesohichte der Prätendenten. 25 

derte. Die hierüber erlaaaene Verordnung vom Juiire 1766 wird 
im Archiv zu Woronesch aufbewahrt. 

Ans andeni Aktenstücken ist ma enehen, dafs im Jalire 1774 
ein andcror Paendo-Peter, weloher unprOngUefa Fom* Moiaiiakiii 
bMlk, ▼«mrtttlt, imd dab desMH Strafe durch den Amspraoh der 
Kalserm gomlldeii worden wer. 

Endlich öiud noch die Akten eines Prozesses zn erwähnen, 
aus denen hervorgeht, dafs sich ein Bauer, Saergejew, im Jahre 1776 
ebenÜBdis für Peter III. ausgegeben habe. Er sammelte ein Heer 
Ton Abenteurern nm tiohi welohe seineni Märehen Glauben 
•chenkten, und plünderte die Gotaherren ena. Der Ooayemenr 
Ton Woroneseh, Potapow, Ue& eile Teilnehmer der Bande, 96 Per^ 
sonen, verhaften. Die Prozefsakten sind nicht ToUstSndig und 
namentlich das Ende des Prozesse» ist unliekannt. 

So viel von dem Gouvernement Woronesch. Durch einen 
Zoialh sind wir daron nnterriehtet, de(s in dem Gh>aveniement 
JShb ebenfiills awei Fkendo-Peter enftrmten. 

Als im Herbst des Jahres 1790 die Kachriohi Ton der Hin* 
richtnng eines der Hauptschuldigen bei der Konföderation Ton 
Anjala, Hästeskos, in Stockholm nach St. Petersburg kam , war 
die Kaiserin sehr unwillig und trug dem Baron Igelström auf, 
dem schwedischen Gesandten, Feldmarschall Grafen Stedingk| 
ihre Unssfinedenheit sa beseigen. Stedingk schrieb an Ghutaf HI., 
IgdstrSm sei an ihm gekommen nnd habe sein Srstannen Uber 
diese Strenge anagedrttokt; Katharina begnüge sieh in solchen 
Fällen mit milderen Strafen, Bei dieser Gelegenheit teil tu Igelström 
dem Grafen mit, er habe in dem ihm zur Verwaltung anvertrauten 
GoQTemement UCa drei Fälle erlebt, in denen Abenteurer sich 
fUr den TcrstulMiien Kaiser Peter III. ansgegeben hätten, nnd 
sie seien nicht hingerichtet, sondern anf andere Weise bestraft 
worden. 

Zur YervollsUindigung des Verzeichnisses der unter dem 
Namen Peter III. auftretenden Prätendenten sei noch des Stepan 
Halyj erwähnt, welcher in Montenegro auftrat, sich dort für den 
Kaiser Peter IH. aosgsb nnd eine Zeit lang herrschte, bei einer 



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26 



Zur Natorgwobidite dar PrStendenteiL 



Bsplosion sein Augenlicht Terlor und soUiefiilieh ermordet worde. 

Er gehört kaum in die Gesobiolite Hafslands, unterscheidet sieh 
durch Geist und Ril lung sehr wesentlich von Pup^atschew und 
andern Abenteurern dieses Schlages, und war der Kaiserin bei 
weitem nicht so gelahrliob, wie jene Ko8«ken vnd JELäuber, welche 
die aoiiale Berolntion predigten. CHeichwohl sandte* die Kaieeria 
einen Knndacliftfter in die «SchwarMn Beige** and liele mit dem 
Usorpetor Yerhasdhisgeii führen. 

Endlich ist noch zu erwähnen, dafs sich im Jahre 17 73, wie 
aus einem Schreiben des Grafen Mocenigo au.s Zen^ hervorgeht, bei 
der Stadt Arta im tfirkiachen Albanien ein Pseudo-Feter gezeigt 
hahe^ doch ist uns über diese Episode nichts weiter bekannt 
geworden. 

Im Jahre 1764 war der ehemalige Kaiser Iwan Antonowitseh 

in der Schlüssel burger Festung von seinen Wächtern ermordet 
worden, als der kieinrussische Abenteurer Miro witsch den Versuch 
gemacht hatte, den Gefangenen zu befreien und ihn auf den Thron 
•n erheben. Ein Vierteljahrhnndert spiter tauchte ein Iwan 
Bediyi^as anf. 

Im ÜJSn des Jahres 1788 meldete sich bei dem Henoge 

Peter Biron von Kurland ein ICuin, der sich für einen raseiscben 
Knufniann ausgab und um eine Privataudienz beim Herzoge unter 
vier Augen bat. Der Herzog lehnte die Gewährung einer solchen 
Aadiens ab, lieüs den Verdächtigen yerhaften und dem General* 
Gon^emenr von Biga und Beval ansUefem. In einem YerhörCy 
welches der Geiiuigene am S4. Min in der lUgaer GonTemements- 
kanslei sa bestehen hatte, erklärte der Oefangene, er sei der ehe- 
malige Kaiser Iwan, welcher vormals in SchlüsselLurg gtfaiiL'' ii 
gehalten worden sei; der Kommandant der Festung habe ihm 
die Flucht ermöglicht, ihn mit Geld versehen und statt seiner 
einen Diener, welcher ihm Ähnlich sah, in die Zelle gesperrt. 
Als Kanfmann Terklcidet sei er sa den Meinnissiachen Kosaken 
gereist, habe sich dort in die Reihen der letstsien anfhehmen 
lassen, einigen Unterricht genossen, an dem türkischen Kriege 
teilgenommen, nach Astrachan und der Krim, ja auch nach 




V 



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Zur Kitorgwobiohte PriUmdentan. 



27 



Petenlnirg und Arebaagel Beiaen anteinommen; hieraiif Bei er 

dann nach Chenon und endUoh nach Kurland gereist, wo er von 
dem Herzoge seihst, dessen Vater in Ruisiand während seiner, 
Iwans, E^ieruug Begent gewesen war, Auskunft über die Schick- 
Bele leiner Angehörigen su erlangen hoffte. Mit diesem Präten- 
denten wurde sehr ramniariech Terfütren. An Händen nnd FOfeen 
gefesselt, wurde er naeh Petenborg gebnoht. Von dort ans 
sehrieli der Vfirst Besborodko an den Gteneral-Gkinvemenr Ton 
Riga und Reval, es habe sich herausgestellt, dnia der Gefangene 
ein Kaufmann aus Krementschug sei, Timotheus Kurdilow heifse 
und als Betrüger entlarvt worden sei; die Kaiserin habe bereits 
seinetwegen eine Entscheidung getroffen. 

So iet denn das YerzMoluua der falschen Prätendenten ein 
flehr langes. 

Es liefse sich noch anf eine Anzahl solcher Fälle hinweisen ; 
dahin gehört u. a. das Auftreten eines Zarewitsch Ssemjon Alexe- 
jewitsch in Kleinrufsland im Jahre 1071, der Plan einer Obersten- 
witwe in Kleinmfsland im Jahre 1788, einen Soldaten, Bunin, 
in der Bolle des ehemaligen Kaisers Peters HI. auftreten lu 
lassen, die nnter dem Kamen der ▼orgeblichen Tochter der Kaiserin 
Elisabeth in den Jahren der Begierung Katharinas auftretende 
Fürstin Tarakuuow. das Auftreten eines Pseudo- Konstantin und 
einer Fseudo-Grräün-Lowitsch im neunzehnten Jahrhundert u. s. w. 

Es ist klar, dafs bei so häufigem Auftreten falscher Präten- 
denten eine solche Ersoheinung nicht sowohl durch die ver^ 
brecherisehe Neigung einielner weniger Indiriduen, als yielmehr 
durch eine KrankheitsdispoBitlon am ruasisohen Gesellschaftskdrper 
erklärt werden mufs. Allerdinga ist das Mafs unserer Kenntnis 
der Einzelheiten bei den verschiedenen Kriminalfällen dieser Art 
ein sehr ungleiches. Aber es reicht in den meisten dieser Fälle 
hin, um uns die tTberaeugung au verleihen, dafo man ee hier mit 
einem sooal-pathologiadien Phänomen an thnn habe. Die Masse 
des Volkes produziert solche Abenteurer, denen die Prätendenten- 
Tolle nicht selten aufgenötigt wird. In den seltensten FlUlen 
mag der Gedanke, sich für einen verstorbenen Pürsten auszugeben. 



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S8 



Znr Nfttoigescluohle der PriiteiidMiteiL 



im Kopfe des FMItendenteo telbsfe eDtsproagen sein: wenigsteiui 
ist SOS msnchen soloher Froiesse mit E^idens Vekannt geworden, 
dsAr andere Personen solclien Alseotenreni den Gedanken ein- 
gegeben hatten. So erscheinen die unzufriedeneu Elemente unter 
den Sektierern als Mitachuldige i'ugatschews als diejenigeni welche 
ihm die Prätendentenrolle soufflierten. So enengen die permanenten 
Unrohen der kleinrnssischen Kosaken eine ganse Beihe &lsoher 
Prätendenten« Bafs die in vielen F&Uen recht sahhretohen An* 
hänger solcher angeblicher Zarewitsehs, Zaren nnd Kusor durch- 
weg au die Echtheit derselben ge-^^laul t hätten, ist nicht anzunehmen. 
Man ist solidarisch mit solcbcu Verbrechern, weil unter deren 
Fahne allerlei Vorteil' errungen werden können. Wo es TJn- 
mfriedene, Bedrückte gibt, da finden solche Prätendenten-Ideen 
Eingang. Jedes Gerfidit Ton dem Auftreten eines aogehlichen 
Herrschers oder eines angebliehen Verwandten eines solchen wird 
von den Massen mit Genugthuung begrüfst, weil sich daran die 
Hüilnuug knüpft, dafs die Luge des Volkes sich bessern werde. 
Viele derartige Gerüchte entbehren jeder thatsäch liehen Grand- 
lage. Wo sich niemand fand, die Pr&tendentenroUe su sptdeni 
erfand man das Phantom eines solchen nnd fihte anch damit schon 
die gewfinschte Wirkung. So war unter den Seharen des be- 
rühmten Bänhers Stenka Basin niemand, weldier die Bolle des 
eheniuligi n Patriarchen Nikon thatsächlich übernommen hätte, 
aber es genügte, dafs man auf ein Schiff hinwies, in welchem sich 
der Patriarch beßnden sollte, um die Einbildungskraft des YolkeSy 
welches mit dem hochstehenden StaatsTsrhrecher ^mpathisierte, 
m entflammen, dasselbe snm Kampfe gogen die bestehende Ord* 
nnng sn reisen. Wenn die Polen im 17. Jahrhundert den ICos- 
kowitern drohten, es würden Prätendenten auftreten, so mochten 
sie der gerechten Zuversicht leben , dafs es möglich sein werde, 
im geeigneten Augenblicke die Persönlichkeiten aufzutreiben, welche 
die PrätendentenroUe su tthemehmen geneigt sein wttrden. 

Dafs nicht so sehr die eigentliche Prätendentenrolle, ab viel* 
mehr die Lust an der Anarchie, die Hoffiinng auf allerlei Vorteile 
durch Auflehnung und BebelHon hei manchen dieser Episoden 



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Zur Ktttorgeschichto der Pritendeaton. 



die Hauptsache üt, ersieht man aus vielen Zügen der Haltung 
solcher Abenteurer und deren zahlreicher Anhftnger. Die Wago« 
faÜMy welohe aich den Kamen Peter IH. aneignen, um anter dem- 
aelben mit nm lo grAlsefem Erfolge an rauben und so morden, 
■ind nioht wesentlich ▼ersehieden von den lahlreiohen Landatreichem, 
welche in jenen Zeiten, ohn« si« Ii zu der Rolle von Thronprnten- 
denteu zu versteigen, die (jegenden an der Wolga unsicher machten. 
Ihre Zahl ist sehr grofs. Die Ungunst der Verhältnisse, in 
denen tieh die niedersten Sehichten der Geeellschaft befanden, 
trieb Tiele in die Bäaberlanfbahn, welehe meist nnglttoUieh endete. 
Dabei erscheint sehr oft der Name eines Iwan oder Alexei oder 
Peter als etwas Accessorisches. Bei manchen dieser Abenteurer 
erschtiiit die Frage, ob sie sich für einen Pürsten ausgeben oder 
nicht, als verhältnismäTsig geringfügig. Als ein gewaltiger Käuber- 
hauptmann, Sametajew, mit einer grofsen Bande auftrat und in 
der selben Weise banste, wie Pngatschew mit seinem Schwärm 
gebanst hatte, schrieb Snworow, welchem die Ergreifung von 
ICafsregeln sur IToterdrficknng solcher ünnihen aufgetragen worden 
war, man soiie doch gelegentlich heraU8zul)rin(?en suchen, ob dieser 
Büaber Sametajew sich iur Peter III. ausgebe oder mcht. Ebenso 
ist zwischen der Art des Auftretens Pugatschewe, welcher eine 
Prätendentenrolle spielte, und deqenigen berObmter Flulspiraten 
jener Zeit, wie Kulagss, Bragins n. a., welche nicht als Präten- 
denten auftreten, kein wesentlicher TTnterschied. Episoden, wie 
diejenige mit der Fürstin Tarakanow oder mit jenem im Jahre 1788 
in Mitau erscheinenden Pseudo-Iwan, mögen als vereinzelte If'älle, 
als individuelle Verbrechen erscheinen. Die meisten andern Fälle, 
deren oben erwähnt wurde, sind als kollektive Vergehen der Hasse 
des Volkes sn beseichnen, als Bymptome der inneren Gshrung in dem 
ganien socialen Organismus, als Pestgeschwttre, welche auf die ver« 
dorbenen Säfte eines grofsen Teils der Gesellschaft schliefsen lassen. 
Da li.ilf denn die noch so strenge Bestrafung einzelner Verbrecher 
oder ganzer Dutzende von Anhängern solcher Prätendenten eben- 
sowenig, wie die bloDse Behandlung der Symptome einem Schwer- 
kranken G^enesung zu bringen vermag. Vergegenwärtigen wir 



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30 2ur Naturgeschichte der Prätendenten. 

uns, dafs jene vüa nun zuaammengestellte Übersicht falscher Prä- 
tendenten in Rufsland im 17. und 18. Jahrhundert mehrere 
Dutzende beträgt, dais die Anzahl ihrer Anhänger auf viele 
Tansende sa Tennsolilegen ist» dab et einigen von ihnen gelangi 
eisen betridttlidien Teil des Beiofaee Sit offener Empörung gegen 
die Staatsgewali oder gegen die eosiale Ordnung oder gegen beide 
zn entfachen, dafs solche Ereignisse bisweilen Jahre hindurch 
den Regiernnjren und deren Behörden die schwersten Sorgen be- 
reiten, so wird man anerkennen müssen, dafs es sich hier um 
die untrüglichen Anzeichen eines chronitcben Sieehtoma am Staate- 
nnd VoUnkdrper handelt. 

Solohe VorgiBge sengen beredt Ton dem Elend nnd der JEtoh- 
heit, TOtt den Leiden nnd Eimpfen des Yolkes. Sie gewähren 
einen Einblick in die Schwierigkeiten, mit denen ein Übergangs- 
zustand, wie die Verwandlung Bufslands aus einem asiatischen 
Staate in einen europäischen, verbunden sein mufste. Sie reden 
lant von der Bedrückung der Hasse durch gewissenloaei besteohliohe 
und habefiohtige' Beamte; sie statten Berieht ab -von dem Ver- 
hängnis der erst in allemeuester Zeit gel5sten Banemfrage; sie 
schildern die nomadische , kosakische Art der wandersüchtigen, 
arbeitsBcheuen Masse des Volkes, die Wildheit der fremden Vrilker, 
die Beschränktheit der Sektierer, die Verzweiflung der deser- 
tierenden Soldaten , der bei Verbrechertransporten entlaufenen 
Bänber nnd If örder ; sie liefern «inen Kommentar zu der geschicht- 
lichen Bedeutung des Hangek an einem regelm&fsigen, Staate* 
rechtlich normierten Thronwechsel. 

Jalir liuiiderte lan^; liat Kufsliuitl -.in dem Übel falschen Prä- 
teudenteutums gekrankt. Diese i^'orm einer allgemeinen Auf- 
lehnung gegen die bestehende Ordnung in Staat und Gesellschaft 
scheint nun endgültig überwunden zu sein. Eine eingehende Unter- 
suchung und Würdigung des Auftretens, des Wütens und Ver- 
Schwindens dieses Sieditums in der Geschichte des mssischen 
Staates und Volkes wäre wünschenswert* 



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n. 



Die Pest in Rufsland 1654. 



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L 

l^ur gelegentlich und ausnahmsweise ist bisher die Geecbicht^ 
d«r Mortaiit&t and Horbiiitüt behandelt worden. Dafs mit ein.er 
Steigernng der Knltnr die dnrcliBohnittUche LebenecUMier Btuehmei 
die Widerstandeföhigkeit gegen Kraoklieiten wachse, sind Wahr- 
heiten^ welche, man darf sagen, noch nicht Gemeingut des öffent- 
lichen BewufstseinH geworden sind. Auch hat die Wissenschaft 
bisher für diese ErgebnieBe nicht sowohl exakte Beweise geliefert, 
eU vielmehr dieeelben nur mehr für wahrscheinlich gehalten. Die 
Statistiker haben ea fast ausnahmaloi mit der Bev5lkenmg irgend 
einer g^benen Gegenwart sn thnn gehabt» ohne eich mit dem 
Gange deir betreffenden Erscheinungen im Lanfe der Jahrhunderte 
und Jahrtausende zu befassen. Die Historiker , meist an den 
Anfserlichkeiteu der Begebenheiten der politischen Geschichte 
haftoidy sind derartigen allgemeinen oninent historischen Fragen 
fem geblieben. K ediainisoh-hietorieohe Werke haben für die im 
Laufe der Zeiten etattgefnnden habenden Veränderongen auf dem 
Gebiete der Mortalitit nnd Iforbilitfit einiges Material geliefert, 
ohne dafs daraus die 8ui;iiin' zogen worden wäre. Eine Sozial- 
physioiogie und Suzialpathologiu ist erst iui Werden begrÜTeu. 

Gleichwohl ist die Erkenntnis, dafs et auf dem Gebiete des 
Erkrankensi Krankseins und Sterbens einen gewissen Fortschritt 
gebe, Torhanden. Neben dieser Erkenntnis findet sich indessen 
hfiufig die Annahme, dafs die Menschheit physisch Terkomme. 

BraokAai, S«IUsiid. 3 



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34 



Die Feai in AoTBland 1664. 



Schon bei den Alten bestand ein solcher Zwiespalt der Meinungen. 
Hesiod sagt in seinen „Werken und Tagen** : 

Denn es lebten vordem auf Brden die Stimme der Henaelien 

Frei von Obeln und frei von harter lEfUml and jeder 

Algen KraaUieit, die sdmell den Kenaehai das Alter herbeif&krt 

Dagegen läiat Äschylus den Prometheus von den Menschen sagen : 

Das Grdftte war's, daft, wenn sie KnmUieit niederwarf, 
Kein Mittel da war, keine Salbe» kein G«trSnk, 
Kein Brot der Heilung, sondern aller Kriftigiing 
Ermangelnd sie verkamen, bis sie dann von mir 
Oelemt die Misohung segensreicher Arsenei *) 

Auch heute noch besteht dieser Gegensatz nicht blofs der 
Meinungen, sondern der Thatsachen weiter fort. In stumpfem 
JFatalismns lassen orientalische Völker sich von Epidemien dem- 
miereni wShrend dia Kaltnmationen den Kampf anfbebmen mit 
Cholera und Fett| Blattern imd Diphtherie nnd ans dieaem 
Kampfe wesentlich als Sieger hervorgehen. Wiederholt ist die 
Ansicht ausgesprochen worden, dafs von der zuiiehinenden Zivili- 
sation eine Abuahmp d^r ansteckenden Krankheiten zu erwarten 
sei} ^) man hat darauf hingewiesen, dafs die ärgsten Epidemien 
nnsrer Tage mit denen früherer Zeitalter imd roherer YiVlker 
kaam Tergliehen werden kSnnen. 

Inaofem derartige Behaoptongen nodi nicht eicakt und sifier- 
mSfsig begründet zu werden pflegen, mag es von Interesse sein, 
einzelne Erscheinungen aub dtai Gebiete der Volkskraiikheiten 
genauer ins Auge zu fassen, eine Parallele zu ziehen zwischen der 
Wirkung der Epidemien früherer Zeiten und den entsprechenden 
£2ncheiniingen der G-egenwart. 

In der folgenden Abhandlung haben wir es mit einer Episode 

') Diese Ansprüche einander entgegengesetxt in der Abhandlung 
von Karl Friedrich Heinridi Marx nlTber die Abnehme der Krank- 
heiten durch die Zunahme der Civilisation*' in den Abhandl. der Gott» 
Oes. der Wissensch. IL (1842—44) S. 47. 

*) Gosse bei Marx a. a. O S. 88. 

') Koscher, System der Volkswirtschaft l, S. 491. 



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Die Pest in Kufsknd 1654. 



85 



der Gescliicht« Rafslands zu thun, welche sowohl an den Zeit- 
genosseu in Wt stenropa als auch an der GeschichtHforsciiuiig unsrer 
Tage so gut wie völlig unbemerkt vorübergegangen ist und doftb, 
wie ODS aohemen will, mehr Beedktang Terdient Als muiohe von 
den fiistorikeni nmsUndlieh erfonehte und in der Dentellang 
weit »osgesponnene Begebenheit der politischen Gksohiohte. 

H. 

Aualändische Eisende, welche im siebzehnten Jahrhundert 
Bulslftod besuchten, waren voll Lobes Aber des der Gesundheit 
sntrSgliehe Klima dieses X^andes. Indem Olearius leichthin der 
Senche vom Jahre 1654 erwShnt, bemerkt er, sonst sei in BoTs» 

land nicht viel von „pestilenzischen Krankheiten oder grofsem 
Sterben" zu hören. Ebenso lobte der venezianische Diplomat 
Alberto Yimina, welcher 1655 in Kufsland war, das gesunde 
Klima; die Leute in BuTsland seien stark, erreichten ein hohes 
Alter; man hdre nichts von Pestkrankheiten.') 

Eine solche Anffassnng entsprach den Thatsaohen keineswegs. 
Dieselbe liefert wieder einmal einen Bewms dafEb*, daTs AasIXnder 
bei flüchtigem Aufenthalte in einem fremden Lande nicht immer 
richtige, zuaamraenfaasendo Urteile zu fällen vermögen uiul dain 
ihre Berichte der Kontrole durch andere Geachichtsquelleu 
bedürfen. 

Gans anders nimmt sich die Vblkshygieine in Bnfsland aus, 
wenn man, an der Hand Tersohiedener, vorwiegend russischer 

Quellen die Geschichte d(;r wichtigen Sanitätskrisen bis zur Mitte 
dea siebzehnten Jahrhunderts verfolgt. Wir entnehmen einer 
derartigen Zusammenstellung folgende Angaben. 

Im Jahre 1090 herrschte in Kijew eine ansteckende Krank* 
heit. Linerhalb Yieraig Tagen wurden 7000 Menschen von der- 
selben hingerafffc. 

>) Olearius, Kuikowitische und Perrianiache Beiaebeachreibnng, Aus- 
gabe von 1663. 

*) Istoria delle goerre civili di f olonia. Yeneiia t(f71. ä. 990. 

8» 



36 



Die Port in KuilBland 1654. 



Tm Jahre 1187 wütete in Nowgorod und Westnilsiand eine 
Epidemie, welche so verheerend wirkte, dafs kein Haus fon der 
Krankheit frei wer und keine Geemiden übrig blieben , welche 
die Kranken hätten pflegen kdnnen. 

Im Jahre 1S30 ff. herrschte in Smolensk die Peat; in awei 
Jahren wurden dort 32 000 Einwohner Opfer derselben. 

Der schwarze Tod wütete im Lande in den Jahren 1350 
und 1351. Der Vci lust an Meuschenlebun war unübersehbar. 
GbiDze Städte, wie Giuohow und BjeloaerOi starben ans. Dieselbe 
Krankheit kehrte in den Jahren 1860» 1363 und 1886 wieder 
und entvölkerte Nowgorod, Ferejaalawl, Kasan, Kolonma, Twer, 
Wladimir, Susdal, Wologda n. e. w. In SmolMiidc blieben i. J. 1386 
nur 10 Mensclif ji übrig. 

Im Jahre 1417 entvölkerte die Test Dieskau, Nowgorod, 
Ladoga, Porchow, Torshok u. s. w. Granzc Dörfer verödeten. 
In vielen grolsen H&usem blieb, nachdem alle Erwachsenen ge- 
storben waren, kaum ein einsiges Kind am Leben. 

In den Jahren 1420 — 94 yerheerte eine ansteckende Krank* 
heit die Gegenden Mittelrufslands so arg, dafs wegen Mangel 
an Arbeitern das Getreide auf den Feldern uneiugeemtet 
liegen blieb. 

Im Jahre 1543 starben in Pleskaa in einem Konat 2700 
Menschen an einer pestartigen Krankheit. In den Jahren 1561 
und 1569 betrug in Nowgorod und Pleskan der Terlust an 
\ Hensehenleben infolge einer Epidemie 500 000 Personen. 

Ähnlicher KK iLMiuse in verechiedenen Gegenden ßufslands 
oder im ganzen üeiche erwähnen die Chroniken von den Jahren 
1128, 1215, 1229, 1237, 1251, 1278, 1409, MIO, 1414, 1417, 
1426—27, 1442-43, 1462, 1465-67, 1476, 1487, 1499, 1506, 
1621, 1523, 1543, 1552, 1561-62, 1566, 1584-.1598, 
1601—1603, 1605, 1606. — In vielen dieser Pflle wird sweifels- 
ohnc der Hungertyphus, als eine unmittelbare Folge von Kifs* 
ernten, in der Bevölkerung Hufslands aufgeräumt haben. 

') Sb die fleiJGiig sasainmengesteUta Tabelle in dem grandlcgenden 



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Die Pest in KuXslaiid 1664. 



37 



Anderswo gab e;^ itlmliclie Erscheinungen. In London rechnete 
man während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, dafs alle 
20 Jahre eine Pest Yorkftme, von welcher im Dnrohiohnitt immer 
ein JPflnftel der Berdlkernng hingenilft vflrde. ^) 

ni. 

Das Jahr 1664 ist in der Geeohiehte des moskowitischen 
Staates denkwflrdig durch grofse Erfolg», welche der Zar Alexei 

Xichailcwitsch, unternehmender und thatkräftiger als manche seiner 
Vorgänger, über den Erzfeind Rufslfinds, den gefährlichen Nach- 
bar, l*olen, errang. Persönlich leitete der Herrscher die militÄ- 
nschen Operationen im Westen. Eine ganze Beihe fester PlätsOy 
bedeutender Stfidte in Polen fiel den Bassen in die Hftnde. Die 
Besetsong von Bmolenski welches Jahrzehnte hindurch im Kampfe 
Xoekans mit Polen das wichtigste Streitobjekt abgegeben hatte, 
war ein epochemachendes Ereignis. 

"Während aber der Zar im Sommer 1()54 fern von der Haupt- 
stadt als Kriegsherr th&tig wer, wnrde Moskau von einer furoht- 
barwi Seuche heimgesucht. 

In dieser Zeit besorgte der Patriarch Nikon, welcher das 
besondere Vertrauen Alexeis genofs, die Regierungsgeechifte. Als 
das Sterben in der Hauptstadt begann, verfügte der Kl t rliriifüröL 
die Entfernung der Zarin, Marja Iljnischua, mit deren Kindern 
ans Moskau. Dieses geschah im Juli. Bald darauf verliefe auch 
der Patriarch selbst die Hauptstadt. Er that dieses auf aus- 
drfieklichen Wunsch des Zaren. Alexei wollte das Ijeben seines 
Freundes, mit welchem er spftter terfiel, von der Gefidir der 
Epidemie verschont sehen. 

Offenbar war die Hauptstadt der bedeutendste Pcstherd ge- 
worden. Um den Zaren und sein Heer vor der Ansteckungs- 
geühr SU schützen , wurden auf dem Wege von Moskau nach 

Werke Eichten» Geschichte der Medutin in Bufaland, Moskwa 1818. 
Bd. L 8. 140--168. 

0 Petty bei Boschsr a. a. 0. & 491. 



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38 



Die Pest in Eufaland 1064. 



Smolensk SchlasrbäuniP errichtet; dasselbe geschah auf den Strafsen, 
welche von der iiauptstadt noch dem berühmten Kloster Troiza, 
Dach Wladimir und andern Städten fährten. Denjenigen Per- 
tonen, welche nacli Smolensk oder ttberhanpt in die Gegend reisten, 
wo der Zsr mit seinem Heere weilte, wurde sof das strengste 
▼erboten, anf dem Wege dorthin UodEsa wa bertthren ; sie mulsten 
einen weiten TTmweg machen. 

In Moskau aclböt würden einige Mafsregeln getrofFen , um 
den Palast des Zaren nebst allen dazu gehörigen Vorratsräumen, 
Wericst&tten und sonstigen Nebengeb&adoi vor der Anstecknngs- 
ge&hr SU sehfltsen. Die Fenster und Thilren dieser Hänser — 
aosdrttoklioh wird der Sehatskftmmer und der Garderobe des Zaren 
erwähnt — wurden Termaaert, damit der Gifthauch der ver- 
pesteten Luft nicht hineinstreichen könne. 

Auch andere sanitätspolizeiliche Mafsregeln wurden getroffen. 
Man sperrte die Häuser ab, in denen Erkrankungen stattgefunden 
hatten; niemand wurde heransgehttsen. Überall sah man Wadien 
stehen. Auch nm die Dörfer in der Umg^nd, welche infiaiert 
waren, wnrde ein Kordon gezogen. Die Wachen ringsnniher 
mufsten grofse Feuer unterbalton, um die Luft von Aliaf^Tutu zu 
reinigen. Bei Todesstrafe Mrurde jeder Verkehr der Gesunden mit 
den Kranken verboten. 

Die Zarin» welche aaerat am Flusse Kerli eine Art Lager- 
lebens gef&hrt hatte, begab sich in das Kloster Koljasin. Als es 
sich non ereignete, dafs die Leiche einer an der Pest verstorbenen 
Beamtenfrau über den Weg gebracht worden war , welcher nach 
dem Kloster Koljasin führte, wur lnn zum Schutze der Gemahlin 
Alexeis besondere Mafsregeln ergriüeu. Die betreifende Stelle 
der Strafse, sowie der Baum an beiden Seiten derselben wurde 
auf eine Strecke von g^n hundert Fnlii mit Hola belegt, dieses 
wurde angezündet; hierauf wurden Kohlen und Asche mit der 
Erde vermischt und alles fortgebracht; es wurde neue Erde auf- 
geschüttet, wobei ausdrücklich befohlen wurde, diese neue Erde 
aus grolser Entfernung herbeizubringen. ^) 

*) Ssolowjew, Geschichte Bafdsnds. Bd. X. a 867 und m 



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Die P«* in BulUaiid 1654. 



39 



So dachte mam denn in erster Linie an den Schnts des Lebeot 
imd der Oenindheit der leriMben Femilie. Von iigoid welolieii 
Aritea, deMn Th üi gk eit warn Sehatie dea Volkee an^boieB 
worden wire , findet sieb in den Quellen keine 8pnr. Ifon liefe 

die Erkrankten veikoiiiin* n. AuLscr der Absperrung der Gebunden 
yon den Kranken gab es kaum irgendwelche andere sanitätspoli' 
leiliche Ma&regel, von welcher wir Kunde bitten. 

3Dagegen findet aioh ein Schraben der Zarin an den Woje- 
-woden Pilraten Pronakq, welcher die Hanptatadt in dieser Zeit 
yerwaltete, Tom 87. Angoat 1654. Ea heiftt darin, die Zarin 
habe die Verfügung getroffen , dafs das wunderthätige Bild der 
heiligen Mutter von Kasan aus dem Troizkischen Kloster nach 
Moskau gebracht werde. Man solle nun dem Heiligeubilde einen 
feierlichen Empfang bereiten, dasaelbe in die Kathedrale bringen, 
„damit der gerechte Zorn GKittea gestillt werde**. 

Natürlich war ea der Patriareh Nikon , welcher diese Uialb* 
regel ▼erfügt hatte. Offenbar hatte er wie die Zarin yon dem 
Fürsten Prouskij Nachrichten von der Verschlimmerung der Lage 
der Hauptstadt erhalten. Am 3. September 1654 schrieben die 
2arin nnd deren Sohn Alexei Alexejewitsch an den Fürsten 
Pronakij: da die Peat annehme nnd nnr ein geringer Teil der 
reohtglftnbigen Christen ftbrig geblieben sei, d» der Fürst P^onakq 
gemeldet habe, da£i er selbst filr sich nnfehlbar den Tod erwarte, 
da er feruer mitteile, dafs an der Hauptkathedrale nur drei Geist- 
liche am Lehen geblieben seien, so aolle er, der Fürst Pronakij, 
zum Schutze seiner Gesundheit und seines Lebens die gröfste Vor- 
aiobt anwenden nnd im Krend abgesondert wohnen ; alle Geschäfte 
mfllktea rohen ; wer irgend mit einem Anliegen an die Begienmg 
komme, mflaae abgewiesen werden; auch aolle Pronskg keine 
Schreiben mehr an die Zarin richten; dagegen könne er Tor- 
kommendenfalls an den Zaieu nach Smolensk schreiben. 

Bas Abbrechen der Korrespondenz zwischen dem Fürsten 
Plronakg nnd der Zarin war demnach eine prophylaktische Mafa- 



>) Bicfater a. a. O. IL Mkgea S. 76 nnd 77. 



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40 



Die Pest in Bufsland 1664. 



regel zum Schutze der Gemahlin Alexeis. Ohnehin erfahren wir, 
dafs die ans Moskau gesandten Schreiben der Bojsuren „durch dal 
Feuer" gehracht, d. h. geräuchert, desinfisiert wurden. 

Nooh ein soderee aagebUcli Ton dem 2«rewitech Alezei 
(welcher nur wenige Jabre sfihlte) herrülirendee Aktenatllok ge* 
w&hrt einen Einblick in die Art der PriventiTnarsregeln, weldie 
damal» getroffen wurden. Der Zarewitsch schreibt am 3. Sep- 
tember 1654 an den Wojewoden der Stadt Kolomna, Fürsten 
Wasflil^ Kortkin, als Antwort auf seine Mitteilung, dafs eine groüie 
Menge von Einwohnern HoskMU in den Kreit von Kolomna ge* 
koBunen sei, er habe eebr unrecht gethan, dergleichen m gestatten, 
d» ihm doch der Befehl angekommen seil niemanden dnrchaolassen. 
Bb folgt Bodann die verschärfte "Wiederholung des Befehls, alle 
in den Kreid von Kolomiia oder nach dieser Stadt koiamonden 
Personen verschiedener Stände au den Sclilagbäumeu aufzuhalten 
und inrfidcniweisen. ^) Offenbar befand aich der Aufenthaltsort 
der Zarin und ihres Sohnes in der NXhe der Gegend, in welcher 
die ans Moskau flüchtenden „Personen aller Stände* in hellen 
Hänfen erschienen. 

IV. 

Wie P8 inzwischen in Moskau herging , erfahren wir aus 
einem Schreiben, welches der Fürst Pronsk^j Anfang September 
1654 an den Zaren richtete. Hier wird auerst darauf hinge- 
wiesen, daCi schon im Juli und August au Terschiedenen Malen 
an den Zaren von dem fiirchtbaron Sterben in Moskau und dessen 
YorstSdten berichtet worden sei. Bami heifst es weiter: „In 
unsem Häusern steht es damit nicht besser und wir haben des- 
halb dieselben verlassen und wohnen im freien Felde. Kun ist 
seit dem Tsge des heiligen Simeon (1. Sept.) die Seuche von Tage 
SU Tage schlimmer geworden. Sowohl in Moskau selbst als in den 
YorstSdten ist nur ein kleiner Teil der reohtglXubigen Christen 
flbrig geblieben. In seehs Eegimentem ist kein Soldat mehr 

^) Ssolowjew X. a 870. 

•> Bieki» a. a. O. n. BeOsgen S. 77. 



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Die Ftet in EoiUand 1664. 



41 



vorhanden. In den andern liefen viele krank darnieder; manche 
nnd ^Ton gelaallni. Ea ist niemand da, der die Waehe hesiehen 
kdimto. Der CShef der StrelsTregimenter ist gestorben , ebenso 
rind Ttele HnndertmiDner geetorben. Faet alle Ka(ihedralen nnd 

Kirchen haben den Oottesdieust cingci>tLllt, mir in der grofseu 
Kathedrale findet noch alltäglich der Gottesdieust statt, wenn 
auch mit grosser Schwierigkeit, da nnr drei G^iatliehe übrig ge- 
blieben sind. In den Oemeindekircheu tat nur noch ein gana 
kleiner Teil der Geiatliofaen am Leben, nnd auch von diesen aind 
viele eehon krank, nnd andere aind fortgegangen. So sterben denn 
die reclitgliiubigeu Christen ohne creistliclien Beistand und werden 
ohne die Hilfe der (reisthcLeu hebtaltt-t. Sowohl iu der Stadt 
als in der ümgebaug derselben liegen viele Leichen, welche von 
den Hunden hin- und heigeierrt werden. £s ist niemand da, der 
den Toten eine Grabe maeben könnte ; die Fnhrleate der Armen- 
binser, welche die Leichen frOber lunansfahren nnd bei den 
Armenhäusern Gräber gruben, sind selbst gestorben ; alle übrigen 
Menschen, da sie solches sahen, haben sich entsetzt und fürchten 
sich in die Nähe der Toten zu kommen. Alle Ämter sind ge- 
achloBsen, die Beamten und Sobreiber sind alle gestorben. Unsere 
Hftnser sieben leer, fast alle Ifensoben sind gestorben, nnd 
ancb wir, deine Sklaven, erwarten stündlich, dafs der Tod nna 
heimsQcbe. Ohne deinen Befehl, o Herr, dflrfen wir nicht in die 
bei Moskau gelegenen Dörfer übersiedeln, wie wir der schweren 
Luft hier wegen gern thäten ,, um nicht insgesanit hier wegzu- 
sterben. Darum bitten wir dich, uns, deinen Sklaven, einen 
solehen Befehl ansfsrtigen an lassen.** 

Prooskijs Bemerkong, dais er stOndlieh den Tod erwarte, 

>) Biebter a. a. O. IL Beilagen, teilt dieses Aktenstück nach einer 
Abechrift mit; auf daa eigeDtliebe Schreiben Pronskijs folgen noch 
weitere Anj^aben über den späteren Verlauf der Krankheit. S l.ö9 

datifrf Rl 'litrr <]ri^: Schreiben fÜlschlioh 1665; der Sept. 163 (d. h. 7163 
nach Erschatiun^ der Welt) entsj)richt dem September 1654; da das 
Jahr bei den Russen damals den 1, September begann, so konnte Pronskij 
163 im Sept. schreiben, er habe „im vorigen Jahre im Juli und 
Auguüt" dem Zaren gemeldet u. s. w. 



42 



IhA Pest in fioTiland 1664 



fand ihre Beatfttigaiig. Wenige Tage, nachdem er an den Zaren 
geschrieben, war «r eine Leiehe (11. September). Einen Tag 
spiter starb sein Genosse, der Fürst CShilkow. AUe „Gosti" 
oder Hjandelsagenten des Zaren (ein Ansiinder bezmobnet sie ale 

die ^Konimerzieiiiäte d» a Zaien'-j wareu gestorben. Aller Handel 
und Verkehr iiorte auf. Kein Laden stand offen. Am furcht- 
barsten wütete die Seache in dem sahireichen Gesinde der Mag- 
naten» deren jeder Hunderte von Hanssklayen besafs. In manehen 
BojBrenbftnsem blieben nnr 3 oder 8 SklaTon fibrig. Wir werden 
spiter Zahlen Aber diese Yerhiltnisse mitteilen. Alle Ordnung 
hörte auf. Es wurden mehrere Häuser ausgeplündert, ohne dafs 
irgend eine Polizei vorhanden gewesen wäre, um dem Unwesen 
£inhalt zu thnn. Die Sträflinge des Stadtgefangnisses befreiten 
sich ans der Haft, entliefen aas der Stadt. £s gelang nur die 
Hälfte derselben wieder einanfangen. Bsr Kreml war Öde und 
Tsrlassen. Es war der Befehl gekommen, alle Zugänge zu dem* 
selben zn schliefsen, alle Qitterthore herabzulassen; nur ein einsiges 
Ffbrtchen sollte tagsüber zugänglich bleiben. Die Staatsdruckerei 
stellte ihre Arbeiten ein. ^) 

Leider haben sieh über das Wesen der Krankheit, welche 
so entsetalich wütete, keine Nachrichten erhalten. Es fehlte an 
Arsten sum Beobachten der Symptome. In den oben angefahrten 
offiriellen Korrespondenzen findet sich keine Andeutung darüber. 
*\V'ir wissen nicht, ob es die Beulenpest war, welche allerdings 
in jenen Jahren in Westeuropa wütete, oder eine nmlere Seuche. 
Nur bei Oleariusi weldier, nachdem er ein paar Jahrzehnte früher 
in Hofsland gewesen war und Ton dort mancherlei Nachrichten 
erhielt, findet sich folgende Bemerkung, welche Fachminnem viel- 
leicht einen gewissen Einblick in das Wesen der Epidemie geben 
mag: „Es entstand eine so git'Ligc Luft und grofse Pest iii iloskau, 
dafs die Leute, welche ihrer Meinung nach gesund aus dem Hause 
gehen, aof der Gasse niederfallen und sterben.** ^ 

«) Ssolowjew X. S. 370—371. 

*) Olearins 8» 148, Es ist sehr su bedanem, dafs in den Kreiwen 
der in Moekan, Tomehmlich in der sogensaatea „dentsohen Yoistadt**, 



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Die Pest in Eufalaod iOoL 



48 



V. 

Im September 1654 hatte die Seaohe ihren Höhepunkt eis 
reicht. Vom 10. Oktober an nahm man eiae Abnahme der Starb* 
Uchkett wahr; die Gefiihr, in welcher die Erkrankten geechwebt 
hatten, wurde geringer ; die Fälle, in denen die letiteren genaseoi 

wurden häufiger. 

Inzwiaoheu hatte der Zar einen grofseu Erfolg auf dem Ge- 
biete der aoBwärtigen Politik errangen. Die Stadt Smolenak war 
in leiae Hinde gelülen (September). Alezei gedachte nnn fttr 
«mige 2eit in aeine Hanptetadt inrfleksnkebren nnd die mili- 
tirbehen Operationen im Kampfe mit Polen im Frfihling 1656 
wieder aufzunehmen. 

Als der Zar indessen am 21. Oktober auf dem Wege von 
Smolenak nach Moekan in der Stadt Wjaama anlnncrte, stellte 
aich herane, dafi er wegen der noch immer vorhandenen An- 
ftecknngige&hr niehi weiteneiMn dnrfte. So blieb er denn mehrere 
Monate in Wjaema. Kerher kam die Zarin mit den ändern, 
nachdem sie einige Wochen in dem Kloster Koljasin verlebt hatte. 
Von hier aus verfugte Alexei, dafs au allen Orten, wo die Krank- 
heit gewütet hatte, über die während denelben stattgefunden habende 
Sterbliehkeit statiatiaohe Erhebongen gemacht würden. Die Ergeb- 
niaee dieeer Zihlungen werden wir aogleich mitteilen nnd erlttatem. 

In Koskan hatte inawieohen der Bojar Iwan Waesiljewiteeh 
MoroBow den Oberbefehl übernommen. An diesen schrieb der 
Zar aus Wjiistiia ;irn 15, Januar 1655, er habe vernommen, dafs 
viele Männer und Frauen, welche während der Epidemie ins 
Kloster gegangen ieien, wieder in das weltliche Leben inräok- 
gekehrt leien, eich Handel^geeehSften widmeten u. dgl. m. Femer 
hahe die Tronkaveht, Banb nnd Mord infolge der Krankheit an- 
genommen. Bar Zar verlangte eingehende Berie hto ra tattu ng ftber 

lebenden Ausländer keinerlei Nachrichten über die Pest sich erhalten 
haben. So fehlen denn a. B. in Fechnen sonst so instraktiver „Chronik 
der evangelisdien Gemeinden tn Moekaa** eile Angaben Über die 



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Di« BBit in BnlUMid 1654. 



die sittlichen Znatinde in lEhnptetadt. Jbi einem Sebreiben 

an den Fürsten Tscherkafskij vom 19. Janaar 1655 stellte Alexei 
sein InilJigeü Erscheinen in Moskau in Aussicht. Er werde auf 
kurze Zeit kommen, das Hauptgepäck in Wjasma zorücklaasen ; 
er werde in der Hraptetadt eintreffen, nm vor dem Bilde der 
heiligen Mntter Gottes sn beten, die Beliqnien der Heiligen m 
▼erehren und dae Volk nach eoriel Knnuoer in erfirenen; er werde 
«eine Familie nach Hoekau bringen und dann abermala ins Feld 
sieben. ^) 

Zuerst scheint die Zarin in der Hauptstadt erschienen zu 
sein, als noch, wie es in der £LandBohrift aus jenen Tagen holst, 
wenige dahin xnrüokgekehrt waren. Allmiihlich erschienen aneh 
andere; so der Patriarch Nikon, welcher sogleidk bei seiner Bficfc- 
kehr den Befehl gab, alle Hnnde an erschlagen, weil sie sich von 
den Leichen der während der Epidemie hingerafften Menschen ge> 
nährt hätten. 

Sodann erschien der Zar in der unmittelbaren Nähe der 
Hanptstadt. Eine Zeitlang blieb er bei den „Sperlingsbeigen*, 
einer gelinden Anhöhe, Ton welcher ans man einen Bli<^ auf 
die Hanptstadt hat, bis die letztere gana gesSnbert war. Dann 

hielt Alexei seinen Einzug^, wobei es umfassende geistliche Feierlich- 
keiten trab (Ende Februar 1655). Der Patriarch Nikon begräfste 
den Herrscher. Es war ein doppeltes Fest. Man freute sich 
des Aufhörens der Pest nnd der im Kampfe gegen Polen er- 
rungenen Erfolge. Nur wenige Wochen blieb Alexei in Moskau, 
sodann kehrte er an seiner Armee anrück. 

Die Epidemie aber hatte noch kein Ende erreidit Hatte 
sie im Sommer und Herbst des fahros 1654 in den zentralen 
Gegendeil des Heiches gewütet, so wurde jetzt der Osten uud 
Sttdosten des Beiches heimgesucht. Viele Ortschaften an der 
Wolga, bis nach Astraehan hinab, verödeten. Schon im Jahre 
1654 waren in diesen Gebieten viele Hensehen umgekommen; in 
Weihnachten war dann eine Besserung eingetreten. Im Jahre 



') äsolowjew X. S. 883. 



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Die Fest in Baijland 1664. 



46 



1655 brach die Krankheit in noch höherem G-rade aas. i,Es blieb 
nnr ein kleiner Teil der Menschen ul risT,« heifst es in einer 
Handschrift.^) Wir erfahren, dafs der Zar im Sommer 1655, 
am 17. Juni, Ton Sohkknr in WeifirnfaUpd mm inbetriff d«r 
in Aitnelian ni ye rfD gc n den Hallingdn Befoble artoUta.*) Astr»- 
öhan nnd Umgegend blieben Innge Zeit ein IclMaiioher Boden für 
peetartige Erscheinniigen. Bowohl im 17. «Ig im 18» Jabrbiuidert 
traten dort verheerende Seuchen auf. In nnsren Tapfen (1879) 
setzte die in Wetljanka, in <1< r !Nähe von Astrachan, auitretende 
Pest die ganie nvilirierfce Weit in Sohreoken.') 

In den Jahren 1655 — 57 hörte anch im Zentrum dee Beiohea 

die Gefahr der Krankheit und des Sterbens nicht auf. Wenn 
man auch annehmen darf, dafs die Verluste wuit hinter denjenigen 
des Jahres 1654 zurückblieben, so deutet doch eine Reihe von 
Jäegiemngsmaferegeln darauf bin, dafs der aUgemeioe Gesnndheite« 
nutand nodi lange kein normaler war. 

Eui Aktenstück vom 2. Dezember Kiof) diktiert zwei Brüdern 
lliloslawskij eine Strafe dafür, dafs ihre Mutter einen Erkran- 
knngsfall in ihrem Hause geheim gehalten hatte, statt sofort ge- 
hörigen Orte eine Heidung su machen.*) Am 30. Juli 1656 
wurde die VerfÜgnag getroffen, dafa auf den nach den „unteren" 
Städten, d. b. in die Ghegenden des unteren Laufes der Wolga 
führenden Strafaen Schlai/bäume errichtet werden sollten. Von 
dorther kommende Kelsen de sollten uuter keinen Umstäudeu iu 
die Hauptstadt eingelassen werden. Bei Lebensstrafe war es ver- 
boten, mit solchen Beisenden iigend welchen Verkehr su pflegen. 
Alle Beisenden wurden angehalten, verhört, beobachtet; bei der 
Ankunft durften sie nicht anders als in einer gewissen Entfernung 
mit den Einwohnern sprechen. Jedermann hatte, wenn er ein- 



') Richter a. a. 0. II. Beilagen S. 73. 
«) Richter II. S. 167. 

S. einige Angaben über Astrachan in den Jahren 1698— 98| 
1727—98 u. s. w. bei Richter IL 8. 168-160. 
*) VoUstiadige GenetMammlung, Nr. 168. 



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46 



Die M in BnUttid l«6i. 



traf, an einer beetimmUm Stelle an&erlielb dar Stadt aieli einer 
Art Qaarsntloe an unterwerfen. 

In ?\I().skau nuissru jedenfalls im Jahre 1656 sehr bedenk- 
liche Erkraukungstäile vorgekommen sein, da am 5. August eine 
sehr strenge Yerordnung erlassen wurde, man solle von allen Er- 
krankungen acUennigat Anaeige maehent damit die erforderliche 
BewaehoDg der Kranken verftgt werden könne. Die Kleider der 
Kranken lieft man Terbrennen, die übrigen Kleider dorebrCnekem. 
In den Dörfern mufsten Kleidungsstüoke und Wohnungen zwei 
Wüciicu hindurch der Kälte ausgesetzt werden, worauf dann drei 
Tage hindurch mit Wermut geräuchert wurde. 

Ja fast scheint ee» ala h&tten aich in den Jahren 1655 und 
1656 die Eraobeianngen dea Jahrea 1664 wiederholt. Der Zar 
yerftigte in einem JBrlalii an den Färaten Korakin allerlei Xala- 
regeln , nm die IHnidileppung der Seaehe naeb Wjaama und 
iSiiiolensk zu Terhüten (hiii 2G. Oktober 1655). Am 31. August 

1656 wurde die Absenduug von Kurieren aus Moskau an den 
die Kriegaoperationen leitenden Zaren verboten, ,,ura die Gesund- 
heit nnaerea Yatera zu aobfltaen'S wie es in dem betreffenden 
Aktenatttck helfet Besondere anadmekavoll lautet ein gMatliohea 
Kanifeet dea Patriarchen Nikon vom 6. August 1656, in welehem 
er das Volk ermahnt, durch religiöse Übungen, Beten und Fasten 
Gottes Zorn zu besänftigen. In diesem Hirtenbriefe findet sich 
die Bemerkung, dafs ob bei der Allgemeinheit einer so fürchter- 
liehen Seuche keine Sünde aei, sich nach einem andern Orte an 
begeben, bia die Gefahr der Anateckong vorftbergegangen aein 
werde. Gott aelbat habe anf die Flucht ala ein Mittel der Bettnng 
hingewieaen.^) 

Die westlicher gelegenen Gegenden wjiren einige Zeit hin- 
durch verschont geblieben. Nowgorod wurde überhaupt nicht 
heimgesucht.^) Pagegwi blieb Sraolensk nicht frei. Im Jahre 

1657 wurde dem Fttraten Dolgomkij Toigeechriebeui die yon 

*) Rieliter a. a. 0. IL ä. 162—166. VoUstäodige Gesetzsammlung, 

Nr. 184. 187, 188. 

^) Richter a. a. O. Ii. Beilagen S. 75. 



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Die P««t in EaXalaad 1654. 



47 



dorther kommenden, für den Zaren bestimmten Papiere in der 
Drogomüowschen öloboda abschreiben und die Originale verbrennen 

Folgende SchüdeniDg ftlwr die veriieerende Wirkung der 
Pest in BuTsleiid findet neh in dem ^Theeitnim enropaenm'' : 
„Zu der Zeit grassierte die abseheoKohe Sendie der PestUents 

in Moskowieii derniiifson heftig. (IlUs auch die Mensclien auf den 
Q«Men unbegraben lagen und von den Hunden gefressen wurden ; 
wovon ne (die Hände) dann ganz rasend nnd toll die lebendigen 
Hentchen angefallen, alfo dafe die Leate wegen dieser Bestien 
' weder aaf dem Felde, noch in den Hkusem sioher sein können. 
Dieses war die TTrsache, warum der Groftf&rst, welcher mit dem 
Gros seines Heeres zehn Meil lauter Wjasma stunde, nach der 
Moskau zu geben Scheu getragen." Sodann ist vou der Uneinigkeit 
«wischen dem Zaren und Patriarchen die Rede, und dann heifst 
es weiter: ,|Daraber nnn sein ganses £eioh an Strafe von Gott 
mit der gransamen Pest besncht wnrde, als atiTor niemalen in 
selbigem Lande gehört worden. Barinnen waren etliehe 100000 
Menschen, ja in der Stadt Moskau allein über 300000 Seelen an 
solcher Seuche verstorben, so gar, dafs auch keine Leute mehr 
gewesen, die des Grofszareu ÖchloXs bewachen wollten. Danuenhero 
die Thore an Moskau Tag and Nacht ofifen und ohne Wacht 
gewesen. Dieweil anch auf dem Lande viel Dörfer ausgestorben, 
als lief das Vieh haufenweise auf dem Felde herum, stürbe teils 
Hungers, ward anoh teils von den wilden Tieren lerrissen nnd 
verzehrt"'') 

YL 

Die vorstehenden ]\Iitteilungen gestatten im allgemeinen einen 
Schlufs auf das Mals der verheerenden Wirkung der Epidemie, 
welche Bulsland um die Mitte des 17. Jahrhunderts heimsuchte. 
Glücklicherweise aber besitzen wir inbetreff der Sterblichkeit 

0 Biehter a. a. 0. IL 8. 166. 

^ Theatrum europaeum VIL S. 090, 689. 



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48 



Die Fest im Kufsiand 1664. 



in Mittelnifiüand in den IConaten Juli, Angiut, September und 

Oktober 1654 genauere Daten, welche erst recht geeignet sind, 
eine YorstelluDg tou dem Unheil zu geben, das über daa »chuta- 
lose Volk hereingebrochen war. 

Der Zar Uefa» wie beretta oben bemerkt wurde, wihrend er 
im Winter 1654 — 55 in WJaama weilte, im Beiember Erhebungen 
Aber die Sterblichkeit in ICoakaa nnd andern Stidten snaannen- 
stellen. Auszüge aus diesen Akten sind von dem (Tesciin hts- 
forscher Ssolowjew in dem zühnten Bande seiner „Geschichte 
Rarslands" mitgeteilt worden. Die Angaben sind besonders in 
denjenigen Fällen Ton Wert, wo nicht blola die Zahl der Ver* 
fltorhenen, sondern anch diejenige der Vbriggebliebenen Termerkt 
lat. Solche DoppeliifiSam aind am besten geeignet, die GröHw 
des UnglOeks zu ermessen. Wir können den Prosentaatz ermitteln. 

Viel geringeren Wert liaben die Augaljen über die Zahl der 
Verstorbenen allein, ohne dafs wir über den Rest unterrichtet 
würden, oder die Angaben über die geringe Zahl der Uberlebenden* 
Indeasen anehxdieae Zahlen sind beredt. 

So s. B. wird berichtet, dafa von dem Personal der üspenakij- 
Kathedrale nur ein Priester nnd em Bjakon übrig geblieben 
seien. Tn der Verkündigungskirche bestand der Best aus einem 
einzigen Priester.') In drei Palästen waren nur 15 Leibeigene 
übrig geblieben. 

Es waren gestorben: 

Pefsonea. 

in der Stadt Koetrowa 8947 

n n n Kischnfj Nowgorod 1836 

im Kreise der Stadt Nischnij Nowgorod .... 3666 

in dt-r Stadt Wer*» ja und im Kreise derselben . . 1524 

in dem Kloster Troiza und dessen Vorstädten . . 1278 

In einer andern ebenfalls auf der Akropolis Moskaus, dem Kreml, 
befindlichen Kirche horte aller Gottesdienst anf, weil der einsige übrig- 
gebliebene Hilfsgeistliche daTOngelaofen war. In dem Bericht findet 
sich femer die Angabe» dafs im Kreml vor lauter Schneemassen, wekdie 
nicht fortgeräumt worden waren, kein Durchkommen sei. Ssolowjew X. 
S. 371. 



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Dio Pest in Eufsland 1664. 



49 



Hier kann also kein Prozentverhai tnis ermittelt werden. Da- 
gegen erfahren wir viel G^enauerea über diese Vorgänge ftoa 
foJgeiMUn Angaben, welohe wir in TertehiadeDe Qrappen aerlagciL 
Ana dem oben mitgeteilten Sdueiben dei Zaren an ICoroaow 
▼om 6. Januar 1655 «riabren wir, dala viele Lente Bettung go- 
Booht bitten, indem tie in die KI5ster fiflehteten. Ans den An- 
gaben über die Sterblichkeit in einigen in der Nähe der Hjuipt- 
Btadt i>eliiidlichen Klöstern erfahren wir^ dafs hier die Verheerung 
eine forohtbare war. 

. . vr u "u • Sterbliohkeita. 
starben blieben ubng zittw 

Im Himmel&brtskloster 90 Nonnen 38 70% 
„ Iwanowsehen Eloeter . 100 Höncbe 80 77% 
„ Techndowkloster . . . 183 „ 36 87» 

Bo dais in dem letzteren nahezu der Bewohner zu Grunde 
ging und nur etwas mehr als Vjo ^^ng blieb. 

Wir hörten oben, dsis in Hoshan alle Geschäfte mhten, alle 
Amter geschlossen worden. Leider besiteen wir nnr eine Angabe 
über die Sterblichkeit in Beamtt-nkreisen. Die Zahl der in der 

„Gesandtschaftsbehörde", uIhv iiu auswärtigon Amt beschäftigten 
Traualateurs betrug tiO Personen. Von diesen starben 30, 
30 blieben übrig. SterbUcbkeitasiffer 60%. 

« 

Bereits oben wnrde bemerkt, dafs die Senehe beeonden arg 

unter den Sklavenherden der Grofsen aufgeräumt hatte, so dafs 
in manchen Häusern nur 2 oder 3 Sklaven übrig blieben. Wir 
besitzen folgende Angaben über diese Verhältnisse in den „Höfen'' 
einiger Bojaren: 





starben 


blieben übrig 


Sterblicfaketts- 




siffer 


bei Nik. Iw. Bomanow 


. 353 


134 


78»/, 


, Jak.Bnd.Tseherkarsky433 


110 


80% 


„ Boris MoTMow . 


. 343 


19 




„ Odojewskij 


. 295 


15 




„ A. N. Trubezkoj 


. 270 


8 


.'0 


„ Stijesehnew . . 


. alle bis 


aof 1 Knaben lOO^,- 



Bre«kiitr, BaJklMid. 



50 



Die Fest in Kufsland 1654. 



Es entsprach dem Elend der sclileclit genährten, kümmerlich 
gekleideten, zum Teil, wie wir aus mancherlei Quellen wissen, in 
Lumpen gehüllten Haussklaven, dafs sie leichter als andere Gesell- 
schaftsklauen der Seuche zum Opfer fielen. Die Verlaste, welche 
die Herren erlitten, waren selimerslioh, aber nun Teil eine wohl« 
yerdiente Folge derVerwahrlorangy welche lie an ihren Leibeigenen 
verschuldet hatten. Keine der Sterblichkeitegruppen, von denen 
wir Kundr liuhen, weist so Lohe ZitFern auf. Indessen ist der 
Unterschied nicht beträchtlich. Auch in andern , besseren Ver- 
hältniseen war man damals einem iaet sicheren Tode geweiht. 



Folgende Ziffern beliehen sich auf einige Vorstftdte Uoskaosi 

in denen allerdings vorzugsweise arme Leute lebten, die ein 
kümmerliches Dasein fristeten: 









itarben 


blieben übrig 


Sterblichkeit«« 

ziflFer 


in 


einer 


Vorstadt . , 


. 173 


32 


85% 


4» 


n 


zweiten . « 


. 438 


72 


85»/, 


11 




dritten . . 


. 320 


40 


89»/„ 


1» 




yierten • 


. 477 


48 


90%. 



Leider besitsen wir keine weiteren Angaben über die Sterblich- 
keit in Moskau. Wir dürfen indessen annehmen, dafs der Durch- 
schnittsverlust mehr als die Hälfte betragen haben werde. J^ur 
gibt es ein Bedenken, welches die Exaktheit obiger Berechnungen 
in Frage an stellen geeignet istw In diesen Tabellen ist nnr von 
Toten nnd Übrigbleibenden die Bede. Ob nicht, wenigstens in 
Ttelen Füllen^ eine dritte Postengruppe fehlt? "Wir meinen die 
Zahl derjenigen, welche sich durch schleunige Flucht der tödlichen 
Wirkung der Seuche zu entziehen suchten. Wenn schon in ge- 
wöhnlichen Zeiten das Entlaufen der Haussklaven an der Tages- 
Ofdnnng war, wie wir ans nnafthligen, das Wiedereinfaogen der^ 
selben betreffenden Yerordnnngen wissen, so mochte die Lösung 
aller Zncht nnd Ordnung, in solchen Zeiten der Epidemie, dem 
Drange nach Freiheit, dem SelbsterfaaltUDgstriebe noch mehr Spiel- 
raum gönnen. Erfahren wir doch aus dem oIh ij angeführten 
Schreiben der Zarin an den Wojewoden von Kolomna, dals bei 



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Die Pest in BofsUnd 1664. 



51 



der letzteren Stadt eine sehr grofse Anzahl von Flüchtlingen aas 
Koflkaa eingetroffen war« 

Wie weit aber die Flucht «u der Hauptetadt ein Bettongi- 
mittel sein konnte, ist nieht leicht sn entecheiden. Kein Zweifel, 

dafs ein grofser Teil der Flüchteiulen dem Tode nicht entmnn. 
Die Beschweiden und Mülisale der Wanderung, die aligemem 
herrschende Armut auf solchen Reisen werden die Wideratande- 
iähiglceit der Menschen einer allgemein herrschenden Peet gegen- 
fiber eher gemindert als gesteigert haben. 

Auch war ja die Kmaklieit nicht auf die Hau])t8tadt be- 
sciiräakt. Wir besitzen eine Reihe von Angaben über die Sterb- 
lichkeit in einer Anzahl von Ortschaften in der weiteren ünigebnng 
von Moskau. Der Bayon, den diese Punkte umfassen, ist gegen 
600 Kilometer lang und gegen 600 Eäl<»neter breit» umfitTst also 
ein Areal yon etwa 80000 Quadratkilometern oder 600 Quadrat- 
nieilen. Dieses Territorium erscheint als besonders infiziert von 
der Xrankheit. An der Grenze desselben Hegt westlich die Stadt 
Wjasmaf wo der Zar Alexei wochenlang, ja monat>>lHi>!^ residierte, 
um das Aufhören der Epidemie in der Hauptstadt absuwarten. 

In diesem infisierten Gebiet wXre die Sterblichkeit in den 

Städten von derjenigen ani' dem platten Jjande zu unteiKcheidon. 
Ijeider äiefsen die Angaben inbezug auf das letztere hu spärlichi 
dafs wir aufser stände sind, seu entscheiden, ob die Sterblichkeit 
auf dem platten Lande stärker gewesen sei als in den Städten, 
oder nmgdcehrt. Aus folgenden wenigen Beispielen läfst sich in 
dieser Hinsicht keine Summe liehen: 

. , , , «. . Sterhlichkeiti- 

•tarben bheben Übrig ^^^^^^ 

in der Stadt Torshok . . 224 686 25% 

im Kreise Torshok . . . 217 2801 7%. 

Somit wäre hier die Sterblichkeit «tf dem platten Lande unver- 
gleichlich geringer gewesen, als in der Stadt. Ein umgekehrtes 

Ergebnis liefert folgendes Beiäpiel : 

4* 



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62 



Die Pest in üufsland 1654. 



ttarben blieben fibrig^ ^^^^^riffer^^**" 
in der Stadt Kaschin . 109 300 260/o 

im Kreise Kaschin . . 1539 908 63«/(,. 

Die Mitte awischen diesen beiden Beiepieleo hfilt Folgende« : 

SterbUohkeite- 
itarben blieben übrig siffer 

. in der Biadt Svenigorod . 164 197 45% 
im !Kj8iee Swenigorod . . 707 689 60^1 q. 

Sehr verschieden, aber überall sehr beträchtlich war das MtJm 
der Sterblichkeit in folgetoden Städten: 

, , Sterblichkeite- 

starben blieben übng Ziffer 

in Uglitsch 319 876 45% 

9 Senadal 1177 1S90 45% 

« Twer 386 388 46% 

« Tula 1808 760„,^S23i,45%») 

„ Kaluga 1836 777 70o/o 

„ FerejfrCsUw SaljeliBkg 3627 939 75% 

„ Ferejafelaw BjBBMiek^' 2583 434 85%. 

Somit stellt sich eine gewisse ÜbereinFti m nmng der Mortalität 
in Moskau und in einigen Städten Mittelruislands heraus. Un- 
gefähr die Hälfte der Bevölkerung mag in wenigen Monaten, in 
den Sommer- und Herbstmonaten, der Senche sum Opfer gefallen 
sein. Man darf für wahrscheinlich halten, dafs in dieser Hinsicht 
kein wesentlioher Unterschied swischen den Städten und dem 
platten Lande werde bestanden haben. Die Lebensweise der 
grofsun ilajorität der Bevölkerung war in den Dörfern und Stiuiten 
im wesentlichen gleich. Dieselbe Bedürfnislosigkeit, dasselbe 
Elend, derselbe Mangel an Luft und Licht und Komfort in den 
Häusern der Banem auf dem Lande, wie in den Wohnungen der 
Armen In den Städten. Als einige Jahre nach dem ünheO des 

^) Kann man ungefähr ebenso viele Übrigbleibende Personen weih* 
liehen Geschlechta in Tola annehmen, so ist die Sterblichkeitasiffer ebea- 
f aUs 46%. 



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IMe F«8t in fiaftUnd 16M. 



58 



Jahres 1654 der Gesandte des Kaisers Leopold, Meyerberg, naoli 
KnfHland kam, fertigte ein Zeichner im Gefolge dee Diplomaten 
Abbildungen rnnisdier StSdto an. 3Sin Bliek anf die Aniicht 
s. B. von Twer in dem Beisewerke Ifeyerbergs belebrt uns dar&ber, 

dafs diese Stadt im (irunde nichts me})r war als t in tri ofses Dorf. 
Twer, welches eiDst die Hauptstadt eines selbständigen Staates 
gewesen war und in das Grofsfilrstentum Moskau einverleibt wurde, 
machte um die Mitte des 17. Jahrhunderte mit seinen kUgliohen, 
kflmmerlichen Holsh&nsem den Eindruck , als könne sehr wohl 
die Bevölkerang der Stadt, deren HUfte hingerafft wurde, vor 
der Pest nur die bescheidene Ziffer yon 724 Einwohnern betragen 
haben. Eine grofse Stadt brauchte damals, um die Bedeutung 
einer solchen zu haben, nur mehr einige tausend Einwohner zu 
zählen. Ganz anders Moskau, welches um die Mitte des 17. Jahr* 
hunderte, wie schon ans den in den Beisewerken des Olearius, 
des Freiherm Ton ICeyerherg enthaltenen Plftnen der Stadt an 
ersehen ist, ungemein stark beyölkert gewesen sein muTs. IMe 
Hälfte der Bevölkerung von Moskau, welche etwa von der Pest 
hingeraöt wurde, mag sich auf ein paarmalhuuderttausend Menschen 
belaufen haben. 



vn. 

Vergleichen wir die Sterblichkeit in Bufsland während der 
Epidemie des Jahres 1654 mit ähnlichen Erscheinungen in "West- 
europa, so stellt sich heraus, dafs das Verhängnis, welches über 
die nnglttckliche Bevölkerung des Zartums Moskau hereinbrach, 
an Fnrchtbwkeit den schlimmsten Ensen dieser Art in andern 
Gegenden nicht nachstand. Sowohl der schwarse Tod, welcher 
im 14. Jahrhunderte wütete, als auch die Epidemien, welche 
während des 17. Jahrhunderts fast alle Länder heimsuchten, haben 
die Bevölkerung Westeuropas nicht ärger verwüstet, als die Seuche 
Ton 1664 diejenige BuXslands. 

Es beruht mehr auf Sehfttsnng und Annahme als anf Zfth« 
lung, wenn man den Gesamtyerlnst an Menschen infolge dee 



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54 



IHe Peet in Bofaland 1654 



schwarzen Todes in Europa auf 25 Millionen, im Orient aus« 
BchlieTslich Chinas auf gegen 24 Miilionen, in China auf 13 Mil- 
lionen bedffert. Die Summe yon 1S44434 in Beatacfaland bei 
dieser Gelegenheit yerloren gegangenen Menschenleben erteheint 
mSTsig gegenüber den Verlusten in Bnfsland im Jabre 1654. 
Wenn wir dagecfcn erfahren, dafs in Venedig in kuiv.or Zeit 
100 OOO Menschen, in London 100 000 Menschen, ^) in Gaza in 
sechs Wochen 22000 Menschen, in Wien eine Zeitlang 1200 Men- 
schen täglich gestorben sein sollen, so erinnert das an die Schreck- 
nisse in SnTsland nm die lütte des 17. Jahrhunderts. Dafs m 
England überhaupt nur 10 ^/^ der Bevölkerung übrig geblieben 
sein sollen, nachdem der schwarze Tod dort gewütet hatte, er- 
scheint übertrieben, glaublicher, dafs in Fiuukreich an einzelnen 
Orten nur 10 der Menschen am Leben geblieben seien.') 

Wie in Ünlaland die Seuche des Jahres 1654, so mag auch 
der schwarse Tod in Westeuropa sn manchen Orten besonders 
arg gehaust haben, so dafs mehr als die HftUte der Bevölkerung 
weggerafft wurde. So z. B. soll die Insel Hallorka bei dem 
schwarzen Tode der Bevölkerung verloren hal » n ; in Marseille 
starb über die Hälfte der Bewohner dieser Stadt; in Holstein 
wurde der Verlust an Menschenleben auf -/g der ganzen Be- 
völkerung, in Schleswig gar auf '/^ gesch&tst') Solche Sterb- 
licUkeitsziffem too 50, 66, 80 ^/^ finden sich, wie oben geseigt 
wurde, in RuTsland an Tenehiedenen Orten und bei Terschiedenen 
Gruppen von Menschen. Auch die Erzählung, dafs in dem Berg- 
distnkt von Wermeland in Schweden infolge der Verheerungen, 
welche der schwarze Tod anrichtete, nur ein Jüngling und zwei 
Mädchen übrig geblieben sein sollen, findet ihr Analogon in 



•) Das Aussetzen der Sitzungen des enf^lischen Parlaments während 
des schwarzen Todes erinnert an eiits])rechende Erscheinungeu iu Rufs- 
laud 1^54, wo alle Behörden in Moskau ihre Thätigkeit eixistellten. 

Hecker, Die grofoen Yolktkrsiikheitea des Jßttelslters. Berlin 
1866, S. 46-60. 

*) Haeier, Geschichte der epidemiichen Krankheiten. Jena 1666, 
8. 136. 



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Die Fert in Baftknd 1664. 66 

manchem Zuge der grofsen ISterbhclikeit ia Boisiand um die 
Mitte des 17. Jahrhundert«.') 

Dieee leistere Encheimiog stand in jener Zeii nicht Tereinaelt 
dft. Dm 17. Jalirhiindert war anoh anderswo eine Zeit furcht- 
barer Krisen solcher Art. Die Pest rftnmte ftst überall in ent- 
setzlicher Weise auf. Führen wir einige Beispiele an. Im Jahre 
1637 ßtarben in Giiistrow 20000 Menschen, in Neubrandenburg 
8UU0 ; im Jahre 1629 wurden in Verona 32 8UÖ Einwohner von 
der Pest weggera£ft, in L^den im Jahre 1635 20000, in Kopen- 
hagen im Jahre 1664 über 9000« in Qenna im Jahre 1666 
60000 ; in dem proTengalischen StSdtchen Digne starben im Jahre 
1639—1630 von Jmii bis April TOn 10000 Binwohnem 8500; 
die Pest, welche 1605 in London wütete, raffte im ganzen 69 000 
Menschen hin; in einer einzigen Nacht starben 4000 Personen; 
Wien verlor im Jahre 1679 an der Pest 76921 Menschen, Prag 
im Jahre 1681 83040. In Ifagdebnig starben im Jahre 1681 
4600 Menschen; von 600 Schnlkindem sollen in dieser Stadt nur 
18 ftbrig geblieben sein ; Halle verlor in demselben Jahre die HXlfte 
seiner Bevölkerung ; es starben dort von 10 OüÜ Menschen 4397.*) 

Wir haben aus den Annalen der Epidemien die aliererachüt- 
temdsten Vorkommnisse herausgegriffen; wir haben von allen in 
medisiniBch-historisohen Schriften angefahrten Beispielen einer 
groisen Hortalitftt die aUerhdchsten Ziffern gewtiblt. Vergegen- 
wftrtigen wir nns die oben angeführten Angaben über die Senche 
in Rafsland im Jahre 1654, so haben wir den Eindruck, dafs 
das Unheil in Moskau und ui dessen Umgebung sehr wohl mit jenen 
haarsträubendsten Epidemien in Westeuropa verglichen werden 
kann; jai man darf für wahrscheinlich halten, daTs die Vorg&nge 
in Biilhland im Jahre 1664 noch ersohflttemder gewesen seien als 
die icgsten ünglUcksfUle dieser Art, welche anderswo Torkamen. 
Der Mangel an Mitteln, mit denen man der Senche in Bnfsland 
begegnete, der (Tloichmut. mit welchem man Hunderttausende weg- 
sterben lieJja^ ohne irgend energische Maikregeln zu ergreifen, das 

Oeger, Schwediiche Geschichte L S. 186. 
■) Haeaer a. a. 0. 8. 668 ff. 



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56 



Die Peet in BuCiland 1664. 



gÜD/Jiche Pehlen ärztlicher Hilfe — alles dieses entspricht den 
Zuständen in orientalischen Reichen. Indien und Persien mögen 
«och Bodi später ähnliche Episoden erlebt haben und «oeh heute 
noeh erleben kftnnen. Im 17. Jahrhundert entsprach Koskowieik 
aiemlich genaa der Ealturstnfe asiatiBdier Beiohe. Um so wehr- 
loser waren die Bewohner desselben den Veriieerungen von Epi- 
demien preisgegeben. Mehrere Jahrzehnte vor der Epidemie von 
1654 gab es in Rufslnud schon ausländische Arzte, aber ihre Zahl 
war gering, nnd ihre Thätigkeit war auf die Erhaltung der Go- 
snndheit des Zaren und einiger Grofsen gerichtet. Dem Volke 
kamen die ans Westeuropa berufenen Amte, die von westeuro- 
päischer Intelligenz ins Leben gerufenen Apotheken in Uoskaa 
nicht zu gute. Auch scheint es gerade in den Jahren der Pest 
1654 — 56 an Ärzten überhaupt in Rufsland gefehlt zu haben ; 
nnmittelhar danach waren hervorragende Mediziner wie Coliins, 
JEUnhuber, Blnmentrost u. a. am russischen Hofe thätig. An 
allgemeine Sanitätspoliaei, an Hafsregeln aum Bchutae des Yolkes 
dachte man auch später noch lange nicht. 

Der Eintritt Bufslands in die europäische Völkerfamilie, in 
das europäische Staatensystem änderte auch in dieser Hinsicht 
wie in andern Beziehungen vieles. In späteren Zeiten, als die 
Begierung sich ihrer Pflichten dem Volkawohl gogenüber mehr 
bewuTst geworden war, konnten Epidemien nicht so heftig auf- 
treten» als dies um die Mitte des 17. Jahrhunderts der Fall ge- 
wesen war. Als Beleg dafttr läfst sich die Pest anfahren, welche 
im .Jahre 1771 in Moskau wütete. So furchtbar die Seuch« auf- 
trat| so viel Aufsehen dieselbe erregte, während die Epidemie 
von 1654 aiemlich spurlos an den nicht unmittelbar beteiligten 
Zeitgenossen Torttbetgegaogen war, so scheint doch 1771 erstem 
die Sterblichkeit in der alten Hauptstadt lange nicht so Terheereind 
gewesen su smu wie 1654, und swettens gelang es durch energischere 
Quarantänemafsregeln, die Verbreitung der beuche auf eiu weiteres 
Qebict zu verhindern. 

Gehen wir noch ein Jahrhundert weiter, so ist die Sterblich- 
keit in Zeiten von ansteckenden Krankheiten in unaem Tagen 



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Die Fest in EuTsIaad 1664. 



57 



noch bedeutend geringer. Man nimmt an, dafs in den fünfziger 
Jahren des laufenden Jahrhunderta 1 ^/^ der Bevölkerung von 
Europa an der Cholera erkrankt und etwa die Hälfte der Kranken 
geatorben sei. Selbtt daa heftigere Auftreten der Krankheit in 
einaelnea Stidten, wo 1 % der Einwohner erkrankte und Vg % 
etarb, ') eraeheint gaas unbedeuteikd gegenfiber den Vorgängen in 
liuiäland im Jahre IG 54. 

Man acheint im 17. Jahrhundert in Moskowien das Gefühl 
davon gehabt zu haben, dafs <^rund vorhanden sei, sich solcher 
Yorgftnge^ wie deijenigen des Jahres 1664, an schftmen. Schon 
am Anüuige des Jahrbnnderts hatte der Zar Boris Godnnow 
während der Hnngerjahre, in denen das Volk haufenweise weg- 
starb, Mafsregeln getroffen, um westeuropäische Gesandte, welche 
in dieser Zeit nacli Rufslund kamen, über die SHchlago zu täuschen. 
AbnlicheB scheint unmittelbar nach der Epidemie des Jahres 1654 
geschehen sn sein. Als 1655 der Tenesianische Gesandte Vimina 

m 

nach Hnfsland kam, gelangte er gar nioht in die Qi^enden des 
Beiefaes, in denen die Pest gewütet hatte. Uaa lieTs ihn nach 
Smolensk reisen nnd wies ihm überall seine Wohnungen in solchen 

Stadtteilen an, wo die Bevölkerung am dichtesten erschien. Es 
geschah dies auf ausdrücklichen Befehl der Regierung. Der 
italienische Diplomat wurde, wie andere derartige Reisende in 
BuAland, stark heaufsiohtagt, fortwfthrend bewacht. Man mochte 
daf&r sorgen, dab er nichts XTngilnstiges über Eufsland hörte. 
So erklärt es steh, dafs er in seiner Schrift „Kelasione della 
MoBCOvia" die wunderliche, den Thatsachen entgegengesetzte Be- 
hauptung niederschreiben konnte ; „non si sente il saggio di morbo 
pestUentiale^. So war es möglich, dafs auch der Leibarzt des 
Zaren Alezei, Gollins, welcher etwas später nach BoTsland kam, 
obenhin bemerken konnte, es seien allerdings in Buisland ein paar 
Tausend Henschen an der Fset gestorben. 

») Haeaer a. a. 0. S. 787. 

*) S. die Denkmäler der diplomatischen Beziehungen Bosslands, 
Band X. S. 863. 



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Die HersteUungskosten eines Buches 

ini Jalire Iß-iO* 



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Im Sommer 1648 fafste der Ztir Alezei Hichailowitsch nach 
einer eingt liuiiden Beratung mit geistlichen und weltlichen Würden- 
trägern den Befichlufs, ein neuea Gesetzbuch ziuammcustellcn zu 
lassen. Xaa Bammelte die früher von den Zarat^ GrofsfUrsten 
und Bojaren erlaaMDan Gksetae und Yerordniingmit verglich die- 
selben mit den Beetimmnngen Mherer BeohtebfieheTf enohte die 
Ltteken der Geietsgebting anasafunen. Eine ane fünf Personen 
bejsteheude Redaktionskommission unterzog sicli der Arbeit der 
Sammlung and Sichtung des vorhündcueti Materials; für die An- 
nahme und Beatätigang des Gesetzentwurfs wnrde eine Ver- 
Mmmlnng von Volkevertretem berufen. In etwas mehr als drei 
Monalen hatte die Bedaktionskonuniasion ihre Arbeit vollendet. 
Vom Oktober 1648 bis Jannar 1649 erfolgte sodann die Lektfire 
des Entwurfs in der Deputiertenversammlung, die Annahme des- 
selben, die Aiiterti^'ung einer Reinschrift. Am 29. .Inauar 1619 
ward das neue Gesetzbuch („Uloshen^e*^) bestätigt und man konnte 
mit dem Brücke desselben beginnen. 

Das Original der Urkunde aof einem Streifen Pa|»ier von 
434 Arsohin (gegen 300 Meter) Ist voUstSndig erhalten. Es er- 
sebienen im Dmok 1649 drei Avflagen und ipKter ist dann 
dieses Gesetzbuch nichL vvoriiger als dreizehnmul gediuckt worden; 
auch Übersetzungen in das l»ateinische, JTranzösische und Deutsche 
wurden verbreitet. 



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62 Die Herstellungskosten eines Buches im Jahre 1649. 



KenerdingB ist im Archiv zu Moskau ein Aktenstück auf- 
gefundou worden, welches über die Herstellungskosten des Gesetz- 
buches von 1649 Auskunft gibt. Es ist eine spezifizierte 
Aechnimg Aber alle bei der Drucklegimg des Gesetzbaches Ter* 
brsiiebten Mste r i a lien » sowie Aber die bei dieser Gelegenhttt sn 
die Arbeiter gesahlten Ldhne. (Dieselbe ist abgedmokt in dem 
„Magasin des Arohlologisehen InstitQts*'^ 8t. Petersburg 1879. 
Bund II. S. 21 — 30.) Beim Durchlesen der sehr eingehenden 
Angaben drängen sich manche kulturhistorische Betrachtungen 
auf, welche wir in den folgenden kurzen Bemerkungen susammen- 
fassen wollen. 

Wir sdiifiken TomiB, dab das Buch, dessen Lihalt in der 
▼ollstiadigen Gesetssammlnng 160 Spalten fiUlt, etwa 80 Dmck* 
bogen oder gegen 300 Seiten mäfsigen Okta^formats entspricht. 

Die erste Auflage betrug 1200 Exeniphire. Die Gcsamther- 
äteilungskosten der ganzen Auflage betrugen 952 Üubci. Davon 
kam über die Hälfte, nämlich 506 Rubel, anf das Papier; an 
Arbeitslöhnen an die Setzer, Buchbinder ete. wurde besahlt 
320 Bubel; so dafs auf alle ftbrigen Kosten eine Summe von 
gegen ISO Bnbeln verwandt wurde. 

In gewissem Sinne verdient dieser letzte, aus einer grofsen 
Menge kleiner Beträge zusammengesetzte Posten um meisten Be- 
achtung, weil derselbe auf eine sehr wenig vorgeschrittene Arbeits'- 
teilung im Druokgewerbe sehlie&en läfst. Während heutzutage 
Druckereien die Bruokerschw&nse, welche in grofsen Fabriken 
in gewaltiger Menge hergestellt wird, dureh den Handel sn be- 
ziehen pflegen, mufste die Druckerei in Hoekau um die Kitte des 
siebzehnten Jahrhunderts alle zur Bereitung der Druckersrli\v irze 
und anderer Farben erforderlichen Hilfsstoffe auf dem ilarkte 
kaufen und viel Arbeit daran wenden , das fertige Material für 
den Druck zu gewinnen. Da finden sich denn in der Rechnung 
z. B. folgende Posten: 16 Pfund Zinnober, 70 Krüge Farbe für 
„Tinte« oder „SehwSrse«', 2 Pfond weifte F^be, 1 Stflek Gummi, 
„einige Stücke Farbe", 2 Mafs Asche für Lauge u. dgl. m. 

Auch die Bürsten wurden nicht gekauft, sondern in der Druckerei 



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Die Hentellangskoatea einM Buohes im Jabra 1649. 63 

angefertigt: wenigstens findet sich ein Posten von 7 Pfund Borsten 
„für Bürsten 6 Pfund Pech „für Bürsten« u. s. w. 

Ebenso gibt ei aodere Angaben, welche darauf schlielaen 
laaaen« dab das tum Dmck «rforderiiehe Material den Typographien 
nicht fertig geliefert wurde, aondem daia man, ehe man mit dem Satz 
und Druck beginnen konnte, eine ganze Reibe von Vorarbeiten 
erledigen muiste. Derartige Posten in der Rechnung sind z. B. 
folgende : 

3600 Nägel, 

1 Päd 30 Pfund Knhbutter für daa ölen der Bogen und der 
PresBO. 

267 Arschin Leinewand, 

ein lialbeb ilara Alelil für Kleister, 
ein Back Kohlen, 
4 Faden Eisen, 
20 Packchen Bast, 
13 Btricke u. s. w. 

Leider erfahren wir nicht, wie viele Arbeiter bei der Her- 

Stellung citri iJuchea verwandt wurden, wohl aber, wie lauge die 
Arbeit dauerte, nämlich „einen halben Monat und zwei Tage". 
£in solcher Zeitraum erscheint sehr gering. Dals ein immerhin 
um&agreiches Bach bei der damaligen unvollkommenen Technik 
in so kurser Zeit hat gesetzt und gedruckt werden können, ist 
-vieiUeioht daraus an erUiren, dafii es wflnsohenswert erschien, 
das neue Gesetzbuch möglichst schnell zu verbreiten. Kan darf 
aniitliiiien, dals die Zahl der Arbeiter, welche Zeitlohn erhielten, 
sehr bedeutend gewesen sein müsse. Die Summe von über 
300 Kübeln, welche an Arbeitslohn gezahlt wurde, erscheint bei 
der sehr grolsen Miinaeinheit jener Zeit als sehr beträchtlich. 
Allerdings haben wir Beispiele, daJs in Jener Zeit, wo die gewöhn- 
Hdie Arbeit sehr niedrig im Preise stand, die quali6zierte Arbeit 
— und zu dieser gehörte selbstverständiich die Leistung des 
Setzers, Druckers, Buchbinders — fiekr teuer bezahlt werden 
mnlste. Gleichwohl erscheint der Posten von über 300 Itubel 
um so bedeutender y als es u. a. eine Notiz in der Beehnnng 



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64 Die HanteUungskosten eines Baches im Jahre 1649. 



gibt, dafs „die Konrektoren und Scbreiber'^ oder Bennien 1 Röbel 

25 Kopeken erhalten hätten. Dieser Umstand bestätigt die 
Annaliiiie, dafs eine beträchtliche Anzabi von Altsnbchen bei dem 
Drucke des Geaetzbuches beschäftigt gewesen sein müsse. 

Nieht alle Anigaben werden sorgfiUtig ansemvider gehalten. 
2ttm Sdünsae der Beohnnng findet sieh folgende tununarieehe 

ZueammenfasBong : ^.Aufserdem yerschiedene Unkosten für Holz 
und Kühlen uud l^lei, für kleine Spesen, für Papier und Tinte, 
Eisen und Kupfer, für Reparaturen, für die Prachteinbände der 
für den Zaren und den Patriarchen bestimmten £xemplare, für 
Semmeln (KaJia<iii)i welohe die Arbeiter erhielten, für den Qeist* 
liehen I welcher den Dankgottesdienet abhielt , für Wachs- und 
Talglichte n. s. w. — 24 Bnbel 91 7, Kopeken." 

£8 scheint also die glückliche Vollendung der Arbeit mit 
einer YerteUnng von Weifsbrot an die Arbeiter and mit einer 
kirchlichen Zeremonie gefeiert worden an sein ! Indessen erfahren 
wir ans der Bechnnng, dafs die Arbeit nicht ohne Hindernis 
▼erlief nnd dafs ein Teil des Boches — nngefHhr der fünfte Teil, 
— nachdem das Ganze fertiggestellt worden war, umgedruckt 
werden raufste. Die Veranlassung dieser Verzögerung bei der 
Yollendang der Arbeit ist ans nicht bekannt. 

An Freiexemplaren erhielten : der Zar 6 Exemplare mit Gold- 
schnitt and 8 in ein&ohem Einbände, der Patriarch 9 Exemplare 

mit (irolilschuitt und 1 in einf;u Iriu Kinbande; von den 5 Exemplaren, 
welche die Korrekturen (rnpai iuHKii) erhielten und welche vielleicht 
den beträchtlichsten Teil ihres Lohnes ansmaohten, ist über die 
Art des Einbandes nichts gesagt. 

BeTor man an das Umdrucken eines Teiles des Baches ging, 
hatte man die Herstellungskosten desselben auf 828 Rubel berech- 
ueif und ermittelt, dals jedes Exemplar auf 69 Kopeken zu stehen 
gekommen sei. Darch die Mehrkosten des Umdruckens, im Betrage 
von 134 Habelni wnrde der Kostenprets eines jeden Exemplares 
am 20 Kopeken erhdht, so dafs das Exemplar 79 '/^ Kopeken, 
in rnnder Snmme 80 Kopeken kostete. Wir wissen nicht, an 



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Die HersteUaagskosten einet Buche« im Jahre 1649. 



65 



welchem Preise das Buch dem Publikum verkauft wurde. Es 
wird »chwerlich mit weniger ab 1 Babel beiahlt wordeo mm. 

Da entsteht denn die iVage, ob ein solcher Preis hoch oder 
niedrig erscheint? 

Bei Beantwortung dieser Frage bat man zuerst eich von 
dem damaligen Werte eines Bubels, von der Gröfse der dam»- 
Ilgen MUnaeinheit eine Yorstellmig sn machen. Pafllr gibt es 
etwa folgende AnhaltspiinJcte. 

An der Hand von Ansgabebticliei n aus jener Zeit, welche 
sich eriialten haben und (iegenstand wirtschafitebistoriflcher Unter* 
sadnmg geworden sindy auf Grund einer grofsen Menge yon 
Angaben in den Yerordnnngen der Begienug n. dgl. m. erfahren 
irir Über die Preise jener Zeit n. a. folgendes: ein Tsohetwert 
Boggen kostete 40 Kopeken, ein Balken Ton 25 Fufs Tvänge — 
lYg Kopeken, 1 Pud Schwt'inefleisch 11 Kopeken, ein ll;ilin 
3—4 Kopeken, 10 Stück iiier — 1 Kopeken u. s. w. Butter 
ist in der Dmckereireolmnng mit 2 Kopeken für das Pfund auf- 
gef&hrty was ttngefiUir andern Angaben ans einer etwas spftteren 
Zeit (90—180 Kopeken fOr ein Pnd Butter) entspricht. 

Man erkennt leicht, dafs wir durcli sololio Angaben von den 
Lebensmittelpreisen uns viel leichter als durch Yergleichung des 
Geldwertes oder der Münxeinheit eine Vorstellnng davon machen 
können, ob die Heratellmigskosten des Gesetsboches gering oder 
hoch erscheinen. 

Man nmfste nSmlich, um ein Exemplar dos Gesetzhuches zu 
erstehen, ebensoviel beztihlun, als 20 — 30 Pfund Butter kosteten, 
oder ebensovieli als 2— 3 Tsohetwert Boggen an stehen kamen, 
oder ebensoviel, als maa l&r 1000 Stflck Eier anssugeben pflegte. 
Mit andern Worten: der Preis eines Bxemplares eines Bnches 
von gegen 800 Seiten mXrsigen Oktavformstes stellte sich so 
hoch, dafs derselbe, wenn nirtii div heutigen Preise für die 
wichtigsten Lebeusmittel berücksichtigt, zu uusern Zeiten etwa 
dem Satze von 20 bis 30 Rubeln gleichkäme. Es bedarf keines 
weiteren Beweises daf&r, dals in den lotsten Jahrhonderten die 

Braeks«r, BvAlsad. 6 



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66 HeratelluDgskosten eines Buches im Jahre 164d. 



HenteUnngskosten der geistigen Sp«M rioli erheblich ▼«rmiiidert 

Laben und keiner weiteren Ausfüliruii^^ über Jie grof-i' Jit'duutuiig 
dieser Erscheinung, welch© ja auch sonst allgemem bekannt ist, 
aber durch die Illustration an einzelnen Beiapieleny wie in dieser 
fiflohtigen Skiase, «a Anschanlichkeit gewinnen mag. 



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Des Fatriarcljien ^ikou Auägabebuch lü52. 



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Wenn schou übtthaupt von Seiten der Geschichtsforschung 
das wirtschaftliche Leben anvergleichlich weniger beachtet wird, 
als das politische, so gilt dies ganz besonders von der Privat- 
wirtachafl» deren Geechiehte biaher Uai gar nicht anteraneht worden 
igt, wihrend aiehy ▼omehmlioh in dar letitan Zeit, die Staata* 
wirtaohaft denn deeli einiger Anfiaerkaamkeit von aeiton der 
Historiker zu erfreuen gehabt hat. Die Finanzgeschichto einiger 
Länder ist bogar durch tüchtige Werke vertreten , und einzelne 
dAbin gehörende Monographien zählen zu den anziehendsten £r- 
leogniaaen der hiatorisoh-ökonomiachen Litterstnr. 

AOerdingB ist es leichter Finaoagesohichte sn achreiheii, als 
grdJjiere, nmfaasendere wirtsehaftageaehiohtlifihe Stoffe sn behandeln. 
Es ist nicht blofs die Bmchrftnknng des Gegenstandes, welche 
die Bearbeitung finanzgescbichtlicher Fragen erleichtert, sondern 
auch die Anlehnung au das oft durchwanderte, in Zeiträume ein- 
geteilte, nach bekannten Erscheinungen gegliederte Gebiet der 
gewöhnlichen Geachichte politiaoher Begebenheiteni nnd femer 
der Umstand, dafa reieUicherea, bequemer snginglichea Haierial 
fttr die G^esehichte der StaatswirtaehAft yonraltegen pflegt. Ab- 
gesehen von den vielen Geschäftspapitren und ReLlinungeu der 
Finanzbehörden sind die vielen (lesetze und Verordnungen, die 
atindiachen Verhandlungen und Kammerdebatten, mit der damit 
anaammenhingenden pnblisiatiaohen Erörtemng finaniieller Pro- 
bleme, ein nneraehdpflicher Stoff fttr den Finanahiatoriker. Der 
innige Zusammenhang swiachen der Staaiawohl&hrt fiberhanpt 



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70 



Des PatriArchen Nikon Ausgabebuch 



und den Schicksalen des Budgets, zwischen den rein politischen 
Ereignissen und dem Steigen und Fallen der StAatspapiere, 
swischen den allgemeinen politisch-ökonomieolien Zuständen and 
etwa den Stenerertrftgnissen — erleichtert im weBentUehen dem 
HiBtoriker das in fiülende Urteil. 

Die aodem Gebiete der Wirtschaft sind nur in einem ver- 
hältnisniärsig geringeji Teil abhängig von der Politik. Ihre Ge- 
sciiiciite mufs eine völlig selbständige Periodisierung haben. Nur 
in seltenen Fällen wird hier eine Anlehnung an sehen bekannte, 
▼erarbeitete Besaltate der hergebrachten Qesehichtsforschnng statt- 
finden kdnnen. Die Geschichte der Privatwirtschaft ist noch zu 
schaffen : nicht einmal im Entwurf besteht sie. Kern Bohmsterial 
ist für dieselbe aufgespeichert. AVer sich auf dieses Gebiet wact, 
mufs sowohl das Material herbeibringon , als es herrichten ; er 
hat nicht blofs das Detail zu erforschen, sondern auch die all- 
gemeinen leitenden Gesicht^nnkte su bestimmen, nach denen das 
Material sa ordnen ist. Jeden Augenblick sieht er sich auf noch 
völlig nnbegangenen Ffkden. 

Um so erfreulicher ist es, wenn einmal ausnahmsweise die 
ameisenartig sammelnde, mehr quantitativ als qualitativ arbeitende 
Geschichtswissenschaft wirtschaftshistorisches Kohuiaterial liefert. 
Wir sind in dem Falle^ für die folgende Darstellnng solches Boh- 
material benutzen an kdnnen. 



Der wirischsltshistorisehe Stoff, dessen Verarbeitung den 

Gegenstand d>-v loigendeu Darstell iin;,' bildet, iüt dem Leben 
Nikons entnommen. £s handelt sich um einige Monate der Privat« 
Wirtschaft Nikons. 

Im Jahre 1852 bereite TerÖffentlichte die Moskauer Gesell- 
schaft für Gesehichte nnd Altertflmer Bnfslands „das Awgabe- 
bnch Nikons*' in dem Zeitranm Tom 14. Desember 1651 bis zum 
5. August 1653.^) Der Herausgeber war nicht in der Lage, 

') In den Schriflen „Wrsmennik'* der Hoskauer Gesellschaft, Band 18, 
][stenaUen,& 1-62. 



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Des Fatharcheii Nikon Ausgabebuch 1662. 



71 



dieser Edition eine irgendwie unterrichtende Einleitung voraus- 
zuschickeu oder dieselbe mit einem Kouimei\tar zu begleiten. Er 
bemerkt nur mit kurzen Worten, daTs das Ausgabebuch Nikons 
in mehr «Is euer Besiehong Aufmerksamkeit verdiene* Es ge- 
wShre etnen Einblick in das private hftusliehe Leben Nikons; es 
enthalte mancherlei Angaben über die Preise verschiedener 
Gegenstände um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts und 
gestatte uns einen Begriff zu erlangen vom Stande der damaligen 
Technologie. 

Kur selten und in sehr nnsnlSnglicher Weise haben die mssi- 
sehen Historiker in den Jahren, welche seit jener Publikation 
verstrichen sind, anf dieselbe Bflcksicht genommen. Dieser Um- 
stand Eengt eben wiederani davon, dafs die Wirtschaftsgeschidite 

nur wenig Beachtung findcL An eine Würdigung und Verarbeitung 
derartigen Rohmaterials hat bisher noch niemand gedacht. 

Wir beabsichtigen dasselbe vorwiegend in zwiefacher Beziehung 
ansanbenten, indem wir snerst mit HiUe der Bachhalterei Nikons 
nns eine yorstellung an bilden versuchen von den VorgKngen in 
dem wirtschafflicfaen Leben emes angesehenen rassischen Kirohen- 
fürsten jener Zeit, indem wir zweitens die Preisangaben im Kassa* 
buche Nikons als Material für eine Geschichte der Preise benutzen. 
Die Vergleichung der wirtschaftlichen Zustände jener Zeit mit 
den Ereignissen der dkonomisebsn Entwriokelung in der Gegen- 
wart dürfte in mehr als einer Besiehung lehrreich smn. 



Vergegenwärtigen wir uns zunächst den Zeitpunkt in Nikons 
Leben, auf welchen diese hauswirtschaftlichen Notizen sich beziehen. 

Nikon wurde im Jahre 161S im Gebiete von Nishnij-Now- 
gorod als der Sohn eines Bauern geboren. Schon wibrend seiner 
Kindheit las er viele geistUcbe Bficher und trag sich mit dem 
Gedanken, sich dem Mönohsleben zu weihen. Indessen widmete 
er sich vorläufig nur dem Priesterstande und heiratete. Nach 
zehnjähriger Ehe trennte er sich von seiner Frau, weil beide 
den BesohluTs fafsten ins Kloster zu gehen. Nikon lebte sodann 



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72 Dw FairiaNlken Nikon Ausgabebneli 1668. 

auf eiDer Insel im Weifsen Heere in der NShe des Elosters Solo* 
wesk; die Brfider der geistlidien Gbmeinsdiafty der er an- 
gehörte, suchten die EiHäuiakcit ; jeder hatte seine Zelle etwa 
2 Werst ( '/^ Meile) von der Zelle des nächsten Nachbars entfernt 
am Ufer des Meeres ; man nährte sich nur von Fisch und Broten. 

Wie ^iele Ehrgeisige, welche eben um ihres Ehrgeises willen 
sich dem geistiidien Berufe widmen, am rascher von Sfcnfe ni 
Stufe an steigen, so Terstand es aneh Nikon, stob den Weg an 
sehr hohen Ehren und Würden zu bahnen. Als er einst in An- 
gelegenheiten des Inseikiosters eine Reise nach Moskau unter- 
nehmen moTste, gelang es ihm während seines Aufenthaltes in 
der Hauptstadt die Anfmerksamkeit des Zaren anf sich an lenken* 
Alezei KichailowitBch befiJUi man solle Nikon snm Archimandrit 
des Nowospafskischen Klosters matten; kurze Zeit darauf stieg 
er noch liöher. indem er Metropolit von Nowgorod und Luzk wurde. 
So blieb denn nur noch eine Stufe zu erklimmen übrig. Während 
es damals in KuTsland 4 Metropoliten gab (von Nowgorod, von 
Kasan, von Hostow und yon Kmtisa), spitste sich die Hierarchie 
in der einen Patriarehsnwfirde an. Auch diese sollte er er- 
langen. 

Die Führung des Ausgabebuches föUt nnn in die leisten 

Monate des Metropolitenamtes Nikons und schlieist wenige Tage 
nach Erlangung der Patriarchen würde. 



Betrachten wir die Wirtschaft geistlieher Herren und goist* 
Ueher Institote in Bofsland im siebzehnten Jahrhnndert, so 

finden wir dort grofsen Reichtum. Es eiit-spracli der hervorragen- 
den Stellung der mittelalterlichen Klöster in andern Ländern, 
wenn anoh in Hnfsland die Geistlichkeit die Rolle des Haupt- 
prodnsenten ttbemahm, kolossale Umsfttse in allerlei wirtschaft- 
licher ThAtigkeit hatte, allerlei Ökonomisch sehr vorteilhafte Pri* 
TÜegien genofs, die Annenpflege leitete i hier und da Knfsem 
Prunk zeigte. 

Die Patriarchen, Metropoliten, Erzbischöfe und Bischöfe hatten 



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Bat TMmnihm NOcon Auagsbelmdi 1668. 



78 



imuiohe färatlifiben Beohte. Es gab Verbrechen, deren geriohtliobe 
AbnrtflUnng nur «Bern geittlielien Gericht ntitend. Die Geisi- 
lieben haüen ihre TJnterthaneii» ihr finansiell aamibeatendee 
biet, welehet grofee materielle Vorteile tieherte. 'Wührend man 

die Zahl der Bauerhöfe auf den Gütern des Zaren auf 50 000 
anschlug, hatte der Patriarch dereu 7000, der Metropolit von 
Nowgorod 4000, ein Ersbiachof, deren es zehn ^nh, etwa 1600, 
Es gab Klöeter, welche von 3000 BanerhÖfen Einkünfte belogen. 
FOr das Kloster Walaam soll Nikon 60 Dörfer fOr die Summe 
Ton 60000 Bnbel gekauft haben. Sehr mannigfaltig war die wirt- 
schaftliche Thätigkeit. solcher geistlicher Institute; bic iHsaljcu 
Salzseen, hatten Fischereieu , beschäftigten sich mit Seidenbau; 
eines grofsen Bufes erfreute sich der Ghirtenbau der Mönche in 
dem K^ewsehen Höhlenkloster; ansgeaeiohnetes Obst wurde da 
gMogen. 

Sehr aufiallend ist der Oogensata awisoheii dem wahrhaft 

fürstlichen Aufwände der höheren Geistlichkeit und der Bfirftig- 
keit dea niedem Klerus, der nur dazusein schien, um die Einkünfte 
der Prälaten zu mehren. Die Pfarrer und Diakonen erhielten 
YCm Zaren 3 Buhel jährlich, die Jahreseinkünfte derselben wurden 
auf 80— 40 Babel geschfttst und selbst die Xrmsien muihten ihrem 
geistlichen Chef, wie s. B. dem Metropoliten von Nowgorod, jähr- 
lich mindestens 1 Rnbel saUeD. 

Ganz anders verhielt es sich mit Jon Einkünften der Pa- 
triarchen. NikouB Vorgänger galt für seiir sparsam, aber er 
verstand es doch nicht so wie Nikon, die Einkünfte dieses Amtes 
ins Ungemessene m, steigeni. Als der Vorgänger Nikons starbj 
nahm der Zar Alexei selbst das Inveotar des an Geld und Eost^ 
barketten vorhandenen Vermögeos des Patrkrohen auf; er schrieb 
an Nikon, es hätten sich 13 400 Rubel in Barem vorgefunden 
und eine Menge silberner Gefäfse. Schüsseln. Teller, Pfannen, 
Becken. Kannen u. s. w. Alle G^egenstäude seien sehr sorgilU^ 
in fünffaches Papier oder andere Stoffe eingewickelt gewesen; 
der Verstorbene habe jedes Stficki das er besafs, gut gekannt« 
Die Zahl der dem Patriarohen ainspflichtigen Bauern hattOy bis Nikon 



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74 Dea Patriarchen 2sikon Ausgabebuoh 1652. 

Patriarch wurde, 10000 betragen; Nikon steigerte diese Zahl, 
wie man sagt namentlich durch Erbschleicherei, vermittelst der 
Gunst des Zaren auf 25 000. Bei dem Vorherrschen der Natural- 
wirtschaft in jener Zeit liTst sich der UmliMDg des Budgets de« 
Fatriardien nidit wohl darcli eine Zahl auadrflcken. Indesaeti 
mnfs der G^dumsatB doch sehr bedeutend gewesen sein. Ein 
Teil der Steuern war Einnahme des Patriarchen, z. B. die H&lfte 
der Steuer, die im ganzen Beiche beim "Kauf und Verkauf von 
Pferden erhoben wurde. Der l'atriarch hatte einen ganzen Hof- 
staat; ein ganzer Trofs von Handwerkern aller Art arbeitete für 
ihn : Goidarbeiter, Bchnetder, SteinhaneFf Tischler, Haler n. s. w. 
Unglaublioh klingt die Bemerkung eines Zeitgenosseni des Paulus 
Biakonus, welcher 1653 den Patriarchen von Antiochis, Makarius, 
nach Moskau begleitete und dessen Aufzeichnutigon wir sehr wich- 
tiges Material über die geistlichen Zustände in Kufsland ver- 
dankeui dafs Kikon als Patriarch 20000 Bubel täglich, also 
Aber 7 Hillionen Bubel jfihrlich Einkünfte gehabt habe. Einer 
andern Hitteilung zufolge soll sich die Jahreseinnahme des Patri- 
archen gegen das Ende des siebzehnten Jahrhunderts verringert 
haben auf 42 000 Pfund Sterling, was allerdings g^'gen die sehr 
zweifelhaften 7 Miiiioueu einen ungeheuren Unterschied machen 
wfirde. 

Als Metropolit von Kowgorod stand Nikon an der Spitze 

eines sehr komplizierten Verwaltungsorganismus. Ein Zeitgenosse 
berichtet, die Metropoliten hätten etwa 2 500 Rubel jährlicher 
Einkünfte gehabt, der Bischof von Nowgorod aber 10 — 12 000 Kübel; 
er bewohnte einen Palast, hatte viele Beamte und zahlreiches Ge- 
sinde. Das Gefolge eines Bi^hofs wird auf ungefähr 100 Personen 
angegeben. Paulus Biakonus sagt, der Metropolit von Nowgorod 
habe 400 Klöster verwaltet; ihm seien 2000 Gteistlicbe unter- 



') Mitgeteilt u. a. in Boschtichinskis sehr lesenswerter Hoaogrsphie 
„Das religiöse Leben der Bussen nach den Angaben ausländischer 
Schriftatcllcr des 16. und 17. Jehrhunderts**. Moskau 1871. S. n. a. 
S. 184 und ff. 



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Bm Ffttmrohen Nikon Aiugabelmoii 16&8. 



75 



geben gewesen, deren jeder zu den Einkünften des Metropoliten 
liftbe beittenern mfltMD ; 70 fischreiche Seen hätten ihm Einkünfte 
geUeferty lein Geeiode habe am 300 Personen bestanden. 

Leider g«wihrt das Amgabebnch Nikons keinen Einblick in 
die wirtschafUicbe ThSiigkeit Nikons im weiteren Sinne. Während 
er znr Zeit seines Aiifonthaltes in Moskau doch gleichzeitig seinem 
Hauswesen in der Hauptstadt und der Verwaltong der Now;?orod- 
aehen geistlichen Oftter vorstand, sind in dem Ansgabebach £sst 
Muschlieftlich die in Moskau gemachten Auslagen TerseichneL 
Kor aas einigen knnen Bemerkungen «rfahren wir gelegentUehy 
wie auch in dieser Zeit die Sorge fSr die Wirtschaft in Nowgorod 
den Metropoliten beschäftigte. So haben wir denn schon t i wahnt, 
dafs Nikon bares Geld nach Nowgorod schickte, das eine Mal 
betrug die Sendung 600 Rubel, ein anderes Mal BOO Kübel ; eine 
bedeutende Quantität Sirup wird ebenfalls nach Nowgorod ge> 
schiekty und zwar auf das Out Bjinskojei um Kirschen und Him- 
beeren damit etnsnmachen. Vermutlich wurden die grofsen Ein- 
künfte' au Honig (das fino Mnl 113 Pud. ein anderes Mal 72 l'ud) 
ebenfalls zu dem Zwecke gemacht, um diese Vorräte nach Nowgorod 
zu befördern. Zu derartigen Sendungen werden jedesmal ein paar 
licnte Tom Gesinde und einige Pferde yerwendet. Auch wird 
bemerkt, wieviel Zehrgeld sie auf die Heise erhalten. Ebenso 
werden fÄr die betrikshtliche Summe von 10 Hubein ApfelbXume 
für Nikons Garten in Nowgorod gekauft. Dies geKchah fint iiif/s 
Märü, üIb noch niemand voraussetzen konnte, dafs Nikon 80 bald 
schon Patriarch werden und seinen bleibenden Aufenthalt nicht 
mehr in Nowgorod haben sollte. 

Bei der nur gering 'entwickelten ArbeitsteUnng mufste die 
industrielle Produktion im Hause eine grofse Holle spielen. Der 
PalMt des Zaren, wie das Haus des Prälaten waren eine Art 
Mikrokosmos, Wie der Z u- allerlei Handwerker in seinem Dienste 
hatte, die nur für den Uof arbeiteten, so z. B. dafs es GU>ld- und 
Silberarbeiter, Leinweber ▼ersehiedener Art gab, 100 Hflrsdiner 
und Schneider» 200 Branntweinbrenner, Bierbrauer und Böttcher, 
160 Köche, Wasserfilhrer und QeschirrwSscher, 100 Wagenbauer, 



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76 



Des Patriarchea JSIikon Auigabebuch 1652. 



Sattler, Schmiede. KadiuHcher, ^ ) bo hatte selbst jeder Bojar eine 
Menge Handwerker in seinem Gesinde. Leinwand wurde zu Hause 
gewobon, KleidATi Stiefel werden ni Hame geniht; alle Speisfln 
und Getrftnl» in Haaee bereitet. *) Man knufte mdgliefaat weni^» 
oder Torzugsweiie nur das Bohmateriali um dasaelbe in HauM 
Tenrbeiten zu lassen. 

So werden auch in Nikons Raus]);ilt viele Gegenstände pro- 
duziert, deren Anfertigung später auiser dem Hause stattzutinden 
pflegte. Personen aus dem Gesinde lernen wir als Handwerker 
kennen. Wenn man das sSnerliebe Nationalgetrank — Kwab — 
lu Hause braute , so Tersteht sidi das auch heute nodi in sehr 
▼ielen bescbeideaeren Hansbaltnngen in Rnfsland von selbst, aber 
selbst Siegellack wird zu Haus«' utigr fei ti^t und zu diesem Zwecke 
zu wiederholten Malen Zinnober eingekauft. Selbst auf iieiBen, 
während der Fahrt naoh dem Solowesk-Kloster , werden Wachs- 
lichte gegossen. 

Doch finden sich auch Spuren einer siemlich Yorgeachrittonen 
Arbeitsteilung! inbesag auf mancherlei GegenstSnde. Das Brot- 
backen wurde allerdings , wie es scheint, in der Regel zu Hause 
besorgt, wie u. a. aus dem Ankauf grofser Quantitäten Roggen 
(einmal 56 Tschetwert) zu ersehen sein dürfte, indessen konunen 
doch wiederholt Fälle vor, in denen fertig gebackenes Brot ge- 
kauft wird. Als einmal Nikon su Tische Besuch hat, wird die 
Ausgabe Yon 60 Kopeken für weifso Semmeb notiert. Der Hüau«- 
bSlter, ICSnoh Jonas, erhSlt regelmSfsig Ideine Summen snm An* 
kauf von Eiut, Zwiebeln und andern Speisezuthaten. Zu Ostern 
werden zwei fertige Kuchen gekauft, ferner einmal 2 000 Stück 
Brezeln. Auch Gemüse muTste gekauft werden, wie Gurken, 
Hohl, Hüben, £rbsen; ebenso Hier, der Saft der sftuerlichan 
Kronsbeere, »us dem man ein Oetrink bereitet. SSmtliehes 
Tiseh- und Kftohengesehirr wird eingekauft, ebenso Koffer für 
die Reise, eine Laterne mit Harienglas, Ffiseer, Eimer, L9ffel, 
Leuchter. Li kleinen Quantitäten , aber sehr oft , wird Papier 

Kotoschichin, Kufsland zur Zeit Alexeis. Kap, VI und VIL 
*) Koetomarow, das häusliche Leben der OroUmuMn. & 110, 112. 



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Dei Paimrohen Nikon Auigabebuch 1668. 



77 



gekauft, ebenso Talgliclite, welche stets gekauft werden mÜBaen, 
während die Wachslichte regelmäfsig zu H&oae fabriziert werden. 
WihreDd •ftmtUche piiohüge Gewänder Nikons sn Haiim g«niht 
werden, w^rdan einfiuhe Behiipelse, Stiefel, Ja logar einielne 
Stacke Wisofae ftof dem Markte gekauft. Wlhmd die Heiligen- 
bilder zu Hanse Yersilberi werden» mfleien die Pferde anfiMr dem 
Hause besclilagen , ebenso SSttel aufser dem R;\u8e repariert 
werden. Es begegnen uns einige Fälle, io denen Halbfabrikate 
ecwfthnt werden : so werden für Kikons Stiefel, welche im Übrigen 
■u Hanae angefertigt werden, Sohlen auf dem Markte gelnnft; 
ein Tiaeh wird gekauft und ein Eiaen daiu, welches sa Hanse 
aa dem Tiadie befestigt wird ; ein hdlsemer Sehlitten wird gekauft 
und zu hause mit Eisen beschlagen. — Merkwürdig ist, dafs 
während z. ii. die Hostien zu Hause gebacken werden, zum ein- 
maligen Dielenwaachen in der Wohnung Nikons zwei Frauen 
gemietet werden, welche einen YerhältnismUfsig hohen Lohn 
erhalten. 

Bei allen diesen TTmstinden ist übrigens ra berücksichtigen, 
dais Nikon gewisaermafsen nur zeitweilig sich in Moskau aufhielt, 

so zu sagen auf Reisen nur, und trotz des vielen (resindes und Ge- 
päcks, welches sich auf 30 Schütten Terteilte, eben als Keisender 
manches m kaufen veranlalst war, was im regelm&lsigen Leben 
an Hause produziert wurde. 

So erscheint es fast, als sei inbesng auf die Stcogemng TOn 
der Naturalwirtschaft snr Geldwirtechaft Nikons Haushalt vor- 
geschntteuer gewesen als derjenige nianch 'r seiner Zeitgenossen. 

In dem grofsen Haushalt des Zoreu herrschte die Natural- 
wirtschaft vor. Von allen Waren , welche zu eigenem Verbrauche 
oder an Geschenken oder als Lohnaahlung dienten, wurden bei 
Hofe stets grofse Vorrftte gehalten. Der Zar hatte 600 Korn« 
kammem, 80 Keller, 40000 Pferde, welche yon 900 Stallknechten 
und 900 Pferdehirteu gehütet wurden ; im Haushalte des Zaren 
wurden 40 000 Pfund Wachs jährlich zu Lichten verbraucht. ^) 



*) Kotoschichin VI, S, 6, Maigeret über Eafaland etc. 



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78 



Dea Patriarchen Nikon Ausgabebuch 16o2. 



Allerlei Vieh, Geflügel, Obst hat er die Hfllle und Falle. Ee 
kniii vor, dafs ausländische Gesandte, die sich zeitweilig in der 
Hauptstadt aufhielten , täglich 22 Borten Gretränke , b ISchaie, 
3ü Hühner u. s. w. erhielten. ') Die Strelsy erhielten aufser 
15 JElubeln in Geld noch 15 Tschetwert Boggen und 2 Pud Sein 
jährlich; die IieibwKchter des Zaren koeÜbare Stoffe, Zobelfelle» 
1 Wersehok Samt. Auch sonst kam es wohl yor» dafs Arbeiter 
vorherrschend in Naturalien ihren Lohn erhielten. Zimroerleute 
erhielten Korn, Fisch, Hirse, Käee ; Fuhrleute wurden mit Schinken 
bezahlt u. dergl. ^) 

Man kann annehmen, dafs Nikons eigenes Gesinde den Lohn 
so gut wie anssehliefslich in Naturalien empfing. Dagegen werden 
in dem Ausgabebucfae allerlei Qeldlohniahlnngen erwtimti fllr Be* 
paiatnren aller Art, fttr Schmiedearbeiten, flir den Transport ein- 
gekaufter "Waren, für Veterinärdienete, für Kürschner-, Schneider- 
arbeiten, für ausgeführte Bauten. 

Dagegen werden die Geschenke oder Trinkgelder meist nicht 
in fiarem besahlt, sondern in Heiligenbildern, deren Edelmetall- 
wert übrigens einen sehr genau au bestimmenden Geldwwt 
repräsentierte. Die FSlle, in denen Kikon solche Geschenke an 
Diener de« Zaren va machen hat, sind anfserordentlieh aahlreieh. 
Daher scheint denn aucli die Arbeit des Versilberns der Heiligen- 
bilder in Nikons Hause, wie aus einer grofsen Menge von Bemer- 
kungen über den Preis des hierbei verbrauchten Silbers hervor- 
geht, ununterbrochen fortgedanert au haben. Übrigens werden 
auch nur die etwas höher gestellten Hofbeamten in dieser Weise 
beschenkt; geringere erhalten eb Trinkgeld in Barem. 

Teilt man die Bedürfnisse in notwendige, Luxus- und An- 
standsbedürfnisse ein, so hat man, wenn man das Ausgabebuch 
Nikons betrachtet, Veranlassung darüber zu staunen, welche sparta- 
nische Einfachheit inbeang auf die gewöhnlichen Bedfirfnisse des 



Olearius, Reisebeschreibung S. 16. 
*) Kotoschichin VIT. 9. 

') Aristow, die Industrie im alten Bufsland ^russisch), S. 2bO. 



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Des Patriarchen Nikon Ausgabebuch 1662« 



79 



täglicbfln Lebens mit einer grofuurtigen Pninkmoht in andere 

Besiehung vereint ist. 

Was die notwendigen Bedürfnisse anbetrifft , so ist es auf- 
fallend bei sonst grofsen, hier und da durchaus luxuriösen Lebeus- 
TerbältniaMn eine wahrhaft rndnchiache MüDugkeit in Speiee und 
Trank in Nikons Haushalt an finden. Von Leckerbiaaen gibt ea 
fast gar nichts mit Ansnahme der Geschenke des Zaren, welche 
bisweilen» wie oben erwähnt wnrde, in Konfekt ^ Pfeflferknchen, 
Obst und Beeren bestanden. Fleisch sclieint Nikon selbst, schon 
als ewig lastender Mönch, nie genossen zu haben. Während der 
7 Monate wird nur ein einziges Mal des Ankaufs von Fleisch er- 
wähnt, nnd swar ist es Schweinefleisch, welches denn allerdings 
in der gewaltigen Menge von gegen 800 Pfund eingekauft wird. 
Fisch wird dagegen sehr viel nnd in mannigfaltiger Weise kon- 
iiimtert. Sehr viele Fischarten werden erwähnt, darunter recht 
teure aus entlegenen Gegendon nach Aloftkuu itnpui üerte Fisch- 
arten. Die Hauptnahrungsiuittel sind Brot, Zwiebeln, Meerrettich, 
Rüben, Pilse, Knoblauch, Speisedi, Honig, Butter. Weifsbrot 
scheint nur ausnahmsweise konsumiert worden au sein. In der 
Begel ifst auch wohl der Metropolit selbst Boggenbrot. — Aus- 
nahmsweise wird des Einkaufe von ausländischen Speisesuthaten 
erwähnt. Bei feierlichen Gelegenheiten , etwa zu Ostern , wird 
etwas Besonderes gebacken oder gesotten und dazu werden in 
kleinen Mengen Nelken, Pfeiler, Safran, Reis, Rosinen, Mandeln, 
Feigen gekauft. Im ganaen mochte der Küchenaettel des an- 
gesehenen und reichen Prälaten sich nur wenig von dengenigen 
eines Bauern unterscheiden. Ausländische Weine, welche damals 
in bedeutender Auswahl nach Bnrsland eingeführt au werden be- 
gaiinent waren durch die mönchische Art Xikons ausgeschlossen. 

Das Küchen- und Tischgeschirr ist ebenfalls sehr einfach 
und wertlos. Es gab wohl einiges Silbergeschirr im Haushalte 
Nikons, selbst auf Beisen, doch müssen es nur sehr wenige Stücke 
gewesen sein. Ein silbernes Salafafs wird in Moskau ausgebessert. 
* Sehr oft wird dagegen das allereinfachste hdlaerne Gleschirr ge- 
kauft, Teller und Löffel, Fässer und Eimer, aber alles dieses zu 



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80 



Des Ptttrifluralieii Nikon Augabebudi 1068, 



Spottpreuen. Sogir die Schüssel, auf weldisr der Metropolit dem 
Zaren nnd dem Patriarehen geweihte Hostien sendet^ kostet nur 

4 Kopeken. Schlösser, Koffer, Kasten und Körbe, welche wieder- 
holt angescliafFt werden , scheinen , wenn man nach den Preieen 
dieser Gegenstände urteilen will, von der allereinfaobsten (Qualität 
gewesen sn sein. 

Von eben so grofser Einfaohheity und nioht über den ge- 
wöhnlichen Bedarf eines Bauern hinausgehend « war das Pferde- 
geschirr. IHe Preise, welche für die wlUirend der sieben IConate 
angeschrifftt 11 Ziii^rrl imd Ziuimo. Krummhölzer und Sättel notiert 
werden, iatjeen keinen Zweilei darüber zu, dafs alle diese Gegen* 
stände aas den einfachsten Stoffen angefertigt wurden. 

£*ast der einsige Losas inbetreff des HaosgerätSi den sich 
Kikon an jener Zeit erlaubte , bestand in einer Uhr, von deren 
Beparatur in dem Ansgabeibnche Erwähnung geschieht. Auch 
wird für dieselbe ein neues Futteral gemacht, auf dessen Einfach- 
heit wir indessen aus dem Umstände schliefsen können, dals diese 
Arbeit von einem — Zimmermann gemacht wird. ^) 

Nikons geistige Bedürfnisse waren nicht kostspieliger Art. 
Das häufige Einkaufen von Schreibpapier erklärt sieh wohl eher 
dnreh die Yerwaltungsgeschäfte des Metropoliten als durch die 
schriftstellerischen oder wissenschaftlichen Liebhabereien des Theo- 
logen. Es wird der Ankauf zweier geistlicher Bücher erw;ihnt ; 
femer wird eine offenbar etwas sorgfältiger gearbeitete Bücher- 
kiste angeschafft. Sie kostet nämlich Terhältnismäfsig viel ^ 
24 Kopeken. 

Worin nnterschieden sich Torwiegend Nikons Bedürf- 

nisse und Ausgaben yon deigenigen der Vertreter bescheidenerer 
Gesellschaftsklassen? In der Kleidung. 

Hierin nun zeichnet sich der Metropolit durch einen sehr 
beträchtlichen Aufwand aus. Diese Art Prunksucht mag damals 
siemüch allgemein gewesen sein. Ahnlich dem ^Pluderhosen- 

*) Es ist vielleicht dieselbe Uhr, weU-lie, als einst Nikon j^ehnrifr, 
noch heute iu Moskau gezeigt wird, s. d. ru»s. Auagabe vou Adelung» 
Werk über Meyerberg. S. 304. 



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Des Patriarchen Nikon AuBgabebuch 



81 



Untml^f welelier dunali Im Wetten foiii WMen trieb, verbnaehte 

man in den wohlhabenden Mittelständen Rufslands bedeutende 
Saiumeu für kostbare ÖtofiTe, welche man damals meist aus dem 
Onent erhielt» Schwere Seidemeoge wurden mit Yorlieb« ge- 
tngiii* Der Ehrgeis beetend naaientlieh in der Menge des su 
emem KleidoDgietdok verbrMiohtoD Stoffes. Hea enShlt ▼<m 
einem Bojuren, welchtf einen Qflrtel Ton ttber 5 EUen Lftnge 
und einer halben Elle Breite trag. Die beliebtesten Gtesohenkei 
welche an angesehene Personen entweder aus Courtoisie oder 
vom Zwecke der Bestechung oder als Belohnung für geleistete 
Dienste gemacht wurden, pflegten aus Fellen nnd kostbaren 
Stoffen na bestehen. Vorwiegend die in^i<tii«g nntersehied die 
Stände. Die Höhe der FoUmfltie war ein MnTsstnb für dM 
Ansehen und den Bang eines jeden.*) 

Man sieht: die Pracht und Kostbarkeit ist vorherrschend 
ein Anstancisbedürfnis. Nur mocht« bei Nikon, wenn er auf 
diese Art Konsumtion viel Gewicht legte, eine persönliche Lieb- 
haberei hinankommeii. Die Zoitgenossen berichten von ihm, er 
habe manche neue II oden eingeführt So habe er sich u. a. eine 
neueKopfbedednuig machen lassen von weüser Seide mit Perlen» 
stidcerei, welche letstere den Ghembim darstellte. Als Patriarch 
trug Nikon keine Stiefel, sondern ein« Art Sandalen. Er hatte 
stets Gewänder der verschiedensten i^ arben. So sah ihn Paul 
Diakon einst in einem Gewände von roter und einem Überwarf 
Yon grOner Farbe. SohiUemde Farben waren damals bei der 
Gastlichkeit sehr beliebt, wie Collins, der lioibarst des Zaren 
Alexei nnd andere Zeitgenossen berichton. Die Geistlicbea be- 
dienten sich sehr gerne der Spiegel. Sogar in den Kirchen in 
der Nähe des Altars sollen Spiegel angebracht gewesen sein. So 
hielt mau die Würde der äusseren Erscheinung in sorglichster 
Weise aufrecht. ^) 

An eigentlichen Komfort ist bei einer derartigen Konsum* 

S. Kostomarow, 1. o. 64, 71. 
«) Ebend. 73. 

') liuöchtschinski, 1. c. 128 — 131. 

Brückner, KufaUnd. ^ 



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62 



Des Fatxiarohen iHikon Ausgabebuch 1652. 



tion nicht zu donken. Man will nur eine Wirkung hervor- 
bringen, auffallen, imponieren. Eiu wirkliches Bedürfuiö wird uiclit 
empfunden. Selbst bei Hofe gab es keine Teller» obgleich man 
goldene SchOsaeln hatte; ebensowenig kannte man Servietten, m 
reiche GewXnder man aneh tnig. Oft mochten die Speiaen 
weniger ichmackhaft sein, als durch inAere Form Effekt hervor- 
bringen, wie denn b. B. am Namenstage des Zaren Semmeln von 
3 Ellen Liinge gebacken zu werden pflegten. Die Ht-iligen- 
bilder konnten in der Regel nur in sehr beschränkter Weise als 
Kunstwerke bezeichnet werden, aber sie waren stets in unge- 
henrer Zahl Torhanden and hatten ein gewaltiges Gewicht an 
Edelmetall. — Es war nicht eben sehr bequem sich mitten im 
Sommer fiber die schlechtgepflasterten oder mit Balken belegten 
Stralsen im Schlitten fahren zu lassen, wie namentlich anch Nikon 
sehr oft that — wir besitzen Abbildungen davon — aber galt 
für vornehm und dem geistlichen Stande angemessen, sich keines 
andern Fuhrwerks zu bedienMi nnd da liefs man sich denn rütteln 
und schütteln um des Anstandsbedürfnisses willen* 

Die Garderobe Nikons» als er in der Eigenschaft eines 
Metropoliten von Nowgorod in die Hauptstadt kam, mochte doch, 
wenn wir an das anf 30 Schlitten verteilte Gepäck denken, recht 
vollständig sein. Dennoch hielt Nikon es für angemebben, bogleich 
nach seiner Ankunft in Hoskau für teure Stoffe unverhältnis* 
m&£sig groise Ausgaben zu machen. Als gleich in den ersten 
Tagen des Aufenthaltes in Moskau der Zar dem Metropoliten 
swei Pferde cum Geschenk machtoi kaufte Nikon sogleidi einen 
Schlitten, welcher allerdings nur 1 Bubel 20 Kopeken kostete. 
Dieser Schlitten aber wurde mit kostbarem Tuche beschlagen und 
mit einer prächtigen Saintdecke vei beben. Die 4 Ellen 
Tuch und der grüne Samt, welche zu diesem Zwecke ange- 
schafft werden^ kosten fast 13 Kübel und repräsentierten dem- 
nach den Wert Yon 30 Tschetwert oder 10000 Pfund Soggen 
(nach damaligen Eompreisen). Wenige Tage sp&ter kaufte Nikon, 

') KotoBchichin L 30. 



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Des Patxiarcheu Nikon Aiugabebuch 1653. 83 

fftr das bei seiner geistlichen Kleidang notwendige Panagion, 
Edelsteine und Perlen für die Summe von 30 Rubeln (im Werte 
gleich 25000 Pfund Roggen), wozu er übrigens nur 5 Rubel 
ans den Summen des Metroijolitanamtes entnahm und 25 Rubel 
you seinem eigenen Gelde verbranebte. Für das Fell eines Pelaes 
gab er 5 Bnbel aas nad kaufte dam S^denstoff üDr nahem 
4 Bnbel, so dafs dieser Fels ebeniUls einen Wert von fast 
10 000 Pfund Roggen repräsentierte. Wenige Tage später wird 
schon wieder für eine prachtvolle Mütze carnioisinroter Atlas 
gekauft; eine Woche später werden 20 Arschiu Seidenstoff für 
81 Rubel gekauft, eine Bumme, welche znm Ankauf Ton flbw 
16000 Pfond Boggeu hingereieht bitte. Einige Wochen lang 
werden sodann keine derartigen Gegenstände mehr gekauft, bis 
dann Ende Febmar schon wieder prachtvolle ZobelmÜtaen mit 
kirisch rotem Samt gemiiclit werden, welclie auf nicht weniger als 
53 Rubel zu stehen kummeu. Wenige Tage spater wird schon 
wieder weifser, grüner und roter Atlas für ein geistliches Gewand 
gekauft nnd gleich darauf mehrere Ellen kirschrotes Tuch für 
ein anderes geistliohes Qewand, welches nicht weniger als 80 Eubel 
kostete^ wom dann ein paar Wochen spKter als Fntter mehrere 
Ellen tenren Seidenttoffii besorgt werden. Zum Schlnfii finden 
wir dann cudltcii Ii Nikons Rückkehr aus dem Kloster Solowezki 
noch einmal eine Ausgabe von 20 Ruhein für Seidenstoff zu einem 
Gewände, welches der sum Patriarchen erhobene Nikon sich 
bestellte, und die Ansgabe yon 11 Bubeln für Tnch m einer 
prächtigen Bibermfltse, mit welcher sich Nikon in seiner nenen 
Würde m schmücken gedachte. 

Bedenkt man, dals Kikon in sieben Konaten gegen 300 Bnbel 
(= 500 Tschetwert =^ 150 000 Pfund Roggen) für seinen „Staat" 
aasgab, während alle souätigeu Ausgaben für Essen, Trinken, 
Hansger&t u. dergl. yerschwindend klein erscheinen, so müssen 
wir ttannen über diesen Lnxos. Nikon glaubte es seiner Würde 
schuldig zu sein, in 8amt und Seide zu gehen. Dadurch sachte 
er m imponieren, wShrend er mit bfturischer Kost Torlieb nahm 
und sonst keinen grofsen Aufwand machte. Diese Einseitigkeit 



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84 



De» i^atriarclien Nikon Ausgabebuch lt>52. 



des titnras erkttit rieh Biiiii T«U dnrdi die hemelionde Kode, 

7A.\i]\ Teil wohl auch durch die Individualität des eidtu Alaanes, 
der von mönchischer Askese je später je weiter sich entfernte. ^) 

Em« ander« sehr betraditliohe und feet iSgUoh «eh wieder- 
holende Ausgabe Kikone besteht in Almoeen und Trinkgeldern« 
IHese waren hei allen nnr erdenkliehen Ghelegenheiten nnnm- 

gänglich. Es ist kaum zu glauben, wie entwickelt eine solche 
Uuäitte war. Der Zar liefs bei allerlei UofTesten Almosen vor« 
teilen. Bo oft er oder die Zarin öffentlich erschienen, mufstea 
eine grolee Menge von Paketen von 20 Kopeken bie an 30 B>nbe2n 
jedes in Bereitsehaft gehalten werden, damit fortwährend Ge- 
schenke gemacht würden.*) Heiratete der Zar, so gab es €^ld> 
geschenke in grofser Menge. Wurde dem Zaren ein Sohn geboren, 
so schickte man an CTeiijtlich(\ an Bettler, an die Verbrecher 
in den GtefÜngnissen Almosen.^) 

So hochgestellte Personen, wie Nikon, mnfsten ihnlich wie 
der Zar, viel Geld verseheDken. Kamentlich geistliche Listitate 

und Mönche werden mit gröfseren oder geringeren Summen be- 
dacht. In dem einen Fülle erliält ein Kloster die für jene Zeit 
sehr beträchtliche Summe von 50 Rubeln zum (iescheuk, in einem 
andern Palle erhält ein anderes Kloster nnr 50 Kopeken. Aach 
ittr im Aaslande gelegene Klöster wird gesammelt; ein griechisches 
Kloster erhält einmal 7 Kabel. Aach aof der Beise macht Nikon 
solche Geschenke. Bald werden för einen Bettelmonch Stiefel 
«gekauft, bald wird eine Summe Geldes in die Gefängnisse ge- 
schickt, damit sich die dort P^ingekerkerteu mit etwas bes&erer Speise 
einen Tag gütlich thun. Bisweilen erhält ein Bettler < in6n halben 
Bubelf häufiger nor einige Kopeken. Kaum ein Tag vergeht, 
ohne dalSi derartige Aasgaben notiert werden. Die Kirche war 



^) S. d. Notis über die schwer wiegenden Rehquirn »ui Kikons 
Garderobe, aus dessen Pairiaroheiueit bei Adelung, Meyerberg, ross. 
Ausg. 8. 304. 

«) Kotof«chichin, VIT. 3. 

•) Kotoschichm, 1. ül, L 26. 



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Dm Patmrchea Nikon Auagabebuoh 1663. 



86 



eine VerisüigungisttUbtalt für viele: sie hatte den gröluteii Teil der 
Anuenpflege in der Hand. 

Einen ihnlieh grofsen Posten wie die Almoeeni bildeten im 
Budget Hikons die Trinkgelder an die Diener solcher hoher 
Herren, welche ihm Geschenke machten oder ihn mit Einladungen 
beehrten. 

Täglich erscheinen solche Sendhoten , welche jedosma] mit 
Geld oder Heiligenbildern besclienkt werden müssen. »Seihst die 
TerhÄltuismiiräig wertlosen Geschenke an Weioi Speisen und Obst 
werden Tom Zaren nie durch eine Person geschickt: es sind 
jedesmal mehrere Personen verschiedenen BangeSi Bojaren und 
Bojarensöhne, Speisemeister und Kftmmereri Heiser und WXchter. 
Die Belohnung, welche sie erhalten, wird ihrem Range gem&fs 
abgestuft. — Eine sehr beträchtliche derartige Ausgabe wird 
durch das Weihnachtsfest veranlafst; die ihre Glückwünsche dar- 
bringenden Geistlichen und Kircheneänger erhalten recht be- 
deutende Geldgeschenke, zusammen im Betrage von 16 Brubefai 
(12 000 Pfund Boggen). — Als Nikon einst in einem Kloster speiste, 
erhielt das ganze Personal des Klosters Oeldgeschenke oder Almosen, 
wie man es nennen will. So mufs Nikon jeden Augenblick seine 
milde Hand auftlmu und aus den allerdings reichlichen Mitteln 
seiner Diözese Gaben spenden und zwar meist an Menschen, 
welche materiell ohnehin ganz sorgenfrei gestellt sind. Die eigent- 
lichen Bettler, also die wirklich Bedürftigen, yerursachen eine ver- 
h al t n ism&f sig geringe Ausgabe. Dagegen bilden die Geldgeschenke 
an Geistliche und 'Hofdiener eine sehr stattliche Summe. ^) 



Von Interesse ist es mit Hilfe von Nikons Ausgabebuch 
einen Einblick zu thnn in die Art des Beisens an jener Zeit. 

^) Dabei eriSshren wir, weldie Hsnnigfaltigkett von tmtefgeordnet«! 

und höheren JLmtem bei Hofe bestand. Es kommen mit fiotschaften 
und Sendungen zu Nikon: Sytniki, Skatertniki, Istopniki, Fodkljutsch* 
niki etc., d. h. Speisekammerwächter, TisohtachTer wahrer, Heiser, Sohlüssel- 
Verwahrer u. s. w. 



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86 



l>c» Patnarchen Nikon Ausgabebach 1652. 



WXhrend der rieben Monate, filier welche Abb Ansgebebnoh be- 

riclik^t, unternahm der Metropolit zwei sehr weite Reisen. Zaerst 
reiste er von Nowgorod bis Moekau, sodann von Moskaa in. das 
Solowo^lci -Kloster und zurück nach Koskao. 

Die Yerkehraanstalten waren sn jener 2eit eefar mangelhaft. 
Die Zeitgenoesen berichieni dab in manohen Gegenden Bufdande 
nnr im Winter gereist werden konnte. Während im Westen das 
Korporationswesen der Mittelstände allerlei Ycrkehrsanstalten be- 
reits im Mittelalter hatte entstehen lassen wir erinnern nur 
an die Posten der Universität Paris^ an die Posten so liiuacher 
geistliclier Orden, an die sogenannten Metsgerpoeten — fehlte es 
bis zur Begiemng Alezei Michailowitsobs in Bnfsland voUstindig 
an irgend genügenden Ebrichtongen dieser Art. Erst im sieb- 
sehnten Jahrhundert ward ein einigermafsen r^elmäfsiges Fuhr- 
wesen eingeführt. Es bestanden Stationen mit Pcstpferdeu und 
Postkutschern, welche zu einem von der Regierung bestininiteu 
Satze Passagiere zu bef<>rdern hatten. Es waren au dem Zwecke 
sogar Ansiedelungen von 30 — 100 Höfen jede gemacht worden, 
welche etwa 4—16 geographische Heilen voneinander entfernt 
an den HanptstraTsen gelegen waren und Postddrfer (Samskya 
Slobody) hieben.^) Ahnlich dem bekannten curma pubUmiS der 
Börner aV)er, ja ühulich zum Teil auch den noch heute bestehen- 
den Fahrposteinrichtuugeu ßufslauds, war diese Anstalt nur pri- 
vilegierten Reisenden zugänglich. Ohne einen behördlichen Post- 
schein durfte niemand Pferde erhalten. Für Privatreisende, etwa 
mit Waren, war diese Anstalt nicht vorhanden. Die Langsamkeit, 
mit welcher Güter befördert wurden, übersteigt alle Begriffe* 
Die Waren, welche in Archangelsk etwa im Juni oder Juli aas- 
geschifft wurden, pflegten erst zu Weihnachten iu Moskau anzu- 
kommen. ') Da es überall schlechte Wege gab, die jeden Augen- 
blick Aufenthalt verursachen konnten, da es feiner durchweg an 

•) Kotoschichin, Vll. 2H. 

-) .T. de Rodes, Bedenken ühcr den russisch Handel im Jahre Ifio3 
in üeii iieiträgren zur Kenntnis Kulslands u. s. (jt-sth , heraus^rerreben von 
Gustav Kwem und Huritz v. Engelhardt, Durpat 1816. S. 2tiÖ. 



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Des PatriATcheu Nikon Aosgabtibuch 1652. 



87 



GasthSiiMni nntenreg« feblte und mwn Tonmgiweifle raf dio Ghttt- 

freundschnft der Klöster augewicsen war, so mufsto man mit 
anfserordeutlich viel Gepäck reisen, sicli mit allen für die Zeit 
der orforderllohen Lebeiuimitteln venehai, unterwegs oft 

anhalten^ mn Spaim sn bwaiten. G^saiidte und hoehgeatellte 
H«mii reisten um bo achwerftlligery je grSfeer ihr Gkfolge war. 
— Ber engliBohe Gesandte Carlisle brauchte fUr sein GhpSok 
allein 60 Schlitten nnd fllr sich und sein Gefolge 140 Mlitten. ^) 
Nikon reiste in 31 Schlitten. 

Als Nikon von Nowgorod aufbrach, wurden an dem Tage 
der Abreise iwei Holzkoffer gekauft. Man muTs annehmen, da£» 
er bedeutende VoVräte an Lebensmitteln^ an Brot, gedörrten Fischen 
o. s. w. mitnahm. Unterwegs werden nnr wenige Lebensmittel 
gekanft. Unter den letsteren findet sich ein Ankauf von 50 
Hechten, 17 Brachsen, 16 Barschen und 3600 kleineren Fischen 
in Wuldfti ; etwas weiter werden wieder 200 grofse Barsche und 
27 Hechte gekauft ; um andern Tage erfolgt wieder ein Ankauf 
von Fischen. — Wiederholt wird Heu und Hafer gekauft; man 
Wkt die Pferde beschlagen; an einer Stelle wird Anenei für 
Pferde gekauft; an einer andern Stelle werden den Pferden i,die 
MSnler gereinigt", was eine übrigens unbedeutende Ausgabe Ter- 
ursacht. AVü die Reisegesellschaft die Nacht zubringt, da erhält 
der Hausknecht ein Triiikgeld. In Twer kauft der Metropolit 
Schreibpapier, freilich nur einige Bogen. Die Heise von Now- 
gorod nach Moekau wird in sieben Tagen aurückgelegt ; da die 
ganae Strecke ungefiihr 4 — 500 Werst betrug (70 Meilen)^ so 
kommt auf jeden Tag eine Strecke Ton etwa 8 Heilen« 

Als Nikon am 11. Uftra aus Moskau nach dem Soloweski- 
Kloster aufbrach, neigte sich der Winter seinem Ende zu. Es 
konnte als ein gewagtes Unternehmen gelten, iu dieser Jahreszeit 
eine so weite Fahrt zu unternehmen, auf welcher man unfehlbar von 
Thauwetter (Lbeff&Uen werden muAte. Für die Beise wird «in 
uBelsestnhl" (?) von Leder für den MetropoUten gekauft, derselbe 



') Fabricius, über d. russ. Foät, russisch, S. 20. 



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88 



Des Patriarchen Nikon Ausgabebuch 1652. 



reift in einem grofsen auf Sdilitten gesetzten Wagen. Zehn 
Schlitten werden angeschafft, ebenso Pferdegeschirr, ein Koffer 
o. dergl. m. — Ein bedeutender Vorrat von Heu wird mit- 
genommen. Die Reise bis Wologda dauerte sieben Tage, was 
einen gans fihnliehen Grad von Schnelligkeit» wie auf der Beise 
Ton Nowgorod nach Uoekan daxitellt. In Wologda wird nidit 
weniger als einen yoUen Monat hindnroh gerastet, offenbar weil 
eingetretenes Thauwetter der Schlittenbahn ein Ende gemacht hatte 
und man warten raufste, bis die Wege einigermaiscn fahrbar waren. 
Während der 32 Tage, welche Nikon in Wologda zubrachte, riclitete 
er eich gans behaglich ein, kaufte eine Menge KAohen- nnd Tafel- 
geschirr, 56 Tschetwert Boggen, einFafii mit Kohl, 8'/« Tschetwert 
Zwieback von Boggenmehl, Butter, Wachs, Essig, Sals n. s. w. 
in gröfseren Portionen, liefs sich Leuchter anfertigen, bestellte 
einen verechlieföbaren Behälter fiir das Tißchsilber, liefs für seine 
TJhr ein Futteral machen u. s. w. In diese Zeit üel Ostern : 
bei dieser Gelegenheit wird allerlei gebacken ; dazu wird Beis, 
eine grofse Menge geflbrbter Bier und — Schwetnefleiach gekanit. 
Es werden Wachslicht« gegossen, es wird Mehl gemahlen; der 
Namenstag der Zarin wird gefeiert mit einem Essen; ^e Tisch* 
und Handtücher werden gewaschen und zu diesem Zweck wii'd 
etwas Seife gekauft, i'ür die Weiterreise werden u. a. 120 Pfund 
Salz angeschafft. Wie man damals auf Helsen in Nikons Yer- 
hftltnissen einen Yollstfindig eingerichteten Haashalt führte, ohne 
auf Hotels rechnen wo. können, ist n. a. daraus su ersehen, dab 
inkon während seines doch nur ««tweiligen Aufenthaltes in Wologda 
ein Pferd «uro Wasserf&hren kaufte, ebenso Pferdegeschirr, mehrere 
Pud Teller (wahrscheinlich ziuneme) und Schüsseln u. dergl. m. — 
Am 19. April reiste Nikon aus Wologda ab; wann er in Cholmo- 
gory, dem Geburtsorte Lomonossows, anlangte, erfahren wir nicht, 
wohl aber, dab er am 10. Mai sich an diesem Orte aufhielt und 
erst awei Tftgo spftter yon da weiteiTeiste; am 9S. Mai langte 
er in Archangelsk an, wo er eine ToUe Woche dieb. Hier wurden 
am Ufer des Weifsen Meeres von Nikons Leuten Wacliskerzen 
gegossen. Man mochte deren bei den bevorstehenden Feierlich* 



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Dw PUrisroli«! Nikon Aiugab«l»iioli 10BI5U 89 

keiten im 8olowe^*KIoator — der Abholung der Gebeme Philipps 
— in betonders grofser Menge bedürfen. Von Archangelsk i^ing 

es nun zu Schiflf nach dem Kloster, wo Nikon sich nur möglichst 
kurze Zeit aufgehalten zu haben scheint, da er schon am 7. Juni 
die Rückreise nach Moskau antrat» die er über Onega und Kargopol 
ohne Aufenthalt in 39 Tagen sorftcklegte. Da die Btreeke etwa 
1400 Weret oder 200 Heilen betrigt, ao kommen anf eine Tage- 
reiae nieht mehr als 50 Werat täglich, was denn recht langsam 
erseheint. 

Über die Kosten der Reise nach Solowezki und zurück haben 
wir gar keine Angaben. Dagegen sind die für die zwischen Now- 
gorod und Moskau gebrauchten Postpferde ausgegebenen Summen 
sehr genau yerseiehnet. Auf jeder Station swiiehen Nowgorod 
und Hoskau müssen die „Progony** beaahlt werden, was auf der 
im Frühling unternommenen Reiro nieht gesehehen su sein scheint. 
Man darf fast mit Sicherheit annehmen, dafs Nikon auf der ersteren 
Reise mit Postpferden fulir. im Gegensatze zu der zweiten Reise, 
während deren er sich eigener Pferde bediente. Über die Preifle 
der Benutsung von Postpferden haben wir manche Angaben Yon 
^Zeitgenossen. Eotoschiohin bemerkt, die Postknechte hfttten für 
je 10 Werst 1% Kopeken erhalten; einer andern Nachrieht sufolge 
betragen „doppelte Progony* von Nowgorod bis Pekow für sehn 
Pferde 110 Kopeken. Olearius fuhr von Keval nach Riga und. 
bezahlte 2 — 4 Rubel für die Fahrt. Einem andern Berichte zufolge 
nahmen die Postillone für 350 Werst 2 Rubel u. s. w. Aus 
solchen Angaben einen gaos bestimmten Sats herauszulesen, ist 
schwierig, weil die LSnge einer Werst sich yerinderte, wie denn 
früher eine Werst 1000 Faden (7000 FuTs) slhlte, im 17. Jahr- 
hundert 700 Faden (4900 Pufs), jetst 500 Faden (3500 Fnfs) 
und weil wir nicht immer wissen, um welche Anzahl von Pferden 
es sich handelt. Bo wissen wir auch von Nikons Winterreise 
▼on Nowgorod nach Moskau, dals er sie in 81 Schlitten machte, 
ohne dals wir eine Andeutung darüber hätten, nut wie viel Pferden 
jeder Sehlitten bespannt gewesen sei. In jener Zeit pflegte msa 
bisweilen einspännig su fahren. So fuhr Carlisle in gana ein« 



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90 



Dm Ffetriirehen Nikon Auig»belmeb 1068. 



hßhm und sehr Ueineii SchUttoD, die für den Kataeher keinen 
Baum betten, so dafs derselbe auf dem Pferde reiten moAte. 

Ebenso ist mehr als eine AbbiKluiiL; *"iii5j)aiiiiiger Sclilitten mit 
reitendem Kutscher in Adelungs Ausgjibe von Meyerbergs Illustra- 
tionen zu dessen Reisewerk zu Enden. Herr Kostomarow be- 
merkt indeeseoi daüi Beisescblitton in jenw Zeit meist mit xwei 
Pferden bespannt worden seien. Dem sei wie ihm wolle, die 
Kosten der Fortsohaffong Ton 81 Schlitten von Nowgorod nach 
If oskan waren sehr gering. Berüeksiebtigt man die betreffenden 
An^':iljen (für eine Statiou von 20 "Werst 90 Kopeken, für Ö5 Werst 

3 Eubel, für 52 Werst 2 Rubel 50 Kopeken, für 87 A\ erst 

4 Rubel u. dergl. m V 'so ergibt Bich bei einspännigen Schlitten 
eine Ausgabe von 1 Kopeken für eine deutsche Meile für jedes 
Pferd ; für den Fall, dals die Schlitten sweispftnnig waren, die HlUfte. 



Zur Gesehlehte der Pretse. 

Eine exakte historische Würdigung der i'reisangaben in 
Nikons Haushalt wird bedingt durch die Feststellung eines Preis- 
mafsstabes. Erst der letstere ermöglicht die Vergleichung 
■wischen wohlfeü und teuer » awischen sonst und jetat. Einen 
absoluten Preismafsstab gibt es nun fireilich nicht. Sowohl der 
Arbeitslohn, als das Edelmetall, als auch das Getreide sind durch 
Jahre, Jahrzehnte und Jahrliunderte Schwankungen, Wertverände- 
mngen unterworfen gewesen. Was den Arbeitslohn, zumal im 
siebsehnten Jahrhundert^ in Kn/sland anbetrifft, so ist derselbe^ 
bei dem Vorherrschen der unfreien Arbeit, gleichsam nur als 
Ausnahme vorhanden; derselbe variiert ferner je nach Ort und 
Zeit und Qualität der Arbelt allsusehr, als daft man dsrsa denken 
konnte, ihn alö Preismafsstab zu verwenden. Der Preis des Edel- 
metalls ist ebenfalls sehr schwankend und, insofern die Münz- 
einheit in fortwährendem Zusammenschrumpfen begriffen ist, nur 
mit Berücksichtigung dieser Hünaverinderungen als Malsstab au 
gebrauchen. Wihlt man das Oetrside a]s Wertmaisstab, so muls 
man auch bei den Kompreisen verschiedener Zeiten die Yer^ 



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Des Patriarchen Nikon Auegabebuch 1652. 



91 



tehiedenliMt der Münseinheit, des entsprechenden Quantums Edel- 
metall berücksichtigen. Die Vergleichung vieler Preisangaben 
mit den öeireidepreisen wird immerhin die lehrreichste sein. 
Wenn wir wissen, welche Menge Tuch, Euen, Beis, Arbeit u. 8. w» 
io der Zeit Nikons eiiiem Techetwert Boggen entapntbh, eo werden 
wir leiehty mit den heutigen Getreldepreieen die Preiee anderer 
OegenttSnde vergleiehend, in beatimmten Ergebniaaen ftber den 
Verlauf der Preisbewegung in den letzten Jahrhunderten ge- 
langen. 

Wir fragen demnach zuerst , wie sich die MUnseinheit TOn 
demala sur Münzeinheit von heute verhielt; wir fragen sweitena, 
wie sich die Getreidepreiae von damals mit Berfieksichtignn|f der 
Yeraehiedenheit der Maoaeinheit au den gegenwärtigen Getreide- 
preiaen verhalten. 

Was die Veränderung der Münzeinheit anbetrifft, üu li^t die- 
selbe gerade in dem Jahrhundert Nikons besonders auffallend 
gewesen. Unter Joann IV., also um die Mitte des sechzehnten 
Jahrhunderte, prägte man in Eulaland aus 1 Pfund Silber 6 Bubel, 
unter dem Zaren Waaaiiy Schuisl^j 6 Bubel 80 Kopeken, unter 
KiohaU 877 Kopeken, unter Alexei 931*/^— 1024 Kopeken,^) — 
jetat prägt man aus einem Pfond Silber 92 Babel. Entsprechend 
einer solchen Keduktion der Münzeinheit müfste, also ceteris pari- 
b'W'if eine Preissteigerung aller andern Gegenstände von der Zeit 
Nikons bis heute auf das 2^j^üuf^9 eingetreten sein. ^) Eine 
aolehe Preiaateigerung trat denn auoh wiederholt ein und wurde 
empfunden. Im Jahre 1621 klagte der engliache Gesandte in 
BuTaland, man habe in dem Staate Hoakau aogefimgen daa «Geld 
leichter" zu machen „um etwa ein Viertel (von 6 Bnbel unter 
Joann FV. auf 8'/^ Bubel unter Michail aus 1 Pfund Silber, was 
80 ziemlich 25% beträgt) und dem entsprechend seien alle Waren 
teurer geworden, waa den Handel aehr wesentlich eraohwere/* 

Sablozkij, Uber die Preise im alten Rufsland (russisch) S. 88. 
*) Wobei , da p^cg'enwärtig die Preise in Papiergeld ausgedrückt 
werdeu, uoch das Agio auf Papiergeld im £etrage von 10-15% be> 
rücksichtigt ist. 



» 



92 Des Fatriarohen ^ikün Aasgabebuch 1652. 

Die Bojaren gaben die Thatsache der Vlliunrenclileeliierang zu, 

bemerkten aber, die Zerrüttung des Staates habp die Begierung 
zu einer solchen Mafsregel genötigt : sie beriefen sich dabei auf 
das Beispiel vieler andern StaateCi die in ähnlichen VerhältnitBen 
fthnlich gehandelt hätten. Ihreneite klagten eie flber eine on- 
▼erhiSltniemäDuge Steigerang der Preise engliBcher Waren. — A]s 
gegen das Ende des Jahrhnnderts wiedemm eine allgemeine 
Preissteigerung" inbetreff der ausländischen AVaren sich geltend 
machte, entsprach dieselbe ebenfalls genau den inzwischen ein- 
getreteneu Müüzveränderungen, und nur ein, nationalökonomisch 
nattürlich sehr mangelhaft geschulter Pablisist» wie Possosohkow, 
konnte die Behanptnng anfstelleni dafs die Yeränderong des Ver- 
hSltnisses swisdien Keal- und Nominalwert der Ufinaen den ana- 
Ifindisdien Kanflenten kein Beeht gebe, ihre Waren teurer su 
verkaufen als frülier. ^) Possoschkows Angaben über die einge- 
tretenen Preisveräuderungen entsprechen, wie wir au einer andern 
Stelle gezeigt haben, sehr genau der Beduktion der Mfins- 
einheit. 

Dieser Yerinderung der Httnaeinheit snfolge kann man asgen, 
dafs 1 Bnbel zur Zeit Nikons derselben Menge Silbers entsprach, 

welcher heutzutage 2'/„ Bubel entsprechen. Damit ist aber natür- 
lich nicht gesagt, dafs die Kaufkraft eines Rubels im Jahre 1652 
2^/2 nial so stark gewesen sei, wie die Kaufkraft eines Bubels 
von heute. Die Wertveräademng des Silbers in den letzten zwei 
Jahrhunderten, die gesteigerte Geldwirtsehaft, welche die trUhm 
Natoralwirtsohaft in mannigfacher Weise yerdringt hat, und noch 
andere Yerhiltnisse haben den eigentlichen Wert des Bnbels in 
einem viel stärkeren Verhältnis herahgedrückt als in demjenigen 
von 2^2 .* 1. Dieses Verhältnis läfst sich aber schwerlich in einer 
Zahl ausdrücken. Will man indessen einen solchen Versuch machen, 
so kann man denselben auf folgende Art anstellen. 

Adsm Smith spricht im f&nften Kapitel des ersten Bandes 
seines Werkes von den Warenpreisen, ausgedrflckt in G^ld oder 

*) rossosclikow, Werke, herausgcg. von Pogodin. 1842. S. 2Si, 
*) 8. i^'inanzgeschichtl Studien, St. Petersburg i8t>7. S. 147. 



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Des Patriarchen Nikon Ausgababuch 1662. 



93 



in Arbeit, und bemerkt dazu, das Geld sei von Jalir zu Jalir 
ein stabilerer Wertuiesaer als das Getreide , von Jahrhundert zu 
Jahrhundert sei indeaseii daa Getreide ein stabilerer Wertmesser 
als daa G^ld. Am beiton sei es, den Untersohied im wirklichen 
Wert einer gewissen Ware sa verschiedenen Zeiten und an ver- 
schiedenen Orten an dem Unterschiede des Grades an messen, in 
welchem diese Ware den Besitser bei yersefaiedenen Gelegenheiten 
in den Stand gesetzt hat, >ich die Arbeit Hudorer zu verschaffen; 
daeB aber sehr schwer sei, die laufenden Arbeitspreise in getrennten 
Perioden und Orten mit einiger Genauigkeit zu erfahren, so müsse 
man sich an die G^treide|ireise halten. 

Blin Tschetwert Boggen kostete snr Zeit Nikons dnrchschnitt- 
licb 40 Kopeken. Bertlcksichtigt man die Yeründerung der Mflna* 
einheit in dem letzten tfabrhundert, so würde man für dasselbe 
Töchetwert Roggen heute 2'., mehr oder 1 Ru]>el bezahlen: da 
man aber heutzutage ein Tschetwert Koggen nicht mit 1 Kübel, 
sondern durchschnittlich etwa mit 6—8 Kübel besahlt, so kann 
man annehmen, dafs die Kaufkraft eines Babels anr Zeit Kikons 
etwa fach so stark war als heute. 

Bin solcher Ausspmch hatte immerhin nur mehr einige Be- 
deutung inbezug auf Koggen, während je nach der Preisbewegung 
eines jeden Artikels die Kaufkraft eines Eulirls sich in ganz 
anderem Verhältnisse wird geändert haben. Bai einer solchen 
Belativität der Wohlfeilheit oder Teuerung eines jeden Gegen- 
standes mufs man auf eine «cakte DarstoUnng der Preisbewegung 
inbezug auf die verschiedenen Bandelsgegenstftnde u. s. w. ver- 
aichten und sich darauf besehr&nken, im allgemeinen darauf hin- 
zuweisen , in welchen Waren eine Tendenz zur Preissteigerung 
und in Wülchen Waren eine Tendenz zum Wohlfeilerwerdeu sich 
während der letzten zwei Jahrhunderte kuudgethan hat. 

Die YergleicHung der Werte verschiedener Gegenstände im 
siebaehnten Jahrhundert in Bufsland mit den Werten derselben 
Gegenstände in der Gegenwart liefert nicht eigentlich neue Be- 
Bulteto. Da indessen die Preisgesohiohte nur selten und aus* 
nuhtusweihe Gegeubtaud der i:'orschuug gewesen ist, und die Ge- 



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94 



Des Patriarchen Nikoa Ausgabebuch 16ö2. 



legenheit, so zahlreiche Preisnotizen zu sammelu , wie sie in 
Kikous Ausgabebach vorliege, sich selten darbietet, so mag es 
doch der Mühe wert sein, jene Grundwahrheiten wieder einmal 
bestätigt ni finden, welche etwa Boacher in seiner ^Ghescluohte 
der Preise'* (ein Kapitel seiner „Gbmdiflge der Nationalt^konomie*) 
in so ansehaulioher Weise mit historiseben und statistisolieo An- 
gaben belegt. 

Vergegenwärtigen wir uns diese Hauptresultate der aul die 
Bewegung der Preise gerichteten Beobaohtangen. Es sind in 
knnem folgende. 

Auf niederen KaltnrstnÜBn gedeihen Bobstoffe in soleber 
Fülle, dafs sie nur mehr doreh okkupatoriscbe Arbeii erlangt 
werden, demnach sehr wohlfeil sind. In dem Mafse als die 
Zahl der Kon&uraenten steigt , alao die Kaclifracre tfröfser wird, 
in dem Mafse als die Produktionsquellen der ßolistoü'e sparsamer 
fliefiMU, stellt sich die Notwendigkeit ein, die Ware auf einem 
mflbsameren Wege und mit Anwendung von Kapital aa be- 
schaffen. 

Bobstoffe, deren Produktion mit Hilfe von Kapital und 

Arbeit in faat willkürlicher Ausdehnung gesteigert werden kann 
(wie Getreide), steigen nicht so im Preise, wie andere, bei deren 
Produktion der Naturfaktor eine verhältnismälsig bedeutendere 
Bolle spielt (wie WUd, Hole). 

Gewerbeerzeugnisse werden mit dem Steigen der Kultur 
wohlfeiler durch entwickelte Technik, Beberrscbung der Natura 
kräfte, gröfsere Arbeitsteilung, Benutsung von Kapitalien, mannig- 
fach hergestellte Verkehrsmittel. 

Auf diese zwei Gruppen von Erscheinungen, auf das Teurer- 
werden der Bohstoffe und das Wohlieilerwerden der Gewerbe- 
erzeugnisse, weisen wir mit Hilfe der Preisangaben in Nikons 
Kassabuch bin. 

Rohstoffe. 

Am überrascheudsteu iat die Woiilfeillieit des Holzes und 
der Holzprodukte in Bufslaud im siebzehuteu Jahrhundert. Die 



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Dm Patriarchen ^'ikon Ausgabebuch 166ä. 



95 



ansländischen Äeiseiiden waren oft verwundert üIm r den starken 
Holzverbrauch. Carlisle, der englische Gesandte, erzählt, dafs 
die Bussen, welche die Reisenden anf der Fahrt von Archangelak 
nach Moskau begleiteten, einst ana den Barken stiegen und am 
Ufer „ein solches Fener annaebten, als wollten sie die ganse 
Gegend in Brand stecken". Die StraTsen der Städte waren mit 
Holz gepflastert. Es gab fast ansschHefslidi h51zeme, sogar oft 
ohne eiserne Nägel gebaute Häuser, welche so iiuufig eine Beute 
gewaltiger Feuersbrünste wurden, dafs es Sitte war, auf den 
Märkten fertige hölzerne Häuser für solche Fälle feilzubieten. ^) 
Bei Hochzeiten wurden groüie HolsstöDw als Beleuchtungsmittel 
angesflndet. *) 

Über die Preise TOn Banhols erfahren wir aus Nikons Aus* 
gabebnch 'Genaueres, indem der Metropolit sich während seines 

Aufenthaltes in der Hauptstadt eine Hauskapelle bauen liefs. 
Diese wurde uur aus Holz aufgelührt und der Preis eines jeden 
Stückes Material wird gewissenhaft notiert. Achtzehn Tannen- 
holabalken von 3 Faden') Läoge kosten susammen 40 Kopeken 
(also ungefiihr soviel wie ein Tsohetwert Koggen) ; ftln&ehn andere 
Balken von 2'/^ Faden (oder 7—8 Ellen) Länge kosten susammen 
35 Kopeken ; Beohzehn Balken von 2'/„ Faden — 24 Kopeken, 
so dafs alle diese 49 Balken von zusammen 130 Ellen Läntre 
eben so viel kosteten, wie eine Elle Tuch in jener Zeit. Ein 
Baaernhäuschen (Isba) nebst Kammer wird für 16 Bubei gekauft. 
£wei Deichseln kosten 1 Kopeken. Holzkoffer werden mit 6 bis 
15 Kopeken besahlt. ^ Matten, in solcher Kengei dafs gegen 
hundert Fische darin eingepackt werden k5nnen, kosten 4 Kopeken. 
Die Schlitten, bei denen wohl eine sehr geringe Arbeitsteühuik 
aufgewendet wurde, sind lächerlich woblfeil. Der Prachtschlitten 
^ikong, zu welchem sehr kostbare Decken gemacht wurden, kostete 
nur 1 Bnbel 19 Kopeken; einüsche Schlitten zum Beiseu kosten 

0 S. Olearius 73. Bonssingault , Theatre de la Koocovie 1660 in 

der Bibl. russe et polonaise, V. S. 11. 
■) Kotoschiehin, I. 17. 
*) 1 Faden = '6 Arschin oder Ellen. 



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96 



Des Patriarchen Nikoa Ausgabebuch 1652. 



nur 15 Kopeken; ja es findet eich sogar die Bemerkung, dafs «in 
Schlitten 5 Kopeken gekostet liabe. 28 Schüsseln und 70 Lötl'el 
kosten zusammen 64 Kopeken; 200 Löfifel werden mit 1 B,ubel 
20 Kopeken bezahlt. Fäuer sind ▼«rh&ltnisraäfsig teuer, offen- 
htitf weil hier eine gewteee VoUkommenheit der Technik mehr in 
betraeht kommt, als das Bohmaierial, nimlioh etwa 30 Kopeken 
das Stück. Vergleicht man diesen letzteren Preis mit dem Getreide- 
preise von damals , .^o ist lieutzutatre em h mit dem Getreide- 
preise vergiichei), wolilfeiler als damals. 

Yerhältnismäl'sig teurer als Holz erscheint Fleisch, fisch 
und Wild. Leider gibt es in dem Ausg^bebnche Nikons gar 
keine Angaben Uber die Flreise des Fleisches i mit Ansnahme 
einer einsigen, wo eine Qnantitlt Schweinefleisch, das Fad sni 
11 Kopeken, gekauft wird, was im VerhlltniB m Mannfaktnr- 
warenpreisen natürlich immer noch sehr woiilleil, ui)er im Ver- 
hältnis zu den Preisen des Holzes recht teuer erscheinen dürfte. 
Wir besitzen andere Angaben über die Viehpreise jener Zeit, 
welche darthnni da£i dieser Artikel nicht allan wohlfeil war. — 
Im Jahre 1685 kommt es allerdings Tor, dab ein Fferd mit 
2 '/s Babeln , ein anderes mit 860 Kopeken heaafalt wird. \) 
Margeret dagegen berichtet, dafs ein Pferd im Einkauf 20 und 
im Verkauf 50 — 100 Rubel zu kosten pflege. -) Im Tagebuche 
Patrik (iordons wird verschiedener Pferdekäufe erwähnt; in dem 
einen Falle zahlt er für ein Pferd 50 Rubel, in einem andern 
▼erkauft er drei Pferde für 60 &nbel, in einem dritten kaoA er 
„ein soh«nes<< Pferd Ar 30 Rubel n. dergl. *). Jihrlich wurden, 
wie Kotosefaichin bemerkt, in Hoskan gegen 20000 Pferde ver- 
kauft. Der Zar besafs in Moskau und andern Städten zusammen 
gegen 40 000 Pferde, Jeder Bojar hatte eine Menge Pferde 



0 8. die YOQ der Moskauer Qeeellsohaft für Geschichte and Alter- 
tümer BnlUands heraoagcg. Zeitschrift „Wremennik'* 1864. Misoellen, 

*) Marperet. rwf*. Au<«g;. S. 59. 

») Tagebuch (ionl-ns V., herausgeg. von PosseltL S. 307, 313, 838. 
*) Kotoschichiu, Vi. 6. 



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Des Patnarchen Nikou Ausgabebucb 1652. 



97 



nnd pflegte fieh denolbeo bei der 2hirflokleguDg selbst der Ueineten 
Strecken zu bedienen, — Die letzteren Angaben lassen wiederum 
auf bedentende ^\ olilieilheit deB Zugviehs uchliefsen. Die Menge 
der l^ferdc , deren man sich auf Heisen bedient , sowie die 
Wohlfeiliieit des Transportt yerachiedener Gegenstände «na einer 
G^end Yon Moekan in die andere, deuten eben&lls auf einige 
Wobifeiilieit der Pferde. Ale nSmIich KUcon 3 Fiaeer fOr Kwab 
kaufen UUst, kostet der Transport dieser FSsser von der Stelle, 
wo sie gekauft worden, zum Hause Nikons 1 Kopeken. Als ein 
anderes Mal 20 grofse i?'iscbe gekauft werden (Störe und Weifs- 
fische), velche auf dem Harkte auf mehrere Fuhrwerke geladen 
worden, kam der Transport dieser Fische vom Markte an Kikou 
Hanse 8 Kopeken an stehen n. dergl. 

Ein aosländischer Beisender bemerkt, in BuTsland aei nichts 
so wohlfeil als Fisch. ^) Dies ist indessen doch nicht von allen 
Fischarten zu verstehen. Allerdings kauft Nikon einmal 82 Hecht«, 
Brachsen u. dgl. für 135 Kopeken, B600 Waldailieringe für 108 
Kopeken n. s. f. Dagegen sind Store ein grofser Luxus und 
kosten sehr viel. Ffir 20 Störe werden 8 Babel besakit, 1 Weile- 
ftsch kostet 1 Babel. Das Volk nlilirte sich meist mit gesalaenen 
Fischen; frischer Fisch wurde ans entlegeneren Gegenden nach 
Moskau gebracht und dort in grofsen Wasserbassins gehalten, war 
also nur den Reichen und Vornehmen vorbehalten.') Gesalzene 
Fische waren nicht teuer, wenn nicht K- ruagsmafsregeln ent- 
weder die Fischereien beeinträchtigten oder das Salz Tertenerten. 
Gesalaener Lachs kostete etwa 1 Kopeken das Pfand. 1 Pfand 
fnschen Kaviars beaahlte man mit 4 Kopeken, doch geschah ea 
wohl, dafs man yerdorbenen Kaviar von Regiemngs wegen den Kauf- 
leuten zu dvm allerdings niedrigen Preise von 1 Rubel für 10 i'ud 
aufzwängte, wa» etwa '/^ Kopeken für das Pfund beträgt.'') 

Die ausländischen Beisenden staunten über die Menge des 

>) Ruschtsrhinski, a. a. O. S. 87. 

*) Kustomarow, das häusliche Leben der Grofgrussen. S. 86. 
') Kodes t Bedenken über den moskowitischen Handel, a. a. 0. 
S. 249. 

BrAekner, BiilUuid. 7 



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98 



Dm FhtriiMhen Nikon Ansgabebnoh 1668. 



Wildes in Rnfsboid. Ei ift sa bedaners, dafs in Nikoni Haw- 
lialt dieser Artikel gar nicht ▼orkomtnt. Dafs viel Wild yorbandea 

gewesen sein müsse, ist u. a. daraus zu entnehmen, dais fdr die 
.Ta<^den dea Zaren Hirsche, Bären, W üchse, iiaaeu, die mau im 
ümkreifle TOn 80 Werst rings um Hoskau lebendig fing, gehalten 
worden. Im weiteren Umkreise war die Jagd frei. £s gab 100 
Jiger und ebensoviele Hnnde bei Hofe.^) Aus Kilbnrgers 
Preisangaben wissen wir, daft damals eine Ente 6 Kopeken, ein 
Birkliiilin 3 Kopeken, ein Auerhahn 8— 9 Kopeken, ein Kebhuhn 
1 Kopeken, cm Hase 3 — 4 Kopeken kostete. Zahmes Geflügel 
war Terhältnismärsig teurer: ein indisches Huhn kostete 15 — 16 
Kopeken, ein Hnhn 3 Kopeken, ein Paar Kttcbleüi 2 Kopeken. 

Die Eier werden bei Nikon wiederholt im Preise notiert 
Er besahlt das Hundert mit 8 — 15 Kopeken, was mit den An- 
gaben bei Olearius (9 Eier 1 Kopeken) oder bei Kilburger (5 
Eier im Mai 1 Kopeken, 15 Eier im Juli 1 Kopeken) so ziemlich 
übereinstimmt und den heutigen Preisen, mit £,oggeu verglichen, 
gleichkommt* 

Leder erscheint teurer: es ist eben nicht mehr reiaea Bob* 
prodnkt. Nikon moTs fttr Leder an Stiefelsohlen 18 Kopeken, 
fBr ein Paar Stiefel 1 Bnbel, für ein Stflok Saffian sn einer 

Mutze 50 Kopeken bezahlen. Nicht ^voli-feil sind auch Felle. 
Nikon läfst wiederholt Pelze kauten ; em solcher von Tiftmmfell 
kostet 97 Kopeken, ein Schafspelz 1 Kübel. 

Obgleich es a. B. sehr viel Elentiere in Bnfsland gab, wie 
wir n. a. ans Margerets Schrift wissen,') so waren doch Elen- 
hKate ▼erhültnismäTsig teuer und kosteten das Stück die betrSchi- 
liche Summe von 4 Bubeln.^) Aus diesen Beispielen ist zu ersehen, 

*) Kotoschichiii. VI. 6. 

*) Margeret, Boss. Ausg. 6. 

Bodes, Bedenken a. a. 0. 8. S64 and KriBchanitichs Schrift über 
Bnisünd a. d. J. 1668—1665, welche Bessonow im Jalire 1859 u. d. T. 
„dw rassische Staat um die Mitte des siebzehnten Jahrhondertt" 
herausgegeben hat, Bd, I. S. 85. Wie lioch im Gegensatz zum Roh- 
produkt Indnstrieerzeugnisse bezahlt wurden, ist aus Krisebanitschs 
Klage zu ersehen, man verkaufe den Ausländem eine Elcnhaut für 



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Des Patriarchen Nikon Au^;abebucli 16Ö2. 



99 



dftft Bohprodnkte, welche einer noeh lo geringen Yerarbdtntigf 

bedürfen, verliältnisniäfsig hoch im Preise stehen.^) So erfordern 
Seife und Talglichte doch nur eine geringe Technik, stehen aber 
hoch im Freü. Wenn Nikons Tischtücher gewaschen werden 
lollen, 1D11& nach Seife gesehiokt werden und das erforderliche 
Quantum wird mit 3 Kopeken benUtj eine Somme» flir deren dem 
beatigen Hafaitab entapreehenden Gbtreidewert man bentantage 
etwa 10 Pfiind Seife m kaufen im atande wftre. Ebenso er- 
scheinen Talglichte zu 24 — 30 Kopeken für lUO Stück teuer be- 
zahlt. Wenn wir anueiimeu, dafs deren G^^röfse und Gewicht den 
gegenwärtig produzierten Talgliohten entaprocheu habe, ao könnte 
man beotsatage f&r die dem gegenwUrtigen Getreideprdae ent- 
apreebende Summe £ut die doppelte Anoabl Ton Liebten kaufen. 
Dennoch galten TalgUcbte ala wobifeüerea Beleaehtungamaterial 
wie Wachslichte. Es wird berichtet, die Reicheren hätten Wachs- 
lichte gebraucht, die Ärmeren Talglichte. Sogar im Paläste des 
Zaren sollen im sechzehnten Jahrhundert Talglichte gebraucht 
worden sein. ^) Lampenöl war, wie der Archidiakonos Paulua, 
weleber die Reiae dea Patriareben Hakariua Ton Antioobien nacb 
BuTaland im Jabre 1653 beiebreibt, bemerkt, ao teuer, dafo ea 
sogar nur aebr wenig Öllämpchen Tor den HeiKgenbüdern gegeben 
habe. Das Pfund Wachs, dessen Preis in Nikons Ausgabebuche 
sehr oft notiert wird, kostote 12 Kopeken. Es entsprach dem- 
nach nach damaligen Preisen ein Pud Wachs 7 Tschetwert Koggen, 
wKhrend beutautage ein Pud Wacba etwa 3—4 Tacbetwert Boggen 
entaprieht, waa fibrigena aber auf ein Steigen der G^treidepreiae 
ala eis Sinken der Wadiapreiae deuten mag. Ebenao entapracb 
Honig, welcher wiederholt mit 66, 67, 75, 84, 86 Kopeken daa 
Pud notiert wird, etwa 2 Tschetwert Roggen, während beute der 



8-~4 Rubel und müsse nachher den Ausländem fiir Kleidongtatfioke, 
welche darana Terfertigt würden, das Zehnfache zahlen. 

') Dafs u. a. Feder\'ieh im älteren Rofsland sehr teuer war, be- 
merkt Aristow, a. a. O. 301. 

') Kostomarow, das liiiusliche Leben der UrofsniBsen. 8. &5. 

*) Ruschtschinski a. a. 0. 46. 



100 Bm Patriarchen Nikon Aasg»bebnob 1668. 

Freu des Honigs dem des Getreides nahekommt» oder denselben 

nur in geringein Mafse übersteigt. *) Sehr teuer war zu Nikons 
Zeit die Butter, welche mit 90 — 130 Kopeken für das Pud notiert 
wird} 80 dafs etwa 3 Tachetvvert IU}ggen einem Pud Butter eut- 
spraohen, während gegenwärtig ein Fad Bntter nicht viel mehr 
kostet als ein Tscheiwert Boggen. 

Des Obstes und Oemüses wird in Nikons Ansgabebitche nnr 
selten erwShnt. Über die Freise des ersteren erfiihren wir ans 
dieser Quelle gar nichts. J^ie 0])8tzucht wai' nicht sehr entwickelt, 
doch berichtet Oleurius mit {Staunen von der Menge des Olistes 
und Gemüses in Rufsland und bewundert die Gärten des Zaren. -) 
Pttr i Kopeken kauften die Beisenden der holsteinischen Gesandt- 
schaft auf dem Wege nach Koskaa ein sehr stattliches Gericht 
Himbeeren.^ Linsen kannte man in Bobland damals noch 
nicht. *) Es ist nicht leicht zu entscheiden, ob folgende Freise, 
deren in unsrer Quelle erwälmt wird, liuch oder niedrig zu 
nennen seien : 30 Köpfe Kohl für 9 Kopeken, ein Fafs Kohl 
60 Kopeken, ein Fafs Gurken 36 Kopeken, ein grofser Eimer 
voll Gurken 5 Kopeken, SOOO Stttck Gurken 57 Kopeken, 
1 Tsohetwerik Zwiebeln 10 Kopeken, Kan mfifste eben genauer 
▼on der Grtf fse der GefU^e und der Qualität der Ware unterrichtet 
sein, um diese Frage erörtern lu können. Erbsen zu 80 bis 120 
Kopeken das Tschetwert, wie Nikon sie bezahlen mufste, erscheinen, 
mit den heutigen Preisen verglichen, nicht übermäfsig teuer. l)amaU 
wie heute entspricht ein Tschetwert Erbsen 2 — 3 Tschetwert Roggen. 
Auch das Verhältnis der Boggen- und Weiaenpreise zu einander 
hat lieh nicht geändert. Hafer scheint relativ wohlfeiler geworden 

*) Honig wurde statt des Zuckers gebraucht. Nur d«i Beichsten 
stand ausländisches Konfekt zu Gebote. S. Kostomarow a. a. 0. 89. 
Wachs wurde exportiert, s. Uargeret Der Waohsverbrauch bei Hofe 

war sehr stark. Kotoechichin VL 2, berecbnet denselben auf 1000 Pud 
jährlich. Bei der Beerdigung des Zaren verbrauchte man 100 Pud. 
Kotoschichin I, 32. 

•) Olcanus 77 und 78. 

«) Ülcarius 11. 

*) Buschtschintki 87. 



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Des Patriarchen ^ikon Auagabebuch 1652. tOl 



zu sein. I'u^r* Li^en ist die Veränderung des Verhältnisses von 
Roggen zu Roggenniehl und von Weizen zu Weizenmehl in den 
letzten awei Jahrhunderten eine sehr auffallende, ^io Tschetwert 
Boggenmehl kostete damals das 3 — 4faehe ▼om BoggeDprdse, 
während jetst daa Boggenmebl nur etwa um 16 79 teorer ist als 
der Boggen. Weisenindil kostete damala relatiy Tiel weniger als 
Roggenmehl, insofern es nur um etwa 40 — 60^0 temrer war als 
der Weizen, dagegen relatiy teurer als heutiges Weizenmehl, 
welches nur etwa 13**/^ teurer zu stehen kommt als der Weizen. 
Indessen sind in unsrer QaeUe die auf diesen Gegenstand bezüg- 
lichen Preisnotierangen nicht sahireich. ^ Dafs die Getreidepreise 
damals mancherlei Sehwanknngen je nach Zeit und Ort ansgesetst 
waren, ist hekannt. In Kasan kostete ein Tschetwert Roggen 
13 —25 Kop., in Archangel 1 Rnbel u. dcrgl. m. ^) 



Arbeitslöhne. 

• Hat es einige Schwierigkeit die Preise der Bohprodnkte in 
verschiedenen Jahrhunderten miteinander an vergleichen, so ist 

eine solche Yergleichnng inbesng anf den Arbeitslohn mit noch 
gröfseren Schwierigkeiten verbunden. Die Qualität der Arbeits- 
leistung jetzt und früher ist in den meisten Jb'ällen eine sehr ver- 
schiedene. Ferner ist in sehr zahlreichen Fällen der in G^eld 
heiahlte Arbeitslohn war ein Teil des Lohnes überhaupt, der ja 

*) Dem Ausgabehuclie Nikons zufolge kostete damals ein Tschetwert 
Roggen 40— 54 Kopeken, ein Tschetwert Weizen 85 Kopeken l)is 1 Rulid, 
ein Tschctwtirt Hafer 28—30 Kopekon. .Tefzt kostet ein Tschetwert 
Koggen 7 Habel 25 Koix'ken bis 7 Kübel fiO Kopeken, Weizen 14 Rubel 
bis 14 Rubel 50 Kopekeo, Hafer 3ö()— 410 Kopeken. 

*) Wenig Anhaltspunkte für preisgeschichtlicho Untersuchungen gibt 
die Notis in unsrer Quelle, daft ein Tschetwert Rogg^ixwiebsck 84 Kop. 
gekostet habe. Mit der Notis, dafs 1000 Kringel 40 Kopeken kosteten, 
ist gar nichts anzufangen. Bine sehr beliebte Spelle war fih&rlnrei. 
Sollte nicht der Umstand, dafs das Roggenbrot in Bufsland dem Weizen* 
brot vnr^czorrcn worden sein soll (Kostomarow a. a. 0. 82), eine Ur- 
sache der relativen Wohlfeilheit des Weisenmehls gewesen sein? 

*) Kodes a. a. 0, 853. 



102 Des Patriarchen Nikon Ausgabebuch 1662. 

auch in Naturalien, Lebensmitteln, Kleidung u. s. w. bezahlt 
wird, so dafs etwa die Art der Naliniiig und Verpflegung, welche 
sich nicht in einer Zahl ausdrücken läfst, der entscheidende 
ICalMtab für den Lohn sein müfste. Bei dem Yorbemchen der 
unfreien Arbeit in Jener 2eit haben sich wenige Preisnotiaen 
solcher Art erbaltoi. Dennodb wäre es mdglich und von grofsem 
Interesse die L5bne für qualifisierte Arbeit, die Gehalte der 
Techniker, Militärs, Arzte u. s. w. in Eufsland zu jener Zeit 
zum Gegenstände des Studiums zu machen. An Material ist kein 
absoluter Mant^el, wie denn z. B. das Tagebuch Patrik Gordons 
sehr wertroUe Beiträge für eine derartige Preisgeschichte enthJÜt. 

Wir können es nicht unternehmen, eine genaue Vergleichnng 
der Arbeitslöhne im siebaehnten Jahrhundert mit den Arbeits- 
löhnen in gegenwärtiger Zeit zu versuchen. Indem wir aber in 
dem Folfj^endcn die auf diesen Gegenstand be/iigliclicn Angaben 
des Ausgabebuches Nikons mitteilen, hoffen wir doch zu einem 
allgemeinen Ergebnis über die Frage gelangen zu köimen, ob der 
Lohn damals hoch oder niedrig gewesen sei. 

Die Angaben über die Gehalte der Personen von Nikons 
Gefolge haben nur ein geringes Interesse. Wenn wir erfthren^ 
dafs einige derselben, u. a. der die M'irtschalt luhrende ]\[önch, 
je 3 Rubel halbjährlich an Lolin erlmlten , so können wir über 
die Höhe eines derartigen Lohnes nicht urteilen, weil diese den 
Metropoliten umgebenden Geistlichen aum Hanse gehörten, also 
freie Nahrung, Wohnung, Kleidung hatten. Von gröfserem Inter- 
esse ist die Bemerkung, dafs jene swei Frauen, welche in Nikons 
Hanse die Fu£ib5den waschen, fKr eine solche einmalige Dienst- 
leistung, welche vermutlich die Arbeit eines Tages ausmachte, 
20 Kopeken erhalten , was also verhältuismärsig teuer zu sein 
scheint. Der Hausknecht an einem Orte, wo Nikon auf der Heise 
▼ou Nowgorod nach Moskau nächtigt, erhftlt ein Geldgeschenk 
von 3 Kopeken. Dafs die Pfihrleute in Twer 15 Kopeken er* 
halten, bietet kanm einen Ghmnd sur Beurteilung, weil wir nicht 
wissen, ob dies der Lohn für das Übersetzen von 30 Fuhrwerken 
ist, oder eine Art Trinkgeld. Das Beschlagen eines Pferdes 



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Des Patxiarollea Nikon Ausgabebuch 1662. 103 

kostet 8-9 Kopeken, Für das Reinigen der Mäuler von einer 
nns unbekannten Anzahl Pferde wird 3 Kopeken bezaliit, wa« nelir 
wenig ist, wenn diese Manipulation als eine veterinärärztliche 
Leistung aasosehen iit. Der Macherlohn die Eisenarbeiten 
an dnem Schlitten , welcher nur 119 Kopeken koatet, betrigi 
S Bnbdi. — Ein Lohn von 5 Kopdcen für das Verapinnen einea 
Ffondea Baumwolle an Dochten eraoheint ala ganz exorbitant, 
wenn man die entsprechende Vergütung für die allerdings heut- 
zutage mit Hilfe von Maschinen fast unentgeltlich geleistete Arbeit 
dieser Art damit vergleicht. Für die Anfertigung einea hölzernen 
Behftltera für eine Uhr erhält der Zimmermann — nnd aoa dem 
tlmatande, dafa es ein aolcber ist» kann man auf die Einfachheit 
der Arbeit achliefaen — 25 Kopekeni was indeaaen, wenn man die 
Getreidepreise von damals und heate berücksichtigt, heute etwa die 
Summe von 5 Rubeln repräsL-ntiert. "Wenn ein Maler, welcher 
10 Bilder der heiligen Mutter Crottes anfertigt, für diese Arbeit 
150 Kopeken erhält, so erscheint ein solches Künstlerhonorar als 
adir bescheiden ; nur ist au beräckaiohtigen, dafs von einer eigent- 
lichen Knnstieiatnng hierbei nicht die Bede sein kann. Die Zah- 
hmg von 10 Kopeken an einen Buchbinder, welcher 34 Hefte 
und einen Ledereinband geliefert hatte, scheint recht nuifsig zu 
sein. (.)b dagegen die Zahlung von 5 Rubeln für den Silber- 
beschlag eines geistlichen Buches so hoch gewesen sei , als dies, 
mit andern ähnlichen Handwerksldhnen TergUchen, im ersten 
Augenblick erscheint, ist nicht au beurteilen. "Wenn aber der 
BanmeisteTi welcher Nikons Haaskapelle in Moskau baute, 4 Babel 
50 Kopeken erhielt, so mag ein solcher Lohn als bedeutend gelten. 

Sehr gering erscheint der Schneider- und Kürachnerlohn im 
Vergleich uiit dem Wert der herzustellenden Kleidungsstücke, 
wenn derselbe auch an sich gar nicht unbedeutend sein mochte, in 
folgenden Fällen. Ein Kleidungsstück, dessen Stoff und Zuthaten 
40 Bubel kosten, kommt an Macherlohn 15 Kopeken sn stehen. 
Das Anfertigen ¥on Samtmtttsen, an denen der Samt und der 
Zobel einen Wert tqu 51 Bubeln repräsentieren, kostet 9 Bubel 
u. dergl. m. 



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104 



Des FatriarcbeD Nikon Aii«g«Vet>iiok IW, 



Ans diesen AogabeB gleaben wir eebliefeen su dttrfen, dab 

der Lohn f&r eine Arbeit, welcbe einige technische Vorbildung 
erforderti Terhältnismäfsig hoch geweeen sei. 

IndnstrleerzeiigntBfie. 

Die Industrie war in Rufsland vor zwei Jahriiunderten nur 
schwach entwickelt. Man bedurfte sehr vieler vom Auslaude im- 
portierter liannfaktarwaren. Buasische Industrieprodokte standen 
ttiebt hoch im lE^ieer konnten aber ihrer geringen Qualität wegen 
nicht wohl mit den aneUndischen Waren derselben Gattung kon- 
knrrieren. Dies Iftfst sich n. a. auch ans Nikons Ansgabebnche 
nachweisen. lU der Aletropolit sich eine stattliehe Kleidung 
anfertigen lassen, so kauft er nur auäläudische iStoflfe; die Wüsche 
und mancherlei Kleidungsstücke, welche für Nikons Gesinde an- 
geschafft werden, sind offenbar Ersengnisse der rassischen Industrie. 
Die ersteren Artikel sind aufserordentlieh teuer, die letzteren 
▼erhiUtnismärsig wohlfeil. 

In Rnfsland wnrde viel Leinwand angefertigt, aber mehr 
gröbere Sorten. Obgleich die Produktion feinerer Leinwand nicht 
ganz au^eschlossen war, wurde doch feinere Ware meist aus 
Holland importiert. In Nikons Haushalt mochte wohl mssisches 
Ersengnis gebraucht werden. Ein Hemd kostet 22, in einem 
andern Falle 27 Kopeken; ein Paar Hosen 11 Kopeken. Wir 
wissen aus einer andern (Quelle, daTs dne Arschin Leinwand 
2 — 5 Kopeken kostete. 

"Rines andern, wahrscheinlich hau m wollenen Stoffes Kmsche- 
nina") wird in unserer (^^elle erwähnt, welcher 6 Kopeken die 
Arschin kostet, ferner noch eines Stoffes («Bumaseja**), dessen 
Preis 13 Kopeken die Arschin war. 

Von fertigen Kleidnngsstficken, welche offisnbar bescheideneren 
Ansprächen genfigten, sind ra erwähnen: ein graner Rock für 
einen Stallktn iht iar hi Kopeken; ein Kaftaii lur ','> Ruhel ()0 Ko- 
peken ; 1 i'aar Stiefel für 1 Bubel. ^) — ^icht teuer erscheinen 

>) Andere denuiige Notisen ^nden sich in der histoiischen Zeit- 



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Des Patmrokea Mikoa Aosg&bebuch 16öS. 



105 



24 zinnerue Knöpfe für 2 Kopeken. Ein Lederstuhl für Ko- 
peken mochte nicht ein Luxusmöbel gewesen sein. — Von Pferde* 
geschirr wird erwähnt: Zügel zu 8 Xopekent ein Kiunniefc SQ 
12 Kopdm« Sine Laterne yob Mariengl— f&r den Stnll kostet 
6 Kopeken. 

Um Sdbreibpapier, welehes Nikon sn kMifen pflegte, moehte 
v>oh] au>Iändisches Fabrikat sein. Da« Ries kostete 75 Kopeken. 
Ob damals die Papierfabrik, welche Johann von Sciiwedcu bei 
Koekan errichtete und deren Küburger erwähnt^ schon bestand, 
iriflMn wir nieht. Das nuaiBclie Papier kostete im Jahre 1671 
1 Snbel das Biea nnd war iolileckter ala das aoalSndttobe, ao dab 
der Import atttlindiacher Ware anek später fortdanerte. Die ge* 
ringe Güte des nissischen Papiers galt als eine Folge des Mangels 
an feinen Lumpen. 

Wie teuer aber ausländische Waren zu stehen kamen und 
wie aehr der Verbraaoh derselben nur den Beiohsten in Bofsland 
moglieh war» ist ans den sehr hohen Preisen der Kleiderstoffe 
sn waeheDy welohe Nikon, wie schon erwähnt, so gern kanfle. 

Fflr kostbare Stoffe hatte man in Bnfsland swei Besngsquellen : 
den Orient — namentlicli Persien — und das westliche Europa, 
Wie viel die Kaofleate an solchen Waren gewannen, ist u. a. aus 
der Notiz zu ersehen, dafs persische Seide, welche im Einkaufs- 
preise 80—60 Babel an stehen kam, an 45—90 Anbei das Pud 
▼erkauft wurde. — IKe grofse Kenge von Beseiehnnngen f&r die 
▼ersdhiedenen Stoffe*) deutet auf einen reeht starken Yerbraueh 
dieser Waren wenigstens vonseiten der höheren Klassen. Dafs 
aber selbst Tuch als ein Luxusriuttel betrachtet wurde, ist n. n. 
ans dem Umstände au ersclien, dafs die bei dem Aufstande des 
Jahres 1663 gegen die Bebellen verwendeten Soldaten je ein 



schnii „WrcmcDuik" 1854 unter deu MiäzcUeu S. 28 und '64 u. u. uine 
Mätse 106 Kop., einPSar Stiefel 48 Kop , ein Säbelgttrtel 16 Kop.. ein 
Paar Schuhe 18 Kop., ein Kamm 9 Kop., eine Bürste 7 Kop, ein Kaltau 
90 Kop., eine Hfitse mit Biberfeil besetst 80 Kop., eine andere Hütce 
60 Kop., ein Zaum 45 Kop., ein Paar Saf&anttiefel 40 Kop. 
*) Kestonarow a. a. 0. 66. 



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106 Des Patriarchen Nikon Ausgabebuch 1652. 

"Werschock Tuch erhielten, während mehrere Beamte bei dies^ 
Gelegenheit mit je 1 Werschock Samt belohut wurden. 

Wir haben schon ohen gezeigt, wie aufserordentlich grofs 
der Lnziu war, den »ich der Metropolit Kikoa hinsiebtlich des 
Yerbranclies koetb«rer Stoffe gestattete. Hier wollen wv nur 
der Preise fOr die in dem Ansgabebache erwihnten Oegenatünde 
dieser Art erwfthnen. Es kommen vor : Tuch m 1 Rnbeli 1 Bnbel 
60 Koj)eken, 2 Rubel 40 Kopeken die Arschin ; Atlas zu 1 und 
zu 2 Rubel die Arschin, Samt zu 3 und zu 4 Kübel die Arschin. — 
Berücksichtigt man die Getreidepreise jener Zeit, so müssen diese 
Ziffern als Terbältnismäfsig sehr hoch beseichnet werden. Hent- 
sntage entspricht eine Arschin dieser Stoffe nngeföhr ^/^ oder '/t 
Tschetwert Koggen, damals galten zwei bu zehn Tschetwert 
Roggen so viel wie eine Arschin Tuch, Atlas, Taft, Samt. — 
Die relative Wohlfeiiheit des Holzes, dessen Preis wir mit den 
Tnchpreisen schon oben verglichen, und die relative Kostspielige 
keit dieser Gewebe sind wohl am besten geeignet, die entgegen- 
gesetsAe Bewegung der Pteise von Bohstoffen und Mannfaktnren 
in den letzten zwei Jahrhonderten ansohanlich au machen. 

Ebenso waren Metallwaren in jener Zeit unverhältnLsmäfsig 
teuer. Der Bergbau war noch ganz unentwickelt. Es fehlte fast 
au allen Metallen. Das in Rufsland gefundene Eisen war schlecht. 
Erst unter Peter dem Groisen begann ein Aufschwang der Berg- 
werke in Sibirien^ deren Eisengmb^ besseres Produkt lieferten» 
als die in Bulsland gelegenen. Die mancherlei Versuche, welche 
die Regierung seit dem f&nfzehnten Jahrhundert madite, aus- 
ländische Bergleute nach Rufsland zu berufen, hatten keine grofsen 
Resultate. Noch im sechzehnten .Jahrhundert wurde das meiste 
Eisen importiert, und daher hatten, als am Anfange dieses Jahr- 
hunderte die Engländer um das Becht der Ausbeutung von Eisen- 
gruben in Bulsland baten, selbst die in IQmliehen FSUen sonst 
sehr mfersfichtigen russischen Industriellen und Kaufleute nichts 
gegen die Gewitliruiig mies solchen Verlangens einzuwenden. 
Einzelne Hüttenwerke, wie etwa das seit dem Jahre 1G32 be- 
stehende des Holländers Andreas Winij^ bei Tula oder das Beiig« 



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Des Patriarchen Kik<m Ausgabebuoh 166S. 



107 



werk des Dänen Marselis und des Holländers Akema, reichten 
niclit hin, um den Bedarf des weiten Reiches zu decken. Auch 
gelangten diese Unternehmungen wohl erst in der zweiten Hälfte 
der Begierang dei Zaren Alexei MiohaUowitsch, also naoh dem 
Zeitpnnktei in welchen die Ftthrnng dee Ao^beboehee dea Metro* 
politen Nikon fUlt, wa einiger Blftte. 

Metalle sind nieht wie Hola auf dem Wege einfadber Okku- 
pation zu erlangen, sondern müssen auf dem mühsamen Wege der 
Produktion beschafft werden. Diese erfordert Kapital, Unter- 
nehmungslust, technische Kenntnis — Dinge, welche in Bufsland 
nm die Mitte dea BLebaehnten Jahrhnnderta nnr lehr apfirlieh 
▼oireten waren. Selbst Boheiaen ist demnach, wenn man die 
Stufe der damaligen wirtechaftliehen Entwickelnilg bertickaiohtigt, 
nicht 80 sehr Bohprodnkt als Knnatprodnkt. Es mufste sehr 
hoch im Preise stehen. Viele Waren, die anderswo wohlfeiler 
und besser aus ll^isen hergestellt an werden pflegen, werden auch 
heute noch in manchen Gegenden Rufslands ans Holz angefertigt. 
Die Anaittnder, welche Bufaland im 17. Jahrhundert bereiaten, 
machteni wie scbon oben mitgeteilt wnrde, die Bemericnng, dafii 
bei dem Ban roa Hilaaem oder beim Zimmern von Flnikfahr* 
zeugen oft güi keine eisernen Xägel in Anwendung kamen. — 
Orientalische Geistliche, welche daheim an manchen in Rufsland 
ganz unbekannten Luxus gelohnt sein mochten, beiyerkea o. a., 
dafa es in Eufsland gänalich an — metallenen Kronlenchtem 
fehle.*) — Kor die Wohlhabenden hatten Lenehter, welche ana 
Measingdzaht angefertigt waren. 

Ans Nikona Kassabnehe erfiihren wir, dafa ISaen damals 
1 Kubcl 10 Kopeken das Pud kostete: es kam demnach ein Tud 
Eisen im Werte gleich dem Quantum von 3 Tschetwert Iwjggen. 
Vergleicht man den Eisenpreia mit dem Hol^reiae, ao stellt sich 

Eilburger in Büschings M^radn TTT. S. 638 — NT. 

*) Ruechtschinski a. a. 0. S. 46. Nur ein Zweig der Metallindustrie 
war recht bedeutend entwickelt, die Glookengiefiiwei, an welcher auch 
russische Mei ter teilnahmen, 

') K.oto8ühiühin S. 66. 



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108 



Des Patriarchen Nikon Ausgabebuch 1652. 



berans, daTs ein Poet Eiien im Werte einem Balken Ton etwa 

40 — 5U Ellen Länge gloichkam. Wären die Schlitten, über deren 
Wohlfeilheit wir oben eine Bemerkung machten , mit Eisen 
beschlagen gewesen, so hätten sie nicht 15 Kopeken das Stück 
kosten können. — Der Metropolit Nikon liels einen Tisch anfer- 
tigeni welcher ansammengelegt werden konnte. Das Hola an 
diesem Tische kam 95 Kopeken an stehen, das Eisen doppelt so 
▼iel. — Ganz enorm erscheint der Preis Ton 10 Kopeken (gleidi 
dem Werte von Tschetwert. Roggen) für ein Hufeisen. — 
Zwei neue Schlösser für den Keller kosten 16 Kopeken ; ver- 
zinnte Nägel för den Schlitten, offenbar nur zur Verzierung 
dienend, kosteten 4 Kopeken; bei dem Bau der Hanskapelle 
kommen KSgel aar Verwendung; 1300 Stfick kosteten 1 Habel 
10 Kopeken, was weniger tener erscheint. Drei Knpferlenchter 
kosteten aber 90 Kopeken, so dafs der Wert eines wahrscheinlich 
spott.schlechten Leuchters damals dem Werte eines Tsclietwerts 
Boggen nahezu gleichkam, was wiederum als du sehr hoher Preis 
erseheinen mofs. 



Eolonlalvaren iiiid C^ewOrze. 

Die Russen bratichtcn viel Gewürze. Sie thaten viel Kiiob- 
laucli und j^feffer in die Suppe, den Wein tranken sie oft mit 
Gewftrzen yermischt. Ausländische Gewürze, getrocknetes Obst 
n. dergl. waren sehr beliebt, nnd auch der Metropolit Nikon kon* 
snmierte diese Artikel, besonders wenn bei ÜBStliehen Gelegen- 
hmten etwas Anberordentliohes gebacken wnrde. Diesem Umstände 
yerduiken wir folgende Preisnotizen, deren Vergleichung mit den 
gegenwärtijjen Preisen einiges intere.sse darbietet. 

Reis finden wir mit 4 Kopeken das Pfund notiert, so dals 
etwa 10 Pfund Keis einem Tschetwert Koggen entsprachen, 
wShrend hentsntage etwa 100 Pfand Beis so viel kosten, wie 
ein Tschetwert Boggen. Mandeln kosteten 9 Kopeken, so dab 
etwa 4 Pfand Mandeln den Wert eines Tsohetwerts Boggen reprä- 
sentierten, während man heute für einen Tschetwert Kuggen 



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L)es Patriarchen Nikon AuBgabebuch 1662. 



109 



ebensoviel ausgibt, wie für 30 Pfund Mnndeln. Nelken kosteten 
80 — 144 Kopeken das Pfund, so dafs etwa Pfund Nelken 
einem Tschetwert £,oggeu an Wert gleichkam, während man 
gegenwärtig fär den Wert einet Techetwerte Boggen 30 Pfund 
Nelken an kftnfen imstande 'ist "Wenn BramwoUe Id Kopeken 
dM Pfand kostete, so entsprechen 3-^4 Pfond dem Werte eines 
Tftohetwerts Roggen, wKlirend man Beate mit dem Werte eines 
Töchetwerts Roi^ü^en 20 Pfund zu kaufen vermag. — Feigen 
kamen 4 Kopeken das Pfund zu stehen, so dafs etwa 10 Pfund 
im Werte einem Tschetwert Hoggen gleichkamen, während heute 
ein Tschetwert Boggen so vid kostet wie 30 Pfund Feigen. Sehr 
tener waren damals auch Boeinen, welche 3| 4, 5 nnd 6 Kopeken 
das Pfund kosteten. Für das entsprechende Quantum Getreide 
könnte man heute statt eines Pfundes 5 — 6 Pfund kaufen. — 
Noch teurer war Pfeffer: 2 Pfund kosteten 36 Kopeken, also 
ungefähr so viel wie ein Tschetwert Koggeu, während man gegen- 
wärtig für den Wert eines Tschetwerts Boggen 20 Pfund kauft. 
Ahnlich teuer erscheinen: Zinnober au 48 Kopeken das Pfund, 
Safran an nngel&hr 4 Bnbeln das Pfund, Weihrauch au 16 Ko> 
peken das Pfund. 



Uberblicken wir die Ergebnisse der aus dem Haushalte des 
Metropoliten Nikon ersichtlichen preisgeschichtlichen Verhältnisse, 
verglichen mit den gegenwärtigen Preisverhältnissen , so finden 
wir eine Bestätigung der Besultate der natiooal-dkonomisch* 
historischen Forschungen, welche Yon namhaften Forschem ange- 
stellt wurden. E. Laspeyres fafst diese Ergebnisse in seinem 
Anfsatse: „Welche Waren werden im Verlaufe der Zeiten immer 
teurer? Statistische Studien zur Geschichte der Preise"') etwa 
so zusammen : 

Alle Waren steigen um so mehr im Preise, reap. fallen um 
so weniger im Preise, je mehr sie unter sonst gleichen TTmständen 

'> in der Tübinger Vierteljahrsschrift für Staatswissenschalt, 1872, 
L Heft 



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110 



Det Fatriirelieii Nikon Ausgabebaeb IttSL 



Katarprodnkt oder je weniger ite verarbeitet sind; dies leigea 
folgende Prodnktionsgesetse: 

1) die Beschränktheit der toten Natur hat das Streben, bei 
langdaueriid zunehineuder Nachfrage die Produktionskosten aller 
Waren zu erhöhen : 

2) die Unbeschrftnktheit des meosohlichen Geistes hat das 
Streben, bei nnnebmender wie bei abnehmender Kachfrage die 
Produktionskosten aller Waren dnreh Erfindungen an erniedrigen ; 

oder: 1) je mehr ein Gnt Bohprodnkt ist, desto mehr haben 
die Produktionskosten die Tendenz zu steigen und mu so weniger 
die Tendenz zu fallen, und 2) je mehr ein Gut Kuustprodukt istj 
desto mehr haben die Produktionskosten die Tendenz zu fallen* 

Wir hatten in nnarer Abhandlang Gelegenheit swei Ter- 
hKitniimiisig weit anseinander gelegene Zea^nnkte, das sieb- 
sehnte nnd das neoniehnte Jahrhundert miteinander in ver- 
gleichen. E. Laspeyres vergleicht die Jahre 1846 — 1850 
mit den Jahren 1851 — 1805 und kommt zu folgenden Ergeb- 
uisäen. Er weist auf Grund sehr zahlreicher, sorgfältig gesichte- 
ter Materialien nach, dais Bohprodakte, d. h. die Produkte Ton 
Waldbau» Jagd, Fischerei, ViehEUcht und Pflanienban tou 100 
auf 128, Kolonialwaren ▼on 100 auf 118, Mannfakturwaren von 
100 auf 108, daTs also Rohprodukte in dem von ihm betraehte- 
ten Zeiträume dreihial so stark im Preist; gestiegen seien wie 
Kunstprodukte, dafs ein solcher Uutersclned der Preiöver.inderung 
von Lustrum zu Lustrum immer gröfser werde und dafs, wenn 
man die Geldentwertung in dem entsprechenden Zeiträume berttok- 
sichtige, die Bobprodnkte als teurer, die Knnstprodnkte als wohl* 
feiler geworden erscheinen. An einsetnen Beispielen wird dieses 
YerhSltnis sehr anschanlieh eingehender illustriert. Eine s^r 
auffallende Preissteigerung zeigen WaHfischborten, Eiderdaunen, 
Büffel hörner, Hirschfelle, Elefantenzähne, .Schwämme, Harz, Holz 
und fiolsprodnlcte , Häute. Die Häute sind mehr im Preise 
gestiegen, als das daraus bereitete Leder. Die Knochen sind in 
stärkerem Xafse teurer geworden als die daraus bereitete Knochen- 
scbwJ&rse. Dagegen sind Chemikalien, wie s. B, Soda, Hols* 



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Des Fatriarclien Nikon Ausgabebuch 1653. Hl 

«xtnkto stark im Prmie gefiülen^ ebeatoMftnfifiÜEtiirei) »qi Ifindnlien, 

wie Zinnober, Draht, Eisenbahnschienen. Roheisen ist in stärkerem 
Mafse gestiegen , als alle daraus verfertigten Produkte , aber 
weniger als Steixikohle ; Schwefelblame itt mehr gesunken als 
roher Schwefel u. s. w. 

Betrachten wir andere preii^sohiehtUebe Untenaohimgen und 
Haterialien» welche einen grSfeeren Zeitraiim nmfassen, als der 
Ton Laspeyres belraditete, so treten diese allgemeinen Züge 
der Preisverändcnmg noch entschiedener hervor , und wir finden 
noch auilallcnderc Analogien mit den Ergebnissen unsrer Be- • 
Bchitftignng mit den Einselheiten im Haushalt des Metropoliten 
Kikon. So erfahren wir ans einer Monographie Uber die Preise 
der wichtigsten Waren und Lebensmittel in Orleans im 14. bis 
com 18. Jahrhundert» dafs etwa im 15. Jahrhundert die Metalle 
verhältnismärsig sehr hoch im Preise standen , dafs namentlich 
Eisenwaren sehr teuer bezahlt wurden, wiihrend Getreide relativ 
wohlfeil war. ^) Selbst von ti un n Luxusiischen, wie wir sie auf 
der Tafel unsres russischen Kirchenfürsten wahrnehmen, ist in 
dieser Monographie als im 15. Jahrhundert in Orleans Torkommend, 
die Bede. Wahrscheinlidi fimd auch hier wie in Bufsland bei 
den teuren Fisehen ein Transport statt» welcher diesem ursprüng- 
lich durch Okkupation gewonnenen Rohprodukt den Chaaakter 
eines Kunstprodukts verlieh. 

Ahnliche Beispiele finden sich in Roschers Geschichte der 
Preise. *) Wir haben aus den Angaben in unsrer Quelle ge- 
sehen, dala zwischen Boggen und Boggemmehl em sehr betracht- 
licher Unterschied bestand. Etwas Ähnliches ist es, wenn im 
Westen von Amerika 4 Bnshel ungemahlen den Wert von 
3 Bushel gemahlen babtii , wahrend in llavenna im dreizehnten 
Jahrhundert, also auf einer relativ hoch entwickelten Wirtschafts- 



Memoire sur la valenr des principales denr^es et marohandises. 

qui 86 vendaient et se consumaient en la ville d'OrKnn? au eonrs du 14, 
15, 16, 17, 18 siecles. Jiemoirea de la «ooi^t6 arch6ologique de TOrleanai^. 
1862. S. 103- 000. 

*) Qrundzüge der Nationalökonomie, 3. Aufl. ä. 236 ff. 



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112 



Des Patriarchen Nikon Ausgabebuch 1662. 



stufe, der KaUlolm nnr etwa des Kornea betrag und im 

neueren Deut«chland auf '/j^^ des Korniireises heruntergcBunken ist. 

Selbst Brot ersclieint auf niederen Kulturstufen im Vergleich 
mit J^'leisch etwa in derselben Weise als Kuustprodukt , wie wir 
etwa oben die Bemerkoog machten, dafe Sobeiien im Yergleich 
mit Hob als ein Kunstprodnkt beseiohnet werden könno. Unter 
Heinrich YIII. in England war Kalb-, Bind-, Hammel- nnd 
Bchweinefleitch die gewöhnliche Nahmng der Armen, wShrend 
das Brot selir teuer war. Im siebzehnten Jalirhundert kostete 
• 1 Pfund Haferbrot soviel und mehr als 1 Pfund des besten 
Fleiflches. Während wir bei den Römern in der Kaiserzeit enorme 
Wildpreiie antreffen, war in Lneitanien zur Zeit des Polibios das 
Wild 80 gut wie nmsonat. — Wir &nden oben die Lederprodnkte 
▼erhiltniBmäfsig tener. Ebenso kostete in England im Jahre 
1348 ein Ochse soviel wie ein Paar Stiefel, wAhrrad jetzt die 
Haut nur etwa V/j„ soviel gilt als das Tier. 

Wir staunten oben über die relativ kolossalen Preise der 
Kleiderstoffe. Ebenso kostete in England im Jahre 1172 1 Elle 
Tuch soviel wie swei Ochsen. Im Westen Ton Nordamerika gibt 
der Bauer S Pfund rohe Wolle für 1 Pfund Wollgarn. Ahnliche 
PreisTerSnderongen finden sich, wenn man gröfsere Zeitrfinme be- 
trachtet, auch bei den Kolonialwaren. Wir hatten oben Gelegen- 
heit die relativ hohen Preise der Koloniaiwaicn mit der relativen 
AVohlfeilheit des Getreides im siebzehnten Jahrhundert zu ver- 
gleichen. Ebenso hatte im fünfzehnten Jahrhundert in Florenz 
1 Pfand Zucker glelehen Wert mit 15 Plimd Fleisch, und im 
▼ierzehnten Jahrhundert kostete in Turin 1 Pfund Pfeffer eben« 
soviel wie 98 Pfund Speck u. dergl. m. Damals verdienten n. a. 
die Importeurs von Kolonialwaren 100 — 400",, Unternebmer- 
gewiuu. Seitdem haben Arbeitsteilung und Kapitaluützung, die 
Entdeckung wohlfeilerer Bezugsquellen, die Herstellung grolser 
Yerkehrsanstalten , die Bechtssicherheit und die Konkurrenz zu 
einem Sinken der Preise solcher Waren beigetragen. 



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V. 

Eine russische Gesandtschaftsreise nach 

Italien (1656—57). 



Brttckut^r, Bublftod. 



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Der Stüft Moikiii ttaad im 17. Jaliiliimdeii anliierlialb des 
ooroplÜBehen Staatslebeiw. Es war eine seltene Ansnehme, dafs 

russische ücbundte in Westeuropa erschienen. Sie machten mit 
ihrer asiatischen Tracht, bei ihrer völligen Unkunuimö der Sprachen 
und Sitten der vorgefichrittenen Völker denselben Eindraoky 
welohea hentraitage chinesieche Diplomaten hexroraubringen liegen. 
Kamen weatenropÜsche Gesandte naoh Koekan, so hatten sie, 
nach Hanse heimkehrend, von Slmlidien Erlebnissen und Beise> 
eindrttoken m berichten, wie etwa gegenwärtig eine Heise nach 
Pn; K n oder Japan dieselben darzubieten pflegt. Ein ständiger 
diplomatischer Verkehr zwischen Rufslaud und Westeuropa war 
da« Besultat der grofsen Wandlung, welche sich in dem mosko- 
witisdien Staate im Zeitalter Feters des Gbvfsen voUsog. 

Die folgende Dantellnng der Seise räies mssiscfaen Gesandten 
nach Florens nnd Venedig um die Mitte des 17. Jahrhunderts 
mag diese Verhältnisse veransehanlidien. 

Es hatte sich im Jahre 1655 ereignet, dals die Republik 

Venedig einen diplomatischen Agenten — es war ein Geistlicher, 

Alberto Vimina — nach Bulsland gesandt hatte, um den Zaren 

Alezei nur Teilnahme an einer von den westenropStschen Staaten 

gegm die Tttrkei au unternehmenden mUitllrisdiai Aktion au 

▼eranlassen. Der Zar Alexei war indessen, gerade als der yene* 

tianische Diplomat nach Kufsland kam, mit dem Kriege gegen 

Polen beschäftigt i auch konnte man einen Bruch zwischen Schweden 

8* 



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•I 



llti Eine russische Gesandtschaftsreise nach Italien (1656 — 57). 

und RufsUmd erwarten. So lagen denn die orientalische Frage 
und andere politische Interessen der russischen Regierung ferne. 

Indessen wurde denn doch das Erscheinen Virninas in Rufs- 
land zum Ausgangspunkte eines diplomatischen Verkehrs zwischen 
dem Zaren und der Republik Venedig. In den darauf folgenden 
Jahrzehnten erschienen in der Lagunenstadt mehrere moskowitiBche 
Gesandte. Venedig galt damals noch als eine Grofsmacht. Be- 
kanntlidi hat Peter der Grofse im Jahre 1698 der berühmten 
Republik einen Besuch abstatten wollen, um die Werften und 
Arsenale, die Geschwader und industariellen Etabiissementa der 
Stadt in Augenschein za nehmen. 

Wie weuig man in Moskau TOn Westeuropa wofstoi zeigt 
der Umstand, dais Vimina, als er in Bolidand enehien, in naiTster 
Weise gefragt wurde, woher er komme, wer in Venedig herrsche, 
mit welchen Staaten Venedig Besiehungen unterhalte etc. Von 
einer gewissen Nalvetät zeugte ferner russi.^cherseits der Wunsch, 
die Republik Venedig, da man nun doch einmal von ihrer Exi- 
stenz erfuhren hatte, um eine Summe Geldes zu bitten; JEluisland 
bedurfte der materiellen Mitteli um Krieg sn führen gegen Polen 
und Schweden. Bin solches Anliegen nun sollte eine misisdie 
Gesandtschaft in Venedig Torbringen. 

Die Reise ron Moskan nach Italien« 

Heutzutage kann mau die Reise von Moskau nach Venedig 
in vier Tagen zurücklegen. Im 17. Jahrhundert bedurfte man, 
um dieses Ziel zu erreichen, ebensorieler Honate, Der Konflikt 
zwischen Bufsland und Polen nötigte die Beisenden zu einem 
grolsen Umwege. Die Bonte ging yon Moskau nach Archangelsk 
und von dort zur See um ganz Europa herum durch die Meei- 
eugo von Gibraltar nach Livorno. Diese Reise ist mehrmals 
gemacht worden, und auch der russische Diplomat, welcher 1656 
nach Italien aufbrach, mnlste diesen ge&hrrollen und weiten 
Weg einschlagen. 

Von diplomatischer Schulung oder poUtiseher Erfahrung ist 



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Eme raseische GresaadUchaftJsreiae nach Italien (16öt>— ö7). 117 



btoi den russischen GcBaiidten jenf-r Zeit kaum die Rede. D&a 
aoBwärtige Amt in MoBkaa wählte auf gut Cilück dcu einen oder 
den andern der höheren Ädmmistrativbeamten, ohne dafs der zu 
ernennends Gosandto irgendwie für eine diplomatisoheMiaeion qoeli- 
finert gewesen wSre. Yon den weBteure|»iUaehen YerbSltnisaen 
hatte kaum jemand in Rnfsland eine genaue Yoretellung. Die 
Kenntnis der wosteuropiiisclion Sprachen fehlte voll^jtündi^^ Die 
rassischen Gesandten waren ftir den Verkehr mit den i^ürblen 
nnd Staateminnern in Westeuropa aui' die Yernuttelong von Dol- 
metschern angewiesen. Knr wenn etwa, was snweilen geschah, 
AnslSnder im Auftrage der moskowitischen Begienmg als diplo« 
matisdie Agenten in Westeuropa erschienen, konnte eine unmittel- 
bare persönliche geschKftliohe Verhandlung statthaben. 

An der Spitze der Gesandtschaft, welche Ißöti nach Ve- 
nedig ging, stand der Wojewod© von Perejafslawl , Tscho- 
modanow; als Gehilfe stand ihm ein anderer Beamter, Posnikow 
snr Seite. Das Gefolge der Diplomaten bestand aus 33 Fersonen. 

Nachdem die Vorbereitungen lur Beiae im Frühling 1656 
mehrere Wochen in Anspruch genommen hatten^ brachen die 
ßeiscndeii Anfang Juli aus Mo.skiiu auf. Es gul) viel Gepäck. 
An barem Gelde führte die Reifiegeö&llüclmft nur eine kloine Suninio 
mit sich; dagegjan hatte man den Gesandten 4000 Pfund Eha- 
barber und eine ansehnliche Partie ZobeUelle mitgegeben; diese 
Waren sollten im Auslande ▼erkauft werden. Da glich denn die 
diplomatische Beisegesellschaft einer orientalischen Handelskarawane 
und bewegte sich sehr sohwerf&Ilig. 

Wie die Russen nach Venedig reisen mufften, hatten sie von 
den in Moskau und Archangelsk lebenden ausländischen Kauf- 
leuten und Schiffern in Erfahrung zu bringen. Yon geographischen 
Kenntnissen gab es bei den damaligen Bussen kaum eine leise 
Spur. Sie waren auf die Führung holUindischer Schiffskapitäne 
angewiesen; audi das Mieten der Fahrseuge, welche den Verkehr 
zwischen Archangelsk und Livorno zu vermitteln jilK gteii , be- 
sorgten Ausländer, in allen Stücken waren die üussen unerfahren, 
unbeholfen. 



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118 i^iuö russische Cresaudtscbafisreise nach Italien (1666 — 67). 

Die BrnsegwellBohait war to Balilrei«!!^ dafii in Arehuigeltk 

zwei Schiffe für dieselbe gemietet werden raufsten. Erst im Sep- 
tember war man endlich so weit, die lange Seereiao antreten zu 
können. Bei so später Jahreszeit fiel dieselbe sehr beschwerlich 
und ge£fthrvoll aus. Die Fahrt yoii Axvhaogelak nach Livonio 
(gegen 7000 SLüometer) wfihrte 19 Woeiien. NiigendB wnrde 
gelandet Ef gab fnrclitibare Stfirme sn beatehen. Li aeinem 
Reisebericht erwähnt Tschemodanow eines furchtbaren Unwetters 
an der irisclien Küste (Ende Oktober): die Wogen hätten das 
Verdeck übei'spült, einige iüjgütenfenster eingeschlagen, so da£s 
das Schiff im Baume über eine Elle hoch Wasser gehabt habe; 
ein Leck habe man notdürftig mit Segeltuch Terstopft nnd das 
ebgedrongene Waaser die ganse Kaoht hindnroh mit Kesseln nnd 
Eimern ansgesehSpft. 

Nachdem die Reisenden mit kinipper Not der Wut der Ele- 
mente entronnen waren , drohte ihnen , als sie sich den Küsten 
Portugals und Spaniens näherten» eine neue Q«fahr. Türkisdie 
8eer&uber maehten diese Meere unsiober. Bemannung und Passa* 
giere der beiden bolULndisobeo Schiffe erwarteten stündlich von 
den Piraten angegriffen an werden; alle waren kampfbereit; die 
Lunten wurden angezündet; von vorbeifahrenden Schiffern hörte 
man, dafs zwischen Gibniltar und Li\ dhio viele Seeräuberschiffe 
hausten, so dafs dort die grüfste Vorsicht zu empfehlen sei. Kaum 
hatten die Beiaenden die Meerenge von Gibraltar passiert» so er* 
blickten sie plStilich drei Piratenschiflfe» welche bei dem spanischen 
Städtchen Motril hinter einem Felsvorsprunge «nf sie gelauert 
hatten und nun Jagd auf sie maehten. Schon waren die Bftuber 
ziemlich nahe, als sie, die Kampfbereitschaft auf den Schiffen 
der Bussen wahrnehmend, zurückwichen und nach einiger Zeit 
verschwanden. Mit Freudenthränen dankten die Reisenden dem 
Schöpfer für ihre Bettongi die Schiffer aber» fernere Verfolgung 
fllrchtend» änderten die Bichtang ihrer Fahrt , lavierten einige 
Zeit und kamen an die KOste iB[orsikas nnd endlich nach 

Livürno. 

Aller dieser Umstände wird in dem Reisetagebache erwähnt| 



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£me russische Gesandtschaftsreise nach Italien (1666—57). 119 

welehM die Gesandten stete fBhfen und nftcih der Heimkehr dem 

ftnswSrtißfen Amte vorlegen mufsten. Es gehört© za den Obliegen- 
heiten der Diplomaten über die Gegenden, durch welche sie kamen, 
allerlei Erknndigangen einnuiehen , über die Entfernuiigen der 
▼endiiedenen Orte Toneiauider Angaben m eamiDelii. So Bnohte 
denn Teehemodanow aadi wlhrend der langen Beermae aieli einiger* 
roafeen über die Linder m orientieren, in deren Kllie man vorbei- 
kaiii, AuB den geofi^raphisciien Notizen im Reisetapehuehe ist zu 
ersehen, dafs alle Namen und Daten dem unvviBsendeu Diplomaten 
völlig neu waren. Von der Nordküste Norwegens wird bemerkt, 
ee aei daa Land dea düniaeben Könige; die Faröer werden ala 
„Fir*' beieiehnet; Island heifst die ^Eiainael"; die Shetlanda* 
inaein werden «Gitlan'* genannt; femer bemerkt T^emodanow 
in seinem Bericht, dafs „das spanische Land mit dem französischen 
zusammenhänge** und dafs alle diese Länder bei der Fahrt zur 
linken Hand geblieben seien. Die Verballhornung der geogra- 
phiiohen Namen geht h&ufig so weit, dafe et unmöglich ist, die 
Fehler der Bnaeen au korrigieren und an raten» weiche Stadt 
oder welcher Ort gemeint lei. 



LlTorno. 

Während wir über die Beise Tschemodanows von Moskau 
über Arcbangelnk liach Livomo nur durch das amtlich geführt« 
Keisejournal der Russen unterrichtet sind, erfahren wir über den 
Aufenthalt der Beiaenden in. Livomo weaontlich £rgänaendea durch 
die Gteechllftspaiitere, welche aich im Florentiner Archiv befinden. 

Daa Eracheinen einer maeiachen Oeaandtaebaft in Italien er> 
regte ein gewiesee Aufsehen. Ea bestanden allerdingB swiaohen 
Livorno und Archangelsk zu jener Zeit Handelsbeziehungen. Die 
Hauptware, welche aus Rulslaud nach Italien eingeführt wurde* 

*) In den ^Annali di Livomo** von Giuseppe Vivoli (Bd. IV. Li» 
vomo S. 3()3) wird der Ankunft der misieohen Gesandten als eines 
wichtigen Ereignisses erwähnt. 



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130 Eine nuriBche OeBtadtsohaflsreiM naeh Italien (1866—67). 

war Kaviar. In dorn Verzeichnis der Waren, wekihea ein im 
Jabre 1659 ana Archangelsk in Liyorno emgetroffenea fikthiff 
brachte, finden wir aufaer 241 Fllaaem Kaviar und einigen andern 
G^genetSnden einige tausend Pfnnd Wachs. In livomo lebten 

Geschäftsleute, welche eine legelmärsigü kommerzielle Verbindung 
mit Arcliangekk unterhielten und auch wohl imstande waren, der 
florentinischen Begiemog über das Wesen des Staates Moskau 
und die Bossen Uitteilongen su maohen; aber noch hatte man 
auf toakaniachem Boden niemals msaisehe Gesandte begrO&t. Nur 
etwa swisohen Born und den Zaren hatte es in firfiherer Zeit, 
■wenn auch nur ausnahmsweise, dijWoinatische Beziehungen gegeben. 
Reisende Russen erschienen in AVesteuropa nur hüclist selten. 
Der Emdruck| welchen Tscbemodanow und dessen Gefolge her« 
vorbrachten, war neu, tLberraaohend. 

Über den Empfang, welcher den Buaaen in Idvonio au teil 
wurde, finden sich in dem Beiaejournal Tsehemodanowa zahlreiche 
Angaben. Sowohl die andern auf der Beede von Livomo steh^den 
Sclulle, als auch die Fahrzeuge, auf denen die Russen anlangten, 
salutierten mit BüUurschüssen. Tschemodanow hatte den Schiffern 
17 ]{u})d für das Pulver au zahlen, welches überhaupt unterwegs 
für Ehrensalven verbraucht worden war. 78 Schüsse hatten 
984 Pfund Pulver erfordert 

Der Gouverneur von Livomo, Antonio Serristori, sandte so- 
gleich einen Offizier zu den SclufTen, um über die Reisenden 
Erkundigungen einzuziehen ; als die Waren der Russen gelöscht 
wurden, stellte man Wachen zu denselben. In feierlicher Weise 
wurden die Gesandten, welche vorläufig auf den Schiffen blieben, 
im Auftrage des Gouverneura von einem Beamten. begrüfst. Es 
erschienen auch Arzte, um sich davon zu überzeugen, dafa Uann- 
schaft und Passagiere gesund seien und keine Gefahr einer An- 
steckung von ihnen drolie. Auf dem Schiifu trank luiiii ituf das 
Wohl deb Zaren Alexei und des Groi'sherzogs Ferdinand. Es 
war der Gouverneur selbst erschienen, fragte nach der politischen 

^) Arohiv in Venedig. Schreiben des venetianiachen Gesandten in 
Fiorens, Ottavian Yalier. 



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Eine russische ^eaandtacbaftsreise nach Italien (,ib6(>— 67). 121 



Lage des Stiiates Moskau, erkundigte sich nach dem Stande des 



Ankunft auf der Reede von Livorno gingen die Rusäeu aus Land* 
Der Kaofiaiann Oharles Longland, welcher fiaudelsTerbüidiuigeii 
mit Arohaogelek unterhielt^ liefe die Beisenden in fttnf echOn ge- 
echmfickten Booten von den Schiffen abholen. Am üfer standen 
sieben Wagen. Die Gesandten hatten ihre prichtigsten Kleidangen 
angelegt. Eine ungeheure Menschenmenge staunte den stattlichen 
Zug der orientaliächen Gbeandtscbaft an. Die Schilderung der 
ehrenvollen Aufnahme — die Bussen bezogen eine Wohnung im 
Hanse Longlands — , der Festessen and Toaste nimmt in dem 
mssisehen Beisejoomal sehr viel Baam ein. Es lag offenbar den 
Diplomaten viel daraUi ihrer Regierung von der Aasaeichnang 
zu berichten, deren sie in Livorno teilluiltig geworden van-n. 
Als die Gesiuultt'n diu \V uusch äufserten, die in Livorno beünd- 
iiche Kirch« au besuchen, wurden ihnen sogleich einige Wagen 
aar Verfttgang gestellt. Bo oft sie auf der Strafse erschienen, 
gab es eine nnabsehbarey gaffende ICensehenmenge. Ein venetia- 
nisoher Agent, welcher sich in Livorno befand, machte den Bussen 
einen Besnoh. Es stellte sich für die letzteren die Notwendigkeit 
heraus, einen Dolmetscher für das Italienische in Dienst zu nehmen. 
Es Will- ein Deutscher, Johann Sachsj welcher in diese tSteüuug 
eintrat. 

Während des vierwöchentUchen Aufenthaltes in Livorno 
snohten die Bassen mancherlei Erkundignngen über die Weltlage 
einensiehen. Seit Ihrer Abreise aas der Heimat hatten sie keiner- 

lei Nachrichten erhalten. Jetzt erfuhren .sie vun nifinclien poli- 
tischen Ereignissen, welche sich inzwischeu zugetragen hatten. 
In dem Ausgabebuche Tschemodanows findet sich die Bemerkung, 
es seien für die Anlertigang von Anssfigen ans den Zeitungen 
Zobelfelle im Betrage von 3*/« Bnbeln verausgabt worden. In 
den Oesprftchen der Bussen mit dem Kaufmann Longland bei 
Tische war von den Beziehungen Frankreichs zu Spanien die 
Rede. Mit den Behörden in Livorno und dem veDetiauischen 



polnisch-rushiöciien Krieges etc. 



Erst um vierten Tage der 




123 Bine nunicbe G«Mnkdtac]Mfln«i«e atoli IteUen (10S6-^7), 

Agenten TerliMidelten die Bossen Aber die Weitorreise naeh 

Venedig. ^) 

Aus den Berichten der venetiani sehen nnd toakanischtiu Be- 
amten^ welche sich zur Zeit in Livorno befanden und ihren Ke- 
gierungen Bericht erstatteten, erfahren wir mancherlei von der 
Art und Weise, wie die mssisoben Beisenden auftraton. So scbrieb 
I. B. der yenetianiscbe Agent» ArmanOy die Bossen bitten nieht 
eber landen wollen, als bis ibnen in Ebren eine gewisse Ansah! 
Ton Kanonensebüraen abgefeoert worden wftre. Dem Ck^ovemeof' 
von Livorno fiel sogleich die Hartnäckigkeit auf. mit welcher die 
Bussen darauf bestanden, dafs alle Aufserlichkeit^n des Zeremo- 
niells auf das peinlichste beobachtet würden. Auch war er niobt 
angenebm davon berttbrti dafs Tsebemodanow ibm ein geringfügiges 
Oesehenk überreichen liefe, welches in einem Zobelfell von mittel- 
mlifsiger Qüte bestand. Dafb die Diplomaten eine so grofse 
Menge von Waren mitgebracht hatten, erregte Erstaunen. Der 
Krämergeist der Russen macht« keinen guten Eindruck. So 
z. B. hatten sie, wie iSerhstori schreibt, bei einem Juden, Moses 
Frank, Edelsteine kaufen wollen, aber nur den halben Preis ge- 
boten, so dafs der Abscblofs des Gesehifts onterbleiben mofsto; 
als sie femer wegen des Verkaofs der mitgebrachten Waren so 
▼erhandeln begannen, forderten sie mablose Preise, 30 Prosent 
mehr als tlie Waren zu dem herrschenden Marktpreise wert waren. 

"Die (Gesandten machten den Eindruck sehr einfacher, unge- 
bildeter, roher Menschen. Die Italiener staunten darüber, dafs 
Tscbemodanow ond Posnikow in ihrem Wesen niebts, aoch gar 
nichto Yomebmes an sieh hatten, sieh doreh Kleinlichkeit ond 
Geis benrorthaten, sich mit ihren üntergebeneo gemein machten 
und so eigensinnig darsiif bestonden, überall freigehalten in werden. 

Tn ausführlichen Briefen schildert Serristori da.s Aussehen 
und die Manieren der Bussen : Tscbemodanow sei etwa 60, Pos- 
nikow 40 Jahre alt; sie sprächen nichts als russisch; sie lobten 
die italienische Käobe nnd die italienischen Weine; als man ibnen 

S. d. „Denkmäler d. diplomat. Besiebungen Rufslands mit andern 
Staaten'* (nusisch), B. X. 8. 901—078. Bt Petersburg 187». 



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£uie russische GesandtschafUretse nach Italien (löö(>— d7). 123 

bei der Anlninft einige FiTsohen Wein sinn Getehenk maefate, 

hätten sie alle die verschiedenen Sorten zusammengegossen; im 
Eßseu und Trinken seien sie mäfsig: nur dafs sie in ihren Stuben 
dem mitgebrachten Branntwein tieifsig zusprächen ; in der Wohnung 
der Gesandten werde fortwiüirend Musik gemaoht, getanzt und 
gesimgen; sie «den eigensinBig und mUstranisoh, bitten offenbar 
▼iel QtBld, da sie mit den Beichtftmwn ibres Zaren sn prahlen 
liebten, nnd beobachteten ^e stolse, steife Haltung, wenn sie 
an Hause sich auch noch so wenit;; würdevoll benähmen. aMam iie 
Sitten der Hussen erschienen den Italienern ungeheuerlich. 80 
z. B. schreibt Serristori : ..Sie sind sehr unreinlich (sporchi), 
schlafen in Kleidern nnd auf dem Boden liegend, und die Oeaandten 
bedienen sich dabei derselben Deoken, welebe die Dienerschaft 
sn benntaen pflegt. Indem der GonTemeor noch andere Kit- 
teilnngen macht, welche sich nicht snm Wiederersfthlen eigtien, 
bemerkt er, es gäbe noch weitere schöne Rachen zu berichten, 
doch möge es für diesesmal genügen etc. Der Gouvemeur lieia 
das Porträt Tscheroodanows anfertigen und nach Florenz senden ; 
er fügt demselben einige Bemerkungen bei und macht darauf auf* 
merkaam, wie der Oberkörper übermAfsig lang erscheine, da der 
Gürtel so tief liege ; die Perlen am Kragen des faltigen weiten 
Gewandes, sagt Serristori, seien nicht sehr wertvoll. 

Obgleich die Russen den Besuch Serristoris nicht erwidert 
hatten, indem sie vorgaben, in dieser Hinsicht keine Instruktionen 
vom Zaren erhalten au haben, dachte der Gtouyemenr denn doch 
daran, sie au einem Feste eininladen; sie seien, bemerkt er, nur 
Fröhlichkeit geneigt (hanno gusto d'allegria); er bitte daher um 
Instruktionen, wie es in diesem Punkte gehalten werden solle. 

Einige Ta{?e später erschienen demnach die russischen Diplo- 
maten auf einem Kalle, welchen der Gouverneur gab ; sie waren 
reich gekleidet; ehe sie zum Balle fuhren, mufsten verschiedene 
FormalitSten beobachtet werden; es wurde Branntwein gereicht; 
b«m Anlegen der langen Prachtgewfinder machten die Gesandten 
wiederholt das Zeichen des Krenaea; sodann beteten tie rar ihren 
Heiligenbildern; auf dem Balle safsen sie unbeweglich die ganie 



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12^ Eine russische Gesaadtschaftsreise uach Italien (1G56 — 57). 

Zeit auf den fftr sie in Bereitschaft gelisHetieii Setseln, nahmen 

an dein Tanze keinen Teil. Hauken wiederholt und betrachteten 
die Damen sehr auimericBani. Man erfulir, dafü sie, nach Hauü6 
aiLTÜckgekehrt, von nichts anderem sprachen als yoü der Schönheit 
und Anmut der Barnen. 

Man erfuhr femer von manchen Zflgen bestialischer Boheit 
der Gesandten. Als einst der Gesandtschaftsgeistliche sich be- ^ 
trunken hatte und die Bicnersobaft mit Mifshandlungen bedrohte, 
ergriffen die Gesandten eigi nhändig den Berauschten und banden 
ihn au einen Bettpfosten an, so dafs der Unglückliclu- die ganze 
Kacht und den folgenden Tag in dieser Stellung verbleiben mufste. 
Einen ihrer Diener, welcher sich betrunken hatte, legten sie cur 
Strafe awischen ein Bett und die Wand auf den Boden ; er mulste 
drei Tage dort liegen bleiben; am vierten Tage durfte er auf- 
stellen, mufste aber noch in seinem Gewalir.>um bleiben. Einen 
andern Diener, welcher ebenfalls einen Rausch sich angetrunken 
hatte« schlugen sie so unTmrmherzig mit einem Stücke Holz, dafs 
er, um einer so barbarischen Strafe zu entgehen, sich losrifs, aus ^ 
dem Hanse entlief und nirgends aufgefunden werden konnte. Die 
Polisei mufste Anstalten treffen, um nach dem Entwichenen au 
forschen. 

Die BeBchränktheit der russischen Diplomaten äul'serte sich 
in folgendem Zuge: auf die Frage, ob das Tabakraucheu und 
Schnupfen in £ufsland gestattet sei, antworteten sie, der Zar sei 
ein frommer Mann und habe deshalb den Gebrauch dieses Krautes 
auf das strengste verboten ; bisher sei die Kase das einsige Glied 
gewesen, mit welchem die Menschen nicht sündigten; nun aber 
habe der Teufel den Tiili.ik ersonnen , damit die ]\Ienschen uuch 
mit der Nase sündigten , und so habe denn der wei^^e Monarch « 
durch das Verbot des Tabakschnupfens seine ünterthanen vor der 
Sünde bewahren wollen. „Welche Scheinheiligkeit!** ruft der 
italienische Berichterstatter entrüstet aus. ^) 

Sehr wunderlich erschien folgender Umstand: als die Ge- 



^) „Alto di vero bachettone 



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Eine russische Gesaadtschaftsreiso nach Italien (1656 — 57). 125 

sandten faicli zur Weiterreise ül)er Florenz nach Venedig rüsteten, 
wollten sie durchaus alle noch nicht aufgezehrten, zu Sciiiffe mit- 
gebrachten Lebensmittel, Salsfisoh, Mehl, Salzfleisch, Met und 
andere Geirfinke, ja sogar Imre Fäaser mitnelimen nnd nicht 
weniger als Tier Barken damit beladen, indem sie Torgaben, dale 
ee den Eindrack der Wfirde nnd Yomehmheit mache, wenn 
jemand viel Oep8«k mit eich führe. Als sie erfahren, dafs man 
von der Grenze des öeliiets der venetianischen Republik bis 
Venedig nur einen Tag reise, äufHerten sie sich sehr entrüstet 
darüber und wiesen darauf bin, dafs Alberto Vimina, als er nach 
Bofsland gekommen sei, tausend Keilen habe reisen nnd die ganie 
Zeit hindurch anf Kosten des 2aren habe leben dürfen. 

8o setsten denn die rassischen Diplomaten durch ihre Eigen- 
art die Italiener in Erstaunen. Man hatte ee mit einer fremden 
Kultur zu thun, und war nicht entzückt von den Sitten und Ge- 
wöhnungen der Russen. „Aiu Feiertage," heifst es in einem Be- 
richte aus Livorno. „fahren die Gesandten nicht aus, bleiben den 
ganaen Tag zu Hause, trinken Branntwein, summen ein Liedehen 
nnd spielen Schach. Herr Longland*, schreibt der Beferent 
weiter, „sucht sieh, je nSher der Zei^nnkt der AbreiM der Ge- 
sandten heranrückt, mit wohlriechenden Essenzen zu versehen, um 
die StubeTi , welche die Russen bewohnen , einem Räucherungs- 
prozefs zu unterziehen ; man vermutet, es werde einer Art strenger 
Quarantäne bedürfen ; wenigstens liofsen die Gesandten nach drei- 
stfindigem Aufenthalte im Hause des Herrn Gouyemeurs einen 
so penetranten KaTiargemch znräck, daCs derselbe drei 
hindurch zu spfiren war; man kann sich also vorstellen, dafs dort, 
wo sie längere Zeit gewohnt haben, der Gestank nicht so leicht 
zu beseitigen sein werde." 

In einem andern Bericht wird erwähnt, dafs eine Spazierfahrt 
an einem in der Nähe der Stadt gelegenen Weinberge den Ge- 
sandten viel Vergnügen gemaeht habe ; sie seien entaückt gewesen, 
weil sie in ihrer Heimat nur Öde oder ndt Wald bedeckte Ebenen 
SU Gesieht bekämen. Der ältere Gesandte fiel durch Lfistemheit 
und Begehrlichkeit aui' und bprach gern iu sehr freier Weise von 



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126 £ine russische GesandUcbaftsreise nach Italien (1656 — 57). 

dem lehSnen Oeaclilecht; er erinmdigte lieh v. a. nach den in 

Italien geltenden Strafen für sexuelle Vergehen. Als er einmal 
auf der Strafse eine Auzaiil Damen in einem Wagen sah, fragte 
er nach dem Namen einer derselben, deren Schönheit ihm auf- 
gefiallen war. Nachdem er erfahren hatte, dalli es die Fran einei 
Arites sei, begann er, nach Hanae snrOekgekelirty Aber Sohmenen 
im Arm an klagen; auf den Yonchlag, einen Arst holen sn lassen, 
erwiderte er, er wolle lieber selbst zum Arzte gehen ; die angeblichen 
Schmerzen sollten nur Gelegenheit geben , im Hause des Arztes 
dessen schöne Fr&u zu sehen. Mau iiatte Mühe ihm dieses \'or- 
haben auszureden. Dagegen ging Tschemodanow in einen Laden, 
angeblich um dort etwas an kaufen, in Wirklichkeit aber, um die 
sohttne Frau des Kaufmanns, welche er auf der Strafse bewundert 
hatte, au sehen. Die Bussen hatten in ihrer Heimat daTon ge> 
hört, dals sie in Italien nur weibliche Dienstboten haben würden ; 
als man ihnen in Livorno sagte, dafs es in dieser Stadt, als 
einem Hafenplatae, keine weibliche Bedienung gebe (sie), sprachen 
sie die Hoffnung aus, bald nach Floren« und Venedig au gelangen ; 
wo es Dienerinnen geben werde. Zu aUedem wollte die werk- 
heilige Frömmigkeit nicht stimmen, welche die Bassen an den Tag 
legten ; fortwährend gab es geistliche Feierlichkeiten, GK>ttesdienst, 
(rebete mit brennender Kerze in der Hand. Dabei bemerkte 
mau, dais die Russen während dieser Zeremonien sehr zerstreut 
waren, und auch die Nichtachtung des Priesters zeugte von einer 
gewissen geistlichen Frivolität. Nur etwa beim Gebete für den 
Zaren beugten sie nicht blols die Kniee, sondern warfen sich, 
mit der Stirn laut aufschlagend, gana au Boden. 

BegreifUcherweise erregte die asiatische Kleidung der Bussen 
das gröfste Aufsehen, bo (Infs auf der Strafse iibt r all ein dichter 
Volkshauie liiueu zu loigeu pÜegte. Mau spottete über die Taschen 
der Moskowiter, welche so tief seien, dafs man sich aig bücken 
mlisse, um irgend einen Gegenstand daraus hervraanlangen, darftber, 
dafs die Bussen ihre Schnupftfleher nicht in der Tasche, sondern 
in der ICfttse au yerwahren pflegten u dergl. m. Femer wunderte 
man sich darfiber; dafs Hummern und Austern dem Qeschmack 



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£me russiache QesandtschaftsreiBe nach Italien (1066 — 67). 127 



der Fremden nicht zusagten, während sie Fische sehr gerü alaeu. 
Von dcu musikalischeu Liebhabereien der Bussen wird berichtet: 
„Der sweite CitesMidte behauptet eine sehr schöne Stiinme zu 
beutseil und maobt anfeefdem den KapeUmeieteri wenn das Ge- 
folge Gesinge anfflilirty was aebr oft geaobiebt; ibre Melodien 
sind aber iebUmmer als Katsenmnsik.** Sodann beifst es in 
einem der Berichte: „Acht bis zehn Personen von dem Qefolge 
der Russen sind krank, zwei davon infolge der Schläge mit einem 
Stücke Holz, welche der ältere Gesandte ihnen zur Strafe für 
nnmafsiges Trinken eigenhändig g^eben hat.*^ Von der Knickrig- 
keit der Bossen enäblte man folgende Züge: „In diesen Tagen 
gingen die Qesaadten abends in eb Bad; es war mebrere Tage, 
nieht geheist wordwi nnd daber yerbrancbte man vid Hola; man 
unterhielt die Bussen den ganzen Abend mit Instrumentalmusik, 
brachte allerlei wohlriechende Essenzen und leistete ihnen ver- 
schiedene Dieastei wozu besondere Personen gemietet wurden; 
für alles dieses sabHen sie nnr mit awei kleinen mssischen Künaen. 
Ein Gleistliober inlserte den Wnnseb, eine gans geringe rossiscbe 
Kfinae als nnnusmatasobe Seltenbeit sa erkalten; er mufste sie 
kaufen. Ifnsikantra^ welcbe ibnen an Ehren aufiipielten, gaben 
sie ein sehr kleines Geldstück, Schenkte man ihnen Lebens- 
mittel, ßo alsen sie zunächst dasjenige, was leichter verdirbt; 
ans geschenkten Weinen wollten sie Branntwein destillieren, weil 
dieses vorteilhafter sei. Die Überreste der zu Sohiffe mitgebrachten 
Yorrftte wollten sie niehti wie dies gewSbnlieh geaehiebt, an Bord 
lassen, sondern haben allea ans Land sn bringen befohlen nnd 
btlten es sorgfältig. ... Da es aber sehr nrnständlieb ist, auf der 
Weiterreise alle Lebensmittel mitzuschleppen, haben sie, um (!elJ 
herauszuschlagen, 60 Schinken an verschiedene Personen ver- 
kauft; es gab einen argen Lärm, weil der Pächter der Schlacht- 
. Steuer eine Abgabe für diesen Handel verlangte; es hat viel 
Hflhe gekostet ihn still au kriegen. . . . Als eines Abends in einer 
Gesellschaft, welcher die Gesandten beiwohnten, einige Knsikanten 
etwas aufspielten und ein Geistlicher dem älteren XKplomaten an- 
deutete, er müsse etwas zahlen, entschuldigte sich Tschemodanow 



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138 nwisohe Gesandtschaftareise nach Italien (1666—57). 

damit» daik er gar keioe kleine ICfinae bei noh habe; da der 

GeittUche sich stellte, als könne er dieser Anfsemiig keinen Glauben 
schenken, so holte Tscheino iauüw zwei angarische Zechinen aus 
der Tasche; der Geistliche machte, als seien diese beiden (leld- 
tntinzen für die Hasikanten bestimmt, griff eiligst darnach und 
gab sie den Spiellenten trots des energisoben Protestes des Ge- 
sandten, welcher sodann den ganien Abend hindurch sebe üble 
Laune nicht verbergen konnte. Alle Trinkgelder, welche die Ge- 
sandten bei verschiedenen Gelegenheiten spenden müssen, pflegen 
sie eigenhändig abzugeben. Als sie am letzten Sonntage aus 
der Kirche zurückkehrten, gaben sie den Kutschern der ihnen 
aar Verfügung gestellten Fuhrwerke gar kein Gbld, sondern laden 
dieselben in ihre Stabe ein und boten ihnen aas ihrem eigenen 
goldenen Becher einen Trank Branntwein an. . . . Zwei Kaposiner- 
m5ncbe baten die Gesandten in Gottes Namen ihnen etwas Bha- 
barber zu schenken : die Hussen besannen sich stundenlang bis 
zum Abend und gaben endlich eine lialbe Unze ßhabarber, indem 
sie bemerkten, dafs Mönche im Grunde keiner Arzeneien bedürfen 
sollten. Die Art und Weise der Gesandten bei Handelsgeschäften 
ist in der That abschenlich (Teramente hratissimo); wfiren sie 
gewöhnliche Leute, so würde ihnen manches nicht so hingehen. 
In diesen Tagen kauften sie bei Moses Frank BchmnckgegenstSnde 
für 300 Zechinen ; sie behielten die Sachen und bestellten den 
Verkäufer zu sich, damit er die Bezahlung abhole; als er nun 
nach dem Gelds kam, wollten die Russen ihm die gekauften 
Gegenstände snrückgeben, indem sie sagten, dafs sie kein Geld 
hätten. Da Frank darauf bestand, dala sie die Sachen behalten 
mübten, drohten die Bassen dieselben snm Fenster hinausauwerfen. 
Nach langem Streiten kam man flberein, dafs Frank eine Quan- 
tität Rhabarber zu sebr hohem Preise als Bezahlung annahm. — 
Dem Herrn Pietro Avach, welcher den Russen Zobelfelle ab- 
kaufen wollte, verweigerten sie das Recht, die Ware vor dem 
Abschlüsse des Geschäfts an sehen. — Obgleich man sie im Hanse 
des Herrn Charles Longland mit allem Notwendigen versieht, 
schickten sie ihre Diener in die Küche, um Ton dort heimlich 



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Eine russische Gesandtschaftsreise nach Italien (1656 —57). 129 

Brot zu nehmen, welches sie sodann in ihren Gemächern mit 
ihrem Kavuir verzehrten. Die Diener folgten dem Bcisinel ihrer 
Herren und gaben allerlei Schelmereien an (fauno baronato dell' 
altro mondo): einer der Diener hatte einige Citroueii und einige 
Pftckehen Zwiebeln gekanft; ali eidi nun beim Einpacken für 
die Weiterreiae berametellte, dals maneheB davon verÜMiIt war» 
bestand er daranft dafis aneh die Terdorbenen Stücke in seinem 
(repück Hufgeliobt'M würdei)." Bei der Abreise aus Livoruü 
Bcheiikteu die Gegandten keineiii von den Personen, welche sie 
bedient hatten, etwas. Herrn Charles Longland gaben sie acht 
Zobelfelle, aber von der echlechtesten Sorte ; eine Dienerin erhielt 
ein gana werüosea Kataenfell n. e. w. 

Wiederholt begegnen uns in den Berichten aoa Livomo spöt- 
tische Bemerkungen über den Vangel an Lebensart und die ITn- 
reinlii hkeit der Russen. ,,Bei Tische." heifst es dft n. a., ..scheuen 
sie sich ^ar nicht die Bissen aus dem Munde zu nehmen und in 
die Schüssel zorUekaulegen : auch gibt es noch viele andere Schweine- 
reien (sporchesze) . . . Bei ihnen au Hause pflegen nur die Tor^ 
nehmen aich zum Essen au setsen, wobei sie indessen sieh weder 
der Gabeln noch der Löffel bedienen ; alles wird mit den Hftnden 
genommen ; es ist spafshaft zu sehen, wie sie, wenn jemand von 
den TTnsrigen bei ihnen speist, ihm naclizuahmeu suchen und die 
Gabel gebrauchen; sie nehmen ein Stück aus der Schüssel mit 
der Hand) stecken es sodann auf diu Gabel und führen dieselbe 
Bodanu zum Kunde.*' Als die Zeit der Abreise der Gesandten 
aus LiTomo nach Florena heranrückte, schrieb Antonio Serristori 
an den Grofsherzog u. a. : ,,Ich habe mit Beobachtung einer ge- 
wiesen Vorsicht durch Personen, welche Beziehungen zu den 
Gesandten habt^u, ihnen zu verstehen gegeben, sie sollten docli 
möglichst wenig Gestank zu verbreiten suchen ; ') iabetreff der 
Dienenohaft kann dem Übelstande nicht abgeholfen werden, da 
sie ihre ICleidungsatfIdce nicht wechseln und die Herrschaft kein 
6^1d hat, um sie mit neuen Sachen au yersehen. Aber auch die 



') CIm- procut in» di venir con manco cattivo odoreche sia possibüe. 

BrOckaer, üuIilftDd. 9 



lüU -Bine russische Gesandtechaftsreiso nach lUlien (1656 — 57). 

Herren sind, wenn sie aneh oft in die Badsiabe gehen, nicht so 

reinlich, dai's man es wagen könnte, sie in eine Pracbtkut»che zu 
setzcu*' u. 8. w. 

In einem andern Berichte heifst es : ,,Bie Dienerschaft schläft 
auf der Diele auf Teppichen und Filideeken nnd bedeckt sich 
mit allenii was gerade hei der Hand ist; andere sdilafen auf 
Pftthlen und bedecken sich mit Fellen. Longlsnd ▼ersah sie mit 
Bettatellen und ]\[atratzen, aber die Herreu liabeu die Matratzen 
fortnehmen lasBeii etc.*' 

Immer neue Anekdoten von der Roheit der (resaudien konnten 
aufgetischt werden. So schreibt der Berichtontattw u. a. : tiDer 
ältere Gtesandte wollte einen seiner Diener abstrafen; als der 
polnische Dolmetscher ihn m besSnfttgen versuchte, wandte sich 
der Gesandte zn ihm nnd spuckte ihm mehrmals ins Gesicht — eine 
höfliche Rücksicht, welche er gegen jeden übt. der ihm etwas 
sagt, was ihm nicht gelallt; sodann verlangte er, um den Doi* 
metscher zu demütigen» derselbe solle ihm die Füfse küssen. Als 
der Pole nun sich bückte, um dem Befehle naohaukommen, yer» 
set^pte der Gesandte ihm einen Faustschlsg nnd zwar mit solcher 
Zartheit (delicatesza), dafs der Pole sich überschlug und sich 
ischr arg Kopfe verletzte, ho dafs er mehrere Tage zu Bette 
lag und auch jetzt noch einen Ver])and tragen nuifs." 

Bald gab es von Zank und Streit zwischen Tschemodanow 
und Posnikow, bald von einer Schlägerei einiger der Herren vom 
€^olge der Gesandten in sehr schlechter Gesellschaft zn erzählen. 
Die Italiener konnten sich von ihrem Staunen über den Hangel 
an SalonfShigkeit der Russen nicht erholen. Es gab über allerlei 
zu spotten. Man lachte darüber, dafs die l)i])lomateii sich ein- 
bildeten, der Grolsherisüg Ferdinand werde an sie schreiben und 
dals sie sehr oft danach fragten, ob nicht ein Brief von ihm an- 
gelangt sei; man fronte sich über das Entsücken, mit welchem 
die Bussen das italienische Obst und die in Bnfsland Töllig un- 
bekannten Gemüsearten kosteten, über die Nengier, mit welcher 
sie jedes kleine steinerne Gebäude betrachteten, weil in Kul'slaud 
Holz fast ausschliefslich als Baumaterial diente; dals die Russen 



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£we russische Gesandtschaftsreise nach Itaiieu (16oö— 57). 131 

nufser einigen Säbeln gnr kerne Waffen mit aioli f&brteii, erscMeii 
den Italienern um So wunderlicher, als auch diese kalten Waflfen 
nie angelegt, sondern stets zu Hause gelassen wurdea, während 
die BASsen ihre Heiligenbilder überall mit sich zu BGbleppen 
pflegten; die Italiener belnatigten eich über das Eretannen der 
Oeeandten, ala dieee im Hanae des renetianiachen Agenten Ginaeppe 
Armano eechs Damen an einem Hasardspiele, bei welchem es eich 
nm hohe Summen liüudelte, teilnehmen sahen; die IJemerkungen 
über die Wunderlichkeit und Unzweckinärsigkeit der russiacheu 
Tracht nehmen in den Berichten einen beträchtlichen Raum ein; 
ale der Koch der Gesandtschaft den Versnch machte» eine sohmaok* 
hafte italienische Speise anzurichten ^ mifslang das Experiment 
dnrehans, so dafs niemand von dem Gericht essen konnte. 



Florenz. 

Die toskaniscbe Kegierung hatte keinen Grund, die mssische 
Gtesandtscbaft in allen Stflcken freiaubalten. In Moskau wuTste 
man hichts von Florena und dem Grofshemoge Ferdinand; Tsche- 
modanow und Posnikow waren nur wie sufllllig anf dem Wege 

nach Venedig in Livorno erschienen ; sie hatten gar keine ge- 
schäftlichen Aufträge in i'iurenz auszurichten ; der Groishurzog 
hatte keinerlei Pflichten gegenüber dem russischen Staate zu er- 
föUen. Die anf toskanischem Gebiet lebenden Kauflente hatten 
In höherem Mafse als die Begiemng ein Interesse an der rassischen 
Gesandtschaft, deren Habitus einer orientalischen Handelskarawane 
glich. Es war genu£^, wenn die Vertreter der Regierung den 
Keisenden mit einer gtwi^jsen Conrtoisie begegneten. Charles 
Longland, der englische Kaufherr, welcher im Kaviarhandel mit 
Hnfsland bedeutende Summen umsetste, hielt es seinem Interesse 
entsprechend, die Bussen in seinem Hanse au&unehmen, sie reich- 
lich an bewirten, einige Wochen hindurch die Last eines solchen 
Besuches zu tragen. Dagegen hatten ^e nusuchen Gesandten 
ver/reblich gehofft . dafs die Regierung von Florenz aus ihnen 

Fahrzeuge, Wagen und Pferde etc. zur Verfügung stellen werde. 

9* 



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132 Eine rnatuobe OeBaadtsebaftareise nacb Italien (16M— 57). 

Sie mnditen sieb dasu bequemen , die Beiae aof eigene Kotten 
foiizosetsen. 

Aus dem offiziellen Keisejournal der russischen Gesandten 
erfahren wir von ihrem Entschlüsse, die grofsen Khabarbervor- 
r&te in Livorno zurückzulassen. Der Kaufmann liongland erhielt 
den Auftrag) den Verkauf dieser Ware au besorgen. Dagegen 
wurden die Zobelfelle oder, wie es in dem Tagebucbe heilatf 
„der dem Zaren und dem Patriarehen gebörende Scbats** nacb 
Florenz transportiert und zwar auf Wasserwegen. Es waren 
Fahrzeuge dafür gemietet worden. Nicht ohne Grund liatte 
Antonio Serristori dem Groishersog berichtet, dafs das Gepäck 
der russiechen Beisenden, wie man seben werde, sich sehr wunder- 
lieh ausnehme.^) Ala beeidigter Finanzbeamter begleitete eioes 
der Kitglieder des Gefolges die Ballen mit den Zobelfellen. Für 
die Beisenden mietete man durch die Vermittelnng dee neuan- 
geworhenen Dolmetschers, Hans Sach?;, vier Wagen mit Pferden, 
um zunächst nach Pisa zu reisen. • Dafs die Küssen sich be- 
rntthten, alles möglichst sparsam einzurichten, ist ans der Be- 
merknng des Berichterstatters aus liivomo zu ersehen, die Bussen 
würden wohl in Pisa gern langer rasten, da sie dort bei einem 
Kaviarkaufinann freie Wohnung haben würden, w&brend sie auf 
der Strecke zwischen Pisa und Florenz, keinen derartigen Vorteil 
geuiefseud, ilire Reise schwerlich unterbrechen wurJen. 

Allerdings bereitete ein Kaufmann zu Pisa, dessen Kume im 
Journal arg verballhornt ist, -) von welchem aber ausdräcküch 
bemerkt wird, er sei der Geschäftsfreund Longlands, den Beizen- 
den einen feierlichen Emp&ng: er hatte ihnen einige Wagen, 
Vierspänner, entgegengeschickt. Im Beisejoumal wird sugar 
erwähnt, dafs bei dem Einzüge in die Stadt zu Ehren der Ge- 
sandten auf den Wällen die (beschütze gelöst worden seien ; das 
Volk, in dichten Haufen zu beiden Seiten der Strafsen stehend, 
habe die Gesandten begHLfst. Bei Tische trank man auf das 

') Ii ha^rarrlio (ii questi Si<ruoii 0 verameute curioBO e ridicolo ma 
perchc si vcrn'i a Firinize trsi pot o, mni si deserive. 

*) In den Archivaiien „Sammmiutelli^', im Journal „Isemendeli'^. 



•s. 



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Eine rusaische Gesandtschaftsreise nach Italien (1656—57). 133 

Wohl des Zaren Alexei nnd de« rassischen Thronerben Alexei 
Alexejewitflch, worauf die Gesandten einen Toast auf den Grofs- 
berzog aasbrachten. Dazu gab es Gespräche über die Beziehungen 
KuTsUuids zur Türkei, wobei die Russen der Heldenthaten der 
donischen Kosaken im Kampfe mit den Türken in sohönfiurberiacher 
Weise erwülinten. Einem knrzen Berichte aus dem Archiv von 
Florens entnehmen wir die Bemerkongi dafs die Kossen wegen 
verspäteter Ankunft in Pisa und wegen des schlechten Wetters 
von den b».-lieiiBwüi titgkeitrn <ler Stndt nichts in Augenschein 
nehmen konnten. In dem Reisejourual ist dieses Umstandes 
nicht erw&hnt. Die Bnssen hatten achwerlich einiges Yentändnis 
fOr die herrlichen Bandenkmiüer Pisas. Der Dom nnd das 
Baptasterinm, der unvergleichliche „Campo santo*^ und der sohieüs 
Tnrm etc. h&tten den angebildeten Orientalen allenfalls ein reli- 
giöses, nicht aber fin architektonisches Interesse darbieten kihmen. 

Die Reise von i'isu nach Florenz wälirte anderthalb Tage, 
80 dafs die Diplomaten doch in einem Gasthause unterwegs zur 
Kacht eiDkehren moTsten. Das Mittagessen wnrde in Empoli ein- 
genommen, welche Stadt im Beisqonmal „Neapel'' genannt wird. 

In einiger Entfernung von Floreni trafen die Beisenden mit 
Eseln bespannte Frachtkiitschen, welche der Grofsherzog gesandt 
hatte; das Journal erwähnt der samtenen Polster und des ele- 
ganten Geschirrs; eine Strecke mufste im Reiten auf Eseln zurück- 
gelegt werden. Bei der Stadt hegrülste der Bruder des Grols* 
hersogSi Leopold (im Jonmal «^Diapoldus**), die Ankommenden; 
unter Kanonendonner und Husikf schreiben die OesandteUi habe 
ihr festlicher Einsug in Florena stattgefunden, wobei sich ereig- 
net habe, dafti Leopold sich weigerte, den Rücksits im Wagen 
einzuuelimen. 

Am Thor des Palazzo Pitti, wo die Gesandten eine Wohnung 
erhielten I empfing sie der Grofsherzog Ferdinand selbst; auch 
gab er ihnen bis in die fOr die Beisenden bestimmten Gemficher 
das GMeite. 

In Xiivorno hatten die Beisenden am Eingange des Hafens 
die Statue des Grofsherzogs Ferdinand I. von Giovanni Bandini 



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134 Eine russische Gesandtschaf tsreise nach ItaLien (1656 — 57). 

mit den vier angeketteten Barbaresken in Bronze an den Ecken 
des l'iedestalö von Tocca gesehen. Im Keiaetageliuclie der Russen 
findet sich eine recht eingehende Schilderung dieses Kunstwerks 
und die Bemerkangl dafs der Orofahersog aufs Meer hinaas* 
gefahren aei nnd die Seeräuber besiegt und ge&ngen habe. Ein 
solches Heldenstfick imponierte den Russen umsomehr, als sie 
selbst kurz vorher in grofser Furcht vor den türkischen See- 
räubern geschwebt hatten. In dem (irepandtf^chaftsbericht üudet 
sich bei Gelegenheit dieser Erzählung, welche die Küssen aus 
Charles Longlands Kunde hörten, der Ausruf: „Ha! ist das 
ein Fflrstl« 

Es moehte bei der Bedeutmig der orientalisdien Trage auch 
für Rufsland in jener Zeit für die Bussen von grofsem Interesse 

sein, unmittell)ar mit solchen Persönlichkeiten ^usammenzutrefTen, 
welche den Mut hatten, den gefürchteten Türken die Spitze zu 
bieten. Die Reisenden begegneten dem Grofsherac^ mit Ehr- 
furcht. Als awei Herren Yom Gefolge Tsdiemodanows und Posni- 
kows zum ersten Male bei dem Ghrofshersog erschienen, fielen sie 
SU Boden und kflfsten ihm die Füfse. 

Schon in Livorno war den Rnssen niancherb.^i aul'trefallen. 
Eine neue Welt hatte sich vor ihnen aufgothau ; Die italienische 
Kultur übte einen mächtigen Eindruck. Aus dem Reisetagebuche 
ist zu ersehen, dafs die Beisenden fähig waren, viele Gegenstände, 
welche ihnen völlig neu waren, zu bewundern. Wenn auch aller- 
dings die Heiligenbilder und G^rftte in den Kirchen am ans- 
fährlichsten besehrieben werden, wie das der ausschliefslich geist- 
lichen Bildung der Russen jener Zeit entsprach, so ist doch auch 
vieler anderer Dinge erwähnt. So z. B. hatten sie in Livorno 
die Festungswerke und Hafenbauten bevnindert, die grofse Menge 
der auf der Beede befindlichen Schiffe, ein grofses Kri^sschiff, 
dessen LSnge die Bussen auf 400 Fufs und dessen Höhe sie auf 

Arohiv s. Florenz: Diane Fiorentino X. S. 518. „Avevano seco 
due Persone Hosoovite di loro Camerats i qnali introdotti la prima volta 

all audienza d^ Gran Daca di Toacana si dissercro (sie?) lunghi in terra 
e gii baziarono i piedi per la riverenza grande che portavano a sovraoi.** 



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Eine russische Gesandtschaf Ureise nach Italien (1656—57). 135 



70 Fufa angeben. Man erzählte ihnen, dafs es auf diesem Schiffe 
2U0 liiLanonen und 500 Matrosen und Soldaten gebe und dafs 
dieses Fahrseug zum Kampfe mit den „tärkiiGheii Bäabern'^ 
beBtimmt seL Die Wiftbegierde der Bubmii ging so wät» dafs 
sie sieb nach dem Alter der Stadt Li?omo erkundigten. Nicht 
ohne Gnmd war ans LiTomo nach Florenz berichtet worden, dalk 
die Heiäienden eine .^curiositÄ grande di vedere ii moudo" an den 
Tag legten. Mit Aufiuerktianikeit betrachteten sie die Wasser- 
gräben, welche die Festung Livorno umgaben, die darüber führen- 
den Kettenbrücken, die so breit seien, dais „awei Karren einander 
answeichen könnten,*' die dberall aufgeführten soliden steinernen 
Oartenmanem, die sorgfältig hergesteUten Zisternen; ancb einer 
Fiscine ist erwähnt. Auf dem Wege nacli Florenz waren die 
Keiseudeu in eineni liorrliclit'n (jartcn sjjaziereii gegangen: da 
habe es nicht blofs Eichen, sondern auch Zitronenbäume und Dattel- 
pafanen mit daran hängenden jbVüchten gegeben, Weinreben etc. 
Der Eindruck solcher Herrlichkeit mochte um so stttrker wirken, 
als die Bussen alle diese Gegenstände im Januar sahen und sich 
dm WinterseWf vergegenwärtigen konnten, in welchem die Natur 
in ihrer Heimat um dieselbe Zeit liegen rauföte. — In Livomo 
hatten sie etwas ganz besonders Wunderbares gesehen ; sie schreiben 
davon : „ein Vogel, genannt Straufs, grofs, die Füfse wie bei cinw 
Kuh, frifst Eisen und Steine und Knochen, anderthalb Menschen 
Höhe; struppiges Gefieder, grau; die Deutschen," d. h. die Ans* 
länder überhaupt, „tragen es auf den Hüten." 

Von Pisa hatten die Reisenden bü gut wie nichts gesehen. 
Sie bemerken in ihrem Tagebuche nur , es sei eine grofse Stadt 
mit sehr vielen Einwohnern. Florenz muüste ihnen ausnehmend 
gefallen, sumal sie dort so gut aufgenommen wurden. /Ungemein 




naiv erscheint die Bemerkung im Beisejoumal, der Grofshersog 
habe ihnen, den russischen Gesandten, seine eigene Wohnung 

eingeräumt und habe für die Zeit ihrer Anwesenheit andere Zimmer 



und Gobelins, welche biblische Stoffe darstellten, so da£9 sie dem 




bezogen. Die Rn.ssen schilderten diu Pracht der ihnen zur Ver- 
fügung gestellten Gemiiciier, die reichen goldgewirkteu Tapeten 



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186 Sine rutttBcfae Gesaadtschaftareiae nadi Italien (1666— «7). 

Yentändnu der Bossen sieh eher saginglioh seigten als andere 
Bildwerke; die H8he und Weite der Stäben setste die Bossen 
in Erstaunen; zum ersten Male sahen sie Portieren von schwe- 
re ru Stoffe. 

Bald uacli der Ankunft in Floreuz führte man die Russon 
übi r die aus Prachtsäleu und Galerien bestehende Amobrücke in 
die Ufficien. Hier bewonderten sie die Schatakammer des Grofs- 
heraogs, die Werkstätten, wo die Gbldsehmiede arbeiteten, die 
Waffensammlong. Sie erwShnen, sie hXtten einen Hsgnetstein 
gesebei), welcher 60 Pfond Eisen an beben vo'mocbte; die Edel- 
steine, Praclitgefafse und Mosaiktischc sclioinen den Küssen ganz 
besonders gefallen zu haben. Ferner schreiben sie: „In den 
oberen Gemachem sind zwei sehr grofse Äpfel, sehr schön ge- 
macht; darauf sind alle Staaten aofgesebrieben nnd alle Planeten 
ond himmlische Gtötter; und diese Apfel kann man nadi ver^ 
schiedenen Richtungen drehen. InBufsland hatte man noch keinen 
Globus gesehen. — Ferner führte man die Reisenden in das Ar- 
senal, in das Giel'slmus , in den Marstall, wo die Pferde allt rloi 
Kunststücke produzierten : es gab solche, die da tan^iton, grüfsten, 
auf den Knieen rutschten: „Alles auf Kommando", sagen die 
Bussen mit der naiven Freude eines kleinen Knaben, welcher 
sum ersten Haie einer AoffÜhrong im Zirkos beiwohnt. — Ein 
ausgestopftes Krokodil, welches in einem der Gemacher über einer 
Thüro hing, wird sehr genau })(\schriebeii. Die I'riichtanlage 
des j.Giardino Boboli'* machte auf die Russen einen tiefen Ein- 
druck. In Kufslaud gab es bis zu der Begierungszeit Petera des 
(Arolsen nichts dergleichen. Um so mehr staunten die Bossen 
über die gegrabenen Teiche und die Wasserkünste, über die 
Statoen und Fischresenroirs etc. ^) 

Luxus, WobUeben, Komfort waren den Russen in ihrer Hei- 
mat uur in beschränktem Mafse bekannt geworden. In Florenz 
zeu^e vieles von bedeutenden materiellen Mitteln. Ohne in der 
Lage zu sein, Kunstscköpfungen als solche würdigen zu können 



') S. d. Denkmäler a. a. 0. 1168— 116a. 



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£me nusisoh« Gfieandtsohaftoreiae nach Italien (1666~-^7X 137 

— von Mnrraorbildwerken ist als voo „iteinernen Kerlen und 
Tieren** die Aede — hatten die Eussea doch das Gefühl, dafe 
diese Knitor der ihrigen fiberlegen aei. Der herrlichen Elirchen 
in Florenz ist flbrigens im Aeiaetagebnche nirgends erwähnt» 

obgleich gerade in der Zeit, aJs Tschemodanow in der Arnostadt 
weilte, der Bau d< r berühmten ^('apolla dc'i priiicipi" schon weit 
vorgeschritten war und von den Touristen jener Zeit gern be- 
Mchtigt wnrde. Die Buaaen scheinen weder den Dom besncht 
noch den prachtigen Olockentnrm bestiegen an haben. 

Die toskanisehe Regierung zeigte sich den rassischen Diplo- 
maten gegenüber sehr zuvorkommend. Der Marchese Piero Corsini 
erhielt den Auftrag, während des AufcutiiaUes der Kusseu in 
Eiorena für ihre Unterhaltung zu sorgen; auch fand sich ein 
Sergeant von der Garnison Ton Livomo, welcher des Bnssischen 
müchtig war, also die Bolle eines Dolmetschers an spielen Ter> 
mochte. Drei Tage nach ihrer Ankunft wurden die Bussen 
festlich hei Hofe bewirtet. An der Tafel erscliienen der Orols- 
herzog und die (frofsherzogin, der Prinz Leopold und veröciuedeue 
Magnaten. Es fiel auf, dafs die Gesandten so gut wie gar nichts 
afsen. Der Dolmetscher sagte, es sei dieses ein Zeichen der 
tiefen Ehrforcht vor den fürstlichen Gastgebern. Als Tschemo- 
danow nur etwa swei Bissen gekostet hatte, und der Grofshersog 
ihn aufforderte doch zuzulangen , stand der russische Gesandte 
auf, nahm die Mütze ab und afs ein winig. Ferdiiuind befahl 
sodann, die Speisen in die von den Gesandten bewohnten Gemächer 
zu bringen, und dort thaten sie sich gütlich. 

Man ersählte sich mancherlei von der Sorgfalt und Peinlich* 

keit Tschemodanows inbetreff des Zerenioniellis. Er schien jeden 
Augenblick zu fürchten, dal's irgend ein Verstofs gegen die Etikette 
begangen werde, und erkundigte sich bei jeder Gelegenheit, wie 
der florenünische Hof die Gesandten anderer Grofsmi&chte au be- 
liandeln und aufsunehmen pflege. Als eines Tages sein Genosse, 
Posnikow, einen Wagen kommen liefsi um eine Badeanstalt au 
besuchen, idialt er ihn tüchtig dafür aus uud bemerkte, man 



138 ruanBcho Gecandtachaftareiae n&oh ItAlien (1666 — 67). 

köime leicht durch uuvorBichtige Haadlungeo die (iei>audteu würde 
verletzen. 

Aecht Bpafshaft war folgender ZwiflchenfBdl. £m GMegen- 
beitsdichter hatte den älteren Gesandten in einem Sonett gefeiert, 
und dabei mit keiner Silbe des «weiten Gesandten , Fosnikow, 

erwähnt. Der letztere war in so hohem Grade entrüstet darfiber, 
(lafs ('S zwischen den litideu Diplomatm zu einem argen "Wort- 
weclisel kam, welcher in ein Haadgemeuge auszuarten drohto. 
Der Marchese CorsinI suchte die beiden Staatsmänner durch das 
Versprechen sa beruhigen, daTs jener Dichter ein sweites Sonett 
EU Ehren des sweiten Gesandten Tetfamta werde, was denn auch 
geschah, aber wiederum zu Hifshelligkeiten AnlaDs gab, da sich 
herausstellte, dafs das zu Ehren Posnikows verfafste Gedicht auf 
schöner verziertem Papier geöcJiricbcn war als das der Persönlich- 
keit Tschemodanows gewidmete. Im ganzen aber, wird iu einen) 
Schreiben aus Florenz aus diesen Tagen bemerkt, betmg sich 
Tschemodanow vorsichtig, anständig und würdevoll, so daüs das 
ihm und seinen Genossen vorausg«|psngene Gerücht, sie seien 
„^dbtiere'* (messe bestie), übertrieben erschien. 

In Florenz empfingen die rujjsi.sclitu Gubitudttiii mancherlei 
Besuche ; es kam der venetiauiBche Hesident, um ihnen seine Freude 
über ihre bevorstehende Ankunft in Venedig aussudrücken ; auch 
teilte er ihnen mit, dafs er wegen ihrer bevorstehenden Beise über 
einen Teil des Kirchenstaates mit der papstlichen Begierung ver* 
handle, damit nirgends ein Aufenthalt stattfinde, weil sonst allerlei 
Quarantäneregeln sehr beschw^lich fallen würden. Auch der 
Sübu dca r4rort*lu r7.og8 , Cosimu, kam zu den (fesandten, welche 
sehr verwundert darüber schienen, dafs er, nachdem er auf einem 
Sessel Platz genommen hatte, auch sie zum Sitzen einlud. Cosimo 
erkundigte sich nach der Seereise, welche die Bussen surttckgelegt 
hatten, und fragte sie, ob sie aus BuiSsland Zeitungen und Briefe 
erhalten hätten. Die Gesandten mufsten diese Frage verneinen. 
In Bufsland erschienen damals noch keine Zeitungen , und die 
Entstehung einer Briefpost in Kulsland, welche den Staat Moskau 
mit dem Westen in Berührung zu bringen vermochte, lallt in 



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£iaa nmitohe OesandttchAfUFdue lUMsb Italien (166^67). 139 



eine etwas spätere Zeit. Mehrttre Honate waren vergaugea, seit 
Tschemodanow und Posnikow ihre Heimat verlassen hatten, und 
sie hfttten inxwisehen gar keine Kunde von fiaase erhaUen. Ale 
der Grofebenog bei der den Gesandten bewilligten Audiens die- 
selben fragte, ob der Zar sich gegenwitrtig in Ifoskan befinde, 
mufste er sich mit der Antwort beguiigeu , dafs ihr liundeslierr 
um die Zeit ihrer Abreiße aus Rufsland in den Krieg habe ziehen 
wollen, indessen wüfsten sie nidit, wohin er seine Schritte ge- 
lenkt habe. 

Beckt komisch klingt die Aafsenmg in dem Bexsejonmal, der 
Grrofsherzog habe, als er die Gesandten empfing , seine Freade 

darüber geäufsert, dafs er, wie das Erscheinen der Gesandten in 
Florenz zeigt, der Gnade des Zaren teilhaftig geworden «ei. In 
solchen Wendungen zeigt sioh der orientalische Hoclimut, welcher 
VL, «. die TatarenfÜrsten von der Überxeagnng erfällt erscheinen 
liefe, dab sie besser, höher seien als alle andern Herrscher. 
Biese Beprodoktion aogeblieher Aufsemngen Ferdinands entsprach 
oflfenbar dem Wansche der DipTomaten, ihrer Hegiemng gegen- 
über den Erfolg ihrer Mi.sbion in besüiuler.i güiihtigein T.iclit«.' dar- 
zustellen. Nicht umsonst schrieb der Verfa.sser eines vortretllichen 
Werkes über die politischen Verhältnisse Kul'slands, ein Mann, 
welcher gerade in jenen Jahren eine Stellang im Ansl&ndischen 
Amte an Koskan bekleidete, Kotoschichin : „In den Gesaadt- 
schaflsberichten werden die Yerhandlnngen nicht ihrem That- 
bestände zufolge, sondern so geschildert, wie deren Verlauf den 
Verstand der Gesandten in einem besonders günstigen Lichte er- 
scheinen zu lassen geeignet wäre, um die Gunst des 2«areii zu 
mrerben, weil die unverschämten Verfasser dieser Berichte 
darauf bauen, dafs der Zar auf keine Weise die Wahrheit er&hren 
könne.« >) 

Im Yerlaofe des Gesprächs mit dem Grofsheraog nnd dessen 

') Kotoechiohin, welcher 1661 nach Schweden emigrierte, lohrieb 
sein Buch, welches ent 1887 entdeckt nnd herausgegeben wurde, in 
Stockholm. Bs erschien 1640 unter dem Titel: „Kufsland unter Aiexei 
HicbaUowitMih'*, s. d. Kapitel IV. § 28. 



140 Eine mmache Oesandtachaftaraiae mch Italien <16R6— 57). 

Sohne, welcher, angeblich anch aehr ehrforehtsToU und erfüllt von 
Dankbarkeit, der ^ Gnade" des Zaren Alezei erwSbnte, kam die 

Rede auf die russische Kriegsmacht. Tacheniodauow entwarf 
sogleich eine ruhmredige Schilderung der ungeheuren Menge von 
Soldaten, welche dem Zaren zu Gebote ständen ; er erwähnte der 
Terachiedenen Truppenteile nnd Waffengattungen , der Streif» 
Kosaken n. s. w., ihre Pferde seien rasch, ihre Schwerter scharf 
und wohin sie auch kirnen, niemand könne den Truppen des 
Zaren widerstehen Indem die Gesandten nicht ohne Selbstge- 
fälligkeit den Tiibalt ihrer Ausführungen produzieren, fügen sie 
hinzu: aliud der Sohn des Grolsberzugä sagte: freilich haben ja 
auch wir selbst schon vernommen, dafs bis jetzt noch keines 
Staates Kriegsscharen vor den Truppen des Zaren haben bestehen 
können — überall erseheint seine Hand hoch und stark." Es ist 
nicht amsunehmen, dafs Oosimo sich in dieser Weise wird aus- 
gedrückt haluT). Auch entsprach die Renonmutge der russischen 
GeäuudLen den Erfolgen der ruBbischen Waffen keineswegs. Von 
(b'ii Tataren und von den Polen sind die Hussen während des 
17. Jahrhunderts wiederholt geschlagen worden, und es bedurfte 
der Hilfe der Ausltoder in der zweiten Hälfte dieses Jahr- 
hunderts, um die russische Armee einigermafsen kriegstüchtig za 
machen. 

Von eipfentlich c^fOBcliaftlichen Verhandhingeu mit der floren- 
tinischen Kegierung konnte während des Aufenthaltes der Kassen 
in der Hauptstadt Ferdinands keine Hede sein. Die russischen 
Diplomaten hatten fUr derartige Verhandlungen keinerlei Instruk- 
tiooen und ohne dieselben war gar nichts auszurichten, da die 
Vertreter des moskowitisohen Staates in jener Zeit^ nur blindlings 
den Weisungen der ihnen mitgegebenen Instruktion folgend, keine 
Verantwortlichkeit s^lbstiludiger Aktion übernehmen mochten. 
Dom Versuche der Grofsherzogin , den Hussen einige kostbare 
Felle abzukaufen, begegneten sie damit, dafs sie ihr und dem Sohne 
Ferdinands einige Felle zum Geschenk machten. Per Ghrofsherzog 
wünschte für seine TJnterthanen das Becht der Handelsrerbindung 
mit Rufsland zu erwerben und brachte diese Frage bei einem 



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Eine russische Gesaadtschaf tsreise nach Italien (1656—57). 141 

Besuche , welchen er den Gesandten abstattete , zur Sprache. 
Tscheiuodanow und Posnikow beschränkten sich darauf zu ver- 
sprechen, dafs sie dem Zaren Ton dem Waoeohe des G^Iebenogs 
Mitteilung machen würden. 

Die Gesandten waren mit dem ihnen bereiteten Empfange 
sehr wohl anfirieden und ebenso mit den Geschenken, welche der 
Grofsherzüg ilineii hatte üherreicheii laBsen. Es waren vier Slücko 
Goldlirokat von hohem "Werte, ferner zwei Muisketen und zwei 
audero Feuergewehre, welche den Gesandten um so besser gefielen, 
als die Jagd auf kleine Vögel im „Giardino Boboii** ihnen be- 
sonderes Vergnügen gemacht hatte, sodann einige Schachteln mit 
wohlriechenden Essenzen nnd Arzeneien ans dem Laboratorinni 
des Grofsherzogs nnd einige gläserne Becher. Man hatte sich, 
ehe man die Walil der Geschenke traf, nach dem (ieschmack der 
Küssen erkundigt. Die Gegengeschenke der Gesandten bestanden 
in Fellen. Der Grofsherzog erhielt 40 Stück Zobelfelle, die 
Gbofsherzogin 10 Stück Zobelfelle and 1 Schwarzfachsfell; der 
Marchese Corsini erhielt 4 Stück Zobelfelle nnd noch eine 
Person 2 Zobelfelle. In dem obenerwShnten Schreiben aas 
Florenz heifst es: „Sonst aber geben sie Kiemand etwas, wahr- 
scheinlich aus Geldmangel, indem sie behaupteten, för die ganze 
Heisegesellscbaft zur Bestreitung aller Keisekostea nicht mehr als 
1400 Zechinen mitbekommen zu haben.*' ^) 

Man schrieb ans Florenz , dals die rassischen Gesandten iui 
Verkehr mit dem Besidenten der venetianischen Bepublik sich 
bemüht hatten, ihn snr Aaszahlung der Geldsammen za bewegen, 
welche auf der Reise bis Florenz verausgabt worden waren. Ja, 
sie gingen soweit , von der Repul)lik sogar Diäten für die in 
Florenz verlebten Tage zu verlangen, wo sie doch von dem 

') Florentiner Archiv. Vgl. d, Denkmäler a. a. 0. 1184, wo der 
Wert dw 40 dem Grofsherzog geschenkten Zobelfelle mit 70 Aubeln 
angegeben ist In Rücksicht auf die Geschichte des Kleinerwerdens der 
rassischen Münstinheit wire diese Snnmie, um mit heutigem Gtelde ver- 
glichen zu werden, mit 15 zu multiplizieren. Die Vorräte an barem 
Gelde bestanden bei der Abreise der Gesandten nur aus ÖOO Thalem; 
a. d. Denkmäler S. 1179. 



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142 ^ino russische Gesandt schafUreise nach Italien (1656 — 57). 

Grofsheraog in allen Stücken fireigehalien worden waren. NatUr» 

lieh konnte diesen nicht sehr bescheidenen Forderungen nicht eut* 
Bprochen werden. 

Auch die Behörden der ilorentinischen Regierung hatten viel 
Mfihe mit den fremden Gästen. In den Akten finden sich sehr 
genaue yeraeieliniflse der Namen der Beiaenden, wobei es natürlich 
sehr schwer hielt, die nnbeqoem ansansprechenden rassischen 
Namen einigermaßen korrekt an reproduaieren. Ebenso suchte 
man sich bei dieser Gelegenheit alle Einzelheiten des zari.scheii 
Titels einzuprägen. Die Russen legten aufserordentlich viel ih- 
wicht darauf, dafs bei dem mündlichen oder schriftlichen Q^brauch 
des Titels nicht die geringste der aahUosen Beaeichnnngen ver- 
gessen werde. 

Bei der Ahreise der Gesandten , am 1. Januar alten Stils 
(11. Januar neuen Stils), begleitete sie der Grofshersog bis au 

den Thoren des Palastes; der Prinz Leopold gab ilinea mit nicht 
weniger als 64 Wagen das (ieleite; der lyU^rchese Corsini fuhr 
mit ihnen bis Trespiano. 

VoD Florenz naeh Venedig. 

Die Reise von Florena über die Apenninen brachte den 

reisenden Rufisen l ine Fülle neuer Eindrücke. Sie, die noch nie 
ein (iebirge (geschaut hatten, sahen sich in Landschalteu versetzt, 
wo man zu Wagen nicht fortkommen konnte, sondern in von Eseln 
getragenen Sänften reiste. Von der Grofsartigkeit der Gehirgs> 
landschafly yon dem Beia der freien Natur findet sich selbstTer- 
ständlieh in dem Beisetagebach keine Erwähnung ; dagegen werden 
die prächtigen Stoffe der Polster in den Sanften und die Tressen 
daran eingehend geschildert, ijber Firenznola ging der Weg 
nach Bologna. Diese Stadt fiel den Russen durch ihre steinernen 
Häuser und dorch Schleusen auf. Auch über die Stadt Ferrara 
finden sieh im Journal einige Bemerkungen ; die Grdfse des Ortes, 
die Breite der Gräben, welche ihn umgaben, wird in Zahlen ans- 
gedrückt. Nachdem die Beisenden demnach eine Strecke über 



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Eine russische Gesandtschaftsreise nach Italien (1656 — 57). 143 

päpstliches Gebiet zurückgelegt hatten, langten sipauf venet ianischoni 
Gebiete an. Sie Kiifsern ilire Verwumlerung, dafs an der (xrenze 
keinerlei Festungsbautcu zu sehen seien ; es stehe dort nur „ein 
steinernes Zelf*. Von dem Po bemerkten die Bossen , es sei 
dieses der grSfste Flab Italiens; an der Etsoh fielen ihnen die 
grofsartigen Beieharbeiten, Schleusen nnd andere Wasserbauten 
auf. Die Namen der Orte, dureh welche die Beise ging, sind 
im Journal arg verunstaltet. So Keifst (/hioggia — Tschose. 

Auf dem Wege nach Venedig erfuhren die ruseischen Di- 
plomaten zu ihrer nicht geringen Überraschung, dafs der Doge 
Franc. Molin, welcher 1645 bis 1655 an der Spitae des venetia- 
ntschen Staatswesens gestanden und au welchem sie der Zar ge- 
sandt hatte y schon eme geraume Zeit nicht mehr unter den 
Lebenden weilte, nnd seit dem Tode Molins drei verschiedene 
Personen nacheinander die Dogenwürde bekleidet hatten, nämlich 
Carlo Contarinii Franc. Cornaro und Bertuccio Valier, welcher 
letstere noch regierte, als die rassische Gesandtschaft in Venedig 
eintraf. Es aeugt dieser Umstand davon, dafs man in Bnfsland 
▼on den Begebenheiten Westeuropas sehr wenig erfuhr. 

An der Grenze des Tenetianischen Gkbiets hatte Alberto 
Viinina, derselbe, welcher vor kurzem in Rnfsland gewesen war. 
im Auftrage der Regierung der Re])ul)lik die russischen Gesandten 
empfangen. Auf der Weiteireiso richteten Tschemodanow and 
Posnikow an den venetianischen Staatsmann Tersohiedene JVagen : 
wer in Venedig die wichtigsten Stellen bekleide, insbesondere 
welcher Beamte die answirtigen Angelegenheiten leite, ob es in 
Venedig eine griechische Kirche gäbe, ob sich in Venedig Gerandte 
andrer Staaten befänden und was für welche u. s. w. Die Ant- 
wort Viininas auf die letztere Frage, dafs nämlich in Venedig 
ständige £,esidenten verschiedener Mächte weilten , mochte den 
Bussen tlberrasohend erscheinen, weil in Moskau in jener Zeit 
nur ausnahmsweise und auf kurze Zeit auslfindisohe Gesandte sich 
aufzuhalten pflegten und der Begriff eines Corps diplomatique 
den Bussen völlig fremd war. tfan kam ferner auf die orien- 
talische Frage zu reden : die liuȊen erkundigten sielt nach den 



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144 russische Gesaudtscbaftsreiso n&ch Italien (1666—57). 

Hilfsmitteln d«r Yenetianer im Kampfe mit den Türken ; Vimina 

erzälilte von den Erfolgen , welche die Republik in der letzten 
Zmt gehabt, von der grofsen Seeschlacht, welche 1 »>5n bei den 
Dardanellen stattgefunden hatte, von der Eroberung einiger tür« 
kischen Inseln u. s. w. In allen Stücken waren die Bussen auf 
mündliehe lütteilnngen angewiesen; sie waren nicht im stände^ 
sich durch die Lektüre von Zeitungen über die neuesten Ereig- 
nisse zu unterrichten. Ebenso fragten sie auf dem Wege zwischen 
Chioggia und Venedig, wie alt denn die letztere Stadt sei u. s. w. 

Diese Fahrt in prächtigen liurken, au dem „Littorale di 
Palesknna'' and dem „Littorale di ilalamocco" vorüber, ist in 
dem russischen Beisejoumal recht ausführlich beschrieben. Die 
Bussen schildern die kostbare Ausstattung der ihnen 8ur Ver- 
fügung gestellten Fahrzeuge, die grofse Menge der sie umgebenden 
Jiarken und Gondeln, die Begriifsungsrufe der Bevölkerung am 
Ufer u. 8. w. Auch in den oftiziellen Tagelnichern der liepublik 
im Archiv zu Venedig (Ceremoniali Hl fo. 140 tf.) findet sich 
die Bemerkung, dafs die Ankunft der russischen Gesandten mit 
besonderem Pomp stattfand, weil nicht hlota die Fahrzeuge der 
Begierung sich dabei beteiligt hätten, sondern unsählige Privat- 
gondeln mitfuhren, deren lusasben die fremden Giste neugierig 
anstauutcD. 

Schon von dem Augenblicke an, als man in Venedig von 
der Ankunft der russischen Gesandtschaft in Livomo erfahren 
hatte, war man mit der Frage von dem Zeremoniell des £m- 
pBuiges der Ankömmlinge aus dem fernen Osten beschäftigt ge- 
weMn. Es lenchtete der Regierung der Bepublik ein, dafs bei 
dem Stanile der orientalischen Frage nähere Beziehungen zu dem 
Staate Moskau Vorteile darbieten könnten. Mau beschlofs in Rück- 
sicht auf den türkischen Krieg ^) die russischen Gesandten frei- 
zuhalten und mit Ausaeichnnng zu behandeln« So sollte denn, 
wie dieses auch bei andern Gelegenheiten wahrzunehmen ist, die 
orientalische Frage als Mittel der Annäherung BulUands an die 



') In riguardo alle congiunture dcUa guerra Turchcsca. 



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Eiuo rusaiscbe Gesandtschaftsreise uach Italien (1656 — 57). 145 

westetiropftivclte Welt clienen; di« SoUdarÜKt Bofriands und die 

der andern Stuten im Kampfe gegen die Türken war von welt- 
geschichtlicher Bedeatung. 

Yenedigr« 

Die niMiflehen Gesandten verblieben in Venedig vom 1 1 . Januar 

bis zum 1 . März alton Stils, also etwa sieben "Wochen. Die Laguneu- 
stadt ranfste auf die Reisenden einen tiefen Eindmck macluin. 
Schon beim Einzüge bewunderten sie die Hunderte von Gondeln, 
deren Konstruktion sie in ihrem Beriohte schildern. «In Venedig/ 
heifst es darin weiter, „steht in allen StralseD Wasser und an 
den Thttren halten Fabrseuge.*^ Die Elegana der den Bossen 
eingerftumten Wohnung wird ausfBbrlioh besehrieben. Von den 
Seiieuawürditikt'iten der Stadt irefielcn ihnen in8})esondere die 
Beliqoien, welche sie im Dugenpaiaste und in einigen Kirchen 
sahen. Da gab es ein angeblich von dem Evangelisten Lucas 
gemaltes Bildnis der heiligen Matter Gottes, etwas Blat des 
Heilandes, lülGh und Haare der heiligen Matter Gottes, das 
Vesser, mit welchem Petras das Ohr des Malchns abgesefanitten 
hatte, ein Stück vom heiligen Kreuze, ein Stück von dem Pfosten, 
an welchem Christus gegeifbelt worden war, die Gebeine des 
heiligen Marcos, drei Bippen des heiligen Stephan, ein Stück der 
Dornenkrone a. s. w. Im Dogenpalaste besichtigten sie femer 
allerlei Kronen nnd andere Kostbarkeiten, welche die Venetianer 
in Konstantinopel erbeutet hatten. 

Es fiel den Reisenden auf, dafs es in Venedig weder Stadt- 
mauern noch Festungsturme gab. Diu Rialtobrücke, welche mehrt^re 
Jahrzehnte vor der Ankunft der russischen Gesandten in Venedig 
gebaut worden war (1588 — 1591), erregte das Staunen der Beisen- 
den, weil schon damals, wie auch jetst eine bedeutende Ansahl 
von Läden auf derselben sich befand; die Bossen erknndigten 
sieb nach den Kosten des wunderbaren Baaes nnd erfahren, dafs 
derselbe auf über 400000 Dukaten zu stehen gekommen war. 
Auch der zahlloseu andern Brücken ist erwähnt. Man zoigte den 

Brackner, Eulklmnd. 10 



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146 Bine nmiicliA OeHuidtaGliAftaraiM nuk ItaUen (1666—1^7). 

Beiienden die prächtige Galeere jjBuecentoro**, in weloliar dir 
"Doge von Venedig seit 1311 jährlich am Himmelfahrtetage unter 

grofsen Feierlichkeiten eine Strecke weit in das Adriatisclie Meer 
hinausfuhr und durch Hineinwerfen eines koätbareu Ilingcü sich 
gleichsam mit dem üeere „Termählte'^. Endlich ist noch der 
Olaafabriken in Manno (im Journal „Mojarau") erwShnt. Von 
dam Karkoaplatsa, der Piaisetta, von der Btva degU SoUaTonii 
dem Oampanile u. ■. w. findet eich in dam Beiaeberieht kein 
Wort. Die Touristenfähigkeiten der Russen waren offenbar nur 
seiir schwach entwickelt: aucli waren ihre Bewegungen durch das 
steife Zeremoniell, welches das Herkommen und die Instruktion 
ibnen vonobrieben, gehemmt. Die meiste Zeit verbrachten sie 
in den ihnen angewiesenen Oemfiohem. 

Hier, in ihrer Wohnung, wurden die Gesandten auoh bewirtety 
wobei an der Tafel regelmXrsig auf das Wohl des Zaren und des 
Zarewitsch, sowie aui dau Wohl des Dogeu Bertuccio \ alier ge- 
trunken wurde. 

Gleich am folgenden Tage nach der Ankunft der Küssen 
in Venedig erschien bei ihnen eine Deputation der in der Lagunen* 
Stadt lebenden Griechen. Es war die Zeili, da die unter ifirkisehem 
Joche seufsenden Griechen auf eine Befreiung ans demselben durch 

Bufslands Hilfe zu hoflen begannen. Nicht selten erschienen 
gfriochischc Mönclie iu Muskau als Bettler im grolseu Stil. Kon.stau- 
tinupei galt immer noch als die geistliche Metropole iiulslands. 
So oft auch in den folgenden Jahrzehnten russische Gesandte in 
Venedig erschienen, kamen sie sogleich mit den griechischen 
Emigranten in Berflhrung. Bussen und Griechen hatten gemein* 
same politische und geistliche Interessen'. 

Die Griechen, welclie dun ru-ssischen Diplomaten, Tschemo- 
danow und Posnikow, einen Besuch abstatteten, drückten ihre 
Freude darüber aus, dafs es ihnen vergönnt sei, ^^eines so groDsen 
orientalischen Zscen'* Gesandte, welche augleich Glanbensgenossen 
seien, zu sehen. Auch luden sie die Bussen ein, dem Gottes* 
dienste in der griechisdien Kirche beizuwohnen und die dort be- 
findlichen Beliquien in Augenschein zu nehmen: es werde ein 



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Eine russische Oesandtschaftsreise nach Italien (166^57). 147 

feierlicher Gottesdieust zu Ehreu des Zarcu Alexei stattfinden 
u. s. w. 

£rst etwa zwei Wochen später erschienen die russischen 
Modten in der grieohisch«n Kurche* Sie waren von einer Depu- 
tation Ton Orieehen in piichtigen Gondeln abgeholt worden. 
Sowohl die Ansitattang der Kirohe und die dort befindlichen 
Beliquien, als ancfa der Verlauf der gottesdlenstliehen Feierlichkeit 
werden im Rcisejournul der Moskowiter ftUöfuhrlich beschrielien. 
Es war ein Festgottesdienät zu Ehren des Zarou Alexei, welcher 
in der Predigt als ,,der Beschützer der orientHÜsclien Kirche", 
als „der Hort der Frömmigkeit", als ,|der Verteidiger und der 
Troat der ChriBten^S als MBesieger der (Toglünbigen'' gefeiert 
wurde. Der Geistliebe sprach in seiner Bede die Hoffionng ans, 
dafs der Zar als eine Sonne des Glaubens über dem Dnnkel des 
Ungi.iui/ens au%ehen, d. h. alle Feinde Gottes überwiiulfn und 
&\a zweiter Koustantin erscheinen möge, um die in ächunpllicber 
Sklaverei lebenden und viele Qualen ausstehenden Oriechen su 
trösten und zu befreien ; als ein aweiter Alezander von Makedonien» 
dessen Name und Böhm weithin bekannt seien, werde er die 
KosUm^ die Naohkommoi Hagars, besiegen n. s. w. 

Es war eine politische Demonstration , zugleich vielleicht 
aucli ein Mittel, von den Russen ein Geidgenchenk zu erhalten. 
Tschemodunow und Fosnikow zahlten sechs Dtikaten. 

An demselben Tage kamen einige griechisohe Geistliche und 

Eanfleute au den russischen Gesandten und unterhielten sich mit 

ihnen Aber die orientalischen Angelegenheiten. Sie ersShlten 

u. a^ dafs sie in Handelsgeschäften nach Konstanfiiiopel su reisen 

pflt'gttu und dort von den Türken gehört hätten, dafs diese den 

Zareu Alexei, welcher über die Polen glänzende Siege erfochten, 

sehr fürchteten ; auch habe man in der Türkei in alten Schriften 

die Propheaeihung von dem bevorstehenden Siege der Bussen 

Aber die Türken gefunden, so dafs jeden Augenblick der Angriff 

der Bussen auf KonstaDtinopel erwartet werde. Infolge dessen 

aber sei die Lage der Griechen in der Türkei eine um so schlimmere 

geworden; sie würden schwer bedrückt und mil'shandelt und ihre 

10* 



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148 i^^ino rassische Oesandtschaftsreise nach Italien (1650 — 57). 

einsige Hoffnung sei der Zar Alez<n, der sie ftut den Händen 

der Ungläubigen befreien wt-rde. 

Diese Stiniimingeu und Verliaitnisso lassen es begreitiich er- 
scheiseu, dafs die Griechen iu Vf iTf dig die Gelegenheit benatsten, 
den BuBsen sn echmeicheln. Die Beraohe der Qriechen wieder* 
holten Bich. Bf erschien n. s. ein griechiaeher Ketropolit. Es 
gab aach mancherlei BerOhnmg mit Abentenrem nnd Schwindlern. 
So bradiite z. B. ein Gh*ieche den rtueiBchen Gesandten das Porträt 
eiiiea (ler vielen falschen Prätendenten, welche in Kufsland aufge- 
treten waren und die öffentliche Sicherheit bedrohten , und be- 
merkte dazu, dafs ein ähnliches Büd sich im Bdsitse eines griechi- 
schen Q-eistiichen befinde« 

Eine merkwfirdige Illnstrstion zur orientalischen Frage lieferte 
folgende Episode: es erschienen eines Tages bei den russischen 
G-esandten mclit weniger als fünfzig Russen, welche ans türkischer 
Gefangeubchaft untÜohen waren und um ein Almosen baten; sie 
hatten, als sie nach Venedig kamen, von der bevorstehenden An- 
kunft der rassischen Gesandten erfahren und drei Wochen lang 
auf dieselben gewartet. Ihre Befreiung ans der Knechtschaft 
dankten sie den Siegen der Yenetianer, welche in den Seeschlachten 
(1656) bei den Dardanellen einige mit russischen Sklaven be« 
mannte Galeeren urobti t hatten. Diese Russen hatten auf den 
Werften und in den Arsenalen der venetianischen Republik 
Tagelühuerarbeiten au leisten übernommen. Sie berichteten eben- 
£Uls, dafs in den von Slaven nnd Griechen bewohnten Provinzen 
des türkischen Beiclia der Käme des Zaren Alexe! einen guten 
Klang habe und' dafs die Türken Sufoland fürchteten. 

Dabei ist zu bemerken, dafs es bis daliiu nocli nie einen 
unmittelbaren Zusammeuetors zwischen Rafslaud und der Türkei 
gegeben hatte, und dafs in der darauf folgenden Zeit bis zu den 
Siegen JCünnichs über die TürkeUi während der Zeit der Begiemng 
der Kaiserin Anna, die Bnssen nicht sehr glflcklioh mit den 
Türken kämpften, so dafs z. B. selbst die Eroberung Asows nur 
ein vorübergehender Erfolg war und selbst Peter der Gboise 
keine dauernden Vorteile errang. 



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Eine russiscbo Gesandtachaftsreise nach Italien (1650-57). 149 

KttIttrKoh 6fl wShrend des Verweilens der russischen 6e- 
sandtschaft in Venedig fortwuhrend Verhandlungen mit der vene- 
üanischen Regierung. Aber auch andere Bezithungen wurden 
angeknüpft. So z. B. erschien bei den Moskowitern der Sekretttr 
dee Beaidenten det Forsten von Uaatna und riohiete im Namen 
dee Ffinten eine Begrüftnag ans. Ferner machte auch der £ran- 
sösische Besident den rassischen Diplomaten einen Besnoih, welcher 
aber nicht erwidert wurde. Der letztere Uuistaiid erregte i»ciu- 
Ilches Aufsehen, so dafs Allx-rto Vimiiia bei Tschemodanow und 
Posnikow erschien und ihnen den Vorwurf machte, sie hätten die 
Pflicht der Höflichkeit verletzt, indem sie einen G^enbesuch 
nnterliefBen. Die mssischen Diplomaten entg^eten, sie seien 
nicht an einem Besuche heim firamsösischen Gesandten verpflichtet: 
es sei in Rofsland nicht Sitte, dergleichen Bücksichten an beobachten; 
uud so begnügten sich denn Tschemodanow und Posnikow damit, 
einen Dulmetöcher , den Polen Toporowsky , zum französiscliün 
Diplomaten zu senden und sich nach dessen Gesundheit zu er- 
kundigen. Itan war eben mssischerseits in jener Zeit sehr weit 
davon entfernt, die Begeln des »»savoir hue^ im allgemein-diplo- 
matischen Yerkehr sa beherrschen. Offenbar erklftrt sich die 
Verletzung der Höfliohkeitspflioht in diesem Falle TOmehmlich da- 
durch, dafs die mssischen Diplomaten für einen solchen Fall 
keinerlei Instruktion erhalten hatten. 

Eines Tages kam ferner der Besident des Fürsten von Parma ; 
ein andermal erschienen ein paar vornehme Herren ans Deutsch- 
land, deren Namen und Herkanfb in dem Beiscjonmal in so ent- 
stellter Form wiedergegeben sind, dafs wir dieselben nicht su 
enträtseln vermögen. Sie sollten geäufsert habeui sie seien mit 
dem Kaiser befreundet" und dessen Räte. 

Der päpstliche Nuntius hielt es nicht für angezeigt, den 
mssiechen Diplomaten einen Besuch zu machen« £r begnügte 
sich damit I sie dnrch Alberto Yimina fragen an lassen, ob sie 

•) „Ondrei Ermanussilivia Parzija" und „Iwan Ssivün Parzija" 
„(xrafen" atis der Stadt .,Toriza". welche „120 italienische Jüleiien** von 
Venedig entfernt ist. Denkmäler X. 1058. 



150 -^^"6 russische GesandUchaftsreiHe oach Italien (1666 — 67). 

anoh nacli Horn reisen würden: der Papst selbst habe befohlen^ 
sich darnach zu erkundigen. Die Gesandten erwiderten, dafs sie 
keinerlei Auftrag an den Papst, also keine Veranlassusg zu einer 
Heise nach Rom h&tten. 

Die Verhandlungen der nusisehen GeBandton mit der vene- 
iianiaohen Begiemng waren im weeentiicHen nicht erfolgreich. 
Ja, es gab sogar mancherlei ZwiacihenftUe. Die SehwerftlHgkeit 
des Zeremoniells machte sich bei jeder Gelegenheit geltend. Sehr 
bald nach ihrer Ankunft teilten venetianische Beamte den Russen ' 
mit| dafs der Doge an der Podagra krank liege und de nicht 
pendnlieh empfangen könne: die Oeaandten mfifsten vor dem 
GhrodBen Bäte eracheineui wo der höchste Beamte der Bepnhlik 
nach dem Dogen diesen vertreten werde. Die Gesandten pro* 
testierteu eiitschieduu : sie seien zum Dogen gesandt und müfstcn 
ihn selbst sehen und ihm das Schreiben des Zaren eigenhändig 
tiberreichen. Dagegen seien sie» wenn allem zuvor die Audienz 
stattgefunden habe, bereit^ mit den Staatsbeamten über die Ge- 
schifte 8U verhandeln. Im Verlaufe des Gesprächs deutete Alberto 
Vimina an, die Macht des Dogen sei beschränkt, er tHue eigent- 
lich nichts und wisse nichts. Sine solche republikanische Re* 
gieruiigsfürin st-and im argon Widorspfuche mit dem iimiKii ciiiachen 
Bewulstsein der russischen Gesandten. Sie eutgegueteu , dafs 
wenn nicht der Doge r^ere, wenn die Senatoren und Beamten 
alles thftten und von allem wfifsten, man die Staatspapiere nicht 
mit dem Kamen des Dogen, sondern mit den Kamen der rogie- 
renden Staatsmänner versehen rofisse. Auch wanderten sieh die 
Russen darüber, dafe manche Aroter nicht uiideiü üIö durch W ald 
und auf kurze Zeit besetzt würden. Bei dem Maugel an Staats- 
rechtlichen Begriffen in Rufsland zu jener Zeit, bei der unum- 
schränkt despotischen Macht der russischen Zaren, welche dem 
Bechtsbewulstsein ihrer ITnterthanen entsprach, konnte eine Er- 
örterung der staatsrechtlichen Verhältnisse der Kci ubllk Venedig 
leicht zu MifsverstSndnissen Anlafs geben. 

Während der Verhandlungen darüber, ob die Gesandten den 
Dogen selbst sehen würden oder nicht, erwähnte Alberto Vimina, 



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Eine ruuiache GeBandUoliaftsreise nach Italien (1656 — 57). 151 

dftfs auch er bei Gelegenheit seiner Gesandtschafthreise nacli lluls- 
and keine Audienz beim Zaren gehabt habe. Die Kassen stellten 
diesen Umetand nioht in Abrede, bemerkten aber, dafs Yimina 
nnr dnreli eigene Krankheit daran Terhindert gewesen sei, dem 
Zaren das Schreiben des Dogen persdnlioh in flberreieben, was 
allerdings der Thatsaclie entspraeh. 

Indessen erreichten die Russen ihr Ziel. Allerdings mnfsten 
sie die Genesung des Dogen abwarten; aber sodann konnte die 
Attdiens stattfinden. Doch gab es noch zuvor manche Schwierig- 
keit an überwinden. Alberto Vimina fragte die Gesandten nach 
dem Zweck ihrer MissioDy nach dem Hauptinhalt ihrer Instmktion. 
Bie Gesandten lehnten höeblichst entrüstet die Znmntnng ab, 
das Geheimnis ihrer Aufti agL schon vor der Audienz auszuplaudern. 
Es blieb dabei, dafs sie zunächst reinen Mund hielten , obgleich 
Yimina nochmals erschien und dringend vorstellte, wie notwendig 
es sei, schon vor der Audiena zu wissen, um welche Geschäfte 
awisohen Koskan nnd Venedig es sich handeln werde. Die Hussen 
Überhünften den venetianisehen Geeandten mit Vorwürfen: er 
wisse nioht, was politischer Anstond sei, er rede Dinge, welche 
dem ruliiurt'ichen venetianisehen Staate zur Schande gereichten, 
er wolle sie, die Diplomaten, in Versuchung führen, aufs Glatteis 
locken u. s. w. Vergeblich suchte Yimina die mifstrauischenf 
sich in allen Stücken unsicher fühlenden Diplomaten au beruhigen, 
Sie verweigerten Jede weitere AusknniL 

Als Vimina einige Tage später bei den Gesandten erschien 
und ihnen mitteilte, der Doge sei genesen und werde sie empfangen, 
suchten die KoRsen ihrerseits sich mi vercrewissern, dafs der ihnen 
zu bereitende Empfang ehrenvoll genug ausfallen werde; sie be- 
riefen sich darauf, dafs die Gesaadten des Zaren vom türkischen 
Sultan und vom Schah von Persien und von andern Kaisem und 
Königen mit besonderer Ausseichnung behandelt würden. Vimina, 
berichteten Tschemodanow und Posnikow in ihrem offiaiellen 
Journal . schwur hoch und teuer vor dem Bilde der heiligen 
Mutter Glottes, dafs die russischen Gesandten bei dem Empfange 
solche Ehren geniersen sollten, wie dieselben keinen andern 



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142 ^^ue russische Gesandtschaf tsreise nach Italiea (I606— 57). 
Diplomaten, den YertroterD oadarer Staaten 1 sn teil m werden 

Am 22. Januar (1. Februar) fand die Audienz statt. Ifit 
grofser Feierlichkeit wurden die Gesandten von Alberto Vimina 
und dreifsig KavaUeren in prächtig gesobrnttckten Gk>ndeln ab* 
geholt: die Sitae in den letzteren waren yon Samt, mit Gk>ld 
nnd Spitzen gesiert. Nachdem der Zug an der Piasaetta gelandet 
war und die Gesandten von dem Platze aus durch die „Porta 
deila Carta" in den Hof des Dogenpalastes zur marmornen ^Scala 
dei Giganti" geführt worden waren, beklagten sich die Diplomaten 
darüber, dafs der Doge sie nicht, wie die £hre dee Zaren er- 
fordere, am Fnfae der Treppe noch besonders empfange; man 
entgegnete, dafa dieaea nicht Brauch aeL IKe G-eaandten drückten 
nochmals ihre TJnanfriedenheit ans nnd behaupteten, dafs den 
Vertretern des Ziiren überall, auch beim »SulUiu und beim Schah 
von Persien, solche Ehre widerfahre. So gab es denn einigen 
Aufenthalt. 

Zn beachten ist der Umstand, dafs dieses Zwischenüsiiea in 
den Zeremoniellprotokollen ün ArdÜT za Tenedig nicbt erwihnt 
ist; wir wissen davon nur aus dem offiziellen Bericht dermss&schen 
Gesandten. Dafs aber dieser letztere nicht immer bnchstäblich 

den Thatsachen entsprach, ist aus mancherlei Einzelheiten zu er- 
sehen. Tschemodauow und Posnikow bemerkten, dafs die vaue- 
tianischen Beamten schliefslich zugaben, ein Versehen begangen 
zu haben, indem der Empfang der Gesandten durch den Dogen 
an der Treppe Tcrgessen worden sei Wir haben keinen Grund 
anzunehmen, dafs die Vertreter der Tenetianiseben Begiemng in 
der That eine derartige Entschuldigung vorgebracht hätten. 

Im Audienzsaal befanden eich der Dogo und die Mitglieder 
des Rats „in gewöhnlicher Kleidung*^, wie ausdrücklich im Zere- 
moniellprotokoll Teraeicbnet ist, ^) obgleich zuerst von manchen 
Seiten die Abaicht geünfaert worden war, die Bussen in grolaer 
Gala zu empfangen. 



Con le loro vesti ordinari cosi essende stato per consulta stabilito. 



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Eine roBUMhe GeBudtsohifljreue nioh Italien (im-«7). 153 



Taehamodanow hielt aeine Jäede in ruaaiacher Spnbche. Die- 
aelbe wurde ina Lateiniaelie flberaetst. Der aehr lange Titel 
dea Zaren erregte einigea Anfadien. Der Doge antwortete in 

italienischer Sprache ; aeine Worte worden zuerst ins Lateinische, 
sodann aus dem Lateinischen ins Kussische übersetzt. Hierauf 
überreichte Posnikow, welcher in den itaHentschen Akten nur 
als „Secretario^ bezeichnet wird, das an den Dogen gerichtete 
Schreiben, wobei er der Anweaenheit Alberto Yiminaa in Bn£i- 
lancl im Jahre 1655 erwühnte nnd von dea Zaren Bereitwilligkeit 
sprach, den Angehörigen der Bepnblik Venedig daa Bedit in 
Kuihlfind Handel zu treiben zu gestatten. Die Verlesung dea 
Schreibens Alexeis murütu vorläufig unterbleiben, weil dasselbe, 
als in roaaiacher Sprache verfafst, zuerst tlbersetzt werden niufste. 
Hierauf wurde von den Baasen dem Dogen einiges Bauohwerk 
als Geachenk flbenreioht. 

Tachemodanow aehenkte ein Schwamfachafell im Werte von 
50 Bubeln, 40 Zobelfelle im Werte von 200 Rubeln und ein 
Hernielinfell im Werte von 20 Rubeln; Posnikowe (xesclienk fiel 
geringer aus und bestand aus 2U Zobelfellen und einem Her- 
melinfell. Sowohl die Bossen als die Venetianer standen die 
ganse Zeit. 

Hierauf gab es einen Zwischen&ll, Aber welchen die italieniaohen 
und die mssisehen Akten in verschiedener Weise berichten. 

Im Zeremoniellprotokoll der Venetianer heiföt es, man habe 
den russischen Uesandten aufgefordert sich zu setzen und zwar 
zur Rechten des Dogen ; Viraina habe dem Diplomaten ausdrAok- 
licb erklärt» dafa es mit den Oesaodten aller groisen Potentaten 
so gehalten su werden pflege ; indessen habe Tachemodanow weder 
sich setaen noch sich bedecken wollen, so dafs auch der Doge 
und alle Anwesenden genötigt gewesen wären, während der ganzen 
Feierlichkeit stehen zu bleiben. 

Im ru8.si8ciien Bericht wird erzählt, Tschemodanow habci 
dasn aufgefordert, inr Bechten des Dogen Plats genpmmen, aber 
sogleich dnroh den Dolmetscher das Verlangen geatellti dafs auch 
Posnikow einen Sessel erhalte; als nun dieses verweigert worden 



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154 £ine ruwuohe OoMUidtachaftsreiie nftch Italien (1666-^7). 

sei, habe auch Tschemodauow sich erhoben und sei stehen ver- 
blieben. 

Efl war diese Epiiode offenbar die Folge einer gewiMon 
Unklarheit in der Stellung, welche Poenikow einnahm. Er war 
ein Hittelding awischen einem Qeaandten und einem Legations- 
sekretär. 

Zuru Schlüsse der Audienz versprach der iJoge, das Schreiben 
Alezeis übersetzen and ein Antwortschreiben anfertigen zu lassen. 

Sowohl in dem rnssischen als in dem italienischen Bericht 
wird bemerkt, dafs eine ungeheuere Henschenmenge dem Zuge 
der Gesandten sum Dogenpalaste und surfick bis su der Wohnung 
der Gesandten zuschauten. Bas Schauspiel, welches die russischen 
Diplomaten mit ihrem zahlreichen Gefolge, alle in bunter orien- 
talischer Tracht, darboten, war so eigentümlich, dais selbst vor- 
nehme Beamte, von dem zur Zeit herrschenden Maskenrechte 
Gehraudi machend und sieh herandrfingend, den Zug betrachteten. ^) 

Bas russische Schreiben des Zaren an den Bogen sollte nun 
flbersetzt werden^ aber die Vraietianer hatten niemand, welcher 
dazu Im stände gewesen wäre. So erschien denn \ iniuui bei den 
russischen Gesandten mit der Bitte , sio möchten durch ihren 
Dolmetscher, den Polen Toporowsky, das Schriftstück ins Lateinische 
fibersetzen lassen. Zuerst entgegneten die russischen Diplomaten, 
der Bolmetseher sei nicht dazu da, um die Gescfattfte der vene» 
tianischen Bepublik zu besorgen; alsbald aber, da sie einsahen, 
dafs leicht ein Aufenthalt entstehen konnte, und da Yimina drohte, 
dafs der Doge von dem hthalt des Schreibens gar keine Notiz 
nehmen könne, verstanden sich Tschemodanow und Posnikow 
dazu, eine lateinische Übersetzung anfertigen zu lassen. So konnte 
denn das Schreiben zur Kenntnis der ▼enetianisohen Begierung 
gelangen und beantwortet werden. 

Am 96. Januar (5. Februar) fand die zweite Audiens der 

*) AichlT in Venedig: „A questa fandone vi fit nomerosisdmo 
ooncorso di tutti gli ordini della Cittä et anco di personaggi pubblici 
dei piü qualificati, chi con il commodo della mascheria si portarono a 
sadisfare la propia curiOBiti." 



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Eine raniach« GosandtsohftftareiM oaoh Italien (1666^57). 166 

Gesandten statt. Man hatte zwar den letzteren mitgeteilt, die 
Yerhandlmigen dfirften nicht lange wihren, weil der Doge keine 
lange Sitsnsg vertrage. Die Bnmeo, welche dieaesmaly wie ans 
den 2eremoniellprotoko]len herrorgeht, beide safsenf erlftnterten 
die Betiehungen des Staates Ifoslcan sn Polen, Uagten lebhaft 
über alle die Rechtsverletzunpen, dereu sich die Könige Wladiiälaw 
und Jan Casimir gegenüber dem russischen Staate schuldig ge- 
macht hatten and berichteten von den groisen Erfolgen der 
nuHrischen Waffen , tod der Besetanng Tieler polnischer Städte 
durch die rassischen Trappen , sowie tob den Versvohen des 
Kaisers Ferdinandy den Frieden awisohen Bnfsland nnd Folen 
wiederherzustellen. Hierauf kamen die Gesandten auf die türkischen 
Angelegenheiten zu reden und lienierkten, der Zar sei ge^/i nwärtig, 
da er durch den polnischen Kri^ in Anßpruch genoaunon sei, 
nicht in der Lage, an einer Aktion gegen die Pforte teilzunehmen ; 
sobald aber der polnische Krieg ein £nde habor schlössen die 
Gesandteoi werde man gern bereit sein in einem Angriffsbflndnis 
gegen den Feind der Christenheit. Der Doge antwortete, indem 
er dem Wunsche Ausdruck gnb, der Zar mö'^G rechtzeitig meldeu, 
wenn er in der Lage sei, die militärischen Operationen gegen die 
Türken zu beginnen. 

Am 30. Januar (9. Februar) sollte die dritte Audiens statt- 
finden. Noch immer wufste man in Venedig nichts Ton dem eigent- 
lichen Zweck der Oesandtschaftsreise der Moskowiter. Indessen 
hatte man sehen eine Ahnung davon, dafs es sich um Subsidien 
für den polnischen Krieg handeln werde. Tags zuvor, elie die 
dritte Audienz stattfand, erschien Alberto Yin^ina bei den Ge- 
sandten und suchte sie äber den eigentlichen Inhalt ihrer Auf- 
träge aussuforschen; er sagte dabei, dafsp wenn die Bussen um 
Geld bitten würden, sie nicht viel Ehre damit einlegen könnten. 
Die russischen Diplomaten fragten betroifen, woher er denn wisse, 
dafs sie um Geld bitten wollten ; Vimina erwiderte, es sei dieses 
seine eigene Vermutung. Im übrigen weigerten sich Tschemodanow 
und Püsnikow abermals ganz entschieden vor der Zeit, d. h. nicht 
in feierlicher AudienSi weiteres ftber ihre Instruktion mitsuteüen. 



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156 russische QesftQdtschaftsreisG nach Italien (1656 — 57). 

• Bei der .Vudiunz vom 30, Jiinuar schilderten die GesuLdtca 

E.iiislaudB Beziehungen zu Sclnvedeii ; sie klagten bitter über die 
fiaudliingsweise des Königs Karl Gustav und erläuterten ein- 
gehend, ivie ee mm Brueli swiaohen Schweden und Polen ge- 
kommen eeL Dabei wnrde dam scUie&lich die Bitte um Gteld 
vorgebracht: die yenetianisehe Begiernng solle dooh so viel Thaler 
nnd Dukaten geben, als sie könne, nnd zwar schneUmdglichBt : 
der Zar wurde darüber quittieren. 

Offenbar bot die fremde Sprache bei den Yerhandlungeii 
grofse Schwierigkeiten dar. Man sagte den Bussen, man werde 
auf ihr Anliegen spAter antworten and sonichst alles von ihnen 
Vorgebrachte flbersetien lassen. Es erschienen nach der Atidiena 
bei den Gtesandten Alberto Yimina und ein Geheimschreiber, um 
alles von den Bussen bei der Audienz Vorgebrachte noch einmal 
zu hören und sich verdolmetschen zu lassen. Die Gesandten ent- 
sprachen der Aufforderung sogleich und wollten sodami die Ge- 
legenheit benutsen, um durch die Beamten der venetianischen 
Bepublik genaue Angaben Über die Titel des Kaisers, der Könige 
von Frankreich, England, DSuemark, Polen und Schweden u. s. w. 
zu sammetn. Yimina konnte ttbrigens der Bitte der Bussen nicht 
ents|.reclien, weil, wie er sagte, die genauen Angaben über die 
im interuationalen Verkehr üblichen Formalien nur den Akten 
des Archivs der Hepublik entnommen werden könnten. 

Ein paar Tage später kam Yimina wieder su den Gesandten 
und fragte, ob sie die Subsidien erbeten hatten, damit der Zmp 
in Stand gesetst vrürde, gegen die Türken Krieg au führen. Die 
Anfnge erregte die höchste Entrüstung: die Oesandten gaben 
ihrem Erstaunen über das Unziemliche einer solchen Anfrage 
Ausdruck; nicht um des Geldes willen, sondern um die recht- 
gläubigen Christen aus dem Tttrkei\joche au befreien, werde der 
Zar seine Truppen in den Kampf senden. Sehr gereiat fragten 
Tschemodanow und Posnikow, ob Yimina von sich ans so vor- 
witsig frage oder daau von der venetiaauBchen Bepublik beauftragt 
sei. Nach einigem Zögern erklärte Yimina, er habe aus eigener 
Initiative seinen eigenen Gedanken Ausdruck gegeben. 



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Eine russische GesandtschAftsreise nach Italien (1666 — h7). 157 

Tn einer Audionz, am r>. (10.) PeLrnar, wurde nun den Ge- 
sandten der Eutwtiri des Antwortschreibens des Dogen an den 
Zuren fibenreioht: Der Doge sagte darin, er habe mit grofaer 
Teilnahme Ton dem Konflikt swiaohen Bnfaland etneraeits tind 
Polen nnd Sohweden andrerseita gehört; heaonden erfreolioh sei 
die Berdtwilligkeit des Zaren^ den Kampf mit den Türken anf- 
zunehmen. Der gegenwärtige Zeitpuükt sei dazu selir geeignet, 
weil die Türkei durch den Kampf mit Venedig in Anspruch ge- 
nommen sei und man daher bei einer durch die Donischen Ko- 
saken sn nntemebmenden Diversion mit ZaTersioht auf Erfolg 
reohnen könne, Inbetreff des Bjiuptpnnktes erfolgte eine ent- 
schieden ablehnende Antwort; die Bepnblik Venedig, sohrieb der 
Doge, führe nnn sdion dreisehn Jahre hindurch Krieg gegen die 
Türken und da sei sie denn nicht in der Lage, der moskowitischen 
Begierung mit einer Anleihe oder Subvention auszuhelfen. 

Es gab sodann noeh ein paar Sitzungen, an denen der Doge, 
wegen Krankheit oder wenigstens Krankheit vorschütaend, nicht 
teilnahm. Als die Reinschrift der Antwort angefertigt werden 
sollte, verlangten die mssischen Oesandten von derselben, ehe 
sie versiegelt wurde, Einsicht zu iiuhmcn. um sich davon zu über- 
zeugen . dafs der Titel des Zaren ganz genau wiedergegeben 
worden sei. Am 20. Februar (2. März) brachte Vimina das 
fertige Schreiben den Gesandten mit dem Bemerken^ der Doge 
sei krank nnd kdnne keine Abachiedsandiens erteilen. Tsdiemo- 
danow nnd Posnikow brausten anf : sie konnten das Schreiben 
nicht anders als ans den Hfinden des Dogen selbst entgegen^ 
nehmen. Vergebens stellten die venetiunischen Beamten den 
russischen Diplomaten vor, dafs es in Venedig durchaus liegei 
sei, derartige Antwortschreiben nicht in öffentlicher, feierlicher 
Andiens zn überreichen, sondern in der Wohnong der Oesandten 
absageben. Die Sassen antworteten, dsis alle derartige Präze- 
denzfälle fftr sie gar nichts bedenteten nnd dafs sie an ihre 
Instruktionen inbetreff solcher Etikettefragen gebunden seien. 
Sie wufsten wohl, dnfs in Moskau jede Aliwciciiung von den nach 
dem Herkommen der russischen Diplomatie zu beobachtenden 



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158 -Bine russiacbe (iesandtscliaftai-eise uach Italien (I696 — 57). 

Formen mit Folter und Knute, Gefängnis und Yeritumung be- 

btiiilt zu werden pflegte. Kein \\'uiider, dafa sie cigpiisinnig auf 
ilirem Stücke bestaudeu, so dais die venetianischen Beamten mit 
dem aasgefertigten Sohrift«tück heimkehren mufHten. Aniaer- 
dem hatte noh heramgestellty dals in dem Titel dea Zaren in 
dem Schreiben des Dogen ein Uebes VerBohen eioh eingesehliohen 
hatte, und ao bestanden die Gesandten darauf, daJs das ganze 
Dokument noch einmal geschrieben werde. Die venetianischen 
Beamten waren höchlichst unzufrieden uiid sagten den russischen 
Öesaudten, sie hätten den Dogen und den groXsen Kat schwer 
gekränkt; die ganse Stadt sei Zeuge davon gewesen, wie die 
Urkunde, statt Ton den Diplomaten entg^ngenommen worden su 
sein, wieder su dem Dogen sorflckgetragen wurde* 

Man mnfste sich fügen: der Doge gewährte den Bussen eine 
Abscliiedsaudieuz. DieseDie tand am 23. Februar (5. März) statt. 
Es fiel auf, dais die Mu^kowiter bei dieser (üelegenlieit betsoiiders 
höflich und ehrfurchtsvoll ihren Dank für den freien Unterhalt 
ausdrückten. Sie verbeugten sich dabei sehr tief und legten ihre 
ICfltien auf den Boden, *) Es gab snm Schlüsse einen Austausch 
höflicher Redensarten. Der Doge betonte nochmals, er hoffe» 
dafs der Zar der venetianischen Bepublik im Kampfe gegen die 
Türken beistehen werde. Beim überreichen den Antwortschreibens 
soll denn noch, wie der russische Ge^audtschaftsbericht hervor* 
hebt, der Doge gesagt haben, alle Schreiben an andere Staaten 
würden mit silbemen Siegeln versehen, aber das Schreiben an 
den Zaren Alezei trage ein goldenes Siegel. 

An den folgenden Tagen wurde Aber die Formalititen der 
Abreise und das Geleite verhandelt. Vimina SoU die Gesandten, 
wie sie in ihrem Berichte erzählen, noch zum Scblusse zu einem 
Abstecher noch Rom beredet haben, da der Papst sie zu empfangen 
wünsche u. dergl. m., worauf denn die Bussen nochmals erwider* 

') Archiv /u Venedig, „inohinandosi e diponendo a terra i loro 
barottoni". Almlich in dem vom Sekretär Bon unterzeirhnefen Pro- 
tokol] .i( I Audienz, wo alle Kedeu reproduziert Hiud, ebenfalls im Archiv 
zu Venedig. 



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Eine russische Gesandtschaftsreise nach Italien (1666—57). 159 

ten, sie hitten keiiieti AuftrAgri P*ptt su bmehen und ohne 

eineu solchen sei an eine derartige Reise nicht zu denken. 

Am 1. (11.) März verliefBen die Gesandten Venedig, wo sie 
am „Canale grande" in der ,,0a8a Grimani'' ') gewohnt and zu. 
ihrem Unterhalte tlglich 25 Goldstücke erhalten hatten. 

Von dem Tage der Abreiae der Bossen ans Venedig 
(1. Kärs) ist ein Schreiben datiert, welches Tschemodanow an 
den Grofsherzog von Toskana richtete und welches sich im 
Archiv zn iorenz befindet. Es ist in lateinischer Sprache 
verfaist, mit der eigenhändigen russischen Unterschrift Tschemo- 
danowB versehen und enthält erstens den in demütigen Aus» 
drücken dargebrachten Dank für die gute Aufnahme» welche der 
Groisheraog den russischen Gesandten gewShrt hatte und sweitens 
eine Empfehlung des Dolmetschers Johann Sachs, welcher in die 
Dienste des Grofsherzogs zu treten wünschte ; dem »Schreiben war 
ein Hernielinfell für den Grofsberzog und ein ebensoiches für den 
Bruder desselben, Leopold, beigefügt. 

Johann Sachs, welcher sich in ein paar Schreiben an den 
GroJshersog ans Venedig ^Tonente Giovanni Sachxy di Austria'* 
unterzeichnet, galt in LiTomo und Venedig, wie aus manchen 
Anfserongen hervorgeht, für einen unbedeutenden, unerftJirenen 
und auch der italienischen Sprache nicht vollständig mächtigen 
Mann. ^) 

Aus Venedig schrieb Sachs an den Grofsheraog über die 
Verhandlungen der russischen Gesandten mit der Tenetianischen 
Begierung ; hier hieb es nun doch, dals der Zar um Geld gebeten 
habe, um su einem energischen Vorgehen gegen die Türken rüsten 

') Es g^ibt am „Canale graade" zwei ..Fal. (Trimani", Haus- 
nummer 30 auf der linken Seite im sansoviueäkeu Siil , und auf der 
rechten Seite Haasnnmmer 41, ein prächtiger, von Michele Sanmichele 
ca. 1660 erbauter Palast, wo sich jetzt das Appellationsgericht befindet. 

^ So s. B. achreibt man aus Livomo am 1. Januar 1667 „Questo 
tenente, come V. A. verra, e ancora lui poco atto u (juesto mestiero" 
(eines Dolmetschers). In einem Schreiben aus Venedig heifst es von 
Saclis. er sclieine ..diffienlta d' intelligenza'* ZU haben und doch müsse 
mau mit ihm verhandeln u. s. w. 



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160 Eine russiBcbe OesandtBchafitraite haoIl Xta]i<m (16fi6 — 67). 

stt kSnnen, indesBeii sei die Antwort dei Bogen ablebnend aus- 
gefallen t Htm könne kein Oeld gehen, hoffe aber, dafs der Zar 

mit eigenen Mitteln den Krieg gegen die Türken führen werdi-. 
Zum Scliliipse erl)ot sich Sachs noch zu ferneren B/eporterdienBten. 

Alle diese Korrespondenzen enthalten den Beweis, dafs in 
Italien das Eraoheinen der mssischen Diplomaten an verschiedenen 
Punkten der apenninischen Ebdbinsel ein lebhaftes Interesse 
erregte. Es entstand die Hoffnung, dafs der Zar ein nfiltslicher 
Bundesgenosse im Kampfe gegen die Türken sein werde. Von 
einer Diversion der Bussen, welche die Tataren und Türken im 
Osten angreifen konnten , erwartete man einen grofsen Erfolg. 
Man überschätzte bei dieser Gelegenheit die Kriegstüchtigkeit der 
Moskowiter; die sogenannten Tschigirin-Feldxüge 1677 — 78, die 
Feldsfige Oolisyns in die Krim 1687 nnd 1689, ja selbst die 
AsowBcben Feldzüge Peters des Grofsen 1695 und 1696 sollten 
zeigen, dafs Kufsland erst, etwa in ferner Zukunft den Türken 
sehr gefährlich werden konnte ; zuniiclist staud der Staat Moskau 
zu sehr aufserhalb Europas, als dafs er an militärisdier Aus- 
bildung nnd Erfahmng sich mit den hdher aiTilisierten sonstigen 
Gegnern der Pforte 20 messen vermoeht hätte. 

Und gerade das Erscheinen nnd Anftreten der russischen 
Gesandten in Italien war geeignet, darsnthnn, dafs Knfsland noch 
sehr viel zu lernen hatte. Wir haben gesehen, welches Aufseljen 
die Roheit und Unwissenheit der Moskowiter sogleich in Livorno 
gemacht hatten. Die Schreiben Antonio Serristoris und anderer 
Beamten enthielten eine Beihe von Anekdoten, welche die Un" 
bildnng nnd Fremdartigkeit im Gebahren der Bnssen iUnstrierten. 
Ihre Btreitsnobt und Kleinlichkeit, ihre Taktlosigkeit nnd ihre 
Geneigtheit zu nuincherlei Exzessen liatten den Spott der fein- 
gebildeten Italiener erregt. Ihr orientalisches Kostüm hatte der 
Schaulust des gaffenden Pöbels zum Objekt gedient. 

Für die Zeit des Aofenthaltes der Bnssen in Florenz und 
Venedig fehlt es nns an einer solchen Quelle, welche in dem 

'j „Che lui potesse eon lo uiagiori forze anUar luvadtr lo stado dcl 
gran Turco per terra e anche par mare quanto piü sarebe posaibile." 



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Kiue rusaischc GesandtschafUreise nach Italien (1666 — 57). 161 

Mafse umstÄndlich, wie die Berichte Serriatoriß, die Wirkung 
veranschaulicht, welche die russischen i>ij)lomaten in Florenz und 
Venedig übten. ludeasen gibt es hier uud da Andeutungen 
darüber, dafa die in Livoriio über die Eiumd gefällten Urteile 
Yon den Äufsenuigen anderer Beobachtungen in Florenz und 
Venedig in allen Sttteken beatfttigt wurden. 

So z. B. schreibt Botta in eeiner „Storia d' ItaUa*'» 
Venedig habe die Ankunft der nioskuwitischen Gesandtschaft sehr 
unterhaltend gewirkt, Tschemodauow liabc nur russisch gesprochfu 
and sei in der wunderlichen Tracht seiner Heimat erschieoen. 
Man erzählte eich, der Gesandte habe gefiragt, ob nicht die Wogen 
der Lagunen bei der Ebbe und Flut die FSueer Venedigs mit 
sich fortsubewegen Termöchten, als könnten so gewaltige Bau- 
werke schwimmen, wie Beegras ; man sprach femer davon, dafs 
Tschemoilaiiow im Theater die Dekorationen betastet lial)e, utu 
aicii davon 2&u überzeugen, dafs es sich nicht um wirkliche Objekte, 
sondern um Bilder handle. 

In Venedig befand sich cur Zeit der Anwesenheit Tschemo* 
danows nnd Fosnikows in dieser Stadt ein SQdslave, Jurq £ri- 
shanitseh, welcher etwas später nach Bufsland kam und eine Beihe 
hochbedeutsamer Schriften über Bufsland Terfafste. Er schildert 
in seinen Aufzeichnungen, welche nur zum Teil herausgegeben 
worden sind, den überaus peinlichen Eindruck, welchen diese 
russischen Gesandten in Italien überhaupt und auch in Veuedig 
hervorbrachten. Die barbarische, asiatische Kleidung, die Un- 
kenntnis anderer Sprachen, die TTnbeholfenheit des Auftretens 
der Bussen im Auslände erschienen dem hochgebildeten Südslaven, 
welcher jahrelang in Rom gelebt hatte, die Welt kannte und 
sich durch vielseitige Kenntnisse auszeichnete, so kUigiich. dafs 
er seiner Überzeugung Ausdruck gab, ituisiand thäte besser, gar 
keine Gesandten ins Ausland zu senden, als sich durch derartige 
diplomatische Verbreter sum Gegenstände des Spottes und der 
Verachtung der Welt zu machen. Krishanitsch sehreibt: »In 

*) Ob Tscbemodanuw uud Posaikow im Thf ater geweaen sind? Im 
Ilei«5ciournal ist keine Andeutung darüber zu liudea. 

11 



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162 Sine roMische Gemndtsohaftnreiae nKcb Italien (1666—67). 

Venedig pflegten yiele Edellenie, in Hasken, nm nicht erkannt 
am werden, soznaoliaaen, wenn die Geeandten bei der Tafel waren; 
es wurde dabei herslich über die BoBsen gelaebt; es ist nicht 

zu sagen, wie schmachvoll sich die letzter n iabei benahmen. 
Dazu waren sie, weil der "Wein in diesen Oegeuden so wohlfeil 
ist, fast immer betrunken. Oft erschienen bei den Russen Fraaen- 
simmer von schlechtem Enfe, worüber natttrlich allgemein ge- 
spottet wurde; man ▼eraohtete die Bossen.... Während des 
Aufenthaltes der Bussen in Florens erschienen in den Zeitungen 
die schlimmsten Schmähartikel über die Russen, man sprach da 
von ihren unförmlichen Händen, von ihrer ITnreinlichkeit, von 
dem üblen Geruch, den sie verbreiteten, von ihren schlechten 
Manieren bei Tische, von ihrer Unflätigkeit, von ihrer Armut, 
▼on ihrer Geneigtheit su Ausschweifungen, von ihrer Betrunken* 
heit u. s. w.^) 

*) Aus den ungedrackten Partien der Schriften Krishanit^ehs in 
der Abhaudlunfr Bessonows über diesen in der Zeitschrift „Pravoslav- 
noje Obosrjenic", Ufo^skan 1870. November S. 648 — 650. — Siehe femer 
Krif>bnuit8cli9 Mittrilun^cu in dessen von Bessonow horau^fjtL'jjfcbenpn 
.Scliriftcn, ßd. L, S. 148 ff.: „Den Ausländern lUlU unser Auf-^fTcs mif. 

Wir haben keine feinen Sitten und Hanicren Der König von 

Danemark hat gesagt: Kommen noch einmal russische Gesandte zn uns, 
so werde ich sie im Schweinestall wohnen lassen, weil da, wo sie ge- 
wohnt haben, vor lauter Schmutz niemand wohnen kann. In einem 
andern Lande stand von unsem Gesandten in der Zeitung: Wenn die 
Gesandton in Hnon Lachen pfingen, um iloit etwas zu kaufen, so kann 
vor Gestank eine Stunde hiiif^ niommid in dem Luden bleiben. In einer 
Stadt liefsen sie in einem Gasthause zuni Uoldenen Üchfien einen lürcbter- 
licben Schmutz zurück u. s. w." Diese Aulaerungeu werden auch ander- 
weitig bestätigt Als russische Gesandte in Iiondon geweilt hatten, 
stellte sich bei ihrer Abreise heraus, dafo die Wohnung, in welcher sie 
gewohnt batten, forchtbar verunreinigt war und dab sie die Möbel total 
verdorben hatten. Siebe die Auszüge aus den Akten in SsolowjewS 
Geschichte Rufelands Bd. XII. 241. Von sexuellen Exzessen russischer 
Diplomaten in Per*!iün, in Wien, in TTaniburpr, in TTidland ti. s. w. finden 
sich in Ssolowjews Werk zahlreiche Angüben. I ber die Betrunkenheit 
russischer Gesandten in Sioekholm 1608 siehe l*etreju8, Historien und 
Bericht von dem Grufslürstentum Mu$chkow, S. 598, und Olearius 
(Anigabe von 1668), 8. 195. Der Ant Alesieis, CoUins, (Present state 
of mmia 1672, oap. 28), findet die Tracht der Rumen liKoherlich. Vgl. 



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Eine ruuisclie Gesandtachaltsreise nach Italien (1656 -57). 163 

Bei alledem aber hatte das Erschoinen dt-r russischen Ge- 
•aodten in Italien eine gewisse politische Bedeutung. Unmittelbar 
nach ihrer AbroM Ton Venedig sollen, wie Krishanitsch erzählt, 
in den Zeitungen Gerüchte von einem viel Erfolg yerheilsendeD 
Bfindnis mit dem Steate lEoskea verbreitet worden sein: msa 
ersfthlte, der Zar werde sogleich eine Armee von 100000 Miuin 
gegen die Pforte abseudeu u. s. w. 

Mekreisc. 

Die Seise der mssisehen Gesandten von Venedig bis naeh 
Moskau wShrte von Anfang Kün bis Ende Angnst, also nahesn 
ein halbes Jahr. Die Bonte ging snnächst Aber Treviso und 
Bassano nach Trient. An der Grense des venetianischen nnd 

kaiserlichen Gebiets gab es einigen Aufenthalt und Streit, wfil 
die Küssen sich anfangs weigerten, den üblichen Zoll zu erlegen. 
Der , Bischof von Trient bereitete den Hassen einen festlichen 
Empfang: er schickte ihnen Wagen und Reitpferde entgegen; 
es gab einen prächtigen Einsug in die Stadt, wo eine Wohnung 
fttr die Breisenden hergerichtet war und sie fürstlieh bewirtet 
wurden. In ihrem Reisejournal erzählen die Gesandten, man 
habe sie überredeii wollen, eine ganze Woche' in Trient zu ver- 
weilen, aber sie hätt< n darauf bestanden weiter zu reisen. Von 
Trient bis Bozen wurde die Heise auf der Etsch und Eisach in 
Booten fortgesetst, sodann gab es wieder Wagen ; aber weil es an 
Geldmitteln fehlte fttr die ganze Beisegesellschafb Fuhrwwke zu 
mieten, ging der gröfste Teil des Gefolges der Gesandten zu 
Pufse neben den Wagen her, wobei einer der Dolmetscher, Jja/.arus 
Ziuiiueruiann, desertierte und nicht wieder auf^'efunden wurde. 
In Innsbruck, wo die Keisenden beim Statthalter ebenfalls eine 
freundliche Aufnahme fanden, erfuhren sie von einigen, den Zaren 
betreffenden Zeitungsnachrichten, Alezei befinde sich an der 
polnischen Grenze, habe mit Schweden noch nicht £Vieden ge* 

meine Abhandlung: nEin Kleiderreformprojekt vor Peter dem Groben" 
weiter unten. 

11* 



Iö4 i^iut; russische ücsaudUcbaftsrcisc uach Italien (1656-57). 



mftcht n. 8. w. Es sollten in Innsbrack sn Ehren der CKesandten 

allerlei Bolustitjiiiigeii veranstaltet werden, aber die Uussen er- 
klärten, dal's nach dem rusäischen Kaieoder die „stille Woche^ 
aahebe und dafs sie infolge dessen an keinerlei Lustbarkeiten 
teilnehmen könnten, auch ohnedies ihre Beise fortsetsen mfifsten. 
Kaum hatten die Gesandten Innsbrack verlassen , so entliefen 
abermals drei Personen von der Dientffschaft; ein«* der •Ent- 
flohenen wurde wieder eingefangen. Offenbar hatte die sohleclite 
Behandlung die Leute zur Flucht getrieben, t^her Partenkirchen 
(im Journal „Pantikejew*^) und Landsberg ging es dann weiter 
nach Augsburg, wo der Gesandtschaftsgeistliche an einem Schlag- 
anfall erkrankte und starb. Er wurde, da es keine griechische 
SLirehe gab, ohne Sang und Klang bestattet, 

In Augsburg erzählte man den Russen, der römische Kaiser 
Augusluij liubtj die .Studt gebaut; iiiiin zeigte ihnen auch ein 
Standbild, welches den Kaiser auf einem Greif reitend, mit einer 
Keule in der Uand, durstellte, lilbendort bewunderten die Roisen- 
den die herrlichen ICanufakturwaren und Metallarbeiten , Waffen 
und G-eföfse, welche damals beliebte Handelsartikel waren. Nach 
yiertägiger Bast wurde die Beise fortgesetzt; die Bussen kamen 
über Donauwörth (im Journal „Doneberg") und Nördiingun 
(„(jrroüeneten"), an wclcli letzterem Orte mau ilmea von der 
Schlacht (G. September IÜ34) erzäblte, in welcher die Schweden 
unter Bernhard von Weimar eine Niederlage erlitten hatten. Im 
Beisetagebuche der Bussen ereignete sich ein tfifererstandnis: sie 
bemerkten, hier sei der König Ghistav Adolf ge&llen: eine Yet* 
wechselung mit Lützen. 

Weiter sind iui liciüutagebuche als Stationen genannt u. a. 
Dinkelsbühl („Tinilschlil"), Mergentheim („Mergestar^), Miltenberg 
(„Meldebort«), Seligenstadt („Selgostat«) und Frankfurt («f'rank- 
fokr**), wo der Bat den Beisenden gegenüber die Honneurs machte 

') So Iterichten die Gssandten. Erishanitsch wollte wissen, der 

Geistliche sei nicht gestorben, sondern ebenfalls entlauien. Er bemerkt 
dazu, (IcT Mann sei Hehr ausschweifend gewesen. Man erinnere sich der 
Bestraiung des botruukeneu Popen durch Tschemodaoow in Livomo. 




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Eine nuaucho OesandtoohaflneiM noch Italien (1666—67). 165 

and vier Tage geraatet wurde, weil Fahmseuge zur WeiterreiBO 
nach Holland gemietet werden mnfsten. 

Weiter reisend, lehnien die Gesandten die Einladung des 
KniArsten von ICains ab in dieser Stadt (im Jonmal „Heti*) m 
weüen. Wie weit die geographische oder besser orthographische 
Konfusion im Beisetagebuche geht, ersieht man daraus, dafs von 
Bingen oder dem „Binprer Loch", als von „Penerlechte" und 
qSpinerlocht*', von dem Mainzer Kurfürsten, als von dem Fürsten 
von „Muntua*' die JEtede ist und bemerkt wird, dafs bei Bingen 
der Flnls „Begiig;att** in den Bhein falle — offenbar eine Yer* 
weehseinng des Fleckens Bingerbrück mit der Nahe. In derselben 
W«se wird weitenrerballhomt: Lahnstein heifst „Ponstep**, 
Kaiserswerth „Kesheschwet", Bonn „Tarhou" oder „Tambon" 
u. dergl. m. 

Bei Amheim an der holländischen (irenze kam es zu einem 
nnangenehmen Zwischenfall: die Beisenden worden mit Bteinen 
beworfen. Ihre bei der Örtlidien Obr^fkeit vorgebrachte Klsgo 
blieb erfolglos. Es kann sein, dafs die Bussen die Ablieben 
Zölle sa sahlen sich iireweigert hatten nnd dadurch einen Aufent> 
halt und Streit veraüiafaten, wie dieses u. a. auch in Mergentheim 
geschehen war. 

Ende April trafen die Russen in Amsterdam ein. Hatten 
schon anf dem Wege dorthin die yersohiedenen Kanalbanten nnd 
Schleusen einen grolsen Eindruck «uf die Beisenden gemacht, so 
gab es Ton Amsterdam erst recht -viel im Beisetagebnche su er- 
zählen : die Stadt habe keine Ifauem , nur hier und da gebe es 
Turme , und am Fufso der letzteren befauden sich Läden mit 
allerlei Waren. Die Kanäle in Amsterdam, die Baumreiheu, mit 
denen die Ufer dwselben bepflanzt waren , die vielen steinernen 
Brocken, der stattliche mit sahUosen Schiffen bedeckte Hafen erregte 
das Staunen der Bussen. 

Li Amsterdam wiederholte sich, was in Livomo stattgefunden 
liatte. Die Kaufleute, welche Handelsverbindungen mit Archangelsk 
])flegten, hielten es ihrem Interesse eiitsj)r('cliend, die Keise der 
russischen Diplomaten zu fordern, ihnen gegenüber die Honneurs 



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166 Ein« nunsohe GdMUidtachafttreise naoh Italien (1666—67). 

zu machen. Ein hollandischer Handelsherr, welcher auch in 
AoIslaDd geweilt hatte» kam den Beisenden, noch eh6 sie Amster- 
dam eiieiGht ,hatten| entgegen und riefatete an sie n. a* die Frage, 
ob sie ein Schreiben an die Generalstaaten mitgebracht bitten. 
IKe G^eaandten Terneinten die Frage nnd bemerkten» daÜi sie nnr 
wie zufällig in den Niederlanden erschienen seien , um von dort 
ana zur 8ee nach Archangelsk zu reisen , da der direkte Land- 
weg nach Moskau durch den polnisch-rusaiachen Krieg gesperrt sei. 

Sodann wandten sieh die Bussen an einige hollindiaohe 
Handelsberren, welche bei ihnen som Besncbe erschienen, mit der 
Bitte, ihnen Schiffe fttr die Überfahrt nach Arohaogebk in mieten, 
weil ihnen aelhat, den Russen, alle Geachäftskenntnia nnd Er> 
fahrung in solchen Dingen fehle und sie gewifs dabei Übervorteilt 
werden wiirdeu. 

Die Kaufleute sorgten dafiir, dafs die Gesandten eine Wohnung 
erhielten nnd feetUch bewirtet wurden. Bei Tisdie wurden die 
flblibhen Gtesnndheiten ausgebracht , wobei die Bnsaen, wie im 
Jonmal sn leaen ist, „anf das Wohl der holländiscben Staaten, 
der Generale und dos Fürsten (sie)"* trunken. 

Alsbald wurde auch ein Schiff für die (überfahrt nach 
Archangelsk gemietet ; der Preis betrug 1 10 Bubel. ^) Es gab 
noch ein feierliches Mahl, welches die. Vertreter der Begiemng 
den Gesandten sn Ehren yeranstelteten. Sodann wurde ihnen 
ein Schreiben der Generalstaaten an den Zaren flbermcht und ' 
am 4. Mai gingen die Reisenden an Bord. Erst am 20. Mai 
stach man in See und am 25. ,Tuni erreichte das Schiff die 
Mündung der Dwina. Die J<^ahrt hatte nur 5 Wochen gedauert. 
Die Beise Ton Archangelsk nach Moskau nahm lüngere Zeit in 
Anspruch. Kacb einer Abwesenhmt tou über fttnfaehn Monaten 
waren Tsohemodanow nnd Posnikow wieder daheim und konnten 
nun im Auswärtigen Amt von dem Erfolge oder, beeaer gesagt, 
Mifserfolgo ihrer Gesandtschaftäreise Bericht erstatten. — 

*) Da ein Tsrliütwert. Kojrj^'en damals ' ^ Ruhcl kostete, während 
jetzt derselbe mit 7—8 Rubel b<'zahlt zw werden pHr'fjt, so wäre dieser 
Preis von 110 Kübel, um die Summe in heutigem (ielde ausxadrücken, 
titwa mit 15 zu multiplizieren. 



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Eine roituche GetaadtsohAftareiM nAoh Italien (1666—67). 167 



Die Haaptbedeutung dieser and ähnlicher rusaischer Gesandt- 
schaftsreisen im Zeitalter vor der B^erung Petera des Gbrofsen 
ist nicht auf poUtiscbem 0abiete sn sueheo, Wenn man bedenkt, 
dafs es für die Bussen in jener Zeit gar keine sonstigen Motive 
sn Beisen nach Westeuropa gab, so wird man den Beisen ms- 
sischer Diplomaten eine gewisse zivilisatorische Wirkung nicht 
aijsprecben können. Während im achtzehnten Jahrhundert die 
Bussen der vornehmen Kreise aus eigenem Antriebe und als 
Tonristen in grofser Zahl ins Ausland reisten^ die Sprachen der 
westenn»p8ischen Länder, insbesondere das Pranadsisohe be- 
hemchten, üch dorcfa Sitte nnd Tracht, durch Lebensart und Ver^ 
stSndnis für hdheren Lebensgenofs kaum ron den Vertretern der 
vornehmen Geselläcliaft Frankreichs, Englands, Italiens u. s. w. 
unterschieden, war das Erscheinen von Moskowitern in diesen 
Lärulprn im siebzehnten Jahrhundort eine seltene Ausnahme. 
Der Eindruck, welchen solche Beisenden machten, der Abstand 
ihrer Halbknltur von der Bildung der höheren Stände in West- 
europa, das Fremdartige, Orientalische in dem Gebahren dieser 
Beisenden , welche gcwlssennafsen das Terrain sondieren , auf 
welchem etwan bpiiter Tausende von reisenden, lernbegierigen und 
lerniahigen Bussen erschienen — alles dieses veranschaulicht die 
Bedeutung der ICetamorphose, welche sich an Bnisland vollaog, 
illustriert den Sprung, welcher in der Yerwandlnng BnisUmds aus 
einem asiatischen in einen europäischen Staat beschlossen war. 

Leute, wie Tschemodanow und Posnikow sahen im Aaslande 
viel Neues, Nachahmenswertes ; wiederholten sich derartige Reisen 
öfter und öfter, so mufste das chinesische Prinzip von der Vor- 
aüglichkeit, Unfehlbarkeit moskowitischer Art und Sitte erschüttert 
werden. Westeuropa trat mit steigendem Erfolg als Lehmeisterin 
Bntiilaads auf. Der Proiels der Annäherung swisohen Orient und 
Oceident hatte begonnen. Li diesem Sinne erschienen politisch- 
geringfügige Vorgänge, wie die ruöyische öesandtschaftsreise nach 
Italien vom Jahre 1657, als bedeutsame historische Ereignisse, 
der Beachtung, Erforschung und Darstellung wert^ 



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Eine russisclie Gresandtschaft iu Fam 

im Jahre 1681. 



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4 



Ant den in der vorhergehenden Abhandlung herCIhrten Epi- 

eodeu der Geschichte des diplomatischen Verkehrs Kufslaiids mit 
Italieu im 17« Jahrhundert, insbesondere aus der Art des 
Auftretens dar nuNrischen Gesandtschaft in den Jahren 1656 und 
16d7y konnie man entnehmen, wie fremd der Staat Moskaa den 
▼eeteiiropllaaohen Ifftchten in der Zeit gegenüber etaad, welehe 
der Reformepoche Peten des G-rofsen Toransging. Und dies gilt 
insbesondere auch von Rufslands Beziehungen zu Frankreich in' 
jener Zeit. Während des 17. Jahrhunderts bedeutete die ger- 
manische Welt für ßofsland viol mehr, als die romanische. Unter 
den Bewohnern der deutsehen Vorstadt bei Moekau , welche in 
maaohein Stücken eine Art Hoehsohnle fOr die höheren Kreiie 
der rasflischen Gheellechaft nnd anch für den jungen Zaren Peter 
geworden ist, fiinden sich sehr wenige Franzosen, w&hrend Hol- 
länder, Engländer, Schotten und Deiitsclie dort die hervorragendste 
Kolle spielten. Die Niederlande hatten in jener Zeit eine Art 
konsularischer Vertretung in der russischen Hauptstadt. Es er- 
idiienta bisweilen dort englische GeaandtOi um die Interessen des 
englischen Handels au fördern. Frankreich hatte unvefgleiohliGh 
viel weniger Veranlassung, diplomatische Beziehung mit dem wmt 
entfernten, aufserlialb der westeuropäischen Staatenfamilie stehen- 
den moskowitischen Beiche anzuknüpfen. Nicht sowohl fran- 
sösische als zuerst polnische, dann holländische, englische und 
deutsche Sitten, Hoden und Trachten ianden Eingang in Buft- 
laud während dee 17. Jahrhunderts. Erst um die Zeit des sieben- 




172 Eine russische Gesandtschaft in Paris im Jahre 1681. 

jährigen Krieges wird der politische Verkehr beider Staaten ein 
lebliafttier. Erat während der Regierunpfen Elisabeths und Katha- 
rinas ist Frankreich für Rufslands Entwickelong auf dem Gebiete 
der Litteratiir, der Hoflutte und des vorDehmen Luxus ein eigent- 
liehes Vorbild geworden. ^Dagegen gab es im Zeitalter Imd- 
wigs XIV. nur sehr wenige BerQhrongspnnkte lUr den Verkehr 
zwischen Frankreich und RnfsTand. Die Interessen der beiden 
Staaten Jafingen inbezug uui iScii\veden, Polen, die Türkei viel- 
fach auseinander; an ein Zusammenwirken auf politischem Ge- 
biete war nicht zu denken. So gab es denn keine Annäherong. 
Kalt und fremd stand der „AUerchristUcbe König** dem Zaren 
gegenfiber. Man beobachtete in Paris ans welter Entfemimg die 
Vorgänge in dem halbasiatischen Belebe Xoskowien, etwa wie 
mau heutzutage den Ereignissen in zi'ntraluii ikaniaclu n oder zentral- 
asiatischen Staaten mit einem vürhältnismäfsig geringen Grade 
yon Teilnahme zu folgen pflegt. Kehr ethnographische, oder 
allgemein theoretisehe Interessen veranlagten den König Hein- 
rich TV», des En&hlnngen den vielgereisten tfargeret an lansohen, 
welcher mehrere Jahre in rassuchen Kriegsdiensten gestanden 
hatte und mancherlei von dem moskowitischen Keiche, von Boris 
Godunow und Demetrius zu erzählen wuTste. Dagegen wollte 
der König bei seinem grofsartigen Entwürfe einer christlichen 
Staatenrepublik nichts davon wissen, dab der Zar auch in die- 
selbe eintrete: das Land sei aa weit entfernt, das Volk barba- 
risch ; ohnehin gebe es eine attangrolse Buntheit und Hannigfaltig- 
keit konfessioneller Gegensätze in Europa. 

Aber allmählich mufste auch > rankreicli wie die andern Staaten 
dem emporstrebenden moskowitischen Staate eine gewisse Beachtung 
schenken. Wiederholt tauchte auch in Frankreich, wie anderswo, 
der Gedanke auf, über RoTsland hinweg mit dem noch entfernteren 
Osten, mit China, Persien und Indien Beaiehnngen anznknttpfen. 
8chon in der Zeit des Zaren Kichail erschien in Ifoskaa ein 
französischer Gesandter, dea Hayes Courmenin, welcher den Ab- 
schlufs eines Handelsvertrages anbot, ohne dafn dieses Ziel er- 
reicht worden wäre. Sodann erschienen in der Zeit der Hegierong 



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Eine russiache Gesandtschaft in Paris im Jahre iötil. 173 

des Zaren Alexei und Fjodor russische (Tesjuidtschaften in Paris 
(1654, 1668 und 1681); in der ersten Zeit der Kcgieniug Peters 
werden die diplomatischen Beziehungen lebhafter, insofern wieder* 
holt roBsische Oeaandta in Frankreich, fransösische in Moskau 
auftreten, ohne indessen eine eigentliche AnnSherang beider Staaten 
bewirken m können. 

Von dem Aufenthalte des aufsorordentlichen Gesandten Po- 
tüuikin in Frankreich im Jalire 1681 hatte man Insher nur selir 
wenig Kenntnis. Von um so gröffierem luteresse ist ein Akten» 
stück „B^ception des ambassadeors moseoTitee venns en France 
en 1681'', welches Tor einigen Jahren im 34. Bande des „Ifagasin 
der Kaiserlichen SKstorischen GeseUschalt zu St. Petersbuig" 
(S. 1 — 10) ersdiien. "En ist hier ^eler Einselnheiten inbetreff 
des bei dieser Gelegenheit beobachteten Zercaioniells erwähnt, 
wobei die russisciien Gesandten, Potemkin und Wolkow, eine ge- 
wisse Kleinlichkeit an den Tair legten. 8o z. B. weigerten sie 
sich, an dem Ghrenssollamt ihre Effekten visitieren au lassen, in- 
dem sie vorgaben, dafs der König sonst erfahren werde, welche 
Geschenke ihm die Koskowiter mitgebracht hätten. Bei der Andieni, 
welche den Gesandten von dem Könige bewilligt wurde, vermocht« 
man sie nicht ohnv. Schwierigkeit dazu zu bewegen, die Mützen ab- 
zunehmen. Dem Verlangen Potemkius, dafs Ludwig XIV. sich 
bei der Nennung des Namens des Zaren Feodor vom Throne 
erheben sollte, begegnete man mit der Antwort, es genttge, wenn 
der König bei dieser Gelegenheit den Hut abnehme. Der Forde- 
rung der Bussen, dafs för die Verhandlung französischerseits drei 
Kommissäre ernannt würden , setzte man die küiiie iiemerkung 
entgegen, ein Kommibi?ar werde ausreichen. Alinliche Differenzen, 
bei denen indessen die russischen Diplomaten jedesmal nachgeben 
muisten, wiederholten sich auch in andem F&Uen. 

Aua einem andem Aktenstücke in derselben Edition, emer 
Ihslmktion des Ministers des Auswärtigen, Colbert Croissy, an 
einen fransösischen diplomatischen Agenten inl[08kau(S. 399 — 401) 
ersehen wir. dafs Fr in 1. reich auf die diplomatischen Beziehungen 
mit KuXsland kern Gewicht legte. Von einem mit diesem JEleiche 



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174 



Eine nutiaohe Ctesaadtaeliftit in Paris im Jahre 1081. 



abiaaebliefaeiideD Handelarertrag« bemerkt der IGiiiaier: i^LeB 
Immenra et maximea dea fraa^is aont tant diffftrenta de cette n»- 

tion, qu'il u'y a point d'apparence que ces deux nations si con- 
tiHires s'accordent longtenipa et que par consdquent le dit trait6 
de commerce s'aneantira de soi meme** (^^l)* 

Potemkin machte in Paria, dem Zentrum der poUtiaeben 
Hegemonie in Europa» dw tonangebenden Ibuptatadt des damals 
mftcbtigaten Staates der Welt, eine seltsame -Figur. Sein Auf* 
treten ist nngescbiokt ; es entsprieht den Formen orientaltseber 
Diplomaten. Er ibt ebenso anspruchsvoll inbpzug auf die äurseren 
Formen des diplomatischen Verkehrs als ungewaudt ia der Be- 
herrschung der Technik eigentlicher Hoffahigkeit. 

Wir sind in der Lage, das Ton der historischem Q«sellscbaft 
im XXXIV. Bande des „Sbomik" mitgeteilte Boknment Uber 
das Verweilen Potemkins in Frankreich im Jahre 1681 durch 
anderes von uns entdecktes Material Aber diese Episode ergänaen 
zu können. 

Im K. 8. »StaatsarchiT zu Dresden befindet sich ein Aktenstück 
„Belation von der Ambassade, so der Moskowische Zar Herr 
Theodoras Aiexejewitsch im Monaten Mai, Juni, Jnlio nod Angnsto 
dieses 1681 Jahres, an Oron Frankreich, Spanien und Engeland 
abgeben lassen, mit erstens gesetaten Zarlieben Schreiben, Conferens- 
pnnkten und Königlich Französischer Antwort^. 

Dieses Aktenstück und die daran gek[iü]tften weiteren Mit- 
teilungen über den Aufenthalt der russischen Gesandtschaft in 
Paris Terdanken ihre Entstehung dem Umstände, dais sich zu 
jener Zeit in Fiaris ein Sachse, Doktor der Mediain IianreotiuB 
Binhuber, ^) befimd, welcber dem Kurfürsten von Sadisen un- 
mittelbar nach den in Paris stattgehabten Verhandlungen Uber 
dieselben auüfuLrlich berichtete. 

Zunächst teilt Einhuber den Wortlaut des in lateinischer 
Sprache verfafsten; an Ludwig XIY. gerichteten Schreibens mit, 
welobes die rusaischen Diplomaten im Auftrage ibres Monarohen 



S. d. Abhandlung über Hinhuber weiter unten. 



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Biae roidioB« Q«Madttaiiaft in Pftria im Jahn 168L 



175 



fb«rraehton. Der Inhalt dieaea AktonatOafca iat im weaentliehan 

folgender : 

Der Zar Feodor weist auf die freundlichen Beziehuiigeii hin, 
welche früher zwischen jtLuÜBlaod imd i^Vaokreich bestanden hätten ; 
inabeaondare h&tte es solche in der Zeit der Herrschaft des Zaren 
Alezei gegeben. Indem Feodor aodann seiner Thronbesteigung 
erwihnt — etwas spSt: dieselbe hatte bereits vier Jahre anvor 
Stattgellinden — teilt er dem KSnige yon Frankreieb swnen 
Entschluls mit, inbetreff der mit andern Staaten zu ptlegenden 
freundschaftlichen Beziehuogeu dem Beispiele seines Vaters folgen 
za wollen. Daher habe er den Statthalter von üglitsch, Peter 
Potemkin, nnd den n^^^^^i^^^'* (Dumnyi Djak) Stephan 
Wolkow^} als Gesandten nach , Frankreioh reisen lassen. Von 
ihren Instrohtioaen wflrden dieselben wihrend der Verhaadlnngen 
Mitteilung aiticiieu. DuLiert usL das Schreiben vom iÜ. Oktober 
7189 d. h. 1680. 

Der Titel des Zaren ist im Eingange sehr ausführlich an- 
geführt { auch wird im sonstigen Inhalt des Schreibens des Zaren 
in den nmst&ndlidisten Formen erw&hnt, während der König 
Iindwig XIY. nnr mit knraen Titnlatnren bedaoht wird. Dieser 
Umstand ist für den Gang der Verhandlungen nicht ohne Wichtig- 
keit geblieben. 

Sodann folgt unter der ITberschrilt „die Ursach der Mosko- 
wischen Legation an Krön Fraokreich, Spanien und Engeland 
ist begriffen in folgenden Conferenapnnkten, so in der Oonferenae 
swar disknrsiTO proponiret, hernach aber schrifUich ftbergeben 
worden wie folgt** das mssisehersrits in lateinischer Sprache yer* 
fjBJste Protokoll der Verhandlungen, welche Fotemkin und der 
„cancellarius** (d. h. Djak) Wolkow mit dem französischen Jklmister 
Colbert-Croisqr pflogen. Der Inhalt ist im wesentlichen folgender. 

Die Hussen gedach t en sonlohst der russischen Oesandtschaft, 
welche 1668 in Frankreich geweeen war. Auch damals hntte 
Peter Fotemkin an der Spitae der diplomatischen Mission ge- 

Iii Kinhubers Abschnfteu der Akten and eigenen Aasfiihrangen 
steht durchweg irrtümlich j^l'oikow*'. 



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176 Eine nuaitohe QosandtscMt in Piiris im Jabre 1681. 

itanden. Damals war mit dem tf arsohall Villeroi und dem Finana* 
miniater (Thesauriiui) Colbect über einen Handeleyertrag Torliandelt 

worden. Bussen und Franzosen sollten in beiden Ländern G«gen- 
seitigkeitsrochte f^cniofsen. Zum Abschlufs eines Hau 1* Isverti'ages 
kam es damals uiciit. Jetzt forderte Colbert Croiflsy die russischeu 
Diplomaten auf, eich über die Bedingungen eines alNraioliliefsenden 
Vertrages an Jinfsem. Die Bussen än&erten den Wunseh, dafs 
iransösisehe Kaufleute nach Arebangel» „dem einsigen Hafen 
Rufslandfl*, kommen und dort zur Sommerseit, im Juni, Juli 
und August l)eliebige Waren gegen „Goldmünzen und Thaler** 
einkaufen möcliten. Dabei wird das Vollgewicht der Münzen und 
das Verbältnis eines ungarischen oder holländischen Dukaten zum 
Bubel genau angegeben.') Ähnliches wird inbetreff der Thaler 
gesagt: vieraehn derselben sollen ein Pfund wiegen; ein Thaler 
ist gleich einem halben Bubel. Hieranf folgen genaue Bestim* 
mungen über die von den Pranzoscn Ijei dem Import französischer 
Produkte zu zahlenden Zölle. Ein Fafs Wein — Alicaut© und 
andere hohe Sorten — zahlt 60 Thaler, spanischer Wein 40 Thaler ; 
Weüswein 20 Thalerj ein Anker Franzbranntwein 6 Thaler; ein 
Pud weifseren Zuckers zahlt 1 Dukaten, ,|roten krystallisirten^ 
9 Eons; ein Pud Konfitüren 3 Ecus oder 9 Franken. Kirchen- 
weiu ist zollfrei. Andere Waren werden nach dem Werte be- 
steuert, je nach Umstiiiuien mit 6 oder 4 Prozent. Franzobische 
und englische SchiÜ'e sollen insbesondere alle Vorräte an barem 
Gielde und an Waren genau deklariren bei Strafe der Konfiskation, 
„wie auch anderswo zu geschehen pflege". Verboten ist der 
Import von Kombranntwein und Tabak. An Scfaiffiigebtthren 
werden von jedem Fahrzeuge 10 Ecus entrichtet. Den Franzosen, 
welche nach B.ufsland kouinien. wird eine gute Behandlung zu- 
gesichert. — Dies Aktenstück ist „Versailles, am 10. Mai l<i8P* 
datirti Yon Peter Potemkin und Stephan Wolkow unterschrieben 
und mit deren Siegel versehen. 

') Aureus nummus sen ducatus liollandicus seu hunjraricus ponderit 
druchmae uuius seu uu <^ro.s, aequabit pretio Kubeilum iiosooviticumt 
qui coQtinet centum kopieki. 



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Eine russische üesaudtschaft in Paris im Jahre ItiSI. 177 

In dieser Proposition der Russen verdient der I luhtHiid Be- 
achtung, d&^B von einer Voraussetzung, als köunt<'ii auch die 
Russen nach Fmiik reich kommen, keine Rede ist, während in dem 
ffinweis auf die VerbADdlnngen von 1668 ausdrücklich von Gegen- 
seitigkeit gesprochen wird.*) Die Rossen schienen sich dnrohaiii 
mit dem Passtvbandel begnügen sn wollen. 

Während der Verhandlungen spielte Rinhuber die Rolle eines 
Vermittlers und Dolmetschers. Er beherrschte das Russische. 
So teilt er denn über die „Respoosoria Regis*^ folgende sehr 
inttfessante Einselnheiteii mit. 

uDes König]. Antworthrieft Oopia hatte ich an mir genommeOi 
ist mir aber entsogen worden, entweder in der Seoretaria Colberte 
oder in der Gesandten kammer, doch aber weilen ich selbe aus 
dem Französischen in Tjat«;iii und Aloskinvitisch vor die Gesandten 
übersetzet, habe ich alle und jede couteuta in trisciiem Gedichtnifs. 
Dw auswendige Uberschriftstitul war: au trte-hanty trds-exoellent 
et trto-puissant Seignenr Tsar et grsnd Duo Theodore, fils 
d'Alexis, autocrateur de tonte la grande, petite et blanche Rnssie 
und 80 fort, gan« vollkommen wie selben die Envoy^ begehret. 
Inwendig aber war eben dieser grufse Titul anstatt der Exordii 
gesetzt und dabei nostre tres eher fr^re salut und loco vostre 
Maiestö Taaröe nur nostre Haieste ; vom königlichen französischen 
Titul war gar nichts zu finden als nous. Der moskowitische 
Gesandte nrgierte, es möchte doch allerwegen gesetset sein Tons 
grand Beigneur Tzar, votre IfaiestA Tzarfte. Colbert antwortete, 
eM wäre nicht Aiauier; aueh die Eigenschaft der französischen 
Sprache liefse nichts andres zu, als Votre Majest^. Der Gusaudte 
aber brachte mit vielen Instanzen doch zuwege, dafs der schon 
¥erBi^;elte Brief wieder nmbgeschrieben und aufii neue ausgefertiget 
wurde. Der Gesandte replizierte weiter : Er (der Brief) wftre kleiner 
und nicht so grofs als der yorige. Colbert sagte : Es ist eben so ein 
grofs 8tück Pergament als das erste, nur dafs es der Secretaire 

') ütrinsque nationis, tam magni Domini Tsarese Suae Hajestatis, 
quam Hagni Domini Regise Suae Migcstatis aubditi, mercatores proficis- 
oerentnr et in utroque regno merdmoninm invioem ezeroerent u. s. w. 
BrOokser, BaJUand. 19 



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17 Ö Eine russische Geaandtscbaft in Faria im Jahre 1681. 



in kleinere Form msammeiigelegrt ; der Gerandte: dock wird es 
mir den Kopf kosten, weil nicht allentliMlben gesetzt: Votre 
llajest^ Tzaröe. In Summa : der Öesaudte war raaicontent ; wir 
antworteten : Ihr Moskowiter seid wunderliche Leute ; der König 
aetiet in Minem Briefe den gansen Zarliehen Titnl sweimal, und 
▼on fleinem eigenen Titnl eeUt er' gar nicbta als nona; er aagt 
ja nicht Boy, anch nicht no^ lEajestft. Ihr derohalben könnt 
erkennen, wie viel Ihr Fehler begeliet in Euicu Schreiben an 
alle Potentaten, da Ihr den Zai*. Titul und Nos magnus Dominus 
Taar, Tzarea nostra Majcstas, soviel mal wiederholet. Ja, wider- 
•eiste er: dafa iat ein'anderes, denn nnser Zar mit keinem m 
Teigleiohen.* 

80 nahmen denn heide Parteien ein Beoht in Ansprach 

malbgebeud zu urteilen. Die französische Regierung hielt sich 
für berufen, die Neulinge auf dem Gebiete wosteuropäisch-vöiker- 
rechtlicher formen in der Handhabung diplomatischer Etikette 
m nnterweisen, während Potemkin in eobt orientalischer Selbst- 
flberkebong aUe Aignmentation der Franaosen mit dem Bemerken 
snrfickwies, dab kein Füret an BangsteUnng sich mit dem Zaren 
von Moskau vergleichen könne. Die Anraafsung der Küssen be- 
ruhte auf abstrakten Theorien uml erinnerte an die Art, wie 
etwa im 13. Jahrhundert der Tutareuchan an den König Ludwig IX. 
▼on Frankreich geschrieben hatte. Frankreichs Überlegenheit 
war eine thatsächliche ; sie beruhte auf der Hegemonie Ludwigs XIV. 
in Bnropa. Je aweifelloser die fiiktische Macht Frankrdchs da- 
stand, desto eher konnte man anf die kleinliche Ansföhrliehkeit 
der Titel verzichten; diu IN ilanterie der russischen Diplomaten 
gemahnt au die Titekucht von Emporkömmliugenf die in der 
besten Gesellschaft nicht zur eigentlichen Anerkennung gelangen. 
Im übrigen hatte Potemkin Cbnnd nm seiner eigenen Sicherheit 
willen anf dner genauen Beobachtung der nach russischen Be- 
griffen nnerl&blidien Formen des diplontatisehra Terkehrs sn be* 
stehen, da jeder V^erstof.s gegen die herkomtulii liu iSiLle lu diesem 
i^unkte als schweres Verbrechen gegen die Autorität des Zaren 
gelten und demgemäfs bestraft werden konnte. £s fehlte nicht 



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Eine russisohe Gesandtschaft in Paris im Jahre 1681. 179 



an Beispielen der grausamsten Mifshandlung russischer Diploiuaten, 
wenn denselben nach der Kückkehr in die Heimat irgend ein 
Ventori gegttn die orientolisohe Etikett« naohgewiesea werden 
konnte. Am nnerbittliehBten wurde eine Schmllenuig des 2aren* 
titele geahndet. 

Beachtenswert ist der Umstand, dafs Binhuber in diesem 
Streite über die Formaiien der diplomatischen Korrespondenz 
auf Iranzüsiäcbcr Seite stand und die Kleinlichkeit und geechäft- 
Uche Unerfahrenheit der Bassen tadelte. 

Bie f ranaosen konnten um so ehw eine vomekme imd ftber- 
legene Haltung beobaoHten, als ihnen nicht besonders viel an den 
Besiehnngen sn dem Staate ICoskaa gelegen an sein schien. Rin- 
buber teilt die ^ Formalien des Königlichen Antwoi Lbriefs" mit, 
und wir ersehen aus diesem in lateinischer Sprache verfafsten 
Aktenstücki dA& man in Versailles« statt in die Einzelheiten einer 
gesohAftliohen IMsknssion einantreten, die Bussen im Chronde mit 
allgemeinen Redensarten abspeiste. Man spraoh Ton Frenndsdiaft 
nnd Wohlwollen; man gab der Hoffnung Ansdrack, daTs die 
Handelsbeziehungen beiden Reichen Nutzen bringen würden ; man 
erwähnte wohl auch der Forderung, dafs die Franzosen in BuTs- 
land das Beoht freier Religionsübung gentefsen sollten. Was 
aber, hiefs es lam Sohlasse, die übrigen Vorschläge der rassischen 
Gesandten betreffoi so müsse man erst die thats£ohliche Anknüpfang 
kommersieller Besiehangen abwarten, die Wünsche der firansS* 
öischen Ivaufletite, welche etwa nach Archangel kommen durUeu, 
verneiimen und dauu Beschluis fab.sen. Das von König Ludwig 
ond weiter unten von Colbert unterzeichnete Aktenstück trägt 
das Batom des 13. Kai 1681. 

In einem ansfÜhrlieheiL an den Horfttrsten von Sachsen 
gerichteten Schreiben ersShlt Rinhaber, gewissermafsen als offi- 
zieller ßeporL( r , wie d< im überhaupt die ganze diplomatische 
Mission der russischen Gesandten verlaufen sei. Wir teilen 
dieses Aktenstück „De Moscoviticorum Ablegatorum in Franciam 
adrenta et recessa, mensibos ISm^ et Jonio anno 1681 celebratis" 
▼oUstindig mit. Binhaber sohreibt: 

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180 



Eine rUMiscbe G^aadtschaft in Paris im Jahre 1681. 



„Demnadi von der Correspondenoe, m> Frankreioli mit Hoakan 

anitzo vielleicht stabiliren möchte, untorscluedliche Moiiumguu 
vorgefallen . und aber sothane Conjuiiktur Krön Schweden und 
den Aliiirten nachteilig zu sein gemutmafst wird; als habe ich 
folgende aus eigener ezp6rience erlangte Acta ¥er£ueen wollen. 
Ubwdiee kann anck einer, ao der Moekowiter hnmeor bekannt, 
mit vielen Argumenten belegen, dafa ILron Schweden von Hoekau 
bei Bothanem Stand der Sachen nicbta Sonderliches su fUrchten 
habe, obgleich dnr König von l l itukreicli Sr. Zar. ]^Lajöstät Dieses 
odor Jenes Husiuneu möchte. Es bestehet aber die Ursache der 
Koakowiaoheu Gesandtschaft in einigen Curialien mnd Compii- 
menten, ao der Grofazar Theodor Alexejewitaeh bei aeiner ange- 
tretenen Begierong denen Kronen Spanient Frankreich und Enge* 
land andeutet, und dabei gedachte Könige invitiret die Tormalig 
gepflogeneu Commercien mit Moskau zu continuieren. Die 
Moskowischen Abpfscliickten waren l'eter Iwanowitsch Potemkin 
und der Kanzler Stepan Wolkow. Herr Peter Potemkin, so 
auch anno 1668 nach Spanien, Frankreich und £ngeland, und 
anno 1675 am Kaiaerl. Hofe Envoyd war, wufate wol, dafa dieae 
Herren Potentaten ihm schon vor diesem grofse Terehmngen 
gethan, hat derowegen vermittelst seines Herrn Vettern diese 
ChurjTi? envoye zu sein aufs neue von Seiner Zar. Majestät 
erhalten. Dieser Vetter ist Knjas Wassilij Feodorowitach Odo* 
jewak^t ein awar junger Herr, aber wegen seiner guten conduite 
beim Zar yor Anderen sehr wohl angesehen. Potemkin aber, 
obwohl er vor diesem auch ein Mann von guter conduite, ist er 
doch nunmehr bei hohem Alter fast kindisch worden. (Ich) habe 
sein© Fehler vermäntelt. so gut ich immer gekonnt, di« kouigl. 
französischen CommisBÜre aber haben ihn auf der Keise von 
Calais bis Paris und Bordeaux gar hart und possierlich traotirt, 
wie denn die Fransosen andere su yexieren pflegen, so ihre 
Manieren und Sprache nicht verstehen. Der König hat ein groft 
Geld auf diese Gesandten spendieret, nllrelich 100 Pistol zur 
tairlichen Depcns. Du; Moskowiter zwar waren wohl zufrieden 
gewesen mit lUO Thalern, aber die Commiäsäre des Königs ihnen 



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Eine russische Oesaudtschaft in Paris im Jahre 1661. 181 



kein Geld ge^'eLen, sondorn die armen iloskowiter tractiret nach 
Plaiair. Sollte dieses der König wissen , er würde etc. Die 
Gceaadten sogen den letsten April von Sunt-Denis nach Paris 
bu in ihr depntirt logb aux ambaasadenn eztraordinaires» mit 
Trompeten nnd PankenscUag. Der Kdnig traotirte sie oomme 
des ftmlmsBadenm extraordinaires, obwohl ihr Charakter nnr les 
envoyes. Es war ein renuü (juahler Einzug, welchen auch aller 
fremden Potentaten ministri betrachteten. In der ersten König- 
lichen Karossen war Peter PotemkiDp Marschall d'Kstree^. Mr. 
dn Bonnevil, introdnctenr des ambassadeurs , Kr. Torf, gentil- 
bomme ordinaire du Hoy nnd ich als K&niglicber Interprete. In 
der andern, der Königin Karosse safs Stepan Wolkow, der 
Kanzler, Mr. r4ir,iult, et trois gentilhommes. In der dritten 
fuhr Peter Poteiukin sein Sohn, und andere Edelleute. Vor und 
nach denen Karossen waren die Panker und Trompeter und 
andere Hoskowiter, an die 50 Personen, zn Pferde. Zu Paris 
wurden sie traetiret drei Tage mit der grofsen Kdnigliohen 
Tafel, hielten auch allezeit bemach offene Tafel, allwo £sst alle 
vornehme Statidcspursonm zu erscheinen pflegten, ja aneh des 
Königs Kinder und les Princes du sanjcf und andere Fürsten und 
Herren, (ich) hatte also täglich denen Franzosen genug zu 
erzfthlen yon Moskowischen Sachen. Ben 4. Mai war die Andiena 
bestimmt. Herr Peter Potemkin hielt anf seinen Respeot. Karechal 
d*Bstr6es kam an im Hdtel des ambassadenrs, stieg aus der Karossen. 
Peter Potemkin begehrete, der Uarschall möchte die Stiegen anf- 
kommen. Der ^Marschall sagte, lasset den Gesandten lu runter; 
er weifs ja, dafs ich im Namen des Königs komme, mit ordre 
die Gesandten bei Sr. Maj. au fuhren. Der Moskowit weigerte 
sich lange ans seinem Gemach bis an die Treppen an gehen; 
ich sagte: Ihr müsset wohl gar hinunter, führete ihn also; er 
blieb aber auf jeder Stnfe bestehen , also brachten wir eine 
Viertelstunde zu ; l^larschall wartete unten zwar mit französischer 
impatience , sähe den auf der Stiegen , dieser Jenen an ; auf 
der letzten Stufen stehend bat er, der Marschall möchte ins 
Maus eintraten. Harschall bat, er möchte doch bis an die 



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182 Eine nusiMdie Genndtsehnft In Pkurii im Jihre lesi. 

Thür kommen» welches er tibat^ aber mit Zwang und bot dem 
Herecholl die Hand, lelbe ans der Thür reichend. Dieaee 
war eine Terdriefiiliche C^remonie, denn der Harschal] gab ihm 

die Hand und zog ihn ein wenig fort , also dafs der Mosko- 
wit einen Tritt heraus unter den freien Himmel thun mufste, 
und dann gingen aie hinauf, der Marschall aber ▼oran.*) Der 
Haraehall bat, er möchte eich bald fertig machen nach Ver- 
sailles bei dem König an fahren. Peter Poterokin legte 
andere Kleider an, Hefs den Pfaffen rufen (denn so nennen • 
sie ihn) und fing au zu singen und zu beten, nacli der Mosko- 
witer Brauch ; der Marschall mufste also eine feine Weile warten ; 
endlich fuhren wir in drei obenerwähnten Karossen fort. Als 
der Gtesaodte des Könige Hans von fem an eraahe, fing er sich 
an zu kreuzen und an aegnen. Bie Franaosen sagten: aiehe er 
betet das Oh&tean an. Zu VeraailleB fanden wir les oompagniee 
des rt'^giraeuts de gardes fran^aises et suissos rajjgees en haye et 
BOUS les armes. Petrus segnete sicli noch Jiielir, alb er das chät^u 
und diesen Apparat ersah, vorgebend, dafs dergleichen wohl in 
der Welt nicht wäre. IIa furent oonduita & Tappartement oü on 
re^oit ordinairement lea ambasaadeurs, et auiyant la contume de 
leura pays, ila faiaaient porter devant enz lea lettrea de creance 
par le seordtaire, et les pr^sents des zibelins par des cent suisses. 
On les raena de cet appartement ä travers des gardes du grand 
prevot et des cent suisses, jusqu'i la porte de la salle des gardes 
da Corps, oü ila furent re^na par le mar^chal duc de Duraa; 
quand ila entrörent dans la chambre du Boy, qui ötait aar aon 
trdne accompagn4 de tf onseigneor le dauphin, de IConiieur et 

In dem offiziellen frauxösischen Bericht, welcher im 34. Band des 
Magazins der Historiscben Gesellschaft S. L ff. abgedruckt ist, steht 
kein Wort von dieser nverdriefslichen Geremonie". Da heifst es nur: 
nLes ambaBsadea» le regurent au bas da degr§, lui donnirent la mein, 
le condnisirent dans leur appartement, lai donndrent un fauteuü'* u. s. w. 
6. ebenso S. 6. 

*) In dem offiziellen französischen, dem Pariser Archiv entlehnten 
Bericht ist eines Zwischenfalle'^ ntif deiri Woq^c zum Audienzsanl erwähnt: 
,.les ambtt68ad<nirH , qui jusqu alors n tivaicut point mari hr decouverta, 
entraut dans ia chambre du lit, le dit sieur Stolph les obligea dos se 



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£ine russische Gesandtschaft in Paris im Jaiire 1681. 



183 



de tons les Seigneors de la conr, ils firent une petite revSrence, 
et lors(ju' ils npproch^rent. Sa MajAstÄ se leva, osta son chüpeau 
et un momeut aprds se remit k sa place et se couvrit. Le sieur 
Pierre Fotemkme, qvi portait la parolei eommenfia Bon disconrs 
et se fenna.^) Ich sagte anf Uoskowitiseli: wenn da redeo wil 
(denn in dieser Sprache nennt einer den andern Da), so rede 
fort, oder ich werde reden müssen. Peter Potemkin sagte: 
Du siclicst. ich nenne den Zarlichen Namon und der König 
bewegt sicii niciit. t)iat auch nicht den Mut ab. Ich antwortete: 
der König hat ja schon seinen and awar extraordinaire revSrenoe 
gemacht im Anfangi and Er Yerstehts nicht» wenn Ihr den Z/u* 
liehen Namen in Barer Sprache nennet. Üidem fragte mich der 
K9nig: ee qne c'est qne le Ifoscovite parle? Ich erkl&rte es 
mit weiiigon Worten; der KTmig: aprös.*) Also n-dete I^eter 
weiter. J)er Kihiig wartete also, sähe einen nach dem andern 
an. Ich interpretirte endlich in folgenden terminis : SirCi l'Envoyö 
dit: Par la grftce de Dien le grand Seignenr Tzar et grand dae 
Theodor (folgt der Titel) sonhaite an trds chr6tien et inTincible 
prinee Lonis Boi de France et de Navarre, son trds eher et 
honore frdre, salut et toiites les sortes des prosp^rit^s ; et Vous 
fait savoir qu'il est en parlaite Hant»'«, Lui et toute sa fnmillo, 
et souhaite nne pareille sant6 ä Votre Majeste et toute sa famille 
royale. Hieraof wiedersetste der König: Eh bien? Peter redete 
noch nnd Ich anf fransösisch: Sire, l'envoy6 r^ond, qaand je 
snis Borti de la grande et imperiale Tille de Voscon le grand 
Seigueur Tzar mon maistre, estait en parfaite saut«, ') et m' a 

d^couvrir ä quoi ils firent d*abord qnelque difficult^, mais enfin 6terent 
leurs bonnets" n. s. w. 

') D. h. er verstummte plötzlich. 

°) Die ErwähnunßT iVu'so^ Zwischenfalles fehlt so gut wie gänslich 
in dem französischen lieiichto. 

") Somit fnii:t(' Lu<i\viLr XIV. nicht nanh der Gesmullioit des Zaren 
und Poteuikiu machte, al^ sei durnacli gefragt wordun. Im offiziellen 
Bericht: „rambassadeur thnoigna soohsiter que le roi le levät pour 
demander des nouvellca du csar; le roi lui r6pondait que, quoiqu'U vint 
d*en apprendre, n^anmoins s^int^reasant comme ü faisait ä sa santö, il 
^oouterait volontiers les nouvelles assuranoes qu'il lui en donneiait" u.«. w. 



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184 Eine ruMisobe Oesandtschaft io Paria im Julire 1681. 

comnuuidö de rendre k Yotre Usjoiii eea lettre« de sa part; je 
aupplie anaai Yotre Majest^ de Tonloir bien recevoir ces lettrea 

de sa propre uuiin. J)er König erhui) tsich liierauf mit Hutab- 
zieheo, empfing den Zarliciien Brief mit seiner Hand und über- 
reichte selben an Colhcrt de Croiasy (Ich überaetste ihn bemaob 
in Colberta Hanae bald in Latein). Peter Potemkin redete femer; 
ioli interpretierte: Sire, nooa aommea eliargte de la part du grand 
Taar notre maitre, de faire agrter qnelqne« petita pr^enta de 
Moscovie ä Votit; ilajeste, et uous lu prions de lea recevoir uon 
point comme den presents, niais comme des fruict» que la Kusäie 
a fait naitre pour le Service de Votre Majestö. Hierauf wurden 
die Zobelina durcb 100 Seliweitser auf den J£önigl. Tiux>n gelegt» 
und der König Uefa die Oeaandten benebat 13 Peraonen anm 
Handkula. Peter Potemkin bat» die übrigen möehten anch anm 
Handknfs zugelassen werden, der König aber weigerte sich (XTr- 
aach dessen , weil der Jvöuii;!. Thron nicht von Jedem zu be- 
treten). Puter Potemkin aber uabm es vor eine Ungnade an 

4 

und aagte hemacb su mir: Der König thut es darum, dafa 
er nickt allen meinen Leuten etwaa verekren wilL Die andern 
ICoakowiter aagten: Dieae, ao die Hand gekttiatf bekommen 
acbenke, die andern aber nicbta. Eofin, war die letate Bede, 

yirc Jious rcndons toutes les graces iiuaginablee A Votre Majeste 
de ce qu'elle a daigiie nous ecouter etc. Die Königin und 
Madame Dauphine und andere atundeo auf dem Thron zur Linken 
dea Königs ala inoognito. Jjea envoyöa furent enauite traitöa 
magnifiqnement par lea offioiera du Boy. Die Oeaandten wollten 
dea Königs Qeaundheit nickt trinken , aagten, die Königlichen 
sollten erst die Zarliche Geaundheit anfangen, alao ward keine 
von beiden. Nachmittags sollten sie zur Conference bei ( "olbcrt. 
Peter Potemkin sagte: nein, ich habe ordre bei keinen zu gehen 
als bei den König. Zur conf6rence will ich niorgou oder über- 
morgen, aber in dea Königs BAuae und niol^t in Colberta kommcm ; 
wir antworteten : Colbert wohnet allhier im GhÄteau oder Königs* 
hanae ; hierauf achickte er einige mit mir au beaehm, wo Colbert 
wohuetti. Nun sind Colberta appartements im rechten Flügel, so 



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Eine russische G^Madttohaft in Paris im Jahre 1681. 185 

vons Königs Wohnung abgeschnitten durch eine Barriere ; diese 
kamen wieder zurück vorgebende, es wäre ein ander Haus, »b- 
gMondert: um dahin zu kommen, müsse man wohl 20 Schritte 
nnterai freien Himmel gehen. Potemkia antwortete : So will ich 
nieht hingeben. Colbert wartete also Aber eine gnte Stande. 
Bndlieh ging iob sn ihm und referierte, dafs die Koekowiter den 
Tag der Audienz mit Niemand anders reden als mit dem Könige. 
Morgen wollten sie gern bei Mr. Colbert kommen und conferiren 
auf Xönigl. Befehl. Iis furent ensuite rameoes 4 Thötel des am- 
bastadeors ä Paria. Potemldn und Wolkow waren gar maloontent, 
Torwendendf eie waren übel traktirt worden. Den Tag hernach 
kam Bonneril mit ordre, aie tollten bei Colbert lur Conference. 
Potemlrin antwortetet Ich will conferiren dans le conseil du Roi. 
Bonnevil : das kann nicht sein. Potenikin: ich hegehre vor der 
Conference des Königs klare Augen zu sehen , ^) dai'auf will ich 
mit Colbert conferiren, Bonnevil: Der König wird nicht da 
nein. Bonnevil kam hernach wieder und lagte ; reeolriret £ach 
morgen bei Colbert an conferiren. Die Gesandten antworteten: 
Kein, wir wollen nicht, wofern wir yot der oooförenoe den König 
nicht seilen sollen. Bonnevil: Ihr werdet ihn nicht sehen , und 
wo Ihr nicht zur Conference wollet, so wird man Euch den Königl. 
Antwortsbrief morgen ins Haus senden und alsobald depeschiren. 
Sie sagten endlich: So wollen wir denn kommen. Den 8. Hai 
Bonnevil les ramena 4 Versailles dans les earosses de leors Ha- 
jest^s. Potemldn war gans traurig, fragte rielmal, warum der 
König zornig auf ihn wäre ? A\ ir unf uoi teten : er ist nicht zornig. 
Potenikin : Warum soll ich ihn denn heute nicht sehen ? Wir 
kamen ins Sohlofs and appaftementi warteten über eine Stunde. 
Potemkin betete gar viel und segnete sich. Endlich liefe der 

■ 

K5nig sie hinaufrnfen. Potemkin fing da an vor Fronden an 
weinen, sagende : der König weifs gar wohl, dafs wir niohte mehr 

begehren als Seine klaren Augrn zu .sehen. Liefen also gesciiwinde 
die Stiegen auf und vergaiäeu alles Leides , weil sie den König 

')* Im fransosischen Berieht keifst es, sie wollten den König sehen 
ffpour le mieox otmaiderer''. 



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186 



Eine russiBche Gesandtschaft in Paris im Jahre 1681. 



sehen sollten. Der König <jiug aos seinem Kabinet, sah die Ge- 
sandten freundlich an, griiiste sie, fragte, oh sie wohl zufrieden 
wären. Bcsp. (Autwort) Sehr wohl , aber Ihro Majestät Gegenwart 
und klare Augen Bind ans lieber aU alle grolse Tractamenteiiy der 
Ködg: Sie belieben bei Golbert m geben snr oonfteeoce car 
c'est notre bon plaiair. Beep* Gar gem. Ensuite ils ee ren- 
dirent chez le Golbert et ils enrent avee Ini nne oonfSrenoe de 
prÄs de deux heures. Ich interpretierte. Die Conferonzpuiikte 
ftind oben gesetzt. IIb furent encore traitäs aprds cette con- 
f6renee> besehen hernach des Königs Palais, und alles was dar- 
innen : die Garten-, die Wasserwerke, die hast' nnd Vogelg&rten. 
Die K5nigl. fragteni wie es ihnen gefiele? Poienddn sagte: nnd 
wenn andi Salomes wiederkommen BoUte, wtbrde er Alles nicht 
besser anordnen können, als Euer König. Dieses miifste ich auch 
hernach bei der Konigl. Tafel referiren , und getiei dieses , des 
HoskowiteSi jogement dem Könige über die Haafsen wohl. Madame 
Danphine, so miob sehr viel Ton Moskowisohen Sachen fragte, 
responsierte darauf: U a raison. Folgender Tage besahen die 
Gesandten was ▼omehmlich in Paris remarquabel, sonderlich das 
exercice des mousquetaires du Roi, denn dieses meritiret zu sehen. 
Den 11. Mai war die Abschiedsaudienz. Seine Majestät über- 
gaben das Antwortschreiben dem Potemkin in die Hand. Diese 
bedankten sich vor erwiesene Kdnigl. Gnade nnd Tractamente. 
Die Königl. Prisente waren 1. des Königs Portrilt in einer 
gflldenen Schatnll mit schönen Diamanten versetst. 2. Gold- und 
Silherstücke zu Kleidern. 3. Tapisserieen , um innen Saaltafel 
und Stühle zu. bukleiden. Und diese drei Sorten bekamen Potemkin, 
Wolkow and Potemkins Sohn , doch der erste köstlicher als die 
aodem. Die Edellente und ttbrigen güldene und silberne Schau- 
pfranige. Dreimal mehr gab der König als die Koskowiter 
an Zobelin geschenkt, dafs es recht heilset nach dem Italie- 
nischen Sprichwort: Chi dona caro vende si non sia villano 
quello clii prend«. Endlich hat der König die Gesandten über 
Bordeaux und Bayonne an die spanische G^renze führen lassen, 
welcher, ob £r wohl mit denen Gesandten nicht allerdings su- 



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Eine russische Üesandtächaft in Paris im Jahre 1681. 187 

frieden, wird Er doch einen Envoy6 nach Moskau abfertigen, 
et tout cela pour les raison de consöquence". 

So Rinhubem Bericht über die russische Gesandtschaft in 
Paris. Die Ycormutnng, dab Ladwig XIY. bald in lebhafteren 
diplomaiiaohen Verkehr mit Bnfiland treten werde, erwiee eiob 
als fiüach. Binhnber mochte wfinachen» dab dieses geschehei weil 
er die Hoffnung hegte, dabei eine Rolle zu spielen. Seine Ver- 
gangenheit gab ihm ein Recht zu erwarten, dafs er westeuropäischen 
H&chteii, welche mit dem Staate Mosicau zu thun haben wollten^ 
wesentliehe Dienste leisten könne. 

Ans diesen llitteilnngen ist sn ersehen, da6 in Frankreich 
ein gewisses Interesse f&r Bnfsland Torhanden war und dafs man 
sogar ernstlich an eine diplomatische Vertretung Frankreidis in 
Rufsland dachte. Indessen sollte es noch lanjore währen, ehe es 
zu einer daaerndeu und erfolgreichen Annäherung der beiden 
Mächte kam. 



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vn. 



Ein Kleiderrefonnprojekt 

Peter dem Gruben. 



• 



Peter der Grofie hatte wShrend der ersten Jahre leiner Be- 

gieruDg Ridi im Ghnnde sehr wenig mit Politik heiehXftigt, die 
Führung der StaatsgcsLhiiltc andern überlassen und hierauf sich 
aosschliefBlich den Aui'gabcu der auswärtigen Politik zugewandt. 
£& war insheiondere die orientalische Präge, welche ihn be- 
sohäftigte, seine Beise ine Aneland Teranklete. Er weilte 
anderthfllh Jahre im Westen» nicht nm dort sn lernen, wie smu 
mit Weisheit den Staet regiere, nicht nm die G^esetsgehnng nnd 
die Inititutionon fremder Ländef zu studieren. Es galt ihm den 
SchiffHbau zu erlernen, eine gröfsere Flott« zu bauen tiikI dadurch 
in den Stand gesetzt zu werden zu einem ernsteren Kampfe mit 
der Xttrkei. Aber anch ohne 'die Absieht, die Sitten nnd Qe- 
brftnche anderer Nationen sn heobechteni hinansreisendi war Peter 
doch so lange Zeit hinduroh den ISndrttcken ansgesetsti den eine 
allseitig entwickelte Kultur, wie er dieselbe namentlidi in Holland 
und in Iviigland zu betr iclitm Gelegenheit hatte, aucli auf minder 
Empiuugiiche als er ausüben mufste, und diesen Eindrücken ver- 
dankt man jene Heihe von Mafsregeln , welche in dem iafseren 
Wesen, im KostOm und Hahitos der Bussen eine gründliche 
Anderong beaweokte nnd im Volke die grOfirte AnfregoBS 
hervorrief« 

Im Orient gibt es keine Modon. Ungleich schwerer als der 
Westländer, trennt sich der Orientale von der Art öeiiier Tracht. 
Er iät auch darin, wie in allem andern, konservativ. Ebenso 
hatte in £La£dand die Kleidung, welche man dem Orient ent* 



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192 



Ein Kleid^rreformprojekt vor Peter dem Groften. 



lehnt, aehr lange hindnreh Art nnd Form früherer Zeit bei* 

behalten. Die Kleidung war weder achön, noch zweckmäfsig. 
noch hygienisch entsprechend , aber man hielt daran fest und 
wollte von keiner Änderung wissen. 

Und in diesem Punkte war das Volk nicht koneervstiver 
ala die frühere fiegiemng, die hohe Gteiatliohkeit, die Wttrden- 
triger. Ala einat in den lotsten Jahren der Begierang dea Zaren 
Alezei ein Bojar in polnlacher Tracht anf die Jagd ritt, hatte 
fs sich ereignet, dafs dit-s»- Kleldunt^ nachher auf Befehl des 
Patriarchen verbrannt wurde. Es gab Fälle | in denen einzelne 
Vertreter der höheren Kreiae ao ktthn wareUr dentaohe lüeidang 
BU tragen, aber die Begtemng nahm ein aolehea Beginnen aehr 
übel anf* Am 6. Angnat 1675 arachien ein TJkaa an alle Hof- 
beamten, aie aollten bei Strafe der Ungnade nnd der Degradation 
sich nicht erdi'eisttin, :uKsl;iudischo Sitten anzunehmen, die Haare 
nach ausländischer Sittu zu scheren, ausländjsciie Kleidung, 
Mützen oder Hüte zu tragen oder ihrem Geainde daa Tragen 
aolcher Gegenatftnde an geatatten.^) 

Einige Jahnehnte aavor hatte aioh der nmgekehrte Fall ereig- 
net. Ea hatten die in Hoakan lebenden AnalKnder snm Teil 
russisclie Kleidung zu trafen begonnen. Al)er auch dies war 
verboten worden, weil es geychehen war, dafs bei einer Prozession 
die Ausländer, welche, als Ketzer, des Segens der russischen Kirche 
unwürdig eraohienen^ doch dieaea S^na teilhaftig geworden waren, 
da der daa Volk aegnende Patriarch die in maaiafihem Koatfim 
anweaenden Lutheraner oder Katholiken nicht von den Becht^ 
glSnbigen an unterscheiden vermocht hatte. WeO nnn die Aua- 
länder nicht wie die Russen sich gegen den I'atriarchen ver- 
neigten, merkte der KirchenfiLrat den Unterschied und eriiefs einen 
Befehl an alle Ausländer, die rusaiache Kleidung sofort abzulegen, 
waa, wie ein Zeitgenoaae berichtet, wegen Kangela an Stoffen und 
Sebneidem grofae Schwieiigkeiten darbot.*) 

Man weifa, wie namentlich die Geiatliohkeit gegen daa Bart- 

') Vollst. GosofzFannnlnnjT I. JS'r, 607. 
*) Olearins, dritte AuRg. 183. 



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£ia lUeiderreformprojekt vor Feier dem Qrofsen. 198 

scheren auftrat. Der Patriarch Hadrian hatte noch kurz vor 
gewaltsamer EinführuDg des Bartscherens durch Peter den Gr. eine 
gewaltige Encyklika soganjiteii des Bartes erlassen, in welcher 
u, a. bemerkt wiid« daft MltaiDer ohne Bert mit dem Sehnorrhart 
allein nicht wie Kensdien) sondern wie S[ater und Hnnde ans- 
sehen u. dergl. m. ^) In seinem Testament hatte der Vorgänger 
Hadrians, der Patriarch Joachim, gegen die Einführung ausläa- 
discher Sitten und Trachten den entschiedensten Protest ein* 
gelegt ^ Aber noch mehr: selbst ein Mann wie der ansgeieich- 
nete Politiker nnd Diplomat Ordyn-Naschtsohokin, welcher die 
Bedentang anslindischer Sitte sa würdigen woistei seinen Sohn 
von gebildeten Polen nnterrichten lieTs und keinesfalls an den na- 
tionalen Faiiatiki III zalilte, sagte wohl gelegentlich: „Was küm- 
mern uns dio »Sitten dor Ausländer, unsere Kleidung ist nicht 
nach ihrem Sinn nnd Gesohmacky ihre Kleidung nicht nach dem 
nnsem.'' 

Als Peter mit seinen Befonnen inbesog anf Bart nnd Elei- 
dnng anftrat, war in den hdheren Kreisen der Koskaner GeeeU- 

»chaft von irgend welcher Opposition keine Rede. Der Patriarch 
Hadrian, welcher soeben noch gegen das Bartscheren geeifert 
hatte, herstammte. Die Grofsen bequemten sich meist ohne 
Knrren an allem, was der Herrscher von ihnen Terlangte. Viele 
mochten auch wohl die Zweckmälsigkeit einer solchen Befonn 
erkennen nnd Petent Ansichten teilen. Die Hochnit eines Hof- 
beamten im J;ihre 1701 wurde auf Befehl Peters im alten rassisclien 
Kostüm gefeiert, um, wie ein Augenzeuge berichtet, dio Lächer- 
lichkeit und Tollheit der früheren Mode zu zeigen. Die Bojaren 
hatten ttbennftCiig hohe Mütaen, die Franen IS Ellen lange Ärmel 
nnd 5 Zoll hohe AbsStae n. s. w.^ Bei Hofe gewöhnte man 
sich rasch an die europäische Kleidnng, wie die sshlreichen Bild* 
nisse der Zeitgenossen Peters zeigen, in denen die Golowin, 

') £ine Handschrift der Akademie der Wiss. b. üstrjalow, Feter d. 
Gr. m. 198. 

*) UsCijslow, Peter d. Gr. IL U6. 

*) Penr, d. jetsige Stsst von Xoskan, deatsche Üben. S. 

18 



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194 3Sm Kleiderreformprojekt vor Feter dem Grofseo. 

Apraxüi, Venseliikow a. a. in derselben Kleidung, in derselben 
Perrückö erscheinen, die wir auf den Bildnissen etwa Knpeuß 
von Savoyen, französisoher Marschälle oder anderer westeuropäischer 
Zeitgenosien erbliokea. 

QaoB anders miurte mao in den unteren Sohichteo des Volkes ! 
ünsililige worden gefllnglioh eingesogen, und strenge bestraft, 
weil sie sicn AuTsernngfen des TTnmnta gegen den reformierenden 
Zaren tjikiul>t hatten. Ein Bürger der Stadt Dniitrow liatte, 
wälirend er die neue Kleidung anzog, gesagt; t,Wer diese Kleidung 
eingeführt hat, sollte gehängt werden!" ^) Schon vor Peter hatten 
die Sektierer in ihren Schriften behauptet : ,,Gott habe ausdrück» 
lieh die Einffihmng anslAodischer Kleidungen Terboten, ihm sst 
diese Kleidung im höchsten Grade widerwärtig/' Eme solöhe 
iReform gfdt also als eine Retserei, als ein Abfall von der recht- 
gläubigen Kirche,^ Jetzt murrt« das Volk üi)er den Patriarchen 
Hadrian, der zu so Bchlinimen Keformen schweige, alles üher sich 
ergehen lasse, nicht protestiere, nur, \\m seine Stelle zu behalten. 
Allgemein hielt man es fttr wahrscheinlich, dafs das Bartsoheren 
und die neue Kleidung nur der Anfang lu noeh schlimmerer 
Ketserei sei, dals namentlich die Beobachtung der Fasten bei Hofe 
und im Heere unterbleiben werde. Es wurde sogar das Gerücht 
verbreitet, Peter sei gar nicht /arischer Abkunft, sondern ein 
untergeschobenes Kiud, der Sohn einer Deutschen. Als Beweis 
wurde die Einführung der deutschen Kleidung betrachtet: ein 
wirklicher Busse hätte so etwas nie unternommen. Die abge- 
schmacktesten Härchen wurden eraählt und geglaabt, u. a. eine 
Legende : der Zar Peter sei im Auslände umgebracht worden und 
die Ausländer hätten einen andern geschickt, der sich für den 
echten Zuren auagebe, während der wirkliche Peter in eine Tonne 
gesteckt und ins Meer hinausgestofsen worden sei. Personen der 
Umgebung Peters, wie etwa Menschikow, wurden als im Bunde 
mit dem Teufel stehend betrachtet, weil sie Perrftcken trugen; 
der Zar selbst ist wiederholt als ein Antichrist bsaeiohnet worden. 

') S8(»lowje\v, Gesch. Rufslds., Bd. XV. S. 137. 
■) Schtschapow, der Koskoi, S. lÜÜ ff. 



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Ein KLtiiderreformprojekt vor i^eter dem Grofien. 



195 



Bei Gelegenheit des Aufstandes in Astrachan erzählte man dem 
Volke , dals die ausländischen Militärs und höheren Beamten 
Götsendienst trieben und ihre Götzenbilder stets mit sich föhrten* 
Bie Begienmg eiitthr deron und stellte Naehforschnngen darüber 
an, wie ein solches Gerücht habe entstehen können. Man erfahr, 
dafs die PerrttdrenstSoke, deren sieh die AnslSnder und rassischen 
Beamten zur Schonung ihrer Haartracht bedienten, für Götzen- 
bilder waren angesehen worden. 

Die russische Kleidung, welche wir auf den Abbildnngen der 
Werke aoslindischer Beisenden, wie Meyerbergs oder Olearios a. a. 
an betrachten Gelegenheit haben, bedorfte einer Beform. Sie 
hatte etwas Weibtsohes. Nicht selten geschah es, dafs MSnner 
die Kleider ilin i Frauen für sich innmachuu liefsen, Audi waren 
die alten Anzüge nmiat recht kost&pieiig und luxuriös, mit einem 
unnötigen Aufwände von Stoffen verbunden. — Als König 
Wilhelm JH. in England den Zaren Peter fragte, was ihm denn 
in Xjondon am meisten gefiülen habe, soll dieser geantwortet 
haben: ^^dafo die reichsten Leate in schlichten, aber reinlichen 
Kleidern einhergehen". ^) Peter selbst trug gern liol ländische 
oder französische Schlfferkleidnng. JJiehe gestattete ihm die freie 
Bewegung, deren seine Arbeiten beim äcliifUjau und dergleichen 
bedurften. In den langen Gewrädem, mit herabhängenden Armein 
der rossisehen Vornehmen konnte man freilich keine Hasten 
erUettenir nicht mit der Zuamermaansazt hantieren, ttberhaapt 
nicht eine intensire Thätigkeit entwickeln. Sehr btibscb bemerkt 
Ssolovvjew, ) dafs die Art der Kleidung der Art des Volkes ent- 
spreche. Der bequeme, indolente Asiate erscheint eigentlich 
fortwährend im Schlafrock. Wollte der Busse sich in einen 
Enropier Terwaadelni arbeiten, prodnsieren, Torwärts streben in 

S^olowjew a. a. ( ). an verschiedenen Stellen des XV. Bamles. 

•) S. i'osaelt, Lefort II- 478. Dafs übrigens London in dieser Hin- 
sicht selbst dem Kontinent vorausgeeilt gewesen zu sein scheint, ist aus 
dem Umstände zu ersehen, dafs auch der Genfer Jakob Lefort, der 
fimder des Frenndes des Ztren, in London sich über die einfachni und 
sauberen Kleider der Londoner lobend ftufserte. 

*) Ssokiwjew, XY. 186. 

18» 



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196 



Lia ivleiderroformprojekt vor Peter dem (jrrofjiexi. 



we«toiiro|>ftischer W«ite, so rnnfste er seine, die Tätigkeit be- 

hindernJe, ünt;iitaliache Klruluni: üufgeben. Es liaudclto .sich 
nidit um eiue Nationali tat euirage, soiideru um die Entscheiduag, 
zu welcher Rasse, zu welchem Weltteile KuXaland fortan gehören 
sollte und wollte. Die Kleiderrefomi war eine geschiGlLtliche 
Notwendigkeit! nicht dae Ergebnis der anfölligeo Ijaiine eines 
absoluten Herrsohers. ^) 

Nicht Peter allein vertrat die Idee von der Notwendigkeit 
einer Kleiderreform. Wir beabsichtigen in dem folgenden auf 
die Ansichten eines Mannes hinzuweisen, der sich einige Jahr- 
sebnte vor der reformierenden ThXtigkeit Peters in Rofuland auf* 
hielt, dessen Ideen in vieler Beaishiing ndt deqjenigen des genialen 
Zaren fibereinstimmteni dessen Eatwflrfe aber nicht Terwirklieht 
wurden, weil sie nur von einem in der Verbannung lebenden 
Schriftsteller herrührten und nicht in die laafsgebenden Kreise 
der Begienmgsgewait zu dringen vermochten. Diese Ansichten 
gewähren einen interessanten Beitrag zur Kulturgeschichte jener Zeit. 

Jur^ Krishanitsch, ein Serbe, geboren 1617, kam, nachdem 
er einen Teil seiner Jagend In Italien Terbraoht hatte, nach yer 
schiedenen Reisen im Jahre 1659 nach Moskau, wo er, als katiio* 
lischer Geistlicher, die Unionsbestrebungen vertreten zu haben 
Bclieint. Vielleicht infolge solcher Agitation geriet er in einen 
KoDÜikl nut den bestehenden (iewalten und wurde im Jahre IGtiO 
nach Toholsk in Sibirien verbannt, wo er bis zum Jahre 1676 blieb. 
Seine ferneren Schicksale sind nicht bekannt. Er wsr, wie wir ans 
seinen Schriften ersehen, durch vielseitige Bildung ansgeaeicbnet 
und behandelte in seinen, die durchgreifendsten Beformen be- 
zweckenden Elaboraten Fragen der heterogensten Art, das Staata- 
wesen, die Volkswirtschaft, die Technik, die Beligion und Moral 
u. s. w. betreffend. ^) 

^) Als die japanische Gesandtschaft im Jahre 1863 8 ich in St. 
Petenburg aufhielt, fiel sie durch ihr Kationalkostüm auf. Spätere Qe- 

sandte (1878) erschienen in europäischer Kleidung. 

•) Die Schriften Krishauitscha erschienen von Beasonow heraus- 
gegeben in den Jahren 1859 und 1860 u. d. T. „d. Russ. Staat um die 
Jütte des 17. Jahrhuuderts" uud „Über die Vorsehung". 



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Ein Xleiderreformprojekt vor Peter dem Urorsen, 



197 



Wir weisen nur auf diejenigen Stellen seiner Schnften hin, 
in denen die Kloiderreforiufrage berührt wird. Krislmnitsch ist 
als Slave toU Wärme für BofBlaDd. Er hofft durch KufslaiidB 
Xacht imd Entwickelimg anf eine Begeneration des in Enrepa 
herabgekomineneD Weti- und Sfidslarentami. In gewisBem Sinne» 
als Kiehtmese, als Katholik, als Vertreter westenropSiscfaer Bil- 
dung ist er Ausländer, daher gilt hei manchen Historikern sein 
oft scharf tadelndes Urteil über Hufsland und die Küssen als 
parteiisch and nogerecht; in anderer Beziehung, als Pansiavisty 
ist er mit seinen Ansichten über Bolslandi mit seinen an Bab- 
lands Emporkommen geknüpften HofPnnngen den AnslSndem, 
welehe im siebsehnten Jahrhundert über Bufsland schrieben, ent- 

gegengesetzt. 

In semer umfassenden Öchrift „Gespräche über den Staat" 
widmet er der Frage von den Kleidungen und dem aufseren 
Wesen der Menschen zwei Abschnitte. ^) Seiner in vielen F^len 
üblichen Methode gemäis geht er anch in diesen Abschnitten von 
gana allgemeinen Sätsen ans, erwähnt der Zustande verschiedener 
Völker, die er untereinander viTf^lelcht, zitiert verschiedene be- 
tretiende Beispiele aus der GeBchichte und kommt dann auf Rufs- 
land zu reden, wo er die bestehenden Verhältnisse einer sti'eugen 
Kritik untersieht nnd sodann Beformvorachläge macht. Er sagt: 

ffEin schönes Anssehen ist das Zeichen eines scharfen nnd 
tüchtigen Geistes: ein grobes Aussehen zeugt von Stumpfheit» 
Das günstigste Zeugnis für geistige Entwickelung ist mannig- 
faltige Schönheit. Es gibt Völker, die schön sind, aber nicht 
weise: bei diesen haben alle denselben (Tesichtaausdruck, dieselben 
Züge, nnd sehen wie Söhne eines Vaters aus : so die Armenier^ 
die Gmsier und die Tscherkessen. *) Aber diese Völker sind 
nicht sehr gebildet und entwickelt* — Einige Völker haben be- 



J) I. 124-143. 

-) „Tscherkassy" heifst sonst im 17. Jahrhundert „Kleinruasen", 
doch pafst die eigentlich russische Bedeutung der Wörter, die unser 
Autor braucht, nicht immer auf seine Sprache, die ein Qemisch ist von 
BuBsiseh, Serbisch, Polnisch u. dergL 



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198 



* 

Ein Kleiderrrfonnprojekt vor Peter dem Grofien. 



londere VonCige des Körpers : die Griechen beben grofse, ronde, 
glänsende Augen, die Spanier weiTse Hient, sdiwaneB Haar, langen 

Schnurrbart. Elienso haben die Franzosen, Deutschen und Italicner 
ihre besonderen Vorzügo. - Andere Völker sind als häHslich 
bekannt. Die Tataren haben kleine, tiefliegende Augen, die 
Kalmücken beben platte Nasen « die Mobren sind koblsobwen 
und beben anfgeworfene Lippen; die Indianer beben eine dnnkle 
Haut, platte Gesiehtesflge und sind bartlos; die Samojeden sind 
klein, haben breitn Gesichter, kleine Augen, kurze Beine, keinen 
Bart. Die Araber siud zwar dunkelfarbig, aber nicht häfslich: 
auch in geistiger £ntwickelmig nehmen sie eine Mittelstellung ein.'* 

nTTnser Yolk,<* sagt Krisbanitscb weiter, indem er nicbt so 
sebr die Rassen allein, als die Slayen Überhaupt meint, „ist weder 
als besonders schön, noch als besonders härslich liekaunt. Wir 
sind nicht so häfslich wie die Zigeuner, Tataren, Samojeden, 
Äthiopier, Indianer, Sibirier, und nicht so schön, wie die Griechen, 
Italiener, Spanier, Fransosen und Deutschen. Die Nacbkonunen 
Japbete Übertreffen uns an Soh5nbeit, wir dagegen fibertreffen 
die Naohkommen Chams. Wir sind stark von Körper, beben 
hellblaue Augen , iiiemaud der Unseren liat sehr starkes oder 
ganz schwarzes oder ganz rotes Haar, sondern aschfarbenes. 
Daber sind grofse Bärte, eben ihrer Seltenheit wegen, sehr ge> 
sch&tst. Die Spanier und Italiener scb&taen die Bärte niobt 
bocb, sondern rasieren dieselben: jeder Bauer bei diesen Völkern 
könnte leicbt einen schönen Bart haben, wenn er denselben pflegen 
wollte. Die Deutschen haben die verschiedensten Bärte: dichte 
und dünne, lauge und kurze, schwarze und rot«: sie pflegen sie 
nach Gefallen, stutzen sie oder nicht, rasieren sich oder nicht. 
So müTsten es aucb unsere Leute machen, namentlich die 
Soldaten.« 

So liberal dachten die echten Russen inbetreff des Bartes 
nicht, wie wir bereits bemerkten. Gerade iubozug auf Haare 
und Bart war man sehr konservativ in KulBiand. Das Vorurteil 
berrsobte* Über Haar und Bart macht Krisbanitscb an einer 




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Ein Kleiderreformprojekt vor Peter dem Qrofseo. 199 

aDdem Stelle, vad swer in dem Abaohnitt Aber die Hem'wmeni 

folgende treffende Bemerkungen J) 

„Eine sehr M'ichtige UrBache der Feigheit bei den Truppen 
ist die häfsliche und unanständige Haar- und Barttracht und die 
•oUechte Kleiduiig. Eine gute Kleidung flöDst dem Kämpfenden 
Belbet ICnt ein nnd imponiert dem Gkgner. Selbet ein Ffud, wenn 
es hflliseh an^echiirt ist, biumt Biob nnd springt tot Frende» 
ebenso ist ein aohön geschmückter Krieger mit geordnetem Bart 
und Üaar mutiger und hat ein höliores Selbstgefühl. Die russische 
Kleidung aV)er ist nicht schön und gestattet keine Würde und 
keine Freiheit und keine ungehinderte rasche Bewegung, sondern 
macht den Bindmek der Sklaverei , der Gtedrücktbeit und der 
llntlosi^eit. Unsere SIrieger stecken in so knappm und engen 
Böcken, als seien sie darin festgenäht: ihre Köpfe sind kahl; 
ihre \uig<*pflegten liärte geben iiineu eher duö Ansehen vüu W aid- 
menscheu als von tapferen Kriegern.'' 

„Ein Baum im Winter und der Blätter beraubt erscheint 
elend, häfslich, jämmerlich, Teräohtlich, während er im Sommer 
stattlich, schön, ttppig aussieht. Ebenso erscheint ein Kann mit 
nicht allzu langem oder weibischem, aber reichlichem und anständig 
geordnetem Haarwuchs und in einem Kleide von angemessenem 
Schnitte zu Pferde sehr stattlich, und kann sich, wenn er zu Fufse 
ist, viel besser bewegen: er ist nicht blofs schöner, sondern er 
kann auch eher dem Frost nnd Bogen und Unwetter und der 
89nnenglnt trotaen und ist infolge dessen tapferer nnd dem 
Feinde gegenüber schrecklicher. Die Italiener nnd Spanier leben 
in viel heifseren Gegenden als wir und es ftllt ihnen nicht ein, 
ihr Haupthaar zu scheren, \v( j] sie auf Schönheit und Stattlich- 
keit viel halten. Wir aber leben in kalten Gegenden, sind von 
Natur nicht schön und hätten es um so nötiger das Haupthaar 
an erhalten, um die Häfslichkeit unserer Gesichter su mildem, 
um die Ohren yor dem Erfrieren zu schütaen, um die Tapferkeit 
unserer Krieger au erhöhen. Aber wir aiehen es vor, den Bar- 



') S. 94. 



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soo Ein Kleiderr efon nprojekt vor Peter dem Groften. 

bttren naohsafthmen, den Türken und Tataren, atati dem Beispiel 
der EnropSer sa folgen, ünd Bwar nichi in allen Stücken folgen 
wir dem Beispiel der Barbaren, sondern machen ea noch schlimmer 

wie sie. Sie bedecken ihre kahlen, häfslichen Häupter mit kleinen 
and grofsen Turbanen, die sie nie abnehmen : wir aber lassen 
unsere kahlen Häupter unbedeckt gleich Kürbissen erscheinen. 
Ein geachorener Kopf ist ein Zeichen der Sklaverei ; den Kriegs* 
gefangenen nnd OaleerenskUven wird das Haupthaar geschoren. 
Ber Schopf am Hinterhanpte hei den Tataren nnd der Schopf 
am Yorderhanpte der Polen ist um nichts besser als TSlIige Kahl- 
heit. Auch wenn die Küssen das Haar unfircordnct wachsen 
lassen, dals es die Stirn bedeckt, gewährt dies einen widerwärtigen 
Anblick und macht den Eindruck, als sehe man einen Wald- 
menschen. Die Terwilderten Bärte lassen die Soldaten älter 
erscheinen, als sie wirklich sind nnd daher ist der Schrecken, den 
sie dem Feinde einflöfsen, geringer." 

Krishauitsch war nicht der einzige Ausländer, auf den die 
Sitte des Haapthaarschesens einen nnangmefamen Eindruck machte. 
Anch OleariuB hatte eine gana ähnliche Bemerkung gemacht» 
indem er in seiner Beisebeschreibnng (S. 179) berichtet: 7,Daa 
Haar auf dem Kopfe tragen nnr ihre Popen lang nnd fiher den 
Schultern herunter hängend, die andeiü aber alle kurz abge- 
schnitten. Die gr Olsen Herren lassen es gar mit dem Scher- 
messer abnehmen, halten es fUr einen Zierrat. 

fßo fem aber einer sich an Se. ICajestftt versündiget hat, 

oder weifs, dafs er in Ungnaden ist, lasset er das Haar lang und 
wild wachsen, so lange solche Ungnade währet u. s. w/' 

Krishanitach läfst nun eine ganze Beihe von Völkern inbe- 
treff der Hsar^ nnd Barttraeht Bevne passieren. Er lobt 
die Art der Koldaner sich das Stirnhaar zn rasieren, mit dem 

Hinterhaupthaar den ganzen Kopf und die Hälfte der Ohren zu 
bedecken, ebenso scheint ihm die ("oiffuro der Venezianer recht 
angemessen zu sein, welche das Hinterhaupthaar mit der Schere 
statsen nnd ringshemm einen Krans von längerem Haar stehen 




Ein Kleiderreformprojekt vor Peter dem Grofsen. 201 

lassen. Audi lobt er die Spanler, welche das J I interhaupthaar 
kurz scheren. Das Haar zu lang wachsen zu lassen oder gar 
an der Seite einen Zopf zu flechten, wie die Deutschen biaweilen 
tbiuii schemt ihm nicht nachahmiingswert. Kan mtlssei meint 
flTf in allen Dingen Kafa halten. 

Von der Barttraoht sagt er folgendes; »^Die Böhmen und 
Ungarn tragen einen rund zugeschnittenen , mit Schere und 
Rasiennchäer behandelten Bart. Bei einigen Völkern pflegen die 
jüngeren LeutOi denen kein üppiger Bart wachsen will, den Bart 
mit der Schere an beschneiden; sie tragen dann Stoppeln und 
Sohnarrbart. Die Deutschen thnn sehr gut, wenn bei ihnen 
jeder den Bart trKgt, wie er will nnd wie es ihm gnt steht. 
Die fein zugespitzten Ziegenbärte, die man hier und da in Europa 
sieht, können wir nicht loben. Die Türken scheren sich den 
Bart, so lange sie unverheiratet sind und halten es für uuzulässigi 
als Ehemänner den Bart an stntaen oder an scheren. Soldaten 
sind nicht yerpflichtety diesem Gebranche sn folgen, sondern be- 
schneiden den Bart mit einer Schere, mit nicht einem Basiennesser, 
wo das Kinn so glatt wird wie bei Frauenzimmern.'' 

Sehr liberal und im Sinne Peters sagt Krishan itsch : „Wenn 
Jemand fragt, ob es denn nicht für die Christen unziemlich er- 
scheine, Hnsih an machen, den Bart an scheren oder langes 
Haar an tragen, so mnfs man darauf antworten, dafs solches alle« 
den Juden Terboton gewesen sein mag, wihrend es den Christen 
gestattet ist." — Aber im ganzen ist er doch, nicht ans reli- 
giösen, sondern aus Schönheitsgi üuden für ein Stehenlassen des 
Bartes, indem er bemerkt: „Allerdings waren die Körner tapfer 
und hatten trotzdem die Sitte, sich Haar nnd Schnurrbart glatt 
abaurasieren, aber die Börner hatten so schöne Helme mit allerlei 
Tiergestalten darauf, mit Schlangen, Wölfen und Biren und ihre 
Kleider hatten einen solchen Schnitt, dafs sie den Fmnden im- 
ponierten. Uns ist es ratsamer Haar und Bart zu pflegen, als 
für die Kleidung viel Geld auszugeben." 

„Eine gute Kleidung aber ist eine solche, welche gegen 
Bogen, Frost, Nüsse und Sonne schtltat und den Menschen an 



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SOS £>n Kleiderreibrminrojdit vor Peter dem Groben. 

■einen Bewegungen nieht beliinderty welehe lange hilt und niclit 
teuer sn stehen kommt/' ^) 

„Die Spanier haben ein Yolksspiel : man ringt und wetteifert 
da um allerlei Preise. Unter den letzteren ist ein solcher, der 
denijenigen zuteil wird , welcher am schönsten und zugleich am 
woblfeileten gekleidet ist. £s kommt also dabei nieht auf Geld, 
flondeni auf Qeist und Qesohmaok an.''*) 

Kriehanitech findet nnn, an eeinem grofsen Ijeidweeen, da& 
alle diese Bedingungen einer guten Kleidung bei den Russen und 
aonstiffen Slaven sich nicht finden. Va' erinnert daran, dafs 
jfcüiiser Kotistantin der Purpurgehorene die Serben als Sklaven 
beieichnet hatte» weil eie eohlechte Fufsbekleidong trogen : nnge- 
gerbtes Leder mit Stricken an die Fülee gebunden. Abnlioh 
Terftchtlich findet KrishanitBoh die Baeteehohe der Bniaen und 
itt entrostet darttberi dafe die Rnesen ibr Leder den AnsUbidem 
verkaufen und selbst barfufs gehen. Die Beinkleider seien viel 
an lang und zu eng und reiTsen leicht an den Knieen. £beiiao 
seien die Böcke lang wie Säcke und dabei viel zu knapp, was 
den Männern ein gans weibiscbes Ansaehen gebe. In den Kleidern 
feUe es, weil sie so knapp seien, an Taschen, so dafs die Bnssen 
ihre Kesser, Brieftohaften n. dgl. in den Stiefelschäften, ihre 
fcJcliiiupft ucher in dm Alutztu umi ihr (jcld iiu iluude verwahren 
müiüten , welch' letztere Sitte Krishanitsch unsäglich widerlich 
findet.^) Sehr lächerlich findet er die Sitte in Bnlsland, Mützen 
und Peiae mit feil zu füttern, so dafs die teneren Zobel n. dgL, 
die doch aum Scbmncke ▼orbanden seien, nicht einmal siebtbar 
würden. Ebenso tadelt er die Sitte, die Hemden mit Gholdstiekerei 
und Perlen zu benähen, da man sie unter dem Kocke nicht sehe. 
Er meint, die Bussen trügen nur darum so grelle bunte Parben, 

») a 97. 

•) 8. 180. 

Olearius SSO: „die Bossen s^d gewShnt, dafs, wenn sie in Be- 
sichtigung oder A})incB8ung derWsluwn begriffen, sie die Copeoken ofTt 
bei 50 Stück in's Mund nehmen, reden ond handeln immerfort, daü« 
man 's jhnea nicht anmerken kann, machen, alsosn reden, ihr Jinndsnr 
Taschen". 



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Ein Kleiderreformprojekt vor Peter dem Grofsea. 



weil sonst ihre Kleidnngsstflcke von so häfslichem Schnitte seien, 
dafa ihr Anblick nur noch etwa durch die Buntheit erträglich 
würde, (ianz anders, bemerkt er, machten es die Deutschen, 
welche aneiit grsaes Tnoh trfigen. Aber Moh die Dentechen, 
Agt er hinsn, Tertanaelien in Btoblandi sobald ne nusitdhe 
Kleidung anlegen, die dunkeln Stoffe mit Inmten, weil man in 
rassischer Kleidung und granem Stoffe dnrohaiu wie ein Bauer 
gekleidet erscheine. 

^^Anderswo/ führt er fort, „tragen nur die Frauen Perlen; 
in Bufsland dagegen prunken beide Geschlechter mit solchem 

•» 

Tand.' Yon der Franenkleidnng ttgi er: «Die Arme! an den 
Kleidern sind Ton sehr koitbarem Stoffia, lehr eng und aehr lang, 
was eehr änmm ist. Die HXnde sind nieht frei und die Ärmel 

reifsen leicht, weil sie zu knapp sind. Audi hängt man sich 
wohl vorn am Leibe allerlei silberne Troddeln au, was einem 
Pferde eher wohl anstehen würde, als einem Frauenzimmer. Die 
Kopfbekleidongen mit vier Hörnern sind entsetslich widerwflrtig. 
Einige tragen den Gürtel unterhalb des Banohes, andere gar keinen. 
Beides ist gani nnschieklieh.** 

Sehr hübsch erörtert Krishanitsch die psychische Bedeutung 
einer weiten, bequemen Kleidung: 

„Die Geistlichen, sowohl im Orient als im Occident, tragen 
weite Gewänder, offenbar, weil diese dem Keuschen eine gewisse 
Stattlichkeit und "Würde verleihen. Eine an knappe Kleidung 
lifst den Keuschen als unbedeutend und unansehnlich efsekeinen, 
deckt die Blöfse nicht genügend und iSfst manche K5rpermängel, 
allzu grofse Magerkeit oder überniäfsigo Dicke oder schlecht ge- 
formte Glieder hervortreten. Kommt ein i&rensch in knapper 
Kleidung in die Gesellschaft solcher, welche bequeme, weite Ge- 
wifcnder anhaben, so wird er Furcht und Yerlegoiheit empfindeUi 
als habe er etwas gestohlen, weil er fühlt, dafs seine Blttlse nicht 
hinreichend gedeckt ist, und dafs er gleichsam nackt unter Be- 
kleideten erscheint. So mag es dem Ungarn zu iMute sein, wenn 
er unter Deutschen auftritt. Kommt aber ein Italiener, ein Deut- 
scher, ein Spanier in eine Gesellschalt von Ungarn oder Slaven, 



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204 Eiii Kleiderreformprojekt vor Peter dem OroCsen. 

so tritt er sicher und würdig auf, wio ein Löwe und bewegt sich 
leicht und frei and stolz. Dabei kosten noch die weiten Kieider 
der letzteren weniger als die knappen der Ungarn: man braucht 
SU den ertteren weder kostbue Farben noeh allerlei Zieraten. 
Die nmiBehen Ärmel sind ao eng, presaen die Arme ao «in, dafa 
man darin nur mit der gröfsten Anstrengung daa Gesicht waschen 
kann ; man kann in den knappen Beinkleidern schlecht reiten, 
nicht bequem gehen , auch nicht sich frei hinsetzen ; auf dem 
Pferde erscheint nmn wie ein an den Sattel gebundenes und daran 
starrendes Stück Höht. — Solche Kleider sind auch nicht dauer- 
haft. Sehr oft siebt man bei den Bnaaen, Kroaten und TTngam 
einen neuen Bock mit aerrissenen Ärmeln^ die eben infolge der 
Knappheit an den Ellenbogen platzen. Bei den Italienern lialteu 
die Ärniol ho lauge vor, wie der ganze Rock. Aulserdem herrscht 
da die gute SittOi die Armeli ms nndorm Stoffe als der Rock 
gemacht, anaunihen. Auch eine Teilung der Beinkleider in Ober- 
beinkleid und Kamaachen iat sehr zweckmäTsig: man kann drei 
Paar der letateren vertragen, ehe man ein neue« Beinkleid braucht.'* 
In Rufsland herrschte um jene Zeit ein gewultiger Kleider- 
InxUB. Petrejus erwähnt u. a. der Hemden mit Xragen von 
Atlas , Samt und mit Perlenstickerei versehen ^ Olearius ^) be- 
richtet von kostbaren Bocken yon „Tammasch, Atlaa und Giilden- 
atücken", Ton goldenen mit Perlen gestickten Litaen und (^uaaten, 
▼on r,Posamenten und Schnüren und Borten" u. s. w. Bd 
manchen Kleidungsstücken bestand der Ehrgeiz, darin möglichst 
viel StofT zu verbrauchen. Die sehr reiche Garderobe der Zaren 
kann man sehr genau aus dem im Jahre 1844 herausgegebenen 
Werke: „Die Ausgänge mnischer Zaren*' kennen lernen, in 
welchem alle die Terschiedenen Kleidungsstücke, welche die Zaren 
im aiebaehnten Jahrhundert Tag fUr Tag in der Kirche, bei 
Audienzen, Hoffesten u. dergl. m. angehabt haben, protokollarisch 
vcrzeichiut sind. Von den kostbaren Stoffen und scliillerndea 
Farben der Kleidungsstücke der Zaren, mancher Magnaten und 

0 Petrejos 598. 
Olearius 182. 



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Liu Kleiderreformprojekt vor Feter dem (xrofaen. 205 

Oeistliehen gfewinnt man den vollstitndlgst«]! Eindraek, wenn man 
das AVerk daa Akademikers Soliizcw ,,K,us8is< AltiTtüraer'' durch- 
blättert, dessen prachtvolle AuBstattoog ihresgleichen sucht. 

Ein tolcher Kleiderprunk war nan bis in die untersten 
KlasMo der Berölkemiig in Bolalaiid wbreitot. Jfaa kaufte 
▼iele analttndiaohe teuere Waren, um aioh damit an sehmfiokeii» 
und Eriahanitaeh ist im hödiaten IfiafiM tmsnfrieden mit der Ein- 
iulu solcher Luxusgegenstuude , Zieraten und .Scliumcksachen. 
Es sei thöricht, meint er, daTs in Bufslaud jeder iSeide und bunte 
teuere Stoffe tragen wolle, während doch das Land diese Waren 
nicht herrorbringe* ^) Auch klagt er darttberi dafii die betrtigertachen 
grieohiachen Kaoflente viel maaiachea Gold für bnntaa Glaa, daa 
aie ala Edelateine yerkanfen, ana dem Lande bringen. ^ Er aeUlgt 
vor, eine Kleiderordnung zu erlassen und nieint, man müfste den 
unteren Ständen das Tragen von Seide, Perlen, kostbaren Farben 
streng untersagen. ^) 

Petrejna aagt von den Bnaaen : „Bo lange aie in den Hänaem 
aeyn, nnd dabeime bleiben, beben aie die geringpten, serriaaenen 
tind Bohlimmaten Kleider an, ao aie haben. Wann aie aber wollen 
aufsgehen, nnd spaciren ihre Befreundten besuchen, oder sonsten 
in die Kirche, aufl" den Markt oder Schlofs, ziehen sie die besten 
und schönsten Kleider an , so sie haben , und wann sie nach 
Hanae kommen , . . . . nehmen aie die alten Lampen wieder n. a. w. 
und halten dieaen Ghebranoh aUe, ao wohl bobea ala naedrigea 
Standea peraonen, MÜnner nnd Weiber, alte nnd junge. Wer 
m<dit aelber so gute nnd köstliche Kleider hat, als er gerne haben 
wolte, sonderlich wann j^rofse Festtage vorliaiiden seyn, oder er 
will etwan zu Gaste gehen und sich für seinen Freunden und 
Verwandten etwas gros und stattlich sehen laaaen, nnd erzeigen: 
Borget er von andern, oder gibt Qehl zu atewer, ao viel tage 
ala er haben wili nnd an Ehren gebranchen. Dann aie aebtana 

0 L 164. 
•) n. IW. 

•) 1. 89. 

«) Kofidrawitisohe Ohronika, & .618 und 614. 



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206 Ein Kleiderrefonnprojekt vor Peter dem Grofsen. 

nielit, wenn iie gleich tollten verliüiigem, eaeen trooken Brod, 
und trinken AVasser nur allein, dafs sie sich unter dem Volk 
können prächtig, stolz und hoflFertig erzeigen, denn sie von Natur 
sum Ehrgeiz und YermesaeDheit mebri als sur Demut, Sanftmut, 
und andern tagenden geneigt seyn." 

Yon einer LnznapoUsel oder einer Geaetigelrang in Inxoe- 
poUseilioher Absieht in Bnfeland bia sum aiebiehnten Jahr> 
hundert ist uns nidit viel bekannt, dagegen war im W^ten sdion 
im Mittelalter ein Bestreben der Regierungen wahrnehmbar, den 
Konaum der ünterthaneu auch iu Beziehung auf die Kleidung 
gewissen Beschräukiuigen zu nnterwerfen. Wir erinnern hier 
nnr etwa an die Kleiderordnung Philipp des Vierten von Frank- 
reich nnd an die prenfsische Kleidevordntmg. — In England und 
Frankreich waren gegen das Ende des sw^lften Jahrhunderts 
Scharlach nnd H« imeliu verboten. Im spätem .Mittelalter pflegten 
die Bitter Gold, die Knappen nur Silber tragen zu dürfen, jene 
Damast y diese Atlas oder Taft; oder ea war auch, wenn die 
Knappen Damast gebranchten, den Bittem allein der Samt 
Torhehalten. Das englische Verbot, wShrend der Begierang der 
Königin Hiaria, irgendwelehe Seide am Hute, an der Hütse, 
Hose u. s. w. zu tragen, wurde in der Absicht erlassen, die ein- 
heimischü Woilfabrikation zu fördern. Ebenso war Sully aus 
merkantilischen Gründen für Luxusverbote, um nicht das Land 
durch Ankauf fremder Kostbarkeiten verarmen sn lassen. Auch 
Heinrieb IV. kleidete sich des Beispiels w^gen sehr einfach nnd 
spottete über diejenigen, welche, wie er sagte: „portaient leufs 
moulins et lenr bois de haute-futaie sur le dos". ^) 

Ganz in derselben Weise , wie im Westen Liixnsordnungen 
sehr streng nach dem Unterschiede der Staude abgestuft zu sein 
pflegten, oder wie noch Montesqnien die Ansicht aussprach, in 
Monarchien sei der Lnzns notwendig, nm den Unterschied der 
Stände anfirecht au erhalten, so will auch Krishanitsch den Ge- 
brauch von Lnxnswaren den unteren Ständen nicht gestattet 



*) BoMher, Qrundzüge d. Bus«. Ök. L 467 ff. 



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Ein JKieiderreformprojekt vor Feter dem Ororaen. 207 



wissen. T*lr lobt tiit? Kleitierortluuiig der Venezianer, wo vorge- 
schrieben wurde, wie Tiel die Kleidung kosten dürfe und wo den 
geringeren Sünden du Tragen der Seide, Perlen, Gh>Id u. dergl. m. 
▼erboten eei. Indesaen , meint er , im Gegematse sn der oben 
erwähnten Ansieht Hontesqniens nnd im Widerspntohe mit dem 
G^ist nnd der Absicht seiner sonstigen Ausführungen, es sei in 
lionHichien nicht nötig darüber Gesetze zn erlassen. Zwei Seiten 
weiter sagt er ausdrücklich: „Es wäre gut den gemeinen Leuten 
dfts Tragen von Seide, Scharlachtach and Goldstiokereien in ver- 
bieten, damit die Yomehmen nnd Geringeren yoneinander unter- 
schieden werden k&nnen. Es ist gana nnangemessen , wenn ein 
kleiner Schreiber ebenso gekleidet ist, wie ein grofser Bojar.** 

Wie Peter der Grofse überrascht und angenehm berührt war 
von der Einfachheit der Kleidung der reichen Londoner, so be- 
merkt aaoh Kriahanitsch : „Im Westen ist die Kleidung ver- 
nfinftiger ; man hat dort keine Knöpfe yon Gold oder Edelsteinen,^) 
nicht kostbare lange Stickereien oder Troddeln und Schnüre an 
den Knöpfen, nicht Perlenstiokereien. Kan trägt sehwarses nnd 
grünes Tuch. Bunte Stoffe werden nur zur Ausschmückung der 
Kirchen, für Frauenkleider und andere Zwecke gebraucht, nie 
aber für Männerkleidungen. Der Aufwand, welchen ein Bojar 
bei uns macht, nm sich ein Jahr bindoroh au kleideni wtkrde ge- 
nügen, nm in Spanien, Italien oder Deutschland drei fftrsten 
ein Jahr lang mit Kleidern an Tersorgen. Dort kleiden sich 
selbst die Könige einfach, und zwar geschiebt dies nicht aus 
mönchischer Askese, sondeiu weil die Männerkl* iduugeu in diesen 
Landern keiner bunten l'arben, keiner l^erlcu und Ldelsteine u. s. w. 
bedürfen. Wer dort etwa an einer Hochseit oder im Kriege sieh 
bnnt kleidet, gilt als iMeherlieh nnd leichtfertig. . . . Die Dentaehen 
haben allea, nnd was sie nieht haben, bringen sie ans Indien, wir 
haben nichts nnd Terstehen nichts nns selbst an verschaffen, sondern 
nlü.s.^('ll alles von den Deutschen kaufen und sind bereit, die Augen 
aus dem Kopf binangeben für alle diese unnützen Dinge, wie 



^ Es gab Ausnahmen, s. B. Bnckiagham. 



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208 Ein Kleidarrafonnprojekt tot IPoier dem OrofMo. 

Seide, Ferbetoflfo, Gold, Perlen n. s. w., und wollen dam nicht 

einmal von den Deutschen lernen, wie man sich praktisch kleide.* 
^Ob ein Kleidungsstück zweckraärsig ist. hängt vom Zuschnitt 
desselben ab. Die Deutschen halten strenge Winter ohne Pelze 
auB, wir dagegen, wenn wir nicht vom Scheitel hui zur Sohle in 
Fehn eingehüllt sind, leiden von der Kfilte. Anoh die Deutschen 
mfiflsen, jsohald nie unsere Kleidung annehmen, siioh der Pelie 
bedienen; dies kommt Ton dem gana unaweckmSTsigen Zuschnitt 
nnserer Kleider. Die Deutschen, Italiener, S|)anier leben in 
wärmeren Klimaten als wir, sind aber durch ihre Kleidung weit 
besser g^n das Wetter geschützt als wir, die wir eines solchen 
Schutiea viel mehr bedttrfen. Unser Land ist eines der kftltesten, 
regnerischsten yon allen, und doch ist unsere Kleidung so un* 
Bweckmäfsig, dafs, wenn jemand sich vorgesetat hfttte, eine recht 
teuere, unzweckmäfsicre, undauerhafte Kleidung zu erfinden, er 
nichts so Schlechtes hatte aussinnen k >niien, als was wir haben. 
Das alles sehen die Ausländer und halten uns für ganz un* 
Temfinftige Leute; sie verachten uns deshalb. Mir wollte vor 
Unmut das Hsn brechen, als ioh in einer Stadt des Auslandes ^) 
die russischen G^esandten mit Perlen und allerlei Sehmuck zur 
Audienz fahren sah ; sie steckten in so engen Kleidern, dafs sie 
gar nicht im mindesten mit Würde auftraten und von allen Leuten 
nicht 80 sehr mit Staunen als mit Bedauern betrachtet wurden.'' 
Nicht wie die japanischen Gesandten in neuester 2eit 
in europiischer, sondern in einheimischer Tracht pflegten die 
russischen Gesandten im siebaehnten Jahrhundert im Auslande 
SU erscheinen. Selbst Frans Lefort, welcher an der Spitze der 
GcsandUchaft stand, die 1697 und it>ü8 einen Teil Europas be- 
reiste, und an welcher Poter der Grofse als „Ji'reiwiliiger" teil- 
nahm, ersdiien bei feierlichen Gelegenheiten in mssisehem Kostttm» 
obgleieh er sonst nicht in russisdier Tracht ging und auch sein 
in HoUand gemaltes Bildnis ihn in westeoroplisoher Kleidung 
enoheinon lUht Er moohte sich allerdings in der letateren statt- 



WahrscheialiGh in Wien. 



"V 



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£in Kleiderreformprojekt vor Feter dem Crrufsen. 209 

lieber ausnehmen» als im langen, knappen Kaftan, wie denn auch 
die Zaren seihst in ihrem altrtissischen Kobiiiin wühn-nd des 
siebzehnten Jahrhunderts nicht sehr gut auBsabeu. Kriabauitsob 
iMmerkt in dieser Besiebnag: 

, Wer niclii glauben will| wie bXJbUch wuere Kleidung andern 
YSlkem eceoheinen mfleaei der betraehte nur die Portritts aos- 
ländischer Könige, besonders, wenn sie su Pferde abgenommen 
sind, und er wird den Abstand zwischen der ausländischen und 
russischen Kleidung erkennen. 

Und freilioh, wenn wir etwa die Bildnisse Michails, Alexeis, 
Feodors, wie sie in den Werken von Olearios, CoUins, l(eyer> 
berg a. a. an sehen sind, mit dem in London TOn Kneller ge- 
malten Porträt Peters des Orofsen vergleichen, so erscheint der 
letztere in europäischem Stuhliutruibch und Hermeiiuiuantel bild- 
schön neben d- n unbeholfenen, schwerfälJigen, von Gold, Edel- 
steinen und Perleu strotzenden Figuren der firüberen Zaren. Unser 
Yer£user kommt daher au folgendem Sohlusse: 

„In der That : entweder wir müssen die widerwSrtige Kleidung 
gegen eine andere vertanscbenr oder wir dürfen nie und nimmer^ 
melir Gesandte nach Euroj)a schicken, ohne dafs ihnen auf Kron- 
kosten andere Kleidung gegeben werde, wenn anderi» wir wollen, 
dafs die andern Völker uns nicht verachten." 

Über die Dorcbfülumng einer Kleiderreform ftuTsert sich 
Krishanitsch wie folgt: 

,,Aus allem dem Gesagten folgt, dab die Kleiderfirage der 
Beachtung und Sorge des Fürsten wert sei, und dafs er daiiiui 
sinnen müsse, eine bessere, zweckmäfsigere Kleidung »'inzuluiiren. 
Sonst kann es leicht geschehen, dafs etwa eine Erfindung, die von 
unbedeutenden JLeuten, Bohneidem oder jungen G-ecken kerrübrt, 
mit der Zeit Kode wird, so dab die Tomehmen und sogar die 
Fflrsten aueh derselben folgen. So soll es aber nicht sein, sondern 
es müssen die von den Höberen aufgestellten Begeln von den 
Niederen befolgt werden." 

Er erzählt nun eine Geschichte von einem bulgarischen Fürsten, 
welcher alljährlich seinen Bojaren awei Festmahle gab , eins im 

Brtokncr, BvlUa&dL 14 



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210 Kleiderreformprojekt vor Peter dem Grofaeu. 



Sommer und eint im Winter: er enoMen dabei in einer Eleidong, 

welche durchaus nicht auH auf, I indischen Stoffen, sondern von ein- 
haimischer WoUe oder Leinwan i u*lt r einheimischem Leder gut uud 
sweckiuafsig gearbeitet wer. Damit habe der Füret seinen Unter- 
tiumen die Lehre geben wolleSi dafe man einbeimisobe Stoffe piobt 
Teraofaten dfirfe. An hohen Festtagen und ba Aadiennen hüten 
die bnlgerischen Bojaren eehdne Kleider getragen , aber keine 
Perlen und kein (xold. Auch erwähnt er der Im z ihlung Suetoiis, 
Auguätuä habe keiue audera Kleider getragen, als solche, die von 
seiner Gemahlini seinen Sehwestem, Töchtern und Mägden ange» 
fertigt gewesen seien» wie er denn fiberliaapt in seiner Kleidang 
weise Sparsamkeit beohaohtet habe. — Wie sehr das Beispiel des 
Fürsten starken EinfinJe ttbe, seigt er femer an Alexander dem 
Grofseii, der aus einer ATischung von persischer und makedonischer 
äitte eine neue Kleidung erfand , erstens um die neuerworl)enen 
Unterthanen sich günstig zu stimmen, und zweitens, um zu aelgeo, 
dals nicht die Unterthanen dem Könige ein Beispiel geben soUeo, 
sondern umgekehrt, der König den Unterthanen. £r sei ein 
Philosoph gewesen nnd habe den Unterthanen eine gatoi sweok- 
märsige Kleidung verschaffen wollen. 

Krishanittich schlagt uuii vor, die Einführung neuer Kleider 
zuenst beim Militär zu versucheu. Es sei dies, meint er, nichts 
Neues, da ja ohnehin die Leibwächter der Fürsten eine besondere 
IJniform au baboi pflegten, wie dam die Janitscharen bei den 
Türken sieh dnroh besondere KopfbeklMdnng ansaeiehneten, und 
in den Staaten Enropas die LeibwSchter der Fflhwten Kleider 
L;il)L ii. welche nicht so sehr durch die Farbe als dm eh d« ii Schnitt 
sich von den Kleidungen der andern Leute unterscheideu. Ho 
etwas rerleiht dem Fürsten Ansehen; auch komme eine solche 
Uniform billiger au stehen. So lange keine bestimmte Kleidung 
ftlr die Qardisten vorgesehriehen sei, suche jeder derselban doli 
anf beeonders kostspielige Weise sn schmücken. 

Eä war diiiuit im (inindo dasselbe ausgcsiiroclion. was [^3ler 
uud dessen Nachfolger in Ausführung brachten. Die Unitormicrung 
des Heeres in eoropäisoher Weise, welche bereits unter Peter be- 



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£m Kleiderrefonnprojekt vor Peter dem (jhrolsen. 811 

begann . hat mehr als alle andern Mafsregein dazu beigetragen, 
in BuTsIand die westeuropäische Kleidung su verbreiten. Wollte 
man mit Europa auf gleicher Stufe stehen, so mnüite nuin eineii 
Kampf wagen gegen earopiUwhe Heere. Daan aber war erforder- 
Uehy dab man das nueisehe KUitir nach eoropiiBehem Mnsier 
nmmodelte. Mit den unförmlichen Kleidungen und schlechten Waffen 
der früheren Strelzy, der Kosaken und Baschkiren u. s. w. konnte 
man nicht viel ausrichten. 80 erschien au allererst das russische 
Heer nicht mehr in asiatischer Kleidongy scmdeni In enropftiicher* 
Es war der giolae GegensatB, anf welchen wir in der Einleitiuig 
nnserer Abhandlung hinwiesen, der Gegensata, welohen Krishanitsch 
an die Spitze seiner Betrsohtnngen Uber die Kleidungen stellt, 
wenn er sagt: „Alle verschiedenen Trachten können in zwei Arten 
geteilt werden : in orientalische, etwa wie bei den Persern, Griechen, 
Slaven, Türken, Tataren, Ungarn nnd in enrop&tsche, wie bei den 
Dentsohen, Franiosen nnd andern Völkern. " 

Es war der Grandgedanke der Kleiderrefonn Feters des 
Qroi^en, das Orientalische gegen das EnropÜsohe an yertansohen, 
er ging dabei von demselben Gesichtspunkte aus, den Krishanitsch, 
als echter Breformer, mit bewunderungswürdiger Klarheit festättjllt, 
wenn er in seiner Abhandlung über die Kleidung bemerkt : „ Wenn 
jemand ssgt, man solle das alte Herkommen nicht Tcrletsen, so 
entgegnen wir: IrrtOmer, aach wenn sie noch so aH sind» mu(s 
man ablegen." 



14* 



Laurentius Einhuber. 



L 

Wiederliolt itt in der letsten Zeit danraf bin gewiesen worden, 

dafs der Einiiufa Westeuropas auf Rufsland bereits mehrere Jahr- 
zehnte vor der Regiernng Peters des Grofseo stärker gewesen 
sei, als man bisher anzunehmen geneigt war. Die Eratarkung 
dieses Einflnsses gehdrt sn den aniiehendsten nnd wicbtigstenr 
Fragen der G^eschiohtsferscfanng ftberhanpt. £s mehren sich die 
BerfQirangfimnkte swisohen dem Staate ICoskaa nnd den höher 
kultivierten Nationen des Westens; die Intensität der diplomatischen 
Beziehungen ist während der Regierung des Zaren Alexoi Michailo- 
witsch in einem raschen Steigen begriffen ; die Zahl der in Ruis- 
land lebenden Ansl&nder schwillt an; das Ansehen, welches sie 
geniefsen, wichst; ihrer Thftti^eit fiffiiet sich ein immer größerer 
Spiebanm. 

Zn den fesselndsten Erscheinungen in diesem Prosefs der An- 
näherung Rufslands an Europa lorehört Laurentiuf; Rinhuber , auf 
dessen Leben und Wirken wir in den folgenden AuBführungeOi denen 
Bahlreiche Akten ans sächsischen Archiven au Grunde liegen, auf- 
merksam machen woUen.^) 

*) Im kgl. Staatsarchiv zu Dresden finden sicii viele Gc^cliättspapiero, 
in denen Rinhubers erwähnt wird. Der hcrzo«:]. Bibliothek /u Gotha 
sind die Aktenstücke entnommen, welche jüugül in dem Buche „Re- 
lation dn Toyage en Rnssie fait en 1684 par Laurent Rin- 
hnber*, Berlin bei Albert Cohn, 1888, vetdffentlicht worden nnd welche 
zum Teil Beck in seinem Bnche über Exnit den Frommen (Weimer 
1886) benutste. 



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fil6 Lwirentiiis Binhnber. 

Die betrftchtUche Ansahl Dentachor, welche tun die Uitto 
des 17. Jahrhunderte in MoBkan lebten, Teranlafete die denteohen 

Regierungen, den russischen Angelegenliciten eine gewisse Auf- 
iiH'rk^anikeit zu widmen. Man suchte sich in Deutschland durch 
die in Bufsland weilenden Deutschen über die Zustände des nur 
wenig bekannten mächtigen Beiches im Osten allerlei Nachrichten 
zu verschaffen. ICaii hatte auch wohl hin und wieder Gelegen- 
heit, den einen oder den andern der answandemden Dentsehen 
dem Wohlwollen des Zaren oder seiner Räte zu empfehlen. Man 
hoffte durch kommerzielle und politische Beziehungen mit Rufs- 
iand sich allerlei Vorteile zu Teracha£fen. Man bedurfte der An- 
teilnähme der Moskowiter an einem Kriege gegen die Türken. 

Ans Sachsen waren in den f&nfiriger und aeehsiger Jahren 
des 17. Jahrhunderts manche HUitfirs, Teehniker^Oeistiiche u. s. w. 
nach Rnfsland aasgewandert. Diese nnterbielten einen Brief- 
wechsel mit ihren Verwandten und Freunden daheim und ver- 
mittelten zwischen der rusBischen Jäegierung, welciie noch mehr 
Ausländer zu berufen wünschte, und den answandemngslustigen 
Landslenten. 

So a. B. war im Oktober 1654 ein Offiaier, Ißkolans Ban- 
mann, in mssisohe Dienste getreten ; ihm war der Auftrag erteüt 

worden, u. a. in Kopenhagen noch andere Militärs für den Heer- 
dieuBt im 8taate Moskau anzuwerben ; er hatte die Berufung des 
Geistlichen Vockerodt als Pastor der lutherischen Gemeinde in 
Moskau yermittelt; in den kirchlichen Angelegenheiten der soge- 
nannten Mdeutsehen yofstadf* spielte er l&ngere Zeit hindurch eine 
hervorragende Bolle; eine Zeit lang föbrte er den VorsitB im 
Kirchenkollegiuiu. Mit dem Herzog Ernst von Sachsen und dem 
Kurfürsten Johann Georg stand er im Briefwechsel. ^) 

^) Über den Obersten Baumann finden sich viele Angaben in 
Fecfaners „Chronik der evangelischen Qemeindea in Moskau* 1, 889 ff. 
sowie bei Beck, Emst der FrommCt Wmmar 1866. hk Qordons Tage- 
buche ist seiner nur ganz kurs erwibnt (1, 888, 847). Aus einem Akten- 
stück im Dresdener Archiv ist u. a. zu ersehen, dafs er einen Kalmücken- 
jini'r»^T! gekauft habe. Ebenrlort eine Anzahl von Schreiben Baumanns 
an E.urfur8t Johann Georg IL ifemer ein gedrucktes Lobgedicht auf 



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LAttventiiis Rinhaber. 



917 



Im Jahre 1663 gab der KnrfQnit tod Saehsen etnem Ar* 
tiUeriBten, Kamene Klengel, welcher in meuMlie Dienste tarati 

einen Empfehhingsbriof au den Zaren mit. ^) 

ITm dieselbe Zeit ungefähr wanderte der Pastor Johann 
Gottfried Gregorii nach Rufsland ein, wo er längere Zeit wirkte 
und in den innerhalb der Lutheraner der deotsohen Kolonie ent- 
standenen Streitigkeiten als Parteigenosse des Obersten Baomann 
eine hervorragende Bolle spielte. Gregorii ersduen wohl anoh 
dazwischen als Vertreter der Interessen der deutschen Kirche zu 
Moskau in Dresden , um den Schutz und die materielle Unter- 
stützung der sächsischen Kegieruug zu erbitten. Er und Bau- 
mann veraniafsten den Austausch einer Beibe Ton offiaiellen 
Schreiben swischen dem Zaren Alexei und dem Kurfttrsten Jo- 
hann Georg n. In Angelegenheiten der Deutschen schrieben 
der letstere und Herzog E/mst nicht blofs an den Zaren, sondern 
auch an russische Würdenträger, wie etwa den Fürsten B.omo- 
dauowskij ~) oder den Minister Artaraou Ssergejewitsoh Matwejew. 

Im Jahre 1667 vermittelte der Pastor Ghregorii die Über- 
siedelung eines hervorragenden Medisiners, des Doktor Bhunen- 
trasty nach BuTsland. Derselbe war dem Zaren von dem Obersten 
Banmann empfohlen worden und wurde Iieibarst Alezeis. ^) Er 

die Heldentfaaten Baumaons in der Schlacht bei Konotop im Jahre 
1669 u. 8. w. Wertrolles Material zur GeBchiehte Beumanna findet tich 

in der neuerdings erschienenen vortreHlichen Hon^^pmqphie ZmjetigewB 
.,Zur Ge^ichichte der aualändiBchen Konfessionen infialÜsttd'' (rostiflch), 

BLoakau 1B86. 

*) Akten im Dresdener Archiv. 

*j Akten im Dresdener Arcliiv. Uber Gregorüs Erscheinen in 
Dresden im Jahre 1667 s. Fechuer 1, 304 ff. 

") S. Bichter, Geschichte der Medizin in Bufsland 2, 299; das 
Originalachreiben Alexeis an den Eurfünten von Sadisen, die Benifong 
Blnmentrostt betreffend, im Dresdener Archiv. Es Terdient Beachtung, 
weil dsrin gessgt ist, die in msiische Dienste tretenden AnsUuider 
konnten jederzeit nach ihrem Bdieben in ihre Heimat cntlasKcn worden, 
ein Versprechen, das später sehr oft nicht gehalten wurde. Das an den 
Dr. Laurentius Blumentrost ^rf^nrhtete Vokationsschrciben des Zaren ist 
abir'''lrii('kt in der oben erwähnten Edition „Relation da.voyage en 
Kusäie iait en 1(>84 par Laurent iiinhuber" S. 17 — 18. 



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218 Laurentius Einhuber. 



nahm eine solir angesehene Stellung ein, war aber dazwischen 
mancherlei (gefahren und Verfolg^ungen ausgesetzt; bei dem Auf- 
stande der Strehiy jm Jahre 1682 wäre er von dem Pöbel um- 
gebraoht worden, wenn nid^ die PiinieBsin Sophie für die Er- 
haltnng seinee Iiebens eingetreten w|re; eeuie 89lme nahmeo 
ebenfidb bedenteode Stellungen in Bnblaad ein; er selbet itvb 
im Alter von 86 Jahren 1705 in Koskao, 

Als Blumentrost im Jahre 16G7 nach Rufsland ging, bedurfte 
er eines Gehilfen, eines Assistenten. Seine Wahl hei auf Laa- 
rentios Binhnber. So kam dieeer mm ereten Male naoh Moekao.*) 

Dm G^bnrtqahr Binhubere iat nickt m ermitteln. In einem 
Schreiben an den Hereog Friedrich teilt er mit, dafe aeine Wiege 
in dem JPleokmi Lncka bei Meifsen gestanden habe. Die Familie 
lebte in bescheidenen Verhältnissen ; indessen erhielt er eine gute 
Schulbildung und besuchte sieben Jahre hindurch das (iymuasium 
zn Altenborg. Den Vater verlor er früh nnd mnfate cum Teil 
dnreh Unterriehterteileii aich den LebenaonterhaH veraohaffen. 
Ein Stipendium verlieh ihm die Möglichkeit , aich aeoha Jahre 
hindurch an der Vnivendt&t Leipzig dem Stndinm der Medisin 
zu widmen. Noch ehe er seine Studien vollendet hatte, bot sich 
ihm die Gelegenheit dar, den Doktor Blumeutrost nach Anlalaod 
zu. b^Ieiten. -) So entschlofs er sich denn zu der weiten Beiae. 
Der XJmatand, dab er aeine Stndien nicht vollendet hatte , mag 
daan beigetragen haben« dafa er in aeinem ganaen apftteren Leben 
die iratUche Knnat gewiaiennalben nur gelegentlich aiuftbte nnd 
mehr in der Eigenschaft eines Touristen und Diplomaten za 
wirkeu suchte. 

Ztmächst blieb Rinhuber in Kufsland, wohin er später wieder- 
holt aurückkehrte, fMf Jahre. £a waren die letaten Jahre der 

*) S. Riuiiu])ers Schreiben an den Herzog' Emst von Sachsen vom 
18. März 1673 iu der bei Cohn ersehienonen Edition S. 27. 

*) Er sagt von Blumeotroet: hoc studiosam quendam Medicinae 
Lipdae quaerente obünui verbo sodeiatem itineris vu t. w. Belation S. 97. 

*) Er schrieb im Marz 1678: Moeoovia qoinque annis mea nutrioe 
relicta. Cohn 8. S6w 



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Lftorentias Kixibuber. 



219 



Bogioirmg de« Zaren Alezd. Die Ansllader erfreaten nch dft- 

malö einer wohlwollenden Bebandhiiig von Seiten des Herrschers 
und seiner Würdenträger. Die ,,deutöclie Yorstadt" bei Moslcau, 
einem Ghetto vergleichbar, war in raschem Aufachwunge begriffen. 
Man bedurfte der amländiiichwi Arste und Apotheker ; Aneländer 
dienten ak Dolmetsoher im anawlrtigen Amte; der «oswirtige 
Handel Hnitlands befimd lieh faet anflaehUeTslieh in den Blinden 
der Holländer, Engländer und Deutschen; die Offizierstellen in 
der rusbiöchen Armee waren zu einem grofscn Teil mit Aus- 
ländem besetzt. In dem Bojaren Matwejew, welcher dem Zaren 
Aleizei als Minister nnd Frennd aar Seite stand, hatten die Ans* 
Undsr «nen wohlwollenden GQnner. 

Glttohwohl hatten die Einwanderer in BoAland mit sehr 
grofsen Schwierigkeiten tu kSmpfen nnd waren oft den sehlimmsten 
Gefabren ausgesetzt. Das Volk hafste die Fremden und war ge- 
neigt, sie zu kränken und zu verfolgen. Der Maugel an Rcchts- 
Bcbatz machte sich darin fühlbar, dafs die mit den Ausländem 
abgeschlossenen Dienstkontrakte oft in der willkttrlichsten Weise 
Terletit worden. Die SSake bei Hofb bewirten sehr hinfig eine 
Verschiebung des KaohtrerbKltnissea der einseinen Würdenträger, 
deren Klienten bei dem Sturze ihrer Patrone sehr leicht in furcht- 
bare Kriseo gerieten. Im wesentlichen war man von der Laune 
der jeweiligen Machthaber abhängig. Durch Bestechung und 
andere kleinliche Kittel mnHite man der Gefahr eines Glfieks* 
wechseis an begegnen snehen. Anch in den Kreisen der in Moskau 
und in der „deutschen VorstadV lebenden Ansllnder fehlte es 
nicht an Ränken, an Neid und Mifsgunst. So war denn das 
Leben der Einwanderer oft genug eine lange Kette von Kollisionen, 
reich an Ycrdruis und Widerwärtigkeiten aller Art, ein schwerer 
Kampf nms Dasein, als dessen wertroUste Güter änisere Ehre 
nnd Geld angesehen wurden. Es war nicht leicht Karriere an 
machen in Rnibland, noch schwerer, sieh auf der mfihsam er- 
klommenen Höhe zu behaupten. Die Lebensgeschichte Gt>rdons, 
Leforts u. a. ist reich au unerfreulichen Episoden. 

Aach Kinhuber, wie die beiden Männer, in deren Gesell- 



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330 



Lanrentiiis Binhaber. 



solwft «r 1667 oder 1668 nach BoTalaiid htm, Blnmentrott und 

Gregoriit hatten mit all^ri Schwierigkeiten zn kftmpf^ und 
wurden vielfach angefeindet. Bauinann nnd Greporü hatten sich 
wegen verschiedener ihnen schuldgegebener Vergehen zu verant- 
worten; die Streitigkeiten der Parteien in der lutberiechen Ge- 
meindoy an denen Btnhnber keinen unmittelbaren Anteil genonunen 
sa haben scheint^ Terainlabten eine nnUebeame Interrention ma- 
Bischer Behörden. Blnmentrott wurde Terlenmdet: er eei kein 
eipcnt.licher Doktor der Medizin, beherrsche das J^ateinische nicht 
ausreichend u. dergl. Es dauerte eine Weile, ehe der ausgezeich- 
nete Mann sich eine angee^ene Stellung erwarb und von seinem 
Wuaea nnd Können unaweifeUiafle Proben ablegen konnte*') 
Binhuber seheint eine Zeit lang eme Art Haualehreratellnng bei 
Blumentrost eingenommen su haben.*) Zugleich aber aetste er 
seine medizinischen Studien fort, indem er an der Hoffnung fest- 
hielt, dieselben zn einem Abschlüsse zn bringen. *) Sodann er- 
teilte er in einer Knabenschule Unterricht. 

Alsbald bot sich eine Gelegenheit dar, auch in eine gewisse 
Berflhmng mit dem Hofe au kommen. Bs war dem Einflnsse 
westenropfiisoher Sitte snansdireiben, dals in Hoskau der Gedanke 
auftanchte, den Zaren mit dramatischen AnffÜhrungen au belustigen. 
Dergleichen hatte man in KuTsIand noch nicht gesehen. Um ein 
ScIuulspielerperBonal berananbilden , geei^ete Theaterstücke zu 
Terfassen nnd zu insoenieren, bedurfte mau der Ausländer. Der 
Pastor Gregorii wurde beauftragt» ein Drama au schreiben. Mit 
Hilfe Binhubers Ter&fste Gregorii sine Tragikomödie ,|AhaBTerus 
und Esther**. Brei Monate hinduroh unterzog sich Binhuber der 
Mühe, f)4 junge Leute, meist Söhne ausländischer Offiziere und 
Kaufleute, in deu Bchulräumen der lutherischen Gemeinde im 
„ezercitio Gomico**, d. h. in der Schauspielkunst su unterrichten. 

*) S. eine Menge Binselheiten in Fediaers Chronik der evangelischen 

Gtemeindcu in Moskau und in Zmjetajpw«? Buche. 

') S. Rinhubers Mitteilung in der Relation S. S8. 
'*) filumentrostij filiam in literis erudivi* 
') RelaUon S. 29. 



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Laurentius Kiuiiuber. 



221 



Die Wirkung war zufriedenstellend. Als die Auftulirung am 
17. Oktober 1672 stattfand, hatte der Zar Alexei so viel Grefallen 
darttDy daTs er zehn Stunden hindurch imbew^Uch dem Spiele 
snseliaute. Mit besonderem Erfolge spielte ein Solin des Doktors 
Blnmentrosty welchem eine Hauptrolle in dem Stücke sngefallen war. *) 
Der Zar drückte den Schauspielern nnd Dramaturgen seine 
Zufriedenheit aua. Nicht uinsotiBt liotfte Rinhuber , dafa diese 
Episode ihm zu weitereu Erfolgen verhelfen werde.") Obgleich 
dergleichen dilettantische Leistungen dem eigentlichen Berufsleben 
Binhubers, der Hediain, gans fem lagen, so waren sie doch ge- 
eignet, die Anfmerksamkeit hochgestellter Mftnner auf seine FShig* 
keiten und Kenntnisse am lenken. Es bot sich ihm eine Gelegen- 
heit zu einet diplomatischen Thätigkeit d&r. 

II. 

In jener Zeit stand auf dem Gebiete der answ&rtigen Politik 
die orientalische Frage an erster Stelle auf der Tagesordnung. 
Kan empfand sehr schwer die Übermacht der Tflrkeii welcher es 
gelungen war, im Kampfe mit Polen bedeutende Erfolge zn er^ 

riupen. Türkische Trappen waren siegreich vorgedrungen, hatten 
die ätadt Kamenjez-Fodolsk besetzt. Der Umstand, dafs Klein- 
rofsland, die soeben erst mit schweren Opfern erworbene neue 
Provina des Staates Jioskan, geneigt war, mit den Türken gemeio» 
sohaiUiche Sache an machen gegen Polen und Sofsland, liels die 
Situation um so bedenklicher erscheinen. Es tauchte der Gkdanke 
auf. einige der europäischen Mächte zur Bildung einer Koalition 
gegen die Übermacht der Türkei zu veraulasaou. So allein konnte 
man hoffen, die Lage der Polen zu bessern. Oft genug hatten 
Polen nnd Moskau einander feindlich gegenüber gestanden. Jetst 
ersdiieneu ihre Xnteressen solidarisch. Dbt Zar fühlte sich be- 
rufen, an die Fürsten Westeuropas einen Mahnruf au richten, 
dafs man alles an alles setzen müsse , um ein gÜnsHchea Unter« 

>) Fechner nach Ticfaonrawow 1, 869. Relation 8. S9— Sa 
*) Bes haec certe meliorii fortunae erit initium. 



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222 



Laurentius Hinbuber. 



liegen der Polen zu verhindern. So tauchte denn der Qedanke 
auf, eine Gesandtschaft an verschiedene Höfe zu entsenden und 
auf diesem Wege, wenn möglich, eine allgemeine Erhebung g^en 
den Enfeind dar Chnitenlieit sostande sa biing«]!. Es war ein 
ktUmeB Unternehmen. Der Staat ICoslna hatte hU dahin keinen 
Einflnfs in Europa gehabt, nnr anwiahmaweiae diplonuttiaehe Be> 
Ziehungen mit den andern MSchten unterhalten. Jetct ergriff er 
in der wichtigsten Angelegenheit des ganzen europäischen Staaten- 
wesens die Initiative. 

Es lag nahe, an die Spitze der mit so sohwerwiegendem 
Anftmge betrauten Geaandtachaft einen Ausländer so stellen, einen 
Hann, welcher, ebensowohl vertraut mit den enropSisohen Ver^ 
htltnissen, als dnreh seine Lebensstellung mit BulUand verbunden, 
weltmännisch i i lufn L a, sprachgewandt und gebildet, zu der Rolle 
eines Yertreters Üulälands in Europa sieb eignete. Es war der 
Sohotte Meneses, auf welchen die Wahl fiel. 

Paul H-eneses war als Kapitän im Jahre 1661 in russisohe 
Dienste getreten. Ebenso wie sein Landsmann und Freund, Patriek 
Gk»rdon^ welcher um dieselbe Zelt nach Bufsland einwanderte, 
hatte Meneses im Jahre 1662 den Wunsch, im Öefolge einor 
russiBchen Gesandtschaft eine Reise nach Persien zu unternehmen, 
ohne jedoch die einem solchen Uuteruehmen sich entgegenstellenden 
Schwierigkeiten fiberwinden au können. Indessen fehlte es ihm 
auch in Moskau, wo er verblieb, nicht an Eifddgen« Br heiratete, 
erhielt den Bang eines UagorB, leistete der Eegiemng als lOlitir 
bedeutende Dienste in Smolensk und genolk das Yertranen des 
Zaren und einiger Würdenträger.*) 

Es geschah nicht selten , dafs Ausländer , freilich vorzugs- 
weise solche y welche bereits längere Zeit in Rufsland geweilt 
hatten, au diplomatischen lOssionen verwendet wurden. 8o reiste 
wohl Patrick G-ordon im Auftrage des Zaren an den Hof Karls II. 
nach England, so war EeUermann russischer G^esandter in Venedig 
im Jahre 1667, so reiste WiniuB im Jahre 1672 nach England, 

0 S. Gordons Tagebach, heraiisgegeben von PosselA, 1, S60. S90. 
808. 814. 816. 861. 



J 



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Lttureiiiiu« Binbaber. 



928 



Frankreich und Spanien n. dergl. m. Et mochte im allgemeinen 
dem Staate Hoskan mehr Ansehen nnd Gewicht in Europa ein- 
tragen, wenn derselbe dnrdi enropiiseh gebildete, weltkundige, 

verschiedene Sprachen ßprechende Stxiatsiiiänner vertreten war, 
als wenn Russen ohne allgemeine politiflche Bildaug, au der Spitze 
der Gesandtschaften stehend, für den Verkehr mit den Fürsten 
und Ministem anderer Staaten auf die Yermittelnng von Dol- 
metschero angewiesen waren. 

Insbesondere galt Ueneses ttberaU, wo er aoftrat, als ein 
tächtiger , erfahrener und o;ewandter Mann. Er sprach und 
schrieb ein elegantes Lateiu. Er beherrschte das Französische. Im 
Auslände bewunderte man bei Gelegenheit seiner grofsen Qe* 
aandtschaftoreise seine Geschfiitserfahrong. „Er sei,** hiefs es, 
«ein feiner KaraUer nnd wisse mit den Leaten nmsngehen.^ ^) 
Han machte die Bemerkung, dab dieser moskowitiscbe Gesandte 
„mit einem ganz andern Air agieret, als man bisher von dergleichen 
Gesandtschaften gewohnt gewesen." ^) In Venedig bewunderte 
man seine Sprachkeuutnisse und seine Beredsamkeit. Man nahm 
gern wahr, dafs der Gesandte selbst, sowie der größte Teil 
seines Gefolges, nicht in der damals bei derartigen Gelegenheiten 
Üblichen rususch-asiatischen , sondern in firaniSeiseher Tracht 
erschien.*) 

Unter solchen Verbältnissen mufste Laurentius Rinhuber es 
ftlr eine hohe Gunst des Schicksals halten , dafs Meneses , ein 
schottischer Baron, ein Edelnmnn — er fährte den Beinamen 
„Ton Pitfodflls* ihn aufforderte, als LegationasekretKr an der 
Beise nach Berlin, Dresden, Wien, Venedig und Bom teilan- 
nehmen. Es geschah dieses an demselben Tage, an vrelchem die 
▼on Gregorii und Rinhuber inscenierte Tragikomödie „Ahasverus 
und Esther" aufgeführt wurde.*) 
Berliner Archiv. 

') Schreiben Berlepschs an einen kurtiUshstiohen Beamten aas Biele- 
feld im Dresdener Archiv. 
*) Archiv in Venedig. 

*) Hoc ipso die Xobilis Dominus Paulus Menesius. .. mesibi volebat 
socium itineris. Jttelation S. 80. 



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234 



Laurentius KinhtÜMr. 



Kinhubers Entschlufs war, scboell gefafst. Er Bcheint in 
Hoskaa nicht als Arzt thätig geweaen aa sein, aondern, wie oben 
bemarkt wurde, eine niohtoi&zielle Stelle eingenommen an liaben. 
Qleichwohl mufste er bei dem Bojaren Hatwejew am seine Ver^ 

abschiedliDg bitten und seine Funktionen , über welche wir im 
übrigen keine Keuutni« liaben , für die Zeit seiner Abwesenheit 
von einem Stellvertieter versehen lassen. £r gedachte nach 
Moskan sttrttokankehren.^) 

Die Beiae der Gkaandtacbaft nach DeatacUand und Italien 
w&hrte anderthalb Jahre, Ton Ende 1672 bis An&ng 1674. 
I>ie mssisohen Akten dieser Gesandtsobaftsreise des Majors Heneses 
biud n och nicht veröfifentlicbt worden. Über Kinhubers Anteil 
an den Geschäften, über aciae persönlichen Beziehungen zu dem 
Chef der Gesandtschaft haben wir so gut wie gar keine Nach- 
riohten. Dals er als „Legati Seeretarina'* fungierte, unterliegt 
keinem Zweifel. 

Bei Gelegenheit seines Aufenthaltes in Dresden im H8n 
1673 richtete Kinlmber ein längeres, in hiteinischer Sprache ver- 
fafbt^s Schrei l)eu an seinen Landebherru, den Herzog Ernst von 
Sachsen. Er bedauert, nicht pcrsönltcb vor dem letzteren er- 
scheinen zu können, aber die Eile der Barohreise sei ein un- 
(ibersteigliches Hindernis. Lidem er die politischen Verhältnisse 
darlegt, welche die Absendung des Heneses nach Deutschland 
und Italien veranlafsten, erwähnt er der Audienz, welche Ueneses 
bei Bielefeld in der Burg Sparenberg beim Kurfürsten von Branden- 
burg gehabt habe; hierauf, fährt er fort, habe sich Heneses nach 
Dresden begeben, wo er dem Kurfürsten Johann Georg ein Schreiben 
des Zaren flberreioht habe. Sodann geht Binhuber auf seine 
eigenen persönlichen Verhültnisse über, erwShnt seiner Kindheit 

*) A Domino Artefticiie Sergeiovitio dimissionem impetravi, alio 
interim lucum supplente locum u. 9. w. Relation. 

') Es hält»,; dieses in dem 10. Baude der sehr schleclii edierten 
„Denkmäler der diplomatiecheu Beziehungen", St. retersburg lö72 (ruBs.) 
gesdiehen müssen. 

*) Als solcher ist er in einem Verzeichnis des Personals der Gesandt- 
schaft von 1678 im Dresdener Archiv vermerkt. 




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Laorentius Jäinhuber. 



226 



und Jngend, der Lage seiner Mutter, seiner Erlebnisse in Moskau, 
seines bei der Mutter lebenden minderjährigen Bruders ; zum 
Scfalnaae bittet er den Henog, seiner Matter eine rflckatftndige 
Stener im Betnge Ton 90 Qnlden erleaeen in wollen, nnd be- 
merkt, er werde ipitter oder firfilier in seine Heimnt snraetteliTen: 
jetst eile er im Gefolge des Gesandten nach Wien und Italien. ^) 

Binhuber erreichte seinen Zwek. Der Herzog Emst traf 
Anatalten, dafis der Mutter des Bittstellers die rückständige Steuer 
erlassen wurde. Zugleich aber wnrde der Agent des Henoge 
in Wien, Tobiaa Sebutian Frsany beraftnigt, bei Gelegenheit 
der Anwesenheit der moskowitisehen Geouidtsohalt in der Kaiser* 
Stadt den Legationssekretftr Lanrenüns Rinhnber sn „explorieren", 
d. ii. iliu soweit auszuforschen , um zu entscheiden, ob man ihn 
wohl zu „einer und andern Angelegenheit gebnMichen könne''. 
Der Herzog sprach den Wunsch aus, in Moskau einen Agenten 
anaostellen, welcher Aber die Iiage der evangelischen Kirche da> 
selbst Ansknnft geben und welchem man daswisohen einen Anf* 
trag erteilen kSnnte. ZnnSehSt sollte Binhnber aufgefordert 
werden, einen Bericht über dtiii Stand der evai)gelischcn Ivirche 
in Moskau und über „den Statum des Landes in Ecdesiasticis 
und Poiiticis knrtz und nervöse zu entwerfen*'.^ 

Ans diesem Schreiben des Heraogs Emst erfishren wir, dafs 
Binhnber Ton seinem Yoxgeaetsten, dem M^or Kenesee, den Anf> 
trag erhielt, nach Wien ▼oranssnreisen. Hier, in Wien, muTste 
er nun im April 1673 den gewünschten Bericht verfassen. Der 
als Gelehrter, insbesondere als Geograph bekannte Job Ludolf 
verfaTste ein Aktenstück „Puncta, worauf des Muskovitischen Ab- 
gesandten Secretarins Lanrentins Binhnber in beiragen''. Die- 
selben betreffen den Stand der evangelischen Kirche in MSosfcaa, 
die Streitigkeiten der Parteien innerhalb derselben , das Schul- 
wesen^ die Lage des Doktors Blumentrost u. s. w. 

») Kelation S. 22—31. 

^ S. das Schreiben an Pmnn in der Edition »Relation n. i. w." 
& 84 bis 88. 

•) S. die „Fmurta« & 89. 
Bta«kB«?, ifaiMtaa. 16 



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226 



Lanrentti» RinhnUer. 



D«r in lateinischer Sprache ahgefafsto and „Wieo 15./25. April 
1673'' datierte Bericht Rinhnbers ist an den Kanzler des Her- 
zogs Ernst, Johann Thomas. L^orichtot. \) Hier erwähnt er u. a. 
des Olearius, als eines bedeutenden Schriftstellers über Bufslaud, 
geht auf Einzelheiten der Zwistigkeiten innerhalb der evangelischen 
Kirche in tfoskan ein und entwirft eine Schilderung der Sitten* 
losigkeit, welche in den Kreisen der Ausliinder in Koshan herrschte. 
Sehr entrüstet änlsert sich Binhaber» dafs die Denteohen den 
russischen Gerichten so viele verbrecherisdie und unsaubere Epi- 
soden zur Aburteilung darzubieten jillegten. Er führt einig© 
Beispiele von Unzucht und Gewaltthätigkeit an. Für den Zaren 
Alexei hat Binhuber Worte des Lobes; früher habe man wohl 
gesagt, dafs die Hacht des Zaren durch drei Umstände bedingt 
werde: 1. das Verbot aUer Wissensehafty 2. die Einheit der ms- 
sischen Kirche, 3. das Verbot des Reisen s. Jetzt aber seien ganz 
andere Grundsätze zur Geltung gelangt: nicht auü Furcht vor 
Strafe werde der Zar von seinen Unterthaoen verehrt, sondern 
um seiner Tugenden willen ; es herrsche in religiösen Dingen 
die grofste Duldsamkeit. Am Schlüsse seines Berichtes bemerkt 
Binhnber, er beabsichtige, wenn er nach Moskau surfiokgekehrt 
sein werde, das russische Gesetsbneh, die „üloshenije'' ( vom Jahre 
1649), in das Lateinische zu ühersetzen und ein Werk „üuääia 
ecclesiasticu-].oiitica" zu verlusäeu. ^) 

Kinhubers Bericht scheint dem Herzog und dessen Räten ge- 
fallen zu haben. Prann wurde beauftragt, dem Sekretär der 
moskowitischen Gesandtechaft noch weitere XMnge anr Beantwor- 
tung vorsulegen. Binhuber sollte über die Person des (Gesandten, 
Heneses, Auskunft geben ; auch wünschte man zu erfahren, welchen 
Bescheid der russische Diplomat in Wien auf seine Vorsteliong 

S. 41—59. 

^ Hier finden sich Angaben, weldie in sehr wiUkommener Weise 

die vielen Einzelheiten erg^lnzen, welche Fechner vor einigen Jahren 
in seiner „Chronik der evangelischen Gemeinden in Moskau'* znssmmen* 

stellte. 

') Als Ijesoiulere Beilage zu dem lateinischen Bericht in deutsclicr 
Sprache die Beantwortung der Fragen, welche Ludolf zusammenstellte. 



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Lauroutius iiiuhuber. 



227 



erhalten habe. Ziisfleich sandte der Herzog^ diuch Praun an 
Biuhuber den in hcrzo^'l ich -sächsischen Landen beim Schulunter- 
richt gebraacht«n „Begriff der ebristliebeD Lehre** und verlangte 
durch Binhnber za erfahreni in welcher Weise derselbe tTnterricht 
in Koskan erteilt werde. 

Als diese Aufträge in Wien eintrafen, war die russische Ge- 
sandtschaft bt'ivitä nach A^^nedig abgereist. Praun schrieb über 
Meneses: »Der Gesandte ist ein gebomer Schotte, katholischer 
Beligion, hat wohl studiert und gereist, ist leutselig und läTst gern 
mit sich reden und umgehen ; redet fransdsisch, welsoh, lateinisch, 
auch etwas (aber nicht gern) deutsch neben der slaYonischen Sprach''. 
Die Antwort der krtiserlithcn Kogieruiiüf , meldet Praun weiter, 
habe in Gemeinplätaieii bestanden ; übrigens erwarte er , Praun, 
von Biuhuber Kachrichten aus Venedig. ^) 

Ton Sinhubers Aufenthalt in Italien, in Venedig und Born 
haben wir keinerlei Nachrichten. 

Aus den in den Archiven zu Venedig und lioui befindlichen, 
die Gesandtschaftsreise Meneses' betreflfenden Akten erfahren wir, 
dafs Meneses erst Ende Juni 167Ö in Venedig eintraf und nach 
kurzem Aufenthalt nach Born weiterreiste* Koch ehe er in der 
letstern Stadt eintraf, hatte man dort sehr günstige Kachrichten 
über die Persönlichkeit des Gesandten und sein Gefolge, zu welchem 
Rinhuber zählte, erhalten. ') Das dem (irefolge gesj)endete Tjob 
wird ju wohl in erster Linie dem Gesandtschaftssekretar , Lau- 
rentius Binhnber, gegolten haben. Im Spätsommer hielt sich 
die Gesandtschaft in Born auf; im Oktober weilte sie auf kurze 
Zeit auf der Bückreise in Venedig. Im November befand sie sich 
wiedw in den sächsischen Iiandra und bei di«Ber Oelegeoheit bat 



S, Kehlt ion S. 55^58. 
-) Diis Schreiben Prauns vom L/ll. Juni iÖTÖ in der Kelation 
S. 58— ti<». 

*) Der Nuntius Varese schrieb aus Wien: »ha oon se famiglia di 
• molta civilti"; s. Theiner, Konuments historiquet u. s. w. Borne 1869 
S. 78. Von ihm selbst schreibt der Nuntius aus Venedig, er sei ein 
„signore di maniere assai suavi e gentili e molto discreto". 

15* 



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228 Laurentius iiinhuber. 

Rinhuber seinen Landeslierrn um eine GddimtenttttiuDg, walehe 

ihm auch wohl bewilligt worden sein wird.^) 

Wie Jange Binhaber auf der Bttokreise nach JCoskau in 
Sachaen gewdlt habe, iit annäbeningiweiae an beatimmen. Am 
97. November / 7. Beaember 1678 meldet der Kansler dee Her- 
zogs Ernst dem letztern , die moskowitische Gesandtschaft werde 
„übermorgen" nacli Dresden reisen. Aus den Akten des Ber- 
liner Arohiv erfahren wir, dafs dieselbe vom 28. bis 31. De- 
aember an „Cölln an der Spree** weilte and aodann ttber Daaaig 
nach Bnfsland reiste. 

Nicht sowohl die kurrdrstlicli säclisische Kegierung ula der 
Herzog Ernst gedachte die Reise der moskowitischen Gesandt- 
schaft dazu zu benutzen, um die in Moskau lebenden Deutschen 
der mssiseben Begierung su empfehlen. In der Bibliothek au 
Gotha haben ucfa die Konaepte der Schreiben gefunden, welehe 
der Herzog an den Bojaren Artamon Ssergejewitsoh liatwqew 
und an den Zaren Alexei richtete. 

lu dem Schreiben an l^Iatwejew (vom 12. Februar 1673) 
helfet ea, der Heraog habe Binhuber au sieh rufen und sich von 
demselben die allgemein bekannte Thatsache des Buhmea und der 
Weisheit Matwejews best&tigen lassen. Sodann wird die evange- 
lische (Tremeindc zu Moskau dem Scliutze und dem Wohlwollen 
des ruäöiüciieii Würdenträgers auf das Angelegentlichste erapiohlen. 
Das Schreiben an den Zaren berührt auch die orientalische Frage. 
Sodann aber ist wiederum von den Deutsehen in Moskau die 
Bede, von der Duldsamkeit des Zaren und den nlitaliehen Diensten, 
welche die Deutschen der moskowitisehen Begierung au leisten 
vermSchten. ^ Ein drittes Aktenstück , dessen Überreichung in 
Moskau dem dorthin zurückreisenden Binhuber obliegen sollte, 



^) 8. das leider ohne Ortsdatom abgedruokte Aktenstück in der Be* 
lation S. 61—62. Rinhuber kam nach Altenburg, wo er den Kanzler 

Thomas aufsuchte, und am 27. November / 7. Dezember nach Gotha, \n <> • 
er am Hofe des Herzogs Emst weilte. & Beck, Emst der Fromme 1, OOS. 
*) BeUtion S. 68—68. 



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LMKeatii» Binlniber. 



229 



war eine an die Ältesten der eraogelischen Gemeinde in MoakAii 

gerichtete Ermabnnng zur Eintracht. ^) 

Diese Schreiben werdrn liiuhulier nachgeschickt worden sein, 
da man vermuten darf, dals er bereits in den ersten Wochen dea 
Jahres 1674 in Moskan eintraf. IHe Aufträge seines Landes- 
hetm verlidien ihm bis an einem gewissen Grade den Charakter 
«nes diplomatischen Agenten. Er berichtete ans der yiTentsehen 
Sslobodda yor Koskan** den 9. Jnni 1678, dab er das Schreiben 
des Herzogs dem Bojaren Mat\rejew am 30. Mw, das Schreiben 
an den Zaren am 7. Juni abgegeben habe. In dieser Zeit genois 
Hatwejew am ruBsiscben Hofe das gröfste Ansehen. Zwei Jahre 
anTor hatte er die Verheiratung des Zaren Alezei mit Kata^a 
KiriUowna Naiysohkin dadurch yeranlalsty dafs der seit einiger 
Zeit yerwitwete Herrscher seine kfinftige Gemahlin im Hanse des 
Bojaren kennen lernte. Matwejew leitete die Angelegenheiten 
der auswärtigen Politik; er wufste die Vorteile der westeuro- 
päischen Zivilisation zu schätzen, stand in lebhaftem Verkehr mit 
vielen Ausländem nnd snohte sich selbst weiter ansznbilden. 
Dafs Binhuber sich der Gunst dieses Wflrdentrigers erfreute, 
mufste den Erfolg seiner diplomatischen IGssion verbtlrgen. Aus 
den Berichten Rinhubers ersehen wir. dafs eß sich bei seinen 
Unterredungen mit dem Bojaren um sehr wichtige Angelegenheiten 
handelte. 

fiinhuber berichtet , die Überreichung des Schreibens des 
Hentogs Emst an den Zaren habe den letateren in die fröhlichste 
Stimmung ▼ersetst nnd er habe sich in yerbindlichen Ausdracken 

nach der Gesundheit des Herzogs erkundigt. Das Geschenk des 
letzteren, in verschiedenen Waffen bestehend, sei sehr wohl auf- 
genommen worden. Matwejew habe sich besonders darüber ge- 
äulaert» da(s von so vielen deutschen Fürsten^ welche Bolaland 
gegenüber eme entgegenkommende Haltung beobaehten könnten, 
allein der Heraog Emst ein so lebhaftes Interesse filr eine ge- 
deihliche Entwickelung Bulslands an den Tag lege. Auch von 



Bdation S. 69-7S. 



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330 Lanrentiiu Binhnber. ^ 

j 

Beinen Yerbandlongen mit den yertretem der eyangeUschen Kirche 
berichtete Kinhnber: die ESnnahnimgen des Henogs, Yon «Iler 

Zwistigkeit abzustehen, hätten einen tiefen Eindruck gemacht 

Sodauii bat Kinbuber um eine Gelduuterstützung für sich : 
er müsse über gewisse Mittel verfügen, wenn seine diplomatische 
Mission Erfolg haben sollte: Allbier m WjjSb zu erscheinen, ist 
nxunSglich und tingereinit. ICoskau ist gonts ein ander Land und 
Stadt nnd kann Einer seine Sachen nicht glttcklicb expedieren; 
es sei denn, dafs er alle Tage vor der Sonnen Aufgang zu drei 
oder vier grofsen Herren eile nnd dieselben durch Aufwartung 
ihm zu Ij'reunden mache.'^ So brauche er denn baldmögUchftt 
100 Tbaler. 

In dem 0esprftch mit dem Zaren Alexei berahrte Binhnber 
swei Fragen, deren Erörterung schon in Sachsen, in der Um- 
gebung des Kmoga Emst, begonnen hatte: erstens stellte Bin- 

huber vor, auf welche "Weise Rufsland sehr vorteilhafte Handels- 
verbindungen mit China aiiknüpteu könne („wegen der Orieuta- 
lifichen Handtelsobaft durch Catajam und Sibiriam''); zweitens 
zeigte er, dafs die Abyssinier im Kampfe mit der Türkei sehr 
nntsliche BnndeBgenossen sein könnten, nnd dafs man es sieh 
angelegen sein kuisen mflsse, Besiehnngen an Abyastnien ansn- 
bahnen.*) 

Biese chinesische und abyssinische Frage, als deren Urheber 
wir, wie es scheint, den am sächsischen Hofe eine hervorragende 
Bolle spielenden Geographen Ludolf ansehen müssen, begegnet 
uns auch in den weiteren Schreiben Binhnbers nnd in den diplo- 
matischen Yerbandlungen swisohen dem Zaren und dem Hersoge 
von Sachsen. Es ist von hohem Interesse wahrzunehmen, dafs 
der Anstofs für sehr weitgehende TJntemehniungen, welche Moskau 
wagen sollte, von dem kleinen sächsischen Ländchen ausging, und 
dafs man in Eufsland sich für dergleichen Anregnngen recht 
empfänglich aeigte. 

') S. das Sohrdben Bmhabeis in deutscher Übersetzung ans der 
Bibliothek su Gotha in der Belation S* IS^Tf, Über Abyasinien nnd 
die Begeisterung des Hersogs für eine Kulturmission in diesem Lande 
finden sich sehr wertvolle Angaben bei Beck a. a. 0. 1, 668 & 



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Laurentiiu Rinhuber* 



931 



In welcher Weise Binhuber diese Prägen aar Sprache braohte, 
erfrhren wir ans seinem an den Herzog Emst gerichteten, in 
denteeher Sprache abgefafsten Schreiben ans Hamburg yom 

29. August 1674. Wir erselien diiraus, wie lernl)egierijjf mau 
in E-ulsland war. E,iuliuber schreibt u. a. : ,,lTnd als ferner zum 
Herrn Artemon ^) ein freierer Zutritt mir eröflnet, bin ich unter- 
schiedene Dinge nm Ew. hochfUrsÜ. Bnrohl. befragt worden, nnd 
haben Se. Zarliche U^est&t ein verwunderliches Wohlvergnügen 
gehabt, als Herr Artemon Ew.* hochfürstl. Bnrchl. sonderbaren 
modum regiminis und höchstlöbliche Landesordnung in stutibus 
theologico, politico und oeconomico. so aus denen nütgegebenou 
TabcIIcu und Büchern zu ersehen, ordentlich referieret. ^) Hierzu 
habe ich discursive einige Propositiones gethan, als nämlichen 
von der Konservation des Bussischen Beiches, von EröfiEnung des 
Fasses dnreh die nordöstliche Orten in China nnd Ostindien be* 
vorab, weil Sr. Zarlichen Majestät Länder bis in Catay sich er- 
strecken, Catay aber an China angrenzet, von Untersuchung der 
Flüsse selbiger Orte, wie die hieher denvierte ostindianische 
Handelschaft Sr. Zarlichen Majestät mehr Nutzen schaffen würde 
als einige Bergwerke, deren doch bisher noch keines erfunden, 
nnangesehen eine unglaubliche Summe GMdes darauf spendiert. 

wie das russisdie Bach Nord-, Nordost- und Ostwirts 
keine oder doch wenige Feinde hcätte, und sofern es auf der 
"Westseite mit der Krone Schweden in gutem Vernehmen stünde, 
alle Macht desto füglicher wider die Krymschen Tataren so Tauricam 
Cheronesnm, welches der Schlüssel an Konstantinopel werden, 
nnd also die Hittagsgrenzen auch sicher machen kdnnte; hiebei 
ist auch berührt worden die in Deutschland übliche Ezersierung 
und Musterung des Kriegsvolks, und weil vor allen andern 
Nationen die Moskowiter der Türken abgesagte i^'emde, habe ich 
anch der Abyssiner gedenken wollen, welche ebenso gesinnet and 
von ihrer (der Moskowiter) Eeligion nicht sogar weit discrepieren, 

') d, h. Mnt wejcw. 

'-) ILiuhuber hatte also eine Art pülitisch-j)U(iago^ascheu Apparats 
mitgebracht, um in KuTsland in der Begierungskunst zu unterrichten. 



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982 



Lanrentint Biiümber. 



auch ein sehr reiches Land bctÜMO^ woia mir dann Anleitang 
gegeben, dab Ew. hoohfttnrtl. DuroU.» mein gnidigiter Heir, 
wohl ehemale Tor diesen von der Abjssiner Kation besondere 

consilia gehabt, welche noch wohl in künftig, so Gott wiU ihren 
Efiekt erreichen dürften, mafsen dann Ew. hochfürstl. Durchl, 
die consilia suggerieren können, der GtroiBzax aber den Kachdruck 
hat and sonder Zweifel Lotionen senden wird, zomal er ohne- 
dies gem in der gansen Welt admiriert sein will. Gedadile 
Propesitiones nnn habe ich aof Erheisch des Herrn Artemon in 
Papier bringen müssen , sind aber also aufgenommen worden, als 
wenn selbe zu proponiereii voA Ew. hochfürstl. Durchl. ich in 
Kommission gehabt. Ich hcrgegeu habe mir nicht viel Bedeukens 
machen wollen Selbes zu bejahen, tun nicht entweder den Herrn 
Artemon oder auch Se. Zarliche Ki^estftt Ton der ge&bten 
ICeinnsg und Indination einer vertraulichen jFreondsohaft gegen 
Ew. hoohf&rsti. Bnrehl. m reroeieren' n. s. w. 

Wie man sieht: Riiilml i entfaltete einiges diploiaatische 
Talent, ging über die ihm gegebenen Instruktionen hinaus, suchte 
geapridisweise in Kufsland anregend zu wirken. Es galt Kols* 
land m eraiehen, die Bichtang der Handelspolitik des in einem 
Beformprosels begriffenen Staates in bestimmen. In ähnlicher 
Weise haben etwas spitter, in der Zmt der Regierung Peters des 
Irl Olsen, Männer wie AVitsen , Leibniz , Lee, Kick u, a. ;illerlei 
üutwürfe für grofs« politische ü uternehmungen KuTslands ersonnen ; 
Terhalf man dem aufstrebenden russischen Reiche zu Erfolgen, 
so maohte man sich am das enropftisohe fitaatensystem Tcrdient; 
bahnte man der Knltnr und Bildung des Westens einen Weg 
in den Orient, so war das eine Leistung im Interesse der Menseh- 
liüit. Damalb liatto man noch keine Gelegenheit, Rufslands Über- 
macht in Europa zu fürchten ; neidlos freute man sicii an den 
Portschritten, welche man in jener Zeit in Rufsland beobachten 
konnte. PersönlicheSi vaterliadisches und allgemein-menschliches 
Interesse wirkten bei XKnnem wie Binhnber msammen, um in 



») Relation S. 78 ff. 



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Laurentius Rinhuber. 



233 



flmeii den Wnnseh m «firegen, als Lelirer RnfthodB sti wirken* 

Dieser /ug ist cb voriichmliuh, \sulcher dem Quasi-Cxesandten des 
UQBcheiDbaren sächsischeD Ländchens eine gewisse historiBclie Be- 
deutung verlieh. 

Xieht ohne IntoreBse sind dann auch die MittoUnngen Bin* 
hüben inbetreff der Ijage der Kirche in Koekmi. Die Streitige 
keiten innerhalb der deataohen Gemeinde waren nieht leicht bei- 
zulegeu. Rinhuber schliij? vor, der Herzog solle einen ^fanu 
abordnen , welcher in üubkau die Sache genauer unkiauchen 
könne. Er bemerkte, diese leidigen Zwistigkeiten seien inapfem 
ale Gottea Werk an betrachten , ala dadurch Veranlasanng an 
einer diplomatiaehen AnnSherong swiechen dem Zaren und dem 
Hersog Emst gegeben worden an. Sodann aber hatte Binhnber 
noch weitere Plfine. Auf eine zwischen dem Staate Moskau und 
Schweden eingetretene Spannung hinweisend, sprach er die Ansicht 
aus, dafs der Herzog Ernst als „Mediator" zwischen den beiden 
Mächten auftreten könne. £8 sagte dem patriotischen JBhrgeia 
Binhuben zu, dafs, während von allen deutschen Flirsten nur 
die KuifKrsten von Sachsen und Brandenburg Besiehungen au 
dem Zaren unterhielten, auch der Herzog eine solche „Korrespon- 
denz*' pflegte. Kr Ijat um weitere Instruktionen in den Angelegen* 
heiteui „so Artem et Martern konzemieren'' u. s. w. ^) 

lU. 

Schon in seinem Schreiben aus Moskau vom 9. Juni hatte 
Binhuber bemerkt: „denn kein Geringes, dab swisehen 8r. Za- 
rischen Majestät und Unserem gnädigsten Herrn vermittelst einer 
nächbtkommenden Gesandtschaft Freundschaft gemacht werden 
soll". -) 

Die Absendung eines diplomatischen Agenten aus BnJSriand 
an den Hersog Emst war sowohl für das kleine silchsische Lindohen 
als auch im Leben Binhuben ein wichtiges Ereignis. Der letstere 

') Relation S. 84. 
Eelation S. 76. 



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984 



Lanrentius BlnhulMr. 



hatte wiederum einmal Gelegenheity aiu Hoskau eine Eeise in den 
Westen zn nnteraehmen. Er befand aioh in dem Gefolge des 

russischen Qu:isi-(4osandten, welcher iu der That alsbald in Sachsen 
erschien. So erklärt sich der ümataud, dafs er Beiß Sclireiben 
an den Herzog Ernst im August 1673 aus Hamburg verfafste. 
Nach einem etwa halbjährigen Aufenthalte in Koskau unternahm 
Binhnberi welcher Anfang 1673 Ton der grofsen Beise yon 
Italien naoh Moskau anrüekgekehrt war, wieder einen Ausflug. 
Er st lu'ieb aus Hamburg, der Zar habe einen Sekretär der Reichs- 
kanzlei mit Jiriefni an den Herzog abgefertigt, „welcher**, fahrt 
Rinhuber fort, ,,ob er wohl keinen sonderbaren Charakter hat, 
doch wie ein Ableget zu empfangen und im Respekt Sr. Zarlichen 
Majestftt zu traktieren ist, snmal weil es gedoppelt und mehr 
von 8r. Zarliehen Higest&t Torgolten werden wird, sofern Se. fürst- 
liche Durchlaucht einen Mann in Rnfsland künftig senden mBehten". 
Der Enipfaug des ,,Envoye". fährt Rinhuber weiter fort, müsse 
in Leipzig statthaben ; es niüfsteu eine Kutsche für den ruäisischen 
Diplomaten und Wagen für seine Dienerschaft in Bereitschaft 
gehalten werden u. dergl. m. 

Deijenige, welcher den Auftrag hatte, ein Schreiben dea 
Zaren Alexei an den Herzog Emst za überbringen, war ein 
Beamter des auawärtigen Amtes, Namens Ssemion Protopopow, 
von dessen Persönlichkeit, Kenntnissen und Fahigkeitau wir keine 
weitwe Kunde besitzen. Es ist, so viel wir wissen, iu keiner 
andern Quelle als in den zahlreichen» diese diplomatische Mission 
betreffenden Akten in der Bibliothek zu Gotha von ihm die Bede, 
Er scheint keine weiteren Aufträge an andere Höfe als den 
herzoglicli-sächsischeu gehabt zu haben. So war denn sein Er- 
scheinen in der engeren Heimat Riuhubers kein gelegentliches. 
Die Verhandlungen mit den Räten des Herzogs Ernst haben 
eben deshalb ein besonderes Interesse. Sie kdnnen^ wie die ganze 
weite Beise des zarischen Agenten i als ein Ergebnis der An- 
regungen gelten, welche der Uoskauer Hof dem Laurentius Rin- 
huber verdankte. Kein Wundor, dafs der letztere dem russischen 
diplomatischen Agenten einen günstigen Empfang vorzubereiten 



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Lnureutius llmhuber. 



235 



Buehte und in eeinem an den Herzog Friedridi, den Sohn des 

Herzogs Ernst, gericliteten Sclireiben allerlei guten Rat üIjli die 
Haltung erteilte, welche man dem rusäischeu Diplomaten gegen- 
über beobachten sollte. In einem Schreiben vom 8. September 
1674 aus Letpsig unterrichtete Riobuber den Hersog friedrioh 
Yon den HotiTen dieser diplonkatischen Hisston. Es handle sieh 
um die orientalisehen Angelegenheiten, um die Bildung einer 
Koalition gegen die Türkei ; auch werde von schwedisclien und 
turkiächen Sachen diu liede bein. Die Frage von einem Zusammen- 
wirken der Abyssanier mit den Russen gegen die Türken werde 
aur Sprache kommen. Ruhuber erinnert den Herzog Friedrich 
daran» wie dessen Yater, der Herzog Ernst, ihm auf Ghmnd geo- 
graphischer Karten gezeigt habe, dafs es ein Leichtes sei^ den 
russischen Handel nach China zur Blüte zu bringen; wie man 
die Absicht pfeliaht halte, eine betriiclitliche Anzahl von tiiclitigeu 
Männern Dach Rufsland zu senden, weiche dort als Lehrer wirken 
könnten; wie es sich darum handle , die militärischen Kräfte 
BuTslands durch Übung und Disaiplin zu steigern. Was könne 
wohl, f&hrt Binhnber fort, mehr zum Buhme der sächsischen 
Fürsten beitragen, als wenn unter ihren Auspizien die Wissen- 
schaften und ivunste Eingang landen in das moskowitische Reich! 
Welche Unternehmung sei nützlicher, ais dafs man im Norden 
und Osten neue Bahnen eröffne! Er, Rinhuber, sei bereit, dime 
Ziele zur Lebensaufgabe zu machen. 

Diesem Schreiben Banhubers an den Herzog Friedrich ist 
ein Aktenstück mit der Überschrift „Propositiones** beigefügt. 
In zwumii^ Funkten wird hier der luiialt der mit dem russisclieü 
diplomatischen Agenten zu verhandelnden Fragen dargelegt. Unter 
den von sächsischer Seite der russischen Kegiening zu machenden 
Vorschlägen sind die wichtigsten folgende: Mafsregeln zur Dis- 
zipUnierung der russischen Truppen nach westeuropaischer Weise, 
die Absmadung einer russischen Gesandtschaft nach China zum 
Zwecke der Anknupiung von Handelsverbindungen, in der Absicht, 
den Holländern. Engländern und Portugiesen ilire kümmerzielleu 
Vorteile zu entreifsen und Kasan und Sibirien durch den Handel 



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236 



Laureutius Kinhuber. 



mit China snr Blfiie m bringen; die Nntsbannsobung d«r ge- 
waltigen Ströme, welclie in Huialaud nach Nürdtii iiiefsen, fBr 
den Handel mit China; die Absendung von, der Mathematik nnd 
Geographie kundigen Männern nach Bufsland, um durch Orts* 
bestimmiiog einselaer Pl&tae Anhaltepankte fttr eine genauere 
geograpbitehe Ketminis des Beiches so gewinnen; diesen seien 
tadhtige Offiziere mitzugeben, welche an geeigneten Orten Be- 
festigungen anlegen und die msBisohe Artillerie entwielreln könnten ; 
ebenso bedürfe Rufsland der Metallurgen, der Mechaniker, über- 
haupt der Handwerker, Gelehrten und Künstler; es seien ohne 
Zweifel SUberadem in Bufsland vorhanden, nnr mülsten dieeelben 
dnroh FacUente entdeekt nnd blofsgelegt werden; eine Annihening 
der Abyssinier an die Kfiston sei ins Ange sa Assen, um die 
gro&en PlSne des Heraogs Emst sn verwirklichen ; Abyssinien sei 
reich an Edelsteinen, Gold und Silber; es sei niiht so schwiung, 
in dieses Land zu gelangen, wenn man nur die Sprache keuue ; 
es müsse ein stetiger diplomatischer Verkehr zwischen Sachsen 
nnd Bnisiand hergestellt werden. 

In einem weiteren Aktensttteke ,y8olntiones s. limitationes 
propositionnm'' werden diese Vorschläge des weiteren erörtert. 
Da finden sich Bemerkungen, wie etwa folgende: niemand wisse, 
wie weil sicli die Grenzen des russischen "Reiches nach Norden 
und Osten erstreckten ; den nach Kufslaud gesendeten Jb achmäuneru 
seien gewisse Rechte und Einkünfte zu verbürgen; bisher habe 
es in Bufidand noch niemsJs ordratliche Metallurgen, sondern nnr 
Schwindler nnd BetrOger auf diesem Gebiete gegeben n. s. w. 

Wir können anversicbtllidi annehmen, dafs Binhnber an der 
Erörterung dieser Fragen thätigen Anteil genominen ]i;i]it>. Er 
vermittelte zwischen den politischen Bedürfnissen des russischen 
BeichcMi und der Bereitwilligkeit der sächsischen Hegierung, durch 
SO wesentliche dem Zaren sn erteilende Batschläge, dem Staate 
Koskan an leistende Dienste Bnhm, Ansehen, Einflnb an erlangen, 
Bs aeogt ebensowohl von einer gewissen politischen Naivetät, wie 
von einer lobenswerten Strebsamkeit der Stsatsmttnner des kleinen 
sächsischen Läudchens, dafs mau so grofse Unternehmungen in 



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4 



Laurentius Einhuber. 237 

AuBsicht nahm. Überall (itkIi t man in jener Zeit urafaseende, 
aui' internationalen Handel, Kolonialwesen, Machtsteigerung ge- 
richtete Entwtiifs. Verfügte das Heraogtam Sachsen selbst über 
geringe Kittel snr VerwirUichuiig grdiserer Plftne, so bot sieh 
dnreh eine Annähening an Rnüdand eine willkommene Gelegen- 
heit dar, denteche Intelligenz dasn vi yerwenden, um dem mosko- 
witischen Keiche zu einem Auiachwungo zu verhelfen. So meinte 
man der Menschheit nützen und zugleich den eigenen Interessen 
dienen nt kdnnen. ^) 

Soleher Art waren die Vorbereitungen anf den Emp&ng des 
msriscben diplomatischen Agenten Protopopow» in dessen Gefolge 
Kinhnber sich befknd. Es worden allerlei Mafsregeln getroffen, 
um die Reisenden mit Speise und Trank zu vereehen, ihnen 
Wohnungen einzurichten. Da Protopopow „keinen Charakter" 
hatte, d. b. nicht formell als Gesandter kam, so konnte er nicht 
in der „Besi d ena**, d. h. im Schlpsse wohneni sondern wurde in 
einem Frivathaase nnteigebracht. *) Man stellte Binhuber eine 
kleine Geldsumme su, um auf der Heise nach Altenburg etwaige 
Küüttjn des Unterhalts der Keisenden zu bestreiten. Der Kammer- 
junker Künholdt erhielt eine Instruktion für die „Abholung und 
Begleitung** des auf der Kcise nach Altenburg und Gotha be- 
griffenen russischen Diplomaten. Binhuber bat, daTs der letatere 
an der Grenae f^von ansehnlich Abgeordneten und einigen Kom> 
pagnien mit fliegenden Fahnen möchte angenommen werden^; 
indessen Hefs sich das nicht bewerkstelligen ; man sorgte wenigstens 
für eine Ehren waclie von zwei Mann, weiche vor dem „Logement'' 
des Diplomaten standen. 

Über die Beise Frotopopows erfahren wir aus Künholdte 
Beriehten ejsige lünielheiten. In Altenbnrg besah er die Schlolk- 



*) Reiati'in S. ö8. Über das Verweilen Protopupows in Sachsen 
üuden sich aul (jrrund derselben Akten, welche neuerdings herausg^eben 
wurden, wertroUe Mitteilungen bei Beck a. a. 0. S. 808 ff. 

*) 8. die Pnnota, so wegen des ankommenden muskowitischen Ge- 
sandten d. 4 September 1674 sa betrachten in der Bdataon & 07—98 
und das Schreiben an den Kanaler Thomas S. 99— IOOl 



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238 



Laurentius Riuhuber. 



kirclie . den Alüm und einige Prunkgemächer, die Stadtkirche; 
auf Befehl des Suvprintendeiiten inufsten die Kantoren dem Ge- 
Bandton bei der Mablaeit „mit Vokal- und IiiBtramentalmiiaik** 
attfirarten, was ihm besondera zu gefallen schien. Er schenkte 
den „Biseantisten'' einen Thaler und änfserte den Wunsch, einen 
dieser Knaben nach Ifoskaa mitzunehmen, wozu aber keiner von 
denselben Lust hatte. Auf der Weiterreise, in Ronneburg, war 
Protopopow an der Abendtafei sehr gesprächig und erörterte recht 
eingehend einige theologische Fragen, wobei er aus einer mitge- 
brachten Bibel Terschiedene Zitate nnd Belegstellen anführte. Er 
wohnte dem protestantischen Gottesdienste bei, lieTs sich vieles 
erklären und bemerkte, dafs ein Christ in dieser Beligion selig- 
sterben könne. Seine Haltung machte einen gut«n Eindruck : er 
war mälsig, höflich, gab gern Auskunft auf Jb'ragen, welche die 
Verhältnisse des Staates Moskau betrafen. 

Für die in Gotha stattfindende Audienz Protopopows bei 
dem Herzoge Friedrich, dessen Vater, Hersog Emst, schwer er- 
krankt war, worden besondere Anstalten getroffen : in einer »besten 
Gut.sclie'- mit äcclis Pferden wurde der Gesandte von vier Kdel- 
leuten mit Pagen, Trompetern und Lakaien abgeholt ; da« Zere- 
moniell des Empfangs war genau vorgeschrieben ; bei der Mahl- 
zeit, welche auf die Audiens folgte, gab es „Kapellmusik*'. Bin- 
huber fungierte als SekretSr Protopopows. Er wird wohl auch 
bei den Verhandlungen , welche nun folgten , eine hervorragende 
Bolle gespielt haben. Das Protokoll dieser Verhandlungen ist 
vollständig erhalten und gewährt einen Einblick in die Nütur 
der erörterten Fragen. Sächsischerseits wurde hervorgehoben, 
dafs der Hersog Emst die Absicht gehabt habe, für eine Koalition 
gegen die Türken zu wirken, dafs aber Alter und Krankheit ihn 
daran yerhindert hätten : man mttsse hoffen, dala der Kurfürst von 
Brandenburg etwas ausrichten werde. Auch die von der sSchsisehen 
Regierung durch Rinhuber gemachten Vorschläge iubetreff Chinas 
und Abyssiniens kamen zur Sprache. Als der Haupturheber der- 
selben wurde der Herzog Ernst bezeichnet, welcher indessen jetzt, bei 
seiner schweren Krankheit, sich nicht genauer über diese seine Ent- 



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LaorentiuB Rinhuber. 



239 



würfe aussprechen könne. Durch eine Mcngo an den Herzog Friedrich 
ilod dessen Bäte gerichtete Fragen sachte Protopopow sich über die 
allgemeine politisohe Lage in Europa sn nnterriehten. Er erkundigte 
sich nach den Intentionen Prankretchs, des Kaisers^ der Schweden, 
nach den Yerhiltnissen im heiligen römischen Beiche, ob das 
jEranzp Reiche „mit dem Kaiser hielte", welclie Neuigkeiten in den 
letzten Zeitungen enthalten seien , welche Nachrichten man über 
den französischen Krieg in den Niederlanden habe u. dgl. m. ') 
So hatte denn die Yerhandlnng mehr den Charakter einer all- 
gemeinen Konversation fiber aUerlei politische Fragen, als den- 
jenigen einer gesohftftliohen Erörterung sum Zweck etwa des Ab- 
schlusses eines Vertrages. Der russische Diplomat suchte sich 
über die ganze politische Sachlage zu orientieren. Es fehlte ihm 
offenbar an eingehenderen Instruktionen für die Erledigung wirk* 
lieber politischer Geschäfte. Seine Sendung war eine vorläufige, 
durch die von Binhnber in Moskau vorgebrachten Ideen ver- 
anlafste Bnquöte. Die sächsische Begierung, deren Tbatkraft durch 
die schwere Krankheit des Heriogs Emst gehemmt erscheint, 
beantwortet die Anfragen des russischen Diplomaten in allgemeinen 
Ausdrücken, hier und da selbst ausweichend, nicht ohne Zurück- 
haltung. Man hatte sich mit den von Binhuber in MoHkaii ge- 
machten Propositionen auf ein Gebiet gewagt, welches den Mitteln 
und Fähigkeiten der sächsischen Staatsmänner denn doch nicht 
entsprach. Binhnber wird wohl bei dem Verlaufe dieser politischen 
Unterredungen einigernialsen enttäuscht gewesen .sein. Er. der 
()j)timist und Sanguiniker, moclite Hich die Verwirklichung der 
hochüiegeudeu Entwürfe des Herzogs Ernst leichter gedacht haben. 
Der Gedanke an eine Beise nach Abyssinien hat ihn auch später 
noch beschäftigt. Er war bereiti noch viele Beirnn su unter- 
nehmen! um die hohen Ziele su erreichen, auf welche er in Ge- 
sprächen mit dem Zaren Alezei und dessen Minister Matwejew 
hingewiesen hatte. Dafs Protopopow nacli Deutschland kam, war 
sein Werk. Und nun hatte doch diese Keise des russischen Diplo- 

>) Actum d. SS. September 1674 mit dem mnskowitisohen Abgeord* 
neten, in den Obern gemache. In der Belation S. ISS-^ljMV 



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240 



Laureutius Üiuiiuber. 



maten keinen eigentlichen Erfolg an&awHBen. In dem Sclireiben 
des Zaren Alexei an den Herzog Emsi, welches Protopopow mit- 
gebracht Uüd übcrreichi; hatte, war aasdrücklich von den Au- 
regongen die Rede, welohe der Zar und Artemon Ssergejewitsoh 
Hatwejew von Binhaber empftogen hatten. Nun galt es, dieaen 
Fragen einen Abeehlnfii an geben, yon Worten an Tbaten Über- 
zugehen, die allgemeinen Entwürfe im Detail anianarbeiten. Dasa 
kam es nicht: die Entwürfe blieben Entwürfe. Man hatt« ea 
gut gemeint, aber der Verwirkiichung so grofser Gedaaken stellten 
sich denn doch sehr erhebliche Schwierigkeiten entgegen. 

In der Bibliothek au Gbtha haben aioh die Konaepte an der 
Antwort gefunden , welche man sSebeifloheneitB an den Zaren 
richtete. Sie iit sehr allgemein gehalten und entbilt mancherlei 
Batschläge: es wäre gut, die Bewohner der Grenzgebiete in den 
Waffen zu üben, um die Aktion der Armee eegen die Türken 
zu unterstützen; „man hielte dafür, dafs die Handlung durch die 
Nordaee, wenn der Weg um Katayen herumb gefund^i werden 
könnte, am fÜgUcbaten und au groCwm Kutaen der Zeriachen Bwohe 
angeatellt werden könnte^; man bftte um Auskunft fiber den 
Yerlanf der Geeandteciialb, welche der Zar ehedem nach China 
abgesandt habe ; mau aei bereit, Techniker und Handwerker zu 
senden, aber mau müfise zuvor die Bedingungen kennen lernen, 
unter denen diese Leute in russische Dienste treten würden. An 
dieeen letateren Funkt knüpft sich folgende Bemerkung: „Wie- 
wohl, was Kathemaiioi betreffe, bitte man gehört, ala ob aie gar 
in bösem Verdachte wIKren, weil sie mit Zirkeln, Ziffern und 
allerhand seltsamen mathematischen Instruineiiten umgehen könnten, 
dala sie Zauberer wären, daran Dmeii doch Unrecht geschehe, 
sintemal es alles natürlich augehe und Gottes Namen und sein 

^) Das Schreiben Alexeis ist abgedruckt in lateinischer Übei-setzung 
in dar Relation S. 145. Da heiTrt es n. a.: „ut, seonndum propo- 
litos illfls articnlos, quos explsaavit Tssrsae Kostrae Haiestatis intimo 
Ocolnioio et Serpogoviae Locom-tenenti Artemoni Sergisdi Hatthaei 
missus Yester Laur. Rinhuberus, apud Dncslem Vestram Ohsritatem 
resciat quo modo et tempore iuxta tenorem illcmm articnlomm cpera 
danda et ad finem perdnoenda sit** 



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Laurentius Binhuber. 241 

Wort dftbei ganz nicht mUsbrancht, noch einige böse Künste 
dab«'i vorgingen/* Es folj^en einige Ratschlage inbetroft' des 
Bergbaues in BufsIaDd. Sodann wird die abyssiiüeche Frage 
erörtert: der Herzog £mst habe eine geeignete Fenon an den 
König Yon Abyesinien senden wollen, nm den letsteren «if Bufs- 
hnd anfmerkaam zu machen, aber diese Peraon aei geetorben; ein 
dahin absnaendender Agent müsse anch die arabische Sprache ver- 
stehen. InbetrefF des Türkenkrieges erteilt die sächsische Re- 
gierung dem Zaren den Rat, sich zunächst defensiv zu verhalten, 
sich wegen der Aktion gegen die Türken mit Polen zn verstän- 
- digen, den Polen Subsidien zu gewShren, anoh Schweden durch 
Snbsidien war Anteilnahme am tfirkiBchen Kriege zn veranlassen 
n. 8. w. 

So übernahm denn die herzoglich-sächsische Regierung die 
Rolle eines Lehrmeisters dem Staate Moskau gegenüber , ohne 
doch die guten Ratschläge durch nachdrückliche Handlungen unter- 
stütsen zn können. Ss blieb bei einem Austanach von Höflich* 
keiten. Der Herzog Emst sdirieb wieder einmal an den Hinister 
des Zaren Alezei, Hatwejew, dessen Sefautaw er die evangeÜscben 
Gemeinden in Hoskau und insbesondere den nach Moskau zu- 
rückkehrenden „Doktor der Medizin** Laurentius Rinhuber empfahl. 
In ähnlichem Tone war ein Schreiben des Herzogs au den Zaren 
gehalten, in welchem ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dafs 
die schwere Krankheit des Herzogs eine eingehendere Besehif- 
tignng mit diesen Fragen Terhindert habe n. dergl.') 

Yon Binhuber hiefs es ferner in dem an den Bojaren Hat- 
wejew gerichteten Schreiben, man erteile ihm keinen weiteren 
Auftrag; er gehe nach Moskau, um ein bis zwei Jahre dort der 
Ausübung seiner ärztlichen Kunst obzuliegen und die slawische 
Sprache zn erlernen (pro se priTatiye), weil er der siohsisehen 
Begiemng einst nützlieh zn werden hoffe.') 

Fast sofaeint es, als habe Binhuber, indem er in Koskan allzu 

>) BehitioQ S. 181—146. 
«) Relation S. 146—168. 
*) Relation S. 148. 
Brftekacr, BaMMid. 16 



S49 Lanreiitiva BinhttW* 

eifiiig Ton Gliiii« nnd Abyflainioa gotprocHen habe» dw sttohaiBelieik 
BfigieroDg tJngelegenlieElen ber«itot. Er wird nicht formell des- 
ftvoniert, aber man entkleidet ihn jener Spur einet diplomattecben 

Cliiii akters, welche ihm t t ühcr angehakt t liatte ; man sagt es aus- 
drücklich, dafs er keiueriei VoIlmschteD, keinerlei Instruktioneu 
habe, dafs er in Moskau nur «eine privaten Zwecke verfolgen 
werde. Der Henog Ernst hatte mehr Initiative 'gehabt, sich 
mit groisen Entwürfen getragen; jetat, da im Qnmde Henog 
Friedrich regierte, trat die sichsisehe Eegiening inbesng anf die 
Verhandlungen mit dem Staate Moskau eine Art Rückzug an. 
Hiahuber befand sich in einer minder günstigen I^age als früher. 

Indessen erhielt er in dem Augeiihlicke, aU er nach Moskau 
Burttckkehrte, doch noch einen Auftrag. Es wurde ihm für die 
ersngeliscbo Kirche und Schule in Koskau eine Menge geistlicher 
Bficher pUdagogischen und geistlichen Inhalts, etwa 200 Binde, 
mitgegeben.^) So war und blieb er denn in gewissem Sinne 
Agent der herzoglich-sächsischen Regierung, an welche er denn 
auch später noch über maacheriei Vorkommnisse Bericht erstattet. 

XV. 

Über Binhuben Bttckreise nach Moskau im Herbet 1674 

ist uns nichts bekannt. Im April 1675 aber begegnen wir ihm 
in Wien, von wo er einen laugen Bericht au den ilfrzog Friedrich 
sendet (datiert 4. 14. April 1675). Darin ist eines Aufenthaltes 
in Schottland erwähnt, welcher dem Aufenthalt in Wien vorher- 
gegangen sei: er habe aus Edinburg, wo er wegen kirchlicher 
Angel^nheiten eine Zeitlang habe weilen müssen, „neulich'* an 
den Doktor Ludolf gesehrieben.') Fast scheint es, als sei Bin- 
huber in der Zeit von seinem .Vat« ni lialt m Sachsen bis zu seiner 
Auwetieuheit in Wien nicht in Moskau gewesen. 

*) Das Verzeichnis der Bücher mit Angabe der Titel, ili^r Anzahl 
der Exemplare und des Kustenpreise» s. in der Relation 8. Ihi I'»). 

*) Vüstru D. Ludolfe scriptii uuper Edinburgo, ubi propter exer- 
citiom fidei vixi per tempus. Kelatioa S. 157. 



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lAureatios Emhuber. 



248 



Welche Stellung er in Wien einnahm , wissen wir nichi. 
Damals weilte in der Kaiserstadt eine ruHsische Gl-esandtschaft, an 
deren Spitae Peter Potemkin stand. Durch den Dolmetscher 
dieser Oeeaadtecbaftr Johann OtonaUf nnd auf andern Wegen 
. erinhr Binhnber mancherlei flher die Verhandlangen Potemkins 
in Wien. Aneh wnfete er einiges von den YerhftltniMen der 
evangelischen Kirche in Moskau zu berichten. Er erzählt© 
mancherlei von der schnöden Habsucht des rusaiacben Gesandten 
Potemkin, welcher, 1668 als Diplomat in Spanien weilend, es ver* 
standen habe, eich auf allerlei Weise zu bereiohem. Aach in 
Wien jage er fihnlichen Vorteilen nach. 

Südiuni teilt Rinhuber mit, es werde demnächst eine kaiser- 
liche Gesandtschaft unter Franz Hannibal Bottoui nach Moskau 
reisen. Dieser gedenke er sich anzaschliefsen ; Kaiser Leopold 
sei damit einverstanden and habe geäufsert, daTs Binhaber seinem 
Gesandten als Anst wie anch als Dolmetscher nfitslich sein werde ; 
die Reise werde über Prag, Dresden, Hamburg, Lübeck, die Ost- 
see, Kurland gelien, da man sowohl polnisches als schwedisches 
Gebiet, also auch Livland, vermeiden müsse. 

Sehr instruktiv sind einige Bemerkangen Rinhahers über 
die ZastSnde in ICoskan. Er erblickt die Hanptorsache des 

Mangels an Erfolg der rusyisclieii Politik in der Unlust der rus- 
sischen Würdenträger, irgend eine Verautwortiichkeit zu über- 
nehmen. Er führt als Beleg einige sehr schlagende Beispiele aus 
der Geschichte der letzten Jahre an. Ferner erw&hnt er der 
Angelegenheiten in Ungarn, der Ankunft einer türkisch-tatarischen 
Oesandtechall in Wien n. s. w. 

So vereinigte denn Rinhuber die Stellung eines Bericht- 
erstattera der heraoglioh- sächsischen Regierang mit derjenigen 
eines aeitweiligen Arstes and Dolmetschers bei einer naoh Rofs- 
land gehenden kaiserlichen Gesandtschaft. In Gemeinschaft mit 
den üsterreichisehen Diplomaten Bottoni and Chumann kam er 



0 Relation S. 1Ü7— 168. 

16* 



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244 



Laurentius Biububer. 



nach Moskau und wurde io Kolomenskoje, wo der Zar weilte, 
bei Hofe vorgestellt J) 

Jetst endlich trat Binhaber in nuaische Dienate ein; er 
erhielt ein Gehalt an G^ld von 170 Rubeln jährlich und 50 Knbehi 

in LclitMismittoln monatlich, sowie zum Geschenk einen silhcrnen 
Pokal, teure Stoile u. s. w. Er mufs wohl als Arzt thätig gewesen 
sein ; indessen erfahren wir^ dafe es ihm nicht gelungen sei, eine 
Stelle als Leibarzt des Zaren an erhalten, und dafs er sich mit 
einem TerhSltQism&rrig nnbedentenden Posten begnügen matste. 
Seiner eigenen Aussage entsprediend ist er in den Jahren 1675 
und IHTl) ^Zarlicher Hof-Medikus" gewesen.^) 

Es haben sich sonst keine Angaben über Rinhuhers Treben 
in dieser Zeit erhalten. Ein sehr langer Bericht über die Ver- 
hältnisse in Hoskan, welchen Binhnber an den Heraog Friedrich 
sandte, ist vom 99. Dezember 1677 datiert und erst an Anfang 

des Jahres 1678 abgesandt worden. 

Bald nach Rinhubers Bückkehr in die russische Hauptstadt 
hatten sich dort sehr wichtige YerSndemngen angetragen. Der 
Zar Alexei starb. Sein Sohn Feodor bestieg den Thron. Dieser 

BcgierungBwechsel bedeutete eine völlige Verschiebung der am 
russischen Hofe herrschenden Parteien. Der Gönner der Ausländer, 
der Vertreter des jE'rinzips einer Solidarität RuTsIands mit West- 
euroiMi» Katwejew, stürzte als ein Opfer der Ränke der lülofs- 
lawskys. Die aweite Gemahlin des Zaren Alexeiy die geborene 
Karyschkin, welche ihre Stellung ihrem v&terlichen Freundet dem 
Bojaren Matwe jew. verdankte, sowie ihr Sohn, der 167S geborene 
Peter, gerieten m eine bedriiiigte Lage. Dem Einflufs der Schwester 
des jungen Zaren i?'eodor, der Prinzessin Sophie und deren Ver- 
wandter von der mütterlichen Seite, der MilofslawslQr, war Thor 
«nd Thür geöffnet. Damit ward jene Beihe Toa Krisen am 

*) Über Bottoni und Chumami s. Adelung, Übersicht der Beisenden 
in Bnisland 2* 867. 

*) Adehug S, 879. Sachter, Geschichte der Kedistn in BntUand, 
Moskau 1816, 2, 8S8-880. 



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L&iireuUuB ümhuber, 245 

russischen Hofe eröffnet, welche erst mit d'^r beginnenden "Reife 
Peters des Grofseu zu eiuem gewissen AbschluBse gelangen sollte. 

Dm inbaltreifihe Sehreiben JELiiümben an dem Honog Friedrich 
beginnt mit dem HiDweiM auf die Zeit» da Binhnber das Ghlttck 
gehabt habe, in Geaeüechaft des nianadien diplomatiaohen Agenten 
Protopopow den Hersog in dessen Residenz Friedenstein zn sehen. 
Seitdem liabe er sich in der ärztlichen Kunst vervollkomranet : 
er hotle, dals man ilm werde verwenden können. Auch in anderer 
l^sicht bietet er «eine Dienste an. Er sei schon lange abwesend 
▼on der Heimat: jetst könne er vielerlei Uber die Angelegenheiten 
in Koskan» Polen, Schweden, bei den Kosaken nnd TOrken be- 
richten. Er hoffe seinem Landesherm damit manch wesentlichen 
Dienst leisten zu können. 

Sodann kouimt Kinhuber auf die in Rufsland stattgehabte 
KegiemngsTeränderang zu reden, aof den Sturz Matwejews. Viel- 
leicht weil er sein Schreiben mit der gewöhnlichen Post ab- 
zusenden gedachte, d. h. darauf gefafst sein mnfste, dab das« 
selbe erbrochen nnd gelesen werden würde, hat er kein Wort der 
Rechtfertigung für den schmachvoll gestürzten Minister, welclier 
ein Opfer der Käuke seiner persöniicheu Gegner geworden war. 
Er geht so weit , in tadelndem Tone zu bemerken , Matwejew 
habe hochmütig und gransam gehandelt^ die andern WürdentrIKger 
bedr&ckt, sich über alle andern erheben nnd, mit Übergehnng 
der Siteren Kinder des Zaren Alexei, dessen Sohn ans sweiter 
Elie . Peter , zum Thronfolger ernennen lassen wollen. Daher 
und wegen anderer Verbrechen sei er nach Pustosero verbannt 
worden. 

Diese Anschuldigungen sind in einem Tone gehalten, als 
seien sie im Hinblick auf die Möglichkeit einer „Perlustration" 
dieses Schreibens redigiert worden. Ebenso ist das unein- 
geschränkte, dem Zaren Feodor gespendete Lob Rinhubere viel- 
leicht nicht ganz auirichtig gemeint. Hierauf folgt ein Verzeichnis 
der Würdenträger und Generale, ein kurser Bericht über den 

Relation S. 178. nHaee per Postam (qnod dicitur) ordinsriam 
ad TOS transmittere quidem poteram u. s. w.<* 



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246 



LaarentiuB Biohuber. 



türkischen Krieg, deu sog, ^^Tschigirinschen Feldzug", ohne dafs 
irgend eine tadelnde Bemerkung mit unterliefe. Indem Rinhuber 
auf die Bemehangen BnlslanclB sn den aoBwirtigen Kfichten za 
reden kommt, ersShlt er, es werde nftehetena eine Qeaandtadiaft 
an den Kaieer abgehen ? der Kanzler dieaer G-eBandtacbaft werde 
Ssimeoii Micliailowitscli Protopopow sein. ,,V\^ir werden, so Gott 
und der Zar wollen, im nächsten Frühjahr ahteiaen," fügt Rin- 
huber hinzu, als sei es selbstverstäudlich , dals er, Rinhuber, 
abermals die Stellung eines Gesandtscbaftasekretftrs einnehmen 
werde ; er erbittet sich für einen solchen Fall die Auftrige des Her* 
zogs. Er werde n. a. eine grofse Menge kostbarer russischer Waren 
mitnehmen können, weil die Gesandtschaft die völlig sichere Reise- 
route über Kurland , Preufsen und Sachsen einschlagen werde ; 
nur müsse ein Kaufmann diese Waren ionuell bestellen. Rin> 
huber verweist auf ein ausführlicheres Schreiben, welches er in 
dieser Angelegenheit an Ludolf gerichtet habe. Dieses Schreiben 
ist nicht bekannt geworden. „W&hrend ich hier," schlietst Bin- 
hnber seinen Bericht, „als praktischer Arst lebe, bereite ich ein 
neues Werk vor, eine Ruß^ia ecclesiastico-politica, welcher seiner 
Zeit eine Darstellung der moskowitischeu RechtäverhältuiBäe bei- 
gefügt werden wird." Dieses Werk Tempricht Rinhuber dem 
Hersog za widmen. 

Auf dieses Schreiben folgt sodann ein Fostskriptnm Yom 
Februar 1678, in welchem . Rtnhnber mitteilt, er habe sich ent- 
schlossen, sein Schreiben nicht mit der gewöhnlichen Post, sonderu 
durch den brandenburgischen Agenten Heis zu senden, welcher 
demnächst mit dem verabschiedeten Leibarzt des Zaren, Rosen- 
berg, abreisen werde. Dann folgt eine sehr beachtenswerte Mit- 
teilung. Binhuber schreibt: „Jener Ssimeon Michailowitsch Proto- 
popow hat, nach seiner Rückkehr von Ew. Dnrclilancht Hofe, 
dem Artamon ein chriBtliches Memoire über den Handel mit China 
und dem Orient, Catai und Caracatai eingereicht, und Matwejew 
hat darüber an den Zaren Aiexei Michailowitsch berichtet. Da- 
her wurde denn, ein Gesandter an den Kaiser von China geschickt, 
Nikolaus Spafari, ein Hann , der viele Sprachen kennt und yiel* 



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Laurentius Biuhuber. 



247 



erfahren ist ; ich hätte sicher auch an dieser Heise teilgenommen, 
wenn ich nicht damals in Wien gewesen wäre." 

Diese Bemerkung zeigt, wie jene von der in Aussicht ge- 
nommenen Beiae nach Wien, dafo Ktnhuben medisinisobe Pnode 
in Moekan onTergleiohlick weniger bedeniete, als edne BeflÜiigony 
an allerlei andern Gesehäften. Gab es irgend eine Gelegenbeit, 
eine weite Reise zu unternehmen, diplomatisch thfttig zu sein, 
neue Verhältnisse, fremde Länder und Völker kennen zu lernen, 
so war er gern bei der Hand. Auch mochte er sich für die 
Stellung eines BeiBebegleitere, eines diplooiatiscben Assistenten sehr 
wobl eignen. DaTs seine persönlioben Beiiehnngen su Proto* 
popow Jahre lang sich nnTerftndert gnt erbielieo» spriobt sowohl 
für den Cbarakter des rassischen Wfirdentrftgers als filr denjenigen 
Riiihubers. Wir müssen bedauern, dafa der letztere jene Reise 
nach China im Oefolge Spafaris nicht unternelimen konnte. Er 
hätte sonst wahracheiaücb höchst anaiebende Mitteilangen über 
Sibirien nnd China yerfafst. ^) 

Aber noeh in anderer Beaiebnng ist Binbabers» Spafaris Reise 
naeb China betreffende Notia ron Interesse. Wir erfitbren, dafs 
diese Reise eine i^rucht gewesen sei der Gegandtschaftsreise Proto- 
popows nach Sachsen, Die Sendung Spafaris ist ein wichtiges 
Ereignis; dieselbe nimmt in der Geschichte der geographischen 
Entdeckungen eine bedeutende Stelle ein; snm ersten Mal wird 
Nordasien in etbnograpbisober und geograpblsoher Hinsicht yon 
einem hervorragend gebildeten Reisenden beschrieben; Spa&ri 
erscheint als der Voriräncfer jener berühmten Erforscher Asiens, 
weiche später diese Gegenden kennen lernten. Auch in politischer 
Hinsicht ist Spafaris Reise von Bedeutung. Die Annäherung 
Rofslands an China, die ErschUebang neuer fiandelswege muiste 

*) Spafaris Kcisobericht. ist erst in der filUn'letzten Zeit verütient- 
liclit wrirden. S. die ileininren der (jeogTaj)ln sehen Gesollscliaft Bd. 10. 
Kiuiiuber berichtet, wie »Spaiari bei der Rückkehr aus Chma als Freund 
and GetinnangBgenoase des inzwischen gestürzten Machthabers Katwejew 
verballet und aller seiner Habe beraubt wurde. Wir begegnen ihm 
spater, im Jahre 1688, in Neuvilles „JElelalaon onriense et nouvelle de la 
Moscovie^ A la Haje, 1099. 



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248 



Laorentiiu Baiüiaber. 



-von dar grdlMeii Wiehtigkfiit leiii fBr die Welt. Udi ao Iwchtemi» 
werter ist Binhnben Bemerknogt daTi der Anttolji f&r ein solcfaee 

Unternehmen von Sachsen ausgegangen sei. Der Herzog Ems* 
von Sachsen, Laurentius Rinhuber konnten für sich die Ehre in 
Anspruch uehmeui die rassische Regierung zu der diplomatischen 
Hission Speferis angeregt sn haben. Yielieicht| dafs in rassischen 
Archiven sich noeh Angaben f&r einen solchen KatuMlsasammen- 
hang swisehen Sachsen, Binhuber und Protopopow einerseits nnd 
Spafaris Reise andererseits entdecken lassen. 

In Rinhubers Nftchschrift ist noch anderer Ereisrnisse in 
Rulshind erwähnt: des zweiten Tschigirmschen Feidzuges, der 
bevorstehenden Heirat des Zaren, der Yerhaftiiog einiger Personen 
von dem GMblge des englischen Gesandten Hebdon. Über alle 
diese Angelegenheiten spricht er kurs nnd voraichtig, als fürchte 
er, dab auch dann, wenn er sein Sehreiben auf privatem Wege 
nach Deutschland befördere, dasselbe in die ilunde rassischer 
Beamten fallen und ihm verderblich werden könne.*) 

Es war eine Zeit der Reaktion gegen die Bichtung , welche 
llatwejew vertreten hatte, indem er dem westenropKiachen Einflnüs 
mehr Spielraom gestattete. Uatirejewi der Gönner der Ana- 
iSnder, war beaeitigt; die Stellnng rieler Deutscher, Engländer 
u. ü., die sich des Sciiutzes, des Wohlwollens des aufgeklärten 
Bojaren erfreut hatten, erscliien geHihrdet. Auch Rinhuljers 
Verhältnisse erlitten eine tiefgreifende Veränderung. Noch im 
Beaember 1677 hatte sr die Hoffiiong ansgesprodieni an einer 
rassischen Geeandtachaftareise nach Wien teiln^men an können. 
Wenige Ifonate spftter mnfate er Bnfaland verlaaaen, weil aeine 
ganze Stellung dort, gleich deijenigen anderer Anallnder, völlig 
unhaltbar geworden war. 

Am 23. Mai 1678 schrifli er aus Helsingör an Ludolf über 
die kritiache Lage der Ausländer in Bafsland. Selbst die billig 
denkenden nnd besonnenen Bussen meinteni die Anslfinder in aller 
Weiae bedrUcken an dürfen; die den ansländischen Offisieren und 



») S. die Eeiation S. 104-182. 



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LftorentiaB Binhnber. 



249 



andern in rnsnscfaen Bienatan atekanden Personen Teraproohenen 

Summen würden denselben in der willkürlichsten Weise vorent- 
halten ; den ausländischen Kaufleuten sage man, dafs man keiner 
hoUändischeu und engliachcn Waren bedürfe. Viele Obersten 
■eien entlassen worden» ao s. B. der Gtenend Staden ; ebenso der 
Doktor Boaenberg; Doktor Gkamann, welcher 300 Babel za 
fordern gehabt habe, aei froh gewesen, ftberhaupt nur mit heiler 
Hant daTOnEokommen ; so sihen denn yiele, deren Laufbahn 
untur deii Auspizien Matwejews glücklich begonnen habe, alle 
ihre Hoffnungen vernichtet. So habe denn auch er selbst. Ria- 
hnber, sich genötigt gesehen , im März 1678 in Gesellschaft dea 
englischen Qeaaodteui John Hebdon, Bolaland an ▼erlassen und 
dabei anf 80 Babel au TeraiGhten, welche ihm von seinem Qehalt 
noch hätten sokommen intlssen. Aach habe er keine Hoffnung, 
zu seinem Gelde zu koiuinen, es sei denn. Uaia er bei Gelegenheit 
einer Gesandtschaft einst wieder nach ßufBland reise. 

Diesen Bemerkungen und Klagen fiigt Kinhuber einige Mit- 
teilnngen über die answftrtige Politik Boialanda hinan, Uber die 
angenbliekliehen Besiehnngen des Staatea Hoskan snm Kaiser, 
an Polen, snr Türkei n. s. w. Dann erwShnt er der Hnugermot 
in Livland, wolclie er l)ei Gelegenheit seiner Durchreist lui A| ril 
habe beobachten können. Zum Schlufä spricht er den Wunäch 
ansy drei Jahre lang im Auslände zu leben: kein Land gefalle 
ihm so gat wie England, desaen Bedentang in der aUgemeinen 
enxoplüachen Wage Yon entacheidendem Gewicht sei, ein Land, 
wo die ICoral- and Katorwiasenschaft, die ICedisin blfihe, wo die 
königliche Gesellschaft so grofseu Erfolg habe, wo es viele aus- 
gezeichnetp Männer gebe. ') 

Indem Ludolf dem Herzog Friedrich am 30. Juni 1678 aus 
Altenborg meldet, ea sei ein aolohea Schreiben Binhabera an ihn 
angebngt, bemerkt er, man ersehe daraaa, data die Deatachen in 

') Zam Schluüi noch einige knrse Notizen über Schweden, Nor- 
wegen nnd Dänemark, an deren EUstcn Kinhubor soeben vorüber* 
gekommen war; s. den „Extrakt aus Dr. JEUnhttbers Sohreiben" von 
Ludolfs fiaud in der Belation S. 183^186. 



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350 



Laurentius lünhuber. 



Moskau niclit mehr gut bebandelt würden ; viele sacbten mit guter 

Manier fort zu kommen: so auch ßluhuber, welcher nun seine 
mediziniacben Studien in England fortsetzen wolle. 

V. 

Von Binhnhera ferneren ErlebniBsen, sowie von seiner Auf- 
fassung des in Rufslaud erfolgten Uraßchwunges erfahreu wir I in- 
etändlicheres aus ruiem Schreiben, welches er am 26. I'ebruar 
1679 aus Livorno au den Herzog Friedrich richtete. 

Wie viele andere, schreibt Binhuber, so habe auch er, da 
Buliiland jetzt ein Leiohengesicht hervorkehre ^ ^ sich davon ge- 
macht; diejenigen, denen als leichteste Strafe gestellt werde, 
Moskan zu verlassen, hielten sich für gerettet; es herrschten dort 
jetzt die Schreiber, die Pliaüöiier mit den Herodianern , welche, 
weder das Naturrecht noch das Völkerrecht achtend, jedem das 
Seine vorenthielten; sie schimpften alle Kichtrechtgläubigen Hunde. 
Hieranf folgt dann bei Binhnber eine anziehende Charakteristik 
des Zaren Feodor, dessen Temperament er loht. Wie sein Vater 
Alexei, so sei auch Feodor milde nnd gütig. Dagegen läfst sieh 
Riiiliuber sehr ausführlich über die Kränklichkeit des Zarca ;iiis. 
Er meint, es werde nicht hinge mit ihm dauern; alle die Ge- 
brechen Feodors zählt er auf: Magenschwäche und Skorbut, 
Krämpfe und andere Zuf&Ue. Iwan, der sweite Brader, sei blind 
von Natur nnd nniSlliig. Dagegen sei der jüngste Sohn Alezeis, 
von Naia^ KiriUowna Naryschkin , Peter, stark an Geist nnd 
Körper. Komme Peter nach Feodors Tode zur Begiemng, so 
werde natürlich Matwejew sofort aus der Verbannung zurück- 
gerufen werden. Jetzt aber stehe Iwan Michailowitsch Milofslawsky 
an der Spitze der verrotteten BegieruT^?. Nichte geschehe ohne 
seine Zustimmung. Bann schildert Binhuber die sohlechten 

') Von Matwejew schrei1>t Ludolf» er müsse nun in Sibirien seines 
Unterhalts wegen Zobel echiefsen, wozu er umsomehr Zeit habe, als ihm 
die ganze Nacht die Sonne nicht untergehe; 8. Relation S. 187. 

^) Quippe temporum in iiasBia cadaverosa nono apparet facies. 



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Laurentius Rinhuber. 961 

Subjektö , deren Iwau Aiilofslawsky sich bediene , und ruft ent- 
rüstet aas: Moäkowiter Bind Barbaren!'' Zum Beweise 
giV)t er dann Skandalgescbichten aus dem Leben einiger rasBieoher 
Groieen, Dolgornkgs and Chükows, snm besten. Den entern 
beseiflhnet er als i^natora porens et orsnSi ebrins et cmdelis- 
simns'*. 

Dann kommt Rinhuber auf seine eigenen Erlebnisse seit seiner 
Abreise ans Rufsland zu reden. In LondtHi habe ihm ein ge- 
wisser Bernardo Guascoui Empfehlungen nach Italien gegeben, 
wohin er denn ancb über Frankreich gereist sei. In Paris habe 
er Ewanzig Tage geweilt nnd am 9. September 1676 den König 
in Pontainebleau gesehen. Hieranf sei er nach Orleans gereist^ 
wo er indessen den dänischen Gesandten Gioe, welcher ihm ver- 
sprochen gehabt, ihn nach Spanien mitzunehmen, nicht mehr an- 
getroffen habe. Da sei er denn iilx r Lyon und Turin nach 
Genna gefangen, wo er Gelegenheit gehabt habe, dnreh Yer- 
mittlnng Spinolas nnd Orias in die Dienste der Bepnblik va 
treten. Indessen sei er auf einem Kriegsschiffe nach Korsika nnd 
von dort nach Livomo und Florenz gereist. 

Endlich erörtert Rinhuber seine Plane für die nächste ^ÜIu- 
knuft: der „Herzog von Etrurien" habe ihm versprochen, ihn im 
Mirz mit einem G^chwader (cum tcireniibns) na«h Afrika be- 
fördern zn lassen, dann werde er, nachdem er etwa ein halbes 
Jahr snr See gewesen sein werde, nach Genna anrüd^gehen nnd 
dort seine irztliohe Praxis wieder anfnehmen. Hinhnber erwähnt 
ferner, Ludolf habe ihm den Vorschlag gemacht, nach Abyssinien 
zu geben, was er auch nach einiger Zeit auszuführen gedenke, 
wenn es sich dabei nur um bestimmte Pflichten, um eine Stellung 
handle. Daher bringe er sieh dem Herzog in Erinnerung; man 
müsse wissen, wo er sei; seine Feinde sollten ihn nicht für tot 
ausgeben. Komme er dann einmal, nach yielen Beisen, in sein 
Vaturliiad /tirürk', HO hoffe er ;uii" irgend eine Anstellung. Ziuii 
Schlüsse folgen dann noch ciuigo liemorkungen über die Zustände 
in Italien, über die durch einige herzogliche Monopolien in Tos- 
kana herrschende Kotlage. Indessen bemerkt Binhnber, daÜB 



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352 



Laurentius Kinhuber. 



man ja wohl aus den Zeitungeii ttber diese Angelegenhaiten imteiw 

richtet sui.') 

Uber Riuhubera Erlebnibse vom Februar 1679 bis zum 
Frühling 1681 sind wir nicht unterrichtet. Wir begegnen ihm 
im Hai 1681 in Paris, ohne dafs wir Wülsten, wie und wann 
er hingekommm sei. Ohne Zweifel wird er noch einige Zeit in 
Ttalien geblieben sein. BaTs er nach Afrika gekommen sei, w- 
scheint nicht wahrscheinlich. Wenigstens nicht nach A.by8sinien, 
weil er den Plan einer Heise in dieses letztere Land auch spater 
noch wieder aufnimmt. 

Bei Gelegenheit seines Aufenthaltes in Paris 1678 wird 
Binhuber Beziehungen su frans0sischen Wfirdentrigeni angeknüpft 
haben. Ob er damals dem Könige yorgesteUt worden sei, wissen 
wir nicht ; er erzählt nur, er habe Ludwig XIY. in FontMnebleau, 
wo derselbe mit seiner Familie weilte, gesehen. Eine eigeütlich 
offizielle Stellung scheint er auch im Mai 1681, wie wir sogleich 
sehen werden, nicht eingenommen zu haben. Wie früher so auch 
jetst erseheint Binhuber besonders abhängig von der Qnnst des 
Augenblicks. Er widmet sich keiner regelmS&igen Thfttigkeit; 
er hat keinen Posten, dessen Gesdhäfte er iKngere Zeit hindurdi 
▼ersähe. Seine Leidenschaft ist das Reisen in VerLinduiiLr mit 
diplomatischen Geschäften. Unermüdlich ist er im Eutwerlea 
von Reiseplänen. JICit Spafari wire er gern nach China, mit 
Gioe nach Spanien gegangen, wie er denn thatBichUch mit M eneses 
in Deutschland, Österreich und Italien, mit Protopopow in Sadisen 
gewesen war. Aus eigener Anschauung kannte er Buüaland, 
Skandinavien. England, Schottland, Frankreich. Seine Sprach- 
kenntnisse waren umfassend und vielseitig. Sein kraunes Latein 
zeugt von einer Formgewandtheit, wie sie damals sehr hoch ge- 
schütst wurde. £r muÜB im Jahre 1681 gegen 40 Jahre alt 
gewesen sein. An persönlichen Besiehnngen su hervorragenden 
lIMnnem in yerschiedenen L8ndem fehlte es ihm nicht. Am 
httufigsten hatte er seine Hoffnung auf die Protektion der Hersoge 

') Kalation ä. 189-194. 



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Laurentius Kinbubcr. 



25a 



von Sachsen, zuerst Emsts, dann Friedrichs gesetzt. Im Jahre 
1681 })egegnen wir ihm in seinen Beziehungen zum Kurfürsten 
YOU Sachsen, Johann Georg, von dessen Gnade er für sich auf 
weiten Erfolge^ auf eine fraohtlMure und gedeihliche Th&tigkeit 
zu hoffen geneigt ist* 

Diesen Besiehungen Binhnben snm KnrfUnten von Seohaen 
verdanken wir einige Kenntnis von seinen Lebensverhältnissen 
im Jahre 1681.') 

Nach meiirmaligem und mehrjährigem Aufenthalte in Rufs- 
land war Binhuber mit deu Verhältnissen des Staates Koskan 
Tdllig Tertniii. Auob die Kenntnis der mssisdien Sprache hatte 
er sich angeeignet. In den Formen des diplomattsehen Verkehrs 
hatte er eine gewisse Erfahmng erworben. 8o konnte er denn 
auch der französisclien Regierung im Jahre 1G81 auf diploma- 
tisohem <Tebiete in folgender Weise nützliche Dienst© leisten. 

Im Dresdener Staatsarchiv befindet sich ein Aktenstück; 
,3oi<^<»' Ambassade, so der Moskowische Zar Herr 

Theodoras Alesejewitseh im Monaten Kai) Juni, Jnli und Angusto 
dieses 1681 Jahres an Krön Frankreich, Spanien nnd Engeland 
aligelien lassen, mit ersten gesetzten Zarlichen Schreiben, Kou- 
ferenzpuukten und Königlich Französischer Antwort." Der Ver- 
fasser dieser Relation ist Rinhuber, welcher beim Empfange der 
rossisohen Gesandtsohaft» an deren Spitae der ons bereits bekannte 
Peter Potemktn stand« frsnaSsischerseits als Dolmetsefaer fongierte. 
Er meinte dem Knrf&rsten von Sachsen dnrch ausführliche Mit- 
teilungen über diese Episode im diplomatischen Leben Frank- 
reiclis und Rufslaiids einen Dienst leisten zu können. So sclirieb 



') Der HerauRgeber der „Relafinn dn v<,y:}<ro Tj, RiTsImlicr" be- 
merkt S. XI der Vorrede: „C^ue fait Rinliubcr de lb79 a lHS3'f Nonn 
l'ignorons. Jl y a copendant lieu dö svipposer qne pciidant tmit oc teinfis 
11 est reste eu Italie, vu qu'en 1684 il parle 1 italieu avec faciliti'.^ Liii 
das Italienisdke fliefiNnd spreehtt su lernen, bnndite Binhnber nicht 
volle vier Jshre in Italien sa leben, dasu hätten ebenso viele Monate 
anigereicht. Wir siod io der Lage, ans den Akten des Dresdener 
Archivs diese viezjihrige Lücke in der Kenntnis von dem I<eben Ein* 
habere wenigstens snm Teil (1881—1688) anefSllen sn kSnnen. 




264 



Lattrentius Binhnber. 



er denn sehr aosführlidi Aber die Intentionen der nunscheii 
Regiemng, Aber die Audiens der roBsieohen Diplomaten beim 

Könige, über die Verhandlungen Potemkins mit dem Miuiäter 
Colbert-Oroiaby. ^) 

Wir wissen bereits, dafs Rinbuber von Peter Potemkiu keine 
hohe Meinung hatte. Schon im Jahre 1675 hatte er in seinem 
Schreiben aus Wien sieh sehr acharf ttber die aehnSde Hnbaucht 
dee meBiachen Diplomaten geäuüsert. Jetit schilderte er die 
unkluge und undiplomatisobe Haltung Potemkins, welcher durch 
kleinliches Gewichtlogen auf uie Aufserlichkeiten des Zeremoniells 
den Unwillen der französischen Würdenträger erregte. Dafs Rin- 
buber bei den Verhandlungen nur eine gelegentliche KoUe spielte, 
nicht eigentlich gans als fransösischer Beamter fungierte, ist ana 
folgendem Umstände an ersehen. Br hatte eine Abschrift des 
Antwortsdureibens des Kttnigs an den Zaren an sich genommen, 
durtte sie aber niclit hehalten und mufste sie herausgeben. So 
setzte er denn, da er das Aktenstück aus dem Französischen ins 
Lateinische und ins Russische übersetzt hatte, den Inhalt des« 
selben aus dem Gkdftchtnis für den Kurfürsten auf. Indessen 
nahm er, wie wir des weiteren aus seinen ICitteilungen erfahreni 
an dem Streit der franaösischen Staatsmftnner mit den mssisehen 
über Aufaerlichkeiten der Titulatur u. dergl. teil, indem er die 
Partei der Franzosen vertrat, obgleich er, wie er an den Kur- 
fürsten schreibt, die ganze Zeit hindurch die Fehler Potemkins, 
SO gut es ging, bemäntelt hatte. £r fungierte als Vermittler. 
Als a. B. Potemkin, aur Audienn abgeholt, sich weigerte, den 
ihn Abholenden unten an der Treppe au empfangen, suehte Bin* 
huber ihn zum Nachgeben an bereden und ihn die Treppe hinab 
zu fuhren. Bei der Audienz stockte Potemkin in seiner an den 
König gerichteten Anrede, weil Ludwig XIV. bei dem Namen 
des Zaren Peodor sich nicht erhoben hatte. Es gab einen 
Zwisohanfall, in welchem Kinhuber den Gesandten ermahnte, in 
seiner Bede fortanfahren, und ftber welchen er den Ednig, der 

^) 5. oben d. Abhandlung „Eine rusaische Gesandtschaft in Paris 
1681«. 



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LaareiitiaB Biahaber. 



255 



natilrlieh nieht gleich waisie, womm es sioh handelte, Bin* 
huber mit Potomkm roBBiBch sprach, orientierte. Bei der Andiena 

luijgierte Hinhuber ak Dolmetacher. Nach der5?elben mufate er in 
Colbert-Croissys Hause das von i*otemkiu dem Könige überreichte 
Schreiben des Zaren Feodor ins Lateiniacbe übersetzen. Wieder* 
holt hatte Binhober aich der ICtthe so nntoniebeoi die Meinonga- 
▼erachiedeiihelten der Buaaen und Frmnaoaen in Fragen dea Zere- 
moniella »nssogleiehen. 

Dafs Rinhuber inJessen eine angesehene Rolle epielte, zoigt 
seine Auiaeruug, er habe an der königlichen Tafel mancherlei 
Aussprüche des rusaxachen Gesandten , welchem die Pracht der 
Ofirten Ton Veraaillea einen tiefen Eindruck gemacht hatte, re- 
prodnzieren und anf mancherlei die Bnaaen betreffende Anfragen 
dw Hadame Danphine Anelninft geben mfiaaen. 

So hatte cUnn Rinhuber l)ei Gelegenheit der Anwesenheit 
des russischen Gesandten in Paris wieder einmal eine Art diplo- 
matischer Bolle gespielt, aber, wie auch früher, so war es auch 
dieamal nur eine Art Gaatrolle gewesen. Er hatte keine eigent- 
liche Berofaarbeit an verrichten. Alle seine Leistungen waren in 
gewiwem Sinne hors d'osnvre gewesen. Begabt und gebildet, 
kenntnisreich und leistungsfähig, war er doch nicht zu einer 
stetigen, ihren Mann nährenden Stellung gelangt. Er fühlte sich 
abhängig von der Gunst dieses oder jenes Machthabers. £r hatte 
sehr vielen Hemn gedient und war schiiefsUch nirgends au Hanse. 

Data in der Binhuber betreffenden Aktenaammlung in der 
Bibliothek au Goth» sich keine Spur von Binhubera Leben in 
dem Zeitraum von 1679 bis 1683 findet, mag darauf hindeuten, 
dafs seine Bt-zieiiungon zu Herzog Friedrich und dessen Räten 
in dieser Zeit unterbrochen waren. Man darf vermuten, dafs 
die herzoglich-sächsiache Begiemng sich dem aus Livomo ein- 
getroffenen Schreiben Binhubers gegenüber kühl Torhidten haben 
werde. Dagegen UUkt die im Dresdener Archiv befindliche Be- 
lation Binhubers vom Jahre 1681 darauf achlie&en, dsik er, d* 



Aas dem kgL Staatsarohiv zu Dresden. 



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256 Lattrantiiu Rinlmber. 

von Herzog Friedrieb nicbts sn erwarten war, seine Hoffnung 

auf den Kurfürsten Johann Gheorg setete. Diesem trug er nun 
seine Dienste an. Diesen suchte er , wie früher den Herzog 
Friedrich, für allerlei Uuteruehmungeu zu gewinnen. 

Über Rinbubers fernere Absichten im Jahre 1681 findet 
sieh in seinem Sebreiben an den KnrfHrsten folgendes. Naoh 
der ErsSblnng von den Vorg&ngen in Paris bei G-elegenbeit 
der Anwesenbeit der mssisdieii Qesandtstdiaft daaelbtli fKhrt Bin- 
huber fort : 

„Bei sothaner Konjunktur nun habe ich die beste Gelegen- 
heit gehabt in Königl. Französische Dienste employiert an sein, 
denn mir Colbert de Groissy mit guten Promessen angeben, ent- 
weder mit denen Moscowiten nach Hoskau au reisen und toh 
daraus fleifsig au korrespondieren, und par oons^qnent als Kdnigl. 
Agent zu leben, oder auch in Paris zu subsistieren ])is ein Königl. 
Minister nach Moskau depechiert werden möchte. Aber da mir 
das gute Gewissen mein devoir vorstellet, überwiegte die Liebe 
des Vaterlandes und der endlicbe Wille meinen Landesleuien aa 
dienen alle firemde Ehre, ob sie aucb mit siemliobem Hab und 
Gut vergesellscbsAet. Habe dannenbero jene fremde Saeben, und 
aucli andere Rönii.sche. so Fraukreicli nicht angehen, aber doch 
von mir in Moskau praktizii rt werden kuuueu, alle cessieret, nächst 
Gott auf Sr. Churßirstl. Durchl, weltgepriesene Gnade, und 
qualem«qnalem promotionem in Dero Landen mich verlassend, mit 
demütigster Bitte es geruben Se. CburfUrstl. Durebl. mir ein 
vacierendes Pbysikat oder indefs eines Land-Hedioi Stelle gnSdigst 
zu konferieren, welche grofse Gnade ich mit gebührendem Rulim 
und Dank zu substinieren, auch meinem Nächsten mit der Praxi 
medica so zu dienen verspreche, wie einem chriBtl. Medico wohl 
anständig. Habe vor diesem, obne ungsbübrenden Eubm lu 
melden, die Ebre gebabt, groHrf&rstl. Hoskowitiseber Leib- und 
8taatB*Uediens su sein, wie ieb denn suvor und bemaeh die 
Prazin Hedicam gelemet und exerzieret in Teutschland, Eugeland, 
Italien und Frankreich, auch in ein und andern grofHen Hospitalien 
bestellter Medicus gewesen, und etaiich tausend Patienten unter 



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Laurentius Einhuber. 257 

Händen gehabt, welches alles ich mit denen mir hiervon erteUteu 
testimomam und actis probatis belegen kann. Auch weifs ich 
aontt noch etwas Gutes uangeben, wie nämlich mit denen Mos- 
kowiten eine profitable Handelsehaft so ti«ff»n, und ratione hqjns 
8r. Gharfilrstlichso BnrchlaiiGht etsliohe ITnterthanen guten Nutaen 
und Oewinn erhalten k5nnen. Soniten ist zu konsiderieren, dafs 
der Moskowitisclic Zar unterschiedene Gesandten an Seine Chur- 
fürstliche Durclüaucht abgeschickt; wofern nun Se. Churfürstl, 
Dnrohl. Tor itao oder auch hemaoh gnädigst resolvierten Jemanden 
daliin au senden^ könnte deijenige sogleich einige Kaufleute mit 
ihm nehmen, und selbsten etsliohe Warm an<di eine konsiderable 
Summe Geldes gegen Moskowische Gflter anwenden, denn gewifs» 
lieh dadurch gedoppelter, ja dreifacher Profit zu erhalten int. Ich 
aber wollte bei solcher Gelegenheit in aller Untertbäoigkeit und 
Treue meine geringe Dienste, wo es erfordert, au employieren be- 
mühet sein. Und weilen ich noeh ohnedies entweder bald oder 
nach diesem eine Beise nach Moskau thun mufsi um da^enige, 
was zu dem Moseovta Theologico-PoUtico-Oeoonomiea (welehes 
Werk ich vor mir habe) behörig aus denen Moskcn ischcn Archiven 
zu kouquineren, könnten Se, Churfürstl. iJurchiaucht auch wohl 
meiner Wenigkeit einige Kommission oder Kreditive gnädigst 
anTertraueUi denn dergleichen negotia legatoria su administratieren 
ich wohl gewohnt und lange Zeit praktimeret habe an denen vor- 
nehmsten Höfen yon Europa. Gott der Allmächtige aber erhalte 
Seine Churfürstl. Durchlaucht bei langem Leben, glücklicher Re- 
gierung und allem en^-ünschten Wohhvesen, dem Yateriaude zu 
Tröste und Freude, um Christi willen!** 

nBurchlauchtigster Chuilttrsty Gnädigster Herr, £w. Ghur- 
fürstl. Dnxehlanohtigkeit uuterthinigster und geringster Kneoht 

Laurentius Einhuher Med. Dr. 

Dresden, d. 26. Dezember 1681.« 

"Mail sieht, der Verfasser dieses Schreibens ißt zu gleicher 

Zeit (belehrter und Diplomat, Arzt und Tourist, enoyklopädiscb 

gebUdet, Vertreter der mannigüsltigsten IntereeseD^ unternehmend, 

strehsam, nicht ohne EhxgeiB, reich an Erfehmng, yielgewanderty 

17 



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258 Laureutiuä Eiuhuber. 

reiselastigf. Nidit oBne 8to)s durfte er mif 

blicken, wenn es ihm auch keine stetige Existenz, keine dauernde, 
gleichmälsige Berufsarbeit dargeboten liatte. In emem Aiaibe. wie 
dieses nur wenigen Anserw&hlten beachieden zu sein pflegt, hatte 
Binhttber die Welt gesehen, die heterogensten Koltorstufen kennen 
gelernt, im Verkehr mit Vertretern der Terachledensten Völker 
Mensehenkenntnis nnd Einsicht in fremdartige Verhältnisse er- 
worben. Er blieb unternehmungslustig, war bereit, auch fernerhin 
weite Reisen zu unternehmen, neue Länder kennen zu lernen, als 
Vermittler zwischen Orient und Occident 2a dienen. Mochte er 
dabei auch etwas von einem Qlflcksritter an sich haben und bei 
den TOn ihm in Vorsehlag gebraehten üntemehmnngen an seben 
eigenen Vorteil denken ^ so ist doch in seinem Thun und Trachten 
ein gewisser idealer Zug wahrzunehmen, ein Streben nacli Bil- 
dung und Erweiterung des Gesichtskreises, em gewiwseß Gefühl 
für einen grofsen Zusammenhang der Kulturarbeit aller Völker 
und aller Staaten. Mochte er noch so sehr aufgebracht gewesen 
sein ttber die leidigen Znstftnde in Buiiiland nach dem Jahre 1676, 
welche ihn genötigt hatten, auf seine Stellung in Hoskau an Ter- 
zichteu, einen bedeutenden Geldwert als verloren zu betrachten^ 
80 hatte er doch ein dauerndes wissenRchaftliches Interesse an 
ßufsland behalten, wo er mehrere Jahre verlebt hatte, dessen 
Institutionen! Sitten und Anschauungen er warn Gtegenstande ein- 
gehenden Studiuma gemacht hatte. Dort hatte er das Berufs- 
leben in mancherlei Gestalt kennen gelernt» dort hatte er, ins- 
besondere in den Kreisen der Ansiinder, wie wir sogleich sehen 
werden, Freunde, dorthin war er bereit zurückzukehren, um seine 
Studien für ein von ihm über Rufsland zu verfassendes Werk 
fortsusetsen und augleich in diplomatischen und Handelaangelegen- 
heiten den afichaiachen Ffirsten nütsliche Dienste au leisten. 

Eine Beihe von Aktonstficken aus den Jahren 1682 und 
1683, welche sidi im Dresdener Archir befinden, gewihrt una 
einen Einblick in die Art. mit welcher Rinhuber seine Ileiae nach 
Moskau und, wenn möglich, noch weiter vorsabereiten suchte. 
Auch eriahren wir danms» dafs er bei den an sich nicht wesent- 



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Lfturentias Binbuber. 259 

liehen diplomatischen Beziehungen, welche zwischen dem Kur- 
fürsten von Sachsen und der rufisischeii Kegiemog Btatthaben 
•ollien, die InituttiTe hatte. Nicht etwa um besonderer poIitLaeber 
Zwecke dea Kurffintentiuns, aondem am der Beiaelost Binhabera 
wülen sollte ein diplomatiseher Briefweehsel awischen Johann 
Georg III. einerseits und den Zaren Iw.in und Peter un JererHeits 
einqfelftitet werden. Beharrlich verfolgte Rinhuher sein Ziel. Es 
dauerte längere Zeit, ehe er aeine E,eise antreten konnte. Er 
setsto seinen Willen durch, aber nicht ohne dals er Gelegenheit 
gehabt hätte, Oednld za ühen. 

In einem Schreiben an den Knr&tntm vom 8. Jannar 1689 
ans „Alten borg in Meifsen" weist Rinhuber auf seine Erfahrungen 
und sein»' Lani^ahn hin: er sei in „vielen niutikowitischen Lega- 
tionen Sekretär und Interpret, auch GrorBfürBtl. Hofmedikuä ge- 
wesen" , wolle nach Koskan reisen nnd bitte den Kurfürsten, 
ihm ein Schreiben an den Zaren mitangehen. Er gibt auch den 
Inhalt des absn&ssenden Schreibens an: es sollte darin von den 
evangelischen Gemeinden, welche dem Wohlwollen der msstsehen 
Regierung empfohlen werden niiilsten, die Rede sein, sowie von 
dem Überbringer des Schreibens, Rinhuber. „Und weilen,** schreibt 
er an den Kurfürsten, „Supplikant das Werk Moscovia ßcclesiastico- 
PoUtico-Oeconomica noch vor sich nnd was dasu gehörig ans denen 
moskowischen Archiven zu kongruieren hat, könnten OhurfUrstl. 
Durchlaucht in dem Schreiben auch meiner geringen Person ge- 
denken, dafs der Zar mich seiner gnädigsten Protektion wolle 
gemeiaeu lassen, so lauge beiner Churfürstl. iJurchl. nnd der 
Zarlichen Gnade ich mich würdig verhalten möchte. Ermeldetes 
Schreiben würde dienen zu der hohen Potentaten guter intelligence, 
zum Aufnehmen der evangelischen' Kirchen und der deutschen 
in Hoskau lebenden Kation, wie dann endlich auch Supplikant 
noch etwas (iutes uu/.UL'eben weil's, auf wes Art und Weise etzliche 
Seiner Churfürstl. Durchlaucht Unterthanen entweder vor itzo 
oder hernach von Moskowischer Handlung einigen ProÜt und 
Nutzen haben mögen.** 

Bald darauf trat in Ifoskau der Begiernngsweclisel ein. Zar 

17» 



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* 



260 Laureotius liinhuber. 

Feodor starb. Es folgte ihm zunächst sein jüngerer Bruder Peter 
mit II hergehung des älteren, Iwan (Ende April 1682). Während 
nher schon im Mai der Kampf zwischen den Anhängern beider 
Brüder entbrannte, in Moskau ein Anfttand der Strelay die Thron- 
besteigong Iwans zur Folge hatte^ so dafs fortan Iwan ond Feter 
sagleich die Zarenwürde bekleiden nnd deren Schwester Sophie 
die Begeutschaft führen sollte, sohebt man in Sachsen noch im 
Juli des Jahres 1682 keine genaue Kunde von diesen Vorgängen 
gehabt zu haben, wie aus folgendem Schreiben Binhubers eu er- 
sehen ist. 

Am 12. Juli 1682 richtete Binhnber abermals ein Schreiben 
(datiert Lucca d. h. Lucka in ICmllMn) an den KurfOrsten, sips 
welchem wir erfahren, dafs der Knrf&rst sogleich nach Empfang 

der früheren Gesuche, dem Wunsche Iliuhubers entsprechend, ein 
Schreiben an den Zaren habe redigieren lassen. Kinhuber bittet 
nun , da er Beine Heise bald antreten wolle , der Kurfürst möge 
befehlen, dafs das Schreiben ihm zugestellt werden möge. Wiederum 
erwähnt er seiner in Aussicht genommenen Studien : er beabsichtige 
auch ,,andere Sachen, so res naturales konsemieren, in Moskau 
zu konquirieren, auch von daraus nach Asien zu reisen". Sodann 
bemerkt er, dafs die Abfertigung eines kurfürstlichen Schreibens 
nach Moskau, „bei des jetzigen Zaren Herrn Peter Alexejewitsch 
angetretener Regierung aus vielen Ursachen allerseite nützlich sein 
kann". Endlich bittet er, der KurfQrst solle auch ein Schreiben 
an den „König von Fersien'' aosfertigen lassen, wobei er, auf 
eine Beilage hinweisend, hinsnfügt: „dessen contenta, weilen es 
frembde Sachcu, ich sub No. il uumafsgeblich auzuiuhrun m alier 
Submiüöion mich unternommen". 

So diktierte denn Jünhuber der kursächsischen Begierung die 
Schreiben an den Zaren nnd an den Sdudk von Fersien. 

Dia Binhuberschen Koniepto sind erhalten. 

In dem an den Zaren gerichteten Schreiben sollte zur Thron- 
besteigung gratuliert nnd an die früher stettgehabten freundschaft- 
lichen Beziehungen zwischen Johann Georg IL und Alexei er- 
innert werden; sodann werden die Deutschen dem Wohlwollen 



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Lanrentio« Binhaber. 



2Ö1 



des Zaren empfohlen: derselbe solle, dem Beispiele seines Vaters 

folgend , der evangelisohen Kirche gegenfiber Toleranz üben ; 
schliefHlich wird Kinhnbers erwähnt, welcher ja woiil am Hofe 
des Zaren bokaimt sei und um gewisser Greschäfte halber nach 
Persien an reisen gedenke ; der Zar wird ersaohty diese Keise an 
fördern^ Binhuber naoh Astrachan geleiten an lassen; auch mos- 
kowitiiche Gesandte wOrden, fUls sie durch sftehsisches Gebiet 
reisten, mit WohlwoDen behandelt werden. 

l>ui> vüii iiiuhuber entwurfene Konzept zu einem Schreiben 
des Kurfürsten an den Schah von JPersien läuft auf einen 
Empfehlungsbrief hinaus: Binhaber werde dem Schah erzählen, 
welche Länder er bereist, wo er seine Intliehe Kunst ansgefibt, 
welche Hdfe er besucht habe; er sei „Archiater** des Zaren ge- 
wesen; Jetst reise er nach Persien und Arabien ; gans idlgemein 
wird sodann der Wunsch ausgesprochen , dafs zwihehon TN^rsien 
und dem Kurfürstentum Sachsen ein freundschaftliches Verhältnis 
bestehen möge. ^) 

Monate lang sog sich diese Angelegenheit hin. Im Januar 
1682 hatte der Kurfürst das Schreiben an den Zaren entwerfen 
lassen, im Juli 1682 hatte er dieselbe Verfügung noch einmal 
getroffen; im Februar 1683 bittet Binhuber in einem Schreiben 
an den Baron v. (fersdorff, jetzt endlich die Ausfertigung^ der 
Schreiben besorgen zu lassen, wobei er ihm nochmals Konzepte 
au denselben fibersendet. ^) 

In diesen Schreiben Binhubers finden sich kurae Andeutungen 
über die Yerhftltnisse in Koskau. Hatte Binhuber im JuU 1682 
irrtümlicherweise angenommen, daTs der Zar Peter allein in 
Moakiui regiere, wuluend derselbe schon seit Ende Mai die Herr- 
schaft mit seinem Bruder Iwan teilte, so bemerkt er in einem 
etwas spftteren Schreiben an den Kurfürsten, jetat hätten sich die 

^) Die Konzepte als Beilagen m einem Schreiben Binhubers an den 
Baron v. Gfersdorff, Qeh. Bat und Kammerherr des Kurfünitea, Tom 
15. Febmar 1688, wo darauf hingewiesen wird, daCi diese Konzepte im 
wesentlichen mit den früher von Binhuber entworfenen übereinstimmten. 

Dresdener Archiv, 

*) Das Schreiben an Gersdorff lateinisch im Dresdener Archir. 



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LaarentiQ* Bmhiiber, 



„troublea** in Moskau gelegt und es sei der Zar Iwan mar Be- 
gierung gelangt In dem Scfaretben an den Baron t. Gendorff 
▼om 15. Febmar 1683 bemerkt Binbuber, dab sowohl ans den 

öffentlichen Nachrichten, als aus eingetroffenen Schreiben von 
Freunden zu ersehen sei , dafe in Moskau Rnhe herrsche und 
dafs der Zeitpunkt für seine, Binhubers, Reise niclit günstiger 
gewählt werden könne. Aber auch im Febmar 1683 scheint 
Bmhuber nicht au wissen, dafs Iwan und Feter regierten, da er 
den Kurfürsten in dem Konzept zum Schreiben nach Moskau an 
den Zaren Iwan allein sich richten läfst. Im Dresdener Archiv 
befindet .sicli das Konzept zum Schreiben an den Zaren, in welchem 
später die Korrektur angebracht wurde, weicher entsprechend von 
beiden Zaren die Bede ist. Dieser Umstand zeigt, wie wenig 
selbst diejenigen von den Ereignissen in Bufsland erfuhren, welche, 
wie Binhuber, persönliche Beaiehungen mit Emwohnem Moskaus 
unterhielten. 

Die sächsische Kegierunpf moclito uainalH keine grofse Neigung 
zu lebhafteren diplomatischen Beziehungen nut dum Staate Moskau 
verspüren. Nur etwa das Interesse, welches nicht blofs die herzogt 
liehe, sondern auch wohl die kursächsische Begiemng daran haben 
mochte, dafs die Deutschen in Moskau in ihren Bechten und 
YermögensverhSltnissen, in der Ausübung des evangelisohen Gottes* 
•dienstes nicht i)escliränkt würden, kuiiiite den Ivui iursteii Johann 
Georg III. veraulaBäeu , einigermalbeu die Beziehungen zu der 
moskowittscben Begiernng zu unterhalten. Und nun war es nicht 
einmal so einfach, die Frage au beantworten, wer denn eigentlich 
an der Spitze dieser Begierung stlnde. Man mochte den Eindruck 
haben, dafs innerhalb weniger Monate mehrere Begierungswechsel 
btaUgefunden liiitten. Man hatte von der Soldatenmeuterei und 
dem furchtbaren Blutvergiefsen in Moskau im Mai 1082, wenn 
auch sehr spät, Kenntnis erhalten. So z. B. hatte derselbe Gossens, 
welcher 1675 in Wien dem in der Kaiserstadt weilenden Binhuber 
mancherlei Angaben über Fotemkins diplomatische Mission mit- 

*) Quandoquidcm relationes pul^licae cum amicorum literis doceant 
Moscuae nunc omnia esse in tranquiUo. 



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Laorentiiu Binhnber. 



263 



geteilt hatte, nach der grofsen Krisis in Moskau an den Kur- 
fürsten geschrieben und demselben mitgeteilt, dafs Blumcntrosts 
Leben bei 6M^nheit der Meuterei in der gröfeten Gefiahr ge- 
schwebt und dab er eeine Bettang nur der Intervention der 
ZarewDft Sophie verdankt habe, welohe den blntdflrstigen BebeUen 
zugerufen habe, dafs der Doktor JJluinentrost als ein Uüterthan 
des Kurfiirsteu von 8achäeu geschont werden müsset) Im 
„Theatrum europaeum" war des dänischen Besidenten Butenant 
▼. Boaenbneohe Belation über die erachfittemden Vorgänge im 
Kai 1683 an lesen. Ifatwqew» der Gönner der Ausländer, war 
umgebracht worden. Rufslands Zukunft erschien als völlig 
ungewifs. 

indessen Rinlniher hatte recht, wenn er Anfang 1083 be- 
hauptete, die „troublee'* hätten sich gelegt, in Moskau sei alles 
„in tranqnillo**. Die JEtegentin Sophie hatte die Auhe hergestellt. 
Jetzt gedachte Binhuber seine Belse anautreten. 

Am 15. Mai 1688 schrieb Ludolf an den Heraog Friedrich 
ans Erfurt, bei ihm sei Binhuber angekommen; er beabsichtige 
nach Moskau und Persiun zu reisen, verhinge aber, dafs das ihm 
an die Zaren mitzugebende Schreiben in einer silberneu Kapsel 
verwahrt würde; so habe er denn eine solche anfertigen lassen. 
Hierauf fährt Ludolf fort: „8ein Vorhaben betreffend, habe ich 
bei ihm eine sonderbare Begierde zu reisen und sowohl sich da- 
durch in seiner Profession zu perfektionieren, als auch sonst seine 
Kuriosität zu erfüllen verspüret, und weil er mir eröffnet, dafs 
er auf verhoffte Rekommaudation des Königs von England nicht 
allein in Persien, sondern noch weiter zu gehen rMolviert, so 
sind wir auf Abyssinien gekommen, welchen Vorschlag er sich wohl 
ge&Uen lassen, yerhoSend, vermittelst seiner Kunst sich an allen 
Orten der Welt durchsubringen, könnte auch gar leicht gescheheui 
wenn die zarischen Ministri von ihm hören würden , dafs die 
Abyssinier in der Religioii ilmeii am nächsten heikämen, dals sie 
gar eine Abordnung vernuttelst der Armenier, die im Lande sehr 



QoBBsns' Schr^ben befindet sich im Dresdener Archiv. 



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S64 



LanrontiDs fiinhaber. 



wohl gelitten und in der Beligion mit ihnen allerdings ein- 
stimmig» hinein thSten» nnd d» hoffte er wohl mitsnkommen. 
Alldieweil er nun von Leiheediepotition nnd anderer ümBtSnde 

wegen zum Reisen geboren zu sein scheint, seine Kunst auch in 
der ganzen Welt gilt, so habe icli das Vertrauen mit göttlichem 
Beistand zu ihm , er dürfte die Reise noch wohl verrichten and 
dabei denen Abyasiniem Anleitung geben» wie aie die Ohriatenheit 
in Europa besuchen und mit den ehristlicfaen Potentaten Freund- 
schaft, tu Erlangung allerhand Künste und Wissenschaften» stiften 
möchten. Ich gehe ihm auch daan alle benötigte Instruktion 
und Kachricht, gehe auch gar damit um. wann es mit Ew. Fürst- 
lichen Durcldaucht Erlaubnis geschehen könnte, dafs ich eine Keise 
in Niederlond und England thun und Termittelst der nooh 
habenden kaberlichen und churpfiüs. Bekommaodaiionen an den 
K5nig nnd die Herren Staaten, ihm hr&ftig Befehle nnd Be- 
kommandationsschrmhen an die ministros und Dhraktoren der 
Kontoire in Moskau, Persien und in den Seehäfen in Arabien 
und des roten Meeres zuwege bringen wollte''. In einer Nach- 
schrift bemerkt Ludolf noch : ,,I)r. Rinhuber erinnert und bittet 
gar hoch, dab dieser Vorschlag der weiteren Reise in guter Geheim 
gehalten werden mSchte, damit nicht, wenn es vor der Zmi 
eUatieren sollte, es allerhand Hindernis, auch ▼idleicht unseitige 
Präjudizia in der ;Ä[oskau selbst geben möchte.'' 

Aus diesem Schreiben Ludolfs ist zu ersehen, dafs man in 
herzoglich-sächsischen Landen an den Ideen des Herzogs Emst 
inbetreff der groXsen abyssinischen Entwürfe festhielt» Nach den 
Anschauungen jener Zeit stand Abyssinien ungefähr auf gleicher 
Stufe wie BuiUand. In lihnlicher Weise wie der letstere Staat 
mehr und mehr an den Segnungen der europäischen Zivilisation 
teilzunehmen vermochte, so hoffte man auch Abyssinien in eine 
Art Kolouialgebiet für westeuropäische Bitte, Kunst, Wissen- 
schaft und Staatsweisheit verwandeln zu können. In dieselbe 
Kategorie hochfliegender Plitne gehört die Idee eines nUheren 



') Relation S. 195—198. 



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Laurentius ßmiiuber. 



265 



Verkehrs mit China. Als man in Westeuropa zuerst von der 
Geneigtheit Peters des Grofsen zu allerlei Reformen vernahm, 
ftoTserte Letbniz, es sei ein eigentümliches Zusammentretftin, dafa 
sn gleicher Zeit in Cbioa, in Hoekan nnd in Abyseimen Fürsten 
regierten, deren Streben nach Beformen in «Uen diesen LKndem 
eine neae Ära inangoriere. ^) 

VI. 

Bo wurde denn die letzte Unternehmung Binhubers, von 
welcher wir Knnde haben, eingeleitet. Über diese weite Beise, 
welche der ktthne nnd nnermtldliohe Kann nach BoTsland unter- 
nahm, sind wir durch seine 8chnft „ Wahrhafte Belation von 

der Moakowischen Reise und ükkü|>alioii, bo ich im Monat April 
1684 angetreten und mense September 1684 in Moskau vollzogen, 
wobei auch zu finden un abbr^ge d'Eatat de Moscovie" recht genau 
unterrichtet. Dieses Werk, welches sich in der Bibliothek sn 
Gotha als Handschrift befindet, hat bereits vor mehreren Jahr- 
zehnten dem verdienstvollen Forscher Friedrieh v. Adelung vor^ 
gelegen und ist in allerueuester Zeit lierausgegeben worden. ^ 

Wir entnelnnen der Erzählung Rinhubers folgende auf seine 
Erlebnisse sich beziehende Angaben. 

£r berichtet, dafs er schon im April 1683, also noch fräher, 
als jenes Schreiben Lndolfi an den Herzog Friedrich verfa&t 
wurde, die Schreiben erhalten hatte, welche der KurfSrst Johann 
Georg III. und der Herzog Friedrich durch ihn an die Zaren 
abzufertigen gedacliten ; der letztere lial)e auch ein wertvolles 
Gescheuk für Iwan und Peter beigefügt. Ül)er den Inhalt der 
Schreiben bemerkt Binhuber, es sei darin die Auffordemog ent» 
halten gewesen, baldmöglichst etwas gegen die Tflrken zu unter- 
nehmen. Binhuber sagt femer, er habe um so sdmeller reisen 

*) Gnerrier, Leibnis und seine Besiehungen zu Bofaland und Peter 
dem Grofsen (St. Petersburg und Leipsig» £878) 8. 16. 

*) S. oben S. 215. Der Titel der Edition, welche, wie wir sahen, 
eine groise Ansahl von Akten enthalt^ ist sn eng. 



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266 



Linrentii» Biohnber. 



-woUeni als er die Absicht gehabt habe, sich fOr seine Heise nach 
Persien dem Bohwedisohen, dorthin gehenden Gesandten, Oberst 

Fabricius. mit welchem er von fnihercr Zeit her befreundet ge- 
wesen seil anzuschlieiseu. 80 hollte er denn zum September lt)83, 
da Fabricius seine Reise antreten wollte, in Modcan und zu Ende 
Beaember 1688 schon in Ispahan sa sein. Von dort ans 
gedachte er sodann nach Abyasinien an reisen. Indessen habe 
er Aussicht gehabt, sowohl von dem Knrfttrsten von der Ffitls 
als auch von dem Kiinigc von England Empfehlungsachreibeu zu 
erhalten ; so sei er denn dadurch zu verschiedenen ^Leisen an 
den Rhein, nach England und Holland ToranlaTst gewesen, ohne 
doch diese wichtagen Briefe erhalten in können, habe die beste 
Reisezeit verloren, viel Geld verbranoht, den Anschlofs an die 
Heise des Fabricins versäumt und sei somit in seinen eigenen 
Interessen und inbetreff der Zwecke seines Unternehmens sehr 
erheblich gcscliädigt worden. Nachdem er im Spatiierbst von 
den Kreuz- und Querzügen in Frankfurt, Heidelberg, Holland 
und England snrückgekehrt sei, wire es an spät gewesen, im 
Oktober und November noch die Beise ftber die Ostsee zu unter- 
nehmen. So habe er den Winter in Heoklenburg verlebt. Im 
April 1684 sei er erst zu Schiffe gegangen, um dieselbe Zeit, 
ah d'w kaiserlichen Gesandten Zyrowski und Blumberg ebenfalls 
nach Moskau aufbrachen, um die Zaren zu einer energischen 
Aktion gegen Tttrken und Tataren an bewegen. 

Rinhuber teilt den Wortlaut vwschiedener Briefe mit, wdLohe 
er mit mehreren Würdenträgern inbetreff seiner Reise nach lloe- 
kan und den dort sn erlangenden Andiensen bei den Zaren Iwan 
und Peter wechselte. Kr meldete seine bevorstehende Ankunft 
sowohl dem holländischen Gebaudtcn, Baron Keller, dessen Freund- 
schaft er schon früher genossen hatte, als auch dem Statthalter 
von Fskow, Bojaren Boris Petrowitsch Sohereme4jew ; auch schrieb 
er, nachdem er im ICai 1684 in Riga eingetroffen war, an die 
Zaren, indem er seines früheren Aufenthaltes in ICoskan gedachte. 
In Pskow , wo Scherenietje>v Ihn gut aufnahm , erhielt Rinhuber 
ein Schreiben vom Baron Keller, welcher für ihn bei dem Minister 




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Laurentius Kiuhuber. 



267 



der Begentin Sophie, Fürst«ii Wassilij \\ assiljewitsch Qolizyn, 
zu wirken suchte.') Keller schrieb u. a., efi weile gerade zur 
Zeit ein persischer Diplomat in Moskau; es sei für Riabuber 
geraten, eich demeelben, da er sieh sor Beise in die Heisiat rüste, 
anzQficblieiMn. 

Keller hatte Rinhnbenr Ankunft viel frfiher erwartet. Sein 

Schreiben ist ^^foskau den 17. Dezember 1683 datiert. "Wiederum 
hatte Kiuiiuber GtileguuUeit, den Aufschub zu beklagen, welchen 
die ihm in Ausnicht gestellten und später vorenthaltenen Em- 
pfehlungsbriefe Teranlafst hatten. 

Übrigens gestalteten sieh die Verbältniase fiir RinlraberB 
Weiterreise sebr günstig. Scheremetjew stellte ihm, als einem 
Diplomaten, Wagen, Pferde und Bedienung zur Verfügung. Er 
erhielt täglich reichliche Lebensmittel für sich und seinen i)iener 
(„dem Doktor: ein Weifsbrot, für Ii Pf. Semiuulbrot, ein Hiuder- 
viertel, ein Schöpseuviertel, eine Henne, ein halbes Pfund Butter, 
sehn Eier, drei Schalen Doppelbranntwon , zwei Krflge Met, 
vier Krüge Bier; dem Diener: ein Boggenbrot, ein Stück Bind- 
fleiscb, ein Stück Schöpsenfleisch, zwei Schalen gemeinen Brannt- 
wein, zwei Krüge Bier"); er wurde rasch weiter befördert, in 
Nowgorod von dem Statthalter Urussow wohlwollend behandelt. 
Am 4. Juni begegnete er schwedischen Gesandten, welche soeben 
Koskan verlassen hatten ; sie luden Binhaber an Tische ein ; man 
trank mit Begleitung von Pauken und Trompeten „etalicher Poten- 
taten Oesnndheit". Am 6. Jnni traf er in Hoskan ein. Wegen 
düä argen Regenwetters verzichtete er auf einen feierlichen y.n^y.uir 
in die Hauptstadt, auf welchen er, wie er meinte, Anspruch ge- 
habt hätte. Es wurden ihm zwei Beamte der Behörde für aus- 
trSrtige Angelegenheiten, ein prachtvoll aufgeschirrtes Beitpferd 
sur Verfügung gestellt. 

Einige Zeit schwebte die Frage, ob die Zaren Binhnbem 

Über die Persönlichkeit des Baron Keller und dessen gate Be- 
siehungen tu Golisyn finden sich wertvolle Angaben in Posselts Werke 
über Lefori Keller gehörte su den hervorragendsten Bewohnern der 
deutschen Vorstadt 




268 



Laorentiiit Sinltttber. 



eine AndieoB bewilligen wtLrden. Den VoTschlag. die Schreiben 

der sächaischen Fürsten der Behörde für auswärtige Angelegen- 
heiten zu:?UBt^l]en, wies er zurück. Ei kannte die russischen Ver- 
hältnisse zu gut, um nicht zu wiBsen, daXs eine solche, ihm von 
Jemelian Ukrainsewy einem sehr erfahreneOf aber kleinliche Mittel 
Eor Erlnngnng von persönlichen Vorteilen nicht aehenenden Be- 
amten, gemachte Znmntnng eine Intrigne in. sich sehloJSi oder 
einen Erpressungsversuch bedeutete. Er erklärte, entweder mit 
den Schreibüu der sächsischen Fürsten wieder abreisen oder die- 
selben in feierlicher Audienz den Zaren überreichen zu wollen. 
Baron Keller stimmte dieser entschlossenen Haltong bei. Inswischen 
maohte Binhnber einige Bestechnngsrersnehe, brachte in Er&hmng, 
dafo die kaiserlichen Gesandten nnd andere deutsche Katholiken 
ihm nnd seiner diplomatischen IDssion zn schaden sachten, dals 
u. a. andere tloutache Ärzte fürchteten, er werde seine Praxis 
wieder aufuchmeu und ihnen Konkurrenz machen. ^) In den 
Kreisen der Katholiken, welche in der ,»deat8chen Vorstadt'' eine 
grofse Bedentnng hatten, nannte man Binhnber einen „Ketser" ; 
man wollte ihn „yesieren'', „beschimpfen^S seine Andiena bei Hofe 
▼erhindem. TTm so energischer rnnfste Binhnber anf seinem Stficke 
bestehen. Er nennt aeiue Wirlersachcr .jcinc cauagliu''. 

So richtete er denn abermals ein Schreiben an die huideti 
Zaren, in welchem er am eine Audienz bat und seiner früheren 
diplomatischen Leistongen erwihnte, über welche die noch lebenden 
Stiatsmanner y Keneses and Potemkin, Zengnis absolegen Tei^ 

*) Kinhuber schreibt: „Und sind besaj^ft- in 3IoskaQ lebende exteri 
also geartet, dafs einer dem andern sein Aufkommen mifi^nnt and 
verhindert, wo und wi" »t kann, und ehoii dieses i««t mir auch vor 
dit'si'in wideriahrt'ii.'' Kr «Tzählt sixliiMn, wie man ihm im Jahre 1675 
inf'nl;,'*' (It'f Ivüiike etliclu r Deutscher suin (i<'halt von 30 Rubel auf 
19 Kübel niuuaLiich geschmälert habe; wie ein diplomatischer Auitrag 
zn einer Beiae ins Ausland im Jahre 1676 dadurch vereitelt wurde^ daift 
ein anderer Deatscher, Benignus Oansland, sich dasu gedrängt Imbe; 
B. die Einselheiten in der Relation S. 821. 

So z. B. war Patrick Gbrdon, der hervorragendste aller aas- 
ländischen Offiaieret eifriger Elatholik und fanatischer Vertreter der 
Propaganda. 



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Laurentius Kinbuber. 



269 



mocliten. Er setzte Boinen Willen durch. Die Audienz fand am 
20. Juui statt. ^) Es war ein Triumph, den Binhuber über seine 
Feinde errangen hatte. 

Bemerkenswert sind Binhubers Änlseningen über die Hai- 
tong, welfihe der jüngere Zer bei der Audienx beob«ehteto. Als 
Golisyn das Schreiben des Kurfürsten Johsnn Ctoorg HE. ent- 
gegennahm und den Zaren zeigte, besah Peter das Schreiben nnd 
lobt© j,niit lachendem Munde" da« schöne Siegel. Von der Zere- 
monie des Handkusses erzählte Eiuhuber : „Hieraui' trat ich herzu 
mit rererenee swisohen die Palassen (Schwerthalter) ein, nnd 
kllssete den Zaren Joaan rechte Handy so der Bojarin Iwan 
HiohailowioB Uiloslawski nnterstfitste ; dieser sagte snm Zar (weil 
Seine Majestät nicht wohl sehen kann): der Doktor; bald küssete 
ich auch die Rechte des Zaren Peter Alexejewitsch, so mir imit 
halb lachendem Munde eiuen freundlichen und gnädigen Blick gab 
nnd mieh gar eben ansähe et dans nn moment Selbsten die 
Hand daireiehte. Ein flberaos sohöner Herr, an welohem die 
Katar son poa^oir wohl erwiesen, nnd wie ich anderswo ge- 
schrieben, le Czar Pierre est nd si heureusement et avec tant 
d'avaiitages de la nature, qu'une des moindrcs qualites qu'est en 
lui est d'estre tils du Koy. II est uue beaute qui gagne le coeur 
de toos eeiuc qui le voient, un esprit qui dans les premiöres 
aunds de son Age ne trouve döj& pas son pareil.'' 

Nach der Amdiens erhielt Binhnber, wie solches fiblioh war, 
Speisen und Getränke, welche ihm in seine Wohnung gesandt 
wurden, und — ein Geldgeschenk im Betrage von drei Bubeln, 
welche den Wert von sechs jELeichsthaleru repräsentierten. „Das 
war,** bemerkt er, „das beste von allen Gerichten meo qoidem 
jodioio,*' 

Ein paar Tage spftter stattete Binhnher dem Fürsten Wassiiy 
WasBi^ewitsch Gollzyn «of dessen in der Nihe der Hauptstadt 

S. manche zum Teil unbedeutende Details über diesen Vorgang 
in der Belation S. 998 C 

*) Yielleioht findet tioh dieser Fsssos in dem leider bisher noch 
nicht aa%sfmidensn Schiiftohen fiinhuben „abr^ d'estat de HosooTie''. 



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270 



Laureulius Kiuhuber. 



befindlichen Qute Tsohemaja Grjasj Ginra Beenoh ftb| wobei er 

ihm zwei goldene Medaillen mit dem Bildnis des Kurfürsten von 
Sachsüu als Geschenk überreichte. ^) Der Minister war hoch- 
erfreut, erkundigte sich nach den Details des Instituts de« Kor» 
f&ntenkoUegiams und sprach seine MifiibiUigupg darttber ans, data 
nicht alle deutschen Fürsten dem Kaiser in dessen Kampfe mit der 
Tflrkei beistSnden. Bann fragte er nach den Terfallltnissen der 
sächsisclieu Lande, nach dem Her/oir Friedrich. Zuletzt ver.^prach 
Golizyn Rinhuber in dessen beabsichtigter Keise nach Persieu in 
aller und jeder Weise Vorschub zu leisten. Er war der Meinung, 
da£s jELinhuber als diplomatiseher Agent nach Ispahan gehen werde, 
wfthrend dieser lediglich als Privatmann die Reise unternehmen 
wollte nnd jetzt, infolge des leidigen Aufiichnbs, genötigt war. 
auf die Auölülii iing seines Vorhabens zu verzichten und nach 
Deutschland zurückzukehren. In diesem Sinne äul'serte sich Rin- 
huber gegen den Fürsten Golizyn. 

Femer berichtet Binhuber darftber, dals er bei den kaiser- 
lichen Gesandten au Tische gewesen sei, von den VerhiUtnissen 
der Katholiken in Rnfsland, Ton den Zuständen der evangelischen 
Gemeinde in der „deutschen Vor.stadt*'. Er hatte (jrelegeulieit, 
dem Fürsten Golizyn Ludolfs „Kistoria Habessinica'S sowie ein 
Geschenk von Herzog Friedrich für die Zaren, in allerlei Arzneien 
bestehend, zu Aberreichen. Man bl&tterte in Iiudolfs Werke über 
Abyssinien und stiele dabei auf die Abbildung von drei Domini- 
kanermönchen^ welche dort enthauptet worden sein sollten, wobei. 
Golizyn mit Lachen zu Kiuhubcr sagte , auch ihm werde es so 
ergehen, wenn er nach Abyssinien reise. 

Dann gab es eine geschäftliche Konferenz Rinhubers mit 
Golisyn. Es war von der Tiirkenirage, von einem Zusammen- 
wirken Enfidands und AbyssinieBS im Kampfe gegen die Pforte 
die Bede. Besonders ansfllhrlich verweilte Binhuber bei der 
Darlegung der kirchlichen Verhältnisse der Abyssinier, weil ihm 
daran lag, die Russen von der Übereinstimmung der in Abyssinien 

Vielleicht geschah dieses im Aafitrsge des Ktufursten von Sachsen ; 
s. die BeUtton S. 888. 



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Laurentius Rinhuber. 



271 



uncl in Rnfslftnd herrschenden Dogmen zu überzeugen. Er machte 
den Vorschlag, die Zaren sollten einen diploraatiaclit-n Agenten 
nach Abyisinien senden. Als verstünde es sich von selbst » da£s 
er, Binhuber, sn einer »eichen Beise teilnehmen mflaaer bemerkte 
er: |,Wir .mfilsten in dieeem Falle nach Penien reaeen, sodann 
einige Armenier mitnehmen^' n. i. w. Seine ,,Propositione&*' 
mit dem Datum Moskau, den 23. Juni 1684^' reichte er in 
lateinischer Sprache ein ; dieselben wurden ins Bussische übersetzt 
und eingehend geprüft. 

Aas den die orientaliaohe Frage , die üntemehmang eines 
Tflrkenkriegs betreffenden UnterrednsgeD Binhubers mit Gtoliayn 
konnte der ersten» entnehmen, dafs die mssisohe Regierung nicht 
geneigt war, gemeinsame Sache mit den Polen gegen die Türken 
zu machen, .jnafsen die Polen nicht allmächtig werden zu lassen 
eine von den groi'son Moskowischen Maximen". Binlmher wollte 
sogar davon gehört haben, dals ein Krieg awisohen Moskan und 
Polen ansbrechen werde ; indessen hielt er ein solehes Ereignis 
f&r nnwabrseheinlioh, weil die mssisohe Begiemng flberhaapt eine 
snwartende Haltnog beobachtete, weil die beiden Zaren nicht einig 
wären, weil es an Gold fehlte, weil die Armee unzufrieden sei 
(„die Strelizzen Uiuicontents*'). Sehr charakteristisch für die 
Zustände in Moskau sind folgende Bemerkungen Rinhubers: 
ifKein Hoskowischer Bojar oder Beiohsrat wird leichtlich an 
einiger Entreprise einraten, denn eine Spanne kttner gemacht 
sn werden ist in Voskau nnn gar nichts Neues. Der Premier* 
minister, der gute Herr Qalizyn stehet in grofser Gefahr; er 
mufs beider Herren Zaren Partei halten, alle aüaira du Royaume 
debattieren, und ist kaum sttffisant denen Sachen länger vor- 
susiehen." ^) 

Binhuber liels es sich angelegen sein» die höheren Beamteui 
welche an den answ&rtigen Angelegenheiten Anteil hatten » sich 

durcii Besuche, Schmeicheleien und Geschenke geneigt zu machen. 
So besuchte er Ukrainzew, den „secrctaire d'estat'S Kusma 

>) 8. die Belation S. S4L Fünf Jahre spSter erfolgte Golis^u 
Stars; s. meine Biographie G. s. weiter unten. 



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272 



Laurentius Kinhuber. 



Nefimonow, den Schreiber Tscheredcjew u. a. Er schreibt: ,,Al80 
hatte ich sie alle zu Freunden." Ferner suchte Binhuber seine 
alten Bekannten auf, den holländischen Gegandten, Baron Kelleri 
deraen wohlwoUonda Haltung er nioht genug rfihmen kann, den 
scliwediflohen Kommiraary Ghrittoph t. Koohen, welofaer Binhnber« 
JEteiee nach Persien möglichst an fö^em und an «rleichtem ver- 
sprach, den dänischen Gesandten u. a. 

Mau sieht, dafs Rinhuber sich eine augesehene Stellung in 
den höheren Kreisen der ruAsifiohen Gesellschaft und auch in den 
Kreisen der Ausländer erworben hatte, folgender Umstand trug 
dam bei, dafs er in dieser Zeit die besondere Gunst des Fürsten 
Oolisyn erlangfte. Der letatere hatte das Unglück, sich bei einem 
Sturz bedenklich zu verletzen , und Kinhubers gegen diese Ver- 
letzungen augc wandte Mittel erwieöüu bicli als sehr wirksam. „Bei 
dieser Gelegenheit/^ schreibt Binhuber, ,,ward der Herr Galizyn 
mein grofser Gönner, und ich mufste öfters an Abend bei ihm 
essen und auch über Nacht im Vorgemache schlafen. Er ver- 
sprach mir anch eine gute Expedition vor diesmal und her- 
nach eine gute Gage zu prokurrieren , wofern ich wieder nach 
Moskau kommen und in Zarlichen Diensten zu sein begehrtnu 
würde." 

Einen Vorschlag dee polnischen Grafen Zgursky, welcher 
nach Persien abreiste, ihn dorthin au begleiteni mnftte Binhuber 
ablehnen, erstens wml er das mssisehe auswirttge Amt m Ifoskau 
schon um seine „Demission in Germaniara soUizitieret" hatte, und 

zweitens weil er im Gefolge des polnischen Diplomaten ,,wie 
die Herren Fol lacken hätte leben und von ihren Herreu Pfafi'en 
die Mease mit anhören^' mtüMMO. Immer wieder klagte Binhuber 
darttber, dab er Im Jahre 1688 die rechte Zeit Tersiumt hatte, 
um in Fabricius' Gesellsehsit nach Persien an reisen. Und bei 
dieser Gelegenheit erfahren wir denn auch, was ihn besonders 
nach Persien getrieben hatte. ,,Fabriciua, Swidersky, Zgursky 
und Termund, ja noch andere waren vor ein 10 Jahren arme 
Kerle, sind aber durch ein einzig Schreiben, so sie von hoher 
Hand gehabt an den Pener Schach, aufkommen, nnd jeder 



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Laoreutiuü Kinhuber. 



273 



mit 1000 Dnkftten regaUeret und jetio gar groüe Harra 

worden." 

Zuletzt gab es noch Widerwärtigkeiten und Streit. Spafari, 
Ton dessen ,,Schelmen8tiLcken'' Kinhuber mancherlei zu erzählen 
wuXste, glaabte in d«n von Binhuber arreichton Schnftatttokan 
Inkorrakihaüen inbetraff dar Tital dar Zaran anideokt cn baliaii. 
Bai dar grolaen Wldbtigkait, walahe man danuüa , baaondera in 
Rnfaland, diesen Dingen bailegte, konnte dieser Zwischenfall für 
Kinhuber die unangenehmsten Folgen haben. Bpafari drohte 
ihm, er werde nach Sibirien verbannt werden. Indessen suchte 
Kinhuber die Kedaktion seiner Aktenatttcka sa reobtfertigeii} wobei 
ibm insbesondere G-olizyna Gonst za statten kam. Er scbreibt: 
lyHätte ein anderer msaischer Herr an des Herrn Galisyn Officio 
oder Stelle gesessen» hXtte Selbiger mieh in grofs malhenr ge- 
bracht." Ky gab eine Art Untersuchung, zugleich eine Art 
Wissenschaitlicher Disputation. Kinhuber und dessen Gegner 
stritten darüber, ob bei der Ubersetsiing der Namen und Titel 
in das Lateinische die eine oder die andere Bedaktion dem Geiste 
der lateinischen Sprache besser entspräche. Die Sache hatte keine 
weiteren Folgen. 

Am 27. August besuchte Rinhuber den Fürsten Golizyn 
abermals auf dessen Gute. Hier sah er die Prinzessin Sophie, 
welche nähere Beziehungen zu dem Minister unterhielt, den Zaren 
Iwan und dessen Gemahlin. Kinhuber speiste bei Goliayn, welcher 
ihm nach Tische sagte : ,^i, Doktor, dn mulst bei uns im Lande 
bleiben, weil da unsere Sprache reden nnd schreiben kannst nnd 
auch vor diesem der Zsrisehen IfajestSt gedienet." Rinbnber er- 
widerte, er müsse zunächst nach Deutschland reisen und werde 
später vielleicht wiederkommen. 

Am dO* Angast fand £inhnbers Abschiedsaudiens statt.*) 



^) Die Schreiben der Mohtisoh«! JPürsten «n den Zaren sind ab- 
gedruckt bei fifisdiing» Magasinfür die neue Historie und Geographie IX, 
525—688. Ebendort das AntwortBchreiben der beiden Zaren Iwan und 
Peter vom 80. August 1684. Das Original des Schreibens in rassischer 
Brflekner, Babland. 18 



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274 



Laurentius Einhub^. 



Er erhielt nach derselben ein Geschenk von 100 Kübeln (Dukaten) 
in Zobeln und erfuhr zu seinem nicht geringen VerdruBse , dafs 
dafi Geschenk 140 £.ubel betragen sollte > dalis aber 40 Babel 
▼on den Beamten der Kanslei des Zaren anterMUagen wordon 
aeien« Die 100 Bnbel aehmolaen infolge der achnSden HabaaGht 
anderer Beamten nodi anf 75 Babel sniaininen. Bs galt als 
selbstverständlich, dafs dergleichen sich ereignete, und B.iuhuber 
hielt es nicht für angeiucüsen, Klage zu führen. 

So trat denn Binhuber am 8. September seine BfiekTsise 
nach Deutschland an. Er hoffte, sich dem nadi Dinemark anrftck- 
kehrenden dänischen Gesandten Horn ansehliefsen nnd sn diesem 

Zwecke ül)er Reval reisen zu können. Der Ränkesucht und dem 
Eigensinn einaa Beauiten in Nowgorod hatte er es zu danken, 
dafs sein Beisepafs nicht, wie er wünschte, auf Heval, sondern 
anf Nanra ausgestellt wnrde. So mofste denn Binhuber abermals 
anf eine bequeme^ rasehe und sichere Beisegelegenheit yeraicbten, 
gegen seinen Willen die viel koBtBi)icligere Beise nach Narra 
machen , dort mehrere Wochen auf ein nacli Lübeck tjehendös 
Schiii warttäii. Dazu gab es in Narva sehr fatah^ ^Liisverständ- 
nisse mit feindselig gesinnten schwedischen Zollbeamten, welche 
' Aufenthalt und Mehrkosten verursachten. Ein Milsgeschiok reihte 
sich an das andere. Eine in so spilter Jahresaeit unternommene 
Seereise — Binhuber reiste endlich am 38. Oktober von Beval 
ab — war gefahrvoU. Das Schiff mufste infolge eines Sturmes 
in den Hafen von Reval einlaufen. Nachdem es wieder in See 
gegangen war, brach das Unwetter in der Nälie der iinnisoheu 
„Schären** T(m neuem los. Binhuber schreibt: „Die See war 
ungeheuer und schäumend , wie ein Kessel wallendes und heiih 
siedendes Wasser, die Wellen hohl und die Wogen hielten das 
rendea-vous in onserm Schiff und Kammer nnd schlagen sowohl 



gfpraohe befindet sich im kgL läohntehen Staatssrolnv. Hier ist a 
dr&cUioh erwähnt, die Zaren hätten dem Laurentius Binhuber gestat' 
nach Partien xu reisen; aber dsnelbe habe diese Beise nicht nnl 
nehmen woUeo. 



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Laureutius Rinhuber. 



275 



ans als die woUgedbten Schiffsburscben darnieder, dafs wir des 
Aufstehens und unser selbst vergafsen, und in die achtundvierzig 
Stunden nichts erwartt^ten als den augenblicklichen Tod. Ich 
bibe dieie grofse Not in meinem Joomal graphioe ^) beschrieben, 
weil ich ein viersehn See&brlen in der Ost-, Nord-, Westeee und 
Levani« getbsn, niemali aber dermalsen die Gewalt der Winde 
und des Meeres erfahren als zu der Zeit. Zwei Schiffe, so' mit 
ims in See gegangen, sahen wir verderben, das dritte aber ist 
mitten in der See vergangen, das ist, augenblicklich gesunken.*' 
Auch bei Bombolm und Bügen dauerte die Gefahr fort, 
indessen erreiidite das ScbifiP Travemünde am 91. November. 
Erst vierzehn Tage später konnte indessen Binbuber sein Gepäek 
erhalten, welcbes im Schiffsraum verwahrt worden war. Über 
Lüneburg und Leipzig reiste er nach Dresden, wo er am 23. De- 
zember das Antwortschreiben des Zareu au den Kurfürsten über- 
gab und an den folgenden Tagen zur Hoftafel eingeladen wurde. 
Hieraof reiste er naob Gotha ^ am anoh dem Hersog Friedrieb 
das Antwortsebreiben der Zaren sn Überreicbeni aber auch bei 
dieser letzten uns bekannt gewordenen Heise Binbnbers ^b es, 
wegen Hochwasser, Verkehrstöruug und eines Mirsverstänciuibseb 
tnbetreff des Gepäcks, verschiedene Schwierigkeiten und Aufent- 
halt. Er hatte schon aas Leipzig an den Herzog geschrieben 
und ibm das Gtescbenk von den Zaren (,|Zobels und ein weifs 
Fuebsen Werk, so vor ein Winterrock dienen kann**) überssadt, 
damit der Herzog dasselbe vor Weihnachten erhielte. 

Seine „Withrhafte Relation'^ schliefst Kinhubor mit den 
Worten : „Und so viel kürzlich von meiner Moskovischen Reise 
worauf nun folget der andere Teil, nämlich Belation d'estat de 
Hosoovioi wobei zu bemerken, dafs zwar nicht alles so gar am- 
ständliob aosgefObret, weil ich in einem gewissen Traktat de 



^) Relation S. 273. Leider ist diese Schrift Riububers bisher nicht 
stt^g^efonden worden. 
^ BeUftion 8. 876. 
*) Belation S. 199-800. 

18» 



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S76 



Laurentiaa Binhuber. 



T«bQ8 KoieoTxticiB , plait a Bieii) wdil Imimt in lolirdbeo g6> 

Binhub«» „Wahrhafte Belation* sehemt aa den Heraog 
Friedrich gerichtet geweeen m eein. Anf daa ,»Datiim, Gotha 
den 24. Febmar 86** folgt „nnterthlnigster Laurent Bmhnber. 
K. mea**. 

Dafs weder das „Abr6g6 d'eetat de Moscovie'* noch die 
andern Schriften, deren Binhuber enrfthnt» aich biaher haben 
anfinden laasen, ist sehr an bedauern. Wir wftren um eine Gb- 
sehichteqnelle fttr die Vorgänge der siebziger und aohtziger Jahre 

reicher. Iviiihubers ürteü über die Zustände Rufslands in dieser 
Übergangszeit zu erfahren, wäre für uns von dem gröfsten Werte. 
Ob er Zeit gefunden hat, eein groisee Werk über Rufsland, dessen 
wiederholt erwähnt 'ist, su yerftsBen, erfahren wir nieht. Jahre- 
lang hat er fOlr dieses» offenbar sehr uvfiuigreich angelegte Werk 
das Material gesammelt. Der Titel, welchen er demselben au 
geljLii gedachte, veranlafst uns zu der Annahme, dafs er es in 
lateinischer Sprache schrieb oder zu schreiben gedachte. "Es wäre 
ein Seitenstück zu dem berühmten Buche des Olearius gewordeUi 
welches Binhuber sehr hoch schätzte. 

Überhaupt sohliefiit leider unsere Kenntnis yon dem Leben 
und Wirken Rinhnbers mit dem Januar l().sr> ab. Über seine 
ferneren Schicksale haben sich bisher keinerlei Nachrichten auf- 
finden lassen. In dem Jahre 1685 mag er im kräftigsten Mannes* 
alter gestanden und nicht viel ttber 40 Jahre gesShlt haben. 
Ob er noch lange als Arat, als diplomatischer Ag«ntf als Be» 
porter und Schriftsteller gewirkt, ob er Reisen unternommen habe, 
für die Verwirklichung seiner Entwürfe thätig gewesen sei? Diese 
Fragen müssen offen bleiben. Seine Lebensgeschichte bleibt ein 
Torso. Er gehörte an den unternehmenden Beisenden, welche 
damalsi sum Teil in einer etwas abenteuernden WeisOi den Ver- 
kehr swischen BuiUand und Westeuropa yermittelten und in dieser 
internationalen Bolle sur Verbreitung von Kenntnissen Aber den 
fernen Osten beitrugen. Eme kuümupuiitische Natur, ein ruhe- 



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Laurentitia Binhuber. 



277 



loier Tourist, ,,zam Beiaen geborenes wie Ludolf tob ihm mgte» 
war lüuhuber welterfahren und gebildet genug, um seine Reise- 
eindrücke und Erlebnisse litterarisch zu verwerten. Sein Name 
reiht sich würdig denjenigen anderer Schriftsteller an, welche in 
jenen Zeiten fiber BoTeland beriohteten, wie etwa OleeriaB, Mayer- 
bergi Witten, Korb, Pefzy, Stralenberg «. a. Die Auffindung 
der bisher onbekannt gebliebenen SehriflenBiiBhiibeni wSre dringend 
m wünschen. 



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IX. 

Fürst W. W. Golizyn (1643—1714). 



« 



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Je entflokflidandir fllr die G^aBohieliie BniUiiida die Befonn« 
«poche Peters dee Grofsen gewesen ist, von deeto grOfeerem In- 

terense ist es, die Gcneeis j« rif r Reformideen, deren genialer Ver- 
treter der gewaltige HeiTBcher gewesen ist, in den Jahrzehoten, 
welche eeiner Kegiemng Yorati«giiigeii| in Texfolgen. Auch vor 
Peter bat ee in Bufeknd AiihSiiger der weet<«uopftiMheii Kultur 
gegeben, bcgeieterte Forteebriitniinner, welcbe Ton der SerOb* 
rang Bnfiibuidfl mit Barope det Heil erwarteten, atrebnme, lern- 
fähige und lernbegierige Schüler höher gebildeter Nichtrussen, 
liberalgesinnte Patrioten, welche vor durcbgreifendeu Xeuerungen 
nicht zurückschraken und, im Gegensatze zu der trägen Hasse 
des läb am Bestdienden lastbaltenden Volkes, bereit waren, mit 
m an ch en Traditionen sn brechen, nenen Elementen den Zntritt 
naeh Bnliland tn gestatten, ihr Land, ihr YoUc der Segnungen 
des politischen, intellektuellen moralischen und ökonomischen Fort- 
lehritts des Westens teilhaftig zu machen. 

Zu der nicht grofsen Anzahl solcher Männer gehört der 
Fürst Waesily Wassi^jewitsch Gk>liayn, dessen Leben und historische 
Bedentong wir in der folgenden Inegrapbisehen Skiaie knm ra 
■ehildeni ▼emuhen wollen. Bs ist am so aniiehender, in ihm einen 
Geistesverwandt«! Peters des Grofsen an erblicken, als er keines- 
wegs zu dem Kreise Peters gehört, ja vielmehr dem letzteren im 
gewissen Sinne feindlich gegenüberst^t. Die politische HoUe 



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282 Fürst W. W. Golizyn (1643—1714). 

OoHsyns nnd di( j< nige Peters schlosBen emander ans. Za den 
BedinjQfungen einer erfolgreichen , selbständigen Thätigkeit des 
jungen Zaren gehörte der Fall Golizyns. Hatte dor letztere 
mehrere Jahre hindurch bis 1689 eine Art Eegentenrolle gespielt, 
so mulkto er mit dem Stnrxe seiner^ Freondin und Göuieriiiy der 
PrinzeBsixi Sophie» su Qmistea Peters das Feld rftomeof den 
Sohaaplats seiner Thfitigkeit im IBttelpunkte des Staates, an der 
Spitze der nissischen Armeen mit der Einsamkeit des im ent- 
ferntesten Norden gelegenen Verbaimungäurtes vertauschen. 

Ein solch jäher Wechsel in den persönlichen Schicksalen 
rnssiacher Staatsmfiimer ist im 17. und auoh wolil im 18. Jahr- 
himdert an nnd fär sieh eine nicht ungewöhnliche Erachdnung. 
Ooliayn gehört in jene lange Beihe mssisoiher Machthaber, welche 
nach schrankenlosem G-enusse von Pracht und Glanz, Luxus und 
Einflufs. das Wohlleben um ] die grofsartige historische Rollü ganz 
plötzlich aufgeben müssen, um den Kest ihres Lebens in der be* 
seheidenen oder gar kttmmerlichen Ezistena in menschenleeren, 
wfisten, unwirtlichen G-egenden ab Verbannte zu vertraiiem. In 
dem Leben der Hatwejew, Golisyn, Tolstoi, Menschihow, Oster« 
mann, Münnich, Biron und anderer wiederholt sieh ein solcher 
Gegensatz von Glück und Elend, von Reichtum und Armut, von 
Höhe und Tiefe nur mit dem Unterschied, dafs es einigen wenigen 
yon diesen, als politische Verbrecher behandelten Würdenträgem 
gelingt, nach kOrserer oder iSngerer Verbannung heimsukehren, 
Freunde und Verwandte wiedenusehen, die unteifirocheiie polt- 
tische ThStigkeit wieder aufsunehmen, wenn nicht gans, so doch 
zum Teil die frühere Stellung zu erringen, sich wieder mit dem 
früheren Luxus zu umgeben, während die meisten in Schnee und 
Kälte, in Kummer, Gram und Entbehrung, bei einer Lebensweise, 
wie rohe Bauern oder asketische Könche sie aus Kotwendigkeit 
oder Neigong su ftbren pflegten, schneller oder langsamer dem 
Tode entgegengingen. Letsteres Schicksal ist audi dem Forsten 
Golizyn zuteil geworden. Die Bildungsstufe, welche er einnahm, 
muls ilin dasselbe doppelt schwer haben empfinden lassen, ein 
Umstand, welcher nur geeignet sein kann, die dem Andenken an 



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Füret W. W. öoüzyn (1643—1714). 



283 



den Mann uiul seine Stellung in der Gesciiiclite fiufslands zu 
zollende Auicaerksftmkeit zu steigern. 



Noeh b«i LebBeiteii, wihrand dar YerlMUDiNiDgMaity itt Gtoliiya 
Gegenstand der Beaohtnng in der lüetoriechen Littaratar geworden. 

Es kam ihm zu gute, dafs ein diplomatischer Agent., welcher, fran- 
zösisch-polnische Interessen vertretend, sich einige Monate im 
Herbst 1689 in Moskau aufhielt, GoUzyn persönlich kennen lernte 
und YoU Bewandemng über die reiohen Gaben und die Jiebeoa- 
wfirdige Pers5nliehkeit dea Forsten sieh ftnljNrte. Die in den Jabren 
1698—1707 in awei frans5Bisehen , einer englischen und awei 
holländischen Ausgaben erschienene „Relation curiense et nouvelle 
de la Moscovie" von Neuville ist die Quelle, auf welche auch die 
spätere Geschichtsforschung, so oft sie sich mit W. W. Goüzyn 
beschäftigte» anrftokaogeben pflegte. Hier werden wahre und er» 
diohteto Zfige aas seinem Leben arslttilt. Wibrend die Sebildemng 
der Eindrücke» welche der TTmgaog mit dem eine Art Gfofaveaier» 
Stellung einnehmenden Golizyn übte, die Darstellung der Reform- 
entwürfe, mit denen er sich trug und welche er gesprächsweise 
dem Verfasser der „Relation curieuse^ mitteilte, von dem gröfaten 
Intaretse sind und als miTerläaaige Gesohiobtsqnelle angeseheii 
werden kdonen» Terdienten yon den, mm grdiatea Teil anf Klatsoh 
bemhenden Angaben Aber Thatslebliobes » a. B. Aber daa peve 
sönliche Verhältnis Golizyns zur Regentin Sophie, die weiagi^ton 
Glauben, und mau mufs es bedauern, dafs spätere Geschichts- 
forscher auf dieselben zu viel Gewicht gelegt haben. 

Minder ^usammenbXiigendes » aber darohaiiB ZaTerllsatges 
bietet eine Xeiige yon Notisen» welche den Fflrsten beireffen» in 
dem Tagebnehe des Generale Patrick Gordon» welcher jahrelang mit 
ihm auf vertrautem Fufse stand, ihn fiber die Verhältnisse West- 
europas unterrichtete, eine Reihe von Feldzügen mit ihm durch- 
machte und unmittelbarer Zeuge seiner Katastrophe tt^ar. 

Eine nicht unbeträchtliohe Anaahl von Aktenstücken» Privat- 
briefen «nd Gktchaltspapieren» welche den Fürsten Goliayn be* 



L>iyiliz|^;^ Google 



284 



Pürst W. W. Golizyn (1643—1714). 



treffen, eneliien sebon sn Bude dei 18. Jelirhmiderti in Editionen, 

wie die altrubtsische Bil»liothek . welche zur Zeit Katliarmaa II. 
von Nowikow herausgegeben wurde, sowie in der neueren Zeit 
in der von der nMoskaaer Oeaellachaft für Geschichte und Alier« 
iHmer Kofikoda** heranegegebenen Zeitoohnft „Wremannik**» ohne 
daff dieee Akten sehr Tiel Belelirendei enthielteiL 

Wie man eneh nook Jakneknte naeh dem Tode €k>lisynt 
sein Andenken selbst im Westen würdißrte , zeigt eine seltsame, 
in den Einzelnheiten der mitgeteilten Tiialbachen und Urteile eine 
wunderliche Mischung von Wahrnni und Falachem enthaltende 
Fhigeohnft, welche mr Zeit der KaiaeriB Anna, im Jahre 1737, 
«nofaien: „Qeaprlehe im Beiohe der Toten; 224. Entrem 
swisehen dem Kneee Banlio Qoli^rn und dem maaiwkeii General 
B. von Hochmnth, Leipzig 1737**. Jahreszahlen, Angaben flber 
Peldzüge und Schlachten und die dabei verwendete Truppenmenge 
geben ein fast komisches Durcheinander von Mi fs Verständnissen ab. 
IHiroh einen grofsen Teil der Broohäre sieht eich die spaDihafte 
yenreohaelung dea Fflraten W. W. OoUayii mit deaieii Vetter 
Boris Alexejewitach Goliiyn, worans denn wieder eine Fülle von 
Irrtümern erwächst. Immerhin verdienen flsnaelne Angaben bk 
diesem Schriftchen Beachtung. Dasselbe zeugt davon, dafs man 
im Westen den russischen Angelegenheiten früherer Zeit gern 
eine gewine Anfinerksamkeit schenkte, und dafs der JSindrucky 
welehen daa Wirken tind die PenÖnüohkeit Qoliayna anf aeni« 
ZeLtgenoasen geOht hatte, kein fltlohtig vorflbeigehender ge- 
weaan war. 

Genau hundert Jahre später erschienen in Kufsland zwei 
Biographien (jolizyns. Die eine hatte den dereinstigen Vor- 
sitzenden der Moskauer Gesellschaft für Geeohiehte and Altertümer 
Bnildaiids, A. Malinowaky anm VerCMaer und ward gedniokt im 
Vn. Bande der von dieaem gelehrten Vereu herani^gegelieiieii 
„Stadien nnd Chroniken" (Moekan 1887). In demeelben Jahre 
erschien in dem zweibüiidigcu Werke A. Tereschtschenkos „^'er- 
such der Übersicht des Lebens der Würdenträger, weiche die 
Anawirtigem Angelegenheiten in BuTeiand leiteten" (St. Petera* 



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Fürst W. W. (ioü^yu ^iö43— 1714). 



285 



bürg 1837) ebenfalls eine Biogiaphie Golizyiis. Beide Arbeitüii 
enthalten sehr dankenswerte Details, zeugen aber von sehr schwach 
entwickelter Kritik. So schenkt namentlich Tereschtschenko, 
welcher flbrigem eine lehr bedeatende Beleeenheii an den Tag 
I^gty der Sohriit Nearillee unbedingten O-lanben. Beide VetfiMier 
ergehen sieh, wie des in jener Zeit ttblieh wer, in den stitrksten 
Ausdrücken über die , dem Fürsten Grolizyn als Gegner Peters 
und Anhänger Öoplucas zur Last geiegUn Verbrechen. Polizei 
und Censur trugen damals dazu bei, die sittliche Entrüstung zu 
steigern. An allerlei historischen üngenenigkeiten nnd cfarono- 
logisohen Ventttlsen ist in beiden Schtiften kein Mangel. 

TTstijalow hat in seiner „Gesohiehte Peters des Grofsen** 
neues und wertvolles Material über Golizyn mitgeteilt, Privat- 
briefe, Gerichtsakten und sonstige Geschüftspapiere, welche ius- 
besondero in die Katastrophe Golizyns einen ongleioh tieferen 
Einblick gestatten, als dies bis dahin möglich war. 

Ans allem diesem Material heben wir in der folgenden, keines* 
wegs erschöpfenden Sldaie nnr das Wesentlichste heraus. 

ijuuil*alin bis 1682. 

Wsssilg Wassiljewitsoh Goliayn, im Jahre 1643 geboren, 
stammte aus einem hoohangesehenen Geschlechte, welches sdnen 
Ursprung auf die mlunrctchen Zeiten Littanens im dreisehnten 

.Jahrhundert zurückführte. Einer seiner Ahnen, Michail Iwano- 
witsch, hatte bereits in der ersten Iluilte des sechzehnten Jahr- 
hunderts dem GroMürsteu Wassilij Iwauowitsch in den Kämpfen 
mit Polen sehr wesentliche Dienste geleistet nnd seine Trene 
nnd Ergebenheit mit achtnnddreÜliigjihriger Haft in Polen ge* 
bfliirt; dessen Sohn, JnrQ, hatte insbesondere gegen die Tataren 
ruhmreich gekämpft. Der Enkel Jurijs, Wassilij, wurde mit dem 
Vater des ersten Zaren aus dem Hause Romanow, dem nach- 
maligen Patriarchen Philaret, als russischer Gesandter (1611) 
nach Polen geschickt nnd hatte, als man 1613 zur Wahl eines 
Zaren schritt, namentlich unter den Geistlichen eine Parteii 



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286 



Fürst W. W. Golizya (1643—1714). 



welche ihn gerne auf den Thron erhoben h&tte. Er starb kiuder« 
los in polnischer Gefangenschaft. 

Wie alle Golizyns , so bekleidete auch der Vater unserea 
Oolisyn WassUg Andrcgewitscli, während der Begiemng der eraten 
Zaren anB dem Bjmae Bomanow veraehiedene holie Poeten. Er 
starb 1652, als idn Solin neun Jahre alt war. ^) Geburt nnd 
Stellung hatten dem jungen Manne die Lanfbahn vorgezeichnet. 
Er widmete sich dem Hofdienste, begleitete den Zareu Alexei im 
Jahre 1668 auf einer Wallfahrt zu einem Kloster und spielte 
bei Hofe eine herrorragende Bolle. 

Gblisyns ndlitärisebe und politisohe Thätigkeit begann in der 
Zeit der Kegierung des Zaren Feodor Alexejewitsoh (1676 — 8S). 
In diese Zeit föilt der Absehlnfs der klein-russischen Angelegen- 
heit. Nachdem in dem Frieden von Andrussow (1667) Rufsland, 
nach .Jahrzehnte fortgesetztem Kampfe mit Polen, letzteres ge- 
nötigt hatte, Klein-Bolsland wenigatens links vom Digepr absn- 
treten, war diese neaerworbene Provins in dem Streite swischeo 
Türken nnd Tataren einerseite und Bnlsland andererseits snm 
Zankapfel geworden. Der Hetman Doroschenko hatte die Interessen 
der Orientalen vertreten. Es entbrannte ein Kampf um die 
Festung Tschiginn, welche Dorosclienko, nachdem er eine Art 
Vasall des Sultans gewesen war, den Bossen übergeben hatte. 
Der Kampf der Parteien in Klein-Bulaland erforderte eine ener- 
gische Intervention vonseiten rosnedher Beamten nad IGlitürs. 
An diesem Paaifimerungswerke hat GoUsyn teilgenommen. £s 
galt ferner, das Land ijegen die EinföUe der Tataren zu schützen. 
Golizyn befestigte Putiwl und andere Städte. Als die Türken 
1677 nnd 1678 Tsohigirin belagerten — es war das erste Mal, 
dafo die Pforte nnd BolUand unmittelbar miteinander Krieg 
KlIhTten — be&nd atoh Golixyn beidemal in der Armee, wdche 
den Belagerten helfeii sollte. Es fehlte nioht an Belohnungen; 

^) Vgl. Tereschtsohenko a. a. O. S. 131 u. ff. Die Geneidogie aus- 
föhxlieh in dL Alten Bossasohen Bibliothek, Bd. 17, S. 811 u. C, mid in 
einem hesondsm Werke Ton Ssertsehewskg, wdehes 1868 in St. Peters- 
borg erschien. 



biyilizüü by GoOgl 



Fürst W. W. Golizyn (1643-1714). 



287 



Golizyn erhielt allerlei neue Ämter und Würden, ward in den 
Bojarenstand erhoben, empfing kostbare Creschenke an iiiind und 
Baoern, wertvollen G^egenständeu und Geld, auch den Stab, die 
«ogeoaimte Bnlawlk, welche eiiut dem Hetman Doroachenko ge- 
hört hatte. ^) 

Schon in dieaer Zeit hatte Gblü^ Gegner. Wir hdren 

von einer gewissen Spannung zwischen ihm und dem Oberfdd- 
herm B-omo 'l uiowskij, wegen eines E,augstreites. Aus (lordons 
Tagebuch eriahren wir, daTs es gefährlich war, Golizyn eiuen 
Beanch an machen^ weil man sich dadurch leicht den Zorn des 
Oberfeldhenm tnaog. ^ Auch mit dem neuen Hetman Klein* 
Bnlidandsy Ssamoilowitsch, haderte Qoliayn, weil Ssamoüowitach bei 
seinem Streite mit dem Oberfeldherm die Partei des letateren 
ergriffen hatte.') Es wird ferner cr/itilt. dafs (lolizya bei der 
Wahl eines Saiumeipuuktes für du I ruppeu anderer Auaiclit 
gewesen sei, als der Hetman, und endlich, dafs er für seinen 
Sohn Alezei um die Hand der Tochter Ssamoüowitacha gebeten 
habe und abachlägig beachieden worden aei. 

Bafs er bereite in der Begierungsseit Feodora wesentlichen Ein- 
tluiö Ulli" die auswärtige Politik Rufshinds geübt habe, wie man 
wohl gemeint hat, ''^) ist zu schlecht bezeugt, als dal's mau auf solche 
Kachrichten Gewicht legen dürfte. Dagegen ist sein Verdienst 

*) Vgl. il. Einzelheiten bei TerescLtschenko a. a. ü. S. 13Ö u. fL 
*) Gordüiis Ta^rebnch, heraus», v. Pusselt, Bd. I, S. 450. 
*) Gordom Tagebuch, Bd. 11, S. 180. 

*) Vgl. Tereschtachenko, S. 186. Wie <Mhyn, als er eine Freuden- 
botschaft an den Zaren befördert, gekränkt wird, indem andere ihm 
auvorkommen, so daü» Golizyns Boten keine Belohnimg erhalten, erzahlt 

Görden, 1, 433. 

^) In den obenerwiUmten Gesprächen im Reiche der Totea , rühmt 
sich Golizyn in der Enfrcvuc mit dem General ITochnmth , S. 1183, er 
habe wälireud der Ro^ierun^' des Zaren Feodor die grülste Holle ge- 
spielt; der König Ludwig XIV. habe an ihn pfeschrieben und ihn pre- 
beten, dahin zu wirken, dalä liul'äland uiclit mit Schweden breche; so 
habe denn er, Gbli/yu, den drohenden Elrieg zwischen Kufsland und 
Sdiweden Tttrhindert. — IMeser Zug gehört au den mancherlei gewagten 
Einaelheiten der Flugichrift, welche allerdings durch dergleichen Un- 
geheuerlichkeiten an Ltteresae gewinnt. 



üiy 



288 



Forst W. W. Golkyn (1648-1714). 



bei Abfloheflhng des m. einem ohromsefaen Übel gewordenen IGTs- 

standes der Rangstreitigkeiten (Mestnitschestwo) unzweifelhaft. 
Man darf ihn als einen der wichtigsttüi Urheber dieser heilBauien 
Reform ansehen. Es galt ein Stüok mittelalterlichen Unwesens 
fortsaränmeii, am den Intereeseii des modeisen Staates den Steg 
Aber gewisse VonirteUe der Grofsen, der Besmten nnd Generale 
so versehaffeo. Xan wird sageben mttssen, .dafs diese, in die 
letzte Zeit der Regierung des Zaren Feodor fallende Mafsregel 
dem Geiste der Reformepoche Peters des Grofsen entsprach. 

Nicht umsonst hat der neueste G-eschiohtsjächreiber Xtufslanda, 
S. SsQlowjew, den Abschnitt seines nmfsssenden Werkes^ welcher 
„Bofsland in der Beformepoohe'' inm Gegenstande hat, mit der 
Begierang Feodors begonnen. Die west-eoropäisefaen Binflftsse, 
insbesondere die Einwirkang polnischer Sprache, Litteratur nnd 
Sitte, wird in dieser Zeit immer stärker. Der überauu kiank- 
liche, aber wilienastarke und nicht unbegabte Zar denkt au allerlei 
VerSnderongen im Staatshanshalt. Dafs er den Rangstreitigkeiten 
ein Ende maohte, ist eine Epoche in der Geschichte des rnssisohen 
Heerwesens. 

In den KiSmpfen mit Polen nnd Tataren hatte man die TÖllige 

TJntanglichkeit der russischen Militnrorganisation einsehen gelernt. 
Auch aas Glordons Tagebuch erfahren wir, wie schlecht es mit 
der Mannszucht stand. Zu den schlimmsten Fehlern der nusisdien 
Offiziere gehörte die Unfähigkeit, sich einem höheren Willen nnter- 
anordnen. Jeder HiUtär hielt sich im Bechtei den Gehorsam 
sn Terweigern, wenn seine Emennang für ii^nd einen Posten 
seinen tjl)erzeugun<?en von ckn ihiü, seiner Vorfall ren wegen zu- 
kommeudeu Vorrechten inbetreff der einzunehmenden dienstlichen 
Stellung nicht entsprach. Die aahllosen Streitigkeiten, welche 
der Anfang eines jeden Feldsags anfwiesi die aof der genau im 
einaelnen festgestellten üntersochnng der G^chicfate des IXenstes 
der Vorfahren begründeten Klagen, BekriminatioDen nnd Benon- 
ziatioiit'U der Offiziere brachten die Regierung nicht sclteu schon 
während des sechzehn teu Jahrhunderts aus der Fassung. Oft 
erkannte die Begierong die . Berechtigong solcher Klagen and 



biyilizüü by GoOgl 



Fflnt W. W. Oolizyn (1648—1714). 289 

Bitten an, und liefs anf Grand der in den Archiy«n befindliohen 
Dienstbtteher diese Personalfragen genau prüfen und entscheiden. 
Öfter aber sah die Repfieruncr, durch den dabei unvermeidlichen 
Zeitverlust, durch den Aufenthalt, den Erfolg der i'eldzüge in 
Frage gestellt und half aioh dann mit der Erklttmng, dafs in 
diesem einseinen Falle für diesen Feidang jeder onweigerlieh den 
ihm zugewiesenen Posten bekleiden solle, ohne dala im Prinaip 
seinen Dienstrechten im Yerhftltnis an Kollegen oder Vorgesetzten 
dabei zu uahe getreten würde. Solche Ernennungen „ohne Präju- 
diz*^, die formelle Erklärung, dafs es hierbei sich um eine Art 
von „comment suspenda'' handle, waren einerseits «ne Anerkennung 
der 0«setzliobkeit des ganaen Mifssiandes solohen endlosen Haders, 
anderseits ein kfimmerlicher Notbehelf. HEan mnfste weiter gehen 
nnd mit dem Prinzip breehen. Das geschah weaentlioh dorch die 
Initiative "W. W. Golizyns. 

Er war Mitglied einer aus Vertretern verschiedener Stände 
zusammengesetzten Kommission, welche über die Keform des Heer- 
wesens an beraten hatte, und an dem Besohlnsse kam, dafii vor 
allem jenen Bangstreitigkeiten ein Ende gemaoht werden müsse. 

Als Berichterstatter der Kommission, in welcher er, wie wir 
annehmen dürfen, die Hauptrolle wird gespielt haben, teilte Golizyn 
dem Zaren dieses Ergebnis der Beratungen mit. In einer feier- 
lichen Versammlung der Bojaren und höheren Geistlichkeit erörterte 
der Zar, nachdem der Kommis8ionsberi<dit verlesen war, in einer 
lingeren Bede, deren Wortlaut erhalten ist, die ganae Frage* 
Nach einer korsen Beratung beschlola man, das Arekiv der Dienat- 
register au verbrennen. Bie Erkenntnis, dafe ein im Prinaip 
schädliches Institut abgeschafft werden müsse, scheint allgemein 
gewesen zu sein. Es wird von keinem Widerspruche berichtet, 
welcher dem KommiasionsTorschlage etwa begegnet sei. Die 
Befonnidee Qoliayna entapraeh dem Charakter der 2ieity in welcher 
das Bewafataem von der Notwendigkeit der Beformen immer klarer 
hervortrat. Kan hat bemerkt, dafs Goliajn bei diesem Vorgänge 
eine iiociiliurzige Selbstlosigkeit au den Tag gelegt Imbe, da seine 

Ahiitiii lange Zeit hindurch stets die hervorragendsteu Stellen inne 

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390 



Ffint W. W. Goliiyn (1648—1714). 



hatten, er also bei Baogetreitigkeiten fast auanahmelos günstiger 
gestellt war, ala andere. Wie dem aneh aein möge, sein Käme 
ist an eine Habregel gekuüpft, welche Ton loyalem Sinne flir 

politischen Fortschritt zeugt.*) 

Kurze Zeit darauf starb Foodor Alexejewitsch. Während 
der Krankheit des Zaren pflegte ihn seine Schwester Sophie. Es 
wird berichtet» als habe gans besonders W. W. Gk>liayn dahin 
gewirkt, dafs Sophie eine solche Pflicht übernahm.^) Es mag 
sich TieUeicht in jener 2eit ein mehr oder minder alErtUches Ver^ 
hftltnis zwischen dem Fürsten nnd der Prinzessin entsponnen 
haben. Er war 3W Jahre alt. verhuiratet und hatte erwachsene 
Kinder, Sophie a^ite 25 Jahr, war hochbegabt, bes^^er gebildet, 
als rassische Prinzessinnen in jener Zeit zu sein pflegten, und 
▼on £hrgeis nnd Herrschsncht erfüllt. Kanches in den Em&h- 
lungen von diesem YerhKltniB mag der Wahrheit nicht entsprechen, 
insbesondere mnfs vieles hierauf Bezügliche in Neuvilles Schrift 
als gruiuiioses Gerücht bezeichutt werdtju, indessen lial t-n die 
aus den späteren Jahren der Kegentschaft Sophicns btammeuden 
zärtliohen Schreiben der Begeutin an den Fürsten, welche Ustr- 
jalow den Archiven entnahm und in seinem Werke über Peter 
den Orolsen mitteilte, jeden Zweifel an einer glühenden Leiden« 
Schaft der Prineeesin fUr Golizyn beseitigt. Wir werden sp&ter 
diese Akteu^tuckc iiaLtLUcn. Gewifs ist, dals der Verkehr 
SophieuH mit dem erfahrenen, ge»ühäftskundigeu Fürsten sehr 
wesentlich zu ihrer politischen Ausbildung beitragen mufste. E» 
war eine Anomalie, dafs ein weibliches Mitglied des Zarenhanses 
in die Staatsgeschäfte eingeführt wurde. Sophie, welche in den 
Jahren 1682 bis 1689 Bulsland regierte, erschien auf ihren Beruf 
vorbereitet. Man wird nicht leugnen können , dafs sie in dieser 
Zeit Mut und Einsicht, politischen Takt und diplomatische Ge« 
wandtheit an den Tag legte, dafs sie den an sie durch ihre Stel* 
lung gemachten Anforderungen gewachsen war. In ihrem ganzen 

') Vgl. d. Gesch. d. Vorgangs bei Ssolowjew, Gesch. Rufslands. 
Bd. XIII, S. 317-324; r?.trjalow, Gesch. Peter d. Gr. I, Ö. 290. 
^) Tei-eüchtschenko a. a. Ü. S. 147. 



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Fürst W. W. Golizyn (1643—1714). 



291 



Wesen ist eine Reife und Entschlossenheit, welche in auffallendem 
Gegensatze steht zu der Unmündigkeit, ünwiBsenheit und Be- 
deutungslosigkeit, welche andere Frauen der höheren nusiflchen 
GeMUscimCt eharakteriflierten. Wir glauben nicht sa irren, wenn 
wir den Umgang mit Gblisyn als Sophiens politische Schule be- 
zeichnen. Indem der Guig der gewöhnlichen, hergebrachten Ord- 
nung der Dinge durchbrochen wird, vielleicht durch ein unerlaubtes 
Verhältnis . hat sich damals in Kufsland ein Akt der Frauen- 
emanzipation vollzogen. Sophiena Name, ihre Bolle in der Ge* 
schichte Boislands ist eng verwachsen mit dem Namen nnd der 
historischen Bolle Golisyns. 

Man kennt die Stellang, welche Sophie unmittelbar nach dem 
Tode Feodors einnahTn. Wir dürfen kaum daran zweifeln, dafs 
sie gegen die anfänirlich durchgesetzte Thronbesteigung Peters, 
mit Aussohlufs des altern Bruders Iwan, agitiert, dafs sie an den 
Bluttagen im Mai (15. — 17.) einen wesentlichen Anteil ge- 
habt habe. 

Das Ergebnis war, dafs nicht Peter allein, welcher 
einen Monat lang den Namen eines 2^ren geftihrt hatte, sondern 
Iwan und Peter zusammen regieren sollten , dafs Sophie He- 
gentin wurde. 

Wir wissen nicht, welchen Anteil Golizyn an diesen Ereig^ 
niesen gdwbt hat. Dafs unter den Opfern der Sohreckenstago im 
Mai auch der einstmalige Gegner Golisyns, Bomodanowsky , an- 
getroffen wird, darf uns nicht yeranlassen, ihm einen besonderen 

Anteil au dieser Blutthat zuzuschreiben. Entscheidende, ver- 
brecherische Handlungen waren nicht Hache Golizyns. Nach den 
uns vorliegenden Materialien ist er sowohl bei der Krisis des 
Jahres 1683, welche ihm neben der Begentin die erste Stelle im» 
Beiohe eintrug, als auch bei der Verschwörung des Jahres 1689, 
welche seine Verbannung sur Folge hatte, im BSntergrunde ge- 
bliehen. Von einer besonderen Initiative seinerseits bei diesen 
Ereignissen ist nichts zu spuren. Audere Personen ersclieinen 
als die wesentlich handelnden. Die Woge der politischen £r- 

schfitterung erhebt ihn so hoch im Jahre 1683, stürzt ihn tief im 

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Fant W. W. Golisyn (1648—1714). 



Jahre 1689, ohne dafs er, loweit omre Kenntnis dieser Ereagniese 
reicht, setnee G-lttckeB Schmied oder seines Falles TTrheber ge- 
wesen wäre. Violleiclit lud er energischer gehandelt . durchgrei- 
fender agitiert, als wir bei dem immerhin nur fragmentarischen 
Material zu erkennen vermögen; wahrscheinlicher ist ea, dals wir 
in Golisyn eine Art politischen Hamlets vor uns haben. 

Welchen Anteil auch Gh>lisyn an den Vorgängen im Früh- 
ling 1689 gehabt haben mag. die Erhebung Iwans auf den Thron, 
Sophiens Kegentschaft machte ihn zum Grofswezir Rufslands. Der 
Sieg Sophiens war nocii während der 8clireckeastwge entschieden ; 
erst einige Tage später endete die Alleinherrschaft Peters formell. 
Erst Ende Mai wird Iwan Zar, wird Sophie JEUgentin. Aber 
die Emennimg W. W. Golisyns sam Mmister des Answartigen 
erfolgt bereits den 16. Mai. Also unmittelbar nach der Ermor- 
dung Matwejews, des hochgebildeten Staatsmannes, welcher bis 
zum Jiihre 1676 diesen Posten innegciiabt hatte, ward Golizyn 
dessen Nachfolger. Erhielt er auch , wie neuerdings Ssolowjew 
auf Grund von Arohivalien berichtet hat, den formellen und 
hochklingenden Titel eines „Ghrofssiegelbewahrers und eines Ver- 
Walters der grolsen Gesandtschaftsangelegenheiten" erst am 19. Ok- 
tober 1683, so wurde ihm doch bereits früher, und swar während 
der Sclireckenstage im Mai 1682, die Leitung der auswärtigen 
Angelegeuhciteu Bufslands anvertraut. 

In einer Zeit, da Rufsland sich anschickt ein Glied der 
eoropäisehen Staaten£smilie zu werden, da die diplomatischen Be- 
aiehnngen sn Westeuropa an Intensitftt und Vmhng sunehmen, 
da die wichtigsten Angelegenheiten der auswürtigen Politik Ruls- 
hmds, die Beziehungen zu^ Schweden und Polen, zu Türken und 
Tataren in ein neues Stadium treten sollten, war der Posten eines 
Leiters der auswärtigen Politik besonders wichtig. Wie Matw^jew 
war auch Gblisyn durch Neigung und Gbsehmack, Bildung und 
Überseugung AnhSoger der nach Westeuropa gerichteten Politik. 
Er gehörte au den sehr wenigen Bussen, welche des Lateinischen 
vollkommen mächtig waren. Er sprach und schrieb lateinisch so 
flielsend, dafa er für den Verkehr mit auswärtigen i>ipiomaten 



biyilizüü by GoOglc 



Fürst W. W. Qolizyn (1643—1714). 



2d3 



nieBt der VermittelTing dflr Dohnetaelier bedurfte. Wir 

wissen, dafs er noch vor dem Jahre 1682 mit den in Moskau 
lebenden Ansiändern einen lebhaften Verkehr nnt^rhielt. AVenu 
wir erfahren , daSa aeine Schwiegermutter , welche um seine Ge- 
mmdheit besorgfe war, ihm den Bat gab, «ich an den Doktor 
Lanrenthu BlomentroBt m wenden, wenn wir aeheni wie er sieb 
aehr b&ufig Gordon an Tisohe ladet nnd mit ibm Aber die An- 
gelegenheit Westeuropas sich eingehend nnteibSlti so dürfen wir 
vermuten, dui's (jolizyn in ähnlicher Weise, wie Peter der (irofse 
einige Jahre später es verstanden habe, durch den Verkehr mit 
den Ausländern den Kreia seiner Senntniaaei Interessen nnd Er- 
fitbrungen aebr weaentlieh sa erweitem. 



Bildung und Lebensweise. 

Weisen wir auf uinigo Züge dieser internationalen Stellung 
Golizyns hin, welche im Gegensätze zu dem Chinosentum der 
Altrossen ihn als einen Geifitesverwaudten Peters erscheinen 
lassen. 

Hier verdient seine Bekanntsebaft mit dem General Gkxrdon 
Beaobtnng. Gordon war mehr als viele andere, in Bnlsland 

lebende Ausländer befähigt, als Lehrmeister strebsamer Bussen 
aufzutreten. In den neunziger Jahren ist er als täglicher Ge- 
sellschafter des jungen Zaren in höherem Mafse Peters Lehrer 
geworden. In Gordons Tagebuch spielt W. W. Goliz>'n, den er 
meist nur ,|Our Bojar" nennt, eine grofse Bolle. Bald iat einer 
„geheimen Unterredung'* erwfthnt, welche Goliayn mit Gordon 
hatte und in welcher von den Angelegenheiten Kleinrufslands, 
von den Beziehungen zum Kaiser Leopold und von der orientalischen 
Frage gesprochen wurde, bald unterhält sich Gordou mit dem 
Fürsten über die Lage der Katholiken in Rufsland und sucht 
durch seine Yermittelnng gewisse Bechte und Privilegien für die 
Katholiken au erlangen, sehr oft ist Gordon des Fttrsten TiMh« 

Posselts Edition (h^^^ Tiigehaohes II, S* 4. 
s) Ebendaselbst U, S. 118. 



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294 Ffint W. W. Golizyn (1648—1714). 

genoBS^ oder reitet mit ihm auf die Jagd; als Gordon sich im 

Jabre 1686 in England aufhält, verschreibt Golizyn, welcher mit 
ilitii überhaupt einen lebhaften Brielwechsel unterhält, durch 
Gordon eine Auzahl von Offizieren, Ingenieuren, Feuerwerkern, 
Miulerem n. s. w. Es iat dieselbe Erkenntnis i dafs man der 
westeuropäischen InteUigens, der aoslandischen Arheitskräfte be* 
dürfe y welche wir anch hei Peter dem Ghrolsen finden. Ahnlieh 
wie Peter der Grofse sich oft mit Gordon über das Artillerie- 
wesen unterhielt. Versuche mit allerlei Gescliossen anstellte, mit 
ihm im chemischen Laboratorium allerlei pyrutechnische Studien 
trieb, so war anch Goiizyn sngegen, wenn Gordon neue Kanonen 
oder Uörser probierte, nnd legte ein besonderes Interesse fStr der- 
gleichen ballistische tlhnngen an den Tag. ^ Mehrmals ist in 
Gordons Tagebnch von eingehenden GesprlUshen mit Oolusyn über 
England die Rede. lubezug auf diesen Gegenstand gingen 
die Anschauungen und Interessen beider Miinner uicht zusammen. 
Während Gordon als eifriger Katholik und fanatischer Anhänger 
des Hauses Stuart für Jakob U. schwärmte und bei Gelegenheit 
der Berolution von 1688 voll Hafs war gegen Wilhelm ULi war 
Gh)lizyn geneigt, für den letsteren gegen den enteren Partei zu 
nehmen. Mit dem grüfsten Interesse lauschte Golizyn, wie wir 
aus Gordons Tagebuche erfahren, den Nachrichten, welche ihm 
GDrdon über allerlei Vorkommnisse in Westeuropa su bringen 
pflegte. 

Wiederholt erwähnt Gordon, der Fürst Goli^ habe bei 
Ausländem, welche in der deutschen Vorstadt wohnten, allerlei 

Festen, Hochzeiten u. dergl. beigewohnt, so bei EIihü Tabort uuJ 
bei Daniel Hartmann. *) Golizyns Sohn , Aiexei , welcher eben- 
falls eine hohe Stellang einnahm und dessen Name auf dem die 
Absohafiung der Bangstreitigkeiten verkilndenden Aktenstttcke 
2U sehen ist, gab einst ein Fest, su welchem auch 6K»rdon ~~ 

Vgl. Gordons Tagebuch II, 14a» 
«) Ebendaselbst II, 806. 

») Ebendaselbst H, 226, 241. 
«) Ebendaselbst II, 167 u. 980. 



» 



biyilizüü by GoOglc 



Fürst W. W. Golizyn (1643-1714). 



295 



wir dürfen vermaton überhaupt eine Anaahl AtuIKnder — ge- 
laden war. ^) 

Den Gesandten der Geueralstaaten behandelte Goüzya mit 
bMonderar Aofmerksamkeit Baron Keller, welcher sn «hm an- 
Biebendstan Illtistratioiien der demtseben Vorstadl: gehörte» bariobtet 
anafÜhrUcb über seme persdnlieben Beeiahimgeii zu dem Minister. 
Es war bei der Steifigkeit des russischen Tones im Verkehr mit 
AuslaTidern. bei der TTnzugänglichkeit der russischen AV^ürdeiiträger 
für gowolinUchen, gesolligen Verkehr eine seltsame Erscheinung, 
dafs Goliayn im Jahre 1683 eine Einladung des Baron Keller 
zum Diner annahm. Er erschien mit einem Ghefolge in vier Ka- 
rossen, wurde gl&niend empfangen und bewirtet, trank auf das 
Wohl der Niederlande, sprach den Wunsch aus, dafs das gute 
Einvernehmen Rufslands mit den (loneralstauten fortdauern möge, 
und untcrliiolt sich nach aufgehobener Tafel mit dem Residenten 
über die Miliz, die Wehrkraft und den Staatshaushalt der General- 
staaten. Ein andermal, es war im Jahre 1687, lud er sich selbst 
zum Baron Keller ein und erschien mit einem grofsen, etwa 
hundert Personen sSblenden Oefolge von Fürsten, G^nerslen, 
Offizieren, Edelleuten und Dienern. Nachdem er an der Tafel 
Platz genommen hatte, bat er sich ein (rlas Wein aus, um auf 
das Wohl und Gedeihen der Generalstaaten zu trinken. Er hielt 
dabei eine längere Bede. Baron Keller antwortete mit einem 
Trinkspmdie anf die Gtesnndbeit der Zariscben It^est&ten. *) 

Aach manche Züge einer wohlwollenden Behandlung des be- 
kannten Schweizers Franz Lefort durch Golizyn werden berichtet.^) 
Nicht umsonst schrieb Lefort nach (renf, man solle von dort aus 
an Golizyn und dessen Sohn Alezei schreiben und um die Ver> 
leihnng eines höheren Banges an ihn, Frana Lefort, bitten: er 
wurde, als es geschehen war, Oberst *) JJm den Fürsten Oolisyn 



') Vgl. Gördens Tsgebnch II, S44. 

«) Vgl. Kellers Bericht in Powelts Werk über Lefort, Bd. I, a 841 
und 870. 

») Ebendaselbst S. 376, 
«) Ustijalow, II, 15. 



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296 FSrtt W. W. Ooliiyn (1648—1714). 

geneigt lu maohaiiy Gbrdoii, welcher Bablead m verlMaen wflnsckte, 
nach England ea entbuMen, sohrieb das Haapt der Familie Gbrdon, 
der Herzog Gh>rdon, Gkmvemeur Edinbnrgs, einen lateiniBcliea 

Brief Uli Golizyii, in ■welchem er ihn mit Konijiümonteu über- 
schüttete, ^) was übrigens Grolizyn nicht abhielt, diesmal in der 
Art eines brutalen türkischen Paschas Gordon recht schlecht BU 
behandeln» ihn, weil Gordon darauf bestehen wollte, ans rnssiaohem 
Dienste entlassen sn werden, mit Schmühnngen an überhSnfen 
nnd den verdienten General auf einige Wochen mm f ähnrieh 
zu degradieren. 

Wie liebenswürdig und cutgegeukomiiieud aber W. W. G-olizyn 
im Verkehr mit Ausländem sein konnte, erfahren wir besonders 
aus der nEelation cnrieose et nouyelle de la Mosoone'*, deren 
Verfasser, Neuville, von den Eindrücken seines Verkehrs mit 
GoUsyn beriehtet. Über die Kossen im allgemeinen fäSlt Neu» 
ville t lu Bclir tadelndcb Urteil. Er nennt sie Barbaren; üie 
wüläten nicht, was Bildung, Anstand und gute Sitte sei ; er be- 
merkt, dais nur vier Bussen des Lateinischen mächtig seien, ein 
Vorsog, welchen sie polnischen Ermehem au verdanken hfttten; 
ohne die Ausländer, meint Neuville, deren eine grol^ie Anaahl 
in Buibland lebten, könnten die Bussen nichts unternehmen, ans« 
fülirlich ergeht er sich über die Trunksucht, den Aberglauben, 
die Unreinlichkeit und Unwissenheit der Russen, er schildert ihren 
Gesichtäkreis als beschränkt, tadelt ihren Alangel an Unternehmungs- 
lust, ihr festhalten am Bestehenden. Selbst über die Narysoh- 
kins, die Verwandten Peters des Grossen, urteilt er sehr abföUig, 
ebenso wie über den Vetter W. W. Gh>lizyns, Boris Alezejewitsch 
Golizyn, den er als einen Trunkenbold bezeichnet, welcher jeder 
Unterhaltung höherer Art unlahig sei. Um so überraschter ist 
Neuville, in einer uoldien Umgebung, in einer solchen (Tcsellschaft 
einen Mann au finden, welcher durch geselligen Anstand, feine 
Sitte, vielseitige Bildung und speaifisch europäische Lebensweise 
ausgeseichnet sei. Golizyn erschien dem firanadsisch^polnischen 



Gordons Tagebuch, IL 



biyilizüü by GoOglc 



Fürst W. W. öoliayn (1643—1714). 



297 



Diplomaten als ein weifser Rabe. Nüuvillü schreibt nach seiner 
ersten Begegnung mit dem Minister, dieser habe ihn so em- 
pÜEUigeii, dafs er, Neuville, geglaubt habe, am Hofe irgend eines 
italieniBoheD Fürsten m win. Die in lateiniBcher Sprache geführte 
Unterhaltung betraf Tenchiedene Ereignisae WestenropaB, wobei 
0olizyn eine übemMchende Sachkenntnis an den Tag legte, 
welche er, wie wir wissen, dem V^erkehr mit A[ännern wie 
Gordon verdankte; als, der russischen Sitte gemäia, sogleich nach 
Erscheinen des Gastes, demselben Branntwein präsentiert wurde, 
beeilte sich der Wirti Goliayn, seinem Qaete, Nenvilie, vom Trinken 
abzuraten, welche Thataaohe denn allerdings auf einen totalen 
Bruch mit der in Huftland herrschenden Tradition schliefsen läfst. 
Im Gegensätze liierzu bestand, wie Neuville gleich darauf erzählt, 
die ganze Unterhaltung bei Boris Golizyn, als er diesen besuchte, 
am Trinken. Au einer anderen Stelle seiner Schrift sagt Neuville 
von W. W. Golizyn, er sei einer der geirtreichsten, der höflichsten 
und praohtliebendsten Fürsten seiner Zeit, und sein Haupt- 
vergnügen sei die Konversation. Er verachte die mssisoheu 
Grofsen wegen ihrer Unfähigkeit und schütze wahres Verdienst 
sehr hoch. 

Neuville schildert ferner, nachdem er selbst Zeuge der 
Katastrophe Golizyns gewesen war, die Verdienste des Fürsten 
inbetreff der inneren Verwaltung, namentlidi inbetrejST der Auf- 
klärung. Er erzlShlt: Oolizjrn habe grofse steinerne Hftoser auf- 
führen lassen, zwanzig Gh»1ehrte ans Griechenland berufen, schöne 
Bücher nach Rufsland importiert, den Grofsen anbefohlen, ihre 
Kinder studieren zu lassen, und ihnen auemplohlen, die Erzieiiung 
ihrer Kinder polnischen Lehrern anzuvertrauen. Gegen die Aus> 
l&nder sei er so liberal gewesen, wie niemand vor ihm, indem er 
ihnen gestattete, ins Land su kommen und dasselbe nach Belieben 
wieder zu verlassen. Auch habe er den Wunsch ausgesprochen, 
dafs die russischen Grofsen sich daran gewöhnten, ins Ausland 

*) Die unliebsame Episode mit Gordon, deren wir oben erwähnten, 
zeigt, dafs Oolizyns Libenlinnus gewisse Grenzen hatte, wie denn über- 
haupt Neuville von einiger Schönnürberei nicht frei su sprechen ist 



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298 Fürst W. W. Golizyn (1Ü43-1714). 

va reisen. Br habe die Abriolit gebebt, eine neue, regnlSr« 

Armee zu bilden, an allen ausländischen Hofen ständige Ixcsi- 
denteu zu unterhalten, in Kufsland völlige (-rewisseuafreiheit zu 
gestatten. Cr trug sich mit den hochiliegeudsten Entwürfen : er 
wollte Wüsten bevölkern» Bettler reich maobeo, Wilde sa Menschen 
umformen, Feiglinge in tapfere Krieger^ Lehmhütten in steinerne 
PalSste verwandeln. 

Xeuvillo ist, ganz wie auch der bekannte Reisende und 
Missionär Avril. in seiner Beurteilung Golizyns von dem InteresF^e 
der icathoiischen Kirche beeioflufst. Dafs der Fürst die Rechte 
der Katholiken anssudehnen geneigt war, iiefs ihn in den Augen 
der Emissäre der Kirche als das Ideal eines Staatsmannes er- 
scheinen. Ausdrücklich lobt Neuville den Fürsten dafür, dafs er 
sich gern mit den Jesuiten unterhalten habe. Die Katholiken 
hatten XTrsache. Golizyns Katastrophe zu beklagen. Sie waren 
entzückt darüber gewesen, dala er seinem Lande die „Gewissens- 
freiheit*^ hatte geben, d. h. den Katholiken freie fieligionsübung 
hatte bewilligen wollen, und muisten es nun erleben, dafs nach 
dem Sturze Qolisyns und Sophiens eine Art Beaktton eintrat 
und dafs in der ersten Zeit der eigentlichen Herrschaft Peters, 
d. h. unmittelbar na^h dem »Staatsstreiche von 1689, die .lesuitt ii 
verjagt wurden. Von diesem Staudpunkte aus mufste die Kata- 
strophe Golizyns solchen Beurteilem, wie Keuville, als ein Unglück 
erscheinen, das die Welt betroffen hatte. Hit ihm schien eine 
Epoche der Beform auch in Bufsland eingeleitet su sein; nach 
ihm konnte man, wie Neuville fürchtete, eine Reaktion, eine Bück- 
kehr zum Asiatentuni erwarten. Ausdrücklich sagt Neuville, mit 
Goiizyn habe Moskau alles verloren! 

Wenn wir aber auch Neuvilles Urteil als überspannt, be- 
fangen und tendeniiös anerkennen müssen, so geht dodi ans 
demselben unsweifblhafb hervor, dafs Gblisyn im Verkehr mit 
Keuville es verstanden hat, dem erfahrenen Diplomaten, dem ge- 
bildeten Vertreter der westeuropäischen Kultur zu imponieren. 
Neuville bemerkt ausdrücklich, dafs Goiizyn ihm mancliorlei von 
seinen Absichten und Entwürfen mitgeteilt habe. Steht auch 



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Füret W. W. Golizyn (1643-1714), 



299 



das, was wälireiul clor Regentschaft Sopliiens auf dem Gebiete 
der innereu E,eformen geschah^ nicht irgendwie im Verhältiiis 
zu den hochfliegenden Plänen, deren bei Neuville erwähnt wird, 
no leugt es immerbin yon einem gewissen geistigen Schwnngei 
Ton ein^m, In Bnfsland damals nicht leicht ansntreffenden poli- 
tischen Idealismos, dafs GoHsyn sein Begiemngsprogramm einem 
Ausländer gegenüber so beredt und anziehend zu entwickeln 
fähig war. Er mochte an die Möglichkeit der Verwirklichung 
seiner Pläne glauben ; während seiner Unterredungen mit Neu- 
ville konnte er nicht ahnen, dafs seiner Thätigkeit als Haupt- 
leiter der mssischen Politik schon so bald ein Ziel gesetst 
werden würde. 

Neuville war etwa vier Monate in Moskau. Er hatte Gelegen- 
heit, mancherlei seihst zu ])eobachten. Die Kindrücke, welche er 
von dem Wirken Golizyns empfing, sowie den Inhalt seiner 
Gespräche mit dem Fürsten teilt er an manchen Stellen seiner 
,3o^tion cnriense*' gelegentlich mit. 

Wiederholt spricht er von der prachtvollen Ausstattung des 
Hanset Golizyns. Es enthalte die kostbarsten Hausgeräte und 
Luxusgegeiifitände : ja, dieses l'alaiR , meint er. sei eins der 
schönsten in Eurojia : es sei mit Kupfer gedeckt, reich möbliert 
nnd mit wertvollen Gemälden geschmückt. Ein ähnliches Hans 
lasse der Minister die Gesandtschaftsbehörden auHÜhren. Diese 
Bant«n, erzählt KenviUsi hätten auf das Publikum gewirkt; es 
sei dadurch Geschmack für schöne und solide Ghibände verbreitet 
worden. Während Golizyn au der Spitze der Geschäfte gestan Ii n 
habe, erzählt Neuville, seien nicht weniger als 3U00 steiuerue 
Häuser in Moskau aufgeführt worden: auch habe er über die 
Moskwa eine steinerne Brücke bauen lassen: es sei die einaige 
steinerne Brücke in dem ganaen Lande: der Banmetster sei ein 
polnischer Mönch gewesen. 

So etwas stuiici allerdings im schrofien Gegensatze zu allem, 
was Neuville in Moskau sonst zu sehen Geleguuheit hatte. Er 
bemerkt sehr wegwerfend, indem er der häufigen Peuersbrünste 
erwähnt, ein Hans in Moskau sei soviel wert als ein ^Schweine- 



300 



P8we W. W. GoUzyn (1643—1714). 



staU*^ in DeatieUaad oder iWikmeh, und beriditet dftbei mit 

Erstaunen, was vor ihm auch andoro Reisende mit Verwunderung 
beohachtot hatten , dafa man die Hunderte und Tausende von 
Häusern, welche alljährlich durch Feuersbrünste zerstört würden, 
leicht eneisen könne, indem auf den Mfekten der Haaptatadt 
ateta rob gemmmerte Hftnaer za kaufen seien. 

Ifeaville erwftlmt aweier grorser Entwürfe Qolizjma, welche 
Beachtung verdienen. Er erzählt, Golizyn habe u. a., um Bufs- 
land auf die Kulturhöhe anderer Staaten zu erheben . den leib- 
eignen Bauern die Freiheit geben und ihnen die von ihnen bebauten 
Grundstücke als Eigentum znweiaen wollen} wonmf denn dieae 
Ornndatäcke Ton Staatawegen nur mäTaig beatenert werden aollteo. 
Er bat fomer die reine Geldwutaohaft atatt der biaher Tor- 
berrsobenden Katnralwirtschaft einführen und den Export des in 
dem Staatsschätze zum Teil die Stelle des Geldes vertretenden 
Pelzwerks, insbesondere der Zobelfeilei an diesem Zweck fordern 
und steigern wollen. 

Dafa in den Unterredimgen Goliayna mit Neuville von der 
Banememanaipation geaprocben wurde, iat allerdiags eine be- 
aebtenawerte Tbatsaebe. Peter bat nie an eine derartige Hafe- 
regel gedacht. Es hat im Gegenteil wiüireiid seiner Regierung 
eine Verschlimmerung der Lage der leibeignen Bauern statt- 
gefonden. Sollte Goliayn in der That sich mit dem Entwurf 
einer solchen Beform getragen haben, ao w8re dieser Fortaohritta* 
gedaake, wenn man die ZeitverbilltniaBe berfioksiebtigt, besonderer 
Aneikennung wert. Wir wissen , dafs m Ende des stebsebnten 
Jahrhunderts in Westeuropa, etwa Kiigland und 01)eritalien aus- 
genommen, die Hörigkeit der Bauern noch eine ganz allgemeine 
Erscheinunj^ war. 

Zur Zeit Goliayns herrschte eine Art Naturalherrsohaft in 
Bulsland vor. Ans Gordona Tagebuch wissen wir, dafs die aoa- 
iJIndisehen HslitKrs einen bedeutenden Teil ihres Gebalts in Zobel- 
fellen erhielten; die Geschichte der Reisen russischer Gesandten 
nach AVesteni'opa lehrt uns, dafs die ilmen iiatgegeijene liai'^chaft 
grolseuteils aus Fellen bestand. Üer Gedanke, durch den ge- 



biyilizüü by GoOgl 



Fürst W. W. Goüzyn (1643—1714). 



301 



steigerten Bzport ton Pelzwerk bares Geld ins Laad va brini^n 
und 80 die (it^eldwirtschaft allgemeiner zu macben, zeugt ebenfalls 
von einer gewissen Vertrautheit mit den damals im Westen ver- 
breiteten national-ökonomischen Theorien, mit einem Gebiete^ auf 
welchem Feter dem OzofieD Bedeutendes su leisten Torbehalten war. 

Ferner« Entwttrfe Golisyns waren an den Osten geknüpft. 
Sibirien sollte zivilisiert werden. 

Neuville hatte sopfleich bei seinem Erscheinen in B-ulalaud 
einen Mann kennen gelernt, dessen Gesichtskreis und Bildnug, 
dessen Weltkenntnis and politische Erfahrung den hochfliegenden 
Intentionen des Fürsten Gblisyn entsprachen. £s war der Ghrieche 
Spa&ri. Bereits in der Zeit Feodmr Alexejewitschs hatte dieser 
durch Sprachkenntnisae und eine etwas abenteoerliche Vergangen- 
heit ausgezeichnete Emigrant in den fortschrittlichen Kreisen der 
höheren russischen Gesellschaft eine gewisse Rolle pfospielt. In 
der letzten Zeit der Kegierung des Zaren Alexei war ISpafari als 
tussisoher Gesandter in China gewesen, üit dem Freunde nnd 
Vertrwiten des Zaren Alezei, dem strebsamen nnd gebildeten, 
Bojaren Artamon Matwejew, hatte er natarwissensobaltliohe Stadien 
betrieben und den Sohn Matwejews in den alten Sprachen unter- 
richtet.^) Man wufste von ihm in der Türkei, von wo aus hervor- 
ragend© Kirchenfiirsten mit ihm in Verkehr standen.^ Mit dvm 
gelehrten Bürgermeister von Amsterdam, Nikolaus Witsen, stand 
er in einem Briefwechsel.^ Wfthrend der Begentschaft Sophiens 
nahm er in der Oesandtschaftsbefaörde eine bedeutende Stelle ein. 
Ihm war der Auftrag geworden, den franz5siseh-polnischen Diplo- 
maten Neuville zu empfangen, ihm während des Aufenthalts in 
B-ulbland Gesellschaft zu leisten. Auf die Gespräche Neuvilles 
mit Bpafari lassen sich manche Angaben der „Belation curieuae*^, 
8. B. über die Feldaiig» GoUsyns in der Krim, mrückföhren. 
Spafari war Tor koraem wiedemun von einer Beise in den ent- 

Siohnrjew, Bd. XIH, S. SSa. 
«) Ebendaselbst Bd. XIV, S. 222 u. Bd. XV, S. 195. 

Guerrier, Leibnitz in seinen Beziehungen ra Peter d^ Grollen, 
8t. Fetersbnrg imd Leipaig, 1873 S. 29. 



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303 



Fürst W. W. Golizyn (164&--17U). 



fernteiten Osten snrtlckgekahrt» B«i dem damals sich lebhaft 
Bteigerudetk Interesse für die Qeogfraphie und Ethnographie Asiens 
war es begretflioh, dafs Keuyille mit grofser Spannung den Er- 

zälihnigcii Spafaris über dessen Reisen laiisclite. Von ihm erfuhr 
er uun, d&^a iiibrti . if des Handels und Verkehrs mit China groise 
Entwürfe best&udeu : durch ganz Sibirien sollte ein grofses System 
Yon Fostaastalten errichtet werden ; Ton je sehn an sehn „Lienes" 
sollte ein Poethaus erbaut werden j man hoflfte anf den sdiiffbaren 
Flüssen Sibiriens eine lebhafte Schiffahrt erstehen an sehen. In* 
dem Neuville diese Bemerkungen mitteilt, fügt er hinzu, dafs 
Spafari in seinen Mitteilungen über diesen Gegenstand einiger- 
mafsen zurückhaltend gewesen sei und z. B. über die Topographie 
Sibiriens wenig gesagt habe, weil man den Weg nach China, 
namentlich yor den Hollftndem, gehetmanhalten suche. 

So hatte denn Nenville den Eindruck, dals mit dem Iii- 

mm 

nisterinm OoHzyn für Rnfsland eine neue Ära hätte anbrechen 
können, wenn nicht der im Jühre 1689 zugunsten l'eters ein- 
getretene Umschwung wie mit einem Schlage alle die an das 
Talent und die Strebsamkeit Golisyns geknüpften Ho£&ian|(en 
vernichtet hfttte. ^) 

"Wir sind in der glücklichen Lage, Neuvilles Angaben in- 
betreff der geihtig« n Interessen Golizyns wenigstens cum Teil 
durch GescIiichtHmateriiilien unvergleiclilich zuverlässigerer Art 
kontrolliereu zu können, und finden allerdings, dals Golizyns Bil- 
dung auf einer überraschenden Höhe gestanden haben müsse. 
Nicht umsonst sagt ein anderer Zeitgenosse, welcher damals 
in Moskau lebte, der Sachse Georg Adam Schlensing: Studien, 
wie GK>Iisyn sie treibe, «seien in Bulsland sonst „ein seltenes 
Wüdbret". ^ 

In dem Archiv des Justizministeriums findet sich die Schilde» 



*) Die Golizyn betreffenden Ausführungen Neuvilles sind in ver- 
schiedenen Teilen der „Relation curieuse et nouvelle de la Moscovie" 
(a la Haye. Ifi99) verstreut: s. insbeaomlore S. 16, 55, 176, 215 u. s. w. 

-i Vgl. den Anhau|^ zu iSchleusiugb Üuch über die beiden Zareu 
Iwau und Peter, K.a]). 2. 



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Font W. W. Golizyn (1648—1714). 303 

rang des Hanm OdIusjh und das Yeraeidmis uiner Bücher. 
OlFenbar war beides bei GMegenheit der Kataatiopbe im Jahre 
1689, als Oolizynt Yemiögeii konfiasiert wurde, zusammeu- 

gebtullt worden. 

Xon der Pracht iu dem Hause Goiizyus können wir uns 
ana dem Hinweise folgender Luxuegegenatände einen Begriff machen. 
In einem Saale hing eine Art Tellnrinm, d. h. eine Nachbildung 
dw Sonne in Qold, eine des Mondes in Silber in Form eines 
kOnstUch gearbeiteten Kronleuchters; da gab es ferner zwanzig 
Bildnisse von Personen aus der heiligen Greschichte in kunstvoll 
geschnitzten üahmen. Vier groDse Bilder aus Deutschland iu 
Bahmen werden noch besonders erwähnt. Golizyn besafs eine 
Sammlung historischer Porträts: Bildnisse des GborsfUrsten Wladi- 
mir von K^ew, des Zaren Iwan IV., Feodor Iwanowitscfa, Michail 
Feodorowitsch , Alezei und der Söhne des letateren; aufserdem 
vier Porträts westeuropniociier Fürsten. An den Wänden eines 
G-emaches hingen fünf hohe Spiegel, deren einer einen Schildpatt- 
rahmen hatte. Dieses Gcrnach hatte nicht weniger als 46 Fenster 
mit Glasmalereien. Im Sohlafsimmer hingen in Tergoldeten fiola- 
rahmen auf Leinwand gemalte , deutsche geographische Karten, 
femer gab ee in demselben Gemaehe vier Spiegel , swei Bttsten 
von Mohren, ein überaus kunstvoll aus Nufshol/ gearbeitetes 
Bett, allerlei Statueu , Nachbildungen von Vögeln und Gräsern. 
Über dem Bett war ein runder Spiegel befestigt. Da standen 
mit goldgeprefstem Leder ubersogene Stfihle und mit Samt Uber' 
aogene Lehnsttthle. Femer sohmflckten Wand- und Tischuhren 
mit Schlagwerk in kostbarem Gehäuse vpn Sdiildpatt und Fisch- 
bein, sowie von rotem Leder die Zimmer. Eine Uhr stellte einen 
Reiter dar. Allerlei Schränke oder Kommoden mit unzähligen 
Schiebladen, Tintenfässer von Bernstein, physikalische Instrumente 
(Bohren und Schalen mit (Quecksilber, woran Kupferplatton mit 
Inschriften) werden erwähnt. Man sieht, der Minister Sophiens 
hatte andere Bedttrfiusse, andere geistige Interessen, als die ge- 
wöhnlichen Bojaren jener Zeit. 

Unter den Büchern und Handschriften in der Bibliothek des 



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804 



Ffint W. W. Golixyn (1648— 171i). 



Fttnten finden wir hiBtorische Sohriiten am der bysantiniaehen 
Gksehicbie^ fheologistdie Werkej Qrammattkeni ein palnied^ee Bn^, 
den Koran, eine Art diplomatischen Handbuchs (,.B<i<i^ vom Ge- 
sandten"), vier deutsche Bücher, vier hciiHischriftliche Werke über 
die Scliauspieikuiibt ; acht Kalender von verschiedenen Jaliren; 
ein juriatifiches Werk über Holland ; ein deutsches Gesaug- 
bncb; eine Oesehichte der polniechen Sprache; ein Werk über 
die Knnei, Pferde an heilen; ein in dentscher Sprache ver- 
fafstes zoologisches Werk, Chroniken nnd mssische Geseia- 
büdier früherer Zeit; ein Handbuch der Feldmefskunde in deut- 
scher Sprache; eine ..Handsclirift von Jnrij dem Serhon". 

Die Vielseitigkeit der Lektüre (iolizyns ist beachtenswert. 
3ian sieht freilich » daJa der Zufall an der ZusammensetsoQg 
dieser Bücher^ und Handsohriftensammlung bedeutenden Anteil 
hatte, aber man muTs anerkennen, dafs die Mannigfaltigkeit dar 
Stoffe und der Sprachen seiner Bücher auf einen sehr ausgedehnten 
Kreis von geistigen Interessen schlielsen lassen. Bibliotheken 
waren iu Hufsland damals, namentlich in russischen ILreiseQi eine 
so gut wie völlig unbekannte Sache. Im Palaste des Zaren, in 
Klöstwtt, bei einseinen aus Polen nnd Chriechenland nach ICoskau 
eingewanderten Theologen mochte man wohl einige Bücher finden ; 
von den russischen Adligen mochten in der zweiten HiUfte des 
siebzehnten Jalirhun l rts wohl nur sehr wenige, etwa nur solche 
vereinzelte Pioniere, wie Artamon Katwejew oder WassUij üolizyn, 
überhaupt mehrere Bücher besitzen, welche die verschiedensteD 
weltlichen Stoffe behandelten. Die geistliche Litteratnr war sonat 
die allein herrschende. 

Besondere Beachtung verdient in dem Katalog die Erwähnung 
der ^HandschniL des Serben Jurij". Wir dürfen kaum daran 
zweifeln, dafs wir es hier mit den wenige Jahre vor der Regent- 
schaft Sophiens in Tobolak verfafsten Schriften Jur^ Krishanitsohs 
SU thun haben, welche erst in der allemeoesten Zeit mm 
grdfstea Teil durch Bessonow in Koskau lisraa^gegeben' wurden. 



*) Ssolowjew, Geschichte KulalÄuds Bd. XIV, S. 97, 98. 



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Fttwt W. W. Golizyn (1648—1714). 



305 



Bieae Schriftan atellen eine Art Encyklopädie der Staatswimen* 

Schäften dar, enthalten ein grofsartiges Beformprogramm für Bufs- 
lands politische and soziale Entwickehing und zeugen von einer 
aliumlaasenden Bildung des Verlassers, eines GeistUcheu, welcher 
allerding« aeine LehraMit in Italien Terbraohte, ungemein beleaen 
und kenntnisreich war. Krishanitschs Eeformentwürfe entsprechen 
mm Teil der Bichtung, in welcher Peter der Grofse wirkte. Er 
kann als ein Gkistesrerwandter nnd Yorlftnfer des genialen Zaren 
betrachtet werden. Seine Schriften bieten eine unerscliopfliche 
Pülle geistiger Anregung. Wenn Goliz}'n auch gar nichts anderes 
gelesen hätte, als Krishanitschs, in der Verbannnng an Tobolsk 
▼er&fste Ansfühmngen, in denen alle den Staat nnd die G^sell- 
aehaft, das internationale Leben, das Becht nnd die Wirtschaft, 
den Handel, die Indastrie und die Lsndwirtschaft, die Beligion 
und die Moral, das Heerwf.sßn nnd die Vemaltung bctrefrcndon 
Fragen erörtert werden, er wäre der gebildetste Kusse seiner 
Zeit gewesen. Diese Schriften waren damals sonst so gut wie 
vöUig unbekannt, nnr eines Exemplars dieser Handschriften wird 
in den Akten der Falastyerwaltung erwähnt, eine sweite Brwfihnung 
ist diese in dem Katalog der Bibliothek des Fürsten Golizyn. 

Der Besitzer eines solchen Hauses, einer solciien Riicher- 
sammluDg, der gewandte Gesellscliafter, welcher ohne alle Schwierig- 
keit in dem kosmopolitischsten aller Idiome sich ausdrücken konnte, 
der russische Bojar, welcher ausnahmsweise als Europäer mit 
Europäern verkehrte, muTste den Ausländem imponieren* Hit 
glänzenden geistigen Mitteln Tereinigte er 'einen wahrhaft fUrst» 
liehen Reichtum. Seine Schätze hätten ihm gestattet, einen 
asiatischen i^ump zu entwickeln, er zog die Allüren eines west- 
europäischen Qrand Seigneurs vor. 



Den deutschen Lesern ist Krishanitsch so gut wie ausschliefslich 
ans idner Abhandlung in Bodenstedts Fragmenten bekannt Selbst in 
Bttlsland ist die Edition dw Schriften Erishsnitsdis nnr wenig beachtet 
worden. Heine Abhandlung: „Ein Kleiderreformprojekt vor Feter dem 
Qrorsen" behandelt einige Seiten der bändersichen Schriften Krishsmtsohs, 
s. oben Nr, 7. 

90 



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306 Font W. W. Golisyn (1648—1714). 



Bei Gelegenheit des Sinnes GoUzyns iat ein Verzeiclinis 
seiner G-Ater, Hänaer n. dergl. angefertigt worden. Im Jahre 
1689, als GoUsyn sich am Ziele seiner Lanfbahn befand» gehörten 

ihm eine Menge Dörfer in der Nähe von Moskau ^ femer ein 
Dorf in der Nähe von Nishnij-Nowgorod. In Moskau Ijeculü er 
aufser seinem grüfsen Palaste noch ein Hauä, ferner in der un- 
mittelbaren Nähe der Hauptstadt awei Lnstsohlösser, deren eineB 
er von einem Ansiinder gekanft hatte. DaTs diese letztere Be- 
sitanng yon Gartenland umgeben war» ist aus dem Umstände aa 
ersehen, dab die Begterung dieses Grundstück dem Apotheker- 
Kessort zu dem Zwecke überliefs, damit dort iillcrlei Apotheker- 
gewächse gezogen würden. Von Interesse ist es, dafs dieses Land- 
haas sich in der unmittelbaren Nähe der deutschen Vorstadt befand. 

In dem Yerseiohnis der konfiszierten G^nstände des be- 
weglichen Yermögens Golizyns finden wir: Gold^ Silberi Heiligen- 
bilder, Edelsteine, kostbare Kleidnngsstttcke , KrystallgefiUae ; 
ferner: Pferde, Equipagen, Zelte, Tischgeräte und Weine ; sodann: 
Waffen, Orgeln und andere musikalische Instrumente ; endlich: 
Betten, Atlasdecken u. 8. W. 

Welchen Wert diese Gegenstände repräsentieren, kann man 
daraus ersehen, dafs ein Teil derselben, als nach Golizyns Tode 
die Kinder desselben etwas von der konfiszierten beweglichen Habe 
zurückerhalten soUteu, aui Vurtüguijg der iiegierung folgendci- 
uiafsen geschätzt wuide. Da gab es einen Posten von biiber- 
gesohitr im Gewicht von 5 Pud oder 200 Pfund; silbernes Pferde- 
geaohurr f&r die Summe von d541 Bubel, was bei dem Sinken 
der Mfinzeinheit in den letzten zwei Jahrhunderten anf gegen 
60000 Rubel naeh gegenwärtigem Geldwerte geschätzt werden 
mufs. ^) Es entspricht diesen Angaben, welche sich in Geschäfts- 
papieren finden, wenn Neuville erzählt, daiis Golizyn 400 silberne 

Die Berechnung ist folgende: ein Tschetwert Floggen kostete zur 
Zeit Golizyns 50 Kopeken; gof^enwiirtigr ungefähr 8 Kübel. Ijegi man 
also den (»(^truidepreis dem Geldwert zu Grunde, so darf man einen 
Eubel von 1689 mit 15—16 multiplizierea, um den heutigen Geldwert 
zu ennittehi» 



üiyilizö 



Ffirat W. W. öolkyn (1643—1714). 



807 



Schüsseln besessen and dafs man in den Kellern seines Hauses 
100000 Dukaten in barem Gelde gefunden habe. — Andere be- 
richten Ton grofsen Mengen Ton Loniadori welche im Beeitse 
Golisyns yorgefonden worden seien.*) 

Ans der Geschichte Gblizyns wird ein Zog Ton großartiger 
Wohlthütigkeit berichtet. Man erzählt . dafs , als die Bewohner 
der Stadt Tschigirin im J. 1677 infolge der AV irren in Kiein- 
mfflland and der Angriffe der Türken ▼erarmteny Golizyn eines 
seiner Güter , welches sechzig Banemhöfe aShIte, Terkaoftei am 
diese yerarmte Bevölkernng Tschigirms an nnterstütaen.*) 

Dab sich Golisyn aller Wahrscheinlichkeit nach manchen 
seines kolossalen Vermögens nicht auf rechtmäfsige Weise er- 
worben habe, wird sogar von seinem Bewunderer Neuville za- 
gegeben. Er spricht die Vernintung ans, dafs manche der in 
Golizyns Besitz gefundenen Gelder nnd Kostbarkeiten von dem 
im Sommer 1687 gestOrsten Hetman Ssamoilowitsch herstammteui 
so dafs Golizyn, welcher hei der Katastrophe des Hetmans nicht 
unbeteiligt war, diese Dinge widerrechtlich au bicli gehnicht habe. 
Dafs Golizyn von solchen Ereiguiaseu Nutzen zu ziehen verstand, 
erfiediren wir aas folgendem aktenmäfsig bezeugten Umstände: als 
anter Gk^lisyns Auspizien an Ssamoilowitsohs Stelle Maseppa 
snm Hetman gewühlt wurde, muTste der letstere dem Fürsten 
Golizyn ein Geschenk von 10000 Bnbeln in Dukaten nnd Thalem 
machen, welche er nach dem Sturze Golizyns ala ein erprefstes 
Geschenk zurückerbat und erhielt. ') 

Unzweifelhaft verdankte Golizyn den gröfsten Teil seines 
Beiehtnms seiner GOnstlingsstellong während der Begentachaft 
Bophiens. Wir wissen, dafs er bei jeder Gelegenheit, bei Feld- 
lügen, Friedensschlfissen n. s. w. ansehnlicfae Belohnungen, D5rfer, 
G^ld, wertvolle Gegenstände erhielt. Die Prinzessin, welche ihn 
liebte, war zur Verschwendung geneigt, wenn es galt, den von ihr 
verehrten Mann reich und glücklich zu machen. 

Sclileusing a. a. O. und Gespräche im Eeiche der Toten a. a. 0. 
^ Tereschtschenko, S. 138. 
•) Ustijslow, a. a. 0. Bd. L S. MO und 866. 



20^ 




308 



Fürst W. W. Golizyn (1648--17U). 



Man hat über diese penönlioheii Benehvngen GkilisynB mr 
Eegentin eelir Tiel getfKrooheii und gesehrieben. Aber die von 

Neuville vorgebrachten Erzählungen scheinen denn doch sehr un- 
zuverlässig zu sein.^) Nach seinem Sturze ist er beschuldigt 
worden, er habe aiob durch Yennittelung eines Bauern einen 
Liebestrank sa Tergehaffen gesndit, um dae Hera der Frinzeeain 
m gewinnen, und hinterdrein, nm jede Spur dieser That an 
tilgen, den nnglückliohen Bauern verbrennen lassen.*) Er selbst 
hat diusc Li:anze Geschichte als völlig au» der Luft gegriffen be- 
zeichnet. Auch wissen wir, dafa Golizyn im Grunde keiner 
Zaubertr&nke bedurfte, um der Zuneigung der Prinzessin siciior 
SU sein. War Qoliayn abeigläabisch, so teilte er diese Sohw&cbe 
mit vielen ZeitgenosBen. Die Prinaessin Sophiei der belesene» 
gelehrte Geistliche Hedwe^jew nnd andere, glaubten an allerlei 
Spuk nnd Zauber. Ein Wunderdoktor aus Polen, welcher 
des Zaren Iwan kranke Augen behandelte, hatte gelegentlich aucli 
den Fürsten W. W. Golizyn zu behandeln und äufserte, nachdem 
er den Patienten betastet hatte, Qoliayn liebe das AusÜndisohei 
seine Fran aber liebe er nicht. Derselbe Arst soll von Ked- 
we^ew befragt worden sein, ob die Prinzessin Golisyn heiraten 
werde, ob er, Medwedjew, Patriardh werden würde n. dergl. m., wo- 
rauf er dann das Abenteuerlichste in der Sonne gewoben zu haben 
vorgab. Ein Diener Golizyns erkrankte plötzlich an einer Ohn- 
macht und band als Heilmittel dagegen etwas Erde in ein Säckchen. 
Er wurde beschuldigt, den Ffirsten durch Zauberet verderben an 
wollen, weil er die Erde dort aufgelesen hatte, wo Gktlizyn ge- 
gangen war, nnd weil ein solches „Sammeln der Spur", nach da- 
malig; \'ülksgluul)eij. den Tod des Betreffonden zur Polge zu haben 
pflegte. Der üngliickliche wurde grausam gefoltert und bestraft.'*) 
80 stellt denn Golizyn eine eigentümliche Mischung von Be« 

Neuville behauptet entschieden, S. 159, dafs Sophie Kinder von 
Golizyn hatte und ihn habe heiraten wollen. 

*) Der bekannte Sylvester Hedwedjew hatte sich diese Episode von 
einem ^Zauberer" ensühlen lasten. Ustijalow glaubt darsn; s. a. a. O. 
II. S. 48—49 u. 344. 

') Vgl Ustrjalow a. a. 0. S. 48—49 and HaUnowak^ a. a. 0. & 8S. 



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Fürst W. W. (jolizya (1643—1714). 



309 



schränktheit nod AnfkUtrung, Yon einer gewiisen Ghröfee nnd 

schmutziger Habgier dar. Betrachten wir aeine Thätigkeit während 
der Regentschaft Sophien«. 

Golizyn als Staatsmann. 

Charakter und Um&ng jener hoefafli^enden Entwflrfe, deren 

Golizyii iu aeinen Unterreduügeu mit NruviJle urw ahnte, entsprechen 
nicht der Thntigkeit GolizynB als Staatsiuann , insoweit dieselhe 
auf die innere iPolitik gel ichtet war. Alierdings währte die Zeit 
dieeer Wirksamkeit GoUayns mir sieben Jahre; allerdings mniste 
in dieser Zeit seine Hoaptanfmerksamkeit den Fragen der aus- 
wärtigen Politik gewidmet sein; allerdings sah er sich bei allem, 
was er nnternahm, von Gegnern bedroht, welche darauf sannen, 
ihm zu schaden — ein Umstand, welcher etwaigen reforma- 
torischen Entwürfen nicht günstig sein konnte — dennoch dürfen 
wir uns darüber wundem, dafs die Geschichte der Gesetsgebong 
und Yerwaltung keine eiosige grondlegende Habregel, keine 
einaige, eine wesentUobe Neuenrng einleitende organische Ver- 
ordnnng aufweist. 

Dafs man unmittelbar nach der Krisis im Alai 1(582, also 
sogleich, nachdem die erschütternden Ereignisse nach dem Tode 
des Zaren Feodor Sophien und Golizyn an die Spitae der Gescliäfte 
gestellt hatten, an grolsartigen durchgreifenden Ifalhregeln h&tte 
schreiten können, daran war nicht au denken. Die ersten Honate 
der Begentsohalt Sophiens sind mit angestrengten Versuchen aus- 
gefüllt, nach den Unruhen endlich eine gewisse Stille und Sicher- 
heit in der Hauptstadt und im iteiche herzusteiieu. Wir dürfen 
vermaten, daDs Sophie einen Anteil an der politischen JELoUe 
hatte, welche die rebellischen Strelay im Mai 1682 spielten. Jetit 
galt es, den entfesselten Sturm su besdhwl^ren. Es folgten im 
Sommer des Jahres 168S die Unruhen der Sektierer, welche die 
öffentliche Sicherheit bedrohten , das Bestehen der offiziellen 
Kirche in Frage stellten und durch ihre trotzige Haltung die 
Begentin au streogeu Kafsregeln nötigten. Über die Haltung 



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310 Font W. W. GdUsyn (1648-1714). 

Goliayns bei dioMD EreignisBeD, welche der Begentin Oelegenheit 
gaben, mEnnlidieii Xati imponiennde Beredsamlceit sa ent&lten, 
haben wir kerne Nachrichten. Bald darauf folgte dann jener 

Versuch des Fürsten Chawanskij, eine Art Militärdiktatnr aulzu- 
richteQ| der Begentin an der Spitze der Armee eine gewisse 
Konkarrenz zu machen : der Hof rettete eich ans der Hauptstadt 
fort; durch allerlei Bttnke lockte man den Fflraten Ghawanskg 
und dessen Sohn in eine Falle und liefs sie beide enthaupten. 
Bei der hierauf folgenden Befestigung des Klosters Troiza, wo- 
hin Sophie sich begab, hat denn AV. AV. (julizyu wesentliche 
Dieuste geleistet. Erst nachdem man aus den verschiedeueu 
Teilen des £«iches die Miliz aufgeboten hatte, um nötigenfalls 
gegen die rebellischen Truppen der Hauptstadt zu kämpfen, 
konnte die Begiening ihr Dasein als gerettet» sichergestellt be- 
trachten. 

So waren denn die Anfinge der Kegieruiig Sophions allzu 
stürmisch, als dafs man au innere Beformeu gedacht hätte. Später 
mufste man sich sehr eingehend mit der baltischen Frage , mit 
den Beziehungen su Polen und den Tataren beschäftigen. Die 
inneren Erschflttemngen hatten dazu beigetragen , das Ansehen 
des Beiches im Auslande au mindern. Wfthrend man allerlei 
Symptome einer revolutionären Gährung im inuera des Reiches 
zu bekämpfeu hatte, Strelzy und liabküluiku, Häuber und Kosaken 
im Zaum hielt, mufste man Anstalten treffen, dafs Polen ¥on 
solchen inneven Krisen keinen Nutzen zog. Polen lauerte nur 
auf eine GUegenheit, das verlorene KleinruDiland wieder an er- 
obern, und agitierte dort durch zahlrmehe Emissäre, welche dureb 
Versprechungen und Drohungen auf die Bevölkerung zu wirken 
suchton. T)a mufste es denn als ein grofser Vorteil erscheinen, 
dafs BiUlsland gleich in den ersten Jahren der Regierung Sophiens 
durch geschickte Verhandlungen mit der (ateistlichkeit in Klein- 
rufsland und mit dem Patriarchen von Konstantinopel das Recht 
erhielty den Metropoliten von K^ew aus eigener HachtvoUkommen- 
heit zu ernennen. Dadurch ward eine Einheit der Kirche her- 
gestellt, welche die Annexion KleinruTiBlands vollendete. Ja» 



biyilizüü by GoOglc 



Fant W. W. Golkyn (1648—1714). 



311 



man erlangte dadnroh, dafs die Orthodoxen ib Polen, welobe in 
geistUohen Angelegenheiten Ton dem K\|ewer Metropoliten ab- 
kingen, indirekt unter dem Einflnaee Moakans aianden. War 

auch das Hauptverdienst bei dieseni wichtigen Ergebnis, wie aaa 
den Einzelheiten dieser Anj^elegenheit hervorgelit , dem Hetman 
Ssamoilowitsch zuzuschreibeni so darf mau doch annehmen, dala 
auch Goliayn, ala Leiter der anawftrtigeD Politik EnlUaiida» einen 
weaentliolien Anteil an dieaem Erfolge hatte. 

Im allgemeinen war die Begierang damala der Obenengong, 
dafa man mit Sehweden und Polen Frieden halten müsse, um 
auf dem Gebiete der auswärtigen Politik iille Kraft auf eine 
aggressive Bewegung gegen die von Süden her das Beich unab- 
Itoig bedrohenden Tataren zu Terwenden. 

So hat aioh denn die B^gierong, und namentlich der FOrat 
Oolisyn, den Vorwarf der Schwäche und allaa grofaen Nachgiebig- 
keit gegen Schweden sngezogen. In der Zeit Feodora hatte Bula- 
ianil um einige Grenzgebiete mit Schweden gestritten. Diese 
Verhandlungen wurden in MosksU| wo eine schwedische Oesandt- 
aohaft erachien, fortgesetzt und von Gblizyn peraönllch geleitet; 
aie endeten mit einer Beatitigong dea Friedena von Kardia, d. h. 
mit einer formellen VenichtleiBtiing auf die atreitigen Qrena- 
gebi^ TOnaeiten BnAlanda. *) 

Spätere Schriftsteller haben Goiizyn für einen solchen üifä- 
erfolsf verantwortlich gemacht, lialiucwskij geht so weit, zu 
behaupten, Golizyn hätte, wenn er ao klog gewesen wäre, die 
damaligen TJnmhen in Schweden an benfitaen, leicht einige Oat* 
aeehüfen f&r Bnlaland ertrota«i kdnnen, wodurch dann Peter dem 
Grofaen der nordiache Krieg erapart geblieben wSre (!). Andere 
gehen noch weiter und behaupten, Goiizyn sei von den Schweden 
bestochen worden. 

Wichtiger, ala die Beziehungen zum Kurfüraten von Brandeu- 

^) Die Geschichte dieser Yarhandlimgen bei Ustrjalow 1. 8. 188 u. £Ci 

«) Ustrjalow I. S. 117 u. ff. 

') Tereschtschenko S. 153. Uatrjalow hat keinen Verdacht ge* 
äuTsert. 



ßy Gbogle 



312 



Fflnt W. W. Gblizyn (1648—1714). 



bürg, welcher sioh hei Bu&knd fUr fraoiStuche Bmigr»ntea 

(Hugenotten) verwandte, oder als die Abfertigung einer miaiMlieii 
Gesandtschaft (Dolgorukijs) nach Frankreich , welche Voltaire 
veranlafst hat, dem Fürsten (ioiizyn hohes Lob zu speaduu, 
war der AhsohluTs des ewigen jE'riedens mit Polen, und hiev hatte 
Goliiyn nnsweifelhafte Verdienste all Diplomat. 

Jahrsehnte hindnrdi hatte der Krieg swiachen Polen und 
Bnfeland gewährt. Sehr oft hatte England Tataren nnd Tflrken 
gugeu Polen, ebenso oft Polon, Tataren und Türken gegen Rufs- 
laud gehetzt. Jetzt endlich meinte man gemeinschaftliche Bache 
gegen Türken und Tataren machen zu müssen. Auch die Ereig> 
nisse in West^Enropa hatten das Interesse an der orientalisoben 
Frage gesteigert. Die Bebellion Tököljs, weleher in ähnlicher 
Weise sieh mit dem Sölten gegen Österreieh verband, wie kon 
zuvor Jjoroschenko sich mit d<*r Türkei gegen Kulsland vereinigt 
hatte, die Belagerung Wiens durch die Türken, der hervorragende 
Anteil, welchen der König Jan Sobieski an der Rettung dar 
Kaiserstadt nahm — alles dieses veranlaTste Bnfiiland sa einem 
energischen Vorgehen in der orientalischen Frage. In der AHiana 
swischen Leopold und dem Könige von Polen war verabredet 
worden die Zaren zum Beitritt zu derselben zu veranlassen ; dieser 
Wunsch wurde wiederholt, als die Republik Venedig dem iSundnis 
sich ansohlofs. Sobieski schrieb an die Zaren, es sei die Zeit 
gekommen, die Türken ans Europa au verjagen. Bulsland mufste 
empfinden, dab es in seinem Interesse lag, an der allgemeinen 
Bewegung gegen die Pforte teilsnnehmen. Siegte die Türkei 
über Österreich und Polen, so konut ii leicht tiiiki.^^ ht Aihk n 
vor den Mauern K.^ews erscheinen, siegte i'uleu, so war für 
Bofsland das Übergewicht dieses, ohnehin gefährlichen, Nachbar» 
Staats au fürehten. Es gab eine Solidarität der Interessen Polens 
und BuTslands. 

Aber der Gegensatz der beiden Beiche nnd Völker war 

zu andauernd und tiefgehend gewesen, aiu Jalb man zu einer 

0 VgL dessen Qesoh. Pete» d. Qr. frz. Ausg. v. 1808, Bd. L S. 101. 



biyilizüü by GoOglc 



Fürst W. W. Golizyn (1643—1714). 



313 



Ztatf wo mao iiil>elreff Kldmniftlandg und S^^ewi nur einen 

Waffenstillstiind geschlossen, nnr ein Provisorium kreiert hatte, 
ao leicht zum Abschlufs eines ewigen Friedens gekommen wäre. 

Immerhin machte Golisyn seit dem Anfange des Jalms 1684 
cUe energiBohsten Yerraehey eine Einigang mit Polen «utande ma 
bringen. Die EinieUieiten dieeer VerhAndlongen sind liier nicht 
▼on Interesse. Im Januar 1B84 trat in Andmasow ein Kongrefs 
russischer und polnischer Diplouiuteu zusammen: die Fragen, wem 
Kijew gehören sollte und ob man sich entechÜelsen mochte, ge- 
meinsam gegen die Türken vorzugehen, bildeten den Gegenstand 
der Verhandinngen in nennnnddreifaig Sitanngen. Diese blieben 
erfolglos. 

Golisyn, welcher nicht unmittelbar, persönlich an diesen Ver- 
handlungen teiln iiiiii, hfsciiäftigte .sich n: ÄLoskau eingehend mit der 
orientalischen >Vage. Er besprach sich u. a. über diesen Uegeu- 
etand mit Gordon. Beide, Golizyn und Gordon, hatten Jahraehnte 
lang den kleinnusisoh-orientalischen Yennittelimgen su folgen 
Qel^nheit gehabt; beide hatten an den Tsohigirin-Feldsügen 
teilgenommen. Gordon hatte durch lingeren Aufenthalt in Klein- 
Kufslaiid. namentlich in Kijt'W, an der Grenze der Steppengegend, 
über welche hinweg mau mit den Feinden der Christenheit 
eusammenstofsen mufste, eine fülle von Erfalirungen auf diesem 
Gebiete erworben. Er war während seines Anfenthaltee in diesen 
Grenalanden Zeuge der YerwÜstnngen gewesen, welche die Tataren» 
mitten im Frieden in russisches oder polnisches Gebiet ein- 
brechend, anzurichten pflegten. Seine militärische Erfahrung 
Wulste (Tolizyn zu schätzen. 

Als nun Gordon, auf einige Wochen seinen Aufenthalt in 
Klein-Bufsland unterbreohend, Anfang 1684 in der Hauptstadt 
weilte, und sehr hinfig im Hause des Forsten Golisyn ans- und 
einging, veranlafste der letstere Gtordon, ein allgemein politisches 
Memoire über die eventuelle Thunlichkeit eines Feldzuges gegen 
die Tataren aufzufassen. 

Dieses Aktenstück liegt uns vor. Gordon hat es in seinem 
Tagebuche seinem gaoaen Inhalte nach mitgeteilt. Es ist in dem- 



314 



Font W. W. Golkyn (1648—1714). 



selben gewisBenoaben das Progminm der Qeechiohte der folgendeD 
Jahre beecUoieeii. Hst aiiek Gordon, indem er snvernditlich an 
den Ürfolg einer Aktion gegen die Tataren glaubte, in der Haupt« 

Sache geirrt, so sind manche einzelne Erwägungen, welche er in 
diesem Memoire vorbringti geradezu divinatoriBch und zwar ins- 
boBondere inbetre£f Golizjns. 

Weisen wir daher auf die wesentlichsten Grundzfige in diesem 
Aktenstück hin, 

Gk»rdon sShIt znnSohst alle Argumente gegen den Krieg auf. 
Da heifbt 00 : „ Während der Mindirjaiirigkeit der Zaren öiud die 
Reichsverweser jederzeit vorsicküg, behutsam und wenig geneigt 
gewesen, einen Krieg anzufangen , damit, wenn dieser unglück- 
lich ausschlagen sollte, der Honarok in reiferem Alter denen, 
welche einen Krieg angeraten oder denselben som wenigsten nicht 
gehindert hatten, die Schnld nicht beimessen möchte. — Da 
gegenwärtig zwei Zaren sind, so wird der Staat dadurch in Par- 
teien geteilt, und die Uneinigkeit, Eifersucht und Zwistigkeiten 
der Grofsen erzeugen Verwirrung und Unentschlossenheit in ihren 
Beratschlagongen , welches bei einem Kriege grofse Hindernisse 
▼emrsachen mnfs". Oordon macht ferner auf den GMdmangel 
in dem Staatsschatae, auf die schleckte Disziplin in der Armee 
und auf andere Umstände als auf Gründe der Erhaltung des Frie- 
dens aufmerksam. — In der zweiten Hälfte seines Memoires ent- 
kräftet indessen Gordon alle diese Argumente, zählt einige Bei« 
spiele auf, aus denen hervorgehen sollte, dafs auch in Zeiten der 
Hindeijithrigkeit mehrerer Könige erfolgreiche Kriege geführt 
worden seien; die Parteiungen der GroXsen seien ihrem eigenen 
Interesse zu sehr entgegengesetzt, als dafs sie dieselben nicht 
selbst überwinden würden; Geld würde man schaffen können: bei 
der Armee müsse man für strenge Manuszucht sorgen; Beloh- 
nungen und Strafen würden entscheidend wirken u. ■. w. (}or- 
don aeigt dann, wie die diplomatiscken Beaiebungen Bnfsland an 
einer Aktion nötigten und hebt berror, wie man „Gott einen an- 
genehmen Dienst leisten" werde, wenn man das B&ubemest der 
Tataren zerstöre, d. h. die Krim erobere. Der Marsch durch 



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Fürst W. W. üolizyu (1643—1714). 



815 



die Steppe, memt Gbitlon, biote keiiie so grofsen Soliwierigkeiieii 

dar; der Erfolg sei mit Sicherheit zu erwarten.^) 

In dem letzteren Punkte war Gordon in einem unheilvollen 
Irrtum befangen 1 Der I£ar8ch durch die Steppe bot, wie die 
Bpäteren Feldstlgo darthaten» bei den damaligen anToIlkommenen 
Verkebnmitteln und der mangelbaftea lülitSrverwaltiing fSwt nn- 
fibersteigliche HindemieBe dar. Daran Bcbeiterten die TJntemefa- 
LuuDgen Golizyns einige Jahre später. TJm so begründeter waren 
Gordous in der ersten Hälfte seiner Memoiren geäufserten Besorg- 
niBse, welche wesentlich Golizyn l^etrafen. Die wenige Jahre 
später eintretenden £reigniBBe aeigten, daTs Golisyn als |,iteidiB- 
Terweeer<* dem mindegälirigen Zaren Peter gegenüber mit den 
Feldafigen in der Krim eine schwere YerantwortUclikeit auf Bioh 
geladen hatte ; der MiTserfolg der Jahre 1687 nnd 1689 hat in 
erster Linie Golizyns Sturz bewirkt ; nicht umsonst hatte Gordon 
mit für Jene Zeit erstaunlicher f'reimütigkeit von den Parteiungen 
der Gbroisen als Yon einem Ergebnis des Umsiandes, dafs man 
xwei Zaren habe» nnd als von einem Hindernisse des Erfolges g«* 
sproehen. Sp&ter oder firflher mnfste der Konflikt swischen 
den Parteien Iwan nnd Peter an einer Krisis flüiren. Ooli- 
zyn fiel als ein Opfer derselben. Auch die Mängel der Ainiee- 
verwaltung, die Lockerheit der Disziplin hatte Gordon nicht ohne 
Ursache als bedenklichen Grund gegen eine Aktion bezeichnet. Sie 
haben wesentlich inm Scheitern der Fcidsfige der Jahre 1687 
und 1689 beigetragen. 

Gklizyn scheint anf Gh>rdons Bedenken mehr Gewicht gelegt, 
als dessen Optimismus geteilt zu haben. Er liefs die Unter- 
handlungen in Andrussow abbrechen und es kam erst drei 
Jahre, nachdem Gordon zu einer Aktion gegen die Krim ge- 
raten hatte» an einem Versnobe, in dieser £iohtting etwas an 
nntemehmen. 

Dagegen liefii Polen nicht nach. Im Ksi 1684 erschien 
eine polnische Gesandtschaft in Moskanf welche die Angabe 



^) Gordons Tagebuch, IL S. 4— IL 



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316 Pürtt W. W. GoUzyn (1648—1714). 



hatte, EufilaDd su einem Angriff »n£ die Krim za bewegen. 

,,I>ie rechte Hand des Sultans sollte abgehauen werden.'^ So 
bezeichnete man die gehoffte Eroberung der tatarischen Halb- 
inflei. Golizyn erklärte sich zur Aktion bereit und knüpfte 
daran nur die Bedingung der definitiven Abtretung K^e^ 
an Bufa)and. Die letttere Stadt war in dem Frieden von An* 
dmasow (1667) nur aeitweilig den Bussen flberlaesen worden. 
Diese Forderung RuTslnnds sowie einige Mifserfolge der Polen 
in dem Kampf mit der Türkei hatten zur Folge, dafa die 
in Moskau gepüogenen Unterhaudlimgen (X6B4:) zu keinem Ab- 
Bohlols kamen. 

Da erschien Anfiuig 1686 abermals eine polnisohe Gesandt- 
schaft in Moskau. Sieben Wochen lang w&hrten die daawisohen 
mehrmals unterbrochenen Unterhandlungen, an denen Gh>U2yn 

dieses Mal unmittelbaren und persöuliclien Anteil nahm. Hier 
zeigte er ungewöhnliches diplomatisches Talent, Durch eine ge- 
wisse Festigkeit, die so weit ging, dafs man, als die polnisdien 
Gesandten inbetreff Kgews nicht nachgeben wollten, ihnen 
Pferde nnd Eqn^agen fOr die nnTerzSgliclie Abreise sur Ver- 
ftgung stellte, verstand es GK>lisyn, die Polen mürbe su machen. 
Rufsland erhielt Kijew , wof ir es rtllerdmgci eine Summe von 
146 000 Kübel zahlte ; die Rechte der Orthodoxen in Polen wurden 
gemehrt; beide Mächte verpflichteten sich su einer gemeinsamen 
Aktion gegen den Orient. 

Der Abschlufs dieses ,»ewigen*< Friedens mit Polen galt fttr 
ein ungeheures Ereignis. Golixyn meinte» die Begentin habe 
sich damit ein unermefsliches Verdienst um das Reich erworben. 
Überreich ist or dafür belohnt worden. «Wir haben," sagte 
Sophie in einem ilanifest, „einen iür KnÜBland so ruhmreichen 
Frieden geschlossen. Bufslands Bnhm erschallt laut bis an die 
ftuTsersten Grenzen der Welt n. s. w.* ^) 

Gbliayn befand sieh auf der Höhe sdner historischen Bolle, 
seiner gllnsenden Stellnng. Nicht ohne Genugthuung mochte er 

») Vgl. üstrjalow a. a. 0. I. S. 162—17». 



biyilizüü by GoOglc 



I 



Fürst W. W. Golizyn (1643—1714). 3 1 7 

erfahren haben, dafs der König von Polen thränenden Auges 
die Ratiilktttion des Friedens vollzogen liabe. Ob er aber im- 
staode sein werde, erfolgreich gegen die Tataren zu käirpfen, 
war eine Fnge. GU>liayii, der Diplomat» hatte Qrofseres geleistet, 
als Gblisyn, der Feldherr, sn leisten hemfen war. 

Golisyn als Feldherr. 

Über Golizyns militärische Talente habeu wir 8ohr wenige 
Nachrichten. Was wir Ton seinem Anteil an den f^eldzügen in 
Kleinmlsland in den eiehsiger Jahren wissen, ist kaam der Eede 
wert. Dafs er in dieaer Zeit reich helohnt worden war, ist kein 
llafsstab fftr seine eigentlichen Verdienste als HeerfBhrer. 

Jetzt aber, als man uaih langem Zögern sich zum Kriege 
mit den Tatai-eu entschlofs, ak mau sogleich nach dem Abschlüsse 
des „ ewigen Friedens mit Polen, wobei man sich zur Aktion 
gegen den Islam Terpfliehtet hatte, sich mit Vorbereitangen an 
dem Feldsnge in die Krim hesehfiltigte, sollte sich seigen, was 
Oolisyn als Militär, als Oberfeldherr wa leisten Termöge. 

Die Ereignisse haben gelehrt, dafs seine unglückselige Feld- 
hemiroUe seinen Sturz einfifeleitet hat. Für Golizyn bot, abgesehen 
von dem Wagnis einer militäriachea Holle, die Abwesenheit von 
der Hauptstadt grofse Gefahren dar. Er wnfste, dab er viele 
Feinde habe. Wer so hoch stand, so viel Ifacht nnd Einflols 
hatte, sich so nnbedmgt der Ghinst der ersten Person im Reiche, 
der Prinzessin Sophie, erfreute, wie Golizyn, dem konnte es nicht 
an Neidern und Geguern fehlen. Er scheiut sich einer solchen 
Gefahr, welche mit seiner Abreise aus dem Mittelpunkte des 
Heiches stieg, wohl bewuTst gewesen an sein. 

Schon sein hervorragender Anteil an der groisen HaTsregel 
der Abschaffnng der Bangstreitigkeiten mnfste viele AnhISnger 
alter Familieninteressea gegen G-oUz]rD aufbringen. 8ehr bald, 
uaclidem er unter dem Zaren Feodor diese Reform durchgesetzt 
hatte, nahm er als Günstling der Hegeuüu, als erster Beamter 
im Beiche eine Stellung ein, welche ihm gestattete, alle Amter, 



■ 

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318 



Ffint W. W. Golizyu (1648-1714). 



sowohl bei der ZWÜTerwiltimg ab bei der Armee, nach aetnem 
GhitdfliikeD, ohne BUoksioht auf Ffonilieiiaiiteben oder persSnliche 

Interessen der Bewerber, besetzeu zu können. Er wird von einer 
Bolcbeu Machtbefugnis ohne Zweifel sehr ausgedehnten G-ebrauch 
gemacht haben. Es wird berichtet, dafs» als Golizyn nach den 
Bluttagen des Mai 1682 die Offiaierstellen bei den Begimentem 
der Strelsy nen und mm Teil durch tnohtige ParvenuB besetste» 
er eich dadorcb den ITnwinen des nodi in den BeminissMnsen der 
„Älestnitschestwo" (Rangstreit) befangenen Adels zuzog. ^) über- 
haupt brachte er durch Vergebung von Ämtern viele, welche Be- 
rücksichtigung zu verdienen meinten, ohne ernannt zu werden, 
gogen sich auf. Dafs er selbst eine Henge Ämter für sieh in 
Ansprach nahm, in seiner Person eine grofse Aniahl von Funk- 
tionen Tereinigte, als Chef einer ganzen Beihe Ton BehSrden 
thätig war und auch wolil aua «mer solchen Stellenkunmiierung 
znateriellen Vorteil für sich zog, mochte dazu beitragen, die Zahl 
seiner Gegner zn mehren. In Verhältnissen, wo Öffentliche Moral 
und öffentliche Meinung so gut wie nichts galten, persönliche 
Macht, Bestechlichkeit und Intngue das Meiste sn entscheiden 
pflegten, konnte es nicht f^en, dafs Gk>lis3my schon um seine 
Stellung wenigstens zeitweilig zu befestigen, bei der Amtcrser- 
ieihung in erster Linie seine Freunde und Auiiänger bedachte. 
Selbst sein Bewunderer, Neuville, berichtet, er habe alle Stellen 
mit seinen Kreaturen besetst. Er war eine Partei; er hatte es 
mit entgegengeseteten Parteien in thnn. Bei solchen Zuständen 
ist die persönliche Anwesenheit im Mittelpunkte der Geechifte, 
wo man jede Gefahr eher erkennen, jeden feindlichen Schachzug 
erfolgreicher belauern kann, von grofsem "Werte. 

Es entsteht daher die Frage: wie kam es, dafs Golizyn sich 
entsohlofs, seine Zukunft an das Hasardspiel eines Feldsugs su 
knüpfen, den Aufenthalt in der Besidens, an der Seite der Be* 
gentin, inmitten der Verwaltung, der innsren und auswärtigen 
Politik gegen das Lagerleben zu vertauschen? Wenn wohl vermutet 



*) Vgl. Malinowsky a. a. 0. S. 72. 



biyilizüü by GoOglc 



Fürst W. W. Goliayn (1643—1714). 



819 



worden ist, daü der Bnrst nach Hülm, die Svoht naeli msttm 

neuen Titel ihn bestimmte, sich an die Spitze des gegen die Tutaren 
aosrückeudeu Heeres zu stellen, so ist für solche Annahme 
nm BO weniger ein Grund vorbanden, als der in diesem Falle 
gewÜB glaubwürdige NemiUe auadrficklich berichtet» Qoliayn habe 
den Oberbefehl Aber die Armee nur ungern übernommen - nnd 
bXtte ncli gern Ton einer solchen Yerpfliehtong losgemacht. Wie 
dem auch sein nioclite : gewifs ist, dafs ein siegreicher Feldherr 
an der Spitze der aus der Krim heimkehrenden Truppen ihm 
weniger Ghefahr bot, als ein Mifserfolg der ganzen Unternehmung, 
wenn er als Feldherr die Leitung derselben för sich allein in 
Ansprach nahm* Da Überdies der Verlauf des Feidrages eine 
gewisse UnfShigkeit Golisyns flir die Leitung militfirischer Ope- 
rationen an den Tag legt, so läfst sich kaum verrnnten, dafs 
Golizyn sich für ein militiirischeB Genie gehalten und aus per- 
sönlicher Neigung die Feldherrnrolle übernommen haho. 

Wir müssen es uns yersagen, auf die £inaelheiten der militft- 
rischen Operationen der beiden Feldsüge m den Jahren 1687 und 
1689 einsugehen. Das Ergebnis war in beiden Fftllen ein Tölliges 
Scheitern. Statt die Krim zu erobern, kehrte man 1687 um, ehe 
man selbst die Landenge von Perekop erreicht hatte und ohne 
dafs man auch nur des Feindes ansichtig geworden wäre. Im 
Jahre 1689 kam es nach einigen Scharmätaeln in der Nähe der 
Landenge von Perekop an Y whandlungen swischen Goiu^ nnd 
den Tataren, welche auf den Feldherm ein übles Licht werfen. 

Besohrftnken wir uns bei der Darstellung dieser Torgänge 
auf diejenigen Züge, welche Golizyii betreffen. 

bchon die Langsaiukoit und Uupüuktiidikeit des Erscheinens 
der Truppenteile an den Sammelpunkten schob den Beginn der 
Kampagne hinaus nnd lieTs nichts Ontes erwarten. Li manchen 
Fällen aber lieft der JCsngel an Dissiplin auf eine gewisse, direkt 
gegen Qolisyn gerichtete AnimositSt der russischen Offiziere 
schliefsen. Einen tiefen Einblick in diese Verhältnisse gewähren 
Gohzyns, während des Feldzuges an Schakluuitij gerichteten 
Bhefe, welche Ustz^alow mitgeteilt hat. Hier beklagt sich der 



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390 



PSnt W. W. Oolizyn (1648-^1714). 



Fürat bifeto* über die Eigemnichtigkeit der Edellente, welche sieh 
den Anordnungen nicht lügen wollten; ee sei nichts ak Tin- 

gehorsam und Widerspenstigkeit liei den Rittmeistern''. Er bat 
um ausgedehnte Vollmachten zur Bestrafung der Störriscben und 
berief eich dabei auf Bestimmungen, welche bereita in der Zeit 
des Zaren Feodor inbetreff der Disaiplin erlMsen worden waren. 
Er will Macht haben, aolche Strenge m üben» dafs j^e zittern 
Böllen''. Namentlich einige Glieder der alten Glesohlediter der 
Dolgorukijö und Schtsclierbatows bracliten ihn aiif: er verlangte, 
dafa ihnen zur Strafe ihre Güter konfisziert werden sollten. Aller- 
dinga hatten sich diese zu einer sehr kecken Demonstration gegen 
den Oberfeldherrn hinreifaen hwaen. üm sa seigra, dafa aie an 
keinen Erfolg dea Feldangea glaubten, erschienen aie bei der 
Armee in einem seltsamen Aufzuge. Sich aelbat und ihre Pferde 
hatten sie in schwarze Tücher, also in Truuergewändcr gehüllt. 
Golizyn mufste, wenn anders er der Demoralisation des ganzen 
Heeres vorbeugen wollte, Strenge üben. Daher verschaffte er 
aich durch Vermittelnng Schaklowit^'a anagedehnte Vollmachten; 
er war bald in der LagCi ao energiadi auisutreten, da(s die 
Schuldigen aieh vor dem Ibchthaber beugten und um Veraeihung 
baten. ') 

(loi don hatte lof^4 in seinem Gutachten die Gefahren, welche 
der Marsch durch die wasserlosen Steppen bot, unterschätzt. Bei 
dem Ungeheuern Trofa, der koloaaalen Anaahl von Pferden, welche 
die Armee mit aich fahrte, ateUte aich bald entsetslioher 'Waaaer- 
mangel ein. Sowohl in Gk>rdona Tagebuche, ala in Leforta Briefen, 
welche Posselt mitgeteilt hat, sind die Leiden geschildert, welche 
der MaiBch mit sich brachte. Lefort macht dem Oberfeldherrn 
dabei den Vorwurf, dafs er dieae Leiden gemehrt habe, indem 
er nicht geatattete, dafa die veraohiedenett Truppenteile von dem 
einmal vorgeachriebenen Wege abwichen.*) Krankheiten und 
Sterblichkeit rieben einen Teil der Armee auf. Lefort achreibt: 
„Der Seigneur, unser Fürst, war in Verzweiflung, nicht nach 

') Ustrjalow, I. S. 3!7 :',r>0. 
*) PoflMlt« Lefort, L & 378. 





Fürst W. W. (^olizyn (1643—1714). 



891 



Perekop gelangen zu können" „Unser Generalissimas war aufaer 

aich, und ich kann Euch versichern, er weinte hittorlich" 

Das schlimmste war der bteppenbraiid , wolcher die letzten 
Waiierraete in der Einöda Teroiohtete und den Mangel an fntter 
fir die Pferde Tertinaolite. Die Kosaken und aneh der Hetman 
SmmoüowiiBoli sind besohnldigt worden » ▼errftterisoherweiBe das 
Steppengras angesitndet an hab«i. Dieses bat wesentlich zum 
Stnrze des Hetraans beigetragen , den Golizyn nicht blofa ge- 
schehen, sondern, wie man vermuten darf, gerue geschehen liefs. 
Wir haben keinen Gnind an die Sohnld Ssamoilowitecbs oder 
der Kosaken zu glauben. Eher könnte man Tennnten, da& 
Tataren den Steppeabrand Temrsaeht bitten, um das Vorrttcken 
der Bossen m ▼erhindera. Gewissermafiien nur als ein Knriosnm 
wollen wir aniuhr(Mi , dain auch wohl der Fürst Golizyn selbst 
beschuldigt worden ist, den 8teppeubrand herbuigeluiirt zu. iiabeu.*) 

Das Ergebnis war, da£B man umkehrte, nachdem man bis 
anm Karatschokrak (etwa 900 Werst oder 30 Keilen von der 
Landenge Perekop) vorgedrongen war. Goliityn hatte Eile, naoh 
Hanse an gelangen. In Koskan hatte man während seiner Ab* 
Wesenheit gegen ihn allerlei Riinke geschmiedet. K lum halte er 
die Hauptstadt verlassen, als sein gefahrlichster (Tegner, der Fürst 
Tscherkasskij, gegen ihn zu agitieren begann. Auch den Einflnüs 
des Patriarchen scheint (iKiliayn gefürchtet zn haben. Nicht um- 
sonst zeugen die zahlreichen, an Sdiaklowity gerichteten Briefe 
GoHzyns von einer gewissen Aufregung, Unruhe, Spannung. 
Stets wiederholt er die l rai,'0, ob es nicht Känke gebe, ob die 
Gegner nicht wiederum böse Anächläge ersinnen ; oft fragt er, 
was man von ihm rede ; als er einst auf dem Marsche, bei einem 
Qelage, auiser der Gesundheit des Zaren auch diejenige der Prin- 



») Possült, Lelort 1, S. 373—374. 

'j Vgl. Bchleusing a. a. 0. „Durch beindichu Korrespondenz mit 
den Tataren hat er die Heide in Brsnd stecken lassen. Die meisten von 
der rassisohen Armee entidcton im Bauche." In den „Gesprächen im 
Beiehe der Toten" ersiihlt Qolizyn genau die Gesohidbte dieser Ver- 
ritterei, 8. 1184. 

BTttekaer, Bnfetand. Sl 



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322 



Fürst W. W. Golizyn (1643—1714). 



sessin atisgebraeht Katte, fragte er. weleihen Eindrack dicMB in^ 

der Hauptstadt geuiacht habe ; dazwiachen verlangt er. man solle 
diese oder jeoe Persönlichkeit entfernen ; er lauscht allerlei G€^- 
Füchten über die gegen ihn gesponnenen Bänke, fordert seinen 
Freund oofr nur ja wachaam an sein, nnd bittet ihn, snr Belohnung 
ein bedeutendes Gkldgeachenk ansnnebmen. Als Sohakkmit^ im 
Anffcrage der Regentin zum Heere reiste, welches bereits auf der 
Rückkehr betrriflfeii war, äufserte Golizyn seine Unzufriedenheit, 
dafä Schakluwitij durch Yerlas&eu der Hauptstadt den üäakeo 
seiner, Goiizyns, Feinde Spielraom gönne.') 

Fast seheint es, als habe auch die Prinsessin Sophie ge- 
fürchtet, dafs Golizyns Feinde siegen würden, wenn er nach einem 
solchen Mifserfolge heimkehrte. Sie schickte ihm Schaklowitij 
uut der Weisung entgegen, wenn möglich wieder umzukehren, 
durch die donischen Kosaken die Krim ▼on der Seeseite anzu- 
greifen, die kleinmssischen Kosaken Tom Di^epr aus operieren 
m lassen oder wenigstens durch Errichtung von Forts im Süden 
die Grenze zu sichern.*) 

Golizyn konnte nicht daran denken. Er erledigte nur die 
Angelegenheit, welche den Sturz Ssamoilowitschs und die Er* 
hebnng Kaseppas *) betraf — wobei er, wie oben bereits bemerkt 
wurde, auf seinen materiellen Vorteil bedacht war, sich von Ha- 

seppa beschenken liefs, vielleicht aus dem konfiszierten Vermögen 
Ssamoilowitsclis sich einiges, wie maui ihm vorwarf, aneignete — 
und eilte nach der Hauptstadt. 

Die Begentin deckte mit ihrer Gkmst den unglücidichen 
Feldherm gegen alle Feinde. Er ward reich belohnt. Er er- 
hielt eine schwere cfoldcne Kette, eine Denl<niiinzo im "Werte von 
300 Dukaten, lUUO Bauernhöfe und andere reichliche Geschenke. 
Die dreistesten offiziellen Lögen sollten den totalen Kifserfolg 



') Vgl. Uftrjalow I, 8. 84« u. £ 

*) Akten, die Angelegenheiten der Krim betreffend, bei Scoloiijew 
Bd. XIV, S. 41. 

*) Dafi er die Wahl beeinflufate, s. bei üstijalow nnd Ssolowjew. 



biyilizüü by GoOglc 



Fürst W. W. Goiizyn (1643—1714) 



323 



beschönigen. In Manifesten sprach man von errungenen Siegen.'^ 
Er war vorläuiig no mächtig wie zuvor. 

Man wollte deu Versuch einer Eroberung der Krim wieder» 
holeiii aber nicht aogleioh* Zouiobst erricbteto man im Jahre 
1688 ein Fort am Auafliiaae der Ssamara in den Diyepr. Der 
Plan dieses Forts war von einem hoUSndisehen Ingeniemr ent- 
worfen. Anch Gordon mufste bei dieser Gelegenheit sein Urteil 
abgeben. Mau sieht, dafü Golizyn bei der Errichtung von Bogo- 
rodizk; in ähnlicher Weise wie Teter bei der Erobemog und 
Befestignng Asows und der Gründung TaganrogSi westeuropftische 
Intelligenz au Bäte lOg. Die Vafsregel war sweokmäftig und 
heilsam. ICan bedurfte solcher Torgeschobener Posten im Sttden, 
welche einerseits bei Feldzügen gegen die Tataren als Stütz- 
punkte, Ijagerplätze und Niederlagen von Lehensinittelu und 
Kriegsgerät dienten, anderseits den fortwährend wiederholten 
Kaubzügen der Tataren an steuern geeignet sein konnten. Noch 
ehe dieses Fort ToUendet war, schleppten die Tataren bei einem 
in das russische Gebiet unternommenen Baubsuge (im Mira 1688) 
nicht weniger als sechzigtausend Menschen als Gefangene fort. 
Um 80 lächerlicher ist die, bei (Tt legenheit des Sturzes Golizyns 
gegen ihn im Publikum erhobene Anklage, er habe 1688 die 
Festung Bogorodiak bauen lassen, um die Truppen, insbesondere 
die Strelsy, zu Grunde au richten.^ Solche Dinge können als 
ein Mafsstab ftlr die, im Volke gegen Golisyn herrschende Ani- 
mosität und zugleich als Warnung inbetreff anderer über ihn in 
Umlauf gesetzter Gerüchte dienen. 

Inzwischen schien die orientalische Frage in eine neue Phase 
eintreten an wollen. Es geschah mancherlei, was Bufsland su 

^) Vgl. die Gesetzsammlunp K«1 TT, Xr. 1258. Baron Keller über- 
nahm es, iu Holland Naehrichteu über den aiij^fbliclicn Sierr (iolizyns 
zu verbreiten ; 8. Posselt, Lefort I, S. 389. Auch nach I'ülea sandte man 
solche lügenhafte Berichte, s. Tereschtschenko a. a. ü. S. 163—164. 
S. ebendort die abenteuerlichoi Gerüchte in Wien. 

*) Vgl. Gördens Tsgebuch T, S. 906. Gordon, welcher die Sache 
beurteilen komkte, bem^kt dssu: „Eine schlechte Erfindung, welche 
weder Omnd noch Wahmcheinlichkeit hatte". 

21* 



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324 



Fürst W. W, Golizyn (1643—1714). 



energischerem Vorgehen veranlassen konnte. Die Venetianer und 
die Österreicher errangen bedeutende Vorteile in Kampfe mit 
den Türken, die ersteren in Morea und Dalinatiea, die letztereu 
in TTugarn ; der ehemalige Patriarch von Konatantinopeli Bionyiifis, 
liefs durch den Archimandriten de* Klosters com heil. Paul 
anf dem Berge Athos, Jesajas, melden, jetat sei die richtige Zeit, 
die Christen zu befreien. Alle: Serben, Bulgaren, Moldauer und 
Walachen liotTton auf Rufsland. Der llospodar der Walachei. 
Schtscherban, »audte ein Schreiben, in wolciieni er die Hoifnung 
aussprach, dafs Bursland das Türkenjoch brechen werde. Ähn- 
liches schrieb der Patriarch von Serbien, Arsenins. Schtsoherhaii 
lud die russische Armee ein, an die Bona« su kommen; er wollte 
selbst fttr ein Hilfskorps von 70000 Hann sorgen, and stellte 
die Waiirscheinlichkeit bedeutender Erfolge in Aussicht. Dabei 
schilderte er den Hafs der dortigen Bevölkerung gegeu Österreich, 
wie denn auch die Geistlichen jener Gegenden in ihren nach 
BoTsland gesandten Schreiben vor den Katholiken warnten. 

Man sieht: es gab im Jahre 1688 genan dieselbe Veran- 
lassung auf Erfolge zu rechnen, wie im Jahre 1711, wo Kantemir 
dem Zaren Peter den Sieg als wahrscheinlich vorstellte. Es war 
auch im Jahre 1))88 unmöglich, aüeu solchen Anregungen gegen- 
über sich gleichgültig zu verhalten. Wir dürfen annehmen, dals 
6K>lizyn bedeutenden Anteil an dem Schreiben gehabt habe, 
welches die beiden Zaren, Iwan und Peter, an den Hospodaren 
der Walachei, Schtecherban, richteten, und in welchem sie ihn 
auliuiderten, mit seinen Truppen gegeu die ;iin I hiiepr gelegenen 
tüikiischen JTestungen zu ziehen. Doch hatten sich luzwiachen 
die Verikältnisse geändert; Schtscherban war gestorben, und sein 
Neffe, Konstentin, beschränkte sich darauf, das Schreiben der 
Zaren mit allgemeinen Bedensarten za beantworten. ^) Schlimmer 
noch war es, dafs man erfuhr, der Kaiser und Polen seien im 
Begriff, mit der Türkei Frieden zu schliefsen. 

Da war es denn, wo die ruäfiischo ü^ierong, ihre 31acht 



*) Nach bisher unbekannten Archivalien Ssolowjew Bd. XIV, S. 64. 



biyilizüü by GoOgl 



Fürst W. W. Golizyn (1643—1714). 



325 



und Bedentnng fllMmohitBOiid, noh ro grolseii Entwürfen liin- 

reifsen liefs. lu den die polnischen Angelegenheiten betreffenden 
Akt^u im Hauptarchiv zu Moskau hat sich daa Konzept zu einer, 
an den russiBchen Gesandten in Wien, "Wosnizyn, abzusendenden 
Instmktion gefimd«D| in welcher , fUr den f^all eines !Friedens- 
iohlnaaeg mit der Pforte, Bnbland folgende Forderongen macht; 
alle Tataren eoUen ans der Krim nach Kleinasien fiberaiedehi 
und die Krim soll an Rufslaiid abgetreten werden ; ebenso sollen 
alle Türken und Tatareu aus der Gegeud von Asow entfernt 
und Asow selbst soll den Russen abgetreten werden. Femer 
verlangte BoTslandy wenn nicht Abtretung , so doch wenigstens 
Sehleifhng der tSrkischen Festungen Kasikerman, Otsohakowa. a.; 
endlich die Freilassung aller russischen Ge&ngenen und als Eni* 
Schädigung für die durch tatarische Uberfälle verursach ton Ver» 
luste^ die Zahlung von zwei Hillionen I)ukat(;n. ') 

Ustrjalow untersucht die Frage nicht, ob eine solche Instruktion 
ahgesaadt wurde, oder ob dieses Aktenstück nur Entwurf war 
und Entwurf blieb. Wenn Goliayn an diesem Hirngespinst An* 
teil hatte, was denn doch sehr wahrscheinlich erscheinti so kom« 
promittieren solche Kodoniontaden ihn inbetreff seiner diploma^ 
tischen Fähigkeiten uoch mehr, als die beiden P^eldzüge von 
1687 und 1689 ihn als Feldlierru in einem keineswegs heroischen 
lachte erscheinen lassen. Selbst Katharina II. hat nach den 
groisen Erfolgen im ersten türkischen Kriege nicht solche Forde- 
rn ngen an die Pforte su stellen gewagt. Der Frieden von Ku- 
twchuk-Kainardschu zeugt von Mäfsigung ira Vergleich mit den 
AuHprüchen der Prinzcasiii Sojjhio in jenem von TJstrjalow ent- 
deckten Aktenstücke. Man denke nur an den Ausgang des kurz 
aUTOr unternommenen Feldsugs in die Krimi 

Trug man sich mit grofsen EntwOrfen, so mufste man den 
Versuch eines Feldsugs in den Süden wiederholen. So kam es 
denn zur Unternehmung im Jahre 1689. "Wieder begegnen wiP 
dem Fürsten Golizyn an der Spitze des russischen Heeres und 



Vgl Ustijalow I, S. 917. 



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326 Fürat W. W. Golizyn (1643-17U). 

dem Greneral Gordon au der Seite des Fürsten. Hatte mau 1687 
den Fehler gemacht , zu spät anfzubrechen und infolgede^seo 
mit der Sounengiut in der Steppe, als dem schlimmsten Feinde, 
zu kämpfen gehabt, so eröffinete man 16B9 die Operationen bereits 
im Winter. Man marschierte bei Kälte und Schnee ans der 
Hauptstadt und hatte dann in der Steppe allerdings nicht mit 
Wassermangel zu kämpfen. Auch kam es diesmal wirklich zum 
Zusainmenstofs mit den Feinden. Aber auch diesmal gab es keinen 
Erfolg. 

Eine grolse Zahl von Berichten Golisyns an die Zaren nnd an 
die Segentin über alle Einaelheiten des Feldsogs, welche Ustijalow 
mitgeteilt hat, Qordons Tagebuch, Leforts Briefe, Sophiens Er- 
zählungen an Neuville, Korbs sorgfältig gesammelte Nachrichten 
und andere Quellen gewähren uns einen Einblick in den Charakter 
dieser militäriächeu Uuternehmungen. üiernach gewinnen wir 
den Eindruck, dafs Golugrn v^^n einer argen Schönfärberei in 
seinen Beriditen nicht frmauspiechen ist. Jedes militSrisdie 
Ereignis wurde su einer grofsartigen Aktion aufgebauscht. Die 
Regierung war im Jahre 1689 noch mehr als im Jahre 1687 
darauf bt dacht, der Mitwelt Sand in die Augen zu streuen und 
von grofsen Siegen zu reden, wo ein totales Fiasko vorlag. 

Am 16. Mai staels man mit den Tataren zusammen, und swar 
in dem bereite in der NiKhe von Perekop gelegenen „Schwameo 
Thal". Die russische Artillerie zeigte sich dem Feinde überlegen ; 
dagegen erwies sich die russisch« Beiterei als durchaus unzu- 
länglich. Im ganzen gab es wohl insofern einen gewissen Erfolg, 
als die Tataren ebenso schnell verschwanden, wie sie gekommen 
waren, und snnächst am andern Tage den Angriff nicht zu erneuern 
wagten. In seinem Bulletin schildert Golisyn dieses Treffen 
grofssprecherisch als eine gewaltige Schlacht, w&hrend doch schon 
aus seinen Angaben über die Verluste henrorgeht, dafs die ganse 
Affaire nicht irgendwie als eine wichtige oder entscheidende an- 
gesehen werden kann.^) 

*) Vgl. die Bulletins Qolisyns bei Uttrjalow I, 8. 882 u. ff. nnd 
wSrÜieh im Anhange a a6&— 882. 



biyilizüü by GoOgl 



Fürst W. W. üülizyn (164^— i714>. 



Hatte man Bohon naeh dem ersten Feldsnge in den offisiellen 

Manifesten von allerlei Siegeu gefabelt, so nahm man den Jiund 
jetzt noch voller.') 

Wie man in offiziellen Berichten mssischeraeits die Breigniise 
des Feldsnges von 1689 darmstellen beliebte, er&hren wir genau 
ans der Sehilderang, welche in einem, daroh den russischen diplo- 
matiaehen Agenten in Venedig, den Griechen Lichuda, von den 
Schlachten im Mai 1689 überreichten Bericht der russischen Re- 
gierung entworfeu wurde. Da heifst ea u. a. : ^Vller Welt sei 
der glorreich errungene Sieg Rufslands über die Tataren bekannt; 
die ganse G^end, in welcher die Schlacht stattgefunden habe, 
sei mit Leichen besfiet gewesen, der Ghan sei Terwundet, une 
Kenge angesehener Tataren sei ge&ngen u. s. w.^ 

Dafs die Prinzessin Sophie an die Berichte Golizyns glaubte, 
ist aus ihrem an den Fürsten gerichteten Briefe zu ersehen. Er 
hatte ihr geschrieben, sie möge für seine glückliche Rückkehr 



*) Wie man 1687 wenigstens seitweflig das Publikum irreführte, 
zeigte der Bericht von den militärischen ErciuMii^nen bei Sandrart: 
Kurze Beschreibung von Moskowien oder Reufsland, Nürnberg 1711, 
S, 203 210. Da lieifst es u. a. : Pereknp sei ein|n[enommen worden, 
\vt))»oi 59 (X)0 Slunii Tataren niedergehauen worden und 3()(KJ K<>sakeu 
t^eliillen seien; liicrauf sei die Armee nach Otschakow marschiert, wo 
man 70 000 Tataren niedermetzelte, während nur 400 Bussen fielen. (!) 
Otschakow sei genommen worden, alle Gefangenen, die in der Krim 
schmachteten, habe man befreit, viele Tuende von Tataren hätten sich 
der moskowitisohen Botmifsigkeit nnterworfen, viele Tausende der 
schönsten Pferde habe man erbeutet. Der Verfasser, welcher sich denn 
doch wohl in Moskau aufhielt und unt^dem Eindrucke der im Publikum 
zirkulierenden Gerüchte schrieb, bemerkt S. 200: „Gleich itzo kommt ein 
Kosak bei mir an. der Alles Ubijre bf -*:itigt und von noch einer Schlacht 
erzählt, in weicher 8(KK) Tataren gelotet wurden," Ks ist begreiflich, 
wenn daraus folgender Schluid gezogen wird: „Däfern der gnädige Gott 
seinen Segen noch weiter mitteilen wollte, würde der Tatarchau in 
wenig Zeit zum Vasallen des Moskauer Zaren werden." Wie umsCSndlich 
die falsdiMi Naohrichten waren, denen man im Publikom Glauben 
schenkte, seigt die genaue Spesifiziemng der rassischen Annee, welche 
nach Sandrart 527 000 Mann betragen haben soUl! 

-) Vgl die Denkmiler der diplomatischen Besiehuogen fid. X, 
S. 1874 



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398 



beten. Sie aatwortote: „Mjem alks, meiii Bräderebeii» WaaMokal 
sei Dn, mein Vätareben, gegrOdit; lebe glfl«idioh viele Jalure! 
Und noch einmal aei gegrOfaty nachdem Da mit Gbttoa Hilfe und 

durch die Gnade der heiligen Hntter Ghottes nnd durch Deinen 
Verstand und Dein Glück die Nachkomnien Hagars besiegt hast! 
Köge Gott Dir auch femerliiu verleihen, dafs Du die Feinde 
besiegeati loh aber, mein allea, kann es nicht glaobeni daÜa Da 
an una anrttdckehren wirat; Ich werde ea nicht eher glaabeiiy ala 
wenn vsh Djchy mein aUea» in meinen Armen halten werde. Wie 
hannat Du nnr, mdn aUes^ achreiben, idi aolle für Dich beten: 
bin ich denn so sündlich und unwürdig vor Gott? Ilud wenn ich 
auch sündhaft bin, so wage ich es doch auf seine Gnade zu bolitu. 
Glaube mir! Ich bete immer darum, dafs ich Dich, meine Welt» 
in Freude wiederaehen m5ge. Und aomit lebe wohl, mein aliea, 
in Ewigkeit«« l ^ 

Wie man aber im Volke von diesen angeblich grofsen Siegeu 
Golizyus sprach, zeigt folgende Auhlülirung des liauern Possoech- 
kow, welcher einige Jahre später in einem Schreiben au den 
Bojaren Golowin die Mängel der niBBiaohen Heeresorganisation 
Bebilderte. Er achreibt: „Ea iat allen bekannt , wie der Ffirat 
Waaai^j Waaei^ewitach Golisyn nach Ferekop ging nnd, wie man 
aagt, mit ihm 300000 Hann, ünd ihm entgegen kamen alles 
in allem etwa 15 0ÜÜ Tataren; und die Unseren konnten im 
Kampfe mit ihnen nicht bestehen. Ist es nicht eine Schmach 
für uns, dafs jene Tataren mit einer Handvoll Beiier und Arm- 
bmatBchtttsen die Unaeren adüngen und, wie man aagt, swansig 
Kanonen fortnahmeu? Und die Unaeren haben ea nicht gefragt, 
die Kanonen wiedersnnehmen und förohteten eich vor einer Hand- 
voll ILcnscheu. . . . Allen ist es bekannt, wie die Tataren die 
russischen Yerschanzungen anfielen und zerstörten, uud die üuseren 

') Diesen, in Chi£fern gcscbrieben^en Brief, sowie den sweifen, 
sogleich mitzuteilenden, entdeckte Ustrjalow in den Archiven und ent- 
zifferte diese Aktenstücke mit vieler Mühe. Es pnb keinen Schlüssel 
für die Chii!er»chrift. Man muXste ihn tindea. Auch die facaimilea 
hat Ustrjalow mitgeteilt. 





Fürst W. W. Uolkyn (1643—1714). 



899 



klappern und knallen mit ihren Waffen, aber die Tatäreü ueaclitöu 
es gar uicht, weil kern Behufs trifft*'.^) 

Als Golizyn nach den Scharmützeln mit den Tataren den 
Harsch fortietste und am 20, Mai bei Perekop anlangte, stellten 
sich dieselben ^beistände heraus, welche schon 1687 sor Umkehr 
genötigt hatten: Wasser- und Fnttermangel. Man scheint nicht 
daran gedacht zu haben, dafs auch jenseits der Landenge, d. h. in 
der nördlichen Hälfte der Taunschen Halbinsel, dieselbe wasser- 
und baumlose Ode sich ausdehne, wie auf dem Fe8tlaud«\ Es 
gab nor salaiges» nicht trinkbares Wasser; es fehlte an Xtebens- 
mitteln; die Pfmde fielen, die Menschen siechten dahin; länger 
an diesem' Orte an TenreUen, war anmöglich. So stellte Gtolisyn 
sowohl in seinen offiziellen Berichten, als in einem Schreiben an 
die Prinzessin die Sachlage dar.-) 

Dazu begannen zwischen dem Chan utid G^olizyn Unterhand- 
lungen, über deren Beginn Tersohiedenes berichtet wird. Golisyn 
meldet, der Ghan habe mchrmak an ihm gesandt nnd „nm Frieden 
gebeten'*. Über die Haltung OoUayns inbetreff der Erdffhnng 
der Yerhandlnngen sind sowohl bei dem Stanse Golizyns im 
September lü80, als auch ein paar Jahre später während seiner 
Verbannung Untersuchungen angestellt worden, über welche die 
Akten vorliegen. Die Sache scheint sich so zugetragen zu haben, 
da(s ein ttbergelanfener Tatar den Ffirsten glauben machte, der 
Chan sei geneigt zum Frieden, wovaufhin Goliayn, durch eui an 
einen Pfeil gebundenes und in das feindliche Lager gescUeudertes 
SchreilM ii , 8<nne Bereitwilligkeit zu l^nterhiuidiungen aussprach; 
die Tataren druckten anfänglich höchst verwundert, dann in einem 
ebenfalls mittelst eines Pfeiles übersandton Schreiben ihre Bereit- 
schaft SU kämpfen aus, und machten gleichseitig noch Vorwürfe 
wegen des Friedensbmches durch die Bussen. In einem ferneren 



^) Vgl. meine Schrift: Iwan Possoschkow. Ideen und Zustände iu 
Bnfaland zur Zeit Peten des ürofsen, Leipzig 187B. S. 914 u. 816. 
PosBosohkow gibt die Armee auf 800000 Ibnn an. Das Heer zählte 
nicht viel mehr als 100000 Kann. 

•) Ustigalow I, S. SSS o. 387. 



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sao 



Ffint W. W. GoUsyn (1648—1714). 



an den in Golisyns Lagor befindlichen Tataren gericliteten Behrei- 
ben erklärten die Tataren eich an Unterhandinngen bereit, nnd eo 

kam es denn zu denselben gerade in dem Augenblicke, als, wio 
andere ausgesagt haben , das russisohe Heer des Befehls zur 
Schlacht gewärtig war. 

So hatte denn Qolisyn die Thateaohen entstellt» anch darin, 
dafa er in seinem Berichte erafihlt, er sei mit Zustimmung der 
andern Würdenträger in der Armee an den Unterhandlungen 
geschritten. Der Bojar Schein riet, wie sich später herausstellte, 
von den Unterhandlungen ah ; ^^laseppiv »cheiut auch nicht dafür 
gewesen zu sein. Die Unterhandlungen worden formlos geführt. 
Noch vor denselben hatte Qollsyn die Armee eine Stellung mit 
der Tete nach Bofsland einnehmen lassen; wtthrend derselben 
setate sich die Armee in Harsch; aum Abschlufs eines förmlichen 
Yertrages war es nicht gekommen. Ein solcher Kückzug sah 
einer Flucht ähnlich. Schniiichbedockt, noch mehr kompromittiert, 
als bei dem Feldzuge des Jahres 10b7, kehrte der Fürst (iolisyu 
nach Moskau surttck.^) 

Qolisyn hatte in seinen offiziellen Schreiben an die Zaren 
gemeldet, der Chan habe mehrmais um Frieden gebeteni aber er, 
GkiHzyn, habe nach reiflicher Srwägung aller UmstSndey wobei 
er sich mit allen Führern der Armee beraten liul)e, das Anerhieten 
des Friedens abgelehnt. Qanz ähnlich stellte der Bojar Nepliyew 
den Vorgang dar.-) Ferner hatte Goliayn berichtet, in der ganaen 
Salbinsel sei bei den Tataren ein so allgemeiner Schrecken ver- 
breitet gewesen, dafs alle Bewohner der Krim bei der Kunde 
der Annäherung der Rnssen mit Hinterlassung des grSrsten Teils 
ihrer Habe in die Hergo geflohen seien ; der Chan aber, entrüstet 
über die Feigheit seiner Umorthauen, habe alle verla&seueu Ort- 
schaften niederbrennen lassen.^) 

Kit diesen Angaben stand denn der schmachvolle Bückaug der 
russisch«! Armee in Widerspruch. ]Dals dieselbe ICangd litt, ist 

') Vgl. d. Einzelheiten hei Ustrjalow XIV, S. SSd— S84. 

TTHtrnjalow T S 372 und »76. 
^) Ebendaselbst 1, 8. 380. 



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Fürst W. W. üolizyn (1643—1714). 



331 



gewifs. (jordoii, deKseii Tagebuch eine Lücke vom 15. bis zum 
24. Mfti aufweist, spricht in eiuem Brief an Jeu Earl von Errol 
von der iibleu Lage der rassischen Armee und d&fa jnan, da die 
UnterbaiMUiuigeii an kemem Ergebnia geführt hfttten, mm KUck- 
suge genötigt gewesen wäre.') 

Auffallend ist aber dabei, daft ein Kapitän des Begimente 
der Strelzy bei Gelej?eTiheit des Prozesses Schaklowitijs im Septem- 
ber 1(»HH aussagte, (ioiizyn hätte selir wuJil den Krieg lortsetzen 
können, da die Truppen keinen Maagel gelitten hätten, dagegen 
habe Goliayn Terhreiten laese&i es sei mit den Tataren frieden 
geechloesen. ') Es kann leicht sein, dafs eue aolche Aussage in 
böswilliger Absieht, um Golisyn an sohaden, gemacht wurde. 
Anderseits Hegen Andeutungen darüber vor, dafs Oolisyn dafttr 
zu sorgen bestrebt war, dais Aussagen gemacht würden, welche 
seine Augabeu bestätigten. Bereit« bei Gelegenheit des Feldzuges 
von 1687 hatte er die Strelzy instruiert: sie sollten iubetrefT des 
Steppenbrandet y,übereinstimmende" Aussagen machen. *) Ebenso 
befohl er den Strelay 1689, als er die Armee auf der BOckreise 
nach Moskau yerliefs, in Moskau su sagen, sie hätten Not 
gelitten und hätten zwölf Tage lang weder für sich, noch für 
die Pferde genügend Wasser erhalteu. 

Bei den mancherlei falschen, tendenziösen, ränkevollen, De- 
nunziationen ähnlichen Aussagen, an denen jene Zeit so reich ist, 
mfissen wir alle diese Nachrichten mit grofser Vorsicht auf- 
nehmen. Wir gewinnen aus diesem Material kein Urteil ttber 
das Mafb von G^olizyns Schuld. Golizyn erscheint kompromittiert. 

') M^he SOth we came before the Pereoop and lodged as we marohed, 
where we were to enter into a treaty with the Tartars, which took 

no eifeet, our dcmands being too high, and they not condeacending to 
any other thinsf, aa to estalilisli a peace of the former condiiiona, so tliat 
not being uhlo to aubsist liere tor want of water, j^'rass aud wood for 
auch numbtTs as we had, and Hnilintr no atUuntage by takiu;f the Pereeoj», 
the uext day we reiurued'" etc. Vgl. da« Schreiben bei Uatrjalow 1, 
9. 800-811. 

•) Vgl. Uatrjalow I, 8. 811. 

^ Vgl. Golisyns Schreiben an SchaUowity bei Ustijalow I, S. 866. 
VgL üstrjalow I, S. MS, 



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332 Jftot W. W. Gblizyn (1643—1714). 

Seine Seliönßrbern in den Bulletins und Manifesten ist tadelns- 
wert. Um üm als Strutegeu gereciit zu. bturteilen, niuJ'h^tcü wir 
über eiu reicheres Material verfügeu. Deu Eindruck der Energie^ 
des Heroismus, einen Eindruck, wie ihn Münniohs £Ultang ein 
halbes Jahrhundert später genau in derselben Lage, an demselbai 
Ort auf uns henrorbringti ftbt Golizyns Handlungsweise, soweit 
wir davon Kenntnis haben, keineswegs. ') 

Ein Russe, welcher m jener Zeit bicL m tatarischer GcfauLrcn- 
schaft befaiid, erzahlte : die Tatareu der Krim hätten sich über (ioii- 
zyn nach seinem Kückzug lustig gemacht und gesagt, er sei nach 
Kijew gegangen, um dort, in ein Kloster eintretend, sich vor der 
aarisehen Ungnade za retten. 

Von sehr verschiedenen Seiten sind schwere Anklagen gegen 
Golizyn geachleudert worden. Die schwerste lautet dahin , der 
Fürst sei von den Tataren bestochen worden. Sie findet sich in 
verschiedenen aus jener Zeit stammenden Quellen. 

Schleusing erzählt, der Fürst habe sich bei den Feldaägen 
in der Krim „durch die firanzÖsiBchen Louisdor^ so aus der 
Türkei an ihn ubermadkt worden, die Augen verblenden lassen*', 
und iiigt hinzu, es seien bei dem Sturze des Fürsten in dessen 
Hanse die verräterischen Briefe und 50000 Louibdor gefunden 
worden. Auch in der Flugschrift , »Gespräche im lieiche der 
Toten'* liUst der Verfasser den Fürsten dem General Hochmuth 
erzählen, wie er in einem heimliehen Yemehmen mit Frankreieh 
gestanden habe und dals man bei ihm viel gemünztes fremdes 

') Von grofsem IntereMe, aber nicht unbedingt Zutrauen erweckend 

ist die Aussage, welche zwei Jahre später der 1689 in tatarischer Ge- 
fangenschaft befindliche Pole aus Ssmolensk, Foplouskij, machte. Er 
erzählte: „Als die russische Armee bei Perekop angelangt war, fra^^te 
der Sf>hn fies- Chans diesen, warum er die Ku?tsen nicht angreiie, und 
falls er. der Vater, keinen Ausfall inai lie. 80 werde er, fler Kolm. frcrn 
etwas unternehmen. Der (Jliau antwortete, (ioltzyu habe zu ihm gesandt 
und Frieden angeboten, daher befehle er, nidit sum Kampfe zu schreiten. 
£8me es nicht sn einem Yergleioht so würden die Tataren Oolisyn und 
«eine ganze Armee nach Perekop hereinlassen mid dort gefangen nehmen 
und verdursten laaaen, da ee in Perekop nur drei Brunnen gebe*. — 
Ans dem Archiv des Justizministeriums, Ssolowjew XIV, S. 61. 



biyilizüü by GoOglc 



Fürst W. W. Golizyn (1643-1714). 



333 



GoM gefonden iiabe, irorswi denn gesoliloasen worden «ei| daf« 

er Geschenke aus dem Anslandt itügenominen habe.') 

In den tagebuchartigen ^[«'nioiron eines höheren Beamten 
jener Zeit, des Okolnitscliij Sheljabushskij findet sich die Notiz: 
„Gfroluyn erhielt, als er bei Perekop etend, Bwei FäSathaa mit 
Qoldmttnien, welche noh epAter bei dem Verkauf in ICoakaii ak 
knpfeme und leicht vergoldete Müssen heraoaetellten". *) 

Das Gerücht sclieint auf die Aussaf^e eines in tatarischer 
Gefangenschaft gewesenen Russen. Nanuais (i listin. zurückzuführen 
zu sein. In dem Proaessc Schaklowitijs sagte er aas: „Als ich 
in Perekop gefangen war, kam ein Tatar an dem Chan mit der 
Nachricht, dafa roedsehe Trappen in der Steppe an sehen leien. 
Der Chan erschrak. Den Bewohnern yon Perekop wnrde befohlen, 
ihre Familien fortzusenden und ihre Häuser zu verbrennen. In 
dem neore dos Chans hcfanden sich einiijß Verräter von den 
Unsem, Doniscbe Kosaken, welche ein Jahr früher aus Tscberkask 
entflohen waren nnd den Islam angenommen hatten. Sie erzählten 
mir, dafs kars vor dem Eintreffen der nusischen Armee bei 
Perekop von dem türkischen Sultan an den Fürsten Wassilq 
OoHa3rn swei grofse FSsser mit Dnkaten abgfesandt worden seien, 
damit er die Krim voraclione. In d«a Fässern waren 15 Fäfschen 
zu 10 Eimern jedes. Der Chan nahm das Gold heraus, befahl 
die Fäfschen mit Pech zu füllen und nur oben nnd unten etwas 
Dukaten an lassen. So empfing diese FSsser in der Nacht der 
Okolnitsehy Benedikt Smqew (der Genosse Goliayns) nnd übergab 
sie dem Fürsten: in derselben Nacht sog Goliayn mit seiner 
Armee ab und liefs die Werkzeuge, welche bereits liir den zu 
wagenden Sturm augeiertigt waren, verbrennen. Nach dem Ab- 
züge (lolizyns wurde ich nach Asow geschickt. Dort sah ich, 
wie der Bei von Aaow, welcher 'der £jim an HUfe eilen sollte, 
in einem Yorratsranme auf seinem Hofe mit drei Agas drei 
Ffifoohen, von je 5 Eimern, mit Pech füllte und nur oben und 
unten Gold zuschüttete, indem er zu den Agas sagte, dafs sie 

*) Bei Neuville findet sich keim; derart i<;e Bescholdigung Qolisyns. 
*) Memoiren, herausg. ▼. Jsaykow, S. 21. 



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334 FSnt W. W. Qolizyn (1648—1714). 

mit (Umwd Fftbehen Our Leben retten würden. Diei aehen noch 
drei andere Kriegsgefangene, welche In demselben Renme Kehl 

Man sieht, dafs diese Aussage, welche nicht einmal von einem 
Angenseugen herrührt und die Wahrscheinlichkeit einer Yerweeh» 
lelnng dee Vorgänge! in Abow mit dem «ngebliehen BeBtechunge- 
▼ersnehe in Perekep snlfifet, wenig Glauben verdiente. Wenn 
sehon überhaopt in jener Zeit, anmal bei politischen Prosessen, 
ungl.'iublicli viol ^'elogeii wurde, so darf man derartigen Erzählungen 
von Deserteuren und Apostaten, und auch der Erzälilung Glistins, 
welcher seinem eignen Geständnis geraäfs den Türken versprochen 
hatte, znm Islam überantreten, keinen Glanben beimessen. Bei 
dem FroBesse im Herbst 1689 machte indessen die Aussage Glistins 
einen gewissen Eindruck, und sowohl Golisyn als Smejew wurden 
darüber befragt, was an der Geschichte mit den Dukatenfafschen 
sei. Golizyn sagte, es sei kein Gedanke davon wahr, auch hätte 
er ja den Srnpfang eines solchen Geschenks nicht verheimlichen 
können. Ebenso lengnete Smejew die ganse Sache auf das ent- 
schiedenste. 

Einen Beweis daftlr, dafs Gkilisyn unschuldig war, kttnnen 
wir auch in dem Umstände erblicken, dafs bei der Verurteilung 

und Verbannung Golizyns niclit ein Wort von jener Beschuldigung 
erwähnt wurde. Mag Golizyn» Haltung bei Perekop als klein- 
mfitig ersdieinen, für einen Verräter dürfen wir ihn nicht halten. 

Dag^n bleibt der Vorwurf, dafs Golisyn die Thatsaohen 
dea Feldaugs entstellt habe, auch inbetreff des Bttcksugea der 
Armee an ihm haften. Er berichtete an die Zaren, der Chan 
habe es nicht gewagt, ihn /.u verfolgen, und sei m Perekop ge- 
l)liei)en. Aus anderen, zuverlässigeren Quellen aber wissen wir, 
dafs das Heer sehr arg von der Verfolgung darch die Tataren 
XU leiden hatte. Ausfiüirlicher schreibt Gordon an den Earl von 
EiTol über diesen Bücksug und die Drangsale wShrend desselbeny 
und noch dnstiBoher Bebildert Lefort, welcher ebenfalls an dein 



') VgL Ustrjalow I, S. Si& 



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Fürst W. W. üolizyn (1643—1714). 



335 



Feldrage teilgtenomineii batte, den nnheilTolIen Ausgrang denelban 
mit weuigen Zahlen. Er schrieb an seine Verwandten: ^Die 
Hoskowiter verloren 35^)00 Mann (20 0U0 Mann an Toten und 
15000 an Gtefaogen€n) ; 70 Kanonen gingen iv Grunde, und 
ebenso alles Kriegsmatortal'*. 

Die Verlogenheit manefaer herrorragender Persönlichkeiten 
jener Zeit weist ein sehr ansdumliehes Beispiel in dem Hetman 
Maseppa auf. welcher ^onge jener Vorgänge bei Perekop gewesen 
war und einige AVoclieu später, anmittelbar vor dem Sturze Goli- 
syns, mit grofser Pracht und Feierlichkeit Ton der Regentin 
Sophie in Moskau empfangen wurde. Hier Itafserte sich Maseppa» 
offenbar um dem angenblioldieh herrschenden Ftirsten Golisyn su 
schmeicheln, über den Feldsng naoh Perekop : „Noch nie ist ein 
solcher Sieg über die Krimer erfochten worden ; noch nie hat man 
ihnen einen solchen Schrecken verursacht. Die Festung l'erekop 
SU aertrümmem, war schwer. Ich habe eine Chronik von Darias 
gelesent welcher die Krim wegen Wasser- und Futtermangel nicht 
nehmen konnte und» nachdem er 80 000 Hann verloren hatte» 
schmachvoll abzog. Jetat aber haben die russischen Truppen bei 
Perekop tapfer gekämpft, eine Menge Feinde getötet und kehrten 
ohne \ eriuate heim".*) 

Wenige Wochen später hätte Maseppa, welcher» wie oben 
bemerkt wurde, itlr sich ans dem konfissierten Vermögen QoUsyns 
10 ODO Bnbel erbat und erhielt, anders gesprochen. IMe fable 
eonvenue von einem glänaenden Erfolge konnte nur aeitweilig 
gelten. 

Indessen scheint die Begeutiu selbst an solche Erfolge ge- 
glaubt zu haben. Ein Schreiben Golizyns an sie , welches er 
seinen o£EaieUen Berichten beigelegt hatte, beantwortete sie folgen- 
dermafsen: ^Ketn alles» mein Väterehen» meine Hoffimsg; möge 
es Dir Wohlergehen viele Jahre 1 Dieser Tag ist mir «ine grofse 
Freude, weil Gott der Herr siiiieu heiligen Ximen rulimreich 
gemacht und ebenso den Isamen der Mutter (iottes, au Dir, mein 

*) Poaselt, Lefort I» S. 890. 
*) Ssolowjew Bd. XIV, S. 164. 



üiyiliZüQ by 



836 



Fürst W. W. Goli^ (1648-17U). 



alles! Von je und je ist eioe so grolse' Gnade Gh>ttes unerhört 
gewesen; unsere Yäter haben nie dergleichen er&hienl Ebenso 
wie Gk>tt die Israeliten durch Koses aus Ägypten fOhrte, so hat 

er euch jetzt durch Dich, meine Seele, geführt! Gt)tt dem Herrn 
sei Ruhm, weil er uns an Dir seine Gnade erwiesen hat! Mein 
Lieber; wie soll ich Dir Deine mafslose Mühe belohnen? Meine 
Freude, Glück meiner Augen 1 Kann ich es denn wirklich glauben, 
mein Hen, dafs ich Bich, meine Welt, wiedersehen soll? Das 
wird ein grofser Tag sein, an welchem Du, meine Seele, wieder 
bei mir sein wirst. WSre es möglich, ich wttrde Dich sogleich 
in einem Tage vor mich hinzaubern. Deine Briefe sind, durch 
Gottes Hand, alle glücklich angelangt. Der Bericht aus Perekop 
kam am 11. Ich pilgerte zu Fufs aus dem Wosdwishenakg- 
Kloster ; als ich mich dem Kloster des h. Ssergius nähere, kommt 
gerade Dein Sehlachtenberichi. Ich weils nicht mehr, wie ich da 
ankam; ich ging lesend. Ich weifs nieht, wie ich Gott und der 
Gottesmutter und dem allergnädigsten Wundertliiiter Sserg^ius 
meinen J)ftnk darbringen soll! Du schreibst, ich ßolle den Kiostorn 
Spenden darbringen; alles habe ich erfüllt; bin nach allen Klöstern 
8tt Fufs gepilgert» Die Medaillen sind noch nicht fertig ; betrübt euch 
deshalb nicht. Sobald sie fertig werden, sende ich sie. Du schreibst, 
ich solle beten. Gott weiXs, wie sehr ich mich danach sehne 
Dich 7.U schauen, meine Welt, meine Seele. Ich hoffe auf Gottes 
Bai iiihei zigkeit : er wird mir verleihen. Dich, meine Hoffnimg, zu 
sehen. Wegen des Heeres magst Du alles nach Deinem Ermessen 
beschliefsen. Ich aber. Du mein Väterchen, bin. Dank sei es 
Deinen Gebeten, gesund; wir alle sind gesund. "Wenn Gott mir 
▼erleiht Dich su sehen, dann werde ich Dir, meine Weit, von 
meinem gansen Leben und Treiben erzählen. Ihr aber säumet 
nicht, solidem marschiert, wenn auch langsam ; ihr seid müde. 
Wie soll man euch für alle Drangsale, wie soll mau vor allen 
Dir, mein alles, vergelten ? Wenn Du Dich nicht so bemüht hättest ; 
kein anderer hätte das geleiBtet*<. 

In Moskau gab es Festlichkeiten; es wurden Dankgebete in 
allen Kirchen angeordnet; die Klöster erhielten in Veranlassung 



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Fürst W. W. Golizyn (1043-1714). 



337 



der frohen Nachrichten von den Siegen reiche Spenden. An das 
Heer gingen Boten mit den Äufäerungeu de» Dauked und des be- 
sondern AVohlwollens von der Regentin und im Namen der Zarea, 
Die Urkunde war an Gtoliayn gerichtet und lautete : |,Darch Deine 
KtÜiwaltang aind die wütenden und seit undenklicher Zeit ihr 
Wesen treibenden Feinde des heiligen Kreuzes und der gansen 
Christenheit so geschlagen, besiegt und verjagt, dafs sie in Schreck 
und Verzweifluns^ selbst ihre heidnischen Wohnungen, alle Dörfer 
und Flecken in Perekop verbrannten, sich nicht aus Perekop 
herauswagten und auch bei Deinem fieimaug sich nicht sehen liefsen ; 
Du aber mit allen Deinen Genossen und allen Kriegern bist ge- 
sund heimgekehrt; für so in aller Welt Deinen Böhm verkflndende 
Siege, versichern Wir Dich Unserer Gnade und loben Dich auf 
das AUergnädigsto**. 

Gohzyn erliiolt eine Medaille im Werte von 300 Rubel, ein 
goldenes Deckelglas , ein goldgestidctes Gewand ^ eine Summe 
Geldes und ein Landgut. Alle Teilnehmer des Feldzuges wurden 
belohnt. Die Gefallenen ehrte man durch Einschreibung ihrer 
Namen in die Verzeichnisse derjenigen, derer in den Kirchen- 
gebeten erwähnt wurde.') Ausdi'iicklicli wurde (lal)ei bemerkt, 
dafs solche Belohnungen für Siege verliehen würden , wie sie iu 
der ganzen Welt unerhört seien. 

Übrigens merkten die heimkehrenden Krieger aehr bald nach 
ihrer Ankunft in Moskau i dals der wahre Sachverhalt in der 
Hauptstadt nicht unbekannt war. Als Gordon sich am 22. Jnli 
1689 bemüht«, zu erfahren, was es für Rcloliiningeu geben wt-rde, 
wurde er damit vertrustet, dafs man die Erklärung darüber ein 
paar Tage später geben werde. Die Sache zog sich hin, weil, 
wie Gk>rdon erfuhr, ,|der jüngere Zar seine Einwilligung nicht 
geben wollte, daÜB die Bojaren so viel bekommen sollten, als man 
ohne ihn beschlossen hatte". Erst am 26. Jnli wurde, wie Gordon 
erzählt, „der jüngere Zar durch vieles Bitten und mit grofser 
Höhe dahin gebracht, dafs er seine Kinwilügung gab".^) 

Ustijalow I. S. 987-S48. 
*) Oordons Tsgebudh IL S. 966 u. 866^ 
Brfi«kii«r, BmfUHul. 28 



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398 



Pünt W. GolbyB (16«-17U). 



Man mnijrte wahrnehmen, dafe neben Sophie und Golisyn noch 

eine Alaclit erstand. Die Kriais nahte. 

Katastrophe« 

Wie Feter sich zu dem Anagang» des Eeldsngea im Jahre 
1687 Terhalten habe, wiaaen wir nicht. Wenn berichtet worden 

ist, dafs der junge Zar schon damals den Fürsten Golizyn mit 
Vorwürfen überhäuft habe, po ist. auf eine solche Notiz ohne 
Quellenangabe kein Gewicht zu legen. ^) 

Peter seigte bei Gelegenheit der Kückkehr GK>lisyn8 ana dem 
aweiten Feldange, daXa er mfindig an werden anlange. Er war 
damals 17 Jahre alt. Bereits ein Jahr savor hatte Baron KeUer 
uach den Niederlanden geschrieben, der jüngere Zar ziehe durch 
seine Klugheit und Kenntnis militäriscber Gegenstände die gröfste 
Aufmerksamkeit auf sich; hohe und mächtige Herren ver- 
sicherten , d&fa dieaer junge Fürst bald anr Aosübung der aon* 
▼erSnen Macht werde aagelaaaen werden: trete aber eine aolche 
Terftndemng ein, so würden manche Angelegenheit«! eine andere 
Wendung nehmen. 

Bereits am 25. Januar l»i8<S schreibt Gordon. es sei bei 
Hofe eine Geheimratsversammlung gehalten worden, au welcher 
Peter sam ersten Male teilgenommen habe. ^) Damals beschSftigteii 
den jüngeren Zaren die bekannten SoIdMenapiele, nnd diese ver* 
anlaiaten bei Sophie nnd dem Fürsten Gx»liayn mancherlei Ver- 
stimmnng. Gordon erwähnt im Februar 1688, der jüngere Zar 
habe verlangt , man solle ihm 5 Pfeifer und 5 Trommelschlager 
von Gordons £«giineute zusenden, und Golizjn sei sehr augehaiten 



>) Vgl. MalinowsM) a. a. O. 8. 76. Tereschtsofaenko, S. 109, laTst 
Gholisyn ans Bache für die Demütigung an dem Attentat gegen den 
Zaren teilnehmen; bei Teresditsohenko gibt es eine entsetslidie Chro- 
nologie : die Verschwörung Chawanskijs setzt er ins Jahr 1665 (statt 1682), 
den zweiten Feldzug in die Krim 1686 (statt 1689). 

») Possolt, L*>fort I. S. 415. 

Vgl. Gordous Tagebuch, U, S. 209. 



biyilizüü by GoOgl 



« 



FÖMt V. W. Golizyn (1648—1714). 339 

darfiber geweieii, cUfa GordoD den Wiusch Petera erilUIt habe, 
okne dafs Gblisyn davon wnfBto. ^) 

Alit Sophie war es schtui ;\iu 9. Juli 1689 zu einem Auftritte 
gekoinnieu, als die Prinzessiu darauf be&iaud, einer Prozession 
zugleich mit dem Zaren beizuwohnen und Peter infolgedessen in 
gröfeter Yeratimmnng die Prosearion im Stiche liefe und noh anf 
sein Landhaus verf&gte. *) 

Ein paar Wochen nach diesem Auftritte entstand jener 
Zwist über die Belohnung Golizyns und der Generale. Peter 
hatte schliefslich seine Einwilligung gegeben, aher er grollte. 

Gordon erzählt, dafs die Generale und Oftiziere, welche Be- 
lohnungen erhalten hatten, am 27. Juli sich nach Preobrashens- 
koje begaben, um dem Zaren Peter für seine G^ade lu danken. 
Bie wurden nicht vorgelassen. Es war eine starke, unheilTer- 
kfindende Demonstration. Gordon schreibt: „Jeder sah deutlich 
und wufste, ÜHly man die Einwilligung des jüngeren Zaren nicht 
anders als mit dem gröfsten Uugeätüin erprefst hatte. Und dieses 
brachte ihn wider den Generalissimus und die vornehnisten Eat- 
geber bei Hofe Yon der andern Partei nur noch mehr anf. Denn 
jetat sah man einen öffentlichen Bruch deutlich voraus, welcher 
wahrscheinlich in die gr5fste Erbitterung ausschlagen wfirde. In- 
dessen wurde alles, so viel wie möglich, vor dem grofscu Haufen 
geheim gehalten. Poch geschah dieses niclit mit so viel Ge- 
schicklichkeit und Verschwiegenheit, dafa nicht beinahe ein jeder 
hätte wissen sollen, was vorgug.^ *) 

Wenige Tage später kam es zu diesem Bruche. Peter er- 
hielt die Nachricht, dafs man ihm nach dem Leben stelle. Er 
flüchtete nach Troiza. Ifan hatte jetzt zwei Höfe, zwei Heer- 
lager, nachdem man schon liingere Zeit zwei Parteien bei Hofe 
gehabt hatte. Der Bürgerkrieg konnte jeden Augeablick aus- 
brechen« 

Goliiyns Sturs bei einer solchen Gelegenheit war um so wahr- 

Vergl Gordons Tageb. IL S. 227, 
-) L strjalow II. S. 50. 
«) Gordons Tagebuch IL S. 267. 

98* 



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840 Fürst W. W. Qolugm (1648-1714). 



scheinlicheri als er siob ohselun in venehiedenen Kretien keiner 
Popularit&t erfrenie. Er wer Terhafst. 

Unmittelbar vor dem zweiten Feldzuge in die Krim erfolgte 
ein Attentat auf das Leljou des Fürsten. Es hatte jemand ihn, 
als er im Hcblitten saia. überfallen und töten wollen Mit Hübe 
hatten die Diener Golizyns den Thäter gefafat, welcher hierauf 
in aller Stille im Gefitngnis hingerichtet wurde. ^) Über die 
Uotive dieser That wissen wir nichts. Ein anderes Mal fand 
man, ebenfallB nnmittelbar Tor dem Feldzuge von 1689, Tor der 
Tllüre des Hauses Golizyns einen Sarg mit einem Zettel, in 
welchem gesagt war, dal's wuud der zweite Feldzug ebenso erfolg- 
los sein werde, wie der erste gewesen war, Golizyn zum Lohne 
dafür einen Sarg erhalten werde.*) 

Allerdings mögen die Hifserfolge in der orientalischen Frage 
die allgemeine Stimmung gegen den Fürsten Golizyn erregt haben. 
Biiron Keller «chrieb im April 1()89 an die Generalstaateii : ..Wenn 
es aicli tjreiguen sollte, — vor welchem Unglücke (lott dieses Land 
bewahren möge, — dafs der gegenwärtige zweite Feldzug für die 
BoBsen nieht glücklicher wäre, als der erste, so ist es gar sehr 
zn beförchten, dafs ein allgemeiner Anfrnlir hier an ][iande ans- 
bricht, nnd zwar ans mehr als einem Grande, welchen ich gegen- 
wärtig dem Papiere anzuvertrauen nicht wi^e." *) 

Man sieht aus diesen Vorgängen und Stimmungen, was da« 
Scbeiterii der Uuternehnmngeu gegen die Krim für den Fürsten 
Golizyn bedeutete. Auch sind ihm bei seiner Yerorteilang diese 
Feldzfige znm Vorwarf gemacht worden. Konnte man ihn auch 
noch anderer Vergehen beschaldigen? 

Es ist bei dem lückenhaften Material, über welches wir ver^ 

^) Die Geschichte vom Attentat ist bei Avrü, Voyage en divers 
^tats S. 260 ersahlt, und ferner in den ,|Qe0priichen im Aeiche der 
Toten" 9. 1190. In der letzteren Flugschrift keifst es, Goliiyn sei ver- 
hafst gewesen, weil er die Fremden ins Land gerufen habe: 800 Büiger 
hätten sich {?egen Golizyns Leben verschworen u. dergl. 

Auch <Iie Geschichte vom Sarge ist in dem Gespräche m. d. 
General Hnclaimih. 

rosaclt, Leiort 1. S. 4iä. 



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Fürst W. W. Golizyu (1643—1714). 341 

fügen, nicht leicht, die Ahsiehten der PrinseBsin Sophie zu durch- 
schauen. Noch schwerer ist es, das Mafs der Mitycluihl Golizyiis 
an diesen Pläuen der Regentin festzustellen. Sowohl die Akten 
des Prozesses Schaklowitij als die Aufzeichnimgen der Zeitgenossen 
enthalten hierüber nur vusaverlässige Angaben. 

Am abentenerlichaten sind die Erafthlungen NeuTÜles; in 
ihnen findet sich wohl dasjenige, was in den Kreisen der Aus- 
länder als Gerücht umlief. Da heilst es denn, Sophie habe Goli- 
zyn, von dorn sie Kinder hatte, auf den Thron hriiigen wollen, 
und danu wieder, Golizyn habe seinem Bohne die Krone ver- 
schaffen wollen. Auch Yon alleriel Bänken gegen den Zaren 
Iwan wird erzahlt; Golizyn habe die Gemahlin desselben durch 
einen italienischen Arzt verfahren lassen; es sollte der Beweis 
gefuhrt werden, dafs die Kinder der Zarin nicht Iwans Kinder 
geien, Iwan sollte dadurch veraiil ifst werden, seine Genifililin zu 
verstofseu, worauf man ihn dann mit einer andern verheiraten 
wollte, von welcher man sicher sei, dafs sie keine Kinder haben 
werde, n. dergl. mehr.^) 

Gewifs ist, dafs Sophie und Golizyn zunächst auf Mittel 
sinnen mnfsten, sich neben Peter zu behaupten. 

Es gab ein einfaches Mittel, die Zweiherrschaft in eine Drei- 
herrschaft zu verwandeln. Sophie begann in der ersten Hälfte 
des Jahres 1686 bei den im Namen der Zaren Iwan und Peter 
erlassenen Aktenstficke ihren Namen als „Selbstherrscherin** bei- 
zufügen. Es geschah dieses zuerst in dem Augenblicke des 
Abschlusses des Friedeiks mit Polen; Peter selbst schwieg damals, 
aber seine Mutter widersprach lebliaft und drohte, ihre Anhänger 
würden dieses der Prinzessin nicht so hingelien lassen. ') Es war 
unmöglich, daDs nicht der „erste Minister^ Sophiens, wie die Aus- 
länder Golizyn nannten, an der Verantwortlichkeit für diese 
Neuerung mittragen mufste. Es war ein in aller Stille und 
Gemächlichkeit yoUzogener Staatsstreich. Peters AUeinherrschafk, 
wenn er mündig war (Iwan zählte kaum mit) war in Frage 

Relation curieuse 8. 159, 162, Ifto. 
*) Vgl. die £inzeUieiteu bei Ustrjalow IL, Sb 86 u. ff. 



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342 Fürst W. VV. Golizjn (1643—1714). 

geßteUt. Zu dieser llafsregel die Hand geboten zu haben, ist 
dem Fürsten Golizyn bei seiner A' erurteiluug zum Vorwurfe 
gemacht worden. Er galt nicht blofs für mitschuldig* er war ea. 

X>a& Schaklowitij ^der sweite Favorit**, wie er wohl genannt 
wird, Peter und deeaen Mutter naoh dem Leben getrachtet habe, 
nnterliegt keinem Zweifel. Inwiefern Golizyn an dieaen An- 
schlügen beteiligt war, ist schwer zu ermitteln. Einer der Zeugen, 
welche in Schaklowiti js Vi-uzpfa verliürt wurden, sagte aus, Goli- 
zyn habe eiutoal geäufsert: „Es ist schade, dafs man im Jahre 
1682 (bei dem eraten Aufstände der Strelzy) nicht auch die 
Zarin lfata\ja getötet habe; dann wäre jetat nichts** , d« h. dann 
hätte man es leichter (im Jahre 1689) Sophiens Straofs mit 
Peter auszufechten. Auf solche Aussagen ist nicht viel Gewicht 
zu legen. Auch ist in der Verurteilungsakte keine bezügliche 
Beschuldigung zu linden. Wenn übrigens in der That, wie man 
ansnnehmen Grund hat, eine formelle Verschwörung gegen Peter 
bestand, und Sophie und Schaklowitij dabei die Initiative hatten, 
so ist es im höchsten Ghrade unwahrscheinlich, dafs Golizyn nicht 
in solche Entwürfe eingeweiht gewesen sei. Als der Hanpt- 
Bchuldige g;ilt allerdings Schaklowitij. Er wurde hingerichtet. 
Bei der Untersuchung wurde, offenbar um das Mafs von Golizyns 
Mitschuld festzustellen, nach dem Grade der Intimität «wischen 
Gh>lizyn und Schaklowitg geforscht. Der erstere leugnete eine 
solche Intimität, aber man hatte bei Schaklowitij die vielen Briefe 
Golizyns an denselben ans dem Jahre 1687 gefunden und hielt 
ßiü Golizyn als einen JJeweis seiner nahen ticziehungeu zu Scliaklo- 
wity entgegen. Aber alle diese Einzelheiten der Untersuchung 
und der Verurteilungsakte geben im Grunde keinen Beweis für 
das Mafs von Golizyns Mitschuld ab, weil das über ihn gefiUlte 
Urteil, wie wir auf Grund der Mitteilungen Gk>rdona annehmen 
dürfen, durch den Binflufs Boris Golizyns wesentlich gemildert 
wurde. Ausdrücklich bemerkt Gordon , welcher den Personen 
der mafsgebenden Kreise nahestand, und von vielen Einzelheiten 
der Vorgänge während der Krisis wufste, dafs Golizyn „die 
gröfste Stütze der Partei der Prinzessin und dalür bekannt ge- 



biyilizüü by GoOglc 



FSnt W, W. Golüyii (1648— 1714). 



843 



wMen sei, daTs er, wenn er nicht eelbtt der Anstifter war, dodi 
nm aJIea wnfete, wae siaii gegen daa Leben des jüngeren Zaien 
im Sinne gehabt hatte.* ^) 

In dem Prozesse BduJdowitijB wurde ausgesagt, die Prin- 
zessin Sophie habe nächtlicher Weilt; vviederliolt geheime Unter- 
redungen mit den Strelzy gehabt, in denen sie über die Übergriffe 
der Naryschkinschen Partei Klage geführt und n. a. sich mit 
Erbittemng auch darüber geftufsert habe, dals man dem Fürsten 
Wassiiy Wassiyewitscb Goliayn, welcher doch so Tiel geleistet 
habe, den Kopf abhauen wolle; an diesen Unterredungen habe 
Golizyn bisweilen teilgenommen.-) 

Die Einzelheittiu der Vorgäage im August und September 
1689 können hier für uns nur insoweit von Interesse sein, als 
sie den Fürsten Golisyn betreffen. Man weifs, wie Peter, nach- 
dem er sich nach Troiaa begeben hatte, von dort aas an die 
▼erschiedenen Truppenteile die Anßbrdemng richtete, zu ihm 
zu kommen j uud die in Moskau zurückbleibende Regierung, in 
dem Mafse , als die Strelzy uud die andern Truppenteile jener 
Aufforderung nachkamen, ihre Sache sclieitem sah. 

Von der Haltung der Prinaessin in diesen Wochen wissen 
wir riel mehr, als von deijenigen des Fflrsten Ctolisyn. Er bleibt 
gewissermafsen im Hintergrunde: er ist mehr Zuschauer, als 
handelnde Person. Er mufste die Gefahr erkennen, in welcher 
er sich befand , aber dafs er dieser augenscheinlichen (refahr 
gegenüber grofse Energie, Thatkraft an den Tag gelegt habe, 
kann man nicht sagen. Während Yon der Begentin berichtet 
wird, dafs sie auf allerlei Hafsregeln sann, den Streit mit Peter 
beizulegen, dafs sie mehrere Personen hintereinander nach Troiaa 
sandte, um den erzürnten Bruder zu besänftigen, dafs sie wieder^ 
holt sich an die noch in Moskau verbleibenden Truppen mit 
langen üeden wandte u. 8. w., gibt es nur einige wenige An- 
deutungen über Goli^n, und diese lassen darauf schliefsen, dafs 



') Gordons Tagebuch 11. S. 280. 
•) Ustrjalow IL S. 53. 



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344 



Flini W. W. Goluyn (1643-1714). 



er kleinmütig und nnentachloaBen das Yerhäognia an Bich heran* 
kommen liefe. 

Schaklowitij sagte bei dem Verhör in Troisa ans, Golizyn 

habe, aJs schon eines der aiigo.seheiisten Strelzyi-egiment€r nach 
Troiza zu Peter übergegaugeu war, den Rat gegeben durch Emis- 
säre ein oder zwei Dutzend Strelzy beroden zu lassen, wieder 
nrückmikehren ; dann würden auch die andern 8trelzy Peter Ter- 
lasaen und er selbst werde genötigt sein, nach der Hauptstadt 
an kommen.') Schaklowit^ folgte diesem Bäte, aber e& gelaug 
nicht, auf die in Troiza befindlichen Strelzy zu wirken. 

Peters Anhang wuchs. Anfang September wur er bereits 
in der L^t*, die AuBlieferung Schaklowitijs nicht blofs veriaogen^ 
sondern auch durchsetzen zu können. Schaklowitij, welcher — 
zu spfit — einige Vorbereitungen zur Pludit getroffen hatte, 
wurde Ton der Regentin ausgeliefert, nach Troiza gebracht, ge- 
foltert, hingerichtet. 

Inzwisclien sollte auch Golizyns Schicksal sich erfüllen. 

In Moskau war Grolizyu immer noch die erste Peri»o!i ne])eti 
der Begentin. Am 16. August befahl er dem General Gordon 
auf das Allerentschiedenste, sich unter keinen Umständen aus 
Hoakau zu entfernen. Als Gordon nnd die andern ansl&ndischen 
Offiziere Anfang September von Feter die Aufforderung erhielten, 
unverzüglich nach Troiza zu kommen, hielt Gordon es für seine 
Piiicht, dem i^'ürsten Gi>lizyn davon mit dem Bemerken Mitteilung 
zu machen, dafs sie gehorchen würden. Golizyn ward bestürzt, 
suchte seine Unruhe zu verbergen und antwortete, er werde die 
Entscheidung der Prinzessin Gordon später mitteilen. Die Ent- 
scheidung hing aber nidit mehr von Sophie nnd Gk>K2yn ab. 
(Tordon reiiste mit allen Ausländem nach Troiza uud dieser TTm- 
stand trug nicht wenig dazu bei, dalk Peters Partei zum Siege 
gelangte.^) 

Inzwischen war in Troiza Golizyns Vetter, Boris Alezege- 
witsch Golizyn, der Hauptratgeber Peters, dessen Erzieher er die 

') \^\. Ustrjalow II. S. (i4. 

«) Gördens Tagebuch II. S. 5^75-277. 



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Fürst W. W. OoliEjn (1648—1714). 345 



leisten Jahre gewesen war. Boris Golisyn konnte dem Schicksale 
seines Yetters yielleicht eine relaÜT günstige Wendung gehen. 

Er schrieb aus Troiza an denselben, Wassilij "Wasailjewitsch solle 
nach Troiza kummen und hei Zeiten um die Gnade des Zaren 
bitten. Dieses Schreiben kam am 1. September. Am 3. Sep- 
tember sandte Wassilij Qolisyn die Antwort ab, in welcher er 
seinen Vetter Boris ersuchte , in dem Streite awischen Sophie 
and Peter als Termiitler anfsntreten. So glaubte denn Wassü^ 
Golizyn noch immer an die Möglichkeit der Versöhnung der 
Parteien. Indessen erhielt er gleich darauf ein zweites Schreiben 
von Boris Golizyn aus Troiza, worin derselbe seinen Vetter 
nochmals ermahnte, baldmöglichst nach Troiza zu kommen, und 
sich die Gnade des Zaren, welcher ihn gut aufnehmen werde, zu 
erwerben. ') 

Am 6. September erfolgte die Auslieferung Schaklowit^s. 

Golizvi), welcher die Nacht vom 5. auf den 6. mit einifren Ver- 
trauten auf seinem, in der unmittelbaren Umgebung der Hauptstadt 
befindlichen Gute Medwcdkowo zugebracht hatte, war, als er diese 
Kachrioht erhielt, sehr bestürzt. 

Hat er daran gedacht sich durch die Flucht zu retten? In 
G^schichtsquellen von sehr zweifelhaftem Werte wird allerlei 
Abenteuerliches Uber diesen Punkt iiiitgeteiit. ^) Die zuverlässigen 
Katerialieu enthalten keine Andeutung darüber. 

Gordona l^^buch IL S. S78— S74. Sehr antchaoUch ist Gordons 
Bemerkung, welche er der Nachricht, dafs Boris Golizyn an seinen Vetter 
schrieb, hinzufügt: „Denn kein anderer durfte es wagen, sich in eine 
so kitzliche Sache zu mischen, als diese anftinglieh anp^esehen wunle-'. 

So z. B. erzählt Neuville. G<^li/.yii habe nocli vor dem Ausltruelie 
der Kri'^i? vorsichtii^erweise seinen Suhii uiit aUerlei Schät/.eii luu h Polen 
senden wollen, aber die allzugrofse Ungeduld Sophiens habe diests Mafs- 
regel vereitelt. An einer andern Stelle erzählt Neuville (S. 167) Golizyn 
habe sich hei Zeiten surücksi^en, nach Polen fliehen, seine Scb&tze ins 
Ausland retten, sich an die Spitze rebellischer Scharen von Kosaken und 
Tataren stellen woll^ u. dergl. m.; er habe noch im letstMi Aagen1>l!cke 
fliehen können, aber seine Familie nicht preisgehen wollen und daher 
die Flucht unterlassen. — Am abenteuerlichsten ist der Inhalt eines, in 
der Kaiserlichen Bibliothek zu St. Peterabtirg befindlichen als Flugblatt 
gedruckten Scbruibeuü eines Unbekannten aus Moskau vom 5. Oktober 



I 



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346 



Fürst W. W. (xalizyn (1643—1714). 



Da^rc'gen haben wir selir genaue Niaeliriehteii aber die Vor- 
gänge heiTii Sturzu üuiizyii.s. 

Peter hatte die in Moskau weüeiideu Bojaren zu sich nach 
Troiza entboten. Am 7. September kamen einige derselben dort- 
hin. An demselben Tage ward Schakiowit^ in Troiza verhört 
und gefoltert. Gegen 5 Uhr nachmittags kamen Wassily Ghilisyn 
und einige Personen seiner Umgebung vor dem Thore des Klosters 
an. Sie iiiiir.sten, clie iniin ihnen Einlaf;? gewiilirte. eine \'iertel- 
stuude warten, woraul iliueu bel'obleu wurde, in den von ihnen 
bezogenen Wohnungen zu verbleiben. £& war also Hausarrest 
vorgeschrieben. Peter bebandelte Goliajn und dessen Genossen, 
Nepligew, Smejew n. s. w, als StaatsTerbreeher^ wenn aneh sa* 
nächst mit der gröfsten Hilde. 

Am Abend desselben T.ige» besuchte Gordon den Pürsten in 
de8«5en "Wohnung, und fand ihn, wie er bemerkt, „etwas tiefsinnig, 
wozu er auch Ui-sache hatte''. 

Der 8. September verging, ohne dals etwas Entscheidendes 
geschehen wäre. 

16ft9 (Copia litterarum ex' Stolicza Metropoli lloschorom Impci ii de 
proditione archistrategi GalüeHn scriptanira — eine Seite, ohne Uruck- 
ort). wo es heifat. Peter sei vvegeu der Feldzüge in die Krim so auf- 
{.T'lu iK lit über Gülizyn f^pwesen, dafs er, der Zar, mit 12 000 Mann die 
Hauptstadt verlassen huhu und entschlossen sei, nicht eher dahin /urück- 
sokehren, ab bis Golisyn mit seinem Anhange gefangen vor ihn gebracht 
würde ; Golisyn sei entflohen; Peter habe ihm »veloces Jaculatores et 
Strelicios" naohgeschickt; Golisyn habe sich auf seinem Gute verschanzt 
und sich daselbst mit 1000 Mann verteidij^t. — l^brigens bemerkt dw 
Verfasser de« Schreibens untl zeigt damit, dafs alle solche Erzählungen 
nur das Er«jfebni8 des Stadtklatsches waren, man erzähle diese Vorgänge 
sehr vfrsehifflen. Einiq-e ?;ri£;ten. Golizyn sei an dem Orte seines Asvls 
getutet worden. Andere, »t sei „'eliuiulfii nach Hoskau gebracht vv(»i-.]i"ii. 
wo über die Art seiner lliurichtuuf^ beraten werde. luzvvischou soi 
zwischen den beiden Zaren eine „ingeus contentio" eingetreten, der 
„jüngere*' Zar Iwan (sie) wolle mit Sophie in ein Kloster gehen, der 
grofsere Teil der Bojaren nnd der Strelsy hinge Feter an. Was weiter 
geschehen werde, schliefst das Schrsiben, müsse die Zeit lehren. „Datum 
in Stolicza Moscoviae, die 5. Oct. IttSO". 

') Ganz unb( «n*üudet ist die Er/.ählung Schleusings, Golisyn sei M^nf 
Torturart geknutet^ worden. (iK>rdon weifs nichts davon. 



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Fürst W. W. Golizyn (1643-1714). 



347 



Am 9. encßieli folgte die Enteoheidung. Eb wnrde nach dem 

Fürsten Golizyu und dessen Sohne geschickt. Als sie an der 
Treppe des Hauses, in welchem Peter wohute , ed langten , trat 
ilmen ein Beamter mit einer Papierrolle entgegen and verlas daa 
Urteil. 

Es war inbetreff GoUiyns keine eigentliche üntersachiuig 
voranagegangen. Man hatte ihn nicht verhört. Man atraffce kein 

eigentliches Verbrechen. Man machte ihm keinen Vorwurf der 
Mitschuld an Schaklowitijs Anschlägen. Mim stürzte ihn wegen 
der MiTsregierang. Er imterl^ keiner .eigentlich juristischen, 
Bondem nur mehr einer politischen Hinisterrerantwortlichkeit. In 
orientalischen Staaten pflegen Ministerkrisen mit einer gewissen 
Härte und Strenge yerbnnden zu sein. Die Entfernung eines 
Staatsmannes von seinem Posten erscheint als ein Strafakt, ohne 
es im Grunde zu sein. Die Entfernung pflegt sich oft zur Ver- 
bannung zu steigern. Der mifsliebige Beamte, welcher entlassen 
wird^ gilt leicht als Staatsverbrecher. 

GK)lizyn hatte, da er wohl von den Vorwürfen, welche ihm 
gemacht werden sollten, erfahren hatte, eine Bechtfertignngsschrift 
vorbermtet. In 17 Punkten hatte er die Verdienste beleuchtet, 
welche er sich um daä Staatswesen erworben habe. Kr kam nicht 
dazu, dieses Dokument vorzulegen. Schweigend mufste er die 
Anklageschrift vernehmen. Sie lautete dahin, dafs G^olisyn nnd 
sein Sohn des Bojarenraoges verlustig gehen, ihr Vermögen ver^ 
Heren und verbannt werden sollten, weil sie, als Sophie sich sum 
ttnOMa dT TUAU, ihrer Brader allerl« th^rgnm, »gWrt 

habe , ihr olme Wi.ssen der Zaren über allerlei Staatsgeschaf'te 
Bericht erstattet und den Namen der Priuzeähiu zugleich mit den 
beiden Zaren geschrieben hätten, auch habe der Fürst Waasil^ 
Goliqrn, als er 1689 in die Krim geschickt wnrde, bei Perekop 
keine geeigneten Ua&regeln ergriffen und sei schnell wieder von 
Perekop abgezogen, wodurch den Zaren ein arger Verlust an 
Geld und Menschen zugefügt worden sei. Zum Verbannuugsort 
wurde Ivaigopol bestimmt. 

^) VgL tioidons Tagebach IL 8. d78 u. 279. 



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FGnt W. W. Golisyn (1648-1714). 



Also keiiie Erwfilmiiiig emes eigentlichen Yerbrechena, kein 
Wort davon, dafs der Fürst Gtolizyn sein Bedauern darfiber ge- 

äufscrt hiilje, dal's mau im .Jitlnc 11)82 Peters Mutter am Leben 
gelassen habe, keine Silbe von einem etwaigen Verdachte der Be- 
stechung Golizyns durch die Tataren! 

Kaigopol aU Yerbannnngsort konnte als ein leidlicher Anfeni* 
halt gelten. Diese Stadt befand sich auf dem Wege nach Archan- 
gelsk , also an der wichtigsten nnd belebtesten Handelastraise 
ßuTslands, nicht im äufsersteii Norden. 

Dafs Golizyns Schicksal sich so milde gestalten sollte , über- 
machte die Zeitgenossen. 

Gordon bemerkt, dals Gbliayn» welcher doch schon danun 
des Hochverrats schuldig gewesen sei, weil er die Anschläge 
anderer verhehlt hatte, nicht sn schlimmeren Strafen ver- 
urteilt wurde, weil sein Vetter, lloris Ciülizyn, sich für ihn 
verwendet habe, um von semer i^'auulie eine solche Schmach 
abavwenden. 

Boris Oolisyn hatte Feinde. Kan sprengte, als Golizyn mit 
seinem Sohne fortgeritten war, ans, die beiden seien entflohen. 
Boris Golizyn hatte ihnen das Geleite gegeben. Als femer 

Schakiowitij noch ani Vorabend seiner Hinrichtung eine Schrift 
über die ganze Angelegenheit verfafät hatte, und Boris Go- 
lizyn, wegen d.ec allzuvorgerückten Abendstunde, dieses Akten- 
stück erst am andern Morgen dem Zaren übergab, sog er 
sich den Verdacht sn, er habe an der Schrift, welche seinen 
Vetter zu kompromittieren geeignet sein konnte, etwas ge- 
ändert oder unterschlagen. E« gelang ihm, sich zu recht- 
fertigen. ') 

') Vgl. Gcrdous Tagebuch II. S. 280— 287. Neuerdiugg sind Zweifel 
darüber geäufsert worden, dafs Boris Golizyn seinem Vetter habe helfen 
können und wollen. Es ist aktenmäfsig bezeugt, dafs Boris Golii^n 
am 7, Januar 1691 bei Hofe enchieoen sei und erklärt habe: es sei ein 
Höndi bei ihm enobienen und habe gesi^: „Schütze nur deinen Vetter, 
den Fürsten Wassilij, noch ein Jahr; msn wird seiner bedürfen; der 
Zur Peter hat doch nur noch ein Jahr zu leben." Dieses hatte den 
Befehl zur Folge, dafs (s. weiter unten) die üoiizyns nach Pustosersk 



biyilizüü by GoOgl 



Fürst W. W. Goliz>n (1643-1714). 



349 



Verbaiiniui^ ud Tod. 

So Btand deuu üolizyn am Ziele seiucr politiachcn Laufbahn. 
Bei der Gefuhr, in welcher er sich befunden hatte, konnte es als 
eine Art Wunder gelten, dafs er den Schrecken der peinliehen 
UntoTBUchnngy wie sie in Bofslsnd aach bei poUtisdien Prozemen 
äblich war, entging. 

Allerdmgs war er, im Vergleich mit .seiner früheren mate- 
riellen Lage, ein Bettler. Man hatte ihm von seinem ganzen Ver- 
mögen, von allen G-tttern, dem baren Gelde und allem Besitz an 
IinznsgegensUbiden nur 2000 Babel gelassen. Alles andere war 
konfisziert worden. 

Alsbald befand sieb der Fürst mit seiner Familie anf dem 
Wege nach Kargopol. 

Inzwischen hatte aber sein Schicksal eine wesentliche Ver- 
Bchlimmentng erfahren. Man beschäftigte sich in Troiza mit 
Golizyn aucb nach seiner Abreise. Am 15. September, also 
wenige Tage nach der YemrtaUnng Golizyns, erfolgte der Befehl, 
die Golizyns niobt nach Kargopol , sondern yiel weiter nordlich, 
nach i'ustosersk zu bringen: drei Tage später wnrde endlich der 
Flecken Jareuak zum Aufenthaltsort der Golizyus bestimmt (im 
Archaugel sehen Gouvernement). Es war dies ein elendes , aus 
etwa dreifsig Hütten bestehendes, von Syrjanen bewohntes, hun- 
dert Heilen von Wologda gelegenes Dorf, welches indessen immer- 
hin besser war, ak das nnwirtUche Pustosersk, wo der Yorginger 
Golizyus, der ausgezeichnete Staatsmann Matwejew, während der 
Regierung des Zaren Feodor dorthin verbannt, der Geiaiir des 
Verhungerus ausgesetzt gewesen war. 

Mau hatte zuerst den Golizyns ein grolseres Gefolge ge- 
stattet ; jetzt sollte die Dienerschaft der Familie fünfzehn Köpfe 
niobt übersteigen. Auch die Habseligkeiten, welche die Golizyns 

gebracht werden sollten. 8. d. Aktentsmmlung: „Der Pro/ers des 
Theodor Sehaklowitij nnd Genossen", herausgegeben von der Archeo- 
graphischen Kommission (nissisch). SL Petersburg 1884. S. VIL der 
Vorrede. 



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350 Fürst W. W. Golisyn (1648— 17U). 

mitgenommen hatten , bares Geld , Schmucksachen u. s. w., alles 
BoUte konfisziert werden. Auf das strengste sollten die Gefangenen 
Ton allem Umgänge mit andern Henschen abgesperrfc bleiben. 
Aller briefliche nnd mOndlicbe Verkehr war Terboten. 

Der Beamte» welcher mit solchtm Inttniktionen den Reisen« 
den nachgeeilt war, traf sie in Jarofslaw, wo die Golizyas ein 
Verhör zu bestehen hatten. Einige der Aussagen, welche Schak- 
lowity gemacht hatte, sollten dadurch geklärt werden. Goliign 
stellte die Wahrheit der Ton Schaklowitig inbetreff seiner, Golisyns, 
gemachten Anssagen in Abrede. Hau drohte ihm mit der Folter. 
Er blieb fest beim Leugnen. Es kam nicht m so extremen Ibfs- 
rejreln. OfTenbai imtte der verhörende Beamte Inatruktioneu, von 
äuiserster Strenge abzusehen. ^) 

Trotz der streogen Aufsicht erhielt Golizyn auf der Eeise 
ein Schreiben und Geld von der ehemaligen , jetst gestüraten 
Begentin. Sophie machte ihm Hoffnungen: er werde, Bank der 
Fürbitte des Zaren Iwan, bald seine Freiheit erlangen. Die 
Prinzessin liitte einen, auf sein Gut reisenden Luudedelniann 
durch iJrohuugen willig gemacht, diese Botschaft zu übernehmen. 
In Wologdn, wo die Beisenden rasteten, schlich er sich durch 
Gemüsefelder leise zum Hause der Gefangenen und übergab den 
Brief sowie das Geldpllekcheni welches 3 — SOO Dukaten enthalten 
modite. Golizyn gab ihm ein Antwortschreiben an Sophie, 
welclies der Bote, aus Turcht damit betroß'en zu werden, ver- 
brannte. 

Monatelang währte die Heise in den Norden. Hinter Wologda 
wurden die Wege immer schlechter. Man konnte die Wasser- 
stra&en nicht benutzen. Zuerst gab es Mangel an Wasser, dann 
bedeckten sich die Flüsse mit Eis. Auf den Flüssen brachen die 

Reisenden wiederholt durchs Eis. Die Frauen und Kinder (Alexei 
Gt)lizyn wurde von seiner Familie begleitet) wurden nur mit 
äufiserster Gefahr gerettet. Die Gemahlin Alexei Gulizyns gebar 
unterwegs Zwillinge, deren einer sogleich starb. Endlich langten 

0 VgL die Einzelheiten bei Ustrjalow XI. S. 86 n. ff. mid 8. 455 u. £ 



üiyilizüü by GoOglc 



Porst W. W. Golizyn 0^49—1714). 



351 



die Bdienden im Januar 1690 in Jarenak an, wo aie, wie wir 
ans den Berichten des sie begleitenden Beamten, sowie ans den 

an die Zaren gerichteten Bittschriften der Golizyns wissen, Mangel 
an dem Notwendigsten litten, mit der elendesten Behausung und 
kärglicher Nahrung sich begnügen muisten. 

Tnswisohen wurde in Hoskan die politisehe XTntersnchnng 
gegen mehrere Anhänger der Prinsessin fortgesetst. Dabei kam 

denn wieder manches den Fürsten (iolizyn Kompromittierende zum 
Vorschein. Er war der Zauberei beschuldigt wordeu, ja sogar 
der Vorwurf, er habe sicli von den Tataren bei Ferekop bestechen 
lassen, wnrde jetat erhoben, man erfuhr von seinem, aus Wologda 
an die Prinaessin gerichteten Schreiben ; ein Mönch kam angeblich 
aus Jarensk und wollte dort aus dem Munde des Fürsten die 
Aufserung gehört haben, man werde in Moskau bald seiner be- 
dürfen, da Peter nur etwa noch ein Jahr leben werde. 

So gab es denn alsbald in Jarensk, wohin ein besonderer 
Beamter geschi<At wurde, ein neues Verhör. Es gelang Gkkliayn, 
alle Anklagen znrücksuweisen. Insbesondere wurde es klar, dafs 

jene von dem Mönche ausgehende Anklage rein aus der Luft ge- 
griffen war. Es stellte sicli beraus, dafs der Mönch nie in Jarensk 
gewesen war und den f^üraten nie gesehen hatte. ^) 

Gleichwohl trat wiederum eine Verschlimmerung des Schick- 
sals der Verbannten ein. Golizjn hatte sich doch nicht TöUig 

von dem Verdachte . die ihm schuldgegebenen Dinge begangen 
zu haben, reinigen können. Er wurde nach Pustosersk verbannt. 
Es trat das schlimmste Stadium der Strafe ein. *) Zuerst weilten 
die Goliqms in Mesen, dann vielleicht in Pustosersk, endlich im 



*) Er wurde natürlich bestraft; vgl. d. Verurteilungsakte, welche 
den rr^inznn Vorgang enthält and in derartige Kriminalgeschichten einen 
tiefen Einblick gewährt, bei Tumanskij, Materialien s. Gesch. Peters d. ür. 
Bd. II. <St. Petersburg 1787) S. 328 u. ff. 

Vgl. d. Aktenstück der Verurteilung mit ausführlicher liepro- 
duktion des Verhört bei Tamanskij a. a. 0. und in der vollttändigen 
Qetetsaammlang Bd. IIL Nr. 1890. 



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352 



FüMt W. W. Golizyn (1643—1714). 



PineBbekg Wolok, d. h. im heutig«]! Pinega (Kreisitedt im Gh>iiv. 
Archangebk). ^) 

Mehrere Aktenst ücke, namentlich eine Reihe von Boguadigiings- 
gesucheu, welche Golizyn an die beiden Zaren richtete, sind in 
einer Abhandlung von Wostokow, „der Aufenthalt der verbannten 
Fürsten W. W. und A» W. Qoliayn in Meaen* in der Zeitechrifl 
i^IetoritsGheskij Wjestniki^, 1886, Angoathefti abgedruckt; hier 
werden Zweifel daran geänfeert, ob die Verbannten in Pnatosersk 
gewesen seien, wohin sit zur See gel)raoht werden sollten. Hier 
finden sich Details über die Leiden und Entbehrungen der un- 
glücklichen Familie» welche wohl nur ausnahmaweise von Ver- 
wandten UnterstÜtsungen an Q^eld und verschiedenen Gegenständen, 
insbesondere an Kleidungsstücken erhielt. 

Fast ein volles Vierteljahrhundert hat der Fürst Wassilij 
Wassiljewitsch. der an luatcritOk'n und geistigen Luxus gewöhnte 
Zögling Westeuropas, in der unwirtlichen Einöde im nördlichsten 
Teile dos enropäischeu Hufslands die Wirkungen des furchtbaren 
Wechsels von Glück und Unglück, von Macht und Elend an sich 
und den Seinigen erfahren. Dafs noch mehrere VTahre nach seiner 
Katastrophe sein Name, welcher während der Begentsohaft Sophiens 
neben denen der Ziiren und der Prinze.st?in oft und oft genannt 
worden war. eine gewisse Macht repräbeutiertis dafs mau Grund 
hatte, ihn zu fürchten, ist aus dem ITrnstande zu ersehen, dais 
in dem letzten Aufstande der Strelsy, in dem verzweifelten Kampfe 
der erbitterten Gegner Peters mit dem Zaren, der Name Golisyna 
gewissermafsen als derjenige eines Prätendenten genannt wurde. 

Als Peter auf seiner weltgeschichtlich bedeutsamen Keisc in 
England weilte (Anfang 1698). erhielt er die Nacliriclit. in Wien 
werde erzählt, dafs in Moskau ein Aufstand ausgel)roclien sei: die 
Priniessin Bophie habe den Thron bestiegen und der Fürst Go- 
lizyn leite wiederum, wie ehemals, die Staatsgeschäfte.^ 

Vgl. üstrjalow II. S. 84—94 £s ist nicht ohne Interene, dafo 
bereits Voltaire in s. Gesch. F. d. Gr. die Frage v. d. AnfeDthaltsort 

Goliz-yns untersuchte, vgl. d. Ausgabe v. 1608, L S. 118. 
*) Vgl Ustgalow Ul. S. »8—99. 



biyilizüü by GoOglc 



Fürst W. W. Golizyn (1643—1714), 353 

Wenige Monate später brach der Aufstand der Strelzy aus- 
in dem Prof?rarame der "Rebellen fand sich auch der Wunsch, die 
Priuseasin Sophie auf den Thron zu erheben; und |,falla sie sich 
weigere f werde mui den Fttreten Wasulg Golisyn squi Zaren 
mMben, weil er gegen die Strelsy Btets gnädig nnd wohlwollend 
gewesen sei"*') 

Über die letzte Zeit seines Lebene haben sich einige Akten- 
stücke erhalten.-) ^\ u eriaiircn aus diesen Berichten des Vize- 
Gouverneurs von Archaugel, Kurbatow, dafs Golizyn und seine 
Leideni^nossen (so viel bekannt ist, in den Jahren 1709 bis 
1714, fOnf Personen) jährlich 365 Bnbel, also täglich einen Bnbel 
snm Unterhalte empfingen,*) nnd dnfs Wessilg Golizyn in Pineg» 
am 81. April 1715 gestorben sei.^) Er wurde im KrafBnojars- 
kischen Kloster in der Nähe von C'holoniogory bestattet. Die 
Prinzessin Sophie, welche iiiu schwärnierisch geliebt hatte, ") war 
ebenfalls als politische Gefangene bereits im J. 1706 gestorben. 
Golizyns GUttin nnd Sohn erhielten sogleich nach seinem Tode 
die Freiheit nnd einen Teil der konfiszierten Habe.*) 

Es gab keine oip^eutlichen politischen Parteien in Kafsland. 
Als es den Dunkelmännern, den durcli ]^:ter8 an das Volk ge- 
stellte Aofordemngen tmk änfserste erbitterten Strelzy, im Jahre 
1689 einfiel, Golizyn als Thronkandidaten aufzustellen, dachten 
sie, in deren Programm der Krieg gegen alles Fremdländische, 
die Yemiehtnng der denisoben Vorstadt nns als eine Art Glanbens- 

«) Vgl. Ssolowjew, Bd. XIV. S. 241. 

' V'A d. Abhdlg. X. Petrowskij in d. Zeitschrift: „J&ufskaja Starina" 
1877. ibuheft. S. 133-134. 

^) Dem Urteilsspruche des .T. 1691 zufoltre (v<;l. Tumaoskij a.a.O.) 
sollttiu sie alle zusammen 40 K"pekeu tägUcli erhalten. 

*) Bisher gau 17 iur das Todesjahr Golizyns, vgl. Malinowskijf 
Tereschtschenko a. s. w. Der Binieht Kmrbatows an Peter, Apraidni 
an den Senat n* s. w. lost jeden Zweifel. 

>) Halinowskij führt, a. a. 0. S. 84, Verse an, welche Sophie auf 
Gh>lizyn8 Wappen gedichtet haben soll. 

•) Vgh d. Akten bei Ustijalow IL 8. 816 und bei Petrowskij a.a.O. 

S8 



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354 JPürst W. W. Öolizyn (1643-1714). 

bekenntnis begegnet, nicht daran, dafs ja Golizyn, wie wir ge- 
bciu'ii haben, in ganz ähnlicher Weise wie Peter bei dem Westeu 
in die Schule gegangen war. Es gab keinen Parteigegensatz 
swuchen Peter einerseits und Sophie und Golisyn anderseits. 
Die Biditiiiig nach Westen war dnroh die Gesehidce Bnfslaads 
der ferneren Üntwickelnng dieses Staates vorgesohrieben. Beide, 
Golizyn wie Peter, hingen dieser Richtung an. In welchem 
Mafse dieses bei G-olizyn der Fall war, zeigt die Auiserang Neu- 
villes, dafs jetzt, wo Golizyn. der Keformer BuTslands, gestörst 
seif die Weiterentwiokelong des Landes in Frage stehe. 

Barin liegt die gesehichtliohe Bedentong OoUsynSi dafii der 
unglüddiche Kann) der von mancher Schuld nicht firaiansprechen 
ist, als Vorgänger Peters, ein Q-oistesverwandter des grofsen 
Zaren war; sein Handeln nicht sowohl, als seine Bildung und 
Lebensweise bis zum Jahre 1G89 sind ein Symptom des An- 
brechens einer nenen Epoche für Bnlsland. 



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Patrick Gordon (1635—1699). 



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Die Geichiohte der Eeformen io der Zeit der Eegiening 
Peters des QrofBen iBt viel hftuBger der Gegenetand eiogehender 
Forscbung {geworden als die G-enesis jener Wandlimgeu, deren 

ErgebLih Jiu uniö-estaltende TliiitiL'Ueit des geiiiiileii Autokraten 
war. Die bahnbrcclu-nden Neueruageo, welche im 18. Jahrhundert 
auf den Gebieten der Verwaltung' und Gesetzgebung sich voll- 
sogen, waren snm gröfiten Teil die Fracht der Eindrücke und 
Anregimgeni welche Peter bereits iln 17. Jahrhondert empfangen 
hatte. Ja noch mehr: auch schon die Zeit vor Peter dem Grofsen. 
die Regieruijgen Feodors und Alexeis weisen einzelne Symptome 
der grolsen Veräuderuug auf, welchen itufHhind damals entgegen- 
ging. Die Jahrzehnte, welche der eigentlichen Kegieruug Feters 
Toransgtngeni sind eine Zeit der Yorbereitong auf die £poohe 
des anfgeklSrten Despotismus Peters; vieles yereinigte sich, 
um Baisland für die Aufiiahme ahendlindischer Knltnrelemente 
empfanglicher zu machen. Bereits vor Peter dem Grofsen machte 
der nissische Staat, ein Teil des russischen Volkes Anstalt, bei 
dem Westen in die Schule zu geben. Namentlich waren es die 
in J&ufsland lebenden Aoslftnder, welche mannigfaltige IC^eime bu 
Beformen der verschiedensten Art aosstrenten. Die Kolonie von 
Westenroplem der verschiedensten Nationalität! Konfession und 
Berufsstellung, welche im 17. Jahrirandert nnmittelbar vor den 
Thoren Moskaus «ich zu bedeutender Blüte entwickelte und eine 
grofse historische Holle zu spielen beruien war, jene von der 
Kasse des rassischen Volkes, von der Geistlichkeit und insbe- 



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368 



Fniriok Oordon (1636— im). 



londore von dem PQbel vielfiKsh aag«femdete ,|deatBohe Vorstadt* 
KoBkaoB war einem Saverieig en yergleieben, welcher, der trägen 

Masse des in byzautinisch-tatarischen Reminiszenzen verharrenden 
nisBisclien Staates neue Lebeuskeime zuführte, iu dem kolossalen 
Organismus der russischen Gesellschaft eine heilsame Gärung zu- 
wege brachte und damit eine neue Epoche der Geschichte EuTs- 
lands einleitete. 

Die folgenden Blätter sind dem Andenken eines der Hanpt* 
Vertreter der „Deutschen Sloboda", eines der thätigsten und 
energischsten Vermittler zwischen Rufshuul und Eurojm im 
17. Jahrhundert, gewidmet. Kaum ein anderer unter den in 
Bnfsland lebenden Ausländem jener Zeit, den bekannten Frans 
Lefort nicht nnsgenommen» hat so viel Anspruch an die Anf- 
merksamkeit der Geschichtsforschnsg wie Patridc 0ordon. Seine 
Bildung und Erfohrung, seine hervorragende Stelinng in Staat 
uiui (iesellschaft. die lange Dauer seines Aufenthalts in Kufsland 
(lt)60 — 99), seine Anteilnahme an den wichtigsten Begebenheiten 
der zweiten Hälfte den 17. Jahrhunderte, seine persönlichen 
Beaiehnngen m den Wttrdentrigem in RuTsland einerseits, wie 
sn den hervorragendsten Anhängern der Stnarts im Westeni vor 
allem aber sein intimes Verhältnis su Peter dem Groben in 
den Jahren Hi89 — 99 — alles diese« verleiht dem 0-eneml 
Patrick Gordon eine Bedeutung, welche weitaus diejenige anderer 
in Jtufsland lebender und wirkender Westeuropäer überragt. 

Und nicht blofs ist es von Interesse» den Lebensschioksalen 
Gordons su folgen: «r hat uns auch eine der wichtigsten Geschichts* 
quellen fUr die Erforschung jener Zeit geliefert. Gehört Gordons 
Leben /.u den anziehendsten Illustrationen der Zeit, welche den 
Reformen Peters vorausging, so ist sein Tagebuch überreich an 
Aufschlüssen über die Geschichte jent r Jalirzehate von der Zeit 
der mssisch-pohusoben Kri^ in der Hegieningsepoehe Alexeis 
bis an dem denkwürdigen Zeitraum, welcher mit der Blick ke h r 
Peters von dessen erster Beise ins Ausland Bufsland anbrach. 
Gordons Wirksamkeit in Rufsland begann mehr als ein Jahrzehnt 
vor der Gebart Peters des Grofsen, zu einer 2ieit, wo Rufsland 



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Patriok (ioil A (168'i -1609). 359 

Europa gegenüber als ein völlig Fremdes, dem Abeudiandc Ent- 
gegengesetztes, aufserhalb der Kulior des Westens Stehendes 
eracliieii ; Oordon schlofB die Augen am Vorabend des Nordiachen 
Krieges, veloher Enftland in das enroplische Staatensystem ein- 
reihte tmd w&hrend dessen Peter ein ,,nenverKndertes'' Rnfsland 
schuf. Seine historische Holle fallt in die Zeit der Genesis der 
Keformen Petera; sein Tagebuch schildert uns viele Züge des 
anden regime Kafslands, welches jenen Reformen vorausging; er 
selbst erlebte nnr die Anfönge der welthistorischen Wandlung 
Bnfslands ; an diesen Anfängen hatte er einen erhebliehen Anteil. 
Als TiterHeher Freund und Lehrer Peters in der Zeit, wo dieser 
der Anregung und des Rates bedurfte, hat Gordon sich unsterb- 
liche Verdienste um die Förderung Hufslands auf der Bahn des 
Portschritts erworben; in den höheren Kreisen der russischen 
G^ellschafl wirkte er als Vertreter der politischen, militfirwissen- 
sehaltlichen nnd allgemein-sozialen Bildong jener 2eit; in der 
Militlirgesohichte Bnfiilands gebührt ihm eine der ersten Stellen ; 
in der Deutscheu Slobodii spielte er eine Zeitlang di»' ange- 
sehenste Holle. Seine Keuutuisse und Pähigkeiten, sein Mut 
nnd seine Arbeitskraft haben Rufsland wcsenUicheu Nntsen ge> 
braohtt ohne dsis er selbst irgendwie der Vermssnng ausgesetat 
gewesen wftre. Er diente Bnfsland mit Gewissenhaftigkeit nnd 
Trene^ aber er bewahrte dabei seine westenropSische Eigentfim* 
lichkeit, sein nationales und soiu koufessionelles Tk'wufstbeiu. Der 
Umstand, dafs Gurdoni obgleich er in Kufalaud seine zweite 
Heimat gefunden hatte, eine glänzende Laufbahn verfolgte, zu 
grolsem Wohlstände gelangte, Ehre nnd Ansehen genofs, tSglich 
mit Bussen vericefaite, dennoch leitlebens sich in Bufsland als ein 
Premder f&hlte, bis in die letsten Jahre seines Lebens die Hoff- 
nung, in sein Vaterland zuruckziikebron, niclit faliren licfs, zeigt 
den weiten Abstand Rufslands von Westeuropa in jener Zeit, die 
Kluft, welche durch die Reformen Peters zum Teil überbrückt 
werden sollte. Indem wir den WechseUftllen des Lebens Gordons 
folgen, erfahren wir mancherlei über die wichtigsten Ereignisse 
in Bnfsland, lernen wir die Zustände nnd Verhältnisse in den 



üiyiiized by 



360 



Patrick Gordon (1686-1609). 



Kreisen der BoMon und der Ausländer kennen. Ja noch mehr : 
d*a Tagebuch Gördens gew&hrt uns einen tiefen Einbli^ in das 
Privatleben jener Znt; selbst an Stimmungsbildern ist kein 

Mnngel. Keine Quelle gibt uns in dem Mafse wie G-ordons Tage^ 
buch Aiirüclihifs üImt tlas Alltagstreiben gewisser ivreiso der 
Geseiliiiclial't und insbesondere derjenigen, in denen Peter einen 
Teil seiner Jagend verbrachte. 

Jugend, Wanderjahre. 

Das Geschlecht der Gordons nahm seit langer Zeit in Schott» 
laiid eine angesehene Stellung ein. Die Xachrichten über das- 
selbe gehen bis in das 15. Jahrhundert zurück. Ein Alexander 
Gordon wurde 1449 in den Orafenstand erhoben. Zar Zeit der 
ersten Englischen Revolution gehörten die Gordons zu den treuesten 
Anhängern Karls 1. Einer der eifrigsten dieser Boyalisten, 
George Gordon, wurde 1649 hingerichtet. Bei der Bestauration 
Karls II., 1660, erhielten verschiedene (IlieJer der Familie allerlei 
Belohnungen und Würden. Eines „Herzogs von ( iordon" erwähnt 
unser Gordon sehr oft in seinem Tagebucbe; mit ihm stand der 
letatere in iebhaftem Briefwechsel; er galt als das Haupt der 
Pamilie und nahm sehr hervorragende Stellungen ein. Im Jahre 
1686 war er Gonvemeur von Bdingburgh. ^) Nach dem Staree 
JakuLd 11, liieltea die Gordons, unter ihnen auch der Herzog, 
treu zu dem Entthronten. Daher wanderten manche von den 
Gordons nach dem Jahre 168B aus ihrem Vaterlande ans. 

Es waren sowohl politische als religiöse Grunde, welche im 
17. Jahrhundert die Gordons nötigten, ihr Vaterland su meiden. 
Als &natasobe Papisten waren sie in England und Schottlaad 
mancherlei Kunilikten ausgesetzt. So erklärt es sicli , dafs der 
Name Gordon sich in der zweiten Hälfte dos 17. Jahrhunderts 
unter anderem in den schwedischen, polnischen, russischen, preulsi- 
sehen, österreichischen und französischen Armeen findet. Auch 

') ^laeuula}' erwähnt dieses „Duke of Gk>r»]oir'' als ein© ngreat 
roman cathoük^'i vgl. (Tauchaitz' Edition), Ii. 3öO; Iii. 395. 



biyilizüü by GoOglc 



Patriot Gordoit (1686^1690). 



361 



Kanfleatfln Kameni Qordon begegneii wir in yeraohiedenen Städten^ 
s. B. in Königabezg» in allerlei G^[enden Polens» in BottercUm. 
Übrigens mögen toq doi yiersig Gördens, deren Im Tagebache 
Ptttrick G-ordons erwäbnt wird, einige uicht mit ihm verwaudt 
gewesen sein. 

Patrick Gordon, am 31. Mftrs 1635 in Schottland» auf dem 
Gute seines Vaters, Aohlniobries , in der Grafschaft Aberdeen 

geboren,') gehörte der Jüngern Linie der Gordons, also uicht der 
mit der Herzogswürde bekleideten, an. Seine Mutter entstammte 
dem in der Geschichte Schottlauds bekannten Geschlechte der 
Ogilyys. Seines Wappens: drei Schweinsköpfe mit einem kleinen 
halben Hönde in der Mitte, wodurch selbige getrennt werden, 
und oben mit einer Perlenkrone bedeckt, erwähnt er ausführlich 
in einem seiner Briefe aus dem Jahre 1693 (III. 334).-) Als 
jüngerer Solin hatte nicht er, Bonderii sein Bruder Alexander die 
Aussicht, das Gut des Vaters erbeu. Indessen starb Alexander 
im Jahre 1665. Im Jahre 1685 waren auch Patricks Eitern 
beide nicht mehr am Leben, wie aus einer an die russische Be- 
gierung gerichteten Bittschrift nnsers Gordon zu ersehen ist (II. 85). 

Von «einer Kindheit wissen wir nur, dafs er eine Dorfschule 
besuchte. Mit Jahren entschlofs er sich auszuwaodern, zum 
Teil, weil es ihm als einem Katholiken gerade in der Zeit der 
Herrschaft Cromwells unmöglich war, eine englische Hochschule 
SU besu<dien, zum Teil, weil eine unglückliche Liebesgeschichte, 
deren er im Anfange seines Tagebuchs erwähnt, die Entfernung 
aus der Heinmt gebot. Freiheitsdrang, Reiselust, ein Hang zum 
Abenteurerleben mögen ebenfalls stark bei dem Entschlüsse mit- 



')'in allen Biographien findet sich fälschlich der 81. Jfai als der 
Geburtstag Gördens. Audi Posselt, der Heraiugeber des Tagebuchs' 
Gordons, macht (L XXXII) diesen Fehler, indem er sich auf die Ghrab- 

schrift beruft. Auf dieser indessen ist von <leiii 'M. März die Rede 
(I. LVIII). Oft erwähnt Qordoa in seinem Tagebuche am 31. März 
seines (Ir-burtstt^s. 

-) Wir citiereu so, der Kürze halber, die drei Bände der Tosseltscheu 
Edition des Tagebuchs. 



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369 



Fkktridk Gtwdon (1636—1609). 



gewirkt haben. Sein Oheim beredete die Eltern, den Sohn aiehen 
stt laasen. So Twliefs er denn Schottland im Juni 1651. 

Zwei Jahre Yerlebta er im JeanitenkoUeginm an Brannaberg. 
Er lobt diese Schule» hat auch später einen seiner Sohne dort 

erziehen lassen; aber das eingezogene Leben sagte ihm nicht zu. 
Er bewerkstelligte eine Art Flucht aus Brauusberg. Mit einigen 
Thalem, seiner geistlichen Tracht, etwas AVäsche und einigen 
Bttchem veraeheni gedachte er aaerst nach Schottland anrücfc- 
Eukehnn, war aber sehr bald in der Lage, sich dem Kriegs- 
handwerk widmen zu mfissen.- Der Sdldnerbemf stand damals 
in Blüte. Hier konnten gerade solche junge Leute Beschäftigung 
finden, welchen, wie Gt)rdon von sich bagt, ,,zu dienen oder zu 
arbeiten als eine Entbehrung schien und zu betteln eine noch 
gröfsere'^ Becht lebhaft schildert er selbst die mancherlei Wechsel- 
iftUe, welche ihm in den Jahren 1653 — 65 widerfuhren. Da- 
zwischen war er in Gefahr, um seine letzte Habe geplündert zu 
werden. Hier und da traf er auf schottische Kaufleute, welche 
ihn beredeten, sich dorn Handelsstande zu widmen. Dann fafste 
er wohl den Vlau, in polnische Kriegsdienste zu treten. Endlich, 
nach längerem AufenthiUte in Kulm, Posen, Hamburg, nachdem 
er an dem letztem Orte die Bekanntschaft einiger schwedisoher 
Werbeoffiziere gemacht hatte, trat er als Beiter in die schwedische 
Armee ein. Es war gerade die Zeit (1655), als der polnisch- 
schwedische Krieg ausbrach. 

Bald fühlte er sich in dem neuen Berufe völlig heimisch. 
Obgleich als Gemeiner dienend, suchte er sich doch in den allge* 
gemeinen Gang der militärischen Aktion Einsicht zu verschaffen 
und allerlei Einzelheiten über den Verlauf der damals gepflogenen 
diplomatischen y«4iandlnngen in Erfahrung zu bringen. Li seinem 
Tagebuche notierte er so viel über diese Vorgänge, dafs dasselbe 
als willkommener Beitrag zu den Quellen der Üeschicbte dieses 
polnisch-schwedischen Konflikts gelten kann. 

In ▼erschiedenen Scharmützeln, an denen Gordon teilnahm, 
wurde er mehrmals verwundet (I. 18, 24, 29). Im Dezember 
1655 geriet er in polnische GefaDgenschaft, ans welcher er sich 



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Titriok Oordon (1686—1099). 



363 



dttroh dU Flnoht rettete. Nachdem er sam iweiten Male toq den 

Polen gefangen genommen worden war und 17 Wocbeo in enger 
Hüft hatte verbringen müssen, entschlofs er sich den bcliwedischen 
ELriegedicnst gegen den polnischen zu vertauschen. So war nun 
einmal die Axt der damaligen Beisläuierei, da£e man uch eolehen 
Wechsel, weloher heutsutage als Verrat gelten wfirde, nieht 
übelnahm. 

So trat Gk>rdon denn in die Dragonerkompanie des Starosten 

von Sandetz, Konstantin Lubomirskij , ein. Buk! war er dva 
Polnischen mächtig und erzählt recht unterhaltend, wie eine 
hübsche junge Polin, welche ihn gern geheiratet hätte, ihm mit 
allerlei Schersen, durch ILätsel und Liederohen die polnische 
Sprache beibrachte. GeviTs war das Erlernen der polnischen 
Sprache ffir Gordon eine gnie Yorfibang flir das Erlemen der 
russißcLi'H. (kren er spiiter l>o(lürl"en sollte. In Polen nahm er, 
insbesondere vor und nach der Sclilaclit bei Warscliau, an allerlei 
minder bedeutenden militärischen ()]ierationeu teil, wobei er nicht 
ohne Genngthunng bemerkt,' dals er Jede Gelegenheit, den Kreis 
seiner Erfahrungen und Kenntnisse zu erweitem, benutzt habe 
(I. 63). Seinen Körper snchte er durch Strapazen abzuhürten. 
Für seine Tasche sorgte er bei den Plünderungszügen der polnischen 
Söldner. 

Im Jahre 1G56 wurde er von braudeuburgischen buldaten 
gefangen genommen und beredet, wiederum in schwedische Dienste 
au treten. Hier verstand er es, indem er Beute machte, einen 
gewissen 'Wohlstand zu erwerben. Er hielt sich einen Bedienten, 
besaft mehrere Pferde, nahm an allerlei einträglichen Plündern ngs- 
zügen teil, verlor dazwischen seine ganze Habe, um dieselbe 
durch neue Unternehmungen raschmoglichst wieder zu ersetzen. 
Es war eben eine Zeit, wo das Soldaten- und Käuberlr^ben ein- 
ander 2um Teil deckten, wo man gewissermafseu als Privatmann 
Krieg führen durfte, eine Zeit, wo eine Art Kaperei au Lande 
in Blüte stand. Eine Zeitlang stand Gordon weder in polnischen 
nocli in schwedischen Diensten, weil er, wie er bemerkt, „an der 
freien Lebensart (ieschmack gewonnen hatte, dabei seinen Vorteil 



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364 



Ptttrick Oordon (1686—1609). 



fand und keine Lnet verspürte, sich dnrdi ein neues Engegement 
fesseln sn lassen* (I. 165). Indessen trat er dock wieder in 

schwedische Dienste, wo or ein ti^ewisses Ansehen geuoTs. wie wir 
aus dem Umstände Bchlieisen köunen , dafs die Schweden, als 
Gh>rdo& abermals in polnische Gefangenschaft geriet, grofse An- 
strengungen mackten, seine Ansliefemng au bewirken (L 169). 

Da die Polen ibn indessen dock nickt freigaben, entscklois 
er Sick scknell, snm aweiten Haie in polnisoke Dienste su treten, 
wu der Feldherr Lubomirskij unter anderem bei der Euinahrne 
von QraudenE Gordons Eatschlägeu folgte und wo sein Ansehen, 
sein Bang, seine Geldmittel rasch stiegen. 

Von grolsem Interesse ist Gordons Anteilnakme an den Er- 
eignissen des um den Besits Kleinrufsknds swiscken Polen und 
Moskau entbrannten Krieges. Er kämpfte auf polntscker Seite 
im Herbst IDiiO in den Schlachten bei Ljulmr und Tschudnow 
und war Augenzeuge der furchtbaren Niederlage Scheremetjews^ 
infolge deren dieser russische f^eldherr auf lange Zeit in die Ge- 
fangensckaft der krimscken Tataren geriet. Kock im Jahre 1690 
erwSknte Gh>rdon in einem Briefe an seinen Sokn der Sckkbckt 
bei Tschudnow (III. 256). 

In demselben Jahre 16G0 hatte Kail II. in England den 
Thron seiner Ahnen bestiegen. Bei so veränderter Sachlage 
wünschte Gordon nach Hause surüokzukehren, erkielt indessen 
alsbald von seinem Vater ein abmahnendes Schreiben und katte 
nun, da er dock nickt in Polen su bleiben gedackte, die Wakl 
2wiseken Österreich und HuDsland. Von beiden Seiten wurden 
ihm Anträge gemacht. 

Der römisch -kaiserliche Gesandte Baron d'Isola beredete 
Gordon, als Werbeoffizier in österreickiscke Dienste zu treten. Er 
katte bereite zugesagt, wufste aber die übernommene Verpfliditung 
wieder von sieb abzuscküttehi, als er die ikm mssisckerseite durck 
den diplomatischen Agenten Leontjew gemachten Vorschläge, auf 
drei Jahre mit dem Range eines Majors in die Dienste de« Zaren 
zu treten, für vorteiibringender anzusehen geneigt wurde. Schon 
nack einem Jakre sollte Gordon in BufslandOberstieutnant werden. 



Patrick öordon (1635—1699). 



365 



£r hatte sich durch hamane Behandlung russischer Gefangener 
bei den Russen beliebt gemacht. Man kam ihm freundlich und 
zuvorkommend mit allerlei V^ersprechungen entgegen. Bufsland 
bedurfte vieler erfahrener and gebildeter Militärs, wenn es in dem 
heifseo Kampfe um Kleinraisland seinem Gegner, Polen, gewaebsen 
sein sollte. Im rossisohen Heere dienten bereits mehrere Sehotten. 
Einer dieser Landsleute Gördens, der Oborst Orawfhirdf beredete 
ihn nach Hufsland zu gehen. Sein Entschlnfs war gefafst. Damit 
hatte er über seine ganze Zukunft entschieden.*) 

Gordon befand sich, 26 Jahre alt, an einem Wendepunkte 
seines Lebens. In wenigen Jahren hatte er euoigermaben eine 
militiKrisehe Karriere gemaoht, sich diiroh Tapferkeit and Umsicht 
• ein gewisses Ansehen erworben, Ersparnisse gemacht. Koch im 
Jahre 1655 war er fast ein Bettler gewesen. Nacli idilsi iiKi 
ging er mit Ersparnissen im Betrage von mehreren hundert 
Dnkaten . als ein tüchtiger , kriegserfahrener , in höherm Range 
stehender Ofhaier. Er hatte den Stola eines selfmade man. Seiner 
Kühnheit and Energie yerdankte er alles. Aach in Zakunft hoffte 
er sein Schicksal TSIlig selbstSndig gestalten an können. Hierin 
war er iiu Irrtume. 

Erste Dienstzeit in Rul^^iaud. 

Schon an Ende des 16. Jahrhunderts gab es in der rassischen 
Armee einige taasend AnsUbider. Boch waren es meist Klein- 

Die falsche Nachricht bei Krarbi Diarium itineris in MoscoTiam 
(Wien 1699), S. 216, als sei Gordon in russische GcfangeDschaft ge- 
raten und infolgedessen genötigt worden, in russische Dienste zu 
treten, ist in viftlc spatere Bücher nber<regi»n*yen : z. B. Weber, Ver- 
ändertes liuisland, III. 143. wo Crordou mit Joseph in Ap:i,*ptcn ver- 
glichen wird. Auch Gurdütiü Öcü\vit'<^«'rsoliu, Alexander Gordou, erzählt 
in seiner „Geschichte Peters des Grofseu"^ (deutsche Ausgabe, S. i4b) 
manches Unrichtige über den Eintritt CbrdonB in russische Dienste. 
Ebenso entbehrt die ErsShlung G. F. Mullersi dab Qordon infolge des 
Friedens von Oliva seinen Abschied erhalten habe nnd daher in russische 
Dienste habe treten müssen (vgL Petersbuiger Journal, April 1778, 
S. 268), der Grandlsge. 



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366 



Patrick Gordon (^1635— 16«9). 



Fussen und Polen. Die eigentlichen Repräsentanten Westeuropas 
waren nur spärlich vertreten. Dagegen stie^ währond der Re- 
gierungen Boris Grodunows, des Demetrius, insbesondere aber 
während der Begiening Miehoile die Zahl der im roMiachen Heere 
dienenden Dentsefaen, Schotten, Holl&nder u. a. w. aehr be- 
trftehtliob. Emern fhousöaiaeben Militltr, Ifargeret, Terdanken wir 
ein selir wertvolles Buch über Bufsland zu Anfang des 17. Jahr- 
hunderts. 

loabesondere die Konflikte mit Polen nötigten die maaiache 
Begiening sa einer Reoiganiastion der maaisohen Armee. Daxn 
bedurfte man der Aoaländer. Daher aehen wir aowohl in den 

dreifsiger Jahren^ da Smolenak von den Bnsaen belagert wurde, 
als auch in der Zeit des Zaren Alexei bei dem Kampfe um " 
Kleinrufsland die Zahl der ausländischen Offiziere sich sehr ra£ch 
yermehren. Die politischen und religiösen Krisen im westliohea 
Ihiropa, der Dreifaigjährige Krieg, die engliaohe Bevolntion lieferten 
daa Material für die Ergftnsang und YenrollatSadigang dea maai* 
aoben Offiaierkorps ; an soloben losen Elementen, welebe, wander- 
lustig und beutegierig, ihre Dienste bald hier, bald dort anboten, 
ihre Haut in den verschiedenen Staaten zu Mai'kte trugen, ge- 
hörten im 17. Jahrhundert ganz besonders viele Schotten. Infolge 
der beiden engliacben Biovolntionen erscbienen die Schotten in 
bellen Hänfen in Polen, in Scbweden and in Bnfsland. Auf die 
Zahl derselben können ynr aus einigen Angaben in Gordona 
Tagebucho schliefseu. So traf er 1657 in Preufsisch-Holliuid bei 
Königsberg 43 Schotten an , welche sich zur Heise nach Big» 
anschickten, um in schwedische Dienste zu treten. Vieler im 
kaiaerlieben Heere dienender Schotten erw&hnt Gordon. In Polen 
begegnete er häufig allerlei Bekannten, wobl anoh Verwandten aus 
der Heimat. Bei den Schweden bestand eine gause Kompagnie 
aus lauter Schotten. 

Auch die Reise nach Kulsland machte (rordon in Begleitung 
vieler Landsleute, welche zum Teil ihre Frauen mit in die neue 
Heimat führten. Es gab, wie Gordon aelbst geateht, manche 
acblechte Elemente unter dieaen Beialftufem, ao dafii er nicht 




Pairick üordou (1030—1699). 



3Ü7 



selten die Begegnung nut densvllx ii zu vermeiden suchte. Aber 
er selbflt hat während seiner laugen Dienste in ilui'slaud manchen 
XifuidamMin and Verwandten Tenuilallrt» in nuttiehe Dienste sn 
treten. 

Überruohend betrllehtlieh ut die Zalil der in ruHueehen 
Diensten stehenden Gerden«. Yen einem Kapitün WiUtsm Gordon 

wissen wir aus einer Iboi an den Zaren Michail gerichteten Bitt- 
schrift desselben (I. 61Ö). Im Jahre 1034 erhielt ein Oberst 
Alexander Gordon ein antehnliehea Geldgeschenk ans dem sarischen 
Sehatee (I. 611). Ebes Andreas Gordon ist wiederholt in der 
vollstiDdigen Getetisammlung erwähnt. ^) Mehrere Gordons dienten 
in der polnischen Armee (I. 133, 183, S89, 405 n. a.). In 
Rufsland stieg die Zahl der ßoüiuus besonders nach dem Stursse 
Jakobe II. £in John Gordon war schon etwas früher nach Kufs- 
land gekommen, um seinen Verwandten Patrick xn hesnchen 
(L 238» 641). Er Uieb drei Vonate in RoTsland nnd trat 
nicht in mssisohe Dienste. Dagegen traten andere Verwandte 
Patricks, Andreas, Harry, Alexander, Franz, George, Thomas, 
sowie die Söhne Patricks, John, James und Theodor, in rassische 
Dienste. Vielleicht war auch ein Taschenspieler Gordon, dessen 
Korb als den Helden einer Kriminalgesohiohte erwfthnt, ein 
Verwandter nnsers Ghirdon. In dem Nordisohen Kriege begegnen 

4 

wir nicht selten dem Namen Gordon. Ein Kadikomme Gordoosi 

welchem die Handschrift des von dem letztern geführten Tagebuchs 
gehörte, war Translateur in der diplomatischen Kaozlei aar Zeit 
Katharinas II. u. s. w. 

tfan darf sich darüber wondenii dafs so vieie Ansliinder in 
mssische Dienste an treten bereit waren» weil, wie die Erfahrang 
lehrte, der Austritt aus rassischen Diensten so gut wie nnmäglidi 
war. Als Margeret 1605 seinen Abschied erhielt, bemerkte er, 
er sei der erste, welchem eine bülche Gunst zuteil werde. ^) Ver- 
geblich hat sich wiederholt die englische Begierung für mehrere 

>) Bd. IV. S. 619, 647. 
*) Diarium itineris, p. 100. 

Estat de Tempire de Bimie, p. 88. 



368 



Patrick Qordon (1686-1609). 



in Bnfsland dienende Engländer Tenruidt: sie worden nicht eot- 
lassen. ^) Seibat die in Handschreiben engUsober Könige an die 
Zaren in solchen Angelegenheiten gerichteten Bitten blieben nn- 
berücksichtigt. Gordon selbst sollte an sich diesen Kilsstand er- 
fahren. 

F'dst scheint es , als haben die russischen Agenten , welche 
Gordon 1661 anwarben, ihn über diesen Punkt getäuscht. £r 
meinte sich nur auf drei Jahre gebunden zu haben und muTste 
sich sehr bald nach setner Aolninit in Bufoland davon übeneugen, 

dafs er über sein ganzes Leben entschieden habe. Jahrzehnte 
hindurch hat er an der FToffuung fentgehalten, sich aus Rufsland 
freimachen und sein Dasein in seinem Vaterlande beschliefsen zu 
können. Erst von dem Jahre 1692 an scheint er sich in sein 
Schicksal gefunden, alle Hoffnuzig, je Bulsland endgültig Terlassen 
8U können, aufgegebon ra haben. Br war bis sum Jahre 1661 
an häufigen Wechsel gewöhnt gewesen. Im Laufe von sechs 
Jahren hatte er fünfmal seinen Dienst gewechselt , sich also in 
vollem Mafse der freien Selbstbestimmung erfreut. Jetzt sollte 
es anders kommen. Für die in russische Dienste Tretenden gab 
es kein Zurfi(&. 

Ahnungslos ging Gk^rdon einer solchen Zukunft entgegen. 

Mochte Gordon aber später noch so oft den ihm angethanen 
Zwang, der ihn au Kulslaud schmiedete, bitter empfinden, mochte 
er auch dazwischen ingrimmig an der Kette rütteln, mit welcher 
das der Intelligenz^ des Mutes, der militärischen Er£shrung der 
Ausländer bedürfende Zarenreich ibn festhielt, er hat im Grunde 
in Rufsland ein glflokliches Leben yerbracht. Ohne sich völlig 
akklimatisieren zu können, ist er in Rufsland denn doch biü zu 
einem gewissen (Trade heimisch geworden. An eigentlichem Heim- 
weh hat er nie gelitten: er war keine sentimentale Natur. Aber 
er hat nie far Bufsland Begeisterung empfunden, da er als poli- 
tischer und religiöser Schwärmer, als fanatischer Boyalist und 
Katholik bis zu seinem Tode den Stuarts anhing. Bafs er in 

y<:\. unter anderem die Affaire Aston bei Ssolowjew, Geschichte 
BuTsUndB, IX. 119. 



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Patrick Oordon (1635—1699). 



369 



Knisland sehr bald Ehre, Ansehen, Vermögen, einen grofsen Wir- 
kungskreis erwarh. dafs er dort au hochwichtigen Ereignissen An- 
teil nahm und dabei ungewöhnliche Tüchtigkeit bewährte , dafs 
er die ihm aaTertrauten Stellangen Töllig AUMnfttllen im stände 
war, daffl er» freilioh erst in den letzten Jahren seines Lebens, 
Peters Genosse nnd Lehrer sein konnte, mnfs ihm sn sehr wesent- 
licher G-enugthuuiig goreicht liabeii. Auch nmfste es ihu befric- 
digeu, duis seine neue Stellung in Rufsland ihm sehr bald schon 
die Möglichkeit gab, ein Haus zu gründen. Nach mehreren 
Jahren aiellosen^ abenteuernden Herumyagierens wnrde er endlich 
sefshaft, Chatte, Vater. Ans dem Gllloksritier wurde eine respektable, 
allgemein geachtete Persönlichkeit. Hatte er, da er dem vftter^ 
liehen Herd den Rücken wandte, auf eine glänzende Laufbahn 
gehoflt, so war dieses Ziel erreicht. Mehr durfte er nicht wollen. 

♦ 

Doch fehlte es auf dem Wege zu diesem Ziele nicht an 
peinlichen Eindrücken, unangenehmen Zwischeni&Uen, gefthrlichen 
Konflikten, harten Kämpfen. 

Sehr bald schon, nachdem Gordon am 26. Juli 1661 fceine 
Keise nach Rufsland augetreten hatte (1. 283), bereute er, ebenso 
wie sein freund und Genosse Meneses, den gefafsten £nt8chlula. 
Er erfuhr, dafs der nicht allzuhohe Sold in Sulslaad unregelmfifsig 
ausgezahlt werde. Die Soldaten der russischen Ghumison inKoken- 
hufen, welche Gordon auf der Beise von Riga sah, machten auf 
ihn keinen guten Eindruck. Ein Vergleich, welchen er zwigcheii 
den Jb'oleu und Kursen austeilte, hei nicht zu gunsten der letzteru 
ans. Fskow mit seinem Schmutze und seinen, wie Öordon wahr- 
sunehmen glaubte, mttrrisohen Einwohnern mi/sfiel ihm ausneh* 
mend. Seine Verstimmung steigerte sich, als er die Erfahrung 
machte, dafs infolge der Emission leichten Kupfergeldes durch 
eine der leichtfertigsten und gelUhrlichsten Münzverschlechteruugen, 
welche je vorgekommeu sind, alle Preise sehr raäch in die Höhe 
gingen nnd schUefslich Teuerung nnd Hungersnot eintrat ^) 

') Vgl. in meiner Schrift: FinauzgeschiohtUohe Studien, die erste 
Abhandlung: Das Kupfwgeld in Aaüsland 1866-^. 

Bxacka«f , SaMm^ 2i 



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370 



Patriok Oordon (1686-1609). 



Am 2. September 1661 traf Gordon in der rassiscIieD 
Hauptstadt ein und siedelte sich sogleich in der deutschen Vor- 
stadt an. Dieselbe, eine Art Ghetto, wo die Ausländer, die 

Ketzer, gesondert von den reehtgliUibigen Bussen lebten^ Kirchen 

bauten, ihrer Eitrentmiilichkeit bewalirten, hatte bereits im 16. Jahr- 
hundert bestanden und war dann in der Zeit der polnisch-rus- 
ßischcn Wirren während des Interregnums eingeäschert worden. 
Ein £difct des Zaren Alexei rief sie 1652 wieder ins Leben. 
Eine Abbildung, welche der Gesandte Kaiser Leopolds L, Heyer- 
berg, Ton dieser Deutschen Sloboda gerade in demselben Jahre 
anfertigen liefs, ala Gordon sich dort niederliefs, zeigt uns einen 
dorfartigen, aus hölzernen, mit Gemüsegärten um^r^benen, äruilich 
ausseheiuk n Häusern bestehenden Flecken. ^) Hier sollte Gordon 
den grölsten Teil seines Lebens verbringen und an dem Empor- 
blühen, der materiellen und geistigen Entwickelung dieses vor- 
geschobenen Postens westeuropüscher Kultur herroirageiiden 
Anteil nehmen. Die deutsche Vorstadt war ffir Bulbland was 
Naukratib für das alte Ägypten oder Nangasaki für das neuere 
Japan. Hier lebten zum Teil in einem gewissen Wohlstande 
deutsche, englische , französische , holländische , schottische Kauf- 
leute. Industrielle, Geistliche, Arate, Apotheker, MilitÜrs, welche 
dem nngeheuem russischen Staats- und GesellsdutftdLÖrper gegen- 
fiber eine kleinOt aber kompakte Ifasse, die Intelligenz und Unter- 
nehmungslust, die Bildung und Arbeitskraft des auf einer un- 
ver<^ieichlich höheru Kulturstufe befindlichen weltlichen Europa 
vertraten und im 17. Jahrhundert in ähnlicher Weise ein f5r- 
demdes, treibendes, anregendes, gewissermalsen ersiehendes Element 
für das weite Boich abgaben wie die Ausländer in Peteraburg 
im 18. Jahrhundert. Die Bewohner dieser Vorstadt, von den 
Russen oft verspottet und verachtet, blieben meist in dem leb- 
haftesten Verkehr mit ihren Heinuitlandern und konnten eben- 
darum unt 80 erfolgreicher zwischen der Zivilisation Europas und 
dem der Beformen auf allen Gbbieten dringend bedürftigen, bis 

') Vgl. die Tafel Nr. 52 in dem Bilderatlas zu Adelungs Buche 
ttber Heyerberg. 



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Patrick Gordon (1635— I6i^9>. 



871 



dahin in chinesischer Abgeschlossenheit verhArrenden ZarwrMie 

vermitteln. 

Gordon ist vielleicht der Intereaaanteste Repräsentant , der 
Bpreobendste Typus der in BofslaDd lebenden und wirkenden Aus- 
länder geworden. Ihm war ea beachieden, sn den ansiehendsten 

Illustrationen der Bewohner der Sloboda zu gehören. Sein Tage- 
buch ist die wichtigste Quelle für die Geschichte der Ausländer 
in Boisiaud im 17. Jahrhundert. 

Der erste Empfangi welchen der Zar dem neuen Ankömm- 
ling bot, war günstig. Alexe! dankte Gordon in einer Audiens 

für die humane Behandlunj? russiscbtir Gefangener in Polen 
(I. 2ä9). Uageguu berührte es Gordon unangenehm, dafs der 
Schwiegervater des Zaren , Ilga Danilowitsch Miloslawskij , ihn 
einer Art Prttfong nnterwarf» d. h. dafs er Gordon Teranlafste, 
an einaelnen Handgriffen bei Spiefs, Flinte nnd Säbel seine mili- 
tärische Tüchtigkeit zu zeigen , während Gordon ihm Torstellte, 
dafs von einem Offizier in erster Linie nicht diese untergeordneten 
^luiipulatiouen, sondern .strategische und taktische Fähigkeiten 
verlangt werden müTsteu (I. 290). Eine fatale Episode war fol- 
gende: Gordon sollte beim Dienstantritt Geschenke an Geld, 
Zobeln nnd Geweben erhalten, wufste aber nicht, dafs man, nm 
in den BesitK dieser Dinge asn gelangen, den Schreiber der be- 
treffenden Jiebörde bestechen ujüsse. Er wurde klagbar: es gab 
allerlei Keden und Gegenreden, wobei Uordon sich zur Äufseruug 
hinreirsen liefs, er wolle nicht in einem Lande bleibeni das seinen 
Erwartungen so wenig entspreche. Nicht wenig entrüstet war er 
femer, als die Regierung sich nicht entblödete, ihm den aus- 
bedungenen Sold, der gemeinsamen Ütrareinkonft zuwider , nicht 
in Silbermünze, sondern in dem entwerteten Kupfergelde auszu- 
zahlen, wodurch Gordon einen so grol'seu Teil seiner zu erwar- 
tenden Einkünfte einbüfste, dafs er fülr seine in Polen gemachten 
Ersparnisse fürchten mufste. 

Vgl. in meiner Schrift: Kulturiustorische Studien (Riga 1878), 
die sweite Abhandlung, S. 71 fg. 

24* 



372 



Patrick Gordon (1686-1689). 



Eb war daher nieht su Tarwimdenif dab Gordon gans enwtlioh 
daran dachte, Rursland baldmöglichst wieder an verlassen. 

Wie erstaunte er aber , als man ihm sagte , er setze sich 
durch ein solches Yorliaben den gröfsten Gefahren aus ; man werde 
ihn für einen polnischen Spion halten und nach Sibiren Ter- 
weisen. So entschlofs sich denn Qordon, den Diensteid an leisten, 
war aber hierbei aufs höchste bestttrat, als der holländische Frediger, 
welcher ihm den Eid abndimen solltet ihm mitteilte, Qordon solle 
schwören, er werde zeitlebens dem Zaren dienen. Gordon pro- 
teätierie förmlich mit Hinweis auf die mit Leontjew geschlossene 
Übereinkunft. Es wurde hin und her unterhandelt. Endlich 
kam man übereini dals Gordon so lange im Dienste des Zaren 
zu yerbleiben haboy als der Krieg mit Polen währen wttrde. 
Hiemach hätte Gordon später bei Gelegenheit des Andmssowschen 
Friedens, 1667, seine Freiheit erlangen können. Aber ans den 
drei Jahren russischer Dienstzeit, auf welche er eingegangen war. 
wurde niclit blofs das Doppelte, er blieb in der That zeitlebens 
in B.ufsiand. 

So mufste er sich denn, so gnt es ging, in die neuen Ver- 
hältnisse an schicken suchen. Man kann nicht leugnen, dafs er 
dies mit viel Gewandtheit, mit einem gewissen praktischen Sinn 

und bedeutender Menschenkenntnis that. So bewirtete er bald 
nach seiner Ankunft in Moskau iu üeiner WuhuuQg die Beamten 
der „Ausländcrbehörde^^ und machte ihnen Geschenke, was, wie 
er bemerktci ihm ein gewisses Ansehen erwarb und ihm viel Vor- 
teil brachte (I. 305). In äen Kreisen der Ausländer knüpfte er 
allerlei Bekanntschaften an, gab Gesellschaften, wobei auch Damen 
erschienen, und lebte sich auf diese Weise rasch ein. 

Dtjunoch machte sich immer wieder der Hang zu allerlei 
Abenteuern, die Wanderlust geltend. Als Gordon hörte, daüs 
die russische Kegieruug eine Gesandtschaft nach Persien ansrfiste, 
sudite er nidit ohne beträchtliche Unkosten f&r allerlei Geaehenke 
an versdiiedene Würdenträger es durchanaetsen, iaSä er dieser Ge- 
sandtschaft attachiert wurde. Er gedachte dann in Penien DIttiate 
zu nehmen. Der Plan scheiterte (I. 309). 



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Pfctrick öordon (1635-1699). 



37a 



Bald erOffiiete si^ ihm die Anssichtf dem Zaren einen 

wesentlichen Dienst zu leisten. Es entst ind in der Hau])tstadt 
eine jener Rebellionen, an denen die Kegieruiigszeit Alexeis so 
reidi iit. Der Pöbel meutert*' infolire der ftllgemeinen Hungers- 
not und Tenenmgy klagte die Urheber der Kupfergeldoperation 
und andere 'Wflrdentrttger des Laadeererrata an und schickte aidb 
an, dieselben zn lynchen.^) 

Sobald Gordon (am 5. .Juli ir>f;2) auf dem Exerzierplätze er- 
fubri der Pöbel sei zu Tausenden hinaus nach Kolomenskoje, 
dem einige Werst von der Hauptstadt entfernten Landbause des 
Zaren, wo Alexei weilte^ bot er alles auf, seinen Chef, den Obersten 
Crawfuirdi an bereden, sogletcb mit dem ganaen Begiment aum 
Schntse des Zaren dorthin aufanbreehen. Crawfiiird aSgerte. 
Inzwischen hatte der Zar allo Einwohner der deutschen Vorstadt 
auffordern lassen, bewaffnet zu seinem Schutze in Kolomenskoje 
an erscheinen. Die Ilnentschlossenheit des Regimentschefs hatte 
snr Folge, dafs 0ordon mit seinen Soldaten dorthin kam, als der 
Aufstaad im Gmnde bereits niedergeworfen war. In seinem 
Tagebnohe macht Gordon seinem Unmute Luft, dafs die sohSne 
Gelegenheit , sich auszuzeichnen und belohnt zu werden , nicht 
besser ausgenutzt worden war (I. 310 — 313). 

Da seine Geschäfte nur einen Teil seiner Zeit in Anspruch 
nahmen, konnte Gordon sieh allerlei Vergnügungen hingeben; er 
besuchte viele GeBeUschaften, erwähnt sogar der Bfille und Mas« 
keraden, bemerkte aber bald, dab ein allan wflstes Treiben seiner 
Gesundheit schade. Olmeliia hatte er gleich in der ersten Zeit 
seines Aufenthalts in Rufsland eine nicht ungofabrili Ii • Krankheit 
durchmachen müssen. So lenkte er denn ein, gewöhnte sich bald 
an ein stilleres Leben und hegte Heiratsgedanken. 

Eine Heirat bot auch dienstliche Vorteile. Die Hussen hatten 
an yerheirateten Anslftndem viel mehr Zutrauen als eu Jung- 
gesellen. Vielleicht meinte mau, dafs Funiilienviiter nicht so 
leicht geneigt seien, Ruisland wieder zu verlassen. Auch Lefort 

*) Über diesen Aufstand vgl. meine Schrift: Finansgeschichtliche 
Studien, erste Abhsndlung. 



374 



Patrick Gordoo (1686-1699). 



schrieb an Beine Kutter, angleich mit der Heldang von seiner 
Verlobung, jetst sei seine Karriere gesichert.^) 

Gordon warb nm die Tochter des damals in polnischer Ge- 
fangenschuft weilenden Obersten Bockhoven. Weil die Hochzeit 
erst nach der Kückkeltr des Vaters ätattünden sollte, machte 
Gordon die gröfsten Anstrengungen, seinem künftigen ScbwiegeT'- 
Tater die Freiheit su Terschaffen, ohne dafs seine Yerbindangen 
mit Tersohiedenen Personen, an wddie er sdirieb, seine Be- 
milhnngen mit Erfolg gekrönt hätten. Nachdem er 1664 an dem 
Feldzutre in Polen teilgenommen hatte, fand am 2(). .lanuar 1665 
in Aioakaa beine Hochzeit statt. Gleich daraui erhielt er durch 
die Fürsprache seines Gönners, des Bojaren Miloslawsl^j , den 
eines Obersten (I. 358). 



Reise naeh England 16<»6— 1667. 

Im Mai lOüo erwähnt Gordon des Todes seines altem Bruders 
in Schottland. Als alleiniger Erbe der Güter des Vaten wünschte 
er seine Eltern zu besuchen, indcasen erhielt er auf sein Urlaub«- 
gesueh lange Zeit hindurch keine Entscheidung. Ein Jahr später 
ward er in die Gesandtschaftskanzlei gerufen, wo man die Frage 
an ihn richtete, ob er wohl Lust habe, mit einem Schreiben des 
Zaien Alcxei an den König Karl II. nach England zu reisen. 
Ein solcher Auftrag war schwierig. Es war vorgekommen, daCi die 
Begierung solchen diplomatischen Agenten ihre Bebekosten nicht 
vollständig wiedererstattet hatte. Femer gab es damals gespannte 
Beziehungen zwischen Rnfsland und England, Die englischen 
Kaufleute, welche seit der Entdeckung des Seeweges in das Weifae 
Heer (1553) bedeutende Handelspriviiegien in Hufsland genossen 
hatten, waren derselben im Jahre 1649 verlustig gegangen. Die 
grofiie Bolle, welche die englischen Kaufleute sogar in dem Bin- 
nenhandel Bufslands spielten, schädigte die Interessen des man- 
schen Kaufmannsstandes i die Hinrichtung Karls I. diente dem 



*) PoBoelt, Lefort L 262. 




Ffttriok Gordon (1686—169»). 



375 



2ar«n Alexei snm Yorwande» den EnglSndeni ikre Vorrechte zu 
nebmen. Nach seitier BeBtanratioii hatte Karl II. mancherlei 

Schritte zur "Wiedererlangung dieser Privilegien getlian. Im 
Jahre 1664 erscliieu der Graf Carliflle mit glänzendem Gefolge 
als englischer Gesandter in Rufsland, aber seine Mission hatte 
keinen Erfolg nnd der Gtesandte reiste sehr mÜBgestiiDmt ab. Der 
unmittelbar hieranf nach England gesandte nuBische Diplomat 
Baschkow wnrde sehr kühl empfangen. Karl II, veiiangtei Bnfg- 
land solle den Niederländern die Ausfuhr von Katerialien für den 
Schit)bau aus üufsland verbieten, dagegen dieselbe ausschliefslich 
den Engländern vorbehalten. Die ausweichende Antwort auf diese 
Fordemngen nun sollte Ghtrdon dem Könige flberreichen. Er 
bemerkt, es habe sich kein Busse sur Auaffthrnng dieses Auf- 
trags bereitwillig finden lassen , weil alle fürchteten, ebenso kühl 
empfangen zu werden wie Daschkow; er lugt liinzu, die Re- 
gierung habe gehoüt, dafs Gordon , ein ünterthan Karls II., er- 
folgreicher als Diplomat wirken werde (I. 368). 

Oordon reiste über Nowgorod nach Biga, hierauf aur See 
nach Lflbeck, dann über Hamburg und Hannover nach Brügge, 
wo er die Nachricht von der furchtbaren Feuersbnmst in London 
erhielt, welche danials eiueu grölten Teil der englischen Haupt- 
stadt in Asche gelegt hatte. Die Uberfahrt nach England war 
nicht ohne Qe&hr, weil der Krieg awischen England und Holland 
fortdauerte. In London trat Gordon Snfserlich nicht als Diplomat 
auf. Er lebte vielmehr als Privatmann, verhandelte indessen fleifsig 
mit den englischen Ministern und hatte einige Audienzen bei dem 
Könige, welcher ihu sehr wohlwollend empfing, ihm jederzeit den 
Zutritt in den Palast und in den königlichen Park gestattete und 
sich bei ihm nach den Verhältnissen des Beiches Moskovien er- 
kundigte. Von dem Verlauf seiner mit. dem Lordkanzler und 
andern englischen WürdentrSgem gepflogenen TTnterhandlungen 
spricht Gordon in dem Tagebuche leider nur ganz kurz, wobei 
er auf seinen Gesaudtschaftsbericht verweist. Dieser ist uns nicht 
zugänglich gewesen. Dagegen teilt er in seinem Tagebuche das 
Schreiben Karls II. an den Zaren Alexe! mit. Aus demselben 



376 



Patrick Ok>rdoa (1635—1699). 



ist zu ergehen, dafs Biuftiland uur zum Teil KünzesBionen gemacbt 
hnitf. Namentlich die Frage von den Privilegien der engliachen 
Kaofleate blieb offen. 

Gordon yerweilte einige Wooben in London , wo er Tielo 
Bekannte hatte, sich einer heitern Geeelligkeit hiugab nnd mancher- 
lei Einkäuic uu Luxusgegcnstämien machte. Auch den A'crwandten 
des Königs, Ruprecht von der Pfalz, lernte (Jordon kennen. Am 
meisten und liebsten yerweilte er im Hause und in der Familie 
John Hebdona, welcher später ala englischer Gesandter sich lange» 
Zelt in Hoskau aufhielt. Diejenigen englischen Kaiufleate, welche 
Handelsbeaiehnngen mit Bnfoland unterhielten, machten in London 
Gordon den Hof. Auch gaben sie ihm bei seiner Abreise das 
Geleite. 

Auf der Bückreise besuchte Gordon in Hamburg die ehe- 
malige Königin Schwedens, Christine. £r hatte gehofft} einen 
Ball, welchen die Tochter Gustav Adolfs gab, mitsnmachen, kam 
aber zn spMt in Hamburg an. Er hörte bei der Königin die Messe. 

Seine eigentliche Heimat, Schottland, hatte Gordon nicht 
besucht. In seiner Instruktion stand der gemessene Befehl, so- 
gleich, ohne Aufenthalt, aus England zurückzukehren. Nach 
nahezu ei^jfihriger Abwesenheit erschien er, Ton seinem inzwischen 
aus der polnischen Gefangenschaft befreiten Schwiegervater 
empfangen, in der deutschen Vorstadt. Ans der Hauptstadt 
erhielt er den Befehl, zunächst in der Vorstadt zu verweilen und 
eist später über seine Reise Bericht zu erstatten. Vielleicht war 
dies eine Quarantänemafsregel, weil man in KuTsland die dAmal» 
hl England herrschende Fest fttrchtete. 

Seine Besorgnis, dab man ihm die BetBekosten nicht so bald 
zurückerstatten werde, erwies sich als gegründet. Jahrelang hat 
er in dieser Angelegenheit petitionieren müssen. Erst im Jahre 
1681 erhielt er den Kest seiner Auslagen. Vielleicht war die 
russische Regierung mit dem Erfolge von Gordons Reise unzufrieden. 
Nirgends ist einer Belohnung erwähnt, welche Gordon für seine 
diplomatische Heise erhalten h&tte. Lidessen ist auch das Quellen- 
material in der auf diese Heise folgenden Zeit nuToUständig« Am 



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FMrick Qordon (1685-1689). 



377 



6. Juni 1667 war 6k>rd(m von aalner Bebe surttokgekehrt. Am 
35. Joni reiM das Tagebneb, soweit es erhalten ist, ab und die 

Fortsetzung beginnt erst mit dem Januar 1U77. 

Man hat vermutet, Gordon sei unmittelbar nach seiner E,ück- 
kehr aus En^lnnd in Ungnade gefallen. Dsu'auf könne man aus 
dem Befehl schliefsen, er solle in der Sioboda verbleiben. Dafs 
er sodann in Kleinruisland habe dienen müssen, sei als eine Art 
Yorbannung anfenfassen. Solche Behauptungen entbehren jeder 
Begründung. In dem Tagebuche findet «ich keinerlei Bestätigung 
dieser Annahme. 

In KleinruMaud. Tsehigiriii 1677 nnd 1678. 

Von dem auf die Reise nach England folgenden Jahrzehnt 

in (iordons Leben wissen wir nur wenig. Er befand sich den 
grölsteu Teil dieser Zeit in Kleinrufsland, wo partielle Rebellionen 
der Kosaken fortwährend eine gewisse militärische Aktion seitens 
Bulslands erforderten. Gordon hielt sich mit seinem Biegiment 
in versohtedenen Städten anf, wie Tmbtsehewsk, Bijansk, Kowyi- 
Oskol. Sern Haaptan&nthalt aber war die Stadt Ssjewsk. Hier 
hatte er den Schmerz, seine erste Frau, die geborne Bockhoven, 
zu verlieren. Hier heiratete er zum zweitenmal, und zwar die 
Tochter eines Obersten Boooaer. Aus der ersten Ehe blieben 
yiw Kinder am Leben; ans der aweiten nur ein Sohn, dessen 
Gesdiwister alle im aarten Alter starben. Von hier nntemahm 
er im Jahre 1669^70 abermals eine Beise nach Orofsbritannien. 
über welche uns indessen keinerlei Einzelheiten bekannt sind, 
so dal^ ^'. ir nur vemiuten köniien, dals er bei dieser Gelegenheit 
md\ iünizehn jähriger Abwesenheit von der Heimat seine Aitern 
besucht haben werde. 

' Von dieser Beise spricht Qordon in einer 1685 an die Be- 
gierong gerichteten Bittschrift: er habe, als er 1670 ans seinem 



') Vgl. Berpmann, Feter der Grofse, VI. IBO, und' Posselts Aua« 
führuugen und Hypothesen in der Edition des Tagebuchs, L XXX 



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378 



Patrick Gordon (16116-1099). 



Yaterlsnde nach Bnialaod sarftckgekehrt sei, den Sold der Offiziere 
anf den dritten Teil herabgeaetit geftindoiy daker um a^en Ab- 
aehied gebeten, aber denselben niebt erkalten. 

Eine unliebsame Episode ereignete sich Anfang' 1677. G-ordoii 
war nach Moskau gereist, wo er einige Wochen bis März verblieb. 
Inzwischen war der Zar Feodor Alexejewitsch auf den Thron 
gelangt. Es gab bei Hofe neue Personen, neue Verhältnisse. 
G-ordons frühere Gönner spielten keine Bolle mehr. Hin so be- 
denklicher war es, dafs einige Soldaten Ton Gordons Hegiment 
gegen ihn Klage füluleu. Aus (Tordonb ragebuche iöt zu erselu-n. 
dafs er sich für uichtschuldig hielt und dal's er in der Haudiungä- 
weise der Soldaten eine von dem Obersten Trauemicht angestiftete 
Intrige erblickte. Als Gordon mit dem Obersten in dem Haase 
des Fürsten Tmbeskoi susammentraf , überschüttete er ihn mit 
Vorwürfen r welche Tranernicht schweigend hinnahm. Anf die 
in jenen Kreiden herrschend* iklouil kann niiin aus dem Umstände 
schliefsen, dafa Trau'^rnicht durch seinen Schwager Gordon ein 
Xompromifs anbieten liers: gegen die Auszahlung einer Summe 
von 300 Pfd. St. sollten die Soldaten yermocht werden, von 
ihrer gegen Gordon erhobenen Klage abzosteben. Gh>rdons Ant- 
wort war, er werde lieber für einige Heller Stricke kaufen, um 
seine (iegrier daran aufknüpfen zu lassen. Er hatte erfahren, 
dal's eine gewisse Streuge, welche er in der Disziplin hatte walten 
lassen, die Soldaten gegen ihn aufgebracht hatte, und konnte ein 
Papier vorweisen, in welchem die Bewohner von zwanzig klein- 
rassischen Dörfern über das Wohlverhalten der Truppen Gördens 
sich in Lobeserhebungen ergingen. Der Regierung konnte es 
nur lieb sein, wenn die üiii/iere Mannszuclit hielten. Der Fürst 
Bomodanowskij dankte Gordon ausdrücklich für dessen dem Zareu 
geleisteten Dienste. Die ganze Angelegenheit hatte den Charakter 
rfiokevoller Kleinlichkeit. Sogleich nachdem die Sache im Ssinde 
verlaufen war, reiste Gordon nach Spjewsk zurück. Wir dürfen 

Dafs in der That damals der Sold herabgesetzt wurde, wissen 
wir auch aus IFcchners Chronik der evangelischen Gemeinden in ICoskaa 
(Moskau 1876), 1. 347. 



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Patrick üordon (1636- 16»9;. 



379 



vermuten, dafs diese leidige Angelegenheit die Veranlassimg zur 
Heise in die Hauptstadt gewescu war. 

Das Tagebuch eutliält manche Einzelheiten über Gtordonfl 
Xieben und Treiben in Ssjewsk. Wir erfahren daransi dafe er in 
lebbaftem Verkehr mii hoehgestellten Bossen stand, dafs er sie 
nicht selten bei sieh bewirtete. Seine Tüchtigkeit nnd faeh- 
mänuiscbfj Bedeutung verliehen ihm ein bedeutendes Ausehen, 
machten ihn aber zugleich unentbehrlich. Daher bliebeu beine 
Bitten um Cntiassung unberücksichtigt. Mehr als je früher be* 
durfte man seiner, als 1677 der Krieg mit der Türkei ausbrach. 

Kleinmfsland war lange Zeit in dem Kampfe awischen KnJs- 
Umd nnd Polen das Streitobjekt gewesen. Kleinmfsland wurde 
die Veranlassung zu dem Konflikt mit der Türkei. In dem Frieden 
von Andrussow hatte Polen l<)b7 das linke Dnjeprufer den Russen 
abgetreten. Während der doranffolgenden Unruhen aber hatte 
der Hetman Doroschenko sich unter den Schuta der Türken und 
Tataren begeben, war sodann von der Türkei wieder abgefallen 
nnd hatte die wichtige Festung Tschigirin den Bussen über- 
antwortet. 

In dem Kampfe nun, welcher in den Jahren 1677 und 1678 
zwischen den Türken und Russen um den Besita der Festung 
Tschigirin entbranntOi sollte €K>rdon eine hervorragende Bolle 
spielen. Es war der erste Konflikt Bnfslands mit der Pforte. 
Bis dahin hatte es nur mit den Quasivasallen der letsteren, den 
Tataren, zu thun gehabt. 

In seinem Tagebuche berichtet Gordon vielerlei von den Vor- 
bereitungen auf den Feldzng im Frühling 1677. Er selbst setzte 
sich mit seinem Begiment von Ssjewsk aus erst im Juni in Marsch. 
Manche seiner Vorsehlfige mifsfielen, wie wir erfahren, den russi- 
schen Offizieren, welche daswischen sogar sich weigerten, an den 
von ihm in Vorschlag gebrachten Unternehmungen teilzunehmen. 
Es gab infolge einer solchen nationalen Rivalität manche pein- 
liche MomentOi wohl auch Gefahren für die persönliche Sicherheit 
Gordons. Bin Glück noch, dafs die russischen Oberbefehlshaber, 
Bomodanowsky und Golisyn, ihm volles Vertrauen schenkten, in 



380 



Patrick Gordon (1686—1600). 



■chvierigen FSlIen seinen Bat h4irten und eeine Beharrlichkeit 
in allen Widerwärtigkeiten, welche ihm die nueisdhen Qffiaiere 
und Soldaten bereiteten, priesen (L 422 fg.). 

Der Feldzug des Jalires 1677 verlief ohne besonders wichtig-e 
Ergebnisse. In Tschigirin , dessen Verteidigung der Oberst 
Tranemicbt leitete, war Gordon nicht; er enählt aber recht ein- 
gehend die Geschichte der Belagemng dieser Festung durch die 
Türken. Auch in Tschigirin begegnen wir dem G^egensatae awiachen 
Bussen tind Ansländeni. Es fehlte nicht an Eeibereien Bwiseben 
dem Konnnanil Ilten der Festung und den rusaificben Befehlshabern' 
der ätrelzyregimenter. 

Der Feldsng endete damit, dals die Annäherung des Armee- 
korps, bei welchem G-ordon siab befand, die Türken anm Bfiek- 
znge nötigte. Im Spätherbat folgten sodann Beratungen awiaehen 
dem Oberfeldberrn Bomodanowskij, dem Hetman Eleinruüilands 
Ssanioilowitsch und G-ordon über die Art. wie in dem nächsten 
Jahre der Feldzug wieder auigeuommen werden sollte. Wir 
sdien somit, dafs Gordou im Kriegsrate an den ersten Leuten 
aäblte. 

Dennoch börte er nicht auf, an die Bückkehr in die Heimat 

zu denken. Schon während des ersten Tsohigirin-Feldzuges hatte 
er debhalb Schritte gethan und tiiiiiiren, dafs einige Aussicht 
auf Erfüllung seines Wunsches vorhanden sei. Da Hefs ihn eines 
Tages der Fürst Bomodanowskg rufen und eröffnete ihm mit 
dürren Worten, dafo er seinerseits nie in eine Entlassung GKirdons 
willigen werde (I. 450). 

Inswischen snchte man von anderer Seite m gonsten Gordons 
zu wirken. Der ])ereits oLeu erwaiinte John Hebdon überreiclite 
als englischer Gesandter eine Note, in welcher Karl 11. um die 
Entlassung Gordons bat. Als Gordon davon erfuhr, eilte er selbst 
nach der Hauptstsdt, besuebte eine grolse Anaabi von Beamten 
und Magnaten, erfuhr aber, dals der Zar seiner Dienste in dem 
zweiten Tsehigirin-Feldzuge bedürfe, ja dafs ihm ein sehr wichtiger 
und verantwortlicher Posten vorbehalten sei. So (nitschlofs er sich 
denn, zunächst nicht mehr aui seiner Entlassung zu bestehen. 




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Patrick (rordon (lööö 1699). 381 



Fast scheint es, als habe man ihm den Posten eines Kom- 
mandanten der Festung Tschigirin geben wollen; indessen wurde 
nicht er, sondern ein Kusse, E.shewskij, ernannt. Neben diesem 
wirkte nim Gordon 1678 als thAtsäohlicher OberbefabiBhaber der 
▼OD den Türken beli^gerten Festung. 

Ln Jahre 1677 hatte Gordon gana besonden bei der An- 
legung von Schanzwerken Erfahrung und Umsicht geaeigt. In 
einigen l'upieren wurde er ^Oberst und Ingenieur" tituliert. Er 
verbat »ich die letztere Bezeichnung, weil er das Geniefach nicht 
kenne und der Titel eines Ingenieurs demjenigen eines Obersten 
nichts an Ehren hinaufttge. Man erwiderte, dafs man bei Ge- 
legenheit der aweiten Belagerung Tschigirina gerade auf diesem 
Gebiete auf seinen Eifer und seine Erfahrung rechne, in Zukunft 
abrr ihn mit der Verweuduiig in dieser Spezialität niciit be- 
lästigen werde. 

Die Verteidigung Tschigirins ist vielleicht die hervorragendste 
Leistung Gordons. Hier handelte er am selbständigsten. Weder 
jrnher noch später hat sein Leben in solcher Gefahr geschwebt 
wie bei den K&mpfen des Jahres 1678. Niemals bedurften die 

Bnssen seiner in dem Ghrade, wie bei dieser Gelegenheit. Nie 
haben sie so uiiumwunden seine Überlegenheit, seinen Mut, seine 
militärische Bildung anerkanut wie bei dieser denkwürdigen Be> 
lagerung, deren Geschichte uns in allen Einzelheiten yorwiegend 
durch Gordons Tagebnch bekannt geworden ist. 

Schon hei der Anlegung von Befestigungswerkeu hei Baturin» 
der Besidena des kleinmssisdien Hetmans, fiel sein Rat sehr be- 
deutend ins Gewitlit. lu Tschigirin spielte er durchuufj die erste 
Kolle. Von seineu persönlichen Beziehungen zu dein Komman- 
danten Rshewskij ist wenig die Bede. Es gab Meinongsver- 
schiedenheiten awischen beiden. Bshewskg verlangte die Be- 
seitigung eines Walles; Gordon suchte die Notwendigkeit der 
Belassung und sogar der Verstärkung desselben darsuthon (I. 481). 
Diesmal entschied der Wille Rshewskijs. Sonst scheinen alle Dis- 
positionen wesentlich von Gordon aubgegangen zu sein. Er sandte 
dem f'ürsten Golizyn den Plan der Festung; er leitete alle Be- 



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382 Patrick Gord<m (1686—1609). 

feBtigongBarbeiteii ; er erfand eine neue Art Xflhlateine für die 
Handmtllilen , besondere Karren für die stim Schanzen nötige 

Erde, eine neue Art von Schanzkörben. 

Sehr oft hatte er mit der Animosität seiner russischen Kol- 
legen, mit der Widerspenstigkeit seiner TJntergehenen au kämpfen. 
Der Gkist der russischen Truppen Hefa viel su wttnschen übrig. 

Gordon selbst arbeitete unablässig, setzte sich den allergrörsttn 
Gfefahreii aus. Gleiches verlangte er von den andern. In eut- 
ficheideudeu Augenblicken schoute er die Soldaten nicht. £r 
mag als Chef streng gewesen sein; man kann ihn in dieser Hin- 
sicht mit Künnich vergleichen. Aber die Schwierigkeiten, denen 
er begegnete, hätten auch den Geduldigsten ans der Fassung ge- 
bracht. Als Gordon einst einen tiefen Graben ziehen lassen 
wollte, weigerten sich die Kosaken zu arbeiten ; Gordon mufste 
seinen Plan aufgeben. Als er, dank sei es seiner technischen 
Geschicklichkeit, bei einer andern Gelegenheit die auf seinen 
Anteil entlaUende Arbeit rascher Tollendete als seine russischen 
Kollegen, waren die letzteren unzufrieden und in gereizter Stirn* 
mung. Oft stiefsen seine Batschläge inbetreff der anzulegenden 
Befestigungswerke auf Widerspruch. Selbst seine Anhänger 
mufsten bisweilen, wenn sie ihm zustimmten, mit ihrer Meinung 
zurückhalten. Die russischen Offiziere, welche mit der Fortifikation 
unbekannt waren, äufserten nicht selten Zweifel an der Zweck- 
mäTsigkeit der Anordnungen Gordons, Dennoch bedurfte man 
seiner bei jeder Gelegenheit, wenn Kanonen geprüft, wenn die 
Quantitäten der Vorräte kontrüiliert wurden u. s. w. Seine Be- 
deutung stieg mit der Gefahr. 

.Am 8. Juli erschienen die Türken vor der Festung. Am 9. 
machte Gordon einen Ausfidl, mubte sich aber zurückziehen. Ala 
an dem folgenden Tage der Aus&ll mit verstärkter Truppenzahl 

wiederholt werden sollte und Gordon die Leitung des Unter- 
nehrii»'ns für sich in Anspruch nahm, protestierten alle Mitglieder 
des Jlriegsrates dagegen, dafs Gordon sich einer solchen Gefahr 
aussetze. Als Gordon seinen Willen durchzusetzen suchte, berief 



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Patrick Gordon (1635—1699). 



383 



sich Rshewakij auf eine besondere Instruktion des Zaren Feodor, 
der zufolge Gordon nie bei Ausfällen verwendet werden dürfe. 

Wiederbolt klagt Gordon in seinem Tagebuche über den 
Mangel an Eifer und Hat bei den Offiaieren und Soldaten. Die 
Naehliiatgkeit der Streliy machte es den Türken mögliehi ihre 
Lan^rftben der Festung zu nähern. Indem Gordon aus «einer 
Tasche jedem, der eine tiirkisciie PVhue oder einen Gefanefenen 
einbringen werde, eine Belohnung von 5 Kübeln verBpracii, be- 
merkt er, dafs er damit sehr wenig nakiert habe. Einst iuitte er 
Ursache, in den heftigsten Aofsernngen die mssischen Obersten 
zu tadeln, dab sie nachts eine ihnen anTertraate Kontreskarpe 
▼erlassen hatten ; es kostete ihm grofse If ühe, sie en ▼eranlassen, 
in der folgenden Nacht auf ihrem Posten auszuliarren. 

Als die Türken die Festung immer harter bedrängten und 
die Gefahr stieg, erzählt Gordon, wufste niemand, was er zu thun 
habe. Alle kamen za Gordon und flehten ihn an, er solle irgend 
ein Mittel ersinnen, die Feinde fem za halten. Alle hauten auf 
seine Erfindungsgabe, aber niemand wollte sieh einer Gheiahr aus- 
setzen, weil man zu glauben schien, dafa Gordon und die andern 
Ausländer Wunder zu thun vermochten. Er hielt m indesbüu 
für angemessen, die Belagerten nicht mit falschen Hoffnungen zu 
täuschen, und erklärte geradeaus, dafs die Gefahr nur dadurch 
verringert werden könne, dab Jeder auf dem ihm anyertrauten 
Posten aashalte (I. 500). Überall, an den der Gefahr am meisten 
ausgesetzten Punkten , war Gordons AnweHenheit erfordcirlich. 
Einst, als die Türken eine Bresche gemacht hatten, stürzte Gordon 
ihnen entgegen, aber nur ein Major und etwa sieben bis acht 
Gemeine folgten ihm. 

Weniger heroisch Terluhr er in folgendem Falle. Indem 
er eine besonders bedrohte Stelle verteidigte, erkannte Gh>rdon 
die Unmöglichkeit, dieselbe noch htnger zu hehaupten. Da er 
nun, wie er naiv erzählt, nicht wünschte, dafs diese Brustwehr 
„sozusagen in seinen Händen starb«, verlangte er bei Soonen- 
aofgang abgelöst zu werden. Die Bussen lehnten es ab und 
verlangten, Gordon solle noch einen ganzen Tag auf dem Posten 



384 



Patrick Gordon (1685—1699). 



▼erbleiben. Bshewsl^j entsehied zu goDstea Gordone. Eine 

Stunde später hatten die Türken die Position inne (I. 499). Wir 
wissen niclit, ol) (lordon nicht ein gewiBBes Recht hatte, aaf Ab- 
lösung zu liestehen. 

Gördens Tapferkeit war über allen Zweifel erhaben. Er 
wurde mebrmals yerwiindet. Am 10. Juli beaebüdigte ein dnrob 
eine Kanonenkugel abgesprengtes Stttök Hols seine Hand. Zwei 
Tage später verletzte ihm eine Bombe drei Pinger der linken 
Hand „bis zu den Knochen". Am 15. Juli erhielt er einen 
Schufs in die Nase und in das Kinn ; am 28. Juli verwundete ihn 
eine Handgranate am linken Fafse. Am 30. Juli wurde er dreimal 
dnrob Handgranaten am rechten Beine verletat (I. 491 — 503). 

Behon drei Wochen wlbrte die Belagerung^ ohne dafs die 
rassische Armee unter Bomodanowskijs Leitung zum Entsätze 
derselben erschienen w.uc An demselben Tage, an welclieni man 
endlich die heranrückenden Russen erblickte (3. August), wurde 
der Kommandant von Tsobigirin, Bshewskij, durch eine Granate 
getdtet. Gleich darauf ersduenen alle Obersten und andern 
Offiziere bei Gordon mit der Bitte» den Oberbefehl in der Festung 
zu flbemebmen. Es geschah, ohne dafs an der Saohlage dadurch 
viel geändert war, weil Gordon thatsächlich auch früher schon 
der eigentliche Leiter der Verteidigung gewesen war. 

Die Uoffiaung, d&is man von Komodanowskij Hilfe erhalten 
werde, erwies sich als eitel. Ja, der letztere ging so weit, zur 
Verstärkung seiner Armee einige Regimenter, welche sieh in der 
Festung befanden, zu verlangen, was Gordon mit Entschiedenheit 
ablehnte, wfthrend viele der in Tschigirin befindlichen Offiziere 
in das Lager Romoddiiuwskijs überzugehen ¥rün9chten. weil man 
dort seines Lebens sicherer war als in dem hart bedrängten 
Tschigirin. 

Gordon hatte Ursache, über seine Offiziere Klage zu fUhren. 
Auch die Soldaten, insbesondere die Kosaken, erfüllten nur ungern 
ihre Pflicht bei HersteOung der yon den türkischen Geschossen 

beschädigten Festungswerke. Gordoa baute so wenig auf den 
Geist seiner Truppen, dafs er dem Feldherm Bomodanoswk^, 



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Faftriok Qordon (1635—1699), 



385 



weldher ▼«rlaagte, dftfo ma ddr belagerten Feetong ein Anefidl 

gemacht werde, folgenden Beweis von der Tlnmö^lichkeit eines 
solchen ünternehmüDs lieferte. In Uegenwart des von ilomo- 
danowskij abgeordneten Obersten Qribojedow wählte er 1 ^0 der 
betten Soldaten und 10 — 15 der betten OSSaaan am allen Ae- 
gimentecn vaa, liefe eie reichlieh mit Braimtweiii bewirten und 
■teilte sieh selbst an die Spitse ^eser Abteilong, nm dieeelbe 
aus dem Retranchement deb initilern Bollwerks den Türken ent- 
gegeozufüliren. Xur der fünfte Teil der Jüannschaft folgte: die 
andern konnte man auf keine Weise dazu Termögen, den das 
Betranchement umgebenden Ghrsben m verlassen. Als türkiBclier- 
seits Handgnumten geworfen wurden, wandte sieh alles anr Flnohi: 
Gordon snehte die Fliehenden anfsuhalten, geriet aber dadurch 
in die gröfste Gefahr: ein Soldat ötacli mit der Pike nach ihm; 
andere bedrohten ihn. 

Die Lage wurde dadurch immer bedenklicher, dafs Bomo- 
danowskijs Evolutioaea den Intentionen Gh>rdons keineswegs ent< 
sprachen nnd dals die Belagerten mit dem Hauptheere nur mit 
gröfster Schwierigkeit in Verkehr blieben. Die Türken stürmten 
von allen Seiten; mehrere CTcbäude in der Festung gerieten in 
Brand; an mehreren Stellen wurde mau mit den Türken hand- 
gemein. Die Besatzung begann auf ihre Rettung zu denken. 

Während Qordon selbst unablässig bemttht war, die am meisten 
bedrohten Punlcte zu behaupten, erfahr er am Abend des 11. Augnsti 
dab viele Offinere bereits ihr Gepaek in das Lager Homodanowskijs 
hintiberzuschaflPen begonnen hätten. Er überhäufte sie mit Vor- 
würfen. Ein Offizier behauptete, es sei ein mündlicher Befehl 
angelangt, die Festung zu yerlassen. Gordon erklärte, er werde 
ohne einen schriftUehen Befehl keinen Sohritt aurfiekweiehen. 
Eine solche schriftliche Weisung erhielt er denn auch um 3 TJhr 
nadits, nachdem manche Obersten die Festung bereits eigenmächtig 
verlassen hatten. Gordou traf nun Anstaltnij dafs die iii der 
Festung befindlichen Kanonen entweder mitgenommen oder ein- 
gegraben würden, und erzählt, dafs die russischen Ofiiziere sich 
geweigert hätten, seinen Befehlen nachsnkommen, während einige 



386 



Patrick Gordon (1686^1609)^ 



Anal&nder aiit Werk gingen. Indessen fehlte es in Leuten, und 
Gordon mnfsto die Eenonen ihrem Scihtcksale überlMsen. TJm 

die Soldaten möglichst lange zum Verbleiben in der Festung zu 
vermögen , hatte Gordon sein silbernes Service auf den Tisch 
stellen lassen: er wollte zeigen , dals die Gefahr nicht so aufs 
finfserste gestiegen sei und dafs man noch Zeit haboi den Blkik- 
ng in geordneter Weise an regeln. Indessm war kein Halten 
mehr. AUes rettete sieh. Znletst blieb Gkirdon nnr mit wenigen 
Soldaten in der Festung. Er befahl zwei Soldaten , Feuer an 
die hölzernen liastionen zu legen. Sie gehorchten nicht. Eigen- 
hindig hat dann Gordon selbst das Himitionshaas in Braod 
gesteckt. 

Anfserordentlioh drastlsoh, spannend, romanhaft ist Gordone 
einfache, schmucklose ErsKhlong, wie er als der letste die 

Festung verliefs, die Wälle flberkletterte, ▼on dem Donkel der 
Kacht bef?ilnstigt durch die dichten iiuufen der Feinde kam und 
nach mancherlei Gefahren völlig erschöpft im Lager der Bojaren 
Mschien, weldhe, ohne eine Schlacht gewagt zu haben, über den 
Bfieksng der gansen Armee berieten. £s gab dabei noch einige 
Soharmfltael mit Tttrken und Tataren, bei denen Gordon wesent- 
liche Dienste leistete. 

Seine Erzählung von der Belagerung Tschigirins bescliliefst 
Gordou mit den Worten: .So wurde Tschigirin verlasseu und 
verloren, nicht erobert" (I. 540). Er konnte mit Gbnugthuung 
seiner Anteilnahme an diesen Ereignissen gedenken: er hatte in 
ausgedehntestem UmÜMige seine Pflicht gethan. Der ICUserfolg 
war dem Mangel an Dissiplin und der saudemden Handlungsweise 
Romodanowskijs zuzuschreiben. Hätten alle ihre Pflicht so eifrig 
erfüllt wie (lordün, ho wiirc Tschigirin nicht verlassen worden. 
Es war ein harter Schlag für Knfsland. Gordon selbst, welcher 
jahrelang in Kleinrulsland lebte, konnte den Umfang dieses Ver^ 
Instee am besten ermessen. Tschigirin war einst die Be sid e ni 
des berühmten Hetmans Bogdan Chmelnisfci gewesen. 

Die Begiening lohnte die Verdienste Gk>rdon8 mit Verleihung 
des £,auges eines Generalmajors (II. 'ddö), was übrigens Gordon 



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PMriok GordoD (1685-1699). 



887 



nicht bindern konnte, aeine Entlaasungsengelegenheit weiter ma 
betreiben. Da das Tagebuch Tom September 1678 bis snm 

Jannar 1684 eine Lücke aufweiet, so wiBsen wir nur aus eiTizelneu 
in andern Teilen desselben verslrt-uteii Anmerkungeu, dafs seine 
nach Beendigung der Tachigirin-Feldzügc wiederholte Bitte am 
Ent laiwmg abermala kein Gehör land. Man bedurfte aeiner in 
K^ew, weil ein Angriff der Türken anf dieae Stadt erwartai 
wurde. In K^ew Terblieb er bia snm Jahre 1686. 

Dafs Gordon während der Unruhen der Strelzy hei Gelegen- 
heit des Thron weciiseis 1682 nicht in Aloskau war, kann ab ein 
Glück für ihn gelten. Er hätte leicht daa Loa mancher hoch- 
geateilter Beamten und Kilitära teilen können, welche damala 
unter den HMnden dea Soldatenpöbela ihr Leben aoabanchten. 
Ancfa Bomodanowddj war ein Opfer dieser Esaesse geworden. 
Gördens StrebtMi, ]^Iann.szut:hL zu üben, konnte? leicht dazu lulacu, 
daf^ die Soldateska ihn hafste. Uberiües war er ein Ausländer^ 
ein Ketzer. 

Der Kampf nm KleinruTalandy welcher 87 Jahre gewährt 
hatte, achlofii mit dem Frieden, den Bulaland mit der Türkei 
1681 Tereinbarte. Der Waffenatillatand mit Polen (der Vertrag 

von Audmsaow war kein eigentlicher Friedenstraktat gewesen, 
sondern hatte nur eine Art i^rovisorium geschaffen) wurde 1678 
anf 13 Jahre erneuert. Der endgültige friede mit Polen kam 
1686 anatande. 

Daa Ergebaia war, da& Sjjew in BoTalanda HSnden yer- 
blieb. Dagegen gab es nm dar Saporoger Kosaken willen, weldie 

sich unter der Oberhoheit beider Mächte befmdea aollten, 

mancherlei Konflikte mit Polen, über deren Verlauf der verloren 

gegangene Teil von Gordona Tagebach nnsweifelhaft viel inatruk- 

tive Angaben enthielt. 

Qordona Stellung in dieaer Zeit war angeaehen und ehren* 

voll. Er folgte mit ümaicht den politiachen Ereignissen ; er 

beriet häufig mit dem Hetman Kleinrufslands, Ssamoilowitsch ; 

er Uefs allerlei Befestigungsarbeiten ausführen. Iude»äen gab es 

für ihn, aoweit una daa Tagebuch der Jahre 1684 und 1685 

26* 



388 



Patrick Gordon (1686—1099). 



darüber nntemt^tet, eine Art Stillleben. Es ist viel Ton ge> 
selligen Freuden y von BlUlen» Maskermden, Jagdpartien und 
Picknicken die Kede, welche inebesondere in den Kreisen der 
Ausländer stattfanden. 

Eine wichtige Episode war ein knrzer Aufenthalt in Moslcaa, 
Anfang 1684. Dort spielte als hervorragendster in ister der 
Begenün Sophie der Färst Wassilij WassUjewitsch Golizyn die 
Hauptrolle. Kit diesem war Gh»rdon bereits frflber oft nsammen- 
gekommen. Jetst fanden längere Unterredungen swischen Gor> 
don und Golisyn statt t man beriet über die Lage KleinroTdaiids, 
die Beziehungen zu Kaiser Leopold , die Orientalische Frage. 
G^oihsyu war zu einer gröfsern Unternehmung g^en die Tataren 
geneigt, hegte aber kein Yertranen zu. Polen und erkannte die 
Schwierigkeiten eines Feldangs in dem heutigen Südrulslaiid. 
Gordon dagegen hoffte auTersichtUdi auf Erfolg. Von Golisyn 
aufgefordert, verfaTste er ein recht umfimgreiehes ICemoire über 
die l^Iöglichkeit des Gelingens einer aggressiven Bewegung gegen 
die Krim. 

Bob Aktenstück ist im Tagebnohe mitgeteilt. Görden geht 
diesmal^ was sonst nicht leicht yorkommt, Uber das Militär- 
technische hinaus und bringt allerlei politische Erwigungen tot. 
Unter den gegen ein solches TFntemehmen geltend zu madienden 

Gründen fuhrt er die ]kiii lrr j ihrigkeit der Zaren an. ,,Die 
Begontschaft/' meint er, „könne leicht im Falle des Mifserfolgs 
sich den Zorn des bald mündig werdenden Zaren susiehm: bei 
der Zweiherrschaft könnte leicht in den höchsten Kreinn Zwie» 
tracht und Hader entstehen, es gäbe dann Parteiung unter deo 
Bojaren, allerlei Gefahren für den Staat.'' Auch auf den Geld* 
man gel , die Mifslichkeit eines Angriflfakriegs vom Standpuukte 
des Völkerrechts, die UnzuverliUsigkcit Polens wies Gordon in 
seinem Gutachten hin. Indessen sucht er alle diese Bedenken 
zu sterstreuen: er si&hlt einige Fälle auf, in denen während dar 
Mindeijährigkeit yom Ffinten erfolgreiche Eriege geführt wurden. 



*) S. d. vorhergehende Abhandlung über den Fürsten Golisyn. 



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Patrick Qordon (1636—1699). 



389 



Parteiimgen der Bojaren eutaprächen dem Interesse der leiztereu 
nicht. Bas Heer mfisae man durch BelohniiTigen und 8trnfen 
willig maohen; gegenüber den treubrüchigen Tataren Bei ein 
Angrifiakrieg gestattet; auf Polen könne man bauen; Ja vm 
Polens willen müsse man Krieg führen, weil Polen sonst Rnfs- 
land zuvorkommen und mit den Tatarcu Krie^( führen werde, * 
was Hofslaiid keinesfalls wünschen dürfe. Ein siegreiches Tülen 
werde ein unbequemer Nachbar; ein besiegtes, am Ende gar in 
einen Vasallenstaat der Türkei Terwandeltes Polen werde die 
Sicherheit Bufslands kompromittieren. Auch allgemeine ideale 
Gesichtspunkte, welche an die Zeit der KrenzzOge erinnern, 
macht Gordon geltend. Er meint, es heifse ^Gott einen wesent- 
lichen Dienst leisten'^, wenn man yiele Christen sus der Gefangen- 
schaft befreie und den Tataren» dieser Aasgeburt der Hülle, die 
Krim entreifse. Die technischen Schwierigkeiten des Feldaugs, 
die Verpflegung der Truppen in der Steppe, erOrtert Gkirdon 
ebenfidls, kommt aber zu dem Ergebnis, dafs an einem günstigen 
Erfolge kaum gezweifelt >\urtUn dürfe. 

Es ist anziehend, wie in diesem Schriftstück Kichtigeü und 
Verkehrtes sich beisammenfinden. Die Besorgnis, dafs ein MiCs- 
erfolg in der answirtigen Politik die Grundlage des Staates 
eraehüttem werdoi sollte sich als durchaus gegründet erweisen. 
Peters ünwiOe über die fehlgeschlagenen Feldzüge in der Krim, 
1687 und 1689, war Hauptveranlassung zu dem Sturze der 
Kegentin und Golizyns. Die Bojaren traten in zwei Parteien 
auseinander. — Anderseits hatte Gordon in der Hauptsache 
unrecht. Er glaubte an einen Erfolg; er hielt die Einnahme der 
Krim für möglich. Darin täuschte er sieh. Einen solchen grund- 
losen Optimismns teilte er mit dem serbischen Publizisten Jury 
Krishan itsch, welcher ein Jahrzehnt vor O-ordon in einem aus- 
fülirlichen Memoire ebenfalls die Eroberung der Krim als ein 
sehr wohl au bewerkstelligendes Unternehmen empfohlen hatte. ^) 

*) Vgl. meine AbhanfUunjr : Jnrij KrisJianitsoh und ilie ürieutaUsche 
Frage in der ZeiUchrilt: Das alte und neue ßul'sland ^russisch), De- 
zemberiieft 1876. 



390 



Patrick Gordoii (1636—1699). 



Darüber, wio Golizyn Gordons (rutacliten aufgenommen habe, 
wissen wir nichts. Gewifs ist, daTs die Unternehmung gegen die 
Sjnm erst drei Jahre später begann. 

Gordon Terblieb Animng 1684 nur wenig« Woohea in Mo«- 
Ina. Sein Wnnechy fiberhanpt in die Hauptstadt ftberaiedebi sa 
dürfen, blieb nnerfäUt. Bie Begen^n Sophie, welche ihn emp&ag^, 
befahl ihm ausdrücklich , nach Kijew zurückzukehren. £s ixau 
kein Widersprach: er mufste sich fügen. 

Ilm Bo eifriger bat Gbrdon von Kijew aus, wobin er zurück- 
gekehrt war, wenigstens um einen Urlaub za einer Beise naek 
Schottland. Ans den sablreicben Angaben über diese Angelegen* 
heit in dem Tagebacbe ersehen wir wiederum, dafs der Kdnig 
Karl II. versprochen hatte, sich für (iordoji imi den Zaren Iwan 
und Peter zu verwenden. Gordon korrespondierte mit einer 
greisen Zahl von Personen Über diese Frage ; er legte eine gro&e 
Zähigkeit bei Verfolgung seines Ziels an den Tag. In einer 
umfassenden Klageschrift schilderte er seine Yerhiltnisse und 
zeigte, wie dringend er seine Bfiekkebr nach der Heimat wünschen 
müsse: seine Eltern waren 1684 gestorben; es galt jetzt seine 
VermögeuBverhäliuisse zu ordnen, ein bedeutendes Erbe anzutreten. 
£r klsgt über die Nichterfüllung der ihm in BuÜBland gemachten 
ZuBSgen, Über Geldmangel, über seine geschw&ohte Gesundbeit, 
darüber, dafs den Katholiken der Gottesdienst nicht gestattet sei 
n. B. w. Nicht ohne Bitterkeit sagt er, dafs man ihn nicht ge- 
kauft habe wie eine Ware , dafs er nicht al« Kriegsgefangner, 
sondern als freier Jidann ins Land gekommen sei. Zu in Schlüsse 
droht er, seine Familie werde, im Falle seines Todes, dem Staate 
snr Last fallen (H. 83—91). 

Wie gana anders empfand Gordon als Frans Lefort, mit 
welchem er in dieser Zeit viel verkehrte! Leforts Gattin war 
eine Nichte des Obersten Bockhoven, Gordons Schwiegervater. 
Lefort lebte in Kijow längere Zeit in Gordons Hause. Auch 
wenn Gi>rdon in Moskau anwesend war, besuchte er Lefort häufig. 
Später sollten beide, in den neunaiger Jahren, in dem Verkehr 
mit dem jungen Zaren Feter als Btvalen auftreten« Inbezug 



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Bfttriek Gordon (1685—1689). 



891 



aiif Anlagen nnd Temperament nntendfaieden ne sieh selir wwoti- 
lidi vcmeinander. Gknrdon mr sa ftUerertfc OMcbSHttmann, tech* 

Bischer Militär ; Lefort Tor allem leichtlebiger G-esellschafler. An 
isLriegserfahning. politischer Bildung war (Tordon seinem jüngern 
Genossen weit überlegen ; Lefort blieb als Militär stets J Jilettant. 
Durch Mine sympathisohe Persönlichkeit^ dorch aeine liebenawär- 
digen geeeUigen Talente wer Lefort für die Bolle einet Qfinstlinga 
wie geschaffen. Gordon, bei welchem der Emst derG^hSftedie 
GenniGBsnoht Überwog, die Energie des Charakters mehr bedeutete 
als angebornes Talent, die Selbständigkeit des Willens stärker 
war aU die Jb'ügsamkeit der X<aime andern gegenüber — trachtete 
mehr danaohi dem Staate» dem er diente, nn nütsan, ala 
die Bolle einea dem Fürsten befrenndeten HSflings lu spielen. 

Beide, Gbrdon wie Lefort, dachten damala daran, BniUand 
an Terlaasen. Bei Lefort war es ein vorübergehender Wunsch ; 
bei Gordon eine Art System, ein Lcbensplan. Lefort erscliemt 
als gesinnungsloser Kosmopolit, als eine Art Zigeunematur neben 
dem konsequenten, als Katholik und Boyalist starr an der Partei 
der Stuarts festhaltenden Gkurdon, Als Lefort wfthrend sebes 
Aufenthaltes in der Schweis beredet wurde, nicht wieder nach 
B-ufsland zurückzukehren , sondern etwa in Deutschland oder 
PfHukroich, oder England, oder Holland Dienste zu nehmen, be- 
stand er darauf, in Kufsland Karriere machen zu wollen. Gor- 
don dagegen hatte jedesmal, wenn er leitweilig in aeiner Heimat 
war, mehr und mehr das Gefflhl daTon, dafii er allein dorthin 
nnd nicht nach Bo&land gehöre. Seihat ala mit dem Umachwunge 
des Jahres 1689 Gordons Stellung durch seine persönlichen Be- 
ziehungen zu dem Zaren Peter eine grofse Bedeutung gewonnen 
hatte, hörte er nicht auf an die Bückkehr iu die Heimat zu denken. 
Görden und Lefort befanden aich auch nicht in gleichen Yer^ 
hiltnissen. Lefort war ohne Yermögsn, genoJh kein Ansehen im 
westliehen Buropa, hatte keine Verbindungen, gehörte keiner 
Partei an , in Kufsland eher als anderswo konnte er auf eine 



0 PoMclt L 318. 



392 



Patrick Qordon (1686—1699). 



glänzende Xiaafbahii rechnen. Gordon dagegen war in Schottland 
ein angesehener Gbrnndbesitseri Mitglied der königlichen Partei, 
persönlich bekannt mit den Königen Karl II. und Jakob H., 
reich an Beaiehnngen an hervorragenden Personen in Terschiedeiien 

Ländern ; er konnte stets sicher darauf rechnen , am Hofe der 
Stuarts eine ehrenvolle Stellung einzunehmen. Xainentlich die 
erachütternden Ereignisse des Jahres 1688 in England liefsen 
ihn anf das lebhafteste wünschen, seine ganie Krafty sein Leben, 
sein Vermögen dem Kampfe iür die Btnarts an weihen. Lefort 
war aUer Politik gegenftber mehr oder weniger gleichgttlfig, er 
hatte seine Sache auf nichts gc-sli lh ; er huldigte dem Grund- 
sätze „Uhi bene, ibi patria*^ ; der Augenblick war ihm alles, die 
Zukunft wenig. Mit warmem Herzen und inniger JTreondschaft 
hing er seit dem Jahre 1689 Peter an. Gordon yerlor dagegen 
keinen Angenblick seine Pflichten gegen England und Schottland, 
gegen die Stuarts, gegen die Kirche, gegen seine Familie nnd 
gegen sich gelbst aus den Augen. 

Gordon erreichte sem Ziel nicht. Er mufste sich im Jahre 
1686 mit einer Urlaubsreiso nach Schottland begnügen. £s war 
das letate Mal, dafs er sein Vaterland sah. 

Nach mancherlei Yerhandlnngen erlangte er durch die Qnnst 
des Bojaren Golizyn die Erlaubnis zur Beise. Doch muftte er 
Hchn^ (lattni und seine Kin lor, gewisseriiia Ist n als (Jeiseln, in 
Kufsiaud zurücklassen. liei der Abschiedsaudieuz empfahl ihm 
die Hegentin Sophie scharf und dringend baldige Rückkehr. Als 
er sich bei Goliayn TerabschiedetOf bat ihn dieser ebenfalls auf 
das dringendste, nur ja surflckankehren, weil er, der Ffirst, f&r 
Gordons Rückkehr Bürgschaft leisten müsse, demnach sich der 
aiiergroisteu Gefahr aussetze, wemi (jordouausbleibe (II. 119—120.)*) 



^) Was im 17. Jahrhundert ein soldies Büigsdiaftleisten in Ruft- 
land bedeutete, erfahren wir aus Kotoschichins Schrift über Rufsland 
in der Zeit des Zarcu Alexei, Kapitel IV. §. 24. Kehrte jemand nicht 

rechtzeitig^ aus dem Auslände zurück, so wufrlen dessen Rüriijen und 
Verw andten geiauglich eingezogen, der Folter, der Vermögenseinziehung 
u. B. w. unterworfen. 




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Patrick Gordon (1635—1699). 



393 



£s wurde Gordon zur Piliclit t/emacht, an jedem Posttage an 
O^olizyn za schreiben. 80 mochte der Fürst leichter instand ge- 
seist sein, der £eise Gordons tu folgen. 

Heise nach Sehottland 1686. Begradatloii. 

GordonH Uoise nacli Eii^^l iiid im Jahre IGHß hatte einen 
durchaus offiziellen Charakter gehabt. Er hatte damals keine Ge- 
legenheit, seine Heimat sa besuchen, seine Verwandten zu sehen. 
Yon der 1669 — 70 nntemonmieiieii Beiae dfirfen wir annehmen» 
dafs Gordon dieselbe als Privaimaim gemacht habe. Uit Gewift- 
heit kann man dieses von der Beise im Jahre 1686 sagen. 

Gordon berichtet in seinem Tagebuche sehr auBfiilirlich über 
die Einzelheiten seines Auicnthalts in der Heimat, ohne dats wir 
Veranlassung hätten, auf dieselben hinanweisen. Wir fassen den 
Beiseberioht gans kurz in den Hjsnptpnnkien ansammen. Gordon 
reiste Anfang Februar ans Uoskan ab, Aber Nowgorod nnd Btga 
nach Kemel; in Brannsberg bei KSnigsberg besnchte er seinen 
Sohn Jarnos , welcher sich iu dem dort befindlichen Jesuiten- 
kollegium aufhielt. Dann reiste er über Holland nach London, 
wo er unter anderm den Lord Melfort besuchte ^) und einigemal 
bei Hofe erschien. Der König Jakob II., welcher Gordon ab 
eifrigen Anhinger des Hauses Stuart kannte, behandelte ihn mit 
Wohlwollen, ja, fast kann man sagen, mit Ansseichnung. 

Jn Lojidua fühlte sich Gordon so recht in seinem Element. 
Seine Partei war am Kuder. Hatte er doch Cromwell einst als 
„Erarerräter*' bezeichnet, und, als 1657 einige seiner Landsleute 
einen diplomatiachen Agenten Oromwells, Bradshaw, umbringen 
wollten, das XTutemehmon gelobt (L 146 und 154). Alljährlich 
pflegte er während seines Aufenthaltes in Bufsland am 39. Hai 
den Geburtstag des Königs Karl II. im Kreise von Landsleuten 
zu feiern. Selbst in Tschigirin fand eine solche Feier statt. .Mit 

Uber diesen vgl, Macaulay (Tauchnitz' Edition), VI. 428; nach 
der lievolution von 1688 hielt sich Melfort in JElom auf, wo er iur 
Jakob IL whrkte. 



394 



Pktriok Qorägm (1686—1699). 



Sohmen wnabm er die Naohriebt Ton dem Tode Karle II.; amdi 
epftter wird in Gordont Hauee der 29. U« ala ein Tag dee 

dSchtmsees gefeiert. ICit Spannung erfahr Gh>rdon von den Er- 
eigüissen nacli der Thronliesteififung Jakobs IT. , von der Ver- 
schwörung MoQinoaths und der Hiurichtung desselben (IL 107). 
Bald darauf erschien er selbst am Hofe Jakobe, welcher sich von 
ihm Über die Lage in Hoskan berichten lielii. Auch dem 8chwieg«r^ 
aohne des KdnigSy dem Prinsen Georg von Bineniark, wurde 
Gordon vorgestellt. Im Gkrten des Palastes von Saint-James 
traf er auf seinen Spaziergängen ein paarmal mit dem Könige 
zusammen, und nahm an einem Ausfluge teil, welchen Jakob LL 
nebst seinem Gefolge auf der Themse nntemahm. Bei dieser 
Gelegenheit mufste Ghirdon, welcher dem Kdnige mancherlei 
Einaelheiten über die Belagerung von Tschigirtn eraShlt hatte, 
seine Ansicht inbetrefiP einiger in der Nähe der englischen Hanpt* 
Stadt anzulegenden Festungswerke mitteilen. Er traf ferner mit 
dem Könige bei dem katholischen Gottesdienste im Palast, bei 
einer Theatervorstellung — es wnrde „Hamlef* gegeben — sa- 
sammen. Als Gkirdon vor seiner Ahreise nach Schottland sich 
bei dem Könige verabschiedete, unterhielt sich Jakob II. nodh 
einmal ausführlich mit Gordon über Bufsland und schlofs mit dem 
Torschlage, Gordon solle nicht länger in Rufeland bleiben, sondern 
baldmöglichst gatiz nach England kommen. Der König bemerkte, 
Gordon könne in allen Stücken auf seinen Schuta rechnen; er, 
Jakob, werde selbst an den Zaren schreiben. 

In London, wo es eine Menge von Bekannten an besnehen 
gab, verweilte Gordon drei Wochen. In Edinburgh erhielt er ein 
Schreiben von dem Fürsten Golizjoi mit dem Auftrage, eine An- 
zahl Ingenieure, Feuerwerker und Sappeure in ru sei "che Dienste 
an nehmen. Das also, was Peter bei Gelegenheit seiner Beise in 
den Westen 1697 und 1698 in groüiem Hafsstabe that, hatte aodi 
der, Kinister Sophiens , der aufgeklärte Gt»lis3m , im Auge : die 
Heranziehung intelligenter Arbeitskräfte für milit-ärische Zwecke. 

Nach einem längern Aufenthalt in seiner engern Heimat bei 
Aberdeen, wo Gordon mit Brcgelung seiner Familien- nnd Ver- 



■■V 



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Patrick GordoQ (1686—1699). 



395 



mBgantrerbiltnine beaohiftigt war, rebto er im Juni sn Matte 

direkt ans Schottland nach Kufsland zurück. Seine Abwesenheit 
von MobIvuh hatte sieben Monate gewahrt. 

Die Eindrücke, welche er in England und Schottland 
empüangeii hatte j dM Wiedenehea mit Freanden» Yerwandten 
und Parfceigenoseen, der ganze Znsohniti des Lebens in Weit- 
enropa auf einer höbem Hxdtaretiife, der Zauber eines regen 
politieohen Wiilcen», anregende aosiale VerhaitnisBe — alles dieses 
niulste den längstgehegten Wunsch Gordous, mit Jäuialand abzu- 
rechneuj steigern. 

Aber dem Wunsche Gkirdons entsprach das Intereese der 
msaiechen Begiemng keineswegs. Wibrend Qordons Abweaenbeit 
batte man den endgfiltigen Meden mit Polen gesebloesen: der- 
selbe bedeniete die gemeinsame Bgf^retmiYe Aktion gegen die 
Tataren. Entsclilossen zu einem Feidzuge in die ivriiu , konnte 
die Regierung jetzt weniger als sonst jenen Gordon entbehren, 
welcher wenige Jahre zuvor bei Tschigirin so wesentliche Dienste 
geleistet und ein ansfnbrlicbes Ghitaobten über einen Feidang 
gegen die Tataren Terfiarst batte. So konnie es, wenn Gordon 
anf seiner Entlassung bestand» leicbt sit einer bedsoklieben Krisis 
kommen. 

Unmittelbar nach seiner Rückkeiir verkehrte Gordon , ohne 
etwas über sein Vorhaben zu auTsem, ungezwungen, ja fast freund- 
scbaftlicb mit dem Hanptleiter der Staat^geeoh&ftO| dem Forsten 
Golisyn ; er war oft bei demselben in Tisch, planderte mit ihm 
▼on seiner Beise, von England, von allerlei Vorkommnissen in 
Westeuropa Überhaupt, fuhr mit dem Fürsten auf die Jagd. Bei 
einer Audienz , welche die Regentin Gordon bewilligte , dankte 
sie ihm, dafs er sein Wort gehalten habe und zurüd^ekehrt sei 
(U. 158—159). 

Bald sollte der wunde Punkt, die Frage von der Yerab- 
Bchiednng Qordons, sur Erörterung kommen. Der K8nig Jakob II« 
hatte sein Yerspreehen, in dieser Angelegenheit an die beiden 
Zaren schreiben zu wollen. t?ehaltcn. Schon wiilirend seines 
Auienthalts in Englaad hatte Gordon sich eine Abschrift dieses 



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396 



FMriok G«rdim (1886—1099). 



SchmbeiiB verschafit. Anoh dar Heraog Gordon hatte an dea 

Fürsten Golizyn geschrieben und denselben in allgemeinen Aus- 
drücken mit vielen höflichen Redensarten um eine wolilwollende 
Behandlung seines Verwandten, Patrick Grordou, ersucht. ^) 

lütte September langte das Schreiben Jakobe in Moekau an 
und wardoi da es keinen eigentlichen Residenten in der mssueheoi 
Hauptstadt gab, yon dem niederländischen Gesandten Baron 
Keller den Zaren eingcliiindigt. Der holländische Gesandte in 
London, Citters, hatte auedi'ücklich den Baron Keller ersucht, 
in dieser Angelegenheit, welche somit gcwissermafsen die "Re- 
deatting eines internationalen Ydlkeirechtafalles erhielti die Ver- 
mittlerrolle zn übernehmen. 

Das Schreiben wurde Ton einem Holländer, welcher den 
Englischen nur unvollkommen mächtig war, ins Russische über- 
setzt. Gleichzeitig setzte Gordon seiuerseit» ein Memoire über 
die Angelegenheit auf. Dieses alles gemshah bis zum 15. Sep> 
tember. Ba das Tagebuch eine Lücke vom 15. September bis 
mam S4. Oktober aufweist , wissen wir kaum etwas anderes yon 
den Ereignissen in dieser Zeit, als dafs Gordon sein Memoire bei 
der betrefTenden Behörde einreichte. 

Als Gordon am ö. November sich mit der Bitte an den 
Bojaren Golissyn wendete, seine Familie ans Kijew nach Moskau 
kommen lassen wa dürfen, erhielt er „eine aweidentige Antwort". 
Da erfuhr er, nachdem er am 9. bereits Pferde und Dienerschaft 
nach Kijew gesandt hatte, nm die Seinigen nadi Moskau schaffen 
zu la^stMi. am 16. durcii einige Heiner russischen Bekannten, die 
Kegler ung sei entschlossen, falls Gordou nicht um Verzeihung bitte, 
ibn und seine Familie in eine entfernte G^egend au verbannen . 
Gordon hatte sich die äufserste Ungnade sugesogen. 

In der grdlbten Bestttnrang eilte GK>rdon snm holländischen 
Gesandten I welcher es indessen sehr entschieden ablehnte , ein 

*) Vgl. diese beiden Schreiben in dem Xsgebuche H. 160— 15L 
Als Qmnd tou Gordons wünschenswerter Rückkehr wird der Antritt 
des ererbten Yermögens bezeichnet Seine Entlassung werde für viele 
ein Sporn sein, in mssiBche Dienste an treten n. s. w. 



Patrick Gordon (i685-im), 397 

gatoB Wort fBr Qordon einanl^geB , und hinsnfttgto, die Bussen 
seien anfgebracht üb«r Jakob II. » indem sie ans den Zeitungen 

erfaliren hatten, der König von England sei nicht abgeneigt, ala 
Bundesgenosse der Türkei aufzutreten (il. 161). Wir wissen 
allerdings, dafs König Jakob sich keiner Beliebtheit bei der 
rassischen Begiening erfirente. Gh>lizyn sagte etwas später einmal 
zu Gordon: «Mit dem Vater und Bmder eures Königs konnten 
wir nns so aiemlieh Tertragen, aber mit dem jetzigen Könige 
können wir auf keine Art zurechtkommen , denn er ist über die 
Mafsen stolz* (II. 226). Als Jakob bald darauf stürzte, war die 
russische Regierung sehr zufrieden mit dieser Veränderung. 

Gtordon suchte sich die Fürspraohe anderer Qönner au sichern. 
Aber Überall erfuhr er, die Begentin sei fiber Gordons Eigennmi 
höchUchst erzfimt und wolle ihn ezemplarisoh bestrafen. ICan 
sagte ihm, es drohe ihm und seiner Familie das schlimmste Un- 
heil, wenn er nicht schnell um Verzeiluing bitte. In einer so 
bedenklichen Angelegenheit konnte er auf niemandes Hilfe rechnen. 
Er bemerkt in seinem Tagebuche, er habe die ganze Nacht nicht 
schlafen kQnnen, und fOgt hinzu, das Schlimmste sei, da& er 
niemand habe, dem er seine G^edanken mitteilen k&nne, da er 
fiberall nur auf Eigennutz oder Gleichgültigkeit stofse und anoh 
in der That vielleicht niemand im st Lnde sei liim zu helfen. 

Am 22» November begab er sich nach Ismailowskoje, einem 
LustschloBse in der Kähe der Hauptstadt, wo der Hof weilte. 
Dort empfing ihn Golizyn sehr ungnädig, überhäufte ihn mit 
Vorwürfen und liafs sogleidi ein Dekret ausfertigen, demzufolge 
Gordon, zum Ffthnrieh degradiert, sogleich verbannt werden sollte. 
Die anwesenden russischen Grofsen tiiaten das Ihrige, dem i'mstt n 
(lolizyn beizustehen und Gordon auch ihrerseits mit Vorwürfen 
zu überhäufen, indem sie bemerkten, nur durch die unverzügliche 
Bitte um Vergebung könne Gordon sein Schicksal mildem. 

Wohl oder Übel mnlkte Gordon in Bttcksicht auf seine Familie 
sich entsdüieliron, ein an die Kegierung geridiietes Papier auf- 
zusetzen, in welchem er, übrigens mit einiger Zurückhaltung, um 
Entschuldigung dafür bat, dais er mit seiner Bitte um Entlassung 



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898 Patrick Gordon (168&-16d9). 

» 

den UnwiHeü der Zaren erregt lialje, und ferneiP zu dieoeu ver- 
sprach. In den mafsgebendeu Kreisen wurde dieses Schreiben 
nicht devot genug befanden. Man drohte öordon noohmala mit 
der Strafe der Yerbennnng. erklärte er, man möge den Ent» 
warf einer Bittadhrift aafitetaen laaaen: w werde alles anter* 
schreiben. Ein paar Tage später erhielt er dann auch einen 
solchen Entwurf, welchen er, mit "Weglassung einiger „unschick- 
licher Stellen^*, abschrieb und überreichen liefs. „Als das Papier,** 
eraählt er in seinem Tagebaohei dem Gbbeimen Bäte Tor- 
geleaen wnrde, hemcbte ein tiefet Stillachweigen ; aaoii die Prin- 
seasin sagte nicht ein Wort, da jedermann walate, dala Gordon 
dorch Gewalt und Drohungen dam war gezwungen worden.'' 

So kam es deun nicht zu einer Verbajmuüg (iuidüiis. Am 
11, Dezember erhielt er Yerzeihang. £r war nominell einige 
Tage hindnroh Fähnrich gewesen. 

Inswischen ereignete sich noch ein seltaamer Zwiaohen£ikU. 
In England wolste man von Gordons Kifi^geacliiok nichts; man 
bedurfte aber einer diplomatisehen Yertretang in Bnlsland. Indem 
man Gordon zum englischen Residenten ernannte , meinte man 
gleichzeitig seine Befreiung aus russischem Kriegsdienste bewirken 
an können. 

Am 29. November, also noch w&hrend der Zeit der Ungnade, 
empfing Gordon von dem Grafen Hiddleton nnd den Staatssekre* 
tiren des Königs yon England offizielle Schreiben mit der Kach* 

rieht, er sei zum aufserordentlichen englischen Gesandten am 
rassischen Hofe ernannt: die BeglaubigTingsschreiben sowie eine 
ausführliche Instruktion seien bereits unterwegs. In England 
meinte man, Gordon sei noch in Kiga, and wies ihn an, bis auf 
weiteres dort au Terbleiben. 

Gordon war sehr angendmi fiberrasdit, machte dem bolUln* 
dischen Residenten sowie einigen höheren Beamten des Auswärtigen 
Amleh vorläufige Mitteilung von dem Geschehenen nn 1 Iji-gab sich 
mit dem Schreiben des Grafen Middleton zum Fürsten Golizyn. 

Alsbald erfolgte die Entscheidung. Die B.egienuig erkl&rte 
sehr ktthl, Gordon könne nicht englischer Gesandter werden, da 



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Ffttriok Gordon (1086— IM). 



399 



man 0eiii«r Bieiute in dem beTontebenden Kriege bedflrfe; wolle 

der König einen andern Gesandten ernennen, bo werde ein solcher 
8©hr wolil aufgenommen werden. 

So endet« diese Episode. Oordon bemerkt bitter, Gerechtig^ 
keit und 3iUiglceii seien auf seiner Seite gewesen» aber alle seine 
YoTBteUiingen seien als Fabeln und HKrohen behandelt worden. 

Selbst Gkttdons Bitte, man mOge ibm ans dem Auswärtigen 
Amte eine Absebrift der Bntscbeidnng geben, damit er dieselbe 
Hii den König Jakob IT. senden könne, wurde absclilägig beschieden. 
Umgekehrt verlangte mau, dafs üordon das von ihm im Auftrage 
der Begiening als Antwort auf das Schreiben des Grafen Hiddle- 
ton Terfafste Aktenstflek vor Absendnng desselben yorweise. Man 
darf annehmeui dala Gk>rdon in andern Biiefm nach England mit 
seinen persSnliehen Ansichten über die ganze Angelegenheit nicht 
werde zurückgehait* n haben. 

Gordons Verbannung iu entferntere Gegenden des Reiches 
sowie eine Degradierang zum Fähnrich waren ebenso untlumlich 
wie seine Entlassung ans mssisohem Dienste. Man bedorüke seiner: 
man bedurfte nicht eines Ffihnrichs Oordon» sondern eines Generals 
Oordon. Am 2. Jannar 1687 erhielt er den Bang eines Generab. 
Seine Beziehungen zu dem Fürsten Golizyn waren wie zuvor. ^) 
Inzwischen war seine P^amilie in Moskau eingetroffen. Gordou 
richtete sich abermals in der deutschen Vorstadt zu bleibendem 
Aufenthalte ein, ohne den Gedanken an eine Bttckkehr in die 
Heimaty dem wir in aahlreichen Briefen ans den Jahren 1690 
nnd 1691 begegnen, an&ageben. 

Bald sollten indessen andere tTntemehmungen nnd der in 
Rufsland erfolgte Umschwung (lt)89) einen Wendepunkt in seinem 
Leben abgeben. 



^) Korb, Diarium itineris, 8. 816, bemerkt, Golizyn habe dnen Hafs 
auf Oovdon geworfen, mid steUt die Sadie ao dar, alt sei Gordon erst 

nach dem Jahre 1689 durch Pet«r rehabilitiert worden. Dafs Gordon 
bei den Ereignissen des Jahres 1689 sich durch ein Racho^refülil «.resreu 
Golizyn habe leiten lassen, wiePowelt, II. 666, meint, scheint uns nicht 
m begründen zu sein. 



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400 



Phtiiek Gwdon (1686—199»), 



Feldzflge In die Krim 1667 nd 1689. UniMliwiuig 1689. 

Aus den zahlreichen nnd wichtigen Angaben über die Vor- 
bereitungen zu dem Feldsuge in die Krim 1687 in (iordons 
Tagebache ist zu ersehen, dafs er das Yertranra des ersten 
Hinistero W. Golisyni welcher sngleich in der Armee deo Obear^ 
befehl fShrte» in hohem Ghrade genofe. Bei Beeiohtijfiuig der 
Trappen dankte der Fttrst dem General in den Terbindlicheten 
Ausdrücken für die musterhafte Ordnung in denjenigen Truppen- 
teilen, welche Grordon befehligte. 

Nun sollte sich leigen, ob GK>rdons Optimiimas inbetreff 
eines gegen die Tataren an nnternehmenden Feldsngee bereehtigi 
war oder nicht. Lmder weist das Tagebnoh wiedemm ebe Lficke 
vom 93. Februar bis zum 3. Mai auf, nnd in diese Zeit fiel gerade 
die Mobilmachung der Truppen, welche, wie wir aus andern Quellen 
wissen, mit nur zweifelhaftem Erfolge durchgeführt wurde. Die 
yenohiedenen Teile der Armee sammelten sich nur langsam nnd 
nnvoUstSadig, Auch Fülle von Widerspenstigkeit nnd mangel- 
hafter Kannsancht kamen Tor. Nicht umsonst hatte sich Gordon 
Über diese IfiTsstlnde während der TschigirinoFeldsfige beklagt. 
Auch (^olizyn mufste es jetzt erfahren, wieviel der Geist und die 
Organisation der Armee zu wünschen übrig lielisen. 

Soweit Gordons Tagebuch erhalten ist, — es weist abermala 
Tom 20. Hai bia zum 12. Jnni eine Lficke anf — dient es als 
Hanptquelle ffir die Geschichte des Feldsngesi welcher bekanntlich 
sehr kläglich TcrHef. Eine maßgebende Rolle scheint Gordon, 
welcher übrigens an den Beratungen der Offiziere teilnalim, nicht 
gespielt zu haben. Am 17. Juli beschlofs man, weil die Ver- 
pflegnng des Heeres allzngrofse Schwierigkeiten darbot nnd 
dasu der Steppenbrand grofsen Sehaden anrichtete, nmsakehren^ 
ohne den Feind tmeh nur* gesehen an haben. 

Trotz dieses Mifserfolgs, den man hinter prahlerischen Ifani- 
festen zu verbergen suchte, gab es Belohnungen für die Befehls- 
haber. Aus der Abstufung derselben kann man auf die Stellung 
<3tordons in der Arme schlieTsen. Golisyn erhielt eine Denk* 



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Pfttrick Ootdon (1686—1699). 



401 



münse nebst Kette im Werte you 300 Ihikftten; die andern Bo- 
jaren , welche als Generale dienten , Medaillen im Werte von 9 
Dukaten; Gordon erhielt eine solche von 5 Dukaten; noch andere 
Personen erhielten geringere Medaillen (Tl. 195). 

Auf dem Bückwege fiel Gordon die AnsfOhrong eines pein- 
lichen Anftraga an. Der Hetman SleinrnfBlandai Saamoilowitach, 
mit welchem Gordon wfihrend aeinea Anfenthaltea in Sajewak und 
Kijew in lebhaftestem tmd, wie es seheint, frenndschaftliehstem 
Verkehr gesUuideu hatte, war — denn doch wohl infolge einer 
Intrige, ohne Schuld seinerseits — des Hochverrats angeklagt 
nnd seines Amtes entsetzt worden. Die ganze Familie wurde 
gerichtlich verfolgt Gordon hatte nun den eben&Ua verhafteten 
Sohn des gestärsten Hetmans bis Ssjewsk zu eskortieren. 

Nach siebenmonatlicher Abwesenheit kehrte Gordon nach 
Moskau zurück, wo er das durch den Feld^;ug unterbrochene, an 
geselligen und Familieufreuden reiche Leben wieder aufuuhm. 
Als die Regierung an der Mündnng der Ssamara (Nebenflufs des 
Digepr) ein starkes Fort, Bogorodiak, erbauen liefs, wurde 
Gbrdon bei Entwerfung des Planes als SachTerstündiger augeaogen. 
Auch in andern militarisch-technisohen Fragen hatte er Bat su 
erteilen und wohnte allerlei Versuchen mit neuen Geschützen bei. 
Beachtenswert ist der Umstand, dal'a im Jahre 1688 die klein- 
russischen Kosaken den Wunsch iiur.serten, dafs Gordou wiederum 
als Befehlshaber nach Kleinmisland kommen möge, ein Zug, 
welcher auf eine gewisse Popularität GUtrdons sohliefsen Ifttst. 

Auoh eine Ausaeichnung wurde ihm au teil. Zu dem Titel 
eines Tollen Generals wurde ihm das Bedit Terlidien, sich nut 
einem „witsch" zu schreiben, d. h. seinem Namen denjenigen 
seines Vaters mit der Endung „witsch'* hinzuzufügen. Er bemerkt 
in seinem Tagebuchei dafs er dieses Becht nur darum so spät 
erhalten habe, weü er nicht früher darum naohgesncht habe. 

In das Jahr 1688 fallen die ersten Beziehungen Gordons su 
dem jungen Zaren Peter. Diese waren nicht so sehr persön- 
lieber als offizieller Xatur. Peter wai in dieser Zeit gerade mit 
seinen 8})ielregimentem beschäftigt and wandte sich dazwischeu, 

BrQckner, BnÜilMid. S6 



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409 



FMriok Qordon (1686-1699). 



wran er Soldaten oder Waffen oder Begimeotfmnaik bnaehte, an 
Qordon. 

In das Jabr 1688 filllt dann anoh die englisdie Be?olntioiL 

Gordon hatte den Schmerz, den Thron seines KSnigs zusammen- 
brechen zu sehen. Die Vorbereitungen zu dem zweiten. fÖr das 
Jahr 1689 in Aussicht genommeuen Feldzug mochten dazu bei- 
imge&i den Kummer um die Tom Standpunkte Gordons ans im 
beklagenden Breigmase in Grofabritannien au aerstreuen. Aa 
diesen Yoi^ereituogen nahm Görden regen Anteili ohne dalb er 
dabei eine hervorragende Rolle gespielt hätte. Im Jahre hiSk 
hatte er ein Memoire über die orientalische Frage abfassen müä&en. 
Jetst wandte sich die Eegierung in dieser Angelegenheit an den 
neuen Hetman Kleinruialands, ICaeeppa. 

Übrigens ersehen wir, dafs Gk>rdon in dieser 2eit in den 
bSchsten Krmsen, am Hofe^ einflufereiehe Gegner hatte. Als einat 
Beratungen über den bevorstehenden Feldzug gepflogen wurden, 
erging sich der Patriarch in starken Ausdrücken über Grordott 
und bemerkte, man dürfe nioht auf Erfolg rechnen, wenn man 
einem Ketser das Kommando über Bestandteile der Armee an- 
vertraue. Gordon bemerkt, indem er von dieser Episode ersShlt^ 
dafs die Bojaren geläcshelt und die Einwendungen des Kirchen- 
fürsten nicht weiter beachtet hätten (11. 233). 

Als der Feldzug (diesmal etwas früher als 1687) im Febmar 
1689 begann, hatte Gordon ein militar-technisohes Gutachten über 
die Art, wie marschiert und wie die Armee Torpflegt werden 
sollte, ausauarbeiien. Hier betonte er die Notwendigkeit der 
Errichtung von Forts, in denen Kunition und Lebensmittdvor- 
rate antjehauft werden sollten. Indessen hielt Golizyu es nicht 
für angemessen, Gordons Katschlägen zu folgen. Die Errichtung 
der Forts unterblieb. 

In der Sohüdenmg der Einaelheiten des Feldsuges ist von 
Gordott selbst so gut wie gar nioht die B«de. Nur eines von 
Gkwdon verfaTsten Gutachtens über die Operationen des linken 
Flügels der Armee ist erwalint. 

Auch der zweite Feldaug verlief kläglich. Die Hoüuungen, 



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Patrick Kordon (1635—1699). 



403 



welche GU>rdon 1684 gehegt hatte , erwiesen sich abermals als 
eitel. Die Unternehmung scheiterte an der schlechten Organi- 
sation der Armee, au dem Xleinmute des Feldherrn Golizyn, 
welober BOgar in Verdacht blieb , sich von den Feinden habe 
besteehen wa lassen. Übrigens ist Gh>rdons Tagebuoh in dieser 
ffinsieht fingmentarisch und bietet Aber die wichtige, das Ver- 
halten Golisyns betreffende Frage keinerlei Aufschlufs. — Inso- 
fern Gordon die Nachhut befehligte, welche von den verfolgenden 
Tataren umschwärmt wurde, hatte er bei dem äückzuge von 
1689 Grel^nheit, sehr wesentliche Dienste an leisten. 

Der sweite Hifserfolg war von grolser Bedeutung ftlr die 
Stellung der Parteien bei Hofe. Diesmal, wo man wenigstens 
in ▼ersehiedenen Scbarmlltseln mit den Tataren gekSmpft hatte, 
bauschte die Regeiitin Sophie in ihren Manifesten diese Ereig- 
jiiss. zu angeblichen Siegen auf. Dieser Schönfärberei entsprechend, 
sollten auch die Belohnungen an die Generale recht splendid 
ansfallen. 

Da brach denn bei dieser Gelegenheit awischen dem Zaren 
Peter und dessen Stiefschwester der Konflikt aus. In Moskau 

täuschte man sich nicht über den eigentlichen Verlauf des Feld- 
zuges. Alle Symptome der steigenden Unzufriedenheit Peters, 
welcher die den Militärs zu verleihenden Belohnungen mifsbilligte, 
finden sich in Gordons Tagebnehe. Am S6. JuH erzählt er, 
man habe den jungen Zaren mit Kfihe ftberredei» die Belohnungen 
au gestatten. Drasgemärs erhielt Gordon einen IConatssold, 90 Paar 
Zobel, einen silbernen Becher, reiche Stoffe und eine Hedaille im 
Werte von 30 Dukaten. Denselben Tag aber kam Peters Zorn 
in der Weise zum Ausdruck, dafs er die Belohnten, welche dem 
Zaren ihren Dank darbringen wollten, nicht empfing. Dies wurde 
Gegenstand lebhafter Gespriehe im Publikum. Alle erwarteten 
• eine Katsstrophe, doch drückte sich jedermann mdglichst TOr- 
sichtig und snrfiekhaltend aus. Es war geffthrUch, fUr irgend 
jemand i*artei zu ergreifen. Die gespannte Lage bei Hofe blieb 
Gvgeuätand allgemeiner Aufmerksamkeit in den folgeiulen Tagen. 

Die Yorgünge spitzten sich zu einem totalen Bruche zwischen 

26* 



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404 



Fktrick Gordon (1686—1609). 



Peter und der Begentm tu. Am 7. Augiut ▼erbreitete sieh 
das Gerücht, Peter sei ans PreobcBsbenskoje in das Troisakloster 

übergesiedelt. 

Diese Nacliriclit regte alle auf. (iordou folgte allen Einzel- 
heiten der Vorgänge und fuhr inzwischen mit seinen gewohnten 
Arbeiten, dem Exerzieren der Trappen, dem Fdbren seiner ans- 
gedehnten Privatkorrespondens n. s. w. fort. Er Temahmi data 
mehrere Strekyregimenter auf den Ruf Peters nach Troisa ge- 
gangen seien, selbst aber daclite er zunächst uicht drij an . der 
Kegeutin Sophie untreu zu werden und in Peters Lager über- 
zugehen. Indessen wurde die Lage der ausländischen Militärs 
mit jeder Stunde peinlicber. Der Moment nahte heran, wo aie 
awiscben Sophie und Peter wählen mubten. Vorlftufig hatte die 
erstere noch die Macht in Händen; Peter spielte gewissermafiien 
die Holle eines l'riitendt'iitcii. Aber seine liechte waren sflir 
wohl begründet , und sehr bald schon mu&teu alle Zweifei 
darüber schwinden, wem der Sieg zufallen werde. Ein gewisses 
Gefühl der Pflicht und Treue, der Gehorsam gegen die nmnittel- 
bare Obrigkeit, welche Gordon in Sophie und Golisyn su er« 
blicken gewöhnt war, fesselten ihn an die bestehende G^ewali. 
ForniL'H wureu Peters und Iwans Rechte gleich, und Iwaii be- 
fand bich auf der Seite Sophieus. Dagegen wulste man genug 
von den Fähigkeiten, von der Bedeutung Peters, um die Ent- 
fernung Sophiens aus dem Mittelpunkte der Staatsgeschäfte nur 
fär eine Präge der Zeit zu halten, genug von Peters Charskter, 
um seinen Zorn fttrohten su mttssen, falls man nicht aeitig sich 
zu seinen gunsten entschied. Gordon iiuifste erkennen, dafs die 
Zukunft dem jungen Zaren geborte ; aber sein (Tewissen nötigte 
ihn, sich lange zu besinnen, ehe er seinen bisherigen Chefs 
den Gehoraam kündigte. Augenblicklieh hatte man awet Obng» 
keiten. Welche hatte ein gröIsereB Becht? Weldhe eine grdlsere 
Macht? 

Am Hofe in Moskau fand eine Beratung stattj^ nach deren 
Beendigung die Regentin alle die Militärs rufen liofs und in 
einer an sie gerichteten Ansprache ihnen zur Pflicht machte, 



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Patrick (xordon (1635-1699). 



405 



licli nicht in den swisehen üir und ihrem Bruder scihwebenden 

Zwist üiiizumischen , unter keiner Bedingung aber nach Troiza 
zu Peter zu gelieu. Als einige der Oberöten der Strelzyregi- 
menter einige Einwendungen machten, sprach Sophie die Drohimg 
aiiBy jeden, der beim Übergänge nach Troiaa ergriffen werdei 
hinrichten aa lassen. Was speaiell Gordon anbetraf, so erteilte 
ihm der Ffirst Goliayn den gemessenen Befehl, keinesfalls die 
Hauptstadt zu verlassen. Gleichzeitig aber erfuhr man , dafs 
der Zar P«^ter seiner Schwester habe verbieten lassen , irgend 
jemand an dem Ubergange uach Troiza zu hindern (II. 270), 
und dafs der Fürst Frosorowsky nach Troiaa abgeordnet war, 
um Aber Sophiens Yerhalten inbetreff der Trappen Erklttmngen 
abzugeben. Die Moskauer Begiemng suchte das Gerücht zu 
▼erbreiten : die AnlTorderung Peters an alle Truppen , nach 
Troizii zu kommen, sei ohne Wissen des Zaren erlassen worden. 
Es ist kein Zweifei, dals Uordon diesem Märchen keinen Glauben 
schenkte. Nichtsdestoweniger verblieb er noch immer in Moskau. 

Leider findet sieh im Tagebnehe Gordons abermals eine 
Lücke: vom 18. August bis zum 1. September. Li dieser Zeit 
entsandte Sophie den Patriarehen zum Unterhandeln nach Troiza. 
Es war bedeutsam, dafs der Kirchenfilrst es vorzog, in Truizü 
ZU bleiben, statt in Moskau über den Erfolg oder Mifberfolg seiner 
Mission zu berichten. Am 27. August erschien ein Manifest 
Peters, in welchem die Strelzy formell aufgefordert wurden, zu 
ihm fiberzugehen. Es geschah fast durchgftngig. Sophie selbst 
gedachte persönlich sieh mit Peter auseinanderzusetzen, und 
maclite sicli nach dem etwa 70 Werst von der Hauptstadt ent- 
fernten Kloster auf; aber schon unterwegs begegn(;te ilir ein 
Bote Peters, der sie zur schleunigen Kückkehr in die Hauptstadt 
ermahnte, wenn anders sie einer schlimmen Behandlung ausweichen 
wolle. Sie kehrte zurück und liefe die noch in der Hauptstadt 
weilenden Strelzy einen Eid leisten, dafs sie nicht nach Troiia 
gehen würden. So neigte sich Peters Schale immer tiefer. 



Saolowjew XIV. 187. 



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406 



2Mak Qard<m (1686—1680). 



Gordon fttaod nnmittellMur vor der Entocheidiiiig. Er lifttte mkk 
mwciieD andern bislang eme Art von Neutralität beobachtet. Er 
folgte den Ereignisaen mit geateigerter Spaanong. 

Sehr ausführlich Ijericlitet er von dem Eindrucke, den Peters 
Forderung, Sophie solle ihm ihre Hauptanhänger, den Chef der 
Strelzyregimenter Schaklowityi und den Mönch liedwedjew, »ua» 
liefern, auf alle maehte. Am 1. September nahm er in der Niho 
dea Kremla die Truppen der Strelsy wahr, welche darauf aohten 
aollten, dafs gewiaae angeklagte Pereonen nicht an entkommen 
vermöchten. Er hörte die langen Reden , mit denen sich die 
Prinzesbia an die noch in Moskau befindiichen Truppen waudbe, 
und bewunderte ihre Energie und Beredaamkeit. 

Da verbreitete aioh daa GMlcht, ea aei ein beaonderea an 
Gk)rdon gerichtetes Schreiben aua Troiaa angelangt. Er wurde 
gefragt, und konnte der Wihrheit gemKTa antworten, dab er niohta 
erhalten habe. „Man war damit zufrieden^', bemerkt er, offenbar 
mit Hinwetä auf die E^egentin und deren Anhänger, in seinem 
Tagebuche. 

Indeaien hielt Gordon aeine Lage f&r nicht. ungefiUirlicli. 
Als er erfuhr, dab einige Bewohner der deutachen Vbmtadt aioli 
nach Troiaa aufmachten, trug er ihnen auf, dem Karen an melden, 

die ausländischen Militärs seien bisher nur darum nicht nach 
Troiza gekommen, weil sie niclit wür»tcii, ol) ihre Ankunft dem 
Zaren auch genehm sein werde. Dies geschah am 2. September. 
Gordon hatte somit gewissermaiaen dem Zaren seine Dienate an- 
geboten. Offenbar war er von den Ereignissen und Stimmungen 
in Troiaa aehr woU unterrichtet. Wenigstens berichtet er am 
3. September, das Hauptregiment der Strelzy habe in Troiza sich 
bereit erklärt, nach Moskau zu marschieren und an den Gegnern 
des Zaren Gewalt zu üben. Man stand unmittelbar vor dem 
Bilrgerkri^. Gordon schreibt: ^Es war wahrscheinlich, dala 
es bald su einem Bruche kommen würde, und alles vereinigte 
sieh Eur Beschleunigung einer HauptverXnderung** (L 975). 

Da wurden denn endlich die Ausländer zur Entscheidung 
gedrängt. Am 4. September wurde in die Sloboda eine im Namen 



..yui^cd by 



Patrick Gordon (1635--1699). 



407 



des Zaren an alle „Oeneralspersonen , Olirtsteii jlbrig«ii 
Offiziere gerichtete Ordre" gebracht, in welcher die Vorfälle der 
letzten Wochen erzählt und an die ansländiächen Militärs die 
gemessensten Befehle erteilfe wurdcDy sofort Ydllig beritten und 
bewaffiui in Troia» m ereoheiaen. 

Hier seigte eieli» dafe Gordon gewiwennaban als der Patriardi 
der dentschen Yoratadt galt. Das Schreiben wnrde von einem 
Obersten, Riddcr, welcher es erhalten hatte, zu Gordon gebracht, 
welcher sogleich alle ausländisclicn Militärs bei sich veraammeite 
und in ihrer Gegenwart da^ Schreiben entsiegelte und yorlas. 
Ifian beachlofr sonSehet den Fttnten Ctoliiyn Ton dem Empfange 
dieees AktenftftckeB in Kenntnie xu setsen. Man sieht daranst 
dafs die ansISndischen Militärs nicht leicht au einem endgültigen 
Entschlüsse gelangttu. Statt sogleich die bisLerige Obriß'keit in 
Btich zu lafiseii uud iu daa entgegengesetzte Lager zu eilen, 
hielten sie es loyalerweise für ihre Pflicht, ihren obersten Chel 
von dem Yorgelallenen an unterrichten, indem sie sich übrigens 
die Freiheit der Aktion vorbehielten. 

Sfl war nicht ungeffthrlich, Qolisyn eine solche IKtteilung au 
machen. Da niemand von den Anwesenden einen so heikeln 
Auftrag übernehmen mochte, war Gordon bereit, zn Golizyn zu 
gehen. Er that es, indem er sich von einigen Obersten begleiten 
liefe. Als man dem Fürsten das Schreiben aeigte, war er sehr 
bestaratf suchte sich an fisssen und bemerkte , er werde das 
Sehreiben dem filtern Zaren und der Begentin aeigen und dann 
den ausländischen Militftrs die Weisung geben, wie sie zu ver* 
fahren hätten. Gordon entgegnete, sie müfston gehorchen oder 
sie wagten ihr Leben. Golizyn versprach die Entscheidung nicht 
später als abends mitzuteilen. 

Sie sollte nicht mehr von ihm oder der Begentin abhfingsn. 
Gbrdons Entschlnlk war gefafst. In die dentsehe Vorstadt aurttck- 
kehrendy rüstete er alles anr Abreise naofa Troiaa. Ben anr Be- 
ratung kommenden Alilitärs eröffnete er, dal's er seinerseits, ohne 
auf weitere Befehle zu warten, 80gieich| d. h. noch desselben 
Tages, nach Troiaa aufbrechen werde. 

s 



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408 



Patrick Qordon (1686—1090). 



Da aeigte ee ücbt was Gordon io der Sloboda bedeutete. Kaum 
hatte man von dessen Enteehlnsse Eenntnis, ala sich aUe, fiYor- 
nelune nnd Geringe", gleichfalls sar Abreise nach Troisa rftsteten. 

(rordoti schrieb dieser Hanuiucgsweise der Ausländer eine 
groise Bedeutung in der Geschichte der ganzen Krisis zu. Er 
bemerkte in seinem Tagehuche : ,,Die Abreise der ausländischen 
Offiziere nach Troisa gab der Saehe den Ausschlag. Denn nan 
spraoh ein jeder öffentlich anm Besten des jungem Zaren" (II. 277). 

Die spätem Gesehiehteforscher sind nur zum Teil geneigt 
dieser Darstellung (Hauben zu schenken. Wälirend Ssolowjew 
CS für sehr wahrscheinlich hält, dals in einer Zeit allgemeinen 
Schreckens^ gespannter Ern^artung, peinlicher ünentsohloesenheit 
jede Bewegung nach der einen oder nach der andern Bichtang 
hin entscheidend habe wirken können,') weist Ustrjalow darauf 
hin, dab im Grande sehen Tor dem Aufbraebe der Engländer 
aas der Sloboda aiies zu gunsten Petors cntschiedtju war, welcher 
bereits über nicht unbedeutende Truppenmassen verfügte, den 
Patriarcheni viele Magnaten und Würdenträger auf seiner Seite 
hatte. Es seil meint Ustijalow, den Ausländem nicht als Ver- 
dienst ansnrechnen, und hfitte» wenn es früher geschehen wSre, 
eine bedeutende That gewesen sein können, während es nur ein 
Akt der Selbsterlmiiiuig gewesen sei, da sie so spät kamen.-) 

Allerdings waren die Ausländer, falls sie nicht jetzt sich ent- 
schlossen, verloren. Dafs sie aber Goliz}Ti und Sophie nicht früher 
▼erliefsen, darf man nicht tadeln. Dafs der Eindrack des Über- 
gehena der auslMndiachen Militärs in Peters Lager auf die Be- 
wohner Koskaus ein starker gewesen sein mttsse, liegt nnter allen 
Umständen auf der Hand. ^lochten die Ausländer bei den Russen 
auch zum Teil verhafat sein , so war doch ihre Stellung , ihr 
Einflufsi ihre Bedeutung in Staat und Gesellschaft so augenfällig, 
da(s eine solche Bewegung sehr wohl Peters Wagsohale xum 
Sinken bringen konnte. Wir wissen nicht, wie grols die Zahl 
der Ausländer war, welche mit Gh>rdon nach Troiaa gingen ; aber 

») Ssolowjew XIV. 130. 

^) Ustijalow, Gesch. Peters des Grofsen IL 74. 



Patrick Gordou (1635—1699). 



409 



die AnMbmdctweim Gbrdons im Tagebaehe Iftllit auf den Auf- 
bruch einer sehr beträchtlichen Menge von Bewohnern der 81o- 
boda scbliertitiu. 

In Troiza worden die Ausländer gut aufgenommen. Peter 
selbst reichte jedem eine Schale Branntwein und hiefs sie will- 
. kommen. Zwei Tage später erschien auch Golisyn in Troiza. 
Sein Schicksal war bald entschieden. Am Tage seines Eintreffens 
in Troiza besuchte ihn Gordon und fand ihn , wie er sich iiu 
Tagebuch ausdrückt, „etwas tiefHinnig. wozu er. der Fürst, auch 
Ursache hatte" (II. 279). Andern Tags ward OoUzyn in den 
änfsersten Norden verbannt. 

In Troisa scheint Gordon keine hervorragende Bolle gespielt 
8u haben. Indessen ward er bald mit Lieferung bedeutenderer 
Quantitäten von Lebensmitteln, also durch eine Art Solderhöhnng 
belohnt. Bald entspanu bicb ein näheres Verhältnis zwischen 
Gordon und dem jüngeren Zaren. 

Peter der 0roAe und Cirordon. 

Bisher hatten Gordons Besiehungen su Peter einen nur mehr 
offiziellen Charakter gehabt. In feierlichen Audienzen hatte 
Gordon Gelegenheit gehabt , den muntern , frischen , geäunden, 
jüngcm Zaren mit dem fast blödsinnigen und halbblinden, krän- 
kelnden Iwan au vergleichen (U. 227). Ohne sich in den Kampf 
der Parteien, welcher schon vor der Krisis des Jahres 1689 ent- 
brannte, einzumengen, benutste Oordon jede Gelegenheit, sich 
dem jungen Peter gefällig zu erzeigen, und stellte, auf Verlangen, 
die beBten Flötenspieler und Trommler für Peters Spiel regimenter 
zur Verfügung. Aufmerksam verfolgte Gordon die Knt>s ickelung 
des Konflikts, dessen Symptome auch femer stehenden JKjreisen 
nicht entgehen konnten» Jetzt konnte er, nachdem alles ent- 
schieden war, nur von Peter Befehle erwarten. 

Am 17. September zum erstenmal und in der darauffolgenden 
Woche täglich wohnte Peter den Übungen bei, welche Gordon 
mit den Truppen anstellte. Namentlich die Evolutionen der 



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4X0 



Futriok Gtordon (1686-1099). 



Beiterei, das SehiefMn in 8alT«B «. dgK m. gefiel dem Zeven aii»> 

nehmend. Als Gordon einst rom Pferde stürzte, wobei er stob 

die Hand verletzte, trat Peter zu ihm heran und fragte teilnehmeud 
nach seinem Belinden. Uals (iordon in Peters Gunst stieg, be- 
wiesen auch die häufigen Besuche, welche Boris Golizyn (Vetter 
des gestüraten Wassily Golixyn) ihm abstattete. Bald wnrdA 
Peter das Zusammensein mit Qordon siim Bedfirinis. Er schickte 
sehr bfiufig nach dem G«neral nnd unterhielt sich mit ihm ; Gordon 
mulsto oft bei dem Zaren oder mit demselbeu bei einem der 
russischen Magnaten speisen. 

Man darf sagen, dafs Peter nicht so sehr durch Vermitte- 
long des bekannten Schweiaers Frans Lefort, als vielmehr zu 
allererst dnroh seine Besiehnngen lu Gordon ständiger Gast wurde 
in der deatsehen Vorstadt, sich in die Knltnrgeheimnisse Europas 
eiuweihen liefsi empläuglxcii wurde für die liiiduugselemente des 
Wissens, 

TJninittelbar nach der Krisis 1689 widmete sich Peter mit 
Eifer militärischen Übungen. In der Alexandrowskiga Sloboda 
. (173 Werst von Moskau) wurden Beiter und Fufssoldaten gedrillt^ 
allerlei Versuche mit Kanonen angestellt. Gordon leitete alles 
dieses. Er wurde dabei Peters Lehrer. Vou Lfiurt war noch 
keine Ücde. Auch als Peter in der deutscheu Vorstadt erschien, 
besuchte er zuerst Gordons Haus und dann erst dasjenige Lefort«. 

Übrigens be£snd sich Peter gerade in den auf die Krisis des 
Angnst und September 1689 folgenden Monaten inbesug auf die 
Ausländer in einem Gegensatae su andern einflulkreiehen Pers5n* 
lichkeiten. Der Patriarch "wufste im Oktober 1689 Mafsregeln 
durchzusetzen, welche den Eintritt der Ausländer in russische 
Dienste erschwerten. Als Gh>rdon bei Gelegenheit der Geburt 
des Zarewitsch Alexei su einem Pestessen bei Hofe eiugeladeii 
ward (Febmar 1690), durfte er nidit bei Tische erscheinen, weil 
der Patriarch die Teilnahme von Ausländem an der Hoftafel bei 
solchen Gelegenheiten für unangemessen liielt. Fast scheint es, 
als habe der junge Zar den General füi* die ihm zugefügte Krän- 
kung schadlos halten wollen, indem er ihn sogleich andern Tages 



PMriok Gordon (1686—1090). 



411 



mut Wktm fleiner LnstBohldsaer sn l^aolie lud (II. 897). Mtn 

kann sich vorstellen, dafs Peter, welcher, wie wir aus Gordons 
Tagebuche wissen, vom Soptenilier an monatelang fast täglich in 
Gordons GeaelUchaTt wüt, eine solche Ausschliefsung der Aus- 
l&ader als eine «hinegiache Ma&regel pemlioh empfiMid. Um so 
«afgerogter wsr der Hüter des Bestehenden, der Patriarch Joachim, 
in y evanlassung der steigenden Vorliebe Peters Hbr die Anslfinder. 
In seinem Testament (er starb im Frtthliag 1690) wies er darauf 
hin, wie er hereits die Kegentin vor der Verwendun^L'; dor aus- 
ländischen Ketzer in der Armee gewarnt habe, nnd wie die Nicht- 
beachtung dieser Warnung mit dem Scheitern der Feldzüge 
QolisyBe bestraft worden sei. ^) 

Auch Peters Kntfcer scheint den Ansl&ndem abgeneigt ge- 
wesen sn sein. Als an ihrem' Namenstage die Vertreter der Tor- 
schiedenen Stände erschieuen, um ihren Glückwunsch darzubringen, 
wurden erst alle andern, d h. Geistliche, Kaufleute, russische 
Militärs, zu der Zarin - Witwe beschieden und dann erst die aus- 
Iftndischen Militärs, was, wie GNurdon schreibt, »für eine grofse 
Beletdignng angesehen wurde'*. WXhrend die obenerwihnten 
Bussen ssur Tafel gezogen wurden, unterblieb dies inbetreff Gor- 
dons und seiner Kollegen (II. B16). Von Peters Gemahlin, 
Eudoxia Lopuchin, ist es bekannt, dafs sie die Ausländer hafste 
und verachtete. Peter Uels sich durch diese Opposition in 
diesen mafsgebenden Kreisen nicht irre machen. Aber vorläufig 
war sein "BifiHnfa beschränkt, wie aus folgender beachtenswerten 
nnd in das Verhältnis Gördens su Peter einen tiefen Einblick ge- 
währenden Änftemng in Gordons Briefe an den Kaufmann Keverell 
in London vom 29. Juli 1690 hervorgeht: ,,lch bin immer 
noch bei Hofe, was mir grofse Unkosten und Unruhe verursacht. 
Man hat mir groJDM Belohnungen versprochen, ich habe aber 
noch wenig erhalten. Wenn der Zar selbst die Begierung ttber- 
nehmen wird, so sweifle ich nicht, dab ich werde befriedigt 
werden<< (HI. 959). Also auch nach des Patriarchen Tode (er 

Tstrjalow 116. 
^) Ebenda 119. 



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Fatriok Gonlon (1686—1090). 



Btarb am 17. Män 1690) gab ea aeben dem Zaren noch andere 
emfloTsreiche Feraoneni welche die eigentliehen Zügel der Kegie- 
nmg führten. Peter blieb anoh nach der Krisia dea Jahres 1689 

in gewissem Sinn seinem Privatleben, seinen Neigungen über- 
lassen , während die Staatsgeschäfte in andern Händen ruhteD. 
£r hatte noch viel au lernen, ehe er persönlich die Xieitong 
flberaahm. 

Da bedurfte er denn maeB Lehimeiaterai wie Gordon einer war. 
Gk>rdon war kein Gelehrter, aber in der damaUgeQ Litteratnr 

«Icr IViilitarwissenscliaft wohl bewandert. Auch durch seine ali- 
gemein pulitibülie Bildung konnte er Peter manche Anregung 
bieten. Er l<»i'Tif*' Europa, hatte viele Länder bereist, folgte 
unaufhörlich den Weltereignissen. Die Unterhaltong mit Gordon 
konnte dem jnngen Zaren daa aein, waa die Lektfire von Zea- 
tnngen zu bieten pflegt. Gordon erhielt oft Briefe tmd perlodiacbe 
Blätter, Bücher und Broschüren. Instrumente, "Waffen und allerlei 
LuxuFgegcnstände aus dem Auälande. Seine MitteLiungeu über 
aUe diese Dinge muTeten Peter viele Belehrung bieten. 

Wir erwähnten echon des Unterachiedea swiachen Gordon and 
Lefort Der letztere war 21 Jahre jünger als Gordon, 16 Jahre 
mter als Peter. Seinem Temperament nach blieb Lefort bia an 
seinen Tod ein Jüngling, während Gordon schon in seiner Ju- 
gend durch tiefen Ernst, strenges Pflichtgefühl, angestrengte Arbeit, 
kühle Überlegung und eine gewisse Nüchternheit den Eindmisk 
der M&nnlichkeit und Beife macht. Lefort war dureh aeine ge> 
Beiligen Talente wie geachafien für die Freuden dea Hoflebena ; 
Gordon^ welcher sich nur ungern Ton seinen Arbmten, von seinen 
militärischen Geschiiften und seinem Sclireibtische trennte, empfand 
bei seinem gesetzten und vielleicht etwas pedantischen Wesen, 
bei vorgerückten Jahren und sich stets steigernder Kränklichkeit 
die Beschwerden der Hoffestlichkeiten sehr schwer. Schon die 
stete Anfgelegtheii zu Gfenufs und Sehers bei Lefort mofste eher 
eine gewisse Intimität zwischen ihm und Peter, dem Typus der 
KruiL und (jeHinuineit, zur Folge luiljcii ; iilier (.Tordon hatte ihm 
mehr geistige Nahrung zu bieten, hatte mehr als Lefort daa 



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Patrick Gt)rdon (1635—1699). 



413 



Zeagf Peters Horixont zu erweitern, ihn in den Emst der Ge- 
schäfte eiuzufilhren , ihm die Technik des Militärwesens bei- 
zubi'ingen. Zuerst gab es Trinkgelage und Feuerwerke , dann 
militärische Manöver in gröfserm Umfunge, bei denen die eigeut- 
Hohe Leitung in Gördens Händen ruhte; endUoh kam es zu. den 
Feldxfigen nadi Asow. 

Weisen wir anf einige Zflge in dem Verkehr Peters mit 
Gordon hin. Bald speist er bei dem Zaren, bald arbeitet er im 
Laboratorium mit ihm an pyrotechnischen Kunnistücken , bald 
gibt es allerlei Beratungen, an denen Gk>rdon teilnimmt| bald 
erscheint Peter in Grordons GeseUschaft bei Scheremetjew oder 
Naryschkin oder Bomodanowsky. Heute nnterhSlt sich Gordon 
mit Peter fiber die Rechte der Katholiken in Rnfaknd; morgen 
prüft er mit ihm nene Kanonen oder antemimmt mit dem jungen 
Zaren eine Wasserluliit. Die Behjliuungen häuften sich: Gordoii 
erhielt mehrere Ellen Samt ; bald darauf lUOU Rubel ; sein 
Bchwiegersohn wurde ebenfalls reich beschenkt; Peter schenkte 
dem General ein bedeutendes Grondstäck; Gordons Sold wnrde 
erhöht. 

Alsbald erschien Peter selbst als Qeasi in der dentschen Vor- 
stadt. Am 30. April 1690 speiste er mit den Bojaren und 
Höflingen bei Görden zu Abend. Solche Besuche, bei denen die 
Zahl der Gäste niclit selten mehrere Dutzend Personen betrug, 
wurden immer häufiger. Als Gordons Tochter heiratete, war 
Peter unter den HochaeitsgSsten, als Gordons Schwiegersohn be- 
stattet wurde» unter den Leidtragenden im Trauersuge. Am 
2. Januar 1691 kfindigte Peter dem General seinen Besueh su 
Tische an und bemerkte zugleich, er werde auch zur Nacht bleiben. 
So hatte Gordon 85 (iaate mit gegen 100 Dienern etwa 24 Stunden 
lang EU beherbergen, worauf die ganze Gesellschaft zu Lefort 
ging und dort mit Schmausen und Zechen fortfuhr. So geschah 
es nicht selten, dafs Peter ganse Tage hindurch bei Gordon yer- 
weilte. Dazwischen scheint er auch ohne Gefolge bei Gk>rdon 
gespeist zu haben. Manche Züge lassen auf eine gewisse Un- 
gezwimgenheit des Verkehrs awischeu beiden schlieisen. Als 



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414 



F^triok Gordon (1«85— im> 



Qordon emmal infolge «ineB m InlnüUflcliMi Malile« bei Bora 
GoHsyn erknnkte, liefs Peter iicli naoli eemem Befinden erkon- 

digen und schickte ihm Arzneien. Bisweilen erschien der Zar 
ganz unerwartet in Gordons Hause. JBs geschah dies zu den 
yenebiedensien Tageszeiten, morgens, mittagSi abends. Bei einem 
soldben Besuche nahm Peter drei die Artillerie betreffende Bftsher 
mit sich. Ebenso entlieh GK>rdon bisweilen Bftoher bei dem Zaren. 
Aneb ▼eracbrieb er dnroh die ihm bekannten Kanflente aüeriet 
Bücher. Instrumente u. dergl. aus dem Auslände. Bald treffen 
wir Peter und GiDrdon beim Besichtigen einer ueuen Art you 
Ladestöoken an, welche Gordon soeben erhalten, bald nnterhalten 
sich die beiden, da bedeutende militirische Übungen in Anssicfat 
genommen wurden, Uber allerlei Maschinen, welohe Oordon beim 
Angriff auf eine belagerte Festung zu verwenden vorsehlug. 

Nicht selten erschien <ro!(]on auch — der Patriarch war 
gestorben — an der Hoftafel und beschrieb dann solche sehr er- 
müdende offizielle Schmäuse sehr genau in seinem Tagebnche. 
Sehr h&nfig arbeiteten Gordon und dessen Sohn, wie der Schwieger» 
söhn mit dem Zaren im Laboratorium an der Anfertigung yon 
Feuerwerken , wobei es nicht ohne Explosionen abging. Einst 
wurden Peter und üordoa dabei verletzt. — Auch hei den 
Manövern wurde G^ordon mehrmals mcht unerheblich verwundet. 
Gordon gehörte zu dem Kreise von Personen, in welchem nek 
Peter stets bewegte. Einst besuchte Peter in Qesellschaft seinea 
Oheims Lew Naryschkin, der gewissermafsen Kinister des Aus- 
wärtigen war, und Ghordons den p ersischen Ge^mdten. 

Als Peters Übungen auf dem Wastser begannen, ^lui^te 
Gordon so oft zum Perejafslawschen See reisen, wo Peter seine 
Werft hatte, dafs er sich dort ein H&nschen kaufte und eine 
Wohnung einrichtete. Es war Peter eine grofse Freude, dem 
General seine neuen Fahrseuge neigen oder mit ihm manche Fahrt 
über den See nntemebmen zu können. 

Als Peter Ende 1691 gefährlich erkrankte, notierte (Kordon 
alle Einzelheiten des Verlaufes der Krankheit. Man begreift, 
was für Gordon dabei auf dem Spiele stand. Aus einer andeni 



Fifoiek Oordon (1686—1698). 



415 



Quölle wisBen wir, dab einige Personen der nlehaten Ungebnng 
des Zaren, unter denen Gt>rdon allerdings nicht genannt wird, 

Pferde bereit hielten, um. falls Peter starb, sclil^^unigst ins Aus- 
land entfliehen zu können. Die Gegaerpartei war nur zeitweilig 
snrückgedrängt; ein TJmschwnng konnte jeden Augenblick ein> 
treten; in Zeiten der Beaktion gegen Peter hatten Lefort und 
Gordon keinen Banm in ICoskan. 

An Petov Beiae naoli Archangelsk im Jahre 1693 nahm 
Gordon keinen Teil. Er konnte in dieser Zeit, ruhig daheim 
bleibend, sich von den Strapazen des Hoflebens erholen , über 
weiche er in seinen Briefen an i<'reundä und Yer>vandte nicht 
selten Klage führte. Unmittelbar nach seiner Bttckkehr ans 
Archangelsk speiste der Zar bei Gordon, wobei sie einen ArtUlerie- 
quadranten und einen besondern Apparat für die Anfertigung 
Ton Granaten in Augenschein nahmen. 

Im Januar lG9i starb Peters Mutter. Der Zar sprach 
wiederholt mit Gordou über die Krankheit derselben. Man er- 
wartete ihr Ende nicht so bald. Am Abende ihres Todestages 
sollte in Gordons Hause ein Ball stattfinden, an welchem Peter 
teilannehmen gedaohte. Gi>rdon befand sieh gerade beim Zaren, 
als er die Nachricht von dem Ableben der Zarin -Witwe erhielt. 

Da die Liebhaberei Peters für das Seewesen sich steigerte 
und 1694 auf dem Weifseu Meere gröfsere Fahrten unternommen 
werden sollten , erhielt Gordon den Bang eines Kontreadmirals 
nnd mniste den Zaren nach Archangelsk begleiten. Diese Beise 
ist sehr ausführlich in dem Tagebncfae erzahlt. In Arcfaangel 
lebte Gordons Tochter Hary, welche den Kapitttn Snerins ge- 
heiratet hatte. An der gefiihrlichen Fahrt nach dem Ssolowezkoi- 
Xloster , bei welcher Peter dem Untergange nahe war , nahm 
Gordon keinen Anteil. Dagegen brachte er die Zeit in dem 
Verkehr mit englischen Schiffskapitftnen hin, welche ins wischen 
angelangt waren, llan schob Kegel, reranstaltete aUerlei Ausflöge 
auf die Inseln der Dwina, sehmanste und sechte wacker; an allem 
diesem nahm Peter nach seiner Hückkebr aus Ssolowezkoi leb- 
haften Anteil. Dazwischen gab es Geschäfte. Chirdon übersetzte 



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416 Pfttrick Gordon (1686*-1699). 

ein Seereglemeoi ans dem Englisohen, mufste mancherlei iiir die 
Seemaaöyer Torbereiten und schlieiUich, anf der Jacht „Der heilige 
Peter" die Arrieregarde des mBsuchen Gesehwadera befehligend, 

an ciuer läiigcni Fahrt an der Küste des Weifsen Meeres teil- 
nehmen. Gordon war kein Seemann. Er hatte sclion hei früheru 
Reisen nach England wiederholt an der Seekrankheit gelitten. 
Jetst hatte er auf dem Weifsen Keere ematUohe Ge&hren zn be- 
stehen. Die Jaohti auf welcher eieh Gordon befandf wurde durch 
einen Sturm von den andern Schiffen getrennt und hfttte leicht 
an den Klippen des Ufers stranden können, 

Uber die beabsiciitigten i^[aiiüver mit den Laii(Urup})en. welche 
hierauf stattündeu Bullten, verfafste (iordon noch in Archangel 
ein ausführliches Gutachten. Bei diesen unter dem Namen des 
KoshuchowBohen Feldsuges bekannten militärischen Übungen fiel 
ebenso wie bei frühem Gelegenheiten dieser Art die Leitung der- 
selben Gordon zu. 

Solcher Art waren Gordons Bt'ziehnngen zu Peter in der 
Zeit von 1089 — 95. Die Jahre von dem Umschwünge, welcher 
der Regentschaft Sophiens ein £nde macht, bis zu den Peldzügen 
nach Asow sind nicht reich an politischen Ereignissen. Peter 
befabte sich kaum mit Staatsgeschftffcen. Er bereitete sieh vor; 
er lernte. Diese Lehrjahre verbrachte er zum Teil in der deut* 
sehen Vorstadt. Hier war Gordon Peters vomüglichster Lehrer. 

Feldzttge uaeh Asow 1695—1697. 

Gordon sehnte sich nach einer ThXiägkeiti welche seine 
Krftfte in einer andern Richtung in Anspruch nahm. Das Hof- 
leben bot ihm keine Befriedigung. Es war denn doch Müfsig- 
gang. Dafs die Regierung mehrere Jahre nichts gegen den 
Orient unternahm, wollte ihm nicht gefallen. In seinen Briefen^ 
unter andern an den Heraog Gordoni an den Hetman liaseppa, 
beklagte er es, dafs Ru^Bland aulser stände sei, etwas gegen 
die Tfirken oder Tataren su unternehmen. Aus andern Schreiben, 
z. B. an den Pater Schmidt, ersehen wir, dafs Gordon es 



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Patrick öordon (1636— 16Ö9). 



417 



fttr «ne Art Pflielit BnAilaii^ Uelt, den Kampf gegen den 
Islam baldmöglichst wieder aui^unehmen. Dies sollte denn auch 
bald geschehen. 

Die Genesis des Krieges von 1696—99 entsieht sioh der 
BeobAchtoDg. Wer saerst den Gedanken erfiUSite, einen Angriff 
auf Asow sn nntenehmen, wisaen wir nicht. Es ist nur Ver- 
mntong, wenn^ wie s. B. Ssolowjew thnt, dem Schweizer 
Lefort die Urheberschaft nn dusen Feldzügen zugeschrieben wird. 
Während dieser Zeit 8taud er allerdiugä dem Zaren ganz beson- 
ders nahe. Im Volke war man geneigt, ihn für die schweren 
Opfer TerantworÜich m machen, welche diese £ri^ den Massen 
auferlegten. 

fiber die Yorbereitoogen an dem Feldzuge des Jahres 1695 

und diesen selbst teilt Gordon sehr Ausführlichem lui Tagebuche 
mit. Er gehörte zu dem Triumvirat (Golowin , Lefort und 
Gordon), welches den Oberbefehl führte. Die entscheidende 
Stimme bei allen Beratungen hatte indessen der „Bombardier de« 
Begimenta Preobrashensk, Feter Alezejew**, d. h. der Zar selbst, 
welcher übrigens in dieser Zeit mehr geneigt war, den Bat- 
schlägen Leforts als denjenigen Gordons Gehör zn schenken. 
Hier treten die beiden Ausländer als entschiedene Rivalen auf. 
Ihr VerhäitniB war nicht ein gespanntes, aber doch kein freund- 
schaftliches. Sehr oft hatte Gordon Leforts £inflnlB zu beklagen, 
dessen geringe militürische Erfahrung und Bildung ihn allerdings 
kaum befähigen konnteUi dem Zaren aU Autorität in Kriegssachen 
zur Seite zn stehen. 

(fewifs ist, dafa Lefort eine gröfsere Rolle spielte als Gor- 
don, dessen Unzufriedenheit inbetreff des raschen Avancements 
Leforts schon bei früherer Gelegenheit znm Ausdruck gelangt 
war. Jetatf im Jahre 1695, befand sich Lefort stets in Peters 
G^ellsehaft. In einem Schreiben an seine Verwandten nennt 
sich liofort „den ersten General''.*) Die Vorgänge bei Asow 
zeigten, dofs er ein Recht hatte, die Bezeichnung zu gebrauchen. 

V) Posselt IL 152. 

>) Ebendaselbst IL S36. 

27 

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418 



FMriok Gk>rdon (1635—1689). 



Bei den Beratungen, welche dem Kriege voreusgin^en, Boheint 
6k>rdon die Hauptrolle gespielt zu haben. Seine Ansicht . dafs 
man es auf eine totale Blokade Asows absehen müsse, leuchtet« 
ein. — An den Vorbereitungen zum Feldzuge nahm er hervor- 
ngmden Anteil. £b fehlte namentUoh an Pferden, deren An* 
kanf Gordon leitete. Uit der Avantgarde brach er bereite Anfang 
Hftrs ans Moskan anf, verweilte einige Wochen in Tambow tmd 
setzte dann den Marsch nach Asow weiter fort, iiierbei hatte 
er mit dem Widerstande der donischeu Kosaken zu kämpfen, 
welche ungern in den Krieg zogen und Gbrdon in desien Be- 
wegnngen zu hemmen suchten. Ebenso wie die Kleinrussen oft 
zum Verrat geneigt waren, wie G-ordon bei Tschigirin die LSasig- 
keit der Soldaten und Of&dere als Hauptursache des Hilserfolgs 
bezeichnete, so mulste er hier fürchten, dafs von seiten der 
Kosaken manches geschähe, um den Erfolg des Feldzages in 
Frage su stellen. Seine Festigkeit und Buhe, die Bestimmtheit, 
mit welcher er den Weitermarsch verlangt^, brachten die Wider* 
spenstigen zum Schweigen. Erst Ende Jnni langte er na^ 
mancherlei Schwier! g^keiten vor Asow an. Zwei Tage darauf 
erschien Peter, weicher mit den beiden andern Feldherren bei 
Uordon speiste. 

Die Truppen wurden so disponiert, dafs Gordon im Zentrum, 
Lefort auf dem linken, Gkilowin auf dem rechten Flügel den 
Oberbefehl führte. Als man der zu belagemden Festung sich 

unmittelbar nähern mufste, äufserte sich abermals hartnäckiger 
Widerspruch der Ot'liziere, und Gordon mufste seine ganze Über- 
redungskunst aufbieten, am die Opposition zum Oehorsam zu 
ndtigen und zu beweisen, dafs vorläufig niemand unmittelbar 
Gefahr drohe. 

Bald stellten sich, als man zu den Belagerungsarbeiten schritt^ 

Meinungsverschiedenheiten zwischen den Obergeneralen heraus. 
Gurdoiis \ orsciiläge wurden niclit durchgesetzt. Seine Beniüliungen, 
den Fortgang der Arbeiten zu beschleunigen, hatten keinen Erfolg. 
Auch traf ihn selbst das MiTsgeschick, dafs die Türken bei einem 
Ausfalle insbesondere über die ihm anvertraute Position einigo 



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Patrick Gordon (1636—1699). 



419 



YorteOe errtngen. Fast wire «r Mlbet in Gefangenschaft ge- 
raten. Eine Redüute mit Kanonen verblieb in den Händen der 
Feinde. Es scheint, dnfj? auch hierbei wiederum der fchlechte 
Q«ist der Trappen da« JlüegeeGhiok wesentlich verechuldet hat. 
£r Uagt wiederholt über den Xangel na Eifer und Enei^gie im 
nusischen Lager. 

Als von anderer Seite der Vorschlag gemacht wurde, die 
Festung zu stürmen , widersprach Oordon auf das h'ldiafteßte. 
Er bemerkt iu seinem Tagehuche , dafs niemand einen Begriff 
▼on- dem Emst und der Schwierigkeit einet Bolchen Unter» 
nehmens hatte. Er wies bei den Beratungen auf den Hangel 
an Er&hmng bei den Offisieren, auf den schlechten Geiat der 
Truppen hin und sagte mit Entschiedenheit voraus, der Sturm 
werde mifälingen. Es war alles vergebens; er mufste, wie er 
sagt, „mit dem Strom schwimmen oder die Verantwortlichkeit 
für eine sieh in die Länge siebende Belagerung allein ttbemehmen**. 
Sehr eingehend schildert er, wie er immer wieder seine Bedenken 
geltend gemacht und wie er noch in der letsten Stande auf Peter 
zu wirken versuclit halje. wie aber die Opposition gegen ihn so 
stark gewesen sei, dafs er „zuletzt geredet habe wie die andern, 
obgleich er auf keinen Erfolg rechnete" (II. 584 — 58ti). 

Man sieht, da(s Gordon keinen Einflnfs hatte. Man darf 
Termoten, dafs insbesondere Lefort den Storm beführwortete. 
Wenigstens wissen wir ans den Briefen des letatem an dessen 
V erwandte in der Scliweiz, dafa Lefort sicher auf den Erfolg 
beim Sturm gerechnet hatte. 

Gordons Erwartungen erfüllten sich. Der Sturm mifslang. 
Es gab sehr schwere Verluste. Die Stimmnng war eine gedrückte. 
Jetat wurde Gordons Bat, die beiden den Tflrken entrissenen 
Tftrme (Kolsntschi) sm befestigen, befolgt, und er selbst leitete 
die Arbeiten ; aber aucli liierljei stellte dei* Wider.sprucli der bei- 
den andern Obergenerale seine Geduld auf die Probe, so dafs er 
sich bei den Besprechungen über diesen Gegenstand zu etwas 



0 Fosselt IL 847. 



87* 



420 PiAriok Gordon (1685—169»). 

starken ÄuIlBenmgeii liiiireilseii HeTs imd wiedemm die Ter* 

siimmnnjif mdhite. 

Auch aus den Berich ton des österreicluacheD diploiaatiijchen 
Agenten Pleyer wiesen wir, dafs Gordon insbesondere mit Lefort 
UDznfrieden war» weU der letstere ea unterlieTB» die Verbindmig 
awiaehen seinem linken Flfigel und Gordons Zentrum la gegen- 
seitigem Sckatse an unterhalten. Gordon nnd Lefort glaobten 
beide Ursache zu gegenseitiger TJnznfiriedenheit sn haben. ^) Dab 
die Türken Gordon besonders fürchteten, mag man aus folgendem 
"Umstände scliliei'sen: es verbreitete sich bei ihnen das Gerücht» 
Gordon sei tödlich yerwondet; ein Kosak, welcher in Go&ngeii' 
Schaft geraten war, ist von den Tftrken gefoltert worden, weil er 
behauptete, Gordon sei fnsch und gesund (H. 599). 

Auch dem Zaren widersprach Gordon bisweilen. So tadelte 
er es, dafs Peter eine schriftliche Aufforderung an die Bewoliner 
Abows mittels eines Pfeiles in die Stadt befördern wollte. Jblr 
war in trüber Stimmung: es fehlte an Kunition; die Beratungen 
aeugten yon Mangel an Einsicht seitens der andern Offiziere. 
Es sollte eine Mine angelegt werden; der Techniker, welcher 
diese Arbeit leitete, war unwissend; Gordon warnte vor dem 
Unternehmen. Man beachtete seine Warnung niclit, und die 
Sprengung mifslang vollkommen. Statt den Türken zu schaden, 
▼erlor man eine ganze Menge eigne Jjeute. Der Mut der Bo- 
lagerungsarmee schwand mehr und mehr. 

"Wieder begann man von einem Sturme su reden; wieder erhob 
— auch diesmal vergebens — Gordon seine Kassandrastimme. 
Seine persönliche Beratung mit Lefort belehrte iliu darüber, dafs 
dem letztern die Fähigkeit, dergleichen jB^ragen zu beorteilen, 
fehle (U. 605). Als Peter mit einem neuen Plane herausrttckte 
und Gordon seine Bedenken inbetre£P deaselben äuüserte, konnte 
niemand etwas gegen Gordons Ausf&hnmgen vorbringen; thtr 
Golowin und Lefort gaben ihm zu verstehen , es habe den An- 
schein, als wünsche er gar nicht, dafa die Festung genommen 



») Uairjalow IL 57S. 



Patrick tiordon (1635-^1699). 



421 



werde. Za einem offenen Hader kam ee nicht. Tiglieh speuten 

die drei Obergenerale mit dem Zaren zusammen.^) 

Der Sturm am 25. September mifslang ebenfalls. Wiederum 
wurden viele Leute zwecklos geopfert. Gordon tbat sein mög- 
liohstee und klagt wiederum darüber, dala Lefort and Golowin 
ihn mit ihren Truppen nidit hinreidiend unteietfitzt hätten. 

So endete die erste Belagerung Aeowe. Am 87. September 
beschlofs man die Rückkehr nach l^Ioskau. Der Marsch im Herbst 
durch die Steppe, wobei Gordon die Nachhut deckte, erforderte 
wiederum sehr schwere Opfer. Menscheu und Pferde fielen, eine 
Beute des Hungers und der K&lte, In dichten Haufen um- 
schwärmten die Tataren das abziehende russische Heer. Pleyer 
schildert den Eindruck, den die auf einer Ausdehnung von 800 
Werst (über 100 Meilen) umherliegenden Menschen- und Pferde- 
leicben auf ihn übten, als er, durch eine Krankheit in Tscherkassk 
aufgehalten , einen Monat später durch diese (iegeuden reiste. 
Man darf vermuten, dals Gordon, welcher sich in seinem Tage- 
buche inbetreff des Hücksuges recht kun fafst, bei dieser Ge- 
legenheit der Armee wesentliche IMenste geleistet haben werde. 

Am 23. November fand, trots des Kifslingens des Feldzuges, 
ein feierlicher Einzug in die Jiesidenz statt. Ein Zeitgenosse 
schreibt: ^Zuerst kam der General Peter Iwanowitsch Gordou, 
dann der Zar und sein ganses Gefolge.''^) 

Dm Winter über war man mit Vorbereitungen zu dem sweiten 
Asowschen Feldsnge beschäftigt, wobei wir Gordon sehr häufig 
in Peters Gesellschaft antreffen. Diesmal sollte ein Generalissimus 
ernannt werden. Der Bojar Schein erhielt diesen l'osten. — 
Da mau die Wmtermouate dazu benutzte, schnellniöi^lich.st eine 
Galeerenflotte herzustellen, so muXiste ein Admiral ernannt werden. 
Diesen Posten erhielt Lefort» Wir wissen nicht, ob Gordon sich 
gekränkt fählte, dafs man ihn bei diesen awei Ernennungen über- 

') Posselt, II. 841—860, ist tou der Gnmdlosigkeit der Eisgen Gordons 
ftberseugt, ohne dafs seine Beweisfahrong in dieser Hinsidit uns irgendwie 
SU überseugeu vermocht hätte. 

') She^abuflktl^j, Memoiren 66. 



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492 



PMriok Gordofi (1686—1609). 



gangen hatte. £r war dieee Zeit sehr eifrig mit dem Entwurf 

sm einer Brücke über den Don beeebSftigt, deren man für den 

Feldzug bedurfte. In Beineui Tagahuche schildert er den zweiten 
Feldzag sehr kurz. Er erzählt, wie die Truppen zu Wasser auf 
dem Bon bis Abow befördert wurden, ond ans seinen ICitteüongeB 
ist an ersehen, daXs die Disposition der Truppen auch bei der 
sweiten Belagerung Asows hanptsKchlioh von Gordon ausging. 

Die Belagemng ging mit mehr Erfolg von statten als im 
Jahre 1695. Au einen Stiirin dachte man. nach den grofson 
Verlusten bei den zwei Versuchen, die man gegen den Kat G-or- 
dons gewagt hatte, nicht Das Artilleriefener vermoehte der 
Festung inawischen nicht viel au schaden. Kamentlich eine Eck* 
bastion blieb unversehrt, bis österreichische Ingenieure eintrafen 
und ein wohlgezieltes Feuer auf diesen Teil der Festung eröffneten. 
Im Juni kränkelte (Jordon und mufste in seinem Zelte das Bett 
hüten. Anfang «fuli war er völlig wiederhergestellt. 

Am 22. Juli bereits ging von den russischen Soldaten der 
Vorschlag aus, einen hohen Wall um die Festung au£rarichten 
und, denselben allmählich der feindlichen Hauer nKhemd, so die 
Belagerten zu nötigen, sich zu ergeben. Gordon griff diese Idee 
auf und führte sie aus. über die Technik dieses Uiitoruehmens 
tinden sich in seinem Tagebuch einige Angaben, welche für Mili- 
tärteohniker von Interesse sein mögen. 

IHeser Watt, die tapfem Angriffe der Saporoger Kosaken, 
die Kunst der auslSndisohen Techniker ^ welche wihrend der Be- 
lagerung eingetroff'oii waren, eii<llicli das Gerücht von einem 
Sturm, den die Russen vorbereiteten — alles dieses veranlasste 
die Türken zu kapitulieren. 

Es hat sich die Tradition erhalten, da£i Peter die Einnahm« 
Asows für das Werk der Tapferkeit und militftrisohen Tttohtigkett 
Gordons gehalten habe. Der Anekdotensammler Nartow, ein Zeit- 
genosse Petcrü, erzählt, Peter habe bei Gordons Bestattung, als 
er eine Handvoll Erde auf den Sarg schüttete ,. gesagt : „Ich 
gebe ihm eine Handvoll Erde: er scheukte mir ein ganzes Reich 
mit Abow". Wir sind nicht geneigt, in dieser Eraählung eine 



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Patriok Gordon (ie86-1689). 4Sd 

bittorische ThatMche m erblicken. Gordon hatte bei der Be- 
lagemng und Einnahme Asows grofse Verdienste. Selbit wenn 

er, wie manche erzählen,*) der Erfinder jenes Walles gewesen 
wäre, könnt« man nicht eigentlich Gordon als den Helden von 
Abow bezeichnen. Indirekt verdankt Peter Asow dem General, 
insofern er in den der Belagerung Toransgehenden Jahren der 
Sohüler Gordons gewesen war. 

In Asow fanden Feste und Trinkgelage statt. An diesen 
wie an Peters Fahrten am Ufer des Asowschen Meeres nahm 
Gordon Anteil. £r leitete ferner die Herstellnng der beschädigten 
Festungswerke Asows. 

Auf dem Rückwege begrüfste Gördens Sohn, Theodor, den 
siegreichen Zaren mit einer Kedo. Am 30. September fand der 
diesmal durch die Ereignisse gerechtfertigte feierliche Kinniarscli 
der Truppen in die Besidena statt, wobei Lefort die Hauptrolle 
gezielt SU haben s^dieint. Gordon erschien mit seinem Stabe 
riemlieh weit hinten im 2uge. Peier ging asu FuJa in der Uniform 
eines Kapitäns. 

Über Gordons Stellung gibt uns die Abstufung der Be- 
lohnungen Auskunft. Schein erhielt eine Medaille im Werte von 
13 Dukaten, einen Becher, ein Kleid, 150 Bube! und 305 Bauern- 
höfe ; Lefort eine ICedaille im Werte von 7 Dukaten, einen Beehw, 

ein Kleid und 14u Baaeruhöfe ; Gordon und Golowin je eine ]^[e- 
daille von 6 Dukaten an Wert, einen Becher, ein Kleid und 100 
Bauernhöfe. 

< 

Gordons Dörfer lagen im Jetsigen lySsansehen Gbuyemement. 
Sin Dorf, welches er zuerst erhalten sollte, erhielt Lefort, und 

Görden erhielt ein anderes. Ob der Tausch nacbteilbringend 
war, wissen wir nicht. 



0 Alexander Gordon, Geschichte Peters des Gtofien, S. 114—116 
(deutsche Ausgabe). Ebenso Posselt in seinem Buche über Lefort, IL W. 

*) Das Aktenstück «Iber die Verleihung dieser Güter s. in der Edi- 
tion des T^bud», IIL 868 fg. 



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« 494 



Fttkriok Qordon (1686—1699). 



Letzte Btenstselt. 

Während Peter Anfang 1697 mit Lefort und grofaem G«* 
folge, oder, besser gesagt, im Gefolge einer russischen Gesandt^ 
tchaft ins Aoaland reiatey bereitete sieh Gt>rdon zu einem dritten 
Feldsttge nach Aeow yor* In Ghemeinflchaft mit dem Bojaren 
Schein leitete er In dieser Zeit das ganze Hilitärverwaltnngs« 
weseu des Reiches. Seine Beziehungen zu Peter änderten sich 
nicht. Er war faßt täglich in lebhaftem Verkehr mit dem Zaren. 
An demselben Tage, als die Urheber des Attentats auf Peter: 
Zykier, Ssokownin und Puschkin, hingerichtet wurden (liftrs 1697), 
sollte Feter bei Gordon zu Abend speisen, war aber durch die 
Beerdigung eines Verwandten, welcher er beiwohnen mnlste, daran 
verhindert. 

Korb, der Sekretär der kaiserlichen Gesandtschaft, welclie 
sich in den Jahren 169B und 1699 in Moskau aufhielt, erzählt, 
Peter habe auf Gordons Bat die fflhning der Staatsgeschäfie 
wShrend seiner Abwesenheit einem Triumvirat, den Bojaren 
Narysehkin, Gk»liayn und Prosorowskij , die Yerwaltung der Be- 
sidenz aber dem Fürsten Romodanowskij übertragen, wobei Gor- 
don von dem Gedanken geleitet worden sei , dafs eine gewisse 
Bivalität unter den vier Machthabern ihren Eifer spornen und 
mancherlei Gefahren abwenden werde. ^) 

Der Feldaug nach Asow im Jahre 1697, dessen Einaelheiten 
Gordon recht ausführlich schildert, ist von keiner besondem Be- 
deutung. Es handelte sieh «darum, die eroberte Stadt noch stftrker 
zu befestigen und die Südgreiizen Rufslands durch verschiedene 
Hafsrogeln gegen die Angriffe der Türken und Tataren sicher- 
austeilen. Gordon beriet während des Feldzuges oft mit Schein 
und Kaseppa. Seine Beziehungen au den Vertretern der Mos- 
kauer B^wnng waren rein offiaieller Katar. Er hatte durchaus 
keinen politischen Einflufs. Seine Thfttigkeit besehrttnkte sieh 
auf Militärisch- Technisches , und auch hierin hatte er sich nach 

') Diarium itinoris, p. 217. 



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Fatriok GoHon (1686-1609). 435 

den Lutraktioneii der TrmmviTB sa riohtea, von dflcen Gesainfc- 
heit er stets den Aiudniok „Majeetät** brauehl 

"Wiederholt sclirieb er in dieser Zeit an Peter. Diese 
Briefe , welche leider nicht erhalten sind , werden nach seiner 
Bückkehr im Spätherbst 1697 nooh häufiger als während des 
Feldaoges. 

Wir ermnem mui, da& €k>xdon sehr bald nach seinem Ein* 
tritt in mssische Dienste Ghelegenheit hatte, an der BekSmpfting 

innerer Unruhen teilzunehmen (1662). Jetzt, am Abend seines 
Lebens, kurz vor dem Absclilusse seines Wirkens, hatte er sehr 
grofse Yerdieuste um die Bekämpfung der gefährlichsten J^eiude 
Peters, der Strelsy. 

Qordon kannte den Gl«ist des rossisdien Heeres nnd die 
If ängel desselben. Sehr oft kUgte er ftber die lockere Hanns- 
xnehty das Desertieren, die Tronksneht nnd das jEtftnberleben der 
Strelzy. Auch bei Aeow liatten diese letztern in entsciiLidonden 
Augenblicken es an Gehorsam und l'iüchtgefühl fehlen lassen und 
sich Peters Zorn sngesogen. 

Peter verlangte unbedingte Unterordnung von diesen Sol* 
daten, deren früheres bequemes Leben durch furchtbare, nie enden 
wollende Strapassen enetzt war. Bs entstand, da den Strelsy die 
Geduld rifs, jene Rebellion, in welcher die letzte Allianz dieser 
gefährlichen Elemente mit der ehemaligen Begentin einen Krieg 
bedeutete gegen Peter, gegen die Ausländer, gegen die deutsche 
Vorstadt, gegen die abendländische Kultur. 

G-ordons Tagebuch bt Hauptquelle für die Geschichte dieses 
Aufstandes. Insofern Korb seine Nachrichten nnaweifelhaft 
grofsenteila den mündlichen Alitteilungen Gordons verdankte, ist 
auch Korbs Tagebuch, ebenfalls eine Hauptquelle über dieses Er- 
eignis, auf Gordon zurückzuführen. Gordon , welchem bei der 
Niederwerfung des Aufstandes die Hauptrolle sngefsllen war, 
konnte am allerbesten fiber die Einzelheiten dieser Vorginge Aus- 
kunft geben. 

Er berichtet ausführlich über die Bestürzung, welche in den 
mafsgehendeu Kreisen der Hesidenz infolge der ersten Kachrichten 



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486 



Putride Oordoft (1686-ieW). 



▼on der in den Strelayregimentenk hemcbenden G^iruiig dnreli 
dae Ghlttbl der schweren Veruitwortliehkett dem abweeenden 
Zaren gegenfiber noch gesteigert wurde. Görden selbst war saent 

geneigt, diesen Unrulion keine besondere Bt deututig beizumessea. 
Er suchte die Machthaber zu bcruiiigou, traf iudesseu einige Mals- 
regehiy am etwaigen Unruhen der in Moskau weilenden Truppen- 
teile Torznbeugen. 

Nachdem indessen im Frühling 16d8 die ersten Symptome 
einer grdrsem Meuterei, wie es schien , keine weitem Folgen 
hatten, und mehrere Wochen ruhig vergingen, erfuhr mau Anfai^g 
Juni von der Meuterei mehrerer Regimenter, welche, auf dem 
Marsche von Asow nach der polnischen Ghrense begriffen, ihrer 
Obrigkeit direkt den G^orsam »nfknndigten und nach Moskau 
anfbrachen. 

Jetzt galt es diesen Bebellen zn begegnen. Gordon wurde 
von dor Regierung beauftragt, mit 200Ü Mann Truppen eich 
marschbereit zu halten. Am 12. Juni speiste er noch mit dem 
kaiserlichen (^sandten Guarient und dem dftniachen Besidenten 
bei dem polnischen Botschafter, mulste aber, wihrend man tafelte, 
sidi entfernen, um mit seinen Truppen anssnrflcken. Nominell 
war auch diesmal der Generalissimus Schein der Oberbefehlshaber, 
thatsächlich aber scheinen im wesentlichen alle Anordnungen von 
Gordon ausgegangen zu sein. 

Am 13. Juni rückte Gh>rdon aas, am 16. Schein. Am 17. 
erfuhr man, dals die Bebellen das stark befestigte Woskressena- 
Idsche Kloster su besetzen beabsiehtigten. Es galt zu Ter* 
hindern, dafs ein verhSltnismärsig wichtig strategischer Punkt 
in ihre Hände fiel. In der Nähe des Klosters traf Gordou die 
Bebeileu. 

Gbrdon suchte zuerst durch Dberrednng auf die Streif la 
wirken. Er begab sich in ihr Lager und stellte ihnen das Un- 
sinnige ihres Beginnens tot. Es mndi als ein recht wa^udsigea 

Unternehmen erscheinen, daüs er, welcher zu den verhafsten Ans* 



*) Korb, Diarium itineris p. 59. 



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PAtriok Qoidon (IW-IM). 



427 



ländeni gehörte, der Yerwaadte und Kollege Leforte, in welchem 
die Strelsy den Hanptarheber ihres Elends anklagten, sich in die 
Mitte der Meuterer begab, welche sich sehr leicht seiner Ferson 
bemächtigeu kouiiteu. ^) 

Gordone Beredsamkeit hatte keinen Erfolg. Er eilte m 
Beinen Trappen Borfiok nnd disponierte sie zn einem Angriffe. 
Hierauf ritt er noch einmal in das Lager der Bebellen, snchte 
▼on nenem dnreh Beden anf sie Bu wirken, nnd erst dann^ als 
er sich von der Nutzlosigkeit fernerer Verhaadlungen überzeugt 
hatte, erwog er im einzelnen alle Chancen eines den Rebellen zu 
lieferiulen (iefechts, wobei er darauf bedacht war, alle Vorteile 
des Terrains zn seinen gnnsten anssonatzen nnd seine Trappen 
demgernftd za verteilen. 

Zum drittenmal erschien Gordon am Korgen des 18. Jnni 
in dem Lager der Kebellen : die Autwort dereelben »ul alle Er- 
mahnungen Oordons war, dafä sie nach Moskau wollten, und erst 
wenn sie zwei bis drei Tage in der Hauptstadt geweilt haben 
wfirden, wieder znm Gehorsam aarUckzokehren gesonnen seien. 
Znletzt gab ihnen Gordon nach manchem Hin- and Herreden 
eine Viertelstnnde Bedenkzeit. Nachdem dieselbe verstrichen 
war, ordnete er alles zum Kampfe an und liefs zuerst über die 
Köpfe der Hebellen Liuweg, dann in die dichten Haufen derselben 
feuern. Nach einstündigem Kampfe war alles beendet. Wer von 
den Keaterem nicht gefallen war, warde gcfangra. Einige der 
Hanptnnmhestifter worden hingerichtet. Über die andern sollte 
Peters Bichterspmoh entscheiden. Am 94. Joni schrieb Gbrdon 
ausführlich an den Zaren über alles Vorgefallene und kehrte so- 
dauu am 4. Juli in die Hauptstadt zurück. 

Im August reiste Gordon auf seine Güter, wo er sieh mit 
der Verwaltung derselben beschäftigte. Inzwischen traf Peter, 
durch die Nachricht von der Bebellion der Strelsy aar TTnter* 
brechnng seiner Beise veranlagt, ganz schnell and anerwartet in 
der Hauptstadt ein. Seiner Gkwohnheit nach eilte er sogleich 

') Die Eedeu Gördens wörthch bei Korb. Wir folgen der £r- 
lühlong Korbs nnd dem Tagebache Oordons. 



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438 PiKtriok Gt»rd(m (1086—1699). 

■ 

nftch der Ankunft in Moekan in die deutiohe Vorttidt, wo er 

erfuhr^ daTs Qordon TorreiBt sei. 

Letzterer, von Peters Rückkehr unterrichtet, eilte sofort 
uacii Moskau, wo er am 8. September eiutraf und sich bei dem 
Zaren, welchen er in grofser Gesellschaft bei dem Oberaten Krähe 
antrafi wegen seiner Abwesenheit entschuldigte. Peter kftiste 
den General. 

Bei dem fturehtbaren Projwese der Streli'.y spielte Oordon 
keine liervorragende Rolle. Maiiciiu Eiuzelheiteu der mit ans- 
gesuchten i?^oltern und der onerbittlichsten Strenge geführten 
Untersuchung erfuhr Gordon ans dem Munde Peters, welcher den 
Gbneral in dieser Zeit hfinfig besnehte. Der Folterung einaelner 
Angeklagter wohnte Gordon bei. Dagegen scheint er den Kasaen- 
hinrichtnngen nicht beigewohnt an haben. 

Üb Gordon, was wahrscheinlich der Fall war, auch in den 
letzten Monaieu seines Lebens, während des Jahres IGUH, sein 
Tagebach geführt habe, wissen wir nicht. Das erhaltene Manuskript 
bricht am 31. Deaember ab. Dagegen verdanken wir dem Werke 
Korbs einige Angaben fiber die letote Lebensseit Gordons. Wir 
ersehen, dafs Gordon im Januar 1699 krank war, daTs Peter, 
alij er nach AVoronesh eilte, um dort den Bau von Kries^schiffen 
zu leiten, sich mit Gordon über die orientalischen Angelegenheiten 
unterhielt und dals G<wdon bei dieser Gelegenheit die Wichtigkeit 
der Anlegung eines Kri^halens aum Schutse der neuen Flotte 
betonte. Korb eriihlt femer, dafs das Becht der Yerleihong 
von Offiaiersgraden von Schein auf Gordon überging, weil der 
erstere dabei Mifsbrauch getrieben hatte. Auch dafs Peter am 
3. Februar, nachdem er der Hinrichtung von 137 Bebellen bei- 
gewohnt hatte, bei Gordon speiste und diesem von der bis an 
den Tod fortgesetaten Halsstarrigkeit der Verbrecher enähltei 
erfahren wir aus Korbs Tagebuehe, sowie, dafs Feter beim Ab- 
schiede von Gordon, als er, der Zar, in den Sfiden anfbraeb, dem 
General gesagt haben sollte: „Ich überlasse alles dir und deiner 
bewährten Treue". 

Betrachten wir, ehe wir aur Darstellung von Gordons Ende 



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Patrick Gordon (1635—1699). 429 

gelangen, sdne Lebensatellnttgy seliie peradnlioben VerhIlltniBBey 

sein inneres Leben. 



Familie, Lebenssteliimg, Ciiaraktor* 

Gordon haHe ein mohe« Leben hinter noh. Ans beicheidenen 

Anfängen hatte er, ein mittelloser Emigrant, sich zu einer ehren- 
vollen LebensHtollung, zu einem lohnenden AVirkunghki eise hinauf- 
gearbeitet. Er war , was man einen sclfmade uiau nennt, 
hatte BO gut wie aUes aeiaer ponBöuliehen Tüchtigkeit sa yea> ' 
danken, manche Widerwärtigkeiten des Lebens gekoateti im gansen 
viel irdiflcheB Glflek genossoi. 

Ans seinem Tagebtiche lernen wir Ghordon als Gatten nnd 
Vater kennen. Er war zweimal verheiratet. Wann er seine erste 
G^attiBi die gebome Bockhoven, verloren, können wir annäherungs- 
weise bestimmen. Der Todestag der „tenem Geliebten**, wie 
Gordon noch im Jahre 1696 von ihr schreibt, war, wie ¥rir ans 
der alljährlich wiederkehrenden ITotia im Tagebnche wissen, der 
10. Oktober. Er hatte sie am 96. Jannar 1665 geheiratet, nnd 
aus dieser Ehe stammten vier Kinder. Aus der Feier des sil- 
bernen Hochzeitstages mit der zweiten Frau am 3. Februar 1698 
ersehen wir, dafs die zweite Ehe Anfang 1673 geschlossen wnrde. l 
So mag denn Gordons erste Gtattin am 10. Oktober 1671 ge- 
storben sein. Wihrend er der ersten Fran mehrmals mit Zärtlich- 
keit erwähnt, fehlen derartige Ausdrücke inbetreff der zweiten 
iu dem Tagehuche. 

Der älteste Sohn, John, zum Teil in einer J eamtenschule 
bei London erzogen, lebte ganz in Schottland, wo er die Güter 
des Vaters yerwaltete. Ans aahlreichen Briefen Patrick Gk>rdons 
an diesen Sohn ersehen wir, da(s der Vater mit John häofig nn- 
snfrieden war. Auch bei der Wahl emer Gattin erfreute sich 
John nicht des Beifalls seines Vaters. Oft waren Vater und 
Sohn einem völligen Bruche nahe, weil der letztere es an Pünktlich- 
keit und ITleiXs bei ij'ührung der Geschäfte fehlen lieTs. Später 



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430 



IMriok Boräsm (1886—1600). 



gab 68 dann wieder freundliclie Besiehnngen, und im Jahre 1698 

besachte John mit seiner ganzen Familie den Vater in Moskau. 

Der zweite Sohn , James . in einem Jesuitenkollegium bei 
Dauzig erzogen, sollte zuerst in Schottland eine Juristen laufbahn 
verfolgen, trat aber 1690 in raeeiaohe Dieneto. £r wurde 1700 
bei Narwa gefongen glommen. 

Die älteste Tochter, Katharina, heiratete in erster Ehe den 
Obersten Strabbnrg, dann ihren Vetter Alexander Gordon, mit 
welchem sie nach Schottland übersiedelte. Die zweite, Mary, war 
in erster Linie mit dem Obersten Crawfnird, in zweiter mit dem 
Obersten Snevins yerheiratet» und war 1698 siun sweitenmal 
Witwe. 

Ans der sweiten Ehe blieb nur Theodor am Leben, die 
andern Sjnder starben alle in zartem Alter. Theodor diente 

ebenfalls in der russischen Armee. Seiner wird bisweilen bei 
Gelegcnlioit mancher Vorfalle des Nordischen Krieges in den 
Quellen erwähnt. 

Diese fünf Kinder überlebten den Vater. Wie sein in £a£i- 
land erworbenes Vermögen unter ihnen verteilt wurde, erfahren 
wir aus einigen Aktenstficken, welche der Herausgeber des Tage- 
buches seiner Edition beigerreben hat (III. 394 — 395). Sie waren, 
scheint es, weniger gute Haushalter als Patrick, und blieben nicht 
lange in dem Besitz der GHiter, welche Peter der 0rofse dem 
General yerliehen hatte. 

Kur bis zu einem gewissen Qrade hatte Gordon sieh in 
Bufsland akklimatisiert. Das Geföhl, in der Fremde m sein, 
scheint ilin nie verbissen zu haben. Die Russen selbst verhielten 
sich grofsenteils abiehneud und luindlich ^'egen die Ausländer. 
Wie mochten die letztem sich da recht eigentlich heimisch fühlen 
lernen? Auch in Polen hatte Gordon die jEjr£fthmng gemacht, 
dafs man dort die Ansiinder im Ghnmde hafste und verachtete. 
In seinem Tagebuehe begegnen wir allerdings keinen TTrteilmi 
über Kufsland und die Russeu, dagegen finden sich in Gh)rdons 
Briefen manche tadelnde Aufserungen. Es gab zu viele peinliche 
Eindrücke, so oft Gordon es mit den Beamten in Kufsland su 



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Patrick Gordon (1635—1699). 



431 



thnn hatte, als dafii er Beinern Unmaie darftber nioht bitto Luft 

machen müssen. 

Trotz alledem aber stand Gordon mit vielen Kusseu in dem 
lebhaftesten persönlichen Verkehr. £r schmauste und zechte mit 
ümen häufiger, als leine sohwacbe Gesundheit vertnig. Sehr oft 
begegpien wir den Klagen aber »EAtsenjammer** (siok of poch- 
melja) in Oordons Tagebnehe. Wir dflrfen nicht daran sweifeln, 
dal's (lordon nicht blofs russiscli sprechen, sondern sogar ru»!si&ch 
schreiben lernte. Namentlich iu üleinrofsland war er zum gröfsten 
Teil auf den Verkehr mit Bussen aogewieeen. Selbst mit den 
Geistlichen der Kirchen and Klöeter in Kgew stand er in einem 
frenndlichen Verkehr. Einmal gab er den Kindern der Kosaken, 
welche bei dieser Gelegenheit mit ihren Hofmeistern erschienen, 
ein Fest iu seinem Hause. In der Zeit seiner persönlichen Be- 
ziehungen zu Peter war er fast täglich iu der Gesellschaft der 
vornehmen Russen , welche den Zaren umgaben. Er begann 
mssisohe Worte seinem schottischen Englisch im Tagebache bei- 
somengen (drotikes — Piken, tesma — Bandi nowosetla — Festlich- 
keit in einer neaon Wohnang, wecaerinka — Abendgesellschaft 
u. dergl. m.). 

Indessen bestand der Kreis von Gordons Bekannten denn 
doch zu einem weitaus gröfsern Teile aus Ausländern. Auch 
auf seinen JELeisen traf er ftberall Bekannte, sam Teil Landslente. 
Die IClitars in der dentschen Vorstadt hielten eng sasammen, 
Tidie dieser Familien waren verschwi^ert. AUe hatten gemein- 
ßame Interessen, gleiche Lebensstellung, gleiche Bildung. In leb- 
haftem Verkehr st^md (lürdon, welcher stets auf seine ru sundheit 
bedacht war, mit allerlei Ärzten und Apothekern , welche unter 
den Bewohnern der dentschen Vorstadt eine angesehene Stellung 
behaupteten. Über die Doktoren Gollins, den Leibant des Zaren 
Alezeiy welcher in England ein sehr anziehendes Bach fiber 
Rufsland herausgab, Wilson, van der Holst, Carbonari a. a. finden 
sich in Gordons Tagebnehe sehr zahlreiche und zum Teil wichtige 
Angaben. — In dem Mafse als gerad* <V\>.i englischen Kaufleute 
in BoTslands Handel eine bedeutende Bolle gespielt hatten , war 



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432 



Pairiek Gordim (1686—1689). 



OB aelbBtventSndlichy daÜi auch diese Garden sehr snYorkommeiid 

behandelten, dnrcb seine Vermittelung allerlei Vorteile zu erlangen 
sachten. Unter Gordons Korrespondenten findet sich eine Zahl 
angesehener Kaufleute in Riga, Danzig, London u. s. w. Es kam 
vor, dafs die englischen Kaofleote sn Ehren Qordona Festessen 
yeranstalteten. Durdli ihn liefsen sie dem Zaren Peter allerlei 
Geschenke überreichen. Behr lebhaft war femer der Verkehr 
Qordons mit den in Moskau weilenden, meist in der deutschen 
Vorstadt doiuiziliereudeu Diplomaten, den (Tesandton, Residenten 
und Konsuln. So ist denn Carlisles, Hebdons, Butenants, Kellers, 
Gnarients, Kurts' nnd anderer Diplomaten in Gordons Tsgebnche 
nnsfihligemal erwShnt. Namentlich mit den Gesandten des Kaiaen 
Leopold nnd der Bepnblik Polen Yerknfipfte Gh>rdon ein gemein- 
sames Interesse, das Streben, für die katholische Kirche iii Kuis» 
land zu wirken. 

Die Ausländer in BuTsland lebten sehr gesellig. An dieser 
Geselligkeit nahmen regelm&fsig die Frauen teil« Dadurch unter* 
schieden sich die mssischen Gesellschaften von denen der Fremden, 
daTs bei den erstem keine Frauen erschienen. Es herrschte dem- 
gemärs bei den i^esclligcu Freuden der Ausländer ein feinerer 
Ton; man war müfsiger. Es wurde getanzt, auch wohl Musik 
gemacht. Nicht selten wird der Landpartien, weiche mehrere 
Familien gemeinsam untemehmeui gedacht. 

Ein sehr betrichtlicher Teil der Zeit war der Geselligkeit 
gewidmet. Die Zahl der BeAiche, welche Gordon madite und 
empfing, ist geradezu erstaunlich. Die Hochzeitsfeierlichkeiten 
währten nicht selten zwei bis drei Tage. Es lüfst sich berechnen, 
da(s Gordon in Hoskau mehr als hundert Hochseiten beigewohnt 
hat. Die Zahl der Taufen, Bestattungen n. s. w., deren im 
Tagebuche erw&hnt wird, ist entsprechend. 

Je mehr in Gordons TJmgangskreise das Element der Aus* 
länder, der Vertreter westeuropäischer Kultur überwog, desto 
weniger war er der Ge£ahr der Yorrussuug ausgesetzt, desto 
treuer konnte er an seinen nationalen und konfessionellen Grund* 
sfttsen festhalten. In Xoskau wie auf Belsen finden wir ihn stets 



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Patrick Gordon (1636—1699). 433 

m 

in Getellsohalt von Sebotten und EngUndwii ^ und vorzüglich 

in regem Verkehr mit Katholiken und Royal isten. Schon der 
Umstand, dafs Gordons Söhne in spezifisch katholischen Lehr- 
anstalten in Westeuropa erzogen wurden, veranlafste ihn die leh- 
hafleeten Besdehnngen so allerlei geistlichen Herren zu unter- 
halten. Sein BriefirechBel mit denielben ist eine wichtige Quelle 
Ar die Geschichte des Katholiaismus in Bnfsland. 

Der Umfanp von Gordons Briefwechsel ist stannenerregend. 
Auch hier entwickelte er eine merkwürdige Arheitskrait. Er 
schrieb gern viel, wie schon sein Tausende von Seiten umfassendes 
Tagebuch beweist. Vieraehn oder sechsehn Briefe an einem Post« 
tage an schreiben, war fOr Gordon nichts Seltenes. An einem 
Tage ist erwShnt, Gordon habe 95 Briefe geschrieben. Diese 
• Thätigkeit wurde auch anf Reisen und während der Feldattge forfc- 
ffesetzt, wobei Gordon ein besonderes <TeHchick an den Tag legte, 
genau zu berechnen, au welchen Haltepunkten und wann etwa die 
Antworten auf seine Briefe eintreffen konnten und mufsten. Er 
wnfste genau, wie lange ein Brief von Moskau nach Hamburg oder 
nach Daosig unterwegs zu sein pflegte u. dergl. m. Von den ab- 
ansendenden Briefen pflegte er nicht selten Abschriften an nehmen 
oder für abzusendende Briefe Konzepte zu entwerfen. Diesem Um- 
stände verdanken wir die Kenntnis von 112 Brieten Gordons an 
eine grofse Anzahl von Personen aus den Jahren 1691 — 95. Aus 
Gkjrdons Tagebuche können wir eine Menge von Angaben fttr die 
Gesdiichte des Postwesens jener Zeit entnehmen. Auch ist es 
diesen Korrespondenaen an Terdanken, dafs GK>rdons Tagebuch 
an vielen Stellen, insofern darin der Tidialt der aus Westeuropa 
eintreffenden Schreiben reproduziert wird, einen zeitungsartiLren 
Eindruck macht and als Geschichtsquelle für manche Vorgänge 
jener Zeit au dienen vermag. Das Porto der Briefe betrag keine 
geringe Summe. Im Jahre 1666 gab Gordon wfihrend seiner 
englischen Beise niidit weniger als 74 Babel aus, was nach da- 
maligen Kornpreisen dem Werte von 150 Tschetwert Roggen 
gleichkäme; dieses Quantum Getreide würde man heutzutage mit 
gegen 1000 Rubel bezahlen. 

BtAokD«r, BaiUMid. S8 



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484 Fktnek Gordon (1686— 1699). 

Oordon war wc^ilhaibend. Er befand aidi in aclir gonatigcr 
materidler Lage. Als er Brannsberg verliefa (1655), hatte er 
nur 7^/2 Thaler. Schon in Polen verstand er es, ein gut Stück 
Geld zu verdienen und Ersparaisae zu machen. Er kam mit 
einer Barschaft von 600 Dukaten nach Bnlaland. Gleich anfange 
betrag sein Sold 300 Babel, eine Srnnme, welche etwa 600 Tadiei- 
wert Boggen entepraeb, und dieae wfirden beatiatage g^gan 
4000 Bnbel kosten. 80 war er ämm sehr wohl im stände, gröraere 
Quantitifteii Wein sowie andere LuxusEreerenst inde aus dem Aus- 
lände zu verschreiben und überhaupt einigen Aufwand zu machen. 

Indessen hatte er sehr häufig Ursache lüage zu führen, daJa 
der Sold in Bnialand aehr nnregelmlftig anageaablt wurde. Niobfe 
selten mnfste man mehrere Wochen anf die fiUlige Zahlung warten. 
Ein anderer Übelstand lag darin, dafe ein Teil des Soldes nicht 
in Geld, sondern in Naturalien, vorzüglicli in Zobeln ausgezahlt 
wurde. Dadurch war Gordon stets zn kaufmännischen Gi^schäften 
genötigt Es galt die Zobel abzosetaen, sie in Geld an ver- 
wandeln. In dem Tagebnche, welches angleiob in einem gewiaaen 
Grade als Eaasabnch diente, finden sich auf dieae Weise eise 
Henge von Preisangaben nnd andern Kotisen^ welche tfkt den 
Wirtschaftshistoriker von dem allerifrcifsteu Werte sind. — - Grordons 
Budget stieg in der Zeit seiner hohen Stellung am Hofe Peters. 
In den letaten Lebensjahren beaog er ein Jahzgehalt von 952 Rubel 
(etwa 18000 Bnbel heate), nnd erhielt aoTserdem allerlei Geschenke 
an kostbaren Stoffen, aUbernen Gbgenatindeny Weinen n. dei^l. 
Die Dörfer, welche er 1697 erhalten hatte, lieferten ihm be- 
trächtliche Quautität(?n an Lebensmitteln : die Bauern zahlten ihm 
Tribut (Obrok . Bald war er in der liSge, seine Grundstücke 
dnrdi Ankauf benachbarter Parzellen zu arrondieren. — Erinnern 
wir uns endlich, dala Ghurdon in Schottland ein Gut besab, welchen 
gegen 1000 Thaler Bevenuen abwarf, und dafs er dieae ganae Sin- 
nahme zum Kapital an schlagen pflegte, so werden wir nicht 
irren, wenn wir (lordon, nach danialig(;Ui Malüstabe gemessen, als 
einen reichen Manu bezeichnen. £r war ein sehr geschickter 
Haushalter, ▼erstand sich sehr wohl auf fiucfahalterei> war ateta 



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Patrick Oordon (1685--16e . 



435 



in dw Lag« Geld analeiliaii zu kdnnen, und hatte mit einer 
groben Ansahl von Personen lanfende Reehnnngen. Stand anch 

sein Reichtum demjenigen seines FiLUijduB Moneses nach, dessen 
G-attin. die Witwe des reichen MarseliSi ihm ein Vermögen von 
7000 Rubel ah Mitgift zubrachte, machte er anch keinen so grofaoi 
Aufwand wie Lafort, in dessen Kellern stets Weine für mehrere 
tausend Bnhel vorrfitig waren nnd dessen Jahresansgabe 13 bis 
15000 Thaler zu betragen pflegte, so gehörte er doch zu den best- 
ßituierten Ausländern in Moskau. 

So lange Zeit liindurcl) Gordon auch in Rui«latid iebte, man 
kann kaum sagen, dafs er für die russische Politik ein besonderes 
Interesse gehabt habe. £ine staatsmiinnische Th&tigkeit lag ihm 
fem. Knr einmal (1684) ansnahmsweise hatte er ein politisches 
Memoire über die orientalische Präge entworfen. 

Dagegen war nnd blieb er stets erfüllt von dem Interesse 
für die Stuarts und den Rovalismus sowii' den ii^atliolizisinus in 
England. Als er 1686 England besuchte, nahm .er wahr, dafs 
die Stellung des Königs Jakob II. gewisse Gefahren darbot. Wir 
wissen ans den . Berichten des holländischen Aesidenten Keller, 
dab Gordon kurz vor dem Ausbruche der Bevolution nach Eng* 
land reisen wollte^ um den Thron des Königs und den Papismus 
stützen zu helfen. ^) Allen Einzelheiten der Katastrojiho des 
Jahres 1688 folgte er mit Spaunung. Er reproduziert teilweise 
Gespräche in Kreisen von Russen und Ausländem über dieses 
jBreignis, wobei er Gelegenheit hatte, seine Keinung geradeherans 
zu sagen. Am Yorabend der Bevolution war noch in Gordons 
Hause der Geburtstag des Königs Jakob II. gefeiert worden, 
wobei der holländische Gesandte bemerkt hatte : glücklich sei der 
König zu preisen, dessen TTntorthanen sogar iu der Fremde so- 
viel Anhänglichkeit an ihn kundthäten (II. 231). Als die Nach- 
richt von der Landung Oraniens in England eingetroffen war, 
suchte Gordon allerlei Erinmdigungen einsnziehen. Er erhielt 
die Dehiagation Wilhelms ; die Privatschreiben, welche er empfing, 



*) Posselt I. 441. 

28* 



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436 



l'atiick Gordon (1635—1699). 



liefe or, iuBofern sie von den Torgängen in Engliiad berichteten, 
ins Kussisclio übersetzen und der Regierung mitteilen, wobei er 
wahrnahm, dai's die letztere alle diese iSachrichten mit Freude 
begrfifste* Aach der Jubel der Holländer mufste Gordons Un- 
willen erregen. Kickt eelten mofete er an der Tafel für Jakob II. 
eintreten und Beine Meinung, wie er sagt, „hitiig** verfechten. 
Als einst anf die G-esnndheit des Königs Wilhelm getrunken 
wurde, weigerte sich üordon zu trinken. Die Nachricht von der 
Flucht Jakobs nach Frankreich bekümmerte ihn tief. 

Insbesondere der Briefwechsel Gordons in den Jahren 1090 fg. 
eetit nns in den Btand, die Intensität der fem von England 
weilenden Boyalisten zu beobachten. An den Grafen Aberdeen 
Bchrdbt Gordon (1690), wie sehr die Ereignisse in England ihn 
mit Schmerz erfüllten. Dem Kuuliiicain Meverell klagt er, dafs 
alle seine Freunde von der Teilnahme au der Regierung aus- 
geschlossen seien und gar keinen EiniinDi mehr hätten. Dem 
Grafen If elforl drückte er den Wunsch aus, irgendwie für Jakob H. 
wirken zu können, und erklärte sich bereit, alles zu thun, was 
der König etwa von ihm verlangen werde. Die Hoffnung «of 
eine zweite Restauration der Stuarts veHlffs iliu lange Zeit nicht. 
An seinen Sohn James, welcher in russische Dienste treten wollte, 
schrieb er: er, der Sohn, könne so lange in Rufsland bleiben, 
bis die Verhältnisse in dem Vaterlande sich änderten, da man 
unmöglich annehmen könne, dafs die Begiemng Wilhelms sich 
lange werde halten können. Dieselben Ansichtm entwickelt er 
in einem Schreiben an den Herzog (rordon. — Er empfand sehr 
peiulich den Mii'ssüind, dafs man in Rui'sland oft verspätete und 
unzuverlässige Nachrichten über die Vorgänge im Westen erhielt. 

Seine Gesinnungsgenossen undliandsleute venammelte Gordon 
nicht selten in seinem Hause und trank dann mit ihnen auf das 
Wohl des vertriebenen König«. Er hoffte, dafs Ruftland bewogen 
werden könnte, etwas für Jakolj Ii. zu thun, wenn etwa Lnd- 
wig XIV. durch eine nach Rulsland abzusendende Gesandtschatt 
die Zaren zu beeinflussen vermöchte. Sehr froh war er, als eine 
Note Wilhelms III. an die russische £egierung in Moskau» wegen 



Ffttriok Güidon (1686— 16M). 



437 



nicht gtaa entopreehender FormaHen, siierst mcht aceepüert wurde, 
mufste es aber erleben, dafs der niederländische Gesandte alle 
Schwierigkeiten ganz rasch zu beseitigeu verstand , so tlafg die 
russische KegieruDg das Schreiben des Königs von £nglaad nicht 
blois entgegomahm, Bondem auch beantwortete. 

Nach der Bevolntion ersdiienen sahbreicbe Flugachriften für 
und gegen Jakob. Gordon suchte sich dieselben in möglichster 
Vollständigkeit zu verschaffen. Die Herrschaft Wilhelms ert^cliien 
ihm als ein Sclmndfleck ?]ngliinils. und daher hoffte er, dafs das 
Volk sich „der Schmach einer so unwürdigen Knechtschaft all- 
mähUch bewoTst werden müase'* (III. 280). Er sachte sich genane 
Veraeichnisse deijenigen Familien in England und Schottland an 
▼erschaffeni welche der gestürzten Dynastie treu geblieben waren 
und welche eine gewisse Neutralität beobachteten. Aucli Gordona 
Sohn, James, war, wii; wir bei dieser Gelegenheit erlahrtju, fana- 
tischer Koyalist. Gordoa wufste die ganze Zeit über von den 
Parlamentsverhandlangen, den Bimennonen des Budgets und der 
Armee in England. Den König Wilhelm nennt er in seinem 
Tagebnehe nie anders als den ^^Prinsen von Oranien**. Es scheint, 
dafs die in Moskau weilenden Engländer und Schotten fast aus- 
nahmslos Gordons Ausichteu teilten. 

So war denn in dieser Hinsicht Gordon, wie die Emigranten 
oft zu sein pflegen, ein kurzsichtiger Politiker. Indem er an 
d«r Hoffnung festhielty data Wilhelm sehr bald gestürzt werden 
würde, irrte er. Diese Beschränktheit auf politischem Gebiete 
süiiid in .^ehr engem Zuaammenhauge mit seinem religiösen Glaubens- 
bekenntnis. 

Gordon war sehr eifriger Katholik. Er dachte nie daran, 
seinen Glauben zu wechseln^ obgleich es nicht an Beispielen fehltOi 
dafs andbi wohl Engländer zu der griechisch*katholischen Kirche 
übergingen. Ja noch mehr. Er war und blieb ein Werkzeug 

der katliolischen Propaganda in Kufsland. TJn!il)lii.s.'*ig war er 
bemülit, auf eine Besserung der ungünstigen Lage hinzuarbeiten, 
in welcher sich die Katholiken in Rufslaud befanden. Als er 
nach BuTsland kam, gab es keine katholischen Gotteshäuser. Er 



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438 



Patrick (iordon (1635—1699). 



mufste sich von dem holländischen Pastor trauen lassen; ja noch 
seine Tochter Mary wurde von einem reformierten Prediger sje- 
traut. Dagegen benutzte er die zuweilen Yorkommeude Durch- 
reise katholischer GeistHcher, um dem Gottasdiensie in deren 
Hanse beisuwohnen. Im Jahre 1684 suchte er durch den Ffirsteu 
Wassilij Golizyn allerlei Bechte für die Katholiken zu erlangen. 
Der Minister Sophiens erwies sich als sehr entgegenkommend. 
Die in iluTäland lebenden Kathoiüven erkliirteu sich bereit, für 
den Bau einer Kirche und den Unterhalt des Klerus beträclitliolie 
Geldopfer an bringen. Gordon leitete die Agitation mit dem 
grofsten Bifer. Aber man begegnete dem Widerspruche des Patri- 
archen und drang nicht durch. 

Der Kaiser Leopold wirkte in derselben Richtung. Sehr 
häufig begegnen wir in Moskau den Emissären aus Österreich. 
Der diplomatische Agent Kurtz kaufte in Moskau ein üaus für 
die Jesuiten. Der nominelle Besitzer desselben war der angeb- 
liche Kaufmann Gnasconi, Qordons Tertrauter Freund, welcher 
sich als Agent des Jesuitenordens in Moskau aufhielt. Sehr oft 
erschienen uUerlei Geistliche und Ordensbrüder, mit welchen Gor- 
dou lü behr lebhaf tem V^erkehr stand. Über alle diese Vorgänge 
ist sein Tagebuch die Hauptquelle. ^) 

Alle in Bofsland erscheinenden katholischen Geistlichen fanden 
bei Gordon die freundlichste Aufiiahme. Er wufste es durch- 
zusetzen, dafs man ihnen, wenigstens zeitweiUg, die Übung geist- 
licher Funktionen gestattete. Insbesondere mit einem Pat«r 
Schntidt, welcher bald wieder abreisen mulate, unterhielt Gordon 
einen lebhaften Briefwechsel. Durch ihn suchte er Lehrer und 
Geistliche aus dem Auslande zu Torsohreiben. Von protestantischer 
Seite ist sogar g^n Gordon der Vorwurf erhoben worden, er 
habe die Protestanten bei der russischen Begierung anzusebwSrsen 
gesucht. Indessen blieb die Kegierung, insbesondere nach der 
Krisis des Jahres 1689, deu Katholiken abgeneigt und verbot 

*) Der gegenwärtige Minister des luuern, Graf D. Tolstoi, hat in 
seinem Werk „Le catholidsme romain** Gordons Tagebuch sehr grand- 
lich benatst. 



PHrfa^ Govdcm (1685—1699). 



439 



den Jesuiten den Anfentbalt in Bnlsland. Au GKnrdont Tage- 
buche erfahren wir, mit welcher Hartnäckigkeit unter auderm 
©in Jesuit Terpilowskij , welcher sich Gorduiib Guust erfreute, 
monatelang einem solchen Gebote trotstey bis er schliefslich auf- 
gegriffen and mit Gewalt an die Grenie gebraolit wurde (II. 210). 
Wir liaben Gkund in Tennttten, dafa Oordon anoh mit der Be* 
giersng des Kaisers Leopold ein Einverstindnis nnterliielt, vm 
für den Kathülizisiima zu wirken. Er steckte fortwährend mit 
den auä Oaterreich komuieuden diplomatlsciien Agenten Pleyer, 
Kurtz u. 8. w. zusammen. Er stand mit geistlichen Herren in 
verscluedenen Ländern in brielliehem Yerlrahr» 8o gab er dem 
bekannten Belsenden Isbrand ein Empfehlnngsschretben an die 
Jesniten in Ohina mit, in wdehem mit (^nugthuung beriebtet 
wird, dafs die La^e der JvuLholiken lu Jiulshtiid sich geljessert 
habe. Allerdings hatten äio, wenn auch kerne eigentliche Kirche, 
so doch ein Bethaus, dessen Instandsetzung (j^ordon vielfach 
besobttfttgte. Alsbald begann er den Ban einer steinernen Kirche 
voranbereiten, 6<dder für diesen Zweck an sammeln and im Yer^ 
eine mit Onasconi anf die Begierung zu wirken. 

Aus lindern Quellen erfaliren wir,, dals es bei dieser (ielegon- 
heit nicht ohne jesuitische Kunstgriffe herging. Unter dem Ver- 
wände, ein Mausoleum für die Familie Gtordon aa errichten, wurde 
ein Ghnmdstüek angekanft. Der Ban begann nnd wurde mdgiiohat 
beschleonigt. Es war die Zeit dea ersten Asoirseben Feldsoges. 
WSbrend (Kordons Anwesenheit, als der Ban Torriickte, sebSpfte 
die Hegierung Verdacht und befahl die Aibtiit fii dem Gebäude 
einzustellen. Gordou bemühte Bich, die Unternehmung wieder in 
fluls zu bringen, doch ist uns der weitere Verlauf dieser Ange- 
legenheit nicht bekannt Indessen dürfen wir Termaten, dafo 
Oordon mit seinen Absiebten dnrcbgedrangen sein werde. Allere 
dings entstand in If oskan ein katholisebes (Jotteshans nnd Oordon 
ist in demselben bestattet worden. ^) 

<) Tolstoi, „Le catholiciims ronuun", L 187 fg. Eine genaue Dar- 
stellung dieses Vocganges findet sich bei Zwjetijew, Aus d. Qwih, d. 
auslüttdisohea Konfesskmsn in BuCdaad, S. 499 C 



440 



Pfttrick Gordcm (1685—1099). 



Aaoh im Kreise seiner näduten Verwandten mehte Oordoa 
für den katholisehen Glanben su wirken. Er fibrchtete eefar, dftfo 
sein Sohn James in Deutschland von reformierten Ketsem yer- 

leitet werden würde, der Kirche untreu zu werden (Ii. 
seinen Schwiegersohn Strafshurg, einen Lutheraner, vermochte er 
katholisch zu werden (III. 265). In seinen letzten. Lebensjahren 
nmgab sieh Gordon gern mit Geistlichen und erwähnt sehr oft 
der gottesdienstliohen Handluogen, denen er viel Zeit widmete. 
Bei der Barchreise des Ersbiscbofs von Anoyra nntersog er sich 
der Zereniuiiie der Firmelung, wobei er den Kaiueu „Leopold^ 
erhielt und der Jiaiäerliche Gesandte Gmarient Pateustelle ver- 
trat. Korb erwähnt noch im Jahre 1699 einer Konfereos der 
eifrigsten Katholiken in Koskau über die Angelegenheiten der 
Kirche, an welcher Gordon teilgenommen habe. ^) 

Gk>rdon verdankte Mtme Bildung gutenteib der Jesnitensdiole 
zu Braunsherg. Er war des Lateinischen vollkoinmeu mächtig, 
führte einen Teil seiner Korrespondenz (mit Maseppa, Kurts, 
Almas Iwanow, Andrei MatwejYnv^ in lateinischer Sprache und 
liebte es, in seinen Briefen lateinische Klassiker zu dtieren. Auch 
hielt er darauf, dafs seme Söhne bei ihrer Ausbildung auf das 
Lateinische (Abwicht legten. Sehr hSufig ist in dem Tagebucbe 
uud in den Briefen Gordons verschieden« r Üucher erw.ihtit. so dais 
wir uns über die Art und den Umfang der Belesenhcit Grordons 
zu unterrichten vermögen. Noch als Jüngling verbrachte er auf 
einer Beise zu Wasser auf der Weichsel die Zeit mit Lesen. 
Als er in Gbfangenschaft geriet» beklagte er besonders den Yer* 
lust seines Thomas a Kempis, der ihm mit andern Gegenständen 
seiner Habe weggenommen worden war. Als er in Polen diö 
Plünderung regelmäfsig betrieb, suchte er sich bei dieser (i^elegen> 
heit auch Bücher in grofser Zahl zu verschaffen. Dem holläo- 
disohen Gesandten schickte er aus Kijew eine „Beschreibung der 
Donau". Als einst ein Bekannter Gordons ins Ausland reiste, 
gab er ihm den Auftrag, in Westeuropa allerlei Bücher für Um 



1) Diarium, 18. Hai im» 



Patrick Qordon (1635—1699). 



441 



2n kaufen. AuTBerdein pflegte er durch den Kaufmann Mnnter 

in Moskau und den Kaufmann Frazer in Riga und andere Bücher 
zu verschreiben. Vaubans Sclirü'Leu seine ktu er seinem Sohne 
nach Tambow. Peter gab er allerlei Werke' Uber J*'orti£kation 
u. deigl. TO lesen. Für ein in Nürnberg ersohieneneB archKo- 
logiBohee Werk Uber alte Waffen gab er 9 Thaler ans. Er kannte 
manche die rtuaisehe Gkschichte betreffende Werke, wie z. B. den 
Petrejus. In seinom Tat,'t!l)iiche ist fcanzöslscher , lateini.sclier 
und deutscher, sogar tuiki^cber Büclier erwähnt. Durch Gorduns 
Vermittelung verschrieben die englischen Damen der deutechen 
Vorstadt allerlei Bomane ans dem Auelande. Ihn interessierte 
ein Werk über die Heraldik und Qenealogie üngams. Man darf 
annehmen, dafa Gordon an den gebildetsten Leuten der deutschen 
X'üi'btadt gehörte, was ihn allerdinj^fs nicht hinderte, das Schot- 
tische sehr unorthographiöch zu schreiben. Das Deutsche konnte 
er anfangs gar nioht| lernte es aber später, wie wir ans einem 
allerdings in gebrochenem Deutsch geschriebenen Briefe Gordons 
an seinen Sohn Theodor ersehen. In Polen hatte er das Polnische, 
in Bufsland das Russische gelernt. Seinem Sohne Theodor schSrfte 
er ein, nur ja recht Üciiüig ru.'s.siscli zn lernen, und heboldetö in 
Braunsberg einen Mönch, welcher die^e Spraciic lehrte. 

Stets suchte Gordon den Fortschritten der Militärwissenschaft, 
der Mechanik, der Physik u. s. w. in Westeuropa zu folgen. Er 
bat den Kaufmann Meverell in London, an welchen er sehr oft 
schrieb, ihm über alle bedeutenderen, in der Boyal Society snr 
Sjirache kommenden Entdeckungen ilitteilnng zu machen. Aus 
den Briefen an den Sohn in Schottland crselu-n wir. daf.s er das 
Gebiet der Gartenbaukuust völlig beherrschte, liier und da legt 
er mathematische, astronomische Kenntnisse an den Tag. Dagegen 
wird er auf dem Gebiete der schönen Litteratur und der Musik 
nicht sehr bewandert gewesen sein. So war der Horizont von 
Gordous Intelligenz immerhin sehr ausgedehnt, wenn er aucii in 
keinem Fache eine Spezialität vertrat und nicht mit wahrhaft 
wissenschaftlichen Kenntnissen glänzen konnte. Seine Fähigkeiten 
mögen nicht über ein gewisses Mitteknals hinausgegangen sein. 



448 



Patrick Gortiou (1U35— 1699). 



Eme gewisse Tüchtigkeit und Soliditit in seinem Können nad 

Wissen wird uum ihm uicht abspreclieu können. 

"Was Gordons Charakter, Gordons Sittlichkeit aubetrifFt, SO 
mufs man bei deren Beaiieilung den MaCutab jener Zeit anlegen 
nnd die ZeitverblUtniise berücksichtigen. Dals er als Zögling 
einer Jesnitenschnle nnd ab im Dienste einer despotisohen Xaekt 
stehend sich nicht besonders günstiger Bedingungen für die 
Entwickeluiig einer höhern Moral erfreute . wird man zugeben. 
Seine Mauueätugeud , die physische Tapferkeit Gordous ist über 
idlen Zweifel erhaben. An seinem bürgerliehen Jinte hatte er 
es nicht selten fehlen lassen. Nicht immer gestatteten es die 
Verhältnisse y dafs Gordon mit seinen Ansichten nnd Über- 
zeugungen frei herausrücken konnte. Öfter mitfste er seine Ideen 
verschweigen , sogar in entgegengesetztem Sinne reden , weil es 
galt, den Zorn Mächtiger nicht zu reizen. In »einer Charakte« 
rifitik Gt>rdons geht Korb so weit^ ihn einen Meister in der Kunst 
der Verstellung zn nennen, welcher, «dem Bäte des Aristotelei 
folgend, Peter nach dem Mnnde zu sprechen pflegte**. ^) 

Es war eines Jesaitenzöglings wfir^g, wenn Gt>rdon 1661, nm 
sich der Verpflichtung des Eintritts in österreichische Dienste zu 
entledigen, wie er selbst erzahlt, zwei Briefe verfalste, in denen 
die Fabel von einer angeblichen Krankheit recht breit aii^pe- 
spönnen war; wenn er, nachdem er einen Kapitia thitlieh miß- 
handelt hatte, Tor Gericht hartnäckig leugnete, da, wie er be- 
merkt, „keine Zeugen waren" ; wenn er, allerdings auf den Rat 
eines russischen Beamten, einmal durch Bestechung l)ewirkte, dai^ 
ein Papier in einer Behörde durch ein anderes ersetzt wurde j 
wenn er seinen Sohn, als dieser in Q^eUsohaft eines Jesuiten 
nach Rnfsland kommen sollte, förmlich im Lügen untemohtete^ 
d. h. ihm ein System von allerlei falschen Aussagen diktiert^ 
welche der Sohn an der Grense machen sollte. Recht nair be- 
merkt er bei dieser Gelegenheit, dafs eine Lüge, wenn sehr um- 
ständlich, weniger sündhaft sei (III. 256). 



') Korb, p. ai7. 



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Patrick Qordon (1636-X699). 



443 



Bei alledem wird immerhin die allgemeine Verehrung, welche 
(jordon insbosondere in der deutschen Vorstadt genofs, auch als 
ein Mal]B8tab für seineii Charakter gelten können. A.iiGlk die 
^iBBen ehrten seinen treuen Pflichteifer, seine ZnYerl&Migkdt und 
Arbeitskraft, die Pflnktliohkeit bei der Erfftllong aller dienstlichen 
Obliegenheiten, die stete Bereitheit, im Interesse anderer zu wirken, 
die Vorteile anderer zu wahren. Nicht umBunat hatte er unzählige- 
mal Patenstelle vertreten , sehr oft das Vermögen Unmündiger 
zu verwalten y ids Schiedsrichter bei Vermögensstreitigkelten sn 
füngieren. Er galt fllr dnrchaos unbestechlich und gnmdehrlich. 
Obgleich er, wie wir wissen, in seiner Jagend in Polen durch 
Plfindem den Grund sn seinem Wohlstand gelegt hatte , meinte 
er doch ein reines Gewissen haben zu köuueu, und schrieb seinem 
8ohne einmal mit gutem Glauben, in seinem ganzen Vermögen 
sei kein Heller, welcher etwa auf unerlaubte Weise erworben sei 
(III. 333). Gewüs ist, dafs ihm in russischen Diensten nicht 
das geringste Vergehen nachgewiesen werden konnte. Sassen wie 
Deutsche sind voll Lobes fiber ihn. 



Krankheit und Tod. 

Gordon hatte ein an Erfahrungen und Eindrücken reiches 
Leben hinter sich. Aber dieses Leben hatte an seinen Körper 
hohe Anforderungen gestellt. Er war ansühligemal verwundet 

worden , hatte die anstrengendsten Feldzüge mitgemacht und in 
vorgerückten Jiiliren als (^iesellschafter Peters bei Schmausereien 
und Zecligelageu seine Gesundheit aufs Spiel setzen müssen. 

Die Wunden scheinen nicht eigentlich den Kern seiner Ge* ' 
eondheit angegriffen zu haben. In dem polnisch-sohwedischen 
Blriege war er durch FUntensehflsse in der Seite, an den Ffilsen, 
an der Schulter und am Kopf verletzt worden. In Tschigirin 
hatte er von Granaten und Säbeln an Händen und Füfsen und 
im Gesicht allerlei Wunden davongetragen. Bei den Feuerwerken 
und Mnn")vern hatte er durch Explosionen gelitten. Doch scheinen 
alle diese Wunden nicht lebensgefiUirlich gewesen zu sein. Dabei 



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444 



FMriok Gordon (1686—1609). 



kr&nkelte er aber oft. Id den Jaliren 1653 und 1655 acbeint 
er eine Art Typhue dnrchgemadtt zu haben; während des 

schwedisch-polnischen Krieges erkrankte er an der Pest u. s. w. 

Aulserdem schuiut (iordon zur Hypochondrie geueigt gewesen 
SU sein. Der BeBchreibnng seiner Leiden ist ein nicht unbeträcht- 
licher Teil seiner Tagebuchnotiaen gewidmet. Er liebte es, aich 
mit allerlei Medikamenten su umgeben» Arzte und Apotheker an 
konBoltieren. Auf G-rund der flberreichlichen Angaben über 6ih 
ihn jalirolang peinigenden Krankheitssyniptomu können wir mit 
GewiTsheit annehmen, dafs er an einem chronischen Magenkatarrh 
litt. An diesem wird er zu Ghrunde gegangen sein. Schon am 
31. Dezember 1698 schrieb er in sein Tagebuch: „In dieeem 
Jahre habe ich eine merkliche Abnahme meiner Kr&fte wahr- 
genommen. Dein Wille geschehe, o Grott!^ Von seiner Krank- 
heit im Jahre "Ifi'JD li;ibon wir kciuc Kuclirichteii. Er st;irb am 
19. November. Korli erzählt, Peter habe den Sterbouden wäh- 
rend dessen letzter Krankheit mehrmals täglich besucht, sei noch 
in der letzten Nacht zweimal bei ihm gewesen und habe ihm, als 
er verschieden, die Augen zugedrückt. ^) 

Wenige Monate früher war Lefort verschieden, und der 
Zar liiitte das Andenken seines Freundes durcii eine überaus 
prunkvolle Bestattung gefeiert. Nach demselben Zeremoniell ist 
auch Gordon bestattet worden. Peter folgte dem Zuge inmitten 
der Soldaten. Ein katholischer Geistlicher hielt die Grabrede. Am 
Vorabend wohnten der Zarewitsch Alezei und die Lieblings- 
Schwester Peters der Messe in der katholischen Kirche bei. ^ In 
derselben ist auch Gordons Asche beigesetzt worden. Dort war 
noch bis vor nicht langer Zeit die Grabschrift zu lesen, bis dann 
in den letzten Jahren das ganze Gebäude versehwand und 
die Platte mit der Inschrift in das Bunganzowsche Museum 
gebracht wurde. 

Der wichtigste Abschnitt in Gordons Leben und Wirkaa 

>) Korb, p. StS. 

Fleyers Relation bei Ustrjalow, HL 646, und Posselt in der Edi- 
tion des Tsgebuchfl, L Y— VIII. 



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Patrick GorJon (1035—1699). 



445 



föllt in jene Zeit der historisclieii Biitwickeliing RuTslands, da 

Peter sich zur Lösung der Aufgabe rüstete, don asiatischen Staat 
iu einen europäischen zu verwandeln. Dafs Grordon au einer 
solchen Yorbereitang einen wesentlichen Anteil nahm , dafs er 
dem Zaroi, mit welchem eine neue Epoche angeht, in dessen 
Lelirjahren treu znr Seite stand und ihn förderte, dafs er 
EU den wichtigsten Yermittlem der Knltnr des Abendlandes 
und dem der historischen Entwickelung hedürfenden Osten ge- 
hörte . sichert ihm eine ehrenvolle Stellung in der Geschichte 
BuTslauds. 



Kordons Tagebueh als ^^eseliielitsqaelle. 

Gordons Tagebuch als G^schichtsquelle ist bisher nicht hin- 
reichend gewürdigt worden. Nur XJstrjalow hat bei Gelegenheit 
seiner „Geschichte Peters des Grofsen" dasselbe und zwar im 
Originalmannskript gewissenhaft benutzt. Als £. Herrmann die 
betreffimdea Partien seiner „Geschichte des mssischen Staates* 
schrieb, war Posselts Edition noch nicht erschienen. Ssolo^ew 
hat diese Quelle sehr wenig beachtet und indem er gans Un- 
wesentliches darauH entlohnte, da, wo Gonions Tagebuch Haupt- 
quelle ist, z. B. bei Gelegenheit der Geschichte der Tbchigirin- 
Feldzttge, dasselbe einfach ignoriert. Tu den Kreisen der mssischen 
SGstoriker ist die Kenntnis fremder Sprachen nur wenig ^er- 
breitet. Schon der Umstand, dafs Gordons Tagebuch in dem 
gedruckten deutschen Auszüge gegen tausend Seiten umfaTst, er» 
Schwert manchem die Benutzung dieser Quelle. 

Allerdings übertrifft Gordons Tagebuch au Umfang alle Vre- 
schichtfi^uelien dieser (rattung. Gordon lebte 38 Jahre hindurch 
fast unausgesetzt in Bufsland. Seine Aufzeichnungen haben, indem 
sie fast die gamse zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts umfassen, 
schon quantitativ einen gans andern Wert als etwa das Tage- 
buch Korbs, welcher etwa ein Jahr in Moskau weilte, oder das 
Tagebuch Bergholz*, welches die Jahre 1721 — 25 umfafste. Von 
allen Ausländern, aus deren Schriften wir über das Zeitalter 



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446 



Patrick Qordon (1686^1609). 



Peten Belehnuig wh^pften, wie etwa die Schriftea Witieii«! Neu* 
villei» Perrys, Weben, Strehlenbergs, Voekerrodte, gibt uns Iniiie 
einzige mit pbotographiscber Treue die Einselheiten der Ereignisse 

wieder wie Gordons Tagebuch. Als leidenscliAftl icher Augenzeuge 
reproduziert er die Erlebnisse des Augenblicks. Von zu8Hitimi;n- 
&88enden Urteilen, von einer Kritik oder Interpretation der Tbat- 
aacben siebt er ab ; dagegen liefert er überreiehes Material^ welebea 
den Leser and Forscher instandsetsti ans allen Einselbeiten 
die Summe va sieben, die Bedentnng der Vorgänge, an denen 
Gorduii teilualira oder welche er zu. beobachten Gelegenheit hatte, 
zu erkennen. 

Es ist daher erfreulich, dafs, wenn auch Posselts Edition 
nicbt binreichend Terwertet und gewürdigt worden ist, bereits 
▼iel frOber Gkurdon nnd sein Tagebuch vieliaeb Gegenstand be* 
Bonderer Aufmerksamkeit waren. 

Aus den Papieren des Leiters der auswärtigen Politik in der 
ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts , des Grafen üstermaun , ist 
zu ersehen, dafs er Gordons Tagebuch kannte und bereits im 
Jabre 1724 Ifafsregeln traf, dals es ins Bussisebe übertragen 
werde. Diejenigen Partien des Tagebuchs, welche die Jahre 1684 
und 1685 umfassen, wurden damals you Wolkow übersetnt. Man 
darl annehmen, dafs sich die Origioalhaudschrift damals in Moskau 
befunden habe. 

Bei seinen Studien über die Geschichte der Feldzüge Qolisynt, 
(1687 und 1689) und die Geschichte Asows, welche in G. F. 
Hüllers „Sammlung masiMsher Geschichten" (1737) ersehienen, 
benutate Beyer, Mitglied der Petersburger Akademie, das Tagebueh 
sehr fleifsig. 

G. F. Müller veranlafste im Jahre 1759 den Grafen Stro* 
ganow, einen beträchtlichen Teil der Handschrift der seit- 
weiligen BesitMrin derselben, der Witwe eines Enkels Gordooa, 
welcher als Translatenr in der 'Admiralitftt su Petersburg diente, 
abeukaufen. Einen andern Teil der Handschrift entdeckte ICflller 
in dem Archiv des Kollegiums der uubWürUgen AngeleLrenheit«n 
in Moskau. Ebendort, im Archiv, befindet sich eine Abhandlung 



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Patriok Gordon (1686-<im). 



U7 



Hfillert ttber Gordon, welohoi 1766 getchriebon, im Jahre 1778 
anssngaweise gedruckt wurde. Oleiohseitig war der Historiker 

Stritter mit der Anfertigung einer Übersetzung des Tagebuchs 
ins Deutsche beschäftigt. Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts er- 
schienen mehrere kurze Biographien Gordons in verschiedenen 
raieisekeii Editionen, sowie einaelne Braehatttcke dee Tagebnehs. 
Wie wenig Beaohtong in den folgenden Jabmebnten diesem Gegen- 
stande geschenkt wurde, aeigt der Umstand , dafs in der sonst 
snm Teil vortrefflichen „Übersicht der Beisenden in Rufslaad*^ 
Adelungs nur kurze und zum Teil ungenaue Antral>en über den- 
selben sich finden, und dafs in Bantyscli-Kanienskijs Schriften 
über die berühmten Generale aus der Zeit Peters des Grofsen 
Gordons mit keinem Worte erwähnt wird, obgleich der fleifsige, 
aber unkritische Sammler Golikow denn doch im Jahre 1800 eine 
recht anirfÜbrliehe Lebensbeschreibung Gordons TerSffentlicht hatte. 

Im Jalire 1849 erschien der erste Band von M. Posseita 
Edition des Tagei>uchä, im Jahre 1851 der zweite, im Jalire 1852 
der dritte. Als Herausgeber dea ersten Band^ sind der Fürst 
Obolensky nnd fosseit genannt; als Herausgeber der beiden 
letstem — nor Posselt. Die Einleitung, Vorreden nnd Noten 
sind ansschliefslieh Posselts Werk. Bei der Edition benutate er 
die Strittersche Übersetzung, deren Handschrift sich zum Teil 
im Bei-'itze Obolenskijs, zum Teil im Besitze Pogodins befand. 
Stritter hatte das Tagebuch vollständig übersetzt, aber mau ent- 
deckte den letzten Teil der Übersetzung, welcher den Zeitraum 
Yon 1691 — 98 umfafste^ erst nachdem dieser Abschnitt neu ttber- 
setat war. Stritter hatte die Bedaktion des Tagebuchs einiger^ 
mafsen gelbadert und Gk>rdon immw von sich in der dritten Person 
reden lassen. Vom Jahre 1692 an spricht (idi Jon in der vor- 
liegenden Edition in der ersten Person. Eine genaue Besuhieibung 
der Originalhand»chnft haben die Herausgeber leider unterlassen. 
Einiges hierauf BexttgUche findet sich bei Ustijalow in der Ein- 
leitung lur »Geschichte Peters des 0rolsen^. Die sechs er- 
haltenen BXnde Manuskript befimden sich suerst im ArehiT der 
auswärtigen Angelegenheitau zu Moskau und später im Kriegs* 



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' 448 



Rktrick Qordon (1685—1699). 



mimBterium. Einer in der Eremitage befiodlieheD Abedtrift 

erwähnt Adel un lt. 

Die zahlreiciieu Lücken im Tagebuche erklären sich nicht 
blofs, wenn auch zum weitaus gröfsten Teile, durch das Verloren- 
gehen einzelner Partien der Handsehrifk, sondern stelleDweiee auch 
dadurch f dafs Oordon nicht immer die Möglichkeit hatte, daa 
Tagebuch stetig m fBhren. Die gröfsten Lflcken nmfmsen die 
Jahre 1^67 — 77 uiul 1678 — 84. An mehreren Stellen der Ktlitioii 
haben Ubersetüer und Herausgeber sehr bedeutende Kürzungen 
vorgenommen. Die Aiifg-abe derselben war sehr schwierig. An 
vielen Stellen war der Text unverständlich. Viele Namen sind 
verballhornt. Die Bechtschreibnng Oordons ist inkorrekt, will- 
kürlich und inkonsequent. Manche Namen sind im Text in einem 
Grade gekürzt wiedergegeben, dafs es schwierig ist, zu erraten, 
von wem die liede ist. 

Wertvolle Beilagen sind über hundert Briefe Gordons, allerlei 
anf seine Beisen und seinen Dienst besügUche Aktenstficke, Bild- 
nisse Gordons und seiner sweiten Gemahlin, Plftne der Festungen 
Tsohigirin und Asow» ein Facsimüe von Gordons Handschrift. 

T;in oigentlicher Kommentar fehlt. Nur die ersten den 
schwediBch-polnischen Krieg betreffenden Abschnitte des Tagebuchs 
begleitet Posselt mit historischen, aus den Schriften Pufendorfs 
und Kochowsk^s entlehnten Notiaen. Einsseine der Noten am 
Schlüsse der Binde enthalten sehr instruktive, zum Teil den 
Archiven entlehnte Angaben fiber die Zeitgesditchte. 

Sehr dankenswert ist daa alphabetiKclie Ilenrlster am Schlüsse 
des dritten Bandes. Es erleichtert sehr wesentlich die Benutzung 
des Tagebuchs bei monoL^raphischen Forschungen. 

Nicht alle Teile des Tagebuchs haben den Charakter eines 
solchen. Hier und da begegnen uns langatmige historische und 
politische Ausführungen, und «war besonders in dem ersten Bande. 
Ferner gibt es Abscluiften oder Exzei])to von Aktenstücken, 
Bechnungen, Tabellen über die Truppen und Vorräte u. s. w. 

Die Ausführlichkeit des Tagebuchs ist sehr ungleich.. So 
s. B* nimmt das Jahr 1695 etwa fünfmal soviel Baum ein als 



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Pftirick Gonloii (1636—1699). 



449 



das Jahr 1692. Gordou schrieb sein Tagebuch niolit eigentlich 
für die Nachwelt, sondern mehr für sich und etwa seine Familie. 
Uber den Zweck und die Art dieser seiner Thätif^Dsit h»t «r 
flieh selbflty wi» PotMlt mitteilt (I. WH), fo]g«ndflniia&«ii g»- 
iallMrt: „Es iflt mir nicht nnbekaiini, dMb man e« IHr «iM 
flchwnre BMhe hiH, di« G«M]iichte seioea eigenen Lebens m 
schreiben oder eine Erzählang von denjenigen Thateu, an denen 
man selbst teilgenommen hat , zn liefern , ebenso wie es einem 
Künstler schwer wird, sein eigenes Porträt zu entwerfen. Da 
iah mir aber Torgeeetzt habe, in den Schranken eines Tagebnohs 
sa bleibeni ohne das YorgefisUene sa bearteüsn oder die Begeben* 
heiten meines Lebens sa loben oder an tadeln, indem ich hiwiii 
dem Bäte des weisen Cato folge, der da sagte: ^^Neo te landaris, ' 
nee te culpaveriö ipse" — so ist meines Emchteus die Sache gar 
nicht so schwer, insonderheit da ich nicht für die Otfentlichkeit 
schreibe and gern andern (wenn niemand sich die Kühe nehmen 
sollte, dies an lesen) die Benrteilang alles desseni was mir alles 
begegnet ist. Überlasse. Ich habe auch von Staatsgesehäften nicht 
mehr erwlhnt, als was mir sn meinen Ohren gekommen ist: 
blofse Gerächte habe ich für Gerüchte ausgegeben und Wahrheit 
für Wahrheit. Einige ottentliche Geschäfte, aber vorzugsweise 
nur solche, die das Kriegswesen betreffen (die Staatssachen, weil 
sie aoiser meiner Sph&re sind, berühre ich seltener), habe ich in 
einem Zniammenhange vorgetnigeni andere sind mit meinen eigenen 
Begebenheiten dnrchflochten ; alles swar nnToUstftndig, weil es an 
öffentlichen Dokumenten fehlt, doch so, dafs ich bei den meisten 
Begebenheiten gegenwärtig und ein Augenzeuge gewesen bin. 
• Kurz, ich kann keine bessere und gegründetere Ursache dieser 
meiner Bemühongen angeben, als weil es mir so gefallen hat, 
wobei ich mich nm den Beifiül anderer wenig bekfimmere, weil 
ich weiis, dais sUen an gefallen Jederseit fttr unmöglich gehalten 
worden ist.** 

Aus unserer biographischen Skizze, deren Material fast aus- 
Bcbliefslich dem Tagebuche entlehnt ist, ersieht man, wie viel Auf* 
sohlnls das letztere über die Ereignisse jener Zeit gibt. 



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450 



Patrick Gordon (1636—1699). 



Für die G«toliMlite aller Kriege tob 1656^98, an Smum 

Gordüii teilnahiii, ist sein Tagebricli Hnii])t quelle. Er teilt manche 
während des polnisch •schwedischea Krieges (1655 — 60) ge- 
•eUoMMie Yorträge vollständig oder aumgtweiBe mit. Manche 
SfiiiB^eiteii der mUitäriachen Operfttionen, i. B. der Belagenmg 
BigM dviek die Buaeeii (1656) i manehe Sdüaditeii ia 
misland finden sich in keiner andern ans jener Zeit ttatnmendea 
Quelle. Hier uiul da iiels er eich GenRueres über Vorgänge 
früherer Jahre erzählen und schrieb das Gehörte nieder j ao 
BWDcheriei über die Ereignieae beim AaBbmohe des Kampfea tun 
Kleinmliilaod. Selur inatnikfciy ist seine fiehildemng der Niededagea, 
welehe die IBbuaaen in Polen 1660 und 1661 erlitten, der JKaatiade 
und Sitten in Polen, der VerhSitnisse der Kosaken in der ükrdne. 

Aufserordentlich viel Material bietet Oordons Tagebuch für 
die GeBchichte der OnentaliBchou i'rage, insbesondere der Kxiege 
Bafalands mit den Törkea und Tataren. In Kleinmisla&d lebend 
erfahr er maoeherlei fiber die Spannnsg der KaofabarstaafteB nnd 
Bchrieb seitangsartig allerlei Gerüchte In sein Tagebach. Von 
allen ÜberföUen der Tataren an der Gfrenae berichtet er mehr 
oder minder ausführlich Für die Geschichte des Kampfes um 
Tschigirin ist Gordous Tagebuch faöt die einzige Quelle. Obgleich 
Hammer^PnrgstaU und Ssolowjew Gkirdons bei der Ersählnng 
Ton der Behigemng Tiohigirina 1678 nicht erwifanen» so wiaaen 
wir doch, welche bedentende Boüe er dabei spielte. Ebenso 
dürfte für die Geschichte der Feldzüge Gblizyns in der Krim 
und der Belagerung Asows durch Peter kaum eine Quelle an 
Umfang, Genauigkeit und Zuverlässigkeit mit Gördens Tage- 
bnche sn Tergieichen sein. Farblos nnd nngenan, stellenweise 
sogar Tollstftndig irrefilhreiid encheint daneben inbesng anf den 
Feldsag von 1689 die ErsShlnng Neuvilles in snner „BdaHen 
cariense'', welcher die Berichte Spafiiris wieder^bt, eines Hannes, 
der diesen Feldzug nicht mitmachte. Fr.igmentjirisch erscheint 
daneben etwa die Reihe von Briefen Leforts an seine Verwaudten 
oder die grofse Zahl von Belationen Fieyers an den Kaiser 
Leopold über die Ereignisse der nenniigsr Jahre. 



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Patrick üordou (1686—1699). 461 

Peten Pri^fttleben bis Bmn Jahre 1697 lernen wir atu Gordons 

Tatrehuche eingehender kennen als auf Grund irgendwelcher andern 
Quelle. Wir können an der Hand des Tagebuches jahrelang faat 
Tag für Tag den Besohäftigongen, Arbeiten, Lustbarkeiten and 
Ausflogen Peters folgen. — Für die Geschichte der Besiehungen 
Bnfslands su England, an Osterreich nnd za andern Staaten finden 
sieh im Tagebuch wertrolle Angaben. Über die Znst&nde nnd 
Verhältnisse Rufsliuids, der Verwjiltunrr, der verschiedenen sozialen 
Kreise, des Wirtschaftsiebeus, der mililäriachen Organisation, der 
Ausländer in Rufsland finden sich gelegentlich ganz onersetsliche 
Angaben. An Personalnotiaen gibt es einen schwer au er« 
schöpfenden Beichtnm. Bas Privatleben insbesondere der aus* 
ländisehen SLreise wird nns durch Gordons Tagebndb ein so vor* 
trauter Stofif, dafs wir uns gewisserniafsen in die Atmosphäre 
und die Stimmung der in Rufsland vor zwei Jahrhunderten 
lebenden Schotten, Engländer, Uoliäuder, Deutschen u. s. w. ver- 
setat fühlen. Für die historische Topographie sorgt Gordon dnrch 
grofse Genauigkeit bei Beschreibung aller Betsen und H&rsche. 
Es wSre lehrreich, eine genaue Karte Bnfslands mit Angabe der 
Flüsse, Flecken u. s. w. an entwerfen, welche in Gordons Tage- 
buch erwähnt sind, zur Yergleichung mit der Topographie der 
Gegenwart. Der Wirtschaitshistoriker erfahrt aus Gordons Tage- 
buch sehr viel von den Handels-, Lohn- und Preisverhältnissen 
jener 2eit. Die Angaben über die Bewirtschaftung der in Gordons 
Besita befindlichen Güter gewihren einen Einblick in die land- 
wirtschaftlichen und bSuerliehen Verhiltnisse jener SSeit. "Wir 
sind mit liilfe des Tat^'i'lMn hs im stunde, mancln rlei Vergleiche 
auzustellen zwischen der ökoucmischen Lage der Ausländer und 
derjenigen der Kassen. Unzähligemai begecjncn um Angaben über 
die Geld- und KttnaverhMtnisse , den Ziasfuls, den Wechsel- 
kurs u. s. w. 

. Bo in kuraem die Bedeutung dieser bisher so wenig berfiok* 

sichtigten, ja kaum bekannten Geschichtaqaelle. 



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0|i»BMrtte|(O.rita'a8h«liMMr.}Ma«BbMg«/t. 



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