Beiträge zur
Kulturgeschi.,
Russlands im
XVII.
Alexander
Brückner
rii1i:il( :
Zur Naturtrescliii httj der PrütcndeiittMi. — iJie Pt-st
in Russlaiid Ifjöl. — l>it' Ilttrstt-llunirskosren eiues
J}iiches ltJ4;>. - Dos I'atnanh. i, Nikon Aiisoral.e-
buch. — Eine russisch«' ( iesandts. li;ittsr»'ise na« Ii
talien ITiöti— .'iT. — Kinc russisclie Gesandr seh alt
Paris — Ein Kleidrrreforniprojtkt vor
Peter dem (iros-^eu. — Laurentius I^inhuluT. —
Fürst W. VV. Golizin. — Patrick (iurdun.
n — t t — ^ T-
Leipzig.
VerlafT von 1>. Elischer.
1887.
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A-5
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BILDER
AUS
RüSSLAiNDS VERGANGENHEIT.
VON
ALEXANDER BRÜCKNER.
ERSTEIi BAND.
BBITRiaS ZUR KULTUBGBSCHICflTE BUSSLANDS
IX Xm JAHBHUin)EBT.
LEIPZIG,
VEBLAa VON B. ELISCHER.
1887.
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BEITRÄGE
ZUK
KULTURGESCHICHTE RUSSLMDS
IM XYIL JAUEUU^DMT.
TON
ALBXANDEK B&ÜGKNER
4
LEIPZIG,
mSBLAa VON B. ELI8GHEB.
1887.
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THE NEW YORK !
PUBLIC LIBRARY
Alto Raehte ▼orbehalften.
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Vorbemerkung.
Becht gern eDtspreehe xdh der Axißordemmg dee Herrn Verlegeni
dieses Buches, eine Anzahl von Abhandlungen, welche die Geschichte
Rufslands im 17. Jahrhundert zum Gon^^nstande liaben und vor kürzerer
oder längerer Zeit in verschiedenen Z<jii Schriften erpchienen sind, go-
•arnmelt herauszugeben. Sind diese Monographien auch auf reclit hete-
rogne Stoffe gerichtet, so inö^en sie doch in ihrer (lesanitlieit dazu
beitragen, dafa ein Einblick in die Kultorentwickelung Eufslands in der
Bpoohe, welolie den Reformen Petert des Grofsen vorausging, gewonnen
werde. Alle diese Abhandlunpren sind mehr oder minder geeignet den
Prozefs der Eurnpäi^ierung Rufslands zu veranschaulichen. Einirj^c der-
selben, wie etwa die Skizze über die Prätendenten, die Darstellunju^ der
Pest 1654 oder die Schilderuni; der GresandtachaftsreiHcn 'I\schernod;in<)W8
und Potemkin^ zri^^-en, wie liufsland ntjch im 17. Jahrluiudcrt ein durch-
aus orientalischer Staat war und mit AVesteuropa wenig gemein hatte;
andere AnMtse, wie etwa die Darlegung der Aniiohten Krithanittoha
über das Klciderwesen oder die Biographien Rinhubers, W. W. Golizyns,
Gordons illustrieren die Annähcrun«.? Rufslands an den höher kultivi*;rfon
Westen. Bei solchen Studien «jehinsirt man mehr und mehr zur Uber-
zeugung, dafs Rufslands Metam( : ] ii se, der Fortschritt, welcher darin
lag, dafs dieses Reich sic-h ent.schlofs in die Schule Europas zu gehen,
■ich ffanz unabhängig von dem Willen Einzelner volkiehen mufste, dal's
Raffuind avoh ohne Peter enrop&iriert worden wlre. Ohne eine ein-
gehendere Erforschung einzelner Erscheinungen, welche der Genesis der
Verwandlung Rufslands in eine europäische Grofsmacht entsprechen,
ist das Wesen der Entwickelung Kufalauds in den letzten zwei Jahr-
hunderten nicht verstäinil h.
So mögen denn >11l in dem vorliepfenden Bande zuHnrnTnenß^fafsten
Proben meiner Studien auf diesem Gebiete der Aufmerksanikeit der
Pach^fenoeaen und einea weitem LeaerkreiMB nicht nnwert erscheinen.
Es sind Exemplifikationen der Art und Weise, wie sich auf dem Ge-
biete der Qesctiichte Rufslands umfassende Quellenwerke, edierte Ge-
schäftspapiere, uniredruckte Archivalien und die recht weitschichtige
historische Littenlar für Einzeldarstellungen verwerten lassen, deren
Ergfebnissc nur zu einem geringen Teil bei uer Redaktion meinea Buches
&ber Peter den Grolsen Verwendung finden konnten.
Der Stoff der ersten Abhandlung „Zur Natorgesclnchte der Prä-
tendenten" entspricht nicht ganz dem Titel dieses Buches, insofern über
die Grenzen Ruf'lands und über das 17. Jahrhundert hinausgej^riffen
wird. Gleichwohl glaubte ich mit dieser Bozial-pathologisch-historischeu
Skizze — es waren Vorträp;e, welche ich in der Aula der Universitfit
Dorpat zu einem woliltlKifipen Zwecke gehalten hatte - die folgenden
spezieli der Geschichte Rulslanda entsprechenden Abhandiongen emleiten
la dSrfen.
Dorpat, im Oktober 1686.
A. Brileluier.
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Inhalt
Sflit»
I. Zür Naturgeschichte der Prätendenten l
II. Die Pest in RufslanJ 1654 3L
III. Die Herstellungskosten eines Buches iro Jahre 1649 ... 57
IV. Des Patriarchen Nikon Aua^abebuch 1652 67
V. Eine russische Gesandtschaftsreise nach Italien (1656—67) . 113
VI. Eine russische GesandUchaft in Paris im Jahre 1681 . . . 169
VII. Ein Kleiderreformprojekt vor Peter dem Grofsen .... 189
VIII. Laurentius Rinhuber 213
IX. Fürst W. W. Golizyn (1643—1714) 279
X. Patrick Gor Jon (163.5—1699^ 355
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Zur Naturgeschichte der Prätendenten.
Bcaokner, Bufiland.
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4
Schopenluniwr hat der Oeseldelittfondraiig den Yorwnrf ge-
macht, sie sei keiue Wissenschaft, weil ihr der Gruudcharakter jeder
Wissenschaft fehle: die Subordination des Gewufsten, statt deren
sie nur die Koordination aafzuweisen habe. Daher gebe es kein
System der Qeeohiohte: ne eei nur eia Wliieni keine Wiseen*
achaft. Sie erkenne» aagfe Schopenhaner w^ter, nicht das Ein-
seine mittelst dee Allgemeineni sondern mflBse dae Einielne un-
mittelbar fassen und so gleichsam auf dem Boden der Erfahrung
fortkriechen. Die Wissenschaften, heifst es femer hei 8chopen-
haaer, da sie Systeme von Begriffen sind, reden stets von
Qattongen; die Gesohiohte redet nor Ytm Individuen; aie -wSre
demnach eine Winenacfaaft von Individuen , was einen Wider-
spruch besagt; die Wissenschaften reden von dem, was immer
ist; die Geschichte dagegen redet nur von dem» was einmal ist
und nicht wieder u. s. w.
Dagegen wäre zunächst daran zu erinnern, dafs die Wissen»
Schäften selbst ein Produkt der Geschichte, dafs sie geworden sind.
Die Wissenschaft der Wissensehalten, die Geschichte des mensch-
lichen Geistes und seiner Entwiokelung zeigt, dafs nichts ist»
sondern, dals alles wird, dafs etwa die Natorbeschreibnng sur
Physiologie, die Alchymie zur Chemie, di(; Astrologie zur Astro-
nomie geworden ist. Alle Wissenschaft geht aus vom Be-
obachten der Thatsachen und dieses führt erst zum Erkennen
allgemeiner Prinzipien : es kommt darauf an, dafs eine Summe ge-
sogen werde.
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Zur Nfttoigeschichia der Prätendenten.
"Wer wird leugnen , dala die Geschichtsforschung nur aus-
nahmsweise den Versuch gemacht hat von dem Einzelnen fori-
BUBohreiten zur Beteachtong das Ghuisen» den Sinn der unsähligen
Tliatsaehw „nicht liemuKQbaclutabiareii im Einsolneiii sandeni
lienMunileieii im Gänsen*' (Gerrinus).
Aber es ist ein Streben in dieser Richtung wahnonehmen.
Dahin geh(3ren die Versuche Vicos , das scheinbar ZuföUige als
Nothwendigea zu erkennen, durch Vergleichuug analoger Er-
scheinungen eine histonsche Physiologie hennuteUen; dahin ge-
hörte da« Umhectaaten Hontesqniens , Homea u. a. nach all-
gemeinen hisforiacheii Geaeteen, nach aUgemeinen Geaichtapnnkten
fOr die Benrtoflnng und daa Yentftndnis historischer Er>
scheinungen ; dahin gehört der geistreiche , aber im wesentlichen
verfehlte Versuch Buckies, das Wesen dea Fortschritts als eines
solchen darzustellen , welcher sich nur auf dem Gebiete der
materiellen nnd inteUektaellen, nicht aber auch aaf demjenigen der
etiiiachen Entwiokelnng ToUsielit.
Sind alle Wisaensehaftcp geworden , so kann auch die Ge-
schichtsforschnng, selbst wenn sie es jetst noch nicht wärci eine
Wissenschaft werden.
Ob aber eine Naturwissenschaft?
Die Natorwissen Schäften sind der Inbegriff des Ghmzen der
Eriahmngserkenntnis aller uns aagSnglichen Wahrnehmungen der
Natur. Soll aber, wenn der Mensch und deren Natur nun Gegen-
stande wissensohafllidier Forschan g gemacht wird, der Ueiisch
nur als Individuum oder aucli nur als Exemplar der Gattung,
nicht etwa auch die Menschheit Ucobachtet werden können? Soll
die Geschiclite bei den Individuen stehen bleiben?
Man hat eine Staaten- und Völkergeschichtei eine Geschichte
der Zivilisation! eine Geschichte der Ideen. Wo bleiben da die
Indiriduen? Sie erscheinen als ein Produkt der Zeit, als Exem-
plare der Gattung; die elnaelne Thatsache wird sur Ezem-
plilikaiion einer Idee, zum Ausdruck eines Prinzips, zum Symptom
eines inneru Vorgangs im Organismus der l^Ienschheit.
Eine solche Betrachtungsweise ist zulässig, ohne dafs man
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Zur N«tai^;«io]iiolite der Prätendenten. 5
darum den freien Willen dea Individuums oder einer Weli-
r^gierong sn ieagDMi braucht. Die Grölse einaelner Heeoen in
der Welt inrd dadnrolL nieht beeintriehtigt» Aber man kann,
ladem man auf d»ni W^ der Analogia wo. YeraUgemeinenuigeD
gelangt, homogene Ersebeinongen miteinander vergleiciit, zur Er-
kenntnis verschiedener Gattungen hiatorischer Individuen gelangen.
Mau kann in der Weise der Naturforscher historische Individuen,
welche unter ähnlichen Verhältnissen auftreten, in ähnlicher Weise
wirkeui sasammeufaeaend betrachten und iit gewils^ dafa dadnroh
In die Behandlnng aolcher Sto£Ee Klarheit gebracht werde.
In dem Folgenden nim aoll der Veraneb gemacht werden,
eine Gattung historischer Individuen zu bctracliten , welche uns
zu allen Zeiten in gröfserer oder geringerer Zahl begegnen : es
sind die Prätendenten. Die Aufgabe besteht darin, das Wesen
dieaer Gattung hiatoriaoher Individuen dadnroh su erlftutemi data
man aie IdaBaifisieirt*
Durch die KlaaaifiHtton haben die Natnrwiaaenaohaften un>
geheure Vorteile ersielt. Es gilt nun, mit einer derartigen
Systematik ;iuf historischem Gebiete ein Experiment zu machen.
Der Botaniker gewinnt viel, wenn er Monokotyledoncn von
Dikotyledonen, Gramineen von Lykopodiaoeen unteraoheidet ; der
Omitholog bringt Klarheit in die Sache, wenn er Yon Stand-,
Strioh- und Zugvögeln oder wenn er von Neathookem und Neat-
flfiehtem apridit u. a. w. '^elleicht gelingt etwaa Abniichea fOr
einen historischen Stoff. Versuchcii wir es mit deu Prätendenten,
d, h. mit denjenigen Individuen, welche in der politischen Ge«
Bchichte mit einem Anspruch auf einen Thron, auf eine Biegierung
auftreten, welche ihnen Torenthalten werden.
IMe Ifatnrwiaaenachafteii haben ee an einer Tier- und Pflanaen«
geographie gebracht. Sie fragen u. a. nach der rSumlicben Ver-
breitung von Pflanzen und Tieren. Es ist von groftem Interesse
den Rayon zu kennen , innerhalb dessen ein Schmetterling oder
ein Käfer oder eine Grasart oder eine Molluskenfamilie vorkommt.
Man erforaoht die natürlichen Bedingungen für das Gedeihen
aoleher Naturprodukte; man kennt ihre Abhfingigkeit von Klima,
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Zur Naiorgeachiohte der Prätendenten«
BodenljeschafTeTiheit u. s. w. Man hat ferner nach Erforschung
der Geschiebte der Pflanzen und Tiere gezeigt, daüs die räumliche
Verbreitung sich seitlich ändert, dafs Kolturpflanaen und Bamh
tiere koloniaiert werden , dab die klimetieohen Bedingungen ßke
das Daaein yon Pflanaen und Tieren an beatimmten Lokalen sieh
ändern n. dgl. mehr.
Die Naturforscher haben mit solchen Beobachtungen einen
Streifzug gemacht in das Gebiet der GeschiohtewiBsenachafb und
Beide haben gewonnen.
Ein ähnUches Verfahren können die Hittoriker einecUagen.
In dem Torliegenden Falle fingen wir nach der rinmlichen nnd
zeitliehen Verbrmtnng der Prätendenten. Bieee Verbreitang stellt
sich als eine aufserordentlich unj^leichmäfsige heraus. Ks wäre
eine exakte Statistik dur PräteDclenteu für verschiedene Epochen
nnd Jiänder denkbar. Man könnte etwa dorch graphische Dar-
etellnng «ehr anechanlioih maehen, da£i es an Prätendenten reiche
Länder gibt nnd andere, wo gar keine oder faet gar keine vor-
kommen, oder Zeiten, wo sehr viele, nnd Zeiten, wo gar keine
auftreten. Wie die Pflanzen und Tiere für ihre Entwickelung,
ihr Gedeihen , ihro Ernähmng auf gewisse Bedingungen der
Atmosphäre, der Bodenbeschatfenheit u. s. w. angewiesen sind,
80 anch die Prätendenten. Sie gedeihen nicht gleichmäßig unter
jedem Himmelietriche, nicht in jeder Periode der Geachichte. Li
einaelnen Lokalen echiefaen sie wie Pilze anz der Erde masaen-
haft auf ; in andern ersehnen aie nur ganz Tereinzelt; inbezug
auf Prätendenten lassen sich die räumliclieu und zeitlichen Teile
der Geschichte mit den Jahreszeiten in deren Verhältnis zu
Pflanzen und Tieren yergleiohen. Li manchen Jahrhunderttti
kommen ao wenig Prätendenten vor, wie Kauhiuappen im Winter;
zu andern Zeiten wimmelt es von ihnen wie von Fliegen und
Xfleken im Juli : hier sind aie ao rar, wie die Wölfe in England^
dort so gewöhulicli wie Unkraut,
Die Frage von der Häufigkeit dgp Vorkommens der Präten-
denten ist leichter zu beantworten, wenn man die ganze Klasse
genauer betrachtet, ihr Weaen kennen lernt. IHeaea geaohieht
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Zur Naiargeachichte der Prätendenten.
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am besten, indem man sie klassifiziert. Eine solche Anordnung
nach Merkmalen ist sehr lehrreich. Man kann von Ordnungeili
Familien, Geschlechtem der Jb'rätendeuten reden.
Zimttobsfc kann man nie in swei Ordnungen einteilen, in die
editen nsd die falschen,
L Die Eehten«
Die echten Prätendenten sind das, wofür sie sich ausgeben;
ihre Ansprüche haben eine gewisse Berechtigung; als Vertreter
der Legitimitftt begründen sie ihre Ansprüche jurisüseh ; über
ihre Fersfolichkeit, ihre Identit&t besteht kein Zweifel. Sie
machen Anspruch anfeinen Thron, welcher ihnen • ▼orenthalten
wird. Bio leben mtiät auf Xriegsfufs mit der Wirklichkeitj welche
geneigt zu sein ptiegt, über ihre Kechtsausprüche zur Tages-
ordnung überzugehen; sie sind Theoretiker, welche die Praxis
▼erachten, Doktrinüm, welche, oft mit gewaltigem Fanatismus,
abstrakte Prinzipien ▼ertreten ; ihre Ideale werden nur selteD er-
reicht; fiutt immer ▼erfolgen sie unerreichbare Ziele. Sie sind
meist unglücklich , oft verbittert, mit dem herrschenden Zeitgeist
zerfallen, in der Minorität, von wenigen anerkannt, von vielen
mit Geringschätzung behmidelt, bisweilen gar verfolgt, bestraft,
gemartert, hingerichtet. Hier und da erscheinen sie als Helden,
welche grofiM Ideen ▼ertreten; daiwisohen als Wtrtjwtf welche
für ihre Bechte ihr Leben hiniugeben bereit sind. Sehr oft ist
von einem derartigen Heroen- und Märtyrertum nur ein kleiner
Schritt zu thun zu einem umhervagabundierenden Abenteurertum.
Die Prätendenten, Menschen, die gern etwas hätten, was sie
nicht haben, was ihnen aber ihrer Ansicht nach gehört, empfinden
es Übel, daft es ihnen nicht so gut geht, als es ihnen ihrer
Keinung nach gehen sollte. Sie fühlen sich als die Zurück-
gesetzten, Benachteiligten; sie grollen über die Yerhlltnisse, sie
wunscheu die Welt anders als sie ist. Ihr Ideal widerspricht
der Wirklichkeit; sie leben in einer andern Zeit; ihr JJasein
ist ein Protest gegen die Gegenwart; sie wurseln in der Yer-
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Zur Naturgeschichte der f rateudeutea.
gangenbeit; sie inelieD das Rad der We]tgMohie1ite nieht bloAi
aufzuhalten, sondern rückwärts zu bewegen, kommen aber damit
nicht zu btande ; ihre Laufl)ahn ist ein fortwährendes Milslingen ;
ein Fiasko reiht sich an das andere. Die Prätendenten sind
Anaohroniiiiien. Wer den Scheden hat, darf für den Spott nieht
•orgen.
Wir werden in der Ordnung der echten Prfttendenten leicht
eiDselne Familien d. h. Unterabteilungen entdecken, wenn wir
einen Blick werfen auf die verschiedenen Epochen und Lokale
der G-e schichte.
In Monarchien und insbesondere in Erbmonarohien wird es
eher Prfttendenten geben, als in Bepnbliken oder Wablmosarchien.
Indessen sind die letsteren doch nicht firei von Prfttendenten. Im
Altntom nnd Mittelalter gab es weniger Erbmonarchien als in
der Neuzeit und doch bei^ejcrnen uns ih i t vii le Prätendenten. Dahin
geliureii u. a. in Griechenland eine Ali iigu vertriebener Tyrannen,
a. B. Theognis von Megara, die Aleuaden und Skopaden aus
ThesMlien, die Pisistratiden ans Athen n. s. w. Es sind Emi*
granten, welche maacherlei Pamilienftbnlichkeit haben mit den
firansdaiscben Emigranten der BcTolntionsseit: sie gebören eben
(naturgeschichtlich gesprochen) zu einer Familie. Da sehen wir
in der ältesten Periode der römischen Gesclacinle den Tarquinius
Superbus nach seinem Sturze sich zurückziehen nach Cumae und
Olnsinm, auf fremde Hilfe mr Wiedereinsetsung in die Ter*
lorenen Beobte boflfon, die Interresitioii der anslftndisehen Hemoher
beanspruchen, gani so etwa, wie sieb die Stoarts an den H&fen
Ton Madrid nnd Paris henimbettelten. Niebnbr bat die An-
hänger der Turquuiicr in Rom mit den Kavalieren unter Croniweli
verglichen. "Wie Tarquinius von den Vejeuteru unterstützt wurde,
80 die französischen Emigranten etwa YOn Osterreich und Prenlsen ;
mit Friedrich Wübehn II. ist Porsena verglicben worden.
Bieses Anflehen der aaslftndiscben Intervention ist häb
allen echten Prfttendenten eigen. Der KSnig von Hannover bat
mit Frankreich gegen Deutschland gehen wollen, wie die Pisi-
stratiden dem Erbfeinde von Hellas, dem persischen Könige, den
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Zar Natorgesohichie der Prätendenten.
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Hof machten. Solche Emigranton. von denen es im Altertum
bei den Parteikämpfen der Tyraunenfamilien in Griecheuland
wimmelt, stellen die persönlichen Intereasen stets höher als die*
jeidgai d«B VAterlandet. £• handelt noh bei ihnen nioht um
hohe und ireite Geeiehteponktey eondem um Bentefragen; es lat
ein Vorhemcfaen eines sivilreehtliehen Standpankies, weloher mit '
einer gewissen Kleinlichkeit, mit Rachsucht und Verbitterung
vertreten wird. Prätendent zu sein verdirbt den Charakter.
Bei Mommsens Schilderung von Pomp^ua und dessen Partei
TOT der Schlaeht bei Pharsalns wird man nnwiilkürlich an das
Treiben der Artois ond Proveneei der Cond6 nnd Galonnsi der
Junker und Priester in Koblenz in den Jahren 1792 nnd 1793
erinnert. Ton den leteteren gilt, was von den «rsteren gesagt
wird, Pompejus uml der l^^inigrantensenat hätten hohe Ansprüche
mit sehr dürftigen Leistungen verbunden, unzeitige Heminiscenzen
und noch anzeitigere Kekriminationen , politische Verkehrtheiten und
finaosieUe Yerlegenheiteii in kläglicher Weise aar Sohan getragen.
IMe Prätendenten der alten Gesohiohte, welche einer höheren
Knltorstnfe entsprechen nnd die westliche Zivilisation reprSsen*
tieren , wie etwa Pompejus , lassen sich mit den europäischen
Prätendenten der neueren Zeit vergleichen. Diejenigen Präten-
denten des Altertums dagegen, welche im Orient auftreten, unter
andem alle die in dem Zeitalter des Hellenismns nach dem Ver-
frll der Honarehie Alezanders des Grofsen in Asien aaftretenden,
haben Ähnliöhkeit mit den orientalischen PHLtendenten ron hente.
■
Die ersteren Tertreten neben ihren persönlichen noch Parteiinter-
essen ; sie haben ein politisches Programm ; mit ihnen steht und
fällt ein Anhang, Pie orientalischen Despoten, welche selbst
oder deren Ahnen gestürat worden, vertreten aufser dem eigenen
persdnliehen Interesse etwa nur noch daqenige einiger Verwandten
und OHnstiinge. Es gibt da keine Parteibildnng, kein politisches
Programm. "Ba herrscht bei ihrem Treiben die rohe Gewalt, die
grausamste Rachsucht, die rafliuierteste Tücke. Sie thun , als
sei die Welt ganz allein für sie geschaffen, diese Erscheinungen
sind dieselben in Persien nnd Assyrieni wie in Siam oder China.
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Zwe NfttnigMobichto der Flritendttileii.
Blicken wir in das Mittelalter, so sehen wir die Erbmonareliie
nur in einzelnen relativ kleinen Lokalen. IKe li6eliBteo Stellen
— Papsttum und Kaisertum — werden durch Wahl besetzt.
Dabei gibt es furchtbare Prätendentenkämpfe : es begegnen uns
Gegenpftpste nnd Gegenkaiser; es entsteht oft eine von dem
Parteünterease geschaffene Konknrrens der Thronhesteigong: so
werden nicht selten Bfirgerkri^ herbeigefBhrt. Uan erinnere
sich der firl^<^ssitigen Henrtebaft Philipps von Schwaben nnd Ottos
von Braunschweig ; Ottos IV. und Friedrichs II., Friedrichs II.
und Konrads lY, einerseits und Heinrich Raspes, Wilhelms von
Holland, Alfons X. von Castilien, Richards von Cornwales anderer-
seits! Ludwigs des Baiem nnd Friedrichs des Schönen» Karls IV.
nnd Günthers von Schwaraburg. — Es ist kein Zafalli dals in
der späteren Zeit, als das Reich nichts mehr galt, keine Gegen-
kaiser mehr auftraten. Alan kotintc sagen: le jeu ne v:iul pas
la chandelle. Die Zeit der Kämpfe der Gegenkaiser war vorüber:
die Zeit der Kämpfe um die Erbfolge brach an. Die Erscheinungen
der auf ihr Thronrecht pochenden, miteinander konkurrierenden
Wahlf&rsten hdren in Dentschland anf ; sie kommen in der späteren
Zeit etwa noch in Polen vor, jenem Lande, wo das Mittelalter
sich in manchen Stücken permanent erklärt hatte. Stanislaus
Lesczynski ist ein solcher Prätendent mittelalterlichen Charakters.
Ähnlich ging es mit dem Papsttum. Nicht selten fand die
Wahl mehrerer Päpste zu gleicher Zeit statt. Sie thaten einander
gegenseitig in den Bann. Noeh um die Zeit des Konsüs von
Konstant gab es drei Pftpste aof einmal ; alle diese PrXtendenten
wurden abgesetzt ; es wurde ein vierter gewählt. Später, bei dem
Verfalle des Papsttums, trat nicht so leicht eine so starke Konkur-
renz ein. Auch hier konnte man sagen: le jeu ne vaut pas la
chandelle.
In gewissem Sinne sind diese mittelalterlichen Antoritftten
— Papst nnd Kaiser — die Prätendenten par ezoellenoe. Die
oben angedenteten Kerkmale yon Prätendenten finden sieh alle
bei einem Pius IX. uud Leo XI IT.: di sehen wir dii' üble Laune
im Vatikan, eine retrospektive Art die Welt au betrachten, etwas
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Zar 2«^&targescbichte der Prätendenten.
11
Überlelttes. ALffethmieb,. daa sich spreizt, sich iu das Bewufstsein
der eigenen Gröifle und Würde hüllt, allen Mafsstab für die Be-
urteilong der neueren Zustände und YerhältnisM yerloren bat;
ee ist ein neiT-aaacliromstiaches Wesen, eine Romantik, welche
Ton Beminieeeiuien lebt. Daa Adagio und Largo des Hittelalten
kann rieh nicht in daa Allegro vivace der letzten Jahrhnnderte
hineinfinden i daher mufa es Verstimmung, Disharniome geben.
Wer 80 viel Anspruch macht, die erste Violine xu spielen und
dabei das Tempo so wenig versteht, wird von dem Kapellmeister
einfaoh aar Seito gestellt und mag sich begnügen, in verbissener
Qramlicfakeit die ^te alte Zeit an preisen, wo nooh Bannfluch
nnd Dinge, wie EnoyUilca nnd Syllabus etwas bedeuteten und
nicht wie neuerdings, nach Macaulays Ausdruck, von Petersburg
bis Lissabon ein uuauslöscliliches (^elächter erregen, uiu deu Vatikan
darüber zu belehren, dafs die Zeit der Kreuzzüge vorüber ist*
Auch die Kaiser des Heiligen Bömisohen Keidts waren solche
Prfttendenten, denen daa Schicksal nicht ersparte, dafs rie Anachro-
nismen wurden. Auch sie erhoben rein theoretische, den Zeit-
verhSltnissen widersprechende Präiensionen, wenn anoh die letzteren
nicht bo arg in der Luft standen, wie diejenigen der Päpste,
welche u. a. einmal ausrechneten, dafs sie 14:4inal höher stäadeni
als die Kaiser. Aber auch die Ansprüche der Kaiser waren oft
chimftrisch genug: rie wollten als an der Spitae der Christenheit
stehend gelten; rie mafsten rieh eine gewisse Oberhohrit über
alle andern Fürsten an. Man kushte darüber. Tn England hat
zur Zeit des Königs Heinrichs VIII. das 1* irlament den Beweis
zu führen gesucht, der König von England sei um nichts geringer,
ja wohl noch mehr als der Kaiser und doch hatte man ebendort,
als ein Jahrhundert auvor Kaiser Sigismund nach England kam,
an ihn gana formell die iVage gerichtet, ob er komme, um seine
oberiehnsherrlichen Kaiserrechte geltend an maehen.
Päpste und Kaiser sind auch noch iu anderem Sinne Präten-
denten gewesen, nämlich in ihrem Verhältnis zu einander. Jeder
wiU höher stehen, als der andere, jeder will herrschen, jeder will
die Wahl des andern beeinflussen, von der Bestätigung dieser
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12 Zar Natarge«cbiohte der Prätendenten.
Wahl alle Rechte des andern abhängig maclien. Es igt ein un-
erquicklicher Streit, welcher, mit dem Prätendenten eigenen Dok>
trinarismus geführt, bis auf die neueste Zeit fortdauert.
So viel von den Pr&ieiideiiteii des Alteiimiui und Mittelaltera.
Ava dem Angeführten argeben aich Teraohiedene Qattongen Ton
Pritendenten und zwar etwa folgende:
1) Wahlherrseher mit einer Partei;
2) Herrscher, deren Rechte auf göttlicher Autuntat beruhen,
etwas ganz Abstraktes sind, wie Päpste und Kaiser;
3) £rbflir8ten.
Dieae letstere IVunilie der Prätendenten iat niher n be-
tnehten. Solche Prätendenten treten m der neueren Zeit in
dem Mafte zahlreich anf, ala eratlich das Prinnp der Erbmonarchie
Behr energisch sich durchsetzt, als zweitens grofse politische Er-
schütterungen Thronwechsel und Verluste von Thronen bewirken.
Die Erbnionarchie siegt prinzipiell. Deutschland und Polen
mit ihren Wahlfttraten aind Ananahmen. £in Prätendent wie
Stanialaua Leacsynald iat» wie adion oben erwähnt worde, eine
Art Anomalie in der neuen Geachiohte, eben weil aein Beeht
auf Wahl basiert, sonst treten nicht einzelne als solche, sondern
vielmehr Vertreter einer Dynastie als Prätendenten auf: hie aind
die Repräsentanten der Legitimität. Dahin gehören die vielen
dApoaaedierten Pürateu der neueren und neueaten Zeit. An ihnen
iat kein Hangel. Sie entateheo auf dreierlei Weiae:
1) durch grolae poUtiache Beformen , welche den Zweck
haben, grofse nnd rein weltliche Staaten au bilden im
Gegensätze zu den kleinen und theokratischen Staaten,
von denen es im Mittelalter wimmelt: die Prozesse der
Säknhirisation und der Mediatisation schaffen eine aehr
groiae Ansahl aolcher Prätendenten;
9) durch BeyoluÜonen;
3) durch Kriege.
Indem die Zahl der Staaten abnimmt, mufs auch die Zahl
der regierenden Für8t«n abnehmen. In Deutschland gab es früher
äber tausend Staaten , dann nur üunderte, später nur einige
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Zur NaimgeiGhiohte der PrtUendaiteik.
18
Dutsend, imd auch deren Zahl nahm stets ab , bis dann zuletzt
in gewiBsem Sinne nur e i n Staat übrig Uieb, das deutsche Beich.
Et eigibi rieh damu «ine Meoge yon depoMedierteo, mediatiaierten
Ponten. Die geiitliehen Territorien yersohwinaen. Was in
nneero Tagen der Paiist mit i einem Kirehenttaate erlebte» bat
eine grofse Anzahl ron Kirchenfürsten durch die Säkularisation
im geringeren Maiöbtabe erfahren. Die Xleiuereii werden vou den
Gröfseren verschlungen. Manche werden mit Ueld abgefunden
und geben aick anfrieden; andere proteatieren und werden Prft>
tendenten*
Oft werden TJirone und Kronen durch BeYolationen Terloren.
Man erinnere rieh der Stoarta und der Bonrbone, dieser Prftten-
dentenfamilien par excellence. — Maria Stuart war schon vor
1558 Prätendentin inbezug auf Eoglaad, dann wird sie Präten-
dentin inbezug auf Schottland ; bis an ihren Tod strebt sie nach
der engliachen Krone. Von 1649—1660 iat dann Karl II.
Prätendent, Jakoh II. von 1688 an, apäter Jakob IH. und endliofa
der „Prätendent" Karl Eduard. Die Stuarta haben weniger lange
regiert als prätendiert, Aul dem Thron waren sie 70 Jahre,
Prätendenten sind sie doppelt so lauge. Solchen gestürzten
Dynastien wie den Stuarta, den Bourbons oder den Weifen iat
der Staat ein Kammergut; rie nehmen einen privatreohtlichen
Standpunkt ein; aie reden von einem angeatammten Erbe.
Die fransöoiaehe Berolution atfint eine Menge von Thronen
um: es entstehen sehr viele Prätendenten; die Bourbons in Frank-
reich, hinterdrein in Spanien, in Neapel ; ebenso erging es einer
grofsen Anzahl anderer deutscher und italienischer Fürsten , so
oft Kapoleon erklärte: «La dynaatie teile et teile a ceaai de r^gner**
oder ao oft er die Annenion iigend einaa fremden Staaiagliedea all
«commandi par lea ciroonatanoea* Tollaog.
Ahnlich wirkte die Berolution dea Jahrea 1880, welche u. a.
einen recht beachtenswerten Prätendenten entstehen läfst: Karl
von Braunschweig, den berüchtigten Diamanten herzog , dessen
Denkmal auf achweiaeriachar Erde an die Schmach deutschen
Duodesdeapotentuma erinnert. — Opfer dea Jahrea 1830 aind
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Zar Natorgeachichte der Prätendenten.
Karl X., Heinrich V.; 1867 werden die Mourbons in Spanien
gestürzt; scljon früher wurden sie in Italien vertrieben. "Wie die
Bourbons als Prätendenten einer chroniBchen Pest gleichen^ aoigen
die, Jahnehnte währenden, Karlistenkriege in Spanien.
Braucht man noch an die Wirkung dea Jahres 1848 an er-
innern, an den Stars Lonia Philipps ; an die mehr oder minder
unfreiwillige Abdankung einer Beihe anderer Fürsten ; an die
Katastrophen Ottos von Griechenland, der Fürsten von Modena,
Toskana u. s. w. in Italien?
Grofee Unglttckaf&lle in Kriegazeiten haben das Zosammen-
brechen von Thronen, den Wechsel Ton Dynastien rar Folge.
So stflrat GhistaT 17. in Schweden 1809 , so Napoleon I. nach
der Schlacht bei Waterloo, so Napoleon HI. nach Sedan. Es
wirkten hier Kriege mit revolutionären Rej^ngen zusammen.
Das Jahr IHiM] i»t in Deut.schland ein Krieg und eine politische
Reform sogleich: es entstanden dadurch die Prätendenten von
Hannover, Hessen nnd Hassan.
So kann man denn, wie ans den ▼erstehenden Andeatnngcn
hervorgeht, die Prätendenten der Familien von Erbfftrsten klassi*
fizieren je nacb der T'rsaclie ilires Sturzes. ^J;i!i kann sie aber
je nach andern Merkmalen kla.^^siüziereu, indem man »le etwa ein*
teilt in solche, welche selbst regierten und ihren Thron verloren,
nnd in solche, deren Ahnen oder sonstige Verwandten regierten.
Zn der ersteren Art sind zn rechnen Kapoleon L, Itnrbide in
Mexiko, Unrat in Neapel, zu der zweiten die Epigonen: Napo-
leon IV., Heinrich V., die Orleans u. dgl.
Eine sehr energisch wirkende Ursache des Entstehens ge-
fahrlicher Prätendenten ist endlich noch eine gewisse Unklarheit
im Erbfolgerecht. Das Auftauchen solcher Prätendenten ist be-
sonders hänfig im 18. Jahrhundert in BoTsland. Nach Peters
des Grofsen Tode waren Katharina I., deren Töchter Anna nnd
Elisabeth, der Enkel Peters, Peter II., die Tochter des Zaren
Iwan, Katharina und Anna Prätendenten. Sie niaclien einander
Konkurrenz. Sie können einander jeden Augenblick gefährlich
werden. Soweit es dem einen oder dem andern von Urnen ge-
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Zur Natusetohiohte der Prätendanteik
15
liogt eine Partei zu bilden, ehrgeizige llätmer zur Vertretung
Oirer Intereiaen in gewinnmii können Staatsumwälznngefn eintreten ;
Pzluttntrigaen, Yenchwörimgen sind nn der TagttBordnnng. So
eteht seehielm Jalire hindareh EUsabethi die Toohter Peterf , aU
Prfttendentin neben dem Throne ihrer Yerwiuidten t im geeigneten
Augenblicke bemächtigt sie sich des Thrunea; ao hat Birou der
Herzogin Anna Leopoldowna gedroht, ihr in Peter (III.) von
Holstein einen gefiilkrliohen Konkurrenten gegenüberauetellen ; ao
ist der Gefangene Ton Ckolmogory and Soblfimelbnrg, Iwaa
Antonowitaoh, swei Jahraehnte hindnreh ein hedenklieher Prftten-
dent, dessen Name nnter Umständen auf die Fahne der Revolution
geschrieben werden konnte.
Ich schliefse diese Ubersicht der echten Prätendenten mit
einer kurzen Andeutung der f'rage von den Jäeetaurationen, von
den Yertnchen das yerlorene Becht wiedennerlangeni den be-
ansprnchten Thron in erwerben. Es wSre von Interesse , das
Yerhiltnia der miftlnngenen BestanrationsTennche an den ge-
lungenen in einem Prozentv«*hältni8 ansdrüeken an können. Es
gibt wenige Beispiele gelungener Restaurationen, und auch von
diesen sind die meisten nur zeitweilig gelungen. Die vertriebene
Dynastie kehrt bisweilen nur zurück, um ihre Unfähigkeit und
Unmöglichkeit, das AnaehronistiBehe ihres Daseins noch dentUeher
an den Tag au bringen. So kehren die Stoarts 1660 surttdc, um
1688 wieder endgiltig gestürat an werden, so die Bonrbons 1614
und 1815, um 183'.) wieder zu verschwinden, so die Bourbons iu
Spauieu uud Neapel und so auch Kapoleou I. iu deu hundert
Tagen. Diejenigen Prätendenten , welche ihre Kestaurationsver*
snehe mit dem Leben beaahlen müfsten, lieben sieh in eine Gruppe
ausanunenfassen i wir weisen auf Konradin und Konmouth hin,
auf Iturbide und Unrat.
Es ist eine Art Ideal, das Recht einer Dynastie au vertreten,
und es geschieht l)i8weilen nicht ohne Ritterlichkeit. Aber die
Grenze, wo der Held und Ritter aufhört und der Abenteurer
anfangt, ist schwer an bestimmen. Napoleon HI. hat sicli durch
seine BestaurationsTersuche in Boulogne und Stralaburg lacfaerlick
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Zar Naturgeecbiobto der Prätendeaten.
gemacht. Sympathie und Verachtung, Btwuudening und Spott
haben fast immer zusammen die Prätendenten begleitet« DtSß
die WeohaelfilUey denen Prätendenten und deren Anhfinger »Oi-
geaetst eindi Giefaluren, Leiden aller Aii| die hierbei nioht la Tev*
meiden atnd, Üsthetiflch wirken ktonen, leigt der ümstasd, dab
in der jSelletriatik auf dem Gebiete des historischen Romans kaum
noch ein Stoff so beliebt ist, wie z. B. die Schicksale der Stuarts.
Das ist aber zugleich das Charakteristische bei den Prätendenten^
daffl sie sehr oft nnr in den Aoman gehören nnd dafs die Wirk-
liohkeit Über ihre oft phantaatieohen Aneprfiohe mr Tagetordnimg
übersngehen pflegt.
IL Die Falscheii.
Das Auftreten falscher Prätendenten ist, wie bekannt, eine
der Geaohiohte Bafslands im 17. und 18. Jahrhandert eigentüm-
liche, aehr hlUiflg Torkommende EneheiDiing. In diesen Zeiten
aind aolehe Betrüger gradesn ein chroniaehea Übel, wShrend aie
in andern Partien der Weltgeschichte zu den Belteusten Vor-
komnifussen zählen.
£& mag von Interesse seini einen Augenblick bei der Statiatik
dieaer hiatoriachen Vorgfinge an verweilen.
Ana dem Altertum aind nnr aehr wenige derartige Beiapiela
bekannt» Die grofate Berühmtheit genielat b^anntUdi Paendo-
amerdea, dessen Geachxehte noch tot kurzem von Ebers in der
„Ägyptischen iConigstochter" sehr geschickt verwertet worden ist.
In der späteren makedonischen Geschichte gab sich (149) ein ge*
wiaaer Andriscus für Philipp lY. yon liakedooien, Sohn des
Peraena, ans. Niehnhr bemerkt in aeinen Yorleenngen» ea ael
gar nicht aieheri ob dieaer Frfttendent nicht edit gewesen seL
Er wnrde in Theaaalien anerkannt, sodann von den Bömem ge-
schlagen und gefangen genunnaen. Indessen hatte denn doch
seine Herrschaft nahezu ein Jahr gewährt. Wenige Jahre spater
trat ein anderer Prätendent, ebenfalla ein angeblicher Sohn des
Peraeoay Alexander^ auf (142).
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Zur N«targesohiohte der Frätendeateii. 17
Aus der Geschichte des Mittelalters w&re etwa das Beispiel
jene» Paeudohaiiirioh m erwähnen, welcher nach dem im Jahre
1195 erfolgten Tode Hetnriefaa V. auftrat, des Betrags überflihrt
wurde und in einem Kloeier starb. — Von nnvergleiehlloh grd&erem
Interesse ist der falsche Waldemar f 1347— 55), welcher als Gegner
des Kurfürsten Ludwig von Jirantlonburg aus AVittelebachiechem
Stamme aaftrat, sich für den in Palästina verstorbenen Markgrafen
Waldemar ans ashanischem Stamme ausgab, bei Fürsten und Volk
viele Anhänger fand nnd seine angeblichen Bachte in einem mehr-
jährigen Bfirgerhrieg verfocht, hienmf abdankte, die Bewohner
der Uarken ihrer Pfliehten gegen Ihn entband, sieh nach Dessau
zurückzog und dort bis an seinen Tod fürstliclien Rang behauptete.
Die einen glauben, es sei dieser Mann ein Müller, Kamens Jakob
Eehbock gewesen : die andern hielten ihn für einen Bäcker, Kamens
Möhnicke.
Femer wäre aof Warbeck hinzuweisen, einen Betrfiger, welcher
an dem Hofe der Herzogin Margarete vonBiirgand, einer Schwester
Eduards XV. von England, auftrat und sich fHr den auf Befehl
Kichrirds III. ermordeten Sohn Eduards IV. ausgab. Er erregte
Btterst in Nordengiand mit schottischer Hilfe, sodann in Irland
einen Aufstand gegen Heinrich VH., wurde jedoch 1499 gefangen
und hingerichtet. Kan weifs, da(s Schiller die Geschichte diesss
angebUcben Hersogs Bichard von Tofk, ebenso wie diejenige des
Fsendodemetrius dnunatuoh behandeln wollte.
Unter Gustav Wasa erschien ein Bauer, welcher sich für den
verstorbenen Sture ausgab. Seine Ansprüche unterstützte, aller-
dings ohne Erfolg, der Bischof von Drontheim.
Viel bekanntere Bei^iele des Fseudoprätendententnms sind
die falschen Sebastiano in Portugal, weUshe nach der Schlacht bei
Alcassar (1578) auftraten. Der ITmstand, daTs die Leiche des
Königs Sebastian, welcher, ein Enkel Karls V., mit seinem ganzen
Heere im Kample mit den Orientalen zu Grunde ging, nicht Buf-
gefunden wurde, veraalalÜBte das Erscheinen mehrerer Abenteurer,
welche sich für den ans der Schlacht geretteten K&nig ausgaben.
In neuester Zeit hat man mehrere Personen auftreten sehen,
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Zur Naturg«8dückt« der Prätendenten.
welche sich für den unglücklichen Sohn des hingerichteten Königs
Ludwigs XVI., den König Ludwig XVII. ausgaben. Dahin ge-
hört der hekannte Uhrmacher Naundorf, dessen Tochter „Pnnseasm
Ain6Ue deBourbon" noch vor wenigen Jahren (1874) am 31. Jannar,
dem Todestage Ludwige XYI., in der Kapelle Ezpiatoire dem
TranergotCeedienite beiwohnte und eine Klage gegen den Grafen
Chaiiiljuid anhängig machte.
So einige wenige vereinzelte Beispiele aus der Geschichte
Westeuropas. Vielleicht liefse eich noch das eine oder das andere
derartige Vorkommnis namhaft machen. Aber im wesentlichen
gdi5ren solehe Erseheinnngen an sehr seltenen Ansnahmen.
Garn anders in Bnfsland, wo die Zahl der fiüschen Prttteii*
deuten sn Zeiten so stark ist, dafs man von einer Prfiteodenten-
Bucht. einer Epidemie am krankhaft alhzierten Staats- und (iesell-
schaltskurper, reden kann.
Und zwar beginnen diese Erscheinunpfen unmittelbar nach
dem Erlöschen der Dynastie Ruziksy in der Zeit des Interregnums.
Es geschieht wohl, dals die Zttgel der Regierung am Boden schleifen |
glücklieh, wer sie erhascht; Bauernkriege, BAubenmwesen, Verw
heerung durch auswärtige Feinde, der ]\Iangel einer kräftigen Re-
gierung im Zentniin; so ist der Boden beschaffen, auf welchem
das Unkraut des falsclien Prätendententums gedeiht.
Li weiteren Kreisen ist von solchen Prätendenten vor allen
der erste Psendodemetrius bekannt, ein genialer ICensoh, welchen
Schiller nicht ohne Qmnd lum Helden eines Trauerspiels hat
machen wollen ; ein Abenteurer, aber vielleicht kein Betrüger,
insofern in allemeuest^r Zeit darauf hingewiesen worden ist,
dafs Demetrius aller Wahrscheinlichkeit nach sich selbst füx echt
gehalten habe. Koch während seiner Eeglerung verbreitete sich
das Gerttoht, dafs sein Vorgänger, der Zar Boris Godunow, nicht
gestorben, sondern ins Ausland gefluchtet sei : eine metallene Puppe
Mt statt seiner begraben worden. Auch von dem unglücklichen,
vom Pöbel in Moskau ermordeten Sohne Boris Oodunows, Feodor,
welcher sich einige Wochen lüiuiurcli Zar genannt hatte, erzählte
man damals, er habe sich gerettet und werde demnächst erscheiuen.
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Zar Nalurgweliiohte der Frütendentea.
19
Den von verschiedenen Seiten auftauchenden Gerüchten, Demetrius
hftbe noh ans der Kataatrophe im Mai 1606, ala Wassil^ Sohaiek^
üm etflzsto und er maasakriert wufde, durch die Flucht so retten
vemochtf entapneh das Auftreten jenes nBetrttgers Ton Toaehino**,
des «weiten Ptendodemetriiif, an dessen Echtheit woM die wenigsten
ßeinor Anhänger werden geglaubt haben, welcher aber, indem er
die Bauern gegen ihre Herren aufwiegelte, eine soziale Revolution
entflammte, einen starken Anhang hatte und längere &it hin-
doreh die Bolle eines Zaren spielte. Sodann erschien ein an-
geblicher Sohn des letaten Zsren ans dem Hanse Bnrik, Peodor,
ein Psendopeter, femer ein angeblicher Neffe des Zsren Feodor
und endlich eine ganze Reihe von angeblichen Söhnen und Enkeln
des Zaren Iwans des Grausamen ; Söhne des Zaren ^V aHöilij
Schuiskij, eine ganze Ana^hi angeblicher Söhne des Zaren Feodor
Iwanowitseh. Da gab es einen Zarewitsch Angost, einen Zarewitech
Lawrenty, einen Zarewitsch Feodor» einen Zarewitsch Klementg,
einen Zarewitsch Ssaweiy, einen Zarewitsch Ssemjon, einen Zsre-
witseh Wassilij , einen Zarewitsch TTrosohka , einen Zarewitsch
Grawrilka. einen ZarewitBch Martynka u. s. w. (Kostomarow).
Und diese Erscheinungen setzen sich auch in der Zeit der
Regiemng der ersten Romanows fort. Es treten auch im Ans*
lande derartige Prätendenten anf, so etwa in Polen ein angeb-
licher Sohn der Uarina Hnischek» Gemahlin des ersten Psendo*
demetrinSi so ein gewisser Imba, welcher sich fUr einen Sohn
des ehemaligen Zaren Wassilij Schuiskii ausgab; dieselbe Rolle
übernahm etwas später ein gewisser AukLuhiiuw. Bei (irelegeMheit
diplomatischer Verhandlungen zwischen polnischen uud russischen
Gesandten drohten die Polen wohl mit dem Auftreten mssiacher
Thronpr&tendenten, deren man einige in Bereitschaft habe. Brei
Jabnehnte nach der Thronbesteigung liichael Bomanows tauchten
in Konstantinopel swei mssische Tbronprätendenten auf, ein an-
geblicher Sohn Schuiskijs, welcher der Pforte als Gegengesciienk
der Anerkennung die Abtretung von Ka.san und Astrachan ver-
hiefSi und ein angeblicher Enkel des ersten Demetrius.
Auch die Konkenrebellion Stenka Basins weist Spuren eines
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so 2ar N«iiugewhichte der FrStendenten.
eiL^'i iitümlicheu Präteudeuteutums auf. Die Kosaken führten auf
der Wolga ein Schiff mit sich, ron welchem das Gerücht besagte,
berge den geiehteten Patrierohen Nikon, welcher damalt in
einem Kloiter im Korden dea Beiches als Ge&ngener lebte. Des
Zaren Alexei illtester Sohn Alexei war Tor Inirsem geetorben«
Jetzt hiefs es, er sei nicht tot, sondoni wigcu grauaaiucr Bo-
haudlung durch deu Vater, und um der Bosheit der Bojaren zu
entfliehen, zu den Kosaken gegangen : auf einem der Schiffe Kasins
sollte er sieh befinden. Maxim Ossipowitsoh hiefs ein Kosak,
der sich fttr den Zsrewitsoh aasgab.
Im Jahre 1698 oder 1699 erschien in der Gegend von Pskow
ein Mann, welcher sich für den Kapitän des Regiments von Freo>
brasbenck, Peter Alexejew — so nannte sich der / Peter — aus-
gab und Steuern erhob, d. b. die Leichtgläubigen plünd rti . Um-
gekehrt wurde der echte Zar Peter nach seiner Rückkehr ans
dem Auslände 1698 f&r einen ftlschen Prätendenten gehalten;
es ging ^itm G-ertlcht, der Zar sei im Auslände nmgebracht worden
nnd nan sei statt seiner ein Betrüger, ein Dentscher, erschienen.
Im Jahre 1696 war der Bruder Peters, der Zar Iwan ge-
storben. Zehn Jahre später tauchte das Gerüclit auf, er lebe
noch, halte sich in Jerusalem auf tind werde bald in Hufsland
erscheinen, am das Volk vor der Härte nnd Oransamkeit des
Zaren m erretten. Im Jahre 1723 erschien in Pskow ein Psendo*
Iwan, welcher sich fELr den angeblich nnr totgoglaabten Bruder
des Zaren Peter ausgab.
Gegen Ende der R<>gierunrr Peters II. lief bei den flüchtigen
Bauern am Don das Gerücht um, die von dem Zaren Feter ver-
stoftene Zarin Jewdokia habe einen Sohn, welchen man snm Zaren
erheben mfisse; er lebe, wurde hinsugefOgt, am Don.
Aus der Ehe Peters mit Jewdokia waren swei Sdhne ent-
sprossen, Alexei, dessen tragisches Ende (1718) bekannt ist nnd
ein zweiter Zarewitsch Alexander, welcher, am 3. Oktober 1691
geboren, schon am 14. Mai 1694 starb. Die gegen 1730 am
Don zirkulierenden Gerttchte mochten sich auf diesen Zarewitsch
Alezander besiehen.
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Zar Naturgeschichte der Präteudeuten.
21
Der unglückliche Zarcwit^ch Alexei genofa sction hei Leb-
zeiten ein grofses Ansehen beim Volke. In den Zeiten der Drangsal
während der Kegiemng Peters hoffte man auf ihn. Nach der
Katastrophe des Zarewitsch erfmtte sich sein Andenken einer
grorsen Popnlaritfti. Sein Name ist als deijenige eines Prftten-
denten an^^fetaneht.
Im Jahre 1723 gab aicli in der Gegend von AVolo^'da ein
Bettler, HÄiuens Alexei Rodionow, für den Zarewitsch Alexei aus.
In den letzten Monaten der Regierung Peters des Grofsen oder
SU Anlang der Begierong Katharinas L trat in einem Städtohen
Kleinrofslaads, Potaohep, ein ehemaliger Soldat Alezander Ssemikow
als FrÜiendent auf, indem er sich f&t den Zarewitsch Alexei ausgab.
Ber Betrüger wurde Ende 1795 enthauptet. Um dieselbe Zeit
soll sich ein sibiriscln r Huuer ehenralls für den Zarewitsch Alexei
au^^eben haben und ebenfalls enthauptet worden sein.
Bald nach der Thronbestngong der Kaiserin Anna, im Sommer
1792, trat in einer Kosakenstaniaa am Bnsuluk (Kebenflufs des
Don) ein Bettler, Timofei Tmshentk auf, der sich fUr den Zare-
witsch Alexei ausgab und wunderlieherweise einen Kosaken, Storo*
dubzew, beredete, sich für den 171 Ii verstorbenen Zarewitsch
l'cter Petrowitach auszugeben. Beide fielen, der erstere früher,
der zweite etwas später, in die Biände der Begierungsgewalt, wurden
nach Moskau gebracht und snsammen mit einer nicht unbetrftcht-
lichen Anzahl von Anhftngern hingerichtet.
Im Januar 1738 gab sich in einem Dorfe JaroslaveB bei
Kijew ein Arbeiter, welcher mit andern Bauern im Walde Holz
füllte . plötzlich für den Zarewitsch Alexei aus. Es gelang ihm
insbesondere einen Geistlichen zu überreden , ihn mit Ehrenbe-
zeugungen in der Kirche als den Zarewitsch sn empfangen : auch
einige Soldaten erkannten ihn an und waren entschlossen, ffir ihn
einsustehen: er Tcrsprach ihnen u. a. den damals im Volke ver-
hafeten Tilrkenkrieg rasch su beenden, dagegen Polen zu erobern. Als
der Betrüger verhaftet werden sollte , leisteten die Soldafpn und
jener Geistliche Widerstand, in der Kirche wurde er als der recht-
mlüsige Zar gefeiert, dagegen wurde die Kaiserin Anna im Ge-
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99 Zur Naturgeacbichte der Prätendenten.
bete nur als l^rmzessin crwahitt; daa ganze Volk der Umgegend
glaubte dem Prätendenten, kam, ßel vor ihm nieder, küfste ibm
die Hand, leistete ihm den Eid. Aber während einer solcken
Feierlidikeit enchien eine stärkere Abteilang Kosaken und der
angebliohe Zurewitadi Alezei wnrde Terhaftet. Er brennte, dale
er ein polnischer SchlacbtitB, Iwan Hinisky, sei^ seit swaosig
Jahren in Kufsland ein Wanderleben führe und ein Tranmgesicht
gehabt habe, worin das Gebot an ihn ergangen sei, sich für den
Zarewitsch Alexei auszugeben. Die Saclie erschien von grölserer
Wichtigkeit wegen der Zahl und des Eifers der Anhänger des
Betrfigers. Daher fielen die dekretierten Strafen dieses Hai be-
sonders streng ans. Hiniaky nnd der DorfgeistUcfae wurden ge-
pfählt, mehrere Personen gevierteilt, andere enthanptet n. s. w.
Weniger beachtenswert , aber doch nicht ohne Interesse ist
es, dafa einige Jahrzehnte nach dem Tode des Zaren Iwan (1696)
noch ein Betrüger anftaachte, welcher sich fttr einen Sohn desselben
ausgab.
Bab Pngatschew sich Kaiser Peter m. nannte, ist seit langem
allgemein bekannt; dafs aber dieser Fall von falschem Präten*
dcntentum in der Zeit Katharinas ebensowenig vereinzelt dasteht
wie jenes Auftreten des Psendo-Demetrius im 1 7. Jahrhundert,
ist erst in neuerer Zeit auf Grund eines reichen Aktenmaterials
erforscht worden. Pugatschew hatte seine Vorläufer und seine
Nachfolger.
Ein Jahr yor dem Anstände Png^tschews war in eben den«
selben Gregenden, wo dieser auftrat» ein entlaufener Kosak eben-
falls als Peter III. aufgetreten. Ein ;Linlerer Kosak spielte die
JELoUe des Staatssekretärs. Sie hatten den Plan einigen Kosaken
mitgeteilt; alle zusammen hatten den Entschlufs gefafst, nach
dem Städtchen Dubowka an gehen, dort den angeblichen Peter IH.
aum Kaiser ausaumfen nnd ihre Offiiiere an Terhaften. Die Ent-
schlossenheit eines der Offiaiers vereitelte den Plan und erstickte
den Aufstand iai K< uno. Er ging in das Bauernhaus, in welchem
der Abenteurer safs , gab ihm eine Ohrfeige und rief den Um-
stehenden an, den Fseudokaiser zu verhaften. Die Kosaken ge-
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Zur Naturgeschichte der Prätendenten.
23
horchten. Die Verhaftung des angeblieliei) BjuserB nnd seines
Staatssekretärs erfolgte augenblicklich. Ihr Prozefs zog sich
monatelang hin. Es stellte eich heraus, dafs die Zahl der Mit-
Bchuldigoi bedeutend war; in Zarizyn, wo die Verbreoher gefangen
gofaalten worden , gknbten manebe dsnni dab dar wirldioha
Peter m. als Verbrecher behandelt werde. Hit groiker Vorsieht
vad mit einer betriditlicfaen Anzahl ▼on Bewaftieten wurden di#
GelaiiL^'-nen in der Xacht heimlich fortgebricht. Diese selbst
schienen darauf zu bauen, dafs das Volk sie befreien werde.
Ein Jahr später kam Pugatschew, welcher den Organen der
Begierong nnvergleicUieh mehr in schaffen machte» als sein Vo^
ginger. Dals er sich flir den ehemaligen Kaiser Feter III. ans-
gab, kann als eine Art Znfidl gelten. Er kam anf folgende Art
zu seiner Heldenrolle. Schon als er im Kosakeuheer diente,
peinigte ihn die Ruhmsucht; er trachtete darnach, sich durch
irgend etwas hervorzuthun. Nachdem er zweimal desertiert war,
sich in Polen anfgehalten hatte, nnd yon den Sektierern» welche
dort lebten» nntersttttst worden war, ward ihm Ton einem Kaufmann
Koshewnikow folgender Bat gegeben : „Du willst hinter den Kuban
fifiobten? Allein kannst dn es nicht. Willst du etwas Besseres
anlVui[ren? Manche wollen eine Ähnlichkeit zwischen dir und dem
ÜLaijBer Peter Iii. wahrnehmen ; gib dich für ihn aus und gehe
an den Ural. Ich weib , dafs die Kosaken dort sehr hart be-
drängt sind; sie werden bereit sein, dir als Kaiser snm Kuban
an folgen. Hier ist ein Soldat, der gern beaengen wird, dafs er
didi als Sjdser gekannt habe ; das Volk wird ihm glauben. Ver*
sprich den Kosaken Geld , üwölf Rubel einem jeden. Brauciist
du Geld, so gebe ich dir welches und andere Koskoluiks werden
auch Geld geben; wir werden hier unaufhörlich bedrückt:
nehmt nns an den Kuban." So begann der Aufstaad, welcher
dem ganaen Beiche gelSsbrdrohend werden sollte nnd welcher nach
langem Kampfe erst mit der gröfsten Anstrengung niedergeworfen
wurde.
Und mit Pugatschews Hinrichtung war die Gefahr noch
nicht beseitigt. Einige Jahre nach derselben erschien ein Abenteurer,
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24
Zur Naturgeschichte der Präteodeoten.
Namens OhaDin, welcher Torgab, dafs die Naefarieht yon Paga-
tschews Hinrichtung erlogen sei: er sei der gerettete l'ugatschew,
in welchem das Volk seineu legitimen Kaiser Peter III. er! iumt
habe. Das Gerücht fand Beifall. Man glaubte ihm. Es hatte
•ich io der That einmal während des Fiigatachewiehen Ao&tandea
ereigneti dafa die Behörden das falsche Oerfleht Terhreiten lieTsenr
Fngatschew sei mit seinen Banden geschlagen worden. Es war
eine Ltige. Die Nachricht von Pugatschews Hinrichtung konnte
auch erlogen sein. Der Anhang Chanins wur zahlreich; Geistliche
und Bauern, namentlich Kleinmssen, gehörten dazu. Es war im
Mftrs 1780 , als der Abenteurer seine Rolle begann nnd bald
beendete. Br wurde verhaftet. Die Verhöre sogen sich lange
hin. Der Schlafs der Prosefsakten ist Terloren gegangen. Wahr-
scheinlich hat dieser PsendooPeter sein Leben onter der Knute
oder in den Bergwerken Sibiriens nusgehauclit.
Der vor einigen Jahren verstorbene Graf Bindow hat einige
An^ben über Prätendenten gesammelt, welche in der von Kowa-
lewshg Teröffentliohten Biographie Bindows abgedruckt wurden.
Aus ungedruckten Urkunden, welche yon der GouTemements-
▼erwaltung von Woronesch nach St. Petersburg geschickt wurden,
ergaben sich folgende Thatsachen. Schon im Jahre 1765, also
einige Zeit vor dem Auftreten Pugatechews, erschien im Gou-
vernement Woronesch ein verabschiedeter Soldat, Kremuew, der
sich fär den Kaiser Peter III. ausgab. Ein Priester machte f&r
ihn Propaganda, indem er dem letchtgliubigen Volk enähltey er
habe, als er noch den Dienst eines HofsKngers Tersah, den Priten«
deuten als Grofsfttrsten gekannt, ihn als kleinen Knaben h&nfig
gesehen, ja sogar ihn auf den Armen getragen. Das Volk glaubte
dieses Märchen und viele Personen verschiedener Stände, danmter
auch Geistliche, verbreiteten das Gerücht weiter. Aber der oben-
erwähnte Priester und Kremnew und viele andere wiuden yer-
haftet Die Kaiserin Katharina prfifte die Prosefsakten sehr
genau und teilte die Angeklagten je nach dem Mafse ihrer Schuld
in BweiuDdavaDiig Kategorien, indem sie die Strafe aller mil-
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Zar Katurgesohichte der Prätendenten. 25
derte. Die hierüber erlaaaene Verordnung vom Juiire 1766 wird
im Archiv zu Woronesch aufbewahrt.
Ans andeni Aktenstücken ist ma enehen, dafs im Jalire 1774
ein andcror Paendo-Peter, weloher unprOngUefa Fom* Moiaiiakiii
bMlk, ▼«mrtttlt, imd dab desMH Strafe durch den Amspraoh der
Kalserm gomlldeii worden wer.
Endlich öiud noch die Akten eines Prozesses zn erwähnen,
aus denen hervorgeht, dafs sich ein Bauer, Saergejew, im Jahre 1776
ebenÜBdis für Peter III. ausgegeben habe. Er sammelte ein Heer
Ton Abenteurern nm tiohi welohe seineni Märehen Glauben
•chenkten, und plünderte die Gotaherren ena. Der Ooayemenr
Ton Woroneseh, Potapow, Ue& eile Teilnehmer der Bande, 96 Per^
sonen, verhaften. Die Prozefsakten sind nicht ToUstSndig und
namentlich das Ende des Prozesse» ist unliekannt.
So viel von dem Gouvernement Woronesch. Durch einen
Zoialh sind wir daron nnterriehtet, de(s in dem Gh>aveniement
JShb ebenfiills awei Fkendo-Peter enftrmten.
Als im Herbst des Jahres 1790 die Kachriohi Ton der Hin*
richtnng eines der Hauptschuldigen bei der Konföderation Ton
Anjala, Hästeskos, in Stockholm nach St. Petersburg kam , war
die Kaiserin sehr unwillig und trug dem Baron Igelström auf,
dem schwedischen Gesandten, Feldmarschall Grafen Stedingk|
ihre Unssfinedenheit sa beseigen. Stedingk schrieb an Ghutaf HI.,
IgdstrSm sei an ihm gekommen nnd habe sein Srstannen Uber
diese Strenge anagedrttokt; Katharina begnüge sieh in solchen
Fällen mit milderen Strafen, Bei dieser Gelegenheit teil tu Igelström
dem Grafen mit, er habe in dem ihm zur Verwaltung anvertrauten
GoQTemement UCa drei Fälle erlebt, in denen Abenteurer sich
fUr den TcrstulMiien Kaiser Peter III. ansgegeben hätten, nnd
sie seien nicht hingerichtet, sondern anf andere Weise bestraft
worden.
Zur YervollsUindigung des Verzeichnisses der unter dem
Namen Peter III. auftretenden Prätendenten sei noch des Stepan
Halyj erwähnt, welcher in Montenegro auftrat, sich dort für den
Kaiser Peter IH. aosgsb nnd eine Zeit lang herrschte, bei einer
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26
Zur Natorgwobidite dar PrStendenteiL
Bsplosion sein Augenlicht Terlor und soUiefiilieh ermordet worde.
Er gehört kaum in die Gesobiolite Hafslands, unterscheidet sieh
durch Geist und Ril lung sehr wesentlich von Pup^atschew und
andern Abenteurern dieses Schlages, und war der Kaiserin bei
weitem nicht so gelahrliob, wie jene Ko8«ken vnd JELäuber, welche
die aoiiale Berolntion predigten. CHeichwohl sandte* die Kaieeria
einen Knndacliftfter in die «SchwarMn Beige** and liele mit dem
Usorpetor Yerhasdhisgeii führen.
Endlich ist noch zu erwähnen, dafs sich im Jahre 17 73, wie
aus einem Schreiben des Grafen Mocenigo au.s Zen^ hervorgeht, bei
der Stadt Arta im tfirkiachen Albanien ein Pseudo-Feter gezeigt
hahe^ doch ist uns über diese Episode nichts weiter bekannt
geworden.
Im Jahre 1764 war der ehemalige Kaiser Iwan Antonowitseh
in der Schlüssel burger Festung von seinen Wächtern ermordet
worden, als der kieinrussische Abenteurer Miro witsch den Versuch
gemacht hatte, den Gefangenen zu befreien und ihn auf den Thron
•n erheben. Ein Vierteljahrhnndert spiter tauchte ein Iwan
Bediyi^as anf.
Im ÜJSn des Jahres 1788 meldete sich bei dem Henoge
Peter Biron von Kurland ein ICuin, der sich für einen raseiscben
Knufniann ausgab und um eine Privataudienz beim Herzoge unter
vier Augen bat. Der Herzog lehnte die Gewährung einer solchen
Aadiens ab, lieüs den Verdächtigen yerhaften und dem General*
Gon^emenr von Biga und Beval ansUefem. In einem YerhörCy
welches der Geiiuigene am S4. Min in der lUgaer GonTemements-
kanslei sa bestehen hatte, erklärte der Oefangene, er sei der ehe-
malige Kaiser Iwan, welcher vormals in SchlüsselLurg gtfaiiL'' ii
gehalten worden sei; der Kommandant der Festung habe ihm
die Flucht ermöglicht, ihn mit Geld versehen und statt seiner
einen Diener, welcher ihm Ähnlich sah, in die Zelle gesperrt.
Als Kanfmann Terklcidet sei er sa den Meinnissiachen Kosaken
gereist, habe sich dort in die Reihen der letstsien anfhehmen
lassen, einigen Unterricht genossen, an dem türkischen Kriege
teilgenommen, nach Astrachan und der Krim, ja auch nach
V
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Zur Kitorgwobiohte PriUmdentan.
27
Petenlnirg und Arebaagel Beiaen anteinommen; hieraiif Bei er
dann nach Chenon und endUoh nach Kurland gereist, wo er von
dem Herzoge seihst, dessen Vater in Ruisiand während seiner,
Iwans, E^ieruug Begent gewesen war, Auskunft über die Schick-
Bele leiner Angehörigen su erlangen hoffte. Mit diesem Präten-
denten wurde sehr ramniariech Terfütren. An Händen nnd FOfeen
gefesselt, wurde er naeh Petenborg gebnoht. Von dort ans
sehrieli der Vfirst Besborodko an den Gteneral-Gkinvemenr Ton
Riga und Reval, es habe sich herausgestellt, dnia der Gefangene
ein Kaufmann aus Krementschug sei, Timotheus Kurdilow heifse
und als Betrüger entlarvt worden sei; die Kaiserin habe bereits
seinetwegen eine Entscheidung getroffen.
So iet denn das YerzMoluua der falschen Prätendenten ein
flehr langes.
Es liefse sich noch anf eine Anzahl solcher Fälle hinweisen ;
dahin gehört u. a. das Auftreten eines Zarewitsch Ssemjon Alexe-
jewitsch in Kleinrufsland im Jahre 1071, der Plan einer Obersten-
witwe in Kleinmfsland im Jahre 1788, einen Soldaten, Bunin,
in der Bolle des ehemaligen Kaisers Peters HI. auftreten lu
lassen, die nnter dem Kamen der ▼orgeblichen Tochter der Kaiserin
Elisabeth in den Jahren der Begierung Katharinas auftretende
Fürstin Tarakuuow. das Auftreten eines Pseudo- Konstantin und
einer Fseudo-Grräün-Lowitsch im neunzehnten Jahrhundert u. s. w.
Es ist klar, dafs bei so häufigem Auftreten falscher Präten-
denten eine solche Ersoheinung nicht sowohl durch die ver^
brecherisehe Neigung einielner weniger Indiriduen, als yielmehr
durch eine KrankheitsdispoBitlon am ruasisohen Gesellschaftskdrper
erklärt werden mufs. Allerdinga ist das Mafs unserer Kenntnis
der Einzelheiten bei den verschiedenen Kriminalfällen dieser Art
ein sehr ungleiches. Aber es reicht in den meisten dieser Fälle
hin, um uns die tTberaeugung au verleihen, dafo man ee hier mit
einem sooal-pathologiadien Phänomen an thnn habe. Die Masse
des Volkes produziert solche Abenteurer, denen die Prätendenten-
Tolle nicht selten aufgenötigt wird. In den seltensten FlUlen
mag der Gedanke, sich für einen verstorbenen Pürsten auszugeben.
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S8
Znr Nfttoigescluohle der PriiteiidMiteiL
im Kopfe des FMItendenteo telbsfe eDtsproagen sein: wenigsteiui
ist SOS msnchen soloher Froiesse mit E^idens Vekannt geworden,
dsAr andere Personen solclien Alseotenreni den Gedanken ein-
gegeben hatten. So erscheinen die unzufriedeneu Elemente unter
den Sektierern als Mitachuldige i'ugatschews als diejenigeni welche
ihm die Prätendentenrolle soufflierten. So enengen die permanenten
Unrohen der kleinrnssischen Kosaken eine ganse Beihe &lsoher
Prätendenten« Bafs die in vielen F&Uen recht sahhretohen An*
hänger solcher angeblicher Zarewitsehs, Zaren nnd Kusor durch-
weg au die Echtheit derselben ge-^^laul t hätten, ist nicht anzunehmen.
Man ist solidarisch mit solcbcu Verbrechern, weil unter deren
Fahne allerlei Vorteil' errungen werden können. Wo es TJn-
mfriedene, Bedrückte gibt, da finden solche Prätendenten-Ideen
Eingang. Jedes Gerfidit Ton dem Auftreten eines aogehlichen
Herrschers oder eines angebliehen Verwandten eines solchen wird
von den Massen mit Genugthuung begrüfst, weil sich daran die
Hüilnuug knüpft, dafs die Luge des Volkes sich bessern werde.
Viele derartige Gerüchte entbehren jeder thatsäch liehen Grand-
lage. Wo sich niemand fand, die Pr&tendentenroUe su sptdeni
erfand man das Phantom eines solchen nnd fihte anch damit schon
die gewfinschte Wirkung. So war unter den Seharen des be-
rühmten Bänhers Stenka Basin niemand, weldier die Bolle des
eheniuligi n Patriarchen Nikon thatsächlich übernommen hätte,
aber es genügte, dafs man auf ein Schiff hinwies, in welchem sich
der Patriarch beßnden sollte, um die Einbildungskraft des YolkeSy
welches mit dem hochstehenden StaatsTsrhrecher ^mpathisierte,
m entflammen, dasselbe snm Kampfe gogen die bestehende Ord*
nnng sn reisen. Wenn die Polen im 17. Jahrhundert den ICos-
kowitern drohten, es würden Prätendenten auftreten, so mochten
sie der gerechten Zuversicht leben , dafs es möglich sein werde,
im geeigneten Augenblicke die Persönlichkeiten aufzutreiben, welche
die PrätendentenroUe su tthemehmen geneigt sein wttrden.
Dafs nicht so sehr die eigentliche Prätendentenrolle, ab viel*
mehr die Lust an der Anarchie, die Hoffiinng auf allerlei Vorteile
durch Auflehnung und BebelHon hei manchen dieser Episoden
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Zur Ktttorgeschichto der Pritendeaton.
die Hauptsache üt, ersieht man aus vielen Zügen der Haltung
solcher Abenteurer und deren zahlreicher Anhftnger. Die Wago«
faÜMy welohe aich den Kamen Peter IH. aneignen, um anter dem-
aelben mit nm lo grAlsefem Erfolge an rauben und so morden,
■ind nioht wesentlich ▼ersehieden von den lahlreiohen Landatreichem,
welche in jenen Zeiten, ohn« si« Ii zu der Rolle von Thronprnten-
denteu zu versteigen, die (jegenden an der Wolga unsicher machten.
Ihre Zahl ist sehr grofs. Die Ungunst der Verhältnisse, in
denen tieh die niedersten Sehichten der Geeellschaft befanden,
trieb Tiele in die Bäaberlanfbahn, welehe meist nnglttoUieh endete.
Dabei erscheint sehr oft der Name eines Iwan oder Alexei oder
Peter als etwas Accessorisches. Bei manchen dieser Abenteurer
erschtiiit die Frage, ob sie sich für einen Pürsten ausgeben oder
nicht, als verhältnismäTsig geringfügig. Als ein gewaltiger Käuber-
hauptmann, Sametajew, mit einer grofsen Bande auftrat und in
der selben Weise banste, wie Pngatschew mit seinem Schwärm
gebanst hatte, schrieb Snworow, welchem die Ergreifung von
ICafsregeln sur IToterdrficknng solcher ünnihen aufgetragen worden
war, man soiie doch gelegentlich heraU8zul)rin(?en suchen, ob dieser
Büaber Sametajew sich iur Peter III. ausgebe oder mcht. Ebenso
ist zwischen der Art des Auftretens Pugatschewe, welcher eine
Prätendentenrolle spielte, und deqenigen berObmter Flulspiraten
jener Zeit, wie Kulagss, Bragins n. a., welche nicht als Präten-
denten auftreten, kein wesentlicher TTnterschied. Episoden, wie
diejenige mit der Fürstin Tarakanow oder mit jenem im Jahre 1788
in Mitau erscheinenden Pseudo-Iwan, mögen als vereinzelte If'älle,
als individuelle Verbrechen erscheinen. Die meisten andern Fälle,
deren oben erwähnt wurde, sind als kollektive Vergehen der Hasse
des Volkes sn beseichnen, als Bymptome der inneren Gshrung in dem
ganien socialen Organismus, als Pestgeschwttre, welche auf die ver«
dorbenen Säfte eines grofsen Teils der Gesellschaft schliefsen lassen.
Da li.ilf denn die noch so strenge Bestrafung einzelner Verbrecher
oder ganzer Dutzende von Anhängern solcher Prätendenten eben-
sowenig, wie die bloDse Behandlung der Symptome einem Schwer-
kranken G^enesung zu bringen vermag. Vergegenwärtigen wir
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30 2ur Naturgeschichte der Prätendenten.
uns, dafs jene vüa nun zuaammengestellte Übersicht falscher Prä-
tendenten in Rufsland im 17. und 18. Jahrhundert mehrere
Dutzende beträgt, dais die Anzahl ihrer Anhänger auf viele
Tansende sa Tennsolilegen ist» dab et einigen von ihnen gelangi
eisen betridttlidien Teil des Beiofaee Sit offener Empörung gegen
die Staatsgewali oder gegen die eosiale Ordnung oder gegen beide
zn entfachen, dafs solche Ereignisse bisweilen Jahre hindurch
den Regiernnjren und deren Behörden die schwersten Sorgen be-
reiten, so wird man anerkennen müssen, dafs es sich hier um
die untrüglichen Anzeichen eines chronitcben Sieehtoma am Staate-
nnd VoUnkdrper handelt.
Solohe VorgiBge sengen beredt Ton dem Elend nnd der JEtoh-
heit, TOtt den Leiden nnd Eimpfen des Yolkes. Sie gewähren
einen Einblick in die Schwierigkeiten, mit denen ein Übergangs-
zustand, wie die Verwandlung Bufslands aus einem asiatischen
Staate in einen europäischen, verbunden sein mufste. Sie reden
lant von der Bedrückung der Hasse durch gewissenloaei besteohliohe
und habefiohtige' Beamte; sie statten Berieht ab -von dem Ver-
hängnis der erst in allemeuester Zeit gel5sten Banemfrage; sie
schildern die nomadische , kosakische Art der wandersüchtigen,
arbeitsBcheuen Masse des Volkes, die Wildheit der fremden Vrilker,
die Beschränktheit der Sektierer, die Verzweiflung der deser-
tierenden Soldaten , der bei Verbrechertransporten entlaufenen
Bänber nnd If örder ; sie liefern «inen Kommentar zu der geschicht-
lichen Bedeutung des Hangek an einem regelm&fsigen, Staate*
rechtlich normierten Thronwechsel.
Jalir liuiiderte lan^; liat Kufsliuitl -.in dem Übel falschen Prä-
teudenteutums gekrankt. Diese i^'orm einer allgemeinen Auf-
lehnung gegen die bestehende Ordnung in Staat und Gesellschaft
scheint nun endgültig überwunden zu sein. Eine eingehende Unter-
suchung und Würdigung des Auftretens, des Wütens und Ver-
Schwindens dieses Sieditums in der Geschichte des mssischen
Staates und Volkes wäre wünschenswert*
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n.
Die Pest in Rufsland 1654.
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L
l^ur gelegentlich und ausnahmsweise ist bisher die Geecbicht^
d«r Mortaiit&t and Horbiiitüt behandelt worden. Dafs mit ein.er
Steigernng der Knltnr die dnrcliBohnittUche LebenecUMier Btuehmei
die Widerstandeföhigkeit gegen Kraoklieiten wachse, sind Wahr-
heiten^ welche, man darf sagen, noch nicht Gemeingut des öffent-
lichen BewufstseinH geworden sind. Auch hat die Wissenschaft
bisher für diese ErgebnieBe nicht sowohl exakte Beweise geliefert,
eU vielmehr dieeelben nur mehr für wahrscheinlich gehalten. Die
Statistiker haben ea fast ausnahmaloi mit der Bev5lkenmg irgend
einer g^benen Gegenwart sn thnn gehabt» ohne eich mit dem
Gange deir betreffenden Erscheinungen im Lanfe der Jahrhunderte
und Jahrtausende zu befassen. Die Historiker , meist an den
Anfserlichkeiteu der Begebenheiten der politischen Geschichte
haftoidy sind derartigen allgemeinen oninent historischen Fragen
fem geblieben. K ediainisoh-hietorieohe Werke haben für die im
Laufe der Zeiten etattgefnnden habenden Veränderongen auf dem
Gebiete der Mortalitit nnd Iforbilitfit einiges Material geliefert,
ohne dafs daraus die 8ui;iiin' zogen worden wäre. Eine Sozial-
physioiogie und Suzialpathologiu ist erst iui Werden begrÜTeu.
Gleichwohl ist die Erkenntnis, dafs et auf dem Gebiete des
Erkrankensi Krankseins und Sterbens einen gewissen Fortschritt
gebe, Torhanden. Neben dieser Erkenntnis findet sich indessen
hfiufig die Annahme, dafs die Menschheit physisch Terkomme.
BraokAai, S«IUsiid. 3
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34
Die Feai in AoTBland 1664.
Schon bei den Alten bestand ein solcher Zwiespalt der Meinungen.
Hesiod sagt in seinen „Werken und Tagen** :
Denn es lebten vordem auf Brden die Stimme der Henaelien
Frei von Obeln und frei von harter lEfUml and jeder
Algen KraaUieit, die sdmell den Kenaehai das Alter herbeif&krt
Dagegen läiat Äschylus den Prometheus von den Menschen sagen :
Das Grdftte war's, daft, wenn sie KnmUieit niederwarf,
Kein Mittel da war, keine Salbe» kein G«trSnk,
Kein Brot der Heilung, sondern aller Kriftigiing
Ermangelnd sie verkamen, bis sie dann von mir
Oelemt die Misohung segensreicher Arsenei *)
Auch heute noch besteht dieser Gegensatz nicht blofs der
Meinungen, sondern der Thatsachen weiter fort. In stumpfem
JFatalismns lassen orientalische Völker sich von Epidemien dem-
miereni wShrend dia Kaltnmationen den Kampf anfbebmen mit
Cholera und Fett| Blattern imd Diphtherie nnd ans dieaem
Kampfe wesentlich als Sieger hervorgehen. Wiederholt ist die
Ansicht ausgesprochen worden, dafs von der zuiiehinenden Zivili-
sation eine Abuahmp d^r ansteckenden Krankheiten zu erwarten
sei} ^) man hat darauf hingewiesen, dafs die ärgsten Epidemien
nnsrer Tage mit denen früherer Zeitalter imd roherer YiVlker
kaam Tergliehen werden kSnnen.
Inaofem derartige Behaoptongen nodi nicht eicakt und sifier-
mSfsig begründet zu werden pflegen, mag es von Interesse sein,
einzelne Erscheinungen aub dtai Gebiete der Volkskraiikheiten
genauer ins Auge zu fassen, eine Parallele zu ziehen zwischen der
Wirkung der Epidemien früherer Zeiten und den entsprechenden
£2ncheiniingen der G-egenwart.
In der folgenden Abhandlung haben wir es mit einer Episode
') Diese Ansprüche einander entgegengesetxt in der Abhandlung
von Karl Friedrich Heinridi Marx nlTber die Abnehme der Krank-
heiten durch die Zunahme der Civilisation*' in den Abhandl. der Gott»
Oes. der Wissensch. IL (1842—44) S. 47.
*) Gosse bei Marx a. a. O S. 88.
') Koscher, System der Volkswirtschaft l, S. 491.
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Die Pest in Kufsknd 1654.
85
der Gescliicht« Rafslands zu thun, welche sowohl an den Zeit-
genosseu in Wt stenropa als auch an der GeschichtHforsciiuiig unsrer
Tage so gut wie völlig unbemerkt vorübergegangen ist und doftb,
wie ODS aohemen will, mehr Beedktang Terdient Als muiohe von
den fiistorikeni nmsUndlieh erfonehte und in der Dentellang
weit »osgesponnene Begebenheit der politischen Gksohiohte.
H.
Aualändische Eisende, welche im siebzehnten Jahrhundert
Bulslftod besuchten, waren voll Lobes Aber des der Gesundheit
sntrSgliehe Klima dieses X^andes. Indem Olearius leichthin der
Senche vom Jahre 1654 erwShnt, bemerkt er, sonst sei in BoTs»
land nicht viel von „pestilenzischen Krankheiten oder grofsem
Sterben" zu hören. Ebenso lobte der venezianische Diplomat
Alberto Yimina, welcher 1655 in Kufsland war, das gesunde
Klima; die Leute in BuTsland seien stark, erreichten ein hohes
Alter; man hdre nichts von Pestkrankheiten.')
Eine solche Anffassnng entsprach den Thatsaohen keineswegs.
Dieselbe liefert wieder einmal einen Bewms dafEb*, daTs AasIXnder
bei flüchtigem Aufenthalte in einem fremden Lande nicht immer
richtige, zuaamraenfaasendo Urteile zu fällen vermögen uiul dain
ihre Berichte der Kontrole durch andere Geachichtsquelleu
bedürfen.
Gans anders nimmt sich die Vblkshygieine in Bnfsland aus,
wenn man, an der Hand Tersohiedener, vorwiegend russischer
Quellen die Geschichte d(;r wichtigen Sanitätskrisen bis zur Mitte
dea siebzehnten Jahrhunderts verfolgt. Wir entnehmen einer
derartigen Zusammenstellung folgende Angaben.
Im Jahre 1090 herrschte in Kijew eine ansteckende Krank*
heit. Linerhalb Yieraig Tagen wurden 7000 Menschen von der-
selben hingerafffc.
>) Olearius, Kuikowitische und Perrianiache Beiaebeachreibnng, Aus-
gabe von 1663.
*) Istoria delle goerre civili di f olonia. Yeneiia t(f71. ä. 990.
8»
36
Die Port in KuilBland 1654.
Tm Jahre 1187 wütete in Nowgorod und Westnilsiand eine
Epidemie, welche so verheerend wirkte, dafs kein Haus fon der
Krankheit frei wer und keine Geemiden übrig blieben , welche
die Kranken hätten pflegen kdnnen.
Im Jahre 1S30 ff. herrschte in Smolensk die Peat; in awei
Jahren wurden dort 32 000 Einwohner Opfer derselben.
Der schwarze Tod wütete im Lande in den Jahren 1350
und 1351. Der Vci lust an Meuschenlebun war unübersehbar.
GbiDze Städte, wie Giuohow und BjeloaerOi starben ans. Dieselbe
Krankheit kehrte in den Jahren 1860» 1363 und 1886 wieder
und entvölkerte Nowgorod, Ferejaalawl, Kasan, Kolonma, Twer,
Wladimir, Susdal, Wologda n. e. w. In SmolMiidc blieben i. J. 1386
nur 10 Mensclif ji übrig.
Im Jahre 1417 entvölkerte die Test Dieskau, Nowgorod,
Ladoga, Porchow, Torshok u. s. w. Granzc Dörfer verödeten.
In vielen grolsen H&usem blieb, nachdem alle Erwachsenen ge-
storben waren, kaum ein einsiges Kind am Leben.
In den Jahren 1420 — 94 yerheerte eine ansteckende Krank*
heit die Gegenden Mittelrufslands so arg, dafs wegen Mangel
an Arbeitern das Getreide auf den Feldern uneiugeemtet
liegen blieb.
Im Jahre 1543 starben in Pleskaa in einem Konat 2700
Menschen an einer pestartigen Krankheit. In den Jahren 1561
und 1569 betrug in Nowgorod und Pleskan der Terlust an
\ Hensehenleben infolge einer Epidemie 500 000 Personen.
Ähnlicher KK iLMiuse in verechiedenen Gegenden ßufslands
oder im ganzen üeiche erwähnen die Chroniken von den Jahren
1128, 1215, 1229, 1237, 1251, 1278, 1409, MIO, 1414, 1417,
1426—27, 1442-43, 1462, 1465-67, 1476, 1487, 1499, 1506,
1621, 1523, 1543, 1552, 1561-62, 1566, 1584-.1598,
1601—1603, 1605, 1606. — In vielen dieser Pflle wird sweifels-
ohnc der Hungertyphus, als eine unmittelbare Folge von Kifs*
ernten, in der Bevölkerung Hufslands aufgeräumt haben.
') Sb die fleiJGiig sasainmengesteUta Tabelle in dem grandlcgenden
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Die Pest in KuXslaiid 1664.
37
Anderswo gab e;^ itlmliclie Erscheinungen. In London rechnete
man während der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, dafs alle
20 Jahre eine Pest Yorkftme, von welcher im Dnrohiohnitt immer
ein JPflnftel der Berdlkernng hingenilft vflrde. ^)
ni.
Das Jahr 1664 ist in der Geeohiehte des moskowitischen
Staates denkwflrdig durch grofse Erfolg», welche der Zar Alexei
Xichailcwitsch, unternehmender und thatkräftiger als manche seiner
Vorgänger, über den Erzfeind Rufslfinds, den gefährlichen Nach-
bar, l*olen, errang. Persönlich leitete der Herrscher die militÄ-
nschen Operationen im Westen. Eine ganze Beihe fester PlätsOy
bedeutender Stfidte in Polen fiel den Bassen in die Hftnde. Die
Besetsong von Bmolenski welches Jahrzehnte hindurch im Kampfe
Xoekans mit Polen das wichtigste Streitobjekt abgegeben hatte,
war ein epochemachendes Ereignis.
"Während aber der Zar im Sommer 1()54 fern von der Haupt-
stadt als Kriegsherr th&tig wer, wnrde Moskau von einer furoht-
barwi Seuche heimgesucht.
In dieser Zeit besorgte der Patriarch Nikon, welcher das
besondere Vertrauen Alexeis genofs, die Regierungsgeechifte. Als
das Sterben in der Hauptstadt begann, verfügte der Kl t rliriifüröL
die Entfernung der Zarin, Marja Iljnischua, mit deren Kindern
ans Moskau. Dieses geschah im Juli. Bald darauf verliefe auch
der Patriarch selbst die Hauptstadt. Er that dieses auf aus-
drfieklichen Wunsch des Zaren. Alexei wollte das Ijeben seines
Freundes, mit welchem er spftter terfiel, von der Gefidir der
Epidemie verschont sehen.
Offenbar war die Hauptstadt der bedeutendste Pcstherd ge-
worden. Um den Zaren und sein Heer vor der Ansteckungs-
geühr SU schützen , wurden auf dem Wege von Moskau nach
Werke Eichten» Geschichte der Medutin in Bufaland, Moskwa 1818.
Bd. L 8. 140--168.
0 Petty bei Boschsr a. a. 0. & 491.
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Die Pest in Eufaland 1064.
Smolensk SchlasrbäuniP errichtet; dasselbe geschah auf den Strafsen,
welche von der iiauptstadt noch dem berühmten Kloster Troiza,
Dach Wladimir und andern Städten fährten. Denjenigen Per-
tonen, welche nacli Smolensk oder ttberhanpt in die Gegend reisten,
wo der Zsr mit seinem Heere weilte, wurde sof das strengste
▼erboten, anf dem Wege dorthin UodEsa wa bertthren ; sie mulsten
einen weiten TTmweg machen.
In Moskau aclböt würden einige Mafsregeln getrofFen , um
den Palast des Zaren nebst allen dazu gehörigen Vorratsräumen,
Wericst&tten und sonstigen Nebengeb&adoi vor der Anstecknngs-
ge&hr SU sehfltsen. Die Fenster und Thilren dieser Hänser —
aosdrttoklioh wird der Sehatskftmmer und der Garderobe des Zaren
erwähnt — wurden Termaaert, damit der Gifthauch der ver-
pesteten Luft nicht hineinstreichen könne.
Auch andere sanitätspolizeiliche Mafsregeln wurden getroffen.
Man sperrte die Häuser ab, in denen Erkrankungen stattgefunden
hatten; niemand wurde heransgehttsen. Überall sah man Wadien
stehen. Auch nm die Dörfer in der Umg^nd, welche infiaiert
waren, wnrde ein Kordon gezogen. Die Wachen ringsnniher
mufsten grofse Feuer unterbalton, um die Luft von Aliaf^Tutu zu
reinigen. Bei Todesstrafe Mrurde jeder Verkehr der Gesunden mit
den Kranken verboten.
Die Zarin» welche aaerat am Flusse Kerli eine Art Lager-
lebens gef&hrt hatte, begab sich in das Kloster Koljasin. Als es
sich non ereignete, dafs die Leiche einer an der Pest verstorbenen
Beamtenfrau über den Weg gebracht worden war , welcher nach
dem Kloster Koljasin führte, wur lnn zum Schutze der Gemahlin
Alexeis besondere Mafsregeln ergriüeu. Die betreifende Stelle
der Strafse, sowie der Baum an beiden Seiten derselben wurde
auf eine Strecke von g^n hundert Fnlii mit Hola belegt, dieses
wurde angezündet; hierauf wurden Kohlen und Asche mit der
Erde vermischt und alles fortgebracht; es wurde neue Erde auf-
geschüttet, wobei ausdrücklich befohlen wurde, diese neue Erde
aus grolser Entfernung herbeizubringen. ^)
*) Ssolowjew, Geschichte Bafdsnds. Bd. X. a 867 und m
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Die P«* in BulUaiid 1654.
39
So dachte mam denn in erster Linie an den Schnts des Lebeot
imd der Oenindheit der leriMben Femilie. Von iigoid welolieii
Aritea, deMn Th üi gk eit warn Sehatie dea Volkee an^boieB
worden wire , findet sieb in den Quellen keine 8pnr. Ifon liefe
die Erkrankten veikoiiiin* n. AuLscr der Absperrung der Gebunden
yon den Kranken gab es kaum irgendwelche andere sanitätspoli'
leiliche Ma®el, von welcher wir Kunde bitten.
3Dagegen findet aioh ein Schraben der Zarin an den Woje-
-woden Pilraten Pronakq, welcher die Hanptatadt in dieser Zeit
yerwaltete, Tom 87. Angoat 1654. Ea heiftt darin, die Zarin
habe die Verfügung getroffen , dafs das wunderthätige Bild der
heiligen Mutter von Kasan aus dem Troizkischen Kloster nach
Moskau gebracht werde. Man solle nun dem Heiligeubilde einen
feierlichen Empfang bereiten, dasaelbe in die Kathedrale bringen,
„damit der gerechte Zorn GKittea gestillt werde**.
Natürlich war ea der Patriareh Nikon , welcher diese Uialb*
regel ▼erfügt hatte. Offenbar hatte er wie die Zarin yon dem
Fürsten Prouskij Nachrichten von der Verschlimmerung der Lage
der Hauptstadt erhalten. Am 3. September 1654 schrieben die
2arin nnd deren Sohn Alexei Alexejewitsch an den Fürsten
Pronakij: da die Peat annehme nnd nnr ein geringer Teil der
reohtglftnbigen Christen ftbrig geblieben sei, d» der Fürst P^onakq
gemeldet habe, da£i er selbst filr sich nnfehlbar den Tod erwarte,
da er feruer mitteile, dafs an der Hauptkathedrale nur drei Geist-
liche am Lehen geblieben seien, so aolle er, der Fürst Pronakij,
zum Schutze seiner Gesundheit und seines Lebens die gröfste Vor-
aiobt anwenden nnd im Krend abgesondert wohnen ; alle Geschäfte
mfllktea rohen ; wer irgend mit einem Anliegen an die Begienmg
komme, mflaae abgewiesen werden; auch aolle Pronskg keine
Schreiben mehr an die Zarin richten; dagegen könne er Tor-
kommendenfalls an den Zaieu nach Smolensk schreiben.
Bas Abbrechen der Korrespondenz zwischen dem Fürsten
Plronakg nnd der Zarin war demnach eine prophylaktische Mafa-
>) Bicfater a. a. O. IL Mkgea S. 76 nnd 77.
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Die Pest in Bufsland 1664.
regel zum Schutze der Gemahlin Alexeis. Ohnehin erfahren wir,
dafs die ans Moskau gesandten Schreiben der Bojsuren „durch dal
Feuer" gehracht, d. h. geräuchert, desinfisiert wurden.
Nooh ein soderee aagebUcli Ton dem 2«rewitech Alezei
(welcher nur wenige Jabre sfihlte) herrülirendee Aktenatllok ge*
w&hrt einen Einblick in die Art der PriventiTnarsregeln, weldie
damal» getroffen wurden. Der Zarewitsch schreibt am 3. Sep-
tember 1654 an den Wojewoden der Stadt Kolomna, Fürsten
Wasflil^ Kortkin, als Antwort auf seine Mitteilung, dafs eine groüie
Menge von Einwohnern HoskMU in den Kreit von Kolomna ge*
koBunen sei, er habe eebr unrecht gethan, dergleichen m gestatten,
d» ihm doch der Befehl angekommen seil niemanden dnrchaolassen.
Bb folgt Bodann die verschärfte "Wiederholung des Befehls, alle
in den Kreid von Kolomiia oder nach dieser Stadt koiamonden
Personen verschiedener Stände au den Sclilagbäumeu aufzuhalten
und inrfidcniweisen. ^) Offenbar befand aich der Aufenthaltsort
der Zarin und ihres Sohnes in der NXhe der Gegend, in welcher
die ans Moskau flüchtenden „Personen aller Stände* in hellen
Hänfen erschienen.
IV.
Wie P8 inzwischen in Moskau herging , erfahren wir aus
einem Schreiben, welches der Fürst Pronsk^j Anfang September
1654 an den Zaren richtete. Hier wird auerst darauf hinge-
wiesen, daCi schon im Juli und August au Terschiedenen Malen
an den Zaren von dem fiirchtbaron Sterben in Moskau und dessen
YorstSdten berichtet worden sei. Bami heifst es weiter: „In
unsem Häusern steht es damit nicht besser und wir haben des-
halb dieselben verlassen und wohnen im freien Felde. Kun ist
seit dem Tsge des heiligen Simeon (1. Sept.) die Seuche von Tage
SU Tage schlimmer geworden. Sowohl in Moskau selbst als in den
YorstSdten ist nur ein kleiner Teil der reohtglXubigen Christen
flbrig geblieben. In seehs Eegimentem ist kein Soldat mehr
^) Ssolowjew X. a 870.
•> Bieki» a. a. O. n. BeOsgen S. 77.
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Die Ftet in EoiUand 1664.
41
vorhanden. In den andern liefen viele krank darnieder; manche
nnd ^Ton gelaallni. Ea ist niemand da, der die Waehe hesiehen
kdimto. Der CShef der StrelsTregimenter ist gestorben , ebenso
rind Ttele HnndertmiDner geetorben. Faet alle Ka(ihedralen nnd
Kirchen haben den Oottesdieust cingci>tLllt, mir in der grofseu
Kathedrale findet noch alltäglich der Gottesdieust statt, wenn
auch mit grosser Schwierigkeit, da nnr drei G^iatliehe übrig ge-
blieben sind. In den Oemeindekircheu tat nur noch ein gana
kleiner Teil der Geiatliofaen am Leben, nnd auch von diesen aind
viele eehon krank, nnd andere aind fortgegangen. So sterben denn
die reclitgliiubigeu Christen ohne creistliclien Beistand und werden
ohne die Hilfe der (reisthcLeu hebtaltt-t. Sowohl iu der Stadt
als in der ümgebaug derselben liegen viele Leichen, welche von
den Hunden hin- und heigeierrt werden. £s ist niemand da, der
den Toten eine Grabe maeben könnte ; die Fnhrleate der Armen-
binser, welche die Leichen frOber lunansfahren nnd bei den
Armenhäusern Gräber gruben, sind selbst gestorben ; alle übrigen
Menschen, da sie solches sahen, haben sich entsetzt und fürchten
sich in die Nähe der Toten zu kommen. Alle Ämter sind ge-
achloBsen, die Beamten und Sobreiber sind alle gestorben. Unsere
Hftnser sieben leer, fast alle Ifensoben sind gestorben, nnd
ancb wir, deine Sklaven, erwarten stündlich, dafs der Tod nna
heimsQcbe. Ohne deinen Befehl, o Herr, dflrfen wir nicht in die
bei Moskau gelegenen Dörfer übersiedeln, wie wir der schweren
Luft hier wegen gern thäten ,, um nicht insgesanit hier wegzu-
sterben. Darum bitten wir dich, uns, deinen Sklaven, einen
solehen Befehl ansfsrtigen an lassen.**
Prooskijs Bemerkong, dais er stOndlieh den Tod erwarte,
>) Biebter a. a. O. IL Beilagen, teilt dieses Aktenstück nach einer
Abechrift mit; auf daa eigeDtliebe Schreiben Pronskijs folgen noch
weitere Anj^aben über den späteren Verlauf der Krankheit. S l.ö9
datifrf Rl 'litrr <]ri^: Schreiben fÜlschlioh 1665; der Sept. 163 (d. h. 7163
nach Erschatiun^ der Welt) entsj)richt dem September 1654; da das
Jahr bei den Russen damals den 1, September begann, so konnte Pronskij
163 im Sept. schreiben, er habe „im vorigen Jahre im Juli und
Auguüt" dem Zaren gemeldet u. s. w.
42
IhA Pest in fioTiland 1664
fand ihre Beatfttigaiig. Wenige Tage, nachdem er an den Zaren
geschrieben, war «r eine Leiehe (11. September). Einen Tag
spiter starb sein Genosse, der Fürst CShilkow. AUe „Gosti"
oder Hjandelsagenten des Zaren (ein Ansiinder bezmobnet sie ale
die ^Konimerzieiiiäte d» a Zaien'-j wareu gestorben. Aller Handel
und Verkehr iiorte auf. Kein Laden stand offen. Am furcht-
barsten wütete die Seache in dem sahireichen Gesinde der Mag-
naten» deren jeder Hunderte von Hanssklayen besafs. In manehen
BojBrenbftnsem blieben nnr 3 oder 8 SklaTon fibrig. Wir werden
spiter Zahlen Aber diese Yerhiltnisse mitteilen. Alle Ordnung
hörte auf. Es wurden mehrere Häuser ausgeplündert, ohne dafs
irgend eine Polizei vorhanden gewesen wäre, um dem Unwesen
£inhalt zu thnn. Die Sträflinge des Stadtgefangnisses befreiten
sich ans der Haft, entliefen aas der Stadt. £s gelang nur die
Hälfte derselben wieder einanfangen. Bsr Kreml war Öde und
Tsrlassen. Es war der Befehl gekommen, alle Zugänge zu dem*
selben zn schliefsen, alle Qitterthore herabzulassen; nur ein einsiges
Ffbrtchen sollte tagsüber zugänglich bleiben. Die Staatsdruckerei
stellte ihre Arbeiten ein. ^)
Leider haben sieh über das Wesen der Krankheit, welche
so entsetalich wütete, keine Nachrichten erhalten. Es fehlte an
Arsten sum Beobachten der Symptome. In den oben angefahrten
offiriellen Korrespondenzen findet sich keine Andeutung darüber.
*\V'ir wissen nicht, ob es die Beulenpest war, welche allerdings
in jenen Jahren in Westeuropa wütete, oder eine nmlere Seuche.
Nur bei Oleariusi weldier, nachdem er ein paar Jahrzehnte früher
in Hofsland gewesen war und Ton dort mancherlei Nachrichten
erhielt, findet sich folgende Bemerkung, welche Fachminnem viel-
leicht einen gewissen Einblick in das Wesen der Epidemie geben
mag: „Es entstand eine so git'Ligc Luft und grofse Pest iii iloskau,
dafs die Leute, welche ihrer Meinung nach gesund aus dem Hause
gehen, aof der Gasse niederfallen und sterben.** ^
«) Ssolowjew X. S. 370—371.
*) Olearins 8» 148, Es ist sehr su bedanem, dafs in den Kreiwen
der in Moekan, Tomehmlich in der sogensaatea „dentsohen Yoistadt**,
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Die Pest in Eufalaod iOoL
48
V.
Im September 1654 hatte die Seaohe ihren Höhepunkt eis
reicht. Vom 10. Oktober an nahm man eiae Abnahme der Starb*
Uchkett wahr; die Gefiihr, in welcher die Erkrankten geechwebt
hatten, wurde geringer ; die Fälle, in denen die letiteren genaseoi
wurden häufiger.
Inzwiaoheu hatte der Zar einen grofseu Erfolg auf dem Ge-
biete der aoBwärtigen Politik errangen. Die Stadt Smolenak war
in leiae Hinde gelülen (September). Alezei gedachte nnn fttr
«mige 2eit in aeine Hanptetadt inrfleksnkebren nnd die mili-
tirbehen Operationen im Kampfe mit Polen im Frfihling 1656
wieder aufzunehmen.
Als der Zar indessen am 21. Oktober auf dem Wege von
Smolenak nach Moekan in der Stadt Wjaama anlnncrte, stellte
aich herane, dafi er wegen der noch immer vorhandenen An-
ftecknngige&hr niehi weiteneiMn dnrfte. So blieb er denn mehrere
Monate in Wjaema. Kerher kam die Zarin mit den ändern,
nachdem sie einige Wochen in dem Kloster Koljasin verlebt hatte.
Von hier aus verfugte Alexei, dafs au allen Orten, wo die Krank-
heit gewütet hatte, über die während denelben stattgefunden habende
Sterbliehkeit statiatiaohe Erhebongen gemacht würden. Die Ergeb-
niaee dieeer Zihlungen werden wir aogleich mitteilen nnd erlttatem.
In Koskan hatte inawieohen der Bojar Iwan Waesiljewiteeh
MoroBow den Oberbefehl übernommen. An diesen schrieb der
Zar aus Wjiistiia ;irn 15, Januar 1655, er habe vernommen, dafs
viele Männer und Frauen, welche während der Epidemie ins
Kloster gegangen ieien, wieder in das weltliche Leben inräok-
gekehrt leien, eich Handel^geeehSften widmeten u. dgl. m. Femer
hahe die Tronkaveht, Banb nnd Mord infolge der Krankheit an-
genommen. Bar Zar verlangte eingehende Berie hto ra tattu ng ftber
lebenden Ausländer keinerlei Nachrichten über die Pest sich erhalten
haben. So fehlen denn a. B. in Fechnen sonst so instraktiver „Chronik
der evangelisdien Gemeinden tn Moekaa** eile Angaben Über die
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Di« BBit in BnlUMid 1654.
die sittlichen Znatinde in lEhnptetadt. Jbi einem Sebreiben
an den Fürsten Tscherkafskij vom 19. Janaar 1655 stellte Alexei
sein InilJigeü Erscheinen in Moskau in Aussicht. Er werde auf
kurze Zeit kommen, das Hauptgepäck in Wjasma zorücklaasen ;
er werde in der Hraptetadt eintreffen, nm vor dem Bilde der
heiligen Mntter Gottes sn beten, die Beliqnien der Heiligen m
▼erehren und dae Volk nach eoriel Knnuoer in erfirenen; er werde
«eine Familie nach Hoekau bringen und dann abermala ins Feld
sieben. ^)
Zuerst scheint die Zarin in der Hauptstadt erschienen zu
sein, als noch, wie es in der £LandBohrift aus jenen Tagen holst,
wenige dahin xnrüokgekehrt waren. Allmiihlich erschienen aneh
andere; so der Patriarch Nikon, welcher sogleidk bei seiner Bficfc-
kehr den Befehl gab, alle Hnnde an erschlagen, weil sie sich von
den Leichen der während der Epidemie hingerafften Menschen ge>
nährt hätten.
Sodann erschien der Zar in der unmittelbaren Nähe der
Hanptstadt. Eine Zeitlang blieb er bei den „Sperlingsbeigen*,
einer gelinden Anhöhe, Ton welcher ans man einen Bli<^ auf
die Hanptstadt hat, bis die letztere gana gesSnbert war. Dann
hielt Alexei seinen Einzug^, wobei es umfassende geistliche Feierlich-
keiten trab (Ende Februar 1655). Der Patriarch Nikon begräfste
den Herrscher. Es war ein doppeltes Fest. Man freute sich
des Aufhörens der Pest nnd der im Kampfe gegen Polen er-
rungenen Erfolge. Nur wenige Wochen blieb Alexei in Moskau,
sodann kehrte er an seiner Armee anrück.
Die Epidemie aber hatte noch kein Ende erreidit Hatte
sie im Sommer und Herbst des fahros 1654 in den zentralen
Gegendeil des Heiches gewütet, so wurde jetzt der Osten uud
Sttdosten des Beiches heimgesucht. Viele Ortschaften an der
Wolga, bis nach Astraehan hinab, verödeten. Schon im Jahre
1654 waren in diesen Gebieten viele Hensehen umgekommen; in
Weihnachten war dann eine Besserung eingetreten. Im Jahre
') äsolowjew X. S. 883.
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Die Fest in Baijland 1664.
46
1655 brach die Krankheit in noch höherem G-rade aas. i,Es blieb
nnr ein kleiner Teil der Menschen ul risT,« heifst es in einer
Handschrift.^) Wir erfahren, dafs der Zar im Sommer 1655,
am 17. Juni, Ton Sohkknr in WeifirnfaUpd mm inbetriff d«r
in Aitnelian ni ye rfD gc n den Hallingdn Befoble artoUta.*) Astr»-
öhan nnd Umgegend blieben Innge Zeit ein IclMaiioher Boden für
peetartige Erscheinniigen. Bowohl im 17. «Ig im 18» Jabrbiuidert
traten dort verheerende Seuchen auf. In nnsren Tapfen (1879)
setzte die in Wetljanka, in <1< r !Nähe von Astrachan, auitretende
Pest die ganie nvilirierfce Weit in Sohreoken.')
In den Jahren 1655 — 57 hörte anch im Zentrum dee Beiohea
die Gefahr der Krankheit und des Sterbens nicht auf. Wenn
man auch annehmen darf, dafs die Verluste wuit hinter denjenigen
des Jahres 1654 zurückblieben, so deutet doch eine Reihe von
Jäegiemngsmaferegeln darauf bin, dafs der aUgemeioe Gesnndheite«
nutand nodi lange kein normaler war.
Eui Aktenstück vom 2. Dezember Kiof) diktiert zwei Brüdern
lliloslawskij eine Strafe dafür, dafs ihre Mutter einen Erkran-
knngsfall in ihrem Hause geheim gehalten hatte, statt sofort ge-
hörigen Orte eine Heidung su machen.*) Am 30. Juli 1656
wurde die VerfÜgnag getroffen, dafa auf den nach den „unteren"
Städten, d. b. in die Ghegenden des unteren Laufes der Wolga
führenden Strafaen Schlai/bäume errichtet werden sollten. Von
dorther kommende Kelsen de sollten uuter keinen Umstäudeu iu
die Hauptstadt eingelassen werden. Bei Lebensstrafe war es ver-
boten, mit solchen Beisenden iigend welchen Verkehr su pflegen.
Alle Beisenden wurden angehalten, verhört, beobachtet; bei der
Ankunft durften sie nicht anders als in einer gewissen Entfernung
mit den Einwohnern sprechen. Jedermann hatte, wenn er ein-
') Richter a. a. 0. II. Beilagen S. 73.
«) Richter II. S. 167.
S. einige Angaben über Astrachan in den Jahren 1698— 98|
1727—98 u. s. w. bei Richter IL 8. 168-160.
*) VoUstiadige GenetMammlung, Nr. 168.
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46
Die M in BnUttid l«6i.
traf, an einer beetimmUm Stelle an&erlielb dar Stadt aieli einer
Art Qaarsntloe an unterwerfen.
In ?\I().skau nuissru jedenfalls im Jahre 1656 sehr bedenk-
liche Erkraukungstäile vorgekommen sein, da am 5. August eine
sehr strenge Yerordnung erlassen wurde, man solle von allen Er-
krankungen acUennigat Anaeige maehent damit die erforderliche
BewaehoDg der Kranken verftgt werden könne. Die Kleider der
Kranken lieft man Terbrennen, die übrigen Kleider dorebrCnekem.
In den Dörfern mufsten Kleidungsstüoke und Wohnungen zwei
Wüciicu hindurch der Kälte ausgesetzt werden, worauf dann drei
Tage hindurch mit Wermut geräuchert wurde.
Ja fast scheint ee» ala h&tten aich in den Jahren 1655 und
1656 die Eraobeianngen dea Jahrea 1664 wiederholt. Der Zar
yerftigte in einem JBrlalii an den Färaten Korakin allerlei Xala-
regeln , nm die IHnidileppung der Seaehe naeb Wjaama und
iSiiiolensk zu Terhüten (hiii 2G. Oktober 1655). Am 31. August
1656 wurde die Absenduug von Kurieren aus Moskau an den
die Kriegaoperationen leitenden Zaren verboten, ,,ura die Gesund-
heit nnaerea Yatera zu aobfltaen'S wie es in dem betreffenden
Aktenatttck helfet Besondere anadmekavoll lautet ein gMatliohea
Kanifeet dea Patriarchen Nikon vom 6. August 1656, in welehem
er das Volk ermahnt, durch religiöse Übungen, Beten und Fasten
Gottes Zorn zu besänftigen. In diesem Hirtenbriefe findet sich
die Bemerkung, dafs ob bei der Allgemeinheit einer so fürchter-
liehen Seuche keine Sünde aei, sich nach einem andern Orte an
begeben, bia die Gefahr der Anateckong vorftbergegangen aein
werde. Gott aelbat habe anf die Flucht ala ein Mittel der Bettnng
hingewieaen.^)
Die westlicher gelegenen Gegenden wjiren einige Zeit hin-
durch verschont geblieben. Nowgorod wurde überhaupt nicht
heimgesucht.^) Pagegwi blieb Sraolensk nicht frei. Im Jahre
1657 wurde dem Fttraten Dolgomkij Toigeechriebeui die yon
*) Rieliter a. a. 0. IL ä. 162—166. VoUstäodige Gesetzsammlung,
Nr. 184. 187, 188.
^) Richter a. a. O. Ii. Beilagen S. 75.
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Die P««t in EaXalaad 1654.
47
dorther kommenden, für den Zaren bestimmten Papiere in der
Drogomüowschen öloboda abschreiben und die Originale verbrennen
Folgende SchüdeniDg ftlwr die veriieerende Wirkung der
Pest in BuTsleiid findet neh in dem ^Theeitnim enropaenm'' :
„Zu der Zeit grassierte die abseheoKohe Sendie der PestUents
in Moskowieii derniiifson heftig. (IlUs auch die Mensclien auf den
Q«Men unbegraben lagen und von den Hunden gefressen wurden ;
wovon ne (die Hände) dann ganz rasend nnd toll die lebendigen
Hentchen angefallen, alfo dafe die Leate wegen dieser Bestien
' weder aaf dem Felde, noch in den Hkusem sioher sein können.
Dieses war die TTrsache, warum der Groftf&rst, welcher mit dem
Gros seines Heeres zehn Meil lauter Wjasma stunde, nach der
Moskau zu geben Scheu getragen." Sodann ist vou der Uneinigkeit
«wischen dem Zaren und Patriarchen die Rede, und dann heifst
es weiter: ,|Daraber nnn sein ganses £eioh an Strafe von Gott
mit der gransamen Pest besncht wnrde, als atiTor niemalen in
selbigem Lande gehört worden. Barinnen waren etliehe 100000
Menschen, ja in der Stadt Moskau allein über 300000 Seelen an
solcher Seuche verstorben, so gar, dafs auch keine Leute mehr
gewesen, die des Grofszareu ÖchloXs bewachen wollten. Danuenhero
die Thore an Moskau Tag and Nacht ofifen und ohne Wacht
gewesen. Dieweil anch auf dem Lande viel Dörfer ausgestorben,
als lief das Vieh haufenweise auf dem Felde herum, stürbe teils
Hungers, ward anoh teils von den wilden Tieren lerrissen nnd
verzehrt"'')
YL
Die vorstehenden ]\Iitteilungen gestatten im allgemeinen einen
Schlufs auf das Mals der verheerenden Wirkung der Epidemie,
welche Bulsland um die Mitte des 17. Jahrhunderts heimsuchte.
Glücklicherweise aber besitzen wir inbetreff der Sterblichkeit
0 Biehter a. a. 0. IL 8. 166.
^ Theatrum europaeum VIL S. 090, 689.
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48
Die Fest im Kufsiand 1664.
in Mittelnifiüand in den IConaten Juli, Angiut, September und
Oktober 1654 genauere Daten, welche erst recht geeignet sind,
eine YorstelluDg tou dem Unheil zu geben, das über daa »chuta-
lose Volk hereingebrochen war.
Der Zar Uefa» wie beretta oben bemerkt wurde, wihrend er
im Winter 1654 — 55 in WJaama weilte, im Beiember Erhebungen
Aber die Sterblichkeit in ICoakaa nnd andern Stidten snaannen-
stellen. Auszüge aus diesen Akten sind von dem (Tesciin hts-
forscher Ssolowjew in dem zühnten Bande seiner „Geschichte
Rarslands" mitgeteilt worden. Die Angaben sind besonders in
denjenigen Fällen Ton Wert, wo nicht blola die Zahl der Ver*
fltorhenen, sondern anch diejenige der Vbriggebliebenen Termerkt
lat. Solche DoppeliifiSam aind am besten geeignet, die GröHw
des UnglOeks zu ermessen. Wir können den Prosentaatz ermitteln.
Viel geringeren Wert liaben die Augaljen über die Zahl der
Verstorbenen allein, ohne dafs wir über den Rest unterrichtet
würden, oder die Angaben über die geringe Zahl der Uberlebenden*
Indeasen anehxdieae Zahlen sind beredt.
So s. B. wird berichtet, dafa von dem Personal der üspenakij-
Kathedrale nur ein Priester nnd em Bjakon übrig geblieben
seien. Tn der Verkündigungskirche bestand der Best aus einem
einzigen Priester.') In drei Palästen waren nur 15 Leibeigene
übrig geblieben.
Es waren gestorben:
Pefsonea.
in der Stadt Koetrowa 8947
n n n Kischnfj Nowgorod 1836
im Kreise der Stadt Nischnij Nowgorod .... 3666
in dt-r Stadt Wer*» ja und im Kreise derselben . . 1524
in dem Kloster Troiza und dessen Vorstädten . . 1278
In einer andern ebenfalls auf der Akropolis Moskaus, dem Kreml,
befindlichen Kirche horte aller Gottesdienst anf, weil der einsige übrig-
gebliebene Hilfsgeistliche daTOngelaofen war. In dem Bericht findet
sich femer die Angabe» dafs im Kreml vor lauter Schneemassen, wekdie
nicht fortgeräumt worden waren, kein Durchkommen sei. Ssolowjew X.
S. 371.
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Dio Pest in Eufsland 1664.
49
Hier kann also kein Prozentverhai tnis ermittelt werden. Da-
gegen erfahren wir viel G^enauerea über diese Vorgänge ftoa
foJgeiMUn Angaben, welohe wir in TertehiadeDe Qrappen aerlagciL
Ana dem oben mitgeteilten Sdueiben dei Zaren an ICoroaow
▼om 6. Januar 1655 «riabren wir, dala viele Lente Bettung go-
Booht bitten, indem tie in die KI5ster fiflehteten. Ans den An-
gaben über die Sterblichkeit in einigen in der Nähe der Hjuipt-
Btadt i>eliiidlichen Klöstern erfahren wir^ dafs hier die Verheerung
eine forohtbare war.
. . vr u "u • Sterbliohkeita.
starben blieben ubng zittw
Im Himmel&brtskloster 90 Nonnen 38 70%
„ Iwanowsehen Eloeter . 100 Höncbe 80 77%
„ Techndowkloster . . . 183 „ 36 87»
Bo dais in dem letzteren nahezu der Bewohner zu Grunde
ging und nur etwas mehr als Vjo ^^ng blieb.
Wir hörten oben, dsis in Hoshan alle Geschäfte mhten, alle
Amter geschlossen worden. Leider besiteen wir nnr eine Angabe
über die Sterblichkeit in Beamtt-nkreisen. Die Zahl der in der
„Gesandtschaftsbehörde", uIhv iiu auswärtigon Amt beschäftigten
Traualateurs betrug tiO Personen. Von diesen starben 30,
30 blieben übrig. SterbUcbkeitasiffer 60%.
«
Bereits oben wnrde bemerkt, dafs die Senehe beeonden arg
unter den Sklavenherden der Grofsen aufgeräumt hatte, so dafs
in manchen Häusern nur 2 oder 3 Sklaven übrig blieben. Wir
besitzen folgende Angaben über diese Verhältnisse in den „Höfen''
einiger Bojaren:
starben
blieben übrig
Sterblicfaketts-
siffer
bei Nik. Iw. Bomanow
. 353
134
78»/,
, Jak.Bnd.Tseherkarsky433
110
80%
„ Boris MoTMow .
. 343
19
„ Odojewskij
. 295
15
„ A. N. Trubezkoj
. 270
8
.'0
„ Stijesehnew . .
. alle bis
aof 1 Knaben lOO^,-
Bre«kiitr, BaJklMid.
50
Die Fest in Kufsland 1654.
Es entsprach dem Elend der sclileclit genährten, kümmerlich
gekleideten, zum Teil, wie wir aus mancherlei Quellen wissen, in
Lumpen gehüllten Haussklaven, dafs sie leichter als andere Gesell-
schaftsklauen der Seuche zum Opfer fielen. Die Verlaste, welche
die Herren erlitten, waren selimerslioh, aber nun Teil eine wohl«
yerdiente Folge derVerwahrlorangy welche lie an ihren Leibeigenen
verschuldet hatten. Keine der Sterblichkeitegruppen, von denen
wir Kundr liuhen, weist so Lohe ZitFern auf. Indessen ist der
Unterschied nicht beträchtlich. Auch in andern , besseren Ver-
hältniseen war man damals einem iaet sicheren Tode geweiht.
Folgende Ziffern beliehen sich auf einige Vorstftdte Uoskaosi
in denen allerdings vorzugsweise arme Leute lebten, die ein
kümmerliches Dasein fristeten:
itarben
blieben übrig
Sterblichkeit««
ziflFer
in
einer
Vorstadt . ,
. 173
32
85%
4»
n
zweiten . «
. 438
72
85»/,
11
dritten . .
. 320
40
89»/„
1»
yierten •
. 477
48
90%.
Leider besitsen wir keine weiteren Angaben über die Sterblich-
keit in Moskau. Wir dürfen indessen annehmen, dafs der Durch-
schnittsverlust mehr als die Hälfte betragen haben werde. J^ur
gibt es ein Bedenken, welches die Exaktheit obiger Berechnungen
in Frage an stellen geeignet istw In diesen Tabellen ist nnr von
Toten nnd Übrigbleibenden die Bede. Ob nicht, wenigstens in
Ttelen Füllen^ eine dritte Postengruppe fehlt? "Wir meinen die
Zahl derjenigen, welche sich durch schleunige Flucht der tödlichen
Wirkung der Seuche zu entziehen suchten. Wenn schon in ge-
wöhnlichen Zeiten das Entlaufen der Haussklaven an der Tages-
Ofdnnng war, wie wir ans nnafthligen, das Wiedereinfaogen der^
selben betreffenden Yerordnnngen wissen, so mochte die Lösung
aller Zncht nnd Ordnung, in solchen Zeiten der Epidemie, dem
Drange nach Freiheit, dem SelbsterfaaltUDgstriebe noch mehr Spiel-
raum gönnen. Erfahren wir doch aus dem oIh ij angeführten
Schreiben der Zarin an den Wojewoden von Kolomna, dals bei
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Die Pest in BofsUnd 1664.
51
der letzteren Stadt eine sehr grofse Anzahl von Flüchtlingen aas
Koflkaa eingetroffen war«
Wie weit aber die Flucht «u der Hauptetadt ein Bettongi-
mittel sein konnte, ist nieht leicht sn entecheiden. Kein Zweifel,
dafs ein grofser Teil der Flüchteiulen dem Tode nicht entmnn.
Die Beschweiden und Mülisale der Wanderung, die aligemem
herrschende Armut auf solchen Reisen werden die Wideratande-
iähiglceit der Menschen einer allgemein herrschenden Peet gegen-
fiber eher gemindert als gesteigert haben.
Auch war ja die Kmaklieit nicht auf die Hau])t8tadt be-
sciiräakt. Wir besitzen eine Reihe von Angaben über die Sterb-
lichkeit in einer Anzahl von Ortschaften in der weiteren ünigebnng
von Moskau. Der Bayon, den diese Punkte umfassen, ist gegen
600 Kilometer lang und gegen 600 Eäl<»neter breit» umfitTst also
ein Areal yon etwa 80000 Quadratkilometern oder 600 Quadrat-
nieilen. Dieses Territorium erscheint als besonders infiziert von
der Xrankheit. An der Grenze desselben Hegt westlich die Stadt
Wjasmaf wo der Zar Alexei wochenlang, ja monat>>lHi>!^ residierte,
um das Aufhören der Epidemie in der Hauptstadt absuwarten.
In diesem infisierten Gebiet wXre die Sterblichkeit in den
Städten von derjenigen ani' dem platten Jjande zu unteiKcheidon.
Ijeider äiefsen die Angaben inbezug auf das letztere hu spärlichi
dafs wir aufser stände sind, seu entscheiden, ob die Sterblichkeit
auf dem platten Lande stärker gewesen sei als in den Städten,
oder nmgdcehrt. Aus folgenden wenigen Beispielen läfst sich in
dieser Hinsicht keine Summe liehen:
. , , , «. . Sterhlichkeiti-
•tarben bheben Übrig ^^^^^^
in der Stadt Torshok . . 224 686 25%
im Kreise Torshok . . . 217 2801 7%.
Somit wäre hier die Sterblichkeit «tf dem platten Lande unver-
gleichlich geringer gewesen, als in der Stadt. Ein umgekehrtes
Ergebnis liefert folgendes Beiäpiel :
4*
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62
Die Pest in üufsland 1654.
ttarben blieben fibrig^ ^^^^^riffer^^**"
in der Stadt Kaschin . 109 300 260/o
im Kreise Kaschin . . 1539 908 63«/(,.
Die Mitte awischen diesen beiden Beiepieleo hfilt Folgende« :
SterbUohkeite-
itarben blieben übrig siffer
. in der Biadt Svenigorod . 164 197 45%
im !Kj8iee Swenigorod . . 707 689 60^1 q.
Sehr verschieden, aber überall sehr beträchtlich war das MtJm
der Sterblichkeit in folgetoden Städten:
, , Sterblichkeite-
starben blieben übng Ziffer
in Uglitsch 319 876 45%
9 Senadal 1177 1S90 45%
« Twer 386 388 46%
« Tula 1808 760„,^S23i,45%»)
„ Kaluga 1836 777 70o/o
„ FerejfrCsUw SaljeliBkg 3627 939 75%
„ Ferejafelaw BjBBMiek^' 2583 434 85%.
Somit stellt sich eine gewisse ÜbereinFti m nmng der Mortalität
in Moskau und in einigen Städten Mittelruislands heraus. Un-
gefähr die Hälfte der Bevölkerung mag in wenigen Monaten, in
den Sommer- und Herbstmonaten, der Senche sum Opfer gefallen
sein. Man darf für wahrscheinlich halten, dafs in dieser Hinsicht
kein wesentlioher Unterschied swischen den Städten und dem
platten Lande werde bestanden haben. Die Lebensweise der
grofsun ilajorität der Bevölkerung war in den Dörfern und Stiuiten
im wesentlichen gleich. Dieselbe Bedürfnislosigkeit, dasselbe
Elend, derselbe Mangel an Luft und Licht und Komfort in den
Häusern der Banem auf dem Lande, wie in den Wohnungen der
Armen In den Städten. Als einige Jahre nach dem ünheO des
^) Kann man ungefähr ebenso viele Übrigbleibende Personen weih*
liehen Geschlechta in Tola annehmen, so ist die Sterblichkeitasiffer ebea-
f aUs 46%.
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IMe F«8t in fiaftUnd 16M.
58
Jahres 1654 der Gesandte des Kaisers Leopold, Meyerberg, naoli
KnfHland kam, fertigte ein Zeichner im Gefolge dee Diplomaten
Abbildungen rnnisdier StSdto an. 3Sin Bliek anf die Aniicht
s. B. von Twer in dem Beisewerke Ifeyerbergs belebrt uns dar&ber,
dafs diese Stadt im (irunde nichts me})r war als t in tri ofses Dorf.
Twer, welches eiDst die Hauptstadt eines selbständigen Staates
gewesen war und in das Grofsfilrstentum Moskau einverleibt wurde,
machte um die Mitte des 17. Jahrhunderte mit seinen kUgliohen,
kflmmerlichen Holsh&nsem den Eindruck , als könne sehr wohl
die Bevölkerang der Stadt, deren HUfte hingerafft wurde, vor
der Pest nur die bescheidene Ziffer yon 724 Einwohnern betragen
haben. Eine grofse Stadt brauchte damals, um die Bedeutung
einer solchen zu haben, nur mehr einige tausend Einwohner zu
zählen. Ganz anders Moskau, welches um die Mitte des 17. Jahr*
hunderte, wie schon ans den in den Beisewerken des Olearius,
des Freiherm Ton ICeyerherg enthaltenen Plftnen der Stadt an
ersehen ist, ungemein stark beyölkert gewesen sein muTs. IMe
Hälfte der Bevölkerung von Moskau, welche etwa von der Pest
hingeraöt wurde, mag sich auf ein paarmalhuuderttausend Menschen
belaufen haben.
vn.
Vergleichen wir die Sterblichkeit in Bufsland während der
Epidemie des Jahres 1654 mit ähnlichen Erscheinungen in "West-
europa, so stellt sich heraus, dafs das Verhängnis, welches über
die nnglttckliche Bevölkerung des Zartums Moskau hereinbrach,
an Fnrchtbwkeit den schlimmsten Ensen dieser Art in andern
Gegenden nicht nachstand. Sowohl der schwarse Tod, welcher
im 14. Jahrhunderte wütete, als auch die Epidemien, welche
während des 17. Jahrhunderts fast alle Länder heimsuchten, haben
die Bevölkerung Westeuropas nicht ärger verwüstet, als die Seuche
Ton 1664 diejenige BuXslands.
Es beruht mehr auf Sehfttsnng und Annahme als anf Zfth«
lung, wenn man den Gesamtyerlnst an Menschen infolge dee
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54
IHe Peet in Bofaland 1654
schwarzen Todes in Europa auf 25 Millionen, im Orient aus«
BchlieTslich Chinas auf gegen 24 Miilionen, in China auf 13 Mil-
lionen bedffert. Die Summe yon 1S44434 in Beatacfaland bei
dieser Gelegenheit yerloren gegangenen Menschenleben erteheint
mSTsig gegenüber den Verlusten in Bnfsland im Jabre 1654.
Wenn wir dagecfcn erfahren, dafs in Venedig in kuiv.or Zeit
100 OOO Menschen, in London 100 000 Menschen, ^) in Gaza in
sechs Wochen 22000 Menschen, in Wien eine Zeitlang 1200 Men-
schen täglich gestorben sein sollen, so erinnert das an die Schreck-
nisse in SnTsland nm die lütte des 17. Jahrhunderts. Dafs m
England überhaupt nur 10 ^/^ der Bevölkerung übrig geblieben
sein sollen, nachdem der schwarze Tod dort gewütet hatte, er-
scheint übertrieben, glaublicher, dafs in Fiuukreich an einzelnen
Orten nur 10 der Menschen am Leben geblieben seien.')
Wie in Ünlaland die Seuche des Jahres 1654, so mag auch
der schwarse Tod in Westeuropa sn manchen Orten besonders
arg gehaust haben, so dafs mehr als die HftUte der Bevölkerung
weggerafft wurde. So z. B. soll die Insel Hallorka bei dem
schwarzen Tode der Bevölkerung verloren hal » n ; in Marseille
starb über die Hälfte der Bewohner dieser Stadt; in Holstein
wurde der Verlust an Menschenleben auf -/g der ganzen Be-
völkerung, in Schleswig gar auf '/^ gesch&tst') Solche Sterb-
licUkeitsziffem too 50, 66, 80 ^/^ finden sich, wie oben geseigt
wurde, in RuTsland an Tenehiedenen Orten und bei Terschiedenen
Gruppen von Menschen. Auch die Erzählung, dafs in dem Berg-
distnkt von Wermeland in Schweden infolge der Verheerungen,
welche der schwarze Tod anrichtete, nur ein Jüngling und zwei
Mädchen übrig geblieben sein sollen, findet ihr Analogon in
•) Das Aussetzen der Sitzungen des enf^lischen Parlaments während
des schwarzen Todes erinnert an eiits])rechende Erscheinungeu iu Rufs-
laud 1^54, wo alle Behörden in Moskau ihre Thätigkeit eixistellten.
Hecker, Die grofoen Yolktkrsiikheitea des Jßttelslters. Berlin
1866, S. 46-60.
*) Haeier, Geschichte der epidemiichen Krankheiten. Jena 1666,
8. 136.
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Die Fert in Baftknd 1664. 66
manchem Zuge der grofsen ISterbhclikeit ia Boisiand um die
Mitte des 17. Jahrhundert«.')
Dieee leistere Encheimiog stand in jener Zeii nicht Tereinaelt
dft. Dm 17. Jalirhiindert war anoh anderswo eine Zeit furcht-
barer Krisen solcher Art. Die Pest rftnmte ftst überall in ent-
setzlicher Weise auf. Führen wir einige Beispiele an. Im Jahre
1637 ßtarben in Giiistrow 20000 Menschen, in Neubrandenburg
8UU0 ; im Jahre 1629 wurden in Verona 32 8UÖ Einwohner von
der Pest weggera£ft, in L^den im Jahre 1635 20000, in Kopen-
hagen im Jahre 1664 über 9000« in Qenna im Jahre 1666
60000 ; in dem proTengalischen StSdtchen Digne starben im Jahre
1639—1630 von Jmii bis April TOn 10000 Binwohnem 8500;
die Pest, welche 1605 in London wütete, raffte im ganzen 69 000
Menschen hin; in einer einzigen Nacht starben 4000 Personen;
Wien verlor im Jahre 1679 an der Pest 76921 Menschen, Prag
im Jahre 1681 83040. In Ifagdebnig starben im Jahre 1681
4600 Menschen; von 600 Schnlkindem sollen in dieser Stadt nur
18 ftbrig geblieben sein ; Halle verlor in demselben Jahre die HXlfte
seiner Bevölkerung ; es starben dort von 10 OüÜ Menschen 4397.*)
Wir haben aus den Annalen der Epidemien die aliererachüt-
temdsten Vorkommnisse herausgegriffen; wir haben von allen in
medisiniBch-historisohen Schriften angefahrten Beispielen einer
groisen Hortalitftt die aUerhdchsten Ziffern gewtiblt. Vergegen-
wftrtigen wir nns die oben angeführten Angaben über die Senche
in Rafsland im Jahre 1654, so haben wir den Eindruck, dafs
das Unheil in Moskau und ui dessen Umgebung sehr wohl mit jenen
haarsträubendsten Epidemien in Westeuropa verglichen werden
kann; jai man darf für wahrscheinlich halten, daTs die Vorg&nge
in Biilhland im Jahre 1664 noch ersohflttemder gewesen seien als
die icgsten ünglUcksfUle dieser Art, welche anderswo Torkamen.
Der Mangel an Mitteln, mit denen man der Senche in Bnfsland
begegnete, der (Tloichmut. mit welchem man Hunderttausende weg-
sterben lieJja^ ohne irgend energische Maikregeln zu ergreifen, das
Oeger, Schwediiche Geschichte L S. 186.
■) Haeaer a. a. 0. 8. 668 ff.
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56
Die Peet in BuCiland 1664.
gÜD/Jiche Pehlen ärztlicher Hilfe — alles dieses entspricht den
Zuständen in orientalischen Reichen. Indien und Persien mögen
«och Bodi später ähnliche Episoden erlebt haben und «oeh heute
noeh erleben kftnnen. Im 17. Jahrhundert entsprach Koskowieik
aiemlich genaa der Ealturstnfe asiatiBdier Beiohe. Um so wehr-
loser waren die Bewohner desselben den Veriieerungen von Epi-
demien preisgegeben. Mehrere Jahrzehnte vor der Epidemie von
1654 gab es in Rufslnud schon ausländische Arzte, aber ihre Zahl
war gering, nnd ihre Thätigkeit war auf die Erhaltung der Go-
snndheit des Zaren und einiger Grofsen gerichtet. Dem Volke
kamen die ans Westeuropa berufenen Amte, die von westeuro-
päischer Intelligenz ins Leben gerufenen Apotheken in Uoskaa
nicht zu gute. Auch scheint es gerade in den Jahren der Pest
1654 — 56 an Ärzten überhaupt in Rufsland gefehlt zu haben ;
nnmittelhar danach waren hervorragende Mediziner wie Coliins,
JEUnhuber, Blnmentrost u. a. am russischen Hofe thätig. An
allgemeine Sanitätspoliaei, an Hafsregeln aum Bchutae des Yolkes
dachte man auch später noch lange nicht.
Der Eintritt Bufslands in die europäische Völkerfamilie, in
das europäische Staatensystem änderte auch in dieser Hinsicht
wie in andern Beziehungen vieles. In späteren Zeiten, als die
Begierung sich ihrer Pflichten dem Volkawohl gogenüber mehr
bewuTst geworden war, konnten Epidemien nicht so heftig auf-
treten» als dies um die Mitte des 17. Jahrhunderts der Fall ge-
wesen war. Als Beleg dafttr läfst sich die Pest anfahren, welche
im .Jahre 1771 in Moskau wütete. So furchtbar die Seuch« auf-
trat| so viel Aufsehen dieselbe erregte, während die Epidemie
von 1654 aiemlich spurlos an den nicht unmittelbar beteiligten
Zeitgenossen Torttbetgegaogen war, so scheint doch 1771 erstem
die Sterblichkeit in der alten Hauptstadt lange nicht so Terheereind
gewesen su smu wie 1654, und swettens gelang es durch energischere
Quarantänemafsregeln, die Verbreitung der beuche auf eiu weiteres
Qebict zu verhindern.
Gehen wir noch ein Jahrhundert weiter, so ist die Sterblich-
keit in Zeiten von ansteckenden Krankheiten in unaem Tagen
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Die Fest in EuTsIaad 1664.
57
noch bedeutend geringer. Man nimmt an, dafs in den fünfziger
Jahren des laufenden Jahrhunderta 1 ^/^ der Bevölkerung von
Europa an der Cholera erkrankt und etwa die Hälfte der Kranken
geatorben sei. Selbtt daa heftigere Auftreten der Krankheit in
einaelnea Stidten, wo 1 % der Einwohner erkrankte und Vg %
etarb, ') eraeheint gaas unbedeuteikd gegenfiber den Vorgängen in
liuiäland im Jahre IG 54.
Man acheint im 17. Jahrhundert in Moskowien das Gefühl
davon gehabt zu haben, dafs <^rund vorhanden sei, sich solcher
Yorgftnge^ wie deijenigen des Jahres 1664, an schftmen. Schon
am Anüuige des Jahrbnnderts hatte der Zar Boris Godnnow
während der Hnngerjahre, in denen das Volk haufenweise weg-
starb, Mafsregeln getroffen, um westeuropäische Gesandte, welche
in dieser Zeit nacli Rufslund kamen, über die SHchlago zu täuschen.
AbnlicheB scheint unmittelbar nach der Epidemie des Jahres 1654
geschehen sn sein. Als 1655 der Tenesianische Gesandte Vimina
m
nach Hnfsland kam, gelangte er gar nioht in die Qi^enden des
Beiefaes, in denen die Pest gewütet hatte. Uaa lieTs ihn nach
Smolensk reisen nnd wies ihm überall seine Wohnungen in solchen
Stadtteilen an, wo die Bevölkerung am dichtesten erschien. Es
geschah dies auf ausdrücklichen Befehl der Regierung. Der
italienische Diplomat wurde, wie andere derartige Reisende in
BuAland, stark heaufsiohtagt, fortwfthrend bewacht. Man mochte
daf&r sorgen, dab er nichts XTngilnstiges über Eufsland hörte.
So erklärt es steh, dafs er in seiner Schrift „Kelasione della
MoBCOvia" die wunderliche, den Thatsachen entgegengesetzte Be-
hauptung niederschreiben konnte ; „non si sente il saggio di morbo
pestUentiale^. So war es möglich, dafs auch der Leibarzt des
Zaren Alezei, Gollins, welcher etwas später nach BoTsland kam,
obenhin bemerken konnte, es seien allerdings in Buisland ein paar
Tausend Henschen an der Fset gestorben.
») Haeaer a. a. 0. S. 787.
*) S. die Denkmäler der diplomatischen Beziehungen Bosslands,
Band X. S. 863.
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Die HersteUungskosten eines Buches
ini Jalire Iß-iO*
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Im Sommer 1648 fafste der Ztir Alezei Hichailowitsch nach
einer eingt liuiiden Beratung mit geistlichen und weltlichen Würden-
trägern den Befichlufs, ein neuea Gesetzbuch ziuammcustellcn zu
lassen. Xaa Bammelte die früher von den Zarat^ GrofsfUrsten
und Bojaren erlaaMDan Gksetae und Yerordniingmit verglich die-
selben mit den Beetimmnngen Mherer BeohtebfieheTf enohte die
Ltteken der Geietsgebting anasafunen. Eine ane fünf Personen
bejsteheude Redaktionskommission unterzog sicli der Arbeit der
Sammlung and Sichtung des vorhündcueti Materials; für die An-
nahme und Beatätigang des Gesetzentwurfs wnrde eine Ver-
Mmmlnng von Volkevertretem berufen. In etwas mehr als drei
Monalen hatte die Bedaktionskonuniasion ihre Arbeit vollendet.
Vom Oktober 1648 bis Jannar 1649 erfolgte sodann die Lektfire
des Entwurfs in der Deputiertenversammlung, die Annahme des-
selben, die Aiiterti^'ung einer Reinschrift. Am 29. .Inauar 1619
ward das neue Gesetzbuch („Uloshen^e*^) bestätigt und man konnte
mit dem Brücke desselben beginnen.
Das Original der Urkunde aof einem Streifen Pa|»ier von
434 Arsohin (gegen 300 Meter) Ist voUstSndig erhalten. Es er-
sebienen im Dmok 1649 drei Avflagen und ipKter ist dann
dieses Gesetzbuch nichL vvoriiger als dreizehnmul gediuckt worden;
auch Übersetzungen in das l»ateinische, JTranzösische und Deutsche
wurden verbreitet.
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62 Die Herstellungskosten eines Buches im Jahre 1649.
KenerdingB ist im Archiv zu Moskau ein Aktenstück auf-
gefundou worden, welches über die Herstellungskosten des Gesetz-
buches von 1649 Auskunft gibt. Es ist eine spezifizierte
Aechnimg Aber alle bei der Drucklegimg des Gesetzbaches Ter*
brsiiebten Mste r i a lien » sowie Aber die bei dieser Gelegenhttt sn
die Arbeiter gesahlten Ldhne. (Dieselbe ist abgedmokt in dem
„Magasin des Arohlologisehen InstitQts*'^ 8t. Petersburg 1879.
Bund II. S. 21 — 30.) Beim Durchlesen der sehr eingehenden
Angaben drängen sich manche kulturhistorische Betrachtungen
auf, welche wir in den folgenden kurzen Bemerkungen susammen-
fassen wollen.
Wir sdiifiken TomiB, dab das Buch, dessen Lihalt in der
▼ollstiadigen Gesetssammlnng 160 Spalten fiUlt, etwa 80 Dmck*
bogen oder gegen 300 Seiten mäfsigen Okta^formats entspricht.
Die erste Auflage betrug 1200 Exeniphire. Die Gcsamther-
äteilungskosten der ganzen Auflage betrugen 952 Üubci. Davon
kam über die Hälfte, nämlich 506 Rubel, anf das Papier; an
Arbeitslöhnen an die Setzer, Buchbinder ete. wurde besahlt
320 Bubel; so dafs auf alle ftbrigen Kosten eine Summe von
gegen ISO Bnbeln verwandt wurde.
In gewissem Sinne verdient dieser letzte, aus einer grofsen
Menge kleiner Beträge zusammengesetzte Posten um meisten Be-
achtung, weil derselbe auf eine sehr wenig vorgeschrittene Arbeits'-
teilung im Druokgewerbe sehlie&en läfst. Während heutzutage
Druckereien die Bruokerschw&nse, welche in grofsen Fabriken
in gewaltiger Menge hergestellt wird, dureh den Handel sn be-
ziehen pflegen, mufste die Druckerei in Hoekau um die Kitte des
siebzehnten Jahrhunderts alle zur Bereitung der Druckersrli\v irze
und anderer Farben erforderlichen Hilfsstoffe auf dem ilarkte
kaufen und viel Arbeit daran wenden , das fertige Material für
den Druck zu gewinnen. Da finden sich denn in der Rechnung
z. B. folgende Posten: 16 Pfund Zinnober, 70 Krüge Farbe für
„Tinte« oder „SehwSrse«', 2 Pfond weifte F^be, 1 Stflek Gummi,
„einige Stücke Farbe", 2 Mafs Asche für Lauge u. dgl. m.
Auch die Bürsten wurden nicht gekauft, sondern in der Druckerei
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Die Hentellangskoatea einM Buohes im Jabra 1649. 63
angefertigt: wenigstens findet sich ein Posten von 7 Pfund Borsten
„für Bürsten 6 Pfund Pech „für Bürsten« u. s. w.
Ebenso gibt ei aodere Angaben, welche darauf schlielaen
laaaen« dab das tum Dmck «rforderiiehe Material den Typographien
nicht fertig geliefert wurde, aondem daia man, ehe man mit dem Satz
und Druck beginnen konnte, eine ganze Reibe von Vorarbeiten
erledigen muiste. Derartige Posten in der Rechnung sind z. B.
folgende :
3600 Nägel,
1 Päd 30 Pfund Knhbutter für daa ölen der Bogen und der
PresBO.
267 Arschin Leinewand,
ein lialbeb ilara Alelil für Kleister,
ein Back Kohlen,
4 Faden Eisen,
20 Packchen Bast,
13 Btricke u. s. w.
Leider erfahren wir nicht, wie viele Arbeiter bei der Her-
Stellung citri iJuchea verwandt wurden, wohl aber, wie lauge die
Arbeit dauerte, nämlich „einen halben Monat und zwei Tage".
£in solcher Zeitraum erscheint sehr gering. Dals ein immerhin
um&agreiches Bach bei der damaligen unvollkommenen Technik
in so kurser Zeit hat gesetzt und gedruckt werden können, ist
-vieiUeioht daraus an erUiren, dafii es wflnsohenswert erschien,
das neue Gesetzbuch möglichst schnell zu verbreiten. Kan darf
aniitliiiien, dals die Zahl der Arbeiter, welche Zeitlohn erhielten,
sehr bedeutend gewesen sein müsse. Die Summe von über
300 Kübeln, welche an Arbeitslohn gezahlt wurde, erscheint bei
der sehr grolsen Miinaeinheit jener Zeit als sehr beträchtlich.
Allerdings haben wir Beispiele, daJs in Jener Zeit, wo die gewöhn-
Hdie Arbeit sehr niedrig im Preise stand, die quali6zierte Arbeit
— und zu dieser gehörte selbstverständiich die Leistung des
Setzers, Druckers, Buchbinders — fiekr teuer bezahlt werden
mnlste. Gleichwohl erscheint der Posten von über 300 Itubel
um so bedeutender y als es u. a. eine Notiz in der Beehnnng
Digitized b\tGoogIe
64 Die HanteUungskosten eines Baches im Jahre 1649.
gibt, dafs „die Konrektoren und Scbreiber'^ oder Bennien 1 Röbel
25 Kopeken erhalten hätten. Dieser Umstand bestätigt die
Annaliiiie, dafs eine beträchtliche Anzabi von Altsnbchen bei dem
Drucke des Geaetzbuches beschäftigt gewesen sein müsse.
Nieht alle Anigaben werden sorgfiUtig ansemvider gehalten.
2ttm Sdünsae der Beohnnng findet sieh folgende tununarieehe
ZueammenfasBong : ^.Aufserdem yerschiedene Unkosten für Holz
und Kühlen uud l^lei, für kleine Spesen, für Papier und Tinte,
Eisen und Kupfer, für Reparaturen, für die Prachteinbände der
für den Zaren und den Patriarchen bestimmten £xemplare, für
Semmeln (KaJia<iii)i welohe die Arbeiter erhielten, für den Qeist*
liehen I welcher den Dankgottesdienet abhielt , für Wachs- und
Talglichte n. s. w. — 24 Bnbel 91 7, Kopeken."
£8 scheint also die glückliche Vollendung der Arbeit mit
einer YerteUnng von Weifsbrot an die Arbeiter and mit einer
kirchlichen Zeremonie gefeiert worden an sein ! Indessen erfahren
wir ans der Bechnnng, dafs die Arbeit nicht ohne Hindernis
▼erlief nnd dafs ein Teil des Boches — nngefHhr der fünfte Teil,
— nachdem das Ganze fertiggestellt worden war, umgedruckt
werden raufste. Die Veranlassung dieser Verzögerung bei der
Yollendang der Arbeit ist ans nicht bekannt.
An Freiexemplaren erhielten : der Zar 6 Exemplare mit Gold-
schnitt and 8 in ein&ohem Einbände, der Patriarch 9 Exemplare
mit (irolilschuitt und 1 in einf;u Iriu Kinbande; von den 5 Exemplaren,
welche die Korrekturen (rnpai iuHKii) erhielten und welche vielleicht
den beträchtlichsten Teil ihres Lohnes ansmaohten, ist über die
Art des Einbandes nichts gesagt.
BeTor man an das Umdrucken eines Teiles des Baches ging,
hatte man die Herstellungskosten desselben auf 828 Rubel berech-
ueif und ermittelt, dals jedes Exemplar auf 69 Kopeken zu stehen
gekommen sei. Darch die Mehrkosten des Umdruckens, im Betrage
von 134 Habelni wnrde der Kostenprets eines jeden Exemplares
am 20 Kopeken erhdht, so dafs das Exemplar 79 '/^ Kopeken,
in rnnder Snmme 80 Kopeken kostete. Wir wissen nicht, an
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Die HersteUaagskosten einet Buche« im Jahre 1649.
65
welchem Preise das Buch dem Publikum verkauft wurde. Es
wird »chwerlich mit weniger ab 1 Babel beiahlt wordeo mm.
Da entsteht denn die iVage, ob ein solcher Preis hoch oder
niedrig erscheint?
Bei Beantwortung dieser Frage bat man zuerst eich von
dem damaligen Werte eines Bubels, von der Gröfse der dam»-
Ilgen MUnaeinheit eine Yorstellmig sn machen. Pafllr gibt es
etwa folgende AnhaltspiinJcte.
An der Hand von Ansgabebticliei n aus jener Zeit, welche
sich eriialten haben und (iegenstand wirtschafitebistoriflcher Unter*
sadnmg geworden sindy auf Grund einer grofsen Menge yon
Angaben in den Yerordnnngen der Begienug n. dgl. m. erfahren
irir Über die Preise jener Zeit n. a. folgendes: ein Tsohetwert
Boggen kostete 40 Kopeken, ein Balken Ton 25 Fufs Tvänge —
lYg Kopeken, 1 Pud Schwt'inefleisch 11 Kopeken, ein ll;ilin
3—4 Kopeken, 10 Stück iiier — 1 Kopeken u. s. w. Butter
ist in der Dmckereireolmnng mit 2 Kopeken für das Pfund auf-
gef&hrty was ttngefiUir andern Angaben ans einer etwas spftteren
Zeit (90—180 Kopeken fOr ein Pnd Butter) entspricht.
Man erkennt leicht, dafs wir durcli sololio Angaben von den
Lebensmittelpreisen uns viel leichter als durch Yergleichung des
Geldwertes oder der Münxeinheit eine Vorstellnng davon machen
können, ob die Heratellmigskosten des Gesetsboches gering oder
hoch erscheinen.
Man nmfste nSmlich, um ein Exemplar dos Gesetzhuches zu
erstehen, ebensoviel beztihlun, als 20 — 30 Pfund Butter kosteten,
oder ebensovieli als 2— 3 Tsohetwert Boggen an stehen kamen,
oder ebensoviel, als maa l&r 1000 Stflck Eier anssugeben pflegte.
Mit andern Worten: der Preis eines Bxemplares eines Bnches
von gegen 800 Seiten mXrsigen Oktavformstes stellte sich so
hoch, dafs derselbe, wenn nirtii div heutigen Preise für die
wichtigsten Lebeusmittel berücksichtigt, zu uusern Zeiten etwa
dem Satze von 20 bis 30 Rubeln gleichkäme. Es bedarf keines
weiteren Beweises daf&r, dals in den lotsten Jahrhonderten die
Braeks«r, BvAlsad. 6
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66 HeratelluDgskosten eines Buches im Jahre 164d.
HenteUnngskosten der geistigen Sp«M rioli erheblich ▼«rmiiidert
Laben und keiner weiteren Ausfüliruii^^ über Jie grof-i' Jit'duutuiig
dieser Erscheinung, welch© ja auch sonst allgemem bekannt ist,
aber durch die Illustration an einzelnen Beiapieleny wie in dieser
fiflohtigen Skiase, «a Anschanlichkeit gewinnen mag.
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Des Fatriarcljien ^ikou Auägabebuch lü52.
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Wenn schou übtthaupt von Seiten der Geschichtsforschung
das wirtschaftliche Leben anvergleichlich weniger beachtet wird,
als das politische, so gilt dies ganz besonders von der Privat-
wirtachafl» deren Geechiehte biaher Uai gar nicht anteraneht worden
igt, wihrend aiehy ▼omehmlioh in dar letitan Zeit, die Staata*
wirtaohaft denn deeli einiger Anfiaerkaamkeit von aeiton der
Historiker zu erfreuen gehabt hat. Die Finanzgeschichto einiger
Länder ist bogar durch tüchtige Werke vertreten , und einzelne
dAbin gehörende Monographien zählen zu den anziehendsten £r-
leogniaaen der hiatorisoh-ökonomiachen Litterstnr.
AOerdingB ist es leichter Finaoagesohichte sn achreiheii, als
grdJjiere, nmfaasendere wirtsehaftageaehiohtlifihe Stoffe sn behandeln.
Es ist nicht blofs die Bmchrftnknng des Gegenstandes, welche
die Bearbeitung finanzgescbichtlicher Fragen erleichtert, sondern
auch die Anlehnung au das oft durchwanderte, in Zeiträume ein-
geteilte, nach bekannten Erscheinungen gegliederte Gebiet der
gewöhnlichen Geachichte politiaoher Begebenheiteni nnd femer
der Umstand, dafa reieUicherea, bequemer snginglichea Haierial
fttr die G^esehichte der StaatswirtaehAft yonraltegen pflegt. Ab-
gesehen von den vielen Geschäftspapitren und ReLlinungeu der
Finanzbehörden sind die vielen (lesetze und Verordnungen, die
atindiachen Verhandlungen und Kammerdebatten, mit der damit
anaammenhingenden pnblisiatiaohen Erörtemng finaniieller Pro-
bleme, ein nneraehdpflicher Stoff fttr den Finanahiatoriker. Der
innige Zusammenhang swiachen der Staaiawohl&hrt fiberhanpt
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70
Des PatriArchen Nikon Ausgabebuch
und den Schicksalen des Budgets, zwischen den rein politischen
Ereignissen und dem Steigen und Fallen der StAatspapiere,
swischen den allgemeinen politisch-ökonomieolien Zuständen and
etwa den Stenerertrftgnissen — erleichtert im weBentUehen dem
HiBtoriker das in fiülende Urteil.
Die aodem Gebiete der Wirtschaft sind nur in einem ver-
hältnisniärsig geringeji Teil abhängig von der Politik. Ihre Ge-
sciiiciite mufs eine völlig selbständige Periodisierung haben. Nur
in seltenen Fällen wird hier eine Anlehnung an sehen bekannte,
▼erarbeitete Besaltate der hergebrachten Qesehichtsforschnng statt-
finden kdnnen. Die Geschichte der Privatwirtschaft ist noch zu
schaffen : nicht einmal im Entwurf besteht sie. Kern Bohmsterial
ist für dieselbe aufgespeichert. AVer sich auf dieses Gebiet wact,
mufs sowohl das Material herbeibringon , als es herrichten ; er
hat nicht blofs das Detail zu erforschen, sondern auch die all-
gemeinen leitenden Gesicht^nnkte su bestimmen, nach denen das
Material sa ordnen ist. Jeden Augenblick sieht er sich auf noch
völlig nnbegangenen Ffkden.
Um so erfreulicher ist es, wenn einmal ausnahmsweise die
ameisenartig sammelnde, mehr quantitativ als qualitativ arbeitende
Geschichtswissenschaft wirtschaftshistorisches Kohuiaterial liefert.
Wir sind in dem Falle^ für die folgende Darstellnng solches Boh-
material benutzen an kdnnen.
Der wirischsltshistorisehe Stoff, dessen Verarbeitung den
Gegenstand d>-v loigendeu Darstell iin;,' bildet, iüt dem Leben
Nikons entnommen. £s handelt sich um einige Monate der Privat«
Wirtschaft Nikons.
Im Jahre 1852 bereite TerÖffentlichte die Moskauer Gesell-
schaft für Gesehichte nnd Altertflmer Bnfslands „das Awgabe-
bnch Nikons*' in dem Zeitranm Tom 14. Desember 1651 bis zum
5. August 1653.^) Der Herausgeber war nicht in der Lage,
') In den Schriflen „Wrsmennik'* der Hoskauer Gesellschaft, Band 18,
][stenaUen,& 1-62.
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Des Fatharcheii Nikon Ausgabebuch 1662.
71
dieser Edition eine irgendwie unterrichtende Einleitung voraus-
zuschickeu oder dieselbe mit einem Kouimei\tar zu begleiten. Er
bemerkt nur mit kurzen Worten, daTs das Ausgabebuch Nikons
in mehr «Is euer Besiehong Aufmerksamkeit verdiene* Es ge-
wShre etnen Einblick in das private hftusliehe Leben Nikons; es
enthalte mancherlei Angaben über die Preise verschiedener
Gegenstände um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts und
gestatte uns einen Begriff zu erlangen vom Stande der damaligen
Technologie.
Kur selten und in sehr nnsnlSnglicher Weise haben die mssi-
sehen Historiker in den Jahren, welche seit jener Publikation
verstrichen sind, anf dieselbe Bflcksicht genommen. Dieser Um-
stand Eengt eben wiederani davon, dafs die Wirtschaftsgeschidite
nur wenig Beachtung findcL An eine Würdigung und Verarbeitung
derartigen Rohmaterials hat bisher noch niemand gedacht.
Wir beabsichtigen dasselbe vorwiegend in zwiefacher Beziehung
ansanbenten, indem wir snerst mit HiUe der Bachhalterei Nikons
nns eine yorstellung an bilden versuchen von den VorgKngen in
dem wirtschafflicfaen Leben emes angesehenen rassischen Kirohen-
fürsten jener Zeit, indem wir zweitens die Preisangaben im Kassa*
buche Nikons als Material für eine Geschichte der Preise benutzen.
Die Vergleichung der wirtschaftlichen Zustände jener Zeit mit
den Ereignissen der dkonomisebsn Entwriokelung in der Gegen-
wart dürfte in mehr als einer Besiehung lehrreich smn.
Vergegenwärtigen wir uns zunächst den Zeitpunkt in Nikons
Leben, auf welchen diese hauswirtschaftlichen Notizen sich beziehen.
Nikon wurde im Jahre 161S im Gebiete von Nishnij-Now-
gorod als der Sohn eines Bauern geboren. Schon wibrend seiner
Kindheit las er viele geistUcbe Bficher und trag sich mit dem
Gedanken, sich dem Mönohsleben zu weihen. Indessen widmete
er sich vorläufig nur dem Priesterstande und heiratete. Nach
zehnjähriger Ehe trennte er sich von seiner Frau, weil beide
den BesohluTs fafsten ins Kloster zu gehen. Nikon lebte sodann
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72 Dw FairiaNlken Nikon Ausgabebneli 1668.
auf eiDer Insel im Weifsen Heere in der NShe des Elosters Solo*
wesk; die Brfider der geistlidien Gbmeinsdiafty der er an-
gehörte, suchten die EiHäuiakcit ; jeder hatte seine Zelle etwa
2 Werst ( '/^ Meile) von der Zelle des nächsten Nachbars entfernt
am Ufer des Meeres ; man nährte sich nur von Fisch und Broten.
Wie ^iele Ehrgeisige, welche eben um ihres Ehrgeises willen
sich dem geistiidien Berufe widmen, am rascher von Sfcnfe ni
Stufe an steigen, so Terstand es aneh Nikon, stob den Weg an
sehr hohen Ehren und Würden zu bahnen. Als er einst in An-
gelegenheiten des Inseikiosters eine Reise nach Moskau unter-
nehmen moTste, gelang es ihm während seines Aufenthaltes in
der Hauptstadt die Anfmerksamkeit des Zaren anf sich an lenken*
Alezei KichailowitBch befiJUi man solle Nikon snm Archimandrit
des Nowospafskischen Klosters matten; kurze Zeit darauf stieg
er noch liöher. indem er Metropolit von Nowgorod und Luzk wurde.
So blieb denn nur noch eine Stufe zu erklimmen übrig. Während
es damals in KuTsland 4 Metropoliten gab (von Nowgorod, von
Kasan, von Hostow und yon Kmtisa), spitste sich die Hierarchie
in der einen Patriarehsnwfirde an. Auch diese sollte er er-
langen.
Die Führung des Ausgabebuches föUt nnn in die leisten
Monate des Metropolitenamtes Nikons und schlieist wenige Tage
nach Erlangung der Patriarchen würde.
Betrachten wir die Wirtschaft geistlieher Herren und goist*
Ueher Institote in Bofsland im siebzehnten Jahrhnndert, so
finden wir dort grofsen Reichtum. Es eiit-spracli der hervorragen-
den Stellung der mittelalterlichen Klöster in andern Ländern,
wenn anoh in Hnfsland die Geistlichkeit die Rolle des Haupt-
prodnsenten ttbemahm, kolossale Umsfttse in allerlei wirtschaft-
licher ThAtigkeit hatte, allerlei Ökonomisch sehr vorteilhafte Pri*
TÜegien genofs, die Annenpflege leitete i hier und da Knfsem
Prunk zeigte.
Die Patriarchen, Metropoliten, Erzbischöfe und Bischöfe hatten
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Bat TMmnihm NOcon Auagsbelmdi 1668.
78
imuiohe färatlifiben Beohte. Es gab Verbrechen, deren geriohtliobe
AbnrtflUnng nur «Bern geittlielien Gericht ntitend. Die Geisi-
lieben haüen ihre TJnterthaneii» ihr finansiell aamibeatendee
biet, welehet grofee materielle Vorteile tieherte. 'Wührend man
die Zahl der Bauerhöfe auf den Gütern des Zaren auf 50 000
anschlug, hatte der Patriarch dereu 7000, der Metropolit von
Nowgorod 4000, ein Ersbiachof, deren es zehn ^nh, etwa 1600,
Es gab Klöeter, welche von 3000 BanerhÖfen Einkünfte belogen.
FOr das Kloster Walaam soll Nikon 60 Dörfer fOr die Summe
Ton 60000 Bnbel gekauft haben. Sehr mannigfaltig war die wirt-
schaftliche Thätigkeit. solcher geistlicher Institute; bic iHsaljcu
Salzseen, hatten Fischereieu , beschäftigten sich mit Seidenbau;
eines grofsen Bufes erfreute sich der Ghirtenbau der Mönche in
dem K^ewsehen Höhlenkloster; ansgeaeiohnetes Obst wurde da
gMogen.
Sehr aufiallend ist der Oogensata awisoheii dem wahrhaft
fürstlichen Aufwände der höheren Geistlichkeit und der Bfirftig-
keit dea niedem Klerus, der nur dazusein schien, um die Einkünfte
der Prälaten zu mehren. Die Pfarrer und Diakonen erhielten
YCm Zaren 3 Buhel jährlich, die Jahreseinkünfte derselben wurden
auf 80— 40 Babel geschfttst und selbst die Xrmsien muihten ihrem
geistlichen Chef, wie s. B. dem Metropoliten von Nowgorod, jähr-
lich mindestens 1 Rnbel saUeD.
Ganz anders verhielt es sich mit Jon Einkünften der Pa-
triarchen. NikouB Vorgänger galt für seiir sparsam, aber er
verstand es doch nicht so wie Nikon, die Einkünfte dieses Amtes
ins Ungemessene m, steigeni. Als der Vorgänger Nikons starbj
nahm der Zar Alexei selbst das Inveotar des an Geld und Eost^
barketten vorhandenen Vermögeos des Patrkrohen auf; er schrieb
an Nikon, es hätten sich 13 400 Rubel in Barem vorgefunden
und eine Menge silberner Gefäfse. Schüsseln. Teller, Pfannen,
Becken. Kannen u. s. w. Alle G^egenstäude seien sehr sorgilU^
in fünffaches Papier oder andere Stoffe eingewickelt gewesen;
der Verstorbene habe jedes Stficki das er besafs, gut gekannt«
Die Zahl der dem Patriarohen ainspflichtigen Bauern hattOy bis Nikon
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74 Dea Patriarchen 2sikon Ausgabebuoh 1652.
Patriarch wurde, 10000 betragen; Nikon steigerte diese Zahl,
wie man sagt namentlich durch Erbschleicherei, vermittelst der
Gunst des Zaren auf 25 000. Bei dem Vorherrschen der Natural-
wirtschaft in jener Zeit liTst sich der UmliMDg des Budgets de«
Fatriardien nidit wohl darcli eine Zahl auadrflcken. Indesaeti
mnfs der G^dumsatB doch sehr bedeutend gewesen sein. Ein
Teil der Steuern war Einnahme des Patriarchen, z. B. die H&lfte
der Steuer, die im ganzen Beiche beim "Kauf und Verkauf von
Pferden erhoben wurde. Der l'atriarch hatte einen ganzen Hof-
staat; ein ganzer Trofs von Handwerkern aller Art arbeitete für
ihn : Goidarbeiter, Bchnetder, SteinhaneFf Tischler, Haler n. s. w.
Unglaublioh klingt die Bemerkung eines Zeitgenosseni des Paulus
Biakonus, welcher 1653 den Patriarchen von Antiochis, Makarius,
nach Moskau begleitete und dessen Aufzeichnutigon wir sehr wich-
tiges Material über die geistlichen Zustände in Kufsland ver-
dankeui dafs Kikon als Patriarch 20000 Bubel täglich, also
Aber 7 Hillionen Bubel jfihrlich Einkünfte gehabt habe. Einer
andern Hitteilung zufolge soll sich die Jahreseinnahme des Patri-
archen gegen das Ende des siebzehnten Jahrhunderts verringert
haben auf 42 000 Pfund Sterling, was allerdings g^'gen die sehr
zweifelhaften 7 Miiiioueu einen ungeheuren Unterschied machen
wfirde.
Als Metropolit von Kowgorod stand Nikon an der Spitze
eines sehr komplizierten Verwaltungsorganismus. Ein Zeitgenosse
berichtet, die Metropoliten hätten etwa 2 500 Rubel jährlicher
Einkünfte gehabt, der Bischof von Nowgorod aber 10 — 12 000 Kübel;
er bewohnte einen Palast, hatte viele Beamte und zahlreiches Ge-
sinde. Das Gefolge eines Bi^hofs wird auf ungefähr 100 Personen
angegeben. Paulus Biakonus sagt, der Metropolit von Nowgorod
habe 400 Klöster verwaltet; ihm seien 2000 Gteistlicbe unter-
') Mitgeteilt u. a. in Boschtichinskis sehr lesenswerter Hoaogrsphie
„Das religiöse Leben der Bussen nach den Angaben ausländischer
Schriftatcllcr des 16. und 17. Jehrhunderts**. Moskau 1871. S. n. a.
S. 184 und ff.
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Bm Ffttmrohen Nikon Aiugabelmoii 16&8.
75
geben gewesen, deren jeder zu den Einkünften des Metropoliten
liftbe beittenern mfltMD ; 70 fischreiche Seen hätten ihm Einkünfte
geUeferty lein Geeiode habe am 300 Personen bestanden.
Leider g«wihrt das Amgabebnch Nikons keinen Einblick in
die wirtschafUicbe ThSiigkeit Nikons im weiteren Sinne. Während
er znr Zeit seines Aiifonthaltes in Moskau doch gleichzeitig seinem
Hauswesen in der Hauptstadt und der Verwaltong der Now;?orod-
aehen geistlichen Oftter vorstand, sind in dem Ansgabebach £sst
Muschlieftlich die in Moskau gemachten Auslagen TerseichneL
Kor aas einigen knnen Bemerkungen «rfahren wir gelegentUehy
wie auch in dieser Zeit die Sorge fSr die Wirtschaft in Nowgorod
den Metropoliten beschäftigte. So haben wir denn schon t i wahnt,
dafs Nikon bares Geld nach Nowgorod schickte, das eine Mal
betrug die Sendung 600 Rubel, ein anderes Mal BOO Kübel ; eine
bedeutende Quantität Sirup wird ebenfalls nach Nowgorod ge>
schiekty und zwar auf das Out Bjinskojei um Kirschen und Him-
beeren damit etnsnmachen. Vermutlich wurden die grofsen Ein-
künfte' au Honig (das fino Mnl 113 Pud. ein anderes Mal 72 l'ud)
ebenfalls zu dem Zwecke gemacht, um diese Vorräte nach Nowgorod
zu befördern. Zu derartigen Sendungen werden jedesmal ein paar
licnte Tom Gesinde und einige Pferde yerwendet. Auch wird
bemerkt, wieviel Zehrgeld sie auf die Heise erhalten. Ebenso
werden fÄr die betrikshtliche Summe von 10 Hubein ApfelbXume
für Nikons Garten in Nowgorod gekauft. Dies geKchah fint iiif/s
Märü, üIb noch niemand voraussetzen konnte, dafs Nikon 80 bald
schon Patriarch werden und seinen bleibenden Aufenthalt nicht
mehr in Nowgorod haben sollte.
Bei der nur gering 'entwickelten ArbeitsteUnng mufste die
industrielle Produktion im Hause eine grofse Holle spielen. Der
PalMt des Zaren, wie das Haus des Prälaten waren eine Art
Mikrokosmos, Wie der Z u- allerlei Handwerker in seinem Dienste
hatte, die nur für den Uof arbeiteten, so z. B. dafs es GU>ld- und
Silberarbeiter, Leinweber ▼ersehiedener Art gab, 100 Hflrsdiner
und Schneider» 200 Branntweinbrenner, Bierbrauer und Böttcher,
160 Köche, Wasserfilhrer und QeschirrwSscher, 100 Wagenbauer,
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76
Des Patriarchea JSIikon Auigabebuch 1652.
Sattler, Schmiede. KadiuHcher, ^ ) bo hatte selbst jeder Bojar eine
Menge Handwerker in seinem Gesinde. Leinwand wurde zu Hause
gewobon, KleidATi Stiefel werden ni Hame geniht; alle Speisfln
und Getrftnl» in Haaee bereitet. *) Man knufte mdgliefaat weni^»
oder Torzugsweiie nur das Bohmateriali um dasaelbe in HauM
Tenrbeiten zu lassen.
So werden auch in Nikons Raus]);ilt viele Gegenstände pro-
duziert, deren Anfertigung später auiser dem Hause stattzutinden
pflegte. Personen aus dem Gesinde lernen wir als Handwerker
kennen. Wenn man das sSnerliebe Nationalgetrank — Kwab —
lu Hause braute , so Tersteht sidi das auch heute nodi in sehr
▼ielen bescbeideaeren Hansbaltnngen in Rnfsland von selbst, aber
selbst Siegellack wird zu Haus«' utigr fei ti^t und zu diesem Zwecke
zu wiederholten Malen Zinnober eingekauft. Selbst auf iieiBen,
während der Fahrt naoh dem Solowesk-Kloster , werden Wachs-
lichte gegossen.
Doch finden sich auch Spuren einer siemlich Yorgeachrittonen
Arbeitsteilung! inbesag auf mancherlei GegenstSnde. Das Brot-
backen wurde allerdings , wie es scheint, in der Regel zu Hause
besorgt, wie u. a. aus dem Ankauf grofser Quantitäten Roggen
(einmal 56 Tschetwert) zu ersehen sein dürfte, indessen konunen
doch wiederholt Fälle vor, in denen fertig gebackenes Brot ge-
kauft wird. Als einmal Nikon su Tische Besuch hat, wird die
Ausgabe Yon 60 Kopeken für weifso Semmeb notiert. Der Hüau«-
bSlter, ICSnoh Jonas, erhSlt regelmSfsig Ideine Summen snm An*
kauf von Eiut, Zwiebeln und andern Speisezuthaten. Zu Ostern
werden zwei fertige Kuchen gekauft, ferner einmal 2 000 Stück
Brezeln. Auch Gemüse muTste gekauft werden, wie Gurken,
Hohl, Hüben, £rbsen; ebenso Hier, der Saft der sftuerlichan
Kronsbeere, »us dem man ein Oetrink bereitet. SSmtliehes
Tiseh- und Kftohengesehirr wird eingekauft, ebenso Koffer für
die Reise, eine Laterne mit Harienglas, Ffiseer, Eimer, L9ffel,
Leuchter. Li kleinen Quantitäten , aber sehr oft , wird Papier
Kotoschichin, Kufsland zur Zeit Alexeis. Kap, VI und VIL
*) Koetomarow, das häusliche Leben der OroUmuMn. & 110, 112.
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Dei Paimrohen Nikon Auigabebuch 1668.
77
gekauft, ebenso Talgliclite, welche stets gekauft werden mÜBaen,
während die Wachslichte regelmäfsig zu H&oae fabriziert werden.
WihreDd •ftmtUche piiohüge Gewänder Nikons sn Haiim g«niht
werden, w^rdan einfiuhe Behiipelse, Stiefel, Ja logar einielne
Stacke Wisofae ftof dem Markte gekauft. Wlhmd die Heiligen-
bilder zu Hanse Yersilberi werden» mfleien die Pferde anfiMr dem
Hause besclilagen , ebenso SSttel aufser dem R;\u8e repariert
werden. Es begegnen uns einige Fälle, io denen Halbfabrikate
ecwfthnt werden : so werden für Kikons Stiefel, welche im Übrigen
■u Hanae angefertigt werden, Sohlen auf dem Markte gelnnft;
ein Tiaeh wird gekauft und ein Eiaen daiu, welches sa Hanse
aa dem Tiadie befestigt wird ; ein hdlsemer Sehlitten wird gekauft
und zu hause mit Eisen beschlagen. — Merkwürdig ist, dafs
während z. ii. die Hostien zu Hause gebacken werden, zum ein-
maligen Dielenwaachen in der Wohnung Nikons zwei Frauen
gemietet werden, welche einen YerhältnismUfsig hohen Lohn
erhalten.
Bei allen diesen TTmstinden ist übrigens ra berücksichtigen,
dais Nikon gewisaermafsen nur zeitweilig sich in Moskau aufhielt,
so zu sagen auf Reisen nur, und trotz des vielen (resindes und Ge-
päcks, welches sich auf 30 Schütten Terteilte, eben als Keisender
manches m kaufen veranlalst war, was im regelm&lsigen Leben
an Hause produziert wurde.
So erscheint es fast, als sei inbesng auf die Stcogemng TOn
der Naturalwirtschaft snr Geldwirtechaft Nikons Haushalt vor-
geschntteuer gewesen als derjenige nianch 'r seiner Zeitgenossen.
In dem grofsen Haushalt des Zoreu herrschte die Natural-
wirtschaft vor. Von allen Waren , welche zu eigenem Verbrauche
oder an Geschenken oder als Lohnaahlung dienten, wurden bei
Hofe stets grofse Vorrftte gehalten. Der Zar hatte 600 Korn«
kammem, 80 Keller, 40000 Pferde, welche yon 900 Stallknechten
und 900 Pferdehirteu gehütet wurden ; im Haushalte des Zaren
wurden 40 000 Pfund Wachs jährlich zu Lichten verbraucht. ^)
*) Kotoschichin VI, S, 6, Maigeret über Eafaland etc.
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78
Dea Patriarchen Nikon Ausgabebuch 16o2.
Allerlei Vieh, Geflügel, Obst hat er die Hfllle und Falle. Ee
kniii vor, dafs ausländische Gesandte, die sich zeitweilig in der
Hauptstadt aufhielten , täglich 22 Borten Gretränke , b ISchaie,
3ü Hühner u. s. w. erhielten. ') Die Strelsy erhielten aufser
15 JElubeln in Geld noch 15 Tschetwert Boggen und 2 Pud Sein
jährlich; die IieibwKchter des Zaren koeÜbare Stoffe, Zobelfelle»
1 Wersehok Samt. Auch sonst kam es wohl yor» dafs Arbeiter
vorherrschend in Naturalien ihren Lohn erhielten. Zimroerleute
erhielten Korn, Fisch, Hirse, Käee ; Fuhrleute wurden mit Schinken
bezahlt u. dergl. ^)
Man kann annehmen, dafs Nikons eigenes Gesinde den Lohn
so gut wie anssehliefslich in Naturalien empfing. Dagegen werden
in dem Ausgabebucfae allerlei Qeldlohniahlnngen erwtimti fllr Be*
paiatnren aller Art, fttr Schmiedearbeiten, flir den Transport ein-
gekaufter "Waren, für Veterinärdienete, für Kürschner-, Schneider-
arbeiten, für ausgeführte Bauten.
Dagegen werden die Geschenke oder Trinkgelder meist nicht
in fiarem besahlt, sondern in Heiligenbildern, deren Edelmetall-
wert übrigens einen sehr genau au bestimmenden Geldwwt
repräsentierte. Die FSlle, in denen Kikon solche Geschenke an
Diener de« Zaren va machen hat, sind anfserordentlieh aahlreieh.
Daher scheint denn aucli die Arbeit des Versilberns der Heiligen-
bilder in Nikons Hause, wie aus einer grofsen Menge von Bemer-
kungen über den Preis des hierbei verbrauchten Silbers hervor-
geht, ununterbrochen fortgedanert au haben. Übrigens werden
auch nur die etwas höher gestellten Hofbeamten in dieser Weise
beschenkt; geringere erhalten eb Trinkgeld in Barem.
Teilt man die Bedürfnisse in notwendige, Luxus- und An-
standsbedürfnisse ein, so hat man, wenn man das Ausgabebuch
Nikons betrachtet, Veranlassung darüber zu staunen, welche sparta-
nische Einfachheit inbeang auf die gewöhnlichen Bedfirfnisse des
Olearius, Reisebeschreibung S. 16.
*) Kotoschichin VIT. 9.
') Aristow, die Industrie im alten Bufsland ^russisch), S. 2bO.
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Des Patriarchen Nikon Ausgabebuch 1662«
79
täglicbfln Lebens mit einer grofuurtigen Pninkmoht in andere
Besiehung vereint ist.
Was die notwendigen Bedürfnisse anbetrifft , so ist es auf-
fallend bei sonst grofsen, hier und da durchaus luxuriösen Lebeus-
TerbältniaMn eine wahrhaft rndnchiache MüDugkeit in Speiee und
Trank in Nikons Haushalt an finden. Von Leckerbiaaen gibt ea
fast gar nichts mit Ansnahme der Geschenke des Zaren, welche
bisweilen» wie oben erwähnt wnrde, in Konfekt ^ Pfeflferknchen,
Obst und Beeren bestanden. Fleisch sclieint Nikon selbst, schon
als ewig lastender Mönch, nie genossen zu haben. Während der
7 Monate wird nur ein einziges Mal des Ankaufs von Fleisch er-
wähnt, nnd swar ist es Schweinefleisch, welches denn allerdings
in der gewaltigen Menge von gegen 800 Pfund eingekauft wird.
Fisch wird dagegen sehr viel nnd in mannigfaltiger Weise kon-
iiimtert. Sehr viele Fischarten werden erwähnt, darunter recht
teure aus entlegenen Gegendon nach Aloftkuu itnpui üerte Fisch-
arten. Die Hauptnahrungsiuittel sind Brot, Zwiebeln, Meerrettich,
Rüben, Pilse, Knoblauch, Speisedi, Honig, Butter. Weifsbrot
scheint nur ausnahmsweise konsumiert worden au sein. In der
Begel ifst auch wohl der Metropolit selbst Boggenbrot. — Aus-
nahmsweise wird des Einkaufe von ausländischen Speisesuthaten
erwähnt. Bei feierlichen Gelegenheiten , etwa zu Ostern , wird
etwas Besonderes gebacken oder gesotten und dazu werden in
kleinen Mengen Nelken, Pfeiler, Safran, Reis, Rosinen, Mandeln,
Feigen gekauft. Im ganaen mochte der Küchenaettel des an-
gesehenen und reichen Prälaten sich nur wenig von dengenigen
eines Bauern unterscheiden. Ausländische Weine, welche damals
in bedeutender Auswahl nach Bnrsland eingeführt au werden be-
gaiinent waren durch die mönchische Art Xikons ausgeschlossen.
Das Küchen- und Tischgeschirr ist ebenfalls sehr einfach
und wertlos. Es gab wohl einiges Silbergeschirr im Haushalte
Nikons, selbst auf Beisen, doch müssen es nur sehr wenige Stücke
gewesen sein. Ein silbernes Salafafs wird in Moskau ausgebessert.
* Sehr oft wird dagegen das allereinfachste hdlaerne Gleschirr ge-
kauft, Teller und Löffel, Fässer und Eimer, aber alles dieses zu
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80
Des Ptttrifluralieii Nikon Augabebudi 1068,
Spottpreuen. Sogir die Schüssel, auf weldisr der Metropolit dem
Zaren nnd dem Patriarehen geweihte Hostien sendet^ kostet nur
4 Kopeken. Schlösser, Koffer, Kasten und Körbe, welche wieder-
holt angescliafFt werden , scheinen , wenn man nach den Preieen
dieser Gegenstände urteilen will, von der allereinfaobsten (Qualität
gewesen sn sein.
Von eben so grofser Einfaohheity und nioht über den ge-
wöhnlichen Bedarf eines Bauern hinausgehend « war das Pferde-
geschirr. IHe Preise, welche für die wlUirend der sieben IConate
angeschrifftt 11 Ziii^rrl imd Ziuimo. Krummhölzer und Sättel notiert
werden, iatjeen keinen Zweilei darüber zu, dafs alle diese Gegen*
stände aas den einfachsten Stoffen angefertigt wurden.
£*ast der einsige Losas inbetreff des HaosgerätSi den sich
Kikon an jener Zeit erlaubte , bestand in einer Uhr, von deren
Beparatur in dem Ansgabeibnche Erwähnung geschieht. Auch
wird für dieselbe ein neues Futteral gemacht, auf dessen Einfach-
heit wir indessen aus dem Umstände schliefsen können, dals diese
Arbeit von einem — Zimmermann gemacht wird. ^)
Nikons geistige Bedürfnisse waren nicht kostspieliger Art.
Das häufige Einkaufen von Schreibpapier erklärt sieh wohl eher
dnreh die Yerwaltungsgeschäfte des Metropoliten als durch die
schriftstellerischen oder wissenschaftlichen Liebhabereien des Theo-
logen. Es wird der Ankauf zweier geistlicher Bücher erw;ihnt ;
femer wird eine offenbar etwas sorgfältiger gearbeitete Bücher-
kiste angeschafft. Sie kostet nämlich Terhältnismäfsig viel ^
24 Kopeken.
Worin nnterschieden sich Torwiegend Nikons Bedürf-
nisse und Ausgaben yon deigenigen der Vertreter bescheidenerer
Gesellschaftsklassen? In der Kleidung.
Hierin nun zeichnet sich der Metropolit durch einen sehr
beträchtlichen Aufwand aus. Diese Art Prunksucht mag damals
siemüch allgemein gewesen sein. Ahnlich dem ^Pluderhosen-
*) Es ist vielleicht dieselbe Uhr, weU-lie, als einst Nikon j^ehnrifr,
noch heute iu Moskau gezeigt wird, s. d. ru»s. Auagabe vou Adelung»
Werk über Meyerberg. S. 304.
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Des Patriarchen Nikon AuBgabebuch
81
Untml^f welelier dunali Im Wetten foiii WMen trieb, verbnaehte
man in den wohlhabenden Mittelständen Rufslands bedeutende
Saiumeu für kostbare ÖtofiTe, welche man damals meist aus dem
Onent erhielt» Schwere Seidemeoge wurden mit Yorlieb« ge-
tngiii* Der Ehrgeis beetend naaientlieh in der Menge des su
emem KleidoDgietdok verbrMiohtoD Stoffes. Hea enShlt ▼<m
einem Bojuren, welchtf einen Qflrtel Ton ttber 5 EUen Lftnge
und einer halben Elle Breite trag. Die beliebtesten Gtesohenkei
welche an angesehene Personen entweder aus Courtoisie oder
vom Zwecke der Bestechung oder als Belohnung für geleistete
Dienste gemacht wurden, pflegten aus Fellen nnd kostbaren
Stoffen na bestehen. Vorwiegend die in^i<tii«g nntersehied die
Stände. Die Höhe der FoUmfltie war ein MnTsstnb für dM
Ansehen und den Bang eines jeden.*)
Man sieht: die Pracht und Kostbarkeit ist vorherrschend
ein Anstancisbedürfnis. Nur mocht« bei Nikon, wenn er auf
diese Art Konsumtion viel Gewicht legte, eine persönliche Lieb-
haberei hinankommeii. Die Zoitgenossen berichten von ihm, er
habe manche neue II oden eingeführt So habe er sich u. a. eine
neueKopfbedednuig machen lassen von weüser Seide mit Perlen»
stidcerei, welche letstere den Ghembim darstellte. Als Patriarch
trug Nikon keine Stiefel, sondern ein« Art Sandalen. Er hatte
stets Gewänder der verschiedensten i^ arben. So sah ihn Paul
Diakon einst in einem Gewände von roter und einem Überwarf
Yon grOner Farbe. SohiUemde Farben waren damals bei der
Gastlichkeit sehr beliebt, wie Collins, der lioibarst des Zaren
Alexei nnd andere Zeitgenossen berichton. Die Geistlicbea be-
dienten sich sehr gerne der Spiegel. Sogar in den Kirchen in
der Nähe des Altars sollen Spiegel angebracht gewesen sein. So
hielt mau die Würde der äusseren Erscheinung in sorglichster
Weise aufrecht. ^)
An eigentlichen Komfort ist bei einer derartigen Konsum*
S. Kostomarow, 1. o. 64, 71.
«) Ebend. 73.
') liuöchtschinski, 1. c. 128 — 131.
Brückner, KufaUnd. ^
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62
Des Fatxiarohen iHikon Ausgabebuch 1652.
tion nicht zu donken. Man will nur eine Wirkung hervor-
bringen, auffallen, imponieren. Eiu wirkliches Bedürfuiö wird uiclit
empfunden. Selbst bei Hofe gab es keine Teller» obgleich man
goldene SchOsaeln hatte; ebensowenig kannte man Servietten, m
reiche GewXnder man aneh tnig. Oft mochten die Speiaen
weniger ichmackhaft sein, als durch inAere Form Effekt hervor-
bringen, wie denn b. B. am Namenstage des Zaren Semmeln von
3 Ellen Liinge gebacken zu werden pflegten. Die Ht-iligen-
bilder konnten in der Regel nur in sehr beschränkter Weise als
Kunstwerke bezeichnet werden, aber sie waren stets in unge-
henrer Zahl Torhanden and hatten ein gewaltiges Gewicht an
Edelmetall. — Es war nicht eben sehr bequem sich mitten im
Sommer fiber die schlechtgepflasterten oder mit Balken belegten
Stralsen im Schlitten fahren zu lassen, wie namentlich anch Nikon
sehr oft that — wir besitzen Abbildungen davon — aber galt
für vornehm und dem geistlichen Stande angemessen, sich keines
andern Fuhrwerks zu bedienMi nnd da liefs man sich denn rütteln
und schütteln um des Anstandsbedürfnisses willen*
Die Garderobe Nikons» als er in der Eigenschaft eines
Metropoliten von Nowgorod in die Hauptstadt kam, mochte doch,
wenn wir an das anf 30 Schlitten verteilte Gepäck denken, recht
vollständig sein. Dennoch hielt Nikon es für angemebben, bogleich
nach seiner Ankunft in Hoskau für teure Stoffe unverhältnis*
m&£sig groise Ausgaben zu machen. Als gleich in den ersten
Tagen des Aufenthaltes in Moskau der Zar dem Metropoliten
swei Pferde cum Geschenk machtoi kaufte Nikon sogleidi einen
Schlitten, welcher allerdings nur 1 Bubel 20 Kopeken kostete.
Dieser Schlitten aber wurde mit kostbarem Tuche beschlagen und
mit einer prächtigen Saintdecke vei beben. Die 4 Ellen
Tuch und der grüne Samt, welche zu diesem Zwecke ange-
schafft werden^ kosten fast 13 Kübel und repräsentierten dem-
nach den Wert Yon 30 Tschetwert oder 10000 Pfund Soggen
(nach damaligen Eompreisen). Wenige Tage sp&ter kaufte Nikon,
') KotoBchichin L 30.
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Des Patxiarcheu Nikon Aiugabebuch 1653. 83
fftr das bei seiner geistlichen Kleidang notwendige Panagion,
Edelsteine und Perlen für die Summe von 30 Rubeln (im Werte
gleich 25000 Pfund Roggen), wozu er übrigens nur 5 Rubel
ans den Summen des Metroijolitanamtes entnahm und 25 Rubel
you seinem eigenen Gelde verbranebte. Für das Fell eines Pelaes
gab er 5 Bnbel aas nad kaufte dam S^denstoff üDr nahem
4 Bnbel, so dafs dieser Fels ebeniUls einen Wert von fast
10 000 Pfund Roggen repräsentierte. Wenige Tage später wird
schon wieder für eine prachtvolle Mütze carnioisinroter Atlas
gekauft; eine Woche später werden 20 Arschiu Seidenstoff für
81 Rubel gekauft, eine Bumme, welche znm Ankauf Ton flbw
16000 Pfond Boggeu hingereieht bitte. Einige Wochen lang
werden sodann keine derartigen Gegenstände mehr gekauft, bis
dann Ende Febmar schon wieder prachtvolle ZobelmÜtaen mit
kirisch rotem Samt gemiiclit werden, welclie auf nicht weniger als
53 Rubel zu stehen kummeu. Wenige Tage spater wird schon
wieder weifser, grüner und roter Atlas für ein geistliches Gewand
gekauft nnd gleich darauf mehrere Ellen kirschrotes Tuch für
ein anderes geistliohes Qewand, welches nicht weniger als 80 Eubel
kostete^ wom dann ein paar Wochen spKter als Fntter mehrere
Ellen tenren Seidenttoffii besorgt werden. Zum Schlnfii finden
wir dann cudltcii Ii Nikons Rückkehr aus dem Kloster Solowezki
noch einmal eine Ausgabe von 20 Ruhein für Seidenstoff zu einem
Gewände, welches der sum Patriarchen erhobene Nikon sich
bestellte, und die Ansgabe yon 11 Bubeln für Tnch m einer
prächtigen Bibermfltse, mit welcher sich Nikon in seiner nenen
Würde m schmücken gedachte.
Bedenkt man, dals Kikon in sieben Konaten gegen 300 Bnbel
(= 500 Tschetwert =^ 150 000 Pfund Roggen) für seinen „Staat"
aasgab, während alle souätigeu Ausgaben für Essen, Trinken,
Hansger&t u. dergl. yerschwindend klein erscheinen, so müssen
wir ttannen über diesen Lnxos. Nikon glaubte es seiner Würde
schuldig zu sein, in 8amt und Seide zu gehen. Dadurch sachte
er m imponieren, wShrend er mit bfturischer Kost Torlieb nahm
und sonst keinen grofsen Aufwand machte. Diese Einseitigkeit
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De» i^atriarclien Nikon Ausgabebuch lt>52.
des titnras erkttit rieh Biiiii T«U dnrdi die hemelionde Kode,
7A.\i]\ Teil wohl auch durch die Individualität des eidtu Alaanes,
der von mönchischer Askese je später je weiter sich entfernte. ^)
Em« ander« sehr betraditliohe und feet iSgUoh «eh wieder-
holende Ausgabe Kikone besteht in Almoeen und Trinkgeldern«
IHese waren hei allen nnr erdenkliehen Ghelegenheiten nnnm-
gänglich. Es ist kaum zu glauben, wie entwickelt eine solche
Uuäitte war. Der Zar liefs bei allerlei UofTesten Almosen vor«
teilen. Bo oft er oder die Zarin öffentlich erschienen, mufstea
eine grolee Menge von Paketen von 20 Kopeken bie an 30 B>nbe2n
jedes in Bereitsehaft gehalten werden, damit fortwährend Ge-
schenke gemacht würden.*) Heiratete der Zar, so gab es €^ld>
geschenke in grofser Menge. Wurde dem Zaren ein Sohn geboren,
so schickte man an CTeiijtlich(\ an Bettler, an die Verbrecher
in den GtefÜngnissen Almosen.^)
So hochgestellte Personen, wie Nikon, mnfsten ihnlich wie
der Zar, viel Geld verseheDken. Kamentlich geistliche Listitate
und Mönche werden mit gröfseren oder geringeren Summen be-
dacht. In dem einen Fülle erliält ein Kloster die für jene Zeit
sehr beträchtliche Summe von 50 Rubeln zum (iescheuk, in einem
andern Palle erhält ein anderes Kloster nnr 50 Kopeken. Aach
ittr im Aaslande gelegene Klöster wird gesammelt; ein griechisches
Kloster erhält einmal 7 Kabel. Aach aof der Beise macht Nikon
solche Geschenke. Bald werden för einen Bettelmonch Stiefel
«gekauft, bald wird eine Summe Geldes in die Gefängnisse ge-
schickt, damit sich die dort P^ingekerkerteu mit etwas bes&erer Speise
einen Tag gütlich thun. Bisweilen erhält ein Bettler < in6n halben
Bubelf häufiger nor einige Kopeken. Kaum ein Tag vergeht,
ohne dalSi derartige Aasgaben notiert werden. Die Kirche war
^) S. d. Notis über die schwer wiegenden Rehquirn »ui Kikons
Garderobe, aus dessen Pairiaroheiueit bei Adelung, Meyerberg, ross.
Ausg. 8. 304.
«) Kotof«chichin, VIT. 3.
•) Kotoschichm, 1. ül, L 26.
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Dm Patmrchea Nikon Auagabebuoh 1663.
86
eine VerisüigungisttUbtalt für viele: sie hatte den gröluteii Teil der
Anuenpflege in der Hand.
Einen ihnlieh grofsen Posten wie die Almoeeni bildeten im
Budget Hikons die Trinkgelder an die Diener solcher hoher
Herren, welche ihm Geschenke machten oder ihn mit Einladungen
beehrten.
Täglich erscheinen solche Sendhoten , welche jedosma] mit
Geld oder Heiligenbildern besclienkt werden müssen. »Seihst die
TerhÄltuismiiräig wertlosen Geschenke an Weioi Speisen und Obst
werden Tom Zaren nie durch eine Person geschickt: es sind
jedesmal mehrere Personen verschiedenen BangeSi Bojaren und
Bojarensöhne, Speisemeister und Kftmmereri Heiser und WXchter.
Die Belohnung, welche sie erhalten, wird ihrem Range gem&fs
abgestuft. — Eine sehr beträchtliche derartige Ausgabe wird
durch das Weihnachtsfest veranlafst; die ihre Glückwünsche dar-
bringenden Geistlichen und Kircheneänger erhalten recht be-
deutende Geldgeschenke, zusammen im Betrage von 16 Brubefai
(12 000 Pfund Boggen). — Als Nikon einst in einem Kloster speiste,
erhielt das ganze Personal des Klosters Oeldgeschenke oder Almosen,
wie man es nennen will. So mufs Nikon jeden Augenblick seine
milde Hand auftlmu und aus den allerdings reichlichen Mitteln
seiner Diözese Gaben spenden und zwar meist an Menschen,
welche materiell ohnehin ganz sorgenfrei gestellt sind. Die eigent-
lichen Bettler, also die wirklich Bedürftigen, yerursachen eine ver-
h al t n ism&f sig geringe Ausgabe. Dagegen bilden die Geldgeschenke
an Geistliche und 'Hofdiener eine sehr stattliche Summe. ^)
Von Interesse ist es mit Hilfe von Nikons Ausgabebuch
einen Einblick zu thnn in die Art des Beisens an jener Zeit.
^) Dabei eriSshren wir, weldie Hsnnigfaltigkett von tmtefgeordnet«!
und höheren JLmtem bei Hofe bestand. Es kommen mit fiotschaften
und Sendungen zu Nikon: Sytniki, Skatertniki, Istopniki, Fodkljutsch*
niki etc., d. h. Speisekammerwächter, TisohtachTer wahrer, Heiser, Sohlüssel-
Verwahrer u. s. w.
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86
l>c» Patnarchen Nikon Ausgabebach 1652.
WXhrend der rieben Monate, filier welche Abb Ansgebebnoh be-
riclik^t, unternahm der Metropolit zwei sehr weite Reisen. Zaerst
reiste er von Nowgorod bis Moekau, sodann von Moskaa in. das
Solowo^lci -Kloster und zurück nach Koskao.
Die Yerkehraanstalten waren sn jener 2eit eefar mangelhaft.
Die Zeitgenoesen berichieni dab in manohen Gegenden Bufdande
nnr im Winter gereist werden konnte. Während im Westen das
Korporationswesen der Mittelstände allerlei Ycrkehrsanstalten be-
reits im Mittelalter hatte entstehen lassen wir erinnern nur
an die Posten der Universität Paris^ an die Posten so liiuacher
geistliclier Orden, an die sogenannten Metsgerpoeten — fehlte es
bis zur Begiemng Alezei Michailowitsobs in Bnfsland voUstindig
an irgend genügenden Ebrichtongen dieser Art. Erst im sieb-
sehnten Jahrhundert ward ein einigermafsen r^elmäfsiges Fuhr-
wesen eingeführt. Es bestanden Stationen mit Pcstpferdeu und
Postkutschern, welche zu einem von der Regierung bestininiteu
Satze Passagiere zu bef<>rdern hatten. Es waren au dem Zwecke
sogar Ansiedelungen von 30 — 100 Höfen jede gemacht worden,
welche etwa 4—16 geographische Heilen voneinander entfernt
an den HanptstraTsen gelegen waren und Postddrfer (Samskya
Slobody) hieben.^) Ahnlich dem bekannten curma pubUmiS der
Börner aV)er, ja ühulich zum Teil auch den noch heute bestehen-
den Fahrposteinrichtuugeu ßufslauds, war diese Anstalt nur pri-
vilegierten Reisenden zugänglich. Ohne einen behördlichen Post-
schein durfte niemand Pferde erhalten. Für Privatreisende, etwa
mit Waren, war diese Anstalt nicht vorhanden. Die Langsamkeit,
mit welcher Güter befördert wurden, übersteigt alle Begriffe*
Die Waren, welche in Archangelsk etwa im Juni oder Juli aas-
geschifft wurden, pflegten erst zu Weihnachten iu Moskau anzu-
kommen. ') Da es überall schlechte Wege gab, die jeden Augen-
blick Aufenthalt verursachen konnten, da es feiner durchweg an
•) Kotoschichin, Vll. 2H.
-) .T. de Rodes, Bedenken ühcr den russisch Handel im Jahre Ifio3
in üeii iieiträgren zur Kenntnis Kulslands u. s. (jt-sth , heraus^rerreben von
Gustav Kwem und Huritz v. Engelhardt, Durpat 1816. S. 2tiÖ.
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Des PatriATcheu Nikon Aosgabtibuch 1652.
87
GasthSiiMni nntenreg« feblte und mwn Tonmgiweifle raf dio Ghttt-
freundschnft der Klöster augewicsen war, so mufsto man mit
anfserordeutlich viel Gepäck reisen, sicli mit allen für die Zeit
der orforderllohen Lebeiuimitteln venehai, unterwegs oft
anhalten^ mn Spaim sn bwaiten. G^saiidte und hoehgeatellte
H«mii reisten um bo achwerftlligery je grSfeer ihr Gkfolge war.
— Ber engliBohe Gesandte Carlisle brauchte fUr sein GhpSok
allein 60 Schlitten nnd fllr sich und sein Gefolge 140 Mlitten. ^)
Nikon reiste in 31 Schlitten.
Als Nikon von Nowgorod aufbrach, wurden an dem Tage
der Abreise iwei Holzkoffer gekauft. Man muTs annehmen, da£»
er bedeutende VoVräte an Lebensmitteln^ an Brot, gedörrten Fischen
o. s. w. mitnahm. Unterwegs werden nnr wenige Lebensmittel
gekanft. Unter den letsteren findet sich ein Ankauf von 50
Hechten, 17 Brachsen, 16 Barschen und 3600 kleineren Fischen
in Wuldfti ; etwas weiter werden wieder 200 grofse Barsche und
27 Hechte gekauft ; um andern Tage erfolgt wieder ein Ankauf
von Fischen. — Wiederholt wird Heu und Hafer gekauft; man
Wkt die Pferde beschlagen; an einer Stelle wird Anenei für
Pferde gekauft; an einer andern Stelle werden den Pferden i,die
MSnler gereinigt", was eine übrigens unbedeutende Ausgabe Ter-
ursacht. AVü die Reisegesellschaft die Nacht zubringt, da erhält
der Hausknecht ein Triiikgeld. In Twer kauft der Metropolit
Schreibpapier, freilich nur einige Bogen. Die Heise von Now-
gorod nach Moekau wird in sieben Tagen aurückgelegt ; da die
ganae Strecke ungefiihr 4 — 500 Werst betrug (70 Meilen)^ so
kommt auf jeden Tag eine Strecke Ton etwa 8 Heilen«
Als Nikon am 11. Uftra aus Moskau nach dem Soloweski-
Kloster aufbrach, neigte sich der Winter seinem Ende zu. Es
konnte als ein gewagtes Unternehmen gelten, iu dieser Jahreszeit
eine so weite Fahrt zu unternehmen, auf welcher man unfehlbar von
Thauwetter (Lbeff&Uen werden muAte. Für die Beise wird «in
uBelsestnhl" (?) von Leder für den MetropoUten gekauft, derselbe
') Fabricius, über d. russ. Foät, russisch, S. 20.
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88
Des Patriarchen Nikon Ausgabebuch 1652.
reift in einem grofsen auf Sdilitten gesetzten Wagen. Zehn
Schlitten werden angeschafft, ebenso Pferdegeschirr, ein Koffer
o. dergl. m. — Ein bedeutender Vorrat von Heu wird mit-
genommen. Die Reise bis Wologda dauerte sieben Tage, was
einen gans fihnliehen Grad von Schnelligkeit» wie auf der Beise
Ton Nowgorod nach Uoekan daxitellt. In Wologda wird nidit
weniger als einen yoUen Monat hindnroh gerastet, offenbar weil
eingetretenes Thauwetter der Schlittenbahn ein Ende gemacht hatte
und man warten raufste, bis die Wege einigermaiscn fahrbar waren.
Während der 32 Tage, welche Nikon in Wologda zubrachte, riclitete
er eich gans behaglich ein, kaufte eine Menge KAohen- nnd Tafel-
geschirr, 56 Tschetwert Boggen, einFafii mit Kohl, 8'/« Tschetwert
Zwieback von Boggenmehl, Butter, Wachs, Essig, Sals n. s. w.
in gröfseren Portionen, liefs sich Leuchter anfertigen, bestellte
einen verechlieföbaren Behälter fiir das Tißchsilber, liefs für seine
TJhr ein Futteral machen u. s. w. In diese Zeit üel Ostern :
bei dieser Gelegenheit wird allerlei gebacken ; dazu wird Beis,
eine grofse Menge geflbrbter Bier und — Schwetnefleiach gekanit.
Es werden Wachslicht« gegossen, es wird Mehl gemahlen; der
Namenstag der Zarin wird gefeiert mit einem Essen; ^e Tisch*
und Handtücher werden gewaschen und zu diesem Zweck wii'd
etwas Seife gekauft, i'ür die Weiterreise werden u. a. 120 Pfund
Salz angeschafft. Wie man damals auf Helsen in Nikons Yer-
hftltnissen einen Yollstfindig eingerichteten Haashalt führte, ohne
auf Hotels rechnen wo. können, ist n. a. daraus su ersehen, dab
inkon während seines doch nur ««tweiligen Aufenthaltes in Wologda
ein Pferd «uro Wasserf&hren kaufte, ebenso Pferdegeschirr, mehrere
Pud Teller (wahrscheinlich ziuneme) und Schüsseln u. dergl. m. —
Am 19. April reiste Nikon aus Wologda ab; wann er in Cholmo-
gory, dem Geburtsorte Lomonossows, anlangte, erfahren wir nicht,
wohl aber, dab er am 10. Mai sich an diesem Orte aufhielt und
erst awei Tftgo spftter yon da weiteiTeiste; am 9S. Mai langte
er in Archangelsk an, wo er eine ToUe Woche dieb. Hier wurden
am Ufer des Weifsen Meeres von Nikons Leuten Wacliskerzen
gegossen. Man mochte deren bei den bevorstehenden Feierlich*
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Dw PUrisroli«! Nikon Aiugab«l»iioli 10BI5U 89
keiten im 8olowe^*KIoator — der Abholung der Gebeme Philipps
— in betonders grofser Menge bedürfen. Von Archangelsk i^ing
es nun zu Schiflf nach dem Kloster, wo Nikon sich nur möglichst
kurze Zeit aufgehalten zu haben scheint, da er schon am 7. Juni
die Rückreise nach Moskau antrat» die er über Onega und Kargopol
ohne Aufenthalt in 39 Tagen sorftcklegte. Da die Btreeke etwa
1400 Weret oder 200 Heilen betrigt, ao kommen anf eine Tage-
reiae nieht mehr als 50 Werat täglich, was denn recht langsam
erseheint.
Über die Kosten der Reise nach Solowezki und zurück haben
wir gar keine Angaben. Dagegen sind die für die zwischen Now-
gorod und Moskau gebrauchten Postpferde ausgegebenen Summen
sehr genau yerseiehnet. Auf jeder Station swiiehen Nowgorod
und Hoskau müssen die „Progony** beaahlt werden, was auf der
im Frühling unternommenen Reiro nieht gesehehen su sein scheint.
Man darf fast mit Sicherheit annehmen, dafs Nikon auf der ersteren
Reise mit Postpferden fulir. im Gegensatze zu der zweiten Reise,
während deren er sich eigener Pferde bediente. Über die Preifle
der Benutsung von Postpferden haben wir manche Angaben Yon
^Zeitgenossen. Eotoschiohin bemerkt, die Postknechte hfttten für
je 10 Werst 1% Kopeken erhalten; einer andern Nachrieht sufolge
betragen „doppelte Progony* von Nowgorod bis Pekow für sehn
Pferde 110 Kopeken. Olearius fuhr von Keval nach Riga und.
bezahlte 2 — 4 Rubel für die Fahrt. Einem andern Berichte zufolge
nahmen die Postillone für 350 Werst 2 Rubel u. s. w. Aus
solchen Angaben einen gaos bestimmten Sats herauszulesen, ist
schwierig, weil die LSnge einer Werst sich yerinderte, wie denn
früher eine Werst 1000 Faden (7000 FuTs) slhlte, im 17. Jahr-
hundert 700 Faden (4900 Pufs), jetst 500 Faden (3500 Fnfs)
und weil wir nicht immer wissen, um welche Anzahl von Pferden
es sich handelt. Bo wissen wir auch von Nikons Winterreise
▼on Nowgorod nach Moskau, dals er sie in 81 Schlitten machte,
ohne dals wir eine Andeutung darüber hätten, nut wie viel Pferden
jeder Sehlitten bespannt gewesen sei. In jener Zeit pflegte msa
bisweilen einspännig su fahren. So fuhr Carlisle in gana ein«
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90
Dm Ffetriirehen Nikon Auig»belmeb 1068.
hßhm und sehr Ueineii SchUttoD, die für den Kataeher keinen
Baum betten, so dafs derselbe auf dem Pferde reiten moAte.
Ebenso ist mehr als eine AbbiKluiiL; *"iii5j)aiiiiiger Sclilitten mit
reitendem Kutscher in Adelungs Ausgjibe von Meyerbergs Illustra-
tionen zu dessen Reisewerk zu Enden. Herr Kostomarow be-
merkt indeeseoi daüi Beisescblitton in jenw Zeit meist mit xwei
Pferden bespannt worden seien. Dem sei wie ihm wolle, die
Kosten der Fortsohaffong Ton 81 Schlitten von Nowgorod nach
If oskan waren sehr gering. Berüeksiebtigt man die betreffenden
An^':iljen (für eine Statiou von 20 "Werst 90 Kopeken, für Ö5 Werst
3 Eubel, für 52 Werst 2 Rubel 50 Kopeken, für 87 A\ erst
4 Rubel u. dergl. m V 'so ergibt Bich bei einspännigen Schlitten
eine Ausgabe von 1 Kopeken für eine deutsche Meile für jedes
Pferd ; für den Fall, dals die Schlitten sweispftnnig waren, die HlUfte.
Zur Gesehlehte der Pretse.
Eine exakte historische Würdigung der i'reisangaben in
Nikons Haushalt wird bedingt durch die Feststellung eines Preis-
mafsstabes. Erst der letstere ermöglicht die Vergleichung
■wischen wohlfeü und teuer » awischen sonst und jetat. Einen
absoluten Preismafsstab gibt es nun fireilich nicht. Sowohl der
Arbeitslohn, als das Edelmetall, als auch das Getreide sind durch
Jahre, Jahrzehnte und Jahrliunderte Schwankungen, Wertverände-
mngen unterworfen gewesen. Was den Arbeitslohn, zumal im
siebsehnten Jahrhundert^ in Kn/sland anbetrifft, so ist derselbe^
bei dem Vorherrschen der unfreien Arbeit, gleichsam nur als
Ausnahme vorhanden; derselbe variiert ferner je nach Ort und
Zeit und Qualität der Arbelt allsusehr, als daft man dsrsa denken
konnte, ihn alö Preismafsstab zu verwenden. Der Preis des Edel-
metalls ist ebenfalls sehr schwankend und, insofern die Münz-
einheit in fortwährendem Zusammenschrumpfen begriffen ist, nur
mit Berücksichtigung dieser Hünaverinderungen als Malsstab au
gebrauchen. Wihlt man das Oetrside a]s Wertmaisstab, so muls
man auch bei den Kompreisen verschiedener Zeiten die Yer^
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Des Patriarchen Nikon Auegabebuch 1652.
91
tehiedenliMt der Münseinheit, des entsprechenden Quantums Edel-
metall berücksichtigen. Die Vergleichung vieler Preisangaben
mit den öeireidepreisen wird immerhin die lehrreichste sein.
Wenn wir wissen, welche Menge Tuch, Euen, Beis, Arbeit u. 8. w»
io der Zeit Nikons eiiiem Techetwert Boggen entapntbh, eo werden
wir leiehty mit den heutigen Getreldepreieen die Preiee anderer
OegenttSnde vergleiehend, in beatimmten Ergebniaaen ftber den
Verlauf der Preisbewegung in den letzten Jahrhunderten ge-
langen.
Wir fragen demnach zuerst , wie sich die MUnseinheit TOn
demala sur Münzeinheit von heute verhielt; wir fragen sweitena,
wie sich die Getreidepreiae von damals mit Berfieksichtignn|f der
Yeraehiedenheit der Maoaeinheit au den gegenwärtigen Getreide-
preiaen verhalten.
Was die Veränderung der Münzeinheit anbetrifft, üu li^t die-
selbe gerade in dem Jahrhundert Nikons besonders auffallend
gewesen. Unter Joann IV., also um die Mitte des sechzehnten
Jahrhunderte, prägte man in Eulaland aus 1 Pfund Silber 6 Bubel,
unter dem Zaren Waaaiiy Schuisl^j 6 Bubel 80 Kopeken, unter
KiohaU 877 Kopeken, unter Alexei 931*/^— 1024 Kopeken,^) —
jetat prägt man aus einem Pfond Silber 92 Babel. Entsprechend
einer solchen Keduktion der Münzeinheit müfste, also ceteris pari-
b'W'if eine Preissteigerung aller andern Gegenstände von der Zeit
Nikons bis heute auf das 2^j^üuf^9 eingetreten sein. ^) Eine
aolehe Preiaateigerung trat denn auoh wiederholt ein und wurde
empfunden. Im Jahre 1621 klagte der engliache Gesandte in
BuTaland, man habe in dem Staate Hoakau aogefimgen daa «Geld
leichter" zu machen „um etwa ein Viertel (von 6 Bnbel unter
Joann FV. auf 8'/^ Bubel unter Michail aus 1 Pfund Silber, was
80 ziemlich 25% beträgt) und dem entsprechend seien alle Waren
teurer geworden, waa den Handel aehr wesentlich eraohwere/*
Sablozkij, Uber die Preise im alten Rufsland (russisch) S. 88.
*) Wobei , da p^cg'enwärtig die Preise in Papiergeld ausgedrückt
werdeu, uoch das Agio auf Papiergeld im £etrage von 10-15% be>
rücksichtigt ist.
»
92 Des Fatriarohen ^ikün Aasgabebuch 1652.
Die Bojaren gaben die Thatsache der Vlliunrenclileeliierang zu,
bemerkten aber, die Zerrüttung des Staates habp die Begierung
zu einer solchen Mafsregel genötigt : sie beriefen sich dabei auf
das Beispiel vieler andern StaateCi die in ähnlichen VerhältnitBen
fthnlich gehandelt hätten. Ihreneite klagten eie flber eine on-
▼erhiSltniemäDuge Steigerang der Preise engliBcher Waren. — A]s
gegen das Ende des Jahrhnnderts wiedemm eine allgemeine
Preissteigerung" inbetreff der ausländischen AVaren sich geltend
machte, entsprach dieselbe ebenfalls genau den inzwischen ein-
getreteneu Müüzveränderungen, und nur ein, nationalökonomisch
nattürlich sehr mangelhaft geschulter Pablisist» wie Possosohkow,
konnte die Behanptnng anfstelleni dafs die Yeränderong des Ver-
hSltnisses swisdien Keal- und Nominalwert der Ufinaen den ana-
Ifindisdien Kanflenten kein Beeht gebe, ihre Waren teurer su
verkaufen als frülier. ^) Possoschkows Angaben über die einge-
tretenen Preisveräuderungen entsprechen, wie wir au einer andern
Stelle gezeigt haben, sehr genau der Beduktion der Mfins-
einheit.
Dieser Yerinderung der Httnaeinheit snfolge kann man asgen,
dafs 1 Bnbel zur Zeit Nikons derselben Menge Silbers entsprach,
welcher heutzutage 2'/„ Bubel entsprechen. Damit ist aber natür-
lich nicht gesagt, dafs die Kaufkraft eines Rubels im Jahre 1652
2^/2 nial so stark gewesen sei, wie die Kaufkraft eines Bubels
von heute. Die Wertveräademng des Silbers in den letzten zwei
Jahrhunderten, die gesteigerte Geldwirtsehaft, welche die trUhm
Natoralwirtsohaft in mannigfacher Weise yerdringt hat, und noch
andere Yerhiltnisse haben den eigentlichen Wert des Bnbels in
einem viel stärkeren Verhältnis herahgedrückt als in demjenigen
von 2^2 .* 1. Dieses Verhältnis läfst sich aber schwerlich in einer
Zahl ausdrücken. Will man indessen einen solchen Versuch machen,
so kann man denselben auf folgende Art anstellen.
Adsm Smith spricht im f&nften Kapitel des ersten Bandes
seines Werkes von den Warenpreisen, ausgedrflckt in G^ld oder
*) rossosclikow, Werke, herausgcg. von Pogodin. 1842. S. 2Si,
*) 8. i^'inanzgeschichtl Studien, St. Petersburg i8t>7. S. 147.
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Des Patriarchen Nikon Ausgababuch 1662.
93
in Arbeit, und bemerkt dazu, das Geld sei von Jalir zu Jalir
ein stabilerer Wertuiesaer als das Getreide , von Jahrhundert zu
Jahrhundert sei indeaseii daa Getreide ein stabilerer Wertmesser
als daa G^ld. Am beiton sei es, den Untersohied im wirklichen
Wert einer gewissen Ware sa verschiedenen Zeiten und an ver-
schiedenen Orten an dem Unterschiede des Grades an messen, in
welchem diese Ware den Besitser bei yersefaiedenen Gelegenheiten
in den Stand gesetzt hat, >ich die Arbeit Hudorer zu verschaffen;
daeB aber sehr schwer sei, die laufenden Arbeitspreise in getrennten
Perioden und Orten mit einiger Genauigkeit zu erfahren, so müsse
man sich an die G^treide|ireise halten.
Blin Tschetwert Boggen kostete snr Zeit Nikons dnrchschnitt-
licb 40 Kopeken. Bertlcksichtigt man die Yeründerung der Mflna*
einheit in dem letzten tfabrhundert, so würde man für dasselbe
Töchetwert Roggen heute 2'., mehr oder 1 Ru]>el bezahlen: da
man aber heutzutage ein Tschetwert Koggen nicht mit 1 Kübel,
sondern durchschnittlich etwa mit 6—8 Kübel besahlt, so kann
man annehmen, dafs die Kaufkraft eines Babels anr Zeit Kikons
etwa fach so stark war als heute.
Bin solcher Ausspmch hatte immerhin nur mehr einige Be-
deutung inbezug auf Koggen, während je nach der Preisbewegung
eines jeden Artikels die Kaufkraft eines Eulirls sich in ganz
anderem Verhältnisse wird geändert haben. Bai einer solchen
Belativität der Wohlfeilheit oder Teuerung eines jeden Gegen-
standes mufs man auf eine «cakte DarstoUnng der Preisbewegung
inbezug auf die verschiedenen Bandelsgegenstftnde u. s. w. ver-
aichten und sich darauf besehr&nken, im allgemeinen darauf hin-
zuweisen , in welchen Waren eine Tendenz zur Preissteigerung
und in Wülchen Waren eine Tendenz zum Wohlfeilerwerdeu sich
während der letzten zwei Jahrhunderte kuudgethan hat.
Die YergleicHung der Werte verschiedener Gegenstände im
siebaehnten Jahrhundert in Bufsland mit den Werten derselben
Gegenstände in der Gegenwart liefert nicht eigentlich neue Be-
Bulteto. Da indessen die Preisgesohiohte nur selten und aus*
nuhtusweihe Gegeubtaud der i:'orschuug gewesen ist, und die Ge-
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94
Des Patriarchen Nikoa Ausgabebuch 16ö2.
legenheit, so zahlreiche Preisnotizen zu sammelu , wie sie in
Kikous Ausgabebach vorliege, sich selten darbietet, so mag es
doch der Mühe wert sein, jene Grundwahrheiten wieder einmal
bestätigt ni finden, welche etwa Boacher in seiner ^Ghescluohte
der Preise'* (ein Kapitel seiner „Gbmdiflge der Nationalt^konomie*)
in so ansehaulioher Weise mit historiseben und statistisolieo An-
gaben belegt.
Vergegenwärtigen wir uns diese Hauptresultate der aul die
Bewegung der Preise gerichteten Beobaohtangen. Es sind in
knnem folgende.
Auf niederen KaltnrstnÜBn gedeihen Bobstoffe in soleber
Fülle, dafs sie nur mehr doreh okkupatoriscbe Arbeii erlangt
werden, demnach sehr wohlfeil sind. In dem Mafse als die
Zahl der Kon&uraenten steigt , alao die Kaclifracre tfröfser wird,
in dem Mafse als die Produktionsquellen der ßolistoü'e sparsamer
fliefiMU, stellt sich die Notwendigkeit ein, die Ware auf einem
mflbsameren Wege und mit Anwendung von Kapital aa be-
schaffen.
Bobstoffe, deren Produktion mit Hilfe von Kapital und
Arbeit in faat willkürlicher Ausdehnung gesteigert werden kann
(wie Getreide), steigen nicht so im Preise, wie andere, bei deren
Produktion der Naturfaktor eine verhältnismälsig bedeutendere
Bolle spielt (wie WUd, Hole).
Gewerbeerzeugnisse werden mit dem Steigen der Kultur
wohlfeiler durch entwickelte Technik, Beberrscbung der Natura
kräfte, gröfsere Arbeitsteilung, Benutsung von Kapitalien, mannig-
fach hergestellte Verkehrsmittel.
Auf diese zwei Gruppen von Erscheinungen, auf das Teurer-
werden der Bohstoffe und das Wohlieilerwerden der Gewerbe-
erzeugnisse, weisen wir mit Hilfe der Preisangaben in Nikons
Kassabuch bin.
Rohstoffe.
Am überrascheudsteu iat die Woiilfeillieit des Holzes und
der Holzprodukte in Bufslaud im siebzehuteu Jahrhundert. Die
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Dm Patriarchen ^'ikon Ausgabebuch 166ä.
95
ansländischen Äeiseiiden waren oft verwundert üIm r den starken
Holzverbrauch. Carlisle, der englische Gesandte, erzählt, dafs
die Bussen, welche die Reisenden anf der Fahrt von Archangelak
nach Moskau begleiteten, einst ana den Barken stiegen und am
Ufer „ein solches Fener annaebten, als wollten sie die ganse
Gegend in Brand stecken". Die StraTsen der Städte waren mit
Holz gepflastert. Es gab fast ansschHefslidi h51zeme, sogar oft
ohne eiserne Nägel gebaute Häuser, welche so iiuufig eine Beute
gewaltiger Feuersbrünste wurden, dafs es Sitte war, auf den
Märkten fertige hölzerne Häuser für solche Fälle feilzubieten. ^)
Bei Hochzeiten wurden groüie HolsstöDw als Beleuchtungsmittel
angesflndet. *)
Über die Preise TOn Banhols erfahren wir aus Nikons Aus*
gabebnch 'Genaueres, indem der Metropolit sich während seines
Aufenthaltes in der Hauptstadt eine Hauskapelle bauen liefs.
Diese wurde uur aus Holz aufgelührt und der Preis eines jeden
Stückes Material wird gewissenhaft notiert. Achtzehn Tannen-
holabalken von 3 Faden') Läoge kosten susammen 40 Kopeken
(also ungefiihr soviel wie ein Tsohetwert Koggen) ; ftln&ehn andere
Balken von 2'/^ Faden (oder 7—8 Ellen) Länge kosten susammen
35 Kopeken ; Beohzehn Balken von 2'/„ Faden — 24 Kopeken,
so dafs alle diese 49 Balken von zusammen 130 Ellen Läntre
eben so viel kosteten, wie eine Elle Tuch in jener Zeit. Ein
Baaernhäuschen (Isba) nebst Kammer wird für 16 Bubei gekauft.
£wei Deichseln kosten 1 Kopeken. Holzkoffer werden mit 6 bis
15 Kopeken besahlt. ^ Matten, in solcher Kengei dafs gegen
hundert Fische darin eingepackt werden k5nnen, kosten 4 Kopeken.
Die Schlitten, bei denen wohl eine sehr geringe Arbeitsteühuik
aufgewendet wurde, sind lächerlich woblfeil. Der Prachtschlitten
^ikong, zu welchem sehr kostbare Decken gemacht wurden, kostete
nur 1 Bnbel 19 Kopeken; einüsche Schlitten zum Beiseu kosten
0 S. Olearius 73. Bonssingault , Theatre de la Koocovie 1660 in
der Bibl. russe et polonaise, V. S. 11.
■) Kotoschiehin, I. 17.
*) 1 Faden = '6 Arschin oder Ellen.
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Des Patriarchen Nikoa Ausgabebuch 1652.
nur 15 Kopeken; ja es findet eich sogar die Bemerkung, dafs «in
Schlitten 5 Kopeken gekostet liabe. 28 Schüsseln und 70 Lötl'el
kosten zusammen 64 Kopeken; 200 Löfifel werden mit 1 B,ubel
20 Kopeken bezahlt. Fäuer sind ▼«rh<nisraäfsig teuer, offen-
htitf weil hier eine gewteee VoUkommenheit der Technik mehr in
betraeht kommt, als das Bohmaierial, nimlioh etwa 30 Kopeken
das Stück. Vergleicht man diesen letzteren Preis mit dem Getreide-
preise von damals , .^o ist lieutzutatre em h mit dem Getreide-
preise vergiichei), wolilfeiler als damals.
Yerhältnismäl'sig teurer als Holz erscheint Fleisch, fisch
und Wild. Leider gibt es in dem Ausg^bebnche Nikons gar
keine Angaben Uber die Flreise des Fleisches i mit Ansnahme
einer einsigen, wo eine Qnantitlt Schweinefleisch, das Fad sni
11 Kopeken, gekauft wird, was im VerhlltniB m Mannfaktnr-
warenpreisen natürlich immer noch sehr woiilleil, ui)er im Ver-
hältnis zu den Preisen des Holzes recht teuer erscheinen dürfte.
Wir besitzen andere Angaben über die Viehpreise jener Zeit,
welche darthnni da£i dieser Artikel nicht allan wohlfeil war. —
Im Jahre 1685 kommt es allerdings Tor, dab ein Fferd mit
2 '/s Babeln , ein anderes mit 860 Kopeken heaafalt wird. \)
Margeret dagegen berichtet, dafs ein Pferd im Einkauf 20 und
im Verkauf 50 — 100 Rubel zu kosten pflege. -) Im Tagebuche
Patrik (iordons wird verschiedener Pferdekäufe erwähnt; in dem
einen Falle zahlt er für ein Pferd 50 Rubel, in einem andern
▼erkauft er drei Pferde für 60 &nbel, in einem dritten kaoA er
„ein soh«nes<< Pferd Ar 30 Rubel n. dergl. *). Jihrlich wurden,
wie Kotosefaichin bemerkt, in Hoskan gegen 20000 Pferde ver-
kauft. Der Zar besafs in Moskau und andern Städten zusammen
gegen 40 000 Pferde, Jeder Bojar hatte eine Menge Pferde
0 8. die YOQ der Moskauer Qeeellsohaft für Geschichte and Alter-
tümer BnlUands heraoagcg. Zeitschrift „Wremennik'* 1864. Misoellen,
*) Marperet. rwf*. Au<«g;. S. 59.
») Tagebuch (ionl-ns V., herausgeg. von PosseltL S. 307, 313, 838.
*) Kotoschichiu, Vi. 6.
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Des Patnarchen Nikou Ausgabebucb 1652.
97
nnd pflegte fieh denolbeo bei der 2hirflokleguDg selbst der Ueineten
Strecken zu bedienen, — Die letzteren Angaben lassen wiederum
auf bedentende ^\ olilieilheit deB Zugviehs uchliefsen. Die Menge
der l^ferdc , deren man sich auf Heisen bedient , sowie die
Wohlfeiliieit des Transportt yerachiedener Gegenstände «na einer
G^end Yon Moekan in die andere, deuten eben&lls auf einige
Wobifeiilieit der Pferde. Ale nSmIich KUcon 3 Fiaeer fOr Kwab
kaufen UUst, kostet der Transport dieser FSsser von der Stelle,
wo sie gekauft worden, zum Hause Nikons 1 Kopeken. Als ein
anderes Mal 20 grofse i?'iscbe gekauft werden (Störe und Weifs-
fische), velche auf dem Harkte auf mehrere Fuhrwerke geladen
worden, kam der Transport dieser Fische vom Markte an Kikou
Hanse 8 Kopeken an stehen n. dergl.
Ein aosländischer Beisender bemerkt, in BuTsland aei nichts
so wohlfeil als Fisch. ^) Dies ist indessen doch nicht von allen
Fischarten zu verstehen. Allerdings kauft Nikon einmal 82 Hecht«,
Brachsen u. dgl. für 135 Kopeken, B600 Waldailieringe für 108
Kopeken n. s. f. Dagegen sind Store ein grofser Luxus und
kosten sehr viel. Ffir 20 Störe werden 8 Babel besakit, 1 Weile-
ftsch kostet 1 Babel. Das Volk nlilirte sich meist mit gesalaenen
Fischen; frischer Fisch wurde ans entlegeneren Gegenden nach
Moskau gebracht und dort in grofsen Wasserbassins gehalten, war
also nur den Reichen und Vornehmen vorbehalten.') Gesalzene
Fische waren nicht teuer, wenn nicht K- ruagsmafsregeln ent-
weder die Fischereien beeinträchtigten oder das Salz Tertenerten.
Gesalaener Lachs kostete etwa 1 Kopeken das Pfand. 1 Pfand
fnschen Kaviars beaahlte man mit 4 Kopeken, doch geschah ea
wohl, dafs man yerdorbenen Kaviar von Regiemngs wegen den Kauf-
leuten zu dvm allerdings niedrigen Preise von 1 Rubel für 10 i'ud
aufzwängte, wa» etwa '/^ Kopeken für das Pfund beträgt.'')
Die ausländischen Beisenden staunten über die Menge des
>) Ruschtsrhinski, a. a. O. S. 87.
*) Kustomarow, das häusliche Leben der Grofgrussen. S. 86.
') Kodes t Bedenken über den moskowitischen Handel, a. a. 0.
S. 249.
BrAekner, BiilUuid. 7
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98
Dm FhtriiMhen Nikon Ansgabebnoh 1668.
Wildes in Rnfsboid. Ei ift sa bedaners, dafs in Nikoni Haw-
lialt dieser Artikel gar nicht ▼orkomtnt. Dafs viel Wild yorbandea
gewesen sein müsse, ist u. a. daraus zu entnehmen, dais fdr die
.Ta<^den dea Zaren Hirsche, Bären, W üchse, iiaaeu, die mau im
ümkreifle TOn 80 Werst rings um Hoskau lebendig fing, gehalten
worden. Im weiteren Umkreise war die Jagd frei. £s gab 100
Jiger und ebensoviele Hnnde bei Hofe.^) Aus Kilbnrgers
Preisangaben wissen wir, daft damals eine Ente 6 Kopeken, ein
Birkliiilin 3 Kopeken, ein Auerhahn 8— 9 Kopeken, ein Kebhuhn
1 Kopeken, cm Hase 3 — 4 Kopeken kostete. Zahmes Geflügel
war Terhältnismärsig teurer: ein indisches Huhn kostete 15 — 16
Kopeken, ein Hnhn 3 Kopeken, ein Paar Kttcbleüi 2 Kopeken.
Die Eier werden bei Nikon wiederholt im Preise notiert
Er besahlt das Hundert mit 8 — 15 Kopeken, was mit den An-
gaben bei Olearius (9 Eier 1 Kopeken) oder bei Kilburger (5
Eier im Mai 1 Kopeken, 15 Eier im Juli 1 Kopeken) so ziemlich
übereinstimmt und den heutigen Preisen, mit £,oggeu verglichen,
gleichkommt*
Leder erscheint teurer: es ist eben nicht mehr reiaea Bob*
prodnkt. Nikon moTs fttr Leder an Stiefelsohlen 18 Kopeken,
fBr ein Paar Stiefel 1 Bnbel, für ein Stflok Saffian sn einer
Mutze 50 Kopeken bezahlen. Nicht ^voli-feil sind auch Felle.
Nikon läfst wiederholt Pelze kauten ; em solcher von Tiftmmfell
kostet 97 Kopeken, ein Schafspelz 1 Kübel.
Obgleich es a. B. sehr viel Elentiere in Bnfsland gab, wie
wir n. a. ans Margerets Schrift wissen,') so waren doch Elen-
hKate ▼erhültnismäTsig teuer und kosteten das Stück die betrSchi-
liche Summe von 4 Bubeln.^) Aus diesen Beispielen ist zu ersehen,
*) Kotoschichiii. VI. 6.
*) Margeret, Boss. Ausg. 6.
Bodes, Bedenken a. a. 0. 8. S64 and KriBchanitichs Schrift über
Bnisünd a. d. J. 1668—1665, welche Bessonow im Jalire 1859 u. d. T.
„dw rassische Staat um die Mitte des siebzehnten Jahrhondertt"
herausgegeben hat, Bd, I. S. 85. Wie lioch im Gegensatz zum Roh-
produkt Indnstrieerzeugnisse bezahlt wurden, ist aus Krisebanitschs
Klage zu ersehen, man verkaufe den Ausländem eine Elcnhaut für
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Des Patriarchen Nikon Au^;abebucli 16Ö2.
99
dftft Bohprodnkte, welche einer noeh lo geringen Yerarbdtntigf
bedürfen, verliältnisniäfsig hoch im Preise stehen.^) So erfordern
Seife und Talglichte doch nur eine geringe Technik, stehen aber
hoch im Freü. Wenn Nikons Tischtücher gewaschen werden
lollen, 1D11& nach Seife gesehiokt werden und das erforderliche
Quantum wird mit 3 Kopeken benUtj eine Somme» flir deren dem
beatigen Hafaitab entapreehenden Gbtreidewert man bentantage
etwa 10 Pfiind Seife m kaufen im atande wftre. Ebenso er-
scheinen Talglichte zu 24 — 30 Kopeken für lUO Stück teuer be-
zahlt. Wenn wir anueiimeu, dafs deren G^^röfse und Gewicht den
gegenwärtig produzierten Talgliohten entaprocheu habe, ao könnte
man beotsatage f&r die dem gegenwUrtigen Getreideprdae ent-
apreebende Summe £ut die doppelte Anoabl Ton Liebten kaufen.
Dennoch galten TalgUcbte ala wobifeüerea Beleaehtungamaterial
wie Wachslichte. Es wird berichtet, die Reicheren hätten Wachs-
lichte gebraucht, die Ärmeren Talglichte. Sogar im Paläste des
Zaren sollen im sechzehnten Jahrhundert Talglichte gebraucht
worden sein. ^) Lampenöl war, wie der Archidiakonos Paulua,
weleber die Reiae dea Patriareben Hakariua Ton Antioobien nacb
BuTaland im Jabre 1653 beiebreibt, bemerkt, ao teuer, dafo ea
sogar nur aebr wenig Öllämpchen Tor den HeiKgenbüdern gegeben
habe. Das Pfund Wachs, dessen Preis in Nikons Ausgabebuche
sehr oft notiert wird, kostote 12 Kopeken. Es entsprach dem-
nach nach damaligen Preisen ein Pud Wachs 7 Tschetwert Koggen,
wKhrend beutautage ein Pud Wacba etwa 3—4 Tacbetwert Boggen
entaprieht, waa fibrigena aber auf ein Steigen der G^treidepreiae
ala eis Sinken der Wadiapreiae deuten mag. Ebenao entapracb
Honig, welcher wiederholt mit 66, 67, 75, 84, 86 Kopeken daa
Pud notiert wird, etwa 2 Tschetwert Roggen, während beute der
8-~4 Rubel und müsse nachher den Ausländem fiir Kleidongtatfioke,
welche darana Terfertigt würden, das Zehnfache zahlen.
') Dafs u. a. Feder\'ieh im älteren Rofsland sehr teuer war, be-
merkt Aristow, a. a. O. 301.
') Kostomarow, das liiiusliche Leben der UrofsniBsen. 8. &5.
*) Ruschtschinski a. a. 0. 46.
100 Bm Patriarchen Nikon Aasg»bebnob 1668.
Freu des Honigs dem des Getreides nahekommt» oder denselben
nur in geringein Mafse übersteigt. *) Sehr teuer war zu Nikons
Zeit die Butter, welche mit 90 — 130 Kopeken für das Pud notiert
wird} 80 dafs etwa 3 Tachetvvert IU}ggen einem Pud Butter eut-
spraohen, während gegenwärtig ein Fad Bntter nicht viel mehr
kostet als ein Tscheiwert Boggen.
Des Obstes und Oemüses wird in Nikons Ansgabebitche nnr
selten erwShnt. Über die Freise des ersteren erfiihren wir ans
dieser Quelle gar nichts. J^ie 0])8tzucht wai' nicht sehr entwickelt,
doch berichtet Oleurius mit {Staunen von der Menge des Olistes
und Gemüses in Rufsland und bewundert die Gärten des Zaren. -)
Pttr i Kopeken kauften die Beisenden der holsteinischen Gesandt-
schaft auf dem Wege nach Koskaa ein sehr stattliches Gericht
Himbeeren.^ Linsen kannte man in Bobland damals noch
nicht. *) Es ist nicht leicht zu entscheiden, ob folgende Freise,
deren in unsrer Quelle erwälmt wird, liuch oder niedrig zu
nennen seien : 30 Köpfe Kohl für 9 Kopeken, ein Fafs Kohl
60 Kopeken, ein Fafs Gurken 36 Kopeken, ein grofser Eimer
voll Gurken 5 Kopeken, SOOO Stttck Gurken 57 Kopeken,
1 Tsohetwerik Zwiebeln 10 Kopeken, Kan mfifste eben genauer
▼on der Grtf fse der GefU^e und der Qualität der Ware unterrichtet
sein, um diese Frage erörtern lu können. Erbsen zu 80 bis 120
Kopeken das Tschetwert, wie Nikon sie bezahlen mufste, erscheinen,
mit den heutigen Preisen verglichen, nicht übermäfsig teuer. l)amaU
wie heute entspricht ein Tschetwert Erbsen 2 — 3 Tschetwert Roggen.
Auch das Verhältnis der Boggen- und Weiaenpreise zu einander
hat lieh nicht geändert. Hafer scheint relativ wohlfeiler geworden
*) Honig wurde statt des Zuckers gebraucht. Nur d«i Beichsten
stand ausländisches Konfekt zu Gebote. S. Kostomarow a. a. 0. 89.
Wachs wurde exportiert, s. Uargeret Der Waohsverbrauch bei Hofe
war sehr stark. Kotoechichin VL 2, berecbnet denselben auf 1000 Pud
jährlich. Bei der Beerdigung des Zaren verbrauchte man 100 Pud.
Kotoschichin I, 32.
•) Olcanus 77 und 78.
«) Ülcarius 11.
*) Buschtschintki 87.
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Des Patriarchen ^ikon Auagabebuch 1652. tOl
zu sein. I'u^r* Li^en ist die Veränderung des Verhältnisses von
Roggen zu Roggenniehl und von Weizen zu Weizenmehl in den
letzten awei Jahrhunderten eine sehr auffallende, ^io Tschetwert
Boggenmehl kostete damals das 3 — 4faehe ▼om BoggeDprdse,
während jetst daa Boggenmebl nur etwa um 16 79 teorer ist als
der Boggen. Weisenindil kostete damala relatiy Tiel weniger als
Roggenmehl, insofern es nur um etwa 40 — 60^0 temrer war als
der Weizen, dagegen relatiy teurer als heutiges Weizenmehl,
welches nur etwa 13**/^ teurer zu stehen kommt als der Weizen.
Indessen sind in unsrer QaeUe die auf diesen Gegenstand bezüg-
lichen Preisnotierangen nicht sahireich. ^ Dafs die Getreidepreise
damals mancherlei Sehwanknngen je nach Zeit und Ort ansgesetst
waren, ist hekannt. In Kasan kostete ein Tschetwert Roggen
13 —25 Kop., in Archangel 1 Rnbel u. dcrgl. m. ^)
Arbeitslöhne.
• Hat es einige Schwierigkeit die Preise der Bohprodnkte in
verschiedenen Jahrhunderten miteinander an vergleichen, so ist
eine solche Yergleichnng inbesng anf den Arbeitslohn mit noch
gröfseren Schwierigkeiten verbunden. Die Qualität der Arbeits-
leistung jetzt und früher ist in den meisten Jb'ällen eine sehr ver-
schiedene. Ferner ist in sehr zahlreichen Fällen der in G^eld
heiahlte Arbeitslohn war ein Teil des Lohnes überhaupt, der ja
*) Dem Ausgabehuclie Nikons zufolge kostete damals ein Tschetwert
Roggen 40— 54 Kopeken, ein Tschetwert Weizen 85 Kopeken l)is 1 Rulid,
ein Tschctwtirt Hafer 28—30 Kopekon. .Tefzt kostet ein Tschetwert
Koggen 7 Habel 25 Koix'ken bis 7 Kübel fiO Kopeken, Weizen 14 Rubel
bis 14 Rubel 50 Kopekeo, Hafer 3ö()— 410 Kopeken.
*) Wenig Anhaltspunkte für preisgeschichtlicho Untersuchungen gibt
die Notis in unsrer Quelle, daft ein Tschetwert Rogg^ixwiebsck 84 Kop.
gekostet habe. Mit der Notis, dafs 1000 Kringel 40 Kopeken kosteten,
ist gar nichts anzufangen. Bine sehr beliebte Spelle war fih&rlnrei.
Sollte nicht der Umstand, dafs das Roggenbrot in Bufsland dem Weizen*
brot vnr^czorrcn worden sein soll (Kostomarow a. a. 0. 82), eine Ur-
sache der relativen Wohlfeilheit des Weisenmehls gewesen sein?
*) Kodes a. a. 0, 853.
102 Des Patriarchen Nikon Ausgabebuch 1662.
auch in Naturalien, Lebensmitteln, Kleidung u. s. w. bezahlt
wird, so dafs etwa die Art der Naliniiig und Verpflegung, welche
sich nicht in einer Zahl ausdrücken läfst, der entscheidende
ICalMtab für den Lohn sein müfste. Bei dem Yorbemchen der
unfreien Arbeit in Jener 2eit haben sich wenige Preisnotiaen
solcher Art erbaltoi. Dennodb wäre es mdglich und von grofsem
Interesse die L5bne für qualifisierte Arbeit, die Gehalte der
Techniker, Militärs, Arzte u. s. w. in Eufsland zu jener Zeit
zum Gegenstände des Studiums zu machen. An Material ist kein
absoluter Mant^el, wie denn z. B. das Tagebuch Patrik Gordons
sehr wertroUe Beiträge für eine derartige Preisgeschichte enthJÜt.
Wir können es nicht unternehmen, eine genaue Vergleichnng
der Arbeitslöhne im siebaehnten Jahrhundert mit den Arbeits-
löhnen in gegenwärtiger Zeit zu versuchen. Indem wir aber in
dem Folfj^endcn die auf diesen Gegenstand be/iigliclicn Angaben
des Ausgabebuches Nikons mitteilen, hoffen wir doch zu einem
allgemeinen Ergebnis über die Frage gelangen zu köimen, ob der
Lohn damals hoch oder niedrig gewesen sei.
Die Angaben über die Gehalte der Personen von Nikons
Gefolge haben nur ein geringes Interesse. Wenn wir erfthren^
dafs einige derselben, u. a. der die M'irtschalt luhrende ]\[önch,
je 3 Rubel halbjährlich an Lolin erlmlten , so können wir über
die Höhe eines derartigen Lohnes nicht urteilen, weil diese den
Metropoliten umgebenden Geistlichen aum Hanse gehörten, also
freie Nahrung, Wohnung, Kleidung hatten. Von gröfserem Inter-
esse ist die Bemerkung, dafs jene swei Frauen, welche in Nikons
Hanse die Fu£ib5den waschen, fKr eine solche einmalige Dienst-
leistung, welche vermutlich die Arbeit eines Tages ausmachte,
20 Kopeken erhalten , was also verhältuismärsig teuer zu sein
scheint. Der Hausknecht an einem Orte, wo Nikon auf der Heise
▼ou Nowgorod nach Moskau nächtigt, erhftlt ein Geldgeschenk
von 3 Kopeken. Dafs die Pfihrleute in Twer 15 Kopeken er*
halten, bietet kanm einen Ghmnd sur Beurteilung, weil wir nicht
wissen, ob dies der Lohn für das Übersetzen von 30 Fuhrwerken
ist, oder eine Art Trinkgeld. Das Beschlagen eines Pferdes
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Des Patxiarollea Nikon Ausgabebuch 1662. 103
kostet 8-9 Kopeken, Für das Reinigen der Mäuler von einer
nns unbekannten Anzahl Pferde wird 3 Kopeken bezaliit, wa« nelir
wenig ist, wenn diese Manipulation als eine veterinärärztliche
Leistung aasosehen iit. Der Macherlohn die Eisenarbeiten
an dnem Schlitten , welcher nur 119 Kopeken koatet, betrigi
S Bnbdi. — Ein Lohn von 5 Kopdcen für das Verapinnen einea
Ffondea Baumwolle an Dochten eraoheint ala ganz exorbitant,
wenn man die entsprechende Vergütung für die allerdings heut-
zutage mit Hilfe von Maschinen fast unentgeltlich geleistete Arbeit
dieser Art damit vergleicht. Für die Anfertigung einea hölzernen
Behftltera für eine Uhr erhält der Zimmermann — nnd aoa dem
tlmatande, dafa es ein aolcber ist» kann man auf die Einfachheit
der Arbeit achliefaen — 25 Kopekeni was indeaaen, wenn man die
Getreidepreise von damals und heate berücksichtigt, heute etwa die
Summe von 5 Rubeln repräsL-ntiert. "Wenn ein Maler, welcher
10 Bilder der heiligen Mutter Crottes anfertigt, für diese Arbeit
150 Kopeken erhält, so erscheint ein solches Künstlerhonorar als
adir bescheiden ; nur ist au beräckaiohtigen, dafs von einer eigent-
lichen Knnstieiatnng hierbei nicht die Bede sein kann. Die Zah-
hmg von 10 Kopeken an einen Buchbinder, welcher 34 Hefte
und einen Ledereinband geliefert hatte, scheint recht nuifsig zu
sein. (.)b dagegen die Zahlung von 5 Rubeln für den Silber-
beschlag eines geistlichen Buches so hoch gewesen sei , als dies,
mit andern ähnlichen Handwerksldhnen TergUchen, im ersten
Augenblick erscheint, ist nicht au beurteilen. "Wenn aber der
BanmeisteTi welcher Nikons Haaskapelle in Moskau baute, 4 Babel
50 Kopeken erhielt, so mag ein solcher Lohn als bedeutend gelten.
Sehr gering erscheint der Schneider- und Kürachnerlohn im
Vergleich uiit dem Wert der herzustellenden Kleidungsstücke,
wenn derselbe auch an sich gar nicht unbedeutend sein mochte, in
folgenden Fällen. Ein Kleidungsstück, dessen Stoff und Zuthaten
40 Bubel kosten, kommt an Macherlohn 15 Kopeken sn stehen.
Das Anfertigen ¥on Samtmtttsen, an denen der Samt und der
Zobel einen Wert tqu 51 Bubeln repräsentieren, kostet 9 Bubel
u. dergl. m.
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104
Des FatriarcbeD Nikon Aii«g«Vet>iiok IW,
Ans diesen AogabeB gleaben wir eebliefeen su dttrfen, dab
der Lohn f&r eine Arbeit, welcbe einige technische Vorbildung
erforderti Terhältnismäfsig hoch geweeen sei.
IndnstrleerzeiigntBfie.
Die Industrie war in Rufsland vor zwei Jahriiunderten nur
schwach entwickelt. Man bedurfte sehr vieler vom Auslaude im-
portierter liannfaktarwaren. Buasische Industrieprodokte standen
ttiebt hoch im lE^ieer konnten aber ihrer geringen Qualität wegen
nicht wohl mit den aneUndischen Waren derselben Gattung kon-
knrrieren. Dies Iftfst sich n. a. auch ans Nikons Ansgabebnche
nachweisen. lU der Aletropolit sich eine stattliehe Kleidung
anfertigen lassen, so kauft er nur auäläudische iStoflfe; die Wüsche
und mancherlei Kleidungsstücke, welche für Nikons Gesinde an-
geschafft werden, sind offenbar Ersengnisse der rassischen Industrie.
Die ersteren Artikel sind aufserordentlieh teuer, die letzteren
▼erhiUtnismärsig wohlfeil.
In Rnfsland wnrde viel Leinwand angefertigt, aber mehr
gröbere Sorten. Obgleich die Produktion feinerer Leinwand nicht
ganz au^eschlossen war, wurde doch feinere Ware meist aus
Holland importiert. In Nikons Haushalt mochte wohl mssisches
Ersengnis gebraucht werden. Ein Hemd kostet 22, in einem
andern Falle 27 Kopeken; ein Paar Hosen 11 Kopeken. Wir
wissen aus einer andern (Quelle, daTs dne Arschin Leinwand
2 — 5 Kopeken kostete.
"Rines andern, wahrscheinlich hau m wollenen Stoffes Kmsche-
nina") wird in unserer (^^elle erwähnt, welcher 6 Kopeken die
Arschin kostet, ferner noch eines Stoffes («Bumaseja**), dessen
Preis 13 Kopeken die Arschin war.
Von fertigen Kleidnngsstficken, welche offisnbar bescheideneren
Ansprächen genfigten, sind ra erwähnen: ein graner Rock für
einen Stallktn iht iar hi Kopeken; ein Kaftaii lur ','> Ruhel ()0 Ko-
peken ; 1 i'aar Stiefel für 1 Bubel. ^) — ^icht teuer erscheinen
>) Andere denuiige Notisen ^nden sich in der histoiischen Zeit-
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Des Patmrokea Mikoa Aosg&bebuch 16öS.
105
24 zinnerue Knöpfe für 2 Kopeken. Ein Lederstuhl für Ko-
peken mochte nicht ein Luxusmöbel gewesen sein. — Von Pferde*
geschirr wird erwähnt: Zügel zu 8 Xopekent ein Kiunniefc SQ
12 Kopdm« Sine Laterne yob Mariengl— f&r den Stnll kostet
6 Kopeken.
Um Sdbreibpapier, welehes Nikon sn kMifen pflegte, moehte
v>oh] au>Iändisches Fabrikat sein. Da« Ries kostete 75 Kopeken.
Ob damals die Papierfabrik, welche Johann von Sciiwedcu bei
Koekan errichtete und deren Küburger erwähnt^ schon bestand,
iriflMn wir nieht. Das nuaiBclie Papier kostete im Jahre 1671
1 Snbel das Biea nnd war iolileckter ala das aoalSndttobe, ao dab
der Import atttlindiacher Ware anek später fortdanerte. Die ge*
ringe Güte des nissischen Papiers galt als eine Folge des Mangels
an feinen Lumpen.
Wie teuer aber ausländische Waren zu stehen kamen und
wie aehr der Verbraaoh derselben nur den Beiohsten in Bofsland
moglieh war» ist ans den sehr hohen Preisen der Kleiderstoffe
sn waeheDy welohe Nikon, wie schon erwähnt, so gern kanfle.
Fflr kostbare Stoffe hatte man in Bnfsland swei Besngsquellen :
den Orient — namentlicli Persien — und das westliche Europa,
Wie viel die Kaofleate an solchen Waren gewannen, ist u. a. aus
der Notiz zu ersehen, dafs persische Seide, welche im Einkaufs-
preise 80—60 Babel an stehen kam, an 45—90 Anbei das Pud
▼erkauft wurde. — IKe grofse Kenge von Beseiehnnngen f&r die
▼ersdhiedenen Stoffe*) deutet auf einen reeht starken Yerbraueh
dieser Waren wenigstens vonseiten der höheren Klassen. Dafs
aber selbst Tuch als ein Luxusriuttel betrachtet wurde, ist n. n.
ans dem Umstände au ersclien, dafs die bei dem Aufstande des
Jahres 1663 gegen die Bebellen verwendeten Soldaten je ein
schnii „WrcmcDuik" 1854 unter deu MiäzcUeu S. 28 und '64 u. u. uine
Mätse 106 Kop., einPSar Stiefel 48 Kop , ein Säbelgttrtel 16 Kop.. ein
Paar Schuhe 18 Kop., ein Kamm 9 Kop., eine Bürste 7 Kop, ein Kaltau
90 Kop., eine Hfitse mit Biberfeil besetst 80 Kop., eine andere Hütce
60 Kop., ein Zaum 45 Kop., ein Paar Saf&anttiefel 40 Kop.
*) Kestonarow a. a. 0. 66.
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106 Des Patriarchen Nikon Ausgabebuch 1652.
"Werschock Tuch erhielten, während mehrere Beamte bei dies^
Gelegenheit mit je 1 Werschock Samt belohut wurden.
Wir haben schon ohen gezeigt, wie aufserordentlich grofs
der Lnziu war, den »ich der Metropolit Kikoa hinsiebtlich des
Yerbranclies koetb«rer Stoffe gestattete. Hier wollen wv nur
der Preise fOr die in dem Ansgabebache erwihnten Oegenatünde
dieser Art erwfthnen. Es kommen vor : Tuch m 1 Rnbeli 1 Bnbel
60 Koj)eken, 2 Rubel 40 Kopeken die Arschin ; Atlas zu 1 und
zu 2 Rubel die Arschin, Samt zu 3 und zu 4 Kübel die Arschin. —
Berücksichtigt man die Getreidepreise jener Zeit, so müssen diese
Ziffern als Terbältnismäfsig sehr hoch beseichnet werden. Hent-
sntage entspricht eine Arschin dieser Stoffe nngeföhr ^/^ oder '/t
Tschetwert Koggen, damals galten zwei bu zehn Tschetwert
Roggen so viel wie eine Arschin Tuch, Atlas, Taft, Samt. —
Die relative Wohlfeiiheit des Holzes, dessen Preis wir mit den
Tnchpreisen schon oben verglichen, und die relative Kostspielige
keit dieser Gewebe sind wohl am besten geeignet, die entgegen-
gesetsAe Bewegung der Pteise von Bohstoffen und Mannfaktnren
in den letzten zwei Jahrhonderten ansohanlich au machen.
Ebenso waren Metallwaren in jener Zeit unverhältnLsmäfsig
teuer. Der Bergbau war noch ganz unentwickelt. Es fehlte fast
au allen Metallen. Das in Rufsland gefundene Eisen war schlecht.
Erst unter Peter dem Groisen begann ein Aufschwang der Berg-
werke in Sibirien^ deren Eisengmb^ besseres Produkt lieferten»
als die in Bulsland gelegenen. Die mancherlei Versuche, welche
die Regierung seit dem f&nfzehnten Jahrhundert madite, aus-
ländische Bergleute nach Rufsland zu berufen, hatten keine grofsen
Resultate. Noch im sechzehnten .Jahrhundert wurde das meiste
Eisen importiert, und daher hatten, als am Anfange dieses Jahr-
hunderte die Engländer um das Becht der Ausbeutung von Eisen-
gruben in Bulsland baten, selbst die in IQmliehen FSUen sonst
sehr mfersfichtigen russischen Industriellen und Kaufleute nichts
gegen die Gewitliruiig mies solchen Verlangens einzuwenden.
Einzelne Hüttenwerke, wie etwa das seit dem Jahre 1G32 be-
stehende des Holländers Andreas Winij^ bei Tula oder das Beiig«
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Des Patriarchen Kik<m Ausgabebuoh 166S.
107
werk des Dänen Marselis und des Holländers Akema, reichten
niclit hin, um den Bedarf des weiten Reiches zu decken. Auch
gelangten diese Unternehmungen wohl erst in der zweiten Hälfte
der Begierang dei Zaren Alexei MiohaUowitsch, also naoh dem
Zeitpnnktei in welchen die Ftthrnng dee Ao^beboehee dea Metro*
politen Nikon fUlt, wa einiger Blftte.
Metalle sind nieht wie Hola auf dem Wege einfadber Okku-
pation zu erlangen, sondern müssen auf dem mühsamen Wege der
Produktion beschafft werden. Diese erfordert Kapital, Unter-
nehmungslust, technische Kenntnis — Dinge, welche in Bufsland
nm die Mitte dea BLebaehnten Jahrhnnderta nnr lehr apfirlieh
▼oireten waren. Selbst Boheiaen ist demnach, wenn man die
Stufe der damaligen wirtechaftliehen Entwickelnilg bertickaiohtigt,
nicht 80 sehr Bohprodnkt als Knnatprodnkt. Es mufste sehr
hoch im Preise stehen. Viele Waren, die anderswo wohlfeiler
und besser aus ll^isen hergestellt an werden pflegen, werden auch
heute noch in manchen Gegenden Rufslands ans Holz angefertigt.
Die Anaittnder, welche Bufaland im 17. Jahrhundert bereiaten,
machteni wie scbon oben mitgeteilt wnrde, die Bemericnng, dafii
bei dem Ban roa Hilaaem oder beim Zimmern von Flnikfahr*
zeugen oft güi keine eisernen Xägel in Anwendung kamen. —
Orientalische Geistliche, welche daheim an manchen in Rufsland
ganz unbekannten Luxus gelohnt sein mochten, beiyerkea o. a.,
dafa es in Eufsland gänalich an — metallenen Kronlenchtem
fehle.*) — Kor die Wohlhabenden hatten Lenehter, welche ana
Measingdzaht angefertigt waren.
Ans Nikona Kassabnehe erfiihren wir, dafa ISaen damals
1 Kubcl 10 Kopeken das Pud kostete: es kam demnach ein Tud
Eisen im Werte gleich dem Quantum von 3 Tschetwert Iwjggen.
Vergleicht man den Eisenpreia mit dem Hol^reiae, ao stellt sich
Eilburger in Büschings M^radn TTT. S. 638 — NT.
*) Ruechtschinski a. a. 0. S. 46. Nur ein Zweig der Metallindustrie
war recht bedeutend entwickelt, die Glookengiefiiwei, an welcher auch
russische Mei ter teilnahmen,
') K.oto8ühiühin S. 66.
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108
Des Patriarchen Nikon Ausgabebuch 1652.
berans, daTs ein Poet Eiien im Werte einem Balken Ton etwa
40 — 5U Ellen Länge gloichkam. Wären die Schlitten, über deren
Wohlfeilheit wir oben eine Bemerkung machten , mit Eisen
beschlagen gewesen, so hätten sie nicht 15 Kopeken das Stück
kosten können. — Der Metropolit Nikon liels einen Tisch anfer-
tigeni welcher ansammengelegt werden konnte. Das Hola an
diesem Tische kam 95 Kopeken an stehen, das Eisen doppelt so
▼iel. — Ganz enorm erscheint der Preis Ton 10 Kopeken (gleidi
dem Werte von Tschetwert. Roggen) für ein Hufeisen. —
Zwei neue Schlösser für den Keller kosten 16 Kopeken ; ver-
zinnte Nägel för den Schlitten, offenbar nur zur Verzierung
dienend, kosteten 4 Kopeken; bei dem Bau der Hanskapelle
kommen KSgel aar Verwendung; 1300 Stfick kosteten 1 Habel
10 Kopeken, was weniger tener erscheint. Drei Knpferlenchter
kosteten aber 90 Kopeken, so dafs der Wert eines wahrscheinlich
spott.schlechten Leuchters damals dem Werte eines Tsclietwerts
Boggen nahezu gleichkam, was wiederum als du sehr hoher Preis
erseheinen mofs.
Eolonlalvaren iiiid C^ewOrze.
Die Russen bratichtcn viel Gewürze. Sie thaten viel Kiiob-
laucli und j^feffer in die Suppe, den Wein tranken sie oft mit
Gewftrzen yermischt. Ausländische Gewürze, getrocknetes Obst
n. dergl. waren sehr beliebt, nnd auch der Metropolit Nikon kon*
snmierte diese Artikel, besonders wenn bei ÜBStliehen Gelegen-
hmten etwas Anberordentliohes gebacken wnrde. Diesem Umstände
yerduiken wir folgende Preisnotizen, deren Vergleichung mit den
gegenwärtijjen Preisen einiges intere.sse darbietet.
Reis finden wir mit 4 Kopeken das Pfund notiert, so dals
etwa 10 Pfund Keis einem Tschetwert Koggen entsprachen,
wShrend hentsntage etwa 100 Pfand Beis so viel kosten, wie
ein Tschetwert Boggen. Mandeln kosteten 9 Kopeken, so dab
etwa 4 Pfand Mandeln den Wert eines Tsohetwerts Boggen reprä-
sentierten, während man heute für einen Tschetwert Kuggen
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L)es Patriarchen Nikon AuBgabebuch 1662.
109
ebensoviel ausgibt, wie für 30 Pfund Mnndeln. Nelken kosteten
80 — 144 Kopeken das Pfund, so dafs etwa Pfund Nelken
einem Tschetwert £,oggeu an Wert gleichkam, während man
gegenwärtig fär den Wert einet Techetwerte Boggen 30 Pfund
Nelken an kftnfen imstande 'ist "Wenn BramwoUe Id Kopeken
dM Pfand kostete, so entsprechen 3-^4 Pfond dem Werte eines
Tftohetwerts Roggen, wKlirend man Beate mit dem Werte eines
Töchetwerts Roi^ü^en 20 Pfund zu kaufen vermag. — Feigen
kamen 4 Kopeken das Pfund zu stehen, so dafs etwa 10 Pfund
im Werte einem Tschetwert Hoggen gleichkamen, während heute
ein Tschetwert Boggen so vid kostet wie 30 Pfund Feigen. Sehr
tener waren damals auch Boeinen, welche 3| 4, 5 nnd 6 Kopeken
das Pfund kosteten. Für das entsprechende Quantum Getreide
könnte man heute statt eines Pfundes 5 — 6 Pfund kaufen. —
Noch teurer war Pfeffer: 2 Pfund kosteten 36 Kopeken, also
ungefähr so viel wie ein Tschetwert Koggeu, während man gegen-
wärtig für den Wert eines Tschetwerts Boggen 20 Pfund kauft.
Ahnlich teuer erscheinen: Zinnober au 48 Kopeken das Pfund,
Safran an nngel&hr 4 Bnbeln das Pfund, Weihrauch au 16 Ko>
peken das Pfund.
Uberblicken wir die Ergebnisse der aus dem Haushalte des
Metropoliten Nikon ersichtlichen preisgeschichtlichen Verhältnisse,
verglichen mit den gegenwärtigen Preisverhältnissen , so finden
wir eine Bestätigung der Besultate der natiooal-dkonomisch*
historischen Forschungen, welche Yon namhaften Forschem ange-
stellt wurden. E. Laspeyres fafst diese Ergebnisse in seinem
Anfsatse: „Welche Waren werden im Verlaufe der Zeiten immer
teurer? Statistische Studien zur Geschichte der Preise"') etwa
so zusammen :
Alle Waren steigen um so mehr im Preise, reap. fallen um
so weniger im Preise, je mehr sie unter sonst gleichen TTmständen
'> in der Tübinger Vierteljahrsschrift für Staatswissenschalt, 1872,
L Heft
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110
Det Fatriirelieii Nikon Ausgabebaeb IttSL
Katarprodnkt oder je weniger ite verarbeitet sind; dies leigea
folgende Prodnktionsgesetse:
1) die Beschränktheit der toten Natur hat das Streben, bei
langdaueriid zunehineuder Nachfrage die Produktionskosten aller
Waren zu erhöhen :
2) die Unbeschrftnktheit des meosohlichen Geistes hat das
Streben, bei nnnebmender wie bei abnehmender Kachfrage die
Produktionskosten aller Waren dnreh Erfindungen an erniedrigen ;
oder: 1) je mehr ein Gnt Bohprodnkt ist, desto mehr haben
die Produktionskosten die Tendenz zu steigen und mu so weniger
die Tendenz zu fallen, und 2) je mehr ein Gut Kuustprodukt istj
desto mehr haben die Produktionskosten die Tendenz zu fallen*
Wir hatten in nnarer Abhandlang Gelegenheit swei Ter-
hKitniimiisig weit anseinander gelegene Zea^nnkte, das sieb-
sehnte nnd das neoniehnte Jahrhundert miteinander in ver-
gleichen. E. Laspeyres vergleicht die Jahre 1846 — 1850
mit den Jahren 1851 — 1805 und kommt zu folgenden Ergeb-
uisäen. Er weist auf Grund sehr zahlreicher, sorgfältig gesichte-
ter Materialien nach, dais Bohprodakte, d. h. die Produkte Ton
Waldbau» Jagd, Fischerei, ViehEUcht und Pflanienban tou 100
auf 128, Kolonialwaren ▼on 100 auf 118, Mannfakturwaren von
100 auf 108, daTs also Rohprodukte in dem von ihm betraehte-
ten Zeiträume dreihial so stark im Preist; gestiegen seien wie
Kunstprodukte, dafs ein solcher Uutersclned der Preiöver.inderung
von Lustrum zu Lustrum immer gröfser werde und dafs, wenn
man die Geldentwertung in dem entsprechenden Zeiträume berttok-
sichtige, die Bobprodnkte als teurer, die Knnstprodnkte als wohl*
feiler geworden erscheinen. An einsetnen Beispielen wird dieses
YerhSltnis sehr anschanlieh eingehender illustriert. Eine s^r
auffallende Preissteigerung zeigen WaHfischborten, Eiderdaunen,
Büffel hörner, Hirschfelle, Elefantenzähne, .Schwämme, Harz, Holz
und fiolsprodnlcte , Häute. Die Häute sind mehr im Preise
gestiegen, als das daraus bereitete Leder. Die Knochen sind in
stärkerem Xafse teurer geworden als die daraus bereitete Knochen-
scbwJ&rse. Dagegen sind Chemikalien, wie s. B, Soda, Hols*
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Des Fatriarclien Nikon Ausgabebuch 1653. Hl
«xtnkto stark im Prmie gefiülen^ ebeatoMftnfifiÜEtiirei) »qi Ifindnlien,
wie Zinnober, Draht, Eisenbahnschienen. Roheisen ist in stärkerem
Mafse gestiegen , als alle daraus verfertigten Produkte , aber
weniger als Steixikohle ; Schwefelblame itt mehr gesunken als
roher Schwefel u. s. w.
Betrachten wir andere preii^sohiehtUebe Untenaohimgen und
Haterialien» welche einen grSfeeren Zeitraiim nmfassen, als der
Ton Laspeyres belraditete, so treten diese allgemeinen Züge
der Preisverändcnmg noch entschiedener hervor , und wir finden
noch auilallcnderc Analogien mit den Ergebnissen unsrer Be- •
Bchitftignng mit den Einselheiten im Haushalt des Metropoliten
Kikon. So erfahren wir ans einer Monographie Uber die Preise
der wichtigsten Waren und Lebensmittel in Orleans im 14. bis
com 18. Jahrhundert» dafs etwa im 15. Jahrhundert die Metalle
verhältnismärsig sehr hoch im Preise standen , dafs namentlich
Eisenwaren sehr teuer bezahlt wurden, wiihrend Getreide relativ
wohlfeil war. ^) Selbst von ti un n Luxusiischen, wie wir sie auf
der Tafel unsres russischen Kirchenfürsten wahrnehmen, ist in
dieser Monographie als im 15. Jahrhundert in Orleans Torkommend,
die Bede. Wahrscheinlidi fimd auch hier wie in Bufsland bei
den teuren Fisehen ein Transport statt» welcher diesem ursprüng-
lich durch Okkupation gewonnenen Rohprodukt den Chaaakter
eines Kunstprodukts verlieh.
Ahnliche Beispiele finden sich in Roschers Geschichte der
Preise. *) Wir haben aus den Angaben in unsrer Quelle ge-
sehen, dala zwischen Boggen und Boggemmehl em sehr betracht-
licher Unterschied bestand. Etwas Ähnliches ist es, wenn im
Westen von Amerika 4 Bnshel ungemahlen den Wert von
3 Bushel gemahlen babtii , wahrend in llavenna im dreizehnten
Jahrhundert, also auf einer relativ hoch entwickelten Wirtschafts-
Memoire sur la valenr des principales denr^es et marohandises.
qui 86 vendaient et se consumaient en la ville d'OrKnn? au eonrs du 14,
15, 16, 17, 18 siecles. Jiemoirea de la «ooi^t6 arch6ologique de TOrleanai^.
1862. S. 103- 000.
*) Qrundzüge der Nationalökonomie, 3. Aufl. ä. 236 ff.
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112
Des Patriarchen Nikon Ausgabebuch 1662.
stufe, der KaUlolm nnr etwa des Kornea betrag und im
neueren Deut«chland auf '/j^^ des Korniireises heruntergcBunken ist.
Selbst Brot ersclieint auf niederen Kulturstufen im Vergleich
mit J^'leisch etwa in derselben Weise als Kuustprodukt , wie wir
etwa oben die Bemerkoog machten, dafe Sobeiien im Yergleich
mit Hob als ein Kunstprodnkt beseiohnet werden könno. Unter
Heinrich YIII. in England war Kalb-, Bind-, Hammel- nnd
Bchweinefleitch die gewöhnliche Nahmng der Armen, wShrend
das Brot selir teuer war. Im siebzehnten Jalirhundert kostete
• 1 Pfund Haferbrot soviel und mehr als 1 Pfund des besten
Fleiflches. Während wir bei den Römern in der Kaiserzeit enorme
Wildpreiie antreffen, war in Lneitanien zur Zeit des Polibios das
Wild 80 gut wie nmsonat. — Wir &nden oben die Lederprodnkte
▼erhiltniBmäfsig tener. Ebenso kostete in England im Jahre
1348 ein Ochse soviel wie ein Paar Stiefel, wAhrrad jetzt die
Haut nur etwa V/j„ soviel gilt als das Tier.
Wir staunten oben über die relativ kolossalen Preise der
Kleiderstoffe. Ebenso kostete in England im Jahre 1172 1 Elle
Tuch soviel wie swei Ochsen. Im Westen Ton Nordamerika gibt
der Bauer S Pfund rohe Wolle für 1 Pfund Wollgarn. Ahnliche
PreisTerSnderongen finden sich, wenn man gröfsere Zeitrfinme be-
trachtet, auch bei den Kolonialwaren. Wir hatten oben Gelegen-
heit die relativ hohen Preise der Koloniaiwaicn mit der relativen
AVohlfeilheit des Getreides im siebzehnten Jahrhundert zu ver-
gleichen. Ebenso hatte im fünfzehnten Jahrhundert in Florenz
1 Pfand Zucker glelehen Wert mit 15 Plimd Fleisch, und im
▼ierzehnten Jahrhundert kostete in Turin 1 Pfund Pfeffer eben«
soviel wie 98 Pfund Speck u. dergl. m. Damals verdienten n. a.
die Importeurs von Kolonialwaren 100 — 400",, Unternebmer-
gewiuu. Seitdem haben Arbeitsteilung und Kapitaluützung, die
Entdeckung wohlfeilerer Bezugsquellen, die Herstellung grolser
Yerkehrsanstalten , die Bechtssicherheit und die Konkurrenz zu
einem Sinken der Preise solcher Waren beigetragen.
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V.
Eine russische Gesandtschaftsreise nach
Italien (1656—57).
Brttckut^r, Bublftod.
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Der Stüft Moikiii ttaad im 17. Jaliiliimdeii anliierlialb des
ooroplÜBehen Staatslebeiw. Es war eine seltene Ansnehme, dafs
russische ücbundte in Westeuropa erschienen. Sie machten mit
ihrer asiatischen Tracht, bei ihrer völligen Unkunuimö der Sprachen
und Sitten der vorgefichrittenen Völker denselben Eindraoky
welohea hentraitage chinesieche Diplomaten hexroraubringen liegen.
Kamen weatenropÜsche Gesandte naoh Koekan, so hatten sie,
nach Hanse heimkehrend, von Slmlidien Erlebnissen und Beise>
eindrttoken m berichten, wie etwa gegenwärtig eine Heise nach
Pn; K n oder Japan dieselben darzubieten pflegt. Ein ständiger
diplomatischer Verkehr zwischen Rufslaud und Westeuropa war
da« Besultat der grofsen Wandlung, welche sich in dem mosko-
witisdien Staate im Zeitalter Feters des Gbvfsen voUsog.
Die folgende Dantellnng der Seise räies mssiscfaen Gesandten
nach Florens nnd Venedig um die Mitte des 17. Jahrhunderts
mag diese Verhältnisse veransehanlidien.
Es hatte sich im Jahre 1655 ereignet, dals die Republik
Venedig einen diplomatischen Agenten — es war ein Geistlicher,
Alberto Vimina — nach Bulsland gesandt hatte, um den Zaren
Alezei nur Teilnahme an einer von den westenropStschen Staaten
gegm die Tttrkei au unternehmenden mUitllrisdiai Aktion au
▼eranlassen. Der Zar Alexei war indessen, gerade als der yene*
tianische Diplomat nach Kufsland kam, mit dem Kriege gegen
Polen beschäftigt i auch konnte man einen Bruch zwischen Schweden
8*
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•I
llti Eine russische Gesandtschaftsreise nach Italien (1656 — 57).
und RufsUmd erwarten. So lagen denn die orientalische Frage
und andere politische Interessen der russischen Regierung ferne.
Indessen wurde denn doch das Erscheinen Virninas in Rufs-
land zum Ausgangspunkte eines diplomatischen Verkehrs zwischen
dem Zaren und der Republik Venedig. In den darauf folgenden
Jahrzehnten erschienen in der Lagunenstadt mehrere moskowitiBche
Gesandte. Venedig galt damals noch als eine Grofsmacht. Be-
kanntlidi hat Peter der Grofse im Jahre 1698 der berühmten
Republik einen Besuch abstatten wollen, um die Werften und
Arsenale, die Geschwader und industariellen Etabiissementa der
Stadt in Augenschein za nehmen.
Wie weuig man in Moskau TOn Westeuropa wofstoi zeigt
der Umstand, dais Vimina, als er in Bolidand enehien, in naiTster
Weise gefragt wurde, woher er komme, wer in Venedig herrsche,
mit welchen Staaten Venedig Besiehungen unterhalte etc. Von
einer gewissen Nalvetät zeugte ferner russi.^cherseits der Wunsch,
die Republik Venedig, da man nun doch einmal von ihrer Exi-
stenz erfuhren hatte, um eine Summe Geldes zu bitten; JEluisland
bedurfte der materiellen Mitteli um Krieg sn führen gegen Polen
und Schweden. Bin solches Anliegen nun sollte eine misisdie
Gesandtschaft in Venedig Torbringen.
Die Reise ron Moskan nach Italien«
Heutzutage kann mau die Reise von Moskau nach Venedig
in vier Tagen zurücklegen. Im 17. Jahrhundert bedurfte man,
um dieses Ziel zu erreichen, ebensorieler Honate, Der Konflikt
zwischen Bufsland und Polen nötigte die Beisenden zu einem
grolsen Umwege. Die Bonte ging yon Moskau nach Archangelsk
und von dort zur See um ganz Europa herum durch die Meei-
eugo von Gibraltar nach Livorno. Diese Reise ist mehrmals
gemacht worden, und auch der russische Diplomat, welcher 1656
nach Italien aufbrach, mnlste diesen ge&hrrollen und weiten
Weg einschlagen.
Von diplomatischer Schulung oder poUtiseher Erfahrung ist
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Eme raseische GresaadUchaftJsreiae nach Italien (16öt>— ö7). 117
btoi den russischen GcBaiidten jenf-r Zeit kaum die Rede. D&a
aoBwärtige Amt in MoBkaa wählte auf gut Cilück dcu einen oder
den andern der höheren Ädmmistrativbeamten, ohne dafs der zu
ernennends Gosandto irgendwie für eine diplomatisoheMiaeion qoeli-
finert gewesen wSre. Yon den weBteure|»iUaehen YerbSltnisaen
hatte kaum jemand in Rnfsland eine genaue Yoretellung. Die
Kenntnis der wosteuropiiisclion Sprachen fehlte voll^jtündi^^ Die
rassischen Gesandten waren ftir den Verkehr mit den i^ürblen
nnd Staateminnern in Westeuropa aui' die Yernuttelong von Dol-
metschern angewiesen. Knr wenn etwa, was snweilen geschah,
AnslSnder im Auftrage der moskowitischen Begienmg als diplo«
matisdie Agenten in Westeuropa erschienen, konnte eine unmittel-
bare persönliche geschKftliohe Verhandlung statthaben.
An der Spitze der Gesandtschaft, welche Ißöti nach Ve-
nedig ging, stand der Wojewod© von Perejafslawl , Tscho-
modanow; als Gehilfe stand ihm ein anderer Beamter, Posnikow
snr Seite. Das Gefolge der Diplomaten bestand aus 33 Fersonen.
Nachdem die Vorbereitungen lur Beiae im Frühling 1656
mehrere Wochen in Anspruch genommen hatten^ brachen die
ßeiscndeii Anfang Juli aus Mo.skiiu auf. Es gul) viel Gepäck.
An barem Gelde führte die Reifiegeö&llüclmft nur eine kloine Suninio
mit sich; dagegjan hatte man den Gesandten 4000 Pfund Eha-
barber und eine ansehnliche Partie ZobeUelle mitgegeben; diese
Waren sollten im Auslande ▼erkauft werden. Da glich denn die
diplomatische Beisegesellschaft einer orientalischen Handelskarawane
und bewegte sich sehr sohwerf&Ilig.
Wie die Russen nach Venedig reisen mufften, hatten sie von
den in Moskau und Archangelsk lebenden ausländischen Kauf-
leuten und Schiffern in Erfahrung zu bringen. Yon geographischen
Kenntnissen gab es bei den damaligen Bussen kaum eine leise
Spur. Sie waren auf die Führung holUindischer Schiffskapitäne
angewiesen; audi das Mieten der Fahrseuge, welche den Verkehr
zwischen Archangelsk und Livorno zu vermitteln jilK gteii , be-
sorgten Ausländer, in allen Stücken waren die üussen unerfahren,
unbeholfen.
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118 i^iuö russische Cresaudtscbafisreise nach Italien (1666 — 67).
Die BrnsegwellBohait war to Balilrei«!!^ dafii in Arehuigeltk
zwei Schiffe für dieselbe gemietet werden raufsten. Erst im Sep-
tember war man endlich so weit, die lange Seereiao antreten zu
können. Bei so später Jahreszeit fiel dieselbe sehr beschwerlich
und ge£fthrvoll aus. Die Fahrt yoii Axvhaogelak nach Livonio
(gegen 7000 SLüometer) wfihrte 19 Woeiien. NiigendB wnrde
gelandet Ef gab fnrclitibare Stfirme sn beatehen. Li aeinem
Reisebericht erwähnt Tschemodanow eines furchtbaren Unwetters
an der irisclien Küste (Ende Oktober): die Wogen hätten das
Verdeck übei'spült, einige iüjgütenfenster eingeschlagen, so da£s
das Schiff im Baume über eine Elle hoch Wasser gehabt habe;
ein Leck habe man notdürftig mit Segeltuch Terstopft nnd das
ebgedrongene Waaser die ganse Kaoht hindnroh mit Kesseln nnd
Eimern ansgesehSpft.
Nachdem die Reisenden mit kinipper Not der Wut der Ele-
mente entronnen waren , drohte ihnen , als sie sich den Küsten
Portugals und Spaniens näherten» eine neue Q«fahr. Türkisdie
8eer&uber maehten diese Meere unsiober. Bemannung und Passa*
giere der beiden bolULndisobeo Schiffe erwarteten stündlich von
den Piraten angegriffen an werden; alle waren kampfbereit; die
Lunten wurden angezündet; von vorbeifahrenden Schiffern hörte
man, dafs zwischen Gibniltar und Li\ dhio viele Seeräuberschiffe
hausten, so dafs dort die grüfste Vorsicht zu empfehlen sei. Kaum
hatten die Beiaenden die Meerenge von Gibraltar passiert» so er*
blickten sie plStilich drei Piratenschiflfe» welche bei dem spanischen
Städtchen Motril hinter einem Felsvorsprunge «nf sie gelauert
hatten und nun Jagd auf sie maehten. Schon waren die Bftuber
ziemlich nahe, als sie, die Kampfbereitschaft auf den Schiffen
der Bussen wahrnehmend, zurückwichen und nach einiger Zeit
verschwanden. Mit Freudenthränen dankten die Reisenden dem
Schöpfer für ihre Bettongi die Schiffer aber» fernere Verfolgung
fllrchtend» änderten die Bichtang ihrer Fahrt , lavierten einige
Zeit und kamen an die KOste iB[orsikas nnd endlich nach
Livürno.
Aller dieser Umstände wird in dem Reisetagebache erwähnt|
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£me russische Gesandtschaftsreise nach Italien (1666—57). 119
welehM die Gesandten stete fBhfen und nftcih der Heimkehr dem
ftnswSrtißfen Amte vorlegen mufsten. Es gehört© za den Obliegen-
heiten der Diplomaten über die Gegenden, durch welche sie kamen,
allerlei Erknndigangen einnuiehen , über die Entfernuiigen der
▼endiiedenen Orte Toneiauider Angaben m eamiDelii. So Bnohte
denn Teehemodanow aadi wlhrend der langen Beermae aieli einiger*
roafeen über die Linder m orientieren, in deren Kllie man vorbei-
kaiii, AuB den geofi^raphisciien Notizen im Reisetapehuehe ist zu
ersehen, dafs alle Namen und Daten dem unvviBsendeu Diplomaten
völlig neu waren. Von der Nordküste Norwegens wird bemerkt,
ee aei daa Land dea düniaeben Könige; die Faröer werden ala
„Fir*' beieiehnet; Island heifst die ^Eiainael"; die Shetlanda*
inaein werden «Gitlan'* genannt; femer bemerkt T^emodanow
in seinem Bericht, dafs „das spanische Land mit dem französischen
zusammenhänge** und dafs alle diese Länder bei der Fahrt zur
linken Hand geblieben seien. Die Verballhornung der geogra-
phiiohen Namen geht h&ufig so weit, dafe et unmöglich ist, die
Fehler der Bnaeen au korrigieren und an raten» weiche Stadt
oder welcher Ort gemeint lei.
LlTorno.
Während wir über die Beise Tschemodanows von Moskau
über Arcbangelnk liach Livomo nur durch das amtlich geführt«
Keisejournal der Russen unterrichtet sind, erfahren wir über den
Aufenthalt der Beiaenden in. Livomo weaontlich £rgänaendea durch
die Gteechllftspaiitere, welche aich im Florentiner Archiv befinden.
Daa Eracheinen einer maeiachen Oeaandtaebaft in Italien er>
regte ein gewiesee Aufsehen. Ea bestanden allerdingB swiaohen
Livorno und Archangelsk zu jener Zeit Handelsbeziehungen. Die
Hauptware, welche aus Rulslaud nach Italien eingeführt wurde*
*) In den ^Annali di Livomo** von Giuseppe Vivoli (Bd. IV. Li»
vomo S. 3()3) wird der Ankunft der misieohen Gesandten als eines
wichtigen Ereignisses erwähnt.
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130 Eine nuriBche OeBtadtsohaflsreiM naeh Italien (1866—67).
war Kaviar. In dorn Verzeichnis der Waren, wekihea ein im
Jabre 1659 ana Archangelsk in Liyorno emgetroffenea fikthiff
brachte, finden wir aufaer 241 Fllaaem Kaviar und einigen andern
G^genetSnden einige tausend Pfnnd Wachs. In livomo lebten
Geschäftsleute, welche eine legelmärsigü kommerzielle Verbindung
mit Arcliangekk unterhielten und auch wohl imstande waren, der
florentinischen Begiemog über das Wesen des Staates Moskau
und die Bossen Uitteilongen su maohen; aber noch hatte man
auf toakaniachem Boden niemals msaisehe Gesandte begrO&t. Nur
etwa swisohen Born und den Zaren hatte es in firfiherer Zeit,
■wenn auch nur ausnahmsweise, dijWoinatische Beziehungen gegeben.
Reisende Russen erschienen in AVesteuropa nur hüclist selten.
Der Emdruck| welchen Tscbemodanow und dessen Gefolge her«
vorbrachten, war neu, tLberraaohend.
Über den Empfang, welcher den Buaaen in Idvonio au teil
wurde, finden sich in dem Beiaejournal Tsehemodanowa zahlreiche
Angaben. Sowohl die andern auf der Beede von Livomo steh^den
Sclulle, als auch die Fahrzeuge, auf denen die Russen anlangten,
salutierten mit BüUurschüssen. Tschemodanow hatte den Schiffern
17 ]{u})d für das Pulver au zahlen, welches überhaupt unterwegs
für Ehrensalven verbraucht worden war. 78 Schüsse hatten
984 Pfund Pulver erfordert
Der Gouverneur von Livomo, Antonio Serristori, sandte so-
gleich einen Offizier zu den SclufTen, um über die Reisenden
Erkundigungen einzuziehen ; als die Waren der Russen gelöscht
wurden, stellte man Wachen zu denselben. In feierlicher Weise
wurden die Gesandten, welche vorläufig auf den Schiffen blieben,
im Auftrage des Gouverneura von einem Beamten. begrüfst. Es
erschienen auch Arzte, um sich davon zu überzeugen, dafa Uann-
schaft und Passagiere gesund seien und keine Gefahr einer An-
steckung von ihnen drolie. Auf dem Schiifu trank luiiii ituf das
Wohl deb Zaren Alexei und des Groi'sherzogs Ferdinand. Es
war der Gouverneur selbst erschienen, fragte nach der politischen
^) Arohiv in Venedig. Schreiben des venetianiachen Gesandten in
Fiorens, Ottavian Yalier.
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Eine russische ^eaandtacbaftsreise nach Italien (,ib6(>— 67). 121
Lage des Stiiates Moskau, erkundigte sich nach dem Stande des
Ankunft auf der Reede von Livorno gingen die Rusäeu aus Land*
Der Kaofiaiann Oharles Longland, welcher fiaudelsTerbüidiuigeii
mit Arohaogelek unterhielt^ liefe die Beisenden in fttnf echOn ge-
echmfickten Booten von den Schiffen abholen. Am üfer standen
sieben Wagen. Die Gesandten hatten ihre prichtigsten Kleidangen
angelegt. Eine ungeheure Menschenmenge staunte den stattlichen
Zug der orientaliächen Gbeandtscbaft an. Die Schilderung der
ehrenvollen Aufnahme — die Bussen bezogen eine Wohnung im
Hanse Longlands — , der Festessen and Toaste nimmt in dem
mssisehen Beisejoomal sehr viel Baam ein. Es lag offenbar den
Diplomaten viel daraUi ihrer Regierung von der Aasaeichnang
zu berichten, deren sie in Livorno teilluiltig geworden van-n.
Als die Gesiuultt'n diu \V uusch äufserten, die in Livorno beünd-
iiche Kirch« au besuchen, wurden ihnen sogleich einige Wagen
aar Verfttgang gestellt. Bo oft sie auf der Strafse erschienen,
gab es eine nnabsehbarey gaffende ICensehenmenge. Ein venetia-
nisoher Agent, welcher sich in Livorno befand, machte den Bussen
einen Besnoh. Es stellte sich für die letzteren die Notwendigkeit
heraus, einen Dolmetscher für das Italienische in Dienst zu nehmen.
Es Will- ein Deutscher, Johann Sachsj welcher in diese tSteüuug
eintrat.
Während des vierwöchentUchen Aufenthaltes in Livorno
snohten die Bassen mancherlei Erkundignngen über die Weltlage
einensiehen. Seit Ihrer Abreise aas der Heimat hatten sie keiner-
lei Nachrichten erhalten. Jetzt erfuhren .sie vun nifinclien poli-
tischen Ereignissen, welche sich inzwischeu zugetragen hatten.
In dem Ausgabebuche Tschemodanows findet sich die Bemerkung,
es seien für die Anlertigang von Anssfigen ans den Zeitungen
Zobelfelle im Betrage von 3*/« Bnbeln verausgabt worden. In
den Oesprftchen der Bussen mit dem Kaufmann Longland bei
Tische war von den Beziehungen Frankreichs zu Spanien die
Rede. Mit den Behörden in Livorno und dem veDetiauischen
polnisch-rushiöciien Krieges etc.
Erst um vierten Tage der
123 Bine nunicbe G«Mnkdtac]Mfln«i«e atoli IteUen (10S6-^7),
Agenten TerliMidelten die Bossen Aber die Weitorreise naeh
Venedig. ^)
Aus den Berichten der venetiani sehen nnd toakanischtiu Be-
amten^ welche sich zur Zeit in Livorno befanden und ihren Ke-
gierungen Bericht erstatteten, erfahren wir mancherlei von der
Art und Weise, wie die mssisoben Beisenden auftraton. So scbrieb
I. B. der yenetianiscbe Agent» ArmanOy die Bossen bitten nieht
eber landen wollen, als bis ibnen in Ebren eine gewisse Ansah!
Ton Kanonensebüraen abgefeoert worden wftre. Dem Ck^ovemeof'
von Livorno fiel sogleich die Hartnäckigkeit auf. mit welcher die
Bussen darauf bestanden, dafs alle Aufserlichkeit^n des Zeremo-
niells auf das peinlichste beobachtet würden. Auch war er niobt
angenebm davon berttbrti dafs Tsebemodanow ibm ein geringfügiges
Oesehenk überreichen liefe, welches in einem Zobelfell von mittel-
mlifsiger Qüte bestand. Dafb die Diplomaten eine so grofse
Menge von Waren mitgebracht hatten, erregte Erstaunen. Der
Krämergeist der Russen macht« keinen guten Eindruck. So
z. B. hatten sie, wie iSerhstori schreibt, bei einem Juden, Moses
Frank, Edelsteine kaufen wollen, aber nur den halben Preis ge-
boten, so dafs der Abscblofs des Gesehifts onterbleiben mofsto;
als sie femer wegen des Verkaofs der mitgebrachten Waren so
▼erhandeln begannen, forderten sie mablose Preise, 30 Prosent
mehr als tlie Waren zu dem herrschenden Marktpreise wert waren.
"Die (Gesandten machten den Eindruck sehr einfacher, unge-
bildeter, roher Menschen. Die Italiener staunten darüber, dafs
Tscbemodanow ond Posnikow in ihrem Wesen niebts, aoch gar
nichto Yomebmes an sieh hatten, sieh doreh Kleinlichkeit ond
Geis benrorthaten, sich mit ihren üntergebeneo gemein machten
und so eigensinnig darsiif bestonden, überall freigehalten in werden.
Tn ausführlichen Briefen schildert Serristori da.s Aussehen
und die Manieren der Bussen : Tscbemodanow sei etwa 60, Pos-
nikow 40 Jahre alt; sie sprächen nichts als russisch; sie lobten
die italienische Käobe nnd die italienischen Weine; als man ibnen
S. d. „Denkmäler d. diplomat. Besiebungen Rufslands mit andern
Staaten'* (nusisch), B. X. 8. 901—078. Bt Petersburg 187».
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£uie russische GesandtschafUretse nach Italien (löö(>— d7). 123
bei der Anlninft einige FiTsohen Wein sinn Getehenk maefate,
hätten sie alle die verschiedenen Sorten zusammengegossen; im
Eßseu und Trinken seien sie mäfsig: nur dafs sie in ihren Stuben
dem mitgebrachten Branntwein tieifsig zusprächen ; in der Wohnung
der Gesandten werde fortwiüirend Musik gemaoht, getanzt und
gesimgen; sie «den eigensinBig und mUstranisoh, bitten offenbar
▼iel QtBld, da sie mit den Beichtftmwn ibres Zaren sn prahlen
liebten, nnd beobachteten ^e stolse, steife Haltung, wenn sie
an Hause sich auch noch so wenit;; würdevoll benähmen. aMam iie
Sitten der Hussen erschienen den Italienern ungeheuerlich. 80
z. B. schreibt Serristori : ..Sie sind sehr unreinlich (sporchi),
schlafen in Kleidern nnd auf dem Boden liegend, und die Oeaandten
bedienen sich dabei derselben Deoken, welebe die Dienerschaft
sn benntaen pflegt. Indem der GonTemeor noch andere Kit-
teilnngen macht, welche sich nicht snm Wiederersfthlen eigtien,
bemerkt er, es gäbe noch weitere schöne Rachen zu berichten,
doch möge es für diesesmal genügen etc. Der Gouvemeur lieia
das Porträt Tscheroodanows anfertigen und nach Florenz senden ;
er fügt demselben einige Bemerkungen bei und macht darauf auf*
merkaam, wie der Oberkörper übermAfsig lang erscheine, da der
Gürtel so tief liege ; die Perlen am Kragen des faltigen weiten
Gewandes, sagt Serristori, seien nicht sehr wertvoll.
Obgleich die Russen den Besuch Serristoris nicht erwidert
hatten, indem sie vorgaben, in dieser Hinsicht keine Instruktionen
vom Zaren erhalten au haben, dachte der Gtouyemenr denn doch
daran, sie au einem Feste eininladen; sie seien, bemerkt er, nur
Fröhlichkeit geneigt (hanno gusto d'allegria); er bitte daher um
Instruktionen, wie es in diesem Punkte gehalten werden solle.
Einige Ta{?e später erschienen demnach die russischen Diplo-
maten auf einem Kalle, welchen der Gouverneur gab ; sie waren
reich gekleidet; ehe sie zum Balle fuhren, mufsten verschiedene
FormalitSten beobachtet werden; es wurde Branntwein gereicht;
b«m Anlegen der langen Prachtgewfinder machten die Gesandten
wiederholt das Zeichen des Krenaea; sodann beteten tie rar ihren
Heiligenbildern; auf dem Balle safsen sie unbeweglich die ganie
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12^ Eine russische Gesaadtschaftsreise uach Italien (1G56 — 57).
Zeit auf den fftr sie in Bereitschaft gelisHetieii Setseln, nahmen
an dein Tanze keinen Teil. Hauken wiederholt und betrachteten
die Damen sehr auimericBani. Man erfulir, dafü sie, nach Hauü6
aiLTÜckgekehrt, von nichts anderem sprachen als yoü der Schönheit
und Anmut der Barnen.
Man erfuhr femer von manchen Zflgen bestialischer Boheit
der Gesandten. Als einst der Gesandtschaftsgeistliche sich be- ^
trunken hatte und die Bicnersobaft mit Mifshandlungen bedrohte,
ergriffen die Gesandten eigi nhändig den Berauschten und banden
ihn au einen Bettpfosten an, so dafs der Unglückliclu- die ganze
Kacht und den folgenden Tag in dieser Stellung verbleiben mufste.
Einen ihrer Diener, welcher sich betrunken hatte, legten sie cur
Strafe awischen ein Bett und die Wand auf den Boden ; er mulste
drei Tage dort liegen bleiben; am vierten Tage durfte er auf-
stellen, mufste aber noch in seinem Gewalir.>um bleiben. Einen
andern Diener, welcher ebenfalls einen Rausch sich angetrunken
hatte« schlugen sie so unTmrmherzig mit einem Stücke Holz, dafs
er, um einer so barbarischen Strafe zu entgehen, sich losrifs, aus ^
dem Hanse entlief und nirgends aufgefunden werden konnte. Die
Polisei mufste Anstalten treffen, um nach dem Entwichenen au
forschen.
Die BeBchränktheit der russischen Diplomaten äul'serte sich
in folgendem Zuge: auf die Frage, ob das Tabakraucheu und
Schnupfen in £ufsland gestattet sei, antworteten sie, der Zar sei
ein frommer Mann und habe deshalb den Gebrauch dieses Krautes
auf das strengste verboten ; bisher sei die Kase das einsige Glied
gewesen, mit welchem die Menschen nicht sündigten; nun aber
habe der Teufel den Tiili.ik ersonnen , damit die ]\Ienschen uuch
mit der Nase sündigten , und so habe denn der wei^^e Monarch «
durch das Verbot des Tabakschnupfens seine ünterthanen vor der
Sünde bewahren wollen. „Welche Scheinheiligkeit!** ruft der
italienische Berichterstatter entrüstet aus. ^)
Sehr wunderlich erschien folgender Umstand: als die Ge-
^) „Alto di vero bachettone
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Eine russische Gesaadtschaftsreiso nach Italien (1656 — 57). 125
sandten faicli zur Weiterreise ül)er Florenz nach Venedig rüsteten,
wollten sie durchaus alle noch nicht aufgezehrten, zu Sciiiffe mit-
gebrachten Lebensmittel, Salsfisoh, Mehl, Salzfleisch, Met und
andere Geirfinke, ja sogar Imre Fäaser mitnelimen nnd nicht
weniger als Tier Barken damit beladen, indem sie Torgaben, dale
ee den Eindrack der Wfirde nnd Yomehmheit mache, wenn
jemand viel Oep8«k mit eich führe. Als sie erfahren, dafs man
von der Grenze des öeliiets der venetianischen Republik bis
Venedig nur einen Tag reise, äufHerten sie sich sehr entrüstet
darüber und wiesen darauf bin, dafs Alberto Vimina, als er nach
Bofsland gekommen sei, tausend Keilen habe reisen nnd die ganie
Zeit hindurch anf Kosten des 2aren habe leben dürfen.
8o setsten denn die rassischen Diplomaten durch ihre Eigen-
art die Italiener in Erstaunen. Man hatte ee mit einer fremden
Kultur zu thun, und war nicht entzückt von den Sitten und Ge-
wöhnungen der Russen. „Aiu Feiertage," heifst es in einem Be-
richte aus Livorno. „fahren die Gesandten nicht aus, bleiben den
ganaen Tag zu Hause, trinken Branntwein, summen ein Liedehen
nnd spielen Schach. Herr Longland*, schreibt der Beferent
weiter, „sucht sieh, je nSher der Zei^nnkt der AbreiM der Ge-
sandten heranrückt, mit wohlriechenden Essenzen zu versehen, um
die StubeTi , welche die Russen bewohnen , einem Räucherungs-
prozefs zu unterziehen ; man vermutet, es werde einer Art strenger
Quarantäne bedürfen ; wenigstens liofsen die Gesandten nach drei-
stfindigem Aufenthalte im Hause des Herrn Gouyemeurs einen
so penetranten KaTiargemch znräck, daCs derselbe drei
hindurch zu spfiren war; man kann sich also vorstellen, dafs dort,
wo sie längere Zeit gewohnt haben, der Gestank nicht so leicht
zu beseitigen sein werde."
In einem andern Bericht wird erwähnt, dafs eine Spazierfahrt
an einem in der Nähe der Stadt gelegenen Weinberge den Ge-
sandten viel Vergnügen gemaeht habe ; sie seien entaückt gewesen,
weil sie in ihrer Heimat nur Öde oder ndt Wald bedeckte Ebenen
SU Gesieht bekämen. Der ältere Gesandte fiel durch Lfistemheit
und Begehrlichkeit aui' und bprach gern iu sehr freier Weise von
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126 £ine russische GesandUcbaftsreise nach Italien (1656 — 57).
dem lehSnen Oeaclilecht; er erinmdigte lieh v. a. nach den in
Italien geltenden Strafen für sexuelle Vergehen. Als er einmal
auf der Strafse eine Auzaiil Damen in einem Wagen sah, fragte
er nach dem Namen einer derselben, deren Schönheit ihm auf-
gefiallen war. Nachdem er erfahren hatte, dalli es die Fran einei
Arites sei, begann er, nach Hanae snrOekgekelirty Aber Sohmenen
im Arm an klagen; auf den Yonchlag, einen Arst holen sn lassen,
erwiderte er, er wolle lieber selbst zum Arzte gehen ; die angeblichen
Schmerzen sollten nur Gelegenheit geben , im Hause des Arztes
dessen schöne Fr&u zu sehen. Mau iiatte Mühe ihm dieses \'or-
haben auszureden. Dagegen ging Tschemodanow in einen Laden,
angeblich um dort etwas an kaufen, in Wirklichkeit aber, um die
sohttne Frau des Kaufmanns, welche er auf der Strafse bewundert
hatte, au sehen. Die Bussen hatten in ihrer Heimat daTon ge>
hört, dals sie in Italien nur weibliche Dienstboten haben würden ;
als man ihnen in Livorno sagte, dafs es in dieser Stadt, als
einem Hafenplatae, keine weibliche Bedienung gebe (sie), sprachen
sie die Hoffnung aus, bald nach Floren« und Venedig au gelangen ;
wo es Dienerinnen geben werde. Zu aUedem wollte die werk-
heilige Frömmigkeit nicht stimmen, welche die Bassen an den Tag
legten ; fortwährend gab es geistliche Feierlichkeiten, GK>ttesdienst,
(rebete mit brennender Kerze in der Hand. Dabei bemerkte
mau, dais die Russen während dieser Zeremonien sehr zerstreut
waren, und auch die Nichtachtung des Priesters zeugte von einer
gewissen geistlichen Frivolität. Nur etwa beim Gebete für den
Zaren beugten sie nicht blols die Kniee, sondern warfen sich,
mit der Stirn laut aufschlagend, gana au Boden.
BegreifUcherweise erregte die asiatische Kleidung der Bussen
das gröfste Aufsehen, bo (Infs auf der Strafse iibt r all ein dichter
Volkshauie liiueu zu loigeu pÜegte. Mau spottete über die Taschen
der Moskowiter, welche so tief seien, dafs man sich aig bücken
mlisse, um irgend einen Gegenstand daraus hervraanlangen, darftber,
dafs die Bussen ihre Schnupftfleher nicht in der Tasche, sondern
in der ICfttse au yerwahren pflegten u dergl. m. Femer wunderte
man sich darfiber; dafs Hummern und Austern dem Qeschmack
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£me russiache QesandtschaftsreiBe nach Italien (1066 — 67). 127
der Fremden nicht zusagten, während sie Fische sehr gerü alaeu.
Von dcu musikalischeu Liebhabereien der Bussen wird berichtet:
„Der sweite CitesMidte behauptet eine sehr schöne Stiinme zu
beutseil und maobt anfeefdem den KapeUmeieteri wenn das Ge-
folge Gesinge anfflilirty was aebr oft geaobiebt; ibre Melodien
sind aber iebUmmer als Katsenmnsik.** Sodann beifst es in
einem der Berichte: „Acht bis zehn Personen von dem Qefolge
der Russen sind krank, zwei davon infolge der Schläge mit einem
Stücke Holz, welche der ältere Gesandte ihnen zur Strafe für
nnmafsiges Trinken eigenhändig g^eben hat.*^ Von der Knickrig-
keit der Bossen enäblte man folgende Züge: „In diesen Tagen
gingen die Qesaadten abends in eb Bad; es war mebrere Tage,
nieht geheist wordwi nnd daber yerbrancbte man vid Hola; man
unterhielt die Bussen den ganzen Abend mit Instrumentalmusik,
brachte allerlei wohlriechende Essenzen und leistete ihnen ver-
schiedene Dieastei wozu besondere Personen gemietet wurden;
für alles dieses sabHen sie nnr mit awei kleinen mssischen Künaen.
Ein Gleistliober inlserte den Wnnseb, eine gans geringe rossiscbe
Kfinae als nnnusmatasobe Seltenbeit sa erkalten; er mufste sie
kaufen. Ifnsikantra^ welcbe ibnen an Ehren aufiipielten, gaben
sie ein sehr kleines Geldstück, Schenkte man ihnen Lebens-
mittel, ßo alsen sie zunächst dasjenige, was leichter verdirbt;
ans geschenkten Weinen wollten sie Branntwein destillieren, weil
dieses vorteilhafter sei. Die Überreste der zu Sohiffe mitgebrachten
Yorrftte wollten sie niehti wie dies gewSbnlieh geaehiebt, an Bord
lassen, sondern haben allea ans Land sn bringen befohlen nnd
btlten es sorgfältig. ... Da es aber sehr nrnständlieb ist, auf der
Weiterreise alle Lebensmittel mitzuschleppen, haben sie, um (!elJ
herauszuschlagen, 60 Schinken an verschiedene Personen ver-
kauft; es gab einen argen Lärm, weil der Pächter der Schlacht-
. Steuer eine Abgabe für diesen Handel verlangte; es hat viel
Hflhe gekostet ihn still au kriegen. . . . Als eines Abends in einer
Gesellschaft, welcher die Gesandten beiwohnten, einige Knsikanten
etwas aufspielten und ein Geistlicher dem älteren XKplomaten an-
deutete, er müsse etwas zahlen, entschuldigte sich Tschemodanow
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138 nwisohe Gesandtschaftareise nach Italien (1666—57).
damit» daik er gar keioe kleine ICfinae bei noh habe; da der
GeittUche sich stellte, als könne er dieser Anfsemiig keinen Glauben
schenken, so holte Tscheino iauüw zwei angarische Zechinen aus
der Tasche; der Geistliche machte, als seien diese beiden (leld-
tntinzen für die Hasikanten bestimmt, griff eiligst darnach und
gab sie den Spiellenten trots des energisoben Protestes des Ge-
sandten, welcher sodann den ganien Abend hindurch sebe üble
Laune nicht verbergen konnte. Alle Trinkgelder, welche die Ge-
sandten bei verschiedenen Gelegenheiten spenden müssen, pflegen
sie eigenhändig abzugeben. Als sie am letzten Sonntage aus
der Kirche zurückkehrten, gaben sie den Kutschern der ihnen
aar Verfügung gestellten Fuhrwerke gar kein Gbld, sondern laden
dieselben in ihre Stabe ein und boten ihnen aas ihrem eigenen
goldenen Becher einen Trank Branntwein an. . . . Zwei Kaposiner-
m5ncbe baten die Gesandten in Gottes Namen ihnen etwas Bha-
barber zu schenken : die Hussen besannen sich stundenlang bis
zum Abend und gaben endlich eine lialbe Unze ßhabarber, indem
sie bemerkten, dafs Mönche im Grunde keiner Arzeneien bedürfen
sollten. Die Art und Weise der Gesandten bei Handelsgeschäften
ist in der That abschenlich (Teramente hratissimo); wfiren sie
gewöhnliche Leute, so würde ihnen manches nicht so hingehen.
In diesen Tagen kauften sie bei Moses Frank BchmnckgegenstSnde
für 300 Zechinen ; sie behielten die Sachen und bestellten den
Verkäufer zu sich, damit er die Bezahlung abhole; als er nun
nach dem Gelds kam, wollten die Russen ihm die gekauften
Gegenstände snrückgeben, indem sie sagten, dafs sie kein Geld
hätten. Da Frank darauf bestand, dala sie die Sachen behalten
mübten, drohten die Bassen dieselben snm Fenster hinausauwerfen.
Nach langem Streiten kam man flberein, dafs Frank eine Quan-
tität Rhabarber zu sebr hohem Preise als Bezahlung annahm. —
Dem Herrn Pietro Avach, welcher den Russen Zobelfelle ab-
kaufen wollte, verweigerten sie das Recht, die Ware vor dem
Abschlüsse des Geschäfts an sehen. — Obgleich man sie im Hanse
des Herrn Charles Longland mit allem Notwendigen versieht,
schickten sie ihre Diener in die Küche, um Ton dort heimlich
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Eine russische Gesandtschaftsreise nach Italien (1656 —57). 129
Brot zu nehmen, welches sie sodann in ihren Gemächern mit
ihrem Kavuir verzehrten. Die Diener folgten dem Bcisinel ihrer
Herren und gaben allerlei Schelmereien an (fauno baronato dell'
altro mondo): einer der Diener hatte einige Citroueii und einige
Pftckehen Zwiebeln gekanft; ali eidi nun beim Einpacken für
die Weiterreiae berametellte, dals maneheB davon verÜMiIt war»
bestand er daranft dafis aneh die Terdorbenen Stücke in seinem
(repück Hufgeliobt'M würdei)." Bei der Abreise aus Livoruü
Bcheiikteu die Gegandten keineiii von den Personen, welche sie
bedient hatten, etwas. Herrn Charles Longland gaben sie acht
Zobelfelle, aber von der echlechtesten Sorte ; eine Dienerin erhielt
ein gana werüosea Kataenfell n. e. w.
Wiederholt begegnen uns in den Berichten aoa Livomo spöt-
tische Bemerkungen über den Vangel an Lebensart und die ITn-
reinlii hkeit der Russen. ,,Bei Tische." heifst es dft n. a., ..scheuen
sie sich ^ar nicht die Bissen aus dem Munde zu nehmen und in
die Schüssel zorUekaulegen : auch gibt es noch viele andere Schweine-
reien (sporchesze) . . . Bei ihnen au Hause pflegen nur die Tor^
nehmen aich zum Essen au setsen, wobei sie indessen sieh weder
der Gabeln noch der Löffel bedienen ; alles wird mit den Hftnden
genommen ; es ist spafshaft zu sehen, wie sie, wenn jemand von
den TTnsrigen bei ihnen speist, ihm naclizuahmeu suchen und die
Gabel gebrauchen; sie nehmen ein Stück aus der Schüssel mit
der Hand) stecken es sodann auf diu Gabel und führen dieselbe
Bodanu zum Kunde.*' Als die Zeit der Abreise der Gesandten
aus LiTomo nach Florena heranrückte, schrieb Antonio Serristori
an den Grofsherzog u. a. : ,,Ich habe mit Beobachtung einer ge-
wiesen Vorsicht durch Personen, welche Beziehungen zu den
Gesandten habt^u, ihnen zu verstehen gegeben, sie sollten docli
möglichst wenig Gestank zu verbreiten suchen ; ') iabetreff der
Dienenohaft kann dem Übelstande nicht abgeholfen werden, da
sie ihre ICleidungsatfIdce nicht wechseln und die Herrschaft kein
6^1d hat, um sie mit neuen Sachen au yersehen. Aber auch die
') CIm- procut in» di venir con manco cattivo odoreche sia possibüe.
BrOckaer, üuIilftDd. 9
lüU -Bine russische Gesandtechaftsreiso nach lUlien (1656 — 57).
Herren sind, wenn sie aneh oft in die Badsiabe gehen, nicht so
reinlich, dai's man es wagen könnte, sie in eine Pracbtkut»che zu
setzcu*' u. 8. w.
In einem andern Berichte heifst es : ,,Bie Dienerschaft schläft
auf der Diele auf Teppichen und Filideeken nnd bedeckt sich
mit allenii was gerade hei der Hand ist; andere sdilafen auf
Pftthlen und bedecken sich mit Fellen. Longlsnd ▼ersah sie mit
Bettatellen und ]\[atratzen, aber die Herreu liabeu die Matratzen
fortnehmen lasBeii etc.*'
Immer neue Anekdoten von der Roheit der (resaudien konnten
aufgetischt werden. So schreibt der Berichtontattw u. a. : tiDer
ältere Gtesandte wollte einen seiner Diener abstrafen; als der
polnische Dolmetscher ihn m besSnfttgen versuchte, wandte sich
der Gesandte zn ihm nnd spuckte ihm mehrmals ins Gesicht — eine
höfliche Rücksicht, welche er gegen jeden übt. der ihm etwas
sagt, was ihm nicht gelallt; sodann verlangte er, um den Doi*
metscher zu demütigen» derselbe solle ihm die Füfse küssen. Als
der Pole nun sich bückte, um dem Befehle naohaukommen, yer»
set^pte der Gesandte ihm einen Faustschlsg nnd zwar mit solcher
Zartheit (delicatesza), dafs der Pole sich überschlug und sich
ischr arg Kopfe verletzte, ho dafs er mehrere Tage zu Bette
lag und auch jetzt noch einen Ver])and tragen nuifs."
Bald gab es von Zank und Streit zwischen Tschemodanow
und Posnikow, bald von einer Schlägerei einiger der Herren vom
€^olge der Gesandten in sehr schlechter Gesellschaft zn erzählen.
Die Italiener konnten sich von ihrem Staunen über den Hangel
an SalonfShigkeit der Russen nicht erholen. Es gab über allerlei
zu spotten. Man lachte darüber, dafs die l)i])lomateii sich ein-
bildeten, der Grolsherisüg Ferdinand werde an sie schreiben und
dals sie sehr oft danach fragten, ob nicht ein Brief von ihm an-
gelangt sei; man fronte sich über das Entsücken, mit welchem
die Bussen das italienische Obst und die in Bnfsland Töllig un-
bekannten Gemüsearten kosteten, über die Nengier, mit welcher
sie jedes kleine steinerne Gebäude betrachteten, weil in Kul'slaud
Holz fast ausschliefslich als Baumaterial diente; dals die Russen
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£we russische Gesandtschaftsreise nach Itaiieu (16oö— 57). 131
nufser einigen Säbeln gnr kerne Waffen mit aioli f&brteii, erscMeii
den Italienern um So wunderlicher, als auch diese kalten Waflfen
nie angelegt, sondern stets zu Hause gelassen wurdea, während
die BASsen ihre Heiligenbilder überall mit sich zu BGbleppen
pflegten; die Italiener belnatigten eich über das Eretannen der
Oeeandten, ala dieee im Hanae des renetianiachen Agenten Ginaeppe
Armano eechs Damen an einem Hasardspiele, bei welchem es eich
nm hohe Summen liüudelte, teilnehmen sahen; die IJemerkungen
über die Wunderlichkeit und Unzweckinärsigkeit der russiacheu
Tracht nehmen in den Berichten einen beträchtlichen Raum ein;
ale der Koch der Gesandtschaft den Versnch machte» eine sohmaok*
hafte italienische Speise anzurichten ^ mifslang das Experiment
dnrehans, so dafs niemand von dem Gericht essen konnte.
Florenz.
Die toskaniscbe Kegierung hatte keinen Grund, die mssische
Gtesandtscbaft in allen Stflcken freiaubalten. In Moskau wuTste
man hichts von Florena und dem Grofshemoge Ferdinand; Tsche-
modanow und Posnikow waren nur wie sufllllig anf dem Wege
nach Venedig in Livorno erschienen ; sie hatten gar keine ge-
schäftlichen Aufträge in i'iurenz auszurichten ; der Groishurzog
hatte keinerlei Pflichten gegenüber dem russischen Staate zu er-
föUen. Die anf toskanischem Gebiet lebenden Kauflente hatten
In höherem Mafse als die Begiemng ein Interesse an der rassischen
Gesandtschaft, deren Habitus einer orientalischen Handelskarawane
glich. Es war genu£^, wenn die Vertreter der Regierung den
Keisenden mit einer gtwi^jsen Conrtoisie begegneten. Charles
Longland, der englische Kaufherr, welcher im Kaviarhandel mit
Hnfsland bedeutende Summen umsetste, hielt es seinem Interesse
entsprechend, die Bussen in seinem Hanse au&unehmen, sie reich-
lich an bewirten, einige Wochen hindurch die Last eines solchen
Besuches zu tragen. Dagegen hatten ^e nusuchen Gesandten
ver/reblich gehofft . dafs die Regierung von Florenz aus ihnen
Fahrzeuge, Wagen und Pferde etc. zur Verfügung stellen werde.
9*
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132 Eine rnatuobe OeBaadtsebaftareise nacb Italien (16M— 57).
Sie mnditen sieb dasu bequemen , die Beiae aof eigene Kotten
foiizosetsen.
Aus dem offiziellen Keisejournal der russischen Gesandten
erfahren wir von ihrem Entschlüsse, die grofsen Khabarbervor-
r&te in Livorno zurückzulassen. Der Kaufmann liongland erhielt
den Auftrag) den Verkauf dieser Ware au besorgen. Dagegen
wurden die Zobelfelle oder, wie es in dem Tagebucbe heilatf
„der dem Zaren und dem Patriarehen gebörende Scbats** nacb
Florenz transportiert und zwar auf Wasserwegen. Es waren
Fahrzeuge dafür gemietet worden. Nicht ohne Grund liatte
Antonio Serristori dem Groishersog berichtet, dafs das Gepäck
der russiechen Beisenden, wie man seben werde, sich sehr wunder-
lieh ausnehme.^) Ala beeidigter Finanzbeamter begleitete eioes
der Kitglieder des Gefolges die Ballen mit den Zobelfellen. Für
die Beisenden mietete man durch die Vermittelnng dee neuan-
geworhenen Dolmetschers, Hans Sach?;, vier Wagen mit Pferden,
um zunächst nach Pisa zu reisen. • Dafs die Küssen sich be-
rntthten, alles möglichst sparsam einzurichten, ist ans der Be-
merknng des Berichterstatters aus liivomo zu ersehen, die Bussen
würden wohl in Pisa gern langer rasten, da sie dort bei einem
Kaviarkaufinann freie Wohnung haben würden, w&brend sie auf
der Strecke zwischen Pisa und Florenz, keinen derartigen Vorteil
geuiefseud, ilire Reise schwerlich unterbrechen wurJen.
Allerdings bereitete ein Kaufmann zu Pisa, dessen Kume im
Journal arg verballhornt ist, -) von welchem aber ausdräcküch
bemerkt wird, er sei der Geschäftsfreund Longlands, den Beizen-
den einen feierlichen Emp&ng: er hatte ihnen einige Wagen,
Vierspänner, entgegengeschickt. Im Beisejoumal wird sugar
erwähnt, dafs bei dem Einzüge in die Stadt zu Ehren der Ge-
sandten auf den Wällen die (beschütze gelöst worden seien ; das
Volk, in dichten Haufen zu beiden Seiten der Strafsen stehend,
habe die Gesandten begHLfst. Bei Tische trank man auf das
') Ii ha^rarrlio (ii questi Si<ruoii 0 verameute curioBO e ridicolo ma
perchc si vcrn'i a Firinize trsi pot o, mni si deserive.
*) In den Archivaiien „Sammmiutelli^', im Journal „Isemendeli'^.
•s.
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Eine rusaische Gesandtschaftsreise nach Italien (1656—57). 133
Wohl des Zaren Alexei nnd de« rassischen Thronerben Alexei
Alexejewitflch, worauf die Gesandten einen Toast auf den Grofs-
berzog aasbrachten. Dazu gab es Gespräche über die Beziehungen
KuTsUuids zur Türkei, wobei die Russen der Heldenthaten der
donischen Kosaken im Kampfe mit den Türken in sohönfiurberiacher
Weise erwülinten. Einem knrzen Berichte aus dem Archiv von
Florens entnehmen wir die Bemerkongi dafs die Kossen wegen
verspäteter Ankunft in Pisa und wegen des schlechten Wetters
von den b».-lieiiBwüi titgkeitrn <ler Stndt nichts in Augenschein
nehmen konnten. In dem Reisejourual ist dieses Umstandes
nicht erw&hnt. Die Bnssen hatten achwerlich einiges Yentändnis
fOr die herrlichen Bandenkmiüer Pisas. Der Dom nnd das
Baptasterinm, der unvergleichliche „Campo santo*^ und der sohieüs
Tnrm etc. h&tten den angebildeten Orientalen allenfalls ein reli-
giöses, nicht aber fin architektonisches Interesse darbieten kihmen.
Die Reise von i'isu nach Florenz wälirte anderthalb Tage,
80 dafs die Diplomaten doch in einem Gasthause unterwegs zur
Kacht eiDkehren moTsten. Das Mittagessen wnrde in Empoli ein-
genommen, welche Stadt im Beisqonmal „Neapel'' genannt wird.
In einiger Entfernung von Floreni trafen die Beisenden mit
Eseln bespannte Frachtkiitschen, welche der Grofsherzog gesandt
hatte; das Journal erwähnt der samtenen Polster und des ele-
ganten Geschirrs; eine Strecke mufste im Reiten auf Eseln zurück-
gelegt werden. Bei der Stadt hegrülste der Bruder des Grols*
hersogSi Leopold (im Jonmal «^Diapoldus**), die Ankommenden;
unter Kanonendonner und Husikf schreiben die OesandteUi habe
ihr festlicher Einsug in Florena stattgefunden, wobei sich ereig-
net habe, dafti Leopold sich weigerte, den Rücksits im Wagen
einzuuelimen.
Am Thor des Palazzo Pitti, wo die Gesandten eine Wohnung
erhielten I empfing sie der Grofsherzog Ferdinand selbst; auch
gab er ihnen bis in die fOr die Beisenden bestimmten Gemficher
das GMeite.
In Xiivorno hatten die Beisenden am Eingange des Hafens
die Statue des Grofsherzogs Ferdinand I. von Giovanni Bandini
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134 Eine russische Gesandtschaf tsreise nach ItaLien (1656 — 57).
mit den vier angeketteten Barbaresken in Bronze an den Ecken
des l'iedestalö von Tocca gesehen. Im Keiaetageliuclie der Russen
findet sich eine recht eingehende Schilderung dieses Kunstwerks
und die Bemerkangl dafs der Orofahersog aufs Meer hinaas*
gefahren aei nnd die Seeräuber besiegt und ge&ngen habe. Ein
solches Heldenstfick imponierte den Russen umsomehr, als sie
selbst kurz vorher in grofser Furcht vor den türkischen See-
räubern geschwebt hatten. In dem (irepandtf^chaftsbericht üudet
sich bei Gelegenheit dieser Erzählung, welche die Küssen aus
Charles Longlands Kunde hörten, der Ausruf: „Ha! ist das
ein Fflrstl«
Es moehte bei der Bedeutmig der orientalisdien Trage auch
für Rufsland in jener Zeit für die Bussen von grofsem Interesse
sein, unmittell)ar mit solchen Persönlichkeiten ^usammenzutrefTen,
welche den Mut hatten, den gefürchteten Türken die Spitze zu
bieten. Die Reisenden begegneten dem Grofsherac^ mit Ehr-
furcht. Als awei Herren Yom Gefolge Tsdiemodanows und Posni-
kows zum ersten Male bei dem Ghrofshersog erschienen, fielen sie
SU Boden und kflfsten ihm die Füfse.
Schon in Livorno war den Rnssen niancherb.^i aul'trefallen.
Eine neue Welt hatte sich vor ihnen aufgothau ; Die italienische
Kultur übte einen mächtigen Eindruck. Aus dem Reisetagebuche
ist zu ersehen, dafs die Beisenden fähig waren, viele Gegenstände,
welche ihnen völlig neu waren, zu bewundern. Wenn auch aller-
dings die Heiligenbilder und G^rftte in den Kirchen am ans-
fährlichsten besehrieben werden, wie das der ausschliefslich geist-
lichen Bildung der Russen jener Zeit entsprach, so ist doch auch
vieler anderer Dinge erwähnt. So z. B. hatten sie in Livorno
die Festungswerke und Hafenbauten bevnindert, die grofse Menge
der auf der Beede befindlichen Schiffe, ein grofses Kri^sschiff,
dessen LSnge die Bussen auf 400 Fufs und dessen Höhe sie auf
Arohiv s. Florenz: Diane Fiorentino X. S. 518. „Avevano seco
due Persone Hosoovite di loro Camerats i qnali introdotti la prima volta
all audienza d^ Gran Daca di Toacana si dissercro (sie?) lunghi in terra
e gii baziarono i piedi per la riverenza grande che portavano a sovraoi.**
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Eine russische Gesandtschaf Ureise nach Italien (1656—57). 135
70 Fufa angeben. Man erzählte ihnen, dafs es auf diesem Schiffe
2U0 liiLanonen und 500 Matrosen und Soldaten gebe und dafs
dieses Fahrseug zum Kampfe mit den „tärkiiGheii Bäabern'^
beBtimmt seL Die Wiftbegierde der Bubmii ging so wät» dafs
sie sieb nach dem Alter der Stadt Li?omo erkundigten. Nicht
ohne Gnmd war ans LiTomo nach Florenz berichtet worden, dalk
die Heiäienden eine .^curiositÄ grande di vedere ii moudo" an den
Tag legten. Mit Aufiuerktianikeit betrachteten sie die Wasser-
gräben, welche die Festung Livorno umgaben, die darüber führen-
den Kettenbrücken, die so breit seien, dais „awei Karren einander
answeichen könnten,*' die dberall aufgeführten soliden steinernen
Oartenmanem, die sorgfältig hergesteUten Zisternen; ancb einer
Fiscine ist erwähnt. Auf dem Wege nacli Florenz waren die
Keiseudeu in eineni liorrliclit'n (jartcn sjjaziereii gegangen: da
habe es nicht blofs Eichen, sondern auch Zitronenbäume und Dattel-
pafanen mit daran hängenden jbVüchten gegeben, Weinreben etc.
Der Eindruck solcher Herrlichkeit mochte um so stttrker wirken,
als die Bussen alle diese Gegenstände im Januar sahen und sich
dm WinterseWf vergegenwärtigen konnten, in welchem die Natur
in ihrer Heimat um dieselbe Zeit liegen rauföte. — In Livomo
hatten sie etwas ganz besonders Wunderbares gesehen ; sie schreiben
davon : „ein Vogel, genannt Straufs, grofs, die Füfse wie bei cinw
Kuh, frifst Eisen und Steine und Knochen, anderthalb Menschen
Höhe; struppiges Gefieder, grau; die Deutschen," d. h. die Ans*
länder überhaupt, „tragen es auf den Hüten."
Von Pisa hatten die Reisenden bü gut wie nichts gesehen.
Sie bemerken in ihrem Tagebuche nur , es sei eine grofse Stadt
mit sehr vielen Einwohnern. Florenz muüste ihnen ausnehmend
gefallen, sumal sie dort so gut aufgenommen wurden. /Ungemein
naiv erscheint die Bemerkung im Beisejoumal, der Grofshersog
habe ihnen, den russischen Gesandten, seine eigene Wohnung
eingeräumt und habe für die Zeit ihrer Anwesenheit andere Zimmer
und Gobelins, welche biblische Stoffe darstellten, so da£9 sie dem
bezogen. Die Rn.ssen schilderten diu Pracht der ihnen zur Ver-
fügung gestellten Gemiiciier, die reichen goldgewirkteu Tapeten
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186 Sine rutttBcfae Gesaadtschaftareiae nadi Italien (1666— «7).
Yentändnu der Bossen sieh eher saginglioh seigten als andere
Bildwerke; die H8he und Weite der Stäben setste die Bossen
in Erstaunen; zum ersten Male sahen sie Portieren von schwe-
re ru Stoffe.
Bald uacli der Ankunft in Floreuz führte man die Russon
übi r die aus Prachtsäleu und Galerien bestehende Amobrücke in
die Ufficien. Hier bewonderten sie die Schatakammer des Grofs-
heraogs, die Werkstätten, wo die Gbldsehmiede arbeiteten, die
Waffensammlong. Sie erwShnen, sie hXtten einen Hsgnetstein
gesebei), welcher 60 Pfond Eisen an beben vo'mocbte; die Edel-
steine, Praclitgefafse und Mosaiktischc sclioinen den Küssen ganz
besonders gefallen zu haben. Ferner schreiben sie: „In den
oberen Gemachem sind zwei sehr grofse Äpfel, sehr schön ge-
macht; darauf sind alle Staaten aofgesebrieben nnd alle Planeten
ond himmlische Gtötter; und diese Apfel kann man nadi ver^
schiedenen Richtungen drehen. InBufsland hatte man noch keinen
Globus gesehen. — Ferner führte man die Reisenden in das Ar-
senal, in das Giel'slmus , in den Marstall, wo die Pferde allt rloi
Kunststücke produzierten : es gab solche, die da tan^iton, grüfsten,
auf den Knieen rutschten: „Alles auf Kommando", sagen die
Bussen mit der naiven Freude eines kleinen Knaben, welcher
sum ersten Haie einer AoffÜhrong im Zirkos beiwohnt. — Ein
ausgestopftes Krokodil, welches in einem der Gemacher über einer
Thüro hing, wird sehr genau })(\schriebeii. Die I'riichtanlage
des j.Giardino Boboli'* machte auf die Russen einen tiefen Ein-
druck. In Kufslaud gab es bis zu der Begierungszeit Petera des
(Arolsen nichts dergleichen. Um so mehr staunten die Bossen
über die gegrabenen Teiche und die Wasserkünste, über die
Statoen und Fischresenroirs etc. ^)
Luxus, WobUeben, Komfort waren den Russen in ihrer Hei-
mat uur in beschränktem Mafse bekannt geworden. In Florenz
zeu^e vieles von bedeutenden materiellen Mitteln. Ohne in der
Lage zu sein, Kunstscköpfungen als solche würdigen zu können
') S. d. Denkmäler a. a. 0. 1168— 116a.
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£me nusisoh« Gfieandtsohaftoreiae nach Italien (1666~-^7X 137
— von Mnrraorbildwerken ist als voo „iteinernen Kerlen und
Tieren** die Aede — hatten die Eussea doch das Gefühl, dafe
diese Knitor der ihrigen fiberlegen aei. Der herrlichen Elirchen
in Florenz ist flbrigens im Aeiaetagebnche nirgends erwähnt»
obgleich gerade in der Zeit, aJs Tschemodanow in der Arnostadt
weilte, der Bau d< r berühmten ^('apolla dc'i priiicipi" schon weit
vorgeschritten war und von den Touristen jener Zeit gern be-
Mchtigt wnrde. Die Buaaen scheinen weder den Dom besncht
noch den prachtigen Olockentnrm bestiegen an haben.
Die toskanisehe Regierung zeigte sich den rassischen Diplo-
maten gegenüber sehr zuvorkommend. Der Marchese Piero Corsini
erhielt den Auftrag, während des AufcutiiaUes der Kusseu in
Eiorena für ihre Unterhaltung zu sorgen; auch fand sich ein
Sergeant von der Garnison Ton Livomo, welcher des Bnssischen
müchtig war, also die Bolle eines Dolmetschers an spielen Ter>
mochte. Drei Tage nach ihrer Ankunft wurden die Bussen
festlich hei Hofe bewirtet. An der Tafel erscliienen der Orols-
herzog und die (frofsherzogin, der Prinz Leopold und veröciuedeue
Magnaten. Es fiel auf, dafs die Gesandten so gut wie gar nichts
afsen. Der Dolmetscher sagte, es sei dieses ein Zeichen der
tiefen Ehrforcht vor den fürstlichen Gastgebern. Als Tschemo-
danow nur etwa swei Bissen gekostet hatte, und der Grofshersog
ihn aufforderte doch zuzulangen , stand der russische Gesandte
auf, nahm die Mütze ab und afs ein winig. Ferdiiuind befahl
sodann, die Speisen in die von den Gesandten bewohnten Gemächer
zu bringen, und dort thaten sie sich gütlich.
Man ersählte sich mancherlei von der Sorgfalt und Peinlich*
keit Tschemodanows inbetreff des Zerenioniellis. Er schien jeden
Augenblick zu fürchten, dal's irgend ein Verstofs gegen die Etikette
begangen werde, und erkundigte sich bei jeder Gelegenheit, wie
der florenünische Hof die Gesandten anderer Grofsmi&chte au be-
liandeln und aufsunehmen pflege. Als eines Tages sein Genosse,
Posnikow, einen Wagen kommen liefsi um eine Badeanstalt au
besuchen, idialt er ihn tüchtig dafür aus uud bemerkte, man
138 ruanBcho Gecandtachaftareiae n&oh ItAlien (1666 — 67).
köime leicht durch uuvorBichtige Haadlungeo die (iei>audteu würde
verletzen.
Aecht Bpafshaft war folgender ZwiflchenfBdl. £m GMegen-
beitsdichter hatte den älteren Gesandten in einem Sonett gefeiert,
und dabei mit keiner Silbe des «weiten Gesandten , Fosnikow,
erwähnt. Der letztere war in so hohem Grade entrüstet darfiber,
(lafs ('S zwischen den litideu Diplomatm zu einem argen "Wort-
weclisel kam, welcher in ein Haadgemeuge auszuarten drohto.
Der Marchese CorsinI suchte die beiden Staatsmänner durch das
Versprechen sa beruhigen, daTs jener Dichter ein sweites Sonett
EU Ehren des sweiten Gesandten Tetfamta werde, was denn auch
geschah, aber wiederum zu Hifshelligkeiten AnlaDs gab, da sich
herausstellte, dafs das zu Ehren Posnikows verfafste Gedicht auf
schöner verziertem Papier geöcJiricbcn war als das der Persönlich-
keit Tschemodanows gewidmete. Im ganzen aber, wird iu einen)
Schreiben aus Florenz aus diesen Tagen bemerkt, betmg sich
Tschemodanow vorsichtig, anständig und würdevoll, so daüs das
ihm und seinen Genossen vorausg«|psngene Gerücht, sie seien
„^dbtiere'* (messe bestie), übertrieben erschien.
In Florenz empfingen die rujjsi.sclitu Gubitudttiii mancherlei
Besuche ; es kam der venetiauiBche Hesident, um ihnen seine Freude
über ihre bevorstehende Ankunft in Venedig aussudrücken ; auch
teilte er ihnen mit, dafs er wegen ihrer bevorstehenden Beise über
einen Teil des Kirchenstaates mit der papstlichen Begierung ver*
handle, damit nirgends ein Aufenthalt stattfinde, weil sonst allerlei
Quarantäneregeln sehr beschw^lich fallen würden. Auch der
Sübu dca r4rort*lu r7.og8 , Cosimu, kam zu den (fesandten, welche
sehr verwundert darüber schienen, dafs er, nachdem er auf einem
Sessel Platz genommen hatte, auch sie zum Sitzen einlud. Cosimo
erkundigte sich nach der Seereise, welche die Bussen surttckgelegt
hatten, und fragte sie, ob sie aus BuiSsland Zeitungen und Briefe
erhalten hätten. Die Gesandten mufsten diese Frage verneinen.
In Bufsland erschienen damals noch keine Zeitungen , und die
Entstehung einer Briefpost in Kulsland, welche den Staat Moskau
mit dem Westen in Berührung zu bringen vermochte, lallt in
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£iaa nmitohe OesandttchAfUFdue lUMsb Italien (166^67). 139
eine etwas spätere Zeit. Mehrttre Honate waren vergaugea, seit
Tschemodanow und Posnikow ihre Heimat verlassen hatten, und
sie hfttten inxwisehen gar keine Kunde von fiaase erhaUen. Ale
der Grofebenog bei der den Gesandten bewilligten Audiens die-
selben fragte, ob der Zar sich gegenwitrtig in Ifoskan befinde,
mufste er sich mit der Antwort beguiigeu , dafs ihr liundeslierr
um die Zeit ihrer Abreiße aus Rufsland in den Krieg habe ziehen
wollen, indessen wüfsten sie nidit, wohin er seine Schritte ge-
lenkt habe.
Beckt komisch klingt die Aafsenmg in dem Bexsejonmal, der
Grrofsherzog habe, als er die Gesandten empfing , seine Freade
darüber geäufsert, dafs er, wie das Erscheinen der Gesandten in
Florenz zeigt, der Gnade des Zaren teilhaftig geworden «ei. In
solchen Wendungen zeigt sioh der orientalische Hoclimut, welcher
VL, «. die TatarenfÜrsten von der Überxeagnng erfällt erscheinen
liefe, dab sie besser, höher seien als alle andern Herrscher.
Biese Beprodoktion aogeblieher Aufsemngen Ferdinands entsprach
oflfenbar dem Wansche der DipTomaten, ihrer Hegiemng gegen-
über den Erfolg ihrer Mi.sbion in besüiuler.i güiihtigein T.iclit«.' dar-
zustellen. Nicht umsonst schrieb der Verfa.sser eines vortretllichen
Werkes über die politischen Verhältnisse Kul'slands, ein Mann,
welcher gerade in jenen Jahren eine Stellang im Ansl&ndischen
Amte an Koskan bekleidete, Kotoschichin : „In den Gesaadt-
schaflsberichten werden die Yerhandlnngen nicht ihrem That-
bestände zufolge, sondern so geschildert, wie deren Verlauf den
Verstand der Gesandten in einem besonders günstigen Lichte er-
scheinen zu lassen geeignet wäre, um die Gunst des 2«areii zu
mrerben, weil die unverschämten Verfasser dieser Berichte
darauf bauen, dafs der Zar auf keine Weise die Wahrheit er&hren
könne.« >)
Im Yerlaofe des Gesprächs mit dem Grofsheraog nnd dessen
') Kotoechiohin, welcher 1661 nach Schweden emigrierte, lohrieb
sein Buch, welches ent 1887 entdeckt nnd herausgegeben wurde, in
Stockholm. Bs erschien 1640 unter dem Titel: „Kufsland unter Aiexei
HicbaUowitMih'*, s. d. Kapitel IV. § 28.
140 Eine mmache Oesandtachaftaraiae mch Italien <16R6— 57).
Sohne, welcher, angeblich anch aehr ehrforehtsToU und erfüllt von
Dankbarkeit, der ^ Gnade" des Zaren Alezei erwSbnte, kam die
Rede auf die russische Kriegsmacht. Tacheniodauow entwarf
sogleich eine ruhmredige Schilderung der ungeheuren Menge von
Soldaten, welche dem Zaren zu Gebote ständen ; er erwähnte der
Terachiedenen Truppenteile nnd Waffengattungen , der Streif»
Kosaken n. s. w., ihre Pferde seien rasch, ihre Schwerter scharf
und wohin sie auch kirnen, niemand könne den Truppen des
Zaren widerstehen Indem die Gesandten nicht ohne Selbstge-
fälligkeit den Tiibalt ihrer Ausführungen produzieren, fügen sie
hinzu: aliud der Sohn des Grolsberzugä sagte: freilich haben ja
auch wir selbst schon vernommen, dafs bis jetzt noch keines
Staates Kriegsscharen vor den Truppen des Zaren haben bestehen
können — überall erseheint seine Hand hoch und stark." Es ist
nicht amsunehmen, dafs Oosimo sich in dieser Weise wird aus-
gedrückt haluT). Auch entsprach die Renonmutge der russischen
GeäuudLen den Erfolgen der ruBbischen Waffen keineswegs. Von
(b'ii Tataren und von den Polen sind die Hussen während des
17. Jahrhunderts wiederholt geschlagen worden, und es bedurfte
der Hilfe der Ausltoder in der zweiten Hälfte dieses Jahr-
hunderts, um die russische Armee einigermafsen kriegstüchtig za
machen.
Von eipfentlich c^fOBcliaftlichen Verhandhingeu mit der floren-
tinischen Kegierung konnte während des Aufenthaltes der Kassen
in der Hauptstadt Ferdinands keine Hede sein. Die russischen
Diplomaten hatten fUr derartige Verhandlungen keinerlei Instruk-
tiooen und ohne dieselben war gar nichts auszurichten, da die
Vertreter des moskowitisohen Staates in jener Zeit^ nur blindlings
den Weisungen der ihnen mitgegebenen Instruktion folgend, keine
Verantwortlichkeit s^lbstiludiger Aktion übernehmen mochten.
Dom Versuche der Grofsherzogin , den Hussen einige kostbare
Felle abzukaufen, begegneten sie damit, dafs sie ihr und dem Sohne
Ferdinands einige Felle zum Geschenk machten. Per Ghrofsherzog
wünschte für seine TJnterthanen das Becht der Handelsrerbindung
mit Rufsland zu erwerben und brachte diese Frage bei einem
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Eine russische Gesaadtschaf tsreise nach Italien (1656—57). 141
Besuche , welchen er den Gesandten abstattete , zur Sprache.
Tscheiuodanow und Posnikow beschränkten sich darauf zu ver-
sprechen, dafs sie dem Zaren Ton dem Waoeohe des G^Iebenogs
Mitteilung machen würden.
Die Gesandten waren mit dem ihnen bereiteten Empfange
sehr wohl anfirieden und ebenso mit den Geschenken, welche der
Grofsherzüg ilineii hatte üherreicheii laBsen. Es waren vier Slücko
Goldlirokat von hohem "Werte, ferner zwei Muisketen und zwei
audero Feuergewehre, welche den Gesandten um so besser gefielen,
als die Jagd auf kleine Vögel im „Giardino Boboii** ihnen be-
sonderes Vergnügen gemacht hatte, sodann einige Schachteln mit
wohlriechenden Essenzen nnd Arzeneien ans dem Laboratorinni
des Grofsherzogs nnd einige gläserne Becher. Man hatte sich,
ehe man die Walil der Geschenke traf, nach dem (ieschmack der
Küssen erkundigt. Die Gegengeschenke der Gesandten bestanden
in Fellen. Der Grofsherzog erhielt 40 Stück Zobelfelle, die
Gbofsherzogin 10 Stück Zobelfelle and 1 Schwarzfachsfell; der
Marchese Corsini erhielt 4 Stück Zobelfelle nnd noch eine
Person 2 Zobelfelle. In dem obenerwShnten Schreiben aas
Florenz heifst es: „Sonst aber geben sie Kiemand etwas, wahr-
scheinlich aus Geldmangel, indem sie behaupteten, för die ganze
Heisegesellscbaft zur Bestreitung aller Keisekostea nicht mehr als
1400 Zechinen mitbekommen zu haben.*' ^)
Man schrieb ans Florenz , dals die rassischen Gesandten iui
Verkehr mit dem Besidenten der venetianischen Bepublik sich
bemüht hatten, ihn snr Aaszahlung der Geldsammen za bewegen,
welche auf der Reise bis Florenz verausgabt worden waren. Ja,
sie gingen soweit , von der Repul)lik sogar Diäten für die in
Florenz verlebten Tage zu verlangen, wo sie doch von dem
') Florentiner Archiv. Vgl. d, Denkmäler a. a. 0. 1184, wo der
Wert dw 40 dem Grofsherzog geschenkten Zobelfelle mit 70 Aubeln
angegeben ist In Rücksicht auf die Geschichte des Kleinerwerdens der
rassischen Münstinheit wire diese Snnmie, um mit heutigem Gtelde ver-
glichen zu werden, mit 15 zu multiplizieren. Die Vorräte an barem
Gelde bestanden bei der Abreise der Gesandten nur aus ÖOO Thalem;
a. d. Denkmäler S. 1179.
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142 ^ino russische Gesandt schafUreise nach Italien (1656 — 57).
Grofsheraog in allen Stücken fireigehalien worden waren. NatUr»
lieh konnte diesen nicht sehr bescheidenen Forderungen nicht eut*
Bprochen werden.
Auch die Behörden der ilorentinischen Regierung hatten viel
Mfihe mit den fremden Gästen. In den Akten finden sich sehr
genaue yeraeieliniflse der Namen der Beiaenden, wobei es natürlich
sehr schwer hielt, die nnbeqoem ansansprechenden rassischen
Namen einigermaßen korrekt an reproduaieren. Ebenso suchte
man sich bei dieser Gelegenheit alle Einzelheiten des zari.scheii
Titels einzuprägen. Die Russen legten aufserordentlich viel ih-
wicht darauf, dafs bei dem mündlichen oder schriftlichen Q^brauch
des Titels nicht die geringste der aahUosen Beaeichnnngen ver-
gessen werde.
Bei der Ahreise der Gesandten , am 1. Januar alten Stils
(11. Januar neuen Stils), begleitete sie der Grofshersog bis au
den Thoren des Palastes; der Prinz Leopold gab ilinea mit nicht
weniger als 64 Wagen das (ieleite; der lyU^rchese Corsini fuhr
mit ihnen bis Trespiano.
VoD Florenz naeh Venedig.
Die Reise von Florena über die Apenninen brachte den
reisenden Rufisen l ine Fülle neuer Eindrücke. Sie, die noch nie
ein (iebirge (geschaut hatten, sahen sich in Landschalteu versetzt,
wo man zu Wagen nicht fortkommen konnte, sondern in von Eseln
getragenen Sänften reiste. Von der Grofsartigkeit der Gehirgs>
landschafly yon dem Beia der freien Natur findet sich selbstTer-
ständlieh in dem Beisetagebach keine Erwähnung ; dagegen werden
die prächtigen Stoffe der Polster in den Sanften und die Tressen
daran eingehend geschildert, ijber Firenznola ging der Weg
nach Bologna. Diese Stadt fiel den Russen durch ihre steinernen
Häuser und dorch Schleusen auf. Auch über die Stadt Ferrara
finden sieh im Journal einige Bemerkungen ; die Grdfse des Ortes,
die Breite der Gräben, welche ihn umgaben, wird in Zahlen ans-
gedrückt. Nachdem die Beisenden demnach eine Strecke über
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Eine russische Gesandtschaftsreise nach Italien (1656 — 57). 143
päpstliches Gebiet zurückgelegt hatten, langten sipauf venet ianischoni
Gebiete an. Sie Kiifsern ilire Verwumlerung, dafs an der (xrenze
keinerlei Festungsbautcu zu sehen seien ; es stehe dort nur „ein
steinernes Zelf*. Von dem Po bemerkten die Bossen , es sei
dieses der grSfste Flab Italiens; an der Etsoh fielen ihnen die
grofsartigen Beieharbeiten, Schleusen nnd andere Wasserbauten
auf. Die Namen der Orte, dureh welche die Beise ging, sind
im Journal arg verunstaltet. So Keifst (/hioggia — Tschose.
Auf dem Wege nach Venedig erfuhren die ruseischen Di-
plomaten zu ihrer nicht geringen Überraschung, dafs der Doge
Franc. Molin, welcher 1645 bis 1655 an der Spitae des venetia-
ntschen Staatswesens gestanden und au welchem sie der Zar ge-
sandt hatte y schon eme geraume Zeit nicht mehr unter den
Lebenden weilte, nnd seit dem Tode Molins drei verschiedene
Personen nacheinander die Dogenwürde bekleidet hatten, nämlich
Carlo Contarinii Franc. Cornaro und Bertuccio Valier, welcher
letstere noch regierte, als die rassische Gesandtschaft in Venedig
eintraf. Es aeugt dieser Umstand davon, dafs man in Bnfsland
▼on den Begebenheiten Westeuropas sehr wenig erfuhr.
An der Grenze des Tenetianischen Gkbiets hatte Alberto
Viinina, derselbe, welcher vor kurzem in Rnfsland gewesen war.
im Auftrage der Regierung der Re])ul)lik die russischen Gesandten
empfangen. Auf der Weiteireiso richteten Tschemodanow and
Posnikow an den venetianischen Staatsmann Tersohiedene JVagen :
wer in Venedig die wichtigsten Stellen bekleide, insbesondere
welcher Beamte die answirtigen Angelegenheiten leite, ob es in
Venedig eine griechische Kirche gäbe, ob sich in Venedig Gerandte
andrer Staaten befänden und was für welche u. s. w. Die Ant-
wort Viininas auf die letztere Frage, dafs nämlich in Venedig
ständige £,esidenten verschiedener Mächte weilten , mochte den
Bussen tlberrasohend erscheinen, weil in Moskau in jener Zeit
nur ausnahmsweise und auf kurze Zeit auslfindisohe Gesandte sich
aufzuhalten pflegten und der Begriff eines Corps diplomatique
den Bussen völlig fremd war. tfan kam ferner auf die orien-
talische Frage zu reden : die liuȊen erkundigten sielt nach den
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144 russische Gesaudtscbaftsreiso n&ch Italien (1666—57).
Hilfsmitteln d«r Yenetianer im Kampfe mit den Türken ; Vimina
erzälilte von den Erfolgen , welche die Republik in der letzten
Zmt gehabt, von der grofsen Seeschlacht, welche 1 »>5n bei den
Dardanellen stattgefunden hatte, von der Eroberung einiger tür«
kischen Inseln u. s. w. In allen Stücken waren die Bussen auf
mündliehe lütteilnngen angewiesen; sie waren nicht im stände^
sich durch die Lektüre von Zeitungen über die neuesten Ereig-
nisse zu unterrichten. Ebenso fragten sie auf dem Wege zwischen
Chioggia und Venedig, wie alt denn die letztere Stadt sei u. s. w.
Diese Fahrt in prächtigen liurken, au dem „Littorale di
Palesknna'' and dem „Littorale di ilalamocco" vorüber, ist in
dem russischen Beisejoumal recht ausführlich beschrieben. Die
Bussen schildern die kostbare Ausstattung der ihnen 8ur Ver-
fügung gestellten Fahrzeuge, die grofse Menge der sie umgebenden
Jiarken und Gondeln, die Begriifsungsrufe der Bevölkerung am
Ufer u. 8. w. Auch in den oftiziellen Tagelnichern der liepublik
im Archiv zu Venedig (Ceremoniali Hl fo. 140 tf.) findet sich
die Bemerkung, dafs die Ankunft der russischen Gesandten mit
besonderem Pomp stattfand, weil nicht hlota die Fahrzeuge der
Begierung sich dabei beteiligt hätten, sondern unsählige Privat-
gondeln mitfuhren, deren lusasben die fremden Giste neugierig
anstauutcD.
Schon von dem Augenblicke an, als man in Venedig von
der Ankunft der russischen Gesandtschaft in Livomo erfahren
hatte, war man mit der Frage von dem Zeremoniell des £m-
pBuiges der Ankömmlinge aus dem fernen Osten beschäftigt ge-
weMn. Es lenchtete der Regierung der Bepublik ein, dafs bei
dem Stanile der orientalischen Frage nähere Beziehungen zu dem
Staate Moskau Vorteile darbieten könnten. Mau beschlofs in Rück-
sicht auf den türkischen Krieg ^) die russischen Gesandten frei-
zuhalten und mit Ausaeichnnng zu behandeln« So sollte denn,
wie dieses auch bei andern Gelegenheiten wahrzunehmen ist, die
orientalische Frage als Mittel der Annäherung BulUands an die
') In riguardo alle congiunture dcUa guerra Turchcsca.
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Eiuo rusaiscbe Gesandtschaftsreise uach Italien (1656 — 57). 145
westetiropftivclte Welt clienen; di« SoUdarÜKt Bofriands und die
der andern Stuten im Kampfe gegen die Türken war von welt-
geschichtlicher Bedeatung.
Yenedigr«
Die niMiflehen Gesandten verblieben in Venedig vom 1 1 . Januar
bis zum 1 . März alton Stils, also etwa sieben "Wochen. Die Laguneu-
stadt ranfste auf die Reisenden einen tiefen Eindmck macluin.
Schon beim Einzüge bewunderten sie die Hunderte von Gondeln,
deren Konstruktion sie in ihrem Beriohte schildern. «In Venedig/
heifst es darin weiter, „steht in allen StralseD Wasser und an
den Thttren halten Fabrseuge.*^ Die Elegana der den Bossen
eingerftumten Wohnung wird ausfBbrlioh besehrieben. Von den
Seiieuawürditikt'iten der Stadt irefielcn ihnen in8})esondere die
Beliqoien, welche sie im Dugenpaiaste und in einigen Kirchen
sahen. Da gab es ein angeblich von dem Evangelisten Lucas
gemaltes Bildnis der heiligen Matter Gottes, etwas Blat des
Heilandes, lülGh und Haare der heiligen Matter Gottes, das
Vesser, mit welchem Petras das Ohr des Malchns abgesefanitten
hatte, ein Stück vom heiligen Kreuze, ein Stück von dem Pfosten,
an welchem Christus gegeifbelt worden war, die Gebeine des
heiligen Marcos, drei Bippen des heiligen Stephan, ein Stück der
Dornenkrone a. s. w. Im Dogenpalaste besichtigten sie femer
allerlei Kronen nnd andere Kostbarkeiten, welche die Venetianer
in Konstantinopel erbeutet hatten.
Es fiel den Reisenden auf, dafs es in Venedig weder Stadt-
mauern noch Festungsturme gab. Diu Rialtobrücke, welche mehrt^re
Jahrzehnte vor der Ankunft der russischen Gesandten in Venedig
gebaut worden war (1588 — 1591), erregte das Staunen der Beisen-
den, weil schon damals, wie auch jetst eine bedeutende Ansahl
von Läden auf derselben sich befand; die Bossen erknndigten
sieb nach den Kosten des wunderbaren Baaes nnd erfahren, dafs
derselbe auf über 400000 Dukaten zu stehen gekommen war.
Auch der zahlloseu andern Brücken ist erwähnt. Man zoigte den
Brackner, Eulklmnd. 10
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146 Bine nmiicliA OeHuidtaGliAftaraiM nuk ItaUen (1666—1^7).
Beiienden die prächtige Galeere jjBuecentoro**, in weloliar dir
"Doge von Venedig seit 1311 jährlich am Himmelfahrtetage unter
grofsen Feierlichkeiten eine Strecke weit in das Adriatisclie Meer
hinausfuhr und durch Hineinwerfen eines koätbareu Ilingcü sich
gleichsam mit dem üeere „Termählte'^. Endlich ist noch der
Olaafabriken in Manno (im Journal „Mojarau") erwShnt. Von
dam Karkoaplatsa, der Piaisetta, von der Btva degU SoUaTonii
dem Oampanile u. ■. w. findet eich in dam Beiaeberieht kein
Wort. Die Touristenfähigkeiten der Russen waren offenbar nur
seiir schwach entwickelt: aucli waren ihre Bewegungen durch das
steife Zeremoniell, welches das Herkommen und die Instruktion
ibnen vonobrieben, gehemmt. Die meiste Zeit verbrachten sie
in den ihnen angewiesenen Oemfiohem.
Hier, in ihrer Wohnung, wurden die Gesandten auoh bewirtety
wobei an der Tafel regelmXrsig auf das Wohl des Zaren und des
Zarewitsch, sowie aui dau Wohl des Dogeu Bertuccio \ alier ge-
trunken wurde.
Gleich am folgenden Tage nach der Ankunft der Küssen
in Venedig erschien bei ihnen eine Deputation der in der Lagunen*
Stadt lebenden Griechen. Es war die Zeili, da die unter ifirkisehem
Joche seufsenden Griechen auf eine Befreiung ans demselben durch
Bufslands Hilfe zu hoflen begannen. Nicht selten erschienen
gfriochischc Mönclie iu Muskau als Bettler im grolseu Stil. Kon.stau-
tinupei galt immer noch als die geistliche Metropole iiulslands.
So oft auch in den folgenden Jahrzehnten russische Gesandte in
Venedig erschienen, kamen sie sogleich mit den griechischen
Emigranten in Berflhrung. Bussen und Griechen hatten gemein*
same politische und geistliche Interessen'.
Die Griechen, welclie dun ru-ssischen Diplomaten, Tschemo-
danow und Posnikow, einen Besuch abstatteten, drückten ihre
Freude darüber aus, dafs es ihnen vergönnt sei, ^^eines so groDsen
orientalischen Zscen'* Gesandte, welche augleich Glanbensgenossen
seien, zu sehen. Auch luden sie die Bussen ein, dem Gottes*
dienste in der griechisdien Kirche beizuwohnen und die dort be-
findlichen Beliquien in Augenschein zu nehmen: es werde ein
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Eine russische Oesandtschaftsreise nach Italien (166^57). 147
feierlicher Gottesdieust zu Ehreu des Zarcu Alexei stattfinden
u. s. w.
£rst etwa zwei Wochen später erschienen die russischen
Modten in der grieohisch«n Kurche* Sie waren von einer Depu-
tation Ton Orieehen in piichtigen Gondeln abgeholt worden.
Sowohl die Ansitattang der Kirohe und die dort befindlichen
Beliquien, als ancfa der Verlauf der gottesdlenstliehen Feierlichkeit
werden im Rcisejournul der Moskowiter ftUöfuhrlich beschrielien.
Es war ein Festgottesdienät zu Ehren des Zarou Alexei, welcher
in der Predigt als ,,der Beschützer der orientHÜsclien Kirche",
als „der Hort der Frömmigkeit", als ,|der Verteidiger und der
Troat der ChriBten^S als MBesieger der (Toglünbigen'' gefeiert
wurde. Der Geistliebe sprach in seiner Bede die Hoffionng ans,
dafs der Zar als eine Sonne des Glaubens über dem Dnnkel des
Ungi.iui/ens au%ehen, d. h. alle Feinde Gottes überwiiulfn und
&\a zweiter Koustantin erscheinen möge, um die in ächunpllicber
Sklaverei lebenden und viele Qualen ausstehenden Oriechen su
trösten und zu befreien ; als ein aweiter Alezander von Makedonien»
dessen Name und Böhm weithin bekannt seien, werde er die
KosUm^ die Naohkommoi Hagars, besiegen n. s. w.
Es war eine politische Demonstration , zugleich vielleicht
aucli ein Mittel, von den Russen ein Geidgenchenk zu erhalten.
Tschemodunow und Fosnikow zahlten sechs Dtikaten.
An demselben Tage kamen einige griechisohe Geistliche und
Eanfleute au den russischen Gesandten und unterhielten sich mit
ihnen Aber die orientalischen Angelegenheiten. Sie ersShlten
u. a^ dafs sie in Handelsgeschäften nach Konstanfiiiopel su reisen
pflt'gttu und dort von den Türken gehört hätten, dafs diese den
Zareu Alexei, welcher über die Polen glänzende Siege erfochten,
sehr fürchteten ; auch habe man in der Türkei in alten Schriften
die Propheaeihung von dem bevorstehenden Siege der Bussen
Aber die Türken gefunden, so dafs jeden Augenblick der Angriff
der Bussen auf KonstaDtinopel erwartet werde. Infolge dessen
aber sei die Lage der Griechen in der Türkei eine um so schlimmere
geworden; sie würden schwer bedrückt und mil'shandelt und ihre
10*
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148 i^^ino rassische Oesandtschaftsreise nach Italien (1650 — 57).
einsige Hoffnung sei der Zar Alez<n, der sie ftut den Händen
der Ungläubigen befreien wt-rde.
Diese Stiniimingeu und Verliaitnisso lassen es begreitiich er-
scheiseu, dafs die Griechen iu Vf iTf dig die Gelegenheit benatsten,
den BuBsen sn echmeicheln. Die Beraohe der Qriechen wieder*
holten Bich. Bf erschien n. s. ein griechiaeher Ketropolit. Es
gab aach mancherlei BerOhnmg mit Abentenrem nnd Schwindlern.
So bradiite z. B. ein Gh*ieche den rtueiBchen Gesandten das Porträt
eiiiea (ler vielen falschen Prätendenten, welche in Kufsland aufge-
treten waren und die öffentliche Sicherheit bedrohten , und be-
merkte dazu, dafs ein ähnliches Büd sich im Bdsitse eines griechi-
schen Q-eistiichen befinde«
Eine merkwfirdige Illnstrstion zur orientalischen Frage lieferte
folgende Episode: es erschienen eines Tages bei den russischen
G-esandten mclit weniger als fünfzig Russen, welche ans türkischer
Gefangeubchaft untÜohen waren und um ein Almosen baten; sie
hatten, als sie nach Venedig kamen, von der bevorstehenden An-
kunft der rassischen Gesandten erfahren und drei Wochen lang
auf dieselben gewartet. Ihre Befreiung ans der Knechtschaft
dankten sie den Siegen der Yenetianer, welche in den Seeschlachten
(1656) bei den Dardanellen einige mit russischen Sklaven be«
mannte Galeeren urobti t hatten. Diese Russen hatten auf den
Werften und in den Arsenalen der venetianischen Republik
Tagelühuerarbeiten au leisten übernommen. Sie berichteten eben-
£Uls, dafs in den von Slaven nnd Griechen bewohnten Provinzen
des türkischen Beiclia der Käme des Zaren Alexe! einen guten
Klang habe und' dafs die Türken Sufoland fürchteten.
Dabei ist zu bemerken, dafs es bis daliiu nocli nie einen
unmittelbaren Zusammeuetors zwischen Rafslaud und der Türkei
gegeben hatte, und dafs in der darauf folgenden Zeit bis zu den
Siegen JCünnichs über die TürkeUi während der Zeit der Begiemng
der Kaiserin Anna, die Bnssen nicht sehr glflcklioh mit den
Türken kämpften, so dafs z. B. selbst die Eroberung Asows nur
ein vorübergehender Erfolg war und selbst Peter der Gboise
keine dauernden Vorteile errang.
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Eine russiscbo Gesandtachaftsreise nach Italien (1650-57). 149
KttIttrKoh 6fl wShrend des Verweilens der russischen 6e-
sandtschaft in Venedig fortwuhrend Verhandlungen mit der vene-
üanischen Regierung. Aber auch andere Bezithungen wurden
angeknüpft. So z. B. erschien bei den Moskowitern der Sekretttr
dee Beaidenten det Forsten von Uaatna und riohiete im Namen
dee Ffinten eine Begrüftnag ans. Ferner machte auch der £ran-
sösische Besident den rassischen Diplomaten einen Besnoih, welcher
aber nicht erwidert wurde. Der letztere Uuistaiid erregte i»ciu-
Ilches Aufsehen, so dafs Allx-rto Vimiiia bei Tschemodanow und
Posnikow erschien und ihnen den Vorwurf machte, sie hätten die
Pflicht der Höflichkeit verletzt, indem sie einen G^enbesuch
nnterliefBen. Die mssischen Diplomaten entg^eten, sie seien
nicht an einem Besuche heim firamsösischen Gesandten verpflichtet:
es sei in Rofsland nicht Sitte, dergleichen Bücksichten an beobachten;
uud so begnügten sich denn Tschemodanow und Posnikow damit,
einen Dulmetöcher , den Polen Toporowsky , zum französiscliün
Diplomaten zu senden und sich nach dessen Gesundheit zu er-
kundigen. Itan war eben mssischerseits in jener Zeit sehr weit
davon entfernt, die Begeln des »»savoir hue^ im allgemein-diplo-
matischen Yerkehr sa beherrschen. Offenbar erklftrt sich die
Verletzung der Höfliohkeitspflioht in diesem Falle TOmehmlich da-
durch, dafs die mssischen Diplomaten für einen solchen Fall
keinerlei Instruktion erhalten hatten.
Eines Tages kam ferner der Besident des Fürsten von Parma ;
ein andermal erschienen ein paar vornehme Herren ans Deutsch-
land, deren Namen und Herkanfb in dem Beiscjonmal in so ent-
stellter Form wiedergegeben sind, dafs wir dieselben nicht su
enträtseln vermögen. Sie sollten geäufsert habeui sie seien mit
dem Kaiser befreundet" und dessen Räte.
Der päpstliche Nuntius hielt es nicht für angezeigt, den
mssiechen Diplomaten einen Besuch zu machen« £r begnügte
sich damit I sie dnrch Alberto Yimina fragen an lassen, ob sie
•) „Ondrei Ermanussilivia Parzija" und „Iwan Ssivün Parzija"
„(xrafen" atis der Stadt .,Toriza". welche „120 italienische Jüleiien** von
Venedig entfernt ist. Denkmäler X. 1058.
150 -^^"6 russische GesandUchaftsreiHe oach Italien (1666 — 67).
anoh nacli Horn reisen würden: der Papst selbst habe befohlen^
sich darnach zu erkundigen. Die Gesandten erwiderten, dafs sie
keinerlei Auftrag an den Papst, also keine Veranlassusg zu einer
Heise nach Rom h&tten.
Die Verhandlungen der nusisehen GeBandton mit der vene-
iianiaohen Begiemng waren im weeentiicHen nicht erfolgreich.
Ja, es gab sogar mancherlei ZwiacihenftUe. Die SehwerftlHgkeit
des Zeremoniells machte sich bei jeder Gelegenheit geltend. Sehr
bald nach ihrer Ankunft teilten venetianische Beamte den Russen '
mit| dafs der Doge an der Podagra krank liege und de nicht
pendnlieh empfangen könne: die Oeaandten mfifsten vor dem
GhrodBen Bäte eracheineui wo der höchste Beamte der Bepnhlik
nach dem Dogen diesen vertreten werde. Die Gesandten pro*
testierteu eiitschieduu : sie seien zum Dogen gesandt und müfstcn
ihn selbst sehen und ihm das Schreiben des Zaren eigenhändig
tiberreichen. Dagegen seien sie» wenn allem zuvor die Audienz
stattgefunden habe, bereit^ mit den Staatsbeamten über die Ge-
schifte 8U verhandeln. Im Verlaufe des Gesprächs deutete Alberto
Vimina an, die Macht des Dogen sei beschränkt, er tHue eigent-
lich nichts und wisse nichts. Sine solche republikanische Re*
gieruiigsfürin st-and im argon Widorspfuche mit dem iimiKii ciiiachen
Bewulstsein der russischen Gesandten. Sie eutgegueteu , dafs
wenn nicht der Doge r^ere, wenn die Senatoren und Beamten
alles thftten und von allem wfifsten, man die Staatspapiere nicht
mit dem Kamen des Dogen, sondern mit den Kamen der rogie-
renden Staatsmänner versehen rofisse. Auch wanderten sieh die
Russen darüber, dafe manche Aroter nicht uiideiü üIö durch W ald
und auf kurze Zeit besetzt würden. Bei dem Maugel an Staats-
rechtlichen Begriffen in Rufsland zu jener Zeit, bei der unum-
schränkt despotischen Macht der russischen Zaren, welche dem
Bechtsbewulstsein ihrer ITnterthanen entsprach, konnte eine Er-
örterung der staatsrechtlichen Verhältnisse der Kci ubllk Venedig
leicht zu MifsverstSndnissen Anlafs geben.
Während der Verhandlungen darüber, ob die Gesandten den
Dogen selbst sehen würden oder nicht, erwähnte Alberto Vimina,
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Eine ruuiache GeBandUoliaftsreise nach Italien (1656 — 57). 151
dftfs auch er bei Gelegenheit seiner Gesandtschafthreise nacli lluls-
and keine Audienz beim Zaren gehabt habe. Die Kassen stellten
diesen Umetand nioht in Abrede, bemerkten aber, dafs Yimina
nnr dnreli eigene Krankheit daran Terhindert gewesen sei, dem
Zaren das Schreiben des Dogen persdnlioh in flberreieben, was
allerdings der Thatsaclie entspraeh.
Indessen erreichten die Russen ihr Ziel. Allerdings mnfsten
sie die Genesung des Dogen abwarten; aber sodann konnte die
Attdiens stattfinden. Doch gab es noch zuvor manche Schwierig-
keit an überwinden. Alberto Vimina fragte die Gesandten nach
dem Zweck ihrer MissioDy nach dem Hauptinhalt ihrer Instmktion.
Bie Gesandten lehnten höeblichst entrüstet die Znmntnng ab,
das Geheimnis ihrer Aufti agL schon vor der Audienz auszuplaudern.
Es blieb dabei, dafs sie zunächst reinen Mund hielten , obgleich
Yimina nochmals erschien und dringend vorstellte, wie notwendig
es sei, schon vor der Audiena zu wissen, um welche Geschäfte
awisohen Koskan nnd Venedig es sich handeln werde. Die Hussen
Überhünften den venetianisehen Geeandten mit Vorwürfen: er
wisse nioht, was politischer Anstond sei, er rede Dinge, welche
dem ruliiurt'ichen venetianisehen Staate zur Schande gereichten,
er wolle sie, die Diplomaten, in Versuchung führen, aufs Glatteis
locken u. s. w. Vergeblich suchte Yimina die mifstrauischenf
sich in allen Stücken unsicher fühlenden Diplomaten au beruhigen,
Sie verweigerten Jede weitere AusknniL
Als Vimina einige Tage später bei den Gesandten erschien
und ihnen mitteilte, der Doge sei genesen und werde sie empfangen,
suchten die KoRsen ihrerseits sich mi vercrewissern, dafs der ihnen
zu bereitende Empfang ehrenvoll genug ausfallen werde; sie be-
riefen sich darauf, dafs die Gesaadten des Zaren vom türkischen
Sultan und vom Schah von Persien und von andern Kaisem und
Königen mit besonderer Ausseichnung behandelt würden. Vimina,
berichteten Tschemodanow und Posnikow in ihrem offiaiellen
Journal . schwur hoch und teuer vor dem Bilde der heiligen
Mutter Glottes, dafs die russischen Gesandten bei dem Empfange
solche Ehren geniersen sollten, wie dieselben keinen andern
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142 ^^ue russische Gesandtschaf tsreise nach Italiea (I606— 57).
Diplomaten, den YertroterD oadarer Staaten 1 sn teil m werden
Am 22. Januar (1. Februar) fand die Audienz statt. Ifit
grofser Feierlichkeit wurden die Gesandten von Alberto Vimina
und dreifsig KavaUeren in prächtig gesobrnttckten Gk>ndeln ab*
geholt: die Sitae in den letzteren waren yon Samt, mit Gk>ld
nnd Spitzen gesiert. Nachdem der Zug an der Piasaetta gelandet
war und die Gesandten von dem Platze aus durch die „Porta
deila Carta" in den Hof des Dogenpalastes zur marmornen ^Scala
dei Giganti" geführt worden waren, beklagten sich die Diplomaten
darüber, dafs der Doge sie nicht, wie die £hre dee Zaren er-
fordere, am Fnfae der Treppe noch besonders empfange; man
entgegnete, dafa dieaea nicht Brauch aeL IKe G-eaandten drückten
nochmals ihre TJnanfriedenheit ans nnd behaupteten, dafs den
Vertretern des Ziiren überall, auch beim »SulUiu und beim Schah
von Persien, solche Ehre widerfahre. So gab es denn einigen
Aufenthalt.
Zn beachten ist der Umstand, dafs dieses Zwischenüsiiea in
den Zeremoniellprotokollen ün ArdÜT za Tenedig nicbt erwihnt
ist; wir wissen davon nur aus dem offiziellen Bericht dermss&schen
Gesandten. Dafs aber dieser letztere nicht immer bnchstäblich
den Thatsachen entsprach, ist aus mancherlei Einzelheiten zu er-
sehen. Tschemodauow und Posnikow bemerkten, dafs die vaue-
tianischen Beamten schliefslich zugaben, ein Versehen begangen
zu haben, indem der Empfang der Gesandten durch den Dogen
an der Treppe Tcrgessen worden sei Wir haben keinen Grund
anzunehmen, dafs die Vertreter der Tenetianiseben Begiemng in
der That eine derartige Entschuldigung vorgebracht hätten.
Im Audienzsaal befanden eich der Dogo und die Mitglieder
des Rats „in gewöhnlicher Kleidung*^, wie ausdrücklich im Zere-
moniellprotokoll Teraeicbnet ist, ^) obgleich zuerst von manchen
Seiten die Abaicht geünfaert worden war, die Bussen in grolaer
Gala zu empfangen.
Con le loro vesti ordinari cosi essende stato per consulta stabilito.
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Eine roBUMhe GeBudtsohifljreue nioh Italien (im-«7). 153
Taehamodanow hielt aeine Jäede in ruaaiacher Spnbche. Die-
aelbe wurde ina Lateiniaelie flberaetst. Der aehr lange Titel
dea Zaren erregte einigea Anfadien. Der Doge antwortete in
italienischer Sprache ; aeine Worte worden zuerst ins Lateinische,
sodann aus dem Lateinischen ins Kussische übersetzt. Hierauf
überreichte Posnikow, welcher in den itaHentschen Akten nur
als „Secretario^ bezeichnet wird, das an den Dogen gerichtete
Schreiben, wobei er der Anweaenheit Alberto Yiminaa in Bn£i-
lancl im Jahre 1655 erwühnte nnd von dea Zaren Bereitwilligkeit
sprach, den Angehörigen der Bepnblik Venedig daa Bedit in
Kuihlfind Handel zu treiben zu gestatten. Die Verlesung dea
Schreibens Alexeis murütu vorläufig unterbleiben, weil dasselbe,
als in roaaiacher Sprache verfafst, zuerst tlbersetzt werden niufste.
Hierauf wurde von den Baasen dem Dogen einiges Bauohwerk
als Geachenk flbenreioht.
Tachemodanow aehenkte ein Schwamfachafell im Werte von
50 Bubeln, 40 Zobelfelle im Werte von 200 Rubeln und ein
Hernielinfell im Werte von 20 Rubeln; Posnikowe (xesclienk fiel
geringer aus und bestand aus 2U Zobelfellen und einem Her-
melinfell. Sowohl die Bossen als die Venetianer standen die
ganse Zeit.
Hierauf gab es einen Zwischen&ll, Aber welchen die italieniaohen
und die mssisehen Akten in verschiedener Weise berichten.
Im Zeremoniellprotokoll der Venetianer heiföt es, man habe
den russischen Uesandten aufgefordert sich zu setzen und zwar
zur Rechten des Dogen ; Viraina habe dem Diplomaten ausdrAok-
licb erklärt» dafa es mit den Oesaodten aller groisen Potentaten
so gehalten su werden pflege ; indessen habe Tachemodanow weder
sich setaen noch sich bedecken wollen, so dafs auch der Doge
und alle Anwesenden genötigt gewesen wären, während der ganzen
Feierlichkeit stehen zu bleiben.
Im ru8.si8ciien Bericht wird erzählt, Tschemodanow habci
dasn aufgefordert, inr Bechten des Dogen Plats genpmmen, aber
sogleich dnroh den Dolmetscher das Verlangen geatellti dafs auch
Posnikow einen Sessel erhalte; als nun dieses verweigert worden
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154 £ine ruwuohe OoMUidtachaftsreiie nftch Italien (1666-^7).
sei, habe auch Tschemodauow sich erhoben und sei stehen ver-
blieben.
Efl war diese Epiiode offenbar die Folge einer gewiMon
Unklarheit in der Stellung, welche Poenikow einnahm. Er war
ein Hittelding awischen einem Qeaandten und einem Legations-
sekretär.
Zuru Schlüsse der Audienz versprach der iJoge, das Schreiben
Alezeis übersetzen and ein Antwortschreiben anfertigen zu lassen.
Sowohl in dem rnssischen als in dem italienischen Bericht
wird bemerkt, dafs eine ungeheuere Henschenmenge dem Zuge
der Gesandten sum Dogenpalaste und surfick bis su der Wohnung
der Gesandten zuschauten. Bas Schauspiel, welches die russischen
Diplomaten mit ihrem zahlreichen Gefolge, alle in bunter orien-
talischer Tracht, darboten, war so eigentümlich, dais selbst vor-
nehme Beamte, von dem zur Zeit herrschenden Maskenrechte
Gehraudi machend und sieh herandrfingend, den Zug betrachteten. ^)
Bas russische Schreiben des Zaren an den Bogen sollte nun
flbersetzt werden^ aber die Vraietianer hatten niemand, welcher
dazu Im stände gewesen wäre. So erschien denn \ iniuui bei den
russischen Gesandten mit der Bitte , sio möchten durch ihren
Dolmetscher, den Polen Toporowsky, das Schriftstück ins Lateinische
fibersetzen lassen. Zuerst entgegneten die russischen Diplomaten,
der Bolmetseher sei nicht dazu da, um die Gescfattfte der vene»
tianischen Bepublik zu besorgen; alsbald aber, da sie einsahen,
dafs leicht ein Aufenthalt entstehen konnte, und da Yimina drohte,
dafs der Doge von dem hthalt des Schreibens gar keine Notiz
nehmen könne, verstanden sich Tschemodanow und Posnikow
dazu, eine lateinische Übersetzung anfertigen zu lassen. So konnte
denn das Schreiben zur Kenntnis der ▼enetianisohen Begierung
gelangen und beantwortet werden.
Am 96. Januar (5. Februar) fand die zweite Audiens der
*) AichlT in Venedig: „A questa fandone vi fit nomerosisdmo
ooncorso di tutti gli ordini della Cittä et anco di personaggi pubblici
dei piü qualificati, chi con il commodo della mascheria si portarono a
sadisfare la propia curiOBiti."
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Eine raniach« GosandtsohftftareiM oaoh Italien (1666^57). 166
Gesandten statt. Man hatte zwar den letzteren mitgeteilt, die
Yerhandlmigen dfirften nicht lange wihren, weil der Doge keine
lange Sitsnsg vertrage. Die Bnmeo, welche dieaesmaly wie ans
den 2eremoniellprotoko]len herrorgeht, beide safsenf erlftnterten
die Betiehungen des Staates Ifoslcan sn Polen, Uagten lebhaft
über alle die Rechtsverletzunpen, dereu sich die Könige Wladiiälaw
und Jan Casimir gegenüber dem russischen Staate schuldig ge-
macht hatten and berichteten von den groisen Erfolgen der
nuHrischen Waffen , tod der Besetanng Tieler polnischer Städte
durch die rassischen Trappen , sowie tob den Versvohen des
Kaisers Ferdinandy den Frieden awisohen Bnfsland nnd Folen
wiederherzustellen. Hierauf kamen die Gesandten auf die türkischen
Angelegenheiten zu reden und lienierkten, der Zar sei ge^/i nwärtig,
da er durch den polnischen Kri^ in Anßpruch genoaunon sei,
nicht in der Lage, an einer Aktion gegen die Pforte teilzunehmen ;
sobald aber der polnische Krieg ein £nde habor schlössen die
Gesandteoi werde man gern bereit sein in einem Angriffsbflndnis
gegen den Feind der Christenheit. Der Doge antwortete, indem
er dem Wunsche Ausdruck gnb, der Zar mö'^G rechtzeitig meldeu,
wenn er in der Lage sei, die militärischen Operationen gegen die
Türken zu beginnen.
Am 30. Januar (9. Februar) sollte die dritte Audiens statt-
finden. Noch immer wufste man in Venedig nichts Ton dem eigent-
lichen Zweck der Oesandtschaftsreise der Moskowiter. Indessen
hatte man sehen eine Ahnung davon, dafs es sich um Subsidien
für den polnischen Krieg handeln werde. Tags zuvor, elie die
dritte Audienz stattfand, erschien Alberto Yin^ina bei den Ge-
sandten und suchte sie äber den eigentlichen Inhalt ihrer Auf-
träge aussuforschen; er sagte dabei, dafsp wenn die Bussen um
Geld bitten würden, sie nicht viel Ehre damit einlegen könnten.
Die russischen Diplomaten fragten betroifen, woher er denn wisse,
dafs sie um Geld bitten wollten ; Vimina erwiderte, es sei dieses
seine eigene Vermutung. Im übrigen weigerten sich Tschemodanow
und Püsnikow abermals ganz entschieden vor der Zeit, d. h. nicht
in feierlicher AudienSi weiteres ftber ihre Instruktion mitsuteüen.
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156 russische QesftQdtschaftsreisG nach Italien (1656 — 57).
• Bei der .Vudiunz vom 30, Jiinuar schilderten die GesuLdtca
E.iiislaudB Beziehungen zu Sclnvedeii ; sie klagten bitter über die
fiaudliingsweise des Königs Karl Gustav und erläuterten ein-
gehend, ivie ee mm Brueli swiaohen Schweden und Polen ge-
kommen eeL Dabei wnrde dam scUie&lich die Bitte um Gteld
vorgebracht: die yenetianisehe Begiernng solle dooh so viel Thaler
nnd Dukaten geben, als sie könne, nnd zwar schneUmdglichBt :
der Zar wurde darüber quittieren.
Offenbar bot die fremde Sprache bei den Yerhandlungeii
grofse Schwierigkeiten dar. Man sagte den Bussen, man werde
auf ihr Anliegen spAter antworten and sonichst alles von ihnen
Vorgebrachte flbersetien lassen. Es erschienen nach der Atidiena
bei den Gtesandten Alberto Yimina und ein Geheimschreiber, um
alles von den Bussen bei der Audienz Vorgebrachte noch einmal
zu hören und sich verdolmetschen zu lassen. Die Gesandten ent-
sprachen der Aufforderung sogleich und wollten sodami die Ge-
legenheit benutsen, um durch die Beamten der venetianischen
Bepublik genaue Angaben Über die Titel des Kaisers, der Könige
von Frankreich, England, DSuemark, Polen und Schweden u. s. w.
zu sammetn. Yimina konnte ttbrigens der Bitte der Bussen nicht
ents|.reclien, weil, wie er sagte, die genauen Angaben über die
im interuationalen Verkehr üblichen Formalien nur den Akten
des Archivs der Hepublik entnommen werden könnten.
Ein paar Tage später kam Yimina wieder su den Gesandten
und fragte, ob sie die Subsidien erbeten hatten, damit der Zmp
in Stand gesetst vrürde, gegen die Türken Krieg au führen. Die
Anfnge erregte die höchste Entrüstung: die Oesandten gaben
ihrem Erstaunen über das Unziemliche einer solchen Anfrage
Ausdruck; nicht um des Geldes willen, sondern um die recht-
gläubigen Christen aus dem Tttrkei\joche au befreien, werde der
Zar seine Truppen in den Kampf senden. Sehr gereiat fragten
Tschemodanow und Posnikow, ob Yimina von sich ans so vor-
witsig frage oder daau von der venetiaauBchen Bepublik beauftragt
sei. Nach einigem Zögern erklärte Yimina, er habe aus eigener
Initiative seinen eigenen Gedanken Ausdruck gegeben.
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Eine russische GesandtschAftsreise nach Italien (1666 — h7). 157
Tn einer Audionz, am r>. (10.) PeLrnar, wurde nun den Ge-
sandten der Eutwtiri des Antwortschreibens des Dogen an den
Zuren fibenreioht: Der Doge sagte darin, er habe mit grofaer
Teilnahme Ton dem Konflikt swiaohen Bnfaland etneraeits tind
Polen nnd Sohweden andrerseita gehört; heaonden erfreolioh sei
die Berdtwilligkeit des Zaren^ den Kampf mit den Türken anf-
zunehmen. Der gegenwärtige Zeitpuükt sei dazu selir geeignet,
weil die Türkei durch den Kampf mit Venedig in Anspruch ge-
nommen sei und man daher bei einer durch die Donischen Ko-
saken sn nntemebmenden Diversion mit ZaTersioht auf Erfolg
reohnen könne, Inbetreff des Bjiuptpnnktes erfolgte eine ent-
schieden ablehnende Antwort; die Bepnblik Venedig, sohrieb der
Doge, führe nnn sdion dreisehn Jahre hindurch Krieg gegen die
Türken und da sei sie denn nicht in der Lage, der moskowitischen
Begierung mit einer Anleihe oder Subvention auszuhelfen.
Es gab sodann noeh ein paar Sitzungen, an denen der Doge,
wegen Krankheit oder wenigstens Krankheit vorschütaend, nicht
teilnahm. Als die Reinschrift der Antwort angefertigt werden
sollte, verlangten die mssischen Oesandten von derselben, ehe
sie versiegelt wurde, Einsicht zu iiuhmcn. um sich davon zu über-
zeugen . dafs der Titel des Zaren ganz genau wiedergegeben
worden sei. Am 20. Februar (2. März) brachte Vimina das
fertige Schreiben den Gesandten mit dem Bemerken^ der Doge
sei krank nnd kdnne keine Abachiedsandiens erteilen. Tsdiemo-
danow nnd Posnikow brausten anf : sie konnten das Schreiben
nicht anders als ans den Hfinden des Dogen selbst entgegen^
nehmen. Vergebens stellten die venetiunischen Beamten den
russischen Diplomaten vor, dafs es in Venedig durchaus liegei
sei, derartige Antwortschreiben nicht in öffentlicher, feierlicher
Andiens zn überreichen, sondern in der Wohnong der Oesandten
absageben. Die Sassen antworteten, dsis alle derartige Präze-
denzfälle fftr sie gar nichts bedenteten nnd dafs sie an ihre
Instruktionen inbetreff solcher Etikettefragen gebunden seien.
Sie wufsten wohl, dnfs in Moskau jede Aliwciciiung von den nach
dem Herkommen der russischen Diplomatie zu beobachtenden
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158 -Bine russiacbe (iesandtscliaftai-eise uach Italien (I696 — 57).
Formen mit Folter und Knute, Gefängnis und Yeritumung be-
btiiilt zu werden pflegte. Kein \\'uiider, dafa sie cigpiisinnig auf
ilirem Stücke bestaudeu, so dais die venetianischen Beamten mit
dem aasgefertigten Sohrift«tück heimkehren mufHten. Aniaer-
dem hatte noh heramgestellty dals in dem Titel dea Zaren in
dem Schreiben des Dogen ein Uebes VerBohen eioh eingesehliohen
hatte, und ao bestanden die Gesandten darauf, daJs das ganze
Dokument noch einmal geschrieben werde. Die venetianischen
Beamten waren höchlichst unzufrieden uiid sagten den russischen
Öesaudten, sie hätten den Dogen und den groXsen Kat schwer
gekränkt; die ganse Stadt sei Zeuge davon gewesen, wie die
Urkunde, statt Ton den Diplomaten entg^ngenommen worden su
sein, wieder su dem Dogen sorflckgetragen wurde*
Man mnfste sich fügen: der Doge gewährte den Bussen eine
Abscliiedsaudieuz. DieseDie tand am 23. Februar (5. März) statt.
Es fiel auf, dais die Mu^kowiter bei dieser (üelegenlieit betsoiiders
höflich und ehrfurchtsvoll ihren Dank für den freien Unterhalt
ausdrückten. Sie verbeugten sich dabei sehr tief und legten ihre
ICfltien auf den Boden, *) Es gab snm Schlüsse einen Austausch
höflicher Redensarten. Der Doge betonte nochmals, er hoffe»
dafs der Zar der venetianischen Bepublik im Kampfe gegen die
Türken beistehen werde. Beim überreichen den Antwortschreibens
soll denn noch, wie der russische Ge^audtschaftsbericht hervor*
hebt, der Doge gesagt haben, alle Schreiben an andere Staaten
würden mit silbemen Siegeln versehen, aber das Schreiben an
den Zaren Alezei trage ein goldenes Siegel.
An den folgenden Tagen wurde Aber die Formalititen der
Abreise und das Geleite verhandelt. Vimina SoU die Gesandten,
wie sie in ihrem Berichte erzählen, noch zum Scblusse zu einem
Abstecher noch Rom beredet haben, da der Papst sie zu empfangen
wünsche u. dergl. m., worauf denn die Bussen nochmals erwider*
') Archiv /u Venedig, „inohinandosi e diponendo a terra i loro
barottoni". Almlich in dem vom Sekretär Bon unterzeirhnefen Pro-
tokol] .i( I Audienz, wo alle Kedeu reproduziert Hiud, ebenfalls im Archiv
zu Venedig.
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Eine russische Gesandtschaftsreise nach Italien (1666—57). 159
ten, sie hitten keiiieti AuftrAgri P*ptt su bmehen und ohne
eineu solchen sei an eine derartige Reise nicht zu denken.
Am 1. (11.) März verliefBen die Gesandten Venedig, wo sie
am „Canale grande" in der ,,0a8a Grimani'' ') gewohnt and zu.
ihrem Unterhalte tlglich 25 Goldstücke erhalten hatten.
Von dem Tage der Abreiae der Bossen ans Venedig
(1. Kärs) ist ein Schreiben datiert, welches Tschemodanow an
den Grofsherzog von Toskana richtete und welches sich im
Archiv zn iorenz befindet. Es ist in lateinischer Sprache
verfaist, mit der eigenhändigen russischen Unterschrift Tschemo-
danowB versehen und enthält erstens den in demütigen Aus»
drücken dargebrachten Dank für die gute Aufnahme» welche der
Groisheraog den russischen Gesandten gewShrt hatte und sweitens
eine Empfehlung des Dolmetschers Johann Sachs, welcher in die
Dienste des Grofsherzogs zu treten wünschte ; dem »Schreiben war
ein Hernielinfell für den Grofsberzog und ein ebensoiches für den
Bruder desselben, Leopold, beigefügt.
Johann Sachs, welcher sich in ein paar Schreiben an den
GroJshersog ans Venedig ^Tonente Giovanni Sachxy di Austria'*
unterzeichnet, galt in LiTomo und Venedig, wie aus manchen
Anfserongen hervorgeht, für einen unbedeutenden, unerftJirenen
und auch der italienischen Sprache nicht vollständig mächtigen
Mann. ^)
Aus Venedig schrieb Sachs an den Grofsheraog über die
Verhandlungen der russischen Gesandten mit der Tenetianischen
Begierung ; hier hieb es nun doch, dals der Zar um Geld gebeten
habe, um su einem energischen Vorgehen gegen die Türken rüsten
') Es g^ibt am „Canale graade" zwei ..Fal. (Trimani", Haus-
nummer 30 auf der linken Seite im sansoviueäkeu Siil , und auf der
rechten Seite Haasnnmmer 41, ein prächtiger, von Michele Sanmichele
ca. 1660 erbauter Palast, wo sich jetzt das Appellationsgericht befindet.
^ So s. B. achreibt man aus Livomo am 1. Januar 1667 „Questo
tenente, come V. A. verra, e ancora lui poco atto u (juesto mestiero"
(eines Dolmetschers). In einem Schreiben aus Venedig heifst es von
Saclis. er sclieine ..diffienlta d' intelligenza'* ZU haben und doch müsse
mau mit ihm verhandeln u. s. w.
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160 Eine russiBcbe OesandtBchafitraite haoIl Xta]i<m (16fi6 — 67).
stt kSnnen, indesBeii sei die Antwort dei Bogen ablebnend aus-
gefallen t Htm könne kein Oeld gehen, hoffe aber, dafs der Zar
mit eigenen Mitteln den Krieg gegen die Türken führen werdi-.
Zum Scliliipse erl)ot sich Sachs noch zu ferneren B/eporterdienBten.
Alle diese Korrespondenzen enthalten den Beweis, dafs in
Italien das Eraoheinen der mssischen Diplomaten an verschiedenen
Punkten der apenninischen Ebdbinsel ein lebhaftes Interesse
erregte. Es entstand die Hoffnung, dafs der Zar ein nfiltslicher
Bundesgenosse im Kampfe gegen die Türken sein werde. Von
einer Diversion der Bussen, welche die Tataren und Türken im
Osten angreifen konnten , erwartete man einen grofsen Erfolg.
Man überschätzte bei dieser Gelegenheit die Kriegstüchtigkeit der
Moskowiter; die sogenannten Tschigirin-Feldxüge 1677 — 78, die
Feldsfige Oolisyns in die Krim 1687 nnd 1689, ja selbst die
AsowBcben Feldzüge Peters des Grofsen 1695 und 1696 sollten
zeigen, dafs Kufsland erst, etwa in ferner Zukunft den Türken
sehr gefährlich werden konnte ; zuniiclist staud der Staat Moskau
zu sehr aufserhalb Europas, als dafs er an militärisdier Aus-
bildung nnd Erfahmng sich mit den hdher aiTilisierten sonstigen
Gegnern der Pforte 20 messen vermoeht hätte.
Und gerade das Erscheinen nnd Anftreten der russischen
Gesandten in Italien war geeignet, darsnthnn, dafs Knfsland noch
sehr viel zu lernen hatte. Wir haben gesehen, welches Aufseljen
die Roheit und Unwissenheit der Moskowiter sogleich in Livorno
gemacht hatten. Die Schreiben Antonio Serristoris und anderer
Beamten enthielten eine Beihe von Anekdoten, welche die Un"
bildnng nnd Fremdartigkeit im Gebahren der Bnssen iUnstrierten.
Ihre Btreitsnobt und Kleinlichkeit, ihre Taktlosigkeit nnd ihre
Geneigtheit zu nuincherlei Exzessen liatten den Spott der fein-
gebildeten Italiener erregt. Ihr orientalisches Kostüm hatte der
Schaulust des gaffenden Pöbels zum Objekt gedient.
Für die Zeit des Aofenthaltes der Bnssen in Florenz und
Venedig fehlt es nns an einer solchen Quelle, welche in dem
'j „Che lui potesse eon lo uiagiori forze anUar luvadtr lo stado dcl
gran Turco per terra e anche par mare quanto piü sarebe posaibile."
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Kiue rusaischc GesandtschafUreise nach Italien (1666 — 57). 161
Mafse umstÄndlich, wie die Berichte Serriatoriß, die Wirkung
veranschaulicht, welche die russischen i>ij)lomaten in Florenz und
Venedig übten. ludeasen gibt es hier uud da Andeutungen
darüber, dafa die in Livoriio über die Eiumd gefällten Urteile
Yon den Äufsenuigen anderer Beobachtungen in Florenz und
Venedig in allen Sttteken beatfttigt wurden.
So z. B. schreibt Botta in eeiner „Storia d' ItaUa*'»
Venedig habe die Ankunft der nioskuwitischen Gesandtschaft sehr
unterhaltend gewirkt, Tschemodauow liabc nur russisch gesprochfu
and sei in der wunderlichen Tracht seiner Heimat erschieoen.
Man erzählte eich, der Gesandte habe gefiragt, ob nicht die Wogen
der Lagunen bei der Ebbe und Flut die FSueer Venedigs mit
sich fortsubewegen Termöchten, als könnten so gewaltige Bau-
werke schwimmen, wie Beegras ; man sprach femer davon, dafs
Tschemoilaiiow im Theater die Dekorationen betastet lial)e, utu
aicii davon 2&u überzeugen, dafs es sich nicht um wirkliche Objekte,
sondern um Bilder handle.
In Venedig befand sich cur Zeit der Anwesenheit Tschemo*
danows nnd Fosnikows in dieser Stadt ein SQdslave, Jurq £ri-
shanitseh, welcher etwas später nach Bufsland kam und eine Beihe
hochbedeutsamer Schriften über Bufsland Terfafste. Er schildert
in seinen Aufzeichnungen, welche nur zum Teil herausgegeben
worden sind, den überaus peinlichen Eindruck, welchen diese
russischen Gesandten in Italien überhaupt und auch in Veuedig
hervorbrachten. Die barbarische, asiatische Kleidung, die Un-
kenntnis anderer Sprachen, die TTnbeholfenheit des Auftretens
der Bussen im Auslände erschienen dem hochgebildeten Südslaven,
welcher jahrelang in Rom gelebt hatte, die Welt kannte und
sich durch vielseitige Kenntnisse auszeichnete, so kUigiich. dafs
er seiner Überzeugung Ausdruck gab, ituisiand thäte besser, gar
keine Gesandten ins Ausland zu senden, als sich durch derartige
diplomatische Verbreter sum Gegenstände des Spottes und der
Verachtung der Welt zu machen. Krishanitsch sehreibt: »In
*) Ob Tscbemodanuw uud Posaikow im Thf ater geweaen sind? Im
Ilei«5ciournal ist keine Andeutung darüber zu liudea.
11
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162 Sine roMische Gemndtsohaftnreiae nKcb Italien (1666—67).
Venedig pflegten yiele Edellenie, in Hasken, nm nicht erkannt
am werden, soznaoliaaen, wenn die Geeandten bei der Tafel waren;
es wurde dabei herslich über die BoBsen gelaebt; es ist nicht
zu sagen, wie schmachvoll sich die letzter n iabei benahmen.
Dazu waren sie, weil der "Wein in diesen Oegeuden so wohlfeil
ist, fast immer betrunken. Oft erschienen bei den Russen Fraaen-
simmer von schlechtem Enfe, worüber natttrlich allgemein ge-
spottet wurde; man ▼eraohtete die Bossen.... Während des
Aufenthaltes der Bussen in Florens erschienen in den Zeitungen
die schlimmsten Schmähartikel über die Russen, man sprach da
von ihren unförmlichen Händen, von ihrer ITnreinlichkeit, von
dem üblen Geruch, den sie verbreiteten, von ihren schlechten
Manieren bei Tische, von ihrer Unflätigkeit, von ihrer Armut,
▼on ihrer Geneigtheit su Ausschweifungen, von ihrer Betrunken*
heit u. s. w.^)
*) Aus den ungedrackten Partien der Schriften Krishanit^ehs in
der Abhaudlunfr Bessonows über diesen in der Zeitschrift „Pravoslav-
noje Obosrjenic", Ufo^skan 1870. November S. 648 — 650. — Siehe femer
Krif>bnuit8cli9 Mittrilun^cu in dessen von Bessonow horau^fjtL'jjfcbenpn
.Scliriftcn, ßd. L, S. 148 ff.: „Den Ausländern lUlU unser Auf-^fTcs mif.
Wir haben keine feinen Sitten und Hanicren Der König von
Danemark hat gesagt: Kommen noch einmal russische Gesandte zn uns,
so werde ich sie im Schweinestall wohnen lassen, weil da, wo sie ge-
wohnt haben, vor lauter Schmutz niemand wohnen kann. In einem
andern Lande stand von unsem Gesandten in der Zeitung: Wenn die
Gesandton in Hnon Lachen pfingen, um iloit etwas zu kaufen, so kann
vor Gestank eine Stunde hiiif^ niommid in dem Luden bleiben. In einer
Stadt liefsen sie in einem Gasthause zuni Uoldenen Üchfien einen lürcbter-
licben Schmutz zurück u. s. w." Diese Aulaerungeu werden auch ander-
weitig bestätigt Als russische Gesandte in Iiondon geweilt hatten,
stellte sich bei ihrer Abreise heraus, dafo die Wohnung, in welcher sie
gewohnt batten, forchtbar verunreinigt war und dab sie die Möbel total
verdorben hatten. Siebe die Auszüge aus den Akten in SsolowjewS
Geschichte Rufelands Bd. XII. 241. Von sexuellen Exzessen russischer
Diplomaten in Per*!iün, in Wien, in TTaniburpr, in TTidland ti. s. w. finden
sich in Ssolowjews Werk zahlreiche Angüben. I ber die Betrunkenheit
russischer Gesandten in Sioekholm 1608 siehe l*etreju8, Historien und
Bericht von dem Grufslürstentum Mu$chkow, S. 598, und Olearius
(Anigabe von 1668), 8. 195. Der Ant Alesieis, CoUins, (Present state
of mmia 1672, oap. 28), findet die Tracht der Rumen liKoherlich. Vgl.
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Eine ruuisclie Gesandtachaltsreise nach Italien (1656 -57). 163
Bei alledem aber hatte das Erschoinen dt-r russischen Ge-
•aodten in Italien eine gewisse politische Bedeutung. Unmittelbar
nach ihrer AbroM Ton Venedig sollen, wie Krishanitsch erzählt,
in den Zeitungen Gerüchte von einem viel Erfolg yerheilsendeD
Bfindnis mit dem Steate lEoskea verbreitet worden sein: msa
ersfthlte, der Zar werde sogleich eine Armee von 100000 Miuin
gegen die Pforte abseudeu u. s. w.
Mekreisc.
Die Seise der mssisehen Gesandten von Venedig bis naeh
Moskau wShrte von Anfang Kün bis Ende Angnst, also nahesn
ein halbes Jahr. Die Bonte ging snnächst Aber Treviso und
Bassano nach Trient. An der Grense des venetianischen nnd
kaiserlichen Gebiets gab es einigen Aufenthalt und Streit, wfil
die Küssen sich anfangs weigerten, den üblichen Zoll zu erlegen.
Der , Bischof von Trient bereitete den Hassen einen festlichen
Empfang: er schickte ihnen Wagen und Reitpferde entgegen;
es gab einen prächtigen Einsug in die Stadt, wo eine Wohnung
fttr die Breisenden hergerichtet war und sie fürstlieh bewirtet
wurden. In ihrem Reisejournal erzählen die Gesandten, man
habe sie überredeii wollen, eine ganze Woche' in Trient zu ver-
weilen, aber sie hätt< n darauf bestanden weiter zu reisen. Von
Trient bis Bozen wurde die Heise auf der Etsch und Eisach in
Booten fortgesetst, sodann gab es wieder Wagen ; aber weil es an
Geldmitteln fehlte fttr die ganze Beisegesellschafb Fuhrwwke zu
mieten, ging der gröfste Teil des Gefolges der Gesandten zu
Pufse neben den Wagen her, wobei einer der Dolmetscher, Jja/.arus
Ziuiiueruiann, desertierte und nicht wieder auf^'efunden wurde.
In Innsbruck, wo die Keisenden beim Statthalter ebenfalls eine
freundliche Aufnahme fanden, erfuhren sie von einigen, den Zaren
betreffenden Zeitungsnachrichten, Alezei befinde sich an der
polnischen Grenze, habe mit Schweden noch nicht £Vieden ge*
meine Abhandlung: nEin Kleiderreformprojekt vor Peter dem Groben"
weiter unten.
11*
Iö4 i^iut; russische ücsaudUcbaftsrcisc uach Italien (1656-57).
mftcht n. 8. w. Es sollten in Innsbrack sn Ehren der CKesandten
allerlei Bolustitjiiiigeii veranstaltet werden, aber die Uussen er-
klärten, dal's nach dem rusäischen Kaieoder die „stille Woche^
aahebe und dafs sie infolge dessen an keinerlei Lustbarkeiten
teilnehmen könnten, auch ohnedies ihre Beise fortsetsen mfifsten.
Kaum hatten die Gesandten Innsbrack verlassen , so entliefen
abermals drei Personen von der Dientffschaft; ein«* der •Ent-
flohenen wurde wieder eingefangen. Offenbar hatte die sohleclite
Behandlung die Leute zur Flucht getrieben, t^her Partenkirchen
(im Journal „Pantikejew*^) und Landsberg ging es dann weiter
nach Augsburg, wo der Gesandtschaftsgeistliche an einem Schlag-
anfall erkrankte und starb. Er wurde, da es keine griechische
SLirehe gab, ohne Sang und Klang bestattet,
In Augsburg erzählte man den Russen, der römische Kaiser
Augusluij liubtj die .Studt gebaut; iiiiin zeigte ihnen auch ein
Standbild, welches den Kaiser auf einem Greif reitend, mit einer
Keule in der Uand, durstellte, lilbendort bewunderten die Roisen-
den die herrlichen ICanufakturwaren und Metallarbeiten , Waffen
und G-eföfse, welche damals beliebte Handelsartikel waren. Nach
yiertägiger Bast wurde die Beise fortgesetzt; die Bussen kamen
über Donauwörth (im Journal „Doneberg") und Nördiingun
(„(jrroüeneten"), an wclcli letzterem Orte mau ilmea von der
Schlacht (G. September IÜ34) erzäblte, in welcher die Schweden
unter Bernhard von Weimar eine Niederlage erlitten hatten. Im
Beisetagebuche der Bussen ereignete sich ein tfifererstandnis: sie
bemerkten, hier sei der König Ghistav Adolf ge&llen: eine Yet*
wechselung mit Lützen.
Weiter sind iui liciüutagebuche als Stationen genannt u. a.
Dinkelsbühl („Tinilschlil"), Mergentheim („Mergestar^), Miltenberg
(„Meldebort«), Seligenstadt („Selgostat«) und Frankfurt («f'rank-
fokr**), wo der Bat den Beisenden gegenüber die Honneurs machte
') So Iterichten die Gssandten. Erishanitsch wollte wissen, der
Geistliche sei nicht gestorben, sondern ebenfalls entlauien. Er bemerkt
dazu, (IcT Mann sei Hehr ausschweifend gewesen. Man erinnere sich der
Bestraiung des botruukeneu Popen durch Tschemodaoow in Livomo.
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Eine nuaucho OesandtoohaflneiM noch Italien (1666—67). 165
and vier Tage geraatet wurde, weil Fahmseuge zur WeiterreiBO
nach Holland gemietet werden mnfsten.
Weiter reisend, lehnien die Gesandten die Einladung des
KniArsten von ICains ab in dieser Stadt (im Jonmal „Heti*) m
weüen. Wie weit die geographische oder besser orthographische
Konfusion im Beisetagebuche geht, ersieht man daraus, dafs von
Bingen oder dem „Binprer Loch", als von „Penerlechte" und
qSpinerlocht*', von dem Mainzer Kurfürsten, als von dem Fürsten
von „Muntua*' die JEtede ist und bemerkt wird, dafs bei Bingen
der Flnls „Begiig;att** in den Bhein falle — offenbar eine Yer*
weehseinng des Fleckens Bingerbrück mit der Nahe. In derselben
W«se wird weitenrerballhomt: Lahnstein heifst „Ponstep**,
Kaiserswerth „Kesheschwet", Bonn „Tarhou" oder „Tambon"
u. dergl. m.
Bei Amheim an der holländischen (irenze kam es zu einem
nnangenehmen Zwischenfall: die Beisenden worden mit Bteinen
beworfen. Ihre bei der Örtlidien Obr^fkeit vorgebrachte Klsgo
blieb erfolglos. Es kann sein, dafs die Bussen die Ablieben
Zölle sa sahlen sich iireweigert hatten nnd dadurch einen Aufent>
halt und Streit veraüiafaten, wie dieses u. a. auch in Mergentheim
geschehen war.
Ende April trafen die Russen in Amsterdam ein. Hatten
schon anf dem Wege dorthin die yersohiedenen Kanalbanten nnd
Schleusen einen grolsen Eindruck «uf die Beisenden gemacht, so
gab es Ton Amsterdam erst recht -viel im Beisetagebnche su er-
zählen : die Stadt habe keine Ifauem , nur hier und da gebe es
Turme , und am Fufso der letzteren befauden sich Läden mit
allerlei Waren. Die Kanäle in Amsterdam, die Baumreiheu, mit
denen die Ufer dwselben bepflanzt waren , die vielen steinernen
Brocken, der stattliche mit sahUosen Schiffen bedeckte Hafen erregte
das Staunen der Bussen.
Li Amsterdam wiederholte sich, was in Livomo stattgefunden
liatte. Die Kaufleute, welche Handelsverbindungen mit Archangelsk
])flegten, hielten es ihrem Interesse eiitsj)r('cliend, die Keise der
russischen Diplomaten zu fordern, ihnen gegenüber die Honneurs
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166 Ein« nunsohe GdMUidtachafttreise naoh Italien (1666—67).
zu machen. Ein hollandischer Handelsherr, welcher auch in
AoIslaDd geweilt hatte» kam den Beisenden, noch eh6 sie Amster-
dam eiieiGht ,hatten| entgegen und riefatete an sie n. a* die Frage,
ob sie ein Schreiben an die Generalstaaten mitgebracht bitten.
IKe G^eaandten Terneinten die Frage nnd bemerkten» daÜi sie nnr
wie zufällig in den Niederlanden erschienen seien , um von dort
ana zur 8ee nach Archangelsk zu reisen , da der direkte Land-
weg nach Moskau durch den polnisch-rusaiachen Krieg gesperrt sei.
Sodann wandten sieh die Bussen an einige hollindiaohe
Handelsberren, welche bei ihnen som Besncbe erschienen, mit der
Bitte, ihnen Schiffe fttr die Überfahrt nach Arohaogebk in mieten,
weil ihnen aelhat, den Russen, alle Geachäftskenntnia nnd Er>
fahrung in solchen Dingen fehle und sie gewifs dabei Übervorteilt
werden wiirdeu.
Die Kaufleute sorgten dafiir, dafs die Gesandten eine Wohnung
erhielten nnd feetUch bewirtet wurden. Bei Tisdie wurden die
flblibhen Gtesnndheiten ausgebracht , wobei die Bnsaen, wie im
Jonmal sn leaen ist, „anf das Wohl der holländiscben Staaten,
der Generale und dos Fürsten (sie)"* trunken.
Alsbald wurde auch ein Schiff für die (überfahrt nach
Archangelsk gemietet ; der Preis betrug 1 10 Bubel. ^) Es gab
noch ein feierliches Mahl, welches die. Vertreter der Begiemng
den Gesandten sn Ehren yeranstelteten. Sodann wurde ihnen
ein Schreiben der Generalstaaten an den Zaren flbermcht und '
am 4. Mai gingen die Reisenden an Bord. Erst am 20. Mai
stach man in See und am 25. ,Tuni erreichte das Schiff die
Mündung der Dwina. Die J<^ahrt hatte nur 5 Wochen gedauert.
Die Beise Ton Archangelsk nach Moskau nahm lüngere Zeit in
Anspruch. Kacb einer Abwesenhmt tou über fttnfaehn Monaten
waren Tsohemodanow nnd Posnikow wieder daheim und konnten
nun im Auswärtigen Amt von dem Erfolge oder, beeaer gesagt,
Mifserfolgo ihrer Gesandtschaftäreise Bericht erstatten. —
*) Da ein Tsrliütwert. Kojrj^'en damals ' ^ Ruhcl kostete, während
jetzt derselbe mit 7—8 Rubel b<'zahlt zw werden pHr'fjt, so wäre dieser
Preis von 110 Kübel, um die Summe in heutigem (ielde ausxadrücken,
titwa mit 15 zu multiplizieren.
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Eine roituche GetaadtsohAftareiM nAoh Italien (1666—67). 167
Die Haaptbedeutung dieser and ähnlicher rusaischer Gesandt-
schaftsreisen im Zeitalter vor der B^erung Petera des Gbrofsen
ist nicht auf poUtiscbem 0abiete sn sueheo, Wenn man bedenkt,
dafs es für die Bussen in jener Zeit gar keine sonstigen Motive
sn Beisen nach Westeuropa gab, so wird man den Beisen ms-
sischer Diplomaten eine gewisse zivilisatorische Wirkung nicht
aijsprecben können. Während im achtzehnten Jahrhundert die
Bussen der vornehmen Kreise aus eigenem Antriebe und als
Tonristen in grofser Zahl ins Ausland reisten^ die Sprachen der
westenn»p8ischen Länder, insbesondere das Pranadsisohe be-
hemchten, üch dorcfa Sitte nnd Tracht, durch Lebensart und Ver^
stSndnis für hdheren Lebensgenofs kaum ron den Vertretern der
vornehmen Geselläcliaft Frankreichs, Englands, Italiens u. s. w.
unterschieden, war das Erscheinen von Moskowitern in diesen
Lärulprn im siebzehnten Jahrhundort eine seltene Ausnahme.
Der Eindruck, welchen solche Beisenden machten, der Abstand
ihrer Halbknltur von der Bildung der höheren Stände in West-
europa, das Fremdartige, Orientalische in dem Gebahren dieser
Beisenden , welche gcwlssennafsen das Terrain sondieren , auf
welchem etwan bpiiter Tausende von reisenden, lernbegierigen und
lerniahigen Bussen erschienen — alles dieses veranschaulicht die
Bedeutung der ICetamorphose, welche sich an Bnisland vollaog,
illustriert den Sprung, welcher in der Yerwandlnng BnisUmds aus
einem asiatischen in einen europäischen Staat beschlossen war.
Leute, wie Tschemodanow und Posnikow sahen im Aaslande
viel Neues, Nachahmenswertes ; wiederholten sich derartige Reisen
öfter und öfter, so mufste das chinesische Prinzip von der Vor-
aüglichkeit, Unfehlbarkeit moskowitischer Art und Sitte erschüttert
werden. Westeuropa trat mit steigendem Erfolg als Lehmeisterin
Bntiilaads auf. Der Proiels der Annäherung swisohen Orient und
Oceident hatte begonnen. Li diesem Sinne erschienen politisch-
geringfügige Vorgänge, wie die ruöyische öesandtschaftsreise nach
Italien vom Jahre 1657, als bedeutsame historische Ereignisse,
der Beachtung, Erforschung und Darstellung wert^
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Eine russisclie Gresandtschaft iu Fam
im Jahre 1681.
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Ant den in der vorhergehenden Abhandlung herCIhrten Epi-
eodeu der Geschichte des diplomatischen Verkehrs Kufslaiids mit
Italieu im 17« Jahrhundert, insbesondere aus der Art des
Auftretens dar nuNrischen Gesandtschaft in den Jahren 1656 und
16d7y konnie man entnehmen, wie fremd der Staat Moskaa den
▼eeteiiropllaaohen Ifftchten in der Zeit gegenüber etaad, welehe
der Reformepoche Peten des G-rofsen Toransging. Und dies gilt
insbesondere auch von Rufslands Beziehungen zu Frankreich in'
jener Zeit. Während des 17. Jahrhunderts bedeutete die ger-
manische Welt für ßofsland viol mehr, als die romanische. Unter
den Bewohnern der deutsehen Vorstadt bei Moekau , welche in
maaohein Stücken eine Art Hoehsohnle fOr die höheren Kreiie
der rasflischen Gheellechaft nnd anch für den jungen Zaren Peter
geworden ist, fiinden sich sehr wenige Franzosen, w&hrend Hol-
länder, Engländer, Schotten und Deiitsclie dort die hervorragendste
Kolle spielten. Die Niederlande hatten in jener Zeit eine Art
konsularischer Vertretung in der russischen Hauptstadt. Es er-
idiienta bisweilen dort englische GeaandtOi um die Interessen des
englischen Handels au fördern. Frankreich hatte unvefgleiohliGh
viel weniger Veranlassung, diplomatische Beziehung mit dem wmt
entfernten, aufserlialb der westeuropäischen Staatenfamilie stehen-
den moskowitischen Beiche anzuknüpfen. Nicht sowohl fran-
sösische als zuerst polnische, dann holländische, englische und
deutsche Sitten, Hoden und Trachten ianden Eingang in Buft-
laud während dee 17. Jahrhunderts. Erst um die Zeit des sieben-
172 Eine russische Gesandtschaft in Paris im Jahre 1681.
jährigen Krieges wird der politische Verkehr beider Staaten ein
lebliafttier. Erat während der Regierunpfen Elisabeths und Katha-
rinas ist Frankreich für Rufslands Entwickelong auf dem Gebiete
der Litteratiir, der Hoflutte und des vorDehmen Luxus ein eigent-
liehes Vorbild geworden. ^Dagegen gab es im Zeitalter Imd-
wigs XIV. nur sehr wenige BerQhrongspnnkte lUr den Verkehr
zwischen Frankreich und RnfsTand. Die Interessen der beiden
Staaten Jafingen inbezug uui iScii\veden, Polen, die Türkei viel-
fach auseinander; an ein Zusammenwirken auf politischem Ge-
biete war nicht zu denken. So gab es denn keine Annäherong.
Kalt und fremd stand der „AUerchristUcbe König** dem Zaren
gegenfiber. Man beobachtete in Paris ans welter Entfemimg die
Vorgänge in dem halbasiatischen Belebe Xoskowien, etwa wie
mau heutzutage den Ereignissen in zi'ntraluii ikaniaclu n oder zentral-
asiatischen Staaten mit einem vürhältnismäfsig geringen Grade
yon Teilnahme zu folgen pflegt. Kehr ethnographische, oder
allgemein theoretisehe Interessen veranlagten den König Hein-
rich TV», des En&hlnngen den vielgereisten tfargeret an lansohen,
welcher mehrere Jahre in rassuchen Kriegsdiensten gestanden
hatte und mancherlei von dem moskowitischen Keiche, von Boris
Godunow und Demetrius zu erzählen wuTste. Dagegen wollte
der König bei seinem grofsartigen Entwürfe einer christlichen
Staatenrepublik nichts davon wissen, dab der Zar auch in die-
selbe eintrete: das Land sei aa weit entfernt, das Volk barba-
risch ; ohnehin gebe es eine attangrolse Buntheit und Hannigfaltig-
keit konfessioneller Gegensätze in Europa.
Aber allmählich mufste auch > rankreicli wie die andern Staaten
dem emporstrebenden moskowitischen Staate eine gewisse Beachtung
schenken. Wiederholt tauchte auch in Frankreich, wie anderswo,
der Gedanke auf, über RoTsland hinweg mit dem noch entfernteren
Osten, mit China, Persien und Indien Beaiehnngen anznknttpfen.
8chon in der Zeit des Zaren Kichail erschien in Ifoskaa ein
französischer Gesandter, dea Hayes Courmenin, welcher den Ab-
schlufs eines Handelsvertrages anbot, ohne dafn dieses Ziel er-
reicht worden wäre. Sodann erschienen in der Zeit der Hegierong
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Eine russiache Gesandtschaft in Paris im Jahre iötil. 173
des Zaren Alexei und Fjodor russische (Tesjuidtschaften in Paris
(1654, 1668 und 1681); in der ersten Zeit der Kcgieniug Peters
werden die diplomatischen Beziehungen lebhafter, insofern wieder*
holt roBsische Oeaandta in Frankreich, fransösische in Moskau
auftreten, ohne indessen eine eigentliche AnnSherang beider Staaten
bewirken m können.
Von dem Aufenthalte des aufsorordentlichen Gesandten Po-
tüuikin in Frankreich im Jalire 1681 hatte man Insher nur selir
wenig Kenntnis. Von um so gröffierem luteresse ist ein Akten»
stück „B^ception des ambassadeors moseoTitee venns en France
en 1681'', welches Tor einigen Jahren im 34. Bande des „Ifagasin
der Kaiserlichen SKstorischen GeseUschalt zu St. Petersbuig"
(S. 1 — 10) ersdiien. "En ist hier ^eler Einselnheiten inbetreff
des bei dieser Gelegenheit beobachteten Zercaioniells erwähnt,
wobei die russisciien Gesandten, Potemkin und Wolkow, eine ge-
wisse Kleinlichkeit an den Tair legten. 8o z. B. weigerten sie
sich, an dem Ghrenssollamt ihre Effekten visitieren au lassen, in-
dem sie vorgaben, dafs der König sonst erfahren werde, welche
Geschenke ihm die Koskowiter mitgebracht hätten. Bei der Andieni,
welche den Gesandten von dem Könige bewilligt wurde, vermocht«
man sie nicht ohnv. Schwierigkeit dazu zu bewegen, die Mützen ab-
zunehmen. Dem Verlangen Potemkius, dafs Ludwig XIV. sich
bei der Nennung des Namens des Zaren Feodor vom Throne
erheben sollte, begegnete man mit der Antwort, es genttge, wenn
der König bei dieser Gelegenheit den Hut abnehme. Der Forde-
rung der Bussen, dafs för die Verhandlung französischerseits drei
Kommissäre ernannt würden , setzte man die küiiie iiemerkung
entgegen, ein Kommibi?ar werde ausreichen. Alinliche Differenzen,
bei denen indessen die russischen Diplomaten jedesmal nachgeben
muisten, wiederholten sich auch in andem F&Uen.
Aua einem andem Aktenstücke in derselben Edition, emer
Ihslmktion des Ministers des Auswärtigen, Colbert Croissy, an
einen fransösischen diplomatischen Agenten inl[08kau(S. 399 — 401)
ersehen wir. dafs Fr in 1. reich auf die diplomatischen Beziehungen
mit KuXsland kern Gewicht legte. Von einem mit diesem JEleiche
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174
Eine nutiaohe Ctesaadtaeliftit in Paris im Jahre 1081.
abiaaebliefaeiideD Handelarertrag« bemerkt der IGiiiaier: i^LeB
Immenra et maximea dea fraa^is aont tant diffftrenta de cette n»-
tion, qu'il u'y a point d'apparence que ces deux nations si con-
tiHires s'accordent longtenipa et que par consdquent le dit trait6
de commerce s'aneantira de soi meme** (^^l)*
Potemkin machte in Paria, dem Zentrum der poUtiaeben
Hegemonie in Europa» dw tonangebenden Ibuptatadt des damals
mftcbtigaten Staates der Welt, eine seltsame -Figur. Sein Auf*
treten ist nngescbiokt ; es entsprieht den Formen orientaltseber
Diplomaten. Er ibt ebenso anspruchsvoll inbpzug auf die äurseren
Formen des diplomatischen Verkehrs als ungewaudt ia der Be-
herrschung der Technik eigentlicher Hoffahigkeit.
Wir sind in der Lage, das Ton der historischem Q«sellscbaft
im XXXIV. Bande des „Sbomik" mitgeteilte Boknment Uber
das Verweilen Potemkins in Frankreich im Jahre 1681 durch
anderes von uns entdecktes Material Aber diese Episode ergänaen
zu können.
Im K. 8. »StaatsarchiT zu Dresden befindet sich ein Aktenstück
„Belation von der Ambassade, so der Moskowische Zar Herr
Theodoras Aiexejewitsch im Monaten Mai, Juni, Jnlio nod Angnsto
dieses 1681 Jahres, an Oron Frankreich, Spanien und Engeland
abgeben lassen, mit erstens gesetaten Zarlieben Schreiben, Conferens-
pnnkten und Königlich Französischer Antwort^.
Dieses Aktenstück und die daran gek[iü]tften weiteren Mit-
teilungen über den Aufenthalt der russischen Gesandtschaft in
Paris Terdanken ihre Entstehung dem Umstände, dais sich zu
jener Zeit in Fiaris ein Sachse, Doktor der Mediain IianreotiuB
Binhuber, ^) befimd, welcber dem Kurfürsten von Sadisen un-
mittelbar nach den in Paris stattgehabten Verhandlungen Uber
dieselben auüfuLrlich berichtete.
Zunächst teilt Einhuber den Wortlaut des in lateinischer
Sprache verfafsten; an Ludwig XIY. gerichteten Schreibens mit,
welobes die rusaischen Diplomaten im Auftrage ibres Monarohen
S. d. Abhandlung über Hinhuber weiter unten.
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Biae roidioB« Q«Madttaiiaft in Pftria im Jahn 168L
175
fb«rraehton. Der Inhalt dieaea AktonatOafca iat im weaentliehan
folgender :
Der Zar Feodor weist auf die freundlichen Beziehuiigeii hin,
welche früher zwischen jtLuÜBlaod imd i^Vaokreich bestanden hätten ;
inabeaondare h&tte es solche in der Zeit der Herrschaft des Zaren
Alezei gegeben. Indem Feodor aodann seiner Thronbesteigung
erwihnt — etwas spSt: dieselbe hatte bereits vier Jahre anvor
Stattgellinden — teilt er dem KSnige yon Frankreieb swnen
Entschluls mit, inbetreff der mit andern Staaten zu ptlegenden
freundschaftlichen Beziehuogeu dem Beispiele seines Vaters folgen
za wollen. Daher habe er den Statthalter von üglitsch, Peter
Potemkin, nnd den n^^^^^i^^^'* (Dumnyi Djak) Stephan
Wolkow^} als Gesandten nach , Frankreioh reisen lassen. Von
ihren Instrohtioaen wflrden dieselben wihrend der Verhaadlnngen
Mitteilung aiticiieu. DuLiert usL das Schreiben vom iÜ. Oktober
7189 d. h. 1680.
Der Titel des Zaren ist im Eingange sehr ausführlich an-
geführt { auch wird im sonstigen Inhalt des Schreibens des Zaren
in den nmst&ndlidisten Formen erw&hnt, während der König
Iindwig XIY. nnr mit knraen Titnlatnren bedaoht wird. Dieser
Umstand ist für den Gang der Verhandlungen nicht ohne Wichtig-
keit geblieben.
Sodann folgt unter der ITberschrilt „die Ursach der Mosko-
wischen Legation an Krön Fraokreich, Spanien und Engeland
ist begriffen in folgenden Conferenapnnkten, so in der Oonferenae
swar disknrsiTO proponiret, hernach aber schrifUich ftbergeben
worden wie folgt** das mssisehersrits in lateinischer Sprache yer*
fjBJste Protokoll der Verhandlungen, welche Fotemkin und der
„cancellarius** (d. h. Djak) Wolkow mit dem französischen Jklmister
Colbert-Croisqr pflogen. Der Inhalt ist im wesentlichen folgender.
Die Hussen gedach t en sonlohst der russischen Oesandtschaft,
welche 1668 in Frankreich geweeen war. Auch damals hntte
Peter Fotemkin an der Spitae der diplomatischen Mission ge-
Iii Kinhubers Abschnfteu der Akten and eigenen Aasfiihrangen
steht durchweg irrtümlich j^l'oikow*'.
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176 Eine nuaitohe QosandtscMt in Piiris im Jabre 1681.
itanden. Damals war mit dem tf arsohall Villeroi und dem Finana*
miniater (Thesauriiui) Colbect über einen Handeleyertrag Torliandelt
worden. Bussen und Franzosen sollten in beiden Ländern G«gen-
seitigkeitsrochte f^cniofsen. Zum Abschlufs eines Hau 1* Isverti'ages
kam es damals uiciit. Jetzt forderte Colbert Croiflsy die russischeu
Diplomaten auf, eich über die Bedingungen eines alNraioliliefsenden
Vertrages an Jinfsem. Die Bussen än&erten den Wunseh, dafs
iransösisehe Kaufleute nach Arebangel» „dem einsigen Hafen
Rufslandfl*, kommen und dort zur Sommerseit, im Juni, Juli
und August l)eliebige Waren gegen „Goldmünzen und Thaler**
einkaufen möcliten. Dabei wird das Vollgewicht der Münzen und
das Verbältnis eines ungarischen oder holländischen Dukaten zum
Bubel genau angegeben.') Ähnliches wird inbetreff der Thaler
gesagt: vieraehn derselben sollen ein Pfund wiegen; ein Thaler
ist gleich einem halben Bubel. Hieranf folgen genaue Bestim*
mungen über die von den Pranzoscn Ijei dem Import französischer
Produkte zu zahlenden Zölle. Ein Fafs Wein — Alicaut© und
andere hohe Sorten — zahlt 60 Thaler, spanischer Wein 40 Thaler ;
Weüswein 20 Thalerj ein Anker Franzbranntwein 6 Thaler; ein
Pud weifseren Zuckers zahlt 1 Dukaten, ,|roten krystallisirten^
9 Eons; ein Pud Konfitüren 3 Ecus oder 9 Franken. Kirchen-
weiu ist zollfrei. Andere Waren werden nach dem Werte be-
steuert, je nach Umstiiiuien mit 6 oder 4 Prozent. Franzobische
und englische SchiÜ'e sollen insbesondere alle Vorräte an barem
Gielde und an Waren genau deklariren bei Strafe der Konfiskation,
„wie auch anderswo zu geschehen pflege". Verboten ist der
Import von Kombranntwein und Tabak. An Scfaiffiigebtthren
werden von jedem Fahrzeuge 10 Ecus entrichtet. Den Franzosen,
welche nach B.ufsland kouinien. wird eine gute Behandlung zu-
gesichert. — Dies Aktenstück ist „Versailles, am 10. Mai l<i8P*
datirti Yon Peter Potemkin und Stephan Wolkow unterschrieben
und mit deren Siegel versehen.
') Aureus nummus sen ducatus liollandicus seu hunjraricus ponderit
druchmae uuius seu uu <^ro.s, aequabit pretio Kubeilum iiosooviticumt
qui coQtinet centum kopieki.
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Eine russische üesaudtschaft in Paris im Jahre ItiSI. 177
In dieser Proposition der Russen verdient der I luhtHiid Be-
achtung, d&^B von einer Voraussetzung, als köunt<'ii auch die
Russen nach Fmiik reich kommen, keine Rede ist, während in dem
ffinweis auf die VerbADdlnngen von 1668 ausdrücklich von Gegen-
seitigkeit gesprochen wird.*) Die Rossen schienen sich dnrohaiii
mit dem Passtvbandel begnügen sn wollen.
Während der Verhandlungen spielte Rinhuber die Rolle eines
Vermittlers und Dolmetschers. Er beherrschte das Russische.
So teilt er denn über die „Respoosoria Regis*^ folgende sehr
inttfessante Einselnheiteii mit.
uDes König]. Antworthrieft Oopia hatte ich an mir genommeOi
ist mir aber entsogen worden, entweder in der Seoretaria Colberte
oder in der Gesandten kammer, doch aber weilen ich selbe aus
dem Französischen in Tjat«;iii und Aloskinvitisch vor die Gesandten
übersetzet, habe ich alle und jede couteuta in trisciiem Gedichtnifs.
Dw auswendige Uberschriftstitul war: au trte-hanty trds-exoellent
et trto-puissant Seignenr Tsar et grsnd Duo Theodore, fils
d'Alexis, autocrateur de tonte la grande, petite et blanche Rnssie
und 80 fort, gan« vollkommen wie selben die Envoy^ begehret.
Inwendig aber war eben dieser grufse Titul anstatt der Exordii
gesetzt und dabei nostre tres eher fr^re salut und loco vostre
Maiestö Taaröe nur nostre Haieste ; vom königlichen französischen
Titul war gar nichts zu finden als nous. Der moskowitische
Gesandte nrgierte, es möchte doch allerwegen gesetset sein Tons
grand Beigneur Tzar, votre IfaiestA Tzarfte. Colbert antwortete,
eM wäre nicht Aiauier; aueh die Eigenschaft der französischen
Sprache liefse nichts andres zu, als Votre Majest^. Der Gusaudte
aber brachte mit vielen Instanzen doch zuwege, dafs der schon
¥erBi^;elte Brief wieder nmbgeschrieben und aufii neue ausgefertiget
wurde. Der Gesandte replizierte weiter : Er (der Brief) wftre kleiner
und nicht so grofs als der yorige. Colbert sagte : Es ist eben so ein
grofs 8tück Pergament als das erste, nur dafs es der Secretaire
') ütrinsque nationis, tam magni Domini Tsarese Suae Hajestatis,
quam Hagni Domini Regise Suae Migcstatis aubditi, mercatores proficis-
oerentnr et in utroque regno merdmoninm invioem ezeroerent u. s. w.
BrOokser, BaJUand. 19
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17 Ö Eine russische Geaandtscbaft in Faria im Jahre 1681.
in kleinere Form msammeiigelegrt ; der Gerandte: dock wird es
mir den Kopf kosten, weil nicht allentliMlben gesetzt: Votre
llajest^ Tzaröe. In Summa : der Öesaudte war raaicontent ; wir
antworteten : Ihr Moskowiter seid wunderliche Leute ; der König
aetiet in Minem Briefe den gansen Zarliehen Titnl sweimal, und
▼on fleinem eigenen Titnl eeUt er' gar nicbta als nona; er aagt
ja nicht Boy, anch nicht no^ lEajestft. Ihr derohalben könnt
erkennen, wie viel Ihr Fehler begeliet in Euicu Schreiben an
alle Potentaten, da Ihr den Zai*. Titul und Nos magnus Dominus
Taar, Tzarea nostra Majcstas, soviel mal wiederholet. Ja, wider-
•eiste er: dafa iat ein'anderes, denn nnser Zar mit keinem m
Teigleiohen.*
80 nahmen denn heide Parteien ein Beoht in Ansprach
malbgebeud zu urteilen. Die französische Regierung hielt sich
für berufen, die Neulinge auf dem Gebiete wosteuropäisch-vöiker-
rechtlicher formen in der Handhabung diplomatischer Etikette
m nnterweisen, während Potemkin in eobt orientalischer Selbst-
flberkebong aUe Aignmentation der Franaosen mit dem Bemerken
snrfickwies, dab kein Füret an BangsteUnng sich mit dem Zaren
von Moskau vergleichen könne. Die Anraafsung der Küssen be-
ruhte auf abstrakten Theorien uml erinnerte an die Art, wie
etwa im 13. Jahrhundert der Tutareuchan an den König Ludwig IX.
▼on Frankreich geschrieben hatte. Frankreichs Überlegenheit
war eine thatsächliche ; sie beruhte auf der Hegemonie Ludwigs XIV.
in Bnropa. Je aweifelloser die fiiktische Macht Frankrdchs da-
stand, desto eher konnte man anf die kleinliche Ansföhrliehkeit
der Titel verzichten; diu IN ilanterie der russischen Diplomaten
gemahnt au die Titekucht von Emporkömmliugenf die in der
besten Gesellschaft nicht zur eigentlichen Anerkennung gelangen.
Im übrigen hatte Potemkin Cbnnd nm seiner eigenen Sicherheit
willen anf dner genauen Beobachtung der nach russischen Be-
griffen nnerl&blidien Formen des diplontatisehra Terkehrs sn be*
stehen, da jeder V^erstof.s gegen die herkomtulii liu iSiLle lu diesem
i^unkte als schweres Verbrechen gegen die Autorität des Zaren
gelten und demgemäfs bestraft werden konnte. £s fehlte nicht
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Eine russisohe Gesandtschaft in Paris im Jahre 1681. 179
an Beispielen der grausamsten Mifshandlung russischer Diploiuaten,
wenn denselben nach der Kückkehr in die Heimat irgend ein
Ventori gegttn die orientolisohe Etikett« naohgewiesea werden
konnte. Am nnerbittliehBten wurde eine Schmllenuig des 2aren*
titele geahndet.
Beachtenswert ist der Umstand, dafs Binhuber in diesem
Streite über die Formaiien der diplomatischen Korrespondenz
auf Iranzüsiäcbcr Seite stand und die Kleinlichkeit und geechäft-
Uche Unerfahrenheit der Bassen tadelte.
Bie f ranaosen konnten um so ehw eine vomekme imd ftber-
legene Haltung beobaoHten, als ihnen nicht besonders viel an den
Besiehnngen sn dem Staate ICoskaa gelegen an sein schien. Rin-
buber teilt die ^ Formalien des Königlichen Antwoi Lbriefs" mit,
und wir ersehen aus diesem in lateinischer Sprache verfafsten
Aktenstücki dA& man in Versailles« statt in die Einzelheiten einer
gesohAftliohen IMsknssion einantreten, die Bussen im Chronde mit
allgemeinen Redensarten abspeiste. Man spraoh Ton Frenndsdiaft
nnd Wohlwollen; man gab der Hoffnung Ansdrack, daTs die
Handelsbeziehungen beiden Reichen Nutzen bringen würden ; man
erwähnte wohl auch der Forderung, dafs die Franzosen in BuTs-
land das Beoht freier Religionsübung gentefsen sollten. Was
aber, hiefs es lam Sohlasse, die übrigen Vorschläge der rassischen
Gesandten betreffoi so müsse man erst die thats£ohliche Anknüpfang
kommersieller Besiehangen abwarten, die Wünsche der firansS*
öischen Ivaufletite, welche etwa nach Archangel kommen durUeu,
verneiimen und dauu Beschluis fab.sen. Das von König Ludwig
ond weiter unten von Colbert unterzeichnete Aktenstück trägt
das Batom des 13. Kai 1681.
In einem ansfÜhrlieheiL an den Horfttrsten von Sachsen
gerichteten Schreiben ersShlt Rinhaber, gewissermafsen als offi-
zieller ßeporL( r , wie d< im überhaupt die ganze diplomatische
Mission der russischen Gesandten verlaufen sei. Wir teilen
dieses Aktenstück „De Moscoviticorum Ablegatorum in Franciam
adrenta et recessa, mensibos ISm^ et Jonio anno 1681 celebratis"
▼oUstindig mit. Binhaber sohreibt:
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180
Eine rUMiscbe G^aadtschaft in Paris im Jahre 1681.
„Demnadi von der Correspondenoe, m> Frankreioli mit Hoakan
anitzo vielleicht stabiliren möchte, untorscluedliche Moiiumguu
vorgefallen . und aber sothane Conjuiiktur Krön Schweden und
den Aliiirten nachteilig zu sein gemutmafst wird; als habe ich
folgende aus eigener ezp6rience erlangte Acta ¥er£ueen wollen.
Ubwdiee kann anck einer, ao der Moekowiter hnmeor bekannt,
mit vielen Argumenten belegen, dafa ILron Schweden von Hoekau
bei Bothanem Stand der Sachen nicbta Sonderliches su fUrchten
habe, obgleich dnr König von l l itukreicli Sr. Zar. ]^Lajöstät Dieses
odor Jenes Husiuneu möchte. Es bestehet aber die Ursache der
Koakowiaoheu Gesandtschaft in einigen Curialien mnd Compii-
menten, ao der Grofazar Theodor Alexejewitaeh bei aeiner ange-
tretenen Begierong denen Kronen Spanient Frankreich und Enge*
land andeutet, und dabei gedachte Könige invitiret die Tormalig
gepflogeneu Commercien mit Moskau zu continuieren. Die
Moskowischen Abpfscliickten waren l'eter Iwanowitsch Potemkin
und der Kanzler Stepan Wolkow. Herr Peter Potemkin, so
auch anno 1668 nach Spanien, Frankreich und £ngeland, und
anno 1675 am Kaiaerl. Hofe Envoyd war, wufate wol, dafa dieae
Herren Potentaten ihm schon vor diesem grofse Terehmngen
gethan, hat derowegen vermittelst seines Herrn Vettern diese
ChurjTi? envoye zu sein aufs neue von Seiner Zar. Majestät
erhalten. Dieser Vetter ist Knjas Wassilij Feodorowitach Odo*
jewak^t ein awar junger Herr, aber wegen seiner guten conduite
beim Zar yor Anderen sehr wohl angesehen. Potemkin aber,
obwohl er vor diesem auch ein Mann von guter conduite, ist er
doch nunmehr bei hohem Alter fast kindisch worden. (Ich) habe
sein© Fehler vermäntelt. so gut ich immer gekonnt, di« kouigl.
französischen CommisBÜre aber haben ihn auf der Keise von
Calais bis Paris und Bordeaux gar hart und possierlich traotirt,
wie denn die Fransosen andere su yexieren pflegen, so ihre
Manieren und Sprache nicht verstehen. Der König hat ein groft
Geld auf diese Gesandten spendieret, nllrelich 100 Pistol zur
tairlichen Depcns. Du; Moskowiter zwar waren wohl zufrieden
gewesen mit lUO Thalern, aber die Commiäsäre des Königs ihnen
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Eine russische Oesaudtschaft in Paris im Jahre 1661. 181
kein Geld ge^'eLen, sondorn die armen iloskowiter tractiret nach
Plaiair. Sollte dieses der König wissen , er würde etc. Die
Gceaadten sogen den letsten April von Sunt-Denis nach Paris
bu in ihr depntirt logb aux ambaasadenn eztraordinaires» mit
Trompeten nnd PankenscUag. Der Kdnig traotirte sie oomme
des ftmlmsBadenm extraordinaires, obwohl ihr Charakter nnr les
envoyes. Es war ein renuü (juahler Einzug, welchen auch aller
fremden Potentaten ministri betrachteten. In der ersten König-
lichen Karossen war Peter PotemkiDp Marschall d'Kstree^. Mr.
dn Bonnevil, introdnctenr des ambassadeurs , Kr. Torf, gentil-
bomme ordinaire du Hoy nnd ich als K&niglicber Interprete. In
der andern, der Königin Karosse safs Stepan Wolkow, der
Kanzler, Mr. r4ir,iult, et trois gentilhommes. In der dritten
fuhr Peter Poteiukin sein Sohn, und andere Edelleute. Vor und
nach denen Karossen waren die Panker und Trompeter und
andere Hoskowiter, an die 50 Personen, zn Pferde. Zu Paris
wurden sie traetiret drei Tage mit der grofsen Kdnigliohen
Tafel, hielten auch allezeit bemach offene Tafel, allwo £sst alle
vornehme Statidcspursonm zu erscheinen pflegten, ja aneh des
Königs Kinder und les Princes du sanjcf und andere Fürsten und
Herren, (ich) hatte also täglich denen Franzosen genug zu
erzfthlen yon Moskowischen Sachen. Ben 4. Mai war die Andiena
bestimmt. Herr Peter Potemkin hielt anf seinen Respeot. Karechal
d*Bstr6es kam an im Hdtel des ambassadenrs, stieg aus der Karossen.
Peter Potemkin begehrete, der Uarschall möchte die Stiegen anf-
kommen. Der ^Marschall sagte, lasset den Gesandten lu runter;
er weifs ja, dafs ich im Namen des Königs komme, mit ordre
die Gesandten bei Sr. Maj. au fuhren. Der Moskowit weigerte
sich lange ans seinem Gemach bis an die Treppen an gehen;
ich sagte: Ihr müsset wohl gar hinunter, führete ihn also; er
blieb aber auf jeder Stnfe bestehen , also brachten wir eine
Viertelstunde zu ; l^larschall wartete unten zwar mit französischer
impatience , sähe den auf der Stiegen , dieser Jenen an ; auf
der letzten Stufen stehend bat er, der Marschall möchte ins
Maus eintraten. Harschall bat, er möchte doch bis an die
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182 Eine nusiMdie Genndtsehnft In Pkurii im Jihre lesi.
Thür kommen» welches er tibat^ aber mit Zwang und bot dem
Herecholl die Hand, lelbe ans der Thür reichend. Dieaee
war eine Terdriefiiliche C^remonie, denn der Harschal] gab ihm
die Hand und zog ihn ein wenig fort , also dafs der Mosko-
wit einen Tritt heraus unter den freien Himmel thun mufste,
und dann gingen aie hinauf, der Marschall aber ▼oran.*) Der
Haraehall bat, er möchte eich bald fertig machen nach Ver-
sailles bei dem König an fahren. Peter Poterokin legte
andere Kleider an, Hefs den Pfaffen rufen (denn so nennen •
sie ihn) und fing au zu singen und zu beten, nacli der Mosko-
witer Brauch ; der Marschall mufste also eine feine Weile warten ;
endlich fuhren wir in drei obenerwähnten Karossen fort. Als
der Gtesaodte des Könige Hans von fem an eraahe, fing er sich
an zu kreuzen und an aegnen. Bie Franaosen sagten: aiehe er
betet das Oh&tean an. Zu VeraailleB fanden wir les oompagniee
des rt'^giraeuts de gardes fran^aises et suissos rajjgees en haye et
BOUS les armes. Petrus segnete sicli noch Jiielir, alb er das chät^u
und diesen Apparat ersah, vorgebend, dafs dergleichen wohl in
der Welt nicht wäre. IIa furent oonduita & Tappartement oü on
re^oit ordinairement lea ambasaadeurs, et auiyant la contume de
leura pays, ila faiaaient porter devant enz lea lettrea de creance
par le seordtaire, et les pr^sents des zibelins par des cent suisses.
On les raena de cet appartement ä travers des gardes du grand
prevot et des cent suisses, jusqu'i la porte de la salle des gardes
da Corps, oü ila furent re^na par le mar^chal duc de Duraa;
quand ila entrörent dans la chambre du Boy, qui ötait aar aon
trdne accompagn4 de tf onseigneor le dauphin, de IConiieur et
In dem offiziellen frauxösischen Bericht, welcher im 34. Band des
Magazins der Historiscben Gesellschaft S. L ff. abgedruckt ist, steht
kein Wort von dieser nverdriefslichen Geremonie". Da heifst es nur:
nLes ambaBsadea» le regurent au bas da degr§, lui donnirent la mein,
le condnisirent dans leur appartement, lai donndrent un fauteuü'* u. s. w.
6. ebenso S. 6.
*) In dem offiziellen französischen, dem Pariser Archiv entlehnten
Bericht ist eines Zwischenfalle'^ ntif deiri Woq^c zum Audienzsanl erwähnt:
,.les ambtt68ad<nirH , qui jusqu alors n tivaicut point mari hr decouverta,
entraut dans ia chambre du lit, le dit sieur Stolph les obligea dos se
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£ine russische Gesandtschaft in Paris im Jaiire 1681.
183
de tons les Seigneors de la conr, ils firent une petite revSrence,
et lors(ju' ils npproch^rent. Sa MajAstÄ se leva, osta son chüpeau
et un momeut aprds se remit k sa place et se couvrit. Le sieur
Pierre Fotemkme, qvi portait la parolei eommenfia Bon disconrs
et se fenna.^) Ich sagte anf Uoskowitiseli: wenn da redeo wil
(denn in dieser Sprache nennt einer den andern Da), so rede
fort, oder ich werde reden müssen. Peter Potemkin sagte:
Du siclicst. ich nenne den Zarlichen Namon und der König
bewegt sicii niciit. t)iat auch nicht den Mut ab. Ich antwortete:
der König hat ja schon seinen and awar extraordinaire revSrenoe
gemacht im Anfangi and Er Yerstehts nicht» wenn Ihr den Z/u*
liehen Namen in Barer Sprache nennet. Üidem fragte mich der
K9nig: ee qne c'est qne le Ifoscovite parle? Ich erkl&rte es
mit weiiigon Worten; der KTmig: aprös.*) Also n-dete I^eter
weiter. J)er Kihiig wartete also, sähe einen nach dem andern
an. Ich interpretirte endlich in folgenden terminis : SirCi l'Envoyö
dit: Par la grftce de Dien le grand Seignenr Tzar et grand dae
Theodor (folgt der Titel) sonhaite an trds chr6tien et inTincible
prinee Lonis Boi de France et de Navarre, son trds eher et
honore frdre, salut et toiites les sortes des prosp^rit^s ; et Vous
fait savoir qu'il est en parlaite Hant»'«, Lui et toute sa fnmillo,
et souhaite nne pareille sant6 ä Votre Majeste et toute sa famille
royale. Hieraof wiedersetste der König: Eh bien? Peter redete
noch nnd Ich anf fransösisch: Sire, l'envoy6 r^ond, qaand je
snis Borti de la grande et imperiale Tille de Voscon le grand
Seigueur Tzar mon maistre, estait en parfaite saut«, ') et m' a
d^couvrir ä quoi ils firent d*abord qnelque difficult^, mais enfin 6terent
leurs bonnets" n. s. w.
') D. h. er verstummte plötzlich.
°) Die ErwähnunßT iVu'so^ Zwischenfalles fehlt so gut wie gänslich
in dem französischen lieiichto.
") Somit fnii:t(' Lu<i\viLr XIV. nicht nanh der Gesmullioit des Zaren
und Poteuikiu machte, al^ sei durnacli gefragt wordun. Im offiziellen
Bericht: „rambassadeur thnoigna soohsiter que le roi le levät pour
demander des nouvellca du csar; le roi lui r6pondait que, quoiqu'U vint
d*en apprendre, n^anmoins s^int^reasant comme ü faisait ä sa santö, il
^oouterait volontiers les nouvelles assuranoes qu'il lui en donneiait" u.«. w.
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184 Eine ruMisobe Oesandtschaft io Paria im Julire 1681.
comnuuidö de rendre k Yotre Usjoiii eea lettre« de sa part; je
aupplie anaai Yotre Majest^ de Tonloir bien recevoir ces lettrea
de sa propre uuiin. J)er König erhui) tsich liierauf mit Hutab-
zieheo, empfing den Zarliciien Brief mit seiner Hand und über-
reichte selben an Colhcrt de Croiasy (Ich überaetste ihn bemaob
in Colberta Hanae bald in Latein). Peter Potemkin redete femer;
ioli interpretierte: Sire, nooa aommea eliargte de la part du grand
Taar notre maitre, de faire agrter qnelqne« petita pr^enta de
Moscovie ä Votit; ilajeste, et uous lu prions de lea recevoir uon
point comme den presents, niais comme des fruict» que la Kusäie
a fait naitre pour le Service de Votre Majestö. Hierauf wurden
die Zobelina durcb 100 Seliweitser auf den J£önigl. Tiux>n gelegt»
und der König Uefa die Oeaandten benebat 13 Peraonen anm
Handkula. Peter Potemkin bat» die übrigen möehten anch anm
Handknfs zugelassen werden, der König aber weigerte sich (XTr-
aach dessen , weil der Jvöuii;!. Thron nicht von Jedem zu be-
treten). Puter Potemkin aber uabm es vor eine Ungnade an
4
und aagte hemacb su mir: Der König thut es darum, dafa
er nickt allen meinen Leuten etwaa verekren wilL Die andern
ICoakowiter aagten: Dieae, ao die Hand gekttiatf bekommen
acbenke, die andern aber nicbta. Eofin, war die letate Bede,
yirc Jious rcndons toutes les graces iiuaginablee A Votre Majeste
de ce qu'elle a daigiie nous ecouter etc. Die Königin und
Madame Dauphine und andere atundeo auf dem Thron zur Linken
dea Königs ala inoognito. Jjea envoyöa furent enauite traitöa
magnifiqnement par lea offioiera du Boy. Die Oeaandten wollten
dea Königs Qeaundheit nickt trinken , aagten, die Königlichen
sollten erst die Zarliche Geaundheit anfangen, alao ward keine
von beiden. Nachmittags sollten sie zur Conference bei ( "olbcrt.
Peter Potemkin sagte: nein, ich habe ordre bei keinen zu gehen
als bei den König. Zur conf6rence will ich niorgou oder über-
morgen, aber in dea Königs BAuae und niol^t in Colberta kommcm ;
wir antworteten : Colbert wohnet allhier im GhÄteau oder Königs*
hanae ; hierauf achickte er einige mit mir au beaehm, wo Colbert
wohuetti. Nun sind Colberta appartements im rechten Flügel, so
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Eine russische G^Madttohaft in Paris im Jahre 1681. 185
vons Königs Wohnung abgeschnitten durch eine Barriere ; diese
kamen wieder zurück vorgebende, es wäre ein ander Haus, »b-
gMondert: um dahin zu kommen, müsse man wohl 20 Schritte
nnterai freien Himmel gehen. Potemkia antwortete : So will ich
nieht hingeben. Colbert wartete also Aber eine gnte Stande.
Bndlieh ging iob sn ihm und referierte, dafs die Koekowiter den
Tag der Audienz mit Niemand anders reden als mit dem Könige.
Morgen wollten sie gern bei Mr. Colbert kommen und conferiren
auf Xönigl. Befehl. Iis furent ensuite rameoes 4 Thötel des am-
bastadeors ä Paria. Potemldn und Wolkow waren gar maloontent,
Torwendendf eie waren übel traktirt worden. Den Tag hernach
kam Bonneril mit ordre, aie tollten bei Colbert lur Conference.
Potemlrin antwortetet Ich will conferiren dans le conseil du Roi.
Bonnevil : das kann nicht sein. Potenikin: ich hegehre vor der
Conference des Königs klare Augen zu sehen , ^) dai'auf will ich
mit Colbert conferiren, Bonnevil: Der König wird nicht da
nein. Bonnevil kam hernach wieder und lagte ; reeolriret £ach
morgen bei Colbert an conferiren. Die Gesandten antworteten:
Kein, wir wollen nicht, wofern wir yot der oooförenoe den König
nicht seilen sollen. Bonnevil: Ihr werdet ihn nicht sehen , und
wo Ihr nicht zur Conference wollet, so wird man Euch den Königl.
Antwortsbrief morgen ins Haus senden und alsobald depeschiren.
Sie sagten endlich: So wollen wir denn kommen. Den 8. Hai
Bonnevil les ramena 4 Versailles dans les earosses de leors Ha-
jest^s. Potemldn war gans traurig, fragte rielmal, warum der
König zornig auf ihn wäre ? A\ ir unf uoi teten : er ist nicht zornig.
Potenikin : Warum soll ich ihn denn heute nicht sehen ? Wir
kamen ins Sohlofs and appaftementi warteten über eine Stunde.
Potemkin betete gar viel und segnete sich. Endlich liefe der
■
K5nig sie hinaufrnfen. Potemkin fing da an vor Fronden an
weinen, sagende : der König weifs gar wohl, dafs wir niohte mehr
begehren als Seine klaren Augrn zu .sehen. Liefen also gesciiwinde
die Stiegen auf und vergaiäeu alles Leides , weil sie den König
')* Im fransosischen Berieht keifst es, sie wollten den König sehen
ffpour le mieox otmaiderer''.
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186
Eine russiBche Gesandtschaft in Paris im Jahre 1681.
sehen sollten. Der König <jiug aos seinem Kabinet, sah die Ge-
sandten freundlich an, griiiste sie, fragte, oh sie wohl zufrieden
wären. Bcsp. (Autwort) Sehr wohl , aber Ihro Majestät Gegenwart
und klare Augen Bind ans lieber aU alle grolse Tractamenteiiy der
Ködg: Sie belieben bei Golbert m geben snr oonfteeoce car
c'est notre bon plaiair. Beep* Gar gem. Ensuite ils ee ren-
dirent chez le Golbert et ils enrent avee Ini nne oonfSrenoe de
prÄs de deux heures. Ich interpretierte. Die Conferonzpuiikte
ftind oben gesetzt. IIb furent encore traitäs aprds cette con-
f6renee> besehen hernach des Königs Palais, und alles was dar-
innen : die Garten-, die Wasserwerke, die hast' nnd Vogelg&rten.
Die K5nigl. fragteni wie es ihnen gefiele? Poienddn sagte: nnd
wenn andi Salomes wiederkommen BoUte, wtbrde er Alles nicht
besser anordnen können, als Euer König. Dieses miifste ich auch
hernach bei der Konigl. Tafel referiren , und getiei dieses , des
HoskowiteSi jogement dem Könige über die Haafsen wohl. Madame
Danphine, so miob sehr viel Ton Moskowisohen Sachen fragte,
responsierte darauf: U a raison. Folgender Tage besahen die
Gesandten was ▼omehmlich in Paris remarquabel, sonderlich das
exercice des mousquetaires du Roi, denn dieses meritiret zu sehen.
Den 11. Mai war die Abschiedsaudienz. Seine Majestät über-
gaben das Antwortschreiben dem Potemkin in die Hand. Diese
bedankten sich vor erwiesene Kdnigl. Gnade nnd Tractamente.
Die Königl. Prisente waren 1. des Königs Portrilt in einer
gflldenen Schatnll mit schönen Diamanten versetst. 2. Gold- und
Silherstücke zu Kleidern. 3. Tapisserieen , um innen Saaltafel
und Stühle zu. bukleiden. Und diese drei Sorten bekamen Potemkin,
Wolkow and Potemkins Sohn , doch der erste köstlicher als die
aodem. Die Edellente und ttbrigen güldene und silberne Schau-
pfranige. Dreimal mehr gab der König als die Koskowiter
an Zobelin geschenkt, dafs es recht heilset nach dem Italie-
nischen Sprichwort: Chi dona caro vende si non sia villano
quello clii prend«. Endlich hat der König die Gesandten über
Bordeaux und Bayonne an die spanische G^renze führen lassen,
welcher, ob £r wohl mit denen Gesandten nicht allerdings su-
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Eine russische Üesandtächaft in Paris im Jahre 1681. 187
frieden, wird Er doch einen Envoy6 nach Moskau abfertigen,
et tout cela pour les raison de consöquence".
So Rinhubem Bericht über die russische Gesandtschaft in
Paris. Die Ycormutnng, dab Ladwig XIY. bald in lebhafteren
diplomaiiaohen Verkehr mit Bnfiland treten werde, erwiee eiob
als fiüach. Binhnber mochte wfinachen» dab dieses geschehei weil
er die Hoffnung hegte, dabei eine Rolle zu spielen. Seine Ver-
gangenheit gab ihm ein Recht zu erwarten, dafs er westeuropäischen
H&chteii, welche mit dem Staate Mosicau zu thun haben wollten^
wesentliehe Dienste leisten könne.
Ans diesen llitteilnngen ist sn ersehen, da6 in Frankreich
ein gewisses Interesse f&r Bnfsland Torhanden war und dafs man
sogar ernstlich an eine diplomatische Vertretung Frankreidis in
Rufsland dachte. Indessen sollte es noch lanjore währen, ehe es
zu einer daaerndeu und erfolgreichen Annäherung der beiden
Mächte kam.
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vn.
Ein Kleiderrefonnprojekt
Peter dem Gruben.
•
Peter der Grofie hatte wShrend der ersten Jahre leiner Be-
gieruDg Ridi im Ghnnde sehr wenig mit Politik heiehXftigt, die
Führung der StaatsgcsLhiiltc andern überlassen und hierauf sich
aosschliefBlich den Aui'gabcu der auswärtigen Politik zugewandt.
£& war insheiondere die orientalische Präge, welche ihn be-
sohäftigte, seine Beise ine Aneland Teranklete. Er weilte
anderthfllh Jahre im Westen» nicht nm dort sn lernen, wie smu
mit Weisheit den Staet regiere, nicht nm die G^esetsgehnng nnd
die Inititutionon fremder Ländef zu studieren. Es galt ihm den
SchiffHbau zu erlernen, eine gröfsere Flott« zu bauen tiikI dadurch
in den Stand gesetzt zu werden zu einem ernsteren Kampfe mit
der Xttrkei. Aber anch ohne 'die Absieht, die Sitten nnd Qe-
brftnche anderer Nationen sn heobechteni hinansreisendi war Peter
doch so lange Zeit hinduroh den ISndrttcken ansgesetsti den eine
allseitig entwickelte Kultur, wie er dieselbe namentlidi in Holland
und in Iviigland zu betr iclitm Gelegenheit hatte, aucli auf minder
Empiuugiiche als er ausüben mufste, und diesen Eindrücken ver-
dankt man jene Heihe von Mafsregeln , welche in dem iafseren
Wesen, im KostOm und Hahitos der Bussen eine gründliche
Anderong beaweokte nnd im Volke die grOfirte AnfregoBS
hervorrief«
Im Orient gibt es keine Modon. Ungleich schwerer als der
Westländer, trennt sich der Orientale von der Art öeiiier Tracht.
Er iät auch darin, wie in allem andern, konservativ. Ebenso
hatte in £La£dand die Kleidung, welche man dem Orient ent*
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192
Ein Kleid^rreformprojekt vor Peter dem Groften.
lehnt, aehr lange hindnreh Art nnd Form früherer Zeit bei*
behalten. Die Kleidung war weder achön, noch zweckmäfsig.
noch hygienisch entsprechend , aber man hielt daran fest und
wollte von keiner Änderung wissen.
Und in diesem Punkte war das Volk nicht koneervstiver
ala die frühere fiegiemng, die hohe Gteiatliohkeit, die Wttrden-
triger. Ala einat in den lotsten Jahren der Begierang dea Zaren
Alezei ein Bojar in polnlacher Tracht anf die Jagd ritt, hatte
fs sich ereignet, dafs dit-s»- Kleldunt^ nachher auf Befehl des
Patriarchen verbrannt wurde. Es gab Fälle | in denen einzelne
Vertreter der höheren Kreiae ao ktthn wareUr dentaohe lüeidang
BU tragen, aber die Begtemng nahm ein aolehea Beginnen aehr
übel anf* Am 6. Angnat 1675 arachien ein TJkaa an alle Hof-
beamten, aie aollten bei Strafe der Ungnade nnd der Degradation
sich nicht erdi'eisttin, :uKsl;iudischo Sitten anzunehmen, die Haare
nach ausländischer Sittu zu scheren, ausländjsciie Kleidung,
Mützen oder Hüte zu tragen oder ihrem Geainde daa Tragen
aolcher Gegenatftnde an geatatten.^)
Einige Jahnehnte aavor hatte aioh der nmgekehrte Fall ereig-
net. Ea hatten die in Hoakan lebenden AnalKnder snm Teil
russisclie Kleidung zu trafen begonnen. Al)er auch dies war
verboten worden, weil es geychehen war, dafs bei einer Prozession
die Ausländer, welche, als Ketzer, des Segens der russischen Kirche
unwürdig eraohienen^ doch dieaea S^na teilhaftig geworden waren,
da der daa Volk aegnende Patriarch die in maaiafihem Koatfim
anweaenden Lutheraner oder Katholiken nicht von den Becht^
glSnbigen an unterscheiden vermocht hatte. WeO nnn die Aua-
länder nicht wie die Russen sich gegen den I'atriarchen ver-
neigten, merkte der KirchenfiLrat den Unterschied und eriiefs einen
Befehl an alle Ausländer, die rusaiache Kleidung sofort abzulegen,
waa, wie ein Zeitgenoaae berichtet, wegen Kangela an Stoffen und
Sebneidem grofae Schwieiigkeiten darbot.*)
Man weifa, wie namentlich die Geiatliohkeit gegen daa Bart-
') Vollst. GosofzFannnlnnjT I. JS'r, 607.
*) Olearins, dritte AuRg. 183.
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£ia lUeiderreformprojekt vor Feier dem Qrofsen. 198
scheren auftrat. Der Patriarch Hadrian hatte noch kurz vor
gewaltsamer EinführuDg des Bartscherens durch Peter den Gr. eine
gewaltige Encyklika soganjiteii des Bartes erlassen, in welcher
u, a. bemerkt wiid« daft MltaiDer ohne Bert mit dem Sehnorrhart
allein nicht wie Kensdien) sondern wie S[ater und Hnnde ans-
sehen u. dergl. m. ^) In seinem Testament hatte der Vorgänger
Hadrians, der Patriarch Joachim, gegen die Einführung ausläa-
discher Sitten und Trachten den entschiedensten Protest ein*
gelegt ^ Aber noch mehr: selbst ein Mann wie der ansgeieich-
nete Politiker nnd Diplomat Ordyn-Naschtsohokin, welcher die
Bedentang anslindischer Sitte sa würdigen woistei seinen Sohn
von gebildeten Polen nnterrichten lieTs und keinesfalls an den na-
tionalen Faiiatiki III zalilte, sagte wohl gelegentlich: „Was küm-
mern uns dio »Sitten dor Ausländer, unsere Kleidung ist nicht
nach ihrem Sinn nnd Gesohmacky ihre Kleidung nicht nach dem
nnsem.''
Als Peter mit seinen Befonnen inbesog anf Bart nnd Elei-
dnng anftrat, war in den hdheren Kreisen der Koskaner GeeeU-
»chaft von irgend welcher Opposition keine Rede. Der Patriarch
Hadrian, welcher soeben noch gegen das Bartscheren geeifert
hatte, herstammte. Die Grofsen bequemten sich meist ohne
Knrren an allem, was der Herrscher von ihnen Terlangte. Viele
mochten auch wohl die Zweckmälsigkeit einer solchen Befonn
erkennen nnd Petent Ansichten teilen. Die Hochnit eines Hof-
beamten im J;ihre 1701 wurde auf Befehl Peters im alten rassisclien
Kostüm gefeiert, um, wie ein Augenzeuge berichtet, dio Lächer-
lichkeit und Tollheit der früheren Mode zu zeigen. Die Bojaren
hatten ttbennftCiig hohe Mütaen, die Franen IS Ellen lange Ärmel
nnd 5 Zoll hohe AbsStae n. s. w.^ Bei Hofe gewöhnte man
sich rasch an die europäische Kleidnng, wie die sshlreichen Bild*
nisse der Zeitgenossen Peters zeigen, in denen die Golowin,
') £ine Handschrift der Akademie der Wiss. b. üstrjalow, Feter d.
Gr. m. 198.
*) UsCijslow, Peter d. Gr. IL U6.
*) Penr, d. jetsige Stsst von Xoskan, deatsche Üben. S.
18
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194 3Sm Kleiderreformprojekt vor Feter dem Grofseo.
Apraxüi, Venseliikow a. a. in derselben Kleidung, in derselben
Perrückö erscheinen, die wir auf den Bildnissen etwa Knpeuß
von Savoyen, französisoher Marschälle oder anderer westeuropäischer
Zeitgenosien erbliokea.
QaoB anders miurte mao in den unteren Sohichteo des Volkes !
ünsililige worden gefllnglioh eingesogen, und strenge bestraft,
weil sie sicn AuTsernngfen des TTnmnta gegen den reformierenden
Zaren tjikiul>t hatten. Ein Bürger der Stadt Dniitrow liatte,
wälirend er die neue Kleidung anzog, gesagt; t,Wer diese Kleidung
eingeführt hat, sollte gehängt werden!" ^) Schon vor Peter hatten
die Sektierer in ihren Schriften behauptet : ,,Gott habe ausdrück»
lieh die Einffihmng anslAodischer Kleidungen Terboten, ihm sst
diese Kleidung im höchsten Grade widerwärtig/' Eme solöhe
iReform gfdt also als eine Retserei, als ein Abfall von der recht-
gläubigen Kirche,^ Jetzt murrt« das Volk üi)er den Patriarchen
Hadrian, der zu so Bchlinimen Keformen schweige, alles üher sich
ergehen lasse, nicht protestiere, nur, \\m seine Stelle zu behalten.
Allgemein hielt man es fttr wahrscheinlich, dafs das Bartsoheren
und die neue Kleidung nur der Anfang lu noeh schlimmerer
Ketserei sei, dals namentlich die Beobachtung der Fasten bei Hofe
und im Heere unterbleiben werde. Es wurde sogar das Gerücht
verbreitet, Peter sei gar nicht /arischer Abkunft, sondern ein
untergeschobenes Kiud, der Sohn einer Deutschen. Als Beweis
wurde die Einführung der deutschen Kleidung betrachtet: ein
wirklicher Busse hätte so etwas nie unternommen. Die abge-
schmacktesten Härchen wurden eraählt und geglaabt, u. a. eine
Legende : der Zar Peter sei im Auslände umgebracht worden und
die Ausländer hätten einen andern geschickt, der sich für den
echten Zuren auagebe, während der wirkliche Peter in eine Tonne
gesteckt und ins Meer hinausgestofsen worden sei. Personen der
Umgebung Peters, wie etwa Menschikow, wurden als im Bunde
mit dem Teufel stehend betrachtet, weil sie Perrftcken trugen;
der Zar selbst ist wiederholt als ein Antichrist bsaeiohnet worden.
') S8(»lowje\v, Gesch. Rufslds., Bd. XV. S. 137.
■) Schtschapow, der Koskoi, S. lÜÜ ff.
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Ein KLtiiderreformprojekt vor i^eter dem Grofien.
195
Bei Gelegenheit des Aufstandes in Astrachan erzählte man dem
Volke , dals die ausländischen Militärs und höheren Beamten
Götsendienst trieben und ihre Götzenbilder stets mit sich föhrten*
Bie Begienmg eiitthr deron und stellte Naehforschnngen darüber
an, wie ein solches Gerücht habe entstehen können. Man erfahr,
dafs die PerrttdrenstSoke, deren sieh die AnslSnder und rassischen
Beamten zur Schonung ihrer Haartracht bedienten, für Götzen-
bilder waren angesehen worden.
Die russische Kleidung, welche wir auf den Abbildnngen der
Werke aoslindischer Beisenden, wie Meyerbergs oder Olearios a. a.
an betrachten Gelegenheit haben, bedorfte einer Beform. Sie
hatte etwas Weibtsohes. Nicht selten geschah es, dafs MSnner
die Kleider ilin i Frauen für sich innmachuu liefsen, Audi waren
die alten Anzüge nmiat recht kost&pieiig und luxuriös, mit einem
unnötigen Aufwände von Stoffen verbunden. — Als König
Wilhelm JH. in England den Zaren Peter fragte, was ihm denn
in Xjondon am meisten gefiülen habe, soll dieser geantwortet
haben: ^^dafo die reichsten Leate in schlichten, aber reinlichen
Kleidern einhergehen". ^) Peter selbst trug gern liol ländische
oder französische Schlfferkleidnng. JJiehe gestattete ihm die freie
Bewegung, deren seine Arbeiten beim äcliifUjau und dergleichen
bedurften. In den langen Gewrädem, mit herabhängenden Armein
der rossisehen Vornehmen konnte man freilich keine Hasten
erUettenir nicht mit der Zuamermaansazt hantieren, ttberhaapt
nicht eine intensire Thätigkeit entwickeln. Sehr btibscb bemerkt
Ssolovvjew, ) dafs die Art der Kleidung der Art des Volkes ent-
spreche. Der bequeme, indolente Asiate erscheint eigentlich
fortwährend im Schlafrock. Wollte der Busse sich in einen
Enropier Terwaadelni arbeiten, prodnsieren, Torwärts streben in
S^olowjew a. a. ( ). an verschiedenen Stellen des XV. Bamles.
•) S. i'osaelt, Lefort II- 478. Dafs übrigens London in dieser Hin-
sicht selbst dem Kontinent vorausgeeilt gewesen zu sein scheint, ist aus
dem Umstände zu ersehen, dafs auch der Genfer Jakob Lefort, der
fimder des Frenndes des Ztren, in London sich über die einfachni und
sauberen Kleider der Londoner lobend ftufserte.
*) Ssokiwjew, XY. 186.
18»
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196
Lia ivleiderroformprojekt vor Peter dem (jrrofjiexi.
we«toiiro|>ftischer W«ite, so rnnfste er seine, die Tätigkeit be-
hindernJe, ünt;iitaliache Klruluni: üufgeben. Es liaudclto .sich
nidit um eiue Nationali tat euirage, soiideru um die Entscheiduag,
zu welcher Rasse, zu welchem Weltteile KuXaland fortan gehören
sollte und wollte. Die Kleiderrefomi war eine geschiGlLtliche
Notwendigkeit! nicht dae Ergebnis der anfölligeo Ijaiine eines
absoluten Herrsohers. ^)
Nicht Peter allein vertrat die Idee von der Notwendigkeit
einer Kleiderreform. Wir beabsichtigen in dem folgenden auf
die Ansichten eines Mannes hinzuweisen, der sich einige Jahr-
sebnte vor der reformierenden ThXtigkeit Peters in Rofuland auf*
hielt, dessen Ideen in vieler Beaishiing ndt deqjenigen des genialen
Zaren fibereinstimmteni dessen Eatwflrfe aber nicht Terwirklieht
wurden, weil sie nur von einem in der Verbannung lebenden
Schriftsteller herrührten und nicht in die laafsgebenden Kreise
der Begienmgsgewait zu dringen vermochten. Diese Ansichten
gewähren einen interessanten Beitrag zur Kulturgeschichte jener Zeit.
Jur^ Krishanitsch, ein Serbe, geboren 1617, kam, nachdem
er einen Teil seiner Jagend In Italien Terbraoht hatte, nach yer
schiedenen Reisen im Jahre 1659 nach Moskau, wo er, als katiio*
lischer Geistlicher, die Unionsbestrebungen vertreten zu haben
Bclieint. Vielleicht infolge solcher Agitation geriet er in einen
KoDÜikl nut den bestehenden (iewalten und wurde im Jahre IGtiO
nach Toholsk in Sibirien verbannt, wo er bis zum Jahre 1676 blieb.
Seine ferneren Schicksale sind nicht bekannt. Er wsr, wie wir ans
seinen Schriften ersehen, durch vielseitige Bildung ansgeaeicbnet
und behandelte in seinen, die durchgreifendsten Beformen be-
zweckenden Elaboraten Fragen der heterogensten Art, das Staata-
wesen, die Volkswirtschaft, die Technik, die Beligion und Moral
u. s. w. betreffend. ^)
^) Als die japanische Gesandtschaft im Jahre 1863 8 ich in St.
Petenburg aufhielt, fiel sie durch ihr Kationalkostüm auf. Spätere Qe-
sandte (1878) erschienen in europäischer Kleidung.
•) Die Schriften Krishauitscha erschienen von Beasonow heraus-
gegeben in den Jahren 1859 und 1860 u. d. T. „d. Russ. Staat um die
Jütte des 17. Jahrhuuderts" uud „Über die Vorsehung".
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Ein Xleiderreformprojekt vor Peter dem Urorsen,
197
Wir weisen nur auf diejenigen Stellen seiner Schnften hin,
in denen die Kloiderreforiufrage berührt wird. Krislmnitsch ist
als Slave toU Wärme für BofBlaDd. Er hofft durch KufslaiidB
Xacht imd Entwickelimg anf eine Begeneration des in Enrepa
herabgekomineneD Weti- und Sfidslarentami. In gewisBem Sinne»
als Kiehtmese, als Katholik, als Vertreter westenropSiscfaer Bil-
dung ist er Ausländer, daher gilt hei manchen Historikern sein
oft scharf tadelndes Urteil über Hufsland und die Küssen als
parteiisch and nogerecht; in anderer Beziehung, als Pansiavisty
ist er mit seinen Ansichten über Bolslandi mit seinen an Bab-
lands Emporkommen geknüpften HofPnnngen den AnslSndem,
welehe im siebsehnten Jahrhundert über Bufsland schrieben, ent-
gegengesetzt.
In semer umfassenden Öchrift „Gespräche über den Staat"
widmet er der Frage von den Kleidungen und dem aufseren
Wesen der Menschen zwei Abschnitte. ^) Seiner in vielen F^len
üblichen Methode gemäis geht er anch in diesen Abschnitten von
gana allgemeinen Sätsen ans, erwähnt der Zustande verschiedener
Völker, die er untereinander viTf^lelcht, zitiert verschiedene be-
tretiende Beispiele aus der GeBchichte und kommt dann auf Rufs-
land zu reden, wo er die bestehenden Verhältnisse einer sti'eugen
Kritik untersieht nnd sodann Beformvorachläge macht. Er sagt:
ffEin schönes Anssehen ist das Zeichen eines scharfen nnd
tüchtigen Geistes: ein grobes Aussehen zeugt von Stumpfheit»
Das günstigste Zeugnis für geistige Entwickelung ist mannig-
faltige Schönheit. Es gibt Völker, die schön sind, aber nicht
weise: bei diesen haben alle denselben (Tesichtaausdruck, dieselben
Züge, nnd sehen wie Söhne eines Vaters aus : so die Armenier^
die Gmsier und die Tscherkessen. *) Aber diese Völker sind
nicht sehr gebildet und entwickelt* — Einige Völker haben be-
J) I. 124-143.
-) „Tscherkassy" heifst sonst im 17. Jahrhundert „Kleinruasen",
doch pafst die eigentlich russische Bedeutung der Wörter, die unser
Autor braucht, nicht immer auf seine Sprache, die ein Qemisch ist von
BuBsiseh, Serbisch, Polnisch u. dergL
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*
Ein Kleiderrrfonnprojekt vor Peter dem Grofien.
londere VonCige des Körpers : die Griechen beben grofse, ronde,
glänsende Augen, die Spanier weiTse Hient, sdiwaneB Haar, langen
Schnurrbart. Elienso haben die Franzosen, Deutschen und Italicner
ihre besonderen Vorzügo. - Andere Völker sind als häHslich
bekannt. Die Tataren haben kleine, tiefliegende Augen, die
Kalmücken beben platte Nasen « die Mobren sind koblsobwen
und beben anfgeworfene Lippen; die Indianer beben eine dnnkle
Haut, platte Gesiehtesflge und sind bartlos; die Samojeden sind
klein, haben breitn Gesichter, kleine Augen, kurze Beine, keinen
Bart. Die Araber siud zwar dunkelfarbig, aber nicht häfslich:
auch in geistiger £ntwickelmig nehmen sie eine Mittelstellung ein.'*
nTTnser Yolk,<* sagt Krisbanitscb weiter, indem er nicbt so
sebr die Rassen allein, als die Slayen Überhaupt meint, „ist weder
als besonders schön, noch als besonders härslich liekaunt. Wir
sind nicht so häfslich wie die Zigeuner, Tataren, Samojeden,
Äthiopier, Indianer, Sibirier, und nicht so schön, wie die Griechen,
Italiener, Spanier, Fransosen und Deutschen. Die Nacbkonunen
Japbete Übertreffen uns an Soh5nbeit, wir dagegen fibertreffen
die Naohkommen Chams. Wir sind stark von Körper, beben
hellblaue Augen , iiiemaud der Unseren liat sehr starkes oder
ganz schwarzes oder ganz rotes Haar, sondern aschfarbenes.
Daber sind grofse Bärte, eben ihrer Seltenheit wegen, sehr ge>
sch&tst. Die Spanier und Italiener scb&taen die Bärte niobt
bocb, sondern rasieren dieselben: jeder Bauer bei diesen Völkern
könnte leicbt einen schönen Bart haben, wenn er denselben pflegen
wollte. Die Deutschen haben die verschiedensten Bärte: dichte
und dünne, lauge und kurze, schwarze und rot«: sie pflegen sie
nach Gefallen, stutzen sie oder nicht, rasieren sich oder nicht.
So müTsten es aucb unsere Leute machen, namentlich die
Soldaten.«
So liberal dachten die echten Russen inbetreff des Bartes
nicht, wie wir bereits bemerkten. Gerade iubozug auf Haare
und Bart war man sehr konservativ in KulBiand. Das Vorurteil
berrsobte* Über Haar und Bart macht Krisbanitscb an einer
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Ein Kleiderreformprojekt vor Peter dem Qrofseo. 199
aDdem Stelle, vad swer in dem Abaohnitt Aber die Hem'wmeni
folgende treffende Bemerkungen J)
„Eine sehr M'ichtige UrBache der Feigheit bei den Truppen
ist die häfsliche und unanständige Haar- und Barttracht und die
•oUechte Kleiduiig. Eine gute Kleidung flöDst dem Kämpfenden
Belbet ICnt ein nnd imponiert dem Gkgner. Selbet ein Ffud, wenn
es hflliseh an^echiirt ist, biumt Biob nnd springt tot Frende»
ebenso ist ein aohön geschmückter Krieger mit geordnetem Bart
und Üaar mutiger und hat ein höliores Selbstgefühl. Die russische
Kleidung aV)er ist nicht schön und gestattet keine Würde und
keine Freiheit und keine ungehinderte rasche Bewegung, sondern
macht den Bindmek der Sklaverei , der Gtedrücktbeit und der
llntlosi^eit. Unsere SIrieger stecken in so knappm und engen
Böcken, als seien sie darin festgenäht: ihre Köpfe sind kahl;
ihre \uig<*pflegten liärte geben iiineu eher duö Ansehen vüu W aid-
menscheu als von tapferen Kriegern.''
„Ein Baum im Winter und der Blätter beraubt erscheint
elend, häfslich, jämmerlich, Teräohtlich, während er im Sommer
stattlich, schön, ttppig aussieht. Ebenso erscheint ein Kann mit
nicht allzu langem oder weibischem, aber reichlichem und anständig
geordnetem Haarwuchs und in einem Kleide von angemessenem
Schnitte zu Pferde sehr stattlich, und kann sich, wenn er zu Fufse
ist, viel besser bewegen: er ist nicht blofs schöner, sondern er
kann auch eher dem Frost nnd Bogen und Unwetter und der
89nnenglnt trotaen und ist infolge dessen tapferer nnd dem
Feinde gegenüber schrecklicher. Die Italiener nnd Spanier leben
in viel heifseren Gegenden als wir und es ftllt ihnen nicht ein,
ihr Haupthaar zu scheren, \v( j] sie auf Schönheit und Stattlich-
keit viel halten. Wir aber leben in kalten Gegenden, sind von
Natur nicht schön und hätten es um so nötiger das Haupthaar
an erhalten, um die Häfslichkeit unserer Gesichter su mildem,
um die Ohren yor dem Erfrieren zu schütaen, um die Tapferkeit
unserer Krieger au erhöhen. Aber wir aiehen es vor, den Bar-
') S. 94.
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soo Ein Kleiderr efon nprojekt vor Peter dem Groften.
bttren naohsafthmen, den Türken und Tataren, atati dem Beispiel
der EnropSer sa folgen, ünd Bwar nichi in allen Stücken folgen
wir dem Beispiel der Barbaren, sondern machen ea noch schlimmer
wie sie. Sie bedecken ihre kahlen, häfslichen Häupter mit kleinen
and grofsen Turbanen, die sie nie abnehmen : wir aber lassen
unsere kahlen Häupter unbedeckt gleich Kürbissen erscheinen.
Ein geachorener Kopf ist ein Zeichen der Sklaverei ; den Kriegs*
gefangenen nnd OaleerenskUven wird das Haupthaar geschoren.
Ber Schopf am Hinterhanpte hei den Tataren nnd der Schopf
am Yorderhanpte der Polen ist um nichts besser als TSlIige Kahl-
heit. Auch wenn die Küssen das Haar unfircordnct wachsen
lassen, dals es die Stirn bedeckt, gewährt dies einen widerwärtigen
Anblick und macht den Eindruck, als sehe man einen Wald-
menschen. Die Terwilderten Bärte lassen die Soldaten älter
erscheinen, als sie wirklich sind nnd daher ist der Schrecken, den
sie dem Feinde einflöfsen, geringer."
Krishauitsch war nicht der einzige Ausländer, auf den die
Sitte des Haapthaarschesens einen nnangmefamen Eindruck machte.
Anch OleariuB hatte eine gana ähnliche Bemerkung gemacht»
indem er in seiner Beisebeschreibnng (S. 179) berichtet: 7,Daa
Haar auf dem Kopfe tragen nnr ihre Popen lang nnd fiher den
Schultern herunter hängend, die andeiü aber alle kurz abge-
schnitten. Die gr Olsen Herren lassen es gar mit dem Scher-
messer abnehmen, halten es fUr einen Zierrat.
fßo fem aber einer sich an Se. ICajestftt versündiget hat,
oder weifs, dafs er in Ungnaden ist, lasset er das Haar lang und
wild wachsen, so lange solche Ungnade währet u. s. w/'
Krishanitach läfst nun eine ganze Beihe von Völkern inbe-
treff der Hsar^ nnd Barttraeht Bevne passieren. Er lobt
die Art der Koldaner sich das Stirnhaar zn rasieren, mit dem
Hinterhaupthaar den ganzen Kopf und die Hälfte der Ohren zu
bedecken, ebenso scheint ihm die ("oiffuro der Venezianer recht
angemessen zu sein, welche das Hinterhaupthaar mit der Schere
statsen nnd ringshemm einen Krans von längerem Haar stehen
Ein Kleiderreformprojekt vor Peter dem Grofsen. 201
lassen. Audi lobt er die Spanler, welche das J I interhaupthaar
kurz scheren. Das Haar zu lang wachsen zu lassen oder gar
an der Seite einen Zopf zu flechten, wie die Deutschen biaweilen
tbiuii schemt ihm nicht nachahmiingswert. Kan mtlssei meint
flTf in allen Dingen Kafa halten.
Von der Barttraoht sagt er folgendes; »^Die Böhmen und
Ungarn tragen einen rund zugeschnittenen , mit Schere und
Rasiennchäer behandelten Bart. Bei einigen Völkern pflegen die
jüngeren LeutOi denen kein üppiger Bart wachsen will, den Bart
mit der Schere an beschneiden; sie tragen dann Stoppeln und
Sohnarrbart. Die Deutschen thnn sehr gut, wenn bei ihnen
jeder den Bart trKgt, wie er will nnd wie es ihm gnt steht.
Die fein zugespitzten Ziegenbärte, die man hier und da in Europa
sieht, können wir nicht loben. Die Türken scheren sich den
Bart, so lange sie unverheiratet sind und halten es für uuzulässigi
als Ehemänner den Bart an stntaen oder an scheren. Soldaten
sind nicht yerpflichtety diesem Gebranche sn folgen, sondern be-
schneiden den Bart mit einer Schere, mit nicht einem Basiennesser,
wo das Kinn so glatt wird wie bei Frauenzimmern.''
Sehr liberal und im Sinne Peters sagt Krishan itsch : „Wenn
Jemand fragt, ob es denn nicht für die Christen unziemlich er-
scheine, Hnsih an machen, den Bart an scheren oder langes
Haar an tragen, so mnfs man darauf antworten, dafs solches alle«
den Juden Terboton gewesen sein mag, wihrend es den Christen
gestattet ist." — Aber im ganzen ist er doch, nicht ans reli-
giösen, sondern aus Schönheitsgi üuden für ein Stehenlassen des
Bartes, indem er bemerkt: „Allerdings waren die Körner tapfer
und hatten trotzdem die Sitte, sich Haar nnd Schnurrbart glatt
abaurasieren, aber die Börner hatten so schöne Helme mit allerlei
Tiergestalten darauf, mit Schlangen, Wölfen und Biren und ihre
Kleider hatten einen solchen Schnitt, dafs sie den Fmnden im-
ponierten. Uns ist es ratsamer Haar und Bart zu pflegen, als
für die Kleidung viel Geld auszugeben."
„Eine gute Kleidung aber ist eine solche, welche gegen
Bogen, Frost, Nüsse und Sonne schtltat und den Menschen an
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SOS £>n Kleiderreibrminrojdit vor Peter dem Groben.
■einen Bewegungen nieht beliinderty welehe lange hilt und niclit
teuer sn stehen kommt/' ^)
„Die Spanier haben ein Yolksspiel : man ringt und wetteifert
da um allerlei Preise. Unter den letzteren ist ein solcher, der
denijenigen zuteil wird , welcher am schönsten und zugleich am
woblfeileten gekleidet ist. £s kommt also dabei nieht auf Geld,
flondeni auf Qeist und Qesohmaok an.''*)
Kriehanitech findet nnn, an eeinem grofsen Ijeidweeen, da&
alle diese Bedingungen einer guten Kleidung bei den Russen und
aonstiffen Slaven sich nicht finden. Va' erinnert daran, dafs
jfcüiiser Kotistantin der Purpurgehorene die Serben als Sklaven
beieichnet hatte» weil eie eohlechte Fufsbekleidong trogen : nnge-
gerbtes Leder mit Stricken an die Fülee gebunden. Abnlioh
Terftchtlich findet KrishanitBoh die Baeteehohe der Bniaen und
itt entrostet darttberi dafe die Rnesen ibr Leder den AnsUbidem
verkaufen und selbst barfufs gehen. Die Beinkleider seien viel
an lang und zu eng und reiTsen leicht an den Knieen. £beiiao
seien die Böcke lang wie Säcke und dabei viel zu knapp, was
den Männern ein gans weibiscbes Ansaehen gebe. In den Kleidern
feUe es, weil sie so knapp seien, an Taschen, so dafs die Bnssen
ihre Kesser, Brieftohaften n. dgl. in den Stiefelschäften, ihre
fcJcliiiupft ucher in dm Alutztu umi ihr (jcld iiu iluude verwahren
müiüten , welch' letztere Sitte Krishanitsch unsäglich widerlich
findet.^) Sehr lächerlich findet er die Sitte in Bnlsland, Mützen
und Peiae mit feil zu füttern, so dafs die teneren Zobel n. dgL,
die doch aum Scbmncke ▼orbanden seien, nicht einmal siebtbar
würden. Ebenso tadelt er die Sitte, die Hemden mit Gholdstiekerei
und Perlen zu benähen, da man sie unter dem Kocke nicht sehe.
Er meint, die Bussen trügen nur darum so grelle bunte Parben,
») a 97.
•) 8. 180.
Olearius SSO: „die Bossen s^d gewShnt, dafs, wenn sie in Be-
sichtigung oder A})incB8ung derWsluwn begriffen, sie die Copeoken ofTt
bei 50 Stück in's Mund nehmen, reden ond handeln immerfort, daü«
man 's jhnea nicht anmerken kann, machen, alsosn reden, ihr Jinndsnr
Taschen".
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Ein Kleiderreformprojekt vor Peter dem Grofsea.
weil sonst ihre Kleidnngsstflcke von so häfslichem Schnitte seien,
dafa ihr Anblick nur noch etwa durch die Buntheit erträglich
würde, (ianz anders, bemerkt er, machten es die Deutschen,
welche aneiit grsaes Tnoh trfigen. Aber Moh die Dentechen,
Agt er hinsn, Tertanaelien in Btoblandi sobald ne nusitdhe
Kleidung anlegen, die dunkeln Stoffe mit Inmten, weil man in
rassischer Kleidung und granem Stoffe dnrohaiu wie ein Bauer
gekleidet erscheine.
^^Anderswo/ führt er fort, „tragen nur die Frauen Perlen;
in Bufsland dagegen prunken beide Geschlechter mit solchem
•»
Tand.' Yon der Franenkleidnng ttgi er: «Die Arme! an den
Kleidern sind Ton sehr koitbarem Stoffia, lehr eng und aehr lang,
was eehr änmm ist. Die HXnde sind nieht frei und die Ärmel
reifsen leicht, weil sie zu knapp sind. Audi hängt man sich
wohl vorn am Leibe allerlei silberne Troddeln au, was einem
Pferde eher wohl anstehen würde, als einem Frauenzimmer. Die
Kopfbekleidongen mit vier Hörnern sind entsetslich widerwflrtig.
Einige tragen den Gürtel unterhalb des Banohes, andere gar keinen.
Beides ist gani nnschieklieh.**
Sehr hübsch erörtert Krishanitsch die psychische Bedeutung
einer weiten, bequemen Kleidung:
„Die Geistlichen, sowohl im Orient als im Occident, tragen
weite Gewänder, offenbar, weil diese dem Keuschen eine gewisse
Stattlichkeit und "Würde verleihen. Eine an knappe Kleidung
lifst den Keuschen als unbedeutend und unansehnlich efsekeinen,
deckt die Blöfse nicht genügend und iSfst manche K5rpermängel,
allzu grofse Magerkeit oder überniäfsigo Dicke oder schlecht ge-
formte Glieder hervortreten. Kommt ein i&rensch in knapper
Kleidung in die Gesellschaft solcher, welche bequeme, weite Ge-
wifcnder anhaben, so wird er Furcht und Yerlegoiheit empfindeUi
als habe er etwas gestohlen, weil er fühlt, dafs seine Blttlse nicht
hinreichend gedeckt ist, und dafs er gleichsam nackt unter Be-
kleideten erscheint. So mag es dem Ungarn zu iMute sein, wenn
er unter Deutschen auftritt. Kommt aber ein Italiener, ein Deut-
scher, ein Spanier in eine Gesellschalt von Ungarn oder Slaven,
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204 Eiii Kleiderreformprojekt vor Peter dem OroCsen.
so tritt er sicher und würdig auf, wio ein Löwe und bewegt sich
leicht und frei and stolz. Dabei kosten noch die weiten Kieider
der letzteren weniger als die knappen der Ungarn: man braucht
SU den ertteren weder kostbue Farben noeh allerlei Zieraten.
Die nmiBehen Ärmel sind ao eng, presaen die Arme ao «in, dafa
man darin nur mit der gröfsten Anstrengung daa Gesicht waschen
kann ; man kann in den knappen Beinkleidern schlecht reiten,
nicht bequem gehen , auch nicht sich frei hinsetzen ; auf dem
Pferde erscheint nmn wie ein an den Sattel gebundenes und daran
starrendes Stück Höht. — Solche Kleider sind auch nicht dauer-
haft. Sehr oft siebt man bei den Bnaaen, Kroaten und TTngam
einen neuen Bock mit aerrissenen Ärmeln^ die eben infolge der
Knappheit an den Ellenbogen platzen. Bei den Italienern lialteu
die Ärniol ho lauge vor, wie der ganze Rock. Aulserdem herrscht
da die gute SittOi die Armeli ms nndorm Stoffe als der Rock
gemacht, anaunihen. Auch eine Teilung der Beinkleider in Ober-
beinkleid und Kamaachen iat sehr zweckmäTsig: man kann drei
Paar der letateren vertragen, ehe man ein neue« Beinkleid braucht.'*
In Rufsland herrschte um jene Zeit ein gewultiger Kleider-
InxUB. Petrejus erwähnt u. a. der Hemden mit Xragen von
Atlas , Samt und mit Perlenstickerei versehen ^ Olearius ^) be-
richtet von kostbaren Bocken yon „Tammasch, Atlaa und Giilden-
atücken", Ton goldenen mit Perlen gestickten Litaen und (^uaaten,
▼on r,Posamenten und Schnüren und Borten" u. s. w. Bd
manchen Kleidungsstücken bestand der Ehrgeiz, darin möglichst
viel StofT zu verbrauchen. Die sehr reiche Garderobe der Zaren
kann man sehr genau aus dem im Jahre 1844 herausgegebenen
Werke: „Die Ausgänge mnischer Zaren*' kennen lernen, in
welchem alle die Terschiedenen Kleidungsstücke, welche die Zaren
im aiebaehnten Jahrhundert Tag fUr Tag in der Kirche, bei
Audienzen, Hoffesten u. dergl. m. angehabt haben, protokollarisch
vcrzeichiut sind. Von den kostbaren Stoffen und scliillerndea
Farben der Kleidungsstücke der Zaren, mancher Magnaten und
0 Petrejos 598.
Olearius 182.
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Liu Kleiderreformprojekt vor Feter dem (xrofaen. 205
Oeistliehen gfewinnt man den vollstitndlgst«]! Eindraek, wenn man
das AVerk daa Akademikers Soliizcw ,,K,us8is< AltiTtüraer'' durch-
blättert, dessen prachtvolle AuBstattoog ihresgleichen sucht.
Ein tolcher Kleiderprunk war nan bis in die untersten
KlasMo der Berölkemiig in Bolalaiid wbreitot. Jfaa kaufte
▼iele analttndiaohe teuere Waren, um aioh damit an sehmfiokeii»
und Eriahanitaeh ist im hödiaten IfiafiM tmsnfrieden mit der Ein-
iulu solcher Luxusgegenstuude , Zieraten und .Scliumcksachen.
Es sei thöricht, meint er, daTs in Bufslaud jeder iSeide und bunte
teuere Stoffe tragen wolle, während doch das Land diese Waren
nicht herrorbringe* ^) Auch klagt er darttberi dafii die betrtigertachen
grieohiachen Kaoflente viel maaiachea Gold für bnntaa Glaa, daa
aie ala Edelateine yerkanfen, ana dem Lande bringen. ^ Er aeUlgt
vor, eine Kleiderordnung zu erlassen und nieint, man müfste den
unteren Ständen das Tragen von Seide, Perlen, kostbaren Farben
streng untersagen. ^)
Petrejna aagt von den Bnaaen : „Bo lange aie in den Hänaem
aeyn, nnd dabeime bleiben, beben aie die geringpten, serriaaenen
tind Bohlimmaten Kleider an, ao aie haben. Wann aie aber wollen
aufsgehen, nnd spaciren ihre Befreundten besuchen, oder sonsten
in die Kirche, aufl" den Markt oder Schlofs, ziehen sie die besten
und schönsten Kleider an , so sie haben , und wann sie nach
Hanae kommen , . . . . nehmen aie die alten Lampen wieder n. a. w.
und halten dieaen Ghebranoh aUe, ao wohl bobea ala naedrigea
Standea peraonen, MÜnner nnd Weiber, alte nnd junge. Wer
m<dit aelber so gute nnd köstliche Kleider hat, als er gerne haben
wolte, sonderlich wann j^rofse Festtage vorliaiiden seyn, oder er
will etwan zu Gaste gehen und sich für seinen Freunden und
Verwandten etwas gros und stattlich sehen laaaen, nnd erzeigen:
Borget er von andern, oder gibt Qehl zu atewer, ao viel tage
ala er haben wili nnd an Ehren gebranchen. Dann aie aebtana
0 L 164.
•) n. IW.
•) 1. 89.
«) Kofidrawitisohe Ohronika, & .618 und 614.
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206 Ein Kleiderrefonnprojekt vor Peter dem Grofsen.
nielit, wenn iie gleich tollten verliüiigem, eaeen trooken Brod,
und trinken AVasser nur allein, dafs sie sich unter dem Volk
können prächtig, stolz und hoflFertig erzeigen, denn sie von Natur
sum Ehrgeiz und YermesaeDheit mebri als sur Demut, Sanftmut,
und andern tagenden geneigt seyn."
Yon einer LnznapoUsel oder einer Geaetigelrang in Inxoe-
poUseilioher Absieht in Bnfeland bia sum aiebiehnten Jahr>
hundert ist uns nidit viel bekannt, dagegen war im W^ten sdion
im Mittelalter ein Bestreben der Regierungen wahrnehmbar, den
Konaum der ünterthaneu auch iu Beziehung auf die Kleidung
gewissen Beschräukiuigen zu nnterwerfen. Wir erinnern hier
nnr etwa an die Kleiderordnung Philipp des Vierten von Frank-
reich nnd an die prenfsische Kleidevordntmg. — In England und
Frankreich waren gegen das Ende des sw^lften Jahrhunderts
Scharlach nnd H« imeliu verboten. Im spätem .Mittelalter pflegten
die Bitter Gold, die Knappen nur Silber tragen zu dürfen, jene
Damast y diese Atlas oder Taft; oder ea war auch, wenn die
Knappen Damast gebranchten, den Bittem allein der Samt
Torhehalten. Das englische Verbot, wShrend der Begierang der
Königin Hiaria, irgendwelehe Seide am Hute, an der Hütse,
Hose u. s. w. zu tragen, wurde in der Absicht erlassen, die ein-
heimischü Woilfabrikation zu fördern. Ebenso war Sully aus
merkantilischen Gründen für Luxusverbote, um nicht das Land
durch Ankauf fremder Kostbarkeiten verarmen sn lassen. Auch
Heinrieb IV. kleidete sich des Beispiels w^gen sehr einfach nnd
spottete über diejenigen, welche, wie er sagte: „portaient leufs
moulins et lenr bois de haute-futaie sur le dos". ^)
Ganz in derselben Weise , wie im Westen Liixnsordnungen
sehr streng nach dem Unterschiede der Staude abgestuft zu sein
pflegten, oder wie noch Montesqnien die Ansicht aussprach, in
Monarchien sei der Lnzns notwendig, nm den Unterschied der
Stände anfirecht au erhalten, so will auch Krishanitsch den Ge-
brauch von Lnxnswaren den unteren Ständen nicht gestattet
*) BoMher, Qrundzüge d. Bus«. Ök. L 467 ff.
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Ein JKieiderreformprojekt vor Feter dem Ororaen. 207
wissen. T*lr lobt tiit? Kleitierortluuiig der Venezianer, wo vorge-
schrieben wurde, wie Tiel die Kleidung kosten dürfe und wo den
geringeren Sünden du Tragen der Seide, Perlen, Gh>Id u. dergl. m.
▼erboten eei. Indesaen , meint er , im Gegematse sn der oben
erwähnten Ansieht Hontesqniens nnd im Widerspntohe mit dem
G^ist nnd der Absicht seiner sonstigen Ausführungen, es sei in
lionHichien nicht nötig darüber Gesetze zn erlassen. Zwei Seiten
weiter sagt er ausdrücklich: „Es wäre gut den gemeinen Leuten
dfts Tragen von Seide, Scharlachtach and Goldstiokereien in ver-
bieten, damit die Yomehmen nnd Geringeren yoneinander unter-
schieden werden k&nnen. Es ist gana nnangemessen , wenn ein
kleiner Schreiber ebenso gekleidet ist, wie ein grofser Bojar.**
Wie Peter der Grofse überrascht und angenehm berührt war
von der Einfachheit der Kleidung der reichen Londoner, so be-
merkt aaoh Kriahanitsch : „Im Westen ist die Kleidung ver-
nfinftiger ; man hat dort keine Knöpfe yon Gold oder Edelsteinen,^)
nicht kostbare lange Stickereien oder Troddeln und Schnüre an
den Knöpfen, nicht Perlenstiokereien. Kan trägt sehwarses nnd
grünes Tuch. Bunte Stoffe werden nur zur Ausschmückung der
Kirchen, für Frauenkleider und andere Zwecke gebraucht, nie
aber für Männerkleidungen. Der Aufwand, welchen ein Bojar
bei uns macht, nm sich ein Jahr bindoroh au kleideni wtkrde ge-
nügen, nm in Spanien, Italien oder Deutschland drei fftrsten
ein Jahr lang mit Kleidern an Tersorgen. Dort kleiden sich
selbst die Könige einfach, und zwar geschiebt dies nicht aus
mönchischer Askese, sondeiu weil die Männerkl* iduugeu in diesen
Landern keiner bunten l'arben, keiner l^erlcu und Ldelsteine u. s. w.
bedürfen. Wer dort etwa an einer Hochseit oder im Kriege sieh
bnnt kleidet, gilt als iMeherlieh nnd leichtfertig. . . . Die Dentaehen
haben allea, nnd was sie nieht haben, bringen sie ans Indien, wir
haben nichts nnd Terstehen nichts nns selbst an verschaffen, sondern
nlü.s.^('ll alles von den Deutschen kaufen und sind bereit, die Augen
aus dem Kopf binangeben für alle diese unnützen Dinge, wie
^ Es gab Ausnahmen, s. B. Bnckiagham.
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208 Ein Kleidarrafonnprojekt tot IPoier dem OrofMo.
Seide, Ferbetoflfo, Gold, Perlen n. s. w., und wollen dam nicht
einmal von den Deutschen lernen, wie man sich praktisch kleide.*
^Ob ein Kleidungsstück zweckraärsig ist. hängt vom Zuschnitt
desselben ab. Die Deutschen halten strenge Winter ohne Pelze
auB, wir dagegen, wenn wir nicht vom Scheitel hui zur Sohle in
Fehn eingehüllt sind, leiden von der Kfilte. Anoh die Deutschen
mfiflsen, jsohald nie unsere Kleidung annehmen, siioh der Pelie
bedienen; dies kommt Ton dem gana unaweckmSTsigen Zuschnitt
nnserer Kleider. Die Deutschen, Italiener, S|)anier leben in
wärmeren Klimaten als wir, sind aber durch ihre Kleidung weit
besser g^n das Wetter geschützt als wir, die wir eines solchen
Schutiea viel mehr bedttrfen. Unser Land ist eines der kftltesten,
regnerischsten yon allen, und doch ist unsere Kleidung so un*
Bweckmäfsig, dafs, wenn jemand sich vorgesetat hfttte, eine recht
teuere, unzweckmäfsicre, undauerhafte Kleidung zu erfinden, er
nichts so Schlechtes hatte aussinnen k >niien, als was wir haben.
Das alles sehen die Ausländer und halten uns für ganz un*
Temfinftige Leute; sie verachten uns deshalb. Mir wollte vor
Unmut das Hsn brechen, als ioh in einer Stadt des Auslandes ^)
die russischen G^esandten mit Perlen und allerlei Sehmuck zur
Audienz fahren sah ; sie steckten in so engen Kleidern, dafs sie
gar nicht im mindesten mit Würde auftraten und von allen Leuten
nicht 80 sehr mit Staunen als mit Bedauern betrachtet wurden.''
Nicht wie die japanischen Gesandten in neuester 2eit
in europiischer, sondern in einheimischer Tracht pflegten die
russischen Gesandten im siebaehnten Jahrhundert im Auslande
SU erscheinen. Selbst Frans Lefort, welcher an der Spitze der
GcsandUchaft stand, die 1697 und it>ü8 einen Teil Europas be-
reiste, und an welcher Poter der Grofse als „Ji'reiwiliiger" teil-
nahm, ersdiien bei feierlichen Gelegenheiten in mssisehem Kostttm»
obgleieh er sonst nicht in russisdier Tracht ging und auch sein
in HoUand gemaltes Bildnis ihn in westeoroplisoher Kleidung
enoheinon lUht Er moohte sich allerdings in der letateren statt-
WahrscheialiGh in Wien.
"V
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£in Kleiderreformprojekt vor Feter dem Crrufsen. 209
lieber ausnehmen» als im langen, knappen Kaftan, wie denn auch
die Zaren seihst in ihrem altrtissischen Kobiiiin wühn-nd des
siebzehnten Jahrhunderts nicht sehr gut auBsabeu. Kriabauitsob
iMmerkt in dieser Besiebnag:
, Wer niclii glauben will| wie bXJbUch wuere Kleidung andern
YSlkem eceoheinen mfleaei der betraehte nur die Portritts aos-
ländischer Könige, besonders, wenn sie su Pferde abgenommen
sind, und er wird den Abstand zwischen der ausländischen und
russischen Kleidung erkennen.
Und freilioh, wenn wir etwa die Bildnisse Michails, Alexeis,
Feodors, wie sie in den Werken von Olearios, CoUins, l(eyer>
berg a. a. an sehen sind, mit dem in London TOn Kneller ge-
malten Porträt Peters des Orofsen vergleichen, so erscheint der
letztere in europäischem Stuhliutruibch und Hermeiiuiuantel bild-
schön neben d- n unbeholfenen, schwerfälJigen, von Gold, Edel-
steinen und Perleu strotzenden Figuren der firüberen Zaren. Unser
Yer£user kommt daher au folgendem Sohlusse:
„In der That : entweder wir müssen die widerwSrtige Kleidung
gegen eine andere vertanscbenr oder wir dürfen nie und nimmer^
melir Gesandte nach Euroj)a schicken, ohne dafs ihnen auf Kron-
kosten andere Kleidung gegeben werde, wenn anderi» wir wollen,
dafs die andern Völker uns nicht verachten."
Über die Dorcbfülumng einer Kleiderreform ftuTsert sich
Krishanitsch wie folgt:
,,Aus allem dem Gesagten folgt, dab die Kleiderfirage der
Beachtung und Sorge des Fürsten wert sei, und dafs er daiiiui
sinnen müsse, eine bessere, zweckmäfsigere Kleidung »'inzuluiiren.
Sonst kann es leicht geschehen, dafs etwa eine Erfindung, die von
unbedeutenden JLeuten, Bohneidem oder jungen G-ecken kerrübrt,
mit der Zeit Kode wird, so dab die Tomehmen und sogar die
Fflrsten aueh derselben folgen. So soll es aber nicht sein, sondern
es müssen die von den Höberen aufgestellten Begeln von den
Niederen befolgt werden."
Er erzählt nun eine Geschichte von einem bulgarischen Fürsten,
welcher alljährlich seinen Bojaren awei Festmahle gab , eins im
Brtokncr, BvlUa&dL 14
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210 Kleiderreformprojekt vor Peter dem Grofaeu.
Sommer und eint im Winter: er enoMen dabei in einer Eleidong,
welche durchaus nicht auH auf, I indischen Stoffen, sondern von ein-
haimischer WoUe oder Leinwan i u*lt r einheimischem Leder gut uud
sweckiuafsig gearbeitet wer. Damit habe der Füret seinen Unter-
tiumen die Lehre geben wolleSi dafe man einbeimisobe Stoffe piobt
Teraofaten dfirfe. An hohen Festtagen und ba Aadiennen hüten
die bnlgerischen Bojaren eehdne Kleider getragen , aber keine
Perlen und kein (xold. Auch erwähnt er der Im z ihlung Suetoiis,
Auguätuä habe keiue audera Kleider getragen, als solche, die von
seiner Gemahlini seinen Sehwestem, Töchtern und Mägden ange»
fertigt gewesen seien» wie er denn fiberliaapt in seiner Kleidang
weise Sparsamkeit beohaohtet habe. — Wie sehr das Beispiel des
Fürsten starken EinfinJe ttbe, seigt er femer an Alexander dem
Grofseii, der aus einer ATischung von persischer und makedonischer
äitte eine neue Kleidung erfand , erstens um die neuerworl)enen
Unterthanen sich günstig zu stimmen, und zweitens, um zu aelgeo,
dals nicht die Unterthanen dem Könige ein Beispiel geben soUeo,
sondern umgekehrt, der König den Unterthanen. £r sei ein
Philosoph gewesen nnd habe den Unterthanen eine gatoi sweok-
märsige Kleidung verschaffen wollen.
Krishanittich schlagt uuii vor, die Einführung neuer Kleider
zuenst beim Militär zu versucheu. Es sei dies, meint er, nichts
Neues, da ja ohnehin die Leibwächter der Fürsten eine besondere
IJniform au baboi pflegten, wie dam die Janitscharen bei den
Türken sieh dnroh besondere KopfbeklMdnng ansaeiehneten, und
in den Staaten Enropas die LeibwSchter der Fflhwten Kleider
L;il)L ii. welche nicht so sehr durch die Farbe als dm eh d« ii Schnitt
sich von den Kleidungen der andern Leute unterscheideu. Ho
etwas rerleiht dem Fürsten Ansehen; auch komme eine solche
Uniform billiger au stehen. So lange keine bestimmte Kleidung
ftlr die Qardisten vorgesehriehen sei, suche jeder derselban doli
anf beeonders kostspielige Weise sn schmücken.
Eä war diiiuit im (inindo dasselbe ausgcsiiroclion. was [^3ler
uud dessen Nachfolger in Ausführung brachten. Die Unitormicrung
des Heeres in eoropäisoher Weise, welche bereits unter Peter be-
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£m Kleiderrefonnprojekt vor Peter dem (jhrolsen. 811
begann . hat mehr als alle andern Mafsregein dazu beigetragen,
in BuTsIand die westeuropäische Kleidung su verbreiten. Wollte
man mit Europa auf gleicher Stufe stehen, so mnüite nuin eineii
Kampf wagen gegen earopiUwhe Heere. Daan aber war erforder-
Uehy dab man das nueisehe KUitir nach eoropiiBehem Mnsier
nmmodelte. Mit den unförmlichen Kleidungen und schlechten Waffen
der früheren Strelzy, der Kosaken und Baschkiren u. s. w. konnte
man nicht viel ausrichten. 80 erschien au allererst das russische
Heer nicht mehr in asiatischer Kleidongy scmdeni In enropftiicher*
Es war der giolae GegensatB, anf welchen wir in der Einleitiuig
nnserer Abhandlung hinwiesen, der Gegensata, welohen Krishanitsch
an die Spitze seiner Betrsohtnngen Uber die Kleidungen stellt,
wenn er sagt: „Alle verschiedenen Trachten können in zwei Arten
geteilt werden : in orientalische, etwa wie bei den Persern, Griechen,
Slaven, Türken, Tataren, Ungarn nnd in enrop&tsche, wie bei den
Dentsohen, Franiosen nnd andern Völkern. "
Es war der Grandgedanke der Kleiderrefonn Feters des
Qroi^en, das Orientalische gegen das EnropÜsohe an yertansohen,
er ging dabei von demselben Gesichtspunkte aus, den Krishanitsch,
als echter Breformer, mit bewunderungswürdiger Klarheit festättjllt,
wenn er in seiner Abhandlung über die Kleidung bemerkt : „ Wenn
jemand ssgt, man solle das alte Herkommen nicht Tcrletsen, so
entgegnen wir: IrrtOmer, aach wenn sie noch so aH sind» mu(s
man ablegen."
14*
Laurentius Einhuber.
L
Wiederliolt itt in der letsten Zeit danraf bin gewiesen worden,
dafs der Einiiufa Westeuropas auf Rufsland bereits mehrere Jahr-
zehnte vor der Regiernng Peters des Grofseo stärker gewesen
sei, als man bisher anzunehmen geneigt war. Die Eratarkung
dieses Einflnsses gehdrt sn den aniiehendsten nnd wicbtigstenr
Fragen der G^eschiohtsferscfanng ftberhanpt. £s mehren sich die
BerfQirangfimnkte swisohen dem Staate ICoskaa nnd den höher
kultivierten Nationen des Westens; die Intensität der diplomatischen
Beziehungen ist während der Regierung des Zaren Alexoi Michailo-
witsch in einem raschen Steigen begriffen ; die Zahl der in Ruis-
land lebenden Ansl&nder schwillt an; das Ansehen, welches sie
geniefsen, wichst; ihrer Thftti^eit fiffiiet sich ein immer größerer
Spiebanm.
Zn den fesselndsten Erscheinungen in diesem Prosefs der An-
näherung Rufslands an Europa lorehört Laurentiuf; Rinhuber , auf
dessen Leben und Wirken wir in den folgenden AuBführungeOi denen
Bahlreiche Akten ans sächsischen Archiven au Grunde liegen, auf-
merksam machen woUen.^)
*) Im kgl. Staatsarchiv zu Dresden finden sicii viele Gc^cliättspapiero,
in denen Rinhubers erwähnt wird. Der hcrzo«:]. Bibliothek /u Gotha
sind die Aktenstücke entnommen, welche jüugül in dem Buche „Re-
lation dn Toyage en Rnssie fait en 1684 par Laurent Rin-
hnber*, Berlin bei Albert Cohn, 1888, vetdffentlicht worden nnd welche
zum Teil Beck in seinem Bnche über Exnit den Frommen (Weimer
1886) benutste.
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fil6 Lwirentiiis Binhnber.
Die betrftchtUche Ansahl Dentachor, welche tun die Uitto
des 17. Jahrhunderte in MoBkan lebten, Teranlafete die denteohen
Regierungen, den russischen Angelegenliciten eine gewisse Auf-
iiH'rk^anikeit zu widmen. Man suchte sich in Deutschland durch
die in Bufsland weilenden Deutschen über die Zustände des nur
wenig bekannten mächtigen Beiches im Osten allerlei Nachrichten
zu verschaffen. ICaii hatte auch wohl hin und wieder Gelegen-
heit, den einen oder den andern der answandemden Dentsehen
dem Wohlwollen des Zaren oder seiner Räte zu empfehlen. Man
hoffte durch kommerzielle und politische Beziehungen mit Rufs-
iand sich allerlei Vorteile zu Teracha£fen. Man bedurfte der An-
teilnähme der Moskowiter an einem Kriege gegen die Türken.
Ans Sachsen waren in den f&nfiriger und aeehsiger Jahren
des 17. Jahrhunderts manche HUitfirs, Teehniker^Oeistiiche u. s. w.
nach Rnfsland aasgewandert. Diese nnterbielten einen Brief-
wechsel mit ihren Verwandten und Freunden daheim und ver-
mittelten zwischen der rusBischen Jäegierung, welciie noch mehr
Ausländer zu berufen wünschte, und den answandemngslustigen
Landslenten.
So a. B. war im Oktober 1654 ein Offiaier, Ißkolans Ban-
mann, in mssisohe Dienste getreten ; ihm war der Auftrag erteüt
worden, u. a. in Kopenhagen noch andere Militärs für den Heer-
dieuBt im 8taate Moskau anzuwerben ; er hatte die Berufung des
Geistlichen Vockerodt als Pastor der lutherischen Gemeinde in
Moskau yermittelt; in den kirchlichen Angelegenheiten der soge-
nannten Mdeutsehen yofstadf* spielte er l&ngere Zeit hindurch eine
hervorragende Bolle; eine Zeit lang föbrte er den VorsitB im
Kirchenkollegiuiu. Mit dem Herzog Ernst von Sachsen und dem
Kurfürsten Johann Georg stand er im Briefwechsel. ^)
^) Über den Obersten Baumann finden sich viele Angaben in
Fecfaners „Chronik der evangelischen Qemeindea in Moskau* 1, 889 ff.
sowie bei Beck, Emst der FrommCt Wmmar 1866. hk Qordons Tage-
buche ist seiner nur ganz kurs erwibnt (1, 888, 847). Aus einem Akten-
stück im Dresdener Archiv ist u. a. zu ersehen, dafs er einen Kalmücken-
jini'r»^T! gekauft habe. Ebenrlort eine Anzahl von Schreiben Baumanns
an E.urfur8t Johann Georg IL ifemer ein gedrucktes Lobgedicht auf
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LAttventiiis Rinhaber.
917
Im Jahre 1663 gab der KnrfQnit tod Saehsen etnem Ar*
tiUeriBten, Kamene Klengel, welcher in meuMlie Dienste tarati
einen Empfehhingsbriof au den Zaren mit. ^)
ITm dieselbe Zeit ungefähr wanderte der Pastor Johann
Gottfried Gregorii nach Rufsland ein, wo er längere Zeit wirkte
und in den innerhalb der Lutheraner der deotsohen Kolonie ent-
standenen Streitigkeiten als Parteigenosse des Obersten Baomann
eine hervorragende Bolle spielte. Gregorii ersduen wohl anoh
dazwischen als Vertreter der Interessen der deutschen Kirche zu
Moskau in Dresden , um den Schutz und die materielle Unter-
stützung der sächsischen Kegieruug zu erbitten. Er und Bau-
mann veraniafsten den Austausch einer Beibe Ton offiaiellen
Schreiben swischen dem Zaren Alexei und dem Kurfttrsten Jo-
hann Georg n. In Angelegenheiten der Deutschen schrieben
der letstere und Herzog E/mst nicht blofs an den Zaren, sondern
auch an russische Würdenträger, wie etwa den Fürsten B.omo-
dauowskij ~) oder den Minister Artaraou Ssergejewitsoh Matwejew.
Im Jahre 1667 vermittelte der Pastor Ghregorii die Über-
siedelung eines hervorragenden Medisiners, des Doktor Bhunen-
trasty nach BuTsland. Derselbe war dem Zaren von dem Obersten
Banmann empfohlen worden und wurde Iieibarst Alezeis. ^) Er
die Heldentfaaten Baumaons in der Schlacht bei Konotop im Jahre
1669 u. 8. w. Wertrolles Material zur GeBchiehte Beumanna findet tich
in der neuerdings erschienenen vortreHlichen Hon^^pmqphie ZmjetigewB
.,Zur Ge^ichichte der aualändiBchen Konfessionen infialÜsttd'' (rostiflch),
BLoakau 1B86.
*) Akten im Dresdener Archiv.
*j Akten im Dresdener Arcliiv. Uber Gregorüs Erscheinen in
Dresden im Jahre 1667 s. Fechuer 1, 304 ff.
") S. Bichter, Geschichte der Medizin in Bufsland 2, 299; das
Originalachreiben Alexeis an den Eurfünten von Sadisen, die Benifong
Blnmentrostt betreffend, im Dresdener Archiv. Es Terdient Beachtung,
weil dsrin gessgt ist, die in msiische Dienste tretenden AnsUuider
konnten jederzeit nach ihrem Bdieben in ihre Heimat cntlasKcn worden,
ein Versprechen, das später sehr oft nicht gehalten wurde. Das an den
Dr. Laurentius Blumentrost ^rf^nrhtete Vokationsschrciben des Zaren ist
abir'''lrii('kt in der oben erwähnten Edition „Relation da.voyage en
Kusäie iait en 1(>84 par Laurent iiinhuber" S. 17 — 18.
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218 Laurentius Einhuber.
nahm eine solir angesehene Stellung ein, war aber dazwischen
mancherlei (gefahren und Verfolg^ungen ausgesetzt; bei dem Auf-
stande der Strehiy jm Jahre 1682 wäre er von dem Pöbel um-
gebraoht worden, wenn nid^ die PiinieBsin Sophie für die Er-
haltnng seinee Iiebens eingetreten w|re; eeuie 89lme nahmeo
ebenfidb bedenteode Stellungen in Bnblaad ein; er selbet itvb
im Alter von 86 Jahren 1705 in Koskao,
Als Blumentrost im Jahre 16G7 nach Rufsland ging, bedurfte
er eines Gehilfen, eines Assistenten. Seine Wahl hei auf Laa-
rentios Binhnber. So kam dieeer mm ereten Male naoh Moekao.*)
Dm G^bnrtqahr Binhubere iat nickt m ermitteln. In einem
Schreiben an den Hereog Friedrich teilt er mit, dafe aeine Wiege
in dem JPleokmi Lncka bei Meifsen gestanden habe. Die Familie
lebte in bescheidenen Verhältnissen ; indessen erhielt er eine gute
Schulbildung und besuchte sieben Jahre hindurch das (iymuasium
zn Altenborg. Den Vater verlor er früh nnd mnfate cum Teil
dnreh Unterriehterteileii aich den LebenaonterhaH veraohaffen.
Ein Stipendium verlieh ihm die Möglichkeit , aich aeoha Jahre
hindurch an der Vnivendt&t Leipzig dem Stndinm der Medisin
zu widmen. Noch ehe er seine Studien vollendet hatte, bot sich
ihm die Gelegenheit dar, den Doktor Blumeutrost nach Anlalaod
zu. b^Ieiten. -) So entschlofs er sich denn zu der weiten Beiae.
Der XJmatand, dab er aeine Stndien nicht vollendet hatte , mag
daan beigetragen haben« dafa er in aeinem ganaen apftteren Leben
die iratUche Knnat gewiaiennalben nur gelegentlich aiuftbte nnd
mehr in der Eigenschaft eines Touristen und Diplomaten za
wirkeu suchte.
Ztmächst blieb Rinhuber in Kufsland, wohin er später wieder-
holt aurückkehrte, fMf Jahre. £a waren die letaten Jahre der
*) S. Riuiiu])ers Schreiben an den Herzog' Emst von Sachsen vom
18. März 1673 iu der bei Cohn ersehienonen Edition S. 27.
*) Er sagt von Blumeotroet: hoc studiosam quendam Medicinae
Lipdae quaerente obünui verbo sodeiatem itineris vu t. w. Belation S. 97.
*) Er schrieb im Marz 1678: Moeoovia qoinque annis mea nutrioe
relicta. Cohn 8. S6w
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Lftorentias Kixibuber.
219
Bogioirmg de« Zaren Alezd. Die Ansllader erfreaten nch dft-
malö einer wohlwollenden Bebandhiiig von Seiten des Herrschers
und seiner Würdenträger. Die ,,deutöclie Yorstadt" bei Moslcau,
einem Ghetto vergleichbar, war in raschem Aufachwunge begriffen.
Man bedurfte der amländiiichwi Arste und Apotheker ; Aneländer
dienten ak Dolmetsoher im anawlrtigen Amte; der «oswirtige
Handel Hnitlands befimd lieh faet anflaehUeTslieh in den Blinden
der Holländer, Engländer und Deutschen; die Offizierstellen in
der rusbiöchen Armee waren zu einem grofscn Teil mit Aus-
ländem besetzt. In dem Bojaren Matwejew, welcher dem Zaren
Aleizei als Minister nnd Frennd aar Seite stand, hatten die Ans*
Undsr «nen wohlwollenden GQnner.
Glttohwohl hatten die Einwanderer in BoAland mit sehr
grofsen Schwierigkeiten tu kSmpfen nnd waren oft den sehlimmsten
Gefabren ausgesetzt. Das Volk hafste die Fremden und war ge-
neigt, sie zu kränken und zu verfolgen. Der Maugel an Rcchts-
Bcbatz machte sich darin fühlbar, dafs die mit den Ausländem
abgeschlossenen Dienstkontrakte oft in der willkttrlichsten Weise
Terletit worden. Die SSake bei Hofb bewirten sehr hinfig eine
Verschiebung des KaohtrerbKltnissea der einseinen Würdenträger,
deren Klienten bei dem Sturze ihrer Patrone sehr leicht in furcht-
bare Kriseo gerieten. Im wesentlichen war man von der Laune
der jeweiligen Machthaber abhängig. Durch Bestechung und
andere kleinliche Kittel mnHite man der Gefahr eines Glfieks*
wechseis an begegnen snehen. Anch in den Kreisen der in Moskau
und in der „deutschen VorstadV lebenden Ansllnder fehlte es
nicht an Ränken, an Neid und Mifsgunst. So war denn das
Leben der Einwanderer oft genug eine lange Kette von Kollisionen,
reich an Ycrdruis und Widerwärtigkeiten aller Art, ein schwerer
Kampf nms Dasein, als dessen wertroUste Güter änisere Ehre
nnd Geld angesehen wurden. Es war nicht leicht Karriere an
machen in Rnibland, noch schwerer, sieh auf der mfihsam er-
klommenen Höhe zu behaupten. Die Lebensgeschichte Gt>rdons,
Leforts u. a. ist reich au unerfreulichen Episoden.
Aach Kinhuber, wie die beiden Männer, in deren Gesell-
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330
Lanrentiiis Binhaber.
solwft «r 1667 oder 1668 nach BoTalaiid htm, Blnmentrott und
Gregoriit hatten mit all^ri Schwierigkeiten zn kftmpf^ und
wurden vielfach angefeindet. Bauinann nnd Greporü hatten sich
wegen verschiedener ihnen schuldgegebener Vergehen zu verant-
worten; die Streitigkeiten der Parteien in der lutberiechen Ge-
meindoy an denen Btnhnber keinen unmittelbaren Anteil genonunen
sa haben scheint^ Terainlabten eine nnUebeame Interrention ma-
Bischer Behörden. Blnmentrott wurde Terlenmdet: er eei kein
eipcnt.licher Doktor der Medizin, beherrsche das J^ateinische nicht
ausreichend u. dergl. Es dauerte eine Weile, ehe der ausgezeich-
nete Mann sich eine angee^ene Stellung erwarb und von seinem
Wuaea nnd Können unaweifeUiafle Proben ablegen konnte*')
Binhuber seheint eine Zeit lang eme Art Haualehreratellnng bei
Blumentrost eingenommen su haben.*) Zugleich aber aetste er
seine medizinischen Studien fort, indem er an der Hoffnung fest-
hielt, dieselben zn einem Abschlüsse zn bringen. *) Sodann er-
teilte er in einer Knabenschule Unterricht.
Alsbald bot sich eine Gelegenheit dar, auch in eine gewisse
Berflhmng mit dem Hofe au kommen. Bs war dem Einflnsse
westenropfiisoher Sitte snansdireiben, dals in Hoskau der Gedanke
auftanchte, den Zaren mit dramatischen AnffÜhrungen au belustigen.
Dergleichen hatte man in KuTsIand noch nicht gesehen. Um ein
ScIuulspielerperBonal berananbilden , geei^ete Theaterstücke zu
Terfassen nnd zu insoenieren, bedurfte mau der Ausländer. Der
Pastor Gregorii wurde beauftragt» ein Drama au schreiben. Mit
Hilfe Binhubers Ter&fste Gregorii sine Tragikomödie ,|AhaBTerus
und Esther**. Brei Monate hinduroh unterzog sich Binhuber der
Mühe, f)4 junge Leute, meist Söhne ausländischer Offiziere und
Kaufleute, in deu Bchulräumen der lutherischen Gemeinde im
„ezercitio Gomico**, d. h. in der Schauspielkunst su unterrichten.
*) S. eine Menge Binselheiten in Fediaers Chronik der evangelischen
Gtemeindcu in Moskau und in Zmjetajpw«? Buche.
') S. Rinhubers Mitteilung in der Relation S. S8.
'*) filumentrostij filiam in literis erudivi*
') RelaUon S. 29.
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Laurentius Kiuiiuber.
221
Die Wirkung war zufriedenstellend. Als die Auftulirung am
17. Oktober 1672 stattfand, hatte der Zar Alexei so viel Grefallen
darttDy daTs er zehn Stunden hindurch imbew^Uch dem Spiele
snseliaute. Mit besonderem Erfolge spielte ein Solin des Doktors
Blnmentrosty welchem eine Hauptrolle in dem Stücke sngefallen war. *)
Der Zar drückte den Schauspielern nnd Dramaturgen seine
Zufriedenheit aua. Nicht uinsotiBt liotfte Rinhuber , dafa diese
Episode ihm zu weitereu Erfolgen verhelfen werde.") Obgleich
dergleichen dilettantische Leistungen dem eigentlichen Berufsleben
Binhubers, der Hediain, gans fem lagen, so waren sie doch ge-
eignet, die Anfmerksamkeit hochgestellter Mftnner auf seine FShig*
keiten und Kenntnisse am lenken. Es bot sich ihm eine Gelegen-
heit zu einet diplomatischen Thätigkeit d&r.
II.
In jener Zeit stand auf dem Gebiete der answ&rtigen Politik
die orientalische Frage an erster Stelle auf der Tagesordnung.
Kan empfand sehr schwer die Übermacht der Tflrkeii welcher es
gelungen war, im Kampfe mit Polen bedeutende Erfolge zn er^
riupen. Türkische Trappen waren siegreich vorgedrungen, hatten
die ätadt Kamenjez-Fodolsk besetzt. Der Umstand, dafs Klein-
rofsland, die soeben erst mit schweren Opfern erworbene neue
Provina des Staates Jioskan, geneigt war, mit den Türken gemeio»
sohaiUiche Sache an machen gegen Polen und Sofsland, liels die
Situation um so bedenklicher erscheinen. Es tauchte der Gkdanke
auf. einige der europäischen Mächte zur Bildung einer Koalition
gegen die Übermacht der Türkei zu veraulasaou. So allein konnte
man hoffen, die Lage der Polen zu bessern. Oft genug hatten
Polen nnd Moskau einander feindlich gegenüber gestanden. Jetst
ersdiieneu ihre Xnteressen solidarisch. Dbt Zar fühlte sich be-
rufen, an die Fürsten Westeuropas einen Mahnruf au richten,
dafs man alles an alles setzen müsse , um ein gÜnsHchea Unter«
>) Fechner nach Ticfaonrawow 1, 869. Relation 8. S9— Sa
*) Bes haec certe meliorii fortunae erit initium.
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222
Laurentius Hinbuber.
liegen der Polen zu verhindern. So tauchte denn der Qedanke
auf, eine Gesandtschaft an verschiedene Höfe zu entsenden und
auf diesem Wege, wenn möglich, eine allgemeine Erhebung g^en
den Enfeind dar Chnitenlieit sostande sa biing«]!. Es war ein
ktUmeB Unternehmen. Der Staat ICoslna hatte hU dahin keinen
Einflnfs in Europa gehabt, nnr anwiahmaweiae diplonuttiaehe Be>
Ziehungen mit den andern MSchten unterhalten. Jetct ergriff er
in der wichtigsten Angelegenheit des ganzen europäischen Staaten-
wesens die Initiative.
Es lag nahe, an die Spitze der mit so sohwerwiegendem
Anftmge betrauten Geaandtachaft einen Ausländer so stellen, einen
Hann, welcher, ebensowohl vertraut mit den enropSisohen Ver^
htltnissen, als dnreh seine Lebensstellung mit BulUand verbunden,
weltmännisch i i lufn L a, sprachgewandt und gebildet, zu der Rolle
eines Yertreters Üulälands in Europa sieb eignete. Es war der
Sohotte Meneses, auf welchen die Wahl fiel.
Paul H-eneses war als Kapitän im Jahre 1661 in russisohe
Dienste getreten. Ebenso wie sein Landsmann und Freund, Patriek
Gk»rdon^ welcher um dieselbe Zelt nach Bufsland einwanderte,
hatte Meneses im Jahre 1662 den Wunsch, im Öefolge einor
russiBchen Gesandtschaft eine Reise nach Persien zu unternehmen,
ohne jedoch die einem solchen Uuteruehmen sich entgegenstellenden
Schwierigkeiten fiberwinden au können. Indessen fehlte es ihm
auch in Moskau, wo er verblieb, nicht an Eifddgen« Br heiratete,
erhielt den Bang eines UagorB, leistete der Eegiemng als lOlitir
bedeutende Dienste in Smolensk und genolk das Yertranen des
Zaren und einiger Würdenträger.*)
Es geschah nicht selten , dafs Ausländer , freilich vorzugs-
weise solche y welche bereits längere Zeit in Rufsland geweilt
hatten, au diplomatischen lOssionen verwendet wurden. 8o reiste
wohl Patrick G-ordon im Auftrage des Zaren an den Hof Karls II.
nach England, so war EeUermann russischer G^esandter in Venedig
im Jahre 1667, so reiste WiniuB im Jahre 1672 nach England,
0 S. Gordons Tagebach, heraiisgegeben von PosselA, 1, S60. S90.
808. 814. 816. 861.
J
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Lttureiiiiu« Binbaber.
928
Frankreich und Spanien n. dergl. m. Et mochte im allgemeinen
dem Staate Hoskan mehr Ansehen nnd Gewicht in Europa ein-
tragen, wenn derselbe dnrdi enropiiseh gebildete, weltkundige,
verschiedene Sprachen ßprechende Stxiatsiiiänner vertreten war,
als wenn Russen ohne allgemeine politiflche Bildaug, au der Spitze
der Gesandtschaften stehend, für den Verkehr mit den Fürsten
und Ministem anderer Staaten auf die Yermittelnng von Dol-
metschero angewiesen waren.
Insbesondere galt Ueneses ttberaU, wo er aoftrat, als ein
tächtiger , erfahrener und o;ewandter Mann. Er sprach und
schrieb ein elegantes Lateiu. Er beherrschte das Französische. Im
Auslände bewunderte man bei Gelegenheit seiner grofsen Qe*
aandtschaftoreise seine Geschfiitserfahrong. „Er sei,** hiefs es,
«ein feiner KaraUer nnd wisse mit den Leaten nmsngehen.^ ^)
Han machte die Bemerkung, dab dieser moskowitiscbe Gesandte
„mit einem ganz andern Air agieret, als man bisher von dergleichen
Gesandtschaften gewohnt gewesen." ^) In Venedig bewunderte
man seine Sprachkeuutnisse und seine Beredsamkeit. Man nahm
gern wahr, dafs der Gesandte selbst, sowie der größte Teil
seines Gefolges, nicht in der damals bei derartigen Gelegenheiten
Üblichen rususch-asiatischen , sondern in firaniSeiseher Tracht
erschien.*)
Unter solchen Verbältnissen mufste Laurentius Rinhuber es
ftlr eine hohe Gunst des Schicksals halten , dafs Meneses , ein
schottischer Baron, ein Edelnmnn — er fährte den Beinamen
„Ton Pitfodflls* ihn aufforderte, als LegationasekretKr an der
Beise nach Berlin, Dresden, Wien, Venedig und Bom teilan-
nehmen. Es geschah dieses an demselben Tage, an vrelchem die
▼on Gregorii und Rinhuber inscenierte Tragikomödie „Ahasverus
und Esther" aufgeführt wurde.*)
Berliner Archiv.
') Schreiben Berlepschs an einen kurtiUshstiohen Beamten aas Biele-
feld im Dresdener Archiv.
*) Archiv in Venedig.
*) Hoc ipso die Xobilis Dominus Paulus Menesius. .. mesibi volebat
socium itineris. Jttelation S. 80.
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234
Laurentius KinhtÜMr.
Kinhubers Entschlufs war, scboell gefafst. Er Bcheint in
Hoskaa nicht als Arzt thätig geweaen aa sein, aondern, wie oben
bemarkt wurde, eine niohtoi&zielle Stelle eingenommen an liaben.
Qleichwohl mufste er bei dem Bojaren Hatwejew am seine Ver^
abschiedliDg bitten und seine Funktionen , über welche wir im
übrigen keine Keuutni« liaben , für die Zeit seiner Abwesenheit
von einem Stellvertieter versehen lassen. £r gedachte nach
Moskan sttrttokankehren.^)
Die Beiae der Gkaandtacbaft nach DeatacUand und Italien
w&hrte anderthalb Jahre, Ton Ende 1672 bis An&ng 1674.
I>ie mssisohen Akten dieser Gesandtsobaftsreise des Majors Heneses
biud n och nicht veröfifentlicbt worden. Über Kinhubers Anteil
an den Geschäften, über aciae persönlichen Beziehungen zu dem
Chef der Gesandtschaft haben wir so gut wie gar keine Nach-
riohten. Dals er als „Legati Seeretarina'* fungierte, unterliegt
keinem Zweifel.
Bei Gelegenheit seines Aufenthaltes in Dresden im H8n
1673 richtete Kinlmber ein längeres, in hiteinischer Sprache ver-
fafbt^s Schrei l)eu an seinen Landebherru, den Herzog Ernst von
Sachsen. Er bedauert, nicht pcrsönltcb vor dem letzteren er-
scheinen zu können, aber die Eile der Barohreise sei ein un-
(ibersteigliches Hindernis. Lidem er die politischen Verhältnisse
darlegt, welche die Absendung des Heneses nach Deutschland
und Italien veranlafsten, erwähnt er der Audienz, welche Ueneses
bei Bielefeld in der Burg Sparenberg beim Kurfürsten von Branden-
burg gehabt habe; hierauf, fährt er fort, habe sich Heneses nach
Dresden begeben, wo er dem Kurfürsten Johann Georg ein Schreiben
des Zaren flberreioht habe. Sodann geht Binhuber auf seine
eigenen persönlichen Verhültnisse über, erwShnt seiner Kindheit
*) A Domino Artefticiie Sergeiovitio dimissionem impetravi, alio
interim lucum supplente locum u. 9. w. Relation.
') Es hält»,; dieses in dem 10. Baude der sehr schleclii edierten
„Denkmäler der diplomatiecheu Beziehungen", St. retersburg lö72 (ruBs.)
gesdiehen müssen.
*) Als solcher ist er in einem Verzeichnis des Personals der Gesandt-
schaft von 1678 im Dresdener Archiv vermerkt.
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Laorentius Jäinhuber.
226
und Jngend, der Lage seiner Mutter, seiner Erlebnisse in Moskau,
seines bei der Mutter lebenden minderjährigen Bruders ; zum
Scfalnaae bittet er den Henog, seiner Matter eine rflckatftndige
Stener im Betnge Ton 90 Qnlden erleaeen in wollen, nnd be-
merkt, er werde ipitter oder firfilier in seine Heimnt snraetteliTen:
jetst eile er im Gefolge des Gesandten nach Wien und Italien. ^)
Binhuber erreichte seinen Zwek. Der Herzog Emst traf
Anatalten, dafis der Mutter des Bittstellers die rückständige Steuer
erlassen wurde. Zugleich aber wnrde der Agent des Henoge
in Wien, Tobiaa Sebutian Frsany beraftnigt, bei Gelegenheit
der Anwesenheit der moskowitisehen Geouidtsohalt in der Kaiser*
Stadt den Legationssekretftr Lanrenüns Rinhnber sn „explorieren",
d. ii. iliu soweit auszuforschen , um zu entscheiden, ob man ihn
wohl zu „einer und andern Angelegenheit gebnMichen könne''.
Der Herzog sprach den Wunsch aus, in Moskau einen Agenten
anaostellen, welcher Aber die Iiage der evangelischen Kirche da>
selbst Ansknnft geben und welchem man daswisohen einen Anf*
trag erteilen kSnnte. ZnnSehSt sollte Binhnber aufgefordert
werden, einen Bericht über dtiii Stand der evai)gelischcn Ivirche
in Moskau und über „den Statum des Landes in Ecdesiasticis
und Poiiticis knrtz und nervöse zu entwerfen*'.^
Ans diesem Schreiben des Heraogs Emst erfishren wir, dafs
Binhnber Ton seinem Yoxgeaetsten, dem M^or Kenesee, den Anf>
trag erhielt, nach Wien ▼oranssnreisen. Hier, in Wien, muTste
er nun im April 1673 den gewünschten Bericht verfassen. Der
als Gelehrter, insbesondere als Geograph bekannte Job Ludolf
verfaTste ein Aktenstück „Puncta, worauf des Muskovitischen Ab-
gesandten Secretarins Lanrentins Binhnber in beiragen''. Die-
selben betreffen den Stand der evangelischen Kirche in MSosfcaa,
die Streitigkeiten der Parteien innerhalb derselben , das Schul-
wesen^ die Lage des Doktors Blumentrost u. s. w.
») Kelation S. 22—31.
^ S. das Schreiben an Pmnn in der Edition »Relation n. i. w."
& 84 bis 88.
•) S. die „Fmurta« & 89.
Bta«kB«?, ifaiMtaa. 16
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226
Lanrentti» RinhnUer.
D«r in lateinischer Sprache ahgefafsto and „Wieo 15./25. April
1673'' datierte Bericht Rinhnbers ist an den Kanzler des Her-
zogs Ernst, Johann Thomas. L^orichtot. \) Hier erwähnt er u. a.
des Olearius, als eines bedeutenden Schriftstellers über Bufslaud,
geht auf Einzelheiten der Zwistigkeiten innerhalb der evangelischen
Kirche in tfoskan ein und entwirft eine Schilderung der Sitten*
losigkeit, welche in den Kreisen der Ausliinder in Koshan herrschte.
Sehr entrüstet änlsert sich Binhaber» dafs die Denteohen den
russischen Gerichten so viele verbrecherisdie und unsaubere Epi-
soden zur Aburteilung darzubieten jillegten. Er führt einig©
Beispiele von Unzucht und Gewaltthätigkeit an. Für den Zaren
Alexei hat Binhuber Worte des Lobes; früher habe man wohl
gesagt, dafs die Hacht des Zaren durch drei Umstände bedingt
werde: 1. das Verbot aUer Wissensehafty 2. die Einheit der ms-
sischen Kirche, 3. das Verbot des Reisen s. Jetzt aber seien ganz
andere Grundsätze zur Geltung gelangt: nicht auü Furcht vor
Strafe werde der Zar von seinen Unterthaoen verehrt, sondern
um seiner Tugenden willen ; es herrsche in religiösen Dingen
die grofste Duldsamkeit. Am Schlüsse seines Berichtes bemerkt
Binhnber, er beabsichtige, wenn er nach Moskau surfiokgekehrt
sein werde, das russische Gesetsbneh, die „üloshenije'' ( vom Jahre
1649), in das Lateinische zu ühersetzen und ein Werk „üuääia
ecclesiasticu-].oiitica" zu verlusäeu. ^)
Kinhubers Bericht scheint dem Herzog und dessen Räten ge-
fallen zu haben. Prann wurde beauftragt, dem Sekretär der
moskowitischen Gesandtechaft noch weitere XMnge anr Beantwor-
tung vorsulegen. Binhuber sollte über die Person des (Gesandten,
Heneses, Auskunft geben ; auch wünschte man zu erfahren, welchen
Bescheid der russische Diplomat in Wien auf seine Vorsteliong
S. 41—59.
^ Hier finden sich Angaben, weldie in sehr wiUkommener Weise
die vielen Einzelheiten erg^lnzen, welche Fechner vor einigen Jahren
in seiner „Chronik der evangelischen Gemeinden in Moskau'* znssmmen*
stellte.
') Als Ijesoiulere Beilage zu dem lateinischen Bericht in deutsclicr
Sprache die Beantwortung der Fragen, welche Ludolf zusammenstellte.
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Lauroutius iiiuhuber.
227
erhalten habe. Ziisfleich sandte der Herzog^ diuch Praun an
Biuhuber den in hcrzo^'l ich -sächsischen Landen beim Schulunter-
richt gebraacht«n „Begriff der ebristliebeD Lehre** und verlangte
durch Binhnber za erfahreni in welcher Weise derselbe tTnterricht
in Koskan erteilt werde.
Als diese Aufträge in Wien eintrafen, war die russische Ge-
sandtschaft bt'ivitä nach A^^nedig abgereist. Praun schrieb über
Meneses: »Der Gesandte ist ein gebomer Schotte, katholischer
Beligion, hat wohl studiert und gereist, ist leutselig und läTst gern
mit sich reden und umgehen ; redet fransdsisch, welsoh, lateinisch,
auch etwas (aber nicht gern) deutsch neben der slaYonischen Sprach''.
Die Antwort der krtiserlithcn Kogieruiiüf , meldet Praun weiter,
habe in Gemeinplätaieii bestanden ; übrigens erwarte er , Praun,
von Biuhuber Kachrichten aus Venedig. ^)
Ton Sinhubers Aufenthalt in Italien, in Venedig und Born
haben wir keinerlei Nachrichten.
Aus den in den Archiven zu Venedig und lioui befindlichen,
die Gesandtschaftsreise Meneses' betreflfenden Akten erfahren wir,
dafs Meneses erst Ende Juni 167Ö in Venedig eintraf und nach
kurzem Aufenthalt nach Born weiterreiste* Koch ehe er in der
letstern Stadt eintraf, hatte man dort sehr günstige Kachrichten
über die Persönlichkeit des Gesandten und sein Gefolge, zu welchem
Rinhuber zählte, erhalten. ') Das dem (irefolge gesj)endete Tjob
wird ju wohl in erster Linie dem Gesandtschaftssekretar , Lau-
rentius Binhnber, gegolten haben. Im Spätsommer hielt sich
die Gesandtschaft in Born auf; im Oktober weilte sie auf kurze
Zeit auf der Bückreise in Venedig. Im November befand sie sich
wiedw in den sächsischen Iiandra und bei di«Ber Oelegeoheit bat
S, Kehlt ion S. 55^58.
-) Diis Schreiben Prauns vom L/ll. Juni iÖTÖ in der Kelation
S. 58— ti<».
*) Der Nuntius Varese schrieb aus Wien: »ha oon se famiglia di
• molta civilti"; s. Theiner, Konuments historiquet u. s. w. Borne 1869
S. 78. Von ihm selbst schreibt der Nuntius aus Venedig, er sei ein
„signore di maniere assai suavi e gentili e molto discreto".
15*
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228 Laurentius iiinhuber.
Rinhuber seinen Landeslierrn um eine GddimtenttttiuDg, walehe
ihm auch wohl bewilligt worden sein wird.^)
Wie Jange Binhaber auf der Bttokreise nach JCoskau in
Sachaen gewdlt habe, iit annäbeningiweiae an beatimmen. Am
97. November / 7. Beaember 1678 meldet der Kansler dee Her-
zogs Ernst dem letztern , die moskowitische Gesandtschaft werde
„übermorgen" nacli Dresden reisen. Aus den Akten des Ber-
liner Arohiv erfahren wir, dafs dieselbe vom 28. bis 31. De-
aember an „Cölln an der Spree** weilte and aodann ttber Daaaig
nach Bnfsland reiste.
Nicht sowohl die kurrdrstlicli säclisische Kegierung ula der
Herzog Ernst gedachte die Reise der moskowitischen Gesandt-
schaft dazu zu benutzen, um die in Moskau lebenden Deutschen
der mssiseben Begierung su empfehlen. In der Bibliothek au
Gotha haben ucfa die Konaepte der Schreiben gefunden, welehe
der Herzog an den Bojaren Artamon Ssergejewitsoh liatwqew
und an den Zaren Alexei richtete.
lu dem Schreiben an l^Iatwejew (vom 12. Februar 1673)
helfet ea, der Heraog habe Binhuber au sieh rufen und sich von
demselben die allgemein bekannte Thatsache des Buhmea und der
Weisheit Matwejews best&tigen lassen. Sodann wird die evange-
lische (Tremeindc zu Moskau dem Scliutze und dem Wohlwollen
des ruäöiüciieii Würdenträgers auf das Angelegentlichste erapiohlen.
Das Schreiben an den Zaren berührt auch die orientalische Frage.
Sodann aber ist wiederum von den Deutsehen in Moskau die
Bede, von der Duldsamkeit des Zaren und den nlitaliehen Diensten,
welche die Deutschen der moskowitisehen Begierung au leisten
vermSchten. ^ Ein drittes Aktenstück , dessen Überreichung in
Moskau dem dorthin zurückreisenden Binhuber obliegen sollte,
^) 8. das leider ohne Ortsdatom abgedruokte Aktenstück in der Be*
lation S. 61—62. Rinhuber kam nach Altenburg, wo er den Kanzler
Thomas aufsuchte, und am 27. November / 7. Dezember nach Gotha, \n <> •
er am Hofe des Herzogs Emst weilte. & Beck, Emst der Fromme 1, OOS.
*) BeUtion S. 68—68.
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LMKeatii» Binlniber.
229
war eine an die Ältesten der eraogelischen Gemeinde in MoakAii
gerichtete Ermabnnng zur Eintracht. ^)
Diese Schreiben werdrn liiuhulier nachgeschickt worden sein,
da man vermuten darf, dals er bereits in den ersten Wochen dea
Jahres 1674 in Moskan eintraf. IHe Aufträge seines Landes-
hetm verlidien ihm bis an einem gewissen Grade den Charakter
«nes diplomatischen Agenten. Er berichtete ans der yiTentsehen
Sslobodda yor Koskan** den 9. Jnni 1678, dab er das Schreiben
des Herzogs dem Bojaren Mat\rejew am 30. Mw, das Schreiben
an den Zaren am 7. Juni abgegeben habe. In dieser Zeit genois
Hatwejew am ruBsiscben Hofe das gröfste Ansehen. Zwei Jahre
anTor hatte er die Verheiratung des Zaren Alezei mit Kata^a
KiriUowna Naiysohkin dadurch yeranlalsty dafs der seit einiger
Zeit yerwitwete Herrscher seine kfinftige Gemahlin im Hanse des
Bojaren kennen lernte. Matwejew leitete die Angelegenheiten
der auswärtigen Politik; er wufste die Vorteile der westeuro-
päischen Zivilisation zu schätzen, stand in lebhaftem Verkehr mit
vielen Ausländem nnd snohte sich selbst weiter ansznbilden.
Dafs Binhuber sich der Gunst dieses Wflrdentrigers erfreute,
mufste den Erfolg seiner diplomatischen IGssion verbtlrgen. Aus
den Berichten Rinhubers ersehen wir. dafs eß sich bei seinen
Unterredungen mit dem Bojaren um sehr wichtige Angelegenheiten
handelte.
fiinhuber berichtet , die Überreichung des Schreibens des
Hentogs Emst an den Zaren habe den letateren in die fröhlichste
Stimmung ▼ersetst nnd er habe sich in yerbindlichen Ausdracken
nach der Gesundheit des Herzogs erkundigt. Das Geschenk des
letzteren, in verschiedenen Waffen bestehend, sei sehr wohl auf-
genommen worden. Matwejew habe sich besonders darüber ge-
äulaert» da(s von so vielen deutschen Fürsten^ welche Bolaland
gegenüber eme entgegenkommende Haltung beobaehten könnten,
allein der Heraog Emst ein so lebhaftes Interesse filr eine ge-
deihliche Entwickelung Bulslands an den Tag lege. Auch von
Bdation S. 69-7S.
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330 Lanrentiiu Binhnber. ^
j
Beinen Yerbandlongen mit den yertretem der eyangeUschen Kirche
berichtete Kinhnber: die ESnnahnimgen des Henogs, Yon «Iler
Zwistigkeit abzustehen, hätten einen tiefen Eindruck gemacht
Sodauii bat Kinbuber um eine Gelduuterstützung für sich :
er müsse über gewisse Mittel verfügen, wenn seine diplomatische
Mission Erfolg haben sollte: Allbier m WjjSb zu erscheinen, ist
nxunSglich und tingereinit. ICoskau ist gonts ein ander Land und
Stadt nnd kann Einer seine Sachen nicht glttcklicb expedieren;
es sei denn, dafs er alle Tage vor der Sonnen Aufgang zu drei
oder vier grofsen Herren eile nnd dieselben durch Aufwartung
ihm zu Ij'reunden mache.'^ So brauche er denn baldmögUchftt
100 Tbaler.
In dem 0esprftch mit dem Zaren Alexei berahrte Binhnber
swei Fragen, deren Erörterung schon in Sachsen, in der Um-
gebung des Kmoga Emst, begonnen hatte: erstens stellte Bin-
huber vor, auf welche "Weise Rufsland sehr vorteilhafte Handels-
verbindungen mit China aiiknüpteu könne („wegen der Orieuta-
lifichen Handtelsobaft durch Catajam und Sibiriam''); zweitens
zeigte er, dafs die Abyssinier im Kampfe mit der Türkei sehr
nntsliche BnndeBgenossen sein könnten, nnd dafs man es sieh
angelegen sein kuisen mflsse, Besiehnngen an Abyastnien ansn-
bahnen.*)
Biese chinesische und abyssinische Frage, als deren Urheber
wir, wie es scheint, den am sächsischen Hofe eine hervorragende
Bolle spielenden Geographen Ludolf ansehen müssen, begegnet
uns auch in den weiteren Schreiben Binhnbers nnd in den diplo-
matischen Yerbandlungen swisohen dem Zaren und dem Hersoge
von Sachsen. Es ist von hohem Interesse wahrzunehmen, dafs
der Anstofs für sehr weitgehende TJntemehniungen, welche Moskau
wagen sollte, von dem kleinen sächsischen Ländchen ausging, und
dafs man in Eufsland sich für dergleichen Anregnngen recht
empfänglich aeigte.
') S. das Sohrdben Bmhabeis in deutscher Übersetzung ans der
Bibliothek su Gotha in der Belation S* IS^Tf, Über Abyasinien nnd
die Begeisterung des Hersogs für eine Kulturmission in diesem Lande
finden sich sehr wertvolle Angaben bei Beck a. a. 0. 1, 668 &
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Laurentiiu Rinhuber*
931
In welcher Weise Binhuber diese Prägen aar Sprache braohte,
erfrhren wir ans seinem an den Herzog Emst gerichteten, in
denteeher Sprache abgefafsten Schreiben ans Hamburg yom
29. August 1674. Wir erselien diiraus, wie lernl)egierijjf mau
in E-ulsland war. E,iuliuber schreibt u. a. : ,,lTnd als ferner zum
Herrn Artemon ^) ein freierer Zutritt mir eröflnet, bin ich unter-
schiedene Dinge nm Ew. hochfUrsÜ. Bnrohl. befragt worden, nnd
haben Se. Zarliche U^est&t ein verwunderliches Wohlvergnügen
gehabt, als Herr Artemon Ew.* hochfürstl. Bnrchl. sonderbaren
modum regiminis und höchstlöbliche Landesordnung in stutibus
theologico, politico und oeconomico. so aus denen nütgegebenou
TabcIIcu und Büchern zu ersehen, ordentlich referieret. ^) Hierzu
habe ich discursive einige Propositiones gethan, als nämlichen
von der Konservation des Bussischen Beiches, von EröfiEnung des
Fasses dnreh die nordöstliche Orten in China nnd Ostindien be*
vorab, weil Sr. Zarlichen Majestät Länder bis in Catay sich er-
strecken, Catay aber an China angrenzet, von Untersuchung der
Flüsse selbiger Orte, wie die hieher denvierte ostindianische
Handelschaft Sr. Zarlichen Majestät mehr Nutzen schaffen würde
als einige Bergwerke, deren doch bisher noch keines erfunden,
nnangesehen eine unglaubliche Summe GMdes darauf spendiert.
wie das russisdie Bach Nord-, Nordost- und Ostwirts
keine oder doch wenige Feinde hcätte, und sofern es auf der
"Westseite mit der Krone Schweden in gutem Vernehmen stünde,
alle Macht desto füglicher wider die Krymschen Tataren so Tauricam
Cheronesnm, welches der Schlüssel an Konstantinopel werden,
nnd also die Hittagsgrenzen auch sicher machen kdnnte; hiebei
ist auch berührt worden die in Deutschland übliche Ezersierung
und Musterung des Kriegsvolks, und weil vor allen andern
Nationen die Moskowiter der Türken abgesagte i^'emde, habe ich
anch der Abyssiner gedenken wollen, welche ebenso gesinnet and
von ihrer (der Moskowiter) Eeligion nicht sogar weit discrepieren,
') d, h. Mnt wejcw.
'-) ILiuhuber hatte also eine Art pülitisch-j)U(iago^ascheu Apparats
mitgebracht, um in KuTsland in der Begierungskunst zu unterrichten.
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982
Lanrentint Biiümber.
auch ein sehr reiches Land bctÜMO^ woia mir dann Anleitang
gegeben, dab Ew. hoohfttnrtl. DuroU.» mein gnidigiter Heir,
wohl ehemale Tor diesen von der Abjssiner Kation besondere
consilia gehabt, welche noch wohl in künftig, so Gott wiU ihren
Efiekt erreichen dürften, mafsen dann Ew. hochfürstl. Durchl,
die consilia suggerieren können, der GtroiBzax aber den Kachdruck
hat and sonder Zweifel Lotionen senden wird, zomal er ohne-
dies gem in der gansen Welt admiriert sein will. Gedadile
Propesitiones nnn habe ich aof Erheisch des Herrn Artemon in
Papier bringen müssen , sind aber also aufgenommen worden, als
wenn selbe zu proponiereii voA Ew. hochfürstl. Durchl. ich in
Kommission gehabt. Ich hcrgegeu habe mir nicht viel Bedeukens
machen wollen Selbes zu bejahen, tun nicht entweder den Herrn
Artemon oder auch Se. Zarliche Ki^estftt Ton der ge&bten
ICeinnsg und Indination einer vertraulichen jFreondsohaft gegen
Ew. hoohf&rsti. Bnrehl. m reroeieren' n. s. w.
Wie man sieht: Riiilml i entfaltete einiges diploiaatische
Talent, ging über die ihm gegebenen Instruktionen hinaus, suchte
geapridisweise in Kufsland anregend zu wirken. Es galt Kols*
land m eraiehen, die Bichtang der Handelspolitik des in einem
Beformprosels begriffenen Staates in bestimmen. In ähnlicher
Weise haben etwas spitter, in der Zmt der Regierung Peters des
Irl Olsen, Männer wie AVitsen , Leibniz , Lee, Kick u, a. ;illerlei
üutwürfe für grofs« politische ü uternehmungen KuTslands ersonnen ;
Terhalf man dem aufstrebenden russischen Reiche zu Erfolgen,
so maohte man sich am das enropftisohe fitaatensystem Tcrdient;
bahnte man der Knltnr und Bildung des Westens einen Weg
in den Orient, so war das eine Leistung im Interesse der Menseh-
liüit. Damalb liatto man noch keine Gelegenheit, Rufslands Über-
macht in Europa zu fürchten ; neidlos freute man sicii an den
Portschritten, welche man in jener Zeit in Rufsland beobachten
konnte. PersönlicheSi vaterliadisches und allgemein-menschliches
Interesse wirkten bei XKnnem wie Binhnber msammen, um in
») Relation S. 78 ff.
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Laurentius Rinhuber.
233
flmeii den Wnnseh m «firegen, als Lelirer RnfthodB sti wirken*
Dieser /ug ist cb voriichmliuh, \sulcher dem Quasi-Cxesandten des
UQBcheiDbaren sächsischeD Ländchens eine gewisse historiBclie Be-
deutung verlieh.
Xieht ohne IntoreBse sind dann auch die MittoUnngen Bin*
hüben inbetreff der Ijage der Kirche in Koekmi. Die Streitige
keiten innerhalb der deataohen Gemeinde waren nieht leicht bei-
zulegeu. Rinhuber schliij? vor, der Herzog solle einen ^fanu
abordnen , welcher in üubkau die Sache genauer unkiauchen
könne. Er bemerkte, diese leidigen Zwistigkeiten seien inapfem
ale Gottea Werk an betrachten , ala dadurch Veranlasanng an
einer diplomatiaehen AnnSherong swiechen dem Zaren und dem
Hersog Emst gegeben worden an. Sodann aber hatte Binhnber
noch weitere Plfine. Auf eine zwischen dem Staate Moskau und
Schweden eingetretene Spannung hinweisend, sprach er die Ansicht
aus, dafs der Herzog Ernst als „Mediator" zwischen den beiden
Mächten auftreten könne. £8 sagte dem patriotischen JBhrgeia
Binhuben zu, dafs, während von allen deutschen Flirsten nur
die KuifKrsten von Sachsen und Brandenburg Besiehungen au
dem Zaren unterhielten, auch der Herzog eine solche „Korrespon-
denz*' pflegte. Kr Ijat um weitere Instruktionen in den Angelegen*
heiteui „so Artem et Martern konzemieren'' u. s. w. ^)
lU.
Schon in seinem Schreiben aus Moskau vom 9. Juni hatte
Binhuber bemerkt: „denn kein Geringes, dab swisehen 8r. Za-
rischen Majestät und Unserem gnädigsten Herrn vermittelst einer
nächbtkommenden Gesandtschaft Freundschaft gemacht werden
soll". -)
Die Absendung eines diplomatischen Agenten aus BnJSriand
an den Hersog Emst war sowohl für das kleine silchsische Lindohen
als auch im Leben Binhuben ein wichtiges Ereignis. Der letstere
') Relation S. 84.
Eelation S. 76.
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984
Lanrentius BlnhulMr.
hatte wiederum einmal Gelegenheity aiu Hoskau eine Eeise in den
Westen zn nnteraehmen. Er befand aioh in dem Gefolge des
russischen Qu:isi-(4osandten, welcher iu der That alsbald in Sachsen
erschien. So erklärt sich der ümataud, dafs er Beiß Sclireiben
an den Herzog Ernst im August 1673 aus Hamburg verfafste.
Nach einem etwa halbjährigen Aufenthalte in Koskau unternahm
Binhnberi welcher Anfang 1673 Ton der grofsen Beise yon
Italien naoh Moskau anrüekgekehrt war, wieder einen Ausflug.
Er st lu'ieb aus Hamburg, der Zar habe einen Sekretär der Reichs-
kanzlei mit Jiriefni an den Herzog abgefertigt, „welcher**, fahrt
Rinhuber fort, ,,ob er wohl keinen sonderbaren Charakter hat,
doch wie ein Ableget zu empfangen und im Respekt Sr. Zarlichen
Majestftt zu traktieren ist, snmal weil es gedoppelt und mehr
von 8r. Zarliehen Higest&t Torgolten werden wird, sofern Se. fürst-
liche Durchlaucht einen Mann in Rnfsland künftig senden mBehten".
Der Enipfaug des ,,Envoye". fährt Rinhuber weiter fort, müsse
in Leipzig statthaben ; es niüfsteu eine Kutsche für den ruäisischen
Diplomaten und Wagen für seine Dienerschaft in Bereitschaft
gehalten werden u. dergl. m.
Deijenige, welcher den Auftrag hatte, ein Schreiben dea
Zaren Alexei an den Herzog Emst za überbringen, war ein
Beamter des auawärtigen Amtes, Namens Ssemion Protopopow,
von dessen Persönlichkeit, Kenntnissen und Fahigkeitau wir keine
weitwe Kunde besitzen. Es ist, so viel wir wissen, iu keiner
andern Quelle als in den zahlreichen» diese diplomatische Mission
betreffenden Akten in der Bibliothek zu Gotha von ihm die Bede,
Er scheint keine weiteren Aufträge an andere Höfe als den
herzoglicli-sächsischeu gehabt zu haben. So war denn sein Er-
scheinen in der engeren Heimat Riuhubers kein gelegentliches.
Die Verhandlungen mit den Räten des Herzogs Ernst haben
eben deshalb ein besonderes Interesse. Sie kdnnen^ wie die ganze
weite Beise des zarischen Agenten i als ein Ergebnis der An-
regungen gelten, welche der Uoskauer Hof dem Laurentius Rin-
huber verdankte. Kein Wundor, dafs der letztere dem russischen
diplomatischen Agenten einen günstigen Empfang vorzubereiten
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Lnureutius llmhuber.
235
Buehte und in eeinem an den Herzog Friedridi, den Sohn des
Herzogs Ernst, gericliteten Sclireiben allerlei guten Rat üIjli die
Haltung erteilte, welche man dem rusäischeu Diplomaten gegen-
über beobachten sollte. In einem Schreiben vom 8. September
1674 aus Letpsig unterrichtete Riobuber den Hersog friedrioh
Yon den HotiTen dieser diplonkatischen Hisston. Es handle sieh
um die orientalisehen Angelegenheiten, um die Bildung einer
Koalition gegen die Türkei ; auch werde von schwedisclien und
turkiächen Sachen diu liede bein. Die Frage von einem Zusammen-
wirken der Abyssanier mit den Russen gegen die Türken werde
aur Sprache kommen. Ruhuber erinnert den Herzog Friedrich
daran» wie dessen Yater, der Herzog Ernst, ihm auf Ghmnd geo-
graphischer Karten gezeigt habe, dafs es ein Leichtes sei^ den
russischen Handel nach China zur Blüte zu bringen; wie man
die Absicht pfeliaht halte, eine betriiclitliche Anzahl von tiiclitigeu
Männern Dach Rufsland zu senden, weiche dort als Lehrer wirken
könnten; wie es sich darum handle , die militärischen Kräfte
BuTslands durch Übung und Disaiplin zu steigern. Was könne
wohl, f&hrt Binhnber fort, mehr zum Buhme der sächsischen
Fürsten beitragen, als wenn unter ihren Auspizien die Wissen-
schaften und ivunste Eingang landen in das moskowitische Reich!
Welche Unternehmung sei nützlicher, ais dafs man im Norden
und Osten neue Bahnen eröffne! Er, Rinhuber, sei bereit, dime
Ziele zur Lebensaufgabe zu machen.
Diesem Schreiben Banhubers an den Herzog Friedrich ist
ein Aktenstück mit der Überschrift „Propositiones** beigefügt.
In zwumii^ Funkten wird hier der luiialt der mit dem russisclieü
diplomatischen Agenten zu verhandelnden Fragen dargelegt. Unter
den von sächsischer Seite der russischen Kegiening zu machenden
Vorschlägen sind die wichtigsten folgende: Mafsregeln zur Dis-
zipUnierung der russischen Truppen nach westeuropaischer Weise,
die Absmadung einer russischen Gesandtschaft nach China zum
Zwecke der Anknupiung von Handelsverbindungen, in der Absicht,
den Holländern. Engländern und Portugiesen ilire kümmerzielleu
Vorteile zu entreifsen und Kasan und Sibirien durch den Handel
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236
Laureutius Kinhuber.
mit China snr Blfiie m bringen; die Nntsbannsobung d«r ge-
waltigen Ströme, welclie in Huialaud nach Nürdtii iiiefsen, fBr
den Handel mit China; die Absendung von, der Mathematik nnd
Geographie kundigen Männern nach Bufsland, um durch Orts*
bestimmiiog einselaer Pl&tae Anhaltepankte fttr eine genauere
geograpbitehe Ketminis des Beiches so gewinnen; diesen seien
tadhtige Offiziere mitzugeben, welche an geeigneten Orten Be-
festigungen anlegen und die msBisohe Artillerie entwielreln könnten ;
ebenso bedürfe Rufsland der Metallurgen, der Mechaniker, über-
haupt der Handwerker, Gelehrten und Künstler; es seien ohne
Zweifel SUberadem in Bufsland vorhanden, nnr mülsten dieeelben
dnroh FacUente entdeekt nnd blofsgelegt werden; eine Annihening
der Abyssinier an die Kfiston sei ins Ange sa Assen, um die
gro&en PlSne des Heraogs Emst sn verwirklichen ; Abyssinien sei
reich an Edelsteinen, Gold und Silber; es sei niiht so schwiung,
in dieses Land zu gelangen, wenn man nur die Sprache keuue ;
es müsse ein stetiger diplomatischer Verkehr zwischen Sachsen
nnd Bnisiand hergestellt werden.
In einem weiteren Aktensttteke ,y8olntiones s. limitationes
propositionnm'' werden diese Vorschläge des weiteren erörtert.
Da finden sich Bemerkungen, wie etwa folgende: niemand wisse,
wie weil sicli die Grenzen des russischen "Reiches nach Norden
und Osten erstreckten ; den nach Kufslaud gesendeten Jb achmäuneru
seien gewisse Rechte und Einkünfte zu verbürgen; bisher habe
es in Bufidand noch niemsJs ordratliche Metallurgen, sondern nnr
Schwindler nnd BetrOger auf diesem Gebiete gegeben n. s. w.
Wir können anversicbtllidi annehmen, dafs Binhnber an der
Erörterung dieser Fragen thätigen Anteil genominen ]i;i]it>. Er
vermittelte zwischen den politischen Bedürfnissen des russischen
BeichcMi und der Bereitwilligkeit der sächsischen Hegierung, durch
SO wesentliche dem Zaren sn erteilende Batschläge, dem Staate
Koskan an leistende Dienste Bnhm, Ansehen, Einflnb an erlangen,
Bs aeogt ebensowohl von einer gewissen politischen Naivetät, wie
von einer lobenswerten Strebsamkeit der Stsatsmttnner des kleinen
sächsischen Läudchens, dafs mau so grofse Unternehmungen in
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4
Laurentius Einhuber. 237
AuBsicht nahm. Überall (itkIi t man in jener Zeit urafaseende,
aui' internationalen Handel, Kolonialwesen, Machtsteigerung ge-
richtete Entwtiifs. Verfügte das Heraogtam Sachsen selbst über
geringe Kittel snr VerwirUichuiig grdiserer Plftne, so bot sieh
dnreh eine Annähening an Rnüdand eine willkommene Gelegen-
heit dar, denteche Intelligenz dasn vi yerwenden, um dem mosko-
witischen Keiche zu einem Auiachwungo zu verhelfen. So meinte
man der Menschheit nützen und zugleich den eigenen Interessen
dienen nt kdnnen. ^)
Soleher Art waren die Vorbereitungen anf den Emp&ng des
msriscben diplomatischen Agenten Protopopow» in dessen Gefolge
Kinhnber sich befknd. Es worden allerlei Mafsregeln getroffen,
um die Reisenden mit Speise und Trank zu vereehen, ihnen
Wohnungen einzurichten. Da Protopopow „keinen Charakter"
hatte, d. b. nicht formell als Gesandter kam, so konnte er nicht
in der „Besi d ena**, d. h. im Schlpsse wohneni sondern wurde in
einem Frivathaase nnteigebracht. *) Man stellte Binhuber eine
kleine Geldsumme su, um auf der Heise nach Altenburg etwaige
Küüttjn des Unterhalts der Keisenden zu bestreiten. Der Kammer-
junker Künholdt erhielt eine Instruktion für die „Abholung und
Begleitung** des auf der Kcise nach Altenburg und Gotha be-
griffenen russischen Diplomaten. Binhuber bat, daTs der letatere
an der Grenae f^von ansehnlich Abgeordneten und einigen Kom>
pagnien mit fliegenden Fahnen möchte angenommen werden^;
indessen Hefs sich das nicht bewerkstelligen ; man sorgte wenigstens
für eine Ehren waclie von zwei Mann, weiche vor dem „Logement''
des Diplomaten standen.
Über die Beise Frotopopows erfahren wir aus Künholdte
Beriehten ejsige lünielheiten. In Altenbnrg besah er die Schlolk-
*) Reiati'in S. ö8. Über das Verweilen Protopupows in Sachsen
üuden sich aul (jrrund derselben Akten, welche neuerdings herausg^eben
wurden, wertroUe Mitteilungen bei Beck a. a. 0. S. 808 ff.
*) 8. die Pnnota, so wegen des ankommenden muskowitischen Ge-
sandten d. 4 September 1674 sa betrachten in der Bdataon & 07—98
und das Schreiben an den Kanaler Thomas S. 99— IOOl
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238
Laurentius Riuhuber.
kirclie . den Alüm und einige Prunkgemächer, die Stadtkirche;
auf Befehl des Suvprintendeiiten inufsten die Kantoren dem Ge-
Bandton bei der Mablaeit „mit Vokal- und IiiBtramentalmiiaik**
attfirarten, was ihm besondera zu gefallen schien. Er schenkte
den „Biseantisten'' einen Thaler und änfserte den Wunsch, einen
dieser Knaben nach Ifoskaa mitzunehmen, wozu aber keiner von
denselben Lust hatte. Auf der Weiterreise, in Ronneburg, war
Protopopow an der Abendtafei sehr gesprächig und erörterte recht
eingehend einige theologische Fragen, wobei er aus einer mitge-
brachten Bibel Terschiedene Zitate nnd Belegstellen anführte. Er
wohnte dem protestantischen Gottesdienste bei, lieTs sich vieles
erklären und bemerkte, dafs ein Christ in dieser Beligion selig-
sterben könne. Seine Haltung machte einen gut«n Eindruck : er
war mälsig, höflich, gab gern Auskunft auf Jb'ragen, welche die
Verhältnisse des Staates Moskau betrafen.
Für die in Gotha stattfindende Audienz Protopopows bei
dem Herzoge Friedrich, dessen Vater, Hersog Emst, schwer er-
krankt war, worden besondere Anstalten getroffen : in einer »besten
Gut.sclie'- mit äcclis Pferden wurde der Gesandte von vier Kdel-
leuten mit Pagen, Trompetern und Lakaien abgeholt ; da« Zere-
moniell des Empfangs war genau vorgeschrieben ; bei der Mahl-
zeit, welche auf die Audiens folgte, gab es „Kapellmusik*'. Bin-
huber fungierte als SekretSr Protopopows. Er wird wohl auch
bei den Verhandlungen , welche nun folgten , eine hervorragende
Bolle gespielt haben. Das Protokoll dieser Verhandlungen ist
vollständig erhalten und gewährt einen Einblick in die Nütur
der erörterten Fragen. Sächsischerseits wurde hervorgehoben,
dafs der Hersog Emst die Absicht gehabt habe, für eine Koalition
gegen die Türken zu wirken, dafs aber Alter und Krankheit ihn
daran yerhindert hätten : man mttsse hoffen, dala der Kurfürst von
Brandenburg etwas ausrichten werde. Auch die von der sSchsisehen
Regierung durch Rinhuber gemachten Vorschläge iubetreff Chinas
und Abyssiniens kamen zur Sprache. Als der Haupturheber der-
selben wurde der Herzog Ernst bezeichnet, welcher indessen jetzt, bei
seiner schweren Krankheit, sich nicht genauer über diese seine Ent-
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LaorentiuB Rinhuber.
239
würfe aussprechen könne. Durch eine Mcngo an den Herzog Friedrich
ilod dessen Bäte gerichtete Fragen sachte Protopopow sich über die
allgemeine politisohe Lage in Europa sn nnterriehten. Er erkundigte
sich nach den Intentionen Prankretchs, des Kaisers^ der Schweden,
nach den Yerhiltnissen im heiligen römischen Beiche, ob das
jEranzp Reiche „mit dem Kaiser hielte", welclie Neuigkeiten in den
letzten Zeitungen enthalten seien , welche Nachrichten man über
den französischen Krieg in den Niederlanden habe u. dgl. m. ')
So hatte denn die Yerhandlnng mehr den Charakter einer all-
gemeinen Konversation fiber aUerlei politische Fragen, als den-
jenigen einer gesohftftliohen Erörterung sum Zweck etwa des Ab-
schlusses eines Vertrages. Der russische Diplomat suchte sich
über die ganze politische Sachlage zu orientieren. Es fehlte ihm
offenbar an eingehenderen Instruktionen für die Erledigung wirk*
lieber politischer Geschäfte. Seine Sendung war eine vorläufige,
durch die von Binhnber in Moskau vorgebrachten Ideen ver-
anlafste Bnquöte. Die sächsische Begierung, deren Tbatkraft durch
die schwere Krankheit des Heriogs Emst gehemmt erscheint,
beantwortet die Anfragen des russischen Diplomaten in allgemeinen
Ausdrücken, hier und da selbst ausweichend, nicht ohne Zurück-
haltung. Man hatte sich mit den von Binhuber in MoHkaii ge-
machten Propositionen auf ein Gebiet gewagt, welches den Mitteln
und Fähigkeiten der sächsischen Staatsmänner denn doch nicht
entsprach. Binhnber wird wohl bei dem Verlaufe dieser politischen
Unterredungen einigernialsen enttäuscht gewesen .sein. Er. der
()j)timist und Sanguiniker, moclite Hich die Verwirklichung der
hochüiegeudeu Entwürfe des Herzogs Ernst leichter gedacht haben.
Der Gedanke an eine Beise nach Abyssinien hat ihn auch später
noch beschäftigt. Er war bereiti noch viele Beirnn su unter-
nehmen! um die hohen Ziele su erreichen, auf welche er in Ge-
sprächen mit dem Zaren Alezei und dessen Minister Matwejew
hingewiesen hatte. Dafs Protopopow nacli Deutschland kam, war
sein Werk. Und nun hatte doch diese Keise des russischen Diplo-
>) Actum d. SS. September 1674 mit dem mnskowitisohen Abgeord*
neten, in den Obern gemache. In der Belation S. ISS-^ljMV
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240
Laureutius Üiuiiuber.
maten keinen eigentlichen Erfolg an&awHBen. In dem Sclireiben
des Zaren Alexei an den Herzog Emsi, welches Protopopow mit-
gebracht Uüd übcrreichi; hatte, war aasdrücklich von den Au-
regongen die Rede, welohe der Zar und Artemon Ssergejewitsoh
Hatwejew von Binhaber empftogen hatten. Nun galt es, dieaen
Fragen einen Abeehlnfii an geben, yon Worten an Tbaten Über-
zugehen, die allgemeinen Entwürfe im Detail anianarbeiten. Dasa
kam es nicht: die Entwürfe blieben Entwürfe. Man hatt« ea
gut gemeint, aber der Verwirkiichung so grofser Gedaaken stellten
sich denn doch sehr erhebliche Schwierigkeiten entgegen.
In der Bibliothek au Gbtha haben aioh die Konaepte an der
Antwort gefunden , welche man sSebeifloheneitB an den Zaren
richtete. Sie iit sehr allgemein gehalten und entbilt mancherlei
Batschläge: es wäre gut, die Bewohner der Grenzgebiete in den
Waffen zu üben, um die Aktion der Armee eegen die Türken
zu unterstützen; „man hielte dafür, dafs die Handlung durch die
Nordaee, wenn der Weg um Katayen herumb gefund^i werden
könnte, am fÜgUcbaten und au groCwm Kutaen der Zeriachen Bwohe
angeatellt werden könnte^; man bftte um Auskunft fiber den
Yerlanf der Geeandteciialb, welche der Zar ehedem nach China
abgesandt habe ; mau aei bereit, Techniker und Handwerker zu
senden, aber mau müfise zuvor die Bedingungen kennen lernen,
unter denen diese Leute in russische Dienste treten würden. An
dieeen letateren Funkt knüpft sich folgende Bemerkung: „Wie-
wohl, was Kathemaiioi betreffe, bitte man gehört, ala ob aie gar
in bösem Verdachte wIKren, weil sie mit Zirkeln, Ziffern und
allerhand seltsamen mathematischen Instruineiiten umgehen könnten,
dala sie Zauberer wären, daran Dmeii doch Unrecht geschehe,
sintemal es alles natürlich augehe und Gottes Namen und sein
^) Das Schreiben Alexeis ist abgedruckt in lateinischer Übei-setzung
in dar Relation S. 145. Da heiTrt es n. a.: „ut, seonndum propo-
litos illfls articnlos, quos explsaavit Tssrsae Kostrae Haiestatis intimo
Ocolnioio et Serpogoviae Locom-tenenti Artemoni Sergisdi Hatthaei
missus Yester Laur. Rinhuberus, apud Dncslem Vestram Ohsritatem
resciat quo modo et tempore iuxta tenorem illcmm articnlomm cpera
danda et ad finem perdnoenda sit**
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Laurentius Binhuber. 241
Wort dftbei ganz nicht mUsbrancht, noch einige böse Künste
dab«'i vorgingen/* Es folj^en einige Ratschlage inbetroft' des
Bergbaues in BufsIaDd. Sodann wird die abyssiiüeche Frage
erörtert: der Herzog £mst habe eine geeignete Fenon an den
König Yon Abyesinien senden wollen, nm den letsteren «if Bufs-
hnd anfmerkaam zu machen, aber diese Peraon aei geetorben; ein
dahin absnaendender Agent müsse anch die arabische Sprache ver-
stehen. InbetrefF des Türkenkrieges erteilt die sächsische Re-
gierung dem Zaren den Rat, sich zunächst defensiv zu verhalten,
sich wegen der Aktion gegen die Türken mit Polen zn verstän-
- digen, den Polen Subsidien zu gewShren, anoh Schweden durch
Snbsidien war Anteilnahme am tfirkiBchen Kriege zn veranlassen
n. 8. w.
So übernahm denn die herzoglich-sächsische Regierung die
Rolle eines Lehrmeisters dem Staate Moskau gegenüber , ohne
doch die guten Ratschläge durch nachdrückliche Handlungen unter-
stütsen zn können. Ss blieb bei einem Austanach von Höflich*
keiten. Der Herzog Emst sdirieb wieder einmal an den Hinister
des Zaren Alezei, Hatwejew, dessen Sefautaw er die evangeÜscben
Gemeinden in Hoskau und insbesondere den nach Moskau zu-
rückkehrenden „Doktor der Medizin** Laurentius Rinhuber empfahl.
In ähnlichem Tone war ein Schreiben des Herzogs au den Zaren
gehalten, in welchem ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dafs
die schwere Krankheit des Herzogs eine eingehendere Besehif-
tignng mit diesen Fragen Terhindert habe n. dergl.')
Yon Binhuber hiefs es ferner in dem an den Bojaren Hat-
wejew gerichteten Schreiben, man erteile ihm keinen weiteren
Auftrag; er gehe nach Moskau, um ein bis zwei Jahre dort der
Ausübung seiner ärztlichen Kunst obzuliegen und die slawische
Sprache zn erlernen (pro se priTatiye), weil er der siohsisehen
Begiemng einst nützlieh zn werden hoffe.')
Fast sofaeint es, als habe Binhuber, indem er in Koskan allzu
>) BehitioQ S. 181—146.
«) Relation S. 146—168.
*) Relation S. 148.
Brftekacr, BaMMid. 16
S49 Lanreiitiva BinhttW*
eifiiig Ton Gliiii« nnd Abyflainioa gotprocHen habe» dw sttohaiBelieik
BfigieroDg tJngelegenlieElen ber«itot. Er wird nicht formell des-
ftvoniert, aber man entkleidet ihn jener Spur einet diplomattecben
Cliiii akters, welche ihm t t ühcr angehakt t liatte ; man sagt es aus-
drücklich, dafs er keiueriei VoIlmschteD, keinerlei Instruktioneu
habe, dafs er in Moskau nur «eine privaten Zwecke verfolgen
werde. Der Henog Ernst hatte mehr Initiative 'gehabt, sich
mit groisen Entwürfen getragen; jetat, da im Qnmde Henog
Friedrich regierte, trat die sichsisehe Eegiening inbesng anf die
Verhandlungen mit dem Staate Moskau eine Art Rückzug an.
Hiahuber befand sich in einer minder günstigen I^age als früher.
Indessen erhielt er in dem Augeiihlicke, aU er nach Moskau
Burttckkehrte, doch noch einen Auftrag. Es wurde ihm für die
ersngeliscbo Kirche und Schule in Koskau eine Menge geistlicher
Bficher pUdagogischen und geistlichen Inhalts, etwa 200 Binde,
mitgegeben.^) So war und blieb er denn in gewissem Sinne
Agent der herzoglich-sächsischen Regierung, an welche er denn
auch später noch über maacheriei Vorkommnisse Bericht erstattet.
XV.
Über Binhuben Bttckreise nach Moskau im Herbet 1674
ist uns nichts bekannt. Im April 1675 aber begegnen wir ihm
in Wien, von wo er einen laugen Bericht au den ilfrzog Friedrich
sendet (datiert 4. 14. April 1675). Darin ist eines Aufenthaltes
in Schottland erwähnt, welcher dem Aufenthalt in Wien vorher-
gegangen sei: er habe aus Edinburg, wo er wegen kirchlicher
Angel^nheiten eine Zeitlang habe weilen müssen, „neulich'* an
den Doktor Ludolf gesehrieben.') Fast scheint es, als sei Bin-
huber in der Zeit von seinem .Vat« ni lialt m Sachsen bis zu seiner
Auwetieuheit in Wien nicht in Moskau gewesen.
*) Das Verzeichnis der Bücher mit Angabe der Titel, ili^r Anzahl
der Exemplare und des Kustenpreise» s. in der Relation 8. Ihi I'»).
*) Vüstru D. Ludolfe scriptii uuper Edinburgo, ubi propter exer-
citiom fidei vixi per tempus. Kelatioa S. 157.
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lAureatios Emhuber.
248
Welche Stellung er in Wien einnahm , wissen wir nichi.
Damals weilte in der Kaiserstadt eine ruHsische Gl-esandtschaft, an
deren Spitae Peter Potemkin stand. Durch den Dolmetscher
dieser Oeeaadtecbaftr Johann OtonaUf nnd auf andern Wegen
. erinhr Binhnber mancherlei flher die Verhandlangen Potemkins
in Wien. Aneh wnfete er einiges von den YerhftltniMen der
evangelischen Kirche in Moskau zu berichten. Er erzählt©
mancherlei von der schnöden Habsucht des rusaiacben Gesandten
Potemkin, welcher, 1668 als Diplomat in Spanien weilend, es ver*
standen habe, eich auf allerlei Weise zu bereiohem. Aach in
Wien jage er fihnlichen Vorteilen nach.
Südiuni teilt Rinhuber mit, es werde demnächst eine kaiser-
liche Gesandtschaft unter Franz Hannibal Bottoui nach Moskau
reisen. Dieser gedenke er sich anzaschliefsen ; Kaiser Leopold
sei damit einverstanden and habe geäufsert, daTs Binhaber seinem
Gesandten als Anst wie anch als Dolmetscher nfitslich sein werde ;
die Reise werde über Prag, Dresden, Hamburg, Lübeck, die Ost-
see, Kurland gelien, da man sowohl polnisches als schwedisches
Gebiet, also auch Livland, vermeiden müsse.
Sehr instruktiv sind einige Bemerkangen Rinhahers über
die ZastSnde in ICoskan. Er erblickt die Hanptorsache des
Mangels an Erfolg der rusyisclieii Politik in der Unlust der rus-
sischen Würdenträger, irgend eine Verautwortiichkeit zu über-
nehmen. Er führt als Beleg einige sehr schlagende Beispiele aus
der Geschichte der letzten Jahre an. Ferner erw&hnt er der
Angelegenheiten in Ungarn, der Ankunft einer türkisch-tatarischen
Oesandtechall in Wien n. s. w.
So vereinigte denn Rinhuber die Stellung eines Bericht-
erstattera der heraoglioh- sächsischen Regierang mit derjenigen
eines aeitweiligen Arstes and Dolmetschers bei einer naoh Rofs-
land gehenden kaiserlichen Gesandtschaft. In Gemeinschaft mit
den üsterreichisehen Diplomaten Bottoni and Chumann kam er
0 Relation S. 1Ü7— 168.
16*
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244
Laurentius Biububer.
nach Moskau und wurde io Kolomenskoje, wo der Zar weilte,
bei Hofe vorgestellt J)
Jetst endlich trat Binhaber in nuaische Dienate ein; er
erhielt ein Gehalt an G^ld von 170 Rubeln jährlich und 50 Knbehi
in LclitMismittoln monatlich, sowie zum Geschenk einen silhcrnen
Pokal, teure Stoile u. s. w. Er mufs wohl als Arzt thätig gewesen
sein ; indessen erfahren wir^ dafe es ihm nicht gelungen sei, eine
Stelle als Leibarzt des Zaren an erhalten, und dafs er sich mit
einem TerhSltQism&rrig nnbedentenden Posten begnügen matste.
Seiner eigenen Aussage entsprediend ist er in den Jahren 1675
und IHTl) ^Zarlicher Hof-Medikus" gewesen.^)
Es haben sich sonst keine Angaben über Rinhuhers Treben
in dieser Zeit erhalten. Ein sehr langer Bericht über die Ver-
hältnisse in Hoskan, welchen Binhnber an den Heraog Friedrich
sandte, ist vom 99. Dezember 1677 datiert und erst an Anfang
des Jahres 1678 abgesandt worden.
Bald nach Rinhubers Bückkehr in die russische Hauptstadt
hatten sich dort sehr wichtige YerSndemngen angetragen. Der
Zar Alexei starb. Sein Sohn Feodor bestieg den Thron. Dieser
BcgierungBwechsel bedeutete eine völlige Verschiebung der am
russischen Hofe herrschenden Parteien. Der Gönner der Ausländer,
der Vertreter des jE'rinzips einer Solidarität RuTsIands mit West-
euroiMi» Katwejew, stürzte als ein Opfer der Ränke der lülofs-
lawskys. Die aweite Gemahlin des Zaren Alexeiy die geborene
Karyschkin, welche ihre Stellung ihrem v&terlichen Freundet dem
Bojaren Matwe jew. verdankte, sowie ihr Sohn, der 167S geborene
Peter, gerieten m eine bedriiiigte Lage. Dem Einflufs der Schwester
des jungen Zaren i?'eodor, der Prinzessin Sophie und deren Ver-
wandter von der mütterlichen Seite, der MilofslawslQr, war Thor
«nd Thür geöffnet. Damit ward jene Beihe Toa Krisen am
*) Über Bottoni und Chumami s. Adelung, Übersicht der Beisenden
in Bnisland 2* 867.
*) Adehug S, 879. Sachter, Geschichte der Kedistn in BntUand,
Moskau 1816, 2, 8S8-880.
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L&iireuUuB ümhuber, 245
russischen Hofe eröffnet, welche erst mit d'^r beginnenden "Reife
Peters des Grofseu zu eiuem gewissen AbschluBse gelangen sollte.
Dm inbaltreifihe Sehreiben JELiiümben an dem Honog Friedrich
beginnt mit dem HiDweiM auf die Zeit» da Binhnber das Ghlttck
gehabt habe, in Geaeüechaft des nianadien diplomatiaohen Agenten
Protopopow den Hersog in dessen Residenz Friedenstein zn sehen.
Seitdem liabe er sich in der ärztlichen Kunst vervollkomranet :
er hotle, dals man ilm werde verwenden können. Auch in anderer
l^sicht bietet er «eine Dienste an. Er sei schon lange abwesend
▼on der Heimat: jetst könne er vielerlei Uber die Angelegenheiten
in Koskan» Polen, Schweden, bei den Kosaken nnd TOrken be-
richten. Er hoffe seinem Landesherm damit manch wesentlichen
Dienst leisten zu können.
Sodann kouimt Kinhuber auf die in Rufsland stattgehabte
KegiemngsTeränderang zu reden, aof den Sturz Matwejews. Viel-
leicht weil er sein Schreiben mit der gewöhnlichen Post ab-
zusenden gedachte, d. h. darauf gefafst sein mnfste, dab das«
selbe erbrochen nnd gelesen werden würde, hat er kein Wort der
Rechtfertigung für den schmachvoll gestürzten Minister, welclier
ein Opfer der Käuke seiner persöniicheu Gegner geworden war.
Er geht so weit , in tadelndem Tone zu bemerken , Matwejew
habe hochmütig und gransam gehandelt^ die andern WürdentrIKger
bedr&ckt, sich über alle andern erheben nnd, mit Übergehnng
der Siteren Kinder des Zaren Alexei, dessen Sohn ans sweiter
Elie . Peter , zum Thronfolger ernennen lassen wollen. Daher
und wegen anderer Verbrechen sei er nach Pustosero verbannt
worden.
Diese Anschuldigungen sind in einem Tone gehalten, als
seien sie im Hinblick auf die Möglichkeit einer „Perlustration"
dieses Schreibens redigiert worden. Ebenso ist das unein-
geschränkte, dem Zaren Feodor gespendete Lob Rinhubere viel-
leicht nicht ganz auirichtig gemeint. Hierauf folgt ein Verzeichnis
der Würdenträger und Generale, ein kurser Bericht über den
Relation S. 178. nHaee per Postam (qnod dicitur) ordinsriam
ad TOS transmittere quidem poteram u. s. w.<*
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246
LaarentiuB Biohuber.
türkischen Krieg, deu sog, ^^Tschigirinschen Feldzug", ohne dafs
irgend eine tadelnde Bemerkung mit unterliefe. Indem Rinhuber
auf die Bemehangen BnlslanclB sn den aoBwirtigen Kfichten za
reden kommt, ersShlt er, es werde nftehetena eine Qeaandtadiaft
an den Kaieer abgehen ? der Kanzler dieaer G-eBandtacbaft werde
Ssimeoii Micliailowitscli Protopopow sein. ,,V\^ir werden, so Gott
und der Zar wollen, im nächsten Frühjahr ahteiaen," fügt Rin-
huber hinzu, als sei es selbstverstäudlich , dals er, Rinhuber,
abermals die Stellung eines Gesandtscbaftasekretftrs einnehmen
werde ; er erbittet sich für einen solchen Fall die Auftrige des Her*
zogs. Er werde n. a. eine grofse Menge kostbarer russischer Waren
mitnehmen können, weil die Gesandtschaft die völlig sichere Reise-
route über Kurland , Preufsen und Sachsen einschlagen werde ;
nur müsse ein Kaufmann diese Waren ionuell bestellen. Rin>
huber verweist auf ein ausführlicheres Schreiben, welches er in
dieser Angelegenheit an Ludolf gerichtet habe. Dieses Schreiben
ist nicht bekannt geworden. „W&hrend ich hier," schlietst Bin-
hnber seinen Bericht, „als praktischer Arst lebe, bereite ich ein
neues Werk vor, eine Ruß^ia ecclesiastico-politica, welcher seiner
Zeit eine Darstellung der moskowitischeu RechtäverhältuiBäe bei-
gefügt werden wird." Dieses Werk Tempricht Rinhuber dem
Hersog za widmen.
Auf dieses Schreiben folgt sodann ein Fostskriptnm Yom
Februar 1678, in welchem . Rtnhnber mitteilt, er habe sich ent-
schlossen, sein Schreiben nicht mit der gewöhnlichen Post, sonderu
durch den brandenburgischen Agenten Heis zu senden, welcher
demnächst mit dem verabschiedeten Leibarzt des Zaren, Rosen-
berg, abreisen werde. Dann folgt eine sehr beachtenswerte Mit-
teilung. Binhuber schreibt: „Jener Ssimeon Michailowitsch Proto-
popow hat, nach seiner Rückkehr von Ew. Dnrclilancht Hofe,
dem Artamon ein chriBtliches Memoire über den Handel mit China
und dem Orient, Catai und Caracatai eingereicht, und Matwejew
hat darüber an den Zaren Aiexei Michailowitsch berichtet. Da-
her wurde denn, ein Gesandter an den Kaiser von China geschickt,
Nikolaus Spafari, ein Hann , der viele Sprachen kennt und yiel*
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Laurentius Biuhuber.
247
erfahren ist ; ich hätte sicher auch an dieser Heise teilgenommen,
wenn ich nicht damals in Wien gewesen wäre."
Diese Bemerkung zeigt, wie jene von der in Aussicht ge-
nommenen Beiae nach Wien, dafo Ktnhuben medisinisobe Pnode
in Moekan onTergleiohlick weniger bedeniete, als edne BeflÜiigony
an allerlei andern Gesehäften. Gab es irgend eine Gelegenbeit,
eine weite Reise zu unternehmen, diplomatisch thfttig zu sein,
neue Verhältnisse, fremde Länder und Völker kennen zu lernen,
so war er gern bei der Hand. Auch mochte er sich für die
Stellung eines BeiBebegleitere, eines diplooiatiscben Assistenten sehr
wobl eignen. DaTs seine persönlioben Beiiehnngen su Proto*
popow Jahre lang sich nnTerftndert gnt erbielieo» spriobt sowohl
für den Cbarakter des rassischen Wfirdentrftgers als filr denjenigen
Riiihubers. Wir müssen bedauern, dafa der letztere jene Reise
nach China im Oefolge Spafaris nicht unternelimen konnte. Er
hätte sonst wahracheiaücb höchst anaiebende Mitteilangen über
Sibirien nnd China yerfafst. ^)
Aber noeh in anderer Beaiebnng ist Binbabers» Spafaris Reise
naeb China betreffende Notia ron Interesse. Wir erfitbren, dafs
diese Reise eine i^rucht gewesen sei der Gegandtschaftsreise Proto-
popows nach Sachsen, Die Sendung Spafaris ist ein wichtiges
Ereignis; dieselbe nimmt in der Geschichte der geographischen
Entdeckungen eine bedeutende Stelle ein; snm ersten Mal wird
Nordasien in etbnograpbisober und geograpblsoher Hinsicht yon
einem hervorragend gebildeten Reisenden beschrieben; Spa&ri
erscheint als der Voriräncfer jener berühmten Erforscher Asiens,
weiche später diese Gegenden kennen lernten. Auch in politischer
Hinsicht ist Spafaris Reise von Bedeutung. Die Annäherung
Rofslands an China, die ErschUebang neuer fiandelswege muiste
*) Spafaris Kcisobericht. ist erst in der filUn'letzten Zeit verütient-
liclit wrirden. S. die ileininren der (jeogTaj)ln sehen Gesollscliaft Bd. 10.
Kiuiiuber berichtet, wie »Spaiari bei der Rückkehr aus Chma als Freund
and GetinnangBgenoase des inzwischen gestürzten Machthabers Katwejew
verballet und aller seiner Habe beraubt wurde. Wir begegnen ihm
spater, im Jahre 1688, in Neuvilles „JElelalaon onriense et nouvelle de la
Moscovie^ A la Haje, 1099.
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248
Laorentiiu Baiüiaber.
-von dar grdlMeii Wiehtigkfiit leiii fBr die Welt. Udi ao Iwchtemi»
werter ist Binhnben Bemerknogt daTi der Anttolji f&r ein solcfaee
Unternehmen von Sachsen ausgegangen sei. Der Herzog Ems*
von Sachsen, Laurentius Rinhuber konnten für sich die Ehre in
Anspruch uehmeui die rassische Regierung zu der diplomatischen
Hission Speferis angeregt sn haben. Yielieicht| dafs in rassischen
Archiven sich noeh Angaben f&r einen solchen KatuMlsasammen-
hang swisehen Sachsen, Binhuber und Protopopow einerseits nnd
Spafaris Reise andererseits entdecken lassen.
In Rinhubers Nftchschrift ist noch anderer Ereisrnisse in
Rulshind erwähnt: des zweiten Tschigirmschen Feidzuges, der
bevorstehenden Heirat des Zaren, der Yerhaftiiog einiger Personen
von dem GMblge des englischen Gesandten Hebdon. Über alle
diese Angelegenheiten spricht er kurs nnd voraichtig, als fürchte
er, dab auch dann, wenn er sein Sehreiben auf privatem Wege
nach Deutschland befördere, dasselbe in die ilunde rassischer
Beamten fallen und ihm verderblich werden könne.*)
Es war eine Zeit der Reaktion gegen die Bichtung , welche
llatwejew vertreten hatte, indem er dem westenropKiachen Einflnüs
mehr Spielraom gestattete. Uatirejewi der Gönner der Ana-
iSnder, war beaeitigt; die Stellnng rieler Deutscher, Engländer
u. ü., die sich des Sciiutzes, des Wohlwollens des aufgeklärten
Bojaren erfreut hatten, erscliien geHihrdet. Auch Rinhuljers
Verhältnisse erlitten eine tiefgreifende Veränderung. Noch im
Beaember 1677 hatte sr die Hoffiiong ansgesprodieni an einer
rassischen Geeandtachaftareise nach Wien teiln^men an können.
Wenige Ifonate spftter mnfate er Bnfaland verlaaaen, weil aeine
ganze Stellung dort, gleich deijenigen anderer Anallnder, völlig
unhaltbar geworden war.
Am 23. Mai 1678 schrifli er aus Helsingör an Ludolf über
die kritiache Lage der Ausländer in Bafsland. Selbst die billig
denkenden nnd besonnenen Bussen meinteni die Anslfinder in aller
Weiae bedrUcken an dürfen; die den ansländischen Offisieren und
») S. die Eeiation S. 104-182.
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LftorentiaB Binhnber.
249
andern in rnsnscfaen Bienatan atekanden Personen Teraproohenen
Summen würden denselben in der willkürlichsten Weise vorent-
halten ; den ausländischen Kaufleuten sage man, dafs man keiner
hoUändischeu und engliachcn Waren bedürfe. Viele Obersten
■eien entlassen worden» ao s. B. der Gtenend Staden ; ebenso der
Doktor Boaenberg; Doktor Gkamann, welcher 300 Babel za
fordern gehabt habe, aei froh gewesen, ftberhaupt nur mit heiler
Hant daTOnEokommen ; so sihen denn yiele, deren Laufbahn
untur deii Auspizien Matwejews glücklich begonnen habe, alle
ihre Hoffnungen vernichtet. So habe denn auch er selbst. Ria-
hnber, sich genötigt gesehen , im März 1678 in Gesellschaft dea
englischen Qeaaodteui John Hebdon, Bolaland an ▼erlassen und
dabei anf 80 Babel au TeraiGhten, welche ihm von seinem Qehalt
noch hätten sokommen intlssen. Aach habe er keine Hoffnung,
zu seinem Gelde zu koiuinen, es sei denn. Uaia er bei Gelegenheit
einer Gesandtschaft einst wieder nach ßufBland reise.
Diesen Bemerkungen und Klagen fiigt Kinhuber einige Mit-
teilnngen über die answftrtige Politik Boialanda hinan, Uber die
angenbliekliehen Besiehnngen des Staatea Hoskan snm Kaiser,
an Polen, snr Türkei n. s. w. Dann erwShnt er der Hnugermot
in Livland, wolclie er l)ei Gelegenheit seiner Durchreist lui A| ril
habe beobachten können. Zum Schlufä spricht er den Wunäch
ansy drei Jahre lang im Auslände zu leben: kein Land gefalle
ihm so gat wie England, desaen Bedentang in der aUgemeinen
enxoplüachen Wage Yon entacheidendem Gewicht sei, ein Land,
wo die ICoral- and Katorwiasenschaft, die ICedisin blfihe, wo die
königliche Gesellschaft so grofseu Erfolg habe, wo es viele aus-
gezeichnetp Männer gebe. ')
Indem Ludolf dem Herzog Friedrich am 30. Juni 1678 aus
Altenborg meldet, ea sei ein aolohea Schreiben Binhabera an ihn
angebngt, bemerkt er, man ersehe daraaa, data die Deatachen in
') Zam Schluüi noch einige knrse Notizen über Schweden, Nor-
wegen nnd Dänemark, an deren EUstcn Kinhubor soeben vorüber*
gekommen war; s. den „Extrakt aus Dr. JEUnhttbers Sohreiben" von
Ludolfs fiaud in der Belation S. 183^186.
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350
Laurentius lünhuber.
Moskau niclit mehr gut bebandelt würden ; viele sacbten mit guter
Manier fort zu kommen: so auch ßluhuber, welcher nun seine
mediziniacben Studien in England fortsetzen wolle.
V.
Von Binhnhera ferneren ErlebniBsen, sowie von seiner Auf-
fassung des in Rufslaud erfolgten Uraßchwunges erfahreu wir I in-
etändlicheres aus ruiem Schreiben, welches er am 26. I'ebruar
1679 aus Livorno au den Herzog Friedrich richtete.
Wie viele andere, schreibt Binhuber, so habe auch er, da
Buliiland jetzt ein Leiohengesicht hervorkehre ^ ^ sich davon ge-
macht; diejenigen, denen als leichteste Strafe gestellt werde,
Moskan zu verlassen, hielten sich für gerettet; es herrschten dort
jetzt die Schreiber, die Pliaüöiier mit den Herodianern , welche,
weder das Naturrecht noch das Völkerrecht achtend, jedem das
Seine vorenthielten; sie schimpften alle Kichtrechtgläubigen Hunde.
Hieranf folgt dann bei Binhnber eine anziehende Charakteristik
des Zaren Feodor, dessen Temperament er loht. Wie sein Vater
Alexei, so sei auch Feodor milde nnd gütig. Dagegen läfst sieh
Riiiliuber sehr ausführlich über die Kränklichkeit des Zarca ;iiis.
Er meint, es werde nicht hinge mit ihm dauern; alle die Ge-
brechen Feodors zählt er auf: Magenschwäche und Skorbut,
Krämpfe und andere Zuf&Ue. Iwan, der sweite Brader, sei blind
von Natur nnd nniSlliig. Dagegen sei der jüngste Sohn Alezeis,
von Naia^ KiriUowna Naryschkin , Peter, stark an Geist nnd
Körper. Komme Peter nach Feodors Tode zur Begiemng, so
werde natürlich Matwejew sofort aus der Verbannung zurück-
gerufen werden. Jetzt aber stehe Iwan Michailowitsch Milofslawsky
an der Spitze der verrotteten BegieruT^?. Nichte geschehe ohne
seine Zustimmung. Bann schildert Binhuber die sohlechten
') Von Matwejew schrei1>t Ludolf» er müsse nun in Sibirien seines
Unterhalts wegen Zobel echiefsen, wozu er umsomehr Zeit habe, als ihm
die ganze Nacht die Sonne nicht untergehe; 8. Relation S. 187.
^) Quippe temporum in iiasBia cadaverosa nono apparet facies.
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Laurentius Rinhuber. 961
Subjektö , deren Iwau Aiilofslawsky sich bediene , und ruft ent-
rüstet aas: Moäkowiter Bind Barbaren!'' Zum Beweise
giV)t er dann Skandalgescbichten aus dem Leben einiger rasBieoher
Groieen, Dolgornkgs and Chükows, snm besten. Den entern
beseiflhnet er als i^natora porens et orsnSi ebrins et cmdelis-
simns'*.
Dann kommt Rinhuber auf seine eigenen Erlebnisse seit seiner
Abreise ans Rufsland zu reden. In LondtHi habe ihm ein ge-
wisser Bernardo Guascoui Empfehlungen nach Italien gegeben,
wohin er denn ancb über Frankreich gereist sei. In Paris habe
er Ewanzig Tage geweilt nnd am 9. September 1676 den König
in Pontainebleau gesehen. Hieranf sei er nach Orleans gereist^
wo er indessen den dänischen Gesandten Gioe, welcher ihm ver-
sprochen gehabt, ihn nach Spanien mitzunehmen, nicht mehr an-
getroffen habe. Da sei er denn iilx r Lyon und Turin nach
Genna gefangen, wo er Gelegenheit gehabt habe, dnreh Yer-
mittlnng Spinolas nnd Orias in die Dienste der Bepnblik va
treten. Indessen sei er auf einem Kriegsschiffe nach Korsika nnd
von dort nach Livomo und Florenz gereist.
Endlich erörtert Rinhuber seine Plane für die nächste ^ÜIu-
knuft: der „Herzog von Etrurien" habe ihm versprochen, ihn im
Mirz mit einem G^chwader (cum tcireniibns) na«h Afrika be-
fördern zn lassen, dann werde er, nachdem er etwa ein halbes
Jahr snr See gewesen sein werde, nach Genna anrüd^gehen nnd
dort seine irztliohe Praxis wieder anfnehmen. Hinhnber erwähnt
ferner, Ludolf habe ihm den Vorschlag gemacht, nach Abyssinien
zu geben, was er auch nach einiger Zeit auszuführen gedenke,
wenn es sich dabei nur um bestimmte Pflichten, um eine Stellung
handle. Daher bringe er sieh dem Herzog in Erinnerung; man
müsse wissen, wo er sei; seine Feinde sollten ihn nicht für tot
ausgeben. Komme er dann einmal, nach yielen Beisen, in sein
Vaturliiad /tirürk', HO hoffe er ;uii" irgend eine Anstellung. Ziuii
Schlüsse folgen dann noch ciuigo liemorkungen über die Zustände
in Italien, über die durch einige herzogliche Monopolien in Tos-
kana herrschende Kotlage. Indessen bemerkt Binhnber, daÜB
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352
Laurentius Kinhuber.
man ja wohl aus den Zeitungeii ttber diese Angelegenhaiten imteiw
richtet sui.')
Uber Riuhubera Erlebnibse vom Februar 1679 bis zum
Frühling 1681 sind wir nicht unterrichtet. Wir begegnen ihm
im Hai 1681 in Paris, ohne dafs wir Wülsten, wie und wann
er hingekommm sei. Ohne Zweifel wird er noch einige Zeit in
Ttalien geblieben sein. BaTs er nach Afrika gekommen sei, w-
scheint nicht wahrscheinlich. Wenigstens nicht nach A.by8sinien,
weil er den Plan einer Heise in dieses letztere Land auch spater
noch wieder aufnimmt.
Bei Gelegenheit seines Aufenthaltes in Paris 1678 wird
Binhuber Beziehungen su frans0sischen Wfirdentrigeni angeknüpft
haben. Ob er damals dem Könige yorgesteUt worden sei, wissen
wir nicht ; er erzählt nur, er habe Ludwig XIY. in FontMnebleau,
wo derselbe mit seiner Familie weilte, gesehen. Eine eigeütlich
offizielle Stellung scheint er auch im Mai 1681, wie wir sogleich
sehen werden, nicht eingenommen zu haben. Wie früher so auch
jetst erseheint Binhuber besonders abhängig von der Qnnst des
Augenblicks. Er widmet sich keiner regelmS&igen Thfttigkeit;
er hat keinen Posten, dessen Gesdhäfte er iKngere Zeit hindurdi
▼ersähe. Seine Leidenschaft ist das Reisen in VerLinduiiLr mit
diplomatischen Geschäften. Unermüdlich ist er im Eutwerlea
von Reiseplänen. JICit Spafari wire er gern nach China, mit
Gioe nach Spanien gegangen, wie er denn thatBichUch mit M eneses
in Deutschland, Österreich und Italien, mit Protopopow in Sadisen
gewesen war. Aus eigener Anschauung kannte er Buüaland,
Skandinavien. England, Schottland, Frankreich. Seine Sprach-
kenntnisse waren umfassend und vielseitig. Sein kraunes Latein
zeugt von einer Formgewandtheit, wie sie damals sehr hoch ge-
schütst wurde. £r muÜB im Jahre 1681 gegen 40 Jahre alt
gewesen sein. An persönlichen Besiehnngen su hervorragenden
lIMnnem in yerschiedenen L8ndem fehlte es ihm nicht. Am
httufigsten hatte er seine Hoffnung auf die Protektion der Hersoge
') Kalation ä. 189-194.
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Laurentius Kinbubcr.
25a
von Sachsen, zuerst Emsts, dann Friedrichs gesetzt. Im Jahre
1681 })egegnen wir ihm in seinen Beziehungen zum Kurfürsten
YOU Sachsen, Johann Georg, von dessen Gnade er für sich auf
weiten Erfolge^ auf eine fraohtlMure und gedeihliche Th&tigkeit
zu hoffen geneigt ist*
Diesen Besiehungen Binhnben snm KnrfUnten von Seohaen
verdanken wir einige Kenntnis von seinen Lebensverhältnissen
im Jahre 1681.')
Nach meiirmaligem und mehrjährigem Aufenthalte in Rufs-
land war Binhuber mit deu Verhältnissen des Staates Koskan
Tdllig Tertniii. Auob die Kenntnis der mssisdien Sprache hatte
er sich angeeignet. In den Formen des diplomattsehen Verkehrs
hatte er eine gewisse Erfahmng erworben. 8o konnte er denn
auch der französisclien Regierung im Jahre 1G81 auf diploma-
tisohem <Tebiete in folgender Weise nützliche Dienst© leisten.
Im Dresdener Staatsarchiv befindet sich ein Aktenstück;
,3oi<^<»' Ambassade, so der Moskowische Zar Herr
Theodoras Alesejewitseh im Monaten Kai) Juni, Jnli und Angusto
dieses 1681 Jahres an Krön Frankreich, Spanien nnd Engeland
aligelien lassen, mit ersten gesetzten Zarlichen Schreiben, Kou-
ferenzpuukten und Königlich Französischer Antwort." Der Ver-
fasser dieser Relation ist Rinhuber, welcher beim Empfange der
rossisohen Gesandtsohaft» an deren Spitae der ons bereits bekannte
Peter Potemktn stand« frsnaSsischerseits als Dolmetsefaer fongierte.
Er meinte dem Knrf&rsten von Sachsen dnrch ausführliche Mit-
teilungen über diese Episode im diplomatischen Leben Frank-
reiclis und Rufslaiids einen Dienst leisten zu können. So sclirieb
') Der HerauRgeber der „Relafinn dn v<,y:}<ro Tj, RiTsImlicr" be-
merkt S. XI der Vorrede: „C^ue fait Rinliubcr de lb79 a lHS3'f Nonn
l'ignorons. Jl y a copendant lieu dö svipposer qne pciidant tmit oc teinfis
11 est reste eu Italie, vu qu'en 1684 il parle 1 italieu avec faciliti'.^ Liii
das Italienisdke fliefiNnd spreehtt su lernen, bnndite Binhnber nicht
volle vier Jshre in Italien sa leben, dasu hätten ebenso viele Monate
anigereicht. Wir siod io der Lage, ans den Akten des Dresdener
Archivs diese viezjihrige Lücke in der Kenntnis von dem I<eben Ein*
habere wenigstens snm Teil (1881—1688) anefSllen sn kSnnen.
264
Lattrentius Binhnber.
er denn sehr aosführlidi Aber die Intentionen der nunscheii
Regiemng, Aber die Audiens der roBsieohen Diplomaten beim
Könige, über die Verhandlungen Potemkins mit dem Miuiäter
Colbert-Oroiaby. ^)
Wir wissen bereits, dafs Rinbuber von Peter Potemkiu keine
hohe Meinung hatte. Schon im Jahre 1675 hatte er in seinem
Schreiben aus Wien sieh sehr acharf ttber die aehnSde Hnbaucht
dee meBiachen Diplomaten geäuüsert. Jetit schilderte er die
unkluge und undiplomatisobe Haltung Potemkins, welcher durch
kleinliches Gewichtlogen auf uie Aufserlichkeiten des Zeremoniells
den Unwillen der französischen Würdenträger erregte. Dafs Rin-
buber bei den Verhandlungen nur eine gelegentliche KoUe spielte,
nicht eigentlich gans als fransösischer Beamter fungierte, ist ana
folgendem Umstände an ersehen. Br hatte eine Abschrift des
Antwortsdureibens des Kttnigs an den Zaren an sich genommen,
durtte sie aber niclit hehalten und mufste sie herausgeben. So
setzte er denn, da er das Aktenstück aus dem Französischen ins
Lateinische und ins Russische übersetzt hatte, den Inhalt des«
selben aus dem Gkdftchtnis für den Kurfürsten auf. Indessen
nahm er, wie wir des weiteren aus seinen ICitteilungen erfahreni
an dem Streit der franaösischen Staatsmftnner mit den mssisehen
über Aufaerlichkeiten der Titulatur u. dergl. teil, indem er die
Partei der Franzosen vertrat, obgleich er, wie er an den Kur-
fürsten schreibt, die ganze Zeit hindurch die Fehler Potemkins,
SO gut es ging, bemäntelt hatte. £r fungierte als Vermittler.
Als a. B. Potemkin, aur Audienn abgeholt, sich weigerte, den
ihn Abholenden unten an der Treppe au empfangen, suehte Bin*
huber ihn zum Nachgeben an bereden und ihn die Treppe hinab
zu fuhren. Bei der Audienz stockte Potemkin in seiner an den
König gerichteten Anrede, weil Ludwig XIV. bei dem Namen
des Zaren Peodor sich nicht erhoben hatte. Es gab einen
Zwisohanfall, in welchem Kinhuber den Gesandten ermahnte, in
seiner Bede fortanfahren, und ftber welchen er den Ednig, der
^) 5. oben d. Abhandlung „Eine rusaische Gesandtschaft in Paris
1681«.
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LaareiitiaB Biahaber.
255
natilrlieh nieht gleich waisie, womm es sioh handelte, Bin*
huber mit Potomkm roBBiBch sprach, orientierte. Bei der Andiena
luijgierte Hinhuber ak Dolmetacher. Nach der5?elben mufate er in
Colbert-Croissys Hause das von i*otemkiu dem Könige überreichte
Schreiben des Zaren Feodor ins Lateiniacbe übersetzen. Wieder*
holt hatte Binhober aich der ICtthe so nntoniebeoi die Meinonga-
▼erachiedeiihelten der Buaaen und Frmnaoaen in Fragen dea Zere-
moniella »nssogleiehen.
Dafs Rinhuber inJessen eine angesehene Rolle epielte, zoigt
seine Auiaeruug, er habe an der königlichen Tafel mancherlei
Aussprüche des rusaxachen Gesandten , welchem die Pracht der
Ofirten Ton Veraaillea einen tiefen Eindruck gemacht hatte, re-
prodnzieren und anf mancherlei die Bnaaen betreffende Anfragen
dw Hadame Danphine Anelninft geben mfiaaen.
So hatte cUnn Rinhuber l)ei Gelegenheit der Anwesenheit
des russischen Gesandten in Paris wieder einmal eine Art diplo-
matischer Bolle gespielt, aber, wie auch früher, so war es auch
dieamal nur eine Art Gaatrolle gewesen. Er hatte keine eigent-
liche Berofaarbeit an verrichten. Alle seine Leistungen waren in
gewiwem Sinne hors d'osnvre gewesen. Begabt und gebildet,
kenntnisreich und leistungsfähig, war er doch nicht zu einer
stetigen, ihren Mann nährenden Stellung gelangt. Er fühlte sich
abhängig von der Gunst dieses oder jenes Machthabers. £r hatte
sehr vielen Hemn gedient und war schiiefsUch nirgends au Hanse.
Data in der Binhuber betreffenden Aktenaammlung in der
Bibliothek au Goth» sich keine Spur von Binhubera Leben in
dem Zeitraum von 1679 bis 1683 findet, mag darauf hindeuten,
dafs seine Bt-zieiiungon zu Herzog Friedrich und dessen Räten
in dieser Zeit unterbrochen waren. Man darf vermuten, dafs
die herzoglich-sächsiache Begiemng sich dem aus Livomo ein-
getroffenen Schreiben Binhubers gegenüber kühl Torhidten haben
werde. Dagegen UUkt die im Dresdener Archiv befindliche Be-
lation Binhubers vom Jahre 1681 darauf achlie&en, dsik er, d*
Aas dem kgL Staatsarohiv zu Dresden.
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256 Lattrantiiu Rinlmber.
von Herzog Friedrieb nicbts sn erwarten war, seine Hoffnung
auf den Kurfürsten Johann Gheorg setete. Diesem trug er nun
seine Dienste an. Diesen suchte er , wie früher den Herzog
Friedrich, für allerlei Uuteruehmungeu zu gewinnen.
Über Rinbubers fernere Absichten im Jahre 1681 findet
sieh in seinem Sebreiben an den KnrfHrsten folgendes. Naoh
der ErsSblnng von den Vorg&ngen in Paris bei G-elegenbeit
der Anwesenbeit der mssisdieii Qesandtstdiaft daaelbtli fKhrt Bin-
huber fort :
„Bei sothaner Konjunktur nun habe ich die beste Gelegen-
heit gehabt in Königl. Französische Dienste employiert an sein,
denn mir Colbert de Groissy mit guten Promessen angeben, ent-
weder mit denen Moscowiten nach Hoskau au reisen und toh
daraus fleifsig au korrespondieren, und par oons^qnent als Kdnigl.
Agent zu leben, oder auch in Paris zu subsistieren ])is ein Königl.
Minister nach Moskau depechiert werden möchte. Aber da mir
das gute Gewissen mein devoir vorstellet, überwiegte die Liebe
des Vaterlandes und der endlicbe Wille meinen Landesleuien aa
dienen alle firemde Ehre, ob sie aucb mit siemliobem Hab und
Gut vergesellscbsAet. Habe dannenbero jene fremde Saeben, und
aucli andere Rönii.sche. so Fraukreicli nicht angehen, aber doch
von mir in Moskau praktizii rt werden kuuueu, alle cessieret, nächst
Gott auf Sr. Churßirstl. Durchl, weltgepriesene Gnade, und
qualem«qnalem promotionem in Dero Landen mich verlassend, mit
demütigster Bitte es geruben Se. CburfUrstl. Durebl. mir ein
vacierendes Pbysikat oder indefs eines Land-Hedioi Stelle gnSdigst
zu konferieren, welche grofse Gnade ich mit gebührendem Rulim
und Dank zu substinieren, auch meinem Nächsten mit der Praxi
medica so zu dienen verspreche, wie einem chriBtl. Medico wohl
anständig. Habe vor diesem, obne ungsbübrenden Eubm lu
melden, die Ebre gebabt, groHrf&rstl. Hoskowitiseber Leib- und
8taatB*Uediens su sein, wie ieb denn suvor und bemaeh die
Prazin Hedicam gelemet und exerzieret in Teutschland, Eugeland,
Italien und Frankreich, auch in ein und andern grofHen Hospitalien
bestellter Medicus gewesen, und etaiich tausend Patienten unter
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Laurentius Einhuber. 257
Händen gehabt, welches alles ich mit denen mir hiervon erteUteu
testimomam und actis probatis belegen kann. Auch weifs ich
aontt noch etwas Gutes uangeben, wie nämlich mit denen Mos-
kowiten eine profitable Handelsehaft so ti«ff»n, und ratione hqjns
8r. Gharfilrstlichso BnrchlaiiGht etsliohe ITnterthanen guten Nutaen
und Oewinn erhalten k5nnen. Soniten ist zu konsiderieren, dafs
der Moskowitisclic Zar unterschiedene Gesandten an Seine Chur-
fürstliche Durclüaucht abgeschickt; wofern nun Se. Churfürstl,
Dnrohl. Tor itao oder auch hemaoh gnädigst resolvierten Jemanden
daliin au senden^ könnte deijenige sogleich einige Kaufleute mit
ihm nehmen, und selbsten etsliohe Warm an<di eine konsiderable
Summe Geldes gegen Moskowische Gflter anwenden, denn gewifs»
lieh dadurch gedoppelter, ja dreifacher Profit zu erhalten int. Ich
aber wollte bei solcher Gelegenheit in aller Untertbäoigkeit und
Treue meine geringe Dienste, wo es erfordert, au employieren be-
mühet sein. Und weilen ich noeh ohnedies entweder bald oder
nach diesem eine Beise nach Moskau thun mufsi um da^enige,
was zu dem Moseovta Theologico-PoUtico-Oeoonomiea (welehes
Werk ich vor mir habe) behörig aus denen Moskcn ischcn Archiven
zu kouquineren, könnten Se, Churfürstl. iJurchiaucht auch wohl
meiner Wenigkeit einige Kommission oder Kreditive gnädigst
anTertraueUi denn dergleichen negotia legatoria su administratieren
ich wohl gewohnt und lange Zeit praktimeret habe an denen vor-
nehmsten Höfen yon Europa. Gott der Allmächtige aber erhalte
Seine Churfürstl. Durchlaucht bei langem Leben, glücklicher Re-
gierung und allem en^-ünschten Wohhvesen, dem Yateriaude zu
Tröste und Freude, um Christi willen!**
nBurchlauchtigster Chuilttrsty Gnädigster Herr, £w. Ghur-
fürstl. Dnxehlanohtigkeit uuterthinigster und geringster Kneoht
Laurentius Einhuher Med. Dr.
Dresden, d. 26. Dezember 1681.«
"Mail sieht, der Verfasser dieses Schreibens ißt zu gleicher
Zeit (belehrter und Diplomat, Arzt und Tourist, enoyklopädiscb
gebUdet, Vertreter der mannigüsltigsten IntereeseD^ unternehmend,
strehsam, nicht ohne EhxgeiB, reich an Erfehmng, yielgewanderty
17
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258 Laureutiuä Eiuhuber.
reiselastigf. Nidit oBne 8to)s durfte er mif
blicken, wenn es ihm auch keine stetige Existenz, keine dauernde,
gleichmälsige Berufsarbeit dargeboten liatte. In emem Aiaibe. wie
dieses nur wenigen Anserw&hlten beachieden zu sein pflegt, hatte
Binhttber die Welt gesehen, die heterogensten Koltorstufen kennen
gelernt, im Verkehr mit Vertretern der Terachledensten Völker
Mensehenkenntnis nnd Einsicht in fremdartige Verhältnisse er-
worben. Er blieb unternehmungslustig, war bereit, auch fernerhin
weite Reisen zu unternehmen, neue Länder kennen zu lernen, als
Vermittler zwischen Orient und Occident 2a dienen. Mochte er
dabei auch etwas von einem Qlflcksritter an sich haben und bei
den TOn ihm in Vorsehlag gebraehten üntemehmnngen an seben
eigenen Vorteil denken ^ so ist doch in seinem Thun und Trachten
ein gewisser idealer Zug wahrzunehmen, ein Streben nacli Bil-
dung und Erweiterung des Gesichtskreises, em gewiwseß Gefühl
für einen grofsen Zusammenhang der Kulturarbeit aller Völker
und aller Staaten. Mochte er noch so sehr aufgebracht gewesen
sein ttber die leidigen Znstftnde in Buiiiland nach dem Jahre 1676,
welche ihn genötigt hatten, auf seine Stellung in Hoskau an Ter-
zichteu, einen bedeutenden Geldwert als verloren zu betrachten^
80 hatte er doch ein dauerndes wissenRchaftliches Interesse an
ßufsland behalten, wo er mehrere Jahre verlebt hatte, dessen
Institutionen! Sitten und Anschauungen er warn Gtegenstande ein-
gehenden Studiuma gemacht hatte. Dort hatte er das Berufs-
leben in mancherlei Gestalt kennen gelernt» dort hatte er, ins-
besondere in den Kreisen der Ansiinder, wie wir sogleich sehen
werden, Freunde, dorthin war er bereit zurückzukehren, um seine
Studien für ein von ihm über Rufsland zu verfassendes Werk
fortsusetsen und augleich in diplomatischen und Handelaangelegen-
heiten den afichaiachen Ffirsten nütsliche Dienste au leisten.
Eine Beihe von Aktonstficken aus den Jahren 1682 und
1683, welche sidi im Dresdener Archir befinden, gewihrt una
einen Einblick in die Art. mit welcher Rinhuber seine Ileiae nach
Moskau und, wenn möglich, noch weiter vorsabereiten suchte.
Auch eriahren wir danms» dafs er bei den an sich nicht wesent-
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Lfturentias Binbuber. 259
liehen diplomatischen Beziehungen, welche zwischen dem Kur-
fürsten von Sachsen und der rufisischeii Kegiemog Btatthaben
•ollien, die InituttiTe hatte. Nicht etwa um besonderer poIitLaeber
Zwecke dea Kurffintentiuns, aondem am der Beiaelost Binhabera
wülen sollte ein diplomatiseher Briefweehsel awischen Johann
Georg III. einerseits und den Zaren Iw.in und Peter un JererHeits
einqfelftitet werden. Beharrlich verfolgte Rinhuher sein Ziel. Es
dauerte längere Zeit, ehe er aeine E,eise antreten konnte. Er
setsto seinen Willen durch, aber nicht ohne dals er Gelegenheit
gehabt hätte, Oednld za ühen.
In einem Schreiben an den Knr&tntm vom 8. Jannar 1689
ans „Alten borg in Meifsen" weist Rinhuber auf seine Erfahrungen
und sein»' Lani^ahn hin: er sei in „vielen niutikowitischen Lega-
tionen Sekretär und Interpret, auch GrorBfürBtl. Hofmedikuä ge-
wesen" , wolle nach Koskan reisen nnd bitte den Kurfürsten,
ihm ein Schreiben an den Zaren mitangehen. Er gibt auch den
Inhalt des absn&ssenden Schreibens an: es sollte darin von den
evangelischen Gemeinden, welche dem Wohlwollen der msstsehen
Regierung empfohlen werden niiilsten, die Rede sein, sowie von
dem Überbringer des Schreibens, Rinhuber. „Und weilen,** schreibt
er an den Kurfürsten, „Supplikant das Werk Moscovia ßcclesiastico-
PoUtico-Oeconomica noch vor sich nnd was dasu gehörig ans denen
moskowischen Archiven zu kongruieren hat, könnten OhurfUrstl.
Durchlaucht in dem Schreiben auch meiner geringen Person ge-
denken, dafs der Zar mich seiner gnädigsten Protektion wolle
gemeiaeu lassen, so lauge beiner Churfürstl. iJurchl. nnd der
Zarlichen Gnade ich mich würdig verhalten möchte. Ermeldetes
Schreiben würde dienen zu der hohen Potentaten guter intelligence,
zum Aufnehmen der evangelischen' Kirchen und der deutschen
in Hoskau lebenden Kation, wie dann endlich auch Supplikant
noch etwas (iutes uu/.UL'eben weil's, auf wes Art und Weise etzliche
Seiner Churfürstl. Durchlaucht Unterthanen entweder vor itzo
oder hernach von Moskowischer Handlung einigen ProÜt und
Nutzen haben mögen.**
Bald darauf trat in Ifoskau der Begiernngsweclisel ein. Zar
17»
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*
260 Laureotius liinhuber.
Feodor starb. Es folgte ihm zunächst sein jüngerer Bruder Peter
mit II hergehung des älteren, Iwan (Ende April 1682). Während
nher schon im Mai der Kampf zwischen den Anhängern beider
Brüder entbrannte, in Moskau ein Anfttand der Strelay die Thron-
besteigong Iwans zur Folge hatte^ so dafs fortan Iwan ond Feter
sagleich die Zarenwürde bekleiden nnd deren Schwester Sophie
die Begeutschaft führen sollte, sohebt man in Sachsen noch im
Juli des Jahres 1682 keine genaue Kunde von diesen Vorgängen
gehabt zu haben, wie aus folgendem Schreiben Binhubers eu er-
sehen ist.
Am 12. Juli 1682 richtete Binhnber abermals ein Schreiben
(datiert Lucca d. h. Lucka in ICmllMn) an den KurfOrsten, sips
welchem wir erfahren, dafs der Knrf&rst sogleich nach Empfang
der früheren Gesuche, dem Wunsche Iliuhubers entsprechend, ein
Schreiben an den Zaren habe redigieren lassen. Kinhuber bittet
nun , da er Beine Heise bald antreten wolle , der Kurfürst möge
befehlen, dafs das Schreiben ihm zugestellt werden möge. Wiederum
erwähnt er seiner in Aussicht genommenen Studien : er beabsichtige
auch ,,andere Sachen, so res naturales konsemieren, in Moskau
zu konquirieren, auch von daraus nach Asien zu reisen". Sodann
bemerkt er, dafs die Abfertigung eines kurfürstlichen Schreibens
nach Moskau, „bei des jetzigen Zaren Herrn Peter Alexejewitsch
angetretener Regierung aus vielen Ursachen allerseite nützlich sein
kann". Endlich bittet er, der KurfQrst solle auch ein Schreiben
an den „König von Fersien'' aosfertigen lassen, wobei er, auf
eine Beilage hinweisend, hinsnfügt: „dessen contenta, weilen es
frembde Sachcu, ich sub No. il uumafsgeblich auzuiuhrun m alier
Submiüöion mich unternommen".
So diktierte denn Jünhuber der kursächsischen Begierung die
Schreiben an den Zaren nnd an den Sdudk von Fersien.
Dia Binhuberschen Koniepto sind erhalten.
In dem an den Zaren gerichteten Schreiben sollte zur Thron-
besteigung gratuliert nnd an die früher stettgehabten freundschaft-
lichen Beziehungen zwischen Johann Georg IL und Alexei er-
innert werden; sodann werden die Deutschen dem Wohlwollen
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Lanrentio« Binhaber.
2Ö1
des Zaren empfohlen: derselbe solle, dem Beispiele seines Vaters
folgend , der evangelisohen Kirche gegenfiber Toleranz üben ;
schliefHlich wird Kinhnbers erwähnt, welcher ja woiil am Hofe
des Zaren bokaimt sei und um gewisser Greschäfte halber nach
Persien an reisen gedenke ; der Zar wird ersaohty diese Keise an
fördern^ Binhuber naoh Astrachan geleiten an lassen; auch mos-
kowitiiche Gesandte wOrden, fUls sie durch sftehsisches Gebiet
reisten, mit WohlwoDen behandelt werden.
l>ui> vüii iiiuhuber entwurfene Konzept zu einem Schreiben
des Kurfürsten an den Schah von JPersien läuft auf einen
Empfehlungsbrief hinaus: Binhaber werde dem Schah erzählen,
welche Länder er bereist, wo er seine Intliehe Kunst ansgefibt,
welche Hdfe er besucht habe; er sei „Archiater** des Zaren ge-
wesen; Jetst reise er nach Persien und Arabien ; gans idlgemein
wird sodann der Wunsch ausgesprochen , dafs zwihehon TN^rsien
und dem Kurfürstentum Sachsen ein freundschaftliches Verhältnis
bestehen möge. ^)
Monate lang sog sich diese Angelegenheit hin. Im Januar
1682 hatte der Kurfürst das Schreiben an den Zaren entwerfen
lassen, im Juli 1682 hatte er dieselbe Verfügung noch einmal
getroffen; im Februar 1683 bittet Binhuber in einem Schreiben
an den Baron v. (fersdorff, jetzt endlich die Ausfertigung^ der
Schreiben besorgen zu lassen, wobei er ihm nochmals Konzepte
au denselben fibersendet. ^)
In diesen Schreiben Binhubers finden sich kurae Andeutungen
über die Yerhftltnisse in Koskau. Hatte Binhuber im JuU 1682
irrtümlicherweise angenommen, daTs der Zar Peter allein in
Moakiui regiere, wuluend derselbe schon seit Ende Mai die Herr-
schaft mit seinem Bruder Iwan teilte, so bemerkt er in einem
etwas spftteren Schreiben an den Kurfürsten, jetat hätten sich die
^) Die Konzepte als Beilagen m einem Schreiben Binhubers an den
Baron v. Gfersdorff, Qeh. Bat und Kammerherr des Kurfünitea, Tom
15. Febmar 1688, wo darauf hingewiesen wird, daCi diese Konzepte im
wesentlichen mit den früher von Binhuber entworfenen übereinstimmten.
Dresdener Archiv,
*) Das Schreiben an Gersdorff lateinisch im Dresdener Archir.
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LaarentiQ* Bmhiiber,
„troublea** in Moskau gelegt und es sei der Zar Iwan mar Be-
gierung gelangt In dem Scfaretben an den Baron t. Gendorff
▼om 15. Febmar 1683 bemerkt Binbuber, dab sowohl ans den
öffentlichen Nachrichten, als aus eingetroffenen Schreiben von
Freunden zu ersehen sei , dafe in Moskau Rnhe herrsche und
dafs der Zeitpunkt für seine, Binhubers, Reise niclit günstiger
gewählt werden könne. Aber auch im Febmar 1683 scheint
Bmhuber nicht au wissen, dafs Iwan und Feter regierten, da er
den Kurfürsten in dem Konzept zum Schreiben nach Moskau an
den Zaren Iwan allein sich richten läfst. Im Dresdener Archiv
befindet .sicli das Konzept zum Schreiben an den Zaren, in welchem
später die Korrektur angebracht wurde, weicher entsprechend von
beiden Zaren die Bede ist. Dieser Umstand zeigt, wie wenig
selbst diejenigen von den Ereignissen in Bufsland erfuhren, welche,
wie Binhuber, persönliche Beaiehungen mit Emwohnem Moskaus
unterhielten.
Die sächsische Kegierunpf moclito uainalH keine grofse Neigung
zu lebhafteren diplomatischen Beziehungen nut dum Staate Moskau
verspüren. Nur etwa das Interesse, welches nicht blofs die herzogt
liehe, sondern auch wohl die kursächsische Begiemng daran haben
mochte, dafs die Deutschen in Moskau in ihren Bechten und
YermögensverhSltnissen, in der Ausübung des evangelisohen Gottes*
•dienstes nicht i)escliränkt würden, kuiiiite den Ivui iursteii Johann
Georg III. veraulaBäeu , einigermalbeu die Beziehungen zu der
moskowittscben Begiernng zu unterhalten. Und nun war es nicht
einmal so einfach, die Frage au beantworten, wer denn eigentlich
an der Spitze dieser Begierung stlnde. Man mochte den Eindruck
haben, dafs innerhalb weniger Monate mehrere Begierungswechsel
btaUgefunden liiitten. Man hatte von der Soldatenmeuterei und
dem furchtbaren Blutvergiefsen in Moskau im Mai 1082, wenn
auch sehr spät, Kenntnis erhalten. So z. B. hatte derselbe Gossens,
welcher 1675 in Wien dem in der Kaiserstadt weilenden Binhuber
mancherlei Angaben über Fotemkins diplomatische Mission mit-
*) Quandoquidcm relationes pul^licae cum amicorum literis doceant
Moscuae nunc omnia esse in tranquiUo.
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Laorentiiu Binhnber.
263
geteilt hatte, nach der grofsen Krisis in Moskau an den Kur-
fürsten geschrieben und demselben mitgeteilt, dafs Blumcntrosts
Leben bei 6M^nheit der Meuterei in der gröfeten Gefiahr ge-
schwebt und dab er eeine Bettang nur der Intervention der
ZarewDft Sophie verdankt habe, welohe den blntdflrstigen BebeUen
zugerufen habe, dafs der Doktor JJluinentrost als ein Uüterthan
des Kurfiirsteu von 8achäeu geschont werden müsset) Im
„Theatrum europaeum" war des dänischen Besidenten Butenant
▼. Boaenbneohe Belation über die erachfittemden Vorgänge im
Kai 1683 an lesen. Ifatwqew» der Gönner der Ausländer, war
umgebracht worden. Rufslands Zukunft erschien als völlig
ungewifs.
indessen Rinlniher hatte recht, wenn er Anfang 1083 be-
hauptete, die „troublee'* hätten sich gelegt, in Moskau sei alles
„in tranqnillo**. Die JEtegentin Sophie hatte die Auhe hergestellt.
Jetzt gedachte Binhuber seine Belse anautreten.
Am 15. Mai 1688 schrieb Ludolf an den Heraog Friedrich
ans Erfurt, bei ihm sei Binhuber angekommen; er beabsichtige
nach Moskau und Persiun zu reisen, verhinge aber, dafs das ihm
an die Zaren mitzugebende Schreiben in einer silberneu Kapsel
verwahrt würde; so habe er denn eine solche anfertigen lassen.
Hierauf fährt Ludolf fort: „8ein Vorhaben betreffend, habe ich
bei ihm eine sonderbare Begierde zu reisen und sowohl sich da-
durch in seiner Profession zu perfektionieren, als auch sonst seine
Kuriosität zu erfüllen verspüret, und weil er mir eröffnet, dafs
er auf verhoffte Rekommaudation des Königs von England nicht
allein in Persien, sondern noch weiter zu gehen rMolviert, so
sind wir auf Abyssinien gekommen, welchen Vorschlag er sich wohl
ge&Uen lassen, yerhoSend, vermittelst seiner Kunst sich an allen
Orten der Welt durchsubringen, könnte auch gar leicht gescheheui
wenn die zarischen Ministri von ihm hören würden , dafs die
Abyssinier in der Religioii ilmeii am nächsten heikämen, dals sie
gar eine Abordnung vernuttelst der Armenier, die im Lande sehr
QoBBsns' Schr^ben befindet sich im Dresdener Archiv.
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S64
LanrontiDs fiinhaber.
wohl gelitten und in der Beligion mit ihnen allerdings ein-
stimmig» hinein thSten» nnd d» hoffte er wohl mitsnkommen.
Alldieweil er nun von Leiheediepotition nnd anderer ümBtSnde
wegen zum Reisen geboren zu sein scheint, seine Kunst auch in
der ganzen Welt gilt, so habe icli das Vertrauen mit göttlichem
Beistand zu ihm , er dürfte die Reise noch wohl verrichten and
dabei denen Abyasiniem Anleitung geben» wie aie die Ohriatenheit
in Europa besuchen und mit den ehristlicfaen Potentaten Freund-
schaft, tu Erlangung allerhand Künste und Wissenschaften» stiften
möchten. Ich gehe ihm auch daan alle benötigte Instruktion
und Kachricht, gehe auch gar damit um. wann es mit Ew. Fürst-
lichen Durcldaucht Erlaubnis geschehen könnte, dafs ich eine Keise
in Niederlond und England thun und Termittelst der nooh
habenden kaberlichen und churpfiüs. Bekommaodaiionen an den
K5nig nnd die Herren Staaten, ihm hr&ftig Befehle nnd Be-
kommandationsschrmhen an die ministros und Dhraktoren der
Kontoire in Moskau, Persien und in den Seehäfen in Arabien
und des roten Meeres zuwege bringen wollte''. In einer Nach-
schrift bemerkt Ludolf noch : ,,I)r. Rinhuber erinnert und bittet
gar hoch, dab dieser Vorschlag der weiteren Reise in guter Geheim
gehalten werden mSchte, damit nicht, wenn es vor der Zmi
eUatieren sollte, es allerhand Hindernis, auch ▼idleicht unseitige
Präjudizia in der ;Ä[oskau selbst geben möchte.''
Aus diesem Schreiben Ludolfs ist zu ersehen, dafs man in
herzoglich-sächsischen Landen an den Ideen des Herzogs Emst
inbetreff der groXsen abyssinischen Entwürfe festhielt» Nach den
Anschauungen jener Zeit stand Abyssinien ungefähr auf gleicher
Stufe wie BuiUand. In lihnlicher Weise wie der letstere Staat
mehr und mehr an den Segnungen der europäischen Zivilisation
teilzunehmen vermochte, so hoffte man auch Abyssinien in eine
Art Kolouialgebiet für westeuropäische Bitte, Kunst, Wissen-
schaft und Staatsweisheit verwandeln zu können. In dieselbe
Kategorie hochfliegender Plitne gehört die Idee eines nUheren
') Relation S. 195—198.
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Laurentius ßmiiuber.
265
Verkehrs mit China. Als man in Westeuropa zuerst von der
Geneigtheit Peters des Grofsen zu allerlei Reformen vernahm,
ftoTserte Letbniz, es sei ein eigentümliches Zusammentretftin, dafa
sn gleicher Zeit in Cbioa, in Hoekan nnd in Abyseimen Fürsten
regierten, deren Streben nach Beformen in «Uen diesen LKndem
eine neae Ära inangoriere. ^)
VI.
Bo wurde denn die letzte Unternehmung Binhubers, von
welcher wir Knnde haben, eingeleitet. Über diese weite Beise,
welche der ktthne nnd nnermtldliohe Kann nach BoTsland unter-
nahm, sind wir durch seine 8chnft „ Wahrhafte Belation von
der Moakowischen Reise und ükkü|>alioii, bo ich im Monat April
1684 angetreten und mense September 1684 in Moskau vollzogen,
wobei auch zu finden un abbr^ge d'Eatat de Moscovie" recht genau
unterrichtet. Dieses Werk, welches sich in der Bibliothek sn
Gotha als Handschrift befindet, hat bereits vor mehreren Jahr-
zehnten dem verdienstvollen Forscher Friedrieh v. Adelung vor^
gelegen und ist in allerueuester Zeit lierausgegeben worden. ^
Wir entnelnnen der Erzählung Rinhubers folgende auf seine
Erlebnisse sich beziehende Angaben.
£r berichtet, dafs er schon im April 1683, also noch fräher,
als jenes Schreiben Lndolfi an den Herzog Friedrich verfa&t
wurde, die Schreiben erhalten hatte, welche der KurfSrst Johann
Georg III. und der Herzog Friedrich durch ihn an die Zaren
abzufertigen gedacliten ; der letztere lial)e auch ein wertvolles
Gescheuk für Iwan und Peter beigefügt. Ül)er den Inhalt der
Schreiben bemerkt Binhuber, es sei darin die Auffordemog ent»
halten gewesen, baldmöglichst etwas gegen die Tflrken zu unter-
nehmen. Binhuber sagt femer, er habe um so sdmeller reisen
*) Gnerrier, Leibnis und seine Besiehungen zu Bofaland und Peter
dem Grofsen (St. Petersburg und Leipsig» £878) 8. 16.
*) S. oben S. 215. Der Titel der Edition, welche, wie wir sahen,
eine groise Ansahl von Akten enthalt^ ist sn eng.
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266
Linrentii» Biohnber.
-woUeni als er die Absicht gehabt habe, sich fOr seine Heise nach
Persien dem Bohwedisohen, dorthin gehenden Gesandten, Oberst
Fabricius. mit welchem er von fnihercr Zeit her befreundet ge-
wesen seil anzuschlieiseu. 80 hollte er denn zum September lt)83,
da Fabricius seine Reise antreten wollte, in Modcan und zu Ende
Beaember 1688 schon in Ispahan sa sein. Von dort ans
gedachte er sodann nach Abyasinien an reisen. Indessen habe
er Aussicht gehabt, sowohl von dem Knrfttrsten von der Ffitls
als auch von dem Kiinigc von England Empfehlungsachreibeu zu
erhalten ; so sei er denn dadurch zu verschiedenen ^Leisen an
den Rhein, nach England und Holland ToranlaTst gewesen, ohne
doch diese wichtagen Briefe erhalten in können, habe die beste
Reisezeit verloren, viel Geld verbranoht, den Anschlofs an die
Heise des Fabricins versäumt und sei somit in seinen eigenen
Interessen und inbetreff der Zwecke seines Unternehmens sehr
erheblich gcscliädigt worden. Nachdem er im Spatiierbst von
den Kreuz- und Querzügen in Frankfurt, Heidelberg, Holland
und England snrückgekehrt sei, wire es an spät gewesen, im
Oktober und November noch die Beise ftber die Ostsee zu unter-
nehmen. So habe er den Winter in Heoklenburg verlebt. Im
April 1684 sei er erst zu Schiffe gegangen, um dieselbe Zeit,
ah d'w kaiserlichen Gesandten Zyrowski und Blumberg ebenfalls
nach Moskau aufbrachen, um die Zaren zu einer energischen
Aktion gegen Tttrken und Tataren an bewegen.
Rinhuber teilt den Wortlaut vwschiedener Briefe mit, wdLohe
er mit mehreren Würdenträgern inbetreff seiner Reise nach lloe-
kan und den dort sn erlangenden Andiensen bei den Zaren Iwan
und Peter wechselte. Kr meldete seine bevorstehende Ankunft
sowohl dem holländischen Gebaudtcn, Baron Keller, dessen Freund-
schaft er schon früher genossen hatte, als auch dem Statthalter
von Fskow, Bojaren Boris Petrowitsch Sohereme4jew ; auch schrieb
er, nachdem er im ICai 1684 in Riga eingetroffen war, an die
Zaren, indem er seines früheren Aufenthaltes in ICoskan gedachte.
In Pskow , wo Scherenietje>v Ihn gut aufnahm , erhielt Rinhuber
ein Schreiben vom Baron Keller, welcher für ihn bei dem Minister
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Laurentius Kiuhuber.
267
der Begentin Sophie, Fürst«ii Wassilij \\ assiljewitsch Qolizyn,
zu wirken suchte.') Keller schrieb u. a., efi weile gerade zur
Zeit ein persischer Diplomat in Moskau; es sei für Riabuber
geraten, eich demeelben, da er sieh sor Beise in die Heisiat rüste,
anzQficblieiMn.
Keller hatte Rinhnbenr Ankunft viel frfiher erwartet. Sein
Schreiben ist ^^foskau den 17. Dezember 1683 datiert. "Wiederum
hatte Kiuiiuber GtileguuUeit, den Aufschub zu beklagen, welchen
die ihm in Ausnicht gestellten und später vorenthaltenen Em-
pfehlungsbriefe Teranlafst hatten.
Übrigens gestalteten sieh die Verbältniase fiir RinlraberB
Weiterreise sebr günstig. Scheremetjew stellte ihm, als einem
Diplomaten, Wagen, Pferde und Bedienung zur Verfügung. Er
erhielt täglich reichliche Lebensmittel für sich und seinen i)iener
(„dem Doktor: ein Weifsbrot, für Ii Pf. Semiuulbrot, ein Hiuder-
viertel, ein Schöpseuviertel, eine Henne, ein halbes Pfund Butter,
sehn Eier, drei Schalen Doppelbranntwon , zwei Krflge Met,
vier Krüge Bier; dem Diener: ein Boggenbrot, ein Stück Bind-
fleiscb, ein Stück Schöpsenfleisch, zwei Schalen gemeinen Brannt-
wein, zwei Krüge Bier"); er wurde rasch weiter befördert, in
Nowgorod von dem Statthalter Urussow wohlwollend behandelt.
Am 4. Juni begegnete er schwedischen Gesandten, welche soeben
Koskan verlassen hatten ; sie luden Binhaber an Tische ein ; man
trank mit Begleitung von Pauken und Trompeten „etalicher Poten-
taten Oesnndheit". Am 6. Jnni traf er in Hoskan ein. Wegen
düä argen Regenwetters verzichtete er auf einen feierlichen y.n^y.uir
in die Hauptstadt, auf welchen er, wie er meinte, Anspruch ge-
habt hätte. Es wurden ihm zwei Beamte der Behörde für aus-
trSrtige Angelegenheiten, ein prachtvoll aufgeschirrtes Beitpferd
sur Verfügung gestellt.
Einige Zeit schwebte die Frage, ob die Zaren Binhnbem
Über die Persönlichkeit des Baron Keller und dessen gate Be-
siehungen tu Golisyn finden sich wertvolle Angaben in Posselts Werke
über Lefori Keller gehörte su den hervorragendsten Bewohnern der
deutschen Vorstadt
268
Laorentiiit Sinltttber.
eine AndieoB bewilligen wtLrden. Den VoTschlag. die Schreiben
der sächaischen Fürsten der Behörde für auswärtige Angelegen-
heiten zu:?UBt^l]en, wies er zurück. Ei kannte die russischen Ver-
hältnisse zu gut, um nicht zu wiBsen, daXs eine solche, ihm von
Jemelian Ukrainsewy einem sehr erfahreneOf aber kleinliche Mittel
Eor Erlnngnng von persönlichen Vorteilen nicht aehenenden Be-
amten, gemachte Znmntnng eine Intrigne in. sich sehloJSi oder
einen Erpressungsversuch bedeutete. Er erklärte, entweder mit
den Schreibüu der sächsischen Fürsten wieder abreisen oder die-
selben in feierlicher Audienz den Zaren überreichen zu wollen.
Baron Keller stimmte dieser entschlossenen Haltong bei. Inswischen
maohte Binhnber einige Bestechnngsrersnehe, brachte in Er&hmng,
dafo die kaiserlichen Gesandten nnd andere deutsche Katholiken
ihm nnd seiner diplomatischen IDssion zn schaden sachten, dals
u. a. andere tloutache Ärzte fürchteten, er werde seine Praxis
wieder aufuchmeu und ihnen Konkurrenz machen. ^) In den
Kreisen der Katholiken, welche in der ,»deat8chen Vorstadt'' eine
grofse Bedentnng hatten, nannte man Binhnber einen „Ketser" ;
man wollte ihn „yesieren'', „beschimpfen^S seine Andiena bei Hofe
▼erhindem. TTm so energischer rnnfste Binhnber anf seinem Stficke
bestehen. Er nennt aeiue Wirlersachcr .jcinc cauagliu''.
So richtete er denn abermals ein Schreiben an die huideti
Zaren, in welchem er am eine Audienz bat und seiner früheren
diplomatischen Leistongen erwihnte, über welche die noch lebenden
Stiatsmanner y Keneses and Potemkin, Zengnis absolegen Tei^
*) Kinhuber schreibt: „Und sind besaj^ft- in 3IoskaQ lebende exteri
also geartet, dafs einer dem andern sein Aufkommen mifi^nnt and
verhindert, wo und wi" »t kann, und ehoii dieses i««t mir auch vor
dit'si'in wideriahrt'ii.'' Kr «Tzählt sixliiMn, wie man ihm im Jahre 1675
inf'nl;,'*' (It'f Ivüiike etliclu r Deutscher suin (i<'halt von 30 Rubel auf
19 Kübel niuuaLiich geschmälert habe; wie ein diplomatischer Auitrag
zn einer Beiae ins Ausland im Jahre 1676 dadurch vereitelt wurde^ daift
ein anderer Deatscher, Benignus Oansland, sich dasu gedrängt Imbe;
B. die Einselheiten in der Relation S. 821.
So z. B. war Patrick Gbrdon, der hervorragendste aller aas-
ländischen Offiaieret eifriger Elatholik und fanatischer Vertreter der
Propaganda.
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Laurentius Kinbuber.
269
mocliten. Er setzte Boinen Willen durch. Die Audienz fand am
20. Juui statt. ^) Es war ein Triumph, den Binhuber über seine
Feinde errangen hatte.
Bemerkenswert sind Binhubers Änlseningen über die Hai-
tong, welfihe der jüngere Zer bei der Audienx beob«ehteto. Als
Golisyn das Schreiben des Kurfürsten Johsnn Ctoorg HE. ent-
gegennahm und den Zaren zeigte, besah Peter das Schreiben nnd
lobt© j,niit lachendem Munde" da« schöne Siegel. Von der Zere-
monie des Handkusses erzählte Eiuhuber : „Hieraui' trat ich herzu
mit rererenee swisohen die Palassen (Schwerthalter) ein, nnd
kllssete den Zaren Joaan rechte Handy so der Bojarin Iwan
HiohailowioB Uiloslawski nnterstfitste ; dieser sagte snm Zar (weil
Seine Majestät nicht wohl sehen kann): der Doktor; bald küssete
ich auch die Rechte des Zaren Peter Alexejewitsch, so mir imit
halb lachendem Munde eiuen freundlichen und gnädigen Blick gab
nnd mieh gar eben ansähe et dans nn moment Selbsten die
Hand daireiehte. Ein flberaos sohöner Herr, an welohem die
Katar son poa^oir wohl erwiesen, nnd wie ich anderswo ge-
schrieben, le Czar Pierre est nd si heureusement et avec tant
d'avaiitages de la nature, qu'une des moindrcs qualites qu'est en
lui est d'estre tils du Koy. II est uue beaute qui gagne le coeur
de toos eeiuc qui le voient, un esprit qui dans les premiöres
aunds de son Age ne trouve döj& pas son pareil.''
Nach der Amdiens erhielt Binhnber, wie solches fiblioh war,
Speisen und Getränke, welche ihm in seine Wohnung gesandt
wurden, und — ein Geldgeschenk im Betrage von drei Bubeln,
welche den Wert von sechs jELeichsthaleru repräsentierten. „Das
war,** bemerkt er, „das beste von allen Gerichten meo qoidem
jodioio,*'
Ein paar Tage spftter stattete Binhnher dem Fürsten Wassiiy
WasBi^ewitsch Gollzyn «of dessen in der Nihe der Hauptstadt
S. manche zum Teil unbedeutende Details über diesen Vorgang
in der Belation S. 998 C
*) Yielleioht findet tioh dieser Fsssos in dem leider bisher noch
nicht aa%sfmidensn Schiiftohen fiinhuben „abr^ d'estat de HosooTie''.
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270
Laureulius Kiuhuber.
befindlichen Qute Tsohemaja Grjasj Ginra Beenoh ftb| wobei er
ihm zwei goldene Medaillen mit dem Bildnis des Kurfürsten von
Sachsüu als Geschenk überreichte. ^) Der Minister war hoch-
erfreut, erkundigte sich nach den Details des Instituts de« Kor»
f&ntenkoUegiams und sprach seine MifiibiUigupg darttber ans, data
nicht alle deutschen Fürsten dem Kaiser in dessen Kampfe mit der
Tflrkei beistSnden. Bann fragte er nach den Terfallltnissen der
sächsisclieu Lande, nach dem Her/oir Friedrich. Zuletzt ver.^prach
Golizyn Rinhuber in dessen beabsichtigter Keise nach Persieu in
aller und jeder Weise Vorschub zu leisten. Er war der Meinung,
da£s jELinhuber als diplomatiseher Agent nach Ispahan gehen werde,
wfthrend dieser lediglich als Privatmann die Reise unternehmen
wollte nnd jetzt, infolge des leidigen Aufiichnbs, genötigt war.
auf die Auölülii iing seines Vorhabens zu verzichten und nach
Deutschland zurückzukehren. In diesem Sinne äul'serte sich Rin-
huber gegen den Fürsten Golizyn.
Femer berichtet Binhuber darftber, dals er bei den kaiser-
lichen Gesandten au Tische gewesen sei, von den VerhiUtnissen
der Katholiken in Rnfsland, Ton den Zuständen der evangelischen
Gemeinde in der „deutschen Vor.stadt*'. Er hatte (jrelegeulieit,
dem Fürsten Golizyn Ludolfs „Kistoria Habessinica'S sowie ein
Geschenk von Herzog Friedrich für die Zaren, in allerlei Arzneien
bestehend, zu Aberreichen. Man bl&tterte in Iiudolfs Werke über
Abyssinien und stiele dabei auf die Abbildung von drei Domini-
kanermönchen^ welche dort enthauptet worden sein sollten, wobei.
Golizyn mit Lachen zu Kiuhubcr sagte , auch ihm werde es so
ergehen, wenn er nach Abyssinien reise.
Dann gab es eine geschäftliche Konferenz Rinhubers mit
Golisyn. Es war von der Tiirkenirage, von einem Zusammen-
wirken Enfidands und AbyssinieBS im Kampfe gegen die Pforte
die Bede. Besonders ansfllhrlich verweilte Binhuber bei der
Darlegung der kirchlichen Verhältnisse der Abyssinier, weil ihm
daran lag, die Russen von der Übereinstimmung der in Abyssinien
Vielleicht geschah dieses im Aafitrsge des Ktufursten von Sachsen ;
s. die BeUtton S. 888.
biyilizüü by GoOglc
Laurentius Rinhuber.
271
uncl in Rnfslftnd herrschenden Dogmen zu überzeugen. Er machte
den Vorschlag, die Zaren sollten einen diploraatiaclit-n Agenten
nach Abyisinien senden. Als verstünde es sich von selbst » da£s
er, Binhuber, sn einer »eichen Beise teilnehmen mflaaer bemerkte
er: |,Wir .mfilsten in dieeem Falle nach Penien reaeen, sodann
einige Armenier mitnehmen^' n. i. w. Seine ,,Propositione&*'
mit dem Datum Moskau, den 23. Juni 1684^' reichte er in
lateinischer Sprache ein ; dieselben wurden ins Bussische übersetzt
und eingehend geprüft.
Aas den die orientaliaohe Frage , die üntemehmang eines
Tflrkenkriegs betreffenden UnterrednsgeD Binhubers mit Gtoliayn
konnte der ersten» entnehmen, dafs die mssisohe Regierung nicht
geneigt war, gemeinsame Sache mit den Polen gegen die Türken
zu machen, .jnafsen die Polen nicht allmächtig werden zu lassen
eine von den groi'son Moskowischen Maximen". Binlmher wollte
sogar davon gehört haben, dals ein Krieg awisohen Moskan und
Polen ansbrechen werde ; indessen hielt er ein solehes Ereignis
f&r nnwabrseheinlioh, weil die mssisohe Begiemng flberhaapt eine
snwartende Haltnog beobachtete, weil die beiden Zaren nicht einig
wären, weil es an Gold fehlte, weil die Armee unzufrieden sei
(„die Strelizzen Uiuicontents*'). Sehr charakteristisch für die
Zustände in Moskau sind folgende Bemerkungen Rinhubers:
ifKein Hoskowischer Bojar oder Beiohsrat wird leichtlich an
einiger Entreprise einraten, denn eine Spanne kttner gemacht
sn werden ist in Voskau nnn gar nichts Neues. Der Premier*
minister, der gute Herr Qalizyn stehet in grofser Gefahr; er
mufs beider Herren Zaren Partei halten, alle aüaira du Royaume
debattieren, und ist kaum sttffisant denen Sachen länger vor-
susiehen." ^)
Binhuber liels es sich angelegen sein» die höheren Beamteui
welche an den answ&rtigen Angelegenheiten Anteil hatten » sich
durcii Besuche, Schmeicheleien und Geschenke geneigt zu machen.
So besuchte er Ukrainzew, den „secrctaire d'estat'S Kusma
>) 8. die Belation S. S4L Fünf Jahre spSter erfolgte Golis^u
Stars; s. meine Biographie G. s. weiter unten.
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272
Laurentius Kinhuber.
Nefimonow, den Schreiber Tscheredcjew u. a. Er schreibt: ,,Al80
hatte ich sie alle zu Freunden." Ferner suchte Binhuber seine
alten Bekannten auf, den holländischen Gegandten, Baron Kelleri
deraen wohlwoUonda Haltung er nioht genug rfihmen kann, den
scliwediflohen Kommiraary Ghrittoph t. Koohen, welofaer Binhnber«
JEteiee nach Persien möglichst an fö^em und an «rleichtem ver-
sprach, den dänischen Gesandten u. a.
Mau sieht, dafs Rinhuber sich eine augesehene Stellung in
den höheren Kreisen der ruAsifiohen Gesellschaft und auch in den
Kreisen der Ausländer erworben hatte, folgender Umstand trug
dam bei, dafs er in dieser Zeit die besondere Gunst des Fürsten
Oolisyn erlangfte. Der letatere hatte das Unglück, sich bei einem
Sturz bedenklich zu verletzen , und Kinhubers gegen diese Ver-
letzungen augc wandte Mittel erwieöüu bicli als sehr wirksam. „Bei
dieser Gelegenheit/^ schreibt Binhuber, ,,ward der Herr Galizyn
mein grofser Gönner, und ich mufste öfters an Abend bei ihm
essen und auch über Nacht im Vorgemache schlafen. Er ver-
sprach mir anch eine gute Expedition vor diesmal und her-
nach eine gute Gage zu prokurrieren , wofern ich wieder nach
Moskau kommen und in Zarlichen Diensten zu sein begehrtnu
würde."
Einen Vorschlag dee polnischen Grafen Zgursky, welcher
nach Persien abreiste, ihn dorthin au begleiteni mnftte Binhuber
ablehnen, erstens wml er das mssisehe auswirttge Amt m Ifoskau
schon um seine „Demission in Germaniara soUizitieret" hatte, und
zweitens weil er im Gefolge des polnischen Diplomaten ,,wie
die Herren Fol lacken hätte leben und von ihren Herreu Pfafi'en
die Mease mit anhören^' mtüMMO. Immer wieder klagte Binhuber
darttber, dab er Im Jahre 1688 die rechte Zeit Tersiumt hatte,
um in Fabricius' Gesellsehsit nach Persien an reisen. Und bei
dieser Gelegenheit erfahren wir denn auch, was ihn besonders
nach Persien getrieben hatte. ,,Fabriciua, Swidersky, Zgursky
und Termund, ja noch andere waren vor ein 10 Jahren arme
Kerle, sind aber durch ein einzig Schreiben, so sie von hoher
Hand gehabt an den Pener Schach, aufkommen, nnd jeder
biyilizüü by GoOglc
Laoreutiuü Kinhuber.
273
mit 1000 Dnkftten regaUeret und jetio gar groüe Harra
worden."
Zuletzt gab es noch Widerwärtigkeiten und Streit. Spafari,
Ton dessen ,,Schelmen8tiLcken'' Kinhuber mancherlei zu erzählen
wuXste, glaabte in d«n von Binhuber arreichton Schnftatttokan
Inkorrakihaüen inbetraff dar Tital dar Zaran anideokt cn baliaii.
Bai dar grolaen Wldbtigkait, walahe man danuüa , baaondera in
Rnfaland, diesen Dingen bailegte, konnte dieser Zwischenfall für
Kinhuber die unangenehmsten Folgen haben. Bpafari drohte
ihm, er werde nach Sibirien verbannt werden. Indessen suchte
Kinhuber die Kedaktion seiner Aktenatttcka sa reobtfertigeii} wobei
ibm insbesondere G-olizyna Gonst za statten kam. Er scbreibt:
lyHätte ein anderer msaischer Herr an des Herrn Galisyn Officio
oder Stelle gesessen» hXtte Selbiger mieh in grofs malhenr ge-
bracht." Ky gab eine Art Untersuchung, zugleich eine Art
Wissenschaitlicher Disputation. Kinhuber und dessen Gegner
stritten darüber, ob bei der Ubersetsiing der Namen und Titel
in das Lateinische die eine oder die andere Bedaktion dem Geiste
der lateinischen Sprache besser entspräche. Die Sache hatte keine
weiteren Folgen.
Am 27. August besuchte Rinhuber den Fürsten Golizyn
abermals auf dessen Gute. Hier sah er die Prinzessin Sophie,
welche nähere Beziehungen zu dem Minister unterhielt, den Zaren
Iwan und dessen Gemahlin. Kinhuber speiste bei Goliayn, welcher
ihm nach Tische sagte : ,^i, Doktor, dn mulst bei uns im Lande
bleiben, weil da unsere Sprache reden nnd schreiben kannst nnd
auch vor diesem der Zsrisehen IfajestSt gedienet." Rinbnber er-
widerte, er müsse zunächst nach Deutschland reisen und werde
später vielleicht wiederkommen.
Am dO* Angast fand £inhnbers Abschiedsaudiens statt.*)
^) Die Schreiben der Mohtisoh«! JPürsten «n den Zaren sind ab-
gedruckt bei fifisdiing» Magasinfür die neue Historie und Geographie IX,
525—688. Ebendort das AntwortBchreiben der beiden Zaren Iwan und
Peter vom 80. August 1684. Das Original des Schreibens in rassischer
Brflekner, Babland. 18
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274
Laurentius Einhub^.
Er erhielt nach derselben ein Geschenk von 100 Kübeln (Dukaten)
in Zobeln und erfuhr zu seinem nicht geringen VerdruBse , dafs
dafi Geschenk 140 £.ubel betragen sollte > dalis aber 40 Babel
▼on den Beamten der Kanslei des Zaren anterMUagen wordon
aeien« Die 100 Bnbel aehmolaen infolge der achnSden HabaaGht
anderer Beamten nodi anf 75 Babel sniaininen. Bs galt als
selbstverständlich, dafs dergleichen sich ereignete, und B.iuhuber
hielt es nicht für angeiucüsen, Klage zu führen.
So trat denn Binhuber am 8. September seine BfiekTsise
nach Deutschland an. Er hoffte, sich dem nadi Dinemark anrftck-
kehrenden dänischen Gesandten Horn ansehliefsen nnd sn diesem
Zwecke ül)er Reval reisen zu können. Der Ränkesucht und dem
Eigensinn einaa Beauiten in Nowgorod hatte er es zu danken,
dafs sein Beisepafs nicht, wie er wünschte, auf Heval, sondern
anf Nanra ausgestellt wnrde. So mofste denn Binhuber abermals
anf eine bequeme^ rasehe und sichere Beisegelegenheit yeraicbten,
gegen seinen Willen die viel koBtBi)icligere Beise nach Narra
machen , dort mehrere Wochen auf ein nacli Lübeck tjehendös
Schiii warttäii. Dazu gab es in Narva sehr fatah^ ^Liisverständ-
nisse mit feindselig gesinnten schwedischen Zollbeamten, welche
' Aufenthalt und Mehrkosten verursachten. Ein Milsgeschiok reihte
sich an das andere. Eine in so spilter Jahresaeit unternommene
Seereise — Binhuber reiste endlich am 38. Oktober von Beval
ab — war gefahrvoU. Das Schiff mufste infolge eines Sturmes
in den Hafen von Reval einlaufen. Nachdem es wieder in See
gegangen war, brach das Unwetter in der Nälie der iinnisoheu
„Schären** T(m neuem los. Binhuber schreibt: „Die See war
ungeheuer und schäumend , wie ein Kessel wallendes und heiih
siedendes Wasser, die Wellen hohl und die Wogen hielten das
rendea-vous in onserm Schiff und Kammer nnd schlagen sowohl
gfpraohe befindet sich im kgL läohntehen Staatssrolnv. Hier ist a
dr&cUioh erwähnt, die Zaren hätten dem Laurentius Binhuber gestat'
nach Partien xu reisen; aber dsnelbe habe diese Beise nicht nnl
nehmen woUeo.
biyilizüü by GoOglc
Laureutius Rinhuber.
275
ans als die woUgedbten Schiffsburscben darnieder, dafs wir des
Aufstehens und unser selbst vergafsen, und in die achtundvierzig
Stunden nichts erwartt^ten als den augenblicklichen Tod. Ich
bibe dieie grofse Not in meinem Joomal graphioe ^) beschrieben,
weil ich ein viersehn See&brlen in der Ost-, Nord-, Westeee und
Levani« getbsn, niemali aber dermalsen die Gewalt der Winde
und des Meeres erfahren als zu der Zeit. Zwei Schiffe, so' mit
ims in See gegangen, sahen wir verderben, das dritte aber ist
mitten in der See vergangen, das ist, augenblicklich gesunken.*'
Auch bei Bombolm und Bügen dauerte die Gefahr fort,
indessen erreiidite das ScbifiP Travemünde am 91. November.
Erst vierzehn Tage später konnte indessen Binbuber sein Gepäek
erhalten, welcbes im Schiffsraum verwahrt worden war. Über
Lüneburg und Leipzig reiste er nach Dresden, wo er am 23. De-
zember das Antwortschreiben des Zareu au den Kurfürsten über-
gab und an den folgenden Tagen zur Hoftafel eingeladen wurde.
Hieraof reiste er naob Gotha ^ am anoh dem Hersog Friedrieb
das Antwortsebreiben der Zaren sn Überreicbeni aber auch bei
dieser letzten uns bekannt gewordenen Heise Binbnbers ^b es,
wegen Hochwasser, Verkehrstöruug und eines Mirsverstänciuibseb
tnbetreff des Gepäcks, verschiedene Schwierigkeiten und Aufent-
halt. Er hatte schon aas Leipzig an den Herzog geschrieben
und ibm das Gtescbenk von den Zaren (,|Zobels und ein weifs
Fuebsen Werk, so vor ein Winterrock dienen kann**) überssadt,
damit der Herzog dasselbe vor Weihnachten erhielte.
Seine „Withrhafte Relation'^ schliefst Kinhubor mit den
Worten : „Und so viel kürzlich von meiner Moskovischen Reise
worauf nun folget der andere Teil, nämlich Belation d'estat de
Hosoovioi wobei zu bemerken, dafs zwar nicht alles so gar am-
ständliob aosgefObret, weil ich in einem gewissen Traktat de
^) Relation S. 273. Leider ist diese Schrift Riububers bisher nicht
stt^g^efonden worden.
^ BeUftion 8. 876.
*) Belation S. 199-800.
18»
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S76
Laurentiaa Binhuber.
T«bQ8 KoieoTxticiB , plait a Bieii) wdil Imimt in lolirdbeo g6>
Binhub«» „Wahrhafte Belation* sehemt aa den Heraog
Friedrich gerichtet geweeen m eein. Anf daa ,»Datiim, Gotha
den 24. Febmar 86** folgt „nnterthlnigster Laurent Bmhnber.
K. mea**.
Dafs weder das „Abr6g6 d'eetat de Moscovie'* noch die
andern Schriften, deren Binhuber enrfthnt» aich biaher haben
anfinden laasen, ist sehr an bedauern. Wir wftren um eine Gb-
sehichteqnelle fttr die Vorgänge der siebziger und aohtziger Jahre
reicher. Iviiihubers ürteü über die Zustände Rufslands in dieser
Übergangszeit zu erfahren, wäre für uns von dem gröfsten Werte.
Ob er Zeit gefunden hat, eein groisee Werk über Rufsland, dessen
wiederholt erwähnt 'ist, su yerftsBen, erfahren wir nieht. Jahre-
lang hat er fOlr dieses» offenbar sehr uvfiuigreich angelegte Werk
das Material gesammelt. Der Titel, welchen er demselben au
geljLii gedachte, veranlafst uns zu der Annahme, dafs er es in
lateinischer Sprache schrieb oder zu schreiben gedachte. "Es wäre
ein Seitenstück zu dem berühmten Buche des Olearius gewordeUi
welches Binhuber sehr hoch schätzte.
Überhaupt sohliefiit leider unsere Kenntnis yon dem Leben
und Wirken Rinhnbers mit dem Januar l().sr> ab. Über seine
ferneren Schicksale haben sich bisher keinerlei Nachrichten auf-
finden lassen. In dem Jahre 1685 mag er im kräftigsten Mannes*
alter gestanden und nicht viel ttber 40 Jahre gesShlt haben.
Ob er noch lange als Arat, als diplomatischer Ag«ntf als Be»
porter und Schriftsteller gewirkt, ob er Reisen unternommen habe,
für die Verwirklichung seiner Entwürfe thätig gewesen sei? Diese
Fragen müssen offen bleiben. Seine Lebensgeschichte bleibt ein
Torso. Er gehörte an den unternehmenden Beisenden, welche
damalsi sum Teil in einer etwas abenteuernden WeisOi den Ver-
kehr swischen BuiUand und Westeuropa yermittelten und in dieser
internationalen Bolle sur Verbreitung von Kenntnissen Aber den
fernen Osten beitrugen. Eme kuümupuiitische Natur, ein ruhe-
biyilizüü by GoOglc
Laurentitia Binhuber.
277
loier Tourist, ,,zam Beiaen geborenes wie Ludolf tob ihm mgte»
war lüuhuber welterfahren und gebildet genug, um seine Reise-
eindrücke und Erlebnisse litterarisch zu verwerten. Sein Name
reiht sich würdig denjenigen anderer Schriftsteller an, welche in
jenen Zeiten fiber BoTeland beriohteten, wie etwa OleeriaB, Mayer-
bergi Witten, Korb, Pefzy, Stralenberg «. a. Die Auffindung
der bisher onbekannt gebliebenen SehriflenBiiBhiibeni wSre dringend
m wünschen.
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IX.
Fürst W. W. Golizyn (1643—1714).
«
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Je entflokflidandir fllr die G^aBohieliie BniUiiida die Befonn«
«poche Peters dee Grofsen gewesen ist, von deeto grOfeerem In-
terense ist es, die Gcneeis j« rif r Reformideen, deren genialer Ver-
treter der gewaltige HeiTBcher gewesen ist, in den Jahrzehoten,
welche eeiner Kegiemng Yorati«giiigeii| in Texfolgen. Auch vor
Peter bat ee in Bufeknd AiihSiiger der weet<«uopftiMheii Kultur
gegeben, bcgeieterte Forteebriitniinner, welcbe Ton der SerOb*
rang Bnfiibuidfl mit Barope det Heil erwarteten, atrebnme, lern-
fähige und lernbegierige Schüler höher gebildeter Nichtrussen,
liberalgesinnte Patrioten, welche vor durcbgreifendeu Xeuerungen
nicht zurückschraken und, im Gegensatze zu der trägen Hasse
des läb am Bestdienden lastbaltenden Volkes, bereit waren, mit
m an ch en Traditionen sn brechen, nenen Elementen den Zntritt
naeh Bnliland tn gestatten, ihr Land, ihr YoUc der Segnungen
des politischen, intellektuellen moralischen und ökonomischen Fort-
lehritts des Westens teilhaftig zu machen.
Zu der nicht grofsen Anzahl solcher Männer gehört der
Fürst Waesily Wassi^jewitsch Gk>liayn, dessen Leben und historische
Bedentong wir in der folgenden Inegrapbisehen Skiaie knm ra
■ehildeni ▼emuhen wollen. Bs ist am so aniiehender, in ihm einen
Geistesverwandt«! Peters des Grofsen an erblicken, als er keines-
wegs zu dem Kreise Peters gehört, ja vielmehr dem letzteren im
gewissen Sinne feindlich gegenüberst^t. Die politische HoUe
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282 Fürst W. W. Golizyn (1643—1714).
OoHsyns nnd di( j< nige Peters schlosBen emander ans. Za den
BedinjQfungen einer erfolgreichen , selbständigen Thätigkeit des
jungen Zaren gehörte der Fall Golizyns. Hatte dor letztere
mehrere Jahre hindurch bis 1689 eine Art Eegentenrolle gespielt,
so mulkto er mit dem Stnrxe seiner^ Freondin und Göuieriiiy der
PrinzeBsixi Sophie» su Qmistea Peters das Feld rftomeof den
Sohaaplats seiner Thfitigkeit im IBttelpunkte des Staates, an der
Spitze der nissischen Armeen mit der Einsamkeit des im ent-
ferntesten Norden gelegenen Verbaimungäurtes vertauschen.
Ein solch jäher Wechsel in den persönlichen Schicksalen
rnssiacher Staatsmfiimer ist im 17. und auoh wolil im 18. Jahr-
himdert an nnd fär sieh eine nicht ungewöhnliche Erachdnung.
Ooliayn gehört in jene lange Beihe mssisoiher Machthaber, welche
nach schrankenlosem G-enusse von Pracht und Glanz, Luxus und
Einflufs. das Wohlleben um ] die grofsartige historische Rollü ganz
plötzlich aufgeben müssen, um den Kest ihres Lebens in der be*
seheidenen oder gar kttmmerlichen Ezistena in menschenleeren,
wfisten, unwirtlichen G-egenden ab Verbannte zu vertraiiem. In
dem Leben der Hatwejew, Golisyn, Tolstoi, Menschihow, Oster«
mann, Münnich, Biron und anderer wiederholt sieh ein solcher
Gegensatz von Glück und Elend, von Reichtum und Armut, von
Höhe und Tiefe nur mit dem Unterschied, dafs es einigen wenigen
yon diesen, als politische Verbrecher behandelten Würdenträgem
gelingt, nach kOrserer oder iSngerer Verbannung heimsukehren,
Freunde und Verwandte wiedenusehen, die unteifirocheiie polt-
tische ThStigkeit wieder aufsunehmen, wenn nicht gans, so doch
zum Teil die frühere Stellung zu erringen, sich wieder mit dem
früheren Luxus zu umgeben, während die meisten in Schnee und
Kälte, in Kummer, Gram und Entbehrung, bei einer Lebensweise,
wie rohe Bauern oder asketische Könche sie aus Kotwendigkeit
oder Neigong su ftbren pflegten, schneller oder langsamer dem
Tode entgegengingen. Letsteres Schicksal ist audi dem Forsten
Golizyn zuteil geworden. Die Bildungsstufe, welche er einnahm,
muls ilin dasselbe doppelt schwer haben empfinden lassen, ein
Umstand, welcher nur geeignet sein kann, die dem Andenken an
biyilizüü by GoOglc
Füret W. W. öoüzyn (1643—1714).
283
den Mann uiul seine Stellung in der Gesciiiclite fiufslands zu
zollende Auicaerksftmkeit zu steigern.
Noeh b«i LebBeiteii, wihrand dar YerlMUDiNiDgMaity itt Gtoliiya
Gegenstand der Beaohtnng in der lüetoriechen Littaratar geworden.
Es kam ihm zu gute, dafs ein diplomatischer Agent., welcher, fran-
zösisch-polnische Interessen vertretend, sich einige Monate im
Herbst 1689 in Moskau aufhielt, GoUzyn persönlich kennen lernte
und YoU Bewandemng über die reiohen Gaben und die Jiebeoa-
wfirdige Pers5nliehkeit dea Forsten sieh ftnljNrte. Die in den Jabren
1698—1707 in awei frans5Bisehen , einer englischen und awei
holländischen Ausgaben erschienene „Relation curiense et nouvelle
de la Moscovie" von Neuville ist die Quelle, auf welche auch die
spätere Geschichtsforschung, so oft sie sich mit W. W. Goüzyn
beschäftigte» anrftokaogeben pflegte. Hier werden wahre und er»
diohteto Zfige aas seinem Leben arslttilt. Wibrend die Sebildemng
der Eindrücke» welche der TTmgaog mit dem eine Art Gfofaveaier»
Stellung einnehmenden Golizyn übte, die Darstellung der Reform-
entwürfe, mit denen er sich trug und welche er gesprächsweise
dem Verfasser der „Relation curieuse^ mitteilte, von dem gröfaten
Intaretse sind und als miTerläaaige Gesohiobtsqnelle angeseheii
werden kdonen» Terdienten yon den, mm grdiatea Teil anf Klatsoh
bemhenden Angaben Aber Thatslebliobes » a. B. Aber daa peve
sönliche Verhältnis Golizyns zur Regentin Sophie, die weiagi^ton
Glauben, und mau mufs es bedauern, dafs spätere Geschichts-
forscher auf dieselben zu viel Gewicht gelegt haben.
Minder ^usammenbXiigendes » aber darohaiiB ZaTerllsatges
bietet eine Xeiige yon Notisen» welche den Fflrsten beireffen» in
dem Tagebnehe des Generale Patrick Gordon» welcher jahrelang mit
ihm auf vertrautem Fufse stand, ihn fiber die Verhältnisse West-
europas unterrichtete, eine Reihe von Feldzügen mit ihm durch-
machte und unmittelbarer Zeuge seiner Katastrophe tt^ar.
Eine nicht unbeträchtliohe Anaahl von Aktenstücken» Privat-
briefen «nd Gktchaltspapieren» welche den Fürsten Goliayn be*
L>iyiliz|^;^ Google
284
Pürst W. W. Golizyn (1643—1714).
treffen, eneliien sebon sn Bude dei 18. Jelirhmiderti in Editionen,
wie die altrubtsische Bil»liothek . welche zur Zeit Katliarmaa II.
von Nowikow herausgegeben wurde, sowie in der neueren Zeit
in der von der nMoskaaer Oeaellachaft für Geschichte und Alier«
iHmer Kofikoda** heranegegebenen Zeitoohnft „Wremannik**» ohne
daff dieee Akten sehr Tiel Belelirendei enthielteiL
Wie man eneh nook Jakneknte naeh dem Tode €k>lisynt
sein Andenken selbst im Westen würdißrte , zeigt eine seltsame,
in den Einzelnheiten der mitgeteilten Tiialbachen und Urteile eine
wunderliche Mischung von Wahrnni und Falachem enthaltende
Fhigeohnft, welche mr Zeit der KaiaeriB Anna, im Jahre 1737,
«nofaien: „Qeaprlehe im Beiohe der Toten; 224. Entrem
swisehen dem Kneee Banlio Qoli^rn und dem maaiwkeii General
B. von Hochmnth, Leipzig 1737**. Jahreszahlen, Angaben flber
Peldzüge und Schlachten und die dabei verwendete Truppenmenge
geben ein fast komisches Durcheinander von Mi fs Verständnissen ab.
IHiroh einen grofsen Teil der Broohäre sieht eich die spaDihafte
yenreohaelung dea Fflraten W. W. OoUayii mit deaieii Vetter
Boris Alexejewitach Goliiyn, worans denn wieder eine Fülle von
Irrtümern erwächst. Immerhin verdienen flsnaelne Angaben bk
diesem Schriftchen Beachtung. Dasselbe zeugt davon, dafs man
im Westen den russischen Angelegenheiten früherer Zeit gern
eine gewine Anfinerksamkeit schenkte, und dafs der JSindrucky
welehen daa Wirken tind die PenÖnüohkeit Qoliayna anf aeni«
ZeLtgenoasen geOht hatte, kein fltlohtig vorflbeigehender ge-
weaan war.
Genau hundert Jahre später erschienen in Kufsland zwei
Biographien (jolizyns. Die eine hatte den dereinstigen Vor-
sitzenden der Moskauer Gesellschaft für Geeohiehte and Altertümer
Bnildaiids, A. Malinowaky anm VerCMaer und ward gedniokt im
Vn. Bande der von dieaem gelehrten Vereu herani^gegelieiieii
„Stadien nnd Chroniken" (Moekan 1887). In demeelben Jahre
erschien in dem zweibüiidigcu Werke A. Tereschtschenkos „^'er-
such der Übersicht des Lebens der Würdenträger, weiche die
Anawirtigem Angelegenheiten in BuTeiand leiteten" (St. Petera*
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Fürst W. W. (ioü^yu ^iö43— 1714).
285
bürg 1837) ebenfalls eine Biogiaphie Golizyiis. Beide Arbeitüii
enthalten sehr dankenswerte Details, zeugen aber von sehr schwach
entwickelter Kritik. So schenkt namentlich Tereschtschenko,
welcher flbrigem eine lehr bedeatende Beleeenheii an den Tag
I^gty der Sohriit Nearillee unbedingten O-lanben. Beide VetfiMier
ergehen sieh, wie des in jener Zeit ttblieh wer, in den stitrksten
Ausdrücken über die , dem Fürsten Grolizyn als Gegner Peters
und Anhänger Öoplucas zur Last geiegUn Verbrechen. Polizei
und Censur trugen damals dazu bei, die sittliche Entrüstung zu
steigern. An allerlei historischen üngenenigkeiten nnd cfarono-
logisohen Ventttlsen ist in beiden Schtiften kein Mangel.
TTstijalow hat in seiner „Gesohiehte Peters des Grofsen**
neues und wertvolles Material über Golizyn mitgeteilt, Privat-
briefe, Gerichtsakten und sonstige Geschüftspapiere, welche ius-
besondero in die Katastrophe Golizyns einen ongleioh tieferen
Einblick gestatten, als dies bis dahin möglich war.
Ans allem diesem Material heben wir in der folgenden, keines*
wegs erschöpfenden Sldaie nnr das Wesentlichste heraus.
ijuuil*alin bis 1682.
Wsssilg Wassiljewitsoh Goliayn, im Jahre 1643 geboren,
stammte aus einem hoohangesehenen Geschlechte, welches sdnen
Ursprung auf die mlunrctchen Zeiten Littanens im dreisehnten
.Jahrhundert zurückführte. Einer seiner Ahnen, Michail Iwano-
witsch, hatte bereits in der ersten Iluilte des sechzehnten Jahr-
hunderts dem GroMürsteu Wassilij Iwauowitsch in den Kämpfen
mit Polen sehr wesentliche Dienste geleistet nnd seine Trene
nnd Ergebenheit mit achtnnddreÜliigjihriger Haft in Polen ge*
bfliirt; dessen Sohn, JnrQ, hatte insbesondere gegen die Tataren
ruhmreich gekämpft. Der Enkel Jurijs, Wassilij, wurde mit dem
Vater des ersten Zaren aus dem Hause Romanow, dem nach-
maligen Patriarchen Philaret, als russischer Gesandter (1611)
nach Polen geschickt nnd hatte, als man 1613 zur Wahl eines
Zaren schritt, namentlich unter den Geistlichen eine Parteii
Google
286
Fürst W. W. Golizya (1643—1714).
welche ihn gerne auf den Thron erhoben h&tte. Er starb kiuder«
los in polnischer Gefangenschaft.
Wie alle Golizyns , so bekleidete auch der Vater unserea
Oolisyn WassUg Andrcgewitscli, während der Begiemng der eraten
Zaren anB dem Bjmae Bomanow veraehiedene holie Poeten. Er
starb 1652, als idn Solin neun Jahre alt war. ^) Geburt nnd
Stellung hatten dem jungen Manne die Lanfbahn vorgezeichnet.
Er widmete sich dem Hofdienste, begleitete den Zareu Alexei im
Jahre 1668 auf einer Wallfahrt zu einem Kloster und spielte
bei Hofe eine herrorragende Bolle.
Gblisyns ndlitärisebe und politisohe Thätigkeit begann in der
Zeit der Kegierung des Zaren Feodor Alexejewitsoh (1676 — 8S).
In diese Zeit föilt der Absehlnfs der klein-russischen Angelegen-
heit. Nachdem in dem Frieden von Andrussow (1667) Rufsland,
nach .Jahrzehnte fortgesetztem Kampfe mit Polen, letzteres ge-
nötigt hatte, Klein-Bolsland wenigatens links vom Digepr absn-
treten, war diese neaerworbene Provins in dem Streite swischeo
Türken nnd Tataren einerseite und Bnlsland andererseits snm
Zankapfel geworden. Der Hetman Doroschenko hatte die Interessen
der Orientalen vertreten. Es entbrannte ein Kampf um die
Festung Tschiginn, welche Dorosclienko, nachdem er eine Art
Vasall des Sultans gewesen war, den Bossen übergeben hatte.
Der Kampf der Parteien in Klein-Bulaland erforderte eine ener-
gische Intervention vonseiten rosnedher Beamten nad IGlitürs.
An diesem Paaifimerungswerke hat GoUsyn teilgenommen. £s
galt ferner, das Land ijegen die EinföUe der Tataren zu schützen.
Golizyn befestigte Putiwl und andere Städte. Als die Türken
1677 nnd 1678 Tsohigirin belagerten — es war das erste Mal,
dafo die Pforte nnd BolUand unmittelbar miteinander Krieg
KlIhTten — be&nd atoh Golixyn beidemal in der Armee, wdche
den Belagerten helfeii sollte. Es fehlte nioht an Belohnungen;
^) Vgl. Tereschtsohenko a. a. O. S. 131 u. ff. Die Geneidogie aus-
föhxlieh in dL Alten Bossasohen Bibliothek, Bd. 17, S. 811 u. C, mid in
einem hesondsm Werke Ton Ssertsehewskg, wdehes 1868 in St. Peters-
borg erschien.
biyilizüü by GoOgl
Fürst W. W. Golizyn (1643-1714).
287
Golizyn erhielt allerlei neue Ämter und Würden, ward in den
Bojarenstand erhoben, empfing kostbare Creschenke an iiiind und
Baoern, wertvollen G^egenständeu und Geld, auch den Stab, die
«ogeoaimte Bnlawlk, welche eiiut dem Hetman Doroachenko ge-
hört hatte. ^)
Schon in dieaer Zeit hatte Gblü^ Gegner. Wir hdren
von einer gewissen Spannung zwischen ihm und dem Oberfdd-
herm B-omo 'l uiowskij, wegen eines E,augstreites. Aus (lordons
Tagebuch eriahren wir, daTs es gefährlich war, Golizyn eiuen
Beanch an machen^ weil man sich dadurch leicht den Zorn des
Oberfeldhenm tnaog. ^ Auch mit dem neuen Hetman Klein*
Bnlidandsy Ssamoilowitsch, haderte Qoliayn, weil Ssamoüowitach bei
seinem Streite mit dem Oberfeldherm die Partei des letateren
ergriffen hatte.') Es wird ferner cr/itilt. dafs (lolizya bei der
Wahl eines Saiumeipuuktes für du I ruppeu anderer Auaiclit
gewesen sei, als der Hetman, und endlich, dafs er für seinen
Sohn Alezei um die Hand der Tochter Ssamoüowitacha gebeten
habe und abachlägig beachieden worden aei.
Bafs er bereite in der Begierungsseit Feodora wesentlichen Ein-
tluiö Ulli" die auswärtige Politik Rufshinds geübt habe, wie man
wohl gemeint hat, ''^) ist zu schlecht bezeugt, als dal's mau auf solche
Kachrichten Gewicht legen dürfte. Dagegen ist sein Verdienst
*) Vgl. il. Einzelheiten bei TerescLtschenko a. a. ü. S. 13Ö u. fL
*) Gordüiis Ta^rebnch, heraus», v. Pusselt, Bd. I, S. 450.
*) Gordom Tagebuch, Bd. 11, S. 180.
*) Vgl. Tereschtachenko, S. 186. Wie <Mhyn, als er eine Freuden-
botschaft an den Zaren befördert, gekränkt wird, indem andere ihm
auvorkommen, so daü» Golizyns Boten keine Belohnimg erhalten, erzahlt
Görden, 1, 433.
^) In den obenerwiUmten Gesprächen im Reiche der Totea , rühmt
sich Golizyn in der Enfrcvuc mit dem General ITochnmth , S. 1183, er
habe wälireud der Ro^ierun^' des Zaren Feodor die grülste Holle ge-
spielt; der König Ludwig XIV. habe an ihn pfeschrieben und ihn pre-
beten, dahin zu wirken, dalä liul'äland uiclit mit Schweden breche; so
habe denn er, Gbli/yu, den drohenden Elrieg zwischen Kufsland und
Sdiweden Tttrhindert. — IMeser Zug gehört au den mancherlei gewagten
Einaelheiten der Flugichrift, welche allerdings durch dergleichen Un-
geheuerlichkeiten an Ltteresae gewinnt.
üiy
288
Forst W. W. Golkyn (1648-1714).
bei Abfloheflhng des m. einem ohromsefaen Übel gewordenen IGTs-
standes der Rangstreitigkeiten (Mestnitschestwo) unzweifelhaft.
Man darf ihn als einen der wichtigsttüi Urheber dieser heilBauien
Reform ansehen. Es galt ein Stüok mittelalterlichen Unwesens
fortsaränmeii, am den Intereeseii des modeisen Staates den Steg
Aber gewisse VonirteUe der Grofsen, der Besmten nnd Generale
so versehaffeo. Xan wird sageben mttssen, .dafs diese, in die
letzte Zeit der Regierung des Zaren Feodor fallende Mafsregel
dem Geiste der Reformepoche Peters des Grofsen entsprach.
Nicht umsonst hat der neueste G-eschiohtsjächreiber Xtufslanda,
S. SsQlowjew, den Abschnitt seines nmfsssenden Werkes^ welcher
„Bofsland in der Beformepoohe'' inm Gegenstande hat, mit der
Begierang Feodors begonnen. Die west-eoropäisefaen Binflftsse,
insbesondere die Einwirkang polnischer Sprache, Litteratur nnd
Sitte, wird in dieser Zeit immer stärker. Der überauu kiank-
liche, aber wilienastarke und nicht unbegabte Zar denkt au allerlei
VerSnderongen im Staatshanshalt. Dafs er den Rangstreitigkeiten
ein Ende maohte, ist eine Epoche in der Geschichte des rnssisohen
Heerwesens.
In den KiSmpfen mit Polen nnd Tataren hatte man die TÖllige
TJntanglichkeit der russischen Militnrorganisation einsehen gelernt.
Auch aas Glordons Tagebuch erfahren wir, wie schlecht es mit
der Mannszucht stand. Zu den schlimmsten Fehlern der nusisdien
Offiziere gehörte die Unfähigkeit, sich einem höheren Willen nnter-
anordnen. Jeder HiUtär hielt sich im Bechtei den Gehorsam
sn Terweigern, wenn seine Emennang für ii^nd einen Posten
seinen tjl)erzeugun<?en von ckn ihiü, seiner Vorfall ren wegen zu-
kommeudeu Vorrechten inbetreff der einzunehmenden dienstlichen
Stellung nicht entsprach. Die aahllosen Streitigkeiten, welche
der Anfang eines jeden Feldsags anfwiesi die aof der genau im
einaelnen festgestellten üntersochnng der G^chicfate des IXenstes
der Vorfahren begründeten Klagen, BekriminatioDen nnd Benon-
ziatioiit'U der Offiziere brachten die Regierung nicht sclteu schon
während des sechzehn teu Jahrhunderts aus der Fassung. Oft
erkannte die Begierong die . Berechtigong solcher Klagen and
biyilizüü by GoOgl
Fflnt W. W. Oolizyn (1648—1714). 289
Bitten an, und liefs anf Grand der in den Archiy«n befindliohen
Dienstbtteher diese Personalfragen genau prüfen und entscheiden.
Öfter aber sah die Repfieruncr, durch den dabei unvermeidlichen
Zeitverlust, durch den Aufenthalt, den Erfolg der i'eldzüge in
Frage gestellt und half aioh dann mit der Erklttmng, dafs in
diesem einseinen Falle für diesen Feidang jeder onweigerlieh den
ihm zugewiesenen Posten bekleiden solle, ohne dala im Prinaip
seinen Dienstrechten im Yerhftltnis an Kollegen oder Vorgesetzten
dabei zu uahe getreten würde. Solche Ernennungen „ohne Präju-
diz*^, die formelle Erklärung, dafs es hierbei sich um eine Art
von „comment suspenda'' handle, waren einerseits «ne Anerkennung
der 0«setzliobkeit des ganaen Mifssiandes solohen endlosen Haders,
anderseits ein kfimmerlicher Notbehelf. HEan mnfste weiter gehen
nnd mit dem Prinzip breehen. Das geschah weaentlioh dorch die
Initiative "W. W. Golizyns.
Er war Mitglied einer aus Vertretern verschiedener Stände
zusammengesetzten Kommission, welche über die Keform des Heer-
wesens an beraten hatte, und an dem Besohlnsse kam, dafii vor
allem jenen Bangstreitigkeiten ein Ende gemaoht werden müsse.
Als Berichterstatter der Kommission, in welcher er, wie wir
annehmen dürfen, die Hauptrolle wird gespielt haben, teilte Golizyn
dem Zaren dieses Ergebnis der Beratungen mit. In einer feier-
lichen Versammlung der Bojaren und höheren Geistlichkeit erörterte
der Zar, nachdem der Kommis8ionsberi<dit verlesen war, in einer
lingeren Bede, deren Wortlaut erhalten ist, die ganae Frage*
Nach einer korsen Beratung beschlola man, das Arekiv der Dienat-
register au verbrennen. Bie Erkenntnis, dafe ein im Prinaip
schädliches Institut abgeschafft werden müsse, scheint allgemein
gewesen zu sein. Es wird von keinem Widerspruche berichtet,
welcher dem KommiasionsTorschlage etwa begegnet sei. Die
Befonnidee Qoliayna entapraeh dem Charakter der 2ieity in welcher
das Bewafataem von der Notwendigkeit der Beformen immer klarer
hervortrat. Kan hat bemerkt, dafs Goliajn bei diesem Vorgänge
eine iiociiliurzige Selbstlosigkeit au den Tag gelegt Imbe, da seine
Ahiitiii lange Zeit hindurch stets die hervorragendsteu Stellen inne
19
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390
Ffint W. W. Goliiyn (1648—1714).
hatten, er also bei Baogetreitigkeiten fast auanahmelos günstiger
gestellt war, ala andere. Wie dem aneh aein möge, sein Käme
ist an eine Habregel gekuüpft, welche Ton loyalem Sinne flir
politischen Fortschritt zeugt.*)
Kurze Zeit darauf starb Foodor Alexejewitsch. Während
der Krankheit des Zaren pflegte ihn seine Schwester Sophie. Es
wird berichtet» als habe gans besonders W. W. Gk>liayn dahin
gewirkt, dafs Sophie eine solche Pflicht übernahm.^) Es mag
sich TieUeicht in jener 2eit ein mehr oder minder alErtUches Ver^
hftltnis zwischen dem Fürsten nnd der Prinzessin entsponnen
haben. Er war 3W Jahre alt. verhuiratet und hatte erwachsene
Kinder, Sophie a^ite 25 Jahr, war hochbegabt, bes^^er gebildet,
als rassische Prinzessinnen in jener Zeit zu sein pflegten, und
▼on £hrgeis nnd Herrschsncht erfüllt. Kanches in den Em&h-
lungen von diesem YerhKltniB mag der Wahrheit nicht entsprechen,
insbesondere mnfs vieles hierauf Bezügliche in Neuvilles Schrift
als gruiuiioses Gerücht bezeichutt werdtju, indessen lial t-n die
aus den späteren Jahren der Kegentschaft Sophicns btammeuden
zärtliohen Schreiben der Begeutin an den Fürsten, welche Ustr-
jalow den Archiven entnahm und in seinem Werke über Peter
den Orolsen mitteilte, jeden Zweifel an einer glühenden Leiden«
Schaft der Prineeesin fUr Golizyn beseitigt. Wir werden sp&ter
diese Akteu^tuckc iiaLtLUcn. Gewifs ist, dals der Verkehr
SophieuH mit dem erfahrenen, ge»ühäftskundigeu Fürsten sehr
wesentlich zu ihrer politischen Ausbildung beitragen mufste. E»
war eine Anomalie, dafs ein weibliches Mitglied des Zarenhanses
in die Staatsgeschäfte eingeführt wurde. Sophie, welche in den
Jahren 1682 bis 1689 Bulsland regierte, erschien auf ihren Beruf
vorbereitet. Man wird nicht leugnen können , dafs sie in dieser
Zeit Mut und Einsicht, politischen Takt und diplomatische Ge«
wandtheit an den Tag legte, dafs sie den an sie durch ihre Stel*
lung gemachten Anforderungen gewachsen war. In ihrem ganzen
') Vgl. d. Gesch. d. Vorgangs bei Ssolowjew, Gesch. Rufslands.
Bd. XIII, S. 317-324; r?.trjalow, Gesch. Peter d. Gr. I, Ö. 290.
^) Tei-eüchtschenko a. a. Ü. S. 147.
biyilizüü by GoOglc
Fürst W. W. Golizyn (1643—1714).
291
Wesen ist eine Reife und Entschlossenheit, welche in auffallendem
Gegensatze steht zu der Unmündigkeit, ünwiBsenheit und Be-
deutungslosigkeit, welche andere Frauen der höheren nusiflchen
GeMUscimCt eharakteriflierten. Wir glauben nicht sa irren, wenn
wir den Umgang mit Gblisyn als Sophiens politische Schule be-
zeichnen. Indem der Guig der gewöhnlichen, hergebrachten Ord-
nung der Dinge durchbrochen wird, vielleicht durch ein unerlaubtes
Verhältnis . hat sich damals in Kufsland ein Akt der Frauen-
emanzipation vollzogen. Sophiena Name, ihre Bolle in der Ge*
schichte Boislands ist eng verwachsen mit dem Namen nnd der
historischen Bolle Golisyns.
Man kennt die Stellang, welche Sophie unmittelbar nach dem
Tode Feodors einnahTn. Wir dürfen kaum daran zweifeln, dafs
sie gegen die anfänirlich durchgesetzte Thronbesteigung Peters,
mit Aussohlufs des altern Bruders Iwan, agitiert, dafs sie an den
Bluttagen im Mai (15. — 17.) einen wesentlichen Anteil ge-
habt habe.
Das Ergebnis war, dafs nicht Peter allein, welcher
einen Monat lang den Namen eines 2^ren geftihrt hatte, sondern
Iwan und Peter zusammen regieren sollten , dafs Sophie He-
gentin wurde.
Wir wissen nicht, welchen Anteil Golizyn an diesen Ereig^
niesen gdwbt hat. Dafs unter den Opfern der Sohreckenstago im
Mai auch der einstmalige Gegner Golisyns, Bomodanowsky , an-
getroffen wird, darf uns nicht yeranlassen, ihm einen besonderen
Anteil au dieser Blutthat zuzuschreiben. Entscheidende, ver-
brecherische Handlungen waren nicht Hache Golizyns. Nach den
uns vorliegenden Materialien ist er sowohl bei der Krisis des
Jahres 1683, welche ihm neben der Begentin die erste Stelle im»
Beiohe eintrug, als auch bei der Verschwörung des Jahres 1689,
welche seine Verbannung sur Folge hatte, im BSntergrunde ge-
bliehen. Von einer besonderen Initiative seinerseits bei diesen
Ereignissen ist nichts zu spuren. Audere Personen ersclieinen
als die wesentlich handelnden. Die Woge der politischen £r-
schfitterung erhebt ihn so hoch im Jahre 1683, stürzt ihn tief im
19*
üiyiiized bf 'Google
Fant W. W. Golisyn (1648—1714).
Jahre 1689, ohne dafs er, loweit omre Kenntnis dieser Ereagniese
reicht, setnee G-lttckeB Schmied oder seines Falles TTrheber ge-
wesen wäre. Violleiclit lud er energischer gehandelt . durchgrei-
fender agitiert, als wir bei dem immerhin nur fragmentarischen
Material zu erkennen vermögen; wahrscheinlicher ist ea, dals wir
in Golisyn eine Art politischen Hamlets vor uns haben.
Welchen Anteil auch Gh>lisyn an den Vorgängen im Früh-
ling 1689 gehabt haben mag. die Erhebung Iwans auf den Thron,
Sophiens Kegentschaft machte ihn zum Grofswezir Rufslands. Der
Sieg Sophiens war nocii während der 8clireckeastwge entschieden ;
erst einige Tage später endete die Alleinherrschaft Peters formell.
Erst Ende Mai wird Iwan Zar, wird Sophie JEUgentin. Aber
die Emennimg W. W. Golisyns sam Mmister des Answartigen
erfolgt bereits den 16. Mai. Also unmittelbar nach der Ermor-
dung Matwejews, des hochgebildeten Staatsmannes, welcher bis
zum Jiihre 1676 diesen Posten innegciiabt hatte, ward Golizyn
dessen Nachfolger. Erhielt er auch , wie neuerdings Ssolowjew
auf Grund von Arohivalien berichtet hat, den formellen und
hochklingenden Titel eines „Ghrofssiegelbewahrers und eines Ver-
Walters der grolsen Gesandtschaftsangelegenheiten" erst am 19. Ok-
tober 1683, so wurde ihm doch bereits früher, und swar während
der Sclireckenstage im Mai 1682, die Leitung der auswärtigen
Angelegeuhciteu Bufslands anvertraut.
In einer Zeit, da Rufsland sich anschickt ein Glied der
eoropäisehen Staaten£smilie zu werden, da die diplomatischen Be-
aiehnngen sn Westeuropa an Intensitftt und Vmhng sunehmen,
da die wichtigsten Angelegenheiten der auswürtigen Politik Ruls-
hmds, die Beziehungen zu^ Schweden und Polen, zu Türken und
Tataren in ein neues Stadium treten sollten, war der Posten eines
Leiters der auswärtigen Politik besonders wichtig. Wie Matw^jew
war auch Gblisyn durch Neigung und Gbsehmack, Bildung und
Überseugung AnhSoger der nach Westeuropa gerichteten Politik.
Er gehörte au den sehr wenigen Bussen, welche des Lateinischen
vollkommen mächtig waren. Er sprach und schrieb lateinisch so
flielsend, dafa er für den Verkehr mit auswärtigen i>ipiomaten
biyilizüü by GoOglc
Fürst W. W. Qolizyn (1643—1714).
2d3
nieBt der VermittelTing dflr Dohnetaelier bedurfte. Wir
wissen, dafs er noch vor dem Jahre 1682 mit den in Moskau
lebenden Ansiändern einen lebhaften Verkehr nnt^rhielt. AVenu
wir erfahren , daSa aeine Schwiegermutter , welche um seine Ge-
mmdheit besorgfe war, ihm den Bat gab, «ich an den Doktor
Lanrenthu BlomentroBt m wenden, wenn wir aeheni wie er sieb
aehr b&ufig Gordon an Tisohe ladet nnd mit ibm Aber die An-
gelegenheit Westeuropas sich eingehend nnteibSlti so dürfen wir
vermuten, dui's (jolizyn in ähnlicher Weise, wie Peter der (irofse
einige Jahre später es verstanden habe, durch den Verkehr mit
den Ausländern den Kreia seiner Senntniaaei Interessen nnd Er-
fitbrungen aebr weaentlieh sa erweitem.
Bildung und Lebensweise.
Weisen wir auf uinigo Züge dieser internationalen Stellung
Golizyns hin, welche im Gegensätze zu dem Chinosentum der
Altrossen ihn als einen Geifitesverwaudten Peters erscheinen
lassen.
Hier verdient seine Bekanntsebaft mit dem General Gkxrdon
Beaobtnng. Gordon war mehr als viele andere, in Bnlsland
lebende Ausländer befähigt, als Lehrmeister strebsamer Bussen
aufzutreten. In den neunziger Jahren ist er als täglicher Ge-
sellschafter des jungen Zaren in höherem Mafse Peters Lehrer
geworden. In Gordons Tagebuch spielt W. W. Goliz>'n, den er
meist nur ,|Our Bojar" nennt, eine grofse Bolle. Bald iat einer
„geheimen Unterredung'* erwfthnt, welche Goliayn mit Gordon
hatte und in welcher von den Angelegenheiten Kleinrufslands,
von den Beziehungen zum Kaiser Leopold und von der orientalischen
Frage gesprochen wurde, bald unterhält sich Gordou mit dem
Fürsten über die Lage der Katholiken in Rufsland und sucht
durch seine Yermittelnng gewisse Bechte und Privilegien für die
Katholiken au erlangen, sehr oft ist Gordon des Fttrsten TiMh«
Posselts Edition (h^^^ Tiigehaohes II, S* 4.
s) Ebendaselbst U, S. 118.
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294 Ffint W. W. Golizyn (1648—1714).
genoBS^ oder reitet mit ihm auf die Jagd; als Gordon sich im
Jabre 1686 in England aufhält, verschreibt Golizyn, welcher mit
ilitii überhaupt einen lebhaften Brielwechsel unterhält, durch
Gordon eine Auzahl von Offizieren, Ingenieuren, Feuerwerkern,
Miulerem n. s. w. Es iat dieselbe Erkenntnis i dafs man der
westeuropäischen InteUigens, der aoslandischen Arheitskräfte be*
dürfe y welche wir anch hei Peter dem Ghrolsen finden. Ahnlieh
wie Peter der Grofse sich oft mit Gordon über das Artillerie-
wesen unterhielt. Versuche mit allerlei Gescliossen anstellte, mit
ihm im chemischen Laboratorium allerlei pyrutechnische Studien
trieb, so war anch Goiizyn sngegen, wenn Gordon neue Kanonen
oder Uörser probierte, nnd legte ein besonderes Interesse fStr der-
gleichen ballistische tlhnngen an den Tag. ^ Mehrmals ist in
Gordons Tagebnch von eingehenden GesprlUshen mit Oolusyn über
England die Rede. lubezug auf diesen Gegenstand gingen
die Anschauungen und Interessen beider Miinner uicht zusammen.
Während Gordon als eifriger Katholik und fanatischer Anhänger
des Hauses Stuart für Jakob U. schwärmte und bei Gelegenheit
der Berolution von 1688 voll Hafs war gegen Wilhelm ULi war
Gh)lizyn geneigt, für den letsteren gegen den enteren Partei zu
nehmen. Mit dem grüfsten Interesse lauschte Golizyn, wie wir
aus Gordons Tagebuche erfahren, den Nachrichten, welche ihm
GDrdon über allerlei Vorkommnisse in Westeuropa su bringen
pflegte.
Wiederholt erwähnt Gordon, der Fürst Goli^ habe bei
Ausländem, welche in der deutschen Vorstadt wohnten, allerlei
Festen, Hochzeiten u. dergl. beigewohnt, so bei EIihü Tabort uuJ
bei Daniel Hartmann. *) Golizyns Sohn , Aiexei , welcher eben-
falls eine hohe Stellang einnahm und dessen Name auf dem die
Absohafiung der Bangstreitigkeiten verkilndenden Aktenstttcke
2U sehen ist, gab einst ein Fest, su welchem auch 6K»rdon ~~
Vgl. Gordons Tagebuch II, 14a»
«) Ebendaselbst II, 806.
») Ebendaselbst H, 226, 241.
«) Ebendaselbst II, 167 u. 980.
»
biyilizüü by GoOglc
Fürst W. W. Golizyn (1643-1714).
295
wir dürfen vermaton überhaupt eine Anaahl AtuIKnder — ge-
laden war. ^)
Den Gesandten der Geueralstaaten behandelte Goüzya mit
bMonderar Aofmerksamkeit Baron Keller, welcher sn «hm an-
Biebendstan Illtistratioiien der demtseben Vorstadl: gehörte» bariobtet
anafÜhrUcb über seme persdnlieben Beeiahimgeii zu dem Minister.
Es war bei der Steifigkeit des russischen Tones im Verkehr mit
AuslaTidern. bei der TTnzugänglichkeit der russischen AV^ürdeiiträger
für gowolinUchen, gesolligen Verkehr eine seltsame Erscheinung,
dafs Goliayn im Jahre 1683 eine Einladung des Baron Keller
zum Diner annahm. Er erschien mit einem Ghefolge in vier Ka-
rossen, wurde gl&niend empfangen und bewirtet, trank auf das
Wohl der Niederlande, sprach den Wunsch aus, dafs das gute
Einvernehmen Rufslands mit den (loneralstauten fortdauern möge,
und untcrliiolt sich nach aufgehobener Tafel mit dem Residenten
über die Miliz, die Wehrkraft und den Staatshaushalt der General-
staaten. Ein andermal, es war im Jahre 1687, lud er sich selbst
zum Baron Keller ein und erschien mit einem grofsen, etwa
hundert Personen sSblenden Oefolge von Fürsten, G^nerslen,
Offizieren, Edelleuten und Dienern. Nachdem er an der Tafel
Platz genommen hatte, bat er sich ein (rlas Wein aus, um auf
das Wohl und Gedeihen der Generalstaaten zu trinken. Er hielt
dabei eine längere Bede. Baron Keller antwortete mit einem
Trinkspmdie anf die Gtesnndbeit der Zariscben It^est&ten. *)
Aach manche Züge einer wohlwollenden Behandlung des be-
kannten Schweizers Franz Lefort durch Golizyn werden berichtet.^)
Nicht umsonst schrieb Lefort nach (renf, man solle von dort aus
an Golizyn und dessen Sohn Alezei schreiben und um die Ver>
leihnng eines höheren Banges an ihn, Frana Lefort, bitten: er
wurde, als es geschehen war, Oberst *) JJm den Fürsten Oolisyn
') Vgl. Gördens Tsgebnch II, S44.
«) Vgl. Kellers Bericht in Powelts Werk über Lefort, Bd. I, a 841
und 870.
») Ebendaselbst S. 376,
«) Ustijalow, II, 15.
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296 FSrtt W. W. Ooliiyn (1648—1714).
geneigt lu maohaiiy Gbrdoii, welcher Bablead m verlMaen wflnsckte,
nach England ea entbuMen, sohrieb das Haapt der Familie Gbrdon,
der Herzog Gh>rdon, Gkmvemeur Edinbnrgs, einen lateiniBcliea
Brief Uli Golizyii, in ■welchem er ihn mit Konijiümonteu über-
schüttete, ^) was übrigens Grolizyn nicht abhielt, diesmal in der
Art eines brutalen türkischen Paschas Gordon recht schlecht BU
behandeln» ihn, weil Gordon darauf bestehen wollte, ans rnssiaohem
Dienste entlassen sn werden, mit Schmühnngen an überhSnfen
nnd den verdienten General auf einige Wochen mm f ähnrieh
zu degradieren.
Wie liebenswürdig und cutgegeukomiiieud aber W. W. G-olizyn
im Verkehr mit Ausländem sein konnte, erfahren wir besonders
aus der nEelation cnrieose et nouyelle de la Mosoone'*, deren
Verfasser, Neuville, von den Eindrücken seines Verkehrs mit
GoUsyn beriehtet. Über die Kossen im allgemeinen fäSlt Neu»
ville t lu Bclir tadelndcb Urteil. Er nennt sie Barbaren; üie
wüläten nicht, was Bildung, Anstand und gute Sitte sei ; er be-
merkt, dais nur vier Bussen des Lateinischen mächtig seien, ein
Vorsog, welchen sie polnischen Ermehem au verdanken hfttten;
ohne die Ausländer, meint Neuville, deren eine grol^ie Anaahl
in Buibland lebten, könnten die Bussen nichts unternehmen, ans«
fülirlich ergeht er sich über die Trunksucht, den Aberglauben,
die Unreinlichkeit und Unwissenheit der Russen, er schildert ihren
Gesichtäkreis als beschränkt, tadelt ihren Alangel an Unternehmungs-
lust, ihr festhalten am Bestehenden. Selbst über die Narysoh-
kins, die Verwandten Peters des Grossen, urteilt er sehr abföUig,
ebenso wie über den Vetter W. W. Gh>lizyns, Boris Alezejewitsch
Golizyn, den er als einen Trunkenbold bezeichnet, welcher jeder
Unterhaltung höherer Art unlahig sei. Um so überraschter ist
Neuville, in einer uoldien Umgebung, in einer solchen (Tcsellschaft
einen Mann au finden, welcher durch geselligen Anstand, feine
Sitte, vielseitige Bildung und speaifisch europäische Lebensweise
ausgeseichnet sei. Golizyn erschien dem firanadsisch^polnischen
Gordons Tagebuch, IL
biyilizüü by GoOglc
Fürst W. W. öoliayn (1643—1714).
297
Diplomaten als ein weifser Rabe. Nüuvillü schreibt nach seiner
ersten Begegnung mit dem Minister, dieser habe ihn so em-
pÜEUigeii, dafs er, Neuville, geglaubt habe, am Hofe irgend eines
italieniBoheD Fürsten m win. Die in lateiniBcher Sprache geführte
Unterhaltung betraf Tenchiedene Ereignisae WestenropaB, wobei
0olizyn eine übemMchende Sachkenntnis an den Tag legte,
welche er, wie wir wissen, dem V^erkehr mit A[ännern wie
Gordon verdankte; als, der russischen Sitte gemäia, sogleich nach
Erscheinen des Gastes, demselben Branntwein präsentiert wurde,
beeilte sich der Wirti Goliayn, seinem Qaete, Nenvilie, vom Trinken
abzuraten, welche Thataaohe denn allerdings auf einen totalen
Bruch mit der in Huftland herrschenden Tradition schliefsen läfst.
Im Gegensätze liierzu bestand, wie Neuville gleich darauf erzählt,
die ganze Unterhaltung bei Boris Golizyn, als er diesen besuchte,
am Trinken. Au einer anderen Stelle seiner Schrift sagt Neuville
von W. W. Golizyn, er sei einer der geirtreichsten, der höflichsten
und praohtliebendsten Fürsten seiner Zeit, und sein Haupt-
vergnügen sei die Konversation. Er verachte die mssisoheu
Grofsen wegen ihrer Unfähigkeit und schütze wahres Verdienst
sehr hoch.
Neuville schildert ferner, nachdem er selbst Zeuge der
Katastrophe Golizyns gewesen war, die Verdienste des Fürsten
inbetreff der inneren Verwaltung, namentlidi inbetrejST der Auf-
klärung. Er erzlShlt: Oolizjrn habe grofse steinerne Hftoser auf-
führen lassen, zwanzig Gh»1ehrte ans Griechenland berufen, schöne
Bücher nach Rufsland importiert, den Grofsen anbefohlen, ihre
Kinder studieren zu lassen, und ihnen auemplohlen, die Erzieiiung
ihrer Kinder polnischen Lehrern anzuvertrauen. Gegen die Aus>
l&nder sei er so liberal gewesen, wie niemand vor ihm, indem er
ihnen gestattete, ins Land su kommen und dasselbe nach Belieben
wieder zu verlassen. Auch habe er den Wunsch ausgesprochen,
dafs die russischen Grofsen sich daran gewöhnten, ins Ausland
*) Die unliebsame Episode mit Gordon, deren wir oben erwähnten,
zeigt, dafs Oolizyns Libenlinnus gewisse Grenzen hatte, wie denn über-
haupt Neuville von einiger Schönnürberei nicht frei su sprechen ist
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298 Fürst W. W. Golizyn (1Ü43-1714).
va reisen. Br habe die Abriolit gebebt, eine neue, regnlSr«
Armee zu bilden, an allen ausländischen Hofen ständige Ixcsi-
denteu zu unterhalten, in Kufsland völlige (-rewisseuafreiheit zu
gestatten. Cr trug sich mit den hochiliegeudsten Entwürfen : er
wollte Wüsten bevölkern» Bettler reich maobeo, Wilde sa Menschen
umformen, Feiglinge in tapfere Krieger^ Lehmhütten in steinerne
PalSste verwandeln.
Xeuvillo ist, ganz wie auch der bekannte Reisende und
Missionär Avril. in seiner Beurteilung Golizyns von dem InteresF^e
der icathoiischen Kirche beeioflufst. Dafs der Fürst die Rechte
der Katholiken anssudehnen geneigt war, iiefs ihn in den Augen
der Emissäre der Kirche als das Ideal eines Staatsmannes er-
scheinen. Ausdrücklich lobt Neuville den Fürsten dafür, dafs er
sich gern mit den Jesuiten unterhalten habe. Die Katholiken
hatten XTrsache. Golizyns Katastrophe zu beklagen. Sie waren
entzückt darüber gewesen, dala er seinem Lande die „Gewissens-
freiheit*^ hatte geben, d. h. den Katholiken freie fieligionsübung
hatte bewilligen wollen, und muisten es nun erleben, dafs nach
dem Sturze Qolisyns und Sophiens eine Art Beaktton eintrat
und dafs in der ersten Zeit der eigentlichen Herrschaft Peters,
d. h. unmittelbar na^h dem »Staatsstreiche von 1689, die .lesuitt ii
verjagt wurden. Von diesem Staudpunkte aus mufste die Kata-
strophe Golizyns solchen Beurteilem, wie Keuville, als ein Unglück
erscheinen, das die Welt betroffen hatte. Hit ihm schien eine
Epoche der Beform auch in Bufsland eingeleitet su sein; nach
ihm konnte man, wie Neuville fürchtete, eine Reaktion, eine Bück-
kehr zum Asiatentuni erwarten. Ausdrücklich sagt Neuville, mit
Goiizyn habe Moskau alles verloren!
Wenn wir aber auch Neuvilles Urteil als überspannt, be-
fangen und tendeniiös anerkennen müssen, so geht dodi ans
demselben unsweifblhafb hervor, dafs Gblisyn im Verkehr mit
Keuville es verstanden hat, dem erfahrenen Diplomaten, dem ge-
bildeten Vertreter der westeuropäischen Kultur zu imponieren.
Neuville bemerkt ausdrücklich, dafs Goiizyn ihm mancliorlei von
seinen Absichten und Entwürfen mitgeteilt habe. Steht auch
biyilizüü by GoOglc
Füret W. W. Golizyn (1643-1714),
299
das, was wälireiul clor Regentschaft Sopliiens auf dem Gebiete
der innereu E,eformen geschah^ nicht irgendwie im Verhältiiis
zu den hochfliegenden Plänen, deren bei Neuville erwähnt wird,
no leugt es immerbin yon einem gewissen geistigen Schwnngei
Ton ein^m, In Bnfsland damals nicht leicht ansntreffenden poli-
tischen Idealismos, dafs GoHsyn sein Begiemngsprogramm einem
Ausländer gegenüber so beredt und anziehend zu entwickeln
fähig war. Er mochte an die Möglichkeit der Verwirklichung
seiner Pläne glauben ; während seiner Unterredungen mit Neu-
ville konnte er nicht ahnen, dafs seiner Thätigkeit als Haupt-
leiter der mssischen Politik schon so bald ein Ziel gesetst
werden würde.
Neuville war etwa vier Monate in Moskau. Er hatte Gelegen-
heit, mancherlei seihst zu ])eobachten. Die Kindrücke, welche er
von dem Wirken Golizyns empfing, sowie den Inhalt seiner
Gespräche mit dem Fürsten teilt er an manchen Stellen seiner
,3o^tion cnriense*' gelegentlich mit.
Wiederholt spricht er von der prachtvollen Ausstattung des
Hanset Golizyns. Es enthalte die kostbarsten Hausgeräte und
Luxusgegeiifitände : ja, dieses l'alaiR , meint er. sei eins der
schönsten in Eurojia : es sei mit Kupfer gedeckt, reich möbliert
nnd mit wertvollen Gemälden geschmückt. Ein ähnliches Hans
lasse der Minister die Gesandtschaftsbehörden auHÜhren. Diese
Bant«n, erzählt KenviUsi hätten auf das Publikum gewirkt; es
sei dadurch Geschmack für schöne und solide Ghibände verbreitet
worden. Während Golizyn au der Spitze der Geschäfte gestan Ii n
habe, erzählt Neuville, seien nicht weniger als 3U00 steiuerue
Häuser in Moskau aufgeführt worden: auch habe er über die
Moskwa eine steinerne Brücke bauen lassen: es sei die einaige
steinerne Brücke in dem ganaen Lande: der Banmetster sei ein
polnischer Mönch gewesen.
So etwas stuiici allerdings im schrofien Gegensatze zu allem,
was Neuville in Moskau sonst zu sehen Geleguuheit hatte. Er
bemerkt sehr wegwerfend, indem er der häufigen Peuersbrünste
erwähnt, ein Hans in Moskau sei soviel wert als ein ^Schweine-
300
P8we W. W. GoUzyn (1643—1714).
staU*^ in DeatieUaad oder iWikmeh, und beriditet dftbei mit
Erstaunen, was vor ihm auch andoro Reisende mit Verwunderung
beohachtot hatten , dafa man die Hunderte und Tausende von
Häusern, welche alljährlich durch Feuersbrünste zerstört würden,
leicht eneisen könne, indem auf den Mfekten der Haaptatadt
ateta rob gemmmerte Hftnaer za kaufen seien.
Ifeaville erwftlmt aweier grorser Entwürfe Qolizjma, welche
Beachtung verdienen. Er erzählt, Golizyn habe u. a., um Bufs-
land auf die Kulturhöhe anderer Staaten zu erheben . den leib-
eignen Bauern die Freiheit geben und ihnen die von ihnen bebauten
Grundstücke als Eigentum znweiaen wollen} wonmf denn dieae
Ornndatäcke Ton Staatawegen nur mäTaig beatenert werden aollteo.
Er bat fomer die reine Geldwutaohaft atatt der biaher Tor-
berrsobenden Katnralwirtschaft einführen und den Export des in
dem Staatsschätze zum Teil die Stelle des Geldes vertretenden
Pelzwerks, insbesondere der Zobelfeilei an diesem Zweck fordern
und steigern wollen.
Dafa in den Unterredimgen Goliayna mit Neuville von der
Banememanaipation geaprocben wurde, iat allerdiags eine be-
aebtenawerte Tbatsaebe. Peter bat nie an eine derartige Hafe-
regel gedacht. Es hat im Gegenteil wiüireiid seiner Regierung
eine Verschlimmerung der Lage der leibeignen Bauern statt-
gefonden. Sollte Goliayn in der That sich mit dem Entwurf
einer solchen Beform getragen haben, ao w8re dieser Fortaohritta*
gedaake, wenn man die ZeitverbilltniaBe berfioksiebtigt, besonderer
Aneikennung wert. Wir wissen , dafs m Ende des stebsebnten
Jahrhunderts in Westeuropa, etwa Kiigland und 01)eritalien aus-
genommen, die Hörigkeit der Bauern noch eine ganz allgemeine
Erscheinunj^ war.
Zur Zeit Goliayns herrschte eine Art Naturalherrsohaft in
Bulsland vor. Ans Gordona Tagebuch wissen wir, dafs die aoa-
iJIndisehen HslitKrs einen bedeutenden Teil ihres Gebalts in Zobel-
fellen erhielten; die Geschichte der Reisen russischer Gesandten
nach AVesteni'opa lehrt uns, dafs die ilmen iiatgegeijene liai'^chaft
grolseuteils aus Fellen bestand. Üer Gedanke, durch den ge-
biyilizüü by GoOgl
Fürst W. W. Goüzyn (1643—1714).
301
steigerten Bzport ton Pelzwerk bares Geld ins Laad va brini^n
und 80 die (it^eldwirtschaft allgemeiner zu macben, zeugt ebenfalls
von einer gewissen Vertrautheit mit den damals im Westen ver-
breiteten national-ökonomischen Theorien, mit einem Gebiete^ auf
welchem Feter dem OzofieD Bedeutendes su leisten Torbehalten war.
Ferner« Entwttrfe Golisyns waren an den Osten geknüpft.
Sibirien sollte zivilisiert werden.
Neuville hatte sopfleich bei seinem Erscheinen in B-ulalaud
einen Mann kennen gelernt, dessen Gesichtskreis und Bildnug,
dessen Weltkenntnis and politische Erfahrung den hochfliegenden
Intentionen des Fürsten Gblisyn entsprachen. £s war der Ghrieche
Spa&ri. Bereits in der Zeit Feodmr Alexejewitschs hatte dieser
durch Sprachkenntnisae und eine etwas abenteoerliche Vergangen-
heit ausgezeichnete Emigrant in den fortschrittlichen Kreisen der
höheren russischen Gesellschaft eine gewisse Rolle pfospielt. In
der letzten Zeit der Kegierung des Zaren Alexei war ISpafari als
tussisoher Gesandter in China gewesen, üit dem Freunde nnd
Vertrwiten des Zaren Alezei, dem strebsamen nnd gebildeten,
Bojaren Artamon Matwejew, hatte er natarwissensobaltliohe Stadien
betrieben und den Sohn Matwejews in den alten Sprachen unter-
richtet.^) Man wufste von ihm in der Türkei, von wo aus hervor-
ragend© Kirchenfiirsten mit ihm in Verkehr standen.^ Mit dvm
gelehrten Bürgermeister von Amsterdam, Nikolaus Witsen, stand
er in einem Briefwechsel.^ Wfthrend der Begentschaft Sophiens
nahm er in der Oesandtschaftsbefaörde eine bedeutende Stelle ein.
Ihm war der Auftrag geworden, den franz5siseh-polnischen Diplo-
maten Neuville zu empfangen, ihm während des Aufenthalts in
B-ulbland Gesellschaft zu leisten. Auf die Gespräche Neuvilles
mit Bpafari lassen sich manche Angaben der „Belation curieuae*^,
8. B. über die Feldaiig» GoUsyns in der Krim, mrückföhren.
Spafari war Tor koraem wiedemun von einer Beise in den ent-
Siohnrjew, Bd. XIH, S. SSa.
«) Ebendaselbst Bd. XIV, S. 222 u. Bd. XV, S. 195.
Guerrier, Leibnitz in seinen Beziehungen ra Peter d^ Grollen,
8t. Fetersbnrg imd Leipaig, 1873 S. 29.
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303
Fürst W. W. Golizyn (164&--17U).
fernteiten Osten snrtlckgekahrt» B«i dem damals sich lebhaft
Bteigerudetk Interesse für die Qeogfraphie und Ethnographie Asiens
war es begretflioh, dafs Keuyille mit grofser Spannung den Er-
zälihnigcii Spafaris über dessen Reisen laiisclite. Von ihm erfuhr
er uun, d&^a iiibrti . if des Handels und Verkehrs mit China groise
Entwürfe best&udeu : durch ganz Sibirien sollte ein grofses System
Yon Fostaastalten errichtet werden ; Ton je sehn an sehn „Lienes"
sollte ein Poethaus erbaut werden j man hoflfte anf den sdiiffbaren
Flüssen Sibiriens eine lebhafte Schiffahrt erstehen an sehen. In*
dem Neuville diese Bemerkungen mitteilt, fügt er hinzu, dafs
Spafari in seinen Mitteilungen über diesen Gegenstand einiger-
mafsen zurückhaltend gewesen sei und z. B. über die Topographie
Sibiriens wenig gesagt habe, weil man den Weg nach China,
namentlich yor den Hollftndem, gehetmanhalten suche.
So hatte denn Nenville den Eindruck, dals mit dem Iii-
mm
nisterinm OoHzyn für Rnfsland eine neue Ära hätte anbrechen
können, wenn nicht der im Jühre 1689 zugunsten l'eters ein-
getretene Umschwung wie mit einem Schlage alle die an das
Talent und die Strebsamkeit Golisyns geknüpften Ho£&ian|(en
vernichtet hfttte. ^)
"Wir sind in der glücklichen Lage, Neuvilles Angaben in-
betreff der geihtig« n Interessen Golizyns wenigstens cum Teil
durch GescIiichtHmateriiilien unvergleiclilich zuverlässigerer Art
kontrolliereu zu können, und finden allerdings, dals Golizyns Bil-
dung auf einer überraschenden Höhe gestanden haben müsse.
Nicht umsonst sagt ein anderer Zeitgenosse, welcher damals
in Moskau lebte, der Sachse Georg Adam Schlensing: Studien,
wie GK>Iisyn sie treibe, «seien in Bulsland sonst „ein seltenes
Wüdbret". ^
In dem Archiv des Justizministeriums findet sich die Schilde»
*) Die Golizyn betreffenden Ausführungen Neuvilles sind in ver-
schiedenen Teilen der „Relation curieuse et nouvelle de la Moscovie"
(a la Haye. Ifi99) verstreut: s. insbeaomlore S. 16, 55, 176, 215 u. s. w.
-i Vgl. den Anhau|^ zu iSchleusiugb Üuch über die beiden Zareu
Iwau und Peter, K.a]). 2.
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Font W. W. Golizyn (1648—1714). 303
rang des Hanm OdIusjh und das Yeraeidmis uiner Bücher.
OlFenbar war beides bei GMegenheit der Kataatiopbe im Jahre
1689, als Oolizynt Yemiögeii konfiasiert wurde, zusammeu-
gebtullt worden.
Xon der Pracht iu dem Hause Goiizyus können wir uns
ana dem Hinweise folgender Luxuegegenatände einen Begriff machen.
In einem Saale hing eine Art Tellnrinm, d. h. eine Nachbildung
dw Sonne in Qold, eine des Mondes in Silber in Form eines
kOnstUch gearbeiteten Kronleuchters; da gab es ferner zwanzig
Bildnisse von Personen aus der heiligen Greschichte in kunstvoll
geschnitzten üahmen. Vier groDse Bilder aus Deutschland iu
Bahmen werden noch besonders erwähnt. Golizyn besafs eine
Sammlung historischer Porträts: Bildnisse des GborsfUrsten Wladi-
mir von K^ew, des Zaren Iwan IV., Feodor Iwanowitscfa, Michail
Feodorowitsch , Alezei und der Söhne des letateren; aufserdem
vier Porträts westeuropniociier Fürsten. An den Wänden eines
G-emaches hingen fünf hohe Spiegel, deren einer einen Schildpatt-
rahmen hatte. Dieses Gcrnach hatte nicht weniger als 46 Fenster
mit Glasmalereien. Im Sohlafsimmer hingen in Tergoldeten fiola-
rahmen auf Leinwand gemalte , deutsche geographische Karten,
femer gab ee in demselben Gemaehe vier Spiegel , swei Bttsten
von Mohren, ein überaus kunstvoll aus Nufshol/ gearbeitetes
Bett, allerlei Statueu , Nachbildungen von Vögeln und Gräsern.
Über dem Bett war ein runder Spiegel befestigt. Da standen
mit goldgeprefstem Leder ubersogene Stfihle und mit Samt Uber'
aogene Lehnsttthle. Femer sohmflckten Wand- und Tischuhren
mit Schlagwerk in kostbarem Gehäuse vpn Sdiildpatt und Fisch-
bein, sowie von rotem Leder die Zimmer. Eine Uhr stellte einen
Reiter dar. Allerlei Schränke oder Kommoden mit unzähligen
Schiebladen, Tintenfässer von Bernstein, physikalische Instrumente
(Bohren und Schalen mit (Quecksilber, woran Kupferplatton mit
Inschriften) werden erwähnt. Man sieht, der Minister Sophiens
hatte andere Bedttrfiusse, andere geistige Interessen, als die ge-
wöhnlichen Bojaren jener Zeit.
Unter den Büchern und Handschriften in der Bibliothek des
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804
Ffint W. W. Golixyn (1648— 171i).
Fttnten finden wir hiBtorische Sohriiten am der bysantiniaehen
Gksehicbie^ fheologistdie Werkej Qrammattkeni ein palnied^ee Bn^,
den Koran, eine Art diplomatischen Handbuchs (,.B<i<i^ vom Ge-
sandten"), vier deutsche Bücher, vier hciiHischriftliche Werke über
die Scliauspieikuiibt ; acht Kalender von verschiedenen Jaliren;
ein juriatifiches Werk über Holland ; ein deutsches Gesaug-
bncb; eine Oesehichte der polniechen Sprache; ein Werk über
die Knnei, Pferde an heilen; ein in dentscher Sprache ver-
fafstes zoologisches Werk, Chroniken nnd mssische Geseia-
büdier früherer Zeit; ein Handbuch der Feldmefskunde in deut-
scher Sprache; eine ..Handsclirift von Jnrij dem Serhon".
Die Vielseitigkeit der Lektüre (iolizyns ist beachtenswert.
3ian sieht freilich » daJa der Zufall an der ZusammensetsoQg
dieser Bücher^ und Handsohriftensammlung bedeutenden Anteil
hatte, aber man muTs anerkennen, dafs die Mannigfaltigkeit dar
Stoffe und der Sprachen seiner Bücher auf einen sehr ausgedehnten
Kreis von geistigen Interessen schlielsen lassen. Bibliotheken
waren iu Hufsland damals, namentlich in russischen ILreiseQi eine
so gut wie völlig unbekannte Sache. Im Palaste des Zaren, in
Klöstwtt, bei einseinen aus Polen nnd Chriechenland nach ICoskau
eingewanderten Theologen mochte man wohl einige Bücher finden ;
von den russischen Adligen mochten in der zweiten HiUfte des
siebzehnten Jalirhun l rts wohl nur sehr wenige, etwa nur solche
vereinzelte Pioniere, wie Artamon Katwejew oder WassUij üolizyn,
überhaupt mehrere Bücher besitzen, welche die verschiedensteD
weltlichen Stoffe behandelten. Die geistliche Litteratnr war sonat
die allein herrschende.
Besondere Beachtung verdient in dem Katalog die Erwähnung
der ^HandschniL des Serben Jurij". Wir dürfen kaum daran
zweifeln, dafs wir es hier mit den wenige Jahre vor der Regent-
schaft Sophiens in Tobolak verfafsten Schriften Jur^ Krishanitsohs
SU thun haben, welche erst in der allemeoesten Zeit mm
grdfstea Teil durch Bessonow in Koskau lisraa^gegeben' wurden.
*) Ssolowjew, Geschichte KulalÄuds Bd. XIV, S. 97, 98.
biyilizüü by GoOglc
Fttwt W. W. Golizyn (1648—1714).
305
Bieae Schriftan atellen eine Art Encyklopädie der Staatswimen*
Schäften dar, enthalten ein grofsartiges Beformprogramm für Bufs-
lands politische and soziale Entwickehing und zeugen von einer
aliumlaasenden Bildung des Verlassers, eines GeistUcheu, welcher
allerding« aeine LehraMit in Italien Terbraohte, ungemein beleaen
und kenntnisreich war. Krishanitschs Eeformentwürfe entsprechen
mm Teil der Bichtung, in welcher Peter der Grofse wirkte. Er
kann als ein Gkistesrerwandter nnd Yorlftnfer des genialen Zaren
betrachtet werden. Seine Schriften bieten eine unerscliopfliche
Pülle geistiger Anregung. Wenn Goliz}'n auch gar nichts anderes
gelesen hätte, als Krishanitschs, in der Verbannnng an Tobolsk
▼er&fste Ansfühmngen, in denen alle den Staat nnd die G^sell-
aehaft, das internationale Leben, das Becht nnd die Wirtschaft,
den Handel, die Indastrie und die Lsndwirtschaft, die Beligion
und die Moral, das Heerwf.sßn nnd die Vemaltung bctrefrcndon
Fragen erörtert werden, er wäre der gebildetste Kusse seiner
Zeit gewesen. Diese Schriften waren damals sonst so gut wie
vöUig unbekannt, nnr eines Exemplars dieser Handschriften wird
in den Akten der Falastyerwaltung erwähnt, eine sweite Brwfihnung
ist diese in dem Katalog der Bibliothek des Fürsten Golizyn.
Der Besitzer eines solchen Hauses, einer solciien Riicher-
sammluDg, der gewandte Gesellscliafter, welcher ohne alle Schwierig-
keit in dem kosmopolitischsten aller Idiome sich ausdrücken konnte,
der russische Bojar, welcher ausnahmsweise als Europäer mit
Europäern verkehrte, muTste den Ausländem imponieren* Hit
glänzenden geistigen Mitteln Tereinigte er 'einen wahrhaft fUrst»
liehen Reichtum. Seine Schätze hätten ihm gestattet, einen
asiatischen i^ump zu entwickeln, er zog die Allüren eines west-
europäischen Qrand Seigneurs vor.
Den deutschen Lesern ist Krishanitsch so gut wie ausschliefslich
ans idner Abhandlung in Bodenstedts Fragmenten bekannt Selbst in
Bttlsland ist die Edition dw Schriften Erishsnitsdis nnr wenig beachtet
worden. Heine Abhandlung: „Ein Kleiderreformprojekt vor Feter dem
Qrorsen" behandelt einige Seiten der bändersichen Schriften Krishsmtsohs,
s. oben Nr, 7.
90
üiyilizüü by Google
306 Font W. W. Golisyn (1648—1714).
Bei Gelegenheit des Sinnes GoUzyns iat ein Verzeiclinis
seiner G-Ater, Hänaer n. dergl. angefertigt worden. Im Jahre
1689, als GoUsyn sich am Ziele seiner Lanfbahn befand» gehörten
ihm eine Menge Dörfer in der Nähe von Moskau ^ femer ein
Dorf in der Nähe von Nishnij-Nowgorod. In Moskau Ijeculü er
aufser seinem grüfsen Palaste noch ein Hauä, ferner in der un-
mittelbaren Nähe der Hauptstadt awei Lnstsohlösser, deren eineB
er von einem Ansiinder gekanft hatte. DaTs diese letztere Be-
sitanng yon Gartenland umgeben war» ist aus dem Umstände aa
ersehen, dab die Begterung dieses Grundstück dem Apotheker-
Kessort zu dem Zwecke überliefs, damit dort iillcrlei Apotheker-
gewächse gezogen würden. Von Interesse ist es, dafs dieses Land-
haas sich in der unmittelbaren Nähe der deutschen Vorstadt befand.
In dem Yerseiohnis der konfiszierten G^nstände des be-
weglichen Yermögens Golizyns finden wir: Gold^ Silberi Heiligen-
bilder, Edelsteine, kostbare Kleidnngsstttcke , KrystallgefiUae ;
ferner: Pferde, Equipagen, Zelte, Tischgeräte und Weine ; sodann:
Waffen, Orgeln und andere musikalische Instrumente ; endlich:
Betten, Atlasdecken u. 8. W.
Welchen Wert diese Gegenstände repräsentieren, kann man
daraus ersehen, dafs ein Teil derselben, als nach Golizyns Tode
die Kinder desselben etwas von der konfiszierten beweglichen Habe
zurückerhalten soUteu, aui Vurtüguijg der iiegierung folgendci-
uiafsen geschätzt wuide. Da gab es einen Posten von biiber-
gesohitr im Gewicht von 5 Pud oder 200 Pfund; silbernes Pferde-
geaohurr f&r die Summe von d541 Bubel, was bei dem Sinken
der Mfinzeinheit in den letzten zwei Jahrhunderten anf gegen
60000 Rubel naeh gegenwärtigem Geldwerte geschätzt werden
mufs. ^) Es entspricht diesen Angaben, welche sich in Geschäfts-
papieren finden, wenn Neuville erzählt, daiis Golizyn 400 silberne
Die Berechnung ist folgende: ein Tschetwert Floggen kostete zur
Zeit Golizyns 50 Kopeken; gof^enwiirtigr ungefähr 8 Kübel. Ijegi man
also den (»(^truidepreis dem Geldwert zu Grunde, so darf man einen
Eubel von 1689 mit 15—16 multiplizierea, um den heutigen Geldwert
zu ennittehi»
üiyilizö
Ffirat W. W. öolkyn (1643—1714).
807
Schüsseln besessen and dafs man in den Kellern seines Hauses
100000 Dukaten in barem Gelde gefunden habe. — Andere be-
richten Ton grofsen Mengen Ton Loniadori welche im Beeitse
Golisyns yorgefonden worden seien.*)
Ans der Geschichte Gblizyns wird ein Zog Ton großartiger
Wohlthütigkeit berichtet. Man erzählt . dafs , als die Bewohner
der Stadt Tschigirin im J. 1677 infolge der AV irren in Kiein-
mfflland and der Angriffe der Türken ▼erarmteny Golizyn eines
seiner Güter , welches sechzig Banemhöfe aShIte, Terkaoftei am
diese yerarmte Bevölkernng Tschigirms an nnterstütaen.*)
Dab sich Golisyn aller Wahrscheinlichkeit nach manchen
seines kolossalen Vermögens nicht auf rechtmäfsige Weise er-
worben habe, wird sogar von seinem Bewunderer Neuville za-
gegeben. Er spricht die Vernintung ans, dafs manche der in
Golizyns Besitz gefundenen Gelder nnd Kostbarkeiten von dem
im Sommer 1687 gestOrsten Hetman Ssamoilowitsch herstammteui
so dafs Golizyn, welcher hei der Katastrophe des Hetmans nicht
unbeteiligt war, diese Dinge widerrechtlich au bicli gehnicht habe.
Dafs Golizyn von solchen Ereiguiaseu Nutzen zu ziehen verstand,
erfiediren wir aas folgendem aktenmäfsig bezeugten Umstände: als
anter Gk^lisyns Auspizien an Ssamoilowitsohs Stelle Maseppa
snm Hetman gewühlt wurde, muTste der letstere dem Fürsten
Golizyn ein Geschenk von 10000 Bnbeln in Dukaten nnd Thalem
machen, welche er nach dem Sturze Golizyns ala ein erprefstes
Geschenk zurückerbat und erhielt. ')
Unzweifelhaft verdankte Golizyn den gröfsten Teil seines
Beiehtnms seiner GOnstlingsstellong während der Begentachaft
Bophiens. Wir wissen, dafs er bei jeder Gelegenheit, bei Feld-
lügen, Friedensschlfissen n. s. w. ansehnlicfae Belohnungen, D5rfer,
G^ld, wertvolle Gegenstände erhielt. Die Prinzessin, welche ihn
liebte, war zur Verschwendung geneigt, wenn es galt, den von ihr
verehrten Mann reich und glücklich zu machen.
Sclileusing a. a. O. und Gespräche im Eeiche der Toten a. a. 0.
^ Tereschtschenko, S. 138.
•) Ustijslow, a. a. 0. Bd. L S. MO und 866.
20^
308
Fürst W. W. Golizyn (1648--17U).
Man hat über diese penönlioheii Benehvngen GkilisynB mr
Eegentin eelir Tiel getfKrooheii und gesehrieben. Aber die von
Neuville vorgebrachten Erzählungen scheinen denn doch sehr un-
zuverlässig zu sein.^) Nach seinem Sturze ist er beschuldigt
worden, er habe aiob durch Yennittelung eines Bauern einen
Liebestrank sa Tergehaffen gesndit, um dae Hera der Frinzeeain
m gewinnen, und hinterdrein, nm jede Spur dieser That an
tilgen, den nnglückliohen Bauern verbrennen lassen.*) Er selbst
hat diusc Li:anze Geschichte als völlig au» der Luft gegriffen be-
zeichnet. Auch wissen wir, dafa Golizyn im Grunde keiner
Zaubertr&nke bedurfte, um der Zuneigung der Prinzessin siciior
SU sein. War Qoliayn abeigläabisch, so teilte er diese Sohw&cbe
mit vielen ZeitgenosBen. Die Prinaessin Sophiei der belesene»
gelehrte Geistliche Hedwe^jew nnd andere, glaubten an allerlei
Spuk nnd Zauber. Ein Wunderdoktor aus Polen, welcher
des Zaren Iwan kranke Augen behandelte, hatte gelegentlich aucli
den Fürsten W. W. Golizyn zu behandeln und äufserte, nachdem
er den Patienten betastet hatte, Qoliayn liebe das AusÜndisohei
seine Fran aber liebe er nicht. Derselbe Arst soll von Ked-
we^ew befragt worden sein, ob die Prinzessin Golisyn heiraten
werde, ob er, Medwedjew, Patriardh werden würde n. dergl. m., wo-
rauf er dann das Abenteuerlichste in der Sonne gewoben zu haben
vorgab. Ein Diener Golizyns erkrankte plötzlich an einer Ohn-
macht und band als Heilmittel dagegen etwas Erde in ein Säckchen.
Er wurde beschuldigt, den Ffirsten durch Zauberet verderben an
wollen, weil er die Erde dort aufgelesen hatte, wo Gktlizyn ge-
gangen war, nnd weil ein solches „Sammeln der Spur", nach da-
malig; \'ülksgluul)eij. den Tod des Betreffonden zur Polge zu haben
pflegte. Der üngliickliche wurde grausam gefoltert und bestraft.'*)
80 stellt denn Golizyn eine eigentümliche Mischung von Be«
Neuville behauptet entschieden, S. 159, dafs Sophie Kinder von
Golizyn hatte und ihn habe heiraten wollen.
*) Der bekannte Sylvester Hedwedjew hatte sich diese Episode von
einem ^Zauberer" ensühlen lasten. Ustijalow glaubt darsn; s. a. a. O.
II. S. 48—49 u. 344.
') Vgl Ustrjalow a. a. 0. S. 48—49 and HaUnowak^ a. a. 0. & 8S.
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Fürst W. W. (jolizya (1643—1714).
309
schränktheit nod AnfkUtrung, Yon einer gewiisen Ghröfee nnd
schmutziger Habgier dar. Betrachten wir aeine Thätigkeit während
der Regentschaft Sophien«.
Golizyn als Staatsmann.
Charakter und Um&ng jener hoefafli^enden Entwflrfe, deren
Golizyii iu aeinen Unterreduügeu mit NruviJle urw ahnte, entsprechen
nicht der Thntigkeit GolizynB als Staatsiuann , insoweit dieselhe
auf die innere iPolitik gel ichtet war. Alierdings währte die Zeit
dieeer Wirksamkeit GoUayns mir sieben Jahre; allerdings mniste
in dieser Zeit seine Hoaptanfmerksamkeit den Fragen der aus-
wärtigen Politik gewidmet sein; allerdings sah er sich bei allem,
was er nnternahm, von Gegnern bedroht, welche darauf sannen,
ihm zu schaden — ein Umstand, welcher etwaigen reforma-
torischen Entwürfen nicht günstig sein konnte — dennoch dürfen
wir uns darüber wundem, dafs die Geschichte der Gesetsgebong
und Yerwaltung keine eiosige grondlegende Habregel, keine
einaige, eine wesentUobe Neuenrng einleitende organische Ver-
ordnnng aufweist.
Dafs man unmittelbar nach der Krisis im Alai 1(582, also
sogleich, nachdem die erschütternden Ereignisse nach dem Tode
des Zaren Feodor Sophien und Golizyn an die Spitae der Gescliäfte
gestellt hatten, an grolsartigen durchgreifenden Ifalhregeln h&tte
schreiten können, daran war nicht au denken. Die ersten Honate
der Begentsohalt Sophiens sind mit angestrengten Versuchen aus-
gefüllt, nach den Unruhen endlich eine gewisse Stille und Sicher-
heit in der Hauptstadt und im iteiche herzusteiieu. Wir dürfen
vermaten, daDs Sophie einen Anteil an der politischen JELoUe
hatte, welche die rebellischen Strelay im Mai 1682 spielten. Jetit
galt es, den entfesselten Sturm su besdhwl^ren. Es folgten im
Sommer des Jahres 168S die Unruhen der Sektierer, welche die
öffentliche Sicherheit bedrohten , das Bestehen der offiziellen
Kirche in Frage stellten und durch ihre trotzige Haltung die
Begentin au streogeu Kafsregeln nötigten. Über die Haltung
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310 Font W. W. GdUsyn (1648-1714).
Goliayns bei dioMD EreignisBeD, welche der Begentin Oelegenheit
gaben, mEnnlidieii Xati imponiennde Beredsamlceit sa ent<en,
haben wir kerne Nachrichten. Bald darauf folgte dann jener
Versuch des Fürsten Chawanskij, eine Art Militärdiktatnr aulzu-
richteQ| der Begentin an der Spitze der Armee eine gewisse
Konkarrenz zu machen : der Hof rettete eich ans der Hauptstadt
fort; durch allerlei Bttnke lockte man den Fflraten Ghawanskg
und dessen Sohn in eine Falle und liefs sie beide enthaupten.
Bei der hierauf folgenden Befestigung des Klosters Troiza, wo-
hin Sophie sich begab, hat denn AV. AV. (julizyu wesentliche
Dieuste geleistet. Erst nachdem man aus den verschiedeueu
Teilen des £«iches die Miliz aufgeboten hatte, um nötigenfalls
gegen die rebellischen Truppen der Hauptstadt zu kämpfen,
konnte die Begiening ihr Dasein als gerettet» sichergestellt be-
trachten.
So waren denn die Anfinge der Kegieruiig Sophions allzu
stürmisch, als dafs man au innere Beformeu gedacht hätte. Später
mufste man sich sehr eingehend mit der baltischen Frage , mit
den Beziehungen su Polen und den Tataren beschäftigen. Die
inneren Erschflttemngen hatten dazu beigetragen , das Ansehen
des Beiches im Auslande au mindern. Wfthrend man allerlei
Symptome einer revolutionären Gährung im inuera des Reiches
zu bekämpfeu hatte, Strelzy und liabküluiku, Häuber und Kosaken
im Zaum hielt, mufste man Anstalten treffen, dafs Polen ¥on
solchen inneven Krisen keinen Nutzen zog. Polen lauerte nur
auf eine GUegenheit, das verlorene KleinruDiland wieder an er-
obern, und agitierte dort durch zahlrmehe Emissäre, welche dureb
Versprechungen und Drohungen auf die Bevölkerung zu wirken
suchton. T)a mufste es denn als ein grofser Vorteil erscheinen,
dafs BiUlsland gleich in den ersten Jahren der Regierung Sophiens
durch geschickte Verhandlungen mit der (ateistlichkeit in Klein-
rufsland und mit dem Patriarchen von Konstantinopel das Recht
erhielty den Metropoliten von K^ew aus eigener HachtvoUkommen-
heit zu ernennen. Dadurch ward eine Einheit der Kirche her-
gestellt, welche die Annexion KleinruTiBlands vollendete. Ja»
biyilizüü by GoOglc
Fant W. W. Golkyn (1648—1714).
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man erlangte dadnroh, dafs die Orthodoxen ib Polen, welobe in
geistUohen Angelegenheiten Ton dem K\|ewer Metropoliten ab-
kingen, indirekt unter dem Einflnaee Moakans aianden. War
auch das Hauptverdienst bei dieseni wichtigen Ergebnis, wie aaa
den Einzelheiten dieser Anj^elegenheit hervorgelit , dem Hetman
Ssamoilowitsch zuzuschreibeni so darf mau doch annehmen, dala
auch Goliayn, ala Leiter der anawftrtigeD Politik EnlUaiida» einen
weaentliolien Anteil an dieaem Erfolge hatte.
Im allgemeinen war die Begierang damala der Obenengong,
dafa man mit Sehweden und Polen Frieden halten müsse, um
auf dem Gebiete der auswärtigen Politik iille Kraft auf eine
aggressive Bewegung gegen die von Süden her das Beich unab-
Itoig bedrohenden Tataren zu Terwenden.
So hat aioh denn die B^gierong, und namentlich der FOrat
Oolisyn, den Vorwarf der Schwäche und allaa grofaen Nachgiebig-
keit gegen Schweden sngezogen. In der Zeit Feodora hatte Bula-
ianil um einige Grenzgebiete mit Schweden gestritten. Diese
Verhandlungen wurden in MosksU| wo eine schwedische Oesandt-
aohaft erachien, fortgesetzt und von Gblizyn peraönllch geleitet;
aie endeten mit einer Beatitigong dea Friedena von Kardia, d. h.
mit einer formellen VenichtleiBtiing auf die atreitigen Qrena-
gebi^ TOnaeiten BnAlanda. *)
Spätere Schriftsteller haben Goiizyn für einen solchen üifä-
erfolsf verantwortlich gemacht, lialiucwskij geht so weit, zu
behaupten, Golizyn hätte, wenn er ao klog gewesen wäre, die
damaligen TJnmhen in Schweden an benfitaen, leicht einige Oat*
aeehüfen f&r Bnlaland ertrota«i kdnnen, wodurch dann Peter dem
Grofaen der nordiache Krieg erapart geblieben wSre (!). Andere
gehen noch weiter und behaupten, Goiizyn sei von den Schweden
bestochen worden.
Wichtiger, ala die Beziehungen zum Kurfüraten von Brandeu-
^) Die Geschichte dieser Yarhandlimgen bei Ustrjalow 1. 8. 188 u. £Ci
«) Ustrjalow I. S. 117 u. ff.
') Tereschtschenko S. 153. Uatrjalow hat keinen Verdacht ge*
äuTsert.
ßy Gbogle
312
Fflnt W. W. Gblizyn (1648—1714).
bürg, welcher sioh hei Bu&knd fUr fraoiStuche Bmigr»ntea
(Hugenotten) verwandte, oder als die Abfertigung einer miaiMlieii
Gesandtschaft (Dolgorukijs) nach Frankreich , welche Voltaire
veranlafst hat, dem Fürsten (ioiizyn hohes Lob zu speaduu,
war der AhsohluTs des ewigen jE'riedens mit Polen, und hiev hatte
Goliiyn nnsweifelhafte Verdienste all Diplomat.
Jahrsehnte hindnrdi hatte der Krieg swiachen Polen und
Bnfeland gewährt. Sehr oft hatte England Tataren nnd Tflrken
gugeu Polen, ebenso oft Polon, Tataren und Türken gegen Rufs-
laud gehetzt. Jetzt endlich meinte man gemeinschaftliche Bache
gegen Türken und Tataren machen zu müssen. Auch die Ereig>
nisse in West^Enropa hatten das Interesse an der orientalisoben
Frage gesteigert. Die Bebellion Tököljs, weleher in ähnlicher
Weise sieh mit dem Sölten gegen Österreieh verband, wie kon
zuvor Jjoroschenko sich mit d<*r Türkei gegen Kulsland vereinigt
hatte, die Belagerung Wiens durch die Türken, der hervorragende
Anteil, welchen der König Jan Sobieski an der Rettung dar
Kaiserstadt nahm — alles dieses veranlaTste Bnfiiland sa einem
energischen Vorgehen in der orientalischen Frage. In der AHiana
swischen Leopold und dem Könige von Polen war verabredet
worden die Zaren zum Beitritt zu derselben zu veranlassen ; dieser
Wunsch wurde wiederholt, als die Republik Venedig dem iSundnis
sich ansohlofs. Sobieski schrieb an die Zaren, es sei die Zeit
gekommen, die Türken ans Europa au verjagen. Bulsland mufste
empfinden, dab es in seinem Interesse lag, an der allgemeinen
Bewegung gegen die Pforte teilsnnehmen. Siegte die Türkei
über Österreich und Polen, so konut ii leicht tiiiki.^^ ht Aihk n
vor den Mauern K.^ews erscheinen, siegte i'uleu, so war für
Bofsland das Übergewicht dieses, ohnehin gefährlichen, Nachbar»
Staats au fürehten. Es gab eine Solidarität der Interessen Polens
und BuTslands.
Aber der Gegensatz der beiden Beiche nnd Völker war
zu andauernd und tiefgehend gewesen, aiu Jalb man zu einer
0 VgL dessen Qesoh. Pete» d. Qr. frz. Ausg. v. 1808, Bd. L S. 101.
biyilizüü by GoOglc
Fürst W. W. Golizyn (1643—1714).
313
Ztatf wo mao iiil>elreff Kldmniftlandg und S^^ewi nur einen
Waffenstillstiind geschlossen, nnr ein Provisorium kreiert hatte,
ao leicht zum Abschlufs eines ewigen Friedens gekommen wäre.
Immerhin machte Golisyn seit dem Anfange des Jalms 1684
cUe energiBohsten Yerraehey eine Einigang mit Polen «utande ma
bringen. Die EinieUieiten dieeer VerhAndlongen sind liier nicht
▼on Interesse. Im Januar 1B84 trat in Andmasow ein Kongrefs
russischer und polnischer Diplouiuteu zusammen: die Fragen, wem
Kijew gehören sollte und ob man sich entechÜelsen mochte, ge-
meinsam gegen die Türken vorzugehen, bildeten den Gegenstand
der Verhandinngen in nennnnddreifaig Sitanngen. Diese blieben
erfolglos.
Golisyn, welcher nicht unmittelbar, persönlich an diesen Ver-
handlungen teiln iiiiii, hfsciiäftigte .sich n: ÄLoskau eingehend mit der
orientalischen >Vage. Er besprach sich u. a. über diesen Uegeu-
etand mit Gordon. Beide, Golizyn und Gordon, hatten Jahraehnte
lang den kleinnusisoh-orientalischen Yennittelimgen su folgen
Qel^nheit gehabt; beide hatten an den Tsohigirin-Feldsügen
teilgenommen. Gordon hatte durch lingeren Aufenthalt in Klein-
Kufslaiid. namentlich in Kijt'W, an der Grenze der Steppengegend,
über welche hinweg mau mit den Feinden der Christenheit
eusammenstofsen mufste, eine fülle von Erfalirungen auf diesem
Gebiete erworben. Er war während seines Anfenthaltee in diesen
Grenalanden Zeuge der YerwÜstnngen gewesen, welche die Tataren»
mitten im Frieden in russisches oder polnisches Gebiet ein-
brechend, anzurichten pflegten. Seine militärische Erfahrung
Wulste (Tolizyn zu schätzen.
Als nun Gordon, auf einige Wochen seinen Aufenthalt in
Klein-Bufsland unterbreohend, Anfang 1684 in der Hauptstadt
weilte, und sehr hinfig im Hause des Forsten Golisyn ans- und
einging, veranlafste der letstere Gtordon, ein allgemein politisches
Memoire über die eventuelle Thunlichkeit eines Feldzuges gegen
die Tataren aufzufassen.
Dieses Aktenstück liegt uns vor. Gordon hat es in seinem
Tagebuche seinem gaoaen Inhalte nach mitgeteilt. Es ist in dem-
314
Font W. W. Golkyn (1648—1714).
selben gewisBenoaben das Progminm der Qeechiohte der folgendeD
Jahre beecUoieeii. Hst aiiek Gordon, indem er snvernditlich an
den Ürfolg einer Aktion gegen die Tataren glaubte, in der Haupt«
Sache geirrt, so sind manche einzelne Erwägungen, welche er in
diesem Memoire vorbringti geradezu divinatoriBch und zwar ins-
boBondere inbetre£f Golizjns.
Weisen wir daher auf die wesentlichsten Grundzfige in diesem
Aktenstück hin,
Gk»rdon sShIt znnSohst alle Argumente gegen den Krieg auf.
Da heifbt 00 : „ Während der Mindirjaiirigkeit der Zaren öiud die
Reichsverweser jederzeit vorsicküg, behutsam und wenig geneigt
gewesen, einen Krieg anzufangen , damit, wenn dieser unglück-
lich ausschlagen sollte, der Honarok in reiferem Alter denen,
welche einen Krieg angeraten oder denselben som wenigsten nicht
gehindert hatten, die Schnld nicht beimessen möchte. — Da
gegenwärtig zwei Zaren sind, so wird der Staat dadurch in Par-
teien geteilt, und die Uneinigkeit, Eifersucht und Zwistigkeiten
der Grofsen erzeugen Verwirrung und Unentschlossenheit in ihren
Beratschlagongen , welches bei einem Kriege grofse Hindernisse
▼emrsachen mnfs". Oordon macht ferner auf den GMdmangel
in dem Staatsschatae, auf die schleckte Disziplin in der Armee
und auf andere Umstände als auf Gründe der Erhaltung des Frie-
dens aufmerksam. — In der zweiten Hälfte seines Memoires ent-
kräftet indessen Gordon alle diese Argumente, zählt einige Bei«
spiele auf, aus denen hervorgehen sollte, dafs auch in Zeiten der
Hindeijithrigkeit mehrerer Könige erfolgreiche Kriege geführt
worden seien; die Parteiungen der GroXsen seien ihrem eigenen
Interesse zu sehr entgegengesetzt, als dafs sie dieselben nicht
selbst überwinden würden; Geld würde man schaffen können: bei
der Armee müsse man für strenge Manuszucht sorgen; Beloh-
nungen und Strafen würden entscheidend wirken u. ■. w. (}or-
don aeigt dann, wie die diplomatiscken Beaiebungen Bnfsland an
einer Aktion nötigten und hebt berror, wie man „Gott einen an-
genehmen Dienst leisten" werde, wenn man das B&ubemest der
Tataren zerstöre, d. h. die Krim erobere. Der Marsch durch
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Fürst W. W. üolizyu (1643—1714).
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die Steppe, memt Gbitlon, biote keiiie so grofsen Soliwierigkeiieii
dar; der Erfolg sei mit Sicherheit zu erwarten.^)
In dem letzteren Punkte war Gordon in einem unheilvollen
Irrtum befangen 1 Der I£ar8ch durch die Steppe bot, wie die
Bpäteren Feldstlgo darthaten» bei den damaligen anToIlkommenen
Verkebnmitteln und der mangelbaftea lülitSrverwaltiing fSwt nn-
fibersteigliche HindemieBe dar. Daran Bcbeiterten die TJntemefa-
LuuDgen Golizyns einige Jahre später. TJm so begründeter waren
Gordous in der ersten Hälfte seiner Memoiren geäufserten Besorg-
niBse, welche wesentlich Golizyn l^etrafen. Die wenige Jahre
später eintretenden £reigniBBe aeigten, daTs Golisyn als |,iteidiB-
Terweeer<* dem mindegälirigen Zaren Peter gegenüber mit den
Feldafigen in der Krim eine schwere YerantwortUclikeit auf Bioh
geladen hatte ; der MiTserfolg der Jahre 1687 nnd 1689 hat in
erster Linie Golizyns Sturz bewirkt ; nicht umsonst hatte Gordon
mit für Jene Zeit erstaunlicher f'reimütigkeit von den Parteiungen
der Gbroisen als Yon einem Ergebnis des Umsiandes, dafs man
xwei Zaren habe» nnd als von einem Hindernisse des Erfolges g«*
sproehen. Sp&ter oder firflher mnfste der Konflikt swischen
den Parteien Iwan nnd Peter an einer Krisis flüiren. Ooli-
zyn fiel als ein Opfer derselben. Auch die Mängel der Ainiee-
verwaltung, die Lockerheit der Disziplin hatte Gordon nicht ohne
Ursache als bedenklichen Grund gegen eine Aktion bezeichnet. Sie
haben wesentlich inm Scheitern der Fcidsfige der Jahre 1687
und 1689 beigetragen.
Gklizyn scheint anf Gh>rdons Bedenken mehr Gewicht gelegt,
als dessen Optimismus geteilt zu haben. Er liefs die Unter-
handlungen in Andrussow abbrechen und es kam erst drei
Jahre, nachdem Gordon zu einer Aktion gegen die Krim ge-
raten hatte» an einem Versnobe, in dieser £iohtting etwas an
nntemehmen.
Dagegen liefii Polen nicht nach. Im Ksi 1684 erschien
eine polnische Gesandtschaft in Moskanf welche die Angabe
^) Gordons Tagebuch, IL S. 4— IL
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316 Pürtt W. W. GoUzyn (1648—1714).
hatte, EufilaDd su einem Angriff »n£ die Krim za bewegen.
,,I>ie rechte Hand des Sultans sollte abgehauen werden.'^ So
bezeichnete man die gehoffte Eroberung der tatarischen Halb-
inflei. Golizyn erklärte sich zur Aktion bereit und knüpfte
daran nur die Bedingung der definitiven Abtretung K^e^
an Bufa)and. Die letttere Stadt war in dem Frieden von An*
dmasow (1667) nur aeitweilig den Bussen flberlaesen worden.
Diese Forderung RuTslnnds sowie einige Mifserfolge der Polen
in dem Kampf mit der Türkei hatten zur Folge, dafa die
in Moskau gepüogenen Unterhaudlimgen (X6B4:) zu keinem Ab-
Bohlols kamen.
Da erschien Anfiuig 1686 abermals eine polnisohe Gesandt-
schaft in Moskau. Sieben Wochen lang w&hrten die daawisohen
mehrmals unterbrochenen Unterhandlungen, an denen Gh>U2yn
dieses Mal unmittelbaren und persöuliclien Anteil nahm. Hier
zeigte er ungewöhnliches diplomatisches Talent, Durch eine ge-
wisse Festigkeit, die so weit ging, dafs man, als die polnisdien
Gesandten inbetreff Kgews nicht nachgeben wollten, ihnen
Pferde nnd Eqn^agen fOr die nnTerzSgliclie Abreise sur Ver-
ftgung stellte, verstand es GK>lisyn, die Polen mürbe su machen.
Rufsland erhielt Kijew , wof ir es rtllerdmgci eine Summe von
146 000 Kübel zahlte ; die Rechte der Orthodoxen in Polen wurden
gemehrt; beide Mächte verpflichteten sich su einer gemeinsamen
Aktion gegen den Orient.
Der Abschlufs dieses ,»ewigen*< Friedens mit Polen galt fttr
ein ungeheures Ereignis. Golixyn meinte» die Begentin habe
sich damit ein unermefsliches Verdienst um das Reich erworben.
Überreich ist or dafür belohnt worden. «Wir haben," sagte
Sophie in einem ilanifest, „einen iür KnÜBland so ruhmreichen
Frieden geschlossen. Bufslands Bnhm erschallt laut bis an die
ftuTsersten Grenzen der Welt n. s. w.* ^)
Gbliayn befand sieh auf der Höhe sdner historischen Bolle,
seiner gllnsenden Stellnng. Nicht ohne Genugthuung mochte er
») Vgl. üstrjalow a. a. 0. I. S. 162—17».
biyilizüü by GoOglc
I
Fürst W. W. Golizyn (1643—1714). 3 1 7
erfahren haben, dafs der König von Polen thränenden Auges
die Ratiilktttion des Friedens vollzogen liabe. Ob er aber im-
staode sein werde, erfolgreich gegen die Tataren zu käirpfen,
war eine Fnge. GU>liayii, der Diplomat» hatte Qrofseres geleistet,
als Gblisyn, der Feldherr, sn leisten hemfen war.
Golisyn als Feldherr.
Über Golizyns militärische Talente habeu wir 8ohr wenige
Nachrichten. Was wir Ton seinem Anteil an den f^eldzügen in
Kleinmlsland in den eiehsiger Jahren wissen, ist kaam der Eede
wert. Dafs er in dieaer Zeit reich helohnt worden war, ist kein
llafsstab fftr seine eigentlichen Verdienste als HeerfBhrer.
Jetzt aber, als man uaih langem Zögern sich zum Kriege
mit den Tatai-eu entschlofs, ak mau sogleich nach dem Abschlüsse
des „ ewigen Friedens mit Polen, wobei man sich zur Aktion
gegen den Islam Terpfliehtet hatte, sich mit Vorbereitangen an
dem Feldsnge in die Krim hesehfiltigte, sollte sich seigen, was
Oolisyn als Militär, als Oberfeldherr wa leisten Termöge.
Die Ereignisse haben gelehrt, dafs seine unglückselige Feld-
hemiroUe seinen Sturz einfifeleitet hat. Für Golizyn bot, abgesehen
von dem Wagnis einer militäriachea Holle, die Abwesenheit von
der Hauptstadt grofse Gefahren dar. Er wnfste, dab er viele
Feinde habe. Wer so hoch stand, so viel Ifacht nnd Einflols
hatte, sich so nnbedmgt der Ghinst der ersten Person im Reiche,
der Prinzessin Sophie, erfreute, wie Golizyn, dem konnte es nicht
an Neidern und Geguern fehlen. Er scheiut sich einer solchen
Gefahr, welche mit seiner Abreise aus dem Mittelpunkte des
Heiches stieg, wohl bewuTst gewesen an sein.
Schon sein hervorragender Anteil an der groisen HaTsregel
der Abschaffnng der Bangstreitigkeiten mnfste viele AnhISnger
alter Familieninteressea gegen G-oUz]rD aufbringen. 8ehr bald,
uaclidem er unter dem Zaren Feodor diese Reform durchgesetzt
hatte, nahm er als Günstling der Hegeuüu, als erster Beamter
im Beiche eine Stellung ein, welche ihm gestattete, alle Amter,
■
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Ffint W. W. Golizyu (1648-1714).
sowohl bei der ZWÜTerwiltimg ab bei der Armee, nach aetnem
GhitdfliikeD, ohne BUoksioht auf Ffonilieiiaiiteben oder persSnliche
Interessen der Bewerber, besetzeu zu können. Er wird von einer
Bolcbeu Machtbefugnis ohne Zweifel sehr ausgedehnten G-ebrauch
gemacht haben. Es wird berichtet, dafs» als Golizyn nach den
Bluttagen des Mai 1682 die Offiaierstellen bei den Begimentem
der Strelsy nen und mm Teil durch tnohtige ParvenuB besetste»
er eich dadorcb den ITnwinen des nodi in den BeminissMnsen der
„Älestnitschestwo" (Rangstreit) befangenen Adels zuzog. ^) über-
haupt brachte er durch Vergebung von Ämtern viele, welche Be-
rücksichtigung zu verdienen meinten, ohne ernannt zu werden,
gogen sich auf. Dafs er selbst eine Henge Ämter für sieh in
Ansprach nahm, in seiner Person eine grofse Aniahl von Funk-
tionen Tereinigte, als Chef einer ganzen Beihe Ton BehSrden
thätig war und auch wolil aua «mer solchen Stellenkunmiierung
znateriellen Vorteil für sich zog, mochte dazu beitragen, die Zahl
seiner Gegner zn mehren. In Verhältnissen, wo Öffentliche Moral
und öffentliche Meinung so gut wie nichts galten, persönliche
Macht, Bestechlichkeit und Intngue das Meiste sn entscheiden
pflegten, konnte es nicht f^en, dafs Gk>lis3my schon um seine
Stellung wenigstens zeitweilig zu befestigen, bei der Amtcrser-
ieihung in erster Linie seine Freunde und Auiiänger bedachte.
Selbst sein Bewunderer, Neuville, berichtet, er habe alle Stellen
mit seinen Kreaturen besetst. Er war eine Partei; er hatte es
mit entgegengeseteten Parteien in thnn. Bei solchen Zuständen
ist die persönliche Anwesenheit im Mittelpunkte der Geechifte,
wo man jede Gefahr eher erkennen, jeden feindlichen Schachzug
erfolgreicher belauern kann, von grofsem "Werte.
Es entsteht daher die Frage: wie kam es, dafs Golizyn sich
entsohlofs, seine Zukunft an das Hasardspiel eines Feldsugs su
knüpfen, den Aufenthalt in der Besidens, an der Seite der Be*
gentin, inmitten der Verwaltung, der innsren und auswärtigen
Politik gegen das Lagerleben zu vertauschen? Wenn wohl vermutet
*) Vgl. Malinowsky a. a. 0. S. 72.
biyilizüü by GoOglc
Fürst W. W. Goliayn (1643—1714).
819
worden ist, daü der Bnrst nach Hülm, die Svoht naeli msttm
neuen Titel ihn bestimmte, sich an die Spitze des gegen die Tutaren
aosrückeudeu Heeres zu stellen, so ist für solche Annahme
nm BO weniger ein Grund vorbanden, als der in diesem Falle
gewÜB glaubwürdige NemiUe auadrficklich berichtet» Qoliayn habe
den Oberbefehl Aber die Armee nur ungern übernommen - nnd
bXtte ncli gern Ton einer solchen Yerpfliehtong losgemacht. Wie
dem auch sein nioclite : gewifs ist, dafs ein siegreicher Feldherr
an der Spitze der aus der Krim heimkehrenden Truppen ihm
weniger Ghefahr bot, als ein Mifserfolg der ganzen Unternehmung,
wenn er als Feldherr die Leitung derselben för sich allein in
Ansprach nahm* Da Überdies der Verlauf des Feidrages eine
gewisse UnfShigkeit Golisyns flir die Leitung militfirischer Ope-
rationen an den Tag legt, so läfst sich kaum verrnnten, dafs
Golizyn sich für ein militiirischeB Genie gehalten und aus per-
sönlicher Neigung die Feldherrnrolle übernommen haho.
Wir müssen es uns yersagen, auf die £inaelheiten der militft-
rischen Operationen der beiden Feldsüge m den Jahren 1687 und
1689 einsugehen. Das Ergebnis war in beiden Fftllen ein Tölliges
Scheitern. Statt die Krim zu erobern, kehrte man 1687 um, ehe
man selbst die Landenge von Perekop erreicht hatte und ohne
dafs man auch nur des Feindes ansichtig geworden wäre. Im
Jahre 1689 kam es nach einigen Scharmätaeln in der Nähe der
Landenge von Perekop an Y whandlungen swischen Goiu^ nnd
den Tataren, welche auf den Feldherm ein übles Licht werfen.
Besohrftnken wir uns bei der Darstellung dieser Torgänge
auf diejenigen Züge, welche Golizyii betreffen.
bchon die Langsaiukoit und Uupüuktiidikeit des Erscheinens
der Truppenteile an den Sammelpunkten schob den Beginn der
Kampagne hinaus nnd lieTs nichts Ontes erwarten. Li manchen
Fällen aber lieft der JCsngel an Dissiplin auf eine gewisse, direkt
gegen Qolisyn gerichtete AnimositSt der russischen Offiziere
schliefsen. Einen tiefen Einblick in diese Verhältnisse gewähren
Gohzyns, während des Feldzuges an Schakluuitij gerichteten
Bhefe, welche Ustz^alow mitgeteilt hat. Hier beklagt sich der
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PSnt W. W. Oolizyn (1648-^1714).
Fürat bifeto* über die Eigemnichtigkeit der Edellente, welche sieh
den Anordnungen nicht lügen wollten; ee sei nichts ak Tin-
gehorsam und Widerspenstigkeit liei den Rittmeistern''. Er bat
um ausgedehnte Vollmachten zur Bestrafung der Störriscben und
berief eich dabei auf Bestimmungen, welche bereita in der Zeit
des Zaren Feodor inbetreff der Disaiplin erlMsen worden waren.
Er will Macht haben, aolche Strenge m üben» dafs j^e zittern
Böllen''. Namentlich einige Glieder der alten Glesohlediter der
Dolgorukijö und Schtsclierbatows bracliten ihn aiif: er verlangte,
dafa ihnen zur Strafe ihre Güter konfisziert werden sollten. Aller-
dinga hatten sich diese zu einer sehr kecken Demonstration gegen
den Oberfeldherrn hinreifaen hwaen. üm sa seigra, dafa aie an
keinen Erfolg dea Feldangea glaubten, erschienen aie bei der
Armee in einem seltsamen Aufzuge. Sich aelbat und ihre Pferde
hatten sie in schwarze Tücher, also in Truuergewändcr gehüllt.
Golizyn mufste, wenn anders er der Demoralisation des ganzen
Heeres vorbeugen wollte, Strenge üben. Daher verschaffte er
aich durch Vermittelnng Schaklowit^'a anagedehnte Vollmachten;
er war bald in der LagCi ao energiadi auisutreten, da(s die
Schuldigen aieh vor dem Ibchthaber beugten und um Veraeihung
baten. ')
(loi don hatte lof^4 in seinem Gutachten die Gefahren, welche
der Marsch durch die wasserlosen Steppen bot, unterschätzt. Bei
dem Ungeheuern Trofa, der koloaaalen Anaahl von Pferden, welche
die Armee mit aich fahrte, ateUte aich bald entsetslioher 'Waaaer-
mangel ein. Sowohl in Gk>rdona Tagebuche, ala in Leforta Briefen,
welche Posselt mitgeteilt hat, sind die Leiden geschildert, welche
der MaiBch mit sich brachte. Lefort macht dem Oberfeldherrn
dabei den Vorwurf, dafs er dieae Leiden gemehrt habe, indem
er nicht geatattete, dafa die veraohiedenett Truppenteile von dem
einmal vorgeachriebenen Wege abwichen.*) Krankheiten und
Sterblichkeit rieben einen Teil der Armee auf. Lefort achreibt:
„Der Seigneur, unser Fürst, war in Verzweiflung, nicht nach
') Ustrjalow, I. S. 3!7 :',r>0.
*) PoflMlt« Lefort, L & 378.
Fürst W. W. (^olizyn (1643—1714).
891
Perekop gelangen zu können" „Unser Generalissimas war aufaer
aich, und ich kann Euch versichern, er weinte hittorlich"
Das schlimmste war der bteppenbraiid , wolcher die letzten
Waiierraete in der Einöda Teroiohtete und den Mangel an fntter
fir die Pferde Tertinaolite. Die Kosaken und aneh der Hetman
SmmoüowiiBoli sind besohnldigt worden » ▼errftterisoherweiBe das
Steppengras angesitndet an hab«i. Dieses bat wesentlich zum
Stnrze des Hetraans beigetragen , den Golizyn nicht blofa ge-
schehen, sondern, wie man vermuten darf, gerue geschehen liefs.
Wir haben keinen Gnind an die Sohnld Ssamoilowitecbs oder
der Kosaken zu glauben. Eher könnte man Tennnten, da&
Tataren den Steppeabrand Temrsaeht bitten, um das Vorrttcken
der Bossen m ▼erhindera. Gewissermafiien nur als ein Knriosnm
wollen wir aniuhr(Mi , dain auch wohl der Fürst Golizyn selbst
beschuldigt worden ist, den 8teppeubrand herbuigeluiirt zu. iiabeu.*)
Das Ergebnis war, da£B man umkehrte, nachdem man bis
anm Karatschokrak (etwa 900 Werst oder 30 Keilen von der
Landenge Perekop) vorgedrongen war. Goliityn hatte Eile, naoh
Hanse an gelangen. In Koskan hatte man während seiner Ab*
Wesenheit gegen ihn allerlei Riinke geschmiedet. K lum halte er
die Hauptstadt verlassen, als sein gefahrlichster (Tegner, der Fürst
Tscherkasskij, gegen ihn zu agitieren begann. Auch den Einflnüs
des Patriarchen scheint (iKiliayn gefürchtet zn haben. Nicht um-
sonst zeugen die zahlreichen, an Sdiaklowity gerichteten Briefe
GoHzyns von einer gewissen Aufregung, Unruhe, Spannung.
Stets wiederholt er die l rai,'0, ob es nicht Känke gebe, ob die
Gegner nicht wiederum böse Anächläge ersinnen ; oft fragt er,
was man von ihm rede ; als er einst auf dem Marsche, bei einem
Qelage, auiser der Gesundheit des Zaren auch diejenige der Prin-
») Possült, Lelort 1, S. 373—374.
'j Vgl. Bchleusing a. a. 0. „Durch beindichu Korrespondenz mit
den Tataren hat er die Heide in Brsnd stecken lassen. Die meisten von
der rassisohen Armee entidcton im Bauche." In den „Gesprächen im
Beiehe der Toten" ersiihlt Qolizyn genau die Gesohidbte dieser Ver-
ritterei, 8. 1184.
BTttekaer, Bnfetand. Sl
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Fürst W. W. Golizyn (1643—1714).
sessin atisgebraeht Katte, fragte er. weleihen Eindrack dicMB in^
der Hauptstadt geuiacht habe ; dazwiachen verlangt er. man solle
diese oder jeoe Persönlichkeit entfernen ; er lauscht allerlei G€^-
Füchten über die gegen ihn gesponnenen Bänke, fordert seinen
Freund oofr nur ja wachaam an sein, nnd bittet ihn, snr Belohnung
ein bedeutendes Gkldgeachenk ansnnebmen. Als Sohakkmit^ im
Anffcrage der Regentin zum Heere reiste, welches bereits auf der
Rückkehr betrriflfeii war, äufserte Golizyn seine Unzufriedenheit,
dafä Schakluwitij durch Yerlas&eu der Hauptstadt den üäakeo
seiner, Goiizyns, Feinde Spielraom gönne.')
Fast seheint es, als habe auch die Prinsessin Sophie ge-
fürchtet, dafs Golizyns Feinde siegen würden, wenn er nach einem
solchen Mifserfolge heimkehrte. Sie schickte ihm Schaklowitij
uut der Weisung entgegen, wenn möglich wieder umzukehren,
durch die donischen Kosaken die Krim ▼on der Seeseite anzu-
greifen, die kleinmssischen Kosaken Tom Di^epr aus operieren
m lassen oder wenigstens durch Errichtung von Forts im Süden
die Grenze zu sichern.*)
Golizyn konnte nicht daran denken. Er erledigte nur die
Angelegenheit, welche den Sturz Ssamoilowitschs und die Er*
hebnng Kaseppas *) betraf — wobei er, wie oben bereits bemerkt
wurde, auf seinen materiellen Vorteil bedacht war, sich von Ha-
seppa beschenken liefs, vielleicht aus dem konfiszierten Vermögen
Ssamoilowitsclis sich einiges, wie maui ihm vorwarf, aneignete —
und eilte nach der Hauptstadt.
Die Begentin deckte mit ihrer Gkmst den unglücidichen
Feldherm gegen alle Feinde. Er ward reich belohnt. Er er-
hielt eine schwere cfoldcne Kette, eine Denl<niiinzo im "Werte von
300 Dukaten, lUUO Bauernhöfe und andere reichliche Geschenke.
Die dreistesten offiziellen Lögen sollten den totalen Kifserfolg
') Vgl. Uftrjalow I, 8. 84« u. £
*) Akten, die Angelegenheiten der Krim betreffend, bei Scoloiijew
Bd. XIV, S. 41.
*) Dafi er die Wahl beeinflufate, s. bei üstijalow nnd Ssolowjew.
biyilizüü by GoOglc
Fürst W. W. Goiizyn (1643—1714)
323
beschönigen. In Manifesten sprach man von errungenen Siegen.'^
Er war vorläuiig no mächtig wie zuvor.
Man wollte deu Versuch einer Eroberung der Krim wieder»
holeiii aber nicht aogleioh* Zouiobst erricbteto man im Jahre
1688 ein Fort am Auafliiaae der Ssamara in den Diyepr. Der
Plan dieses Forts war von einem hoUSndisehen Ingeniemr ent-
worfen. Anch Gordon mufste bei dieser Gelegenheit sein Urteil
abgeben. Mau sieht, dafü Golizyn bei der Errichtung von Bogo-
rodizk; in ähnlicher Weise wie Teter bei der Erobemog und
Befestignng Asows und der Gründung TaganrogSi westeuropftische
Intelligenz au Bäte lOg. Die Vafsregel war sweokmäftig und
heilsam. ICan bedurfte solcher Torgeschobener Posten im Sttden,
welche einerseits bei Feldzügen gegen die Tataren als Stütz-
punkte, Ijagerplätze und Niederlagen von Lehensinittelu und
Kriegsgerät dienten, anderseits den fortwährend wiederholten
Kaubzügen der Tataren an steuern geeignet sein konnten. Noch
ehe dieses Fort ToUendet war, schleppten die Tataren bei einem
in das russische Gebiet unternommenen Baubsuge (im Mira 1688)
nicht weniger als sechzigtausend Menschen als Gefangene fort.
Um 80 lächerlicher ist die, bei (Tt legenheit des Sturzes Golizyns
gegen ihn im Publikum erhobene Anklage, er habe 1688 die
Festung Bogorodiak bauen lassen, um die Truppen, insbesondere
die Strelsy, zu Grunde au richten.^ Solche Dinge können als
ein Mafsstab ftlr die, im Volke gegen Golisyn herrschende Ani-
mosität und zugleich als Warnung inbetreff anderer über ihn in
Umlauf gesetzter Gerüchte dienen.
Inzwischen schien die orientalische Frage in eine neue Phase
eintreten an wollen. Es geschah mancherlei, was Bufsland su
^) Vgl. die Gesetzsammlunp K«1 TT, Xr. 1258. Baron Keller über-
nahm es, iu Holland Naehrichteu über den aiij^fbliclicn Sierr (iolizyns
zu verbreiten ; 8. Posselt, Lefort I, S. 389. Auch nach I'ülea sandte man
solche lügenhafte Berichte, s. Tereschtschenko a. a. ü. S. 163—164.
S. ebendort die abenteuerlichoi Gerüchte in Wien.
*) Vgl. Gördens Tsgebuch T, S. 906. Gordon, welcher die Sache
beurteilen komkte, bem^kt dssu: „Eine schlechte Erfindung, welche
weder Omnd noch Wahmcheinlichkeit hatte".
21*
üiyiiizea by '
324
Fürst W. W, Golizyn (1643—1714).
energischerem Vorgehen veranlassen konnte. Die Venetianer und
die Österreicher errangen bedeutende Vorteile in Kampfe mit
den Türken, die ersteren in Morea und Dalinatiea, die letztereu
in TTugarn ; der ehemalige Patriarch von Konatantinopeli Bionyiifis,
liefs durch den Archimandriten de* Klosters com heil. Paul
anf dem Berge Athos, Jesajas, melden, jetat sei die richtige Zeit,
die Christen zu befreien. Alle: Serben, Bulgaren, Moldauer und
Walachen liotTton auf Rufsland. Der llospodar der Walachei.
Schtscherban, »audte ein Schreiben, in wolciieni er die Hoifnung
aussprach, dafs Bursland das Türkenjoch brechen werde. Ähn-
liches schrieb der Patriarch von Serbien, Arsenins. Schtsoherhaii
lud die russische Armee ein, an die Bona« su kommen; er wollte
selbst fttr ein Hilfskorps von 70000 Hann sorgen, and stellte
die Waiirscheinlichkeit bedeutender Erfolge in Aussicht. Dabei
schilderte er den Hafs der dortigen Bevölkerung gegeu Österreich,
wie denn auch die Geistlichen jener Gegenden in ihren nach
BoTsland gesandten Schreiben vor den Katholiken warnten.
Man sieht: es gab im Jahre 1688 genan dieselbe Veran-
lassung auf Erfolge zu rechnen, wie im Jahre 1711, wo Kantemir
dem Zaren Peter den Sieg als wahrscheinlich vorstellte. Es war
auch im Jahre 1))88 unmöglich, aüeu solchen Anregungen gegen-
über sich gleichgültig zu verhalten. Wir dürfen annehmen, dals
6K>lizyn bedeutenden Anteil an dem Schreiben gehabt habe,
welches die beiden Zaren, Iwan und Peter, an den Hospodaren
der Walachei, Schtecherban, richteten, und in welchem sie ihn
auliuiderten, mit seinen Truppen gegeu die ;iin I hiiepr gelegenen
tüikiischen JTestungen zu ziehen. Doch hatten sich luzwiachen
die Verikältnisse geändert; Schtscherban war gestorben, und sein
Neffe, Konstentin, beschränkte sich darauf, das Schreiben der
Zaren mit allgemeinen Bedensarten za beantworten. ^) Schlimmer
noch war es, dafs man erfuhr, der Kaiser und Polen seien im
Begriff, mit der Türkei Frieden zu schliefsen.
Da war es denn, wo die ruäfiischo ü^ierong, ihre 31acht
*) Nach bisher unbekannten Archivalien Ssolowjew Bd. XIV, S. 64.
biyilizüü by GoOgl
Fürst W. W. Golizyn (1643—1714).
325
und Bedentnng fllMmohitBOiid, noh ro grolseii Entwürfen liin-
reifsen liefs. lu den die polnischen Angelegenheiten betreffenden
Akt^u im Hauptarchiv zu Moskau hat sich daa Konzept zu einer,
an den russiBchen Gesandten in Wien, "Wosnizyn, abzusendenden
Instmktion gefimd«D| in welcher , fUr den f^all eines !Friedens-
iohlnaaeg mit der Pforte, Bnbland folgende Forderongen macht;
alle Tataren eoUen ans der Krim nach Kleinasien fiberaiedehi
und die Krim soll an Rufslaiid abgetreten werden ; ebenso sollen
alle Türken und Tatareu aus der Gegeud von Asow entfernt
und Asow selbst soll den Russen abgetreten werden. Femer
verlangte BoTslandy wenn nicht Abtretung , so doch wenigstens
Sehleifhng der tSrkischen Festungen Kasikerman, Otsohakowa. a.;
endlich die Freilassung aller russischen Ge&ngenen und als Eni*
Schädigung für die durch tatarische Uberfälle verursach ton Ver»
luste^ die Zahlung von zwei Hillionen I)ukat(;n. ')
Ustrjalow untersucht die Frage nicht, ob eine solche Instruktion
ahgesaadt wurde, oder ob dieses Aktenstück nur Entwurf war
und Entwurf blieb. Wenn Goliayn an diesem Hirngespinst An*
teil hatte, was denn doch sehr wahrscheinlich erscheinti so kom«
promittieren solche Kodoniontaden ihn inbetreff seiner diploma^
tischen Fähigkeiten uoch mehr, als die beiden P^eldzüge von
1687 und 1689 ihn als Feldlierru in einem keineswegs heroischen
lachte erscheinen lassen. Selbst Katharina II. hat nach den
groisen Erfolgen im ersten türkischen Kriege nicht solche Forde-
rn ngen an die Pforte su stellen gewagt. Der Frieden von Ku-
twchuk-Kainardschu zeugt von Mäfsigung ira Vergleich mit den
AuHprüchen der Prinzcasiii Sojjhio in jenem von TJstrjalow ent-
deckten Aktenstücke. Man denke nur an den Ausgang des kurz
aUTOr unternommenen Feldsugs in die Krimi
Trug man sich mit grofsen EntwOrfen, so mufste man den
Versuch eines Feldsugs in den Süden wiederholen. So kam es
denn zur Unternehmung im Jahre 1689. "Wieder begegnen wiP
dem Fürsten Golizyn an der Spitze des russischen Heeres und
Vgl Ustijalow I, S. 917.
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326 Fürat W. W. Golizyn (1643-17U).
dem Greneral Gordon au der Seite des Fürsten. Hatte mau 1687
den Fehler gemacht , zu spät anfzubrechen und infolgede^seo
mit der Sounengiut in der Steppe, als dem schlimmsten Feinde,
zu kämpfen gehabt, so eröffinete man 16B9 die Operationen bereits
im Winter. Man marschierte bei Kälte und Schnee ans der
Hauptstadt und hatte dann in der Steppe allerdings nicht mit
Wassermangel zu kämpfen. Auch kam es diesmal wirklich zum
Zusainmenstofs mit den Feinden. Aber auch diesmal gab es keinen
Erfolg.
Eine grolse Zahl von Berichten Golisyns an die Zaren nnd an
die Segentin über alle Einaelheiten des Feldsogs, welche Ustijalow
mitgeteilt hat, Qordons Tagebuch, Leforts Briefe, Sophiens Er-
zählungen an Neuville, Korbs sorgfältig gesammelte Nachrichten
und andere Quellen gewähren uns einen Einblick in den Charakter
dieser militäriächeu Uuternehmungen. üiernach gewinnen wir
den Eindruck, dafs Golugrn v^^n einer argen Schönfärberei in
seinen Beriditen nicht frmauspiechen ist. Jedes militSrisdie
Ereignis wurde su einer grofsartigen Aktion aufgebauscht. Die
Regierung war im Jahre 1689 noch mehr als im Jahre 1687
darauf bt dacht, der Mitwelt Sand in die Augen zu streuen und
von grofsen Siegen zu reden, wo ein totales Fiasko vorlag.
Am 16. Mai staels man mit den Tataren zusammen, und swar
in dem bereite in der NiKhe von Perekop gelegenen „Schwameo
Thal". Die russische Artillerie zeigte sich dem Feinde überlegen ;
dagegen erwies sich die russisch« Beiterei als durchaus unzu-
länglich. Im ganzen gab es wohl insofern einen gewissen Erfolg,
als die Tataren ebenso schnell verschwanden, wie sie gekommen
waren, und snnächst am andern Tage den Angriff nicht zu erneuern
wagten. In seinem Bulletin schildert Golisyn dieses Treffen
grofssprecherisch als eine gewaltige Schlacht, w&hrend doch schon
aus seinen Angaben über die Verluste henrorgeht, dafs die ganse
Affaire nicht irgendwie als eine wichtige oder entscheidende an-
gesehen werden kann.^)
*) Vgl. die Bulletins Qolisyns bei Uttrjalow I, 8. 882 u. ff. nnd
wSrÜieh im Anhange a a6&— 882.
biyilizüü by GoOgl
Fürst W. W. üülizyn (164^— i714>.
Hatte man Bohon naeh dem ersten Feldsnge in den offisiellen
Manifesten von allerlei Siegeu gefabelt, so nahm man den Jiund
jetzt noch voller.')
Wie man in offiziellen Berichten mssischeraeits die Breigniise
des Feldsnges von 1689 darmstellen beliebte, er&hren wir genau
ans der Sehilderang, welche in einem, daroh den russischen diplo-
matiaehen Agenten in Venedig, den Griechen Lichuda, von den
Schlachten im Mai 1689 überreichten Bericht der russischen Re-
gierung entworfeu wurde. Da heifst ea u. a. : ^Vller Welt sei
der glorreich errungene Sieg Rufslands über die Tataren bekannt;
die ganse G^end, in welcher die Schlacht stattgefunden habe,
sei mit Leichen besfiet gewesen, der Ghan sei Terwundet, une
Kenge angesehener Tataren sei ge&ngen u. s. w.^
Dafs die Prinzessin Sophie an die Berichte Golizyns glaubte,
ist aus ihrem an den Fürsten gerichteten Briefe zu ersehen. Er
hatte ihr geschrieben, sie möge für seine glückliche Rückkehr
*) Wie man 1687 wenigstens seitweflig das Publikum irreführte,
zeigte der Bericht von den militärischen ErciuMii^nen bei Sandrart:
Kurze Beschreibung von Moskowien oder Reufsland, Nürnberg 1711,
S, 203 210. Da lieifst es u. a. : Pereknp sei ein|n[enommen worden,
\vt))»oi 59 (X)0 Slunii Tataren niedergehauen worden und 3()(KJ K<>sakeu
t^eliillen seien; liicrauf sei die Armee nach Otschakow marschiert, wo
man 70 000 Tataren niedermetzelte, während nur 400 Bussen fielen. (!)
Otschakow sei genommen worden, alle Gefangenen, die in der Krim
schmachteten, habe man befreit, viele Tuende von Tataren hätten sich
der moskowitisohen Botmifsigkeit nnterworfen, viele Tausende der
schönsten Pferde habe man erbeutet. Der Verfasser, welcher sich denn
doch wohl in Moskau aufhielt und unt^dem Eindrucke der im Publikum
zirkulierenden Gerüchte schrieb, bemerkt S. 200: „Gleich itzo kommt ein
Kosak bei mir an. der Alles Ubijre bf -*:itigt und von noch einer Schlacht
erzählt, in weicher 8(KK) Tataren gelotet wurden," Ks ist begreiflich,
wenn daraus folgender Schluid gezogen wird: „Däfern der gnädige Gott
seinen Segen noch weiter mitteilen wollte, würde der Tatarchau in
wenig Zeit zum Vasallen des Moskauer Zaren werden." Wie umsCSndlich
die falsdiMi Naohrichten waren, denen man im Publikom Glauben
schenkte, seigt die genaue Spesifiziemng der rassischen Annee, welche
nach Sandrart 527 000 Mann betragen haben soUl!
-) Vgl die Denkmiler der diplomatischen Besiehuogen fid. X,
S. 1874
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398
beten. Sie aatwortote: „Mjem alks, meiii Bräderebeii» WaaMokal
sei Dn, mein Vätareben, gegrOdit; lebe glfl«idioh viele Jalure!
Und noch einmal aei gegrOfaty nachdem Da mit Gbttoa Hilfe und
durch die Gnade der heiligen Hntter Ghottes nnd durch Deinen
Verstand und Dein Glück die Nachkomnien Hagars besiegt hast!
Köge Gott Dir auch femerliiu verleihen, dafs Du die Feinde
besiegeati loh aber, mein allea, kann es nicht glaobeni daÜa Da
an una anrttdckehren wirat; Ich werde ea nicht eher glaabeiiy ala
wenn vsh Djchy mein aUea» in meinen Armen halten werde. Wie
hannat Du nnr, mdn aUes^ achreiben, idi aolle für Dich beten:
bin ich denn so sündlich und unwürdig vor Gott? Ilud wenn ich
auch sündhaft bin, so wage ich es doch auf seine Gnade zu bolitu.
Glaube mir! Ich bete immer darum, dafs ich Dich, meine Welt»
in Freude wiederaehen m5ge. Und aomit lebe wohl, mein aliea,
in Ewigkeit«« l ^
Wie man aber im Volke von diesen angeblich grofsen Siegeu
Golizyus sprach, zeigt folgende Auhlülirung des liauern Possoech-
kow, welcher einige Jahre später in einem Schreiben au den
Bojaren Golowin die Mängel der niBBiaohen Heeresorganisation
Bebilderte. Er achreibt: „Ea iat allen bekannt , wie der Ffirat
Waaai^j Waaei^ewitach Golisyn nach Ferekop ging nnd, wie man
aagt, mit ihm 300000 Hann, ünd ihm entgegen kamen alles
in allem etwa 15 0ÜÜ Tataren; und die Unseren konnten im
Kampfe mit ihnen nicht bestehen. Ist es nicht eine Schmach
für uns, dafs jene Tataren mit einer Handvoll Beiier und Arm-
bmatBchtttsen die Unaeren adüngen und, wie man aagt, swansig
Kanonen fortnahmeu? Und die Unaeren haben ea nicht gefragt,
die Kanonen wiedersnnehmen und förohteten eich vor einer Hand-
voll ILcnscheu. . . . Allen ist es bekannt, wie die Tataren die
russischen Yerschanzungen anfielen und zerstörten, uud die üuseren
') Diesen, in Chi£fern gcscbrieben^en Brief, sowie den sweifen,
sogleich mitzuteilenden, entdeckte Ustrjalow in den Archiven und ent-
zifferte diese Aktenstücke mit vieler Mühe. Es pnb keinen Schlüssel
für die Chii!er»chrift. Man muXste ihn tindea. Auch die facaimilea
hat Ustrjalow mitgeteilt.
Fürst W. W. Uolkyn (1643—1714).
899
klappern und knallen mit ihren Waffen, aber die Tatäreü ueaclitöu
es gar uicht, weil kern Behufs trifft*'.^)
Als Golizyn nach den Scharmützeln mit den Tataren den
Harsch fortietste und am 20, Mai bei Perekop anlangte, stellten
sich dieselben ^beistände heraus, welche schon 1687 sor Umkehr
genötigt hatten: Wasser- und Fnttermangel. Man scheint nicht
daran gedacht zu haben, dafs auch jenseits der Landenge, d. h. in
der nördlichen Hälfte der Taunschen Halbinsel, dieselbe wasser-
und baumlose Ode sich ausdehne, wie auf dem Fe8tlaud«\ Es
gab nor salaiges» nicht trinkbares Wasser; es fehlte an Xtebens-
mitteln; die Pfmde fielen, die Menschen siechten dahin; länger
an diesem' Orte an TenreUen, war anmöglich. So stellte Gtolisyn
sowohl in seinen offiziellen Berichten, als in einem Schreiben an
die Prinzessin die Sachlage dar.-)
Dazu begannen zwischen dem Chan utid G^olizyn Unterhand-
lungen, über deren Beginn Tersohiedenes berichtet wird. Golisyn
meldet, der Ghan habe mchrmak an ihm gesandt nnd „nm Frieden
gebeten'*. Über die Haltung OoUayns inbetreff der Erdffhnng
der Yerhandlnngen sind sowohl bei dem Stanse Golizyns im
September lü80, als auch ein paar Jahre später während seiner
Verbannung Untersuchungen angestellt worden, über welche die
Akten vorliegen. Die Sache scheint sich so zugetragen zu haben,
da(s ein ttbergelanfener Tatar den Ffirsten glauben machte, der
Chan sei geneigt zum Frieden, wovaufhin Goliayn, durch eui an
einen Pfeil gebundenes und in das feindliche Lager gescUeudertes
SchreilM ii , 8<nne Bereitwilligkeit zu l^nterhiuidiungen aussprach;
die Tataren druckten anfänglich höchst verwundert, dann in einem
ebenfalls mittelst eines Pfeiles übersandton Schreiben ihre Bereit-
schaft SU kämpfen aus, und machten gleichseitig noch Vorwürfe
wegen des Friedensbmches durch die Bussen. In einem ferneren
^) Vgl. meine Schrift: Iwan Possoschkow. Ideen und Zustände iu
Bnfaland zur Zeit Peten des ürofsen, Leipzig 187B. S. 914 u. 816.
PosBosohkow gibt die Armee auf 800000 Ibnn an. Das Heer zählte
nicht viel mehr als 100000 Kann.
•) Ustigalow I, S. SSS o. 387.
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sao
Ffint W. W. GoUsyn (1648—1714).
an den in Golisyns Lagor befindlichen Tataren gericliteten Behrei-
ben erklärten die Tataren eich an Unterhandinngen bereit, nnd eo
kam es denn zu denselben gerade in dem Augenblicke, als, wio
andere ausgesagt haben , das russisohe Heer des Befehls zur
Schlacht gewärtig war.
So hatte denn Qolisyn die Thateaohen entstellt» anch darin,
dafa er in seinem Berichte erafihlt, er sei mit Zustimmung der
andern Würdenträger in der Armee an den Unterhandlungen
geschritten. Der Bojar Schein riet, wie sich später herausstellte,
von den Unterhandlungen ah ; ^^laseppiv »cheiut auch nicht dafür
gewesen zu sein. Die Unterhandlungen worden formlos geführt.
Noch vor denselben hatte Qollsyn die Armee eine Stellung mit
der Tete nach Bofsland einnehmen lassen; wtthrend derselben
setate sich die Armee in Harsch; aum Abschlufs eines förmlichen
Yertrages war es nicht gekommen. Ein solcher Kückzug sah
einer Flucht ähnlich. Schniiichbedockt, noch mehr kompromittiert,
als bei dem Feldzuge des Jahres 10b7, kehrte der Fürst (iolisyu
nach Moskau surttck.^)
Qolisyn hatte in seinen offiziellen Schreiben an die Zaren
gemeldet, der Chan habe mehrmais um Frieden gebeteni aber er,
GkiHzyn, habe nach reiflicher Srwägung aller UmstSndey wobei
er sich mit allen Führern der Armee beraten liul)e, das Anerhieten
des Friedens abgelehnt. Qanz ähnlich stellte der Bojar Nepliyew
den Vorgang dar.-) Ferner hatte Goliayn berichtet, in der ganaen
Salbinsel sei bei den Tataren ein so allgemeiner Schrecken ver-
breitet gewesen, dafs alle Bewohner der Krim bei der Kunde
der Annäherung der Rnssen mit Hinterlassung des grSrsten Teils
ihrer Habe in die Hergo geflohen seien ; der Chan aber, entrüstet
über die Feigheit seiner Umorthauen, habe alle verla&seueu Ort-
schaften niederbrennen lassen.^)
Kit diesen Angaben stand denn der schmachvolle Bückaug der
russisch«! Armee in Widerspruch. ]Dals dieselbe ICangd litt, ist
') Vgl. d. Einzelheiten hei Ustrjalow XIV, S. SSd— S84.
TTHtrnjalow T S 372 und »76.
^) Ebendaselbst 1, 8. 380.
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Fürst W. W. üolizyn (1643—1714).
331
gewifs. (jordoii, deKseii Tagebuch eine Lücke vom 15. bis zum
24. Mfti aufweist, spricht in eiuem Brief an Jeu Earl von Errol
von der iibleu Lage der rassischen Armee und d&fa jnan, da die
UnterbaiMUiuigeii an kemem Ergebnia geführt hfttten, mm KUck-
suge genötigt gewesen wäre.')
Auffallend ist aber dabei, daft ein Kapitän des Begimente
der Strelzy bei Gelej?eTiheit des Prozesses Schaklowitijs im Septem-
ber 1(»HH aussagte, (ioiizyn hätte selir wuJil den Krieg lortsetzen
können, da die Truppen keinen Maagel gelitten hätten, dagegen
habe Goliayn Terhreiten laese&i es sei mit den Tataren frieden
geechloesen. ') Es kann leicht sein, dafs eue aolche Aussage in
böswilliger Absieht, um Golisyn an sohaden, gemacht wurde.
Anderseits Hegen Andeutungen darüber vor, dafs Oolisyn dafttr
zu sorgen bestrebt war, dais Aussagen gemacht würden, welche
seine Augabeu bestätigten. Bereit« bei Gelegenheit des Feldzuges
von 1687 hatte er die Strelzy instruiert: sie sollten iubetrefT des
Steppenbrandet y,übereinstimmende" Aussagen machen. *) Ebenso
befohl er den Strelay 1689, als er die Armee auf der BOckreise
nach Moskau yerliefs, in Moskau su sagen, sie hätten Not
gelitten und hätten zwölf Tage lang weder für sich, noch für
die Pferde genügend Wasser erhalteu.
Bei den mancherlei falschen, tendenziösen, ränkevollen, De-
nunziationen ähnlichen Aussagen, an denen jene Zeit so reich ist,
mfissen wir alle diese Nachrichten mit grofser Vorsicht auf-
nehmen. Wir gewinnen aus diesem Material kein Urteil ttber
das Mafb von G^olizyns Schuld. Golizyn erscheint kompromittiert.
') M^he SOth we came before the Pereoop and lodged as we marohed,
where we were to enter into a treaty with the Tartars, which took
no eifeet, our dcmands being too high, and they not condeacending to
any other thinsf, aa to estalilisli a peace of the former condiiiona, so tliat
not being uhlo to aubsist liere tor want of water, j^'rass aud wood for
auch numbtTs as we had, and Hnilintr no atUuntage by takiu;f the Pereeoj»,
the uext day we reiurued'" etc. Vgl. da« Schreiben bei Uatrjalow 1,
9. 800-811.
•) Vgl. Uatrjalow I, 8. 811.
^ Vgl. Golisyns Schreiben an SchaUowity bei Ustijalow I, S. 866.
VgL üstrjalow I, S. MS,
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332 Jftot W. W. Gblizyn (1643—1714).
Seine Seliönßrbern in den Bulletins und Manifesten ist tadelns-
wert. Um üm als Strutegeu gereciit zu. bturteilen, niuJ'h^tcü wir
über eiu reicheres Material verfügeu. Deu Eindruck der Energie^
des Heroismus, einen Eindruck, wie ihn Münniohs £Ultang ein
halbes Jahrhundert später genau in derselben Lage, an demselbai
Ort auf uns henrorbringti ftbt Golizyns Handlungsweise, soweit
wir davon Kenntnis haben, keineswegs. ')
Ein Russe, welcher m jener Zeit bicL m tatarischer GcfauLrcn-
schaft befaiid, erzahlte : die Tatareu der Krim hätten sich über (ioii-
zyn nach seinem Kückzug lustig gemacht und gesagt, er sei nach
Kijew gegangen, um dort, in ein Kloster eintretend, sich vor der
aarisehen Ungnade za retten.
Von sehr verschiedenen Seiten sind schwere Anklagen gegen
Golizyn geachleudert worden. Die schwerste lautet dahin , der
Fürst sei von den Tataren bestochen worden. Sie findet sich in
verschiedenen aus jener Zeit stammenden Quellen.
Schleusing erzählt, der Fürst habe sich bei den Feldaägen
in der Krim „durch die firanzÖsiBchen Louisdor^ so aus der
Türkei an ihn ubermadkt worden, die Augen verblenden lassen*',
und iiigt hinzu, es seien bei dem Sturze des Fürsten in dessen
Hanse die verräterischen Briefe und 50000 Louibdor gefunden
worden. Auch in der Flugschrift , »Gespräche im lieiche der
Toten'* liUst der Verfasser den Fürsten dem General Hochmuth
erzählen, wie er in einem heimliehen Yemehmen mit Frankreieh
gestanden habe und dals man bei ihm viel gemünztes fremdes
') Von grofsem IntereMe, aber nicht unbedingt Zutrauen erweckend
ist die Aussage, welche zwei Jahre später der 1689 in tatarischer Ge-
fangenschaft befindliche Pole aus Ssmolensk, Foplouskij, machte. Er
erzählte: „Als die russische Armee bei Perekop angelangt war, fra^^te
der Sf>hn fies- Chans diesen, warum er die Ku?tsen nicht angreiie, und
falls er. der Vater, keinen Ausfall inai lie. 80 werde er, fler Kolm. frcrn
etwas unternehmen. Der (Jliau antwortete, (ioltzyu habe zu ihm gesandt
und Frieden angeboten, daher befehle er, nidit sum Kampfe zu schreiten.
£8me es nicht sn einem Yergleioht so würden die Tataren Oolisyn und
«eine ganze Armee nach Perekop hereinlassen mid dort gefangen nehmen
und verdursten laaaen, da ee in Perekop nur drei Brunnen gebe*. —
Ans dem Archiv des Justizministeriums, Ssolowjew XIV, S. 61.
biyilizüü by GoOglc
Fürst W. W. Golizyn (1643-1714).
333
GoM gefonden iiabe, irorswi denn gesoliloasen worden «ei| daf«
er Geschenke aus dem Anslandt itügenominen habe.')
In den tagebuchartigen ^[«'nioiron eines höheren Beamten
jener Zeit, des Okolnitscliij Sheljabushskij findet sich die Notiz:
„Gfroluyn erhielt, als er bei Perekop etend, Bwei FäSathaa mit
Qoldmttnien, welche noh epAter bei dem Verkauf in ICoakaii ak
knpfeme und leicht vergoldete Müssen heraoaetellten". *)
Das Gerücht sclieint auf die Aussaf^e eines in tatarischer
Gefangenschaft gewesenen Russen. Nanuais (i listin. zurückzuführen
zu sein. In dem Proaessc Schaklowitijs sagte er aas: „Als ich
in Perekop gefangen war, kam ein Tatar an dem Chan mit der
Nachricht, dafa roedsehe Trappen in der Steppe an sehen leien.
Der Chan erschrak. Den Bewohnern yon Perekop wnrde befohlen,
ihre Familien fortzusenden und ihre Häuser zu verbrennen. In
dem neore dos Chans hcfanden sich einiijß Verräter von den
Unsem, Doniscbe Kosaken, welche ein Jahr früher aus Tscberkask
entflohen waren nnd den Islam angenommen hatten. Sie erzählten
mir, dafs kars vor dem Eintreffen der nusischen Armee bei
Perekop von dem türkischen Sultan an den Fürsten Wassilq
OoHa3rn swei grofse FSsser mit Dnkaten abgfesandt worden seien,
damit er die Krim voraclione. In d«a Fässern waren 15 Fäfschen
zu 10 Eimern jedes. Der Chan nahm das Gold heraus, befahl
die Fäfschen mit Pech zu füllen und nur oben nnd unten etwas
Dukaten an lassen. So empfing diese FSsser in der Nacht der
Okolnitsehy Benedikt Smqew (der Genosse Goliayns) nnd übergab
sie dem Fürsten: in derselben Nacht sog Goliayn mit seiner
Armee ab und liefs die Werkzeuge, welche bereits liir den zu
wagenden Sturm augeiertigt waren, verbrennen. Nach dem Ab-
züge (lolizyns wurde ich nach Asow geschickt. Dort sah ich,
wie der Bei von Aaow, welcher 'der £jim an HUfe eilen sollte,
in einem Yorratsranme auf seinem Hofe mit drei Agas drei
Ffifoohen, von je 5 Eimern, mit Pech füllte und nur oben und
unten Gold zuschüttete, indem er zu den Agas sagte, dafs sie
*) Bei Neuville findet sich keim; derart i<;e Bescholdigung Qolisyns.
*) Memoiren, herausg. ▼. Jsaykow, S. 21.
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334 FSnt W. W. Qolizyn (1648—1714).
mit (Umwd Fftbehen Our Leben retten würden. Diei aehen noch
drei andere Kriegsgefangene, welche In demselben Renme Kehl
Man sieht, dafs diese Aussage, welche nicht einmal von einem
Angenseugen herrührt und die Wahrscheinlichkeit einer Yerweeh»
lelnng dee Vorgänge! in Abow mit dem «ngebliehen BeBtechunge-
▼ersnehe in Perekep snlfifet, wenig Glauben verdiente. Wenn
sehon überhaopt in jener Zeit, anmal bei politischen Prosessen,
ungl.'iublicli viol ^'elogeii wurde, so darf man derartigen Erzählungen
von Deserteuren und Apostaten, und auch der Erzälilung Glistins,
welcher seinem eignen Geständnis geraäfs den Türken versprochen
hatte, znm Islam überantreten, keinen Glanben beimessen. Bei
dem FroBesse im Herbst 1689 machte indessen die Aussage Glistins
einen gewissen Eindruck, und sowohl Golisyn als Smejew wurden
darüber befragt, was an der Geschichte mit den Dukatenfafschen
sei. Golizyn sagte, es sei kein Gedanke davon wahr, auch hätte
er ja den Srnpfang eines solchen Geschenks nicht verheimlichen
können. Ebenso lengnete Smejew die ganse Sache auf das ent-
schiedenste.
Einen Beweis daftlr, dafs Gkilisyn unschuldig war, kttnnen
wir auch in dem Umstände erblicken, dafs bei der Verurteilung
und Verbannung Golizyns niclit ein Wort von jener Beschuldigung
erwähnt wurde. Mag Golizyn» Haltung bei Perekop als klein-
mfitig ersdieinen, für einen Verräter dürfen wir ihn nicht halten.
Dag^n bleibt der Vorwurf, dafs Golisyn die Thatsaohen
dea Feldaugs entstellt habe, auch inbetreff des Bttcksugea der
Armee an ihm haften. Er berichtete an die Zaren, der Chan
habe es nicht gewagt, ihn /.u verfolgen, und sei m Perekop ge-
l)liei)en. Aus anderen, zuverlässigeren Quellen aber wissen wir,
dafs das Heer sehr arg von der Verfolgung darch die Tataren
XU leiden hatte. Ausfiüirlicher schreibt Gordon an den Earl von
EiTol über diesen Bücksug und die Drangsale wShrend desselbeny
und noch dnstiBoher Bebildert Lefort, welcher ebenfalls an dein
') VgL Ustrjalow I, S. Si&
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Fürst W. W. üolizyn (1643—1714).
335
Feldrage teilgtenomineii batte, den nnheilTolIen Ausgrang denelban
mit weuigen Zahlen. Er schrieb an seine Verwandten: ^Die
Hoskowiter verloren 35^)00 Mann (20 0U0 Mann an Toten und
15000 an Gtefaogen€n) ; 70 Kanonen gingen iv Grunde, und
ebenso alles Kriegsmatortal'*.
Die Verlogenheit manefaer herrorragender Persönlichkeiten
jener Zeit weist ein sehr ansdumliehes Beispiel in dem Hetman
Maseppa auf. welcher ^onge jener Vorgänge bei Perekop gewesen
war und einige AVoclieu später, anmittelbar vor dem Sturze Goli-
syns, mit grofser Pracht und Feierlichkeit Ton der Regentin
Sophie in Moskau empfangen wurde. Hier Itafserte sich Maseppa»
offenbar um dem angenblioldieh herrschenden Ftirsten Golisyn su
schmeicheln, über den Feldsng naoh Perekop : „Noch nie ist ein
solcher Sieg über die Krimer erfochten worden ; noch nie hat man
ihnen einen solchen Schrecken verursacht. Die Festung l'erekop
SU aertrümmem, war schwer. Ich habe eine Chronik von Darias
gelesent welcher die Krim wegen Wasser- und Futtermangel nicht
nehmen konnte und» nachdem er 80 000 Hann verloren hatte»
schmachvoll abzog. Jetat aber haben die russischen Truppen bei
Perekop tapfer gekämpft, eine Menge Feinde getötet und kehrten
ohne \ eriuate heim".*)
Wenige Wochen später hätte Maseppa, welcher» wie oben
bemerkt wurde, itlr sich ans dem konfissierten Vermögen QoUsyns
10 ODO Bnbel erbat und erhielt, anders gesprochen. IMe fable
eonvenue von einem glänaenden Erfolge konnte nur aeitweilig
gelten.
Indessen scheint die Begeutiu selbst an solche Erfolge ge-
glaubt zu haben. Ein Schreiben Golizyns an sie , welches er
seinen o£EaieUen Berichten beigelegt hatte, beantwortete sie folgen-
dermafsen: ^Ketn alles» mein Väterehen» meine Hoffimsg; möge
es Dir Wohlergehen viele Jahre 1 Dieser Tag ist mir «ine grofse
Freude, weil Gott der Herr siiiieu heiligen Ximen rulimreich
gemacht und ebenso den Isamen der Mutter (iottes, au Dir, mein
*) Poaselt, Lefort I» S. 890.
*) Ssolowjew Bd. XIV, S. 164.
üiyiliZüQ by
836
Fürst W. W. Goli^ (1648-17U).
alles! Von je und je ist eioe so grolse' Gnade Gh>ttes unerhört
gewesen; unsere Yäter haben nie dergleichen er&hienl Ebenso
wie Gk>tt die Israeliten durch Koses aus Ägypten fOhrte, so hat
er euch jetzt durch Dich, meine Seele, geführt! Gt)tt dem Herrn
sei Ruhm, weil er uns an Dir seine Gnade erwiesen hat! Mein
Lieber; wie soll ich Dir Deine mafslose Mühe belohnen? Meine
Freude, Glück meiner Augen 1 Kann ich es denn wirklich glauben,
mein Hen, dafs ich Bich, meine Welt, wiedersehen soll? Das
wird ein grofser Tag sein, an welchem Du, meine Seele, wieder
bei mir sein wirst. WSre es möglich, ich wttrde Dich sogleich
in einem Tage vor mich hinzaubern. Deine Briefe sind, durch
Gottes Hand, alle glücklich angelangt. Der Bericht aus Perekop
kam am 11. Ich pilgerte zu Fufs aus dem Wosdwishenakg-
Kloster ; als ich mich dem Kloster des h. Ssergius nähere, kommt
gerade Dein Sehlachtenberichi. Ich weils nicht mehr, wie ich da
ankam; ich ging lesend. Ich weifs nieht, wie ich Gott und der
Gottesmutter und dem allergnädigsten Wundertliiiter Sserg^ius
meinen J)ftnk darbringen soll! Du schreibst, ich ßolle den Kiostorn
Spenden darbringen; alles habe ich erfüllt; bin nach allen Klöstern
8tt Fufs gepilgert» Die Medaillen sind noch nicht fertig ; betrübt euch
deshalb nicht. Sobald sie fertig werden, sende ich sie. Du schreibst,
ich solle beten. Gott weiXs, wie sehr ich mich danach sehne
Dich 7.U schauen, meine Welt, meine Seele. Ich hoffe auf Gottes
Bai iiihei zigkeit : er wird mir verleihen. Dich, meine Hoffnimg, zu
sehen. Wegen des Heeres magst Du alles nach Deinem Ermessen
beschliefsen. Ich aber. Du mein Väterchen, bin. Dank sei es
Deinen Gebeten, gesund; wir alle sind gesund. "Wenn Gott mir
▼erleiht Dich su sehen, dann werde ich Dir, meine Weit, von
meinem gansen Leben und Treiben erzählen. Ihr aber säumet
nicht, solidem marschiert, wenn auch langsam ; ihr seid müde.
Wie soll man euch für alle Drangsale, wie soll mau vor allen
Dir, mein alles, vergelten ? Wenn Du Dich nicht so bemüht hättest ;
kein anderer hätte das geleiBtet*<.
In Moskau gab es Festlichkeiten; es wurden Dankgebete in
allen Kirchen angeordnet; die Klöster erhielten in Veranlassung
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Fürst W. W. Golizyn (1043-1714).
337
der frohen Nachrichten von den Siegen reiche Spenden. An das
Heer gingen Boten mit den Äufäerungeu de» Dauked und des be-
sondern AVohlwollens von der Regentin und im Namen der Zarea,
Die Urkunde war an Gtoliayn gerichtet und lautete : |,Darch Deine
KtÜiwaltang aind die wütenden und seit undenklicher Zeit ihr
Wesen treibenden Feinde des heiligen Kreuzes und der gansen
Christenheit so geschlagen, besiegt und verjagt, dafs sie in Schreck
und Verzweifluns^ selbst ihre heidnischen Wohnungen, alle Dörfer
und Flecken in Perekop verbrannten, sich nicht aus Perekop
herauswagten und auch bei Deinem fieimaug sich nicht sehen liefsen ;
Du aber mit allen Deinen Genossen und allen Kriegern bist ge-
sund heimgekehrt; für so in aller Welt Deinen Böhm verkflndende
Siege, versichern Wir Dich Unserer Gnade und loben Dich auf
das AUergnädigsto**.
Gohzyn erliiolt eine Medaille im Werte von 300 Rubel, ein
goldenes Deckelglas , ein goldgestidctes Gewand ^ eine Summe
Geldes und ein Landgut. Alle Teilnehmer des Feldzuges wurden
belohnt. Die Gefallenen ehrte man durch Einschreibung ihrer
Namen in die Verzeichnisse derjenigen, derer in den Kirchen-
gebeten erwähnt wurde.') Ausdi'iicklicli wurde (lal)ei bemerkt,
dafs solche Belohnungen für Siege verliehen würden , wie sie iu
der ganzen Welt unerhört seien.
Übrigens merkten die heimkehrenden Krieger aehr bald nach
ihrer Ankunft in Moskau i dals der wahre Sachverhalt in der
Hauptstadt nicht unbekannt war. Als Gordon sich am 22. Jnli
1689 bemüht«, zu erfahren, was es für Rcloliiningeu geben wt-rde,
wurde er damit vertrustet, dafs man die Erklärung darüber ein
paar Tage später geben werde. Die Sache zog sich hin, weil,
wie Gk>rdon erfuhr, ,|der jüngere Zar seine Einwilligung nicht
geben wollte, daÜB die Bojaren so viel bekommen sollten, als man
ohne ihn beschlossen hatte". Erst am 26. Jnli wurde, wie Gordon
erzählt, „der jüngere Zar durch vieles Bitten und mit grofser
Höhe dahin gebracht, dafs er seine Kinwilügung gab".^)
Ustijalow I. S. 987-S48.
*) Oordons Tsgebudh IL S. 966 u. 866^
Brfi«kii«r, BmfUHul. 28
üiyilizüQ by Google
398
Pünt W. GolbyB (16«-17U).
Man mnijrte wahrnehmen, dafe neben Sophie und Golisyn noch
eine Alaclit erstand. Die Kriais nahte.
Katastrophe«
Wie Feter sich zu dem Anagang» des Eeldsngea im Jahre
1687 Terhalten habe, wiaaen wir nicht. Wenn berichtet worden
ist, dafs der junge Zar schon damals den Fürsten Golizyn mit
Vorwürfen überhäuft habe, po ist. auf eine solche Notiz ohne
Quellenangabe kein Gewicht zu legen. ^)
Peter seigte bei Gelegenheit der Kückkehr GK>lisyn8 ana dem
aweiten Feldange, daXa er mfindig an werden anlange. Er war
damals 17 Jahre alt. Bereits ein Jahr savor hatte Baron KeUer
uach den Niederlanden geschrieben, der jüngere Zar ziehe durch
seine Klugheit und Kenntnis militäriscber Gegenstände die gröfste
Aufmerksamkeit auf sich; hohe und mächtige Herren ver-
sicherten , d&fa dieaer junge Fürst bald anr Aosübung der aon*
▼erSnen Macht werde aagelaaaen werden: trete aber eine aolche
Terftndemng ein, so würden manche Angelegenheit«! eine andere
Wendung nehmen.
Bereits am 25. Januar l»i8<S schreibt Gordon. es sei bei
Hofe eine Geheimratsversammlung gehalten worden, au welcher
Peter sam ersten Male teilgenommen habe. ^) Damals beschSftigteii
den jüngeren Zaren die bekannten SoIdMenapiele, nnd diese ver*
anlaiaten bei Sophie nnd dem Fürsten Gx»liayn mancherlei Ver-
stimmnng. Gordon erwähnt im Februar 1688, der jüngere Zar
habe verlangt , man solle ihm 5 Pfeifer und 5 Trommelschlager
von Gordons £«giineute zusenden, und Golizjn sei sehr augehaiten
>) Vgl. MalinowsM) a. a. O. 8. 76. Tereschtsofaenko, S. 109, laTst
Gholisyn ans Bache für die Demütigung an dem Attentat gegen den
Zaren teilnehmen; bei Teresditsohenko gibt es eine entsetslidie Chro-
nologie : die Verschwörung Chawanskijs setzt er ins Jahr 1665 (statt 1682),
den zweiten Feldzug in die Krim 1686 (statt 1689).
») Possolt, L*>fort I. S. 415.
Vgl. Gordous Tagebuch, U, S. 209.
biyilizüü by GoOgl
«
FÖMt V. W. Golizyn (1648—1714). 339
darfiber geweieii, cUfa GordoD den Wiusch Petera erilUIt habe,
okne dafs Gblisyn davon wnfBto. ^)
Alit Sophie war es schtui ;\iu 9. Juli 1689 zu einem Auftritte
gekoinnieu, als die Prinzessiu darauf be&iaud, einer Prozession
zugleich mit dem Zaren beizuwohnen und Peter infolgedessen in
gröfeter Yeratimmnng die Prosearion im Stiche liefe und noh anf
sein Landhaus verf>e. *)
Ein paar Wochen nach diesem Auftritte entstand jener
Zwist über die Belohnung Golizyns und der Generale. Peter
hatte schliefslich seine Einwilligung gegeben, aher er grollte.
Gordon erzählt, dafs die Generale und Oftiziere, welche Be-
lohnungen erhalten hatten, am 27. Juli sich nach Preobrashens-
koje begaben, um dem Zaren Peter für seine G^ade lu danken.
Bie wurden nicht vorgelassen. Es war eine starke, unheilTer-
kfindende Demonstration. Gordon schreibt: „Jeder sah deutlich
und wufste, ÜHly man die Einwilligung des jüngeren Zaren nicht
anders als mit dem gröfsten Uugeätüin erprefst hatte. Und dieses
brachte ihn wider den Generalissimus und die vornehnisten Eat-
geber bei Hofe Yon der andern Partei nur noch mehr anf. Denn
jetat sah man einen öffentlichen Bruch deutlich voraus, welcher
wahrscheinlich in die gr5fste Erbitterung ausschlagen wfirde. In-
dessen wurde alles, so viel wie möglich, vor dem grofscu Haufen
geheim gehalten. Poch geschah dieses niclit mit so viel Ge-
schicklichkeit und Verschwiegenheit, dafa nicht beinahe ein jeder
hätte wissen sollen, was vorgug.^ *)
Wenige Tage später kam es zu diesem Bruche. Peter er-
hielt die Nachricht, dafs man ihm nach dem Leben stelle. Er
flüchtete nach Troiza. Ifan hatte jetzt zwei Höfe, zwei Heer-
lager, nachdem man schon liingere Zeit zwei Parteien bei Hofe
gehabt hatte. Der Bürgerkrieg konnte jeden Augeablick aus-
brechen«
Goliiyns Sturs bei einer solchen Gelegenheit war um so wahr-
Vergl Gordons Tageb. IL S. 227,
-) L strjalow II. S. 50.
«) Gordons Tagebuch IL S. 267.
98*
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840 Fürst W. W. Qolugm (1648-1714).
scheinlicheri als er siob ohselun in venehiedenen Kretien keiner
Popularit&t erfrenie. Er wer Terhafst.
Unmittelbar vor dem zweiten Feldzuge in die Krim erfolgte
ein Attentat auf das Leljou des Fürsten. Es hatte jemand ihn,
als er im Hcblitten saia. überfallen und töten wollen Mit Hübe
hatten die Diener Golizyns den Thäter gefafat, welcher hierauf
in aller Stille im Gefitngnis hingerichtet wurde. ^) Über die
Uotive dieser That wissen wir nichts. Ein anderes Mal fand
man, ebenfallB nnmittelbar Tor dem Feldzuge von 1689, Tor der
Tllüre des Hauses Golizyns einen Sarg mit einem Zettel, in
welchem gesagt war, dal's wuud der zweite Feldzug ebenso erfolg-
los sein werde, wie der erste gewesen war, Golizyn zum Lohne
dafür einen Sarg erhalten werde.*)
Allerdings mögen die Hifserfolge in der orientalischen Frage
die allgemeine Stimmung gegen den Fürsten Golizyn erregt haben.
Biiron Keller «chrieb im April 1()89 an die Generalstaateii : ..Wenn
es aicli tjreiguen sollte, — vor welchem Unglücke (lott dieses Land
bewahren möge, — dafs der gegenwärtige zweite Feldzug für die
BoBsen nieht glücklicher wäre, als der erste, so ist es gar sehr
zn beförchten, dafs ein allgemeiner Anfrnlir hier an ][iande ans-
bricht, nnd zwar ans mehr als einem Grande, welchen ich gegen-
wärtig dem Papiere anzuvertrauen nicht wi^e." *)
Man sieht aus diesen Vorgängen und Stimmungen, was da«
Scbeiterii der Uuternehnmngeu gegen die Krim für den Fürsten
Golizyn bedeutete. Auch sind ihm bei seiner Yerorteilang diese
Feldzfige znm Vorwarf gemacht worden. Konnte man ihn auch
noch anderer Vergehen beschaldigen?
Es ist bei dem lückenhaften Material, über welches wir ver^
^) Die Geschichte vom Attentat ist bei Avrü, Voyage en divers
^tats S. 260 ersahlt, und ferner in den ,|Qe0priichen im Aeiche der
Toten" 9. 1190. In der letzteren Flugschrift keifst es, Goliiyn sei ver-
hafst gewesen, weil er die Fremden ins Land gerufen habe: 800 Büiger
hätten sich {?egen Golizyns Leben verschworen u. dergl.
Auch <Iie Geschichte vom Sarge ist in dem Gespräche m. d.
General Hnclaimih.
rosaclt, Leiort 1. S. 4iä.
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Fürst W. W. Golizyu (1643—1714). 341
fügen, nicht leicht, die Ahsiehten der PrinseBsin Sophie zu durch-
schauen. Noch schwerer ist es, das Mafs der Mitycluihl Golizyiis
an diesen Pläuen der Regentin festzustellen. Sowohl die Akten
des Prozesses Schaklowitij als die Aufzeichnimgen der Zeitgenossen
enthalten hierüber nur vusaverlässige Angaben.
Am abentenerlichaten sind die Erafthlungen NeuTÜles; in
ihnen findet sich wohl dasjenige, was in den Kreisen der Aus-
länder als Gerücht umlief. Da heilst es denn, Sophie habe Goli-
zyn, von dorn sie Kinder hatte, auf den Thron hriiigen wollen,
und danu wieder, Golizyn habe seinem Bohne die Krone ver-
schaffen wollen. Auch Yon alleriel Bänken gegen den Zaren
Iwan wird erzahlt; Golizyn habe die Gemahlin desselben durch
einen italienischen Arzt verfahren lassen; es sollte der Beweis
gefuhrt werden, dafs die Kinder der Zarin nicht Iwans Kinder
geien, Iwan sollte dadurch veraiil ifst werden, seine Genifililin zu
verstofseu, worauf man ihn dann mit einer andern verheiraten
wollte, von welcher man sicher sei, dafs sie keine Kinder haben
werde, n. dergl. mehr.^)
Gewifs ist, dafs Sophie und Golizyn zunächst auf Mittel
sinnen mnfsten, sich neben Peter zu behaupten.
Es gab ein einfaches Mittel, die Zweiherrschaft in eine Drei-
herrschaft zu verwandeln. Sophie begann in der ersten Hälfte
des Jahres 1686 bei den im Namen der Zaren Iwan und Peter
erlassenen Aktenstficke ihren Namen als „Selbstherrscherin** bei-
zufügen. Es geschah dieses zuerst in dem Augenblicke des
Abschlusses des Friedeiks mit Polen; Peter selbst schwieg damals,
aber seine Mutter widersprach lebliaft und drohte, ihre Anhänger
würden dieses der Prinzessin nicht so hingelien lassen. ') Es war
unmöglich, daDs nicht der „erste Minister^ Sophiens, wie die Aus-
länder Golizyn nannten, an der Verantwortlichkeit für diese
Neuerung mittragen mufste. Es war ein in aller Stille und
Gemächlichkeit yoUzogener Staatsstreich. Peters AUeinherrschafk,
wenn er mündig war (Iwan zählte kaum mit) war in Frage
Relation curieuse 8. 159, 162, Ifto.
*) Vgl. die £inzeUieiteu bei Ustrjalow IL, Sb 86 u. ff.
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342 Fürst W. VV. Golizjn (1643—1714).
geßteUt. Zu dieser llafsregel die Hand geboten zu haben, ist
dem Fürsten Golizyn bei seiner A' erurteiluug zum Vorwurfe
gemacht worden. Er galt nicht blofs für mitschuldig* er war ea.
X>a& Schaklowitij ^der sweite Favorit**, wie er wohl genannt
wird, Peter und deeaen Mutter naoh dem Leben getrachtet habe,
nnterliegt keinem Zweifel. Inwiefern Golizyn an dieaen An-
schlügen beteiligt war, ist schwer zu ermitteln. Einer der Zeugen,
welche in Schaklowiti js Vi-uzpfa verliürt wurden, sagte aus, Goli-
zyn habe eiutoal geäufsert: „Es ist schade, dafs man im Jahre
1682 (bei dem eraten Aufstände der Strelzy) nicht auch die
Zarin lfata\ja getötet habe; dann wäre jetat nichts** , d« h. dann
hätte man es leichter (im Jahre 1689) Sophiens Straofs mit
Peter auszufechten. Auf solche Aussagen ist nicht viel Gewicht
zu legen. Auch ist in der Verurteilungsakte keine bezügliche
Beschuldigung zu linden. Wenn übrigens in der That, wie man
ansnnehmen Grund hat, eine formelle Verschwörung gegen Peter
bestand, und Sophie und Schaklowitij dabei die Initiative hatten,
so ist es im höchsten Ghrade unwahrscheinlich, dafs Golizyn nicht
in solche Entwürfe eingeweiht gewesen sei. Als der Hanpt-
Bchuldige g;ilt allerdings Schaklowitij. Er wurde hingerichtet.
Bei der Untersuchung wurde, offenbar um das Mafs von Golizyns
Mitschuld festzustellen, nach dem Grade der Intimität «wischen
Gh>lizyn und Schaklowitg geforscht. Der erstere leugnete eine
solche Intimität, aber man hatte bei Schaklowitij die vielen Briefe
Golizyns an denselben ans dem Jahre 1687 gefunden und hielt
ßiü Golizyn als einen JJeweis seiner nahen ticziehungeu zu Scliaklo-
wity entgegen. Aber alle diese Einzelheiten der Untersuchung
und der Verurteilungsakte geben im Grunde keinen Beweis für
das Mafs von Golizyns Mitschuld ab, weil das über ihn gefiUlte
Urteil, wie wir auf Grund der Mitteilungen Gk>rdona annehmen
dürfen, durch den Binflufs Boris Golizyns wesentlich gemildert
wurde. Ausdrücklich bemerkt Gordon , welcher den Personen
der mafsgebenden Kreise nahestand, und von vielen Einzelheiten
der Vorgänge während der Krisis wufste, dafs Golizyn „die
gröfste Stütze der Partei der Prinzessin und dalür bekannt ge-
biyilizüü by GoOglc
FSnt W, W. Golüyii (1648— 1714).
843
wMen sei, daTs er, wenn er nicht eelbtt der Anstifter war, dodi
nm aJIea wnfete, wae siaii gegen daa Leben des jüngeren Zaien
im Sinne gehabt hatte.* ^)
In dem Prozesse BduJdowitijB wurde ausgesagt, die Prin-
zessin Sophie habe nächtlicher Weilt; vviederliolt geheime Unter-
redungen mit den Strelzy gehabt, in denen sie über die Übergriffe
der Naryschkinschen Partei Klage geführt und n. a. sich mit
Erbittemng auch darüber geftufsert habe, dals man dem Fürsten
Wassiiy Wassiyewitscb Goliayn, welcher doch so Tiel geleistet
habe, den Kopf abhauen wolle; an diesen Unterredungen habe
Golizyn bisweilen teilgenommen.-)
Die Einzelheittiu der Vorgäage im August und September
1689 können hier für uns nur insoweit von Interesse sein, als
sie den Fürsten Golisyn betreffen. Man weifs, wie Peter, nach-
dem er sich nach Troiaa begeben hatte, von dort aas an die
▼erschiedenen Truppenteile die Anßbrdemng richtete, zu ihm
zu kommen j uud die in Moskau zurückbleibende Regierung, in
dem Mafse , als die Strelzy uud die andern Truppenteile jener
Aufforderung nachkamen, ihre Sache sclieitem sah.
Von der Haltung der Prinaessin in diesen Wochen wissen
wir riel mehr, als von deijenigen des Fflrsten Ctolisyn. Er bleibt
gewissermafsen im Hintergrunde: er ist mehr Zuschauer, als
handelnde Person. Er mufste die Gefahr erkennen, in welcher
er sich befand , aber dafs er dieser augenscheinlichen (refahr
gegenüber grofse Energie, Thatkraft an den Tag gelegt habe,
kann man nicht sagen. Während Yon der Begentin berichtet
wird, dafs sie auf allerlei Hafsregeln sann, den Streit mit Peter
beizulegen, dafs sie mehrere Personen hintereinander nach Troiaa
sandte, um den erzürnten Bruder zu besänftigen, dafs sie wieder^
holt sich an die noch in Moskau verbleibenden Truppen mit
langen üeden wandte u. 8. w., gibt es nur einige wenige An-
deutungen über Goli^n, und diese lassen darauf schliefsen, dafs
') Gordons Tagebuch 11. S. 280.
•) Ustrjalow IL S. 53.
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344
Flini W. W. Goluyn (1643-1714).
er kleinmütig und nnentachloaBen das Yerhäognia an Bich heran*
kommen liefe.
Schaklowitij sagte bei dem Verhör in Troisa ans, Golizyn
habe, aJs schon eines der aiigo.seheiisten Strelzyi-egiment€r nach
Troiza zu Peter übergegaugeu war, den Rat gegeben durch Emis-
säre ein oder zwei Dutzend Strelzy beroden zu lassen, wieder
nrückmikehren ; dann würden auch die andern 8trelzy Peter Ter-
lasaen und er selbst werde genötigt sein, nach der Hauptstadt
an kommen.') Schaklowit^ folgte diesem Bäte, aber e& gelaug
nicht, auf die in Troiza befindlichen Strelzy zu wirken.
Peters Anhang wuchs. Anfang September wur er bereits
in der L^t*, die AuBlieferung Schaklowitijs nicht blofs veriaogen^
sondern auch durchsetzen zu können. Schaklowitij, welcher —
zu spfit — einige Vorbereitungen zur Pludit getroffen hatte,
wurde Ton der Regentin ausgeliefert, nach Troiza gebracht, ge-
foltert, hingerichtet.
Inzwisclien sollte auch Golizyns Schicksal sich erfüllen.
In Moskau war Grolizyu immer noch die erste Peri»o!i ne])eti
der Begentin. Am 16. August befahl er dem General Gordon
auf das Allerentschiedenste, sich unter keinen Umständen aus
Hoakau zu entfernen. Als Gordon nnd die andern ansl&ndischen
Offiziere Anfang September von Feter die Aufforderung erhielten,
unverzüglich nach Troiza zu kommen, hielt Gordon es für seine
Piiicht, dem i^'ürsten Gi>lizyn davon mit dem Bemerken Mitteilung
zu machen, dafs sie gehorchen würden. Golizyn ward bestürzt,
suchte seine Unruhe zu verbergen und antwortete, er werde die
Entscheidung der Prinzessin Gordon später mitteilen. Die Ent-
scheidung hing aber nidit mehr von Sophie nnd Gk>K2yn ab.
(Tordon reiiste mit allen Ausländem nach Troiza uud dieser TTm-
stand trug nicht wenig dazu bei, dalk Peters Partei zum Siege
gelangte.^)
Inzwischen war in Troiza Golizyns Vetter, Boris Alezege-
witsch Golizyn, der Hauptratgeber Peters, dessen Erzieher er die
') \^\. Ustrjalow II. S. (i4.
«) Gördens Tagebuch II. S. 5^75-277.
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Fürst W. W. OoliEjn (1648—1714). 345
leisten Jahre gewesen war. Boris Golisyn konnte dem Schicksale
seines Yetters yielleicht eine relaÜT günstige Wendung gehen.
Er schrieb aus Troiza an denselben, Wassilij "Wasailjewitsch solle
nach Troiza kummen und hei Zeiten um die Gnade des Zaren
bitten. Dieses Schreiben kam am 1. September. Am 3. Sep-
tember sandte Wassilij Qolisyn die Antwort ab, in welcher er
seinen Vetter Boris ersuchte , in dem Streite awischen Sophie
and Peter als Termiitler anfsntreten. So glaubte denn Wassü^
Golizyn noch immer an die Möglichkeit der Versöhnung der
Parteien. Indessen erhielt er gleich darauf ein zweites Schreiben
von Boris Golizyn aus Troiza, worin derselbe seinen Vetter
nochmals ermahnte, baldmöglichst nach Troiza zu kommen, und
sich die Gnade des Zaren, welcher ihn gut aufnehmen werde, zu
erwerben. ')
Am 6. September erfolgte die Auslieferung Schaklowit^s.
Golizvi), welcher die Nacht vom 5. auf den 6. mit einifren Ver-
trauten auf seinem, in der unmittelbaren Umgebung der Hauptstadt
befindlichen Gute Medwcdkowo zugebracht hatte, war, als er diese
Kachrioht erhielt, sehr bestürzt.
Hat er daran gedacht sich durch die Flucht zu retten? In
G^schichtsquellen von sehr zweifelhaftem Werte wird allerlei
Abenteuerliches Uber diesen Punkt iiiitgeteiit. ^) Die zuverlässigen
Katerialieu enthalten keine Andeutung darüber.
Gordona l^^buch IL S. S78— S74. Sehr antchaoUch ist Gordons
Bemerkung, welche er der Nachricht, dafs Boris Golizyn an seinen Vetter
schrieb, hinzufügt: „Denn kein anderer durfte es wagen, sich in eine
so kitzliche Sache zu mischen, als diese anftinglieh anp^esehen wunle-'.
So z. B. erzählt Neuville. G<^li/.yii habe nocli vor dem Ausltruelie
der Kri'^i? vorsichtii^erweise seinen Suhii uiit aUerlei Schät/.eii luu h Polen
senden wollen, aber die allzugrofse Ungeduld Sophiens habe diests Mafs-
regel vereitelt. An einer andern Stelle erzählt Neuville (S. 167) Golizyn
habe sich hei Zeiten surücksi^en, nach Polen fliehen, seine Scb&tze ins
Ausland retten, sich an die Spitze rebellischer Scharen von Kosaken und
Tataren stellen woll^ u. dergl. m.; er habe noch im letstMi Aagen1>l!cke
fliehen können, aber seine Familie nicht preisgehen wollen und daher
die Flucht unterlassen. — Am abenteuerlichsten ist der Inhalt eines, in
der Kaiserlichen Bibliothek zu St. Peterabtirg befindlichen als Flugblatt
gedruckten Scbruibeuü eines Unbekannten aus Moskau vom 5. Oktober
I
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346
Fürst W. W. (xalizyn (1643—1714).
Da^rc'gen haben wir selir genaue Niaeliriehteii aber die Vor-
gänge heiTii Sturzu üuiizyii.s.
Peter hatte die in Moskau weüeiideu Bojaren zu sich nach
Troiza entboten. Am 7. September kamen einige derselben dort-
hin. An demselben Tage ward Schakiowit^ in Troiza verhört
und gefoltert. Gegen 5 Uhr nachmittags kamen Wassily Ghilisyn
und einige Personen seiner Umgebung vor dem Thore des Klosters
an. Sie iiiiir.sten, clie iniin ihnen Einlaf;? gewiilirte. eine \'iertel-
stuude warten, woraul iliueu bel'obleu wurde, in den von ihnen
bezogenen Wohnungen zu verbleiben. £& war also Hausarrest
vorgeschrieben. Peter bebandelte Goliajn und dessen Genossen,
Nepligew, Smejew n. s. w, als StaatsTerbreeher^ wenn aneh sa*
nächst mit der gröfsten Hilde.
Am Abend desselben T.ige» besuchte Gordon den Pürsten in
de8«5en "Wohnung, und fand ihn, wie er bemerkt, „etwas tiefsinnig,
wozu er auch Ui-sache hatte''.
Der 8. September verging, ohne dals etwas Entscheidendes
geschehen wäre.
16ft9 (Copia litterarum ex' Stolicza Metropoli lloschorom Impci ii de
proditione archistrategi GalüeHn scriptanira — eine Seite, ohne Uruck-
ort). wo es heifat. Peter sei vvegeu der Feldzüge in die Krim so auf-
{.T'lu iK lit über Gülizyn f^pwesen, dafs er, der Zar, mit 12 000 Mann die
Hauptstadt verlassen huhu und entschlossen sei, nicht eher dahin /urück-
sokehren, ab bis Golisyn mit seinem Anhange gefangen vor ihn gebracht
würde ; Golisyn sei entflohen; Peter habe ihm »veloces Jaculatores et
Strelicios" naohgeschickt; Golisyn habe sich auf seinem Gute verschanzt
und sich daselbst mit 1000 Mann verteidij^t. — l^brigens bemerkt dw
Verfasser de« Schreibens untl zeigt damit, dafs alle solche Erzählungen
nur das Er«jfebni8 des Stadtklatsches waren, man erzähle diese Vorgänge
sehr vfrsehifflen. Einiq-e ?;ri£;ten. Golizyn sei an dem Orte seines Asvls
getutet worden. Andere, »t sei „'eliuiulfii nach Hoskau gebracht vv(»i-.]i"ii.
wo über die Art seiner lliurichtuuf^ beraten werde. luzvvischou soi
zwischen den beiden Zaren eine „ingeus contentio" eingetreten, der
„jüngere*' Zar Iwan (sie) wolle mit Sophie in ein Kloster gehen, der
grofsere Teil der Bojaren nnd der Strelsy hinge Feter an. Was weiter
geschehen werde, schliefst das Schrsiben, müsse die Zeit lehren. „Datum
in Stolicza Moscoviae, die 5. Oct. IttSO".
') Ganz unb( «n*üudet ist die Er/.ählung Schleusings, Golisyn sei M^nf
Torturart geknutet^ worden. (iK>rdon weifs nichts davon.
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Fürst W. W. Golizyn (1643-1714).
347
Am 9. encßieli folgte die Enteoheidung. Eb wnrde nach dem
Fürsten Golizyu und dessen Sohne geschickt. Als sie an der
Treppe des Hauses, in welchem Peter wohute , ed langten , trat
ilmen ein Beamter mit einer Papierrolle entgegen and verlas daa
Urteil.
Es war inbetreff GoUiyns keine eigentliche üntersachiuig
voranagegangen. Man hatte ihn nicht verhört. Man atraffce kein
eigentliches Verbrechen. Man machte ihm keinen Vorwurf der
Mitschuld an Schaklowitijs Anschlägen. Mim stürzte ihn wegen
der MiTsregierang. Er imterl^ keiner .eigentlich juristischen,
Bondem nur mehr einer politischen Hinisterrerantwortlichkeit. In
orientalischen Staaten pflegen Ministerkrisen mit einer gewissen
Härte und Strenge yerbnnden zu sein. Die Entfernung eines
Staatsmannes von seinem Posten erscheint als ein Strafakt, ohne
es im Grunde zu sein. Die Entfernung pflegt sich oft zur Ver-
bannung zu steigern. Der mifsliebige Beamte, welcher entlassen
wird^ gilt leicht als Staatsverbrecher.
GK)lizyn hatte, da er wohl von den Vorwürfen, welche ihm
gemacht werden sollten, erfahren hatte, eine Bechtfertignngsschrift
vorbermtet. In 17 Punkten hatte er die Verdienste beleuchtet,
welche er sich um daä Staatswesen erworben habe. Kr kam nicht
dazu, dieses Dokument vorzulegen. Schweigend mufste er die
Anklageschrift vernehmen. Sie lautete dahin, dafs G^olisyn nnd
sein Sohn des Bojarenraoges verlustig gehen, ihr Vermögen ver^
Heren und verbannt werden sollten, weil sie, als Sophie sich sum
ttnOMa dT TUAU, ihrer Brader allerl« th^rgnm, »gWrt
habe , ihr olme Wi.ssen der Zaren über allerlei Staatsgeschaf'te
Bericht erstattet und den Namen der Priuzeähiu zugleich mit den
beiden Zaren geschrieben hätten, auch habe der Fürst Waasil^
Goliqrn, als er 1689 in die Krim geschickt wnrde, bei Perekop
keine geeigneten Ua®eln ergriffen und sei schnell wieder von
Perekop abgezogen, wodurch den Zaren ein arger Verlust an
Geld und Menschen zugefügt worden sei. Zum Verbannuugsort
wurde Ivaigopol bestimmt.
^) VgL tioidons Tagebach IL 8. d78 u. 279.
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FGnt W. W. Golisyn (1648-1714).
Also keiiie Erwfilmiiiig emes eigentlichen Yerbrechena, kein
Wort davon, dafs der Fürst Gtolizyn sein Bedauern darfiber ge-
äufscrt hiilje, dal's mau im .Jitlnc 11)82 Peters Mutter am Leben
gelassen habe, keine Silbe von einem etwaigen Verdachte der Be-
stechung Golizyns durch die Tataren!
Kaigopol aU Yerbannnngsort konnte als ein leidlicher Anfeni*
halt gelten. Diese Stadt befand sich auf dem Wege nach Archan-
gelsk , also an der wichtigsten nnd belebtesten Handelastraise
ßuTslands, nicht im äufsersteii Norden.
Dafs Golizyns Schicksal sich so milde gestalten sollte , über-
machte die Zeitgenossen.
Gordon bemerkt, dals Gbliayn» welcher doch schon danun
des Hochverrats schuldig gewesen sei, weil er die Anschläge
anderer verhehlt hatte, nicht sn schlimmeren Strafen ver-
urteilt wurde, weil sein Vetter, lloris Ciülizyn, sich für ihn
verwendet habe, um von semer i^'auulie eine solche Schmach
abavwenden.
Boris Oolisyn hatte Feinde. Kan sprengte, als Golizyn mit
seinem Sohne fortgeritten war, ans, die beiden seien entflohen.
Boris Golizyn hatte ihnen das Geleite gegeben. Als femer
Schakiowitij noch ani Vorabend seiner Hinrichtung eine Schrift
über die ganze Angelegenheit verfafät hatte, und Boris Go-
lizyn, wegen d.ec allzuvorgerückten Abendstunde, dieses Akten-
stück erst am andern Morgen dem Zaren übergab, sog er
sich den Verdacht sn, er habe an der Schrift, welche seinen
Vetter zu kompromittieren geeignet sein konnte, etwas ge-
ändert oder unterschlagen. E« gelang ihm, sich zu recht-
fertigen. ')
') Vgl. Gcrdous Tagebuch II. S. 280— 287. Neuerdiugg sind Zweifel
darüber geäufsert worden, dafs Boris Golizyn seinem Vetter habe helfen
können und wollen. Es ist aktenmäfsig bezeugt, dafs Boris Golii^n
am 7, Januar 1691 bei Hofe enchieoen sei und erklärt habe: es sei ein
Höndi bei ihm enobienen und habe gesi^: „Schütze nur deinen Vetter,
den Fürsten Wassilij, noch ein Jahr; msn wird seiner bedürfen; der
Zur Peter hat doch nur noch ein Jahr zu leben." Dieses hatte den
Befehl zur Folge, dafs (s. weiter unten) die üoiizyns nach Pustosersk
biyilizüü by GoOgl
Fürst W. W. Goliz>n (1643-1714).
349
Verbaiiniui^ ud Tod.
So Btand deuu üolizyn am Ziele seiucr politiachcn Laufbahn.
Bei der Gefuhr, in welcher er sich befunden hatte, konnte es als
eine Art Wunder gelten, dafs er den Schrecken der peinliehen
UntoTBUchnngy wie sie in Bofslsnd aach bei poUtisdien Prozemen
äblich war, entging.
Allerdmgs war er, im Vergleich mit .seiner früheren mate-
riellen Lage, ein Bettler. Man hatte ihm von seinem ganzen Ver-
mögen, von allen G-tttern, dem baren Gelde und allem Besitz an
IinznsgegensUbiden nur 2000 Babel gelassen. Alles andere war
konfisziert worden.
Alsbald befand sieb der Fürst mit seiner Familie anf dem
Wege nach Kargopol.
Inzwischen hatte aber sein Schicksal eine wesentliche Ver-
Bchlimmentng erfahren. Man beschäftigte sich in Troiza mit
Golizyn aucb nach seiner Abreise. Am 15. September, also
wenige Tage nach der YemrtaUnng Golizyns, erfolgte der Befehl,
die Golizyns niobt nach Kargopol , sondern yiel weiter nordlich,
nach i'ustosersk zu bringen: drei Tage später wnrde endlich der
Flecken Jareuak zum Aufenthaltsort der Golizyus bestimmt (im
Archaugel sehen Gouvernement). Es war dies ein elendes , aus
etwa dreifsig Hütten bestehendes, von Syrjanen bewohntes, hun-
dert Heilen von Wologda gelegenes Dorf, welches indessen immer-
hin besser war, ak das nnwirtUche Pustosersk, wo der Yorginger
Golizyus, der ausgezeichnete Staatsmann Matwejew, während der
Regierung des Zaren Feodor dorthin verbannt, der Geiaiir des
Verhungerus ausgesetzt gewesen war.
Mau hatte zuerst den Golizyns ein grolseres Gefolge ge-
stattet ; jetzt sollte die Dienerschaft der Familie fünfzehn Köpfe
niobt übersteigen. Auch die Habseligkeiten, welche die Golizyns
gebracht werden sollten. 8. d. Aktentsmmlung: „Der Pro/ers des
Theodor Sehaklowitij nnd Genossen", herausgegeben von der Archeo-
graphischen Kommission (nissisch). SL Petersburg 1884. S. VIL der
Vorrede.
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350 Fürst W. W. Golisyn (1648— 17U).
mitgenommen hatten , bares Geld , Schmucksachen u. s. w., alles
BoUte konfisziert werden. Auf das strengste sollten die Gefangenen
Ton allem Umgänge mit andern Henschen abgesperrfc bleiben.
Aller briefliche nnd mOndlicbe Verkehr war Terboten.
Der Beamte» welcher mit solchtm Inttniktionen den Reisen«
den nachgeeilt war, traf sie in Jarofslaw, wo die Golizyas ein
Verhör zu bestehen hatten. Einige der Aussagen, welche Schak-
lowity gemacht hatte, sollten dadurch geklärt werden. Goliign
stellte die Wahrheit der Ton Schaklowitig inbetreff seiner, Golisyns,
gemachten Anssagen in Abrede. Hau drohte ihm mit der Folter.
Er blieb fest beim Leugnen. Es kam nicht m so extremen Ibfs-
rejreln. OfTenbai imtte der verhörende Beamte Inatruktioneu, von
äuiserster Strenge abzusehen. ^)
Trotz der streogen Aufsicht erhielt Golizyn auf der Eeise
ein Schreiben und Geld von der ehemaligen , jetst gestüraten
Begentin. Sophie machte ihm Hoffnungen: er werde, Bank der
Fürbitte des Zaren Iwan, bald seine Freiheit erlangen. Die
Prinzessin liitte einen, auf sein Gut reisenden Luudedelniann
durch iJrohuugen willig gemacht, diese Botschaft zu übernehmen.
In Wologdn, wo die Beisenden rasteten, schlich er sich durch
Gemüsefelder leise zum Hause der Gefangenen und übergab den
Brief sowie das Geldpllekcheni welches 3 — SOO Dukaten enthalten
modite. Golizyn gab ihm ein Antwortschreiben an Sophie,
welclies der Bote, aus Turcht damit betroß'en zu werden, ver-
brannte.
Monatelang währte die Heise in den Norden. Hinter Wologda
wurden die Wege immer schlechter. Man konnte die Wasser-
stra&en nicht benutzen. Zuerst gab es Mangel an Wasser, dann
bedeckten sich die Flüsse mit Eis. Auf den Flüssen brachen die
Reisenden wiederholt durchs Eis. Die Frauen und Kinder (Alexei
Gt)lizyn wurde von seiner Familie begleitet) wurden nur mit
äufiserster Gefahr gerettet. Die Gemahlin Alexei Gulizyns gebar
unterwegs Zwillinge, deren einer sogleich starb. Endlich langten
0 VgL die Einzelheiten bei Ustrjalow XI. S. 86 n. ff. mid 8. 455 u. £
üiyilizüü by GoOglc
Porst W. W. Golizyn 0^49—1714).
351
die Bdienden im Januar 1690 in Jarenak an, wo aie, wie wir
ans den Berichten des sie begleitenden Beamten, sowie ans den
an die Zaren gerichteten Bittschriften der Golizyns wissen, Mangel
an dem Notwendigsten litten, mit der elendesten Behausung und
kärglicher Nahrung sich begnügen muisten.
Tnswisohen wurde in Hoskan die politisehe XTntersnchnng
gegen mehrere Anhänger der Prinsessin fortgesetst. Dabei kam
denn wieder manches den Fürsten (iolizyn Kompromittierende zum
Vorschein. Er war der Zauberei beschuldigt wordeu, ja sogar
der Vorwurf, er habe sicli von den Tataren bei Ferekop bestechen
lassen, wnrde jetat erhoben, man erfuhr von seinem, aus Wologda
an die Prinaessin gerichteten Schreiben ; ein Mönch kam angeblich
aus Jarensk und wollte dort aus dem Munde des Fürsten die
Aufserung gehört haben, man werde in Moskau bald seiner be-
dürfen, da Peter nur etwa noch ein Jahr leben werde.
So gab es denn alsbald in Jarensk, wohin ein besonderer
Beamter geschi<At wurde, ein neues Verhör. Es gelang Gkkliayn,
alle Anklagen znrücksuweisen. Insbesondere wurde es klar, dafs
jene von dem Mönche ausgehende Anklage rein aus der Luft ge-
griffen war. Es stellte sicli beraus, dafs der Mönch nie in Jarensk
gewesen war und den f^üraten nie gesehen hatte. ^)
Gleichwohl trat wiederum eine Verschlimmerung des Schick-
sals der Verbannten ein. Golizjn hatte sich doch nicht TöUig
von dem Verdachte . die ihm schuldgegebenen Dinge begangen
zu haben, reinigen können. Er wurde nach Pustosersk verbannt.
Es trat das schlimmste Stadium der Strafe ein. *) Zuerst weilten
die Goliqms in Mesen, dann vielleicht in Pustosersk, endlich im
*) Er wurde natürlich bestraft; vgl. d. Verurteilungsakte, welche
den rr^inznn Vorgang enthält and in derartige Kriminalgeschichten einen
tiefen Einblick gewährt, bei Tumanskij, Materialien s. Gesch. Peters d. ür.
Bd. II. <St. Petersburg 1787) S. 328 u. ff.
Vgl. d. Aktenstück der Verurteilung mit ausführlicher liepro-
duktion des Verhört bei Tamanskij a. a. 0. und in der vollttändigen
Qetetsaammlang Bd. IIL Nr. 1890.
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352
FüMt W. W. Golizyn (1643—1714).
PineBbekg Wolok, d. h. im heutig«]! Pinega (Kreisitedt im Gh>iiv.
Archangebk). ^)
Mehrere Aktenst ücke, namentlich eine Reihe von Boguadigiings-
gesucheu, welche Golizyn an die beiden Zaren richtete, sind in
einer Abhandlung von Wostokow, „der Aufenthalt der verbannten
Fürsten W. W. und A» W. Qoliayn in Meaen* in der Zeitechrifl
i^IetoritsGheskij Wjestniki^, 1886, Angoathefti abgedruckt; hier
werden Zweifel daran geänfeert, ob die Verbannten in Pnatosersk
gewesen seien, wohin sit zur See gel)raoht werden sollten. Hier
finden sich Details über die Leiden und Entbehrungen der un-
glücklichen Familie» welche wohl nur ausnahmaweise von Ver-
wandten UnterstÜtsungen an Q^eld und verschiedenen Gegenständen,
insbesondere an Kleidungsstücken erhielt.
Fast ein volles Vierteljahrhundert hat der Fürst Wassilij
Wassiljewitsch. der an luatcritOk'n und geistigen Luxus gewöhnte
Zögling Westeuropas, in der unwirtlichen Einöde im nördlichsten
Teile dos enropäischeu Hufslands die Wirkungen des furchtbaren
Wechsels von Glück und Unglück, von Macht und Elend an sich
und den Seinigen erfahren. Dafs noch mehrere VTahre nach seiner
Katastrophe sein Name, welcher während der Begentsohaft Sophiens
neben denen der Ziiren und der Prinze.st?in oft und oft genannt
worden war. eine gewisse Macht repräbeutiertis dafs mau Grund
hatte, ihn zu fürchten, ist aus dem ITrnstande zu ersehen, dais
in dem letzten Aufstande der Strelsy, in dem verzweifelten Kampfe
der erbitterten Gegner Peters mit dem Zaren, der Name Golisyna
gewissermafsen als derjenige eines Prätendenten genannt wurde.
Als Peter auf seiner weltgeschichtlich bedeutsamen Keisc in
England weilte (Anfang 1698). erhielt er die Nacliriclit. in Wien
werde erzählt, dafs in Moskau ein Aufstand ausgel)roclien sei: die
Priniessin Bophie habe den Thron bestiegen und der Fürst Go-
lizyn leite wiederum, wie ehemals, die Staatsgeschäfte.^
Vgl. üstrjalow II. S. 84—94 £s ist nicht ohne Interene, dafo
bereits Voltaire in s. Gesch. F. d. Gr. die Frage v. d. AnfeDthaltsort
Goliz-yns untersuchte, vgl. d. Ausgabe v. 1608, L S. 118.
*) Vgl Ustgalow Ul. S. »8—99.
biyilizüü by GoOglc
Fürst W. W. Golizyn (1643—1714), 353
Wenige Monate später brach der Aufstand der Strelzy aus-
in dem Prof?rarame der "Rebellen fand sich auch der Wunsch, die
Priuseasin Sophie auf den Thron zu erheben; und |,falla sie sich
weigere f werde mui den Fttreten Wasulg Golisyn squi Zaren
mMben, weil er gegen die Strelsy Btets gnädig nnd wohlwollend
gewesen sei"*')
Über die letzte Zeit seines Lebene haben sich einige Akten-
stücke erhalten.-) ^\ u eriaiircn aus diesen Berichten des Vize-
Gouverneurs von Archaugel, Kurbatow, dafs Golizyn und seine
Leideni^nossen (so viel bekannt ist, in den Jahren 1709 bis
1714, fOnf Personen) jährlich 365 Bnbel, also täglich einen Bnbel
snm Unterhalte empfingen,*) nnd dnfs Wessilg Golizyn in Pineg»
am 81. April 1715 gestorben sei.^) Er wurde im KrafBnojars-
kischen Kloster in der Nähe von C'holoniogory bestattet. Die
Prinzessin Sophie, welche iiiu schwärnierisch geliebt hatte, ") war
ebenfalls als politische Gefangene bereits im J. 1706 gestorben.
Golizyns GUttin nnd Sohn erhielten sogleich nach seinem Tode
die Freiheit nnd einen Teil der konfiszierten Habe.*)
Es gab keine oip^eutlichen politischen Parteien in Kafsland.
Als es den Dunkelmännern, den durcli ]^:ter8 an das Volk ge-
stellte Aofordemngen tmk änfserste erbitterten Strelzy, im Jahre
1689 einfiel, Golizyn als Thronkandidaten aufzustellen, dachten
sie, in deren Programm der Krieg gegen alles Fremdländische,
die Yemiehtnng der denisoben Vorstadt nns als eine Art Glanbens-
«) Vgl. Ssolowjew, Bd. XIV. S. 241.
' V'A d. Abhdlg. X. Petrowskij in d. Zeitschrift: „J&ufskaja Starina"
1877. ibuheft. S. 133-134.
^) Dem Urteilsspruche des .T. 1691 zufoltre (v<;l. Tumaoskij a.a.O.)
sollttiu sie alle zusammen 40 K"pekeu tägUcli erhalten.
*) Bisher gau 17 iur das Todesjahr Golizyns, vgl. Malinowskijf
Tereschtschenko a. s. w. Der Binieht Kmrbatows an Peter, Apraidni
an den Senat n* s. w. lost jeden Zweifel.
>) Halinowskij führt, a. a. 0. S. 84, Verse an, welche Sophie auf
Gh>lizyn8 Wappen gedichtet haben soll.
•) Vgh d. Akten bei Ustijalow IL 8. 816 und bei Petrowskij a.a.O.
S8
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354 JPürst W. W. Öolizyn (1643-1714).
bekenntnis begegnet, nicht daran, dafs ja Golizyn, wie wir ge-
bciu'ii haben, in ganz ähnlicher Weise wie Peter bei dem Westeu
in die Schule gegangen war. Es gab keinen Parteigegensatz
swuchen Peter einerseits und Sophie und Golisyn anderseits.
Die Biditiiiig nach Westen war dnroh die Gesehidce Bnfslaads
der ferneren Üntwickelnng dieses Staates vorgesohrieben. Beide,
Golizyn wie Peter, hingen dieser Richtung an. In welchem
Mafse dieses bei G-olizyn der Fall war, zeigt die Auiserang Neu-
villes, dafs jetzt, wo Golizyn. der Keformer BuTslands, gestörst
seif die Weiterentwiokelong des Landes in Frage stehe.
Barin liegt die gesehichtliohe Bedentong OoUsynSi dafii der
unglüddiche Kann) der von mancher Schuld nicht firaiansprechen
ist, als Vorgänger Peters, ein Q-oistesverwandter des grofsen
Zaren war; sein Handeln nicht sowohl, als seine Bildung und
Lebensweise bis zum Jahre 1G89 sind ein Symptom des An-
brechens einer nenen Epoche für Bnlsland.
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Patrick Gordon (1635—1699).
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Die Geichiohte der Eeformen io der Zeit der Eegiening
Peters des QrofBen iBt viel hftuBger der Gegenetand eiogehender
Forscbung {geworden als die G-enesis jener Wandlimgeu, deren
ErgebLih Jiu uniö-estaltende TliiitiL'Ueit des geiiiiileii Autokraten
war. Die bahnbrcclu-nden Neueruageo, welche im 18. Jahrhundert
auf den Gebieten der Verwaltung' und Gesetzgebung sich voll-
sogen, waren snm gröfiten Teil die Fracht der Eindrücke und
Anregimgeni welche Peter bereits iln 17. Jahrhondert empfangen
hatte. Ja noch mehr: auch schon die Zeit vor Peter dem Grofsen.
die Regieruijgen Feodors und Alexeis weisen einzelne Symptome
der grolsen Veräuderuug auf, welchen itufHhind damals entgegen-
ging. Die Jahrzehnte, welche der eigentlichen Kegieruug Feters
Toransgtngeni sind eine Zeit der Yorbereitong auf die £poohe
des anfgeklSrten Despotismus Peters; vieles yereinigte sich,
um Baisland für die Aufiiahme ahendlindischer Knltnrelemente
empfanglicher zu machen. Bereits vor Peter dem Grofsen machte
der nissische Staat, ein Teil des russischen Volkes Anstalt, bei
dem Westen in die Schule zu geben. Namentlich waren es die
in J&ufsland lebenden Aoslftnder, welche mannigfaltige IC^eime bu
Beformen der verschiedensten Art aosstrenten. Die Kolonie von
Westenroplem der verschiedensten Nationalität! Konfession und
Berufsstellung, welche im 17. Jahrirandert nnmittelbar vor den
Thoren Moskaus «ich zu bedeutender Blüte entwickelte und eine
grofse historische Holle zu spielen beruien war, jene von der
Kasse des rassischen Volkes, von der Geistlichkeit und insbe-
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368
Fniriok Oordon (1636— im).
londore von dem PQbel vielfiKsh aag«femdete ,|deatBohe Vorstadt*
KoBkaoB war einem Saverieig en yergleieben, welcher, der trägen
Masse des in byzautinisch-tatarischen Reminiszenzen verharrenden
nisBisclien Staates neue Lebeuskeime zuführte, iu dem kolossalen
Organismus der russischen Gesellschaft eine heilsame Gärung zu-
wege brachte und damit eine neue Epoche der Geschichte EuTs-
lands einleitete.
Die folgenden Blätter sind dem Andenken eines der Hanpt*
Vertreter der „Deutschen Sloboda", eines der thätigsten und
energischsten Vermittler zwischen Rufshuul und Eurojm im
17. Jahrhundert, gewidmet. Kaum ein anderer unter den in
Bnfsland lebenden Ausländem jener Zeit, den bekannten Frans
Lefort nicht nnsgenommen» hat so viel Anspruch an die Anf-
merksamkeit der Geschichtsforschnsg wie Patridc 0ordon. Seine
Bildung und Erfohrung, seine hervorragende Stelinng in Staat
uiui (iesellschaft. die lange Dauer seines Aufenthalts in Kufsland
(lt)60 — 99), seine Anteilnahme an den wichtigsten Begebenheiten
der zweiten Hälfte den 17. Jahrhunderte, seine persönlichen
Beaiehnngen m den Wttrdentrigem in RuTsland einerseits, wie
sn den hervorragendsten Anhängern der Stnarts im Westeni vor
allem aber sein intimes Verhältnis su Peter dem Groben in
den Jahren Hi89 — 99 — alles diese« verleiht dem 0-eneml
Patrick Gordon eine Bedeutung, welche weitaus diejenige anderer
in Jtufsland lebender und wirkender Westeuropäer überragt.
Und nicht blofs ist es von Interesse» den Lebensschioksalen
Gordons su folgen: «r hat uns auch eine der wichtigsten Geschichts*
quellen fUr die Erforschung jener Zeit geliefert. Gehört Gordons
Leben /.u den anziehendsten Illustrationen der Zeit, welche den
Reformen Peters vorausging, so ist sein Tagebuch überreich an
Aufschlüssen über die Geschichte jent r Jalirzehate von der Zeit
der mssisch-pohusoben Kri^ in der Hegieningsepoehe Alexeis
bis an dem denkwürdigen Zeitraum, welcher mit der Blick ke h r
Peters von dessen erster Beise ins Ausland Bufsland anbrach.
Gordons Wirksamkeit in Rufsland begann mehr als ein Jahrzehnt
vor der Gebart Peters des Grofsen, zu einer 2ieit, wo Rufsland
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Patriok (ioil A (168'i -1609). 359
Europa gegenüber als ein völlig Fremdes, dem Abeudiandc Ent-
gegengesetztes, aufserhalb der Kulior des Westens Stehendes
eracliieii ; Oordon schlofB die Augen am Vorabend des Nordiachen
Krieges, veloher Enftland in das enroplische Staatensystem ein-
reihte tmd w&hrend dessen Peter ein ,,nenverKndertes'' Rnfsland
schuf. Seine historische Holle fallt in die Zeit der Genesis der
Keformen Petera; sein Tagebuch schildert uns viele Züge des
anden regime Kafslands, welches jenen Reformen vorausging; er
selbst erlebte nnr die Anfönge der welthistorischen Wandlung
Bnfslands ; an diesen Anfängen hatte er einen erhebliehen Anteil.
Als TiterHeher Freund und Lehrer Peters in der Zeit, wo dieser
der Anregung und des Rates bedurfte, hat Gordon sich unsterb-
liche Verdienste um die Förderung Hufslands auf der Bahn des
Portschritts erworben; in den höheren Kreisen der russischen
G^ellschafl wirkte er als Vertreter der politischen, militfirwissen-
sehaltlichen nnd allgemein-sozialen Bildong jener 2eit; in der
Militlirgesohichte Bnfiilands gebührt ihm eine der ersten Stellen ;
in der Deutscheu Slobodii spielte er eine Zeitlang di»' ange-
sehenste Holle. Seine Keuutuisse und Pähigkeiten, sein Mut
nnd seine Arbeitskraft haben Rufsland wcsenUicheu Nntsen ge>
braohtt ohne dsis er selbst irgendwie der Vermssnng ausgesetat
gewesen wftre. Er diente Bnfsland mit Gewissenhaftigkeit nnd
Trene^ aber er bewahrte dabei seine westenropSische Eigentfim*
lichkeit, sein nationales und soiu koufessionelles Tk'wufstbeiu. Der
Umstand, dafs Gurdoni obgleich er in Kufalaud seine zweite
Heimat gefunden hatte, eine glänzende Laufbahn verfolgte, zu
grolsem Wohlstände gelangte, Ehre nnd Ansehen genofs, tSglich
mit Bussen vericefaite, dennoch leitlebens sich in Bufsland als ein
Premder f&hlte, bis in die letsten Jahre seines Lebens die Hoff-
nung, in sein Vaterland zuruckziikebron, niclit faliren licfs, zeigt
den weiten Abstand Rufslands von Westeuropa in jener Zeit, die
Kluft, welche durch die Reformen Peters zum Teil überbrückt
werden sollte. Indem wir den WechseUftllen des Lebens Gordons
folgen, erfahren wir mancherlei über die wichtigsten Ereignisse
in Bnfsland, lernen wir die Zustände nnd Verhältnisse in den
üiyiiized by
360
Patrick Gordon (1686-1609).
Kreisen der BoMon und der Ausländer kennen. Ja noch mehr :
d*a Tagebuch Gördens gew&hrt uns einen tiefen Einbli^ in das
Privatleben jener Znt; selbst an Stimmungsbildern ist kein
Mnngel. Keine Quelle gibt uns in dem Mafse wie G-ordons Tage^
buch Aiirüclihifs üImt tlas Alltagstreiben gewisser ivreiso der
Geseiliiiclial't und insbesondere derjenigen, in denen Peter einen
Teil seiner Jagend verbrachte.
Jugend, Wanderjahre.
Das Geschlecht der Gordons nahm seit langer Zeit in Schott»
laiid eine angesehene Stellung ein. Die Xachrichten über das-
selbe gehen bis in das 15. Jahrhundert zurück. Ein Alexander
Gordon wurde 1449 in den Orafenstand erhoben. Zar Zeit der
ersten Englischen Revolution gehörten die Gordons zu den treuesten
Anhängern Karls 1. Einer der eifrigsten dieser Boyalisten,
George Gordon, wurde 1649 hingerichtet. Bei der Bestauration
Karls II., 1660, erhielten verschiedene (IlieJer der Familie allerlei
Belohnungen und Würden. Eines „Herzogs von ( iordon" erwähnt
unser Gordon sehr oft in seinem Tagebucbe; mit ihm stand der
letatere in iebhaftem Briefwechsel; er galt als das Haupt der
Pamilie und nahm sehr hervorragende Stellungen ein. Im Jahre
1686 war er Gonvemeur von Bdingburgh. ^) Nach dem Staree
JakuLd 11, liieltea die Gordons, unter ihnen auch der Herzog,
treu zu dem Entthronten. Daher wanderten manche von den
Gordons nach dem Jahre 168B aus ihrem Vaterlande ans.
Es waren sowohl politische als religiöse Grunde, welche im
17. Jahrhundert die Gordons nötigten, ihr Vaterland su meiden.
Als &natasobe Papisten waren sie in England und Schottlaad
mancherlei Kunilikten ausgesetzt. So erklärt es sicli , dafs der
Name Gordon sich in der zweiten Hälfte dos 17. Jahrhunderts
unter anderem in den schwedischen, polnischen, russischen, preulsi-
sehen, österreichischen und französischen Armeen findet. Auch
') ^laeuula}' erwähnt dieses „Duke of Gk>r»]oir'' als ein© ngreat
roman cathoük^'i vgl. (Tauchaitz' Edition), Ii. 3öO; Iii. 395.
biyilizüü by GoOglc
Patriot Gordoit (1686^1690).
361
Kanfleatfln Kameni Qordon begegneii wir in yeraohiedenen Städten^
s. B. in Königabezg» in allerlei G^[enden Polens» in BottercUm.
Übrigens mögen toq doi yiersig Gördens, deren Im Tagebache
Ptttrick G-ordons erwäbnt wird, einige uicht mit ihm verwaudt
gewesen sein.
Patrick Gordon, am 31. Mftrs 1635 in Schottland» auf dem
Gute seines Vaters, Aohlniobries , in der Grafschaft Aberdeen
geboren,') gehörte der Jüngern Linie der Gordons, also uicht der
mit der Herzogswürde bekleideten, an. Seine Mutter entstammte
dem in der Geschichte Schottlauds bekannten Geschlechte der
Ogilyys. Seines Wappens: drei Schweinsköpfe mit einem kleinen
halben Hönde in der Mitte, wodurch selbige getrennt werden,
und oben mit einer Perlenkrone bedeckt, erwähnt er ausführlich
in einem seiner Briefe aus dem Jahre 1693 (III. 334).-) Als
jüngerer Solin hatte nicht er, Bonderii sein Bruder Alexander die
Aussicht, das Gut des Vaters erbeu. Indessen starb Alexander
im Jahre 1665. Im Jahre 1685 waren auch Patricks Eitern
beide nicht mehr am Leben, wie aus einer an die russische Be-
gierung gerichteten Bittschrift nnsers Gordon zu ersehen ist (II. 85).
Von «einer Kindheit wissen wir nur, dafs er eine Dorfschule
besuchte. Mit Jahren entschlofs er sich auszuwaodern, zum
Teil, weil es ihm als einem Katholiken gerade in der Zeit der
Herrschaft Cromwells unmöglich war, eine englische Hochschule
SU besu<dien, zum Teil, weil eine unglückliche Liebesgeschichte,
deren er im Anfange seines Tagebuchs erwähnt, die Entfernung
aus der Heinmt gebot. Freiheitsdrang, Reiselust, ein Hang zum
Abenteurerleben mögen ebenfalls stark bei dem Entschlüsse mit-
')'in allen Biographien findet sich fälschlich der 81. Jfai als der
Geburtstag Gördens. Audi Posselt, der Heraiugeber des Tagebuchs'
Gordons, macht (L XXXII) diesen Fehler, indem er sich auf die Ghrab-
schrift beruft. Auf dieser indessen ist von <leiii 'M. März die Rede
(I. LVIII). Oft erwähnt Qordoa in seinem Tagebuche am 31. März
seines (Ir-burtstt^s.
-) Wir citiereu so, der Kürze halber, die drei Bände der Tosseltscheu
Edition des Tagebuchs.
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369
Fkktridk Gtwdon (1636—1609).
gewirkt haben. Sein Oheim beredete die Eltern, den Sohn aiehen
stt laasen. So Twliefs er denn Schottland im Juni 1651.
Zwei Jahre Yerlebta er im JeanitenkoUeginm an Brannaberg.
Er lobt diese Schule» hat auch später einen seiner Sohne dort
erziehen lassen; aber das eingezogene Leben sagte ihm nicht zu.
Er bewerkstelligte eine Art Flucht aus Brauusberg. Mit einigen
Thalem, seiner geistlichen Tracht, etwas AVäsche und einigen
Bttchem veraeheni gedachte er aaerst nach Schottland anrücfc-
Eukehnn, war aber sehr bald in der Lage, sich dem Kriegs-
handwerk widmen zu mfissen.- Der Sdldnerbemf stand damals
in Blüte. Hier konnten gerade solche junge Leute Beschäftigung
finden, welchen, wie Gt)rdon von sich bagt, ,,zu dienen oder zu
arbeiten als eine Entbehrung schien und zu betteln eine noch
gröfsere'^ Becht lebhaft schildert er selbst die mancherlei Wechsel-
iftUe, welche ihm in den Jahren 1653 — 65 widerfuhren. Da-
zwischen war er in Gefahr, um seine letzte Habe geplündert zu
werden. Hier und da traf er auf schottische Kaufleute, welche
ihn beredeten, sich dorn Handelsstande zu widmen. Dann fafste
er wohl den Vlau, in polnische Kriegsdienste zu treten. Endlich,
nach längerem AufenthiUte in Kulm, Posen, Hamburg, nachdem
er an dem letztem Orte die Bekanntschaft einiger schwedisoher
Werbeoffiziere gemacht hatte, trat er als Beiter in die schwedische
Armee ein. Es war gerade die Zeit (1655), als der polnisch-
schwedische Krieg ausbrach.
Bald fühlte er sich in dem neuen Berufe völlig heimisch.
Obgleich als Gemeiner dienend, suchte er sich doch in den allge*
gemeinen Gang der militärischen Aktion Einsicht zu verschaffen
und allerlei Einzelheiten über den Verlauf der damals gepflogenen
diplomatischen y«4iandlnngen in Erfahrung zu bringen. Li seinem
Tagebuche notierte er so viel über diese Vorgänge, dafs dasselbe
als willkommener Beitrag zu den Quellen der Üeschicbte dieses
polnisch-schwedischen Konflikts gelten kann.
In ▼erschiedenen Scharmützeln, an denen Gordon teilnahm,
wurde er mehrmals verwundet (I. 18, 24, 29). Im Dezember
1655 geriet er in polnische GefaDgenschaft, ans welcher er sich
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Titriok Oordon (1686—1099).
363
dttroh dU Flnoht rettete. Nachdem er sam iweiten Male toq den
Polen gefangen genommen worden war und 17 Wocbeo in enger
Hüft hatte verbringen müssen, entschlofs er sich den bcliwedischen
ELriegedicnst gegen den polnischen zu vertauschen. So war nun
einmal die Axt der damaligen Beisläuierei, da£e man uch eolehen
Wechsel, weloher heutsutage als Verrat gelten wfirde, nieht
übelnahm.
So trat Gk>rdon denn in die Dragonerkompanie des Starosten
von Sandetz, Konstantin Lubomirskij , ein. Buk! war er dva
Polnischen mächtig und erzählt recht unterhaltend, wie eine
hübsche junge Polin, welche ihn gern geheiratet hätte, ihm mit
allerlei Schersen, durch ILätsel und Liederohen die polnische
Sprache beibrachte. GeviTs war das Erlernen der polnischen
Sprache ffir Gordon eine gnie Yorfibang flir das Erlemen der
russißcLi'H. (kren er spiiter l>o(lürl"en sollte. In Polen nahm er,
insbesondere vor und nach der Sclilaclit bei Warscliau, an allerlei
minder bedeutenden militärischen ()]ierationeu teil, wobei er nicht
ohne Genngthunng bemerkt,' dals er Jede Gelegenheit, den Kreis
seiner Erfahrungen und Kenntnisse zu erweitem, benutzt habe
(I. 63). Seinen Körper snchte er durch Strapazen abzuhürten.
Für seine Tasche sorgte er bei den Plünderungszügen der polnischen
Söldner.
Im Jahre 1G56 wurde er von braudeuburgischen buldaten
gefangen genommen und beredet, wiederum in schwedische Dienste
au treten. Hier verstand er es, indem er Beute machte, einen
gewissen 'Wohlstand zu erwerben. Er hielt sich einen Bedienten,
besaft mehrere Pferde, nahm an allerlei einträglichen Plündern ngs-
zügen teil, verlor dazwischen seine ganze Habe, um dieselbe
durch neue Unternehmungen raschmoglichst wieder zu ersetzen.
Es war eben eine Zeit, wo das Soldaten- und Käuberlr^ben ein-
ander 2um Teil deckten, wo man gewissermafseu als Privatmann
Krieg führen durfte, eine Zeit, wo eine Art Kaperei au Lande
in Blüte stand. Eine Zeitlang stand Gordon weder in polnischen
nocli in schwedischen Diensten, weil er, wie er bemerkt, „an der
freien Lebensart (ieschmack gewonnen hatte, dabei seinen Vorteil
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364
Ptttrick Oordon (1686—1609).
fand und keine Lnet verspürte, sich dnrdi ein neues Engegement
fesseln sn lassen* (I. 165). Indessen trat er dock wieder in
schwedische Dienste, wo or ein ti^ewisses Ansehen geuoTs. wie wir
aus dem Umstände Bchlieisen köunen , dafs die Schweden, als
Gh>rdo& abermals in polnische Gefangenschaft geriet, grofse An-
strengungen mackten, seine Ansliefemng au bewirken (L 169).
Da die Polen ibn indessen dock nickt freigaben, entscklois
er Sick scknell, snm aweiten Haie in polnisoke Dienste su treten,
wu der Feldherr Lubomirskij unter anderem bei der Euinahrne
von QraudenE Gordons Eatschlägeu folgte und wo sein Ansehen,
sein Bang, seine Geldmittel rasch stiegen.
Von grolsem Interesse ist Gordons Anteilnakme an den Er-
eignissen des um den Besits Kleinrufsknds swiscken Polen und
Moskau entbrannten Krieges. Er kämpfte auf polntscker Seite
im Herbst IDiiO in den Schlachten bei Ljulmr und Tschudnow
und war Augenzeuge der furchtbaren Niederlage Scheremetjews^
infolge deren dieser russische f^eldherr auf lange Zeit in die Ge-
fangensckaft der krimscken Tataren geriet. Kock im Jahre 1690
erwSknte Gh>rdon in einem Briefe an seinen Sokn der Sckkbckt
bei Tschudnow (III. 256).
In demselben Jahre 16G0 hatte Kail II. in England den
Thron seiner Ahnen bestiegen. Bei so veränderter Sachlage
wünschte Gordon nach Hause surüokzukehren, erkielt indessen
alsbald von seinem Vater ein abmahnendes Schreiben und katte
nun, da er dock nickt in Polen su bleiben gedackte, die Wakl
2wiseken Österreich und HuDsland. Von beiden Seiten wurden
ihm Anträge gemacht.
Der römisch -kaiserliche Gesandte Baron d'Isola beredete
Gordon, als Werbeoffizier in österreickiscke Dienste zu treten. Er
katte bereite zugesagt, wufste aber die übernommene Verpfliditung
wieder von sieb abzuscküttehi, als er die ikm mssisckerseite durck
den diplomatischen Agenten Leontjew gemachten Vorschläge, auf
drei Jahre mit dem Range eines Majors in die Dienste de« Zaren
zu treten, für vorteiibringender anzusehen geneigt wurde. Schon
nack einem Jakre sollte Gordon in BufslandOberstieutnant werden.
Patrick öordon (1635—1699).
365
£r hatte sich durch hamane Behandlung russischer Gefangener
bei den Russen beliebt gemacht. Man kam ihm freundlich und
zuvorkommend mit allerlei V^ersprechungen entgegen. Bufsland
bedurfte vieler erfahrener and gebildeter Militärs, wenn es in dem
heifseo Kampfe um Kleinraisland seinem Gegner, Polen, gewaebsen
sein sollte. Im rossisohen Heere dienten bereits mehrere Sehotten.
Einer dieser Landsleute Gördens, der Oborst Orawfhirdf beredete
ihn nach Hufsland zu gehen. Sein Entschlnfs war gefafst. Damit
hatte er über seine ganze Zukunft entschieden.*)
Gordon befand sich, 26 Jahre alt, an einem Wendepunkte
seines Lebens. In wenigen Jahren hatte er euoigermaben eine
militiKrisehe Karriere gemaoht, sich diiroh Tapferkeit and Umsicht
• ein gewisses Ansehen erworben, Ersparnisse gemacht. Koch im
Jahre 1655 war er fast ein Bettler gewesen. Nacli idilsi iiKi
ging er mit Ersparnissen im Betrage von mehreren hundert
Dnkaten . als ein tüchtiger , kriegserfahrener , in höherm Range
stehender Ofhaier. Er hatte den Stola eines selfmade man. Seiner
Kühnheit and Energie yerdankte er alles. Aach in Zakunft hoffte
er sein Schicksal TSIlig selbstSndig gestalten an können. Hierin
war er iiu Irrtume.
Erste Dienstzeit in Rul^^iaud.
Schon an Ende des 16. Jahrhunderts gab es in der rassischen
Armee einige taasend AnsUbider. Boch waren es meist Klein-
Die falsche Nachricht bei Krarbi Diarium itineris in MoscoTiam
(Wien 1699), S. 216, als sei Gordon in russische GcfangeDschaft ge-
raten und infolgedessen genötigt worden, in russische Dienste zu
treten, ist in viftlc spatere Bücher nber<regi»n*yen : z. B. Weber, Ver-
ändertes liuisland, III. 143. wo Crordou mit Joseph in Ap:i,*ptcn ver-
glichen wird. Auch Gurdütiü Öcü\vit'<^«'rsoliu, Alexander Gordou, erzählt
in seiner „Geschichte Peters des Grofseu"^ (deutsche Ausgabe, S. i4b)
manches Unrichtige über den Eintritt CbrdonB in russische Dienste.
Ebenso entbehrt die ErsShlung G. F. Mullersi dab Qordon infolge des
Friedens von Oliva seinen Abschied erhalten habe nnd daher in russische
Dienste habe treten müssen (vgL Petersbuiger Journal, April 1778,
S. 268), der Grandlsge.
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366
Patrick Gordon (^1635— 16«9).
Fussen und Polen. Die eigentlichen Repräsentanten Westeuropas
waren nur spärlich vertreten. Dagegen stie^ währond der Re-
gierungen Boris Grodunows, des Demetrius, insbesondere aber
während der Begiening Miehoile die Zahl der im roMiachen Heere
dienenden Dentsefaen, Schotten, Holl&nder u. a. w. aehr be-
trftehtliob. Emern fhousöaiaeben Militltr, Ifargeret, Terdanken wir
ein selir wertvolles Buch über Bufsland zu Anfang des 17. Jahr-
hunderts.
loabesondere die Konflikte mit Polen nötigten die maaiache
Begiening sa einer Reoiganiastion der maaisohen Armee. Daxn
bedurfte man der Aoaländer. Daher aehen wir aowohl in den
dreifsiger Jahren^ da Smolenak von den Bnsaen belagert wurde,
als auch in der Zeit des Zaren Alexei bei dem Kampfe um "
Kleinrufsland die Zahl der ausländischen Offiziere sich sehr ra£ch
yermehren. Die politischen und religiösen Krisen im westliohea
Ihiropa, der Dreifaigjährige Krieg, die engliaohe Bevolntion lieferten
daa Material für die Ergftnsang und YenrollatSadigang dea maai*
aoben Offiaierkorps ; an soloben losen Elementen, welebe, wander-
lustig und beutegierig, ihre Dienste bald hier, bald dort anboten,
ihre Haut in den verschiedenen Staaten zu Mai'kte trugen, ge-
hörten im 17. Jahrhundert ganz besonders viele Schotten. Infolge
der beiden engliacben Biovolntionen erscbienen die Schotten in
bellen Hänfen in Polen, in Scbweden and in Bnfsland. Auf die
Zahl derselben können ynr aus einigen Angaben in Gordona
Tagebucho schliefseu. So traf er 1657 in Preufsisch-Holliuid bei
Königsberg 43 Schotten an , welche sich zur Heise nach Big»
anschickten, um in schwedische Dienste zu treten. Vieler im
kaiaerlieben Heere dienender Schotten erw&hnt Gordon. In Polen
begegnete er häufig allerlei Bekannten, wobl anoh Verwandten aus
der Heimat. Bei den Schweden bestand eine gause Kompagnie
aus lauter Schotten.
Auch die Reise nach Kulsland machte (rordon in Begleitung
vieler Landsleute, welche zum Teil ihre Frauen mit in die neue
Heimat führten. Es gab, wie Gordon aelbst geateht, manche
acblechte Elemente unter dieaen Beialftufem, ao dafii er nicht
Pairick üordou (1030—1699).
3Ü7
selten die Begegnung nut densvllx ii zu vermeiden suchte. Aber
er selbflt hat während seiner laugen Dienste in ilui'slaud manchen
XifuidamMin and Verwandten Tenuilallrt» in nuttiehe Dienste sn
treten.
Überruohend betrllehtlieh ut die Zalil der in ruHueehen
Diensten stehenden Gerden«. Yen einem Kapitün WiUtsm Gordon
wissen wir aus einer Iboi an den Zaren Michail gerichteten Bitt-
schrift desselben (I. 61Ö). Im Jahre 1034 erhielt ein Oberst
Alexander Gordon ein antehnliehea Geldgeschenk ans dem sarischen
Sehatee (I. 611). Ebes Andreas Gordon ist wiederholt in der
vollstiDdigen Getetisammlung erwähnt. ^) Mehrere Gordons dienten
in der polnischen Armee (I. 133, 183, S89, 405 n. a.). In
Rufsland stieg die Zahl der ßoüiuus besonders nach dem Stursse
Jakobe II. £in John Gordon war schon etwas früher nach Kufs-
land gekommen, um seinen Verwandten Patrick xn hesnchen
(L 238» 641). Er Uieb drei Vonate in RoTsland nnd trat
nicht in mssisohe Dienste. Dagegen traten andere Verwandte
Patricks, Andreas, Harry, Alexander, Franz, George, Thomas,
sowie die Söhne Patricks, John, James und Theodor, in rassische
Dienste. Vielleicht war auch ein Taschenspieler Gordon, dessen
Korb als den Helden einer Kriminalgesohiohte erwfthnt, ein
Verwandter nnsers Ghirdon. In dem Nordisohen Kriege begegnen
4
wir nicht selten dem Namen Gordon. Ein Kadikomme Gordoosi
welchem die Handschrift des von dem letztern geführten Tagebuchs
gehörte, war Translateur in der diplomatischen Kaozlei aar Zeit
Katharinas II. u. s. w.
tfan darf sich darüber wondenii dafs so vieie Ansliinder in
mssische Dienste an treten bereit waren» weil, wie die Erfahrang
lehrte, der Austritt aus rassischen Diensten so gut wie nnmäglidi
war. Als Margeret 1605 seinen Abschied erhielt, bemerkte er,
er sei der erste, welchem eine bülche Gunst zuteil werde. ^) Ver-
geblich hat sich wiederholt die englische Begierung für mehrere
>) Bd. IV. S. 619, 647.
*) Diarium itineris, p. 100.
Estat de Tempire de Bimie, p. 88.
368
Patrick Qordon (1686-1609).
in Bnfsland dienende Engländer Tenruidt: sie worden nicht eot-
lassen. ^) Seibat die in Handschreiben engUsober Könige an die
Zaren in solchen Angelegenheiten gerichteten Bitten blieben nn-
berücksichtigt. Gordon selbst sollte an sich diesen Kilsstand er-
fahren.
F'dst scheint es , als haben die russischen Agenten , welche
Gordon 1661 anwarben, ihn über diesen Punkt getäuscht. £r
meinte sich nur auf drei Jahre gebunden zu haben und muTste
sich sehr bald nach setner Aolninit in Bufoland davon übeneugen,
dafs er über sein ganzes Leben entschieden habe. Jahrzehnte
hindurch hat er an der FToffuung fentgehalten, sich aus Rufsland
freimachen und sein Dasein in seinem Vaterlande beschliefsen zu
können. Erst von dem Jahre 1692 an scheint er sich in sein
Schicksal gefunden, alle Hoffnuzig, je Bulsland endgültig Terlassen
8U können, aufgegebon ra haben. Br war bis sum Jahre 1661
an häufigen Wechsel gewöhnt gewesen. Im Laufe von sechs
Jahren hatte er fünfmal seinen Dienst gewechselt , sich also in
vollem Mafse der freien Selbstbestimmung erfreut. Jetzt sollte
es anders kommen. Für die in russische Dienste Tretenden gab
es kein Zurfi(&.
Ahnungslos ging Gk^rdon einer solchen Zukunft entgegen.
Mochte Gordon aber später noch so oft den ihm angethanen
Zwang, der ihn au Kulslaud schmiedete, bitter empfinden, mochte
er auch dazwischen ingrimmig an der Kette rütteln, mit welcher
das der Intelligenz^ des Mutes, der militärischen Er£shrung der
Ausländer bedürfende Zarenreich ibn festhielt, er hat im Grunde
in Rufsland ein glflokliches Leben yerbracht. Ohne sich völlig
akklimatisieren zu können, ist er in Rufsland denn doch biü zu
einem gewissen (Trade heimisch geworden. An eigentlichem Heim-
weh hat er nie gelitten: er war keine sentimentale Natur. Aber
er hat nie far Bufsland Begeisterung empfunden, da er als poli-
tischer und religiöser Schwärmer, als fanatischer Boyalist und
Katholik bis zu seinem Tode den Stuarts anhing. Bafs er in
y<:\. unter anderem die Affaire Aston bei Ssolowjew, Geschichte
BuTsUndB, IX. 119.
. kiui^cd by Googl
Patrick Oordon (1635—1699).
369
Knisland sehr bald Ehre, Ansehen, Vermögen, einen grofsen Wir-
kungskreis erwarh. dafs er dort au hochwichtigen Ereignissen An-
teil nahm und dabei ungewöhnliche Tüchtigkeit bewährte , dafs
er die ihm aaTertrauten Stellangen Töllig AUMnfttllen im stände
war, daffl er» freilioh erst in den letzten Jahren seines Lebens,
Peters Genosse nnd Lehrer sein konnte, mnfs ihm sn sehr wesent-
licher G-enugthuuiig goreicht liabeii. Auch nmfste es ihu befric-
digeu, duis seine neue Stellung in Rufsland ihm sehr bald schon
die Möglichkeit gab, ein Haus zu gründen. Nach mehreren
Jahren aiellosen^ abenteuernden Herumyagierens wnrde er endlich
sefshaft, Chatte, Vater. Ans dem Gllloksritier wurde eine respektable,
allgemein geachtete Persönlichkeit. Hatte er, da er dem vftter^
liehen Herd den Rücken wandte, auf eine glänzende Laufbahn
gehoflt, so war dieses Ziel erreicht. Mehr durfte er nicht wollen.
♦
Doch fehlte es auf dem Wege zu diesem Ziele nicht an
peinlichen Eindrücken, unangenehmen Zwischeni&Uen, gefthrlichen
Konflikten, harten Kämpfen.
Sehr bald schon, nachdem Gordon am 26. Juli 1661 fceine
Keise nach Rufsland augetreten hatte (1. 283), bereute er, ebenso
wie sein freund und Genosse Meneses, den gefafsten £nt8chlula.
Er erfuhr, dafs der nicht allzuhohe Sold in Sulslaad unregelmfifsig
ausgezahlt werde. Die Soldaten der russischen Ghumison inKoken-
hufen, welche Gordon auf der Beise von Riga sah, machten auf
ihn keinen guten Eindruck. Ein Vergleich, welchen er zwigcheii
den Jb'oleu und Kursen austeilte, hei nicht zu gunsten der letzteru
ans. Fskow mit seinem Schmutze und seinen, wie Öordon wahr-
sunehmen glaubte, mttrrisohen Einwohnern mi/sfiel ihm ausneh*
mend. Seine Verstimmung steigerte sich, als er die Erfahrung
machte, dafs infolge der Emission leichten Kupfergeldes durch
eine der leichtfertigsten und gelUhrlichsten Münzverschlechteruugen,
welche je vorgekommeu sind, alle Preise sehr raäch in die Höhe
gingen nnd schUefslich Teuerung nnd Hungersnot eintrat ^)
') Vgl. in meiner Schrift: FinauzgeschiohtUohe Studien, die erste
Abhandlung: Das Kupfwgeld in Aaüsland 1866-^.
Bxacka«f , SaMm^ 2i
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370
Patriok Oordon (1686-1609).
Am 2. September 1661 traf Gordon in der rassiscIieD
Hauptstadt ein und siedelte sich sogleich in der deutschen Vor-
stadt an. Dieselbe, eine Art Ghetto, wo die Ausländer, die
Ketzer, gesondert von den reehtgliUibigen Bussen lebten^ Kirchen
bauten, ihrer Eitrentmiilichkeit bewalirten, hatte bereits im 16. Jahr-
hundert bestanden und war dann in der Zeit der polnisch-rus-
ßischcn Wirren während des Interregnums eingeäschert worden.
Ein £difct des Zaren Alexei rief sie 1652 wieder ins Leben.
Eine Abbildung, welche der Gesandte Kaiser Leopolds L, Heyer-
berg, Ton dieser Deutschen Sloboda gerade in demselben Jahre
anfertigen liefs, ala Gordon sich dort niederliefs, zeigt uns einen
dorfartigen, aus hölzernen, mit Gemüsegärten um^r^benen, äruilich
ausseheiuk n Häusern bestehenden Flecken. ^) Hier sollte Gordon
den grölsten Teil seines Lebens verbringen und an dem Empor-
blühen, der materiellen und geistigen Entwickelung dieses vor-
geschobenen Postens westeuropüscher Kultur herroirageiiden
Anteil nehmen. Die deutsche Vorstadt war ffir Bulbland was
Naukratib für das alte Ägypten oder Nangasaki für das neuere
Japan. Hier lebten zum Teil in einem gewissen Wohlstande
deutsche, englische , französische , holländische , schottische Kauf-
leute. Industrielle, Geistliche, Arate, Apotheker, MilitÜrs, welche
dem nngeheuem russischen Staats- und GesellsdutftdLÖrper gegen-
fiber eine kleinOt aber kompakte Ifasse, die Intelligenz und Unter-
nehmungslust, die Bildung und Arbeitskraft des auf einer un-
ver<^ieichlich höheru Kulturstufe befindlichen weltlichen Europa
vertraten und im 17. Jahrhundert in ähnlicher Weise ein f5r-
demdes, treibendes, anregendes, gewissermalsen ersiehendes Element
für das weite Boich abgaben wie die Ausländer in Peteraburg
im 18. Jahrhundert. Die Bewohner dieser Vorstadt, von den
Russen oft verspottet und verachtet, blieben meist in dem leb-
haftesten Verkehr mit ihren Heinuitlandern und konnten eben-
darum unt 80 erfolgreicher zwischen der Zivilisation Europas und
dem der Beformen auf allen Gbbieten dringend bedürftigen, bis
') Vgl. die Tafel Nr. 52 in dem Bilderatlas zu Adelungs Buche
ttber Heyerberg.
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Patrick Gordon (1635— I6i^9>.
871
dahin in chinesischer Abgeschlossenheit verhArrenden ZarwrMie
vermitteln.
Gordon ist vielleicht der Intereaaanteste Repräsentant , der
Bpreobendste Typus der in BofslaDd lebenden und wirkenden Aus-
länder geworden. Ihm war ea beachieden, sn den ansiehendsten
Illustrationen der Bewohner der Sloboda zu gehören. Sein Tage-
buch ist die wichtigste Quelle für die Geschichte der Ausländer
in Boisiaud im 17. Jahrhundert.
Der erste Empfangi welchen der Zar dem neuen Ankömm-
ling bot, war günstig. Alexe! dankte Gordon in einer Audiens
für die humane Behandlunj? russiscbtir Gefangener in Polen
(I. 2ä9). Uageguu berührte es Gordon unangenehm, dafs der
Schwiegervater des Zaren , Ilga Danilowitsch Miloslawskij , ihn
einer Art Prttfong nnterwarf» d. h. dafs er Gordon Teranlafste,
an einaelnen Handgriffen bei Spiefs, Flinte nnd Säbel seine mili-
tärische Tüchtigkeit zu zeigen , während Gordon ihm Torstellte,
dafs von einem Offizier in erster Linie nicht diese untergeordneten
^luiipulatiouen, sondern .strategische und taktische Fähigkeiten
verlangt werden müTsteu (I. 290). Eine fatale Episode war fol-
gende: Gordon sollte beim Dienstantritt Geschenke an Geld,
Zobeln nnd Geweben erhalten, wufste aber nicht, dafs man, nm
in den BesitK dieser Dinge asn gelangen, den Schreiber der be-
treffenden Jiebörde bestechen ujüsse. Er wurde klagbar: es gab
allerlei Keden und Gegenreden, wobei Uordon sich zur Äufseruug
hinreirsen liefs, er wolle nicht in einem Lande bleibeni das seinen
Erwartungen so wenig entspreche. Nicht wenig entrüstet war er
femer, als die Regierung sich nicht entblödete, ihm den aus-
bedungenen Sold, der gemeinsamen Ütrareinkonft zuwider , nicht
in Silbermünze, sondern in dem entwerteten Kupfergelde auszu-
zahlen, wodurch Gordon einen so grol'seu Teil seiner zu erwar-
tenden Einkünfte einbüfste, dafs er fülr seine in Polen gemachten
Ersparnisse fürchten mufste.
Vgl. in meiner Schrift: Kulturiustorische Studien (Riga 1878),
die sweite Abhandlung, S. 71 fg.
24*
372
Patrick Gordon (1686-1689).
Eb war daher nieht su Tarwimdenif dab Gordon gans enwtlioh
daran dachte, Rursland baldmöglichst wieder an verlassen.
Wie erstaunte er aber , als man ihm sagte , er setze sich
durch ein solches Yorliaben den gröfsten Gefahren aus ; man werde
ihn für einen polnischen Spion halten und nach Sibiren Ter-
weisen. So entschlofs sich denn Qordon, den Diensteid an leisten,
war aber hierbei aufs höchste bestttrat, als der holländische Frediger,
welcher ihm den Eid abndimen solltet ihm mitteilte, Qordon solle
schwören, er werde zeitlebens dem Zaren dienen. Gordon pro-
teätierie förmlich mit Hinweis auf die mit Leontjew geschlossene
Übereinkunft. Es wurde hin und her unterhandelt. Endlich
kam man übereini dals Gordon so lange im Dienste des Zaren
zu yerbleiben haboy als der Krieg mit Polen währen wttrde.
Hiemach hätte Gordon später bei Gelegenheit des Andmssowschen
Friedens, 1667, seine Freiheit erlangen können. Aber ans den
drei Jahren russischer Dienstzeit, auf welche er eingegangen war.
wurde niclit blofs das Doppelte, er blieb in der That zeitlebens
in B.ufsiand.
So mufste er sich denn, so gnt es ging, in die neuen Ver-
hältnisse an schicken suchen. Man kann nicht leugnen, dafs er
dies mit viel Gewandtheit, mit einem gewissen praktischen Sinn
und bedeutender Menschenkenntnis that. So bewirtete er bald
nach seiner Ankunft in Moskau iu üeiner WuhuuQg die Beamten
der „Ausländcrbehörde^^ und machte ihnen Geschenke, was, wie
er bemerktci ihm ein gewisses Ansehen erwarb und ihm viel Vor-
teil brachte (I. 305). In äen Kreisen der Ausländer knüpfte er
allerlei Bekanntschaften an, gab Gesellschaften, wobei auch Damen
erschienen, und lebte sich auf diese Weise rasch ein.
Dtjunoch machte sich immer wieder der Hang zu allerlei
Abenteuern, die Wanderlust geltend. Als Gordon hörte, daüs
die russische Kegieruug eine Gesandtschaft nach Persien ansrfiste,
sudite er nidit ohne beträchtliche Unkosten f&r allerlei Geaehenke
an versdiiedene Würdenträger es durchanaetsen, iaSä er dieser Ge-
sandtschaft attachiert wurde. Er gedachte dann in Penien DIttiate
zu nehmen. Der Plan scheiterte (I. 309).
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Pfctrick öordon (1635-1699).
37a
Bald erOffiiete si^ ihm die Anssichtf dem Zaren einen
wesentlichen Dienst zu leisten. Es entst ind in der Hau])tstadt
eine jener Rebellionen, an denen die Kegieruiigszeit Alexeis so
reidi iit. Der Pöbel meutert*' infolire der ftllgemeinen Hungers-
not und Tenenmgy klagte die Urheber der Kupfergeldoperation
und andere 'Wflrdentrttger des Laadeererrata an und schickte aidb
an, dieselben zn lynchen.^)
Sobald Gordon (am 5. .Juli ir>f;2) auf dem Exerzierplätze er-
fubri der Pöbel sei zu Tausenden hinaus nach Kolomenskoje,
dem einige Werst von der Hauptstadt entfernten Landbause des
Zaren, wo Alexei weilte^ bot er alles auf, seinen Chef, den Obersten
Crawfuirdi an bereden, sogletcb mit dem ganaen Begiment aum
Schntse des Zaren dorthin aufanbreehen. Crawfiiird aSgerte.
Inzwischen hatte der Zar allo Einwohner der deutschen Vorstadt
auffordern lassen, bewaffnet zu seinem Schutze in Kolomenskoje
an erscheinen. Die Ilnentschlossenheit des Regimentschefs hatte
snr Folge, dafs 0ordon mit seinen Soldaten dorthin kam, als der
Aufstaad im Gmnde bereits niedergeworfen war. In seinem
Tagebnohe macht Gordon seinem Unmute Luft, dafs die sohSne
Gelegenheit , sich auszuzeichnen und belohnt zu werden , nicht
besser ausgenutzt worden war (I. 310 — 313).
Da seine Geschäfte nur einen Teil seiner Zeit in Anspruch
nahmen, konnte Gordon sieh allerlei Vergnügungen hingeben; er
besuchte viele GeBeUschaften, erwähnt sogar der Bfille und Mas«
keraden, bemerkte aber bald, dab ein allan wflstes Treiben seiner
Gesundheit schade. Olmeliia hatte er gleich in der ersten Zeit
seines Aufenthalts in Rufsland eine nicht ungofabrili Ii • Krankheit
durchmachen müssen. So lenkte er denn ein, gewöhnte sich bald
an ein stilleres Leben und hegte Heiratsgedanken.
Eine Heirat bot auch dienstliche Vorteile. Die Hussen hatten
an yerheirateten Anslftndem viel mehr Zutrauen als eu Jung-
gesellen. Vielleicht meinte mau, dafs Funiilienviiter nicht so
leicht geneigt seien, Ruisland wieder zu verlassen. Auch Lefort
*) Über diesen Aufstand vgl. meine Schrift: Finansgeschichtliche
Studien, erste Abhsndlung.
374
Patrick Gordoo (1686-1699).
schrieb an Beine Kutter, angleich mit der Heldang von seiner
Verlobung, jetst sei seine Karriere gesichert.^)
Gordon warb nm die Tochter des damals in polnischer Ge-
fangenschuft weilenden Obersten Bockhoven. Weil die Hochzeit
erst nach der Kückkeltr des Vaters ätattünden sollte, machte
Gordon die gröfsten Anstrengungen, seinem künftigen ScbwiegeT'-
Tater die Freiheit su Terschaffen, ohne dafs seine Yerbindangen
mit Tersohiedenen Personen, an wddie er sdirieb, seine Be-
milhnngen mit Erfolg gekrönt hätten. Nachdem er 1664 an dem
Feldzutre in Polen teilgenommen hatte, fand am 2(). .lanuar 1665
in Aioakaa beine Hochzeit statt. Gleich daraui erhielt er durch
die Fürsprache seines Gönners, des Bojaren Miloslawsl^j , den
eines Obersten (I. 358).
Reise naeh England 16<»6— 1667.
Im Mai lOüo erwähnt Gordon des Todes seines altem Bruders
in Schottland. Als alleiniger Erbe der Güter des Vaten wünschte
er seine Eltern zu besuchen, indcasen erhielt er auf sein Urlaub«-
gesueh lange Zeit hindurch keine Entscheidung. Ein Jahr später
ward er in die Gesandtschaftskanzlei gerufen, wo man die Frage
an ihn richtete, ob er wohl Lust habe, mit einem Schreiben des
Zaien Alcxei an den König Karl II. nach England zu reisen.
Ein solcher Auftrag war schwierig. Es war vorgekommen, daCi die
Begierung solchen diplomatischen Agenten ihre Bebekosten nicht
vollständig wiedererstattet hatte. Femer gab es damals gespannte
Beziehungen zwischen Rnfsland und England, Die englischen
Kaufleute, welche seit der Entdeckung des Seeweges in das Weifae
Heer (1553) bedeutende Handelspriviiegien in Hufsland genossen
hatten, waren derselben im Jahre 1649 verlustig gegangen. Die
grofiie Bolle, welche die englischen Kaufleute sogar in dem Bin-
nenhandel Bufslands spielten, schädigte die Interessen des man-
schen Kaufmannsstandes i die Hinrichtung Karls I. diente dem
*) PoBoelt, Lefort L 262.
Ffttriok Gordon (1686—169»).
375
2ar«n Alexei snm Yorwande» den EnglSndeni ikre Vorrechte zu
nebmen. Nach seitier BeBtanratioii hatte Karl II. mancherlei
Schritte zur "Wiedererlangung dieser Privilegien getlian. Im
Jahre 1664 erscliieu der Graf Carliflle mit glänzendem Gefolge
als englischer Gesandter in Rufsland, aber seine Mission hatte
keinen Erfolg nnd der Gtesandte reiste sehr mÜBgestiiDmt ab. Der
unmittelbar hieranf nach England gesandte nuBische Diplomat
Baschkow wnrde sehr kühl empfangen. Karl II, veiiangtei Bnfg-
land solle den Niederländern die Ausfuhr von Katerialien für den
Schit)bau aus üufsland verbieten, dagegen dieselbe ausschliefslich
den Engländern vorbehalten. Die ausweichende Antwort auf diese
Fordemngen nun sollte Ghtrdon dem Könige flberreichen. Er
bemerkt, es habe sich kein Busse sur Auaffthrnng dieses Auf-
trags bereitwillig finden lassen , weil alle fürchteten, ebenso kühl
empfangen zu werden wie Daschkow; er lugt liinzu, die Re-
gierung habe gehoüt, dafs Gordon , ein ünterthan Karls II., er-
folgreicher als Diplomat wirken werde (I. 368).
Oordon reiste über Nowgorod nach Biga, hierauf aur See
nach Lflbeck, dann über Hamburg und Hannover nach Brügge,
wo er die Nachricht von der furchtbaren Feuersbnmst in London
erhielt, welche danials eiueu grölten Teil der englischen Haupt-
stadt in Asche gelegt hatte. Die Uberfahrt nach England war
nicht ohne Qe&hr, weil der Krieg awischen England und Holland
fortdauerte. In London trat Gordon Snfserlich nicht als Diplomat
auf. Er lebte vielmehr als Privatmann, verhandelte indessen fleifsig
mit den englischen Ministern und hatte einige Audienzen bei dem
Könige, welcher ihu sehr wohlwollend empfing, ihm jederzeit den
Zutritt in den Palast und in den königlichen Park gestattete und
sich bei ihm nach den Verhältnissen des Beiches Moskovien er-
kundigte. Von dem Verlauf seiner mit. dem Lordkanzler und
andern englischen WürdentrSgem gepflogenen TTnterhandlungen
spricht Gordon in dem Tagebuche leider nur ganz kurz, wobei
er auf seinen Gesaudtschaftsbericht verweist. Dieser ist uns nicht
zugänglich gewesen. Dagegen teilt er in seinem Tagebuche das
Schreiben Karls II. an den Zaren Alexe! mit. Aus demselben
376
Patrick Ok>rdoa (1635—1699).
ist zu ergehen, dafs Biuftiland uur zum Teil KünzesBionen gemacbt
hnitf. Namentlich die Frage von den Privilegien der engliachen
Kaofleate blieb offen.
Gordon yerweilte einige Wooben in London , wo er Tielo
Bekannte hatte, sich einer heitern Geeelligkeit hiugab nnd mancher-
lei Einkäuic uu Luxusgegcnstämien machte. Auch den A'crwandten
des Königs, Ruprecht von der Pfalz, lernte (Jordon kennen. Am
meisten und liebsten yerweilte er im Hause und in der Familie
John Hebdona, welcher später ala englischer Gesandter sich lange»
Zelt in Hoskau aufhielt. Diejenigen englischen Kaiufleate, welche
Handelsbeaiehnngen mit Bnfoland unterhielten, machten in London
Gordon den Hof. Auch gaben sie ihm bei seiner Abreise das
Geleite.
Auf der Bückreise besuchte Gordon in Hamburg die ehe-
malige Königin Schwedens, Christine. £r hatte gehofft} einen
Ball, welchen die Tochter Gustav Adolfs gab, mitsnmachen, kam
aber zn spMt in Hamburg an. Er hörte bei der Königin die Messe.
Seine eigentliche Heimat, Schottland, hatte Gordon nicht
besucht. In seiner Instruktion stand der gemessene Befehl, so-
gleich, ohne Aufenthalt, aus England zurückzukehren. Nach
nahezu ei^jfihriger Abwesenheit erschien er, Ton seinem inzwischen
aus der polnischen Gefangenschaft befreiten Schwiegervater
empfangen, in der deutschen Vorstadt. Ans der Hauptstadt
erhielt er den Befehl, zunächst in der Vorstadt zu verweilen und
eist später über seine Reise Bericht zu erstatten. Vielleicht war
dies eine Quarantänemafsregel, weil man in KuTsland die dAmal»
hl England herrschende Fest fttrchtete.
Seine Besorgnis, dab man ihm die BetBekosten nicht so bald
zurückerstatten werde, erwies sich als gegründet. Jahrelang hat
er in dieser Angelegenheit petitionieren müssen. Erst im Jahre
1681 erhielt er den Kest seiner Auslagen. Vielleicht war die
russische Regierung mit dem Erfolge von Gordons Reise unzufrieden.
Nirgends ist einer Belohnung erwähnt, welche Gordon für seine
diplomatische Heise erhalten h&tte. Lidessen ist auch das Quellen-
material in der auf diese Heise folgenden Zeit nuToUständig« Am
. k)ui^cd by Googl
FMrick Qordon (1685-1689).
377
6. Juni 1667 war 6k>rd(m von aalner Bebe surttokgekehrt. Am
35. Joni reiM das Tagebneb, soweit es erhalten ist, ab und die
Fortsetzung beginnt erst mit dem Januar 1U77.
Man hat vermutet, Gordon sei unmittelbar nach seiner E,ück-
kehr aus En^lnnd in Ungnade gefallen. Dsu'auf könne man aus
dem Befehl schliefsen, er solle in der Sioboda verbleiben. Dafs
er sodann in Kleinruisland habe dienen müssen, sei als eine Art
Yorbannung anfenfassen. Solche Behauptungen entbehren jeder
Begründung. In dem Tagebuche findet «ich keinerlei Bestätigung
dieser Annahme.
In KleinruMaud. Tsehigiriii 1677 nnd 1678.
Von dem auf die Reise nach England folgenden Jahrzehnt
in (iordons Leben wissen wir nur wenig. Er befand sich den
grölsteu Teil dieser Zeit in Kleinrufsland, wo partielle Rebellionen
der Kosaken fortwährend eine gewisse militärische Aktion seitens
Bulslands erforderten. Gordon hielt sich mit seinem Biegiment
in versohtedenen Städten anf, wie Tmbtsehewsk, Bijansk, Kowyi-
Oskol. Sern Haaptan&nthalt aber war die Stadt Ssjewsk. Hier
hatte er den Schmerz, seine erste Frau, die geborne Bockhoven,
zu verlieren. Hier heiratete er zum zweitenmal, und zwar die
Tochter eines Obersten Boooaer. Aus der ersten Ehe blieben
yiw Kinder am Leben; ans der aweiten nur ein Sohn, dessen
Gesdiwister alle im aarten Alter starben. Von hier nntemahm
er im Jahre 1669^70 abermals eine Beise nach Orofsbritannien.
über welche uns indessen keinerlei Einzelheiten bekannt sind,
so dal^ ^'. ir nur vemiuten köniien, dals er bei dieser Gelegenheit
md\ iünizehn jähriger Abwesenheit von der Heimat seine Aitern
besucht haben werde.
' Von dieser Beise spricht Qordon in einer 1685 an die Be-
gierong gerichteten Bittschrift: er habe, als er 1670 ans seinem
') Vgl. Berpmann, Feter der Grofse, VI. IBO, und' Posselts Aua«
führuugen und Hypothesen in der Edition des Tagebuchs, L XXX
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378
Patrick Gordon (16116-1099).
Yaterlsnde nach Bnialaod sarftckgekehrt sei, den Sold der Offiziere
anf den dritten Teil herabgeaetit geftindoiy daker um a^en Ab-
aehied gebeten, aber denselben niebt erkalten.
Eine unliebsame Episode ereignete sich Anfang' 1677. G-ordoii
war nach Moskau gereist, wo er einige Wochen bis März verblieb.
Inzwischen war der Zar Feodor Alexejewitsch auf den Thron
gelangt. Es gab bei Hofe neue Personen, neue Verhältnisse.
G-ordons frühere Gönner spielten keine Bolle mehr. Hin so be-
denklicher war es, dafs einige Soldaten Ton Gordons Hegiment
gegen ihn Klage füluleu. Aus (Tordonb ragebuche iöt zu erselu-n.
dafs er sich für uichtschuldig hielt und dal's er in der Haudiungä-
weise der Soldaten eine von dem Obersten Trauemicht angestiftete
Intrige erblickte. Als Gordon mit dem Obersten in dem Haase
des Fürsten Tmbeskoi susammentraf , überschüttete er ihn mit
Vorwürfen r welche Tranernicht schweigend hinnahm. Anf die
in jenen Kreiden herrschend* iklouil kann niiin aus dem Umstände
schliefsen, dafa Trau'^rnicht durch seinen Schwager Gordon ein
Xompromifs anbieten liers: gegen die Auszahlung einer Summe
von 300 Pfd. St. sollten die Soldaten yermocht werden, von
ihrer gegen Gordon erhobenen Klage abzosteben. Gh>rdons Ant-
wort war, er werde lieber für einige Heller Stricke kaufen, um
seine (iegrier daran aufknüpfen zu lassen. Er hatte erfahren,
dal's eine gewisse Streuge, welche er in der Disziplin hatte walten
lassen, die Soldaten gegen ihn aufgebracht hatte, und konnte ein
Papier vorweisen, in welchem die Bewohner von zwanzig klein-
rassischen Dörfern über das Wohlverhalten der Truppen Gördens
sich in Lobeserhebungen ergingen. Der Regierung konnte es
nur lieb sein, wenn die üiii/iere Mannszuclit hielten. Der Fürst
Bomodanowskij dankte Gordon ausdrücklich für dessen dem Zareu
geleisteten Dienste. Die ganze Angelegenheit hatte den Charakter
rfiokevoller Kleinlichkeit. Sogleich nachdem die Sache im Ssinde
verlaufen war, reiste Gordon nach Spjewsk zurück. Wir dürfen
Dafs in der That damals der Sold herabgesetzt wurde, wissen
wir auch aus IFcchners Chronik der evangelischen Gemeinden in ICoskaa
(Moskau 1876), 1. 347.
. k)ui^cd by Google
Patrick üordon (1636- 16»9;.
379
vermuten, dafs diese leidige Angelegenheit die Veranlassimg zur
Heise in die Hauptstadt gewescu war.
Das Tagebuch eutliält manche Einzelheiten über Gtordonfl
Xieben und Treiben in Ssjewsk. Wir erfahren daransi dafe er in
lebbaftem Verkehr mii hoehgestellten Bossen stand, dafs er sie
nicht selten bei sieh bewirtete. Seine Tüchtigkeit nnd faeh-
mänuiscbfj Bedeutung verliehen ihm ein bedeutendes Ausehen,
machten ihn aber zugleich unentbehrlich. Daher bliebeu beine
Bitten um Cntiassung unberücksichtigt. Mehr als je früher be*
durfte man seiner, als 1677 der Krieg mit der Türkei ausbrach.
Kleinmfsland war lange Zeit in dem Kampfe awischen KnJs-
Umd nnd Polen das Streitobjekt gewesen. Kleinmfsland wurde
die Veranlassung zu dem Konflikt mit der Türkei. In dem Frieden
von Andrussow hatte Polen l<)b7 das linke Dnjeprufer den Russen
abgetreten. Während der doranffolgenden Unruhen aber hatte
der Hetman Doroschenko sich unter den Schuta der Türken und
Tataren begeben, war sodann von der Türkei wieder abgefallen
nnd hatte die wichtige Festung Tschigirin den Bussen über-
antwortet.
In dem Kampfe nun, welcher in den Jahren 1677 und 1678
zwischen den Türken und Russen um den Besita der Festung
Tschigirin entbranntOi sollte €K>rdon eine hervorragende Bolle
spielen. Es war der erste Konflikt Bnfslands mit der Pforte.
Bis dahin hatte es nur mit den Quasivasallen der letsteren, den
Tataren, zu thun gehabt.
In seinem Tagebuche berichtet Gordon vielerlei von den Vor-
bereitungen auf den Feldzng im Frühling 1677. Er selbst setzte
sich mit seinem Begiment von Ssjewsk aus erst im Juni in Marsch.
Manche seiner Vorsehlfige mifsfielen, wie wir erfahren, den russi-
schen Offizieren, welche daswischen sogar sich weigerten, an den
von ihm in Vorschlag gebrachten Unternehmungen teilzunehmen.
Es gab infolge einer solchen nationalen Rivalität manche pein-
liche MomentOi wohl auch Gefahren für die persönliche Sicherheit
Gordons. Bin Glück noch, dafs die russischen Oberbefehlshaber,
Bomodanowsky und Golisyn, ihm volles Vertrauen schenkten, in
380
Patrick Gordon (1686—1600).
■chvierigen FSlIen seinen Bat h4irten und eeine Beharrlichkeit
in allen Widerwärtigkeiten, welche ihm die nueisdhen Qffiaiere
und Soldaten bereiteten, priesen (L 422 fg.).
Der Feldzug des Jalires 1677 verlief ohne besonders wichtig-e
Ergebnisse. In Tschigirin , dessen Verteidigung der Oberst
Tranemicbt leitete, war Gordon nicht; er enählt aber recht ein-
gehend die Geschichte der Belagemng dieser Festung durch die
Türken. Auch in Tschigirin begegnen wir dem G^egensatae awiachen
Bussen tind Ansländeni. Es fehlte nicht an Eeibereien Bwiseben
dem Konnnanil Ilten der Festung und den rusaificben Befehlshabern'
der ätrelzyregimenter.
Der Feldsng endete damit, dals die Annäherung des Armee-
korps, bei welchem G-ordon siab befand, die Türken anm Bfiek-
znge nötigte. Im Spätherbat folgten sodann Beratungen awiaehen
dem Oberfeldberrn Bomodanowskij, dem Hetman Eleinruüilands
Ssanioilowitsch und G-ordon über die Art. wie in dem nächsten
Jahre der Feldzug wieder auigeuommen werden sollte. Wir
sdien somit, dafs Gordou im Kriegsrate an den ersten Leuten
aäblte.
Dennoch börte er nicht auf, an die Bückkehr in die Heimat
zu denken. Schon während des ersten Tsohigirin-Feldzuges hatte
er debhalb Schritte gethan und tiiiiiiren, dafs einige Aussicht
auf Erfüllung seines Wunsches vorhanden sei. Da Hefs ihn eines
Tages der Fürst Bomodanowskg rufen und eröffnete ihm mit
dürren Worten, dafo er seinerseits nie in eine Entlassung GKirdons
willigen werde (I. 450).
Inswischen snchte man von anderer Seite m gonsten Gordons
zu wirken. Der ])ereits oLeu erwaiinte John Hebdon überreiclite
als englischer Gesandter eine Note, in welcher Karl 11. um die
Entlassung Gordons bat. Als Gordon davon erfuhr, eilte er selbst
nach der Hauptstsdt, besuebte eine grolse Anaabi von Beamten
und Magnaten, erfuhr aber, dals der Zar seiner Dienste in dem
zweiten Tsehigirin-Feldzuge bedürfe, ja dafs ihm ein sehr wichtiger
und verantwortlicher Posten vorbehalten sei. So (nitschlofs er sich
denn, zunächst nicht mehr aui seiner Entlassung zu bestehen.
. kiui.cd by Google
Patrick (rordon (lööö 1699). 381
Fast scheint es, als habe man ihm den Posten eines Kom-
mandanten der Festung Tschigirin geben wollen; indessen wurde
nicht er, sondern ein Kusse, E.shewskij, ernannt. Neben diesem
wirkte nim Gordon 1678 als thAtsäohlicher OberbefabiBhaber der
▼OD den Türken beli^gerten Festung.
Ln Jahre 1677 hatte Gordon gana besonden bei der An-
legung von Schanzwerken Erfahrung und Umsicht geaeigt. In
einigen l'upieren wurde er ^Oberst und Ingenieur" tituliert. Er
verbat »ich die letztere Bezeichnung, weil er das Geniefach nicht
kenne und der Titel eines Ingenieurs demjenigen eines Obersten
nichts an Ehren hinaufttge. Man erwiderte, dafs man bei Ge-
legenheit der aweiten Belagerung Tschigirina gerade auf diesem
Gebiete auf seinen Eifer und seine Erfahrung rechne, in Zukunft
abrr ihn mit der Verweuduiig in dieser Spezialität niciit be-
lästigen werde.
Die Verteidigung Tschigirins ist vielleicht die hervorragendste
Leistung Gordons. Hier handelte er am selbständigsten. Weder
jrnher noch später hat sein Leben in solcher Gefahr geschwebt
wie bei den K&mpfen des Jahres 1678. Niemals bedurften die
Bnssen seiner in dem Ghrade, wie bei dieser Gelegenheit. Nie
haben sie so uiiumwunden seine Überlegenheit, seinen Mut, seine
militärische Bildung anerkanut wie bei dieser denkwürdigen Be>
lagerung, deren Geschichte uns in allen Einzelheiten yorwiegend
durch Gordons Tagebnch bekannt geworden ist.
Schon hei der Anlegung von Befestigungswerkeu hei Baturin»
der Besidena des kleinmssisdien Hetmans, fiel sein Rat sehr be-
deutend ins Gewitlit. lu Tschigirin spielte er durchuufj die erste
Kolle. Von seineu persönlichen Beziehungen zu dein Komman-
danten Rshewskij ist wenig die Bede. Es gab Meinongsver-
schiedenheiten awischen beiden. Bshewskg verlangte die Be-
seitigung eines Walles; Gordon suchte die Notwendigkeit der
Belassung und sogar der Verstärkung desselben darsuthon (I. 481).
Diesmal entschied der Wille Rshewskijs. Sonst scheinen alle Dis-
positionen wesentlich von Gordon aubgegangen zu sein. Er sandte
dem f'ürsten Golizyn den Plan der Festung; er leitete alle Be-
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382 Patrick Gord<m (1686—1609).
feBtigongBarbeiteii ; er erfand eine neue Art Xflhlateine für die
Handmtllilen , besondere Karren für die stim Schanzen nötige
Erde, eine neue Art von Schanzkörben.
Sehr oft hatte er mit der Animosität seiner russischen Kol-
legen, mit der Widerspenstigkeit seiner TJntergehenen au kämpfen.
Der Gkist der russischen Truppen Hefa viel su wttnschen übrig.
Gordon selbst arbeitete unablässig, setzte sich den allergrörsttn
Gfefahreii aus. Gleiches verlangte er von den andern. In eut-
ficheideudeu Augenblicken schoute er die Soldaten nicht. £r
mag als Chef streng gewesen sein; man kann ihn in dieser Hin-
sicht mit Künnich vergleichen. Aber die Schwierigkeiten, denen
er begegnete, hätten auch den Geduldigsten ans der Fassung ge-
bracht. Als Gordon einst einen tiefen Graben ziehen lassen
wollte, weigerten sich die Kosaken zu arbeiten ; Gordon mufste
seinen Plan aufgeben. Als er, dank sei es seiner technischen
Geschicklichkeit, bei einer andern Gelegenheit die auf seinen
Anteil entlaUende Arbeit rascher Tollendete als seine russischen
Kollegen, waren die letzteren unzufrieden und in gereizter Stirn*
mung. Oft stiefsen seine Batschläge inbetreff der anzulegenden
Befestigungswerke auf Widerspruch. Selbst seine Anhänger
mufsten bisweilen, wenn sie ihm zustimmten, mit ihrer Meinung
zurückhalten. Die russischen Offiziere, welche mit der Fortifikation
unbekannt waren, äufserten nicht selten Zweifel an der Zweck-
mäTsigkeit der Anordnungen Gordons, Dennoch bedurfte man
seiner bei jeder Gelegenheit, wenn Kanonen geprüft, wenn die
Quantitäten der Vorräte kontrüiliert wurden u. s. w. Seine Be-
deutung stieg mit der Gefahr.
.Am 8. Juli erschienen die Türken vor der Festung. Am 9.
machte Gordon einen Ausfidl, mubte sich aber zurückziehen. Ala
an dem folgenden Tage der Aus&ll mit verstärkter Truppenzahl
wiederholt werden sollte und Gordon die Leitung des Unter-
nehrii»'ns für sich in Anspruch nahm, protestierten alle Mitglieder
des Jlriegsrates dagegen, dafs Gordon sich einer solchen Gefahr
aussetze. Als Gordon seinen Willen durchzusetzen suchte, berief
Digitized by Google
Patrick Gordon (1635—1699).
383
sich Rshewakij auf eine besondere Instruktion des Zaren Feodor,
der zufolge Gordon nie bei Ausfällen verwendet werden dürfe.
Wiederbolt klagt Gordon in seinem Tagebuche über den
Mangel an Eifer und Hat bei den Offiaieren und Soldaten. Die
Naehliiatgkeit der Streliy machte es den Türken mögliehi ihre
Lan^rftben der Festung zu nähern. Indem Gordon aus «einer
Tasche jedem, der eine tiirkisciie PVhue oder einen Gefanefenen
einbringen werde, eine Belohnung von 5 Kübeln verBpracii, be-
merkt er, dafs er damit sehr wenig nakiert habe. Einst iuitte er
Ursache, in den heftigsten Aofsernngen die mssischen Obersten
zu tadeln, dab sie nachts eine ihnen anTertraate Kontreskarpe
▼erlassen hatten ; es kostete ihm grofse If ühe, sie en ▼eranlassen,
in der folgenden Nacht auf ihrem Posten auszuliarren.
Als die Türken die Festung immer harter bedrängten und
die Gefahr stieg, erzählt Gordon, wufste niemand, was er zu thun
habe. Alle kamen za Gordon und flehten ihn an, er solle irgend
ein Mittel ersinnen, die Feinde fem za halten. Alle hauten auf
seine Erfindungsgabe, aber niemand wollte sieh einer Gheiahr aus-
setzen, weil man zu glauben schien, dafa Gordon und die andern
Ausländer Wunder zu thun vermochten. Er hielt m indesbüu
für angemessen, die Belagerten nicht mit falschen Hoffnungen zu
täuschen, und erklärte geradeaus, dafs die Gefahr nur dadurch
verringert werden könne, dab Jeder auf dem ihm anyertrauten
Posten aashalte (I. 500). Überall, an den der Gefahr am meisten
ausgesetzten Punkten , war Gordons AnweHenheit erfordcirlich.
Einst, als die Türken eine Bresche gemacht hatten, stürzte Gordon
ihnen entgegen, aber nur ein Major und etwa sieben bis acht
Gemeine folgten ihm.
Weniger heroisch Terluhr er in folgendem Falle. Indem
er eine besonders bedrohte Stelle verteidigte, erkannte Gh>rdon
die Unmöglichkeit, dieselbe noch htnger zu hehaupten. Da er
nun, wie er naiv erzählt, nicht wünschte, dafs diese Brustwehr
„sozusagen in seinen Händen starb«, verlangte er bei Soonen-
aofgang abgelöst zu werden. Die Bussen lehnten es ab und
verlangten, Gordon solle noch einen ganzen Tag auf dem Posten
384
Patrick Gordon (1685—1699).
▼erbleiben. Bshewsl^j entsehied zu goDstea Gordone. Eine
Stunde später hatten die Türken die Position inne (I. 499). Wir
wissen niclit, ol) (lordon nicht ein gewiBBes Recht hatte, aaf Ab-
lösung zu liestehen.
Gördens Tapferkeit war über allen Zweifel erhaben. Er
wurde mebrmals yerwiindet. Am 10. Juli beaebüdigte ein dnrob
eine Kanonenkugel abgesprengtes Stttök Hols seine Hand. Zwei
Tage später verletzte ihm eine Bombe drei Pinger der linken
Hand „bis zu den Knochen". Am 15. Juli erhielt er einen
Schufs in die Nase und in das Kinn ; am 28. Juli verwundete ihn
eine Handgranate am linken Fafse. Am 30. Juli wurde er dreimal
dnrob Handgranaten am rechten Beine verletat (I. 491 — 503).
Behon drei Wochen wlbrte die Belagerung^ ohne dafs die
rassische Armee unter Bomodanowskijs Leitung zum Entsätze
derselben erschienen w.uc An demselben Tage, an welclieni man
endlich die heranrückenden Russen erblickte (3. August), wurde
der Kommandant von Tsobigirin, Bshewskij, durch eine Granate
getdtet. Gleich darauf ersduenen alle Obersten und andern
Offiziere bei Gordon mit der Bitte» den Oberbefehl in der Festung
zu flbemebmen. Es geschah, ohne dafs an der Saohlage dadurch
viel geändert war, weil Gordon thatsächlich auch früher schon
der eigentliche Leiter der Verteidigung gewesen war.
Die Uoffiaung, d&is man von Komodanowskij Hilfe erhalten
werde, erwies sich als eitel. Ja, der letztere ging so weit, zur
Verstärkung seiner Armee einige Regimenter, welche sieh in der
Festung befanden, zu verlangen, was Gordon mit Entschiedenheit
ablehnte, wfthrend viele der in Tschigirin befindlichen Offiziere
in das Lager Romoddiiuwskijs überzugehen ¥rün9chten. weil man
dort seines Lebens sicherer war als in dem hart bedrängten
Tschigirin.
Gordon hatte Ursache, über seine Offiziere Klage zu fUhren.
Auch die Soldaten, insbesondere die Kosaken, erfüllten nur ungern
ihre Pflicht bei HersteOung der yon den türkischen Geschossen
beschädigten Festungswerke. Gordoa baute so wenig auf den
Geist seiner Truppen, dafs er dem Feldherm Bomodanoswk^,
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Faftriok Qordon (1635—1699),
385
weldher ▼«rlaagte, dftfo ma ddr belagerten Feetong ein Anefidl
gemacht werde, folgenden Beweis von der Tlnmö^lichkeit eines
solchen ünternehmüDs lieferte. In Uegenwart des von ilomo-
danowskij abgeordneten Obersten Qribojedow wählte er 1 ^0 der
betten Soldaten und 10 — 15 der betten OSSaaan am allen Ae-
gimentecn vaa, liefe eie reichlieh mit Braimtweiii bewirten und
■teilte sieh selbst an die Spitse ^eser Abteilong, nm dieeelbe
aus dem Retranchement deb initilern Bollwerks den Türken ent-
gegeozufüliren. Xur der fünfte Teil der Jüannschaft folgte: die
andern konnte man auf keine Weise dazu Termögen, den das
Betranchement umgebenden Ghrsben m verlassen. Als türkiBclier-
seits Handgnumten geworfen wurden, wandte sieh alles anr Flnohi:
Gordon snehte die Fliehenden anfsuhalten, geriet aber dadurch
in die gröfste Gefahr: ein Soldat ötacli mit der Pike nach ihm;
andere bedrohten ihn.
Die Lage wurde dadurch immer bedenklicher, dafs Bomo-
danowskijs Evolutioaea den Intentionen Gh>rdons keineswegs ent<
sprachen nnd dals die Belagerten mit dem Hauptheere nur mit
gröfster Schwierigkeit in Verkehr blieben. Die Türken stürmten
von allen Seiten; mehrere CTcbäude in der Festung gerieten in
Brand; an mehreren Stellen wurde mau mit den Türken hand-
gemein. Die Besatzung begann auf ihre Rettung zu denken.
Während Qordon selbst unablässig bemttht war, die am meisten
bedrohten Punlcte zu behaupten, erfahr er am Abend des 11. Augnsti
dab viele Offinere bereits ihr Gepaek in das Lager Homodanowskijs
hintiberzuschaflPen begonnen hätten. Er überhäufte sie mit Vor-
würfen. Ein Offizier behauptete, es sei ein mündlicher Befehl
angelangt, die Festung zu yerlassen. Gordon erklärte, er werde
ohne einen schriftUehen Befehl keinen Sohritt aurfiekweiehen.
Eine solche schriftliche Weisung erhielt er denn auch um 3 TJhr
nadits, nachdem manche Obersten die Festung bereits eigenmächtig
verlassen hatten. Gordou traf nun Anstaltnij dafs die iii der
Festung befindlichen Kanonen entweder mitgenommen oder ein-
gegraben würden, und erzählt, dafs die russischen Ofiiziere sich
geweigert hätten, seinen Befehlen nachsnkommen, während einige
386
Patrick Gordon (1686^1609)^
Anal&nder aiit Werk gingen. Indessen fehlte es in Leuten, und
Gordon mnfsto die Eenonen ihrem Scihtcksale überlMsen. TJm
die Soldaten möglichst lange zum Verbleiben in der Festung zu
vermögen , hatte Gordon sein silbernes Service auf den Tisch
stellen lassen: er wollte zeigen , dals die Gefahr nicht so aufs
finfserste gestiegen sei und dafs man noch Zeit haboi den Blkik-
ng in geordneter Weise an regeln. Indessm war kein Halten
mehr. AUes rettete sieh. Znletst blieb Gkirdon nnr mit wenigen
Soldaten in der Festung. Er befahl zwei Soldaten , Feuer an
die hölzernen liastionen zu legen. Sie gehorchten nicht. Eigen-
hindig hat dann Gordon selbst das Himitionshaas in Braod
gesteckt.
Anfserordentlioh drastlsoh, spannend, romanhaft ist Gordone
einfache, schmucklose ErsKhlong, wie er als der letste die
Festung verliefs, die Wälle flberkletterte, ▼on dem Donkel der
Kacht bef?ilnstigt durch die dichten iiuufen der Feinde kam und
nach mancherlei Gefahren völlig erschöpft im Lager der Bojaren
Mschien, weldhe, ohne eine Schlacht gewagt zu haben, über den
Bfieksng der gansen Armee berieten. £s gab dabei noch einige
Soharmfltael mit Tttrken und Tataren, bei denen Gordon wesent-
liche Dienste leistete.
Seine Erzählung von der Belagerung Tschigirins bescliliefst
Gordou mit den Worten: .So wurde Tschigirin verlasseu und
verloren, nicht erobert" (I. 540). Er konnte mit Gbnugthuung
seiner Anteilnahme an diesen Ereignissen gedenken: er hatte in
ausgedehntestem UmÜMige seine Pflicht gethan. Der ICUserfolg
war dem Mangel an Dissiplin und der saudemden Handlungsweise
Romodanowskijs zuzuschreiben. Hätten alle ihre Pflicht so eifrig
erfüllt wie (lordün, ho wiirc Tschigirin nicht verlassen worden.
Es war ein harter Schlag für Knfsland. Gordon selbst, welcher
jahrelang in Kleinrulsland lebte, konnte den Umfang dieses Ver^
Instee am besten ermessen. Tschigirin war einst die Be sid e ni
des berühmten Hetmans Bogdan Chmelnisfci gewesen.
Die Begiening lohnte die Verdienste Gk>rdon8 mit Verleihung
des £,auges eines Generalmajors (II. 'ddö), was übrigens Gordon
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PMriok GordoD (1685-1699).
887
nicht bindern konnte, aeine Entlaasungsengelegenheit weiter ma
betreiben. Da das Tagebuch Tom September 1678 bis snm
Jannar 1684 eine Lücke aufweiet, so wiBsen wir nur aus eiTizelneu
in andern Teilen desselben verslrt-uteii Anmerkungeu, dafs seine
nach Beendigung der Tachigirin-Feldzügc wiederholte Bitte am
Ent laiwmg abermala kein Gehör land. Man bedurfte aeiner in
K^ew, weil ein Angriff der Türken anf dieae Stadt erwartai
wurde. In K^ew Terblieb er bia snm Jahre 1686.
Dafs Gordon während der Unruhen der Strelzy hei Gelegen-
heit des Thron weciiseis 1682 nicht in Aloskau war, kann ab ein
Glück für ihn gelten. Er hätte leicht daa Loa mancher hoch-
geateilter Beamten und Kilitära teilen können, welche damala
unter den HMnden dea Soldatenpöbela ihr Leben aoabanchten.
Ancfa Bomodanowddj war ein Opfer dieser Esaesse geworden.
Gördens StrebtMi, ]^Iann.szut:hL zu üben, konnte? leicht dazu lulacu,
daf^ die Soldateska ihn hafste. Uberiües war er ein Ausländer^
ein Ketzer.
Der Kampf nm KleinruTalandy welcher 87 Jahre gewährt
hatte, achlofii mit dem Frieden, den Bulaland mit der Türkei
1681 Tereinbarte. Der Waffenatillatand mit Polen (der Vertrag
von Audmsaow war kein eigentlicher Friedenstraktat gewesen,
sondern hatte nur eine Art i^rovisorium geschaffen) wurde 1678
anf 13 Jahre erneuert. Der endgültige friede mit Polen kam
1686 anatande.
Daa Ergebaia war, da& Sjjew in BoTalanda HSnden yer-
blieb. Dagegen gab es nm dar Saporoger Kosaken willen, weldie
sich unter der Oberhoheit beider Mächte befmdea aollten,
mancherlei Konflikte mit Polen, über deren Verlauf der verloren
gegangene Teil von Gordona Tagebach nnsweifelhaft viel inatruk-
tive Angaben enthielt.
Qordona Stellung in dieaer Zeit war angeaehen und ehren*
voll. Er folgte mit ümaicht den politiachen Ereignissen ; er
beriet häufig mit dem Hetman Kleinrufslands, Ssamoilowitsch ;
er Uefs allerlei Befestigungsarbeiten ausführen. Iude»äen gab es
für ihn, aoweit una daa Tagebuch der Jahre 1684 und 1685
26*
388
Patrick Gordon (1686—1099).
darüber nntemt^tet, eine Art Stillleben. Es ist viel Ton ge>
selligen Freuden y von BlUlen» Maskermden, Jagdpartien und
Picknicken die Kede, welche inebesondere in den Kreisen der
Ausländer stattfanden.
Eine wichtige Episode war ein knrzer Aufenthalt in Moslcaa,
Anfang 1684. Dort spielte als hervorragendster in ister der
Begenün Sophie der Färst Wassilij WassUjewitsch Golizyn die
Hauptrolle. Kit diesem war Gh»rdon bereits frflber oft nsammen-
gekommen. Jetst fanden längere Unterredungen swischen Gor>
don und Golisyn statt t man beriet über die Lage KleinroTdaiids,
die Beziehungen zu Kaiser Leopold , die Orientalische Frage.
G^oihsyu war zu einer gröfsern Unternehmung g^en die Tataren
geneigt, hegte aber kein Yertranen zu. Polen und erkannte die
Schwierigkeiten eines Feldangs in dem heutigen Südrulslaiid.
Gordon dagegen hoffte auTersichtUdi auf Erfolg. Von Golisyn
aufgefordert, verfaTste er ein recht umfimgreiehes ICemoire über
die l^Iöglichkeit des Gelingens einer aggressiven Bewegung gegen
die Krim.
Bob Aktenstück ist im Tagebnohe mitgeteilt. Görden geht
diesmal^ was sonst nicht leicht yorkommt, Uber das Militär-
technische hinaus und bringt allerlei politische Erwigungen tot.
Unter den gegen ein solches TFntemehmen geltend zu madienden
Gründen fuhrt er die ]kiii lrr j ihrigkeit der Zaren an. ,,Die
Begontschaft/' meint er, „könne leicht im Falle des Mifserfolgs
sich den Zorn des bald mündig werdenden Zaren susiehm: bei
der Zweiherrschaft könnte leicht in den höchsten Kreinn Zwie»
tracht und Hader entstehen, es gäbe dann Parteiung unter deo
Bojaren, allerlei Gefahren für den Staat.'' Auch auf den Geld*
man gel , die Mifslichkeit eines Angriflfakriegs vom Standpuukte
des Völkerrechts, die UnzuverliUsigkcit Polens wies Gordon in
seinem Gutachten hin. Indessen sucht er alle diese Bedenken
zu sterstreuen: er si&hlt einige Fälle auf, in denen während dar
Mindeijährigkeit yom Ffinten erfolgreiche Eriege geführt wurden.
*) S. d. vorhergehende Abhandlung über den Fürsten Golisyn.
. kiui^cd by Googl
Patrick Qordon (1636—1699).
389
Parteiimgen der Bojaren eutaprächen dem Interesse der leiztereu
nicht. Bas Heer mfisae man durch BelohniiTigen und 8trnfen
willig maohen; gegenüber den treubrüchigen Tataren Bei ein
Angrifiakrieg gestattet; auf Polen könne man bauen; Ja vm
Polens willen müsse man Krieg führen, weil Polen sonst Rnfs-
land zuvorkommen und mit den Tatarcu Krie^( führen werde, *
was Hofslaiid keinesfalls wünschen dürfe. Ein siegreiches Tülen
werde ein unbequemer Nachbar; ein besiegtes, am Ende gar in
einen Vasallenstaat der Türkei Terwandeltes Polen werde die
Sicherheit Bufslands kompromittieren. Auch allgemeine ideale
Gesichtspunkte, welche an die Zeit der KrenzzOge erinnern,
macht Gordon geltend. Er meint, es heifse ^Gott einen wesent-
lichen Dienst leisten'^, wenn man yiele Christen sus der Gefangen-
schaft befreie und den Tataren» dieser Aasgeburt der Hülle, die
Krim entreifse. Die technischen Schwierigkeiten des Feldaugs,
die Verpflegung der Truppen in der Steppe, erOrtert Gkirdon
ebenfidls, kommt aber zu dem Ergebnis, dafs an einem günstigen
Erfolge kaum gezweifelt >\urtUn dürfe.
Es ist anziehend, wie in diesem Schriftstück Kichtigeü und
Verkehrtes sich beisammenfinden. Die Besorgnis, dafs ein MiCs-
erfolg in der answirtigen Politik die Grundlage des Staates
eraehüttem werdoi sollte sich als durchaus gegründet erweisen.
Peters ünwiOe über die fehlgeschlagenen Feldzüge in der Krim,
1687 und 1689, war Hauptveranlassung zu dem Sturze der
Kegentin und Golizyns. Die Bojaren traten in zwei Parteien
auseinander. — Anderseits hatte Gordon in der Hauptsache
unrecht. Er glaubte an einen Erfolg; er hielt die Einnahme der
Krim für möglich. Darin täuschte er sieh. Einen solchen grund-
losen Optimismns teilte er mit dem serbischen Publizisten Jury
Krishan itsch, welcher ein Jahrzehnt vor O-ordon in einem aus-
fülirlichen Memoire ebenfalls die Eroberung der Krim als ein
sehr wohl au bewerkstelligendes Unternehmen empfohlen hatte. ^)
*) Vgl. meine AbhanfUunjr : Jnrij KrisJianitsoh und ilie ürieutaUsche
Frage in der ZeiUchrilt: Das alte und neue ßul'sland ^russisch), De-
zemberiieft 1876.
390
Patrick Gordoii (1636—1699).
Darüber, wio Golizyn Gordons (rutacliten aufgenommen habe,
wissen wir nichts. Gewifs ist, daTs die Unternehmung gegen die
Sjnm erst drei Jahre später begann.
Gordon Terblieb Animng 1684 nur wenig« Woohea in Mo«-
Ina. Sein Wnnechy fiberhanpt in die Hauptstadt ftberaiedebi sa
dürfen, blieb nnerfäUt. Bie Begen^n Sophie, welche ihn emp&ag^,
befahl ihm ausdrücklich , nach Kijew zurückzukehren. £s ixau
kein Widersprach: er mufste sich fügen.
Ilm Bo eifriger bat Gbrdon von Kijew aus, wobin er zurück-
gekehrt war, wenigstens um einen Urlaub za einer Beise naek
Schottland. Ans den sablreicben Angaben über diese Angelegen*
heit in dem Tagebacbe ersehen wir wiederum, dafs der Kdnig
Karl II. versprochen hatte, sich für (iordoji imi den Zaren Iwan
und Peter zu verwenden. Gordon korrespondierte mit einer
greisen Zahl von Personen Über diese Frage ; er legte eine gro&e
Zähigkeit bei Verfolgung seines Ziels an den Tag. In einer
umfassenden Klageschrift schilderte er seine Yerhiltnisse und
zeigte, wie dringend er seine Bfiekkebr nach der Heimat wünschen
müsse: seine Eltern waren 1684 gestorben; es galt jetzt seine
VermögeuBverhäliuisse zu ordnen, ein bedeutendes Erbe anzutreten.
£r klsgt über die Nichterfüllung der ihm in BuÜBland gemachten
ZuBSgen, Über Geldmangel, über seine geschw&ohte Gesundbeit,
darüber, dafs den Katholiken der Gottesdienst nicht gestattet sei
n. B. w. Nicht ohne Bitterkeit sagt er, dafs man ihn nicht ge-
kauft habe wie eine Ware , dafs er nicht al« Kriegsgefangner,
sondern als freier Jidann ins Land gekommen sei. Zu in Schlüsse
droht er, seine Familie werde, im Falle seines Todes, dem Staate
snr Last fallen (H. 83—91).
Wie gana anders empfand Gordon als Frans Lefort, mit
welchem er in dieser Zeit viel verkehrte! Leforts Gattin war
eine Nichte des Obersten Bockhoven, Gordons Schwiegervater.
Lefort lebte in Kijow längere Zeit in Gordons Hause. Auch
wenn Gi>rdon in Moskau anwesend war, besuchte er Lefort häufig.
Später sollten beide, in den neunaiger Jahren, in dem Verkehr
mit dem jungen Zaren Feter als Btvalen auftreten« Inbezug
. kiui^cd by Googl
Bfttriek Gordon (1685—1689).
891
aiif Anlagen nnd Temperament nntendfaieden ne sieh selir wwoti-
lidi vcmeinander. Gknrdon mr sa ftUerertfc OMcbSHttmann, tech*
Bischer Militär ; Lefort Tor allem leichtlebiger G-esellschafler. An
isLriegserfahning. politischer Bildung war (Tordon seinem jüngern
Genossen weit überlegen ; Lefort blieb als Militär stets J Jilettant.
Durch Mine sympathisohe Persönlichkeit^ dorch aeine liebenawär-
digen geeeUigen Talente wer Lefort für die Bolle einet Qfinstlinga
wie geschaffen. Gordon, bei welchem der Emst derG^hSftedie
GenniGBsnoht Überwog, die Energie des Charakters mehr bedeutete
als angebornes Talent, die Selbständigkeit des Willens stärker
war aU die Jb'ügsamkeit der X<aime andern gegenüber — trachtete
mehr danaohi dem Staate» dem er diente, nn nütsan, ala
die Bolle einea dem Fürsten befrenndeten HSflings lu spielen.
Beide, Gbrdon wie Lefort, dachten damala daran, BniUand
an Terlaasen. Bei Lefort war es ein vorübergehender Wunsch ;
bei Gordon eine Art System, ein Lcbensplan. Lefort erscliemt
als gesinnungsloser Kosmopolit, als eine Art Zigeunematur neben
dem konsequenten, als Katholik und Boyalist starr an der Partei
der Stuarts festhaltenden Gkurdon, Als Lefort wfthrend sebes
Aufenthaltes in der Schweis beredet wurde, nicht wieder nach
B-ufsland zurückzukehren , sondern etwa in Deutschland oder
PfHukroich, oder England, oder Holland Dienste zu nehmen, be-
stand er darauf, in Kufsland Karriere machen zu wollen. Gor-
don dagegen hatte jedesmal, wenn er leitweilig in aeiner Heimat
war, mehr und mehr das Gefflhl daTon, dafii er allein dorthin
nnd nicht nach Bo&land gehöre. Seihat ala mit dem Umachwunge
des Jahres 1689 Gordons Stellung durch seine persönlichen Be-
ziehungen zu dem Zaren Peter eine grofse Bedeutung gewonnen
hatte, hörte er nicht auf an die Bückkehr iu die Heimat zu denken.
Görden und Lefort befanden aich auch nicht in gleichen Yer^
hiltnissen. Lefort war ohne Yermögsn, genoJh kein Ansehen im
westliehen Buropa, hatte keine Verbindungen, gehörte keiner
Partei an , in Kufsland eher als anderswo konnte er auf eine
0 PoMclt L 318.
392
Patrick Qordon (1686—1699).
glänzende Xiaafbahii rechnen. Gordon dagegen war in Schottland
ein angesehener Gbrnndbesitseri Mitglied der königlichen Partei,
persönlich bekannt mit den Königen Karl II. und Jakob H.,
reich an Beaiehnngen an hervorragenden Personen in Terschiedeiien
Ländern ; er konnte stets sicher darauf rechnen , am Hofe der
Stuarts eine ehrenvolle Stellung einzunehmen. Xainentlich die
erachütternden Ereignisse des Jahres 1688 in England liefsen
ihn anf das lebhafteste wünschen, seine ganie Krafty sein Leben,
sein Vermögen dem Kampfe iür die Btnarts an weihen. Lefort
war aUer Politik gegenftber mehr oder weniger gleichgttlfig, er
hatte seine Sache auf nichts gc-sli lh ; er huldigte dem Grund-
sätze „Uhi bene, ibi patria*^ ; der Augenblick war ihm alles, die
Zukunft wenig. Mit warmem Herzen und inniger JTreondschaft
hing er seit dem Jahre 1689 Peter an. Gordon yerlor dagegen
keinen Angenblick seine Pflichten gegen England und Schottland,
gegen die Stuarts, gegen die Kirche, gegen seine Familie nnd
gegen sich gelbst aus den Augen.
Gordon erreichte sem Ziel nicht. Er mufste sich im Jahre
1686 mit einer Urlaubsreiso nach Schottland begnügen. £s war
das letate Mal, dafs er sein Vaterland sah.
Nach mancherlei Yerhandlnngen erlangte er durch die Qnnst
des Bojaren Golizyn die Erlaubnis zur Beise. Doch muftte er
Hchn^ (lattni und seine Kin lor, gewisseriiia Ist n als (Jeiseln, in
Kufsiaud zurücklassen. liei der Abschiedsaudieuz empfahl ihm
die Hegentin Sophie scharf und dringend baldige Rückkehr. Als
er sich bei Goliayn TerabschiedetOf bat ihn dieser ebenfalls auf
das dringendste, nur ja surflckankehren, weil er, der Ffirst, f&r
Gordons Rückkehr Bürgschaft leisten müsse, demnach sich der
aiiergroisteu Gefahr aussetze, wemi (jordouausbleibe (II. 119—120.)*)
^) Was im 17. Jahrhundert ein soldies Büigsdiaftleisten in Ruft-
land bedeutete, erfahren wir aus Kotoschichins Schrift über Rufsland
in der Zeit des Zarcu Alexei, Kapitel IV. §. 24. Kehrte jemand nicht
rechtzeitig^ aus dem Auslände zurück, so wufrlen dessen Rüriijen und
Verw andten geiauglich eingezogen, der Folter, der Vermögenseinziehung
u. B. w. unterworfen.
. kiui.cd by Google
Patrick Gordon (1635—1699).
393
£s wurde Gordon zur Piliclit t/emacht, an jedem Posttage an
O^olizyn za schreiben. 80 mochte der Fürst leichter instand ge-
seist sein, der £eise Gordons tu folgen.
Heise nach Sehottland 1686. Begradatloii.
GordonH Uoise nacli Eii^^l iiid im Jahre IGHß hatte einen
durchaus offiziellen Charakter gehabt. Er hatte damals keine Ge-
legenheit, seine Heimat sa besuchen, seine Verwandten zu sehen.
Yon der 1669 — 70 nntemonmieiieii Beiae dfirfen wir annehmen»
dafs Gordon dieselbe als Privaimaim gemacht habe. Uit Gewift-
heit kann man dieses von der Beise im Jahre 1686 sagen.
Gordon berichtet in seinem Tagebuche sehr auBfiilirlich über
die Einzelheiten seines Auicnthalts in der Heimat, ohne dats wir
Veranlassung hätten, auf dieselben hinanweisen. Wir fassen den
Beiseberioht gans kurz in den Hjsnptpnnkien ansammen. Gordon
reiste Anfang Februar ans Uoskan ab, Aber Nowgorod nnd Btga
nach Kemel; in Brannsberg bei KSnigsberg besnchte er seinen
Sohn Jarnos , welcher sich iu dem dort befindlichen Jesuiten-
kollegium aufhielt. Dann reiste er über Holland nach London,
wo er unter anderm den Lord Melfort besuchte ^) und einigemal
bei Hofe erschien. Der König Jakob II., welcher Gordon ab
eifrigen Anhinger des Hauses Stuart kannte, behandelte ihn mit
Wohlwollen, ja, fast kann man sagen, mit Ansseichnung.
Jn Lojidua fühlte sich Gordon so recht in seinem Element.
Seine Partei war am Kuder. Hatte er doch Cromwell einst als
„Erarerräter*' bezeichnet, und, als 1657 einige seiner Landsleute
einen diplomatiachen Agenten Oromwells, Bradshaw, umbringen
wollten, das XTutemehmon gelobt (L 146 und 154). Alljährlich
pflegte er während seines Aufenthaltes in Bufsland am 39. Hai
den Geburtstag des Königs Karl II. im Kreise von Landsleuten
zu feiern. Selbst in Tschigirin fand eine solche Feier statt. .Mit
Uber diesen vgl, Macaulay (Tauchnitz' Edition), VI. 428; nach
der lievolution von 1688 hielt sich Melfort in JElom auf, wo er iur
Jakob IL whrkte.
394
Pktriok Qorägm (1686—1699).
Sohmen wnabm er die Naohriebt Ton dem Tode Karle II.; amdi
epftter wird in Gordont Hauee der 29. U« ala ein Tag dee
dSchtmsees gefeiert. ICit Spannung erfahr Gh>rdon von den Er-
eigüissen nacli der Thronliesteififung Jakobs IT. , von der Ver-
schwörung MoQinoaths und der Hiurichtung desselben (IL 107).
Bald darauf erschien er selbst am Hofe Jakobe, welcher sich von
ihm Über die Lage in Hoskan berichten lielii. Auch dem 8chwieg«r^
aohne des KdnigSy dem Prinsen Georg von Bineniark, wurde
Gordon vorgestellt. Im Gkrten des Palastes von Saint-James
traf er auf seinen Spaziergängen ein paarmal mit dem Könige
zusammen, und nahm an einem Ausfluge teil, welchen Jakob LL
nebst seinem Gefolge auf der Themse nntemahm. Bei dieser
Gelegenheit mufste Ghirdon, welcher dem Kdnige mancherlei
Einaelheiten über die Belagerung von Tschigirtn eraShlt hatte,
seine Ansicht inbetrefiP einiger in der Nähe der englischen Hanpt*
Stadt anzulegenden Festungswerke mitteilen. Er traf ferner mit
dem Könige bei dem katholischen Gottesdienste im Palast, bei
einer Theatervorstellung — es wnrde „Hamlef* gegeben — sa-
sammen. Als Gkirdon vor seiner Ahreise nach Schottland sich
bei dem Könige verabschiedete, unterhielt sich Jakob II. nodh
einmal ausführlich mit Gordon über Bufsland und schlofs mit dem
Torschlage, Gordon solle nicht länger in Rufeland bleiben, sondern
baldmöglichst gatiz nach England kommen. Der König bemerkte,
Gordon könne in allen Stücken auf seinen Schuta rechnen; er,
Jakob, werde selbst an den Zaren schreiben.
In London, wo es eine Menge von Bekannten an besnehen
gab, verweilte Gordon drei Wochen. In Edinburgh erhielt er ein
Schreiben von dem Fürsten Golizjoi mit dem Auftrage, eine An-
zahl Ingenieure, Feuerwerker und Sappeure in ru sei "che Dienste
an nehmen. Das also, was Peter bei Gelegenheit seiner Beise in
den Westen 1697 und 1698 in groüiem Hafsstabe that, hatte aodi
der, Kinister Sophiens , der aufgeklärte Gt»lis3m , im Auge : die
Heranziehung intelligenter Arbeitskräfte für milit-ärische Zwecke.
Nach einem längern Aufenthalt in seiner engern Heimat bei
Aberdeen, wo Gordon mit Brcgelung seiner Familien- nnd Ver-
■■V
. kiui.cd by Google
Patrick GordoQ (1686—1699).
395
mBgantrerbiltnine beaohiftigt war, rebto er im Juni sn Matte
direkt ans Schottland nach Kufsland zurück. Seine Abwesenheit
von MobIvuh hatte sieben Monate gewahrt.
Die Eindrücke, welche er in England und Schottland
empüangeii hatte j dM Wiedenehea mit Freanden» Yerwandten
und Parfceigenoseen, der ganze Znsohniti des Lebens in Weit-
enropa auf einer höbem Hxdtaretiife, der Zauber eines regen
politieohen Wiilcen», anregende aosiale VerhaitnisBe — alles dieses
niulste den längstgehegten Wunsch Gordous, mit Jäuialand abzu-
rechneuj steigern.
Aber dem Wunsche Gkirdons entsprach das Intereese der
msaiechen Begiemng keineswegs. Wibrend Qordons Abweaenbeit
batte man den endgfiltigen Meden mit Polen gesebloesen: der-
selbe bedeniete die gemeinsame Bgf^retmiYe Aktion gegen die
Tataren. Entsclilossen zu einem Feidzuge in die ivriiu , konnte
die Regierung jetzt weniger als sonst jenen Gordon entbehren,
welcher wenige Jahre zuvor bei Tschigirin so wesentliche Dienste
geleistet und ein ansfnbrlicbes Ghitaobten über einen Feidang
gegen die Tataren Terfiarst batte. So konnie es, wenn Gordon
anf seiner Entlassung bestand» leicbt sit einer bedsoklieben Krisis
kommen.
Unmittelbar nach seiner Rückkeiir verkehrte Gordon , ohne
etwas über sein Vorhaben zu auTsem, ungezwungen, ja fast freund-
scbaftlicb mit dem Hanptleiter der Staat^geeoh&ftO| dem Forsten
Golisyn ; er war oft bei demselben in Tisch, planderte mit ihm
▼on seiner Beise, von England, von allerlei Vorkommnissen in
Westeuropa Überhaupt, fuhr mit dem Fürsten auf die Jagd. Bei
einer Audienz , welche die Regentin Gordon bewilligte , dankte
sie ihm, dafs er sein Wort gehalten habe und zurüd^ekehrt sei
(U. 158—159).
Bald sollte der wunde Punkt, die Frage von der Yerab-
Bchiednng Qordons, sur Erörterung kommen. Der K8nig Jakob II«
hatte sein Yerspreehen, in dieser Angelegenheit an die beiden
Zaren schreiben zu wollen. t?ehaltcn. Schon wiilirend seines
Auienthalts in Englaad hatte Gordon sich eine Abschrift dieses
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396
FMriok G«rdim (1886—1099).
SchmbeiiB verschafit. Anoh dar Heraog Gordon hatte an dea
Fürsten Golizyn geschrieben und denselben in allgemeinen Aus-
drücken mit vielen höflichen Redensarten um eine wolilwollende
Behandlung seines Verwandten, Patrick Grordou, ersucht. ^)
lütte September langte das Schreiben Jakobe in Moekau an
und wardoi da es keinen eigentlichen Residenten in der mssueheoi
Hauptstadt gab, yon dem niederländischen Gesandten Baron
Keller den Zaren eingcliiindigt. Der holländische Gesandte in
London, Citters, hatte auedi'ücklich den Baron Keller ersucht,
in dieser Angelegenheit, welche somit gcwissermafsen die "Re-
deatting eines internationalen Ydlkeirechtafalles erhielti die Ver-
mittlerrolle zn übernehmen.
Das Schreiben wurde Ton einem Holländer, welcher den
Englischen nur unvollkommen mächtig war, ins Russische über-
setzt. Gleichzeitig setzte Gordon seiuerseit» ein Memoire über
die Angelegenheit auf. Dieses alles gemshah bis zum 15. Sep>
tember. Ba das Tagebuch eine Lücke vom 15. September bis
mam S4. Oktober aufweist , wissen wir kaum etwas anderes yon
den Ereignissen in dieser Zeit, als dafs Gordon sein Memoire bei
der betrefTenden Behörde einreichte.
Als Gordon am ö. November sich mit der Bitte an den
Bojaren Golissyn wendete, seine Familie ans Kijew nach Moskau
kommen lassen wa dürfen, erhielt er „eine aweidentige Antwort".
Da erfuhr er, nachdem er am 9. bereits Pferde und Dienerschaft
nach Kijew gesandt hatte, nm die Seinigen nadi Moskau schaffen
zu la^stMi. am 16. durcii einige Heiner russischen Bekannten, die
Kegler ung sei entschlossen, falls Gordou nicht um Verzeihung bitte,
ibn und seine Familie in eine entfernte G^egend au verbannen .
Gordon hatte sich die äufserste Ungnade sugesogen.
In der grdlbten Bestttnrang eilte GK>rdon snm holländischen
Gesandten I welcher es indessen sehr entschieden ablehnte , ein
*) Vgl. diese beiden Schreiben in dem Xsgebuche H. 160— 15L
Als Qmnd tou Gordons wünschenswerter Rückkehr wird der Antritt
des ererbten Yermögens bezeichnet Seine Entlassung werde für viele
ein Sporn sein, in mssiBche Dienste an treten n. s. w.
Patrick Gordon (i685-im), 397
gatoB Wort fBr Qordon einanl^geB , und hinsnfttgto, die Bussen
seien anfgebracht üb«r Jakob II. » indem sie ans den Zeitungen
erfaliren hatten, der König von England sei nicht abgeneigt, ala
Bundesgenosse der Türkei aufzutreten (il. 161). Wir wissen
allerdings, dafs König Jakob sich keiner Beliebtheit bei der
rassischen Begiening erfirente. Gh>lizyn sagte etwas später einmal
zu Gordon: «Mit dem Vater und Bmder eures Königs konnten
wir nns so aiemlieh Tertragen, aber mit dem jetzigen Könige
können wir auf keine Art zurechtkommen , denn er ist über die
Mafsen stolz* (II. 226). Als Jakob bald darauf stürzte, war die
russische Regierung sehr zufrieden mit dieser Veränderung.
Gtordon suchte sich die Fürspraohe anderer Qönner au sichern.
Aber Überall erfuhr er, die Begentin sei fiber Gordons Eigennmi
höchUchst erzfimt und wolle ihn ezemplarisoh bestrafen. ICan
sagte ihm, es drohe ihm und seiner Familie das schlimmste Un-
heil, wenn er nicht schnell um Verzeiluing bitte. In einer so
bedenklichen Angelegenheit konnte er auf niemandes Hilfe rechnen.
Er bemerkt in seinem Tagebuche, er habe die ganze Nacht nicht
schlafen kQnnen, und fOgt hinzu, das Schlimmste sei, da& er
niemand habe, dem er seine G^edanken mitteilen k&nne, da er
fiberall nur auf Eigennutz oder Gleichgültigkeit stofse und anoh
in der That vielleicht niemand im st Lnde sei liim zu helfen.
Am 22» November begab er sich nach Ismailowskoje, einem
LustschloBse in der Kähe der Hauptstadt, wo der Hof weilte.
Dort empfing ihn Golizyn sehr ungnädig, überhäufte ihn mit
Vorwürfen und liafs sogleidi ein Dekret ausfertigen, demzufolge
Gordon, zum Ffthnrieh degradiert, sogleich verbannt werden sollte.
Die anwesenden russischen Grofsen tiiaten das Ihrige, dem i'mstt n
(lolizyn beizustehen und Gordon auch ihrerseits mit Vorwürfen
zu überhäufen, indem sie bemerkten, nur durch die unverzügliche
Bitte um Vergebung könne Gordon sein Schicksal mildem.
Wohl oder Übel mnlkte Gordon in Bttcksicht auf seine Familie
sich entsdüieliron, ein an die Kegierung geridiietes Papier auf-
zusetzen, in welchem er, übrigens mit einiger Zurückhaltung, um
Entschuldigung dafür bat, dais er mit seiner Bitte um Entlassung
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898 Patrick Gordon (168&-16d9).
»
den UnwiHeü der Zaren erregt lialje, und ferneiP zu dieoeu ver-
sprach. In den mafsgebendeu Kreisen wurde dieses Schreiben
nicht devot genug befanden. Man drohte öordon noohmala mit
der Strafe der Yerbennnng. erklärte er, man möge den Ent»
warf einer Bittadhrift aafitetaen laaaen: w werde alles anter*
schreiben. Ein paar Tage später erhielt er dann auch einen
solchen Entwurf, welchen er, mit "Weglassung einiger „unschick-
licher Stellen^*, abschrieb und überreichen liefs. „Als das Papier,**
eraählt er in seinem Tagebaohei dem Gbbeimen Bäte Tor-
geleaen wnrde, hemcbte ein tiefet Stillachweigen ; aaoii die Prin-
seasin sagte nicht ein Wort, da jedermann walate, dala Gordon
dorch Gewalt und Drohungen dam war gezwungen worden.''
So kam es deun nicht zu einer Verbajmuüg (iuidüiis. Am
11, Dezember erhielt er Yerzeihang. £r war nominell einige
Tage hindnroh Fähnrich gewesen.
Inswischen ereignete sich noch ein seltaamer Zwiaohen£ikU.
In England wolste man von Gordons Kifi^geacliiok nichts; man
bedurfte aber einer diplomatisehen Yertretang in Bnlsland. Indem
man Gordon zum englischen Residenten ernannte , meinte man
gleichzeitig seine Befreiung aus russischem Kriegsdienste bewirken
an können.
Am 29. November, also noch w&hrend der Zeit der Ungnade,
empfing Gordon von dem Grafen Hiddleton nnd den Staatssekre*
tiren des Königs yon England offizielle Schreiben mit der Kach*
rieht, er sei zum aufserordentlichen englischen Gesandten am
rassischen Hofe ernannt: die BeglaubigTingsschreiben sowie eine
ausführliche Instruktion seien bereits unterwegs. In England
meinte man, Gordon sei noch in Kiga, and wies ihn an, bis auf
weiteres dort au Terbleiben.
Gordon war sehr angendmi fiberrasdit, machte dem bolUln*
dischen Residenten sowie einigen höheren Beamten des Auswärtigen
Amleh vorläufige Mitteilung von dem Geschehenen nn 1 Iji-gab sich
mit dem Schreiben des Grafen Middleton zum Fürsten Golizyn.
Alsbald erfolgte die Entscheidung. Die B.egienuig erkl&rte
sehr ktthl, Gordon könne nicht englischer Gesandter werden, da
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Ffttriok Gordon (1086— IM).
399
man 0eiii«r Bieiute in dem beTontebenden Kriege bedflrfe; wolle
der König einen andern Gesandten ernennen, bo werde ein solcher
8©hr wolil aufgenommen werden.
So endet« diese Episode. Oordon bemerkt bitter, Gerechtig^
keit und 3iUiglceii seien auf seiner Seite gewesen» aber alle seine
YoTBteUiingen seien als Fabeln und HKrohen behandelt worden.
Selbst Gkttdons Bitte, man mOge ibm ans dem Auswärtigen
Amte eine Absebrift der Bntscbeidnng geben, damit er dieselbe
Hii den König Jakob IT. senden könne, wurde absclilägig beschieden.
Umgekehrt verlangte mau, dafs üordon das von ihm im Auftrage
der Begiening als Antwort auf das Schreiben des Grafen Hiddle-
ton Terfafste Aktenstflek vor Absendnng desselben yorweise. Man
darf annehmeui dala Gk>rdon in andern Biiefm nach England mit
seinen persSnliehen Ansichten über die ganze Angelegenheit nicht
werde zurückgehait* n haben.
Gordons Verbannung iu entferntere Gegenden des Reiches
sowie eine Degradierang zum Fähnrich waren ebenso untlumlich
wie seine Entlassung ans mssisohem Dienste. Man bedorüke seiner:
man bedurfte nicht eines Ffihnrichs Oordon» sondern eines Generals
Oordon. Am 2. Jannar 1687 erhielt er den Bang eines Generab.
Seine Beziehungen zu dem Fürsten Golizyn waren wie zuvor. ^)
Inzwischen war seine P^amilie in Moskau eingetroffen. Gordou
richtete sich abermals in der deutschen Vorstadt zu bleibendem
Aufenthalte ein, ohne den Gedanken an eine Bttckkehr in die
Heimaty dem wir in aahlreichen Briefen ans den Jahren 1690
nnd 1691 begegnen, an&ageben.
Bald sollten indessen andere tTntemehmungen nnd der in
Rufsland erfolgte Umschwung (lt)89) einen Wendepunkt in seinem
Leben abgeben.
^) Korb, Diarium itineris, 8. 816, bemerkt, Golizyn habe dnen Hafs
auf Oovdon geworfen, mid steUt die Sadie ao dar, alt sei Gordon erst
nach dem Jahre 1689 durch Pet«r rehabilitiert worden. Dafs Gordon
bei den Ereignissen des Jahres 1689 sich durch ein Racho^refülil «.resreu
Golizyn habe leiten lassen, wiePowelt, II. 666, meint, scheint uns nicht
m begründen zu sein.
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400
Phtiiek Gwdon (1686—199»),
Feldzflge In die Krim 1667 nd 1689. UniMliwiuig 1689.
Aus den zahlreichen nnd wichtigen Angaben über die Vor-
bereitungen zu dem Feldsuge in die Krim 1687 in (iordons
Tagebache ist zu ersehen, dafs er das Yertranra des ersten
Hinistero W. Golisyni welcher sngleich in der Armee deo Obear^
befehl fShrte» in hohem Ghrade genofe. Bei Beeiohtijfiuig der
Trappen dankte der Fttrst dem General in den Terbindlicheten
Ausdrücken für die musterhafte Ordnung in denjenigen Truppen-
teilen, welche Grordon befehligte.
Nun sollte sich leigen, ob GK>rdons Optimiimas inbetreff
eines gegen die Tataren an nnternehmenden Feldsngee bereehtigi
war oder nicht. Lmder weist das Tagebnoh wiedemm ebe Lficke
vom 93. Februar bis zum 3. Mai auf, nnd in diese Zeit fiel gerade
die Mobilmachung der Truppen, welche, wie wir aus andern Quellen
wissen, mit nur zweifelhaftem Erfolge durchgeführt wurde. Die
yenohiedenen Teile der Armee sammelten sich nur langsam nnd
nnvoUstSadig, Auch Fülle von Widerspenstigkeit nnd mangel-
hafter Kannsancht kamen Tor. Nicht umsonst hatte sich Gordon
Über diese IfiTsstlnde während der TschigirinoFeldsfige beklagt.
Auch (^olizyn mufste es jetzt erfahren, wieviel der Geist und die
Organisation der Armee zu wünschen übrig lielisen.
Soweit Gordons Tagebuch erhalten ist, — es weist abermala
Tom 20. Hai bia zum 12. Jnni eine Lficke anf — dient es als
Hanptquelle ffir die Geschichte des Feldsngesi welcher bekanntlich
sehr kläglich TcrHef. Eine maßgebende Rolle scheint Gordon,
welcher übrigens an den Beratungen der Offiziere teilnalim, nicht
gespielt zu haben. Am 17. Juli beschlofs man, weil die Ver-
pflegnng des Heeres allzngrofse Schwierigkeiten darbot nnd
dasu der Steppenbrand grofsen Sehaden anrichtete, nmsakehren^
ohne den Feind tmeh nur* gesehen an haben.
Trotz dieses Mifserfolgs, den man hinter prahlerischen Ifani-
festen zu verbergen suchte, gab es Belohnungen für die Befehls-
haber. Aus der Abstufung derselben kann man auf die Stellung
<3tordons in der Arme schlieTsen. Golisyn erhielt eine Denk*
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Pfttrick Ootdon (1686—1699).
401
münse nebst Kette im Werte you 300 Ihikftten; die andern Bo-
jaren , welche als Generale dienten , Medaillen im Werte von 9
Dukaten; Gordon erhielt eine solche von 5 Dukaten; noch andere
Personen erhielten geringere Medaillen (Tl. 195).
Auf dem Bückwege fiel Gordon die AnsfOhrong eines pein-
lichen Anftraga an. Der Hetman SleinrnfBlandai Saamoilowitach,
mit welchem Gordon wfihrend aeinea Anfenthaltea in Sajewak und
Kijew in lebhaftestem tmd, wie es seheint, frenndschaftliehstem
Verkehr gesUuideu hatte, war — denn doch wohl infolge einer
Intrige, ohne Schuld seinerseits — des Hochverrats angeklagt
nnd seines Amtes entsetzt worden. Die ganze Familie wurde
gerichtlich verfolgt Gordon hatte nun den eben&Ua verhafteten
Sohn des gestärsten Hetmans bis Ssjewsk zu eskortieren.
Nach siebenmonatlicher Abwesenheit kehrte Gordon nach
Moskau zurück, wo er das durch den Feld^;ug unterbrochene, an
geselligen und Familieufreuden reiche Leben wieder aufuuhm.
Als die Regierung an der Mündnng der Ssamara (Nebenflufs des
Digepr) ein starkes Fort, Bogorodiak, erbauen liefs, wurde
Gbrdon bei Entwerfung des Planes als SachTerstündiger augeaogen.
Auch in andern militarisch-technisohen Fragen hatte er Bat su
erteilen und wohnte allerlei Versuchen mit neuen Geschützen bei.
Beachtenswert ist der Umstand, dal'a im Jahre 1688 die klein-
russischen Kosaken den Wunsch iiur.serten, dafs Gordou wiederum
als Befehlshaber nach Kleinmisland kommen möge, ein Zug,
welcher auf eine gewisse Popularität GUtrdons sohliefsen Ifttst.
Auoh eine Ausaeichnung wurde ihm au teil. Zu dem Titel
eines Tollen Generals wurde ihm das Bedit Terlidien, sich nut
einem „witsch" zu schreiben, d. h. seinem Namen denjenigen
seines Vaters mit der Endung „witsch'* hinzuzufügen. Er bemerkt
in seinem Tagebuchei dafs er dieses Becht nur darum so spät
erhalten habe, weü er nicht früher darum naohgesncht habe.
In das Jahr 1688 fallen die ersten Beziehungen Gordons su
dem jungen Zaren Peter. Diese waren nicht so sehr persön-
lieber als offizieller Xatur. Peter wai in dieser Zeit gerade mit
seinen 8})ielregimentem beschäftigt and wandte sich dazwischeu,
BrQckner, BnÜilMid. S6
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409
FMriok Qordon (1686-1699).
wran er Soldaten oder Waffen oder Begimeotfmnaik bnaehte, an
Qordon.
In das Jabr 1688 filllt dann anoh die englisdie Be?olntioiL
Gordon hatte den Schmerz, den Thron seines KSnigs zusammen-
brechen zu sehen. Die Vorbereitungen zu dem zweiten. fÖr das
Jahr 1689 in Aussicht genommeuen Feldzug mochten dazu bei-
imge&i den Kummer um die Tom Standpunkte Gordons ans im
beklagenden Breigmase in Grofabritannien au aerstreuen. Aa
diesen Yoi^ereituogen nahm Görden regen Anteili ohne dalb er
dabei eine hervorragende Rolle gespielt hätte. Im Jahre hiSk
hatte er ein Memoire über die orientalische Frage abfassen müä&en.
Jetst wandte sich die Eegierung in dieser Angelegenheit an den
neuen Hetman Kleinruialands, ICaeeppa.
Übrigens ersehen wir, dafs Gk>rdon in dieser 2eit in den
bSchsten Krmsen, am Hofe^ einflufereiehe Gegner hatte. Als einat
Beratungen über den bevorstehenden Feldzug gepflogen wurden,
erging sich der Patriarch in starken Ausdrücken über Grordott
und bemerkte, man dürfe nioht auf Erfolg rechnen, wenn man
einem Ketser das Kommando über Bestandteile der Armee an-
vertraue. Gordon bemerkt, indem er von dieser Episode ersShlt^
dafs die Bojaren geläcshelt und die Einwendungen des Kirchen-
fürsten nicht weiter beachtet hätten (11. 233).
Als der Feldzug (diesmal etwas früher als 1687) im Febmar
1689 begann, hatte Gordon ein militar-technisohes Gutachten über
die Art, wie marschiert und wie die Armee Torpflegt werden
sollte, ausauarbeiien. Hier betonte er die Notwendigkeit der
Errichtung von Forts, in denen Kunition und Lebensmittdvor-
rate antjehauft werden sollten. Indessen hielt Golizyu es nicht
für angemessen, Gordons Katschlägen zu folgen. Die Errichtung
der Forts unterblieb.
In der Sohüdenmg der Einaelheiten des Feldsuges ist von
Gordott selbst so gut wie gar nioht die B«de. Nur eines von
Gkwdon verfaTsten Gutachtens über die Operationen des linken
Flügels der Armee ist erwalint.
Auch der zweite Feldaug verlief kläglich. Die Hoüuungen,
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Patrick Kordon (1635—1699).
403
welche GU>rdon 1684 gehegt hatte , erwiesen sich abermals als
eitel. Die Unternehmung scheiterte an der schlechten Organi-
sation der Armee, au dem Xleinmute des Feldherrn Golizyn,
welober BOgar in Verdacht blieb , sich von den Feinden habe
besteehen wa lassen. Übrigens ist Gh>rdons Tagebuoh in dieser
ffinsieht fingmentarisch und bietet Aber die wichtige, das Ver-
halten Golisyns betreffende Frage keinerlei Aufschlufs. — Inso-
fern Gordon die Nachhut befehligte, welche von den verfolgenden
Tataren umschwärmt wurde, hatte er bei dem äückzuge von
1689 Grel^nheit, sehr wesentliche Dienste an leisten.
Der sweite Hifserfolg war von grolser Bedeutung ftlr die
Stellung der Parteien bei Hofe. Diesmal, wo man wenigstens
in ▼ersehiedenen Scbarmlltseln mit den Tataren gekSmpft hatte,
bauschte die Regeiitin Sophie in ihren Manifesten diese Ereig-
jiiss. zu angeblichen Siegen auf. Dieser Schönfärberei entsprechend,
sollten auch die Belohnungen an die Generale recht splendid
ansfallen.
Da brach denn bei dieser Gelegenheit awischen dem Zaren
Peter und dessen Stiefschwester der Konflikt aus. In Moskau
täuschte man sich nicht über den eigentlichen Verlauf des Feld-
zuges. Alle Symptome der steigenden Unzufriedenheit Peters,
welcher die den Militärs zu verleihenden Belohnungen mifsbilligte,
finden sich in Gordons Tagebnehe. Am S6. JuH erzählt er,
man habe den jungen Zaren mit Kfihe ftberredei» die Belohnungen
au gestatten. Drasgemärs erhielt Gordon einen IConatssold, 90 Paar
Zobel, einen silbernen Becher, reiche Stoffe und eine Hedaille im
Werte von 30 Dukaten. Denselben Tag aber kam Peters Zorn
in der Weise zum Ausdruck, dafs er die Belohnten, welche dem
Zaren ihren Dank darbringen wollten, nicht empfing. Dies wurde
Gegenstand lebhafter Gespriehe im Publikum. Alle erwarteten
• eine Katsstrophe, doch drückte sich jedermann mdglichst TOr-
sichtig und snrfiekhaltend aus. Es war geffthrUch, fUr irgend
jemand i*artei zu ergreifen. Die gespannte Lage bei Hofe blieb
Gvgeuätand allgemeiner Aufmerksamkeit in den folgeiulen Tagen.
Die Yorgünge spitzten sich zu einem totalen Bruche zwischen
26*
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404
Fktrick Gordon (1686—1609).
Peter und der Begentm tu. Am 7. Augiut ▼erbreitete sieh
das Gerücht, Peter sei ans PreobcBsbenskoje in das Troisakloster
übergesiedelt.
Diese Nacliriclit regte alle auf. (iordou folgte allen Einzel-
heiten der Vorgänge und fuhr inzwischen mit seinen gewohnten
Arbeiten, dem Exerzieren der Trappen, dem Fdbren seiner ans-
gedehnten Privatkorrespondens n. s. w. fort. Er Temahmi data
mehrere Strekyregimenter auf den Ruf Peters nach Troisa ge-
gangen seien, selbst aber daclite er zunächst uicht drij an . der
Kegeutin Sophie untreu zu werden und in Peters Lager über-
zugehen. Indessen wurde die Lage der ausländischen Militärs
mit jeder Stunde peinlicber. Der Moment nahte heran, wo aie
awiscben Sophie und Peter wählen mubten. Vorlftufig hatte die
erstere noch die Macht in Händen; Peter spielte gewissermafiien
die Holle eines l'riitendt'iitcii. Aber seine liechte waren sflir
wohl begründet , und sehr bald schon mu&teu alle Zweifei
darüber schwinden, wem der Sieg zufallen werde. Ein gewisses
Gefühl der Pflicht und Treue, der Gehorsam gegen die nmnittel-
bare Obrigkeit, welche Gordon in Sophie und Golisyn su er«
blicken gewöhnt war, fesselten ihn an die bestehende G^ewali.
ForniL'H wureu Peters und Iwans Rechte gleich, und Iwaii be-
fand bich auf der Seite Sophieus. Dagegen wulste man genug
von den Fähigkeiten, von der Bedeutung Peters, um die Ent-
fernung Sophiens aus dem Mittelpunkte der Staatsgeschäfte nur
fär eine Präge der Zeit zu halten, genug von Peters Charskter,
um seinen Zorn fttrohten su mttssen, falls man nicht aeitig sich
zu seinen gunsten entschied. Gordon iiuifste erkennen, dafs die
Zukunft dem jungen Zaren geborte ; aber sein (Tewissen nötigte
ihn, sich lange zu besinnen, ehe er seinen bisherigen Chefs
den Gehoraam kündigte. Augenblicklieh hatte man awet Obng»
keiten. Welche hatte ein gröIsereB Becht? Weldhe eine grdlsere
Macht?
Am Hofe in Moskau fand eine Beratung stattj^ nach deren
Beendigung die Regentin alle die Militärs rufen liofs und in
einer an sie gerichteten Ansprache ihnen zur Pflicht machte,
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Patrick (xordon (1635-1699).
405
licli nicht in den swisehen üir und ihrem Bruder scihwebenden
Zwist üiiizumischen , unter keiner Bedingung aber nach Troiza
zu Peter zu gelieu. Als einige der Oberöten der Strelzyregi-
menter einige Einwendungen machten, sprach Sophie die Drohimg
aiiBy jeden, der beim Übergänge nach Troiaa ergriffen werdei
hinrichten aa lassen. Was speaiell Gordon anbetraf, so erteilte
ihm der Ffirst Goliayn den gemessenen Befehl, keinesfalls die
Hauptstadt zu verlassen. Gleichzeitig aber erfuhr man , dafs
der Zar P«^ter seiner Schwester habe verbieten lassen , irgend
jemand an dem Ubergange uach Troiza zu hindern (II. 270),
und dafs der Fürst Frosorowsky nach Troiaa abgeordnet war,
um Aber Sophiens Yerhalten inbetreff der Trappen Erklttmngen
abzugeben. Die Moskauer Begiemng suchte das Gerücht zu
▼erbreiten : die AnlTorderung Peters an alle Truppen , nach
Troizii zu kommen, sei ohne Wissen des Zaren erlassen worden.
Es ist kein Zweifei, dals Uordon diesem Märchen keinen Glauben
schenkte. Nichtsdestoweniger verblieb er noch immer in Moskau.
Leider findet sieh im Tagebnehe Gordons abermals eine
Lücke: vom 18. August bis zum 1. September. Li dieser Zeit
entsandte Sophie den Patriarehen zum Unterhandeln nach Troiza.
Es war bedeutsam, dafs der Kirchenfilrst es vorzog, in Truizü
ZU bleiben, statt in Moskau über den Erfolg oder Mifberfolg seiner
Mission zu berichten. Am 27. August erschien ein Manifest
Peters, in welchem die Strelzy formell aufgefordert wurden, zu
ihm fiberzugehen. Es geschah fast durchgftngig. Sophie selbst
gedachte persönlich sieh mit Peter auseinanderzusetzen, und
maclite sicli nach dem etwa 70 Werst von der Hauptstadt ent-
fernten Kloster auf; aber schon unterwegs begegn(;te ilir ein
Bote Peters, der sie zur schleunigen Kückkehr in die Hauptstadt
ermahnte, wenn anders sie einer schlimmen Behandlung ausweichen
wolle. Sie kehrte zurück und liefe die noch in der Hauptstadt
weilenden Strelzy einen Eid leisten, dafs sie nicht nach Troiia
gehen würden. So neigte sich Peters Schale immer tiefer.
Saolowjew XIV. 187.
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406
2Mak Qard<m (1686—1680).
Gordon fttaod nnmittellMur vor der Entocheidiiiig. Er lifttte mkk
mwciieD andern bislang eme Art von Neutralität beobachtet. Er
folgte den Ereignisaen mit geateigerter Spaanong.
Sehr ausführlich Ijericlitet er von dem Eindrucke, den Peters
Forderung, Sophie solle ihm ihre Hauptanhänger, den Chef der
Strelzyregimenter Schaklowityi und den Mönch liedwedjew, »ua»
liefern, auf alle maehte. Am 1. September nahm er in der Niho
dea Kremla die Truppen der Strelsy wahr, welche darauf aohten
aollten, dafs gewiaae angeklagte Pereonen nicht an entkommen
vermöchten. Er hörte die langen Reden , mit denen sich die
Prinzesbia an die noch in Moskau befindiichen Truppen waudbe,
und bewunderte ihre Energie und Beredaamkeit.
Da verbreitete aioh daa GMlcht, ea aei ein beaonderea an
Gk)rdon gerichtetes Schreiben aua Troiaa angelangt. Er wurde
gefragt, und konnte der Wihrheit gemKTa antworten, dab er niohta
erhalten habe. „Man war damit zufrieden^', bemerkt er, offenbar
mit Hinwetä auf die E^egentin und deren Anhänger, in seinem
Tagebuche.
Indeaien hielt Gordon aeine Lage f&r nicht. ungefiUirlicli.
Als er erfuhr, dab einige Bewohner der deutachen Vbmtadt aioli
nach Troiaa aufmachten, trug er ihnen auf, dem Karen an melden,
die ausländischen Militärs seien bisher nur darum nicht nach
Troiza gekommen, weil sie niclit wür»tcii, ol) ihre Ankunft dem
Zaren auch genehm sein werde. Dies geschah am 2. September.
Gordon hatte somit gewissermaiaen dem Zaren seine Dienate an-
geboten. Offenbar war er von den Ereignissen und Stimmungen
in Troiaa aehr woU unterrichtet. Wenigstens berichtet er am
3. September, das Hauptregiment der Strelzy habe in Troiza sich
bereit erklärt, nach Moskau zu marschieren und an den Gegnern
des Zaren Gewalt zu üben. Man stand unmittelbar vor dem
Bilrgerkri^. Gordon schreibt: ^Es war wahrscheinlich, dala
es bald su einem Bruche kommen würde, und alles vereinigte
sieh Eur Beschleunigung einer HauptverXnderung** (L 975).
Da wurden denn endlich die Ausländer zur Entscheidung
gedrängt. Am 4. September wurde in die Sloboda eine im Namen
..yui^cd by
Patrick Gordon (1635--1699).
407
des Zaren an alle „Oeneralspersonen , Olirtsteii jlbrig«ii
Offiziere gerichtete Ordre" gebracht, in welcher die Vorfälle der
letzten Wochen erzählt und an die ansländiächen Militärs die
gemessensten Befehle erteilfe wurdcDy sofort Ydllig beritten und
bewaffiui in Troia» m ereoheiaen.
Hier seigte eieli» dafe Gordon gewiwennaban als der Patriardi
der dentschen Yoratadt galt. Das Schreiben wnrde von einem
Obersten, Riddcr, welcher es erhalten hatte, zu Gordon gebracht,
welcher sogleich alle ausländisclicn Militärs bei sich veraammeite
und in ihrer Gegenwart da^ Schreiben entsiegelte und yorlas.
Ifian beachlofr sonSehet den Fttnten Ctoliiyn Ton dem Empfange
dieees AktenftftckeB in Kenntnie xu setsen. Man sieht daranst
dafs die ansISndischen Militärs nicht leicht au einem endgültigen
Entschlüsse gelangttu. Statt sogleich die bisLerige Obriß'keit in
Btich zu lafiseii uud iu daa entgegengesetzte Lager zu eilen,
hielten sie es loyalerweise für ihre Pflicht, ihren obersten Chel
von dem Yorgelallenen an unterrichten, indem sie sich übrigens
die Freiheit der Aktion vorbehielten.
Sfl war nicht ungeffthrlich, Qolisyn eine solche IKtteilung au
machen. Da niemand von den Anwesenden einen so heikeln
Auftrag übernehmen mochte, war Gordon bereit, zn Golizyn zu
gehen. Er that es, indem er sich von einigen Obersten begleiten
liefe. Als man dem Fürsten das Schreiben aeigte, war er sehr
bestaratf suchte sich an fisssen und bemerkte , er werde das
Sehreiben dem filtern Zaren und der Begentin aeigen und dann
den ausländischen Militftrs die Weisung geben, wie sie zu ver*
fahren hätten. Gordon entgegnete, sie müfston gehorchen oder
sie wagten ihr Leben. Golizyn versprach die Entscheidung nicht
später als abends mitzuteilen.
Sie sollte nicht mehr von ihm oder der Begentin abhfingsn.
Gbrdons Entschlnlk war gefafst. In die dentsehe Vorstadt aurttck-
kehrendy rüstete er alles anr Abreise naofa Troiaa. Ben anr Be-
ratung kommenden Alilitärs eröffnete er, dal's er seinerseits, ohne
auf weitere Befehle zu warten, 80gieich| d. h. noch desselben
Tages, nach Troiaa aufbrechen werde.
s
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408
Patrick Qordon (1686—1090).
Da aeigte ee ücbt was Gordon io der Sloboda bedeutete. Kaum
hatte man von dessen Enteehlnsse Eenntnis, ala sich aUe, fiYor-
nelune nnd Geringe", gleichfalls sar Abreise nach Troisa rftsteten.
(rordoti schrieb dieser Hanuiucgsweise der Ausländer eine
groise Bedeutung in der Geschichte der ganzen Krisis zu. Er
bemerkte in seinem Tagehuche : ,,Die Abreise der ausländischen
Offiziere nach Troisa gab der Saehe den Ausschlag. Denn nan
spraoh ein jeder öffentlich anm Besten des jungem Zaren" (II. 277).
Die spätem Gesehiehteforscher sind nur zum Teil geneigt
dieser Darstellung (Hauben zu schenken. Wälirend Ssolowjew
CS für sehr wahrscheinlich hält, dals in einer Zeit allgemeinen
Schreckens^ gespannter Ern^artung, peinlicher ünentsohloesenheit
jede Bewegung nach der einen oder nach der andern Bichtang
hin entscheidend habe wirken können,') weist Ustrjalow darauf
hin, dab im Grande sehen Tor dem Aufbraebe der Engländer
aas der Sloboda aiies zu gunsten Petors cntschiedtju war, welcher
bereits über nicht unbedeutende Truppenmassen verfügte, den
Patriarcheni viele Magnaten und Würdenträger auf seiner Seite
hatte. Es seil meint Ustijalow, den Ausländem nicht als Ver-
dienst ansnrechnen, und hfitte» wenn es früher geschehen wSre,
eine bedeutende That gewesen sein können, während es nur ein
Akt der Selbsterlmiiiuig gewesen sei, da sie so spät kamen.-)
Allerdings waren die Ausländer, falls sie nicht jetzt sich ent-
schlossen, verloren. Dafs sie aber Goliz}Ti und Sophie nicht früher
▼erliefsen, darf man nicht tadeln. Dafs der Eindrack des Über-
gehena der auslMndiachen Militärs in Peters Lager auf die Be-
wohner Koskaus ein starker gewesen sein mttsse, liegt nnter allen
Umständen auf der Hand. ^lochten die Ausländer bei den Russen
auch zum Teil verhafat sein , so war doch ihre Stellung , ihr
Einflufsi ihre Bedeutung in Staat und Gesellschaft so augenfällig,
da(s eine solche Bewegung sehr wohl Peters Wagsohale xum
Sinken bringen konnte. Wir wissen nicht, wie grols die Zahl
der Ausländer war, welche mit Gh>rdon nach Troiaa gingen ; aber
») Ssolowjew XIV. 130.
^) Ustijalow, Gesch. Peters des Grofsen IL 74.
Patrick Gordou (1635—1699).
409
die AnMbmdctweim Gbrdons im Tagebaehe Iftllit auf den Auf-
bruch einer sehr beträchtlichen Menge von Bewohnern der 81o-
boda scbliertitiu.
In Troiza worden die Ausländer gut aufgenommen. Peter
selbst reichte jedem eine Schale Branntwein und hiefs sie will-
. kommen. Zwei Tage später erschien auch Golisyn in Troiza.
Sein Schicksal war bald entschieden. Am Tage seines Eintreffens
in Troiza besuchte ihn Gordon und fand ihn , wie er sich iiu
Tagebuch ausdrückt, „etwas tiefHinnig. wozu er. der Fürst, auch
Ursache hatte" (II. 279). Andern Tags ward OoUzyn in den
änfsersten Norden verbannt.
In Troisa scheint Gordon keine hervorragende Bolle gespielt
8u haben. Indessen ward er bald mit Lieferung bedeutenderer
Quantitäten von Lebensmitteln, also durch eine Art Solderhöhnng
belohnt. Bald entspanu bicb ein näheres Verhältnis zwischen
Gordon und dem jüngeren Zaren.
Peter der 0roAe und Cirordon.
Bisher hatten Gordons Besiehungen su Peter einen nur mehr
offiziellen Charakter gehabt. In feierlichen Audienzen hatte
Gordon Gelegenheit gehabt , den muntern , frischen , geäunden,
jüngcm Zaren mit dem fast blödsinnigen und halbblinden, krän-
kelnden Iwan au vergleichen (U. 227). Ohne sich in den Kampf
der Parteien, welcher schon vor der Krisis des Jahres 1689 ent-
brannte, einzumengen, benutste Oordon jede Gelegenheit, sich
dem jungen Peter gefällig zu erzeigen, und stellte, auf Verlangen,
die beBten Flötenspieler und Trommler für Peters Spiel regimenter
zur Verfügung. Aufmerksam verfolgte Gordon die Knt>s ickelung
des Konflikts, dessen Symptome auch femer stehenden JKjreisen
nicht entgehen konnten» Jetzt konnte er, nachdem alles ent-
schieden war, nur von Peter Befehle erwarten.
Am 17. September zum erstenmal und in der darauffolgenden
Woche täglich wohnte Peter den Übungen bei, welche Gordon
mit den Truppen anstellte. Namentlich die Evolutionen der
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4X0
Futriok Gtordon (1686-1099).
Beiterei, das SehiefMn in 8alT«B «. dgK m. gefiel dem Zeven aii»>
nehmend. Als Gordon einst rom Pferde stürzte, wobei er stob
die Hand verletzte, trat Peter zu ihm heran und fragte teilnehmeud
nach seinem Belinden. Uals (iordon in Peters Gunst stieg, be-
wiesen auch die häufigen Besuche, welche Boris Golizyn (Vetter
des gestüraten Wassily Golixyn) ihm abstattete. Bald wnrdA
Peter das Zusammensein mit Qordon siim Bedfirinis. Er schickte
sehr bfiufig nach dem G«neral nnd unterhielt sich mit ihm ; Gordon
mulsto oft bei dem Zaren oder mit demselbeu bei einem der
russischen Magnaten speisen.
Man darf sagen, dafs Peter nicht so sehr durch Vermitte-
long des bekannten Schweiaers Frans Lefort, als vielmehr zu
allererst dnroh seine Besiehnngen lu Gordon ständiger Gast wurde
in der deatsehen Vorstadt, sich in die Knltnrgeheimnisse Europas
eiuweihen liefsi empläuglxcii wurde für die liiiduugselemente des
Wissens,
TJninittelbar nach der Krisis 1689 widmete sich Peter mit
Eifer militärischen Übungen. In der Alexandrowskiga Sloboda
. (173 Werst von Moskau) wurden Beiter und Fufssoldaten gedrillt^
allerlei Versuche mit Kanonen angestellt. Gordon leitete alles
dieses. Er wurde dabei Peters Lehrer. Vou Lfiurt war noch
keine Ücde. Auch als Peter in der deutscheu Vorstadt erschien,
besuchte er zuerst Gordons Haus und dann erst dasjenige Lefort«.
Übrigens be£snd sich Peter gerade in den auf die Krisis des
Angnst und September 1689 folgenden Monaten inbesug auf die
Ausländer in einem Gegensatae su andern einflulkreiehen Pers5n*
lichkeiten. Der Patriarch "wufste im Oktober 1689 Mafsregeln
durchzusetzen, welche den Eintritt der Ausländer in russische
Dienste erschwerten. Als Gh>rdon bei Gelegenheit der Geburt
des Zarewitsch Alexei su einem Pestessen bei Hofe eiugeladeii
ward (Febmar 1690), durfte er nidit bei Tische erscheinen, weil
der Patriarch die Teilnahme von Ausländem an der Hoftafel bei
solchen Gelegenheiten für unangemessen liielt. Fast scheint es,
als habe der junge Zar den General füi* die ihm zugefügte Krän-
kung schadlos halten wollen, indem er ihn sogleich andern Tages
PMriok Gordon (1686—1090).
411
mut Wktm fleiner LnstBohldsaer sn l^aolie lud (II. 897). Mtn
kann sich vorstellen, dafs Peter, welcher, wie wir aus Gordons
Tagebuche wissen, vom Soptenilier an monatelang fast täglich in
Gordons GeaelUchaTt wüt, eine solche Ausschliefsung der Aus-
l&ader als eine «hinegiache Ma®el pemlioh empfiMid. Um so
«afgerogter wsr der Hüter des Bestehenden, der Patriarch Joachim,
in y evanlassung der steigenden Vorliebe Peters Hbr die Anslfinder.
In seinem Testament (er starb im Frtthliag 1690) wies er darauf
hin, wie er hereits die Kegentin vor der Verwendun^L'; dor aus-
ländischen Ketzer in der Armee gewarnt habe, nnd wie die Nicht-
beachtung dieser Warnung mit dem Scheitern der Feldzüge
QolisyBe bestraft worden sei. ^)
Auch Peters Kntfcer scheint den Ansl&ndem abgeneigt ge-
wesen sn sein. Als an ihrem' Namenstage die Vertreter der Tor-
schiedenen Stände erschieuen, um ihren Glückwunsch darzubringen,
wurden erst alle andern, d h. Geistliche, Kaufleute, russische
Militärs, zu der Zarin - Witwe beschieden und dann erst die aus-
Iftndischen Militärs, was, wie GNurdon schreibt, »für eine grofse
Beletdignng angesehen wurde'*. WXhrend die obenerwihnten
Bussen ssur Tafel gezogen wurden, unterblieb dies inbetreff Gor-
dons und seiner Kollegen (II. B16). Von Peters Gemahlin,
Eudoxia Lopuchin, ist es bekannt, dafs sie die Ausländer hafste
und verachtete. Peter Uels sich durch diese Opposition in
diesen mafsgebenden Kreisen nicht irre machen. Aber vorläufig
war sein "BifiHnfa beschränkt, wie aus folgender beachtenswerten
nnd in das Verhältnis Gördens su Peter einen tiefen Einblick ge-
währenden Änftemng in Gordons Briefe an den Kaufmann Keverell
in London vom 29. Juli 1690 hervorgeht: ,,lch bin immer
noch bei Hofe, was mir grofse Unkosten und Unruhe verursacht.
Man hat mir groJDM Belohnungen versprochen, ich habe aber
noch wenig erhalten. Wenn der Zar selbst die Begierung ttber-
nehmen wird, so sweifle ich nicht, dab ich werde befriedigt
werden<< (HI. 959). Also auch nach des Patriarchen Tode (er
Tstrjalow 116.
^) Ebenda 119.
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Fatriok Gonlon (1686—1090).
Btarb am 17. Män 1690) gab ea aeben dem Zaren noch andere
emfloTsreiche Feraoneni welche die eigentliehen Zügel der Kegie-
nmg führten. Peter blieb anoh nach der Krisia dea Jahres 1689
in gewissem Sinn seinem Privatleben, seinen Neigungen über-
lassen , während die Staatsgeschäfte in andern Händen ruhteD.
£r hatte noch viel au lernen, ehe er persönlich die Xieitong
flberaahm.
Da bedurfte er denn maeB Lehimeiaterai wie Gordon einer war.
Gk>rdon war kein Gelehrter, aber in der damaUgeQ Litteratnr
«Icr IViilitarwissenscliaft wohl bewandert. Auch durch seine ali-
gemein pulitibülie Bildung konnte er Peter manche Anregung
bieten. Er l<»i'Tif*' Europa, hatte viele Länder bereist, folgte
unaufhörlich den Weltereignissen. Die Unterhaltong mit Gordon
konnte dem jnngen Zaren daa aein, waa die Lektfire von Zea-
tnngen zu bieten pflegt. Gordon erhielt oft Briefe tmd perlodiacbe
Blätter, Bücher und Broschüren. Instrumente, "Waffen und allerlei
LuxuFgegcnstände aus dem Auälande. Seine MitteLiungeu über
aUe diese Dinge muTeten Peter viele Belehrung bieten.
Wir erwähnten echon des Unterachiedea swiachen Gordon and
Lefort Der letztere war 21 Jahre jünger als Gordon, 16 Jahre
mter als Peter. Seinem Temperament nach blieb Lefort bia an
seinen Tod ein Jüngling, während Gordon schon in seiner Ju-
gend durch tiefen Ernst, strenges Pflichtgefühl, angestrengte Arbeit,
kühle Überlegung und eine gewisse Nüchternheit den Eindmisk
der M&nnlichkeit und Beife macht. Lefort war dureh aeine ge>
Beiligen Talente wie geachafien für die Freuden dea Hoflebena ;
Gordon^ welcher sich nur ungern Ton seinen Arbmten, von seinen
militärischen Geschiiften und seinem Sclireibtische trennte, empfand
bei seinem gesetzten und vielleicht etwas pedantischen Wesen,
bei vorgerückten Jahren und sich stets steigernder Kränklichkeit
die Beschwerden der Hoffestlichkeiten sehr schwer. Schon die
stete Anfgelegtheii zu Gfenufs und Sehers bei Lefort mofste eher
eine gewisse Intimität zwischen ihm und Peter, dem Typus der
KruiL und (jeHinuineit, zur Folge luiljcii ; iilier (.Tordon hatte ihm
mehr geistige Nahrung zu bieten, hatte mehr als Lefort daa
. kiui^cd by Googl
Patrick Gt)rdon (1635—1699).
413
Zeagf Peters Horixont zu erweitern, ihn in den Emst der Ge-
schäfte eiuzufilhren , ihm die Technik des Militärwesens bei-
zubi'ingen. Zuerst gab es Trinkgelage und Feuerwerke , dann
militärische Manöver in gröfserm Umfunge, bei denen die eigeut-
Hohe Leitung in Gördens Händen ruhte; endUoh kam es zu. den
Feldxfigen nadi Asow.
Weisen wir anf einige Zflge in dem Verkehr Peters mit
Gordon hin. Bald speist er bei dem Zaren, bald arbeitet er im
Laboratorium mit ihm an pyrotechnischen Kunnistücken , bald
gibt es allerlei Beratungen, an denen Gk>rdon teilnimmt| bald
erscheint Peter in Grordons GeseUschaft bei Scheremetjew oder
Naryschkin oder Bomodanowsky. Heute nnterhSlt sich Gordon
mit Peter fiber die Rechte der Katholiken in Rnfaknd; morgen
prüft er mit ihm nene Kanonen oder antemimmt mit dem jungen
Zaren eine Wasserluliit. Die Behjliuungen häuften sich: Gordoii
erhielt mehrere Ellen Samt ; bald darauf lUOU Rubel ; sein
Bchwiegersohn wurde ebenfalls reich beschenkt; Peter schenkte
dem General ein bedeutendes Grondstäck; Gordons Sold wnrde
erhöht.
Alsbald erschien Peter selbst als Qeasi in der dentschen Vor-
stadt. Am 30. April 1690 speiste er mit den Bojaren und
Höflingen bei Görden zu Abend. Solche Besuche, bei denen die
Zahl der Gäste niclit selten mehrere Dutzend Personen betrug,
wurden immer häufiger. Als Gordons Tochter heiratete, war
Peter unter den HochaeitsgSsten, als Gordons Schwiegersohn be-
stattet wurde» unter den Leidtragenden im Trauersuge. Am
2. Januar 1691 kfindigte Peter dem General seinen Besueh su
Tische an und bemerkte zugleich, er werde auch zur Nacht bleiben.
So hatte Gordon 85 (iaate mit gegen 100 Dienern etwa 24 Stunden
lang EU beherbergen, worauf die ganze Gesellschaft zu Lefort
ging und dort mit Schmausen und Zechen fortfuhr. So geschah
es nicht selten, dafs Peter ganse Tage hindurch bei Gordon yer-
weilte. Dazwischen scheint er auch ohne Gefolge bei Gk>rdon
gespeist zu haben. Manche Züge lassen auf eine gewisse Un-
gezwimgenheit des Verkehrs awischeu beiden schlieisen. Als
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414
F^triok Gordon (1«85— im>
Qordon emmal infolge «ineB m InlnüUflcliMi Malile« bei Bora
GoHsyn erknnkte, liefs Peter iicli naoli eemem Befinden erkon-
digen und schickte ihm Arzneien. Bisweilen erschien der Zar
ganz unerwartet in Gordons Hause. JBs geschah dies zu den
yenebiedensien Tageszeiten, morgens, mittagSi abends. Bei einem
soldben Besuche nahm Peter drei die Artillerie betreffende Bftsher
mit sich. Ebenso entlieh GK>rdon bisweilen Bftoher bei dem Zaren.
Aneb ▼eracbrieb er dnroh die ihm bekannten Kanflente aüeriet
Bücher. Instrumente u. dergl. aus dem Auslände. Bald treffen
wir Peter und GiDrdon beim Besichtigen einer ueuen Art you
Ladestöoken an, welche Gordon soeben erhalten, bald nnterhalten
sich die beiden, da bedeutende militirische Übungen in Anssicfat
genommen wurden, Uber allerlei Maschinen, welohe Oordon beim
Angriff auf eine belagerte Festung zu verwenden vorsehlug.
Nicht selten erschien <ro!(]on auch — der Patriarch war
gestorben — an der Hoftafel und beschrieb dann solche sehr er-
müdende offizielle Schmäuse sehr genau in seinem Tagebnche.
Sehr h&nfig arbeiteten Gordon und dessen Sohn, wie der Schwieger»
söhn mit dem Zaren im Laboratorium an der Anfertigung yon
Feuerwerken , wobei es nicht ohne Explosionen abging. Einst
wurden Peter und üordoa dabei verletzt. — Auch hei den
Manövern wurde G^ordon mehrmals mcht unerheblich verwundet.
Gordon gehörte zu dem Kreise von Personen, in welchem nek
Peter stets bewegte. Einst besuchte Peter in Qesellschaft seinea
Oheims Lew Naryschkin, der gewissermafsen Kinister des Aus-
wärtigen war, und Ghordons den p ersischen Ge^mdten.
Als Peters Übungen auf dem Wastser begannen, ^lui^te
Gordon so oft zum Perejafslawschen See reisen, wo Peter seine
Werft hatte, dafs er sich dort ein H&nschen kaufte und eine
Wohnung einrichtete. Es war Peter eine grofse Freude, dem
General seine neuen Fahrseuge neigen oder mit ihm manche Fahrt
über den See nntemebmen zu können.
Als Peter Ende 1691 gefährlich erkrankte, notierte (Kordon
alle Einzelheiten des Verlaufes der Krankheit. Man begreift,
was für Gordon dabei auf dem Spiele stand. Aus einer andeni
Fifoiek Oordon (1686—1698).
415
Quölle wisBen wir, dab einige Personen der nlehaten Ungebnng
des Zaren, unter denen Gt>rdon allerdings nicht genannt wird,
Pferde bereit hielten, um. falls Peter starb, sclil^^unigst ins Aus-
land entfliehen zu können. Die Gegaerpartei war nur zeitweilig
snrückgedrängt; ein TJmschwnng konnte jeden Augenblick ein>
treten; in Zeiten der Beaktion gegen Peter hatten Lefort und
Gordon keinen Banm in ICoskan.
An Petov Beiae naoli Archangelsk im Jahre 1693 nahm
Gordon keinen Teil. Er konnte in dieser Zeit, ruhig daheim
bleibend, sich von den Strapazen des Hoflebens erholen , über
weiche er in seinen Briefen an i<'reundä und Yer>vandte nicht
selten Klage führte. Unmittelbar nach seiner Bttckkehr ans
Archangelsk speiste der Zar bei Gordon, wobei sie einen ArtUlerie-
quadranten und einen besondern Apparat für die Anfertigung
Ton Granaten in Augenschein nahmen.
Im Januar lG9i starb Peters Mutter. Der Zar sprach
wiederholt mit Gordou über die Krankheit derselben. Man er-
wartete ihr Ende nicht so bald. Am Abende ihres Todestages
sollte in Gordons Hause ein Ball stattfinden, an welchem Peter
teilannehmen gedaohte. Gi>rdon befand sieh gerade beim Zaren,
als er die Nachricht von dem Ableben der Zarin -Witwe erhielt.
Da die Liebhaberei Peters für das Seewesen sich steigerte
und 1694 auf dem Weifseu Meere gröfsere Fahrten unternommen
werden sollten , erhielt Gordon den Bang eines Kontreadmirals
nnd mniste den Zaren nach Archangelsk begleiten. Diese Beise
ist sehr ausführlich in dem Tagebncfae erzahlt. In Arcfaangel
lebte Gordons Tochter Hary, welche den Kapitttn Snerins ge-
heiratet hatte. An der gefiihrlichen Fahrt nach dem Ssolowezkoi-
Xloster , bei welcher Peter dem Untergange nahe war , nahm
Gordon keinen Anteil. Dagegen brachte er die Zeit in dem
Verkehr mit englischen Schiffskapitftnen hin, welche ins wischen
angelangt waren, llan schob Kegel, reranstaltete aUerlei Ausflöge
auf die Inseln der Dwina, sehmanste und sechte wacker; an allem
diesem nahm Peter nach seiner Hückkebr aus Ssolowezkoi leb-
haften Anteil. Dazwischen gab es Geschäfte. Chirdon übersetzte
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416 Pfttrick Gordon (1686*-1699).
ein Seereglemeoi ans dem Englisohen, mufste mancherlei iiir die
Seemaaöyer Torbereiten und schlieiUich, anf der Jacht „Der heilige
Peter" die Arrieregarde des mBsuchen Gesehwadera befehligend,
an ciuer läiigcni Fahrt an der Küste des Weifsen Meeres teil-
nehmen. Gordon war kein Seemann. Er hatte sclion hei früheru
Reisen nach England wiederholt an der Seekrankheit gelitten.
Jetst hatte er auf dem Weifsen Keere ematUohe Ge&hren zn be-
stehen. Die Jaohti auf welcher eieh Gordon befandf wurde durch
einen Sturm von den andern Schiffen getrennt und hfttte leicht
an den Klippen des Ufers stranden können,
Uber die beabsiciitigten i^[aiiüver mit den Laii(Urup})en. welche
hierauf stattündeu Bullten, verfafste (iordon noch in Archangel
ein ausführliches Gutachten. Bei diesen unter dem Namen des
KoshuchowBohen Feldsuges bekannten militärischen Übungen fiel
ebenso wie bei frühem Gelegenheiten dieser Art die Leitung der-
selben Gordon zu.
Solcher Art waren Gordons Bt'ziehnngen zu Peter in der
Zeit von 1089 — 95. Die Jahre von dem Umschwünge, welcher
der Regentschaft Sophiens ein £nde macht, bis zu den Peldzügen
nach Asow sind nicht reich an politischen Ereignissen. Peter
befabte sich kaum mit Staatsgeschftffcen. Er bereitete sieh vor;
er lernte. Diese Lehrjahre verbrachte er zum Teil in der deut*
sehen Vorstadt. Hier war Gordon Peters vomüglichster Lehrer.
Feldzttge uaeh Asow 1695—1697.
Gordon sehnte sich nach einer ThXiägkeiti welche seine
Krftfte in einer andern Richtung in Anspruch nahm. Das Hof-
leben bot ihm keine Befriedigung. Es war denn doch Müfsig-
gang. Dafs die Regierung mehrere Jahre nichts gegen den
Orient unternahm, wollte ihm nicht gefallen. In seinen Briefen^
unter andern an den Heraog Gordoni an den Hetman liaseppa,
beklagte er es, dafs Ru^Bland aulser stände sei, etwas gegen
die Tfirken oder Tataren su unternehmen. Aus andern Schreiben,
z. B. an den Pater Schmidt, ersehen wir, dafs Gordon es
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Patrick öordon (1636— 16Ö9).
417
fttr «ne Art Pflielit BnAilaii^ Uelt, den Kampf gegen den
Islam baldmöglichst wieder aui^unehmen. Dies sollte denn auch
bald geschehen.
Die Genesis des Krieges von 1696—99 entsieht sioh der
BeobAchtoDg. Wer saerst den Gedanken erfiUSite, einen Angriff
auf Asow sn nntenehmen, wisaen wir nicht. Es ist nur Ver-
mntong, wenn^ wie s. B. Ssolowjew thnt, dem Schweizer
Lefort die Urheberschaft nn dusen Feldzügen zugeschrieben wird.
Während dieser Zeit 8taud er allerdiugä dem Zaren ganz beson-
ders nahe. Im Volke war man geneigt, ihn für die schweren
Opfer TerantworÜich m machen, welche diese £ri^ den Massen
auferlegten.
fiber die Yorbereitoogen an dem Feldzuge des Jahres 1695
und diesen selbst teilt Gordon sehr Ausführlichem lui Tagebuche
mit. Er gehörte zu dem Triumvirat (Golowin , Lefort und
Gordon), welches den Oberbefehl führte. Die entscheidende
Stimme bei allen Beratungen hatte indessen der „Bombardier de«
Begimenta Preobrashensk, Feter Alezejew**, d. h. der Zar selbst,
welcher übrigens in dieser Zeit mehr geneigt war, den Bat-
schlägen Leforts als denjenigen Gordons Gehör zn schenken.
Hier treten die beiden Ausländer als entschiedene Rivalen auf.
Ihr VerhäitniB war nicht ein gespanntes, aber doch kein freund-
schaftliches. Sehr oft hatte Gordon Leforts £inflnlB zu beklagen,
dessen geringe militürische Erfahrung und Bildung ihn allerdings
kaum befähigen konnteUi dem Zaren aU Autorität in Kriegssachen
zur Seite zn stehen.
(fewifs ist, dafa Lefort eine gröfsere Rolle spielte als Gor-
don, dessen Unzufriedenheit inbetreff des raschen Avancements
Leforts schon bei früherer Gelegenheit znm Ausdruck gelangt
war. Jetatf im Jahre 1695, befand sich Lefort stets in Peters
G^ellsehaft. In einem Schreiben an seine Verwandten nennt
sich liofort „den ersten General''.*) Die Vorgänge bei Asow
zeigten, dofs er ein Recht hatte, die Bezeichnung zu gebrauchen.
V) Posselt IL 152.
>) Ebendaselbst IL S36.
27
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418
FMriok Gk>rdon (1635—1689).
Bei den Beratungen, welche dem Kriege voreusgin^en, Boheint
6k>rdon die Hauptrolle gespielt zu haben. Seine Ansicht . dafs
man es auf eine totale Blokade Asows absehen müsse, leuchtet«
ein. — An den Vorbereitungen zum Feldzuge nahm er hervor-
ngmden Anteil. £b fehlte namentUoh an Pferden, deren An*
kanf Gordon leitete. Uit der Avantgarde brach er bereite Anfang
Hftrs ans Moskan anf, verweilte einige Wochen in Tambow tmd
setzte dann den Marsch nach Asow weiter fort, iiierbei hatte
er mit dem Widerstande der donischeu Kosaken zu kämpfen,
welche ungern in den Krieg zogen und Gbrdon in desien Be-
wegnngen zu hemmen suchten. Ebenso wie die Kleinrussen oft
zum Verrat geneigt waren, wie G-ordon bei Tschigirin die LSasig-
keit der Soldaten und Of&dere als Hauptursache des Hilserfolgs
bezeichnete, so mulste er hier fürchten, dafs von seiten der
Kosaken manches geschähe, um den Erfolg des Feldzages in
Frage su stellen. Seine Festigkeit und Buhe, die Bestimmtheit,
mit welcher er den Weitermarsch verlangt^, brachten die Wider*
spenstigen zum Schweigen. Erst Ende Jnni langte er na^
mancherlei Schwier! g^keiten vor Asow an. Zwei Tage darauf
erschien Peter, weicher mit den beiden andern Feldherren bei
Uordon speiste.
Die Truppen wurden so disponiert, dafs Gordon im Zentrum,
Lefort auf dem linken, Gkilowin auf dem rechten Flügel den
Oberbefehl führte. Als man der zu belagemden Festung sich
unmittelbar nähern mufste, äufserte sich abermals hartnäckiger
Widerspruch der Ot'liziere, und Gordon mufste seine ganze Über-
redungskunst aufbieten, am die Opposition zum Oehorsam zu
ndtigen und zu beweisen, dafs vorläufig niemand unmittelbar
Gefahr drohe.
Bald stellten sich, als man zu den Belagerungsarbeiten schritt^
Meinungsverschiedenheiten zwischen den Obergeneralen heraus.
Gurdoiis \ orsciiläge wurden niclit durchgesetzt. Seine Beniüliungen,
den Fortgang der Arbeiten zu beschleunigen, hatten keinen Erfolg.
Auch traf ihn selbst das MiTsgeschick, dafs die Türken bei einem
Ausfalle insbesondere über die ihm anvertraute Position einigo
. kiui^cd by Googl
Patrick Gordon (1636—1699).
419
YorteOe errtngen. Fast wire «r Mlbet in Gefangenschaft ge-
raten. Eine Redüute mit Kanonen verblieb in den Händen der
Feinde. Es scheint, dnfj? auch hierbei wiederum der fchlechte
Q«ist der Trappen da« JlüegeeGhiok wesentlich verechuldet hat.
£r Uagt wiederholt über den Xangel na Eifer und Enei^gie im
nusischen Lager.
Als von anderer Seite der Vorschlag gemacht wurde, die
Festung zu stürmen , widersprach Oordon auf das h'ldiafteßte.
Er bemerkt iu seinem Tagehuche , dafs niemand einen Begriff
▼on- dem Emst und der Schwierigkeit einet Bolchen Unter»
nehmens hatte. Er wies bei den Beratungen auf den Hangel
an Er&hmng bei den Offisieren, auf den schlechten Geiat der
Truppen hin und sagte mit Entschiedenheit voraus, der Sturm
werde mifälingen. Es war alles vergebens; er mufste, wie er
sagt, „mit dem Strom schwimmen oder die Verantwortlichkeit
für eine sieh in die Länge siebende Belagerung allein ttbemehmen**.
Sehr eingehend schildert er, wie er immer wieder seine Bedenken
geltend gemacht und wie er noch in der letsten Stande auf Peter
zu wirken versuclit halje. wie aber die Opposition gegen ihn so
stark gewesen sei, dafs er „zuletzt geredet habe wie die andern,
obgleich er auf keinen Erfolg rechnete" (II. 584 — 58ti).
Man sieht, da(s Gordon keinen Einflnfs hatte. Man darf
Termoten, dafs insbesondere Lefort den Storm beführwortete.
Wenigstens wissen wir ans den Briefen des letatem an dessen
V erwandte in der Scliweiz, dafa Lefort sicher auf den Erfolg
beim Sturm gerechnet hatte.
Gordons Erwartungen erfüllten sich. Der Sturm mifslang.
Es gab sehr schwere Verluste. Die Stimmnng war eine gedrückte.
Jetat wurde Gordons Bat, die beiden den Tflrken entrissenen
Tftrme (Kolsntschi) sm befestigen, befolgt, und er selbst leitete
die Arbeiten ; aber aucli liierljei stellte dei* Wider.sprucli der bei-
den andern Obergenerale seine Geduld auf die Probe, so dafs er
sich bei den Besprechungen über diesen Gegenstand zu etwas
0 Fosselt IL 847.
87*
420 PiAriok Gordon (1685—169»).
starken ÄuIlBenmgeii liiiireilseii HeTs imd wiedemm die Ter*
siimmnnjif mdhite.
Auch aus den Berich ton des österreicluacheD diploiaatiijchen
Agenten Pleyer wiesen wir, dafs Gordon insbesondere mit Lefort
UDznfrieden war» weU der letstere ea unterlieTB» die Verbindmig
awiaehen seinem linken Flfigel und Gordons Zentrum la gegen-
seitigem Sckatse an unterhalten. Gordon nnd Lefort glaobten
beide Ursache zu gegenseitiger TJnznfiriedenheit sn haben. ^) Dab
die Türken Gordon besonders fürchteten, mag man aus folgendem
"Umstände scliliei'sen: es verbreitete sich bei ihnen das Gerücht»
Gordon sei tödlich yerwondet; ein Kosak, welcher in Go&ngeii'
Schaft geraten war, ist von den Tftrken gefoltert worden, weil er
behauptete, Gordon sei fnsch und gesund (H. 599).
Auch dem Zaren widersprach Gordon bisweilen. So tadelte
er es, dafs Peter eine schriftliche Aufforderung an die Bewoliner
Abows mittels eines Pfeiles in die Stadt befördern wollte. Jblr
war in trüber Stimmung: es fehlte an Kunition; die Beratungen
aeugten yon Mangel an Einsicht seitens der andern Offiziere.
Es sollte eine Mine angelegt werden; der Techniker, welcher
diese Arbeit leitete, war unwissend; Gordon warnte vor dem
Unternehmen. Man beachtete seine Warnung niclit, und die
Sprengung mifslang vollkommen. Statt den Türken zu schaden,
▼erlor man eine ganze Menge eigne Jjeute. Der Mut der Bo-
lagerungsarmee schwand mehr und mehr.
"Wieder begann man von einem Sturme su reden; wieder erhob
— auch diesmal vergebens — Gordon seine Kassandrastimme.
Seine persönliche Beratung mit Lefort belehrte iliu darüber, dafs
dem letztern die Fähigkeit, dergleichen jB^ragen zu beorteilen,
fehle (U. 605). Als Peter mit einem neuen Plane herausrttckte
und Gordon seine Bedenken inbetre£P deaselben äuüserte, konnte
niemand etwas gegen Gordons Ausf&hnmgen vorbringen; thtr
Golowin und Lefort gaben ihm zu verstehen , es habe den An-
schein, als wünsche er gar nicht, dafa die Festung genommen
») Uairjalow IL 57S.
Patrick tiordon (1635-^1699).
421
werde. Za einem offenen Hader kam ee nicht. Tiglieh speuten
die drei Obergenerale mit dem Zaren zusammen.^)
Der Sturm am 25. September mifslang ebenfalls. Wiederum
wurden viele Leute zwecklos geopfert. Gordon tbat sein mög-
liohstee und klagt wiederum darüber, dala Lefort and Golowin
ihn mit ihren Truppen nidit hinreidiend unteietfitzt hätten.
So endete die erste Belagerung Aeowe. Am 87. September
beschlofs man die Rückkehr nach l^Ioskau. Der Marsch im Herbst
durch die Steppe, wobei Gordon die Nachhut deckte, erforderte
wiederum sehr schwere Opfer. Menscheu und Pferde fielen, eine
Beute des Hungers und der K<e, In dichten Haufen um-
schwärmten die Tataren das abziehende russische Heer. Pleyer
schildert den Eindruck, den die auf einer Ausdehnung von 800
Werst (über 100 Meilen) umherliegenden Menschen- und Pferde-
leicben auf ihn übten, als er, durch eine Krankheit in Tscherkassk
aufgehalten , einen Monat später durch diese (iegeuden reiste.
Man darf vermuten, dals Gordon, welcher sich in seinem Tage-
buche inbetreff des Hücksuges recht kun fafst, bei dieser Ge-
legenheit der Armee wesentliche IMenste geleistet haben werde.
Am 23. November fand, trots des Kifslingens des Feldzuges,
ein feierlicher Einzug in die Jiesidenz statt. Ein Zeitgenosse
schreibt: ^Zuerst kam der General Peter Iwanowitsch Gordou,
dann der Zar und sein ganses Gefolge.''^)
Dm Winter über war man mit Vorbereitungen zu dem sweiten
Asowschen Feldsnge beschäftigt, wobei wir Gordon sehr häufig
in Peters Gesellschaft antreffen. Diesmal sollte ein Generalissimus
ernannt werden. Der Bojar Schein erhielt diesen l'osten. —
Da mau die Wmtermouate dazu benutzte, schnellniöi^lich.st eine
Galeerenflotte herzustellen, so muXiste ein Admiral ernannt werden.
Diesen Posten erhielt Lefort» Wir wissen nicht, ob Gordon sich
gekränkt fählte, dafs man ihn bei diesen awei Ernennungen über-
') Posselt, II. 841—860, ist tou der Gnmdlosigkeit der Eisgen Gordons
ftberseugt, ohne dafs seine Beweisfahrong in dieser Hinsidit uns irgendwie
SU überseugeu vermocht hätte.
') She^abuflktl^j, Memoiren 66.
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492
PMriok Gordofi (1686—1609).
gangen hatte. £r war dieee Zeit sehr eifrig mit dem Entwurf
sm einer Brücke über den Don beeebSftigt, deren man für den
Feldzug bedurfte. In Beineui Tagahuche schildert er den zweiten
Feldzag sehr kurz. Er erzählt, wie die Truppen zu Wasser auf
dem Bon bis Abow befördert wurden, ond ans seinen ICitteüongeB
ist an ersehen, daXs die Disposition der Truppen auch bei der
sweiten Belagerung Asows hanptsKchlioh von Gordon ausging.
Die Belagemng ging mit mehr Erfolg von statten als im
Jahre 1695. Au einen Stiirin dachte man. nach den grofson
Verlusten bei den zwei Versuchen, die man gegen den Kat G-or-
dons gewagt hatte, nicht Das Artilleriefener vermoehte der
Festung inawischen nicht viel au schaden. Kamentlich eine Eck*
bastion blieb unversehrt, bis österreichische Ingenieure eintrafen
und ein wohlgezieltes Feuer auf diesen Teil der Festung eröffneten.
Im Juni kränkelte (Jordon und mufste in seinem Zelte das Bett
hüten. Anfang «fuli war er völlig wiederhergestellt.
Am 22. Juli bereits ging von den russischen Soldaten der
Vorschlag aus, einen hohen Wall um die Festung au£rarichten
und, denselben allmählich der feindlichen Hauer nKhemd, so die
Belagerten zu nötigen, sich zu ergeben. Gordon griff diese Idee
auf und führte sie aus. über die Technik dieses Uiitoruehmens
tinden sich in seinem Tagebuch einige Angaben, welche für Mili-
tärteohniker von Interesse sein mögen.
IHeser Watt, die tapfem Angriffe der Saporoger Kosaken,
die Kunst der auslSndisohen Techniker ^ welche wihrend der Be-
lagerung eingetroff'oii waren, eii<llicli das Gerücht von einem
Sturm, den die Russen vorbereiteten — alles dieses veranlasste
die Türken zu kapitulieren.
Es hat sich die Tradition erhalten, da£i Peter die Einnahm«
Asows für das Werk der Tapferkeit und militftrisohen Tttohtigkett
Gordons gehalten habe. Der Anekdotensammler Nartow, ein Zeit-
genosse Petcrü, erzählt, Peter habe bei Gordons Bestattung, als
er eine Handvoll Erde auf den Sarg schüttete ,. gesagt : „Ich
gebe ihm eine Handvoll Erde: er scheukte mir ein ganzes Reich
mit Abow". Wir sind nicht geneigt, in dieser Eraählung eine
. kiui^cd by Googl
Patriok Gordon (ie86-1689). 4Sd
bittorische ThatMche m erblicken. Gordon hatte bei der Be-
lagemng und Einnahme Asows grofse Verdienste. Selbit wenn
er, wie manche erzählen,*) der Erfinder jenes Walles gewesen
wäre, könnt« man nicht eigentlich Gordon als den Helden von
Abow bezeichnen. Indirekt verdankt Peter Asow dem General,
insofern er in den der Belagerung Toransgehenden Jahren der
Sohüler Gordons gewesen war.
In Asow fanden Feste und Trinkgelage statt. An diesen
wie an Peters Fahrten am Ufer des Asowschen Meeres nahm
Gordon Anteil. £r leitete ferner die Herstellnng der beschädigten
Festungswerke Asows.
Auf dem Rückwege begrüfste Gördens Sohn, Theodor, den
siegreichen Zaren mit einer Kedo. Am 30. September fand der
diesmal durch die Ereignisse gerechtfertigte feierliche Kinniarscli
der Truppen in die Besidena statt, wobei Lefort die Hauptrolle
gezielt SU haben s^dieint. Gordon erschien mit seinem Stabe
riemlieh weit hinten im 2uge. Peier ging asu FuJa in der Uniform
eines Kapitäns.
Über Gordons Stellung gibt uns die Abstufung der Be-
lohnungen Auskunft. Schein erhielt eine Medaille im Werte von
13 Dukaten, einen Becher, ein Kleid, 150 Bube! und 305 Bauern-
höfe ; Lefort eine ICedaille im Werte von 7 Dukaten, einen Beehw,
ein Kleid und 14u Baaeruhöfe ; Gordon und Golowin je eine ]^[e-
daille von 6 Dukaten an Wert, einen Becher, ein Kleid und 100
Bauernhöfe.
<
Gordons Dörfer lagen im Jetsigen lySsansehen Gbuyemement.
Sin Dorf, welches er zuerst erhalten sollte, erhielt Lefort, und
Görden erhielt ein anderes. Ob der Tausch nacbteilbringend
war, wissen wir nicht.
0 Alexander Gordon, Geschichte Peters des Gtofien, S. 114—116
(deutsche Ausgabe). Ebenso Posselt in seinem Buche über Lefort, IL W.
*) Das Aktenstück «Iber die Verleihung dieser Güter s. in der Edi-
tion des T^bud», IIL 868 fg.
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« 494
Fttkriok Qordon (1686—1699).
Letzte Btenstselt.
Während Peter Anfang 1697 mit Lefort und grofaem G«*
folge, oder, besser gesagt, im Gefolge einer russischen Gesandt^
tchaft ins Aoaland reiatey bereitete sieh Gt>rdon zu einem dritten
Feldsttge nach Aeow yor* In Ghemeinflchaft mit dem Bojaren
Schein leitete er In dieser Zeit das ganze Hilitärverwaltnngs«
weseu des Reiches. Seine Beziehungen zu Peter änderten sich
nicht. Er war faßt täglich in lebhaftem Verkehr mit dem Zaren.
An demselben Tage, als die Urheber des Attentats auf Peter:
Zykier, Ssokownin und Puschkin, hingerichtet wurden (liftrs 1697),
sollte Feter bei Gordon zu Abend speisen, war aber durch die
Beerdigung eines Verwandten, welcher er beiwohnen mnlste, daran
verhindert.
Korb, der Sekretär der kaiserlichen Gesandtschaft, welclie
sich in den Jahren 169B und 1699 in Moskau aufhielt, erzählt,
Peter habe auf Gordons Bat die fflhning der Staatsgeschäfie
wShrend seiner Abwesenheit einem Triumvirat, den Bojaren
Narysehkin, Gk»liayn und Prosorowskij , die Yerwaltung der Be-
sidenz aber dem Fürsten Romodanowskij übertragen, wobei Gor-
don von dem Gedanken geleitet worden sei , dafs eine gewisse
Bivalität unter den vier Machthabern ihren Eifer spornen und
mancherlei Gefahren abwenden werde. ^)
Der Feldaug nach Asow im Jahre 1697, dessen Einaelheiten
Gordon recht ausführlich schildert, ist von keiner besondem Be-
deutung. Es handelte sieh «darum, die eroberte Stadt noch stftrker
zu befestigen und die Südgreiizen Rufslands durch verschiedene
Hafsrogeln gegen die Angriffe der Türken und Tataren sicher-
austeilen. Gordon beriet während des Feldzuges oft mit Schein
und Kaseppa. Seine Beziehungen au den Vertretern der Mos-
kauer B^wnng waren rein offiaieller Katar. Er hatte durchaus
keinen politischen Einflufs. Seine Thfttigkeit besehrttnkte sieh
auf Militärisch- Technisches , und auch hierin hatte er sich nach
') Diarium itinoris, p. 217.
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Fatriok GoHon (1686-1609). 435
den Lutraktioneii der TrmmviTB sa riohtea, von dflcen Gesainfc-
heit er stets den Aiudniok „Majeetät** brauehl
"Wiederholt sclirieb er in dieser Zeit an Peter. Diese
Briefe , welche leider nicht erhalten sind , werden nach seiner
Bückkehr im Spätherbst 1697 nooh häufiger als während des
Feldaoges.
Wir ermnem mui, da& €k>xdon sehr bald nach seinem Ein*
tritt in mssische Dienste Ghelegenheit hatte, an der BekSmpfting
innerer Unruhen teilzunehmen (1662). Jetzt, am Abend seines
Lebens, kurz vor dem Absclilusse seines Wirkens, hatte er sehr
grofse Yerdieuste um die Bekämpfung der gefährlichsten J^eiude
Peters, der Strelsy.
Qordon kannte den Gl«ist des rossisdien Heeres nnd die
If ängel desselben. Sehr oft kUgte er ftber die lockere Hanns-
xnehty das Desertieren, die Tronksneht nnd das jEtftnberleben der
Strelzy. Auch bei Aeow liatten diese letztern in entsciiLidonden
Augenblicken es an Gehorsam und l'iüchtgefühl fehlen lassen und
sich Peters Zorn sngesogen.
Peter verlangte unbedingte Unterordnung von diesen Sol*
daten, deren früheres bequemes Leben durch furchtbare, nie enden
wollende Strapassen enetzt war. Bs entstand, da den Strelsy die
Geduld rifs, jene Rebellion, in welcher die letzte Allianz dieser
gefährlichen Elemente mit der ehemaligen Begentin einen Krieg
bedeutete gegen Peter, gegen die Ausländer, gegen die deutsche
Vorstadt, gegen die abendländische Kultur.
G-ordons Tagebuch bt Hauptquelle für die Geschichte dieses
Aufstandes. Insofern Korb seine Nachrichten nnaweifelhaft
grofsenteila den mündlichen Alitteilungen Gordons verdankte, ist
auch Korbs Tagebuch, ebenfalls eine Hauptquelle über dieses Er-
eignis, auf Gordon zurückzuführen. Gordon , welchem bei der
Niederwerfung des Aufstandes die Hauptrolle sngefsllen war,
konnte am allerbesten fiber die Einzelheiten dieser Vorginge Aus-
kunft geben.
Er berichtet ausführlich über die Bestürzung, welche in den
mafsgehendeu Kreisen der Hesidenz infolge der ersten Kachrichten
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486
Putride Oordoft (1686-ieW).
▼on der in den Strelayregimentenk hemcbenden G^iruiig dnreli
dae Ghlttbl der schweren Veruitwortliehkett dem abweeenden
Zaren gegenfiber noch gesteigert wurde. Görden selbst war saent
geneigt, diesen Unrulion keine besondere Bt deututig beizumessea.
Er suchte die Machthaber zu bcruiiigou, traf iudesseu einige Mals-
regehiy am etwaigen Unruhen der in Moskau weilenden Truppen-
teile Torznbeugen.
Nachdem indessen im Frühling 16d8 die ersten Symptome
einer grdrsem Meuterei, wie es schien , keine weitem Folgen
hatten, und mehrere Wochen ruhig vergingen, erfuhr mau Anfai^g
Juni von der Meuterei mehrerer Regimenter, welche, auf dem
Marsche von Asow nach der polnischen Ghrense begriffen, ihrer
Obrigkeit direkt den G^orsam »nfknndigten und nach Moskau
anfbrachen.
Jetzt galt es diesen Bebellen zn begegnen. Gordon wurde
von dor Regierung beauftragt, mit 200Ü Mann Truppen eich
marschbereit zu halten. Am 12. Juni speiste er noch mit dem
kaiserlichen (^sandten Guarient und dem dftniachen Besidenten
bei dem polnischen Botschafter, mulste aber, wihrend man tafelte,
sidi entfernen, um mit seinen Truppen anssnrflcken. Nominell
war auch diesmal der Generalissimus Schein der Oberbefehlshaber,
thatsächlich aber scheinen im wesentlichen alle Anordnungen von
Gordon ausgegangen zu sein.
Am 13. Juni rückte Gh>rdon aas, am 16. Schein. Am 17.
erfuhr man, dals die Bebellen das stark befestigte Woskressena-
Idsche Kloster su besetzen beabsiehtigten. Es galt zu Ter*
hindern, dafs ein verhSltnismärsig wichtig strategischer Punkt
in ihre Hände fiel. In der Nähe des Klosters traf Gordou die
Bebeileu.
Gbrdon suchte zuerst durch Dberrednng auf die Streif la
wirken. Er begab sich in ihr Lager und stellte ihnen das Un-
sinnige ihres Beginnens tot. Es mndi als ein recht wa^udsigea
Unternehmen erscheinen, daüs er, welcher zu den verhafsten Ans*
*) Korb, Diarium itineris p. 59.
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PAtriok Qoidon (IW-IM).
427
ländeni gehörte, der Yerwaadte und Kollege Leforte, in welchem
die Strelsy den Hanptarheber ihres Elends anklagten, sich in die
Mitte der Meuterer begab, welche sich sehr leicht seiner Ferson
bemächtigeu kouiiteu. ^)
Gordone Beredsamkeit hatte keinen Erfolg. Er eilte m
Beinen Trappen Borfiok nnd disponierte sie zn einem Angriffe.
Hierauf ritt er noch einmal in das Lager der Bebellen, snchte
▼on nenem dnreh Beden anf sie Bu wirken, nnd erst dann^ als
er sich von der Nutzlosigkeit fernerer Verhaadlungen überzeugt
hatte, erwog er im einzelnen alle Chancen eines den Rebellen zu
lieferiulen (iefechts, wobei er darauf bedacht war, alle Vorteile
des Terrains zn seinen gnnsten anssonatzen nnd seine Trappen
demgernftd za verteilen.
Zum drittenmal erschien Gordon am Korgen des 18. Jnni
in dem Lager der Kebellen : die Autwort dereelben »ul alle Er-
mahnungen Oordons war, dafä sie nach Moskau wollten, und erst
wenn sie zwei bis drei Tage in der Hauptstadt geweilt haben
wfirden, wieder znm Gehorsam aarUckzokehren gesonnen seien.
Znletzt gab ihnen Gordon nach manchem Hin- and Herreden
eine Viertelstnnde Bedenkzeit. Nachdem dieselbe verstrichen
war, ordnete er alles zum Kampfe an und liefs zuerst über die
Köpfe der Hebellen Liuweg, dann in die dichten Haufen derselben
feuern. Nach einstündigem Kampfe war alles beendet. Wer von
den Keaterem nicht gefallen war, warde gcfangra. Einige der
Hanptnnmhestifter worden hingerichtet. Über die andern sollte
Peters Bichterspmoh entscheiden. Am 94. Joni schrieb Gbrdon
ausführlich an den Zaren über alles Vorgefallene und kehrte so-
dauu am 4. Juli in die Hauptstadt zurück.
Im August reiste Gordon auf seine Güter, wo er sieh mit
der Verwaltung derselben beschäftigte. Inzwischen traf Peter,
durch die Nachricht von der Bebellion der Strelsy aar TTnter*
brechnng seiner Beise veranlagt, ganz schnell and anerwartet in
der Hauptstadt ein. Seiner Gkwohnheit nach eilte er sogleich
') Die Eedeu Gördens wörthch bei Korb. Wir folgen der £r-
lühlong Korbs nnd dem Tagebache Oordons.
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438 PiKtriok Gt»rd(m (1086—1699).
■
nftch der Ankunft in Moekan in die deutiohe Vorttidt, wo er
erfuhr^ daTs Qordon TorreiBt sei.
Letzterer, von Peters Rückkehr unterrichtet, eilte sofort
uacii Moskau, wo er am 8. September eiutraf und sich bei dem
Zaren, welchen er in grofser Gesellschaft bei dem Oberaten Krähe
antrafi wegen seiner Abwesenheit entschuldigte. Peter kftiste
den General.
Bei dem fturehtbaren Projwese der Streli'.y spielte Oordon
keine liervorragende Rolle. Maiiciiu Eiuzelheiteu der mit ans-
gesuchten i?^oltern und der onerbittlichsten Strenge geführten
Untersuchung erfuhr Gordon ans dem Munde Peters, welcher den
Gbneral in dieser Zeit hfinfig besnehte. Der Folterung einaelner
Angeklagter wohnte Gordon bei. Dagegen scheint er den Kasaen-
hinrichtnngen nicht beigewohnt an haben.
Üb Gordon, was wahrscheinlich der Fall war, auch in den
letzten Monaieu seines Lebens, während des Jahres IGUH, sein
Tagebach geführt habe, wissen wir nicht. Das erhaltene Manuskript
bricht am 31. Deaember ab. Dagegen verdanken wir dem Werke
Korbs einige Angaben fiber die letote Lebensseit Gordons. Wir
ersehen, dafs Gordon im Januar 1699 krank war, daTs Peter,
alij er nach AVoronesh eilte, um dort den Bau von Kries^schiffen
zu leiten, sich mit Gordon über die orientalischen Angelegenheiten
unterhielt und dals G<wdon bei dieser Gelegenheit die Wichtigkeit
der Anlegung eines Kri^halens aum Schutse der neuen Flotte
betonte. Korb eriihlt femer, dafs das Becht der Yerleihong
von Offiaiersgraden von Schein auf Gordon überging, weil der
erstere dabei Mifsbrauch getrieben hatte. Auch dafs Peter am
3. Februar, nachdem er der Hinrichtung von 137 Bebellen bei-
gewohnt hatte, bei Gordon speiste und diesem von der bis an
den Tod fortgesetaten Halsstarrigkeit der Verbrecher enähltei
erfahren wir aus Korbs Tagebuehe, sowie, dafs Feter beim Ab-
schiede von Gordon, als er, der Zar, in den Sfiden anfbraeb, dem
General gesagt haben sollte: „Ich überlasse alles dir und deiner
bewährten Treue".
Betrachten wir, ehe wir aur Darstellung von Gordons Ende
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Patrick Gordon (1635—1699). 429
gelangen, sdne Lebensatellnttgy seliie peradnlioben VerhIlltniBBey
sein inneres Leben.
Familie, Lebenssteliimg, Ciiaraktor*
Gordon haHe ein mohe« Leben hinter noh. Ans beicheidenen
Anfängen hatte er, ein mittelloser Emigrant, sich zu einer ehren-
vollen LebensHtollung, zu einem lohnenden AVirkunghki eise hinauf-
gearbeitet. Er war , was man einen sclfmade uiau nennt,
hatte BO gut wie aUes aeiaer ponBöuliehen Tüchtigkeit sa yea> '
danken, manche Widerwärtigkeiten des Lebens gekoateti im gansen
viel irdiflcheB Glflek genossoi.
Ans seinem Tagebtiche lernen wir Ghordon als Gatten nnd
Vater kennen. Er war zweimal verheiratet. Wann er seine erste
G^attiBi die gebome Bockhoven, verloren, können wir annäherungs-
weise bestimmen. Der Todestag der „tenem Geliebten**, wie
Gordon noch im Jahre 1696 von ihr schreibt, war, wie ¥rir ans
der alljährlich wiederkehrenden ITotia im Tagebnche wissen, der
10. Oktober. Er hatte sie am 96. Jannar 1665 geheiratet, nnd
aus dieser Ehe stammten vier Kinder. Aus der Feier des sil-
bernen Hochzeitstages mit der zweiten Frau am 3. Februar 1698
ersehen wir, dafs die zweite Ehe Anfang 1673 geschlossen wnrde. l
So mag denn Gordons erste Gtattin am 10. Oktober 1671 ge-
storben sein. Wihrend er der ersten Fran mehrmals mit Zärtlich-
keit erwähnt, fehlen derartige Ausdrücke inbetreff der zweiten
iu dem Tagehuche.
Der älteste Sohn, John, zum Teil in einer J eamtenschule
bei London erzogen, lebte ganz in Schottland, wo er die Güter
des Vaters yerwaltete. Ans aahlreichen Briefen Patrick Gk>rdons
an diesen Sohn ersehen wir, da(s der Vater mit John häofig nn-
snfrieden war. Auch bei der Wahl emer Gattin erfreute sich
John nicht des Beifalls seines Vaters. Oft waren Vater und
Sohn einem völligen Bruche nahe, weil der letztere es an Pünktlich-
keit und ITleiXs bei ij'ührung der Geschäfte fehlen lieTs. Später
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430
IMriok Boräsm (1886—1600).
gab 68 dann wieder freundliclie Besiehnngen, und im Jahre 1698
besachte John mit seiner ganzen Familie den Vater in Moskau.
Der zweite Sohn , James . in einem Jesuitenkollegium bei
Dauzig erzogen, sollte zuerst in Schottland eine Juristen laufbahn
verfolgen, trat aber 1690 in raeeiaohe Dieneto. £r wurde 1700
bei Narwa gefongen glommen.
Die älteste Tochter, Katharina, heiratete in erster Ehe den
Obersten Strabbnrg, dann ihren Vetter Alexander Gordon, mit
welchem sie nach Schottland übersiedelte. Die zweite, Mary, war
in erster Linie mit dem Obersten Crawfnird, in zweiter mit dem
Obersten Snevins yerheiratet» und war 1698 siun sweitenmal
Witwe.
Ans der sweiten Ehe blieb nur Theodor am Leben, die
andern Sjnder starben alle in zartem Alter. Theodor diente
ebenfalls in der russischen Armee. Seiner wird bisweilen bei
Gelegcnlioit mancher Vorfalle des Nordischen Krieges in den
Quellen erwähnt.
Diese fünf Kinder überlebten den Vater. Wie sein in £a£i-
land erworbenes Vermögen unter ihnen verteilt wurde, erfahren
wir aus einigen Aktenstficken, welche der Herausgeber des Tage-
buches seiner Edition beigerreben hat (III. 394 — 395). Sie waren,
scheint es, weniger gute Haushalter als Patrick, und blieben nicht
lange in dem Besitz der GHiter, welche Peter der 0rofse dem
General yerliehen hatte.
Kur bis zu einem gewissen Qrade hatte Gordon sieh in
Bufsland akklimatisiert. Das Geföhl, in der Fremde m sein,
scheint ilin nie verbissen zu haben. Die Russen selbst verhielten
sich grofsenteils abiehneud und luindlich ^'egen die Ausländer.
Wie mochten die letztem sich da recht eigentlich heimisch fühlen
lernen? Auch in Polen hatte Gordon die jEjr£fthmng gemacht,
dafs man dort die Ansiinder im Ghnmde hafste und verachtete.
In seinem Tagebuehe begegnen wir allerdings keinen TTrteilmi
über Kufsland und die Russeu, dagegen finden sich in Gh)rdons
Briefen manche tadelnde Aufserungen. Es gab zu viele peinliche
Eindrücke, so oft Gordon es mit den Beamten in Kufsland su
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Patrick Gordon (1635—1699).
431
thnn hatte, als dafii er Beinern Unmaie darftber nioht bitto Luft
machen müssen.
Trotz alledem aber stand Gordon mit vielen Kusseu in dem
lebhaftesten persönlichen Verkehr. £r schmauste und zechte mit
ümen häufiger, als leine sohwacbe Gesundheit vertnig. Sehr oft
begegpien wir den Klagen aber »EAtsenjammer** (siok of poch-
melja) in Oordons Tagebnehe. Wir dflrfen nicht daran sweifeln,
dal's (lordon nicht blofs russiscli sprechen, sondern sogar ru»!si&ch
schreiben lernte. Namentlich iu üleinrofsland war er zum gröfsten
Teil auf den Verkehr mit Bussen aogewieeen. Selbst mit den
Geistlichen der Kirchen and Klöeter in Kgew stand er in einem
frenndlichen Verkehr. Einmal gab er den Kindern der Kosaken,
welche bei dieser Gelegenheit mit ihren Hofmeistern erschienen,
ein Fest iu seinem Hause. In der Zeit seiner persönlichen Be-
ziehungen zu Peter war er fast täglich iu der Gesellschaft der
vornehmen Russen , welche den Zaren umgaben. Er begann
mssisohe Worte seinem schottischen Englisch im Tagebache bei-
somengen (drotikes — Piken, tesma — Bandi nowosetla — Festlich-
keit in einer neaon Wohnang, wecaerinka — Abendgesellschaft
u. dergl. m.).
Indessen bestand der Kreis von Gordons Bekannten denn
doch zu einem weitaus gröfsern Teile aus Ausländern. Auch
auf seinen JELeisen traf er ftberall Bekannte, sam Teil Landslente.
Die IClitars in der dentschen Vorstadt hielten eng sasammen,
Tidie dieser Familien waren verschwi^ert. AUe hatten gemein-
ßame Interessen, gleiche Lebensstellung, gleiche Bildung. In leb-
haftem Verkehr st^md (lürdon, welcher stets auf seine ru sundheit
bedacht war, mit allerlei Ärzten und Apothekern , welche unter
den Bewohnern der dentschen Vorstadt eine angesehene Stellung
behaupteten. Über die Doktoren Gollins, den Leibant des Zaren
Alezeiy welcher in England ein sehr anziehendes Bach fiber
Rufsland herausgab, Wilson, van der Holst, Carbonari a. a. finden
sich in Gordons Tagebnehe sehr zahlreiche und zum Teil wichtige
Angaben. — In dem Mafse als gerad* <V\>.i englischen Kaufleute
in BoTslands Handel eine bedeutende Bolle gespielt hatten , war
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Pairiek Gordim (1686—1689).
OB aelbBtventSndlichy daÜi auch diese Garden sehr snYorkommeiid
behandelten, dnrcb seine Vermittelung allerlei Vorteile zu erlangen
sachten. Unter Gordons Korrespondenten findet sich eine Zahl
angesehener Kaufleute in Riga, Danzig, London u. s. w. Es kam
vor, dafs die englischen Kaofleote sn Ehren Qordona Festessen
yeranstalteten. Durdli ihn liefsen sie dem Zaren Peter allerlei
Geschenke überreichen. Behr lebhaft war femer der Verkehr
Qordons mit den in Moskau weilenden, meist in der deutschen
Vorstadt doiuiziliereudeu Diplomaten, den (Tesandton, Residenten
und Konsuln. So ist denn Carlisles, Hebdons, Butenants, Kellers,
Gnarients, Kurts' nnd anderer Diplomaten in Gordons Tsgebnche
nnsfihligemal erwShnt. Namentlich mit den Gesandten des Kaiaen
Leopold nnd der Bepnblik Polen Yerknfipfte Gh>rdon ein gemein-
sames Interesse, das Streben, für die katholische Kirche iii Kuis»
land zu wirken.
Die Ausländer in BuTsland lebten sehr gesellig. An dieser
Geselligkeit nahmen regelm&fsig die Frauen teil« Dadurch unter*
schieden sich die mssischen Gesellschaften von denen der Fremden,
daTs bei den erstem keine Frauen erschienen. Es herrschte dem-
gemärs bei den i^esclligcu Freuden der Ausländer ein feinerer
Ton; man war müfsiger. Es wurde getanzt, auch wohl Musik
gemacht. Nicht selten wird der Landpartien, weiche mehrere
Familien gemeinsam untemehmeui gedacht.
Ein sehr betrichtlicher Teil der Zeit war der Geselligkeit
gewidmet. Die Zahl der BeAiche, welche Gordon madite und
empfing, ist geradezu erstaunlich. Die Hochzeitsfeierlichkeiten
währten nicht selten zwei bis drei Tage. Es lüfst sich berechnen,
da(s Gordon in Hoskau mehr als hundert Hochseiten beigewohnt
hat. Die Zahl der Taufen, Bestattungen n. s. w., deren im
Tagebuche erw&hnt wird, ist entsprechend.
Je mehr in Gordons TJmgangskreise das Element der Aus*
länder, der Vertreter westeuropäischer Kultur überwog, desto
weniger war er der Ge£ahr der Yorrussuug ausgesetzt, desto
treuer konnte er an seinen nationalen und konfessionellen Grund*
sfttsen festhalten. In Xoskau wie auf Belsen finden wir ihn stets
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Patrick Gordon (1636—1699). 433
m
in Getellsohalt von Sebotten und EngUndwii ^ und vorzüglich
in regem Verkehr mit Katholiken und Royal isten. Schon der
Umstand, dafs Gordons Söhne in spezifisch katholischen Lehr-
anstalten in Westeuropa erzogen wurden, veranlafste ihn die leh-
hafleeten Besdehnngen so allerlei geistlichen Herren zu unter-
halten. Sein BriefirechBel mit denielben ist eine wichtige Quelle
Ar die Geschichte des Katholiaismus in Bnfsland.
Der Umfanp von Gordons Briefwechsel ist stannenerregend.
Auch hier entwickelte er eine merkwürdige Arheitskrait. Er
schrieb gern viel, wie schon sein Tausende von Seiten umfassendes
Tagebuch beweist. Vieraehn oder sechsehn Briefe an einem Post«
tage an schreiben, war fOr Gordon nichts Seltenes. An einem
Tage ist erwShnt, Gordon habe 95 Briefe geschrieben. Diese
• Thätigkeit wurde auch anf Reisen und während der Feldattge forfc-
ffesetzt, wobei Gordon ein besonderes <TeHchick an den Tag legte,
genau zu berechnen, au welchen Haltepunkten und wann etwa die
Antworten auf seine Briefe eintreffen konnten und mufsten. Er
wnfste genau, wie lange ein Brief von Moskau nach Hamburg oder
nach Daosig unterwegs zu sein pflegte u. dergl. m. Von den ab-
ansendenden Briefen pflegte er nicht selten Abschriften an nehmen
oder für abzusendende Briefe Konzepte zu entwerfen. Diesem Um-
stände verdanken wir die Kenntnis von 112 Brieten Gordons an
eine grofse Anzahl von Personen aus den Jahren 1691 — 95. Aus
Gkjrdons Tagebuche können wir eine Menge von Angaben fttr die
Gesdiichte des Postwesens jener Zeit entnehmen. Auch ist es
diesen Korrespondenaen an Terdanken, dafs GK>rdons Tagebuch
an vielen Stellen, insofern darin der Tidialt der aus Westeuropa
eintreffenden Schreiben reproduziert wird, einen zeitungsartiLren
Eindruck macht and als Geschichtsquelle für manche Vorgänge
jener Zeit au dienen vermag. Das Porto der Briefe betrag keine
geringe Summe. Im Jahre 1666 gab Gordon wfihrend seiner
englischen Beise niidit weniger als 74 Babel aus, was nach da-
maligen Kornpreisen dem Werte von 150 Tschetwert Roggen
gleichkäme; dieses Quantum Getreide würde man heutzutage mit
gegen 1000 Rubel bezahlen.
BtAokD«r, BaiUMid. S8
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484 Fktnek Gordon (1686— 1699).
Oordon war wc^ilhaibend. Er befand aidi in aclir gonatigcr
materidler Lage. Als er Brannsberg verliefa (1655), hatte er
nur 7^/2 Thaler. Schon in Polen verstand er es, ein gut Stück
Geld zu verdienen und Ersparaisae zu machen. Er kam mit
einer Barschaft von 600 Dukaten nach Bnlaland. Gleich anfange
betrag sein Sold 300 Babel, eine Srnnme, welche etwa 600 Tadiei-
wert Boggen entepraeb, und dieae wfirden beatiatage g^gan
4000 Bnbel kosten. 80 war er ämm sehr wohl im stände, gröraere
Quantitifteii Wein sowie andere LuxusEreerenst inde aus dem Aus-
lände zu verschreiben und überhaupt einigen Aufwand zu machen.
Indessen hatte er sehr häufig Ursache lüage zu führen, daJa
der Sold in Bnialand aehr nnregelmlftig anageaablt wurde. Niobfe
selten mnfste man mehrere Wochen anf die fiUlige Zahlung warten.
Ein anderer Übelstand lag darin, dafe ein Teil des Soldes nicht
in Geld, sondern in Naturalien, vorzüglicli in Zobeln ausgezahlt
wurde. Dadurch war Gordon stets zn kaufmännischen Gi^schäften
genötigt Es galt die Zobel abzosetaen, sie in Geld an ver-
wandeln. In dem Tagebnche, welches angleiob in einem gewiaaen
Grade als Eaasabnch diente, finden sich auf dieae Weise eise
Henge von Preisangaben nnd andern Kotisen^ welche tfkt den
Wirtschaftshistoriker von dem allerifrcifsteu Werte sind. — - Grordons
Budget stieg in der Zeit seiner hohen Stellung am Hofe Peters.
In den letaten Lebensjahren beaog er ein Jahzgehalt von 952 Rubel
(etwa 18000 Bnbel heate), nnd erhielt aoTserdem allerlei Geschenke
an kostbaren Stoffen, aUbernen Gbgenatindeny Weinen n. dei^l.
Die Dörfer, welche er 1697 erhalten hatte, lieferten ihm be-
trächtliche Quautität(?n an Lebensmitteln : die Bauern zahlten ihm
Tribut (Obrok . Bald war er in der liSge, seine Grundstücke
dnrdi Ankauf benachbarter Parzellen zu arrondieren. — Erinnern
wir uns endlich, dala Ghurdon in Schottland ein Gut besab, welchen
gegen 1000 Thaler Bevenuen abwarf, und dafs er dieae ganae Sin-
nahme zum Kapital an schlagen pflegte, so werden wir nicht
irren, wenn wir (lordon, nach danialig(;Ui Malüstabe gemessen, als
einen reichen Manu bezeichnen. £r war ein sehr geschickter
Haushalter, ▼erstand sich sehr wohl auf fiucfahalterei> war ateta
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Patrick Oordon (1685--16e .
435
in dw Lag« Geld analeiliaii zu kdnnen, und hatte mit einer
groben Ansahl von Personen lanfende Reehnnngen. Stand anch
sein Reichtum demjenigen seines FiLUijduB Moneses nach, dessen
G-attin. die Witwe des reichen MarseliSi ihm ein Vermögen von
7000 Rubel ah Mitgift zubrachte, machte er anch keinen so grofaoi
Aufwand wie Lafort, in dessen Kellern stets Weine für mehrere
tausend Bnhel vorrfitig waren nnd dessen Jahresansgabe 13 bis
15000 Thaler zu betragen pflegte, so gehörte er doch zu den best-
ßituierten Ausländern in Moskau.
So lange Zeit liindurcl) Gordon auch in Rui«latid iebte, man
kann kaum sagen, dafs er für die russische Politik ein besonderes
Interesse gehabt habe. £ine staatsmiinnische Th&tigkeit lag ihm
fem. Knr einmal (1684) ansnahmsweise hatte er ein politisches
Memoire über die orientalische Präge entworfen.
Dagegen war nnd blieb er stets erfüllt von dem Interesse
für die Stuarts und den Rovalismus sowii' den ii^atliolizisinus in
England. Als er 1686 England besuchte, nahm .er wahr, dafs
die Stellung des Königs Jakob II. gewisse Gefahren darbot. Wir
wissen ans den . Berichten des holländischen Aesidenten Keller,
dab Gordon kurz vor dem Ausbruche der Bevolution nach Eng*
land reisen wollte^ um den Thron des Königs und den Papismus
stützen zu helfen. ^) Allen Einzelheiten der Katastrojiho des
Jahres 1688 folgte er mit Spaunung. Er reproduziert teilweise
Gespräche in Kreisen von Russen und Ausländem über dieses
jBreignis, wobei er Gelegenheit hatte, seine Keinung geradeherans
zu sagen. Am Yorabend der Bevolution war noch in Gordons
Hause der Geburtstag des Königs Jakob II. gefeiert worden,
wobei der holländische Gesandte bemerkt hatte : glücklich sei der
König zu preisen, dessen TTntorthanen sogar iu der Fremde so-
viel Anhänglichkeit an ihn kundthäten (II. 231). Als die Nach-
richt von der Landung Oraniens in England eingetroffen war,
suchte Gordon allerlei Erinmdigungen einsnziehen. Er erhielt
die Dehiagation Wilhelms ; die Privatschreiben, welche er empfing,
*) Posselt I. 441.
28*
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436
l'atiick Gordon (1635—1699).
liefe or, iuBofern sie von den Torgängen in Engliiad berichteten,
ins Kussisclio übersetzen und der Regierung mitteilen, wobei er
wahrnahm, dai's die letztere alle diese iSachrichten mit Freude
begrfifste* Aach der Jubel der Holländer mufste Gordons Un-
willen erregen. Kickt eelten mofete er an der Tafel für Jakob II.
eintreten und Beine Meinung, wie er sagt, „hitiig** verfechten.
Als einst anf die G-esnndheit des Königs Wilhelm getrunken
wurde, weigerte sich üordon zu trinken. Die Nachricht von der
Flucht Jakobs nach Frankreich bekümmerte ihn tief.
Insbesondere der Briefwechsel Gordons in den Jahren 1090 fg.
eetit nns in den Btand, die Intensität der fem von England
weilenden Boyalisten zu beobachten. An den Grafen Aberdeen
Bchrdbt Gordon (1690), wie sehr die Ereignisse in England ihn
mit Schmerz erfüllten. Dem Kuuliiicain Meverell klagt er, dafs
alle seine Freunde von der Teilnahme au der Regierung aus-
geschlossen seien und gar keinen EiniinDi mehr hätten. Dem
Grafen If elforl drückte er den Wunsch aus, irgendwie für Jakob H.
wirken zu können, und erklärte sich bereit, alles zu thun, was
der König etwa von ihm verlangen werde. Die Hoffnung «of
eine zweite Restauration der Stuarts veHlffs iliu lange Zeit nicht.
An seinen Sohn James, welcher in russische Dienste treten wollte,
schrieb er: er, der Sohn, könne so lange in Rufsland bleiben,
bis die Verhältnisse in dem Vaterlande sich änderten, da man
unmöglich annehmen könne, dafs die Begiemng Wilhelms sich
lange werde halten können. Dieselben Ansichtm entwickelt er
in einem Schreiben an den Herzog (rordon. — Er empfand sehr
peiulich den Mii'ssüind, dafs man in Rui'sland oft verspätete und
unzuverlässige Nachrichten über die Vorgänge im Westen erhielt.
Seine Gesinnungsgenossen undliandsleute venammelte Gordon
nicht selten in seinem Hause und trank dann mit ihnen auf das
Wohl des vertriebenen König«. Er hoffte, dafs Ruftland bewogen
werden könnte, etwas für Jakolj Ii. zu thun, wenn etwa Lnd-
wig XIV. durch eine nach Rulsland abzusendende Gesandtschatt
die Zaren zu beeinflussen vermöchte. Sehr froh war er, als eine
Note Wilhelms III. an die russische £egierung in Moskau» wegen
Ffttriok Güidon (1686— 16M).
437
nicht gtaa entopreehender FormaHen, siierst mcht aceepüert wurde,
mufste es aber erleben, dafs der niederländische Gesandte alle
Schwierigkeiten ganz rasch zu beseitigeu verstand , so tlafg die
russische KegieruDg das Schreiben des Königs von £nglaad nicht
blois entgegomahm, Bondem auch beantwortete.
Nach der Bevolntion ersdiienen sahbreicbe Flugachriften für
und gegen Jakob. Gordon suchte sich dieselben in möglichster
Vollständigkeit zu verschaffen. Die Herrschaft Wilhelms ert^cliien
ihm als ein Sclmndfleck ?]ngliinils. und daher hoffte er, dafs das
Volk sich „der Schmach einer so unwürdigen Knechtschaft all-
mähUch bewoTst werden müase'* (III. 280). Er sachte sich genane
Veraeichnisse deijenigen Familien in England und Schottland an
▼erschaffeni welche der gestürzten Dynastie treu geblieben waren
und welche eine gewisse Neutralität beobachteten. Aucli Gordona
Sohn, James, war, wii; wir bei dieser Gelegenheit erlahrtju, fana-
tischer Koyalist. Gordoa wufste die ganze Zeit über von den
Parlamentsverhandlangen, den Bimennonen des Budgets und der
Armee in England. Den König Wilhelm nennt er in seinem
Tagebnehe nie anders als den ^^Prinsen von Oranien**. Es scheint,
dafs die in Moskau weilenden Engländer und Schotten fast aus-
nahmslos Gordons Ausichteu teilten.
So war denn in dieser Hinsicht Gordon, wie die Emigranten
oft zu sein pflegen, ein kurzsichtiger Politiker. Indem er an
d«r Hoffnung festhielty data Wilhelm sehr bald gestürzt werden
würde, irrte er. Diese Beschränktheit auf politischem Gebiete
süiiid in .^ehr engem Zuaammenhauge mit seinem religiösen Glaubens-
bekenntnis.
Gordon war sehr eifriger Katholik. Er dachte nie daran,
seinen Glauben zu wechseln^ obgleich es nicht an Beispielen fehltOi
dafs andbi wohl Engländer zu der griechisch*katholischen Kirche
übergingen. Ja noch mehr. Er war und blieb ein Werkzeug
der katliolischen Propaganda in Kufsland. TJn!il)lii.s.'*ig war er
bemülit, auf eine Besserung der ungünstigen Lage hinzuarbeiten,
in welcher sich die Katholiken in Rufslaud befanden. Als er
nach BuTsland kam, gab es keine katholischen Gotteshäuser. Er
Digitizfl«rby Google
438
Patrick (iordon (1635—1699).
mufste sich von dem holländischen Pastor trauen lassen; ja noch
seine Tochter Mary wurde von einem reformierten Prediger sje-
traut. Dagegen benutzte er die zuweilen Yorkommeude Durch-
reise katholischer GeistHcher, um dem Gottasdiensie in deren
Hanse beisuwohnen. Im Jahre 1684 suchte er durch den Ffirsteu
Wassilij Golizyn allerlei Bechte für die Katholiken zu erlangen.
Der Minister Sophiens erwies sich als sehr entgegenkommend.
Die in iluTäland lebenden Kathoiüven erkliirteu sich bereit, für
den Bau einer Kirche und den Unterhalt des Klerus beträclitliolie
Geldopfer an bringen. Gordon leitete die Agitation mit dem
grofsten Bifer. Aber man begegnete dem Widerspruche des Patri-
archen und drang nicht durch.
Der Kaiser Leopold wirkte in derselben Richtung. Sehr
häufig begegnen wir in Moskau den Emissären aus Österreich.
Der diplomatische Agent Kurtz kaufte in Moskau ein üaus für
die Jesuiten. Der nominelle Besitzer desselben war der angeb-
liche Kaufmann Gnasconi, Qordons Tertrauter Freund, welcher
sich als Agent des Jesuitenordens in Moskau aufhielt. Sehr oft
erschienen uUerlei Geistliche und Ordensbrüder, mit welchen Gor-
dou lü behr lebhaf tem V^erkehr stand. Über alle diese Vorgänge
ist sein Tagebuch die Hauptquelle. ^)
Alle in Bofsland erscheinenden katholischen Geistlichen fanden
bei Gordon die freundlichste Aufiiahme. Er wufste es durch-
zusetzen, dafs man ihnen, wenigstens zeitweiUg, die Übung geist-
licher Funktionen gestattete. Insbesondere mit einem Pat«r
Schntidt, welcher bald wieder abreisen mulate, unterhielt Gordon
einen lebhaften Briefwechsel. Durch ihn suchte er Lehrer und
Geistliche aus dem Auslande zu Torsohreiben. Von protestantischer
Seite ist sogar g^n Gordon der Vorwurf erhoben worden, er
habe die Protestanten bei der russischen Begierung anzusebwSrsen
gesucht. Indessen blieb die Kegierung, insbesondere nach der
Krisis des Jahres 1689, deu Katholiken abgeneigt und verbot
*) Der gegenwärtige Minister des luuern, Graf D. Tolstoi, hat in
seinem Werk „Le catholidsme romain** Gordons Tagebuch sehr grand-
lich benatst.
PHrfa^ Govdcm (1685—1699).
439
den Jesuiten den Anfentbalt in Bnlsland. Au GKnrdont Tage-
buche erfahren wir, mit welcher Hartnäckigkeit unter auderm
©in Jesuit Terpilowskij , welcher sich Gorduiib Guust erfreute,
monatelang einem solchen Gebote trotstey bis er schliefslich auf-
gegriffen and mit Gewalt an die Grenie gebraolit wurde (II. 210).
Wir liaben Gkund in Tennttten, dafa Oordon anoh mit der Be*
giersng des Kaisers Leopold ein Einverstindnis nnterliielt, vm
für den Kathülizisiima zu wirken. Er steckte fortwährend mit
den auä Oaterreich komuieuden diplomatlsciien Agenten Pleyer,
Kurtz u. 8. w. zusammen. Er stand mit geistlichen Herren in
verscluedenen Ländern in brielliehem Yerlrahr» 8o gab er dem
bekannten Belsenden Isbrand ein Empfehlnngsschretben an die
Jesniten in Ohina mit, in wdehem mit (^nugthuung beriebtet
wird, dafs die La^e der JvuLholiken lu Jiulshtiid sich geljessert
habe. Allerdings hatten äio, wenn auch kerne eigentliche Kirche,
so doch ein Bethaus, dessen Instandsetzung (j^ordon vielfach
besobttfttgte. Alsbald begann er den Ban einer steinernen Kirche
voranbereiten, 6<dder für diesen Zweck an sammeln and im Yer^
eine mit Onasconi anf die Begierung zu wirken.
Aus lindern Quellen erfaliren wir,, dals es bei dieser (ielegon-
heit nicht ohne jesuitische Kunstgriffe herging. Unter dem Ver-
wände, ein Mausoleum für die Familie Gtordon aa errichten, wurde
ein Ghnmdstüek angekanft. Der Ban begann nnd wurde mdgiiohat
beschleonigt. Es war die Zeit dea ersten Asoirseben Feldsoges.
WSbrend (Kordons Anwesenheit, als der Ban Torriickte, sebSpfte
die Hegierung Verdacht und befahl die Aibtiit fii dem Gebäude
einzustellen. Gordou bemühte Bich, die Unternehmung wieder in
fluls zu bringen, doch ist uns der weitere Verlauf dieser Ange-
legenheit nicht bekannt Indessen dürfen wir Termaten, dafo
Oordon mit seinen Absiebten dnrcbgedrangen sein werde. Allere
dings entstand in If oskan ein katholisebes (Jotteshans nnd Oordon
ist in demselben bestattet worden. ^)
<) Tolstoi, „Le catholiciims ronuun", L 187 fg. Eine genaue Dar-
stellung dieses Vocganges findet sich bei Zwjetijew, Aus d. Qwih, d.
auslüttdisohea Konfesskmsn in BuCdaad, S. 499 C
440
Pfttrick Gordcm (1685—1099).
Aaoh im Kreise seiner näduten Verwandten mehte Oordoa
für den katholisehen Glanben su wirken. Er fibrchtete eefar, dftfo
sein Sohn James in Deutschland von reformierten Ketsem yer-
leitet werden würde, der Kirche untreu zu werden (Ii.
seinen Schwiegersohn Strafshurg, einen Lutheraner, vermochte er
katholisch zu werden (III. 265). In seinen letzten. Lebensjahren
nmgab sieh Gordon gern mit Geistlichen und erwähnt sehr oft
der gottesdienstliohen Handluogen, denen er viel Zeit widmete.
Bei der Barchreise des Ersbiscbofs von Anoyra nntersog er sich
der Zereniuiiie der Firmelung, wobei er den Kaiueu „Leopold^
erhielt und der Jiaiäerliche Gesandte Gmarient Pateustelle ver-
trat. Korb erwähnt noch im Jahre 1699 einer Konfereos der
eifrigsten Katholiken in Koskau über die Angelegenheiten der
Kirche, an welcher Gordon teilgenommen habe. ^)
Gk>rdon verdankte Mtme Bildung gutenteib der Jesnitensdiole
zu Braunsherg. Er war des Lateinischen vollkoinmeu mächtig,
führte einen Teil seiner Korrespondenz (mit Maseppa, Kurts,
Almas Iwanow, Andrei MatwejYnv^ in lateinischer Sprache und
liebte es, in seinen Briefen lateinische Klassiker zu dtieren. Auch
hielt er darauf, dafs seme Söhne bei ihrer Ausbildung auf das
Lateinische (Abwicht legten. Sehr hSufig ist in dem Tagebucbe
uud in den Briefen Gordons verschieden« r Üucher erw.ihtit. so dais
wir uns über die Art und den Umfang der Belesenhcit Grordons
zu unterrichten vermögen. Noch als Jüngling verbrachte er auf
einer Beise zu Wasser auf der Weichsel die Zeit mit Lesen.
Als er in Gbfangenschaft geriet» beklagte er besonders den Yer*
lust seines Thomas a Kempis, der ihm mit andern Gegenständen
seiner Habe weggenommen worden war. Als er in Polen diö
Plünderung regelmäfsig betrieb, suchte er sich bei dieser (i^elegen>
heit auch Bücher in grofser Zahl zu verschaffen. Dem holläo-
disohen Gesandten schickte er aus Kijew eine „Beschreibung der
Donau". Als einst ein Bekannter Gordons ins Ausland reiste,
gab er ihm den Auftrag, in Westeuropa allerlei Bücher für Um
1) Diarium, 18. Hai im»
Patrick Qordon (1635—1699).
441
2n kaufen. AuTBerdein pflegte er durch den Kaufmann Mnnter
in Moskau und den Kaufmann Frazer in Riga und andere Bücher
zu verschreiben. Vaubans Sclirü'Leu seine ktu er seinem Sohne
nach Tambow. Peter gab er allerlei Werke' Uber J*'orti£kation
u. deigl. TO lesen. Für ein in Nürnberg ersohieneneB archKo-
logiBohee Werk Uber alte Waffen gab er 9 Thaler ans. Er kannte
manche die rtuaisehe Gkschichte betreffende Werke, wie z. B. den
Petrejus. In seinom Tat,'t!l)iiche ist fcanzöslscher , lateini.sclier
und deutscher, sogar tuiki^cber Büclier erwähnt. Durch Gorduns
Vermittelung verschrieben die englischen Damen der deutechen
Vorstadt allerlei Bomane ans dem Auelande. Ihn interessierte
ein Werk über die Heraldik und Qenealogie üngams. Man darf
annehmen, dafa Gordon an den gebildetsten Leuten der deutschen
X'üi'btadt gehörte, was ihn allerdinj^fs nicht hinderte, das Schot-
tische sehr unorthographiöch zu schreiben. Das Deutsche konnte
er anfangs gar nioht| lernte es aber später, wie wir ans einem
allerdings in gebrochenem Deutsch geschriebenen Briefe Gordons
an seinen Sohn Theodor ersehen. In Polen hatte er das Polnische,
in Bufsland das Russische gelernt. Seinem Sohne Theodor schSrfte
er ein, nur ja recht Üciiüig ru.'s.siscli zn lernen, und heboldetö in
Braunsberg einen Mönch, welcher die^e Spraciic lehrte.
Stets suchte Gordon den Fortschritten der Militärwissenschaft,
der Mechanik, der Physik u. s. w. in Westeuropa zu folgen. Er
bat den Kaufmann Meverell in London, an welchen er sehr oft
schrieb, ihm über alle bedeutenderen, in der Boyal Society snr
Sjirache kommenden Entdeckungen ilitteilnng zu machen. Aus
den Briefen an den Sohn in Schottland crselu-n wir. daf.s er das
Gebiet der Gartenbaukuust völlig beherrschte, liier und da legt
er mathematische, astronomische Kenntnisse an den Tag. Dagegen
wird er auf dem Gebiete der schönen Litteratur und der Musik
nicht sehr bewandert gewesen sein. So war der Horizont von
Gordous Intelligenz immerhin sehr ausgedehnt, wenn er aucii in
keinem Fache eine Spezialität vertrat und nicht mit wahrhaft
wissenschaftlichen Kenntnissen glänzen konnte. Seine Fähigkeiten
mögen nicht über ein gewisses Mitteknals hinausgegangen sein.
448
Patrick Gortiou (1U35— 1699).
Eme gewisse Tüchtigkeit und Soliditit in seinem Können nad
Wissen wird uum ihm uicht abspreclieu können.
"Was Gordons Charakter, Gordons Sittlichkeit aubetrifFt, SO
mufs man bei deren Beaiieilung den MaCutab jener Zeit anlegen
nnd die ZeitverblUtniise berücksichtigen. Dals er als Zögling
einer Jesnitenschnle nnd ab im Dienste einer despotisohen Xaekt
stehend sich nicht besonders günstiger Bedingungen für die
Entwickeluiig einer höhern Moral erfreute . wird man zugeben.
Seine Mauueätugeud , die physische Tapferkeit Gordous ist über
idlen Zweifel erhaben. An seinem bürgerliehen Jinte hatte er
es nicht selten fehlen lassen. Nicht immer gestatteten es die
Verhältnisse y dafs Gordon mit seinen Ansichten nnd Über-
zeugungen frei herausrücken konnte. Öfter mitfste er seine Ideen
verschweigen , sogar in entgegengesetztem Sinne reden , weil es
galt, den Zorn Mächtiger nicht zu reizen. In »einer Charakte«
rifitik Gt>rdons geht Korb so weit^ ihn einen Meister in der Kunst
der Verstellung zn nennen, welcher, «dem Bäte des Aristotelei
folgend, Peter nach dem Mnnde zu sprechen pflegte**. ^)
Es war eines Jesaitenzöglings wfir^g, wenn Gt>rdon 1661, nm
sich der Verpflichtung des Eintritts in österreichische Dienste zu
entledigen, wie er selbst erzahlt, zwei Briefe verfalste, in denen
die Fabel von einer angeblichen Krankheit recht breit aii^pe-
spönnen war; wenn er, nachdem er einen Kapitia thitlieh miß-
handelt hatte, Tor Gericht hartnäckig leugnete, da, wie er be-
merkt, „keine Zeugen waren" ; wenn er, allerdings auf den Rat
eines russischen Beamten, einmal durch Bestechung l)ewirkte, dai^
ein Papier in einer Behörde durch ein anderes ersetzt wurde j
wenn er seinen Sohn, als dieser in Q^eUsohaft eines Jesuiten
nach Rnfsland kommen sollte, förmlich im Lügen untemohtete^
d. h. ihm ein System von allerlei falschen Aussagen diktiert^
welche der Sohn an der Grense machen sollte. Recht nair be-
merkt er bei dieser Gelegenheit, dafs eine Lüge, wenn sehr um-
ständlich, weniger sündhaft sei (III. 256).
') Korb, p. ai7.
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Patrick Qordon (1636-X699).
443
Bei alledem wird immerhin die allgemeine Verehrung, welche
(jordon insbosondere in der deutschen Vorstadt genofs, auch als
ein Mal]B8tab für seineii Charakter gelten können. A.iiGlk die
^iBBen ehrten seinen treuen Pflichteifer, seine ZnYerl&Migkdt und
Arbeitskraft, die Pflnktliohkeit bei der Erfftllong aller dienstlichen
Obliegenheiten, die stete Bereitheit, im Interesse anderer zu wirken,
die Vorteile anderer zu wahren. Nicht umBunat hatte er unzählige-
mal Patenstelle vertreten , sehr oft das Vermögen Unmündiger
zu verwalten y ids Schiedsrichter bei Vermögensstreitigkelten sn
füngieren. Er galt fllr dnrchaos unbestechlich und gnmdehrlich.
Obgleich er, wie wir wissen, in seiner Jagend in Polen durch
Plfindem den Grund sn seinem Wohlstand gelegt hatte , meinte
er doch ein reines Gewissen haben zu köuueu, und schrieb seinem
8ohne einmal mit gutem Glauben, in seinem ganzen Vermögen
sei kein Heller, welcher etwa auf unerlaubte Weise erworben sei
(III. 333). Gewüs ist, dafs ihm in russischen Diensten nicht
das geringste Vergehen nachgewiesen werden konnte. Sassen wie
Deutsche sind voll Lobes fiber ihn.
Krankheit und Tod.
Gordon hatte ein an Erfahrungen und Eindrücken reiches
Leben hinter sich. Aber dieses Leben hatte an seinen Körper
hohe Anforderungen gestellt. Er war ansühligemal verwundet
worden , hatte die anstrengendsten Feldzüge mitgemacht und in
vorgerückten Jiiliren als (^iesellschafter Peters bei Schmausereien
und Zecligelageu seine Gesundheit aufs Spiel setzen müssen.
Die Wunden scheinen nicht eigentlich den Kern seiner Ge* '
eondheit angegriffen zu haben. In dem polnisch-sohwedischen
Blriege war er durch FUntensehflsse in der Seite, an den Ffilsen,
an der Schulter und am Kopf verletzt worden. In Tschigirin
hatte er von Granaten und Säbeln an Händen und Füfsen und
im Gesicht allerlei Wunden davongetragen. Bei den Feuerwerken
und Mnn")vern hatte er durch Explosionen gelitten. Doch scheinen
alle diese Wunden nicht lebensgefiUirlich gewesen zu sein. Dabei
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444
FMriok Gordon (1686—1609).
kr&nkelte er aber oft. Id den Jaliren 1653 und 1655 acbeint
er eine Art Typhue dnrchgemadtt zu haben; während des
schwedisch-polnischen Krieges erkrankte er an der Pest u. s. w.
Aulserdem schuiut (iordon zur Hypochondrie geueigt gewesen
SU sein. Der BeBchreibnng seiner Leiden ist ein nicht unbeträcht-
licher Teil seiner Tagebuchnotiaen gewidmet. Er liebte es, aich
mit allerlei Medikamenten su umgeben» Arzte und Apotheker an
konBoltieren. Auf G-rund der flberreichlichen Angaben über 6ih
ihn jalirolang peinigenden Krankheitssyniptomu können wir mit
GewiTsheit annehmen, dafs er an einem chronischen Magenkatarrh
litt. An diesem wird er zu Ghrunde gegangen sein. Schon am
31. Dezember 1698 schrieb er in sein Tagebuch: „In dieeem
Jahre habe ich eine merkliche Abnahme meiner Kr&fte wahr-
genommen. Dein Wille geschehe, o Grott!^ Von seiner Krank-
heit im Jahre "Ifi'JD li;ibon wir kciuc Kuclirichteii. Er st;irb am
19. November. Korli erzählt, Peter habe den Sterbouden wäh-
rend dessen letzter Krankheit mehrmals täglich besucht, sei noch
in der letzten Nacht zweimal bei ihm gewesen und habe ihm, als
er verschieden, die Augen zugedrückt. ^)
Wenige Monate früher war Lefort verschieden, und der
Zar liiitte das Andenken seines Freundes durcii eine überaus
prunkvolle Bestattung gefeiert. Nach demselben Zeremoniell ist
auch Gordon bestattet worden. Peter folgte dem Zuge inmitten
der Soldaten. Ein katholischer Geistlicher hielt die Grabrede. Am
Vorabend wohnten der Zarewitsch Alezei und die Lieblings-
Schwester Peters der Messe in der katholischen Kirche bei. ^ In
derselben ist auch Gordons Asche beigesetzt worden. Dort war
noch bis vor nicht langer Zeit die Grabschrift zu lesen, bis dann
in den letzten Jahren das ganze Gebäude versehwand und
die Platte mit der Inschrift in das Bunganzowsche Museum
gebracht wurde.
Der wichtigste Abschnitt in Gordons Leben und Wirkaa
>) Korb, p. StS.
Fleyers Relation bei Ustrjalow, HL 646, und Posselt in der Edi-
tion des Tsgebuchfl, L Y— VIII.
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Patrick GorJon (1035—1699).
445
föllt in jene Zeit der historisclieii Biitwickeliing RuTslands, da
Peter sich zur Lösung der Aufgabe rüstete, don asiatischen Staat
iu einen europäischen zu verwandeln. Dafs Grordon au einer
solchen Yorbereitang einen wesentlichen Anteil nahm , dafs er
dem Zaroi, mit welchem eine neue Epoche angeht, in dessen
Lelirjahren treu znr Seite stand und ihn förderte, dafs er
EU den wichtigsten Yermittlem der Knltnr des Abendlandes
und dem der historischen Entwickelung hedürfenden Osten ge-
hörte . sichert ihm eine ehrenvolle Stellung in der Geschichte
BuTslauds.
Kordons Tagebueh als ^^eseliielitsqaelle.
Gordons Tagebuch als G^schichtsquelle ist bisher nicht hin-
reichend gewürdigt worden. Nur XJstrjalow hat bei Gelegenheit
seiner „Geschichte Peters des Grofsen" dasselbe und zwar im
Originalmannskript gewissenhaft benutzt. Als £. Herrmann die
betreffimdea Partien seiner „Geschichte des mssischen Staates*
schrieb, war Posselts Edition noch nicht erschienen. Ssolo^ew
hat diese Quelle sehr wenig beachtet und indem er gans Un-
wesentliches darauH entlohnte, da, wo Gonions Tagebuch Haupt-
quelle ist, z. B. bei Gelegenheit der Geschichte der Tbchigirin-
Feldzttge, dasselbe einfach ignoriert. Tu den Kreisen der mssischen
SGstoriker ist die Kenntnis fremder Sprachen nur wenig ^er-
breitet. Schon der Umstand, dafs Gordons Tagebuch in dem
gedruckten deutschen Auszüge gegen tausend Seiten umfaTst, er»
Schwert manchem die Benutzung dieser Quelle.
Allerdings übertrifft Gordons Tagebuch au Umfang alle Vre-
schichtfi^uelien dieser (rattung. Gordon lebte 38 Jahre hindurch
fast unausgesetzt in Bufsland. Seine Aufzeichnungen haben, indem
sie fast die gamse zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts umfassen,
schon quantitativ einen gans andern Wert als etwa das Tage-
buch Korbs, welcher etwa ein Jahr in Moskau weilte, oder das
Tagebuch Bergholz*, welches die Jahre 1721 — 25 umfafste. Von
allen Ausländern, aus deren Schriften wir über das Zeitalter
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446
Patrick Qordon (1686^1609).
Peten Belehnuig wh^pften, wie etwa die Schriftea Witieii«! Neu*
villei» Perrys, Weben, Strehlenbergs, Voekerrodte, gibt uns Iniiie
einzige mit pbotographiscber Treue die Einselheiten der Ereignisse
wieder wie Gordons Tagebuch. Als leidenscliAftl icher Augenzeuge
reproduziert er die Erlebnisse des Augenblicks. Von zu8Hitimi;n-
&88enden Urteilen, von einer Kritik oder Interpretation der Tbat-
aacben siebt er ab ; dagegen liefert er überreiehes Material^ welebea
den Leser and Forscher instandsetsti ans allen Einselbeiten
die Summe va sieben, die Bedentnng der Vorgänge, an denen
Gorduii teilualira oder welche er zu. beobachten Gelegenheit hatte,
zu erkennen.
Es ist daher erfreulich, dafs, wenn auch Posselts Edition
nicbt binreichend Terwertet und gewürdigt worden ist, bereits
▼iel frOber Gkurdon nnd sein Tagebuch vieliaeb Gegenstand be*
Bonderer Aufmerksamkeit waren.
Aus den Papieren des Leiters der auswärtigen Politik in der
ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts , des Grafen üstermaun , ist
zu ersehen, dafs er Gordons Tagebuch kannte und bereits im
Jabre 1724 Ifafsregeln traf, dals es ins Bussisebe übertragen
werde. Diejenigen Partien des Tagebuchs, welche die Jahre 1684
und 1685 umfassen, wurden damals you Wolkow übersetnt. Man
darl annehmen, dafs sich die Origioalhaudschrift damals in Moskau
befunden habe.
Bei seinen Studien über die Geschichte der Feldzüge Qolisynt,
(1687 und 1689) und die Geschichte Asows, welche in G. F.
Hüllers „Sammlung masiMsher Geschichten" (1737) ersehienen,
benutate Beyer, Mitglied der Petersburger Akademie, das Tagebueh
sehr fleifsig.
G. F. Müller veranlafste im Jahre 1759 den Grafen Stro*
ganow, einen beträchtlichen Teil der Handschrift der seit-
weiligen BesitMrin derselben, der Witwe eines Enkels Gordooa,
welcher als Translatenr in der 'Admiralitftt su Petersburg diente,
abeukaufen. Einen andern Teil der Handschrift entdeckte ICflller
in dem Archiv des Kollegiums der uubWürUgen AngeleLrenheit«n
in Moskau. Ebendort, im Archiv, befindet sich eine Abhandlung
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Patriok Gordon (1686-<im).
U7
Hfillert ttber Gordon, welohoi 1766 getchriebon, im Jahre 1778
anssngaweise gedruckt wurde. Oleiohseitig war der Historiker
Stritter mit der Anfertigung einer Übersetzung des Tagebuchs
ins Deutsche beschäftigt. Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts er-
schienen mehrere kurze Biographien Gordons in verschiedenen
raieisekeii Editionen, sowie einaelne Braehatttcke dee Tagebnehs.
Wie wenig Beaohtong in den folgenden Jabmebnten diesem Gegen-
stande geschenkt wurde, aeigt der Umstand , dafs in der sonst
snm Teil vortrefflichen „Übersicht der Beisenden in Rufslaad*^
Adelungs nur kurze und zum Teil ungenaue Antral>en über den-
selben sich finden, und dafs in Bantyscli-Kanienskijs Schriften
über die berühmten Generale aus der Zeit Peters des Grofsen
Gordons mit keinem Worte erwähnt wird, obgleich der fleifsige,
aber unkritische Sammler Golikow denn doch im Jahre 1800 eine
recht anirfÜbrliehe Lebensbeschreibung Gordons TerSffentlicht hatte.
Im Jalire 1849 erschien der erste Band von M. Posseita
Edition des Tagei>uchä, im Jahre 1851 der zweite, im Jalire 1852
der dritte. Als Herausgeber dea ersten Band^ sind der Fürst
Obolensky nnd fosseit genannt; als Herausgeber der beiden
letstem — nor Posselt. Die Einleitung, Vorreden nnd Noten
sind ansschliefslieh Posselts Werk. Bei der Edition benutate er
die Strittersche Übersetzung, deren Handschrift sich zum Teil
im Bei-'itze Obolenskijs, zum Teil im Besitze Pogodins befand.
Stritter hatte das Tagebuch vollständig übersetzt, aber mau ent-
deckte den letzten Teil der Übersetzung, welcher den Zeitraum
Yon 1691 — 98 umfafste^ erst nachdem dieser Abschnitt neu ttber-
setat war. Stritter hatte die Bedaktion des Tagebuchs einiger^
mafsen gelbadert und Gk>rdon immw von sich in der dritten Person
reden lassen. Vom Jahre 1692 an spricht (idi Jon in der vor-
liegenden Edition in der ersten Person. Eine genaue Besuhieibung
der Originalhand»chnft haben die Herausgeber leider unterlassen.
Einiges hierauf BexttgUche findet sich bei Ustijalow in der Ein-
leitung lur »Geschichte Peters des 0rolsen^. Die sechs er-
haltenen BXnde Manuskript befimden sich suerst im ArehiT der
auswärtigen Angelegenheitau zu Moskau und später im Kriegs*
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' 448
Rktrick Qordon (1685—1699).
mimBterium. Einer in der Eremitage befiodlieheD Abedtrift
erwähnt Adel un lt.
Die zahlreiciieu Lücken im Tagebuche erklären sich nicht
blofs, wenn auch zum weitaus gröfsten Teile, durch das Verloren-
gehen einzelner Partien der Handsehrifk, sondern stelleDweiee auch
dadurch f dafs Oordon nicht immer die Möglichkeit hatte, daa
Tagebuch stetig m fBhren. Die gröfsten Lflcken nmfmsen die
Jahre 1^67 — 77 uiul 1678 — 84. An mehreren Stellen der Ktlitioii
haben Ubersetüer und Herausgeber sehr bedeutende Kürzungen
vorgenommen. Die Aiifg-abe derselben war sehr schwierig. An
vielen Stellen war der Text unverständlich. Viele Namen sind
verballhornt. Die Bechtschreibnng Oordons ist inkorrekt, will-
kürlich und inkonsequent. Manche Namen sind im Text in einem
Grade gekürzt wiedergegeben, dafs es schwierig ist, zu erraten,
von wem die liede ist.
Wertvolle Beilagen sind über hundert Briefe Gordons, allerlei
anf seine Beisen und seinen Dienst besügUche Aktenstficke, Bild-
nisse Gordons und seiner sweiten Gemahlin, Plftne der Festungen
Tsohigirin und Asow» ein Facsimüe von Gordons Handschrift.
T;in oigentlicher Kommentar fehlt. Nur die ersten den
schwediBch-polnischen Krieg betreffenden Abschnitte des Tagebuchs
begleitet Posselt mit historischen, aus den Schriften Pufendorfs
und Kochowsk^s entlehnten Notiaen. Einsseine der Noten am
Schlüsse der Binde enthalten sehr instruktive, zum Teil den
Archiven entlehnte Angaben fiber die Zeitgesditchte.
Sehr dankenswert ist daa alphabetiKclie Ilenrlster am Schlüsse
des dritten Bandes. Es erleichtert sehr wesentlich die Benutzung
des Tagebuchs bei monoL^raphischen Forschungen.
Nicht alle Teile des Tagebuchs haben den Charakter eines
solchen. Hier und da begegnen uns langatmige historische und
politische Ausführungen, und «war besonders in dem ersten Bande.
Ferner gibt es Abscluiften oder Exzei])to von Aktenstücken,
Bechnungen, Tabellen über die Truppen und Vorräte u. s. w.
Die Ausführlichkeit des Tagebuchs ist sehr ungleich.. So
s. B* nimmt das Jahr 1695 etwa fünfmal soviel Baum ein als
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Pftirick Gonloii (1636—1699).
449
das Jahr 1692. Gordou schrieb sein Tagebuch niolit eigentlich
für die Nachwelt, sondern mehr für sich und etwa seine Familie.
Uber den Zweck und die Art dieser seiner Thätif^Dsit h»t «r
flieh selbflty wi» PotMlt mitteilt (I. WH), fo]g«ndflniia&«ii g»-
iallMrt: „Es iflt mir nicht nnbekaiini, dMb man e« IHr «iM
flchwnre BMhe hiH, di« G«M]iichte seioea eigenen Lebens m
schreiben oder eine Erzählang von denjenigen Thateu, an denen
man selbst teilgenommen hat , zn liefern , ebenso wie es einem
Künstler schwer wird, sein eigenes Porträt zu entwerfen. Da
iah mir aber Torgeeetzt habe, in den Schranken eines Tagebnohs
sa bleibeni ohne das YorgefisUene sa bearteüsn oder die Begeben*
heiten meines Lebens sa loben oder an tadeln, indem ich hiwiii
dem Bäte des weisen Cato folge, der da sagte: ^^Neo te landaris, '
nee te culpaveriö ipse" — so ist meines Emchteus die Sache gar
nicht so schwer, insonderheit da ich nicht für die Otfentlichkeit
schreibe and gern andern (wenn niemand sich die Kühe nehmen
sollte, dies an lesen) die Benrteilang alles desseni was mir alles
begegnet ist. Überlasse. Ich habe auch von Staatsgesehäften nicht
mehr erwlhnt, als was mir sn meinen Ohren gekommen ist:
blofse Gerächte habe ich für Gerüchte ausgegeben und Wahrheit
für Wahrheit. Einige ottentliche Geschäfte, aber vorzugsweise
nur solche, die das Kriegswesen betreffen (die Staatssachen, weil
sie aoiser meiner Sph&re sind, berühre ich seltener), habe ich in
einem Zniammenhange vorgetnigeni andere sind mit meinen eigenen
Begebenheiten dnrchflochten ; alles swar nnToUstftndig, weil es an
öffentlichen Dokumenten fehlt, doch so, dafs ich bei den meisten
Begebenheiten gegenwärtig und ein Augenzeuge gewesen bin.
• Kurz, ich kann keine bessere und gegründetere Ursache dieser
meiner Bemühongen angeben, als weil es mir so gefallen hat,
wobei ich mich nm den Beifiül anderer wenig bekfimmere, weil
ich weiis, dais sUen an gefallen Jederseit fttr unmöglich gehalten
worden ist.**
Aus unserer biographischen Skizze, deren Material fast aus-
Bcbliefslich dem Tagebuche entlehnt ist, ersieht man, wie viel Auf*
sohlnls das letztere über die Ereignisse jener Zeit gibt.
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Patrick Gordon (1636—1699).
Für die G«toliMlite aller Kriege tob 1656^98, an Smum
Gordüii teilnahiii, ist sein Tagebricli Hnii])t quelle. Er teilt manche
während des polnisch •schwedischea Krieges (1655 — 60) ge-
•eUoMMie Yorträge vollständig oder aumgtweiBe mit. Manche
SfiiiB^eiteii der mUitäriachen Operfttionen, i. B. der Belagenmg
BigM dviek die Buaeeii (1656) i manehe Sdüaditeii ia
misland finden sich in keiner andern ans jener Zeit ttatnmendea
Quelle. Hier uiul da iiels er eich GenRueres über Vorgänge
früherer Jahre erzählen und schrieb das Gehörte nieder j ao
BWDcheriei über die Ereignieae beim AaBbmohe des Kampfea tun
Kleinmliilaod. Selur inatnikfciy ist seine fiehildemng der Niededagea,
welehe die IBbuaaen in Polen 1660 und 1661 erlitten, der JKaatiade
und Sitten in Polen, der VerhSitnisse der Kosaken in der ükrdne.
Aufserordentlich viel Material bietet Oordons Tagebuch für
die GeBchichte der OnentaliBchou i'rage, insbesondere der Kxiege
Bafalands mit den Törkea und Tataren. In Kleinmisla&d lebend
erfahr er maoeherlei fiber die Spannnsg der KaofabarstaafteB nnd
Bchrieb seitangsartig allerlei Gerüchte In sein Tagebach. Von
allen ÜberföUen der Tataren an der Gfrenae berichtet er mehr
oder minder ausführlich Für die Geschichte des Kampfes um
Tschigirin ist Gordous Tagebuch faöt die einzige Quelle. Obgleich
Hammer^PnrgstaU und Ssolowjew Gkirdons bei der Ersählnng
Ton der Behigemng Tiohigirina 1678 nicht erwifanen» so wiaaen
wir doch, welche bedentende Boüe er dabei spielte. Ebenso
dürfte für die Geschichte der Feldzüge Gblizyns in der Krim
und der Belagerung Asows durch Peter kaum eine Quelle an
Umfang, Genauigkeit und Zuverlässigkeit mit Gördens Tage-
bnche sn Tergieichen sein. Farblos nnd nngenan, stellenweise
sogar Tollstftndig irrefilhreiid encheint daneben inbesng anf den
Feldsag von 1689 die ErsShlnng Neuvilles in snner „BdaHen
cariense'', welcher die Berichte Spafiiris wieder^bt, eines Hannes,
der diesen Feldzug nicht mitmachte. Fr.igmentjirisch erscheint
daneben etwa die Reihe von Briefen Leforts an seine Verwaudten
oder die grofse Zahl von Belationen Fieyers an den Kaiser
Leopold über die Ereignisse der nenniigsr Jahre.
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t
Patrick üordou (1686—1699). 461
Peten Pri^fttleben bis Bmn Jahre 1697 lernen wir atu Gordons
Tatrehuche eingehender kennen als auf Grund irgendwelcher andern
Quelle. Wir können an der Hand des Tagebuches jahrelang faat
Tag für Tag den Besohäftigongen, Arbeiten, Lustbarkeiten and
Ausflogen Peters folgen. — Für die Geschichte der Besiehungen
Bnfslands su England, an Osterreich nnd za andern Staaten finden
sieh im Tagebuch wertrolle Angaben. Über die Znst&nde nnd
Verhältnisse Rufsliuids, der Verwjiltunrr, der verschiedenen sozialen
Kreise, des Wirtschaftsiebeus, der mililäriachen Organisation, der
Ausländer in Rufsland finden sich gelegentlich ganz onersetsliche
Angaben. An Personalnotiaen gibt es einen schwer au er«
schöpfenden Beichtnm. Bas Privatleben insbesondere der aus*
ländisehen SLreise wird nns durch Gordons Tagebndb ein so vor*
trauter Stofif, dafs wir uns gewisserniafsen in die Atmosphäre
und die Stimmung der in Rufsland vor zwei Jahrhunderten
lebenden Schotten, Engländer, Uoliäuder, Deutschen u. s. w. ver-
setat fühlen. Für die historische Topographie sorgt Gordon dnrch
grofse Genauigkeit bei Beschreibung aller Betsen und H&rsche.
Es wSre lehrreich, eine genaue Karte Bnfslands mit Angabe der
Flüsse, Flecken u. s. w. an entwerfen, welche in Gordons Tage-
buch erwähnt sind, zur Yergleichung mit der Topographie der
Gegenwart. Der Wirtschaitshistoriker erfahrt aus Gordons Tage-
buch sehr viel von den Handels-, Lohn- und Preisverhältnissen
jener 2eit. Die Angaben über die Bewirtschaftung der in Gordons
Besita befindlichen Güter gewihren einen Einblick in die land-
wirtschaftlichen und bSuerliehen Verhiltnisse jener SSeit. "Wir
sind mit liilfe des Tat^'i'lMn hs im stunde, mancln rlei Vergleiche
auzustellen zwischen der ökoucmischen Lage der Ausländer und
derjenigen der Kassen. Unzähligemai begecjncn um Angaben über
die Geld- und KttnaverhMtnisse , den Ziasfuls, den Wechsel-
kurs u. s. w.
. Bo in kuraem die Bedeutung dieser bisher so wenig berfiok*
sichtigten, ja kaum bekannten Geschichtaqaelle.
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0|i»BMrtte|(O.rita'a8h«liMMr.}Ma«BbMg«/t.
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